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Leipziger Blaue Hefte

Zitation dieses Bandes:


LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3
ISBN 978-3-86541-471-7

Editoren: PD Dr. Michael Pees


Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig
Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach
Institut für Veterinär-Physiologie, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Gotthold Gäbel
Veterinär-Physiologisches Institut, Universität Leipzig
Prof. Dr. Uwe Truyen
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig

Facheditoren dieses Bandes:


Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach Prof. Dr. Peggy Braun
Prof. Dr. Manfred Coenen Prof. Dr. Arwid Daugschies
Prof. Dr. Karsten Fehlhaber Prof. Dr. Manfred Fürll
Prof. Dr. Johannes Kauffold Prof. Dr. M.-E. Krautwald-Junghanns
Prof. Dr. Ernst Lücker Dr. Gerd Möbius
Dr. Hans-Georg Möckel Dr. Kristin Müller
Dr. Heidemarie Ratsch Dr. Tatjana Sattler
Prof. Dr. Axel Sobiraj Prof. Dr. Uwe Truyen
PD Dr. Ingrid Vervuert

Redaktionsleitung:
PD Dr. Michael Pees, Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig
An den Tierkliniken 17, 04103 Leipzig, [email protected]; www.blauehefte.de

Druck:
Messedruck Leipzig GmbH

Gestaltung:
PD Dr. Michael Pees, Reiko Rackwitz, Anke Schmidt-Mähne

Lektoratsleitung:
Karin Gäbel, Berlin

Indexerstellung:
Dr. Monika Bochmann, Leipzig

Titelbild mit freundlicher Erlaubnis von ©PLAYMOBIL/geobra Brandstätter GmbH & Co. KG
Das Copyright der Manuskripte liegt bei den Autoren
Editorial

Editorials liest sowieso niemand? Das kann stimmen, und es ist auch gut so, denn der wichtigere Teil
dieser Tagungsbände sind natürlich die Referentenbeiträge. Insofern halten wir dieses Vorwort so
kurz wie möglich, für die, die es dann doch lesen.

Der Hauptkongress ist diesmal in drei Bänden untergebracht – nicht, um mehr Platz zu gewinnen,
sondern, um die Bände thematisch besser ordnen zu können und vom jeweiligen Umfang etwas
handlicher zu machen. Um die praktische Nutzung der Bände auch für die Zeit nach den Vorträgen
zu erleichtern, haben wir ein Stichwortverzeichnis mit den wichtigsten Schlagwörtern aus den
Beiträgen zusammengestellt – hoffentlich ist es Ihnen nützlich.

Wir danken allen, die an der Herstellung dieser Bände mitgewirkt haben, und wünschen Ihnen einen
interessanten und abwechslungsreichen Kongress.

Leipzig, im November 2011

PD Dr. Michael Pees


Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach
Prof. Dr. Arwid Daugschies
Prof. Dr. Uwe Truyen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 1


Grußwort

Der Leipziger Tierärztekongress hat sich zu einer festen Größe etabliert. Bereits auf dem 5. Leipziger
Tierärztekongress im Januar 2010 konnten wir etwa 3500 Teilnehmer begrüßen, womit der Kongress
zum größten seiner Art im deutschsprachigen Raum wurde. Diese große Akzeptanz ist durch das
breite und qualitativ hochstehende Angebot an Fachvorträgen, Symposien und Kursen begründet.

Qualität verbindet sich mit Namen, und so werden Sie feststellen können, dass viele wissenschaftlich
und in der Praxis hoch geachtete und anerkannte Referenten dafür bürgen, dass Ihnen eine
kompakte und interessante Fortbildung in allen Bereichen des breiten veterinärmedizinischen
Berufsfeldes geboten wird, für die die Schriftenreihe „Leipziger Blaue Hefte“ eine hilfreiche
Handreichung darstellt.

Die Leipziger Blauen Hefte bilden den Inhalt dieser Vorträge ab, in diesem Jahr erstmals in drei
Bänden.

Die Erstellung eines Programms und Tagungsbandes, bei dem keine Kompromisse hinsichtlich der
Güte der Veranstaltung eingegangen werden, ist für eine verhältnismäßig kleine Fakultät wie es die
unsere ist, eine Herausforderung. Wir stellen uns aber gerne dieser Aufgabe, ist doch die Fort- und
Weiterbildung eine wesentliche Aufgabe universitärer Fakultäten. Eine Veranstaltung
dieser Dimension und Qualität können wir nur in intensiver Zusammenarbeit innerhalb der Fakultät
und mit außeruniversitären Partnern stemmen. Zu nennen sind dabei vor allem die Leipziger Messe
GmbH und die Tierärztekammern der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg
und Mecklenburg-Vorpommern, die sich vertraglich zum Leipziger Tierärztekongress bekennen, und
die Sponsoren, Aussteller und Inserenten, ohne die eine derartige Tagung und die vorliegende
Publikation nicht zu realisieren wären.

Die „Leipziger Blaue Hefte“ stellen eine noch relativ junge Schriftenreihe dar, haben sich aber in
kurzer Zeit als nicht mehr wegzudenkendes Printmedium für wissenschaftliche Tagungen und
Fortbildungsveranstaltungen an der Leipziger Fakultät etabliert. Für die vielen interessanten und
hochaktuellen Beiträge und die professionelle Bearbeitung und Gestaltung der Tagungsbände
möchte ich allen Mitwirkenden, Referenten wie Facheditoren und Redaktionsteam, sehr herzlich
danken.

Leipzig, im November 2011

Prof. Dr. Uwe Truyen


Dekan

2 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Inhaltsverzeichnis

1 WIEDERKÄUER ........................................................................................................ 15
GESUNDHEIT UND ERNÄHRUNG DES KALBES
Grundlagen einer erfolgreichen Kälberaufzucht..................................................................................16
Martin Kaske
Das Kalb mit neonataler Diarrhoe als Notfallpatient ...........................................................................19
Martin Kaske
Kolostrum für das neugeborene Kalb – mehr als Immunglobulinversorgung .....................................22
Julia Steinhoff-Wagner & Harald M. Hammon
Diätetisches Management durchfallkranker Kälber.............................................................................27
Lisa Bachmann et al.
Endoparasiten beim Kalb: Quo vadis? ................................................................................................31
Arwid Daugschies et al.
Fütterungsstrategien für eine erfolgreiche Jungrinderaufzucht ...........................................................36
Hubert Spiekers & Thomas Ettle
Passt die Fütterung? Diagnostik der Energie- und Nährstoffversorgung ............................................41
Martin Höltershinken

BESTANDSBETREUUNG
Grundprinzipien der Bestandsüberwachung von Milchkuhherden ......................................................43
Rudolf Staufenbiel
Tiergesundheitsdienst in österreichischen Milchviehbetrieben – Basis für die tierärztliche
Herdenbetreuung ................................................................................................................................48
Walter Obritzhauser
Herausforderungen an die Tierärztliche Bestandsbetreuung der Zukunft ..........................................52
Rolf Mansfeld & Rainer Martin

MINERALSTOFFWECHSEL
Optimale Phosphor- und Calciumversorgung bei Milchkühen ............................................................56
Eva Haese & Markus Rodehutscord
Hypophosphatämie als Ursache für Festliegen? ................................................................................62
Walter Grünberg
Gibt es Fortschritte bei der Früherkennung und Therapie von Festliegern?.......................................65
Manfred Fürll
Langjährige Analyseergebnisse zu Se, Cu und Mn im Rinderblut ......................................................70
Anja Müller & Bernd Freude
Klinischer Hintergrund von Spurenelementmangel bei Rindern .........................................................72
Carola Wolf

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 3


Supplementation of different forms of selenium ..................................................................................75
Alena Pechova et al.

IMMUNOLOGIE / KLEINE CHIRURGIE


Costs of the immune system – healthiness comes at a price .............................................................79
Bernd Kaspers
Aktuelle Konzepte und mögliche künftige Entwicklungen in den Bereichen Chirurgie,
Anästhesie und Schmerzmanagement beim Rind ..............................................................................83
Adrian Steiner
Chirurgische Möglichkeiten bei Veränderungen im Bereich des Tarsus.............................................87
Karl Nuss

INFEKTIONSKRANKHEITEN
Blauzunge und Tuberkulose: Hat die Politik richtig entschieden? ......................................................92
Hans-Joachim Bätza
BHV-1-Endsanierung: Was ist jetzt zu beachten? ..............................................................................94
Martin Beer
BVD-Pflichtbekämpfung – Wie ist die epidemiologische Situation in Deutschland? ...........................95
Horst Schirrmeier & Günter Strebelow
Aktueller Kenntnisstand zum Einsatz von Gamithromycin bei Rindergrippe ......................................99
Ariane Schade & Florian Fischer
Bovine Neonatale Pancytopenie .......................................................................................................101
Klaus Doll et al.

ENERGIESTOFFWECHSEL
Wenn die Leber müde wird: Pathophysiologie und Therapie der Leberinsuffizienz beim
Menschen .........................................................................................................................................105
Thomas Berg
Gib ihr Saures: Was macht die Rinderleber anders? ........................................................................107
Jörg R. Aschenbach et al.
Changes of Challenges: How does the Bovine Liver Grow with its Tasks? ......................................111
James K. Drackley
Die Fetteinlagerung in die Leber der Milchkuh – Wie verändert sich das Organ?*...........................116
Alexander Starke et al.
Ist die "Leberschutztherapie" überholt oder noch aktuell? ................................................................120
Manfred Fürll et al.

FRUCHTBARKEIT
Aktuelles zum Monitoring von Milchkühen nach der Geburt .............................................................125
Wolfgang Heuwieser et al.
Embryonale Mortalität – Hauptursache für Fertilitätsstörungen beim Hochleistungsrind ..................128
Heinrich Bollwein

4 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Chancen und Grenzen der hormonellen Behandlung von Fruchtbarkeitsstörungen ........................131
Axel Wehrend
Sexing von Nutztiersperma: Der Entwicklungsstand nach 30 Jahren Forschung.............................133
Detlef Rath
Neue Wege zu einer verbesserten Fruchtbarkeit in Rinderherden ...................................................137
Peter Zieger & Torsten Steppin

MASTITIDEN – UND KEIN ENDE?


Mastitisdiagnostik: Sind moderne molekularbiologische Techniken den herkömmlichen
kulturellen Verfahren überlegen? ......................................................................................................140
Michael Zschöck
Prävalenz, Resistenz- und Virulenzeigenschaften von Staphylococcus aureus als
Mastitiserreger ..................................................................................................................................143
Karsten Donat et al.
Hygieneregime, Impfung und Therapieansätze bei KNS-Mastitiden ................................................147
Klaus Fehlings
Mastitisinzidenz von Milchkühen in Abhängigkeit von der Stoffwechsellage ...................................151
Jenny Hagen et al.
Mehrwert einer erweiterten Mastitistherapie .....................................................................................154
Ulrike Exner

KLEINE WIEDERKÄUER
Hygienemanagement im Schaf- und Ziegenbestand ........................................................................156
Udo Moog
Urolithiasis – Harnsteinerkrankung beim kleinen Wiederkäuer.........................................................160
Marlene Sickinger & Uschi Schwarz
Verlaufsuntersuchung bei Schaf- und Ziegenböcken mit Urolithiasis ...............................................163
Reinhard Dühlmeier et al.
Trächtigkeitstoxikose - was macht die Krankheit kompliziert? ..........................................................167
Manfred Fürll et al.
Selenstoffwechsel bei kleinen Wiederkäuern: Neues zu Pathophysiologie, Diagnostik und
Therapie im Rahmen der Herdenbetreuung .....................................................................................172
Esther Humann-Ziehank
Gründe für das Scheitern der Moderhinke-Sanierung und mögliche Auswege ................................175
Martin Ganter et al.
Scrapie und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit: wissenschaftlicher Stand und Ausblick ..........................178
Wiebke Wemheuer et al.
Listeriose – Gibt es Fortschritte in der Bekämpfung? .......................................................................182
Mireille Meylan

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 5


2 SCHWEIN ................................................................................................................ 185
SCHWEINEPRODUKTION IN DEUTSCHLAND
Chancen und Risiken der der deutschen Schweinehaltung in Zeiten der Globalisierung
der Märkte .........................................................................................................................................186
Hans-Wilhelm Windhorst

Tierseuchen und Zoonosen – Was gibt es Neues 2012? .................................................................190


Uwe Truyen
Antibiotikaresistenz? Verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika in Deutschland und Europa .....191
Manfred Kietzmann

SAUENFRUCHTBARKEIT UND –MANAGEMENT


Managing the highly prolific sow – Is >30 PSY reasonable? ............................................................193
Olli Peltoniemi & Claudio Oliviero
Jungsauenmanagement – Worauf zu achten ist! ..............................................................................199
Johannes Kauffold
Lameness in sows and its implication for reproduction, animal wellbeing and longevity ..................204
John Deen
Lahmheit bei Sauen – sind Klauenerkrankungen auch bei uns ein Problem? ..................................207
Christoph K.W. Mülling

INFEKTIONSKRANKHEITEN
PRRS: Diagnostik – Interpretation – Strategien ................................................................................210
Friedrich Schmoll et al.
PCV2 vaccination: from the darkness to the light .............................................................................213
Joaquim Segalés
„Die häufigste Krankheit ist die Diagnose“ ........................................................................................220
Georg Bruns
Diagnostische Möglichkeiten der Glässerschen Krankheit ...............................................................225
Mathias Ritzmann et al.
Entwicklungstendenzen in der Kontrolle und Therapie von Atemwegserkrankungen
beim Schwein....................................................................................................................................228
Hans-Peter Knoeppel
Mycoplasma hyorhinis – ein unterschätzter Erreger .........................................................................230
Andreas Palzer & Mathias Ritzmann
Aktives Parasitenmanagement in der Schweinehaltung ...................................................................232
Stefan Viebahn

FERKELKRANKHEITEN
Das Immunsystem von Ferkeln ........................................................................................................235
Hans-Joachim Schuberth

6 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Kolostrum – mehr als passive Immunisierung ..................................................................................238
Axel Wehrend & Johannes Kauffold
Bedeutung und Bekämpfung des Clostridium-perfringens-Typ-A-assoziierten Durchfalls der
Saugferkel unter besonderer Berücksichtigung der Immunprophylaxe ............................................240
Sven Springer et al.
Das Shigatoxin 2e im Komplex der Coli-Infektionen der Absatzferkel und die Rolle
neutralisierender Antikörper ..............................................................................................................244
Hans-Joachim Selbitz et al.
Porzine Rotaviren: Problematik im Bestand und zoonotisches Potential..........................................248
Christian Köhler et al.

KURZBEITRÄGE AUS DER PRAXIS


Diagnostik von Fruchtbarkeitsstörungen in einem Zuchtsauenbestand anhand
eines Fallberichtes ............................................................................................................................250
Peter Irgang
Akute Pasteurellose (Hämorrhagische Septikämie) beim Schwein – Fallbericht..............................254
Dirk Soike
Nachweis von MRSA CC398 im Schweinestall! Welche Gefahr besteht für den Menschen? ..........256
Jürgen Harlizius & Robin Köck
Mykobakterieninfektion in einer Zuchtsauenherde............................................................................260
Tatjana Sattler et al.
Pseudorabiesvirus Infektion beim Wildschwein: ein Risiko für unsere Haustiere? ...........................263
Adolf Steinrigl et al.

3 NUTZGEFLÜGEL .................................................................................................... 267


BEHANDLUNG BAKTERIELLER UND PARASITÄRER ERKRANKUNGEN
Einführung: Kritische Betrachtungen zur Antibiose beim Nutzgeflügel .............................................268
Manfred Pöppel
Antibiotika-Leitlinien für das Geflügel ................................................................................................272
Manfred Kietzmann
Aktuelle Zulassungen/Neuerungen bei Antibiotika/Antiparasitika .....................................................274
Ilka Ute Emmerich
Resistenzmonitoring bei geflügelpathogenen Bakterien – Wo stehen wir? ......................................278
Heike Kaspar et al.
Besonderheiten der Antibiose über das Trinkwasser beim Nutzgeflügel ..........................................280
Manfred Kietzmann
Antibiose bei Tauben ........................................................................................................................281
Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns & Susanne Vorbrüggen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 7


Salmonellose: Bekämpfung aus Sicht des Praktikers .......................................................................285
Christine Ahlers
Salmonellenbekämpfung aus der Sicht des Amtstierarztes ..............................................................289
Annette Dressel
Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei Puten ..................................293
Ronald Günther
Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei Broilern ...............................297
Ina Wiebelitz
Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei Legehennen ........................300
Manfred Pöppel
Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei Sondergeflügel....................304
Christine Ahlers
Anwendung von Natriumsalicylat zur ergänzenden, symptomatischen Behandlung
entzündlicher Atemwegserkrankungen bei Mastputen .....................................................................308
Kerstin Cramer et al.
Geflügelkokzidiose-Bekämpfung ......................................................................................................311
Arwid Daugschies et al.
Immunisierungsstrategien zur Bekämpfung der Roten Vogelmilbe ..................................................315
Gustavo R. Makert et al.

4 BIENEN.................................................................................................................... 319
Die Honigbiene: Biologie eines Superorganismus ............................................................................320
Klaus Schildberger
Allgemeines zu Bienenkrankheiten ...................................................................................................321
Heike Aupperle
To bee or not to bee – Situation und Perspektiven der Varroabekämpfung .....................................325
Pia Aumeier et al.
Virulenz und Virulenzfaktoren von Paenibacillus larvae ...................................................................330
Elke Genersch
Gesund oder krank? – Einfache Felddiagnose, Umgang mit dem Bienenhalter und
zielorientiertes Vorgehen des Amtsveterinäres bei Bienenerkrankungen.........................................334
Guido Eich
Sind Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderte Pflanzen Ursachen für
das Bienensterben? ..........................................................................................................................338
Hans-Hinrich Kaatz

8 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


5 VERSUCHSTIERE ................................................................................................... 339
Berufsfelder und Arbeitsmöglichkeiten in der Versuchstierkunde .....................................................340
Christa Thöne-Reineke
Tiermodelle .......................................................................................................................................342
Claudia Abramjuk
Anforderungen an die Abgabe ehemaliger Versuchshunde und eigene Erfahrungen ......................344
Mechthild Ladwig
Anästhesie und Analgesie im Tierversuch ........................................................................................347
Kristina Ullmann
Arzneimittelentwicklung: Vom Labor bis zur Anwendung .................................................................350
Martin Kock

6 VETERINARY PUBLIC HEALTH: TIERSEUCHENBEKÄMPFUNG UND


TIERSCHUTZ ............................................................................................................. 351
TIERSEUCHEN
Der neue Tiergesundheitsrechtsakt ..................................................................................................352
Hans-Joachim Bätza
Impfungen im Tierseuchenrecht: Eine persönliche Betrachtung.......................................................353
Uwe Truyen
Chronischer Botulismus in Sachsen? Ein Fallbericht........................................................................354
Gerlinde Schneider
Afrikanische Schweinepest: Eine Gefahr für Deutschland? ..............................................................355
Martin Beer & Sandra Blome
Ansteckende Blutarmut der Einhufer: Epidemiologie und Bekämpfung ............................................356
Matthias Kramer & Patricia König
BHV1-Bekämpfung in Bayern: eine Erfolgsgeschichte .....................................................................360
Alexander Seubert & Michael Köstler

ZOONOSEN
Zoonosen im Netzwerk erforschen – Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen ..................362
Anke Wiethölter et al.
Nagetier-übertragene Infektionen in Deutschland.............................................................................364
Martin Pfeffer & Dietlinde Woll
ESBL- jetzt auch ein Problem in der Veterinärmedizin ? ..................................................................370
Dorothee Geier-Dömling et al.
Leptospirose als Paradigma einer vernachlässigten Zoonose..........................................................374
Peter Valentin-Weigand

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 9


Campylobacter beim Geflügel – Epidemiologie und Ansatzpunkte zur Kontrolle .............................377
Ulrich Löhren
Q-Fieber und Chlamydiosen bei Nutztieren ......................................................................................382
Udo Moog
Bakterielle Zoonosen: Greifen unsere Bekämpfungsmaßnahmen? .................................................386
Andreas Hensel et al.

TIERSCHUTZ
Aktuelle Rechtsetzungsvorhaben in Deutschland und der EU sowie Stand internationaler
Übereinkommen................................................................................................................................390
Katharina Kluge
10 Jahre Staatsziel Tierschutz ..........................................................................................................394
Konstantin Leondarakis
Indikatoren einer tiergerechten Mastputenaufzucht – erste Ergebnisse einer Praxisstudie..............398
Jens Hübel et al.
Tierschutzprobleme bei der Zucht von Nutztieren ............................................................................401
Bernhard Hörning
Umsetzung der EU-Versuchstierrichtlinie in deutsches Recht ..........................................................404
Thomas Pyczak
Kutschpferde in der Großstadt – eine Statuserhebung .....................................................................409
Lutz Meißner
Unerlässlichkeit des Schwanzkupierens beim Schwein....................................................................411
Friedhelm Jaeger
Erfahrungen mit der Haltung unkupierter Schweine in der Schweiz .................................................414
Patricia Scheer
Optimierung der nationalen Nerzhaltung nach Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ...................417
Elke Heyn et al.

7 VETERINARY PUBLIC HEALTH: LEBENSMITTELSICHERHEIT ......................... 421


LEBENSMITTELRECHT
Risikobewertung – zentrales Element der EU-Verbraucherschutzpolitik ..........................................422
Andreas Hensel & Klaus-Jürgen Henning
Aktuelle Gesichtspunkte aus dem Lebensmittel- und Fleischhygienerecht ......................................424
Karin Schindler
Quo vadis – Überwachung von Rückständen und Kontaminanten in der Lebensmittelkette ............427
Roland Körber
Entscheidungsstrukturen bei lebensmittel- und futtermittelrelevanten Havarien am
Beispiel des Dioxineintrags in die Lebensmittelkette ........................................................................432
Heidemarie Helmsmüller

10 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nachmachen, Wertmindern und Irreführen: die Lebensmittelimitate ................................................433
Goetz Hildebrandt & Rafiqul Islam
Kennzeichnung von Allergenen in Lebensmitteln – Rechtliche Verpflichtung und
praktische Grenzen ...........................................................................................................................436
Wolf-Rüdiger Stenzel
Akkreditierung der Trichinenuntersuchungslabore im Freistaat Thüringen.......................................440
Lothar Hoffmann et al.

LEBENSMITTELINFEKTIONEN / ZOONOSEN
Erster nationaler Ringversuch zum Nachweis von Anti-Trichinella IgG in Schweineseren ...............443
Eva V. Knoop et al.
Nachweis und Prävalenz des Duncker’schen Muskelegels in Wildschweinen – ein Update ............447
Katharina Riehn et al.
Toxoplasma gondii – Aktuelle Erkenntnisse zur Verbreitung und zum Übertragungsweg ................452
Martina Ludewig et al.
TSE – ein Update..............................................................................................................................455
Anne Balkema-Buschmann et al.
Untersuchungen zur antiviralen Wirkung von Starter- und Schutzkulturen.......................................460
Anett Lange-Starke et al.
Einsatz von Bakteriophagen zur Bekämpfung von pathogenen Mikroorganismen in der
Lebensmittelkette ..............................................................................................................................463
Stefanie Orquera et al.
Die Bedeutung von Vibrio spp. für den gesundheitlichen Verbraucherschutz – Stand
und Ausblick......................................................................................................................................466
Stephan Hühn et al.
Chronischer Botulismus in einem sächsischen Milchviehbestand – Ergebnisse der
bakteriologischen und immunologischen Untersuchungen und der durchgeführten
Bekämpfungsmaßnahmen. ...............................................................................................................468
Monika Krüger et al.
Wie belastet ist unsere Rohmilch? – Untersuchungen zum Vorkommen von MRSA und
enterotoxinbildenden Staphylococcus aureus–Stämmen in Thüringer Milchviehbeständen ............472
Katharina Schlotter et al.

AQUAKULTUR / TECHNOLOGIE
Fischhaltung in Aquakultur – Bedeutung und lebensmittelhygienische Aspekte ..............................476
Edda Bartelt et al.
Überlegungen zu den Einsatzmöglichkeiten von Nebenprodukten der Schlachtung von
Nutztieren in der Ernährung von Nutzfischen ...................................................................................480
Frank Liebert
Qualität von ökologischen und konventionellen Aquakulturfischen ..................................................484
Horst Karl & Monika Manthey-Karl

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 11


Anwendungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich und Probleme der
Lebensmittelsicherheit ......................................................................................................................488
Ralf Greiner & Kathleen Oehlke

TIERSCHUTZ / HYGIENE / TECHNOLOGIE


10 Jahre Verankerung des Tierschutzes im deutschen Grundgesetz – Anspruch und
Wirklichkeit im Bereich der lebensmittelliefernden Nutztiere ............................................................491
Karen von Holleben
Tierschutz bei der Betäubung und Entblutung von Schlachtschweinen ...........................................498
Klaus Troeger
Die Schlachtung tragender Nutztiere – Aspekte des Tierschutzes und Risikobewertung
der additiven Hormonexposition .......................................................................................................502
Katharina Riehn et al.

8 BERUFSRECHT, BERUFSPOLITIK, NIEDERLASSUNG....................................... 509


BERUFSPOLITISCHES FORUM
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in Österreich .......................................................................510
Walter Holzhacker
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Schweiz ....................................................................511
Tobias Müller
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in Südtirol ...........................................................................513
Franz Hintner
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht einer Tierärztin ..............................515
Meike Stamm
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht eines Studierenden........................516
Bund der Veterinärmedizinstudierenden Deutschland
Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht eines tierärztlichen
Arbeitgebers......................................................................................................................................517
Gerhard Thiele

NIEDERLASSUNGSBERATUNG
Die Niederlassung – rechtssicher in die Zukunft ...............................................................................518
Jürgen Althaus
Existentielle Risiken richtig absichern ...............................................................................................521
Tim-Oliver Kasten
Besitzerkommunikation – der vertrauensvolle Umgang mit Tierhaltern ............................................525
Gonthard Westphal
Ihre Krankenversicherung beim Einstieg ins Berufsleben als Tierarzt ..............................................528
Petra Vortkort

12 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Der Tierarzt als Existenzgründer ......................................................................................................530
Heidrun Bock
Praktische Erfahrungen auf dem Weg in die Niederlassung.............................................................536
Ralph Kobera
Der Tierarzt als Unternehmer ...........................................................................................................538
Hans-Georg Möckel
Der Weg zum wirtschaftlichen Praxiserfolg.......................................................................................540
Andre Schuffenhauer

TIERÄRZTLICHES BERUFSRECHT
Versicherungsrechtliche Fragen in der Ausbildungspraxis ...............................................................541
Willy Witt
Das Arbeitsschutzrecht – ein moderner Ansatz ................................................................................543
Lutz Nickau
Tierärztinnen und Tierärzte als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ..................................................545
Michael Panek
Werberecht für Tierärzte ...................................................................................................................552

Impfen zum Aktionspreis – was ist an Preiswerbung erlaubt? ..........................................................552


Christiane Köber

INDEX – STICHWORTVERZEICHNIS 555

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 13


14 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Schwerpunkt

1 WIEDERKÄUER

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 15


Wiederkäuer

Grundlagen einer erfolgreichen Kälberaufzucht


Martin Kaske
Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Die erfolgreiche Kälberaufzucht bildet eine entscheidende Grundlage für die Remontierung von
hochleistenden und langlebigen Milchkühen bei gleichzeitig niedrigem Erstkalbealter (24 Monate)
und beeinflusst damit wesentlich die Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion (1). Umso mehr
überrascht es, dass auf vielen Milchviehbetrieben der Kälberaufzucht nicht die notwendige
Bedeutung beigemessen wird. Entsprechend sind die Aufzuchtergebnisse sehr häufig
unbefriedigend. Aufzuchtverluste ergeben sich dabei durch Totgeburten sowie Jungtiererkrankungen
(insbesondere neonatale Diarrhoe und enzootische Bronchopneumonie). Die Höhe der
Kälberverluste variiert seit Jahren unverändert zwischen 10 und 20 %. Zu den finanziellen Einbußen
durch verendete Kälber addieren sich wirtschaftliche Verluste durch verminderte Tageszunahmen
erkrankter Tiere, die schlechte Entwicklung von chronisch kranken Kälbern („Kümmerer“),
Aufwendungen für Tierarzt und Medikamente sowie den erhöhten zeitlichen Aufwand für die
Betreuung kranker Kälber. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass Jungtiererkrankungen mittel-
bis langfristig die Performance des Tieres bei der späteren Nutzung als Mastbulle oder Milchkuh
negativ beeinflussen.
Grundsätzlich ist eine hohe Inzidenz von Kälberkrankheiten auf einem Betrieb ein Indikator für
Mängel im Fütterungs- und/oder Haltungsmanagement, denn die Mehrzahl der wichtigsten
Infektionserreger ist ubiquitär auf praktisch allen Betrieben nachweisbar. Entsprechend ist die
gezielte Beratung des Tierhalters durch den Tierarzt zur Abstellung der wichtigsten Risikofaktoren
bei Bestandsproblemen mindestens ebenso wichtig wie die adäquate Therapie erkrankter Tiere.
Folgende Aspekte sollten dabei Berücksichtigung finden:

Die Fütterung der trächtigen Kuh hat Konsequenzen für den Geburtsverlauf und damit die
Vitalität des neugeborenen Kalbes. Eine Überkonditionierung ist insbesondere durch eine
angepasste Fütterung im letzten Drittel der Laktation zu verhindern. Eine ausreichende Versorgung
mit Spurenelementen (Selen u. a.) und Vitaminen ist sicherzustellen – hier treten häufig Defizite bei
den Färsen auf, die das Mineralfutter der laktierenden Kühe während der letzten Wochen ante
partum nicht erhalten (z. B. Weidehaltung bis kurz vor Abkalbung). Bei mehrkalbigen Muttertieren
können andererseits fehlende Präventionsmaßnahmen im Hinblick auf die hypocalcämische
Gebärparese eine erhöhte Inzidenz von stagnierenden Geburten bzw. Schwergeburten und damit
Frühasphyxien bei den Kälbern verursachen.
Die Infektion des Kalbes mit pathogenen Erregern erfolgt häufig bereits kurz nach der Geburt.
Das Hygienemanagement im Abkalbestall ist somit wichtig. Ein niedriger Keimdruck wird nur bei
regelmäßig gereinigten und desinfizierten Einzelabkalbeboxen erreicht. Kann dies nicht gewährleistet
werden, so sollte das Kalb direkt nach dem Trockenlecken aus dem Abkalbebereich in eine
gereinigte und desinfizierte Kälberbox gebracht werden.
Die adäquate Kolostrumversorgung ist die mit Abstand wichtigste Maßnahme zur
Immunprophylaxe (2). Kälber sind ohne maternale Antikörper im Kolostrum den Mikroorganismen in
der Umwelt nahezu schutzlos ausgeliefert. Auffallend sind die langanhaltenden Effekte des

16 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Kolostrums. So werden das Durchfallgeschehen, die Inzidenz von Atemwegserkrankungen und
sogar die erste Laktationsleistung durch die Kolostrumversorgung signifikant beeinflusst (3).
Als Parameter zur Überprüfung des Kolostrum-Managements hat sich vor allem die
Konzentration des Gesamtproteins im Serum bewährt, die in einem Untersuchungslabor oder direkt
mittels Refraktometer bestimmt werden kann. Bei guter Versorgung der Kälber mit Kolostrum sollten
> 55 g/L Gesamtprotein nachgewiesen werden. Es sind mindestens sechs, besser zwölf gesunde
Kälber (> 24 Stunden alt, < 10 Tage) zu beproben, um einen Eindruck von der Streuung der
Ergebnisse im Betrieb zu gewinnen. Sind mehr als 25 % der Kälber nicht ausreichend mit Kolostrum
versorgt (< 55 g/L), so besteht Handlungsbedarf (3).
Hinsichtlich der Haltungsform und Tränketechnik sind in der Praxis zahlreiche Varianten
anzutreffen, wie z. B. Außenklimahaltung vs. Warmstall, Einzelhaltung vs. Gruppenhaltung,
Nuckeleimer vs. offener Eimer vs. Tränke-Automat. Eine erfolgreiche Kälberaufzucht lässt sich zwar
grundsätzlich mit jeder dieser Varianten realisieren, unter praktischen Bedingungen lassen sich
jedoch die besten Aufzuchterfolge mit Außenklimaställen erzielen. In den ersten Lebenswochen
ermöglicht zudem die Aufstallung in Einzelboxen, -hütten oder Iglus eine Vermeidung von Infektionen
durch Tier-Tier-Kontakte und die Verminderung des Infektionsdrucks (Rein-Raus-Verfahren in
Kombination mit effizienter Reinigung und Desinfektion) (4).
Bei Kälbern ab der dritten Lebenswoche ist die Gruppenhaltung auf Stroh ohne brauchbare
Alternative. Die Aufstallung in niedrigen Warmställen, aber ebenso in hohen Altbauten (Scheunen)
bzw. in Ställen mit Trauf-First-Lüftung ist problematisch. Der insbesondere bei hoher
Belegungsdichte häufig unzureichende Luftaustausch begünstigt erhöhte Schadgas- und
Staubkonzentrationen. Diese gelten als wichtige Risikofaktoren für enzootische Bronchopneumonien.
Entsprechend setzt sich die Offenstallhaltung immer mehr durch („Außenklima-Ställe“). Bewährt
haben sich dabei Gruppeniglus und Pultdachhallen mit Kleinklimazonen („Holsteiner Kälberstall“) (5).
Die zügige Entwicklung neugeborener Kälber setzt eine ausreichende Fütterungsintensität
voraus. Gegenwärtig werden in Norddeutschland häufig zu geringe Mengen angeboten, was mit
einer vermeidbaren schlechteren Konstitution der Tiere verbunden ist. Hervorzuheben ist, dass für
Tageszunahmen von 400 g/Tag bei einem Kalb mit 50 kg Körpermasse etwa 1 kg handelsüblicher
Milchaustauscher vertränkt werden müssen (bzw. 6 Liter Vollmilch). Unter Außenklimabedingungen
ist bei der Aufzucht insbesondere in der kalten Jahreszeit der um ca. 30 % erhöhte Energiebedarf
der Kälber zu berücksichtigen. Bei Einsatz von Vollmilch ist zudem deren unzureichender Gehalt an
Eisen, Cobalt, Kupfer und fettlöslichen Vitaminen zu beachten; Vollmilch-Aufwerter sind zu
empfehlen, um diese Defizite auszugleichen.
Eine wesentliche Maßnahme zur Minimierung des Infektionsrisikos, die in der Praxis häufig
unterbleibt, ist die Zwischendesinfektion des Haltungsbereichs der Kälber. Das Rein-Raus-
Verfahren wird in der Kälberaufzucht viel zu selten praktiziert. Entsprechend werden Ställe häufig mit
Tieren unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft kontinuierlich nachbelegt. Es kommt zu
einer Keimanreicherung und einer erhöhten Virulenz der Erreger (sog. „Stallmüdigkeit“). Es sollten
deshalb stets möglichst homogene Gruppen gebildet werden. Zusätzlich sind die Boxen vor
Einstellung neuer Tiere zu entmisten, mittels Hochdruckreiniger zu säubern und danach zu
desinfizieren; sie sollten anschließend 1–2 Tage leer stehen. Das Risiko von Erkrankungen durch
Protozoen-Infektionen (Cryptosporidien, Eimerien, Giardien) lässt sich nur durch Einsatz von
wenigen Desinfektionsmitteln vermindern (siehe Desinfektionsmittelliste der DVG für die Tierhaltung;
www.dvg.net/index.php?id=169).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 17


Wiederkäuer
Kälber sind stresslabil. Die Vermeidung von Stress ist somit von zentraler Bedeutung für das
Erkrankungsrisiko. Als Konsequenz für die Praxis sollte vermieden werden, dass verschiedene
Stressoren (z. B. Umstallung von Einzel- in Gruppenhaltung, Umstellung von Vollmilch auf
Milchaustauscher, Enthornen) am gleichen Tag zu einer exzessiven Belastung führen.
Schließlich kann die Bedeutung einer ausreichenden Betreuungsintensität nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Die Versorgung neugeborener Kälber erfordert Zeit und Sorgfalt. Dies gilt in
noch höherem Maße für die Betreuung erkrankter Tiere. Allein durch intensivere Betreuung können
Morbidität und Mortalität bei Bestandsproblemen deutlich reduziert werden.

Literaturverzeichnis
1. Davis CL, Drackley JK. The development, nutrition, and management of the young calf. Ames, Iowa; Iowa
State Univ. Press; 1998.
2. Godden S. Colostrum management for dairy calves. Vet. Clin. North Am. (Food Anim. Pract.) 2008;24:19-
40.
3. Kaske M, Leister T, Smolka K, Andresen U, Kunz HJ, Kehler W, et al. Die neonatale Diarrhoe des Kalbes.
IV. Mitteilung: Kälberdurchfall als Bestandsproblem – die Bedeutung der Kolostrumversorgung. Prakt.
Tierarzt. 2009;90:756-67.
4. Kaske M, Kunz HJ. Handbuch der Durchfallerkrankungen der Kälber. Osnabrück, Kamlage Verlag, 144
Seiten, ISBN 3-9806688-3-5; 2003.
5. Kunz HJ. Kälber-Handbuch. Agrar- und Veterinär-Akademie; 2008.

Kontaktadresse
Apl.-Prof. Dr. Martin Kaske, Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

18 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Das Kalb mit neonataler Diarrhoe als Notfallpatient


Martin Kaske
Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Durchfallerkrankungen sind bei Aufzuchtkälbern ein zentrales Problem. Auf vielen Betrieben
erkrankt mindestens jedes zweite Kalb während der ersten drei Lebenswochen. Bereits kurze
Durchfallepisoden sind zwar aufgrund des erhöhten Betreuungs- und Behandlungsaufwandes
ökonomisch durchaus relevant, werden aber häufig als angeblich unabwendbar hingenommen.
Schwere, u. U. mit Festliegen des Patienten einhergehenden Erkrankungen, sind ohne
intensivmedizinische Maßnahmen kaum zu beherrschen und die wichtigste Ursache für Tierverluste
insbesondere in den ersten drei Lebenswochen.
Bei einer massiven Durchfallerkrankung mit wässrigem Kot kann der Organismus bis zu 20 %
des Körpergewichts täglich durch die fäkale Flüssigkeitsausscheidung verlieren. Eine derartig starke
Dehydratation ist jedoch in den ersten Tagen der Durchfallepisode eher selten. Vorherrschend sind
zunächst meist suppige Durchfälle, die anfangs zu keinen schweren Allgemeinstörungen führen.
Eine ausgeprägte metabolische Acidose, wie sie für schwer durchfallkranke Kälber typisch ist, fehlt
zunächst während der ersten Durchfalltage. In diesem Stadium der Erkrankung ist ein adäquates
Tränkemanagement von besonderer Bedeutung, um drastische Entgleisungen der
Elektrolythomöostase bzw. des Säure-Basen-Haushalts zu vermeiden.
Gelingt es nicht, das durchfallkranke Kalb mit Hilfe von Diättränke zu stabilisieren, droht ein
dekompensiertes Stadium der Erkrankung. Die Kälber geraten dann aufgrund der erheblichen
fäkalen Flüssigkeitsverluste in eine massive Hypovolämie. Das Ausmaß der Dehydratation lässt sich
einfach über den Grad des Enophthalmus abschätzen; ist die Distanz zwischen Bulbus und nasalem
Augenwinkel größer als 4 mm, so hat der Organismus bereits Flüssigkeit ca. 8 % des
Körpergewichts verloren. In Verbindung mit derartig hohen Verlusten gerät der Organismus zudem in
eine schwere metabolische Acidose. Der Saugreflex der Patienten wird zunehmend schlechter.
Darüber hinaus sind häufig eine Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Hypothermie und Hypoglykämie
nachweisbar. Es sind dann parenterale Rehydrationsverfahren notwendig, um kurzfristig den
Saugreflex wiederherzustellen. Dabei ergeben sich zwei unterschiedliche Optionen:

Als therapeutischer „Goldstandard“ gilt die Infusion isotoner Lösungen, um innerhalb von 12–24
Stunden zu rehydrieren und die massive metabolische Acidose auszugleichen. Zwar können
Sturzinfusionen von lediglich 1–2 Litern bei einigen Patienten zu einer deutlichen Verbesserung des
klinischen Bildes führen („Spontaneffekt“), bei festliegenden Kälbern sind jedoch i. d. R. 5–10 Liter
Infusionslösung notwendig, um eine wirklich nachhaltige Stabilisierung des Patienten zu induzieren.
Wichtigste Komponente der Rehydrationslösung ist – unter Beachtung des Kostendiktats in der
Nutztierpraxis – stets isotone Kochsalzlösung (0,9 %). Zusätzlich ist die Zugabe von 250–500 ml
Natriumhydrogencarbonatlösung (8,4 %) notwendig, um die metabolische Acidose zu bekämpfen.
Die damit verbundene deutliche Erhöhung der Osmolarität der Infusionslösung lässt sich teilweise
korrigieren, indem in den Infusionsbehälter z. B. 2 l Glucoselösung (5 %) hinzugegeben werden.
In der Klinik für Rinder erfolgen die Infusionen praktisch ausschließlich über die Ohrvene, wobei
Verweilkatheter aus Teflon mit 0,9 mm Durchmesser und einer Stichlänge von 25 mm Verwendung
finden. Die Fixierung erfolgt mit Klebeband. Dies wird zudem über den Nacken zum

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 19


Wiederkäuer
gegenüberliegenden Ohr geführt und dort um den Ohrgrund gewickelt, um eine mittige Fixierung des
vom Infusionsbehälter kommenden Infusionsschlauchs zu ermöglichen. Bewegungen des Kalbes
führen dadurch nicht zu Zug auf die Verweilkanüle im Ohr. Alternativ bietet sich auch die V. jugularis
für Infusionen an, allerdings ist hier eine Stichlänge des Verweilkatheters von mindestens 50 mm
erforderlich; die Fixierung erfolgt durch ein Hautheft unmittelbar vor dem Katheterende.
Die Infusionsgeschwindigkeit bereitet in der Praxis kaum Probleme. Bei stark dehydrierten
Patienten können 2 l zunächst „im Schuss“ infundiert werden. Danach ist die Infusionsrate auf etwa
vier Tropfen pro Sekunde zu reduzieren; dies kann auch der Tierhalter erledigen. Berücksichtigt
man, dass 20 Tropfen der Infusionslösung einem Milliliter entsprechen, so resultiert aus diesem
Vorgehen eine Infusionsrate von ca. 700 ml pro Stunde.

Die Dauertropfinfusion ist aufgrund der damit verbundenen Kosten insbesondere für
schwarzbunte Bullenkälber mit geringem Marktwert leider nicht immer eine Option. Die intravenöse
Infusion kleiner Volumina hypertoner Lösungen stellt eine praxistaugliche und kostengünstige
Alternative dar. Prinzip dieses therapeutischen Ansatzes ist es, die Osmolarität der extrazellulären
Flüssigkeit kurzfristig deutlich zu erhöhen und damit eine Verlagerung von intrazellulärer Flüssigkeit
nach extrazellulär zu provozieren. Damit verbunden ist eine Kreislaufstabilisierung des Patienten.
Der Effekt ist allerdings nur transient. Da durch den Anstieg der extrazellulären Osmolarität jedoch
auch Durst entsteht, nehmen viele Kälber innerhalb von wenigen Minuten nach der Verabreichung
der hypertonen Lösung freiwillig Elektrolyttränke auf; bei einzelnen Tieren, die inappetent bleiben,
sind 3 l Elektrolytlösung per Drencher zu applizieren. Die Infusion erfolgt in die Jugularvene, und
zwar entweder 5 ml Kochsalzlösung (5,85 %, 1-molar) pro Kilogramm Körpergewicht innerhalb von
4 min (d. h. 200 ml für ein 40 kg Kalb); alternativ kann man 10 ml Natriumbicarbonatlösung (8,4 %, 1-
molar) pro Kilogramm Körpergewicht innerhalb von 8 min verabreichen (d. h. 400 ml für ein 40 kg
schweres Kalb). Es empfiehlt sich, eine Venenverweilkanüle einzuführen, da viele Kälber während
der Infusion unruhig werden. Bei Kälbern mit Pneumonie sollte hypertone Bikarbonatlösung nicht
eingesetzt werden, da diese Therapie die Abatmung des im Rahmen der Pufferung vermehrt
gebildeten Kohlendioxids voraussetzt. Nach der Infusion ist eine intensive Betreuung des Patienten
durch den Tierhalter von zentraler Bedeutung, d. h. es müssen möglichst häufig Diättränke bzw.
Milch angeboten werden.
Zusätzlich zu der Rehydratationstherapie ist bei festliegenden Kälbern eine systemische
Antibiose sinnvoll, zumal die Mehrzahl der Patienten aufgrund einer ungenügenden
Kolostrumversorgung eine Hypogammaglobulinämie aufweist. Zudem gehen Enteritiden häufig mit
erheblichen Schmerzen einher; entsprechend empfiehlt sich die einmalige Verabreichung eines
nicht-steroidalen Antiphlogistikums trotz dessen geringer therapeutischen Breite. Parasympatholytika
sollten demgegenüber nicht eingesetzt werden, da sie lediglich unspezifisch die Darmmotorik
hemmen, auf das Durchfallgeschehen selbst jedoch keinen Einfluss nehmen. Stattdessen sollte der
Fokus darauf liegen, schwerkranke Tiere intensiv zu betreuen, dazu gehören trockene Einstreu, eine
zusätzliche Wärmequelle und die frequente Verabreichung kleinerer Volumina von Diättränke bzw.
Milch.
Es lässt sich schlussfolgern, dass Durchfallerkrankungen bei Aufzuchtkälbern in der
Vergangenheit ebenso wie heute ein erhebliches Problem darstellen. Gezielte Maßnahmen bei
Fütterung und Haltung ermöglichen es jedoch, eine niedrige und damit akzeptable Inzidenz zu
erreichen. Für akut erkrankte Kälber stehen geeignete Diättränken zu Verfügung, die Betreuung der
Tiere durch den Tierhalter ist hier der zentrale Aspekt, um eine dekompensierte Erkrankung zu
20 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
vermeiden. Festliegende Patienten benötigen eine geeignete parenterale Rehydration; die isotone
Dauertropfinfusion und die hypertone Rehydrationstherapie repräsentieren erfolgversprechende
Optionen, um auch schwerkranke Patienten zu retten.

Kontaktadresse
Apl.-Prof. Dr. Martin Kaske, Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 21


Wiederkäuer

Kolostrum für das neugeborene Kalb – mehr als


Immunglobulinversorgung
Julia Steinhoff-Wagner, Harald M. Hammon
Ernährungsphysiologie „Oskar Kellner“, Leibniz Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf

Einleitung
Der Entwicklungsabschnitt unmittelbar nach der Geburt ist für die Neugeborenen von großer
Bedeutung. Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist der Start in das extrauterine Leben eine große
Herausforderung, denn die Nahrungsaufnahme ändert sich von parenteral (Nährstoffversorgung über
die Plazenta) zu enteral, und der Hauptenergieträger wechselt von Glukose während der fötalen
Entwicklung auf Fett und Glukose aus der Milch (1). Bei allen Veränderungen, die das Kalb
unmittelbar nach der Geburt erfährt, spielt die Aufnahme von Kolostrum nicht nur für den
Immunschutz eine entscheidende Rolle, sondern hat auch systemische Effekte auf den
Ernährungsstatus sowie die Stoffwechselsituation und den Hormonhaushalt (2). Dabei sind
biologisch aktive Inhaltsstoffe wie Hormone, Wachstumsfaktoren und weitere Peptide, die im
Kolostrum in z. T. sehr hohen Konzentrationen vorkommen, von großer Bedeutung. Im Folgenden
sollen diese biologisch aktiven Substanzen näher beleuchtet werden sowie ihre möglichen
Wirkungen beim neugeborenen Kalb.

Inhaltsstoffe im Kolostrum
Bovines Kolostrum besteht aus einem Cocktail aus Nährstoffen (inklusive essenzieller Fettsäuren
und Aminosäuren), Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und deren Vorstufen, sowie einer
Reihe von nicht nutritiven Inhaltsstoffen, allen voran Immunglobulinen, aber auch Hormonen,
Wachstumsfaktoren, Enzymen und weiteren biologisch aktiven Stoffen (siehe Tabelle 1). Die meisten
dieser Stoffe sammeln sich in der Milchdrüse während der Trockenstehphase, nicht aber während
der Laktation, in hohen Mengen an und werden bei den ersten Saugvorgängen aus der Milchdrüse
ausgeschwemmt. Dadurch sinken die Gehalte stetig vom Erstgemelk zu den folgenden Gemelken ab
und enden nach 2–3 Tagen in den Konzentrationen, die für Vollmilch bekannt sind (3).

Förderung der Darmentwicklung


Die Entwicklung vom Darmepithel, insbesondere die Ausdifferenzierung der Darmzellen und die
rasche Vergrößerung der absorptiven Oberfläche, sind wichtig, um eine funktionale und effektive
Verdauung und Absorption von Nährstoffen zu ermöglichen (2). Kolostrum fördert die
Darmentwicklung nicht nur durch die Bereitstellung der Nährstoffe, sondern auch durch die
Stimulation der Darmentwicklung mit wachstumsfördernden Stoffen (EGF: epidermal growth factor,
IGF: insulin like growth factor, TGF: transforming growth factor). Bei Ferkeln konnte gezeigt werden,
dass oral verabreichte IGFs nicht verdaut werden, das Wachstum der Dünndarmmukosa fördern, die
Glukoseabsorption durch eine Beeinflussung der Transportmechanismen zur Aufnahme von Glukose
steigern und die natürliche Proteolyse des Enzyms Laktase unterdrücken (4). Bei Kälbern wurde
gezeigt, dass die Summe der bioaktiven Substanzen im Kolostrum das Mukosawachstum, die DNA-
Synthese und das Zottenwachstum fördern (siehe Abb. 1), sowie die Verdauungsenzyme (z. B.
Laktase) in der Bürstensaummembran positiv beeinflussen (4). Orale Gabe von IGF-1 erhöht die
Bindungskapazität von IGF (5), jedoch ist die IGF-Rezeptorausbildung abhängig vom Alter des

22 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Kalbes und weniger von der Zugabe mit dem Futter (6). IGF-1 allein zusammen mit einer Formula
zugegeben, hatte keine Effekte auf das Darmzottenwachstum, jedoch erhöhte ein Kolostrumextrakt,
der aus Kolostrum gewonnen wurde und in dem die Wachstumsfaktoren angereichert waren, das
Wachstum der Zotten im Dünndarm von neugeborenen Kälbern (7).

Tabelle 1: Ausgewählte Inhaltsstoffe und Nährwerte von Kolostrum und Vollmilch (2,3,8,9)
Parameter Einheit Kolostrum Vollmilch
Trockensubstanz % 23,9 12,9
Energie MJ/L 6,0 2,8
Fett % 6,7 4
Eiweiß % 14 3,1
Casein % 4,8 2,5
Immunglobuline % 6 0,9
Laktose % 2,7 5
Asche % 1,11 0,74
Calcium % 0,26 0,13
Magnesium % 0,04 0,01
Natrium % 0,07 0,04
Eisen mg/100g 0,2 0,05
Vitamine
Vitamin A µg/100mL 295 34
Vitamin D IU/g Fett 0,89-1,81 0,41
Vitamin E µg/g Fett 84 15
Vitamin B1 (Thiamin) µg/mL 0,58 0,38
Vitamin B2 (Riboflavin) µg/mL 4,8 1,5
Vitamin B11 (Folsäure) µg/100mL 0,8 0,2
Vitamin B12 µg/100mL 4,9 0,6
Bioaktive Substanzen
EGF µg/L 4-8 <2
IGF-1 µg/L 310 <2
IGF-2 µg/L 150-600 2-110
TGF-β1 µg/L 12-43 <4
TGF-β2 µg/L 150-1150 <71
Wachstumshormon (GH) µg/L 1,4 <1
Insulin µg/L 65,9 1,1
Glucagon µg/L 0,16 0,01
Prolaktin µg/L 280 15
γ-Glutamayltransferase U/L 590 52
Alkaline Phosphatase U/L 19 4
Aspartat Aminotransferase U/L 1,5 0,1

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 23


Wiederkäuer

Abb. 1: Vergrößerung (250x) der Darmzotten (proximales Jejunum) am 4. Lebenstag von Kälbern, die seit der
Geburt mit Kolostrum (A) oder Kolostrumersatz (B) gefüttert wurden (10).

Nähstoffverdauung und Absorption


Kolostrum und auch Milch liefern dem Kalb Laktose, die eines der wenigen Nähstoffe mit höherer
Konzentration in der Vollmilch als im Kolostrum ist (siehe Tabelle 1).
Mittels eines Xyloseabsorptionstest kann die Kapazität der absorbierbaren Darmfläche bestimmt
werden. Die Kapazität, Xylose zu absorbieren, ist höher in mit Kolostrum gefütterten Kälbern, wenn
man diese mit Kälbern vergleicht, die mit Milchaustauscher von geringerer oder gleicher
Nährstoffdichte gefüttert wurden (11,12). Die erhöhte Absorption von Xylose im Zusammenhang mit
Kolostrumfütterung beweist das höhere Potenzial des Darms, Nährstoffe zu absorbieren,
insbesondere Glukose (2). Bestätigt werden die Ergebnisse der Xyloseabsorptionsmessungen durch
die orale Verabreichung von 13C-Glukose (13), die in höheren Anreicherungen in mit Kolostrum
gefütterten Kälbern wiedergefunden wurde (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Anreicherung (in Atom-Prozent: APE) von


markierter Glukose (13C-Glukose) im Plasma von zwei
Tage alten mit Kolostrum (∆) oder mit Kolostrumersatz
() gefütterten Kälbern. (13).

24 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Metabolische und endokrine Wirkung


Die Fütterung von Kolostrum führt bei neugeborenen Kälbern zu einer verbesserten
Glukoseabsorption, höheren Plasmakonzentrationen von Glukose im Blut und einer höheren
Glykogenkonzentration in der Leber (13), selbst wenn Kolostrum und Kolostrumersatz identische
Laktosemengen enthalten. Dagegen stimuliert Kolostrum nicht, wie oftmals vermutet, die endogene
Glukoseproduktion (Glukoneogenese, 13).
Bei den im Kolostrum enthaltenen Enzymen (γ-Glutamayltransferase, Alkaline Phosphatase und
Aspartat Aminotransferase) geht man davon aus, dass sie aus dem Kolostrum absorbiert werden
können, weil sie in hohen Konzentrationen in ihrer aktiven Form nach der Aufnahme von Kolostrum
im Plasma erscheinen. Die hohen Konzentrationen im Plasma sinken jedoch rasch nach der Geburt
wieder ab. Ob den erhöhten Enzymkonzentrationen nach der Kolostrumaufnahme eine Bedeutung
zukommt und welche das dann ist, ist bisher ungeklärt (9).

Schlusswort
Insgesamt gilt, je mehr Kolostrum die Kälber aufnehmen, umso besser. Bei unbegrenztem
Zugang zu Kolostrum über einen Tränkeautomaten zeigte sich, dass die Kälber freiwillig deutlich
größere Mengen aufnehmen, als für Kälber ihres Alters und Gewichts empfohlen wird (14). Schon
am ersten Tag haben die Kälber freiwillig Kolostrum in der Menge von mehr als 10 % ihres
Körpergewichts getrunken und diese Menge hat sich bis zum 4. Lebenstag sogar erhöht auf mehr als
20 % des Körpergewichts. In der gesamten ersten Woche konnte bei unbegrenztem Zugang zu
Kolostrum eine Zunahme von über 6 kg Körpergewicht erreicht werden und anhand der freien
Fettsäuren im Plasma konnte gezeigt werden, dass diese Kälber weniger auf die Mobilisierung ihres
Körperfetts angewiesen waren (14).

Literaturverzeichnis
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perinatal-period and suckling-weaning transition. Physiol Rev. 1992;72:507-62.
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5. Baumrucker CR, Hadsell DL, Blum JW. Effects of dietary insulin-like growth-factor-I on growth and insulin-
like growth-factor receptors in neonatal calf intestine. J Anim Sci. 1994;72:428-33.
6. Georgiev IP, Georgieva TM, Pfaffl M, Hammon HM, Blum JW. Insulin-like growth factor and insulin
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7. Roffler B, Fah A, Sauter SN, Hammon HM, Gallmann P, Brem G, Blum JW. Intestinal morphology,
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factor-I or a colostrum extract. J Dairy Sci. 2003;86:1797-806.
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metabolic parameters in neonatal calves. Livest Prod Sci. 2000;66:151-9.
10. Steinhoff J, Zitnan R, Schönhusen U, Hammon HM. Effects of colostrum versus formula feeding on
mucosal growth, glucose transporter and lactase in the small intestine of neonatal calves. Proc Soc Nutr
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LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 25


Wiederkäuer
11. Hammon H, Blum JW. Prolonged colostrum feeding enhances xylose absorption in neonatal calves. J
Anim Sci. 1997;75:2915-9.
12. Rauprich ABE, Hammon HM, Blum JW. Effects of feeding colostrum and a formula with nutrient contents
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13. Steinhoff-Wagner J, Görs S, Junghans P, Bruckmaier RM, Kanitz E, Metges CC, Hammon HM. Instestinal
glucose absorption but not endogenous glucose production differs between colostrum- and formula-fed
neonatal calves. J Nutr. 2011;141: 48-55.
14. Hammon HM, Schiessler G, Nussbaum A, Blum JW. Feed intake patterns, growth performance, and
metabolic and endocrine traits in calves fed unlimited amounts of colostrum and milk by automate, starting
in the neonatal period. J Dairy Sci. 2002;85:3352-62.

Kontaktadresse
PD Dr. Harald M. Hammon, Ernährungsphysiologie, Leibniz Institut für Nutztierbiologie (FBN),
Dummerstorf, [email protected]

26 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Diätetisches Management durchfallkranker Kälber


Lisa Bachmann1, Helmut Hartmann2, Manfred Coenen1
1Institut
für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik, Leipzig; 2Institut für Veterinär-
Physiologie, Berlin

Einleitung
In der Bundesrepublik sterben 12–14 % der Kälber in den ersten Lebenswochen.
Durchfallerkrankungen sind dabei als häufigste Todesursache bei Kälbern anzusprechen. Durch die
Totalverluste sowie durch die Behandlungskosten und Wachstumsverluste entstehen hohe
wirtschaftliche Schäden.
Infektiöse, wie Viren, Bakterien und Protozoen, sowie nicht infektiöse Ursachen können für das
Auftreten von Kälberdiarrhö verantwortlich sein. Klinische Erkrankungen treten überwiegend durch
das Zusammenwirken infektiöser und alimentärer Ursachen auf. Kälberdiarrhö ist somit als komplexe
Faktorenerkrankung anzusehen. Mängel in der Kolostrumversorgung der Kälber, Einsatz von
Milchaustauscher (MAT) mit milchfremdem Protein und hohe Sulfatgehalte im MAT sowie Fehler in
der Tränketechnik und -hygiene, wie zu hohe oder zu niedrige Tränketemperatur, unsachgemäße
Zubereitung des MAT, Gabe großer Mengen pro Mahlzeit, unregelmäßige Fütterungszeiten,
unzureichende Reinigung der Nuckeleimer und fehlerhafte Lagerung des MAT sind aus Sicht der
Tierernährung als Faktoren, die die Entstehung von Durchfallerkrankungen fördern, zu nennen. Um
die Prävalenz von Durchfallerkrankungen in Kälberbeständen zu senken, haben sich neben dem
Abstellen der oben angeführten Mängel folgende Fütterungsmaßnahmen als erfolgreich erwiesen: 1.
verlängerte Kolostrumgaben bis zum 14. Lebenstag und 2. ad-libitum-Angebot von Kaltsauer- oder
Joghurttränke.

Orale Rehydratation
Da eine kausale Therapie vor allem bei virusbedingten Diarrhöen derzeit nicht möglich ist,
werden durchfallkranke Kälber primär symptomatisch therapiert. Die Gabe von oralen
Rehydratationslösungen (ORL) ist das Mittel der Wahl bei Kälbern, die noch selbständig trinken.
Um das Flüssigkeits-/Elektrolyt- und Energiedefizit sowie die Azidose durchfallkranker Kälber
auszugleichen, sollten folgende Inhaltsstoffe in einer ORL immer enthalten sein: 1. Elektrolyte, 2.
Energiesubstrate, wie Glucose oder Aminosäuren und 3. Puffer.
Bis vor einigen Jahren waren Experten der Ansicht, dass durchfallkranken Kälbern die
Milchtränke für einige Mahlzeiten teilweise oder sogar vollständig entzogen werden sollte. Es wurde
befürchtet, dass der Durchfall durch Maldigestion und -absorption von Milchbestandteilen (Laktose,
Fett), die den osmotischen Druck in den Ingesta erhöhen, verstärkt werden könnte. Ein Problem des
längerfristigen Milchentzugs ist die verminderte Energiezufuhr, die zur Kachexie der kranken Tiere
führen kann. In vielen Studien konnte belegt werden, dass die unverminderte Gabe von Milch in
Kombination mit der Verabreichung von ORL keine negativen Effekte auf den Krankheitsverlauf von
Kälbern mit Diarrhö hat und dass sich dieses Therapieregime günstig auf die
Körpermasseentwicklung der Kälber auswirkt, da die Absorptionsfähigkeit des Darms während der
Erkrankung adäquat erhalten bleibt. Deswegen wird allgemein empfohlen, die Milchtränke bei
durchfallkranken Kälbern beizubehalten.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 27


Wiederkäuer
ORL sollten zeitnah zum Auftreten erster Symptome der Diarrhö verabreicht werden. Der
Gesamtbedarf an Flüssigkeit setzt sich aus dem Grundbedarf (10 % der Körpermasse), dem
aktuellen Volumendefizit und den fortlaufenden Flüssigkeitsverlusten zusammen. Der tägliche
Grundbedarf an Flüssigkeit sollte durch die Milchtränke abgedeckt werden (12 % der Körpermasse).
Das aktuelle Flüssigkeitsdefizit sowie die laufenden Verluste müssen durch ORL oder Infusionen
ausgeglichen werden.

Effekte von ORT auf die abomasale Milchgerinnung


Bei unveränderter Fütterung der durchfallkranken Kälber mit Milch ergibt sich die Frage, ob die
ORL gleichzeitig oder zeitlich versetzt zur Milchtränke gegeben werden sollen. ORL erhöhen den pH-
Wert in den Labmageningesta, was die abomasale Caseinfällung stören könnte. Vor allem
bikarbonat- und citrathaltige ORL können die Milchgerinnung in vitro verhindern. Deswegen wurde
allgemein geraten, Milch und ORL zeitlich versetzt zu verabreichen. In einer eigenen und einer
weiteren Untersuchung konnten keine negativen Effekte bei gleichzeitiger Gabe von
Milch/Milchaustauscher und acetat-, propionat-, bikarbonat- und citrathaltigen ORL auf die
Milchgerinnung im Labmagen bei gesunden Kälbern nachgewiesen werden (1,2).

Veränderungen des Plasmavolumens und des Säuren-Basen-Haushalts nach der Milchtränke


und nach Gabe von wasser- bzw. milchbasierten ORT
Die systemischen Funktionsstörungen bei Kälberdiarrhö wie 1. Dehydratation, 2. metabolische
Azidose, 3. Elektrolytimbalancen, wie Hyponaträmie und Hyperkalämie und 4. Energiedefizit, können
zum Tod der kranken Kälber führen. Die schnelle Rehydratation durch ORL kann entscheidend sein,
um die Abweichungen im Flüssigkeits- und Säuren-Basen-Haushalt der durchfallkranken Kälber
rechtzeitig zu bekämpfen und damit den Ausfall des Saugreflexes zu verhindern.
Milch und milchbasierte bzw. hypertone ORL passieren den Labmagen in einer geringeren
Geschwindigkeit als wasserbasierte isotone ORL und führen möglicherweise zu einer verzögerten
Rehydratation der durchfallkranken Kälber (1). Hypertone bzw. in Milch zubereitete ORL führen
allerdings zu einer längeren und ausgeprägten Expansion des Plasmavolumens (1). In einer neueren
Untersuchung (3) wurden bessere Erfolge bei kurzfristigem Milchentzug und Gabe von
wasserbasierter ORL erzielt, was auf die schnellere Verfügbarkeit der Dehydratation und Azidose
entgegen wirksamen Elektrolyte im Blut zurück zu führen sein könnte.
Zur Bewertung, ob ORL vorzugsweise in Wasser oder in Milch/MAT zubereitet werden sollen, um
eine schnelle und ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten zu gewährleisten, wurden
die Veränderungen des Plasmavolumens und des Säuren-Basen-Haushalts (SBH) nach der Tränke
bei gesunden Kälbern überprüft. Obwohl in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden konnte,
dass milchbasierte ORL den Labmagen langsamer passieren, war 25 Minuten nach der Gabe von
wasser- als auch von milchbasierten ORL das Plasmavolumen signifikant erhöht im Vergleich zu den
Nüchternbedingungen (ANOVA mit Messwertwiederholung, p < 0,01). Nach der Milchfütterung
erfolgte eine verzögerte Expansion des Plasmavolumens, erst 45 Minuten nach der Fütterung konnte
eine signifikante Plasmavolumenexpansion gemessen werden. Vier Stunden nach Gabe von wasser-
sowie milchbasierter ORL war das Plasmavolumen immer noch erhöht, wohingegen drei und vier
Stunden nach der Milchtränke keine Plasmavolumenerhöhung mehr messbar war. Blieben die
Kälber über eine Versuchsperiode nüchtern, war das Plasmavolumen konstant (s. Abb. 1).

28 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Abb. 1: Berechnete Veränderungen im Plasmavolumen (Mittelwert) nach Fütterung von Milch und wasser- und
milchbasierter ORT sowie über eine Versuchsperiode mit Nahrungskarenz (nüchtern) bei gesunden Kälbern.
Mit Sternchen (*) beschriftete Werte unterscheiden sich signifikant vom Ausgangswert (ANOVA mit
Messwertwiederholung, p < 0,01).

Die Veränderungen des SBH nach der Tränke wurden anhand des Stewart-Modells des SBH
gemessen. Korrespondierend zu vorangegangenen Untersuchungen ergab sich eine signifikante
Erhöhung der strong ion difference (SID3 = Na+ + K+ - Cl-) im Plasma zwei Stunden nach der
Fütterung von ORL mit einer SID3 > 80mmol/l. In der Nüchternperiode und nach der Milchfütterung
kam zu einem signifikanten Absinken der SID3 (s. Tabelle 1) (1).

Tabelle 1: Veränderungen der Plasma-SID3 (SID3 = Na+ + K+ - Cl-) nach der Fütterung von Milch,
wasser- und milchbasierten ORT sowie in der Nüchternperiode bei gesunden Kälbern
(Mittelwerte ± Standardabweichung).
Zeit in Bezug zur Fütterung
Tränkeregime nach nach nach nach nach
vor
35min 60min 90min 2h 4h
Nüchtern 50,0±1,7 49,7±2,0 49,4±2,2 49,0±1,8* 49,0±2,1* 48,3±2,3*
Milch
49,0±2,7 47,5±2,2* 48,1±2,5* 48,3±2,1 48,1±1,8* 48,0±2,2*
(SID3=36mmol/l)
Wasser-ORT
48,3±1,9 47,9±1,7 47,6±2,5 48,5±1,7 48,9±2,0 47,4±1,1
(SID3=49mmol/l)
Milch-ORT
48,0±1,4 48,6±1,8 48,3±2,3 48,6±2,1 48,9±1,2* 48,6±1,7
(SID3=85mmol/l)
Mittelwerte in einer Zeile, die mit Sternchen (*) bezeichnet sind, unterscheiden sich signifikant vom
Ausgangswert vor der Fütterung (ANOVA mit Messwertwiederholung, p < 0,05).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 29


Wiederkäuer
Schlussfolgerungen für das Tränkemanagement bei Kälberdiarrhö
Nach der Fütterung von wasser- und milchbasierten ORL erfolgt die Erhöhung des
Plasmavolumens bei gesunden Kälbern in der gleichen Zeit und Ausprägung. Bisher konnte in keiner
Untersuchung nachgewiesen werden, dass die Milchgerinnung im Labmagen bei der Einmischung
von handelsüblichen ORL in Milch/MAT beeinträchtigt wird. Milch/MAT-ORL-Gemische weisen
höhere SID3-Werte auf, wodurch die metabolische Azidose von durchfallkranken Kälbern besser
ausgeglichen wird. ORL in Milch/MAT zuzubereiten, kann daher eine einfache und praktikable
Möglichkeit darstellen, die schnelle Versorgung durchfallkranker Kälber mit Energie, Elektrolyten und
puffernden Substanzen zu gewährleisten. Da es sich bei milchbasierten ORL um hypertone
Lösungen handelt, sollten die erkrankten Kälber, um eine optimale Rehydratation zu gewährleisten,
jederzeit freien Zugang zu Trinkwasser haben.

Literaturverzeichnis
1. Bachmann L, Homeier T, Arlt S, Brueckner M, Rawel H, Deiner C, et al. Influence of different oral
rehydration solutions on abomasal conditions and the acid-base status of suckling calves. Journal of Dairy
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2. Constable PD, Grunberg W, Carstensen L. Comparative effects of two oral rehydration solutions on milk
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2009 Jan;92(1):296-312.
3. Smolka K, Kaske M, Andresen U. Neonatal diarrhea in the calf - III. communication: Dietary aspects and
feeding management. Praktische Tierarzt. 2009 Feb 1;90(2):151-+.

Kontaktadresse
Dr. Lisa Bachmann, Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik, Leipzig,
[email protected]

30 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Endoparasiten beim Kalb: Quo vadis?


Arwid Daugschies, Berit Bangoura, Matthias Lendner
Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Universität Leipzig

Einleitung
Wie die Jungtiere aller Spezies sind auch Kälber und Jungrinder besonders durch
Endoparasitenbefall gefährdet. Dies liegt vor allem an der mangels vorherigen Erregerkontaktes
noch nicht ausgebildeten Immunität. Kommt es durch ungünstige Haltungsbedingungen (z. B.
Gruppenhaltung, hohe Tierdichte, schlechte Hygiene) zusätzlich zu einem hohen Infektionsdruck bei
beeinträchtigter allgemeiner Kondition der Tiere, sind auch schwerwiegende klinische Erkrankungen
parasitärer Genese möglich. Das Spektrum an Endoparasiten beim Rind umfasst zahlreiche Arten
von Helminthen und Protozoen. Bei jungen Kälbern werden Wurminfektionen eher selten
diagnostiziert, während Protozoen mit ihren kurzen Zyklen und hohen Reproduktionsraten in
Kälberställen gute Ausbreitungsmöglichkeiten finden. Vor allem bei Weidehaltung dominieren
dagegen die Wurminfektionen. Dieser Artikel beschränkt sich auf die Protozoen und
Trichostrongyliden des Verdauungstraktes.

Protozoen
Im Verdauungstrakt von Kälbern ist die Anwesenheit von Kryptosporidien, Eimerien und Giardien
eher die Regel als die Ausnahme, allerdings gibt es Unterschiede in den betroffenen Altersgruppen.
Klinische Kryptosporidiosen treten vor allem in den ersten 2–3 Lebenswochen auf, während
Eimeriosen eher ab dem 2. Lebensmonat gesehen werden (1,2). Auch wenn es anekdotische
Berichte über klinische Giardiosen gibt, ist doch trotz der sehr weiten Verbreitung der Giardien beim
Rind in der Regel keine Korrelation zwischen Parasitennachweis und Klinik erkennbar (3).
Cryptosporidium parvum hat eine zoonotische Relevanz, ebenso wie manche Genotypen von
Giardien, während dies bei Eimerien nicht der Fall ist.
Ursprünglich wurde angenommen, dass es bei Rindern mit Cryptosporidium parvum nur eine
Kryptosporidienspezies gibt. Mittlerweile haben genauere morphologische, patho-histologische,
epidemiologische und vor allem molekularbiologische Studien ergeben, dass neben C. parvum
weitere Arten (C. andersoni, C. ryanae, C. bovis, C. ubiquitum) beim Rind auftreten können. Nach
wie vor gilt aber, dass C. parvum im Kontext mit Enteritis beim jungen Kalb die einzige bedeutende
Spezies ist. Für C. parvum wurden zahlreiche Genotypen beschrieben, und es kommen laufend
neue hinzu. Auffallend ist, dass C. parvum in den meisten Kälberhaltungen zu finden ist, die
Auswirkungen auf die Kälbergesundheit aber sehr unterschiedlich, von nicht erkennbar bis
hochgradig, sein können. Eine Reihe von Faktoren könnte hierfür verantwortlich sein. Dazu gehören
die je nach Bestand unterschiedliche gleichzeitige Belastung mit anderen, z. B. bakteriellen oder
viralen Erregern, oder ein m. o. w. hoher Infektionsdruck durch Oozysten in der Umgebung der Tiere.
Für Lämmer wurde beschrieben, dass eine mangelnde Kolostrumversorgung und die Anwesenheit
von E. coli die Schwere einer Kryptosporidiose steigern (4). Über die multifaktoriellen Hintergründe,
die für den Verlauf der Erkrankung bedeutsam sein könnten und mögliche Virulenzunterschiede
zwischen Genotypen ist derzeit wenig bekannt. Moderne zellbiologische und molekulare Werkzeuge
könnten in dieser Hinsicht neue Perspektiven eröffnen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 31


Wiederkäuer
Ein besseres Verständnis der Faktoren, die zu klinischer Kälberkryptosporidiose führen, würde
helfen, die Bekämpfung gezielter zu gestalten. Aktuell kann Problembeständen nur empfohlen
werden, frühzeitig eine mehrtägige Behandlung aller neugeborenen Kälber mit Halofuginon
(HalocurR, MSD Tiergesundheit) einzuleiten, wohl wissend, dass dies das Problem nicht lösen,
sondern nur vermindern kann. Eine gute Reinigung und Desinfektion von Bereichen, in denen junge
Kälber gehalten werden, ist dringend zu empfehlen. Hitze und Trockenheit inaktivieren die
infektiösen Oozysten in der Umwelt recht schnell. Von den vielen chemischen Desinfektionsmitteln,
die sich am Markt befinden, sind nur wenige geeignet, Oozysten zu inaktivieren. Geprüft wird dies im
Modell Eimeria tenella des Huhnes. Es gibt vielversprechende Ansätze, dass eine In-vitro-
Prüfmethodik an C. parvum das Tiermodell ersetzen könnte (5). So notwendig es ist, über
reproduzierbare Prüfergebnisse im Laborversuch einen verlässlichen Bewertungsmaßstab für
Desinfektionsmittel zu erhalten, muss doch beachtet werden, dass die Bedingungen im Feld gänzlich
andere sind. Bei alleiniger Anwendung eines DVG-zertifizierten Desinfektionsmittels, das in vitro über
99,5 % der C.-parvum-Oozysten inaktiviert, konnte in einem Kälberstall der Verlauf der
Kryptosporidiose nicht beeinflusst werden. Bei Kombination der Desinfektionsmaßnahme mit einer
Halofuginon-Behandlung kam es hingegen zu additiven Effekten. Die Wirkung der integrierten
Bekämpfung war so gut, dass die Kälber in den ersten zwei Lebenswochen vollständig geschützt
waren, andererseits aber auch keinen Immunschutz aufbauten (6,7). Diese Beobachtungen sollten
Anlass zu einer Neubewertung der verfügbaren Bekämpfungsoptionen bieten. So könnte hinterfragt
werden, ob ein vollständiger Schutz in den ersten Lebenswochen angestrebt werden soll und wenn
ja, welche Relevanz dann ein späteres Auftreten der Infektion haben könnte. Aktuell gibt es zum
Halofuginon keine medikamentelle Alternative, auch wenn In-vitro-Versuche an Curcumin
vielversprechend waren (8). Moderne zellbiologische Methoden erlauben eine gezielte Suche nach
Angriffspunkten für Therapeutika wie z. B. der kalziumabhängigen Proteinkinase (9), allerdings sind
hier zunächst grundlegende Studien notwendig, bevor solche Optionen ernsthaft erwogen werden
können.
Infektionen mit Eimerien sind häufig in Kälberbeständen anzutreffen. Oft bleibt der Befall beim
Kalb klinisch unauffällig, es sind aber auch schwere Enteritiden mit gelegentlich letalem Ausgang
möglich. Von den über 20 beschriebenen Eimeria-Arten des Rindes sind vor allem E. bovis und E.
zuernii als pathogen einzustufen (10). Weidekokzidiosen im Kontext mit E.-alabamensis-Infektion
scheinen in bestimmten Regionen eine Bedeutung zu haben (2). Eine aktuelle Studie aus Thüringen,
die 153 Bestände mit einer Herdengröße von mindestens 300 Kühen umfasste, konnte zeigen, dass
es praktisch in allen Beständen Eimeria-Befall gibt (11). Die Faktoren, die darüber bestimmen, ob es
zu Erkrankung kommt oder nicht, sind nur teilweise bekannt. Ohne Zweifel ist die Präsenz
pathogener Spezies entscheidend, ebenso wie der Infektionsdruck, der über Haltung und Hygiene
wesentlich mitbestimmt wird. Für das Schwein und Geflügel ist nachgewiesen, dass Verlauf und
Schwere der kokzidienassoziierten Enteritis von der Anwesenheit bakterieller Erreger wesentlich
beeinflusst werden kann (12,13) und auch andere Stressfaktoren wie ein ungünstiges Stallklima,
inadäquate Fütterung, häufige Umgruppierung und Transport stehen im Verdacht, Einfluss auf das
Auftreten klinischer Kälberkokzidiosen zu nehmen. Inwiefern bei Eimeria-Arten Virulenzunterschiede
eine Rolle spielen, ist derzeit völlig ungeklärt. Transkriptom- und Proteom-Analysen sowie
zellbiologische Studien helfen uns, die Interaktionen zwischen Eimerien und den Wirtszellen in ihrer
Komplexität, die weit über die mechanische Zerstörung der Wirtszellen hinausgeht, besser zu
verstehen (14). Damit werden Grundlagen geschaffen, die hoffentlich zu neuen Ansätzen in der
Entwicklung von Bekämpfungsmaßnahmen führen werden. Neben einer Optimierung der
32 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
Haltungsbedingungen und Hygiene gibt es für die Kälberkokzidiose außer den klassischen
Sulfonamiden derzeit mit den moderneren Triazinonen (Diclazuril, Toltrazuril) Produkte, die eine gute
Verträglichkeit und Wirkung gegen Eimerien zeigen (15). Wichtig für die Anwendung dieser
Antikokzidia ist, den richtigen Behandlungszeitpunkt zu wählen. Wird klinische Kokzidiose
beobachtet, müssen alle Tiere der entsprechenden Altersgruppe behandelt werden. Günstiger ist die
Behandlung zu einer Zeit, in der noch keine wesentlichen Darmläsionen verursacht wurden. Dieser
Zeitpunkt muss für jeden Bestand auf Grundlage der Herdenanamnese individuell festgelegt werden.
Eine gute Diagnostik und Kenntnis der epidemiologischen Verhältnisse ist hierfür unerlässlich (16).
Bei Eimerien besteht generell die Gefahr, dass sie bei entsprechendem Selektionsdruck Resistenz
gegen Antikokzidia ausbilden können. Umso mehr ist es erforderlich, einerseits verantwortlich mit
den verfügbaren Produkten umzugehen, andererseits die Suche nach weiteren Optionen zu
verstärken. So sollte der Einsatz von Antikokzidia auf der Grundlage eines diagnostischen
Herdenmonitorings erfolgen, um unnötige Behandlungen und damit letztlich auch Kosten
einzusparen.
Da sowohl Kryptosporidien als auch Eimerien eine hohe Immunogenität auszeichnet, sind
Vakzine als Alternative zu Antikokzidia denkbar. Allerdings induzieren inaktivierte Impfstoffe oder
Antigenpräparationen keinen ausreichenden Schutz und die Produktion lebend attenuierter Vakzine,
wie sie in der Geflügelproduktion verfügbar sind („frühreife Stämme“), steht für das Rind vor
unüberwindbaren technischen und logistischen Problemen. In diesem Bereich besteht also noch
erheblicher Forschungsbedarf.

Nematoden
Trichostrongyliden sind bei Weidehaltung weit verbreitete Magen-Darm-Würmer. Als besonders
bedeutend gilt Ostertagia ostertagi, aber auch Befall mit dem weniger pathogenen Nematoden
Cooperia punctata beeinträchtigt das Wachstum (17). Anthelmintikaresistenzen sind in Deutschland
beim Rind noch kein weit verbreitetes Phänomen, sie treten aber dort als Problem auf, wo
Anthelmintika extensiv eingesetzt werden (18). Solchen Entwicklungen kann mit einer gezielten
Behandlung besonders gefährdeter Tiere („targeted selected treatment“) begegnet werden und dies
sollte möglichst umgesetzt werden, noch bevor Resistenzen Raum greifen. Die klassischen
metaphylaktischen Bekämpfungsprogramme sollten in dieser Hinsicht hinterfragt werden. So ist
beispielweise die Strategie, Färsen im Sommer zu behandeln und dann auf saubere Weiden
umzusetzen, im Grundsatz sehr gut geeignet, eine effiziente und epidemiologisch begründete
Nematodenbekämpfung zu erreichen, sie muss aber aus heutiger Sicht gleichzeitig als
resistenzfördernd bewertet werden. Dies liegt daran, dass einerseits durch die Behandlung ein hoher
Selektionsdruck auf die parasitische Generation ausgeübt wird, andererseits die Nachkommen der
dennoch überlebenden resistenten Würmer im sogenannten Refugium (= Weide) keiner Konkurrenz
durch eine nichtselektierte Generation unterliegen.
Vakzinierung gegen Trichostrongyliden ist möglich, aber sie hat sich als schwierig herausgestellt.
Gegen hämatophage Arten der Gattung Haemonchus können Kälber mit einem Zellmembran-
Antigen immunisiert werden, das aus den Därmen adulter Würmer isoliert wurde. Der Schutz wird
erreicht, indem die Antikörper mit dem Blutmahl in den Darm des Wurmes gelangen und dort an das
intestinale Antigen binden (19). Kommerzielle Vakzine gibt es aktuell nicht.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 33


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
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2. Daugschies A, Najdrowski M. Eimeriosis in cattle: current understanding. J Vet Med B Infect Dis Vet Public
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11. Lederbach R, Daugschies A, Hoffmann L. Studien zum Vorkommen der Kokzidiose beim Kalb in
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Fachgruppe Parasitologie und parasitäre Krankheiten; 2011 Juli 04 - 06 Berlin, Deutschland; p. 57.
12. Krüger M, Schrödl W, Krüger M, Schwarz S, Mengel H, Daugschies A, et al. Nekrotische Enteritis bei
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13. Williams RB, Marshall RN, La Regione RM, Catchpole J. A new method for the experimental production of
necrotic enteritis and its use for studies on the relationship between necrotic enteritis, coccidiosis and
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14. Hermosilla C, Wimmers K, Ponsuksili S, Jimenez CA, Horst Z, Taubert A. Eimeria bovis: how the host cell
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comparison with diclazuril and untreated controls: 2007: Proceedings 21st conf. World Association for the
Advancement of Veterinary Parasitology; 2007 August 19-23; Gent, Belgien p. 463.
16. Mundt HC, Daugschies A. Gegenwärtiger Kenntnisstand der Epidemiologie der intestinalen
Säugerkokzidiose in Nutztierbeständen: 2008: LBH Proceedings des 4. Leipziger Tierärztekongress; 2008
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17. Stromberg B, Gasbarre LC, Waite A, Bechtol DT, Brown MS, Robinson NA, et al. The Effects of a
Cooperia punctata Infection on Cattle Productivity? In: Wittwer F, Chihuailaf R, Contreras H, Gallo C,

34 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Kruze J, Lanuza F et al., Editoren. Update on Ruminant Production and Medicine. Sntiago de Chile: XXVI
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19. Bassetto CC, Silva BF, Newlands GF, Smith WD, Amarante AF. Protection of calves against Haemonchus
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin,
Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 35


Wiederkäuer

Fütterungsstrategien für eine erfolgreiche Jungrinderaufzucht


Hubert Spiekers, Thomas Ettle
Institut für Tierernährung und Futterwirtschaft, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft

Hintergrund
Die Jungrinderaufzucht ist einer der größten Kostenblöcke in der Milchviehhaltung. Das wird
durch Auswertungen im Rahmen des DLG-Projektes „Spitzenbetriebe Milch“ bestätigt, aus denen
sich ein Aufwand von 7,1 Cent/kg Milch aus der Jungrinderaufzucht ergibt (1). Ziel der Aufzucht ist
die Produktion einer gesunden, gut entwickelten und leistungsstarken Milchkuh. Dies ist nur durch
eine gezielte Fütterung mit qualitativ hochwertigen Futtermitteln bei guten Haltungsbedingungen zu
erreichen, so dass sich aus dieser Sicht nur wenig Potenzial zur Reduktion der Kosten ergibt. Die
Verringerung der Anzahl aufgezogener Jungrinder, eine effiziente Maßnahme zur Kostenreduktion,
wird in der Praxis kaum durchgeführt, da hierfür die erforderlichen Zuchtentscheidungen sehr
frühzeitig getroffen werden müssen. Ein Ansatzpunkt, den Aufwand sowie Nährstoffausscheidungen
in der Jungrinderaufzucht zu reduzieren, ist eine Verkürzung der Aufzuchtdauer. In Bayern lag das
Erstabkalbealter im Jahr 2010 in den LKV-Betrieben bei Fleckvieh, Braunvieh und Schwarzbunte bei
29, 31 und 28 Monaten (2). Die derzeitigen Empfehlungen für Fleckvieh und Braunvieh liegen
dagegen bei 26 bis 27 Monaten, für Schwarzbunte bei 23–25 Monaten (1). Allerdings sind einer
Reduktion des Erstabkalbealters biologische Grenzen gesetzt, da für den Zeitpunkt der
Erstbesamung weniger das Alter als die physiologische Reife bzw. die Lebendmasse entscheidend
ist (3). Dementsprechend bedingt eine frühere Besamung bzw. ein früheres Erstabkalbealter bei
gegebener angestrebter Lebendmasse höhere tägliche Zuwachsraten. Diese wiederum werden nur
über Rationen mit höheren Energie- und Nährstoffkonzentrationen zu erreichen sein. Andererseits ist
eine zu intensive Fütterung mit der Gefahr der Verfettung der Tiere verbunden und
dementsprechend zu vermeiden. Insbesondere in der präpubertären Phase verläuft das Wachstum
des Euters allometrisch, d. h. schneller als das Wachstum des restlichen Körpers (4,5). Eine zu
intensive Fütterung während dieser Phase führt zwar zu einem insgesamt stärkeren Euterwachstum,
allerdings bei einer Verringerung des Parenchymgewebes (6,7). Solch ein verringerter Anteil an
Drüsengewebe kann andererseits die häufig beobachtete Reduktion der Milchleistung in den
folgenden Laktationen nach zu intensiver Fütterung in der präbubertären Phase erklären (3).
Insgesamt wird deutlich, dass die Fütterungsstrategie in der Jungrinderaufzucht einerseits die
Wachstumskapazität ausnutzen muss, um ein frühes und wirtschaftlich vertretbares Erstabkalbealter
erreichen zu können, dass durch die Fütterung aber andererseits negative Auswirkungen auf die
spätere Leistung vermieden werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die
optimale Intensität in der Jungrinderaufzucht im deutschsprachigen Raum derzeit verstärkt
Gegenstand der angewandten Forschung ist (z. B. 8,9). Allerdings beschäftigen sich diese Arbeiten
überwiegend mit den als frühreif anzusehenden Rassen, insbesondere Deutsche Holstein. Für
Fleckvieh liegen keine neueren Daten vor, die insbesondere die Futter- und Nährstoffaufnahme, aber
auch die Körperentwicklung während der Aufzucht konsequent erfassen und beschreiben. Solche
Daten sind jedoch die Grundlage, um Fütterungsstrategien für die Jungrinderaufzucht zu entwickeln,
mit denen die Entwicklung der Tiere den Erfordernissen entsprechend gesteuert werden kann. Vor
diesem Hintergrund wurde ein Versuch angelegt, der die Auswirkungen unterschiedlicher
Fütterungsintensität während der Aufzucht zur Erreichung eines Erstkalbealters von 24 bzw. 27

36 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Monaten auf Aufwand und Leistung in der Aufzucht und Leistungskriterien bei der Milchkuh klären
soll. Im Folgenden soll der Einfluss der Fütterungsintensität auf Futteraufnahme und
Körperentwicklung bis zum 18. Lebensmonat dargestellt werden.

Material und Methoden


Für die Untersuchungen wurden insgesamt 60 Fleckvieh- und 24 Braunviehkälber mit einem
mittleren Alter von etwa einem Monat in sechs Aufstallungswellen im Kälberstall der Versuchsstation
in Grub aufgestallt. Bis zu einem Lebendgewicht von etwa 150 kg (138. Lebenstag) wurden die Tiere
einheitlich versorgt. Anschließend wurden die Tiere in den Tretmiststall der Versuchsstation Grub
verbracht und in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Tiere der Versuchsgruppe wurden bis zu einem
mittleren Alter von 274 Tagen über eine TMR auf Basis Maissilage, Grassilage und Kraftfutter mit
einem Gehalt von 10,6 MJ ME/kg TM versorgt. In der Kontrollgruppe wurde bis zum selben Alter die
gleiche TMR verdünnt mit Stroh und einem Energiegehalt von 10,2 MJ ME/kg TM gefüttert. Ab dem
274. Lebenstag erhielt die Versuchsgruppe eine TMR auf Basis Grassilage, Maissilage, Stroh und
Mineralfutter mit einem ME-Gehalt von 9,7 MJ ME/kg TM, die Kontrollgruppe wiederum diese TMR,
mit Stroh auf einen ME-Gehalt von 9,5 MJ ME/kg TM verdünnt. Die Nährstoff- und Energiegehalte
waren an den Vorgaben der DLG zur Erreichung eines Erstkalbealters von 24 bzw. 27 Monaten (10)
ausgerichtet. Zum Zeitpunkt der ersten Besamung mit 15 bzw. 18 Monaten sollte bei allen Tieren ein
Mindestgewicht von 400 kg erreicht werden. Eine detaillierte Darstellung der Versuchsdurchführung
und der Rationen findet sich in einer anderen Arbeit (11). Während des hier betrachteten
Versuchszeitraums bis zu einem Alter von 18 Monaten kam es zu einem Tierausfall, so dass sich die
Daten ab einem Lebensalter von 138 Tagen auf 59 Fleckvieh- und 24 Braunviehtiere beziehen.

Ergebnisse und Diskussion


Im Mittel der gemeinsamen Aufzuchtphase lag die Futteraufnahme bei 2,8 kg TM/Tier und Tag.
Die differenzierte Fütterungsintensität führte in der Phase des 138. bis 274. Lebenstages zu einer
gesteigerten (p < 0,05) Futteraufnahme in der Versuchsgruppe (Tabelle 1). Zwischen Rasse und
Fütterungsintensität ergaben sich wie auch für die übrigen Messparameter und Versuchsabschnitte
keine signifikanten Interaktionen. Auch in anderen Untersuchungen wurde eine höhere
Futteraufnahme bei Jungrindern beobachtet, wenn die Energiekonzentration in der Ration gesteigert
wurde, wobei die Effekte wesentlich deutlicher waren, als in vorliegendem Versuch (8). Nach
Reduktion der Energiekonzentration ab dem 274. Lebenstag ergab sich eine reduzierte
Futteraufnahme in der Versuchsgruppe und eine zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
vergleichbare Protein- und Energieaufnahme. Wie Abb. 1 zeigt, wurden im unteren
Lebendmassebereich höhere Futteraufnahmen gefunden, als nach Literaturangaben zu erwarten
wäre (1). Ab einer Lebendmasse von etwa 350 kg decken sich die DLG-Angaben weitgehend mit
den Futteraufnahmen der Kontrollgruppe, die Futteraufnahme der Versuchsgruppe blieb hier jedoch
deutlich zurück. Die täglichen Zunahmen waren ab dem Zeitpunkt der differenzierten Fütterung in der
Versuchsgruppe gegenüber der Kontrolle um ca. 100 g erhöht (p < 0,05). Diese Unterschiede sind
für die Phase 138.–274. Lebenstag durch unterschiedliche Energieaufnahmen erklärbar, für die
Phase 274.–550. Lebenstag jedoch nicht. Die Braunviehtiere zeigten ab dem 274. Lebenstag
deutlich geringere (p < 0,05) tägliche Zunahmen, als die Fleckviehtiere.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 37


Wiederkäuer
Tabelle 1: Hauptwirkungen der Fütterungsintensität (FI) und der Rasse auf Futter- und
Nährstoffaufnahme und Wachstum in den Phasen differenzierter Fütterung
P-Werte
Kontrolle Versuch BV FV FI Rasse FI*Rasse
Lebend- 283 299 270 300
masse, kg 0,026 0,003 0,880
(Tag 274) ±39 ±35 ±38 ±35

Zuwachs,
g/Tag 949 1052 874 1051
0,006 0,001 0,482
(Tag 138– ±181 ±220 ±178 ±196
274)
TM-
Aufnahme, 5,30 5,72 5,43 5,54
kg/Tag 0,012 0,331 0,390
(Tag 138– ±0,57 ±0,57 ±0,52 ±0,64
274)
Lebend- 481 525 458 521
masse, kg 0,001 0,001 0,949
(Tag 550) ±58 ±57 ±43 ±59

Zuwachs,
g/Tag 716 816 680 800
0,001 0,001 0,830
(Tag 274– ±116 ±99 ±95 ±110
550)
TM-
Aufnahme, 7,36 6,98 6,98 7,25
kg/Tag 0,019 0,692 0,154
(Tag 274– ±0,85 ±1,08 ±0,98 ±0,98
550)

Die durchschnittlichen Lebendmassen lagen bei Fleckvieh im Versuch bei einem gegebenen
Lebensalter erheblich höher, als Literaturdaten annehmen lassen (Abb. 2) (1). Ähnliche
Beobachtungen wurden auch bei DH und (BS x DH) Rinder gemacht (8). Dementsprechend kann
davon ausgegangen werden, dass sich das Wachstumspotenzial (und auch die Gewichte der
ausgewachsenen Tiere) verschiedener Rassen im Lauf der Zeit erhöht hat und dementsprechend
eine Anpassung in den entsprechenden Tabellarien erfolgen sollte. Allerdings muss auch auf die
hohe Streuung zwischen den Tieren verwiesen werden (Tabelle 1). Andererseits zeigt Abbildung 2
auch, dass sich die Lebendmassen der Braunviehtiere (bzw. Brown Swiss Tiere) im Bereich der
Orientierungswerte der DLG für Brown Swiss bewegen (1). Ein zügigeres Wachstum von Brown
Swiss Tieren im Vergleich zu Fleckviehtieren, wie es die DLG-Orientierungswerte vermuten lassen,
konnte für das im Versuch verwendete Tiermaterial nicht beobachtet werden. Für die Praxis ergibt
sich insgesamt, dass die Wachstumskapazität auch innerhalb der Rasse stark vom Typus abhängig
ist und erheblichen Variationen unterliegt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines konsequenten
Controllings in der Jungrinderaufzucht, wie zum Beispiel durch regelmäßige Tierwiegungen oder
alternative Verfahren der Abschätzung der körperlichen Entwicklung. Nur so besteht die Möglichkeit,

38 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Abweichungen von den angestrebten Zuwachsraten zumindest im Mittel einer Tiergruppe durch
entsprechende Änderungen in der Fütterungsstrategie entgegenzuwirken.

Abb. 1: Vergleich der im Versuch beobachteten Futteraufnahme im Vergleich zu Angaben der DLG (1)

Abb. 2: Vergleich der im Versuch realisierten Lebendmasseentwicklung von Fleckvieh und Braunvieh
(gepunktete Linien) im Vergleich zu Orientierungswerten ((1); durchgezogene Linien)

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 39


Wiederkäuer

Fazit
Vorliegende Arbeit stellt Daten zur Futteraufnahme und Gewichtsentwicklung von weiblichen
Jungrindern der Rassen Fleckvieh und Braunvieh bis zum 18. Lebensmonat dar. Es ergeben sich
Hinweise, dass insbesondere die Wachstumskapazität bei Fleckvieh wesentlich höher liegt, als
Literaturangaben vermuten lassen. Auch die Futteraufnahmekapazität im unteren Gewichtsbereich
lag höher, als nach Literaturangaben anzunehmen. Dementsprechend sind die derzeitigen Angaben
zu Lebendmasseentwicklung und Futteraufnahme in der Aufzucht weiblicher Fleckvieh-Jungrinder zu
überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Literaturverzeichnis
1. DLG. Jungrinderaufzucht. Grundstein erfolgreicher Milcherzeugung. Arbeiten der DLG Band 203. DLG-
Verlags-GmbH, Frankfurt/Main; 2008.
2. LKV. Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Rinderzucht in Bayern 2010. Ergebnisse und Auswertungen;
2011.
3. Sejrsen K. Mammary development and milk yield potential. In: Garnsworthy P, Herausgeber. Calf and
heifer rearing. 2. Aufl. Nottingham University Press, Nottingham; 2007. S. 237-51.
4. Sinha YN, Tucker HA. Mammary development and pituitary prolactin level of heifers from birth through
puberty and during the estrous cycle. J. Dairy Sci. 1969;52:507-12.
5. Sejrsen K. Mammary development and milk yield in relation to growth rate in dairy and dual-purpose
heifers. Acta Agric. Scand. 1978;28:41-6.
6. Sejrsen K, Huber JT, Tucker HA, Akers RM. Influence of nutrition on mammary development in pre- and
postpubertal heifers. J. Dairy Sci. 1982;65:793-800.
7. Sejrsen K, Purup S, Martinussen H, Vestergaard M. Effect of feeding level in calves and prepubertal
heifers. J. Dairy Sci. 1998;81(Suppl.1):377.
8. Fischer B, Bulang M. Vergleich einer nach DLG-Norm angelehnten Fütterung für die Erzielung eines
Erstkalbealters von 2 Jahren mit der Fütterung einer gesteigerten Aufzuchtintensität im zweiten
Lebenshalbjahr zur Zuchtbenutzung für ein Erstkalbealter von 22 Monaten und die Auswirkungen auf
ausgewählte Merkmale in Aufzucht und erster Laktation von DH und (BS x DH) Rindern. Tagungsband
Forum angewandte Forschung in der Rinder- und Schweinefütterung; 28./29.03.2007; Fulda. S. 66-77.
9. Losand B, Dunkel S, Löhnert H-J, Fischer B, Münch K, Trilk J, Steinhöfel I. Verbesserung der
Aufzuchtqualität von weiblichen Jungrindern der Rasse Deutsche Holstein – Ergebnisse aus einem
Mehrländerprojekt. Kurzfassung der Referate vom 122. VDLUFA-Kongress; 21.-24.09.2010; Kiel. S. 138.
10. DLG. Leistungs- und qualitätsgerechte Jungrinderaufzucht. DLG-Information 3/1999.
11. Ettle T, Becher V, Obermaier A, Spiekers H. Einfluss der Fütterungsintensität in der Jungrinderaufzucht
auf die Futteraufnahme und Gewichtsentwicklung bei Fleckvieh und Braunvieh (Brown Swiss).
Tagungsband Forum angewandte Forschung in der Rinder- und Schweinefütterung; 06./07.04.2011;
Fulda. S. 97-100.

Kontaktadresse
Hubert Spiekers, Institut für Tierernährung und Futterwirtschaft, Bayerische Landesanstalt für
Landwirtschaft, Poing/Grub, [email protected]

40 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Passt die Fütterung? Diagnostik der Energie- und


Nährstoffversorgung
Martin Höltershinken
Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

In den landwirtschaftlichen Betrieben wird mit ausgeklügelten Systemen die Fütterung der
Hochleistungsrinder insb. während der Laktation berechnet und überwacht. Auch die ersten
Lebenswochen eines Kalbes werden genau beobachtet und kontrolliert. Zwischen diesen beiden
Lebensphasen – Kalb abgesetzt von der Milch/Milchaustauscher und dem Start der ersten Laktation
– kann jedoch häufig ein Fehlen der Kontrolle der Fütterung in Hinblick auf Quantität und insb.
Qualität beobachtet werden. Betriebswirtschaftlich wird verkannt, dass diese Tiere die Zukunft der
Herde sind.
Diese Lebensphase ist für die Tierentwicklung zuerst von einer Zellvermehrung der einzelnen
Organe und Gewebe und später von Zellvergrößerungen geprägt. Wachstumsdepressionen vor
allem in den ersten zwei bis drei Lebensmonaten bedingt durch Unterentwicklung des
Immunsystems, unausgewogenem Futterangebot, Um-stallungsstress, Absetzschwierigkeiten
spiegeln sich im Erstkalbealter und der Gesamtentwicklung wieder.

Zur Kontrolle stehen Landwirt und Tierarzt folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
Verhalten, Aussehen, Gewichtskontrolle, sowie Brustumfangskontrolle und Blutuntersuchungen.
Für spezielle Fragestellungen können die folgenden Blutuntersuchungen (Serum, Plasma, Vollblut)
in einzelnen Lebensabschnitten hilfreich sein:

 Stimmt die Kolostrummenge/-qualität?


Gesamteiweiß (Ge) u. Gamma GT im Serum
 Ist die Eisenversorgung ausreichend?
Rotes Blutbild, Eisenbestimmung im Serum
 Ist die Spurenelementversorgung insb. bei Kälbern von Färsen ausreichend?
Selenbestimmung im Vollblut, in einigen Gebieten Kupferbestimmung im Serum
 Sind die Futterflächen für das Wachstum der Jungrinder optimal?
Selenbestimmung im Vollblut, Kupferbestimmung im Serum, Vitamin-E-Bestimmung im
Serum
 Liegen entzündliche Prozesse vor, die das Wachstum behindern?
GAP-Probe (ab 6. Lebensmonat), Gesamteiweiß, Zinkgehalt im Serum
 Wie ist die Stoffwechsellage ante partum?
2.– 4. Woche a. p. ß-Hydroxybutte-säure (ß-HBS) und zusätzlich freie Fettsäuren im Serum
(NEFA, FrFS)

Darüber hinaus sollten bei entsprechenden klinischen Anzeichen Untersuchungen auf End- und
Ektoparasiten veranlasst werden. Verstorbene Rinder sollten der weiteren Untersuchung zugeführt
werden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 41


Wiederkäuer
Kontaktadresse
Dr. Martin Höltershinken, Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

42 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Grundprinzipien der Bestandsüberwachung von Milchkuhherden


Rudolf Staufenbiel
Klinik für Klauentiere, Freie Universität Berlin

Einleitung
Im Jahr 2015 werden sich mit dem Wegfall der Milchquote die Rahmenbedingungen der
Milchproduktion grundlegend verändern. Eine Folge ist die schneller voranschreitende Konzentration
der Milchkuhhaltung. Prognosen gehen davon aus, dass 2018 auf der Vergleichsbasis 2010 80 %
der Milchkühe in 20 % der Betriebe gehalten werden. Die Entscheidung darüber, welche Landwirte
bzw. welche Betriebe zukünftig langfristig weiter Milchkühe halten werden, wird schlicht vom
Erreichen ökonomischer Kennziffern bestimmt. In der Literatur finden sich auf Basis von
Vollkostenrechnungen Betriebszweigauswertung, die die Kostenstruktur der Milchproduktion
detailliert aufschlüsseln und zwischen den Betrieben objektiv vergleichbar machen (1,3,4). Ohne eine
langfristig positive Bilanz ist das Weiterführen der Milchproduktion nicht möglich. Ein Unterpunkt der
Betriebszweigauswertungen sind die Kosten für Tierarzt/Medikamente. Als Orientierung wird eine
Obergrenze von 1 bis 1,2 ct/kg Milch angestrebt (1,3). Der aufgezeigte Wandel in den
Rahmenbedingungen der Milchproduktion hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die Beziehungen
zwischen Tierarzt und Landwirt.

Anforderungsprofil des Landwirtes an den Tierarzt


In Abhängigkeit von der Bestandsgröße variiert das Anforderungsprofil des Landwirtes an den
Tierarzt über das gesamte Spektrum der klassischen Einzeltiermedizin bis hin zu verschiedenen
Stufen der Bestandsbetreuung. Es bedarf einer individuellen Abstimmung zwischen beiden
Vertragspartnern über die konkrete Ausgestaltung der zu erbringenden tierärztlichen Leistungen
einschließlich der Kostenstruktur. Mit steigender Kuhzahl pro Herde/Landwirt/Betrieb und der damit
verbundenen Spezialisierung der Milchkuhhalter verlagert sich das Anforderungsprofil von der
Einzeltierversorgung zur Bestandsbetreuung mit einem steigenden Eigenanteil des Landwirtes an
der unmittelbaren kurativen Versorgung erkrankter Tiere. Die Verantwortung für die fachgerechte
Anwendung von Arzneimitteln und für die fachgerechte Durchführung von Behandlungen muss in
jedem Fall unter der Kontrolle und Anleitung des den Bestand betreuenden Tierarztes bleiben. Zur
konkreten Umsetzung bedarf es schriftlich im Detail formulierter Bestandsbetreuungsverträge mit
genauer Formulierung der Zuständigkeiten. Der Weg der Anstellung eines Tierarztes durch große
Landwirtschaftsbetriebe kann auf Grund der aus den arbeitsrechtlichen Abhängigkeiten
resultierenden Probleme nicht unterstützt werden. Dennoch erwartet der Landwirt mit zunehmender
Herdengröße eine 24-Stunden-Betreuung aus einer Hand. Das erfordert eine Anpassung der
Struktur der Tierarztpraxen, um eine durchgehende Versorgung und innerhalb der Tierarztpraxis eine
ausreichende an den zu versorgenden Tierarten ausgerichtete Spezialisierung zu ermöglichen. Eine
Tierarztpraxis sollte so organisiert sein, dass sie in einem umschriebenen Territorium die konkreten
Anforderungen zur fachlich tierärztlichen Versorgung aller vorkommenden Tierarten auf dem
erforderlichen Niveau ermöglicht. Das erfordert Tierarztpraxen mit einer ausreichenden Zahl an
Tierärzten. Die derzeit anzutreffende überregionale Organisation der veterinärmedizinischen
Bestandsbetreuung ist nicht zu unterstützen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 43


Wiederkäuer
Stufen der tierärztlichen Bestandsbetreuung
Die tierärztliche Bestandsbetreuung von Milchkuhherden kann in drei qualitative Stufen unterteilt
werden, die kurative Bestandsbetreuung, die problembezogene Bestandsbetreuung und die
prophylaktische Bestandsbetreuung.

Kurative Bestandsbetreuung
Die Landwirte sind überwiegend gut ausgebildete Fachkräfte mit einem weiten Spektrum an
Wissen und Fähigkeiten und einer gut organisierten Fortbildung. Das führt auch bei kleinen Herden
zu einer zunehmenden Tendenz, dass der Landwirt immer wieder auftretende gleichartige
Erkrankungen selbst behandelt. Im Rahmen eines Bestandsbetreuungsvertrages muss festgelegt
sein, welche Erkrankungen der Landwirt mit welchen Medikamenten wie behandelt. Der Tierarzt
muss den Bestand regelmäßig besuchen und sowohl die Diagnosen als auch den Behandlungserfolg
kontrollieren bzw. die Nachbehandlungen übernehmen. Wichtig sind das schriftliche Formulieren
eines Bestandsbetreuungsvertrages und der Behandlungsprotokolle. Daneben müssen in diesem
Bestandsbetreuungsvertrag auch die Maßnahmen konkret festgelegt werden, die ausschließlich vom
Tierarzt durchgeführt werden (Behandlung der Labmagenverlagerung, Zuchthygieneuntersuchung,
usw.). Diese kurative Bestandsbetreuung hat viele Vorzüge. Sie entspricht den Erwartungen des
Landwirtes, sie bezieht den Landwirt eng in die Erhaltung der Tiergesundheit ein. Aus Sicht des
Tierarztes ermöglicht die kurative Bestandsbetreuung einen gut planbaren Tagesablauf.
Eindrucksvollstes Beispiel ist die Erstbehandlung von Kühen mit einer Gebärparese.

Problembezogene Bestandsbetreuung
Ein Bestandsproblem kann definiert werden, als eine wiederholt auftretende
Erkrankung/Gesundheitsstörung/Fruchtbarkeitsstörung/Leistungsdepression, die der Landwirt bzw.
Herdenmanager aus seiner spezifischen Sicht als Problem anspricht. Treten in einem kurzen
Zeitraum vermehrt Labmagenverlagerungen, Nachgeburtsverhaltungen oder Totgeburten auf, wird
schnell von einem Bestandsproblem gesprochen. Umgekehrt gibt es Bestände mit einer ständigen
Häufung an Labmagenverlagerungen, die durch den Tierarzt effektiv und erfolgreich behandelt
werden. Diese Erkrankung wird dann vom Herdenverantwortlichen gar nicht mehr als
Bestandsproblem wahrgenommen. Dieser starke subjektive Einfluss auf die Festlegung eines
Bestandsproblems in einer bestimmten Herde kann durch ein objektives Beurteilungskriterium
ersetzt werden. Ein Bestandsproblem liegt vor, wenn eine festgelegte Inzidenzschwelle für eine
bestimmte Krankheit überschritten wird. In der Milchkuhhaltung ist die Laktationsinzidenz ein guter
Maßstab. Überschreitet die Häufigkeit einer bestimmten Erkrankung pro Laktation eine festgelegte
Häufigkeit, liegt ein Bestandsproblem vor, das gelöst werden muss. Die Festlegung des Grenzwertes
für die Laktationsinzidenz kann anhand von Literaturangaben (Ketose, Gebärparese,
Labmagenverlagerung, Ovarialzysten < 5 %, Nachgeburtsverhaltungen < 10 % der Anzahl an
Abkalbungen) erfolgen. Die Festlegung der zu akzeptierenden Laktationsinzidenz kann aber auch
bestandsspezifisch als eine zu erreichende Zielstellung für eine Herde formuliert werden. Als Beispiel
kann man anstatt 5 % Labmagenverlagerungen als herdenspezifische Zielsetzung bereits bei einer
Häufigkeit von 2 % der Abkalbungen als Grenze zu einem Bestandsproblem festlegen. Ist das
erreicht, kann der Anspruch durch eine weitere Senkung für einen nächsten Arbeitsabschnitt
angehoben werden.

44 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Es gibt einen allgemeinen Algorithmus in der problembezogenen Bestandsbetreuung.
 Definition des Bestandsproblems anhand der aktuellen Inzidenz
 Bestandsdiagnostik
über eine systematische Ursachenanalyse auf Basis des aktuellen Kenntnisstandes der
Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung;
Bestandsbesichtigung, Beurteilung der Fütterung und Haltung, Auswertung der Herdendaten,
Labordiagnostik;
Aufstellung einer Prioritätenliste der erkannten Ursachen unter Beachtung der Möglichkeiten zur
Veränderung und der damit verbundenen Kosten
 Bestandsprophylaxe
durch Festlegen eines Maßnahmenkataloges zur Senkung der Inzidenz auf Basis des aktuellen
Kenntnisstandes aus Fachbüchern, Fachzeitschriften und einer Internetrecherche
 Erfolgskontrolle
durch Erfassen der Inzidenzentwicklung und ökonomische Bewertung.

Die problembezogene Bestandsbetreuung kann als einmalige Aktion zum Beheben einer
aktuellen Krankheit (Labmagenverlagerung) oder als fortdauernder Prozess zur Begrenzung ständig
vorhandener Krankheitskomplexe (erhöhte Milchzellzahlen) durchgeführt werden. Vom Tierarzt wird
keine Sofortaktion vor Ort, sondern eine gut ausgearbeiteter Maßnahmenplan erwartet.

Prophylaktische Bestandsbetreuung
Die prophylaktische Bestandsbetreuung verkörpert eine neue Qualität. Im Fokus steht nicht eine
bestimmte Erkrankung. Ziel der prophylaktischen ist die Sicherung einer angestrebten Milchleistung
bei stabiler Fruchtbarkeit und ungestörter Gesundheit (5,6). Die sogenannten
Produktionskrankheiten (Ketose, Gebärparese, Labmagenverlagerung, Nachgeburtsverhaltung,
Mastitis, Tot- und Schwergeburten) sind in jeder Herde anzutreffen. Ihre Häufigkeit soll auf eine
bestimmte Häufigkeit reduziert werden. Sie greift damit bereits schon vor dem Auftreten von
Erkrankungen ein. Das wird durch ein systematisch strukturiertes und zeitlich eingeordnetes
Informationssystem (Diagnosesystem) zur Risikokontrolle für die Entwicklung von Erkrankungen
erreicht (5).
Der klinischen Manifestation einer Erkrankung/Störung geht ein subklinisches Stadium voraus,
das sich anhand bestimmter Beurteilungskriterien erfassen lässt. Über eine Vielzahl von
Einzelinformationen kann frühzeitig das Herausbewegen der Herde aus dem physiologischen bzw.
optimalen Bereich erkannt werden. Als Gegenmaßnahme können daraufhin Gegenmaßnahmen
(Bestandsprophylaxe) eingeleitet werden.
Voraussetzung für die prophylaktische Bestandsbetreuung ist die vertrauensvolle
Zusammenarbeit aller an der Herdenführung beteiligten Arbeitsgruppen. Zweite Voraussetzung ist
der ungehinderte Austausch der verfügbaren Informationen über die Herde. Dritte Voraussetzung ist
die gemeinsame Arbeit mit gleichen Datenerfassungs- und Datenauswertungsprogrammen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 45


Wiederkäuer
Das Informationssystem zur Risikokontrolle kann in drei Ebenen unterteilt werden.

 Erste Ebene: Kuhsignale und Fütterungskontrolle


Herdenmanager, Fütterungsberater, Tierarzt
täglich/wöchentlich/monatlich.

Normabweichungen können durch bewusstes Beobachten der Kühe in ihrer Umwelt frühzeitig
erkannt werden. Verschiedene Merkmale (Pansenfüllung, Kotkonsistenz, Kotzerkleinerungsgrad,
Bewegungsscore, Zitzenscore, Euterverschmutzungsscore) können nach einem vorgegebenen
Notenschlüssel bonitiert werden (2). Die Fütterungskontrolle erfolgt visuell am Futtertisch. Von
besonderem Wert, vor allem auch für den Tierarzt, sind regelmäßige Laboranalysen der totalen
Mischration (6,7). Darüber hinaus sammelt der Tierarzt bei der rektalen Untersuchung wertvolle
Eindrücke zur Gesundheit der Herde.

 Zweite Ebene: Herdendaten


Milchleistungsdaten, Körperkonditionsdaten, Zuchthygienedaten, Daten über
Erkrankungen und Abgänge
Herdenmanager, Fütterungsberater, Tierarzt
monatlich.

Durch die Einführung der HIT-Datei ist jedes Rind eineindeutig identifiziert. Im Zentralrechner des
VIT in Verden liegt von jeder Milchkuh, die im System der monatlichen Milchleistungskontrolle über
den LKV erfasst ist, ein umfangreicher Datensatz vor. Für die nicht an der monatlichen
Milchleistungsprüfung beteiligten Herden sind eingeschränkte Datensätze vorhanden. Mit Hilfe
spezieller Auswertungsprogramme können die Herdendaten effektiv nach interessierenden
Fragestellungen bezogen auf die gesamte Herde, auf Teilgruppen oder auf Einzeltiere ausgewertet
werden. Die Herdendaten bilden die Grundlage für die Beurteilung der Gesundheit und Produktivität
der Herde, für Entscheidungen zur Selektion, zur Erfassung von Erkrankungen und zur
ökonomischen Bewertung von Erkrankungen im Sinne einer Veterinärökonomie (4,8).

 Dritte Ebene: Prophylaktisches Stoffwechselprofil


Tierarzt
nach Bedarf, einmal pro Jahr.

Die Ebene eins und zwei sind nahezu kostenneutral, da sie auf vorhandene Informationen
zurückgreifen. Sie geben aber zu bestimmten Fragestellungen (Haushalt der Vitamine,
Spurenelemente, Säuren-Basen-Haushalt) keine oder nur eine begrenzte Aussage. Das
prophylaktische Stoffwechselprofil soll die Auslenkung der verschiedenen Stoffwechselkreisläufe
wiedergeben. Es ist ein Stichprobentest. Die Besonderheit ist die Auswahl der Probanden. Es
werden pro Untersuchungsgruppe je 10 klinisch gesunde Kühe aus dem Haltungsabschnitt frühe
Trockenstehperiode (8 bis 3 Wochen vor dem Kalben), Vorbereitung (3 bis 0 Wochen vor dem
Kalben), Frischmelker (0 bis 1 Woche nach dem Kalben), Startgruppe (3 bis 5 Wochen nach dem
Kalben) und Hochlaktation (15 bis 18 Wochen nach dem Kalben) ausgewählt. Ein spezielles, breit

46 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
ausgelegtes Parameterspektrum (über 50 Parameter) ermöglicht eine diffizile Bewertung der
Stoffwechselsituation (5).

Literaturverzeichnis
1. Fleege F. Endlich wieder Geld verdient Bauernzeitung 13. Woche; 2011. S. 38.
2. Hulsen J. Kuh-Signale. Krankheiten und Störungen früher erkennen. Verlag Roodbont,
Landwirtschaftsverlag GmbH Münster-Hiltrup; 2004. ISBN 90-75280-54-8.
3. Platen P, Barten F. Nicht immer rentabel. Bauernzeitung 28. Woche; 2011 S. 16-7.
4. Schmiedel C. Einfluss ausgewählter Erkrankungen auf die Ökonomie in der Milchkuhhaltung
[Dissertation]. Berlin: Freie Universität; 2008. Journal-Nr. 3204, mensch und buch verlag Berlin; ISBN 978-
3-86664-418 2.
5. Staufenbiel R, Gelfert CC, Panicke L. Prophylaktische veterinärmedizinische Bestandsbetreuung als
Maßnahme im Management von Milchkuhherden. Züchtungskunde. 2004;76:475-93.
6. Staufenbiel R, Gelfert CC, Hof K, Westphal A, Daetz C. Einfluss verschiedener Varianten der
Trockensteher- und Transitkuhfütterung auf die Tiergesundheit und die Leistung. 10. Symposium zu
Fragen der Fütterung und des Managements von Hochleistungskühen, Neuruppin, 25.10.2007,
Tagungsband, Lübke Druck und Design, Neuruppin; 2009. S. 11-76. ISBN 978-3-9813409-0-7.
7. Staufenbiel R. Einsatz der TMR-Analyse in der Bestandsbetreuung von Milchkuhherden. Haupttagung der
Agrar- und Veterinär-Akademie (AVA) 2010, Tierärztliche Bestandsbetreuung im Rinder- und
Schweinebetrieb, Nutztierpraxis Aktuell, Agrar- und Veterinärakademie, Lensing Druck Ahaus; 2010. S.
147-51. ISSN 1860-241X.
8. Weber T. Einfluss von Erkrankungen auf die Milchleistung, die Fruchtbarkeit und den Abgang von
Milchkühen [Dissertation]. Berlin: Freie Universität; 2008. Journal-Nr. 3281, mensch und buch verlag
Berlin, ISBN 978-3-86664-641 4.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Rudolf Staufenbiel, Klinik für Klauentiere, Freie Universität Berlin, [email protected]
berlin.de

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 47


Wiederkäuer

Tiergesundheitsdienst in österreichischen Milchviehbetrieben – Basis


für die tierärztliche Herdenbetreuung
Walter Obritzhauser
Tierärztliche Praxis, Parschlug (Österreich)

Einleitung, Rechtliche Grundlagen


Infolge der sich rasch ändernden Produktionsbedingungen in der Viehwirtschaft und nach der
Tilgung der klassischen Tierseuchen sind Faktorenerkrankungen für große Produktionsverluste in
der Nutztierhaltung verantwortlich. Diese Bedingungen machen eine geänderte, tierärztliche
Herangehensweise an die Probleme in der Nutztierhaltung notwendig. Die Behandlung des
Einzeltieres verliert gegenüber der Betreuung der Herde an Bedeutung.
Der hohe Kostendruck in der tierischen Produktion führt zu einer erhöhten Bereitschaft,
Tierarzneimittel ohne ausreichende Diagnostik, ohne tierärztliche Anweisung und ohne ausreichende
Dokumentation in Nutztierbeständen einzusetzen. Der Arzneimittelskandal des Jahres 2001 in
Österreich hat gezeigt, dass die bis dahin gültigen Rechtsnormen für den Einsatz von
Tierarzneimitteln nicht geeignet waren, Verletzungen der gültigen Rechtsnormen hintanzuhalten.
Die Tiergesundheitsdienst-Verordnung (TGD-VO) definiert einen Tiergesundheitsdienst (TGD)
als eine Einrichtung mit dem Ziel der Beratung landwirtschaftlicher Tierhalter und der Betreuung von
Tierbeständen zur Minimierung des Einsatzes von Tierarzneimitteln und der haltungsbedingten
Beeinträchtigungen bei der tierischen Erzeugung. Aufgrund der positiven Erfahrungen, die in
Österreich mit der Übertragung hoheitlicher Aufgaben an freiberuflich tätige Tierärzte gemacht
wurden, lag es nahe, ein subsidiäres Modell zur Grundlage der Arbeitsweise im TGD zu machen. Die
Tätigkeit in den Beständen nehmen praktizierende Tierärzte wahr, die organisatorischen
Voraussetzungen wurden von den Veterinärbehörden geschaffen; diese TGD-Geschäftsstellen
dienen als zentrale Service- und Informationsstellen. Die Teilnahme an den Tiergesundheitsdiensten
ist für Tierärzte wie Landwirte freiwillig.
Mit dem Tierarzneimittelkontrollgesetz 2002 (TAMKG) wurden neue Rahmenbedingungen für
den Einsatz von Tierarzneimitteln durch Tierärzte und Landwirte geschaffen. Im Rahmen des TGD
dürfen Tierärzte die Tierhalter in die Anwendung von Tierarzneimitteln bei landwirtschaftlichen
Nutztieren unter genauer Anleitung, Aufsicht und schriftlicher Dokumentation einbinden.
Die Veterinär-Arzneispezialitäten-Anwendungsverordnung 2006 (VAA-VO) definiert die
Bedingungen, unter denen im TGD dem Tierhalter Arzneimittel zur Nachbehandlung akut erkrankter
Tiere zur subkutanen, intramuskulären, intranasalen und intramammären Anwendung überlassen
werden dürfen. Nur vom Bundesministerium für Gesundheit freigegebene Veterinär-
Arzneispezialitäten dürfen abgegeben werden.

Die Betriebserhebung
Der Tierarzt hat im betreuten Betrieb Betriebserhebungen vorzunehmen. Die Häufigkeit, der
Inhalt und die Dokumentation der Betriebserhebung sind durch die TGD-VO vorgegeben. In
rinderhaltenden Betrieben ist vom Betreuungstierarzt zumindest einmal jährlich eine
Betriebserhebung durchzuführen. Der Inhalt einer Betriebserhebung hat die Durchsicht der
Aufzeichnungen des Tierhalters und des Tierarztes seit dem letzten Besuch, die Einschätzung des

48 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Gesundheitszustandes sowie die Erstellung eines Betriebserhebungsprotokolls zu umfassen. Nach
der Diagnose von Bestandsproblemen ist ein Handlungsplan für den kommenden Zeitraum
festzulegen. Der Tierarzt ist verpflichtet, eine Evaluierung der gesetzten Maßnahmen durchzuführen
und zu dokumentieren. Das Protokoll über die Betriebserhebung ist an die TGD-Geschäftsstelle zu
übermitteln.

Kontrolle der Aufzeichnungen betreffend den Einsatz von Tierarzneimitteln


Die von behandelnden Tierärzten erstellten Arzneimittelanwendungs- und –abgabebelege sind
vom Landwirt für die Betriebserhebung vorzubereiten. Der Betreuungstierarzt und der Tierhalter
haben die Aufgabe, für die korrekte Lagerung abgegebener Tierarzneimittel und für die zeitgerechte
Rückgabe und Rücknahme von Arzneimittelresten zu sorgen.

Überprüfung des Tiergesundheitsstatus


Eine gute Grundlage für die Beurteilung der Gesundheitssituation eines Bestandes bieten die
Auswertungen aus der Milchleistungskontrolle sowie die Ergebnisse des Gesundheitsmonitorings
(1). Diagnosen sind auf den Arzneimittelbelegen zu dokumentieren. Die Diagnose ist mit einem 2-
stelligen Diagnosecode zu versehen. Die Tieridentität, die Betriebsnummer, die Diagnose und das
Datum der Diagnosestellung werden im Zuge der Leistungskontrolle erfasst oder von den Tierärzten
direkt an den Rinderdatenverbund (RDV) elektronisch übermittelt. In der Datenbank des RDV
werden die Leistungsdaten und die Diagnosedaten gespeichert. Die Datenauswertungen werden von
der ZuchtData EDV-Dienstleistungen durchgeführt und den TGD-Betrieben und TGD-Tierärzten zur
Verfügung gestellt.
Das TGD-Programm Gesundheitsmonitoring Rind ermöglicht die Evaluierung der
Gesundheitssituation des Bestandes durch die Berechnung von Diagnosehäufigkeiten (2). Die
Informationen aus dem Gesundheitsmonitoring sind in die Leistungsberichte integriert. Mit den Daten
aus der Leistungsprüfung und dem Projekt Gesundheitsmonitoring Rind stehen dem Tierarzt
konkrete Daten für eine effiziente Bestandsbetreuung zur Verfügung.

Betriebserhebung – Element der Eigenkontrolle


Die Betriebserhebung darf nicht als Kontrolle missverstanden werden. Der TGD-Tierarzt kann in
dem von ihm betreuten Bestand nicht kontrollierend tätig sein. Wohl aber kann und soll der Tierarzt
den Landwirt beraten und gemeinsam mit diesem im Sinne eines Eigenkontrollsystems die
Tiergesundheitssituation des Betriebes beurteilen. Betriebe, die Nutztiere halten, produzieren
Lebensmittel. Diese Betriebe haben im Rahmen eines Eigenkontrollsystems dafür zu sorgen, dass
die Wartezeiten eingehalten werden und nur Tiere zur Lebensmittelgewinnung herangezogen
werden, die keiner vorschriftswidrigen Behandlung unterzogen wurden.

Kontrolle
Die Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Tierarzt im TGD wird durch die TGD-Geschäftsstelle
selbst, durch eine vom TGD beauftragte, akkreditierte Kontrollstelle sowie durch die
Veterinärbehörde kontrolliert. Für die Kontrolle wurde ein einheitlicher Kontroll-Leitfaden erstellt (3).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 49


Wiederkäuer
Vor- und Nachteile des österreichischen Tiergesundheitsdienstes
Mit der Neuausrichtung des Tiergesundheitsdienstes wurde vor allem Rechtssicherheit in der
Abgabe von Tierarzneimitteln durch Tierärzte und der Anwendung von Tierarzneimitteln durch
Landwirte geschaffen. Die regelmäßige Evaluierung des Gesundheitsstatus der Betriebe soll
einerseits Anstoß für die Verbesserung von Bedingungen sein, die zum vermehrten Auftreten von
Faktorenerkrankungen führen, und andererseits den Betrieb auf Kontrollen durch die Fachbehörden
vorbereiten. Die vertragliche Bindung zwischen Tierarzt und Landwirt soll für einen transparenten
Arzneimittelfluss sorgen.

Arzneimittel-Verbrauchsmengen
Die TGD-VO definiert als ein Ziel die Minimierung des Einsatzes von Tierarzneimitteln. Welche
Wirkstoffe für den veterinärmedizinischen Einsatz auch in Zukunft zugelassen sein werden, wird
wesentlich davon abhängen, ob der Einsatz kritischer Wirkstoffe nur auf Basis besonderer
veterinärmedizinischer Erfordernisse erfolgt und durch geeignete objektivierbare diagnostische
Maßnahmen gerechtfertigt wird. Ein Pilotprojekt zur Erfassung von Antibiotikaverbrauchsmengen in
der österreichischen Rinder-, Schweine- und Geflügelproduktion wurde 2010 abgeschlossen. Mit
diesem Projekt wurde die methodische Grundlage für die verpflichtende Erfassung von Art und
Menge im Nutztierbestand eingesetzter antimikrobieller Substanzen erstellt (4).

Zusammenfassung
Ziel des Tiergesundheitsdienstes ist die Beratung und Betreuung von Tierbeständen zur
Minimierung des Einsatzes von Tierarzneimitteln und von haltungsbedingten Beeinträchtigungen.
Erreichbar ist dies durch eine vom Prinzip der fairen Partnerschaft zwischen Landwirten und
Tierärzten getragenen Arbeitsweise, die sich den Konsumentenwünschen nach Qualität,
Gesundheitsüberwachung und –vorsorge und Transparenz bei der Lebensmittelerzeugung
verbunden fühlt.

Rechtsnormen
Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anwendung von Arzneimitteln bei
Lebensmittel liefernden Tieren (Tierarzneimittelkontrollgesetz – TAKG) erlassen wird. BGBl. 28/2002.
Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über die Anerkennung und den
Betrieb von Tiergesundheitsdiensten (Tiergesundheitsdienst-Verordnung 2005). BGBl. 443/2005.
Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über die Anwendung von
Veterinär-Arzneispezialitäten unter Einbindung des Tierhalters (Veterinär-Arzneispezialitäten-
Anwendungsverordnung 2006). BGBl. II 266/2006.

Literaturverzeichnis
1. Obritzhauser W. Praktische Umsetzung des Tiergesundheitsdienstes – Rind. Proceedings der 34.
Viehwirtschaftliche Fachtagung der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft
Raumberg-Gumpenstein; 19. - 20. 4. 2007; Irdning. S. 95-9.
2. Obritzhauser W, Egger-Danner C, Grassauer B, Holzhacker W, Winter P. Preliminary results of a general
health monitoring system for cattle in Austria. Proceedings Jubilee XXV. World Buiatrics Congress. 6.-11.
7. 2008; Budapest. S. 150.

50 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
3. Fuchs K. Studie zur Durchführung der externen Kontrolle der Geschäftsstellen, Tierärzte und Tierhalter
der Tiergesundheitsdienste in den Ländern einschließlich des Geflügelgesundheitsdienstes. Graz:
Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, Institut für Biostatistik; 2006.
4. Obritzhauser W, Fuchs K, Kopacka I, Köfer J. Estimating the consumption of antibiotics in Austrian cattle,
pig and poultry production. Proceedings XVth ISAH Congress; 3.-7. 7 2011; Wien. S. 585-7.

Kontaktadresse
Dr. Walter Obritzhauser; Österreichische Tierärztekammer, Wien, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 51


Wiederkäuer

Herausforderungen an die Tierärztliche Bestandsbetreuung der


Zukunft
Rolf Mansfeld, Rainer Martin
Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, Ludwig-Maximilians-Universität
München

Rahmenbedingungen für die Tierärztliche Bestandsbetreuung


Die Tierproduktionen führender europäischer Landwirtschaften basieren vor allem auf
langjährigen Leistungszuchten. Die daraus hervorgegangenen Hochleistungstiere sind
anspruchsvoll, ihre Haltung und Fütterung verlangen vom Tierhalter besondere Sorgfalt und ein
aufmerksames, vom bestandsbetreuenden Tierarzt geleitetes Tiergesundheitsmanagement. Am
Beispiel der Milchkühe konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der
wichtigsten Erkrankungen mit steigender Leistung zugenommen hat (1). Andererseits gibt es
Betriebe mit sehr hohen Leistungen bei gleichzeitig hervorragender Gesundheit und Fruchtbarkeit
der Tiere, eine Erkenntnis, die den positiven Einfluss eines optimierten Herdenmanagements
besonders deutlich macht.
Einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck auf die landwirtschaftliche Produktion stehen
Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen innerhalb der Europäischen Union
gegenüber, durch die Aspekte des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, des Tierschutzes und des
Umweltschutzes in den Vordergrund gerückt werden. Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung
und den stark unterschiedlichen Produktionsbedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sind die
Ausdehnung der erweiterten Produkthaftung auf die landwirtschaftliche Primärproduktion (RL
1999/34/EG) und das „Stable to Table-Konzept“ (VO EG 178/2002 – sog. Basisverordnung) rechtlich
verankert worden. Mit letzterem wird das Ziel verfolgt, eine lückenlose Rückverfolgbarkeit innerhalb
von vertikalen Lebensmittelproduktionsketten zu gewährleisten und damit eine Qualitätssicherung
von Beginn der Urproduktion bis zum Endverbraucher zu erzielen. Die Kombination aus „Stable to
Table-Konzept“ und „Erweiterter Produkthaftung“ erfordert Qualitätssicherungssysteme (QSS) für
landwirtschaftliche Betriebe sowohl aus Sicht und zum Schutz des Verbrauchers als auch des
landwirtschaftlichen Betriebsleiters. Dies wurde unter anderem in Deutschland im Jahr 2011 im
Zusammenhang mit der „EHEC-Problematik“ sehr deutlich. Hinzu kommen die in den Jahren 2005
bis 2007 eingeführten Cross Compliance-Bestimmungen, durch deren Umsetzung
Prämienzahlungen an gesetzlich definierte Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsstandards
gekoppelt werden (Verordnung (EG) Nr. 1782/2003) (2). Diese sind nicht zuletzt Ausdruck
veränderter Verbrauchererwartungen.
Die aus diesen Entwicklungen resultierenden Anforderungen an die landwirtschaftlichen Betriebe
machen deutlich, dass krankheits- und managementbedingte Produktionsverluste durch
qualitätssichernde Maßnahmen soweit wie möglich minimiert werden müssen, um bei optimierter
Gesundheit und Leistung der Tiere nicht nur betriebswirtschaftliche Reserven zu nutzen, sondern
parallel dazu auch den geltenden gesetzlichen Anforderungen und Forderungen der Verbraucher
nach tiergerechten Haltungssystemen und einwandfreier Lebensmittelqualität gerecht werden zu
können. Die Tierärztliche Bestandsbetreuung kann zur Ausgestaltung der dafür erforderlichen,
wissenschaftlich fundierten QSS einen erheblichen Beitrag leisten. Mehr als bisher wird sie dabei in
Zukunft auch ein besonderes Augenmerk auf die effektive Kontrolle von Zoonose-Erregern legen

52 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
müssen. Die Bestandsbetreuung ist gefordert, sich weiter zu entwickeln und der Landwirtschaft
entsprechende Leistungspakete anzubieten.

Herausforderung zur Weiterentwicklung


Die klassische „Tierärztliche Bestandsbetreuung“ besteht im Wesentlichen aus prophylaktischen
Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten und Parasitosen und einem Tiergesundheits-Monitoring
sowie den erforderlichen Behandlungsmaßnahmen (3). So ist es möglich, Gesundheit und
Fruchtbarkeit der Herden auf Basis von Einzeltier- und Bestandsinformationen zu erfassen und
Erfolg oder Misserfolg von Einzeltierbehandlungen und/oder Bestandsmaßnahmen festzustellen. Die
Bewertung erfolgt durch die Auswertung zurückliegender Zeiträume (Retrospektive Analyse), die
Beurteilung von Verläufen (Verlaufsanalyse) sowie durch Auswertung des Status quo und
Berechnung zu erwartender Ergebnisse (Prospektive Analyse).
Die Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung (ITB) wurde Anfang der 90er Jahre definiert als
„regelmäßige systematische Tätigkeit des Tierarztes mit dem Ziel, die Gesundheit und Leistung der
Tiere, die Qualität der tierischen Produkte, die wirtschaftliche Situation des Betriebs und letztendlich
die Berufszufriedenheit des Betriebspersonals zu steigern“ (3). Hier stehen betriebliche Ziele und die
beratende, Qualität sichernde Mitwirkung des Tierarztes im Herdenmanagement bereits vermehrt im
Vordergrund. Der ITB ähnliche Betreuungskonzepte hatte es in der ehemaligen DDR bereits in den
70er und 80er Jahren gegeben. Vor allem in den 80er Jahren zeigten sich ähnliche Entwicklungen
auch in den USA und in einigen europäischen Nachbarländern. Bei bundesweiten Umfragen unter
Tierärzten in den Jahren 1993 und 2003 zeigten sich gleichbleibende deutliche Unterschiede
zwischen den „neuen Bundesländern“, in denen die ITB in rund 58% der Tierarztpraxen durchgeführt
wurde und flächig etabliert zu sein schien, und den „alten Bundesländern“ mit einem Anteil von etwa
18% (4,5).

ITB als Qualitätssicherungssystem


QSS definieren Standards mittels objektiver Prüfkriterien und stellen Werkzeuge zur Verfügung,
mit denen periodisch zu erledigende Aufzeichnungen, Prüfungen und Analysen in standardisierter
Form durchgeführt werden können. Es werden horizontale QSS wie z.B. „QM-Milch“, das „VHC-
System“ oder das QRM-System, die sich auf eine Produktions- oder Vermarktungsstufe beziehen
und vertikale QSS (z.B. „Qualität und Sicherheit“ [QS], „Geprüfte Qualität“ [GQ]), die nicht nur die
Ebene der Urproduktion, sondern alle Ebenen des Herstellungs- und Vermarktungsprozesses vom
Vorprodukt (z.B. Futtermittel) bis zur Ladentheke erfassen, unterschieden (3,6).
Hinweise für die praktische Umsetzung der ITB als QSS finden sich verschiedentlich in der
Literatur (3,6,7 u.a.). Dabei handelt es sich zum Teil um HACCP-basierte Konzepte, deren
Grundlage eine umfassende betriebsspezifische „Stärken- und Schwächen-Analyse“ bildet. Im
Konzept des “Veterinary Herd Controlling-System” (VHC-System) wird der Produktionsprozess in
„Kontrollbereiche“ gegliedert und diese mit sogenannten „Kontrollpunkten“ belegt (3). Die Festlegung
eines Kontrollpunkts beinhaltet Art und Häufigkeit der Durchführung einer Kontrollmaßnahme. Den
Kontrollpunkten sind Prüfkriterien (sog. „Indikatoren“) zugeordnet. Diese dienen dazu, einen Zustand
zu quantifizieren. Sie ermöglichen die quantitative oder semiquantitative Beschreibung von
Ausgangssituationen (Status quo) sowie die Definition von Zielen und müssen sich in festgelegten
Grenzen bewegen. Bei der Umsetzung des VHC-Systems werden der jeweilige Kontrollbereich, z. B.
„Herdenfruchtbarkeit“ und die Hauptfaktoren des jeweiligen Kontrollbereichs wie Haltung, Fütterung,
Management und Abstammung, berücksichtigt.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 53


Wiederkäuer
QSS in landwirtschaftlichen Tierproduktionen müssen in erster Linie auf von den Tieren
stammenden Indikatoren (Leistungs- und Gesundheitsdaten inkl. Verhaltensmerkmale) basieren. Die
tiermedizinische Wissenschaft liefert die Grundlagen für die Entwicklung geeigneter
Indikatorsysteme, die Interpretation von Soll-Ist-Abweichungen und das Festlegen geeigneter
Korrekturmaßnahmen.
Es ist prinzipiell davon auszugehen, dass die negativen Auswirkungen von Mängeln im
Herdenmanagement durch eine kontrollierte Qualitätssicherung und dadurch bedingte Optimierung
vermieden oder, erforderlichenfalls, rückgängig gemacht werden können, dass also letztlich mittels
QSS steuernd eingegriffen werden kann. Daher wird es in Zukunft vermehrt darum gehen,
Risikofaktoren für die Entstehung von Krankheiten zu kontrollieren.

Leitlinien zur Orientierung


Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. hat im Jahr 2009 Leitlinien für die Tierärztliche
Bestandsbetreuung veröffentlicht (8). Diese schreiben sowohl allgemeine Anforderungen an die
Durchführung der Tierärztlichen Bestandsbetreuung als auch an die betreuten landwirtschaftlichen
Betriebe fest. Darüber hinaus zeigen sie Minimalanforderungen und Möglichkeiten der praktischen
Umsetzung der Tierärztlichen Bestandsbetreuung auf. Die Leitlinien setzen Standards und können
zur Beurteilung anderer, von den Vorgaben abweichender Vorgehensweisen herangezogen werden.
Sie dienen vor allem der Orientierung von Angehörigen des tierärztlichen Berufsstands, die die
Bestandsbetreuung durchführen, für landwirtschaftliche Betriebsleiter, die diese in Anspruch
nehmen, für Berufsverbände, Behörden und andere Interessierte. Die Leitlinien stellen daher nicht
zuletzt ein bedeutendes Kommunikationswerkzeug dar. Auch die sehr deutliche Klarstellung dessen,
was gemeint ist, wenn von Bestandsbetreuung gesprochen wird, ist eine Herausforderung. Die
Leitlinien sind damit ein wichtiges Werkzeug für die Inanspruchnahme der Rolle des
„Qualitätssicherers in der landwirtschaftlichen Produktion“ durch den Tierärztlichen Berufsstand.
Diese stellt nach Ansicht der Autoren die größte Herausforderung der nächsten Jahre dar.

Literaturverzeichnis
1. Fleischer P, Metzner M, Beyerbach M, Hoedemaker M, Klee W. The relationship between milk yield and
the incidence of some diseases in dairy cows. J Dairy Sci. 2001;84:2025-35.
2. Pflug W, Mansfeld R. Cross Compliance – Verpflichtung, auch für den Tierarzt.Prakt. Tierarzt.
2009;90:450-9.
3. Mansfeld R., Hoedemaker M, De Kruif A: Einführung in die Bestandsbetreuung. In: De Kruif A, Mansfeld
R, Hoedemaker M, Herausgeber. Tierärztliche Bestandsbetreuung beim Milchrind. 2. Aufl. Stuttgart: Enke-
Verlag; 2007. S. 1-10.
4. Eubisch S. Statistische Auswertung von Ergebnissen einer Fragebogenaktion unter der Tierärzteschaft
zum aktuellen Stand, zu Tendenzen und grundlegenden Problemen der „Integrierten Tierärztlichen
Bestandsbetreuung (ITB)“ in Milchkuhbetrieben [Dissertation]. Hannover: Tierärztliche Hochschule; 1994.
5. Krinn C. Bedeutung und Entwicklung der Integrierten Tierärztlichen Bestandsbetreuung (ITB) in der
Rinderpraxis – Statistische Auswertung einer schriftlichen Befragung der Tierärzteschaft der
Bundesrepublik Deutschland [Dissertation]. München: Tierärztl. Fakultät, LMU; 2004.
6. Noordhuizen J P T M, Cannas da Silva J, Boersema J S C, Vieira A. Applying HACCP-based Quality Risk
Management on dairy Farms. Wageningen: Wageningen Academic Publishers; 2008.
7. Noordhuizen J P. Assessing dairy cattle health worldwide. Proceedings des 24. Welt-Buiatrik-Kongresses;
15.-19.10.2006; Nizza. S. 472-83.

54 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
8. Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. Leitlinien für die Durchführung der Tierärztlichen
Bestandsbetreuung. IT-Publikation. 2009; http://www.tieraerzteverband.de/cgi-
local/wPermission.cgi?file=/wDeutsch/fokus/leitlinien_bestandsbetreuung.shtml?navid=13

Kontaktadresse
Prof. Dr. Rolf Mansfeld, Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung,
Oberschleißheim, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 55


Wiederkäuer

Optimale Phosphor- und Calciumversorgung bei Milchkühen


Eva Haese, Markus Rodehutscord
Institut für Tierernährung, Universität Hohenheim

Die Optimierung der Versorgung der Nutztiere mit Phosphor (P) unterliegt mehreren
Restriktionen. Die Deckung des Bedarfes der Tiere zur Aufrechterhaltung von Gesundheit und
Leistung ist das vorrangige Ziel. Unnötig hohe Ergänzungen mit mineralischen P-Quellen sind
allerdings ein erheblicher Kostenfaktor für den landwirtschaftlichen Betrieb. Zudem können sie zu
negativen Effekten für die Umwelt führen. Überschüssig verabreichter P wird vom Tier wieder
ausgeschieden, wobei die Ausscheidung linear mit der P-Aufnahme ansteigt (1). Die Ausscheidung
erfolgt überwiegend als anorganischer P in wasserlöslicher Form, diese ist für den Eintrag in
Oberflächengewässer als besonders problematisch anzusehen (2-5). Ein sparsamer Umgang mit
Phosphaten ist auch wegen der Begrenzungen der globalen Lagerstätten für Rohphosphate
geboten, aus denen der P-Kreislauf gespeist wird (6,7).
Mit der vor einigen Jahren vorgenommenen Anpassung der Versorgungsempfehlungen für
Milchkühe hat die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) dieser Vielfalt der
Rahmenbedingungen Rechnung getragen (8). Die Versorgungsemfehlungen wurden, orientiert an
Leistung und Futteraufnahme, faktoriell abgeleitet. Die angenommene Verwertung beträgt 70 %,
unabhängig von der Herkunft des P. Für die Milchkuhfütterung bedeutet dies, dass die notwendige
P-Konzentration in der Ration mit zunehmender Milchleistung ansteigen muss, und zwar von etwa
2,6 g/kg TS bei 10 kg Milch/Tag auf 4,0 g/kg TS bei 40 kg Milch/Tag (Abb. 1).

Abb. 1: Notwendige Gehalte an


Phosphor (P) in Rationen für
Milchkühe mit einer dem Bedarf
entsprechenden (links) oder einer
um ca. 10 % geringeren
Futteraufnahme (rechts),
basierend auf den Empfehlungen
der GFE (8)

Häufig werden diese Gehalte in den Rationen auch ohne Zulage mineralischer P-Quellen
überschritten, da die als Proteinträger eingesetzten Ölschrote viel P enthalten. Dennoch gibt es
Situationen, in denen Landwirten der zusätzliche Einsatz mineralischer P-Quellen empfohlen wird.
Nicht selten wird dieser Empfehlung gefolgt. Argumentiert wird dabei häufig mit der Fruchtbarkeit, bei
der ein negativer Einfluss einer zu geringen P-Versorgung nicht auszuschließen sei. Diese
Hypothese wurde bereits von der GfE im Vorfeld der Einführung der neuen Empfehlungen geprüft
und verneint und konnte seither experimentell auch nicht bestätigt werden (9). In diesem Beitrag soll
daher erneut und unter Einbeziehung neuer Versuchsdaten eine Einschätzung zur notwendigen
Versorgung vorgenommen werden.

56 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Auswirkungen des P-Gehaltes auf die Leistungsparameter
Es liegen viele wissenschaftliche Studien neueren Datums aus unterschiedlichen Ländern vor.
Eine Befragung in 5 Bundesstaaten der USA ergab, dass die P-Konzentrationen in den Rationen im
Bereich von 3,6 bis 7,0 g/kg TS lagen, wobei ein höherer P-Gehalt in der Ration nicht zu höheren
Milchleistungen der Tiere geführt hat (3).
Odongo et al. fütterten über 2 Laktationen eine Ration ohne (3,4 g/kg TS) oder mit Zusatz von
mineralischem P (4,2 g/kg TS) (10). Milchmenge und -inhaltsstoffe waren ebenso unbeeinflusst wie
der P-Gehalt der Milch oder die Zellzahlen. Körpermasse und BCS waren bei niedriger P-Versorgung
bei den Jungkühen allerdings geringer. Die Autoren halten einen P-Gehalt von 3,4 g/kg TS
grundsätzlich für ausreichend. Für Jungkühe, die sich noch im Wachstum befinden und P retinieren,
erscheint ihnen aber eine P-Supplementierung in der Frühlaktation sinnvoll.
Bei Wu et al. führte die Reduzierung des P-Gehaltes in der Ration von 4,4 auf 3,2 g/kg TS bei
einem Leistungsniveau von 43 kg Milch/Tag zwar nicht zu signifikanten Unterschieden in der
Milchleistung, der Milchfettgehalt und die Futteraufnahme waren allerdings vermindert (1). Mit
3,2 g P/kg TS scheint die Mindestversorgung bei hoher Milchleistung somit unterschritten.
In einem über 4 Jahre angelegten Versuch wurden Rationen mit reduziertem (3,6 g/kg TS) und
hohem P-Gehalt (4,9 g/kg TS im Winter; 4,6 g/kg TS im Sommer) eingesetzt (11). Futteraufnahme,
Milchleistung und -inhaltsstoffe waren nicht beeinflusst. Die P-Konzentration im Plasma war bei den
Tieren mit reduzierter P-Versorgung erwartungsgemäß geringer. In der 3. und 4. Laktation waren bei
reduzierter P-Versorgung BCS und Körpermasse tendenziell niedriger. Rationen mit einem P-Gehalt
von 3,4 bis 3,9 g/kg TS können nach Meinung der Autoren bei einer Milchleistung von 8000 bis
9000 L pro Laktation ohne negative Auswirkungen über mehrere Laktationen hinweg eingesetzt
werden (11).

Auswirkungen des P-Gehaltes auf die Fruchtbarkeit


In dem zuvor erläuterten Versuch wurden außerdem Kriterien der Fruchtbarkeit untersucht
(Progesterongehalt der Milch, Gelbkörperaktivität, Brunst, Anzahl Besamungen, etc.) (12). Keines
der untersuchten Merkmale war von der P-Versorgung beeinflusst.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie, die über einen Zeitraum von 2 Jahren mit Rationen
arbeitete, die 3,8 bzw. 4,8 g P/kg TS enthielten (13). Verschiedene Blutindikatoren der Fruchtbarkeit
sowie die radiotelemetrisch erfasste Anzahl der Aufsprünge während der Brunst waren unbeeinflusst
(9). In der Gesamtschau der Ergebnisse ihres Untersuchungskomplexes erachtet diese
Autorengruppe eine P-Konzentration von 3,8 bis 4 g/kg TS bei einer Milchleistung von ca. 11 400 kg
in 308 Tagen als ausreichend.
Gestützt wird dies durch die Beobachtung, dass es bei Rationen mit 3,5 oder 4,7 g P/kg TS nicht
zu Unterschieden in der mittels Ultraschall erfassten Aktivität der Eierstöcke (10. bis 60. Tag p.p.),
der Progesteronkonzentration im Blut sowie der Fortpflanzungsleistung kam (14).

Auswirkungen des P-Gehaltes auf die Knochensubstanz


Einige Untersuchungen widmeten sich den Auswirkungen auf die Knochensubstanz. Bei Einsatz
von Rationen mit 3,1, 3,9 und 4,7 g P/kg TS über einen Zeitraum von mindestens einer Laktation war
der P-Gehalt des Rippenknochens nach Fütterung der Ration mit 3,1 g P/kg TS über einen Zeitraum
von 2-3 Laktationen tendenziell geringer, was aber die Stärke des Knochens nicht beeinträchtigte
(15). Ein P-Gehalt von 3,1 g/kg TS wurde hier bei Milchleistungen, die über 11 900 kg in 308 Tagen
liegen, als grenzwertig niedrig angesehen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 57


Wiederkäuer
Der Einsatz von Rationen mit 3,2 und 4,3 g P/kg TS über den Zeitraum einer Laktation
(einschließlich Trockenstehzeit) führte, beurteilt anhand der Konzentrationen von Osteocalcin (OC)
und CTx im Blut, nicht zu signifikanten Unterschieden im Knochenstoffwechsel (16). In der
Frühlaktation kam es zu einer Mobilisierung aus den Knochen, die die Tiere beider Gruppen
gleichermaßen betraf.

Tabelle 1: Übersicht über Untersuchungen zu Auswirkungen des P- und Ca-Gehaltes der Ration bei
Milchkühen
Autor P Ca Untersuchte Parameter
g/kg TS Kein Unterschied (P>0,5) Unterschied (P<0,5)
Odongo Milchmenge und -inhaltsstoffe, P-
3,5 vs. 4,2 7,9 Körpermasse, BCS ↓
(10) Gehalt der Milch, Zellzahlen
Milchfettgehalt,
Wu (1) 3,2 vs. 4,4 k. A. Milchleistung Futteraufnahme, P-
Ausscheidung ↓
3,6 vs. 4,6 Futteraufnahme, Milchleistung und
Ferris (11) k. A. P-Konzentration Blut ↓
bzw. 4,9 -inhaltsstoffe
Progesterongehalt Milch,
3,6 vs. 4,6
Ferris (12) k. A. Gelbkörperaktivität, P-Ausscheidung ↓
bzw. 4,9
Fruchtbarkeitsparameter
Milchleistung,
Wu (13) 3,8 vs. 4,8 k. A.
Fruchtbarkeitsparameter
Milchleistung, Aktivität der
Eierstöcke,
Tallam (14) 3,5 vs. 4,7 k. A. P-Ausscheidung ↓
Progesteronkonzentration Blut,
Fortpflanzungsleistung
3,1 vs. 3,9 Bei 3,1 g/kg P-Gehalt
Wu (15) k. A. Knochenstärke (Rippe)
vs. 4,7 Rippenknochen ↓
Ekelund Parameter des
3,2 vs. 4,3 6,4
(16) Knochenstoffwechsels
DPD Harn, OC- (a.p.), Ca-, P-, Mg-
Kamiya (18) 2,9 4,6 vs. 8,6 OC–Konzentration Blut (p.p.) ↓
, PTH-Konzentration Blut
Kronqvist 4,9 vs. 9,3 Bei 13,6 g/kg Mg-Konzentration
k. A. Ca-, CTx-, PTH-Konzentration
(19) vs. 13,6 Blut ↓
2,1 vs. 3,1 Milchmenge und -
Peterson vs. 4,4 zusammensetzung, OC-, Bei 4,4 g/kg Ca-Konzentration
7,8 – 8,0
(20) a.p., 4,0 Hydroxyprolin-, Deoxypyridinolin-, Blut ↓
p.p. PTH-Konzentration Blut
Futteraufnahme, Milchleistung,
Moreira 4,6 vs. PYR-Konzentration Blut
3,8 vs. 4,7 Körpermasse, BCS, OC-
(21) 6,4 (Ca ↓, PYR ↑)
Konzentration Blut

58 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Auswirkungen des Ca-Gehaltes und Wechselwirkungen
Die Transitperiode stellt für Milchkühe eine besondere physiologische Herausforderung dar,
weshalb Stoffwechselerkrankungen in den ersten beiden Laktationswochen gehäuft auftreten (17).
Als Fütterungsstrategie zur Vorbeugung gegen Milchfieber wird daher empfohlen, die Calcium-
Aufnahme vor der Geburt abzusenken, um die Mobilisierung von Ca aus den Knochen anzuregen
und die Absorption nach der Kalbung zu erhöhen (18). Hier wurden die Auswirkungen
unterschiedlicher Ca-Gehalte (4,6 g/kg TS vs. 8,6 g/kg TS) innerhalb des Zeitraumes 3 Wochen a.p.
bis 3 Tage p.p. bei erst- und mehrfachkalbenden Kühen untersucht. Der Ca-Gehalt der Ration hatte
keinen Einfluss auf die Futteraufnahme sowie die Konzentrationen von Ca, P, Mg und Parathormon
(PTH) im Blut. Indikatoren des Knochenstoffwechsels (OC im Blut, Deoxypyridinolin (DPD) im Harn)
unterschieden sich ante partum nicht zwischen den Rationen. Post partum lag der OC-Gehalt der
Tiere mit niedriger Ca-Versorgung unterhalb der Werte vor der Kalbung. Für den Gehalt an DPD im
Harn ergaben sich keine Unterschiede. Möglicherweise wird Ca und P in den ersten 3 Tagen nach
der Geburt noch nicht in größerem Umfang mobilisiert. Die Konzentrationen der Ionen im Plasma
sowie die Indikatoren des Knochenstoffwechsels lagen bei den erstkalbenden Tieren über denen der
Mehrfachkalbenden, was darauf schließen lässt, dass jüngere Tiere Ca in größerem Umfang
mobilisieren können als ältere.
Ziel einer anderen Studie war es, die Auswirkungen unterschiedlicher Ca-Gehalte (4,9, 9,3 und
13,6 g/kg TS) auf die Ca- und Mg-Homöostase in der peripartalen Phase (15-32 d a.p. bis 7 d p.p.)
zu erfassen (19). Die Ca-Konzentration von 13,6 g/kg führte zu niedrigeren Mg-Gehalten im Plasma
p.p. Die Blutkonzentrationen von Ca, PTH und CTx hingegen blieben unbeeinflusst. Dies legt den
Schluss nahe, dass eine Restriktion des Ca-Gehaltes auf 4,9 g/kg TS nicht ausreichend war, um den
Ca-Status zum Zeitpunkt der Geburt zu beeinflussen.
Peterson et al. variierten den P-Gehalt in der Ration in der Trockenstehzeit (2,1, 3,1 und 4,4 g/kg
TS; 4 g/kg TS einheitlich p.p.) (20). Ein Einfluss auf Parameter des Knochenstoffwechsels wurde
nicht beobachtet. Milchmenge und -zusammensetzung (28 Tage p.p.) blieben von der P-
Konzentration ebenfalls unbeeinflusst. Der Ca-Gehalt im Blut lag bei den Tieren mit dem höchsten P-
Gehalt in der Ration vor der Kalbung bis 2 d p.p. unter den Werten der übrigen Tiere. Dies könnte bei
Tieren, die als prädisponiert für eine Hypocalcämie gelten, von Bedeutung sein.
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte eine Studie, in der die Auswirkungen unterschiedlicher Ca-
(4,6 und 6,4 g/kg TS) und P-Gehalte der Ration (3,8 und 4,7 g/kg TS), gefüttert ab dem 3. Tag p.p.,
auf Milchleistung und Parameter des Knochenstoffwechsels ermittelt wurden (21). Unbeeinflusst
blieben neben Futteraufnahme, Milchleistung, Körpergewicht und BCS die Konzentrationen von OC
im Blut. Die Pyridinolin(PYR)-Konzentration dagegen wurde vom Ca-Gehalt der Ration beeinflusst.
Offensichtlich erfolgte bei geringerem Ca-Gehalt in der Ration eine höhere Mobilisierung aus den
Knochen. Bei hohem P-Gehalt der Ration deutete sich eine tendenzielle Interaktion zwischen Ca und
P hinsichtlich der PYR-Konzentration an (Rückgang der PYR-Konzentration im Zeitverlauf
verlangsamt). Die höchste PYR-Konzentration ergab sich bei der Ration mit geringem Gehalt an Ca
(4,6 g/kg TS) und hohem Gehalt an P (4,7 g/kg TS). Nach Meinung der Autoren erscheint es sinnvoll,
den P-Gehalt in der Anfangslaktation niedrig zu halten, da dies eine effizientere Ausnutzung des Ca
aus dem Futter ermöglicht (21).

Schlussfolgerung
Eine Versorgung von Milchkühen gemäß den Empfehlungen der GfE ist auch bei sehr hoher
Milchleistung ausreichend. Neuere Untersuchungen bestätigen, dass Fruchtbarkeit und

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 59


Wiederkäuer
Knochenstoffwechsel auch ohne Zuschläge zu den Empfehlungen gesichert sind. Für sehr viele
praktische Betriebe bedeutet dies, dass eine Ergänzung von P über das Mineralfutter gänzlich
unnötig ist. Lediglich in Rationen mit sehr hohen Anteilen von Mais- oder Zuckerrübennachprodukten
kann eine Ergänzung erforderlich werden.

Literaturverzeichnis
1. Wu Z. Utilization of phosphorus in lactating cows fed varying amounts of phosphorus and sources of fiber.
J Dairy Sci 2005;88(8):2850-9.
2. Dou Z, Knowlton KF, Kohn RA, Wu Z, Satter LD, Zhang G, et al. Phosphorus characteristics of dairy feces
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Markus Rodehutscord, Institut für Tierernährung, Universität Hohenheim, Stuttgart,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 61


Wiederkäuer

Hypophosphatämie als Ursache für Festliegen?


Walter Grünberg
Departement of Farm Animal Health, Utrecht University, Utrecht (Niederlande)

Das Festliegen des peripartalen Rindes ist eine 1793 erstmals beschriebene Erkrankung, dessen
Ätiologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts geklärt wurde (1,2). Es war bereits früh bekannt, dass bei
Rindern mit Gebärparese neben der Konzentration von Kalzium häufig auch der Phosphatgehalt im
Serum deutlich niedriger ist (3,4). Das in der Regel erfolgreiche Behandlungskonzept beschränkte
sich zu Beginn jedoch auf die parenterale Gabe von Kalziumlösungen (4,5). Zu Beginn der 70er
Jahre wurde in der Literatur von einer von der klassischen Gebärparese abweichenden Form des
peripartalen Festliegens bei Milchrindern berichtet, dort bezeichnet als atypische Gebärparese (6).
Im Gegensatz zum klassischen Milchfieber zeichnet sie sich vor allem durch das ungetrübte
Sensorium betroffener Tiere sowie durch den schlechten Behandlungserfolg mit Kalziuminfusion aus.
Die atypische Gebärparese wurde empirisch mit Hypophosphatämie in Zusammenhang gebracht, da
bei betroffenen Tieren die Hypophosphatämie deutlich ausgeprägter war als die Hypokalzämie (6).
Darüber hinaus wurde wiederholt von schlechteren Heilungsraten bzw. erhöhtem Rezidivrisiko bei
Tieren mit atypischer Gebärparese berichtet (7,8). In einer retrospektiven Studie, welche Kalzium-
und Phosphatkonzentrationen von peripartal festliegenden Rindern Ende der 70er und Mitte der 90er
Jahre verglich, wurden in den 90er Jahren deutlich niedrigere Phosphatkonzentrationen im Serum
gemessen als in den 70er Jahren, während in beiden Zeiträumen die Kalziumwerte bei festliegenden
Kühen ähnlich niedrig waren (8). Unberücksichtigt blieb jedoch, dass zur gleichen Zeit die Reduktion
der Phosphatbelastung landwirtschaftlicher Nutzflächen vorangetrieben wurde, wodurch der
Phosphatgehalt in den Böden zurückgegangen sein dürfte. In der Literatur wird der positive
Zusammenhang zwischen Bodenphosphatgehalt und Serum-Phosphatwerten von Rindern, die auf
diesen Böden gehalten bzw. von diesen Böden ernährt werden, bestätigt (9). Oben genannte
Beobachtung dürfte kaum dafür geeignet sein, einen kausalen Zusammenhang zwischen
erniedrigten Serumphosphatgehalten und dem Auftreten der atypischen Gebärparese zu
untermauern, da die Entwicklung der Serumphosphatwerte bei gesunden peripartalen Kühen im
gleichen Zeitraum nicht bekannt ist.
Der Mechanismus, durch welchen Hypophosphatämie bzw. Phosphatdepletion des Organismus
die Muskelaktivität derart beeinflusst, dass es zum Festliegen kommt, ist nicht sicher bekannt. In der
humanmedizinischen Literatur wird von einem durch Hypophosphatämie induziertem
neuromuskulärem Syndrom berichtet. Dieses zeichnet sich nicht nur durch verminderte
Muskelkontraktilität sondern auch durch neurologische Ausfallserscheinungen aus. Durch
parenterale Gabe von Phosphatlösungen kann das Syndrom erfolgreich behandelt werden (10).
Akute Hypophosphatämie, wie sie z.B. bei Dauertropfglukoseinfusion oder Überdosierung von Insulin
beobachtet wird, kann beim Menschen zu verminderter Herzausfwurfleistung bis hin zum Tod durch
Herz- oder Atemstillstand führen (10-12). Ähnliches wird auch beim Refeeding Syndrom des
Menschen beobachtet. Hierbei handelt es sich um ein nach dem 2. Weltkrieg erstmals
beschriebenes Syndrom, welches bei kachektischen Patienten, die oral oder parenteral mit
Kohlenhydraten behandelt wurden, zu einer akuten Verschlechterung des Allgemeinbefindens und
vielfach auch zum Tod durch Herzversagen oder Atemstillstand führte (13,14). Die Inzidenzrate

62 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
dieser Komplikationen konnte durch zeitgleiche orale oder parenterale Phosphatgaben deutlich
gesenkt werden.
Beim Rind wurde wiederholt versucht, experimentell durch Fütterung phosphatarmer Rationen,
Hypophosphatämie zu induzieren. Dies führte aber nie zu offensichtlicher Muskelschwäche oder gar
Festliegen (15). Es ist jedoch wahrscheinlich, dass für die Entstehung des Festliegens neben dem
Ausmaß der Hypophosphatämie auch die Geschwindigkeit, mit welcher Hypophosphatämie entsteht,
von Bedeutung ist. Verminderung der oralen Phosphataufnahme führt zu einer relativ langsam und
kontinuierlich auftretenden Phosphatdepletion, welche den Regulationsmechanismen der
Phosphathomöostase mehr Reaktionszeit einräumt. Im Gegensatz dazu sind die akuten
Phosphatverluste über das Euter wesentlich besser dazu geeignet, die Regelkreise der
Phosphathomöostase zumindest in der Übergangszeit vom Trockenstehen zur Laktation zu
überprüfen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit das Modell der oralen Phosphatunterversorgung
dazu geeignet ist, die Effekte der akuten Phosphatverluste zu Beginn der Laktation zu simulieren.
Akute Hypophosphatämie beim Rind kann wie auch bei anderen Spezies durch parenterale
Glukose- und Insulingaben ausgelöst werden. Dadurch ist es möglich, binnen kürzester Zeit die
Serumphosphatkonzentration um 30 – 50% zu senken (16,17). Da es hierbei jedoch nur zu einer
Verschiebung von Phosphat in den Intrazellulärraum, jedoch nicht wie zu Beginn der Laktation zur
Phosphatdepletion kommt, dürfte dieses Modell ebenfalls kaum geeignet sein, die Wirkung von
Phosphatdepletion auf die Muskelaktivität zu studieren. Bei peripartalen Rindern wurde aber nach
Sturzinfusion und mehrtägiger hoch dosierter Dauertropfinfusion von Glukoselösungen zwar eine
ausgeprägte Hypophosphatämie, in keinem Fall jedoch Schwäche oder gar Festliegen beobachtet
(16,17).
Mit den Berichten über eine neue, mit Phosphatmangel assoziierte Form des peripartalen
Festliegens, wurde die parenterale Therapie der Hypophosphatämie in der Buiatrik populär. Die
schlechte Wasserlöslichkeit von Phosphatsalzen sowie das Risiko von
Kalziumphosphatkristallbildung, wenn Phosphat- gemeinsam mit Kalziumlösungen intravenös
verabreicht wurde, erschwerte allerdings die Behandlung dieser neuen Form des Festliegens. Um
diese Schwierigkeit zu umgehen, wurde in der Folge auf Phosphite oder organische
Phosphorverbindungen wie z.B. Toldimfos oder Butaphosphan zurückgegriffen, welche nicht nur
besser löslich sind, sondern auch komplikationslos mit Kalziumlösungen gemischt werden können.
Bisher konnte die Wirksamkeit dieser organischen Phosphorverbindung zur parenteralen
Phosphatsubstitution in klinischen Studien jedoch nicht bestätigt werden. Weder kommt es nach
parenteraler Gabe von Phosphitlösungen oder organischen Phosphorlösungen ohne gleichzeitige
Kalziumgaben zu einem messbaren Anstieg der Phosphatkonzentration in Serum oder Plasma, noch
gibt es einen bekannten Verstoffwechslungsmechanismus, durch welchen Phosphat aus diesen
Phosphorverbindungen für den Organismus verfügbar gemacht würde (18,19). Phosphite und
organische Phosphatverbindungen müssen nach dem gegenwärtigen Wissensstand als ungeeignet
zur Phosphatsubstitution betrachtet werden (18,19). Jedoch selbst die in der Literatur empfohlene
Sturzinfusion von Phosphatsalzlösungen führt vielfach nicht zum gewünschten Behandlungserfolg
(18,19).
Aufgrund all dieser Betrachtungen wird die Rolle von Phosphat im Gebärparesekomplex des
Milchrindes häufig infrage gestellt. Da derzeit allerdings kein geeignetes Modell zum Auslösen einer
akuten Phosphatdepletion verfügbar ist, kann ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Festliegen
des peripartalen Rindes und der häufig zeitgleich vorliegenden Phosphatdepletion nach wie vor nicht
mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 63


Wiederkäuer
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Kontaktadresse
Dr. Walter Grünberg, MS, PhD, Dept. Farm Animal Health, Universiteit Utrecht, Niederlande,
[email protected]

64 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Gibt es Fortschritte bei der Früherkennung und Therapie von


Festliegern?

Manfred Fürll
Medizinische Tierklinik, Leipzig

1. Vorkommen und Ursachen der Gebärparese (GP)


Die GP-Morbidität beträgt 2 bis 5%, kann aber wesentlich höher sein. GP kommt bevorzugt bei
älteren Kühen vor und variiert je nach Fütterung und andere prädisponierende Faktoren. Die
Hauptursache für GP ist die ungenügende Ca-Mobilisierung bei Laktationsbeginn. Prädisponierende
Faktoren dafür sind:
1. hohe Ca-Versorgung in der Trockenstehperiode (DP): >80 g/Tag
2. hohe Kationen-Anionen-Differenz (DCAD) im Futter ante partum (a.p.) (optimal: - 100 bis - 150
meq/kg TS)
3. Mastkondition a.p.: BCS > 4,0; RFD >30mm
4. hohe Milcheinsatz- und Milchfettleistung,
5. höheres Alter (>3. Laktation) sowie vorangegangene Erkrankung an GP

Tabelle 1: Hormonelle Reaktion um die Kalbung bei Kühen mit und ohne GP
Fragen Befunde Literatur
↓ Bildung Ca-mobilisie- Parathormon (PTH) + 1,25-(0H)2-D3 höher bei GP 1, 2
render Hormone
↑ Calcitoninproduktion bei GP nicht nachweisbar 3
↓ Rezeptorzahl an den ältere Kühe weniger 4, 5, 6
Zielgeweben: bei Kühen mit GP reduziert
- PTH trächtige weniger als laktierende
- 1,25-(0H)2-D3 alkalotische weniger als azidotische Kühe
↓ Parathormonwirkung bei Alkalose geringer 5

Lange wurde eine fehlende hormonelle Anpassung für die GP verantwortlich gemacht. Tab. 1
zeigt Literaturberichte, die weder eine verstärkte Calcitonin-, noch schwache Parathormonwirkung
nachwiesen. Dagegen spielt die Rezeptoranzahl in den Zielgeweben eine wichtige Rolle: sie ist bei
älteren Kühen, bei trächtigen Kühen sowie bei Kühen mit alkalischer Stoffwechsellage reduziert.

2. Frühdiagnostische Möglichkeiten zur Erkennung einer GP-Prädisposition


Eine zentrale Frage ist die Früherkennung von Kühen, die später an GP erkranken. Dafür
ungeeignet sind Ca, anorganisches Phosphat (Pi), Creatinkinase(CK), Parathormon und Vitamin D3
im Blut.

2.1 Bewertung des Säure-Basen-Haushaltes (SBH)


Die Bedeutung des SBH für die Ca-Mobilisierung wurde oben umrissen. Der Einsatz „Saurer
Salze“ zu GP-Prophylaxe hat sich in den letzten 15 Jahren im Wesentlichen bewährt. Die
labordiagnostische Kontrolle an hochträchtigen Kühen erfolgt hauptsächlich im Harn.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 65


Wiederkäuer
Hörügel (7) prüfte die Beziehungen zwischen Parametern des SBH im Harn a.p. sowie der Ca-
Konzentration im Blut am 1. Tag post partum (p.p.). Die untersuchten Kühe hatten eine DCAD von
281 meq/kg TS und nahmen 42 g/d Ca auf. Bis zum Partus nahmen bei diesen Kühen in den letzten
2 Wochen a.p. die NSBA-, Basen- und K-Konzentrationen im Harn kontinuierlich um ca. 100 mmol/l,
der BSQ von 4,0 auf 2,1 und der pH-Wert von 8,2 auf 7,8 ab, die Säure-, NH4+, Pi- und Ca-
Konzentrationen blieben konstant. Für die GP-Frühdiagnostik wurden regressionsanalytisch folgende
Grenzwerte trächtigkeitsbezogen berechnet:

Parameter 14 d a.p. 7 d a.p.


Harn-Basen-Konzentration < 300 mmol/l < 270 mmol/l
NSBA-Konzentration < 250 mmol/l < 220 mmol/l
BSQ < 4,3
Harn-Kalium-Konzentration < 300 mmol/l < 250 mmol/l
Harn-pH-Wert < 8,4 ≤ 7,8

Die relative Bedeutung der DCAD im Futter belegen Untersuchungen von Siebenaller (8). Sie
untersuchte in 21 Betrieben im Erzgebirge die Futterrationen einschließlich der DCAD sowie Harn-
und Blutproben von 249 Kühen im Zeitraum von 2 Wochen a.p. bis 1 Woche p.p. Die DCAD lag im
Mittel mit 458 meq/kg TS weit über dem Optimum. Eine gesicherte Korrelation zur Festliegeranzahl
bestand aber nicht. Demnach tritt bei hoher DCAD nicht zwangsläufig häufiger GP auf.

Tabelle 2: DCAD im Futter (meq/kg TS) sowie Harnparameter (H; mmol/l) a.p. in 21 Betrieben im
Erzgebirge ohne sowie mit GP 1 Woche (8)
DCAD Ca (H) Na (H) K (H) NSBA (H)
Kontrollgruppe 458 0,56 2 353 186
GP-Gruppe 443 0,62 24 317 168

2.2 Analyse der AP-Aktivität im Blutserum


In einer Studie wurden Stoffwechselparameter während der DP bei 53 späteren Festliegern
sowie bei 53 gesunden SB-Kühen untersucht, um bereits im a.p. anhand von Blut- oder
Harnparametern eine mögliche Prädisposition für GP zu prüfen (9). Zu allen Zeitpunkten a.p. lag die
AP-Aktivität bei den späteren GP-Kühen unter denen der gesunden Kühe (p≤0,05) (Tab. 3). Nach
der ROC-Analyse weisen AP-Aktivitäten im Blut < 45 U/L in den letzten 6 Wochen a.p. mit einer
Sensitivität von 80% auf ein erhöhtes GP-Risiko p.p. hin. Diese Beobachtung wurde in einer weiteren
Untersuchung an 25 späteren Festliegern belegt (10). Die AP-Aktivität korreliert mit der
Knochenaktivität. Das belegen Untersuchungen von Liesegang (11), die eine sinkende Knochen-AP
während der DP nachwies.
Spätere GP-Kühe hatten a.p. auch eine erhöhte Ca-Ausscheidung. Die Parameter BHB,
Glucose, Cholesterol, Bilirubin, GLDH, GGT, ASAT, CK, Harnstoff, Ca, Pi, Na, Mg, K, Fe und pH-
Wert zeigten a.p. keine signifikanten Unterschiede, d.h., es ergaben sich keine Hinweise auf einen
Einfluss des Leberstatus auf die Entstehung der GP.

66 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Tabelle 3: AP-Aktivitäten (U/l) bei Kühen a.p. ohne sowie mit Gebärparese p.p. (a:b = p<0,05)
Wochen a.p. 6 3 2 1
Kontrollgruppe 52,1a 55,3 a 54,6 a 62,5 a
GP-Gruppe 422,2 b 45,6 b 41,5 b 48,3 b

2.3 GP-Risikoanalyse in Fränkischen Milchviehbetrieben


Pichon (12) untersuchte GP-Ursachen bei Milchkühen in Franken in 72 Betrieben an 103
festliegenden Kühen. Sie analysierte das jeweilige Haltungs- und Fütterungsmanagement, die Klinik
sowie Harn- und Blutproben. Folgende Ergebnisse wurden ermittelt:
• Alle Betriebe waren Familienbetriebe mit 11 bis 30 Kühen und einer Milchleistung von 3000 – 6000
kg Milch/ Jahr.
• Es bestanden gleiche Fütterungsmuster bei Festliegern und Kontrollkühen sowie bei
Trockenstehern und Laktierenden mit hohem Alkaliüberschuss.
• Leistungsgerechte Fütterung spielte i.d.R. keine Rolle
• Die trockenstehenden Kühe wurden durchschnittlich zu 90 % mit Ca, 83 % mit Pi, 74 % mit Na und
zu 88 % mit K überversorgt.
Weitere Prophylaxemöglichkeiten, wie saure Salze oder Vitamin-D3-Gaben, kamen nicht zum
Einsatz. Diese Analyse zeigt, dass die Umsetzung bekannten Wissens zur GP-Prophylaxe
lückenhaft ist.

3 Therapie der Gebärparese


Die GP-Therapie ist fest umrissen. Standartbehandlung ist die Ca-Substitution mit einem gut
verträglichen Präparat, z.B. Ca-Gluconium (6-9 g Ca) i. v. oder 1/2 i. v. + 1/2 s. c. oder mit einer
vergleichbaren Ca-Pi-Mg-Lösung. Je nach Kreislauf- sowie Verdauungs- und Stoffwechselsituation
ist die Behandlung zu erweitern. Die Luftinsufflation in das Euter erlebt eine Renaissance.
Pflegerische Maßnahmen sind bei den Kühen unbedingt notwendig; ggflls Aufheben mit der
Hüftklammer.

3.1 Steigerung der Ca-Dosierung bei Festliegern


Jehle (13) untersuchte die Frage, ob eine höhere Ca-Dosierung bei den heute schwereren
Milchkühen bessere Behandlungsergebnisse erbringt. Er applizierte Festliegern 1000 ml Ca-
Borogluconat in Calcamyl® (Ca-Borogluconat + 6% Mg-Hypophosphit mit 31,3 g/l Ca, 5,5 g/l Mg,
14,2 g/l Pi). Bei Sturzinfusion stiegen die Ca- und Pi-Konzentrationen höher als bei
Dauertropfinfusion an, die Wirkungszeit war aber gleich. Der Erstbehandlungserfolg war mit 47 %
nicht besser als bei Applikation von 600 ml Calcamyl® (14). Als Nebenwirkungen beobachtete Jehle
(2004) u.a. Herzarrhythmien, aber ohne ernste Folgen.

3.2 Ergänzung der GP-Standard-Therapie mit Dexamethason


In einer Studie erreichte Pichon (2007) durch Behandlung mit 500 ml Calci Tad N25® per inf.,
100 ml Calci Tad S50® per inj. + 1 Kartusche Phoshor-Energan® oral bei 103 einen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 67


Wiederkäuer
Erstbehandlungserfolg von 81 %. Diese Ergebnisse entsprechen einem guten Durchschnitt. Der
einmalige Einsatz von Dexamethason-21-isonicotinat verbesserte den Therapieerfolg signifikant
(Tab. 4).

Tabelle 4: Erfolg der GP-Therapie nach zusätzlicher, einmaliger Dexamethason-21-isonicotinat-


Injektion bei 50 festliegenden Kühen (a:b = p ≤ 0,05)
Therapie-Erfolg
Festlieger ja nein
n % n %
mit Hypo-Kalzämie 32 94 2 6
ohne Hypo-Kalzämie 19 91 2 9
Mit Hypo-Phosphatämie 31 a 100 a 0a 0a
ohne Hypo-Phosphatämie 20 b 83 b 4b 17 b

Besonders deutlich war die Verbesserung des Therapieerfolges bei gleichzeitig bestehender
Hypophosphatämie. Somit verbessern Glucocorticoide den Erstbehandlungserfolg bei Fest-liegern
nachhaltig. Sie wirken stabilisierend auf den Mineralstoffwechsel, den Energiehaus-halt, die Muskel-
sowie Kreislauffunktionen. Glucocorticoid-Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

3.3 Ergänzende „Festlieger“-Therapie mit NaH2PO4


Zulliger (14) ergänzte die GP-Standard-Therapie mit Calcamyl® an 10 Kühen bei weiteren 20
Kühen durch zusätzliche Gabe von 500 ml einer Phosphatlösung mit 50 g Natrium-Di-
hydrogenphosphat im Sturz bzw. anteilig 300 ml per Dauertropf. In beiden Varianten stieg die Pi-
Konzentration für 2 bis 4 Stunden über den physiologischen Bereich an, sank dann aber wieder unter
den Grenzwert ab. Der Therapieerfolg betrug 50 bis 70 % und unterschied sich zwischen den 3
Gruppen nicht signifikant.
In einer eigenen Studie wurden 30 „Festlieger mit stark gestörtem Allgemeinbefinden“ der MTK
Leipzig, d.h., festliegende Patienten mit starken Entzündungen (Retentio sec., hochgradiger
Endometritis, Mastitis, Enteritis, Peritonitis neben der antiseptikämischen Therapie zusätzlich mit 500
ml Phosphatpuffer (Dinatriumhydrogenphosphat 180,0 g, -Natrium-Di-hy-drogenphosphat 14,0 g,
Wasser zur Injektion ad 1000 ml) behandelt. Die Pi-Konzentrationen normalisierten sich spätestens
nach 48 Stunden; 80 % der Kühe standen wieder auf und wurden geheilt.

4 Fazit
 Auf ein höheres GP-Risiko bei Kühen weisen AP-Aktivitäten < 45 U/l in der DP hin.
 DCAD > 100 meq/kg TS erhöhen das GP-Risiko, haben aber nicht zwangsläufig GP zur Folge.
Im Harn sprechen 2 Wochen a.p. Konzentrationen der NSBA > 250 mmol/l und des Kalium >
300 mmol/l sowie des BSQ > 4,3 und des Harn-pH > 8,4 für eine GP-Gefährdung.
 Ca-, K- und Na-Überversorgung sowie fehlende Gaben saurer Salze oder von Vitamin-D3 bei
Kühen in einer Region zeigen, dass bekanntes Wissen zur Minimierung des GP-Risiko
konsequenter genutzt werden muss.
 Eine Steigerung der Ca-Dosierung > 6-9 g bringt keinen besseren Behandlungserfolg.

68 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

 Dexamethason-Ergänzung zur GP-Standartbehandlung verbessert den Erstbehandlungserfolg


und reduziert GP-Rezidive.
 Zusätzliche NaH2PO4-Gabe zur GP-Standartbehandlung hat keinen Einfluss auf den GP-
Behandlungserfolg, sie verbessert jedoch den Behandlungserfolg bei Festliegern mit schweren
Allgemeinstörungen.

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9. Eckermann, K. Stoffwechseluntersuchungen in der Trockenstehperiode bei gesunden und post partum
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Zürich: Universität Zürich; 2008

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Fürll, Medizinische Tierklinik, Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 69


Wiederkäuer

Langjährige Analyseergebnisse zu Se, Cu und Mn im Rinderblut


Anja Müller, Bernd Freude
Vet Med Labor GmbH, Ludwigsburg

Kupfer (Cu), Selen (Se) und Mangan (Mn) sind essenzielle Spurenelemente und bedeutsam für
Knochenstoffwechsel, Skelettbildung beim Jungtier, Fettstoffwechsel sowie Sexualfunktion. Mangel
bzw. Überversorgung können große Auswirkungen auf die Rinderbestände haben, wie z.B.
Leistungsabfall, allgemeine Schwäche, Muskelabbau und Lecksucht. Bei Cu-Mangel kann es zu
Fellverfärbungen an den Flanken und um die Augen (Kupferbrille) kommen. Wichtig ist das Material,
aus dem die Spurenelemente bestimmt werden. Se soll aus Serum, Cu aus Plasma (Li-Heparin oder
EDTA) und Mn aus Li-Heparin oder EDTA-Vollblut gemessen werden (Abb. 1). Die
Spurenelementanalyse erfolgt mittels ICP-AES (Inductively Coupled Plasma Optical Emission
Spectrometry) und ICP-MS (Inductively Coupled Plasma Mass Spectrometry). Die Se-Daten (25854
Proben) wurden im Zeitraum Januar 2006 bis Juni 2011 erfasst, die Cu- (4820 Proben) und Mn-
Daten (1527 Proben) von Januar 2007 bis Juni 2011.
Bei Cu erfolgt die Analyse aus Plasma (Abb.1), da durch den Gerinnungsprozess die Serum-
Werte fälschlicherweise niedriger sein können. Die Cu-Erniedrigung kann bis zu 80 % betragen. Die
Monatsmittelwerte variieren zwischen 0.75 und 1.2 mg/l, wobei im Jahr 2008 die Cu-Mittelwerte
konstant hoch waren, im Gegensatz zu den Jahren 2007 und 2009 bis 2011. Betrachtet man die Cu-
Mittelwerte pro Quartal hinsichtlich des Referenz-Bereiches 0.63 - 1.35 mg/l, so lagen 70 - 90 % der
Proben im Normbereich (1). Auffällig ist, dass ab 2008 der Anteil der Rinder mit Cu-Überversorgung
merklich anstieg und trotzdem jeweils im ersten Quartal 2008 und 2009 bis zu 27 % der Rinder unter
dem Normbereich lagen. Die Cu-Versorgung besserte sich jeweils im Frühjahr/Sommer/Herbst
wieder. 2010 und 2011 wurde die Cu-Versorgung wieder schlechter und der Anteil der
unterversorgten Rinder stieg auf 10 - 18 %.
Die Se-Analyse erfolgt grundsätzlich aus Serum (Abb.1). Nach Bildung der Mittelwerte für jedes
Quartal lagen die Se-Werte in den Sommermonaten bis zu 36 % unter den Werten der
Winterhalbjahre. In den letzten Jahren war die Selenversorgung sehr schwankend. 2006 zeigten bis
zu 42 % der eingegangen Rinderproben hinsichtlich des Referenzbereiches von 0.050-0.150 mg/L
eine Se-Unterversorgung. 2007 verbesserte sich die Selenversorgung deutlich. Bis zu 83 % der
untersuchten Proben lagen im Normbereich. Die Zufütterung von Se hatte 2008 wieder deutlich
nachgelassen (bis zu 32 % der Rinder unter dem Normbereich < 0.050 mg/L); auch 2009 setzte sich
dieser Trend weiter fort (bis zu über 41 % der Rinderproben waren unterversorgt). 2010 und 2011
wurde die Versorgungslage nicht besser. Eine Erklärung hierfür könnte die Entwicklung des
Milchpreises sein. Zumindest gibt es eine gewisse Übereinstimmung des Trends bis Ende 2010. Ab
2011 stieg der Milchpreis wieder an, aber die Versorgungslage der untersuchten Rinder erreichte im
zweiten Quartal 2011 wieder einen Höhepunkt mit 41.7 % Unterversorgung.
Bei Mn, das aus EDTA-Vollblut zu analysieren ist (Abb.1), gibt es keinen monatlichen, oder
saisonalen Trend. Die Mn-Werte liegen normal zwischen 0.006 bis 0.020 mg/L und können z.T.
größer als 0.100 mg/L und damit sehr hoch sein. Unter Berücksichtigung des laboreigenen Referenz-
Wertes von > 0.006 mg/L liegen die Mittelwerte pro Quartal mit 60-90 % im Referenzbereich.

70 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Abb. 1: Übersicht über die Materialwahl je nach


Element beim Rind

Literaturverzeichnis
1. Heggemann V, Müller AE, Staufenbiel R. Diagnostik der Spurenelementversorgung von Milchkühen. 35.
Leipziger Fortbildungsveranstaltung, Labordiagnostik in der Bestandsbetreuung; 25.06.2010; Leipzig.

Kontaktadresse
Dr. Anja Müller, Vet Med Labor GmbH, Ludwigsburg, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 71


Wiederkäuer

Klinischer Hintergrund von Spurenelementmangel bei Rindern


Carola Wolf
METABOVET Labormedicus GmbH, Rostock

Einleitung
Beim Rind sind Mängel der Spurenelemente Eisen (Fe), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Selen (Se),
Mangan (Mn), Jod (J) und Kobalt (Co) theoretisch möglich und in Abhängigkeit von Tieralter,
Leistungsetappe und Haltungsform/Fütterung ggf. auch von klinischer Bedeutung. Ursächlich sind
bei der Futtermittelgewinnung bzw. Weidehaltung standortspezifische Gegebenheiten wie geringe
Gehalte an entsprechenden Elementen, spezielle Pflanzenarten, erhöhte Gehalte an
Spurenelementantagonisten oder z. B. extreme Boden-pH-Bedingungen zu berücksichtigen.
Praktisch ist Spurenelementmangel insofern in erster Linie in der Extensiv- und Mutterkuhhaltung
ohne entsprechende Mineralstoff-Substitution sowie bei Kälbern mit reiner Kuhmilch-Tränke relevant.
Intensiv gefütterte Milchkühe und Mastrinder sowie Kälber mit Milchaustauscher (MAT)-Tränke sind
i. d. R. gut mit Spurenelementen versorgt, wobei es jedoch immer wieder Ausnahmen gibt.

Spurenelementversorgung bei Extensiv-/Weidehaltung


Zn- und Mn-Versorgung sind bei Weidefütterung meist besser als bei Konservatfütterung im Stall,
wenngleich auf alkalischen Böden die Mn-, Zn, Cu- und Co-Aufnahme über die Pflanzen vermindert
sein kann, die Se-Verfügbarkeit hingegen steigt (1). Auch die Fe-Versorgung ist bei Weidehaltung
insbesondere durch die Möglichkeit der Aufnahme von Erde meist sehr gut. Niedermoorstandorte
sind häufig prädisponierend für Cu-Mangel (2), nicht zuletzt durch Cu-Antagonisten wie Molybdän
(Mo) und Schwefel (S) in Form von Thiomolybdaten, sowie durch hohe Fe-Gehalte im Futter und im
Tränkwasser. Sandböden, saure Böden und speziell küstennahe Regionen sind Standorte, auf
welchen mit Se-Mangel zu rechnen ist, hingegen ist in Meeresnähe die J-Versorgung meist besser
als z. B. in Gebirgsregionen. Aus diesen einfachen Grundregeln lässt sich ableiten, dass in der
Extensiv- und Mutterkuh-Haltung ohne Spurenelement-Substitution häufig mit Cu-, Se- und ggf. Co-
Mangel zu rechnen ist (3), seltener jedoch mit Fe-, Zn- und Mn-Mangel.

Spurenelementversorgung in der Intensiv-Fütterung von Milchkühen und Mastrindern


Intensiv gefütterte und mit Mineralstoffen, sprich Mengen- und Spurenelementen-substituierte
Rinder erhalten i. d. R. Spurenelemente wie Cu, Fe, Mn, Zn, Se, J und Co über das Mineralfutter,
wenngleich die Rationen nicht in jedem Fall einer Substitution mit z. B. Fe bedürften. Insofern sind
primäre Spurenelementmängel bei diesen Tierhaltungen eher die Ausnahme, es können jedoch
Verwertungsstörungen auftreten. Exemplarisch seien hier sekundärer Cu-Mangel bei Thiomolybdat-
Überschuss (4), sekundärer Mn-Mangel bei Fe-Überschuss, sekundärer Zn-Mangel bei Ca-
Überschuss sowie der Antagonismus zwischen Se und Schwefel (S) genannt. Auch hat die
eingesetzte Verbindung des jeweiligen Spurenelements Einfluss auf die Verfügbarkeit für das Tier,
z. B. ist Cu-Oxid schlechter verwertbar als Cu-Sulfat oder gar organisch gebundenes Cu (5).

72 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Klinische Symptome bei Spurenelementmangel
Allgemeine Symptome für Mineralstoffmangel sind z. B. Lecksucht, Harnsaufen und Aufnahme
von Erde. Bei Mangel an Cu oder Fe ist im ausgeprägten Fall und speziell bei Kälbern mit
(mikrozytärer) Anämie zu rechnen. Die so genannte „Kupferbrille“ ist bei Cu-Mangel zu beobachten
aber ursächlich kein sicheres Indiz, hingegen tritt die „Weidediarrhoe“ bei Cu-Mangel regelmäßig auf
und führt speziell bei Kälbern zu Problemen und Verlusten. Abmagerung ist ein weiteres allgemeines
Symptom für Spurenelement-, speziell für Co-Mangel (Marasmus). Durch Se-Mangel bedingte
Muskeldystrophie ist im Besonderen bei Kälbern zu beobachten, ebenso ein J-Mangel bedingter
Kropf. Klinische Symptome von Mn-Mangel wären die Geburt von vermehrt männlichen Kälbern
sowie Osteopathie insbesondere bei wachsenden Tieren. Auffällig ist bei Spurenelementmangel in
der Extensiv-/Mutterkuhhaltung, dass adulte Tiere – abgesehen von „Erdefressen“ und
„Weidediarrhoe“ – häufig keine weiteren augenfälligen klinischen Symptome zeigen, bei Kälbern
jedoch mit Symptomatik und Verlusten zu rechnen ist.

Diagnostik der Spurenelementversorgung


Am lebenden Tier ist die Diagnostik der Spurenelementversorgung in erster Linie durch Blut-
und/oder Deckhaar-Untersuchung möglich, bei Parametern wie z. B. J würde sich auch Milch eignen,
was jedoch Laktation voraussetzt (6). Eigentliche Indikatororgane wie Leber (Cu, Co), Gehirn (Cu),
Rippe (Zn) sind jedoch nur aus Sektionsmaterial, Schlachtkörpern oder evtl. Bioptaten (Leber)
zugänglich. Aus Deckhaar lässt sich die langfristige Spurenelementversorgung diagnostizieren, aus
Blutserum eher die aktuelle; die gleichzeitige Analyse der Erythrozyten im ungeronnenen Vollblut
(Mn, Se-GPX) bildet jedoch auch eine gewisse Speicherfunktionen des Blutes ab. Dabei ist die
Grundidee – gute Versorgung verursacht hohe Werte, schlechte Versorgung bedingt niedrige Werte
– theoretisch richtig, sie wird jedoch von Ausnahmen wie z. B. Akute-Phase-Reaktionen oder
niedrigen Cu-Serumwerten trotz Cu-Überversorgung durchbrochen (7,8). Insofern ist die
Interpretation von Blutergebnissen hinsichtlich der Spurenelementversorgung allein anhand von
Plasma- oder Serumkonzentrationen nicht ganz trivial, die Hinzuziehung von Funktionsparametern
kann dabei hilfreich sein. Für Cu wäre dies das Coeruloplasmin (CP) (9), für Fe die Fe-
Bindungskapazität (FeBK), für J das Thyroxin (T4), für Co das Vitamin B12, für Se die Se-
Glutathionperoxidase (Se-GPX) und für Zn die Alkalische Phosphatase (AP). Aber auch hier lauern
Irrtümer und paradoxe oder zumindest unerwartete Reaktionen.

Präanalytik und Methodik


Im Labor ermittelte Werte sind nicht ohne weiteres mit Literaturwerten vergleichbar. Bei Enzymen
wie z. B. der Se-GPX und der AP hängt die Aktivität von der Messtemperatur ab. Bezüglich Cu und
CP liegen die Werte im Heparinplasma deutlich höher als im Serum. Bei der Vitamin B12-
Bestimmung mittels Immuno-Assay werden die an Transcobalamine gebundenen Anteile nicht mit
erfasst (10), und zwar abhängig vom Testkit-Hersteller in unterschiedlichem Maße. Hämolyse stört
die colorimetrische Cu-Bestimmung im Plasma/Serum, beeinflusst aber nicht die am AAS-ermittelten
Cu-Werte. Bei der Haaranalyse spielt der Reinigungsschritt vor der Analyse eine große Rolle –
derartige Beispiele für präanalytisch oder methodisch bedingte Besonderheiten gibt es viele. Einige
betreffen nur die Tierart Rind (z. B. höhere Cu- und CP-Werte in Heparinplasma als in Serum),
andere treten bei verschiedenen Tierarten auf (niedrigere Vitamin B12-Werte im Immuno-Assay bei
Rind und Schwein, jedoch nicht beim Schaf). Deshalb ist man gut beraten, die Untersuchungen in

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 73


Wiederkäuer
einem darin erfahrenen Labor durchführen zu lassen, welches auch über entsprechende
Referenzwerte verfügt und gemessene Werte hinsichtlich ihrer Plausibilität prüfen kann.

Zusammenfassung
Die Feststellung von Spurenelementmangel bei Rindern beginnt in aller Regel mit der Analyse
des Vorberichtes (soweit vorhanden) hinsichtlich
 Der Haltungsform und der damit verbundenen Fütterung (Extensiv- bzw. Weidehaltung
oder Stallhaltung mit z. B. TMR-Fütterung)
 Der Mineralstoffsubstitution je Tier und Tag mit dem Versuch der Rationsberechnung und
Schätzung der Bedarfsdeckung auch bezüglich der Spurenelementversorgung
 Klinischer Symptome wie z. B. Lecksucht, Anämie, Abmagerung, Weidedurchfall

Labordiagnostische Befunde, möglichst aus Indikatororganen (z. B. Schlachtleber), jedoch auch


unter Nutzung von Blut und/oder Deckhaar lebender Tiere bei Berücksichtigung von
Einschränkungen, die aus der Beschaffenheit des Probenmaterials (Hämolyse o. ä.) oder der
Situation der Tiere (z. B. Akute-Phase-Reaktion) resultieren, bedürfen der Zusammenschau und
Plausibilitätsprüfung sowie des Abgleichs mit vorberichtlichen Angaben.

Literaturverzeichnis
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Gustav Fischer Verlag; 1980. S. 71-90
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Mecklenburg-Vorpommern. Prakt. Tierarzt. 1999;80(2):127-30.
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Hochschule; 2002.

Kontaktadresse
Dr. Carola Wolf, METABOVET Labormedicus GmbH, Rostock, [email protected]

74 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Supplementation of different forms of selenium


Alena Pechova, Leos Pavlata, Lucia Sevcikova
Ruminant and Swine Clinic, Faculty of Veterinary Medicine, University of Veterinary and
Pharmaceutical Sciences Brno (Czech Republic)

Introduction
Selenium (Se) ranks among the essential microelements that influence metabolism, the immune
system and the overall health condition. Deficiency affects animals living in areas with low natural
concentration of Se and causes significant economic losses. Various methods of supplementation
have been developed to increase intake of Se. Selenium supplements contain Se in different
chemical forms – sodium selenite, sodium selenate, selenomethionine and probably some others
(Se-methylselenocysteine, selenocystathionine, selenocysteine, selenohomocysteine), normally
found in edible plants only in nutritionally insignificant amounts and in which Se supplements are not
well defined (1). Recently, close attention has been paid to the development of new preparations
containing organically bound Se. However, chemical form of Se and quantity of Se that is organically
bound is not often specified in details for these products. From all organic compounds,
selenomethionine has been described most thoroughly (2). As species analysis of individual Se
compounds is not available in many new products, the only way how to compare their
supplementation efficiency is to use them experimentally in animals.
The aim of our work was to evaluate the effect of supplementation of goats with inorganic and
different organic forms of Se on the metabolism of goats and their kids. Some detailed parts of
results were already published (3-7). This paper is only stating the most important part of the results
concerning supplementation of different forms of selenium in goats.

Material and Methods


The trial was conducted with 33 pregnant white shorthaired goats, divided into five groups.
Various Se supplementations were carried out from six weeks before the date of delivery until
weaning. Group C (n=7) was a control group where no selenium was added to the goats’ diet. Other
four groups of goats received various forms of Se which was added into granulated feed in
concentration 0.9 mg/kg of DM. Se-I group (n=7) received Se in the form of sodium selenite, the
other three groups received organic forms. Goats of Se-L group (n=7) were given lactate-protein
selenium complex (0.17% Se, Selene chelate, Agrobac Karel Gebauer Czech Republic), Se-P group
(n=6) received selenium proteinate (B-Traxim Se, Pancosma Switzerland) and Se-Y group (n=6)
received yeast enriched with selenium 0.5% Se (Sel-Plex, Alltech, USA). Until the date of delivery,
goats received 300 g of granulated feed mixture per animal and day. The feed also included ad
libitum hay, water and salt lick. Se-concentration in the control feed mixture was 0.07 mg/kg and in
hay was 0.065 ± 0.024 mg/kg. After the delivery, granulated feed was increased to 1 kg per animal
and day. During the trial period blood samples were taken from the goats on the day of delivery; first
colostrums samples and also blood samples from the kids on the day of birth and at the time of
weaning. The kids were weaned at the age of three months and the following numbers of male kids
were slaughtered in each group: C: n=10, Se-L: n=10, Se-P: n=10, Se-I: n=8, Se-Y: n=7. After they
were slaughtered, samples of individual tissues were taken.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 75


Wiederkäuer
Se was determined in the laboratory of the Ruminants Clinic, University of Veterinary and
Pharmaceutical Sciences Brno. Se was measured by using the HG-AAS method and the AAS Solaar
M6 (Unicam, Great Britain) device, after microwave mineralization of samples in the Milestone Ethos
TC (Milestone Italy) unit by using the method of Pechova et al. (8). Concentration of Se was
determined in μg/kg of fresh tissue or μg/l of fluid.
The results were statistically evaluated using test F for the assessment of the variance of
individual sets and using the student’s test T for sets with equality/non-equality of variance according
to the results. The results are quoted as a mean value (x) with standard deviation (s). The
assessment was carried out using Excel software.

Results and Discussion


Concentrations of Se in the blood of goats and their kids are shown in Table 1. Se
supplementation of goats six weeks before delivery significantly influenced Se in the blood of goats
at the day of delivery and in blood of their kids at the day of birth and at the time of weaning. We
found significantly higher concentrations in Se-supplemented groups in comparison with the control
group. Regardless of the supplementation, Se-concentration in the blood of newborns was about 60
% of the Se-concentration of their mothers. The correlation between the concentrations of Se in the
blood of goats and their kids was also significant (p≤0.01).
All forms of selenium were effective as a prevention of selenium deficiency. Deficiency is
described in animals with blood Se-concentration below 80 µg/l (9). However, other authors report
full blood Se-concentrations ranging from 150 to 250 µg/l as the reference values (10). The effect of
different forms of supplementation was found only in kids at the time of weaning, where the highest
concentration of Se was in the group that received selenium yeast. This difference is probably due to
the different intake of selenium by kids through milk. It has been found that Se-concentration in milk
is significantly affected by the form of Se supplementation as the products containing organically
bound Se in the form of selenomethionine significantly increased Se-concentration in milk (11,12,7).

Table 1: The concentration of selenium (µg/l) in the blood of goats on the day of delivery and in the
blood of their kids on the day of birth and at the time of weaning (C: control, Se-I: natrium
selenite, Se-L: lactate-proteinate, Se-P: proteinate, Se-Y: yeast)
C Se-I Se-L Se-P Se-Y
Goats x 79.56 aa,bb,cc,dd 144.90 aa 152.63 bb 167.15 cc 152.93 dd
s 12.22 30.37 28.36 24.54 18.55
Kids:
x 49.41 aa,bb,cc,dd 87.56 aa 94.93 bb 87.50 cc 92.48 dd
day of birth
s 12.56 26.29 23.31 25.42 26.34
Kids :
x 67.6 A,B,C,D 156.3 A,eee 146.7 B,F 152.6 C,ggg 243.0 ,eee,F,ggg
weaning
s 13.1 34.3 20.0 41.5 20.3
The same letters in one line shows statistical significance of the difference between groups (A p≤0.0001; aaa
p≤0.001; aa p≤0.01, a p≤0.05)

Concentrations of selenium in colostrum were also significantly higher (p≤0.05) in all groups
supplemented with Se in comparison with the control group. Se-concentrations in colostrum in

76 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
individual groups were following: C 21.4 ± 9.5 µg/l; Se-L 84.3 ± 69.4 µg/l; Se-P 98.7 ± 21.7 µg/l; Se-
Y: 90.4 ± 49.8 µg/l; Se-I 89.5 ± 8.9 µg/l. There were no significant differences found amongst
various forms of Se supplements.
Concentrations of Se in individual tissues of kids at the time of weaning are shown in table 2. Se
levels in individual tissues were significantly higher in all experimental groups in comparison with the
control group, except for pancreas (Se-I). Detailed assessment of individual groups shows also
apparent differences between experimental groups.

Table 2: The concentration of Se (μg/kg fresh tissue) in tissues of kids at the time of weaning in
control (C) and in experimental groups supplemented with Se in the form of sodium
selenite (Se-I), lactate-protein complex (Se-L), selenium proteinate (Se-P) and yeast
enriched with selenium (Se-Y).
C Se-I Se-L Se-P Se-Y
Liver x 99.5 A,B,C,D 146.7 A,e,f 213.4 B,e 203.9 C 228.9 D,f
s 20.0 23.8 50.6 53.9 52.0
Kidney x 633.7 aa 636.0 bb 656.2 C 691.3 dd 789.8 aa,bb,C,dd
s 75.0 87.3 29.1 68.7 54.3
Pancreas x 176.2 aa,bb,C 176.6 dd,ee,F 225.3 aa,dd,g 207.7 bb,ee,hh 256.8 C,F,g,hh
s 26.5 19.8 26.6 11.7 27.0
Spleen x 84.2 A,B,C,D 142.0 A,e,f 160.6 B 173.3 C,e 175.5 D,f
s 18.2 24.4 23.0 22.2 25.9
Myocardium x 69.7 aa,B,C,D 101.7 aa 106.7 B 121.5 C 130.1 D
s 12.9 16.7 17.1 24.4 30.4
Diaphragm x 32.2 A,B,C,D 56.7 A,ee,ff 47.3 B,ee,gg,h 64.2 C,h,i 84.8 D,ff,gg,i
s 5.9 6.8 4.4 16.8 15.2
Thigh x 33.5 A,B,C,D 55.6 A,e,ff 62.6 B,e,gg 59.0 C,hh 83.3 D,ff,gg,hh
s 3.9 3.9 7.2 6.9 18.6
The same letters in one line shows statistical significance of the difference between groups (A p≤0.0001; aa
p≤0.01, a p≤0.05)

Conclusion
All forms of selenium were effective as prevention of selenium deficiency in goats and their kids.
The effect of supplementation of different forms of selenium was not seen at the time of delivery
where Se-concentration in blood of goats and their kids and in colostrum did not differ amongst Se
supplemented groups. Se administered to dams in yeast with high content of Se-met at the time of
weaning increased Se-concentration in kid’s blood and some tissues to the highest extent. The
differences between the two other organic forms and the inorganic form were relatively low.

Acknowledgements
Thanks are extended to all those who assisted in the sampling (T. Palenik, E. Mala, A. Panev, D.
Antos) and to the technical staff of the Ruminant Clinic.
The work was realized with the support of MSM project no. 6215712402 and no. 6215712403.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 77


Wiederkäuer
References
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Contact address
Doc. MVDr. Alena Pechová, CSc., Dip. ECBHM, University of Veterinary and Pharmaceutical
Sciences Brno, Czech Republic, [email protected]

78 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Costs of the immune system – healthiness comes at a price


Bernd Kaspers
Department of Veterinary Sciences, University of Munich

In order to perform its main function, the control of infections and tumours, the immune system
has developed as an extended network of interacting soluble and cellular components. During the
last 50 years significant progress has been made in the identification and functional characterization
of the immune cells, soluble signals and effector molecules involved. From this work it became
apparent that the immune system is not only controlled by genetic factors but also by a broad range
of environmental determinants. Among them, nutrients play a particularly important role which is best
shown in cases of malnutrition (1). Both over- and undernutrition greatly impact on the function of the
immune system (2). Beside the lack of single amino acids, vitamins, minerals and micronutrients
protein energy malnutrition (PEM) has been known as a major reason for increased susceptibility to
infection in man for a long time (3,4). However, the mechanisms underlying this link could not be
further analysed until the discovery of the B- and T-cell system and its pivotal role in the defence of
infectious diseases. Robert Good and co-workers were the first to study the impact of caloric and
protein malnutrition on the function of lymphocytes and phagocytes in defined rodent models and
found that dietary changes had different effects on the individual components of the immune system
(5). In parallel with the progress made in immunology the interest in the role of nutrition on immune
function increased and a range of nutrients with activating and inhibiting effects were identified (6).
In general, researchers have used two approaches to investigate how nutrients influence immune
function. A large body of information was obtained in cell culture experiments where defined nutrients
were either added to or depleted from the cell culture media. The impact of these nutritional
conditions on the immune cells was analysed through quantification of cell specific activities such as
phagocytosis of bacteria by macrophages and granulocytes, production of reactive oxygen or
nitrogen intermediates or proliferation of lymphocytes in response to mitogenic or antigen-specific
stimulation. Alternatively, experimental animals were fed defined diets and immune cell responses
were analysed after cell isolation using the same functional parameters as described before. Through
these studies a wealth of information was obtained on the role of amino acids lipids glucose as well
as vitamins and trace elements in the immune system (7-10).

The majority of studies discussed have only addressed the dietary modulation of selected
functional parameters. To obtain a more comprehensive knowledge of the benefits and
disadvantages of dietary components in immune function, infection experiments with a variety of
pathogens have to be performed. However, such studies require biosecurity facilities and are
therefore expensive to perform, thus greatly limiting the number of animals investigated in each
single study. As a consequence in vitro and ex vivo studies are still standard. Importantly, with the
increasing knowledge in immunology cellular parameters, it can now be investigated which provide a
better correlation with immune cell development and function in vivo.
Protein energy malnutrition (PEM) has severe effects on the immune system. In children it was
shown to cause atrophy of the thymus and consequently underdeveloped peripheral lymphoid organs
(11). It may further lead to reduced antibody responses with increased susceptibility to a range of
bacterial infections (12). Experimental models have further shown that the phagocytic system is

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 79


Wiederkäuer
functionally impaired with a diminished capacity to engulf and eliminate pathogens and a reduction in
the antigen presenting capability of dendritic cells (13). While PEM is of particular concern in
developing countries, overnutrition in industrial countries on the other hand poses a newly emerging
public health threat which is still only partially understood (14).

In domestic animals the dependence of the immune system on an adequate energy supply is
best studied in ruminants during the periparturient period which is characterized by a sudden
increase in energy requirements associated with an increase in the number and severity of metabolic
and infectious diseases (15). The latter is accompanied by changes in several immunological
parameters affecting both the innate and adaptive immune system (16). This is well documented in
sheep where the so called periparturient relaxation of immunity is associated with an increase in
gastrointestinal nematodes and faecal egg counts. Since energy demand increases rapidly during
this period it was assumed that increased worm burden is a consequence of immunosuppression
related to the negative energy balance. In this model homeostasis of energy substrates is altered in
such a way that the immune system is undersupplied and thus functionally impaired (15). This
hypothesis has been addressed in the sheep model where faecal egg counts were compared in twin-
rearing ewes with an optimal and reduced protein supply. Dietary protein reduction led to a significant
increase in worm egg shedding which could be reversed if one lamb was weaned on day 10 (17).
However, subsequent attempts to identify the immunological parameters responsible for the
periparturient relaxation of immunity have provided conflicting results. No single parameter was
identified up to date even though some studies point to a role of reduced mast cell and eosinophil
numbers as well as immunoglobulin titers in immunocompromised ewes (18).
Likewise, periparturient immunosuppressions have been associated with a reduced health status
in cows and a range of immunological parameters on mucosal surfaces, in lymphoid organs, and in
blood has been investigated. Mehrzad et al. observed that the number of neutrophils is significantly
reduced in blood of periparturient cows and that adhesion and migration of these cells into the
mammary gland is diminished. Curiously, the phagocytic activity of these cells was increased
pointing to an improved functional activity. More detailed functional analysis however revealed that
the respiratory burst activity was reduced leading to a decrease in bacterial killing (19). This work
nicely underscores the necessity to evaluate a broad range of functional parameters in order to gain
a comprehensive picture of the immune status at a given time point.

In addition to the function of these and other innate immunity cells, properties of lymphocytes
were investigated by many groups in cows during periparturient period. Again, a significant reduction
of T-cell frequencies in the blood was found and functional studies demonstrated a shift from an IFN-
γ and IL-12 producing phenotype (as a readout of a so called T-helper 1 (Th1) response) to the
production of typical Th2 cytokines including IL-4, IL-10 and TGF-ß (20). IL-10 and TGF-ß are
particularly interesting in this context since both are typical immunoregulatory cytokines down-
regulating inflammatory responses induced by pathogen infection. Subsequent work has
demonstrated that some of these immunosuppressive effects of a negative energy balance can be
reverted by feeding additional energy substrates (21,22).
Collectively, these and many other studies (for review see (4,23)) have shown that an adequate
energy metabolism is of particular importance for a fully functional immune system. Nevertheless,
investigations of the underlying molecular mechanism have only begun recently.

80 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
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LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 81


Wiederkäuer
Contact address
Prof. Dr. Bernd Kaspers, Department of Veterinary Sciences, Institute of Animal Physiology, Faculty
for Veterinary Medicine, Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected]

82 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Aktuelle Konzepte und mögliche künftige Entwicklungen in den


Bereichen Chirurgie, Anästhesie und Schmerzmanagement beim Rind
Adrian Steiner
Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Bern (Schweiz)

Das Ziel dieses Vortrages ist es, einen Überblick über aktuelle Konzepte und mögliche künftige
Entwicklungen in den Bereichen Chirurgie, Anästhesie und Schmerzmanagement beim Rind zu
geben. Die Gedanken zu künftigen Entwicklungen widerspiegeln die Meinung des Autors und den
Inhalt verschiedener Diskussionen mit Berufskollegen. Aus diesen Gründen handelt es sich in vielen
Fällen um Spekulationen, welche nicht durch publizierte wissenschaftliche Artikel abgestützt werden
können.

Chirurgie
Die buiatrischen Tätigkeiten befassen sich heute in zunehmendem Maße mit der
Bestandsmedizin, mit dem Ziel, die Herde gesund zu erhalten und Erkrankungen beim Einzeltier zu
verhindern. Die Bestandsmedizin wird sowohl in Herden angewendet, deren Einzeltiere einen
geringen (Nutzbestand) als auch bei Herden, deren Einzeltiere einen hohen ökonomischen Wert
(Zuchtbestand) haben. Kranke Einzeltiere, welche aus den 2 verschiedenen Bestandstypen
stammen, erhalten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die gleiche Pflege resp. werden
unterschiedlich intensiv behandelt. Dies gilt auch für chirurgische Eingriffe.

Rinder mit geringem ökonomischem Wert:


Chirurgische Eingriffe werden nur dann durchgeführt, wenn sie kosteneffektiv sind. Das bedeutet,
dass chirurgische Eingriffe auf dem Hof ohne Einbeziehung von zusätzlichem Fachpersonal
durchgeführt werden. Die Operationsvorbereitung und der Eingriff selber müssen möglichst kurz
sein. Wenn Antibiotika oder andere Medikamente mit Absetzfristen überhaupt zur Anwendung
kommen, dann werden solche ausgewählt, deren Absetzfrist möglichst kurz ist. Wenn die Prognose
eines Eingriffes nicht a priori günstig ist, dann kommt eher die vorzeitige Verwertung als ein
Behandlungsversuch in Frage. Um die ökonomischen Rahmenbedingungen erfüllen zu können, sind
Tierärzte vielfach dazu gezwungen, auf einen ungenügenden chirurgischen Standard auszuweichen.
Alternativ werden von den Tierhaltern nicht mehr Tierärzte, sondern Laien herangezogen, um
gewisse „einfache“ chirurgische Eingriffe durchzuführen, obwohl dies vom ethischen als auch vom
gesetzlichen Blickwinkel aus gesehen inakzeptabel ist (1,2).

Beispiele solcher Eingriffe sind:


 Zitzenstenosen: Blindes “Schlitzen” anstatt der Entfernung des obstruierenden Gewebes
unter Sichtkontrolle
 Zitzenverletzungen: Reinigen und Verkleben der Wunde mit einem Klebeband anstatt der
korrekten chirurgischen Sanierung
 Nabelhernie: Anbringen eines Gummiringes anstatt der chirurgischen Herniorraphie

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 83


Wiederkäuer

 Tiefe septische Prozesse im Zehenbereich: Zehenentfernende Operationen werden den


zehenerhaltenden Operationen wie Sesambeinresektion oder Gelenksresektion
vorgezogen.

Rinder mit hohem ökonomischem Wert:


Es wird vom Tierhalter erwartet, dass alles getan wird, um das Tier zu retten und den Stress für
das Tier so gering wie möglich zu halten. Behandlungskosten und Absetzfristen sind von
untergeordneter Bedeutung oder sogar irrelevant. In vereinzelten Fällen sind wertvolle Zuchttiere
versichert. Inhalationsnarkosen und moderne bildgebende Verfahren (Röntgen, Ultrasonographie,
Szintigraphie) gehören zu den Standardverfahren, welche zum Einsatz kommen. Untersuchungen
und Eingriffe werden meist in spezialisierten Kliniken unter optimalen Umgebungsbedingungen
durchgeführt. Die Tierhalter von wertvollen Zuchttieren erwarten zudem, dass der chirurgische
Standard und das chirurgische Können der Pferdepraxis zur Anwendung kommen. Es werden
vielfach Eingriffe „verlangt“, deren initiale Prognose als sehr zweifelhaft bis ungünstig erscheint.

Beispiele solcher Eingriffe und Techniken sind:


 Frakturbehandlung von schweren Tieren mittels offener Reduktion und interner Fixation
 Arthroskopische Behandlung von Gelenksinfektionen
 Chirurgie am offenen Thorax
 Verwendung von mechanischen Nahtinstrumenten und minimal invasiver Chirurgie

(Digitale) Lehrmittel
An vielen Veterinärfakultäten ist das Patientengut sehr gering und der Zugang zu lebenden
Tieren für die Studierenden sehr eingeschränkt. Gleichzeitig ist auch die Möglichkeit an
Versuchstieren chirurgische Eingriffe und Techniken zu üben in vielen Ländern sehr eingeschränkt
oder gar nicht mehr möglich, da die Tierschutzgesetzgebungen in den letzten Jahren deutlich
strenger geworden sind. Deshalb sind die Entwicklung und Anwendung von elektronischen
Lehrmitteln und die Einrichtung von „clinical skills labs“ für die praktische Ausbildung der
Studierenden sehr wichtig geworden und deren Stellenwert wird in der Zukunft noch zunehmen.

Beispiele solcher neuer Lehrmittel sind:


 Lehr-CD zur Labmagenverlagerung mit Videoanimationen „surgeries of the abomasum in
cattle” (3)
 Lehr-Videos zur Frakturbehandlung: AO Foundation
 Lehr-CD zur Weichteilendoskopie mit Animationen und Videosequenzen „atlas of bovine
soft tissue endoscopy” (4)
 Lehr-CD zur Radiographie: interactive teaching DVD „bovine radiology – digital diagnostic
atlas” (5)
 Day One skills: Clinical Skills Centre des Royal Veterinary College, London (6)
 Abdominal-Anatomie: Die haptische Kuh zum Lehren der Abdominalanatomie und der
Rektaluntersuchung beim Rind, entwickelt von Dr. Sarah Baillie (7)

84 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Anästhesie und Schmerzmanagement
Schmerz wird hervorgerufen durch ein schmerzhaftes Ereignis, wodurch Nociceptoren in der
Peripherie von afferenten Nervenzellen aktiviert werden (Schmerztransduktion). Diese Nerven leiten
das Schmerzsignal weiter ins Dorsalhorn des Rückenmarkes (Schmerztransmission). Dort kann das
Signal in der grauen Substanz moduliert werden (Schmerzmodulation), bevor das Signal schließlich
auf Nervenbahnen in der weißen Substanz zum Hirn transportiert wird, wo schlussendlich der
Schmerz wahrgenommen wird (Schmerzwahrnehmung). Die Schmerztransduktion kann gehemmt
werden durch NSAIDs, die periphere Schmerzleitung kann blockiert werden durch Lokalanästhetika
resp. gehemmt werden durch den alpha2-Agonisten Xylazin. Die Schmerzmodulation kann
beeinflusst werden durch den alpha2-Agonisten Xylazin und Ketamin. Ketamin kann auch die
Schmerzwahrnehmung modulieren. Die beste Schmerzreduktion kann erreicht werden, wenn die
Schmerzentwicklung auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig gehemmt wird. Dieses Konzept wird
„multimodale Analgesie“ genannt. Aktuell ist die multimodale Analgesie der Goldstandard im
Schmerzmanagement von Kleintieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die multimodale Analgesie
künftig auch in der Buitatrik zur Anwendung kommen.
Die Entwicklung der postoperativen Hypersensitivität kann durch die prä- und perioperative Gabe
von Analgetika verhindert werden. Neuere Studien beim Rind zeigen, dass dieses Konzept sowohl
bei orthopädischen Eingriffen (8,9) als auch bei zootechnischen Interventionen (10,11) funktioniert.
Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass sich die prä- und perioperative Gabe von Analgetika auch in
der buiatrischen Praxis künftig vermehrt durchsetzen wird.
Die Tierschutzgesetzgebungen verschiedener europäischer Länder verbieten schon heute die
Kastration und das Enthornen von Kälbern jeden Alters ohne Anästhesie. Es ist zu erwarten, dass
sich dies innerhalb eines Jahrzehnts auch in den anderen europäischen Staaten durchsetzen wird.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen


In der näheren Vergangenheit und in der näheren Zukunft wurde und wird die Buiatrik beeinflusst
durch:
 Die rasante Entwicklung der Rindviehproduktion resp. Industrialisierung der
Lebensmittelproduktion, getrieben durch die tiefen Preise landwirtschaftlicher Güter
tierischer Herkunft, bedingt durch den großen Wettbewerb auf dem Markt und den
Freihandel
 Die hohen und stetig zunehmenden Anforderungen der Konsumentinnen und Konsumenten
in den Bereichen Tierschutz, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit

Das klinische Training von Studierenden an Patiententieren wird in vielen Veterinärfakultäten


aufgrund des schwindenden Patientengutes immer schwieriger. Bei Tieren von geringem
ökonomischem Wert wird die Schlachtung von kranken Tieren ganz zu Beginn der Erkrankung
künftig der Durchführung von Behandlungsversuchen vorgezogen werden. Auf der anderen Seite
steigen die Anforderungen und Erwartungen bezüglich Einsatz von technischen Hilfsmitteln und
spezialisiertem chirurgischem Fachwissen bei Kühen mit hohem ökonomischem Wert. Eine
adäquate Schmerzbehandlung wird sich künftig zur Praxisroutine entwickeln.
Diese Prognosen und Aussichten könnten dazu führen, dass die aktuellen Curricula der
Veterinärmedizin vieler Veterinärfakultäten im Bereich der Buiatrik von Grund auf in Frage gestellt
und einem Anpassungs- resp. Erneuerungsprozess unterworfen werden sollten.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 85


Wiederkäuer
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Adrian Steiner, Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern,
[email protected]

86 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Chirurgische Möglichkeiten bei Veränderungen im Bereich des Tarsus


Karl Nuss
Departement für Nutztiere, Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich (Schweiz)

Einleitung
Im Vordergrund der Erkrankungen des Tarsus beim Rind stehen aufstallungsbedingte
Erkrankungen (1-5). Hierzu zählen die Bursitis tarsalis lateralis sowie die Bursitis calcanea
subtendinea. Letztere Erkrankung resultiert auch oft aus Verletzungen. Das Tarsokruralgelenk ist
nach dem Klauengelenk das am häufigsten erkrankte Gelenk beim Rind (6). Bei etwa 20 % der
Rinder hat es Verbindung zur Sehnenscheide der tiefen Beugesehne am Tarsus. Letztere erkrankt
auch isoliert, wie das Gelenk meist septisch. Gelegentlich tritt der „septische Spat“, die Infektion der
beiden „kleinen Tarsalgelenke“, auf. Zu den Erkrankungen des Wachstumsalters gehören die
Entzündungen der Wachstumszonen, auch bei weiblichen Rindern. Als Einzelfälle kommen
Verletzungen, Frakturen oder Luxationen am Tarsalgelenk vor. Weitere Erkrankungen, die den
Tarsus betreffen, sind Muskel- und Sehnenzerreißungen sowie Nervenlähmungen und die
spastische Parese.

Entzündungen am Tarsus
Bursitis tarsalis lateralis
Die Bursa tarsalis lateralis ist ein erworbener Schleimbeutel, der als Reaktion auf einen
einwirkenden Druck auf die Außenseite des Tarsus entsteht (1). Durch seine exponierte Lage über
dem Malleolus lateralis der Tibia tritt er gehäuft auf, wenn diese Stelle bei harten Liegeflächen
ständig überbeansprucht wird (4). Er kann auch auf Klauenerkrankungen, infolge derer die Rinder zu
viel liegen, hinweisen. Grundsätzlich sind verschiedene Entwicklungsphasen möglich: Der
Schleimbeutel kann die Überlastungen kompensieren und klinisch unauffällig sein, oder er füllt sich
zunehmend, ist chronisch entzündet, und erfasst das laterale Seitenband des Tarsus. Infolge einer
bakteriellen Besiedelung kann er sich zu einem Abszess entwickeln. Wenn die Bursa noch
verschieblich ist, kann sie in toto exstirpiert werden. Oftmals verhindert allerdings die Verwachsung
der Kapsel mit dem unterliegenden Bindegewebe die Entfernung, sodass ein Abszess nur gespalten
und drainiert werden kann. Die Behandlung ist in jedem Fall langwierig und somit teuer. Letztlich ist
die Erkrankung bei gleich bleibenden Haltungsbedingungen nicht langfristig zu heilen.

Bursitis calcanea subtendinea


Wenn eine Umfangsvermehrung im Bereich des Kalkaneus vorliegt, ist meist die subtendinöse
Bursa betroffen. Sie erkrankt einseitig nach Verletzungen (Abb. 1), kann aber auch beidseitig
betroffen sein, wenn ein Dekubitus am Tuber calcanei vorhanden ist. Die Behandlung gestaltet sich
aufwendig. Wenn Verletzungen nicht umgehend chirurgisch versorgt werden, ist die Prognose
aufgrund einer Sehnen-, Knorpel- und Knochennekrose am Kalkaneus ungünstig.

Peritarsitis/Phlegmone
Diese entstehen aufgrund von kleinen Verletzungen und durch direkte bakterielle Besiedelung,
oder fortgeleitet von weiter entfernten infizierten Prozessen, beispielsweise von
Klauenerkrankungen. Phlegmonen sind nach den Prinzipien der allgemeinen Chirurgie konsequent

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 87


Wiederkäuer
zu behandeln. Die Prognose ist vorsichtig zu stellen, wenn eine Antibiose inkonsequent verabreicht
wurde und Resistenzen entstanden sind. Oft sind dann Blutgefäße thrombosiert und
Sehnenscheiden und Gelenke begleitend infiziert. Betroffen von ausgebreiteten, therapieresistenten
Phlegmonen sind vor allem Jungkühe.

Abb. 1: Offene Verletzung der oberflächlichen Abb. 2: Entzündung der distalen Wachstumszone
Beugesehne und Infektion der subtendinösen der rechten Tibia bei einem Mastbullen
Bursa am Kalkaneus einer Kuh.

Septische Arthritis und Tendovaginitis


Infektion des Tarsokruralgelenks
Die septische Arthritis entsteht vorwiegend hämatogen, bei erwachsenen Kühen meist im
Zusammenhang mit einer Retentio secundinarum oder einer Mastitis (6,7). Weniger häufig entsteht
sie durch Verletzungen oder durch eine sich aus der Nachbarschaft (infizierte Bursa) ausbreitende
Infektion. Bedingt durch die Komplexizität des Tarsokruralgelenks ist eine Therapie in der Regel nur
im Frühstadium erfolgreich (8). Infolgedessen muss die Lahmheit früh bemerkt und die Ursache früh
diagnostiziert werden. Im Frühstadium der Erkrankung sind die Heilungsaussichten bei einer
Lavagetherapie durchaus günstig. Später kann eine Arthrotomie in manchen Fällen noch eine
Heilung herbeiführen, aber sie ist aufwendig und die nachfolgende Verbandbehandlung und
Ruhigstellung des Tarsus ist schwierig, u.a. weil die Rinder mit den Verbänden nicht
zurechtkommen.

88 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Septischer Spat
Beim Rind tritt die Ankylosierung des unteren Hinterfußwurzel-Mittelgelenks und des
Tarsometatarsalgelenks physiologischerweise mit zunehmendem Lebensalter ein. Bei Zuchtbullen ist
nach eigenen Erfahrungen im Alter von drei Jahren, bei Kühen im Alter von etwa sechs Jahren eine
deutliche Ankylosierungstendenz festzustellen. Infolgedessen finden in diesen Gelenkebenen aktive
Umbauprozesse statt. Werden diese durch ein Trauma (z.B. Abwehrbewegungen bei der
Klauenpflege) beschädigt oder findet eine Blutung ins Gelenk statt, können sich Bakterien einnisten.
Für die Symptomatik kennzeichnend ist eine zunehmend stärker werdende Lahmheit, deren Ursache
sich auf den Tarsus eingrenzen lässt. Die dort feststellbare Entzündung hat ihren Sitz auf der
dorsomedialen Seite über dem Tarsometatarsalgelenk. Die Röntgenuntersuchung zeigt meist eine
Osteolyse am Os tarsale secundum et tertium und die Zerstörung der Gelenkflächen an. Die
Therapiemaßnahmen bestehen im Frühstadium in einer konservativen Therapie (Antibiotikum,
Schmerzmittel, Verband). Die Ruhigstellung ist essenziell. Infizierte Knochen- und Gelenkanteile
können auch ausgefräst werden. Die operierte Gliedmaße wird dann durch einen Schienenverband
ruhiggestellt.

Tendovaginitis der Sehnenscheide des tiefen Zehenbeugers am Tarsus


Die Sehnenscheide erkrankt entweder eigenständig oder in Verbindung mit dem
Tarsokruralgelenk, mit dem sie plantar in etwa 20 % aller Fälle kommuniziert (9,10). Sie erstreckt
sich plantaromedial, etwa handbreit proximal des Tarsus bis zum Tarsometatarsalgelenk. Die Sehne
läuft plantar über die Gleitfläche des Kalkaneus. Die Kommunikation der synovialen Kompartimente
erschwert die Therapie einer Infektion erheblich. Die chirurgische Behandlung der Sehnenscheide
besteht wiederum in Lavagen, einer Tendovaginotomie oder einer Sehnenresektion (10-12).

Entzündung der Wachstumszone der Tibia


Diese Wachstumsfuge ist bei Mastbullen, die auf Spaltenböden gehalten werden, häufiger
erkrankt; die Läsion kommt aber auch bei schnellwüchsigen weiblichen Tieren vor. Bei Lahmheiten in
Verbindung mit einer Schwanzspitzen-Nekrose sollte man immer die Epiphysenfugen genauer
untersuchen. Da der medial gelegene Fugenanteil fast immer vermehrt erkrankt, erkennt man etwas
oberhalb des Malleolus medialis, also etwas oberhalb des Tarsokruralgelenks, eine Auftreibung der
Knochenkontur. Diese besitzt bei der Palpation ödematösen Charakter und ist sehr schmerzhaft. Die
Lokalisation lässt zusammen mit den übrigen Befunden eine Verdachtsdiagnose zu; das Röntgenbild
sichert die Diagnose ab (Abb. 2). Eine operative Therapie ist möglich. Sie besteht in einer Kürettage
der Fuge, Verbandbehandlung und systemischer Antibiose. Die Heilungsaussichten sind im
verschleppten Stadium vorsichtig zu beurteilen.

Muskel- und Nervenschäden


Ruptur des Musculus gastrocnemius/seiner Sehne
Die Gastrocnemius-Ruptur war in Mastbeständen mit einseitiger Fütterung zeitweise häufig. Sie
wird heutzutage meist in Zusammenhang mit der Tibialis-Parese gesehen, wenn der Muskel infolge
der fehlenden Innervation atrophiert und bei Belastung überdehnt wird. Zerreißungen des M.
gastrocnemius treten auch als Komplikation nach der Neurektomie des Nervus tibialis zur Therapie
der spastischen Parese auf. Da es sich meist um flächenhafte, in unterschiedlicher Höhe des
Muskels liegende Zerreißungen handelt, ist eine Therapie nicht erfolgversprechend. Der langfristige
Erfolg des Anlegens von hohen Schienenverbänden wurde bislang nicht ermittelt.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 89


Wiederkäuer

Ruptur des M. fibularis tertius


Die Ruptur des Muskels kommt nach dem Ausbinden der Tiere zur Klauenpflege oder durch
Ausgleiten bei einem Sturz vor. Sie kann an Überstreckung des Sprunggelenks bei gleichzeitiger
Beugung des Kniegelenks sowie an der „Schlängelung“ der Gastrocnemius-Sehne erkannt werden.
Die Therapie besteht – falls eine Sehnenruptur nicht genäht werden kann – in der Ruhigstellung der
Gliedmaße und des Tieres über 6–8 Wochen in einer Einzelbox. Bei knöchernem Abriss der Sehne
ist die Prognose allerdings vorsichtig.

Parese des N. fibularis


Die Fibularis-Parese entsteht bei Kühen vorwiegend nach Festliegen, wenn die über die
Außenseite der Tibia laufende N. fibularis geschädigt wurde. Bei Kälbern stellen Fehlinjektionen im
Bereich der langen Sitzbeinmuskulatur eine mögliche Ursache dar.

Parese des N. tibialis


Die Parese des N. tibialis führt zu einem Tiefstand des Tarsus und zu einer Steilstellung des
Fesselgelenks. Die Stelle, an der der N. tibialis geschädigt werden kann, liegt einmal an der
Umschlagstelle um das Hüftgelenk, an der er zusammen mit dem N. fibularis den N. ischiadicus
bildet. Hier kann der Nerv durch ungünstige Lagerung durch Druck des Trochanter major geschädigt
werden. Weiterhin tritt die N.-tibialis-Parese auch nach Injektionen in die lange Sitzbeinmuskulatur
auf.

Frakturen/Luxationen
Talus- und Kalkaneusfrakturen sind selten. Bei einer Schwellung des Tarsalgelenks und bei
blutiger Synovia muss jedoch an die Möglichkeit einer intraartikulären Fraktur gedacht werden. Die
Symptome einer Kalkaneusfraktur entsprechen denen eines Gastrocnemius-Abrisses.

Literaturverzeichnis
1. Potterton SL, Green MJ, Harris J, Millar KM, Whay HR, Huxley JN. Risk factors associated with hair loss,
ulceration, and swelling at the hock in freestall-housed UK dairy herds. J Dairy Sci. Jun;94(6):2952-63.
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München: Ludwig-Maximilians-Universität; 2000.
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90 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
8. Feldmann M, Rehage J, Meier C, Kehler W, Scholz H, editors. Eitrige Gelenksentzündungen beim Rind:
Diagnose, Prognose und Therapie. 3 Berlin-Brandenburgischer Rindertag; 1998; Berlin: Klinik für
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9. Nuss K, Hecht S, Maierl J, Weller R, Matis U. Zur Punktion der Gliedmaßengelenke beim Rind. Teil II:
Beckengliedmaße. Tierärzt Prax. (G). 2002;30(G):301-7.
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am Tarsus des Rindes. Tierärztli Prax. 2000;28 (G)(6):299-306.
11. Bolz W. Die Entzündung der gemeinsamen Sehnenscheide der oberflächlichen und tiefen Beugesehne
beim Rind. Berl Muench Tieraerztl Wochenschr. 1955;68(24):439-43.
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posterior) beim Rind. Monatsh Vet Med. 1962;17:561-3.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Karl Nuss, Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 91


Wiederkäuer

Blauzunge und Tuberkulose: Hat die Politik richtig entschieden?


Hans-Joachim Bätza
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Bonn

Blauzungenkrankheit
Am 26. August 2006 wurde in Deutschland erstmals Blauzungenkrankheit, hervorgerufen durch
den Serotyp 8 (BTV-8), amtlich festgestellt. Sehr schnell zeigte sich, dass die im
europäischen/nationalen Recht vorgegebenen Handlungsoptionen die Ausbreitung der Seuche
lediglich verlangsamen aber nicht verhindern, geschweige denn, dass damit BTV-8 ausgemerzt hätte
werden können. Ein Impfstoff stand nicht zur Verfügung. Dieser wurde mit Nachdruck von einigen
Tierimpfstoffe herstellenden Firmen entwickelt. Nach einem in Mecklenburg-Vorpommern
durchgeführten und vom Friedrich-Loeffler-Institut wissenschaftlich begleiteten Feldversuch wurde
am 20. Mai 2008, im Rahmen einer bundesrechtlichen Ausnahmegenehmigung mit drei nicht
zugelassenen BTV-8-Impfstoffen, mit der verpflichtenden Impfung von Rindern, Schafen und Ziegen
begonnen – mit der Folge eines drastischen Rückgangs der Neuausbrüche (2007: 20807 Ausbrüche;
2008: 5127 Ausbrüche und 2009 145 Ausbrüche). Nicht zuletzt auch dieser Erfolg führte neben
anderen Argumenten dazu, dass gegen Ende 2009 seitens der Länder beschlossen wurde, von der
verpflichtenden auf die fakultative Impfung umzusteigen. Nicht auszuschließen war insoweit, dass es
durch die Freiwilligkeit der Impfung zu einer Reduzierung der Impfquote bei gleichzeitigem Anstieg
der Neuausbrüche kommen würde.
Die Impfquote ging zwar generell drastisch zurück (2008 gegenüber 2010: beim Rind von etwa
80 % im Rahmen der verpflichtenden Impfung auf nur noch etwa 30 % im Rahmen der freiwilligen
Impfung; beim Schaf von etwa 87 % auf etwa 25 % und bei Ziegen von etwa 90 % auf etwa 13 %),
die Neuausbrüche aber blieben aus (im Jahr 2010 kein Ausbruch; dies gilt auch für 2011 (Stand
20.07.)).
Ob die Entscheidung, von der verpflichtenden Impfung abzugehen, im Hinblick auf die anvisierte
Freiheitserklärung Deutschlands richtig war, bleibt noch abzuwarten, denn die Freiheitserklärung
setzt neben einem umfangreichen Monitoring (das bisher mit negativen Ergebnissen durchgeführt
wurde) auch voraus, dass BTV-8 über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht festgestellt wurde. Der
letzte BTV-8-Ausbruch wurde am 17.11.2009 festgestellt; die Zweijahresfrist läuft also am
18.11.2011 ab. Soweit diese günstige Entwicklung anhält, ist beabsichtigt, Deutschland Anfang 2012
als frei von BTV-8 zu erklären.

Tuberkulose
Deutschland ist nach der Entscheidung 97/76/EWG frei von Rindertuberkulose (= 99,9 % der
Bestände sind frei). Vor dem Hintergrund der auf niedrigem Niveau seit 2006 beobachteten langsam
ansteigenden Fallzahlen (2006: 5 Ausbrüche; 2007: 12 Ausbrüche; 2008: 23 Ausbrüche) und einer
erheblichen Diskrepanz zu den wegen Tuberkulose ausgesprochenen Beanstandungen im Rahmen
der Fleischuntersuchung (Untauglichkeitserklärungen einzelner Organe oder des Tierkörpers wegen
Tuberkulose) hatte BMELV 2008 die Wiedereinführung der Tuberkulinisierung aller über 36 Monate
alter Rinder im Abstand von drei Jahren vorgeschlagen. Bei geschlachteten Rindern sollten
pathologisch-anatomische Veränderungen, die auf Tuberkulose hindeuten, im Rahmen der

92 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Fleischuntersuchung zudem weitergehend labordiagnostisch untersucht werden. Bis zur Vorlage
eines negativen Ergebnisses sollte der Schlachtkörper nicht verbracht werden dürfen.
Die Beratungen mit Ländern und Verbänden verliefen erwartungsgemäß kontrovers und
mündeten in dem Ergebnis, dass eine flächendeckende Tuberkulinisierung nicht eingeführt wurde.
Stattdessen ist die Fleischuntersuchung dahingehend intensiviert worden, dass vermeintlich
tuberkulöse Veränderungen labordiagnostisch mittels PCR zu untersuchen sind und im positiven Fall
weitergehende Untersuchungen im Herkunftsbestand des betroffenen Rindes (Tuberkulinisierung
aller über sechs Wochen alten Rinder und Verbringungsverbot bis zur Vorlage des Ergebnisses)
stattfinden (Art. 1 der Verordnung vom 17. Juni 2009 (BGBl. I S. 1337). Seit Inkrafttreten dieser
Regelung ist die Zahl der nachgewiesenen Tuberkulosefälle nicht angestiegen (2010: 11 Ausbrüche;
2011 (20.07.): 1 Neuausbruch).

Kontaktadresse
Dr. Hans-Joachim Bätza, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Bonn, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 93


Wiederkäuer

BHV-1-Endsanierung: Was ist jetzt zu beachten?


Martin Beer
Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems

In den letzten 15 Jahren ist die Bekämpfung der Infektion mit dem bovinen Herpesvirus vom
Typ 1 (BHV-1) kontinuierlich fortgeschritten und durch den Einsatz von Markervakzinen, aber auch
durch die gezielte Tilgung von Reagenten, wurden beeindruckende Erfolge erzielt. So hatten 2010
etwa 90 % aller Milch- und Mutterkuhbestände in Deutschland bereits den Status BHV-1-frei. Die
Bundesländer mit dem höchsten Anteil freier Bestände und freier Rinder sind dabei im Jahr 2010
Bayern (98,36 %/98,57 %), Sachsen-Anhalt (98,08 %/95,53 %) und Brandenburg (95,97 %/94,74 %).
Vier Regierungsbezirke in Bayern haben offiziell den Status „BHV-1-frei“ und können Garantien nach
Artikel 10 der Richtlinie 64/432/EWG einfordern. Dieser Status wird zudem zeitnah für das ganze
Bundesland erreicht werden. Der Schwerpunkt der BHV-1-Bekämpfung liegt daher nun besonders
bei den Ländern Nordrhein-Westfalen (81,27 % BHV-1-freie Bestände im Jahr 2010), Schleswig-
Holstein (71,36 %) und dem Saarland (66,75 %). Deutschland befindet sich somit in vielen Regionen
in einer Endphase der BHV-1-Sanierung und muss die damit einhergehenden Herausforderungen
bewältigen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Handelsbarrieren zwischen Regionen mit einem
unterschiedlichen BHV-1-Status, der Ausstieg aus der BHV-1-Markerimpfung in den BHV-1-gE-
Antikörper-freien Gebieten sowie vermehrter Einsatz der gE-Markerstrategie in Regionen mit einem
noch erhöhten Anteil BHV-1-durchseuchter Bestände. Aber auch diagnostische Anpassungen in
einer zunehmend BHV-1-freien Rinderpopulation sind notwendig geworden. Eine Konsequenz ist
schließlich eine entsprechende Änderung der BHV-1-Verordnung.
Weitergehende Informationen zur Verbreitung, Diagnose und Bekämpfung der BHV-1-Infektion
finden sich im Tiergesundheitsjahresbericht 2010 des Friedrich-Loeffler-Instituts
(www.fli.bund.de/fileadmin/dam_uploads/Jahresberichte/TG-JB/TGJB_2010.pdf) sowie im
Supplement 5 der Zeitschrift „Der Praktische Tierarzt“ (2010).

Kontaktadresse
Martin Beer, Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems,
[email protected]

94 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

BVD-Pflichtbekämpfung – Wie ist die epidemiologische Situation in


Deutschland?
Horst Schirrmeier, Günter Strebelow
Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Institut für Virusdiagnostik,
Nationales Referenzlabor für BVD/MD

Legislative Grundlagen und Ziele der BVD-Bekämpfung in Deutschland


Seit Dezember 2008 sind mit der „Verordnung zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem
Bovinen Virusdiarrhoe-Virus“ (BVD-VO) die Grundsätze einer bundeseinheitlichen Bekämpfung der
BVD auf verpflichtender Grundlage geregelt. Kernpunkt ist eine Untersuchungsverpflichtung für alle
geborenen Kälber bis zum 6. Lebensmonat bzw. für alle Rinder vor dem Verbringen auf
Vorhandensein des BVD-Virus; die anzuwendenden Methoden sind in einer amtlichen
Methodensammlung festgeschrieben. Die Zeit zwischen der Bekanntmachung und dem Inkrafttreten
der VO am 1.1.2011 wurde in den meisten Bundesländern in vorbildlicher Weise genutzt, um durch
technische und methodische Auswahlverfahren, wissenschaftliche Studien und vorbereitende
Rechtssetzungsverfahren die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das ausgewiesene Ziel der
Verordnung bundesweit zügig in Angriff genommen werden konnte: „Rinderbestände, die frei von
persistent mit BVDV infizierten Tieren sind, vor einer Infektion durch das Einstellen von bisher nicht
erkrankten Rindern, die persistent BVDV-infiziert sind, zu schützen“.
Das auf einer zügigen Erkennung und Eliminierung von persistent infizierten (PI) Tieren
gerichtete Bekämpfungsprogramm in Deutschland basiert, im Gegensatz zu einigen in anderen
Ländern praktizierten Verfahren, ausschließlich auf dem direkten Nachweis von Virusantigenen bzw.
Virusgenomen bei jungen Kälbern. Serologische Untersuchungsverfahren sollten jedoch, auch wenn
in der VO praktisch nicht erwähnt, zur Überwachung und Kontrolle der Effizienz der gewählten
Strategie als inhärenter Bestandteil der BVD-Labordiagnostik angesehen und gepflegt werden.
Sowohl für den Virus- als auch für den Antikörpernachweis stehen etablierte diagnostische
Verfahren und zugelassene Testsysteme in hoher Qualität zur Verfügung. Das System der
Zulassungs- und Chargenprüfungen unterliegt einer ständigen Anpassung und erfordert einen
beträchtlichen Aufwand des Prüflabors.
Die Untersuchung von Ohrstanzproben ermöglicht eine frühzeitige Diagnostik, die insbesondere
in Bundesländern mit ausgeprägtem Kälberhandel für einen Ausschluss nicht untersuchter Kälber
vom Handel als wesentlich Quelle der Infektionsverbreitung unabdingbar ist. Allerdings sind damit
auch neue logistische Probleme, Investitionen und Adaptierungen an eine notwendige
Massendiagnostik verbunden. Neben der Erkennung und Eliminierung von PI-Tieren gewinnt der
Schutz vor Neuinfektion als dritte Säule der Bekämpfung insbesondere mit der Absenkung der PI-
Prävalenz und der Zunahme der Zahl voll empfänglicher Herden und Regionen an Bedeutung.
Wesentlichste Maßnahme hierfür ist der Einsatz von Impfstoffen. Auch hier gibt es Unterschiede zu
Bekämpfungsverfahren in anderen Ländern, die z. T. auf Impfstoffeinsatz verzichten oder ihn gar
untersagen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 95


Wiederkäuer
BVD-Verbreitung und PI-Prävalenz in Deutschland
Die BVD/MD ist seit dem 3.11.2004 eine anzeigepflichtige Erkrankung. Anzeigepflichtig ist die
Feststellung eines PI-Tieres sowie einer klinischen Mucosal Disease-Erkrankung. Voraussetzungen
für die Feststellung eines Falles nach den „Falldefinitionen für anzeigepflichtige Tierseuchen und
meldepflichtige Tierkrankheiten, Stand April 2010“ sind:
 Zwei positive Erregernachweise im Abstand von maximal 60 Tagen (persistent infiziertes Rind)
oder
 ein Erregernachweis, ohne dass eine Wiederholungsuntersuchung stattgefunden hat oder
 ein an Mucosal Disease erkranktes Rind sowie
 die Nachkommen eines persistent BVD-infizierten Rindes.

Abb. 1 gibt einen Überblick über die Statistiken aus dem Tierseuchennachrichtensystem (TSN).
Dabei wird deutlich, dass der Meldepflicht in der Vergangenheit und zum Teil auch noch aktuell nur
ungenügend nachgekommen wird. Bei ca. 6 Mio. Abkalbungen pro Jahr und einer angenommenen
PI-Prävalenz (eigentlich Inzidenz) von 0,5-1,0 % wäre mit dem jährlichen Auftreten von 30-60.000
Fällen zu rechnen. Die Ursache für die Diskrepanz liegt auch in Rechtsunsicherheiten begründet. So
wird z. T. nur das erste PI-Tier eines Bestandes als BVD-Ausbruch erfasst und der Ausbruch gilt als
beendet, wenn das letzte PI-Tier den Bestand verlassen hat. Das bedeutet, dass das Auftreten von
vielen PI-Tieren über lange Zeiträume sich in der Statistik nicht widerspiegelt. In diesem
Zusammenhang sind begriffliche Klarheiten in Bezug aus den „Ausbruch“ im Sinne des
Tierseuchengesetzes und dem „Fall“, wie er für die BVD fachlich zutreffend ist, zu schaffen.

Abb. 1: BVD-Fälle in Deutschland nach TSN

96 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Tabelle 1: Virusantigen/-genomnachweise zwischen dem 1.1.2011 und dem 18.8.2011 in
Deutschland (Quelle: HI-Tier)
Rinderbestand in
Virusnachweise Tausend Inzidenz
SH 1088 1133 0,96
NI 5004 2519 1,99
HB 2 10 0,50
NW 1395 1406 0,99
HE 407 467 0,87
RP 567 366 1,55
BW 1907 1032 1,85
BY 8809 3337 2,64
SL 58 49 1,18
BB 660 551 1,20
MV 588 542 1,08
SN 111 498 0,22
ST 236 339 0,70
TH 315 339 0,93
gesamt 21147 12588 1,68

Bereits im Vorgriff auf das verpflichtende Untersuchungsverfahren wurde in zahlreichen


Bundesländern 2010, aber auch z. T. schon früher, Programme auf überwiegend freiwilliger
Grundlage initiiert. Das hat zu einem Anstieg der Untersuchungs- und Fallzahlen geführt und dies hat
sich 2011 fortgesetzt. Eine Abfrage der HI-Tierdatenbank hat für den Zeitraum 1.1.2011 bis
18.8.2011 in den Kategorien 101, 105, 107, 111 112 – das sind alle Virusantigen- bzw.
Virusgenomnachweise außer Blutpools – für Deutschland insgesamt 21.147 positive Fälle ergeben.
Bei einem Tierbestand von 12,6 Mio. Rindern in Deutschland (Tiergesundheitsjahrbuch 2010) ergibt
sich eine Inzidenz von 1,67 % (Tabelle 1). Die Streuung ist beträchtlich und reicht von 0,22 %
(Sachsen) bis 2,64 % (Bayern). Es wird darauf verwiesen, dass die diagnostische Inzidenz nicht
gleichbedeutend ist mit der PI-Prävalenz, da sowohl transient infizierte Tiere mit erfasst werden als
auch Zweifachuntersuchungen zur Ermittlung von PI-Tieren teilweise doppelt gezählt sind.

Zur molekularen Epidemiologie der BVD in Deutschland


Seit 2008 werden am Nationalen Referenzlabor für BVD in verstärktem Maße molekulare
Charakterisierungen von Virusisolaten vorgenommen, die auf unsere Bitte hin von den
Untersuchungseinrichtungen der Länder eingesandt worden sind. Abbildung 2 enthält eine
Zusammenstellung der Ergebnisse von Sequenzierungen im Bereich des 5’-UTR von 262 Isolaten
aus insgesamt 7 Bundesländern (SH, MV, NI, NR, BY, SA, ST).
Vorherrschende Subtypen sind 1b und 1d, die 75 % der Isolate ausmachen. Viren vom Genotyp
2 des BVDV machen einen Anteil von 5 % aus. Nur 3 % der analysierten Virusstämme gehören zum
Subtyp 1a, der in Impfstoffen überwiegend verwendet wird und auf den auch die Diagnostik
fokussiert ist, in Deutschland aber offensichtlich, wie generell in Mitteleuropa nur marginal vorkommt.
Weitergehende Studien zur Genotyp- und Subtypverteilung sind daher nicht nur für die

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 97


Wiederkäuer
epidemiologische Nachverfolgung von Interesse, sondern auch für strategische Ausrichtung und
Optimierung von Diagnostik- und Bekämpfungskonzepten unter Einschluss immunprophylaktischer
Maßnahmen.

Abb. 2: BVDV-Genotyp- und Subtypanalyse von 262


Virusisolaten aus Deutschland 2008 bis 2011

Kontaktadresse
Dr. Horst Schirrmeier, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit,
Greifswald-Insel Riems, [email protected]

98 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Aktueller Kenntnisstand zum Einsatz von Gamithromycin bei


Rindergrippe
Ariane Schade, Florian Fischer
Merial GmbH, Hallbergmoos

Die Rindergrippe stellt nach wie vor insbesondere in der Rindermast und im Kälber- und
Jungviehbereich eine der wirtschaftlich und auch tierschutzmäßig bedeutsamsten Erkrankungen bei
Rindern dar. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung gegen die wichtigsten bakteriellen
Erreger wie Mannheimia haemolytica, Pasteurella multocida und Histophilus somni ist neben einer
günstigen Resistenzlage des eingesetzten Antibiotikums vor allem die Schnelligkeit der Therapie. Sie
setzt sich aus der Zeit bis zur Behandlung und der Zeit bis zur Wirksamkeit des Antibiotikums am
Zielort zusammen. Für einen sinnvollen metaphylaktischen Einsatz ist insbesondere die Dauer der
Wirksamkeit gegen die wichtigsten Erreger entscheidend.
Im September 2010 wurde Gamithromycin (Handelsname: Zactran) als neuer Wirkstoff zur
Therapie und Metaphylaxe bei Rindergrippe in Deutschland und Österreich eingeführt. Als
Azalidantibiotikum gehört dieser Wirkstoff zur Klasse der Makrolide. Es wird einmalig in einer
Dosierung von 6 mg/kg Körpergewicht subkutan verabreicht. Der Wirkmechanismus der Makrolide ist
in der Regel bakteriostatisch. Gamithromycin wirkt jedoch zusätzlich bakterizid (2) Dieser Wirkstoff
besitzt mit 0,5, 1,0 und 1,0 µg/ml für M. haemolytica, P. multocida und H. somni sehr niedrige
MHK90-Werte (2). Mit dem 28-fachen der MHK90-Werte von P. multocida und H. somni und dem 56-
fachen des MHK90-Wertes von M. haemolytica erreicht Gamithromycin sehr hohe Konzentrationen im
Zielgewebe Lunge (berechnet aus Angaben 2,3). Huang et al. konnten zeigen, dass bei subkutaner
Injektion eine fast 100 %-ige Bioverfügbarkeit besteht (1). In derselben Studie wird die Verteilung des
Wirkstoffes im Lungengewebe im zeitlichen Verlauf dargestellt: 24 Stunden nach subkutaner
Verabreichung erreicht der Wirkstoffspiegel in der Lunge sein Maximum. Der MHK90-Wert für M.
haemolytica wird im Lungengewebe bereits 30 Minuten nach Verabreichung und für die Dauer von
15 Tagen überschritten (3). Die Konzentration des Wirkstoffes im Lungengewebe ist bis zu 410-fach
so hoch wie im Plasma (1). Diese Ergebnisse zeigen, dass Gamithromycin mit nur einmaliger
subkutaner Injektion eine sehr schnelle, starke und lange anhaltende Anreicherung im Zielgewebe
Lunge erreicht (4).
Ergebnisse zur Metaphylaxe mit Gamithromycin wurden unter anderem in einer kontrollierten
Belastungsstudie ermittelt. Hierzu wurden 40 Rinder in 4 Gruppen unterteilt und je Gruppe an den
Tagen 1, 5 oder 10 vor einer Belastungsinfektion mit M. haemolytica vorschriftsgemäß (6 mg/kg
Körpergewicht) mit Gamithromycin behandelt. Eine Gruppe diente als Placebogruppe. Die drei
behandelten Gruppen zeigten eine signifikant geringere Belastung mit M. haemolytica und weniger
klinische Anzeichen von Rindergrippe als die Kontrolltiere (4). Dies zeigt, dass die einmalige
metaphylaktische Gabe von Gamithromycin 1, 5 oder 10 Tage vor einer Belastungsinfektion mit M.
haemolytica eine anhaltende antibakterielle Wirkung in der Lunge mit gutem präventiven klinischen
Effekt erzielt.
Diese wissenschaftlichen Studien werden durch Ergebnisse aus dem Feld unterstützt.
Eine „multicenter“-Untersuchung mit 802 beteiligten Tieren zur Evaluierung der
metaphylaktischen Wirkung von Gamithromycin wurde unter europäischen Praxisbedingungen
durchgeführt. In die Studie wurden fünf kommerzielle landwirtschaftliche Betriebe aus Deutschland,

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 99


Wiederkäuer
Italien und Frankreich miteinbezogen. Die Hälfte der aufgestallten Tiere wurde behandelt, während
die andere Hälfte als Kontrollgruppe diente. Die Morbidität am Tag 14 nach der Behandlung wurde in
der behandelten Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe um 64 % reduziert. Der Anteil der Tiere, die
bis zum Tag 14 keinerlei klinische Anzeichen von Rindergrippe zeigten, lag bei den behandelten
Tieren bei 86 %. Weiter gelang es, aus nicht-behandelten Tieren einige wenige Isolate von M. bovis
zu gewinnen und einen vorläufigen MHK90-Wert für Zactran zu bestimmen (5). Die Autoren folgern
aus den Ergebnissen, dass die metaphylaktische Anwendung von Gamithromycin bei Rindergrippe-
gefährdeten Tieren die klinische Inzidenz von Rindergrippe signifikant reduziert.
Von Berghaus et al. wurden in einer Studie per Ausnahmegenehmigung zum Einsatz von
Gamithromycin bei Atemwegserkrankungen des Fohlens Erkenntnisse für diese, noch nicht als
Zieltierart zugelassene Spezies gewonnen (6). Nach einmaliger intramuskulärer Applikation von
Gamithromycin (6mg/kg KGW) beim Fohlen wurden über einen Zeitraum von 7 Tagen ausreichende
Wirkspiegel gegen Rhodococcus equi und Streptococcus zooepidemicus festgestellt (6).

Literaturverzeichnis
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and lung tissue concentrations and plasma antibacterial activity. J Vet Pharmacol Ther. 2010;33:227-37.
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2011 Mar;72(3):326-30.
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Efficacy following Administration of Gamithromycin Using a Bovine Mannheimia haemolytica Challenge
Model. Antimicrob Agents Chemother. 2011 Feb;55(2):831-5.
5. Baggott D, Casartelli A, Fraisse F, Manavella C, Marteau R, Rehbein S, Wiedemann M, Yoon S.
Demonstration of the metaphylactic use of gamithromycin against bacterial pathogens associated with
bovine respiratory disease in a multicentre farm trial. Vet Rec. 2011 Mar 5;168(9):241.
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distribution, and in vitro activity of gamithromycin in foals. J vet Pharmacol Ther 2011 Mar 28. doi:
10.1111/j.1365-2885.2011.01292.x

Kontaktadresse
Dr. Florian Fischer, Merial GmbH, Hallbergmoos, [email protected]

100 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Bovine Neonatale Pancytopenie


Klaus Doll1, Lisa Wenzel1, Julia Francke1, Gerald Reiner1, Hermann Willems1,
Natali Bauer2, Till Rümenapf3, Fabian Deutskens3, Heinz-Jürgen Thiel3, Manfred
Reinacher4, Monika Beyer5, Simone Schillinger5, Philip S. Bridger5, Rolf
Bauerfeind5
1Klinikfür Wiederkäuer und Schweine; 2Klinik für Kleintiere – Zentrallabor; 3Institut für Virologie;
4Institut
of Veterinär-Pathologie; 5Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere, Justus-
Liebig-Universität Gießen

Eine neue Kälberkrankheit


Seit dem Jahre 2006 wird in Milchviehbetrieben und in Mutterkuhherden mehrerer europäischer
Länder ein zuvor in der Literatur noch nicht beschriebenes Krankheitsbild bei Kälbern beobachtet,
welches mit erhöhter Blutungsneigung und Verminderung der Infektionsabwehr einhergeht (1,2).
Zunächst wurde dieses Leiden als „Blutschwitzen“ oder „Hämorrhagische Diathese“; bezeichnet. Auf
dem „Satellite Symposium on Haemorrhagic Diathesis in Calves“ im Dezember 2009 in Marseille
einigte man sich auf die Bezeichnung „Bovine Neonatale Panzytopenie“ (BNP). Die beobachteten
Krankheitserscheinungen beruhen auf einer oft extremen Thrombozytopenie und Leukopenie, in
Verbindung mit einer teilweise hochgradigen Schädigung des Knochenmarks (Panmyelophthise). In
seltenen Einzelfällen wurden ähnliche, mit Knochenmarkschädigung einhergehende hämorrhagische
Diathesen ungeklärter Ätiologie bei Kälbern zwar auch schon in der Vergangenheit beschrieben.
Auffallend an dieser neuen Krankheit ist jedoch das gehäufte Auftreten in bestimmten Regionen und
Betrieben.
Die Krankheit tritt bei fast allen in größerem Umfang gehaltenen Rassen auf. Beide Geschlechter
sind gleichermaßen betroffen. Die Ursache dieser Krankheit war zunächst unbekannt. Aufgrund ihres
„mysteriösen“ Charakters sorgte die BNP nicht nur für eine erhebliche Beunruhigung der
Rinderhalter, sondern auch für erhebliche Resonanz in den Medien.
Inzwischen wird an der Erforschung dieser Krankheit europaweit intensiv gearbeitet. In Deutschland
existiert hierzu seit 2010 ein Verbundprojekt unter Beteiligung der tierärztlichen Bildungsstätten in
Berlin, Gießen, Hannover und München und des Leibnitz-Instituts für Nutztierbiologie in
Dummerstorf.

Erscheinungen und Verlauf der BNP


Die betroffenen Kälber erscheinen nach der Geburt klinisch völlig unauffällig. Auch die
hämatologischen Werte sowie das Knochenmark sind unverändert. Doch häufig schon wenige
Stunden – zumindest aber innerhalb der ersten Tage nach Kolostrumaufnahme – kommt es zu einer
drastischen Verminderung der Thrombozyten- und Leukozytenzahlen im Blut, bei allerdings
erheblicher interindividueller Variation. Bei schweren Verlaufsformen findet sich bereits 72 Stunden
p. n. eine deutlich verminderte Zellularität des Knochenmarks, von der alle Zelllinien betroffen sind
(3,4). Abhängig vom Ausmaß der Knochenmarksschädigung kommt es zu Regenerationsvorgängen
mit Wiederanstieg der Zellzahlen im Blut – oder aber die Thrombozyten- und Leukozytenzahlen
stürzen weiter ab. In diesem Fall sterben die Kälber fast ausnahmslos innerhalb der ersten drei
Lebenswochen aufgrund hochgradiger interner und/oder externer Blutungen (1,6,5,7). Die
plasmatische Gerinnung ist dabei nicht beeinträchtigt (3,8).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 101


Wiederkäuer
Entgegen mancher früherer Berichte treten die äußerlich sichtbaren Blutungen aber offensichtlich
nicht spontan oder „grundlos“ auf („Blutschwitzen“), sondern als Folge teilweise minimaler Traumata
(wie Stöße, Irritationen der Maulschleimhäute bei der Tränkeaufnahme, Stiche oder Bisse von
Insekten, Einziehen der Ohrmarken oder Injektionen). Zudem werden die ersten Petechien oder
Blutbeimengungen im Kot nicht immer gleich erkannt. Tränkeaufnahme und Allgemeinbefinden
können trotz der Blutbildveränderungen noch tagelang ungestört sein, bis die Tiere an den Folgen
der Blutungen mitunter perakut verenden. Es ist davon auszugehen, dass durch die gleichzeitig
bestehende massive Leukopenie zusätzlich virale und bakterielle Infektionen sowie Mykosen
begünstigt werden.

Untersuchungen zur Ätiopathogenese


Bislang durchgeführte Untersuchungen ergaben keine verlässlichen Hinweise auf ein infektiös
oder toxisch bedingtes Geschehen (8,1,8,9,5). Kappe et al. (2) fanden zwar DNA des Porzinen
Circovirus Typ 2 (PCV-2) bei fünf von 25 BNP-Kälbern sowie bei einem von acht Kontrolltieren, doch
konnte dieser Befund von anderen Untersuchern und auch von uns selbst nicht bestätigt werden
(10). Auch Versuche, das Krankheitsgeschehen über die Inokulation von Organmaterial aus BNP-
Kälbern zu reproduzieren, verliefen negativ (8).
Das häufig sehr rasche Auftreten der hämatologischen Veränderungen bereits wenige Stunden
nach Kolostrumaufnahme in Verbindung mit der Zytophagie von Knochenmarkszellen lieferte erste
Hinweise auf ein immunvermitteltes Geschehen, hervorgerufen durch mit dem Kolostrum
aufgenommene Alloantikörper (3,9). Diese Vermutung konnte mittlerweile durch weitere
Untersuchungen bestätigt werden. So ist es gelungen, die charakteristischen Veränderungen durch
Verabreichung des Kolostrums von „Bluter-Müttern“ zu reproduzieren, wobei allerdings nicht alle
Kälber in selbem Maße reagieren (4,5,6). Desweiteren konnten im Blut und Kolostrum von „Bluter-
Müttern“ Alloantikörper nachgewiesen werden, die mit Antigenen auf Blut-Leukozyten und
hämatologischen Vorläuferzellen im Knochenmark interagieren (4,11,12).
Auslöser dieser bei manchen Kühen beobachteten Alloantikörperbildung ist allen bisherigen
Erkenntnissen zufolge die Impfung mit einer inaktivierten BVDV-Vakzine (PregSure® BVD, Fa.
Pfizer). Epidemiologische Untersuchungen hatten bereits frühzeitig einen solchen Zusammenhang
nahegelegt (1). Der Nachweis relevanter Alloantikörper-Titer gegen Kälberleukozyten in Rinderseren
gelang bislang ausschließlich in PregSure® BVD-Impfbetrieben mit BNP-Fällen (11,12,13); dieser
Effekt konnte auch durch experimentelle Vakzination von zwei Kälbern reproduziert werden (12).
Inzwischen wurde die Beteiligung einer zellulären Kontamination in diesem Impfstoff als Ursache
bestätigt (14). Demnach handelt sich bei diesem Zielantigen um MHC I. Mit PregSure® BVD geimpfte
Kühe bilden Antikörper gegen ihnen fremde MHC I-Varianten, welche in diesem Impfstoff enthalten
sind. Hat dann das Kalb vom Vater eine entsprechende MHC I-Variante geerbt, bewirken die mit
dem Kolostrum aufgenommen Alloantikörper eine Zerstörung seiner Thrombozyten, Leukozyten und
der hämatologischen Vorläuferzellen im Knochenmark. Die hohe Variabilität von MHC-1 erklärt das
eher seltene Auftreten klinisch apparenter BNP und die obligate Beteiligung väterlicher Gene (14).
PregSure® BVD war seit Ende 2004 auf dem deutschen Markt verfügbar. Nach Angaben der Fa.
Pfizer waren davon 14 Millionen Dosen innerhalb der EU verkauft worden. Bis Februar 2011 wurden
dieser Firma zufolge EU-weit 4623 BNP-Fälle gemeldet, die meisten davon in Deutschland.
Nachdem Pfizer den Vertrieb dieses Impfstoffs in Deutschland im April 2010 und innerhalb Europas

102 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
im Juni 2010 ausgesetzt hatte, wurde im August 2010 durch die Europäische Arzneimittelagentur ein
Ruhen der Zulassung angeordnet.

Schlussfolgerungen und Ausblick


Bei der Bovinen Neonatalen Panzytopenie handelt es sich um ein komplexes Geschehen, bei
dem ein in einer Vakzine vorhandenes Antigen (MHC I) bei Impflingen mit anderen MHC I-Varianten
die Bildung von Alloantikörpern induziert, welche nach kolostraler Aufnahme bei entsprechend
prädisponierten Kälbern eine oft tödlich verlaufende Krankheit hervorrufen. Damit besitzt die BNP
auch in vergleichender Hinsicht erhebliche Bedeutung. Desweiteren ergeben sich aus diesem
Geschehen Konsequenzen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen.
Denn offensichtlich stellt die Verwendung von Zellen der Zielspezies bei der Herstellung von
Impfstoffen ein grundsätzliches Risiko dar.
Aufgabe für weitere Forschungen auf dem engeren Gebiet der BNP wären zum einen die nähere
Charakterisierung der verantwortlichen MHC I-Varianten sowie deren Verbreitung in der
Rinderpopulation. Darüber hinaus sollte geklärt werden, welche Bedeutung dem in dieser Vakzine
enthaltenen Adjuvans (Procision-A, enthält Quil A, Cholesterol, Amphigen Base und Drakeol) bei
der Alloantikörper-Bildung zukommt. Denn dieses Adjuvans bewirkt aufgrund der Bildung
immunstimulierender Komplexe (ISCOMs) eine sehr starke Immunantwort, und zwar nicht nur gegen
das eigentliche Impfantigen, sondern möglicherweise auch gegen das im Impfstoff enthaltene, für
das Krankheitsgeschehen verantwortliche Zielantigen.

Literaturverzeichnis
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Büttner M, Böttcher J, Klee W. Gehäuftes Auftreten von hämorrhagischer Diathese infolge
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hämorrhagischer Diathese. Proceedings der 2. Tagung der Deutschen Buiatrischen Gesellschaft – DVG;
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LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 103


Wiederkäuer
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Bleecker K, Deprez P. Haemorrhagic diathesis in neonatal calves: an emerging syndrome in Europe.
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Baird P, McKillen J. Lack of evidence for circovirus involvement in bovine neonatal pancytopenia. Vet Rec.
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dams of calves with bovine neonatal pancytopenia contain alloimmune antibodies directed against calf
leukocytes. Vet Immunol Immunopathol. 2011;141(3-4):293-300.
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13. Bauerfeind R. Persönl. Mitteilung
14. Deutskens F, Lamp B, Riedel CM, Wentz E, Lochnit G, Doll K, Thiel HJ, Rümenapf T. Vaccine-iduced
antibodies linked to Bovine Neonatal Pancytopenia (BNP) recognize cattle Major Histocompatibility
Complex class I (MHC I). Vet Res. 2011 Aug 30;42(1):97. [Epub ahead of print].

Danksagung
Die eigenen Forschungen zur Aufklärung dieses Krankheitsgeschehens erfolgten mit finanzieller
Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
(BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Förderkennzeichen
2809HS025.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Klaus Doll, Klinik für Wiederkäuer, Justus-Liebig-Universität Gießen,
[email protected]

104 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Wenn die Leber müde wird: Pathophysiologie und Therapie der


Leberinsuffizienz beim Menschen
Thomas Berg
Sektion Hepatologie, Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Leipzig

Übersicht
Die Zahl der akuten und chronischen Lebererkrankungen steigt weltweit stark an. In Deutschland
stehen Lebererkrankungen auf dem 5. Platz der Sterblichkeitsstatistik (1).
Ca. 70 % der Lebererkrankungen werden durch Fettlebererkrankungen und ca. 20 % durch virale
Infektionen (Hepatitis B, Hepatitis C, Hepatitis Delta) verursacht. Die übrigen 10 % der Erkrankungen
sind unter anderem auf autoimmune Lebererkrankungen (Autoimmunhepatitis, primär biliäre
Zirrhose, primär sklerosierende Cholangitits, IgG4-assoziierte autoimmune Cholangitis/Hepatitis),
genetische Stoffwechselerkrankungen (Hämochromatose, Morbus Wilson) und medikamentös-
toxische Schäden zurückzuführen.
Verschiedene äußere Risikofaktoren wie erhöhter Alkoholkonsum, Übergewicht, falsche
Ernährung und Exposition gegenüber Noxen können der Leber schaden und die Entwicklung und
das Fortschreiten einer Lebererkrankung begünstigen. So besitzt jeder 5. Erwachsene in
Deutschland eine Fettleber, welche in vielen Fällen durch die langfristige Einwirkung der schädlichen
Faktoren hervorgerufen wird (2). Viele Leberkrankungen werden jedoch nicht nur durch äußere
Risikofaktoren beeinflusst, sondern auch durch genetische Faktoren. Zunehmend werden im
Rahmen von genomweiten Analysen genetische Konstellationen nachgewiesen, die signifikant mit
der Entwicklung und der Progression von Lebererkrankungen assoziiert sind.
So wurde zum Beispiel auf Chromosom 22 eine Einzelpunktmutation im Gen für das Protein
Adiponutrin (PNPLA3) gefunden. Adiponutrin wird in den Fettzellen produziert und vermittelt den
Abbau von Triacylglycerolen (freie Fettsäuren, Blutfette, Triglyceride). Die Punktmutation bewirkt
einen Aminosäureaustausch von Isoleucin nach Methionin. Bei Patienten mit einer
nichtalkoholischen Fettlebererkrankung bewirkt der ungünstige Genotyp (für Methionin) eine
verstärkte Fetteinlagerung. Die Träger haben ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung einer Fettleber,
von chronischen Entzündungen und für die Entwicklung einer Leberfibrose bzw. –zirrhose und auch
eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) (3,4).
Unbehandelt führt die Mehrzahl der chronischen Leberkrankungen zu einer zunehmenden
Fibrosierung des Leberparenchyms und schließlich zur Ausbildung einer Cirrhose. In diesem
Stadium steigt das Risiko für die Entwicklung hepatozellulärer Karzinome (HCC) deutlich an. Das
HCC und die dekompensierte Cirrhose stellen inzwischen gut etablierte Indikationen zur
Lebertransplantation dar. Das Langzeitüberleben 5-10 Jahre nach Lebertransplantation liegt bei ca.
70-80 % (5).
In der Mehrzahl der Fälle ist jedoch eine Heilung bzw. Rückbildung der chronischen
Leberveränderungen möglich, vor allem dann, wenn die Diagnose frühzeitig, vor Ausbildung der
Cirrhose, gestellt wird. Das zunehmende Verständnis der Pathomechanismen chronischer
Lebererkrankungen hat zu einer erheblichen Weiterentwicklung der therapeutischen Möglichkeiten
geführt. Durch den Einsatz bestimmter Biomarker gewinnt auch die personalisierte Medizin in der
Hepatologie zunehmend an Bedeutung.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 105


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
1. Tacke F, Weiskirchen R. Liver fibrosis - pathogenesis and novel therapeutic approaches. Internist (Berl).
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5. Berg T. Aktuelle Aspekte der Lebertransplantation. Hrsg. Neuhaus P, Pfitzmann N.; 2. Aufl. Bremen-
London-Boston: UNI-MED Verlag AG; 2005.

Kontaktadresse
Prof. Dr. med. Thomas Berg, Sektion Hepatologie, Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie,
Universitätsklinikum Leipzig, [email protected]

106 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Gib ihr Saures: Was macht die Rinderleber anders?


Jörg R. Aschenbach1, Mirja Carra2, Harald M. Hammon3, Gotthold Gäbel4
1Institut
für Veterinär-Physiologie, Freie Universität Berlin; 2Institut für Physiologie, Pathophysiologie
und Biophysik, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 3Leibniz-Institut für
Nutztierbiologie, Dummerstorf; 4Veterinär-Physiologisches Institut, Universität Leipzig

Einleitung
Im Gegensatz zum Monogastrier decken adulte Wiederkäuer mit funktionierendem
Retikulorumen den größten Teil ihres Energiebedarfes aus kurzkettigen Fettsäuren, die überwiegend
dem Pansenstoffwechsel entstammen. Da nahezu alle Kohlenhydrate in die mikrobielle Fermentation
einbezogen werden können, ist die Hauptkonsequenz dieser Ernährungsweise, dass die
Verfügbarkeit von Glukose für die direkte Resorption und metabolische Nutzung in den meisten
Fütterungssituationen extrem niedrig ist (2). Entsprechend ist der Wiederkäuer obligat auf eine hohe
Glukoneogeneseaktivität angewiesen, wobei der Hauptteil dieser Glukoneogenese in der Leber
stattfindet. Von den resorbierten kurzkettigen Fettsäuren können nur Propionat, Valerat und
Isobutyrat als glukoplastische Substrate fungieren. Dabei ist Propionat die bei weitem dominierende
glukoplastische Säure, da sie im Pansenstoffwechsel mit einem Anteil von ca. 15-40 % der
gesamten organischen Säuren produziert wird. Somit ist Propionat das vorrangige Substrat der
hepatischen Glukoneogenese beim Wiederkäuer, was einen grundlegenden qualitativen Unterschied
zur Glukoneogenese beim Nichtwiederkäuer darstellt und zahlreiche Konsequenzen für die
Regulation der Glukosehomöostase hat. In der Hochlaktation sind die Anforderungen an die
Glukoneogenese besonders hoch, da bei den derzeit realisierten Milchleistungen große Mengen an
Glukose für die Milchzuckerbildung erforderlich sind (2).

Bevor nun in den folgenden Kapiteln die phylogenetischen Voraussetzungen erörtert werden, die
die Rinderleber zu dieser hocheffizienten Glukoseproduktion befähigen, soll auch die Bedeutung der
Leber im Stoffwechsel der anderen beiden Hauptsäuren des Pansenstoffwechsels kurz erwähnt
werden. Azetat und Butyrat dienen überwiegend als Energiesubstrate und als Bausteine für mittel-
bzw. langkettige Fettsäuren, letzteres insbesondere in der Milchdrüse bzw. im Fettgewebe. Butyrat
wird vor der Utilisation zum weitaus größten Teil metabolisch zu Ketonkörpern (-Hydroxybutyrat
und Azetoazetat) und Azetat umgesetzt. Diese Umsetzung geschieht in quantitativ bedeutendstem
Umfang bereits im Pansenepithel, wo -Hydroxybutyrat das Hauptendprodukt ist (4,5). Das im
Pansenepithel bzw. den PDV ebenfalls produzierte Azetoazetat wird zusammen mit dem
verbleibenden Butyrat nahezu vollständig in der Leber zu -Hydroxybutyrat und Azetat umgesetzt
(4). Der Leber kommt folglich beim Rind die wichtige metabolische Aufgabe zu, die im Pansen
entstehenden C4-Metaboliten mit hohem Potenzial für transkriptionelle Dysregulation (Butyrat; Ref.
3) und oxidativen Stress (Azetoazetat und das daraus spontan entstehende Azeton; Ref. 6) zu
„entgiften“. Letztere Funktion der Leber ist bei exzessiver Lipolyse in der Hochlaktation aufgrund der
hohen Anflutung unveresterter langkettiger Fettsäuren empfindlich gestört und die Leber wird in der
negativen Energiebilanz zu einem Organ der Nettofreisetzung von Azetoazetat (4).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 107


Wiederkäuer
Beitrag der hepatischen Glukoneogenese zur Glukoseversorgung
Der Glukoseeintritt in die systemische Zirkulation kann entweder über die Resorption von
Glukose aus dem Gastrointestinaltrakt oder über Glukoneogenese erfolgen. Der Gastrointestinaltrakt
der Wiederkäuer ist grundsätzlich zur Glukoseresorption befähigt, v. a. der Vormagen und der
Dünndarm. Dabei kann insbesondere die Glukoseresorption im Darm eine ernährungsphysiologische
Relevanz erreichen, wenn große Mengen an pansenresistenter Stärke gefüttert werden (z. B. Mais,
Sorghum oder NaOH-behandelter Weizen). In den meisten Fällen ist jedoch die Nettoresorption von
Glukose aus dem portalen Einzugsgebiet (Portal-drained viscera, PDV) negativ, was darauf
hindeutet, dass die gastrointestinalen Gewebe auch bei luminaler Glukoseverfügbarkeit mehr
Glukose verstoffwechseln als sie aus dem Lumen resorbieren (2).
Entsprechend deckt die Glukoneogenese auch bei extremer Überversorgung mit
pansenresistenter Stärke noch den allergrößten Anteil des systemischen Glukoseeintrittes ab (2,5).
Die Glukoseproduktion erhöht sich drastisch nach der Abkalbung und kann bei einer Milchleistung
von 40 kg/d ungefähr 700 mmol/h (~3 kg/d) erreichen. Der Glukoseeintritt von Spitzenkühen mit
einer Milchleistung von 90 kg/d wurde auf 7,4 kg/d geschätzt, von denen ca. 4,4 kg unmittelbar als
Ausgangssubstrat für den Milchzucker benötigt werden (2).

Substrate der hepatischen Glukoneogenese


Propionat ist mit einem geschätzten Anteil von 60-74 % das Hauptsubstrat der hepatischen
Glukoneogenese, gefolgt von L-Lactat (16-26 %), Alanin (3-5 %), Valerat und Isobutyrat (5-6 %),
Glyzerol (0,5-3 %) sowie anderen Aminosäuren (8-11 %). Die glukoplastischen Substrate stammen
beim bedarfsgerecht gefütterten Wiederkäuer zum überwiegenden Teil aus der Nahrung mit
Ausnahme von Laktat und Glyzerol, welche als überwiegend endogene glukoplastische Substrate
anzusehen sind. Die Glukoneogenese aus Laktat und Glyzerol erhöht sich deutlich bei Energiedefizit
und der damit assoziierten Lipomobilisation. Grundsätzlich können jedoch Glyzerol (als
Futtermittelzusatzstoff verwendet) und Laktat (bei Pansenazidose vermehrt im Pansen gebildet)
auch als exogene glukoplastische Substrate fungieren. Ein für den Wiederkäuer spezifisches
exogenes Substrat der Glukoneogenese ist 1,2-Propandiol (Propylenglykol, PG), welches bei
frischlaktierenden Kühen eine relativ breite Anwendung als Futtermittelzusatzstoff findet. Dass
dieses schlecht metabolisierbare Substrat gerade beim Wiederkäuer so gut für die Glukoneogese
verwendet werden kann, begründet sich in intraruminalen Umwandlung von PG zu Propanol und
Propanal, welche letztendlich die Hälfte des glukoplastischen Potenzials von PG ausmachen (2).

Dynamik und Regulation der hepatischen Glukoneogenese


Da Propionat das vorherrschende Substrat der Glukoneogenese beim Wiederkäuer ist, ergibt
sich auch eine völlig andere Zeitkinetik der Glukoneogenese im Vergleich zum Monogastrier. Da die
ruminale Produktion und Resorption von Propionat nach der Fütterung stark ansteigt, ist auch die
hepatische Glukoneogenese am höchsten nach der Fütterung bzw. in Perioden der energetischen
Überversorgung. Beim Nichtwiederkäuer ist die Glukoneogenese hingegen während der
Nahrungskarenz am höchsten, bzw. in Zeiten energetischer Unterversorgung (2). Entscheidende
Voraussetzung für die Forcierung der Glukoneogenese nach der Nahrungsaufnahme ist die
Insensitivität der Propionat-abhängigen Glukoneogenese gegenüber Insulin. Insulin hat beim
Wiederkäuer zwar einen stärkeren inhibitorischen Effekt auf die hepatische Glukoseabgabe als beim
Monogastrier (5), die Glukoneogenese wird aber kaum durch Insulin beeinträchtigt. So kann die
Rinderleber in Zeiten energetischer Überversorgung ihre Glykogenspeicher mittels forcierter
108 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
Glukoneogenese und gedrosselter Glukoseabgabe effizient auffüllen. Diese physiologische
Besonderheit hat wahrscheinlich auch die Funktion, eine Propionatakkumulation im Blut zu
verhindern, was eine Verzehrsdepression und andere metabolische Beeinträchtigungen zur Folge
hätte (2).

Die Quantität der Glukoneogenese wird kaum durch die systemische Glukoseverfügbarkeit
geregelt. Hierfür ist neben der geringen Insulinsensitivität der Glukoneogenese auch die
Abwesenheit der Glukokinase in der Rinderleber bedeutsam. Dieses Enzym ermöglicht beim
Monogastrier die Akkumulation größerer Glukosemengen als Glukose-6-Phosphat (G6-Phosphat),
wenn der Blutglukosespiegel ansteigt. Das Fehlen dieses Enzyms stellt bei Rindern sicher, dass
deren Leber keine/kaum aus dem Blut aufgenommene Glukose verstoffwechselt, sondern G6-
Phosphat v. a. über Glukoneogenese produziert. Zusätzlich haben Rinder eine vergleichbar hohe
Aktivität der hepatischen G6-Phosphatase. Dieses Enzym sorgt für eine schnelle
Dephosphorylierung des in der Glukoneogenese gebildeten G6-Phosphats, sodass dieses als
Glukose in das Blut abgegeben werden kann. Damit ist sichergestellt, dass die Rinderleber stets ein
Organ der Nettoglukoseabgabe und nie ein Organ der Nettoglukoseaufnahme ist. Rinder werden
therapeutisch applizierte Glukose also fast ausschließlich in den peripheren Organen nutzen mit
vergleichsweise geringen Auswirkungen auf die hepatische Glukoseproduktion (2). Wir selbst
konnten zeigen, dass extrem hohe Glukosemengen (~2.65 kg/d) intravenös appliziert werden
müssen, bevor die Aktivität von Enzymen beeinträchtigt wird, welche für die hepatische
Glukoseabgabe aus der Glukoneogenese entscheidend sind (Fruktose-1,6-bisphosphatase und G6-
Phosphatase) (1).

Potenzielle therapeutische Angriffspunkte zur Stabilisierung des Leberstoffwechsels


postpartum
Aus dem zuvor Gesagten wird deutlich, dass Kühe ihren Leberstoffwechsel während der
Phylogenese hervorragend an die fermentative Ernährungsweise angepasst haben. Durch die
Züchtung auf extrem hohe Milchleistung kommt das relative stabile System jedoch teilweise an seine
Grenzen. Die hohe metabolische Priorität der Glukoneogenese kann dazu führen, dass Oxalazetat in
großem Umfang als glukoplastisches Substrat verbraucht wird und nicht mehr für den Zitratzyklus
zur Verfügung steht. Dies kann dazu beitragen, dass Azetyl-CoA nicht mehr im Zitratzyklus
umgesetzt wird und es zur Fettleber und Ketose kommen kann. Dem wird gegenwärtig vor allem
durch Fütterungsstrategien entgegen gewirkt, die auf eine vermehrte Bereitstellung von Propionat
und glukoplastischen Aminosäuren aus den PDV abzielen. Dazu zählen Maßnahmen zur Steigerung
der Futteraufnahme, zur Modifikation der Pansenfermentation oder zur direkten dietätischen
Supplementierung glukoplastischer Substrate (insbes. Propylenglykol). Die hepatische Utilisation von
Propionat kann zusätzlich verbessert werden, indem Vitamin B12 verabreicht wird, welches ein
wichtiger Kofaktor der Methylmalonyl-CoA-Mutase ist, die ihrerseits für die Einschleusung von
Propionat in die Glukoneogenese limitierend sein kann. Glukokortikoide verbessern wahrscheinlich
die Mobilisierung und Bereitstellung endogener glukoplastischer Substrate aus den peripheren
Geweben und können somit den Leberstoffwechsel stabilisieren. Auch für Glukagon wurden positive
Effekte auf den Leberstoffwechsel gezeigt, die sich wahrscheinlich in einer Stimulation der
Pyruvatkarboxylase und damit ebenfalls in einer verbesserten Einschleusung endogener
glukoplastischer Substrate in die Glukoneogenese begründen (2).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 109


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
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*Weiterführende Literatur befindet sich insbesondere in dieser Referenz.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach, Institut für Veterinär-Physiologie, Freie Universität Berlin,
[email protected]

110 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Changes of Challenges: How does the Bovine Liver Grow with its
Tasks?
James K. Drackley
Department of Animal Sciences, University of Illinois at Urbana-Champaign (USA)

Introduction
The liver is the major “crossroads of metabolism” and occupies a central role in coordination of
nutrient distribution in dairy cows and other mammals. Because of its anatomical location between
the digestive tract and the rest of the body, all nutrients absorbed from the gastrointestinal tract
(except for dietary fat in chylomicra or very-low-density-lipoproteins (VLDL) absorbed via the
lymphatic system) must pass through the liver on the way to the heart for circulation. The liver also
plays important protective roles in detoxification and filtering out bacteria that enter across
compromised gastrointestinal epithelia. Many hormones are cleared or metabolized in the liver. To
fuel these many metabolic processes the liver consumes a disproportionate share of oxygen relative
to its mass (18).
The bovine liver largely carries out its many functions without difficulty during most phases of the
lactation cycle. An exception may be the transition or periparturient period, particularly from calving
into early lactation (4). Dairy cows undergo tremendous changes during the transition from late
gestation to early lactation, driven by the need to ensure provision of adequate nutrients for the calf
before and after birth. The magnitude of metabolic challenge faced by modern dairy cows is
staggering. Requirements for the metabolites that constitute metabolizable energy (ME) may double
“overnight” as cows calve and commence lactation (2,15). As a central component of these
adaptations, the liver exhibits remarkable plasticity.

Metabolic Changes in the Liver during the Transition Period


A summary of the directional fluxes for major compounds across the bovine liver is provided in
Table 1, as determined by the multicatheterization approach (18), in which concentration differences
in venous blood and arterial blood are multiplied by rates of blood flow across the organ or tissue bed
to estimate net uptake or output of nutrients. The liver takes up glucogenic substrates such as
propionate, lactate, alanine, and glycerol and exports glucose. Uptake of NEFA and butyrate leads to
output of the ketone bodies β-hydroxybutyrate (BHBA) and acetoacetate, particularly early
postpartum. Ammonia is cleared by the liver with subsequent release of urea. Acetate from the
portal-drained viscera is not removed by the liver; instead there is a small output of acetate, likely as
an additional product of β-oxidation of NEFA.
These measurements are useful to determine changes in relative fluxes among key compounds
during times of adaptation or metabolic imbalance. Some key differences between dairy cows at
energy balance and during negative energy balance are shown in Fig. 1 and 2. To meet their glucose
requirements, cows rely on gluconeogenesis from propionate in the liver (6), which is limited by low
feed intake early postpartum. Amino acids, particularly alanine, from the diet or from skeletal muscle
breakdown (10) as well as glycerol from mobilized body fat supply the remainder of the glucose
demand. During early postpartal negative energy balance, the net uptake of NEFA increases
markedly as body fat is mobilized. Increased uptake of NEFA leads to increased production of ketone
bodies and greater hepatic fat deposition because ruminant liver does not efficiently export VLDL (9).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 111


Wiederkäuer

Fig. 1: Representation of metabolism in a


normal healthy cow at energy balance.
Heavy arrows represent large flux, dotted
lines minimal flux. Feed intake provides
sufficient propionate for glucose synthesis,
high insulin suppresses fat mobilization in
adipose tissue. Little NEFA is taken up by
liver, and so ketone bodies are not
produced and little triglyeride (TG)
accumulates. NE = norepinephrine; Epi =
epinephrine.

Fig. 2: Representation of metabolism in


cow during negative energy balance.
Heavy arrows represent large flux, dotted
lines minimal flux. Feed intake is
insufficient for nutrient demands, so insulin
is low. Lipolysis is activated by the
sympathetic nervous system. A large flux
of NEFA occurs, which may be
incorporated into milk fat or be taken up by
liver (and other tissues). Low insulin and
carbohydrate insufficiency in liver promote
ketogenesis and excess NEFA are
converted to triglycerides (TG) that
accumulate because capacity of bovine
liver to secrete very-low density lipoprotein
(VLDL) is low. Glycerol and glucogenic amino acids (principally alanine) as well as lactate (not shown) supply
the remaining glucose that propionate cannot provide. NE = norepinephrine; Epi = epinephrine.

Maintaining optimal liver function is central for smooth transitions to heavy milk production. Fat
infiltration impairs the liver’s ability to detoxify ammonia to urea (21). Blood ammonia concentrations
were positively correlated with the degree of hepatic fat accumulation in cows shortly after calving
(22). Ammonia decreases the ability of the liver to convert propionate to glucose (17), thus linking fat
accumulation to impaired gluconeogenesis (6). Fatty liver also impairs the ability to detoxify
endotoxin, and thereby renders the cow extremely sensitive to endotoxic shock and death (1).

112 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Table 1: Net flux across liver for important compounds in dairy cows (3,10,19)
Compound Net flux direction
Acetate Output
Propionate Uptake
Butyrate Uptake
Glucose Output
Lactate Uptake
NEFA Uptake
BHBA Output
Glycerol Uptake
Ammonia Uptake
Urea Output
Alanine Uptake
Triglyceride Variable

How Does the Liver Grow to its Tasks?


Given the magnitude of adaptations that the liver must make in transition from late gestation to
early lactation, the mechanisms whereby liver is able to meet the challenges are of enormous
practical importance as well as academic interest. For example, the liver essentially doubles its
output of glucose between late gestation and early lactation (19). How does it do this? There are
several possibilities, including 1) increases in liver mass; 2) increases in blood flow and nutrient
supply to the liver; and 3) increases in specific metabolic activity.

Increased Organ Mass


The bovine liver increases in size only modestly from late gestation to early lactation, and
appears to change little immediately postpartum. For example, Reynolds et al. (2004) found that the
mass of the liver was unchanged in cows slaughtered at -7 or +10 days relative to parturition (8.80
vs. 8.83 kg, respectively). Even as cows approached peak lactation, liver mass increased by only
about 9 % (9.59 kg at day 22) relative to mass at seven days before parturition. Thus, large changes
in tissue mass are likely not important components of the liver’s plasticity of function.

Changes in Hepatic Blood Flow and Substrate Availability


Blood flow rates through the liver increase markedly during the transition from late pregnancy to
early lactation. Reynolds et al. (19) measured blood flow from the hepatic vein (blood leaving the
liver) of 1147 l/h at day -7 relative to calving and 2187 l/h by day 11 postpartum in the same cows.
Increased liver blood flow was a factor of increased flow rates through both the portal vein and the
hepatic artery. Delivery of substrates to liver increases with increased substrate concentrations in
portal blood resulting from increased DMI. Increased blood flow rate occurs via increased cardiac
output and through local stimulatory mechanisms that respond to tissue metabolic activity. Therefore,
blood flow increases in parallel with increased metabolic activity in the liver, which contributes to the
ability of the liver to “grow” to its tasks.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 113


Wiederkäuer

Changes in Tissue “Specific Metabolic Activity”


Metabolic adaptations in the liver are accomplished in large part by changes in the metabolic
“machinery” per gram of tissue, a concept we have called “specific metabolic activity” (4-6). These
changes occur primarily via changes in transcription and translation of genes, and so can be studied
by measuring mRNA for enzymes in known metabolic pathways. Metabolic activities are up-
regulated or down-regulated irrespective of substrate supply by increasing or decreasing the steady-
state amounts of specific enzymes within the liver. For example, the capacity of liver tissue to convert
alanine to glucose was 198 % of prepartum (21 days before calving) values one day after calving,
whereas capacity for conversion of propionate to glucose increased to only 119 % (16). Hepatic
expression of mRNA for the key regulatory enzymes involved (pyruvate carboxylase and
phosphenolpyruvate carboxykinase) changed in a similar manner (7). As another example, the rate
of TG synthesis in liver tissue is increased around calving (8,11); consequently, cows fed typical diets
during the peripartal period have increased concentrations of TG in the liver one day after calving (8).
Ad libitum feeding of high-energy diets during the dry period increases esterification capacity and
decreases oxidation capacity in liver at one day post-calving, which would favor deposition of TG in
the liver (11).
The advent of microarray techniques for expression profiling has greatly increased knowledge of
changes in gene expression in response to hormonal and developmental cues. Using a bovine cDNA
microarray developed at the University of Illinois (12-14), we demonstrated that hepatic gene
expression changes markedly from late pregnancy into early lactation, and that many of these
adaptive changes are affected by prepartal diet (13) and metabolic imbalance (14).

Conclusions
Dairy cows undergo tremendous metabolic adaptations from late pregnancy to early lactation.
The liver, as an important component of these adaptations, does indeed “grow” to meet the new
demands of changing physiological states and challenges to homeostasis. The mechanism for these
changes is multifaceted, including changes in blood flow and nutrient supply and increases in tissue
“specific metabolic activity”. Research to increase our understanding of the adaptive processes and
how they are affected by precalving nutrition and environmental influences should improve
management capabilities for cows during the transition period.

References
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in cattle. Zentralbl Veterinarmed A. 1996;43:93-101.
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114 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
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Contact address
Professor James K. Drackley, Department of Animal Sciences and Division of Nutritional Sciences,
University of Illinois at Urbana-Champaign (USA), [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 115


Wiederkäuer

Die Fetteinlagerung in die Leber der Milchkuh – Wie verändert sich


das Organ?*
Alexander Starke1, Alois Haudum1, Roger Busche1, Katharina Wussow1, Liane
Matthies1, Sonja Schmidt1, Marian Kusenda1, Martin Beyerbach2, Peter Wohlsein3,
Andreas Beineke3, Jürgen Rehage1
1Klinik
für Rinder; 2Institut für Biometrie, Epidemiologie und Informationsverarbeitung; 3Institut für
Pathologie, Stiftung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

* Der Inhalt des Manuskripts findet sich in Teilen in der Habilitationsschrift von PD Dr. A. Starke,
Hannover (2011).

Wesen, Pathogenese und Dynamik der Leberverfettung


Bei etwa 50 % der Milchkühe wird in den ersten Laktationswochen eine übermäßige
Fetteinlagerung in die Leber beobachtet (Jorritsma et al., 2001; Bobe et al., 2004). Im Rahmen des
Lipomobilisationssyndroms werden bei Milchkühen vermehrt metabolische, infektiöse und
reproduktive Störungen sowie Labmagenverlagerungen und Lahmheiten festgestellt. Darüber hinaus
besitzen Kühe mit hohem Leberfettgehalt die Prädisposition zur Entwicklung einer Leberinsuffizienz.
Die hochgradige Leberverfettung ist damit ein Bindeglied zwischen den Anforderungen von
Gravidität, Geburt und Puerperium an das Muttertier und den potenziell daraus erwachsenden
Gesundheitsstörungen. Die Produktionsverluste und Behandlungskosten betroffener Tiere verleihen
ihr eine hohe ökonomische Bedeutung (Herdt, 1988; Rehage et al., 1996; Jorritsma et al., 2000;
Bobe et al., 2004; Beever, 2006; Mulligan and Doherty, 2008; Duffield et al., 2009).
Die Ursache einer Leberverfettung wird in der negativen Energiebilanz hochleistender Milchkühe
gesehen (Block et al., 2001; Drackley et al., 2001; Grummer et al., 2004). Zur Kompensation des
Defizits werden körpereigene Energiereserven vor allem Fett mobilisiert (Bell, 1995). Unter den
Bedingungen einer hohen NEFA-Anflutung (non-esterified fatty acids, nicht veresterten Fettsäuren)
aus den Fettdepots wird ein erheblicher Anteil dieser in den Hepatozyten zu Ketonkörpern [Aceton,
Acetacetat, Beta-hydroxybutyrate (BHB)] verstoffwechselt oder zu Triacylglycerol (TAG) reverestert
(Krebs, 1966; Drackley, 1999). Letztere können an Lipoproteine [hauptsächlich Very Low Density
Lipoproteins (VLDL)] gebunden aus der Leber ausgeschleust werden. Da die Leber des Rindes nur
eine geringe Kapazität zur Produktion von VLDL besitzt (Kleppe et al., 1988; Mazur et al., 1988;
Pullen et al., 1989; Katoh, 2002), verbleiben bei einer hohen TAG-Produktion diese größtenteils im
Organ (Drackley, 1999; Herdt, 2000). Der Anteil der TAG am Totallipid (TL)-Gehalt der Leber steigt
(Gaal et al., 1983; Reid and Roberts, 1983; Herdt, 1988; Staufenbiel et al., 1993). Aus neueren
Untersuchungen an Leberbiotaten von Deutsch-Holstein-Kühen mit unterschiedlichem
Leberfettgehalt geht hervor, dass der proportionale Anteil von TAG an TL (Starke et al., 2010a)
zunächst linear ansteigt, dann jedoch ab Leber-TL-Gehalten von etwa 100 mg/g Leberfrischgewicht
[fresh weight (FW)] nahezu konstant bei ca. 70 % bleibt. Eine derartige Abweichung vom
kontinuierlichen Anstieg des eingelagerten Speicherfettes wurde bisher nur für Ratten beschrieben
(Gauthier et al., 2004). Es ist also davon auszugehen, dass sich bei hochgradiger Leberverfettung
auch vermehrt andere Lipidfraktionen z. B. Cholesterol, Cholesterolester und NEFA in den
Hepatozyten anreichern (Reid et al., 1977; Collins and Reid, 1980; Bobe et al., 2004). Die Frage
nach der Zusammensetzung des Nicht-TAG-Anteils und danach, welchen Einfluss die anderen

116 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Lipidfraktionen auf Zellstoffwechsel, -integrität und –funktion in den Hepatozyten des Rindes
ausüben, ist noch offen. Aus der Humanmedizin gibt es Hinweise, wonach die Lipotoxizität vor allem
an die Nicht-TAG-Fettsäuremetaboliten gekoppelt ist (Neuschwander-Tetri, 2010a, b). Da bekannt
ist, dass Kühe mit zunehmendem Leberfettgehalt zur Entwicklung einer Leberinsuffizienz neigen
(Herdt, 1988; Rehage, 1996), wären ähnliche Rückschlüsse beim Rind denkbar. Eine praktische
Relevanz der Beobachtung zur Dynamik des Leberfettgehaltes liegt vor allem darin, dass unter
Verwendung eines Broken-Line Modells der Leber-TAG-Gehalt aus dem TL-Gehalt oder umgekehrt
(r² = 0,98) berechnet werden kann. Damit wird die Bestimmung eines der beiden Parameter (TL,
TAG) entbehrlich, was den analytischen Aufwand in wissenschaftlichen Studien reduziert (Starke et
al., 2010a).

Nicht-invasive Diagnostik des Leberfettgehaltes


Klinische Untersuchungen zur Leberverfettung der Milchkühe setzen die Kenntnis des
Leberfettgehaltes voraus. Als Routineverfahren zur Klassifizierung der Tiere in größeren
Milchviehbeständen bedarf es dafür einer zuverlässigen, real-time Methode. Versuche, auf der Basis
der sonographischen Beurteilung der Gewebetextur des Leberparenchyms den Fettgehalt
abzuschätzen, lieferten bei Rindern bereits vielversprechende Ergebnisse (Braun, 1990, 2009;
Acorda et al., 1994a, b; Braun and Gerber, 1994; Delling, 2000; Bobe et al., 2008). Ziel jüngerer
Untersuchungen war es, neben den aus der subjektiven Beurteilung von Leberultraschallbildern
resultierenden inter- und intraindividuellen Unterschieden (Strauss et al., 2007), auch die
untersuchungs- und gerätebedingten Artefakte sowie den Einfluss der Bauchwand des Tieres auf
das Analyseergebnis zu eliminieren. Diese Anforderungen erfüllt die speziell dafür entwickelte
Bildanalysesoftware CAUS [Computer-Aided Ultrasound Diagnosis (Thijssen et al., 2008)].
Basierend auf transkutan aufgezeichneten und kalibrierten Ultraschallbildern können mit diesem
Programm Kühe dem TAG-Gehalt des Organs entsprechend untersucherunabhängig und nicht-
invasiv klassifiziert werden. Voraussetzung ist, dass die B-Mode-Ultraschalldatensätze mit
standardisierten Gerätegrundeinstellungen aufgenommenen werden. Aufgrund der Automatisierung
der Arbeitsschritte ist die Software benutzerfreundlich und für den Einsatz im Rahmen der
Gesundheitsüberwachung von Milchviehherden geeignet (Thijssen et al., 2008; Starke et al., 2010b;
Weijers et al., 2010).

Veränderungen von Organform und -größe sowie portalem Blutfluss bei Fetteinlagerung in
die Leber
Triacylglycerol wird im Cytosol der Leberzelle in Form von Fetttröpfchen gespeichert (Drackley,
1999). Mit zunehmender Fetteinlagerung nimmt das Volumen der Hepatozyten zu (Reid and Collins,
1980; Johannsen et al., 1993). Wie Untersuchungen an toten Kühen mit hochgradiger
Leberverfettung belegen, verursacht die histologisch erfasste Hypertrophie der Hepatozyten eine
makroskopisch nachweisbare Hepatomegalie (Reid and Collins, 1980; Johannsen et al., 1993;
Braun, 2009). Die straffe, bindegewebige Organkapsel (Liebich, 1999) verhindert bei Fortschreiten
der Parenchymschwellung eine unbegrenzte Vergrößerung der Leber. Da bei gleichbleibender
Oberfläche die Kugel der geometrische Körper mit maximalem Volumen ist, ändert sich die Form des
Organs. Die Leberränder stumpfen ab (Maxie, 2007; Braun, 2009). Wie Untersuchungen an
Deutsch-Holstein-Kühen ergaben, können diese Dimensionsänderungen der Leber auch intra vitam
erfasst werden. Sie sind sonographisch ab einem Leber-TAG-Gehalt von etwa 100 mg/g FW
nachweisbar. Ab einem TAG-Gehalt von 150 mg/g FW werden sie besonders prominent. Aufgrund

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 117


Wiederkäuer
der hohen absoluten und relativen interindividuellen Varianz zwischen den Tieren ist der
diagnostische Wert der Organmaße zur Vorhersage des Leberfettgehaltes bei Milchkühen jedoch
begrenzt (Haudum et al., 2011).
Untersuchungen an Lebern von Nagern und Menschen zeigen, dass die Parenchymsschwellung
nicht nur eine Änderung der Organform verursacht, sondern auch der Druck innerhalb der Leber
zunimmt. Dieser Druckanstieg geht einher mit einer Kompression der Sinusoide (Orrego et al.,
1981). Sonographische Untersuchungen ergaben, dass mit zunehmender Fetteinlagerung die
Lumina der Lebergefäße enger werden (Iwao, 1987; Braun, 1990; Weijers et al., 2010). Dies alles
führt offensichtlich zu einer Reduktion der Makro- und Mikrozirkulation in der Leber (Seifalian et al.,
1998, 1999; McCuskey et al., 2004; Farrell et al., 2008). Intraoperativ durchgeführte
dopplersonographische Untersuchungen an der V. portae von Deutsch-Holstein-Kühen mit
unterschiedlichem Leberfettgehalt bestätigten, dass es mit steigendem TAG-Gehalt zu einer
Beeinflussung der Organdurchblutung kommt. Mit zunehmendem Leberfettgehalt nahmen bei den
Kühen die Blutflussgeschwindigkeit und der venöse Pulsatilitätsindex an der V. portae ab. Dies
beruht auf einer Reduktion der Elastizität der Gefäße innerhalb der Leber infolge der
Fetteinlagerung. Die Veränderungen werden besonders deutlich, wenn der TAG-Gehalt 150 mg/g
FW übersteigt (Starke et al., 2011a). Es ist unter anderem aus Untersuchungen an Ratten bekannt,
dass bereits Mikrozirkulationsstörungen lokale Ischämien auslösen (Sun et al., 2003). Da auch beim
Rind eine ungehinderte Perfusion entscheidend für die Aufrechterhaltung der Organfunktion ist
(Reynolds et al., 1994, 2003), könnten die Ergebnisse zur Blutflussmessung in der V. portae die
Zunahme der Leberinsuffizienz bei steigender TAG-Einlagerung teilweise erklären.

Dexamethason als Therapeutikum – Wirkung auf den Fettgehalt, die Glucosenettoabgabe und
die Durchblutung der Leber
Obwohl Glucocorticoide zur Behandlung des Lipomobilisationssyndroms der Milchkühe mit
nachweislich positiver Wirkung breit angewendet werden, sind deren Effekte an der Leber noch nicht
aufgeklärt. Bekannt ist, dass sie einen Anstieg der Glucose- und einen Abfall der
Ketonkörperkonzentration im Plasma induzieren (Shpigel et al., 1996; Jorritsma et al., 2004; Fürll
und Jäckel, 2005). Die Aussagen zu den Effekten einer Glucocorticoidbehandlung auf die Stimulation
der Gluconeogenese beim Wiederkäuer sind nicht kongruent. Vor allem in älteren Arbeiten wurde
Glucocorticoiden eine Anregung der Gluconeogenese in der Leber unterstellt (Baird and Heitzman,
1969; Hamada et al., 1987). Bereits 1971 unterstützten aber Baird und Heitzman die von Bassett et
al. (1966) für Schafe aufgestellte These, wonach die Hyperglycaemie nach Dexamethason (DEXA)-
Behandlung auch beim Rind durch das Unvermögen peripherer Gewebe bedingt ist, Glucose
aufzunehmen. Auch in Untersuchungen an Kälbern konnte keine Steigerung der hepatischen
Gluconeogenese durch eine Glucocorticoidbehandlung beobachtet werden (Scheuer et al., 2006). In
jüngeren Untersuchungen an multikatheterisierten Milchkühen wurde unter Einfluss von DEXA zwar
eine Hyperglycaemie und Hyperinsulinaemie nachgewiesen, die Glucosenettoabgabe an der Leber
nahm aber nicht zu (Starke et al., 2011b, c). Das lässt darauf schließen, dass die Hyperglycaemie
nicht auf eine Stimulation der Glucosebereitstellung durch die Leber, sondern vielmehr auf eine
Reduktion des Glucoseverbrauchs in peripheren Körpergeweben zurückzuführen ist. Eine derartige
Hemmung der insulinabhängigen Glucoseverwertung wurde nach DEXA-Behandlung bei Kälbern
(Sternbauer et al., 1998; Scheuer et al., 2006) und Kühen (Kusenda et al., 2011; Starke et al., 2011c)
nachgewiesen. Sie wird mit einer Beeinflussung des zellulären Glucosetransportsystems und einer
Reduktion der intrazellulären Glucoseoxidation in diesen Geweben erklärt (Tappy et al., 1994).
118 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
Ergebnisse einer Studie an multikatheterisierten Deutsch-Holstein-Kühen lassen weiterhin vermuten,
dass es nach DEXA-Behandlung zu einer offenbar insulinbedingten Reduktion der Lipolyse und zu
einer Stimulation der Utilisation von NEFA und BHB in der Körperperipherie kommt. In der Leber
wurden unter der Behandlung die oxidativen Prozesse forciert und mehr Sauerstoff verbraucht. Des
Weiteren wurde eine Abnahme des Leber-TAG-Gehaltes sowie eine Zunahme des hepatischen
Plasma- und Blutflusses beobachtet. Vor allem der Anstieg des arteriellen Anteils am hepatischen
Blutfluss ist ein indirekter Hinweis auf eine Reduktion der Durchblutung peripherer Organe zugunsten
der Leber unter DEXA-Einfluss (Starke et al., 2011c). Die Ergebnisse können damit als Beitrag zur
Erklärung der klinischen Wirksamkeit einer Behandlung mit Glucocorticoiden angesehen werden.
Die Hyperglycaemie, der nachweisliche Rückgang an intrahepatischem Speicherfett und die
Steigerung der hepatischen Durchblutung können als positive Effekte einer DEXA-Behandlung für
die Leber gewertet werden.

Literaturverzeichnis
Die Literatur ist beim Autor erhältlich.

Kontaktadresse
PD Dr. Alexander Starke, Klinik für Rinder, Stiftung der Tierärztlichen Hochschule Hannover,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 119


Wiederkäuer

Ist die "Leberschutztherapie" überholt oder noch aktuell?

Manfred Fürll1, Ahmad Issa Awas2, Brigitta Fürll1, Till Pevec1, Katja Ringel1, Detlef
Röchert1, Jasem Saffaf2, Thomas Wittek3
1MedizinischeTierklinik, Leipzig; 2Veterinärmedizinische Fakultät, Hama (Syrien), 3Klinik für
Wiederkäuer, Wien, Österreich

1 „Leberschutztherapie“:
Ihr Ziel ist, den Lebermetabolismus durch exogene Substratzufuhr (Glucose, Aminosäuren,
Vitamin-B-Komplex, Orotsäure, Cholagoga/Choleretika) zu stützen und den nekrotischen,
entzündlichen und entzündlich-degenerative Veränderungen des Leberparenchyms und
Gallengänge zu begegnen.
Da die Leber eine sehr hohe Reservekapazität hat und Substratüberangebot besteht, ist es
fraglich, ob eine (alleinige) Leberschutztherapie sinnvoll ist.

2 Charakter der Leberkrankheiten bei Kühen:


Eine Studie an 300 krankgeschlachteten Kühen ergab histologisch 66% Leberverfettung, 29%
reaktiv-entzündliche Abweichungen und 16% Leberdegeneration. Maximale Leberfettgehalte hatten
Kühen mit schweren Entzündungen (Nephritis, Mastitis, Puerperalstörungen, Pneumonie) (FÜRLL
1989).
2010 zeigte eine Studie an 196 Kühen der MTK Leipzig mit linksseitiger Labmagenverlagerung
(lLMV) ein ähnliches Bild (Tab. 1).

Tabelle. 1: Leberlipide (LL) > 30% (Mediane) bei 196 Kühen mit lLMV und Zusatzkrankheiten bei
Klinikaufnahme, untersetzt nach dem Krankheitsausgang
35 Kühe mit Ex. letalis 161 geheilte Kühe
Zusatzkrankheit LL% Zusatzkrankheit LL% Zusatzkrankheit LL%
Peri-/Endokarditis 39 Endometritis 28 puerper. Septikämie 40
Multiorganversagen 38 Nephritis 27 Stoffw.-Störungen 22
Hgr. Endometritis 35 Labmagenulzera 27 Ketose 21
Stoffw.-Störungen 35 akute Peritonitis 26 ggr Endometritis 19
Ketose 32 Pneumonie 24 mgr Endometritis 19
Downer cows 31 Geburtsverletzungen 24 Laminitis 18
Enteritis 30 Retentio sec. 18
puerper. Septikämie 29 Mastitis 15

Maximale Leberfett-Konzentrationen bestehen bei entzündlichen Organkrankheiten. Den letalen


Ausgang zeigen Pansenbewegungen <2/3 min, Af >25/min, IKT >38,5 oC, BHB >2,5 mmol/l,
Cholesterol <1,5 mmol/l, Cl <95 mmol/l, Bilirubin >15 mmol/l, Creatinin >90 µmol/l, GLDH >50 U/l,
CK >400 U/l, AST >200 U/l und LDH >1750 U/l (Mediane) gut an.

120 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

3 Therapieergebnisse:
3.1 Kühe mit Labmagenverlagerung und Standardtherapie
Von 236 SB-Kühen eines Jahres mit lLMV wurden die Laborbefunde bei Aufnahme (A) und
Entlassung (E) ausgewertet, unterteilt nach geheilt (n=211) und Exitus letalis (n=25).
Die Leberparameter GGT, GLDH, LDH und AP bewegten sich im oberen Grenzbereich bzw.
gering darüber (Tab. 2). Bilirubin, BHB und AST waren, bes. bei Kühen mit Exitus letalis, deutlicher
erhöht, Cholesterol erniedrigt.
Während der „Standardtherapie“ mit 100 mg Glucose/h/kg in 0,9% NaCl-Lösung im Dauertropf,
2x200 g/d Propylenglycol, 3 d Chemotherapie, Antiphlogistika, Salzleckstein und weiteren
Elektrolyten besserten sich BHB und Bilirubin (p<0,05); GLDH, GGT, LDH, AP, und AST blieben
niedrig. CK- und AST-Aktivitätssteigerungen deuteten auf Endometritiden hin.

Tabelle. 2: Blutparameter (Mediane) von 236 geheilten (h) und euthanasierten (l) SB-Kühen mit
lLMV bei Klinikaufnahme (A) und -entlassung (E) (ab, AB= p<0,05)
Parameter Ex. A E Parameter Ex. A E
BHB (mmol/l) h 1,12aA 0,42B pH h 7,38 7,38
l 1,33b 0,29 B l 7,37A 7,28 B
Bilirubin h 16,3aA 10,5a B HCO3 h 24,6 24,6a
(µmol/l) l 24,2bA 18,4a B (mmol/l) l 20,4A 16,8b B
Cholesterol h 1,82A 1,64a B pC02 (kPa) h 5,44aA 5,62a B
(mmol/l) l 1,72 1,21b l 5,10b 5,10b
GLDH h 45a 40 K h 3,15 3,10a
(U/I) l 67b 48 (mmol/l) l 2,90 2,30b
GGT h 34 36 Hämatokrit h 0,29A 0,27 B
(U/l) l 43 58 l 0,30 0,28
LDH h 3560b 3624 Leukozyten h 6,7 6,8
(U/I) l 4849a 3674 (G/l) l 7,4 11,0
AP h 149aA 151 B Thrombozyten h 479A 452a B
(U/I) l 296b 169 (G/l) l 488 409b
AST h 152a 121 CK h 390aA 274 B
(U/l) l 209b 141 (U/I) l 645b 449

Die Befunde zeigten nur geringe Leberveränderungen, die sich bei den geheilten Kühen in der
Klinik normalisierten (Tab. 2).
Kühe mit Exitus letalis hatten bei der Aufnahme höheres BHB und Bilirubin (p<0,05) sowie
höhere GLDH-, LDH- AP-, AST-, CK- und physiologische GGT-Aktivitäten. Auch bei diesen Kühen
besserten sich durch die Therapie BHB, Bilirubin und AP (p<0,05) sowie GLDH, LDH, AST und CK.
Auf den letalen Ausgang wiesen sinkende Cholesterol-, pH-, Bikarbonat- (p<0,05) sowie K- und
Thrombozyten-Werte hin.

3.2 Kühe mit „schwerem Leberschaden“:


Aus 408 hauptsächlich an lLMV erkrankten Kühen der MTK Leipzig wurden chronologisch 40
Kühe selektiert, die bei der Aufnahme einen „schweren Leberschaden“ hatten (GLDH >100 U/l,
Bilirubin >50 µmol/l, AST >200 U/l). Es wurden alle Zusatzkrankheiten erfasst und ein breites

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 121


Wiederkäuer
Laborspektrum bei der Aufnahme und bei der Entlassung bzw. dem Exitus letalis analysiert. Die
Behandlung der Kühe erfolgte wie unter a). 26 (65%) der 40 selektierten Patienten Kühe mit „starken
Leberschäden“ wurden problemlos geheilt. Trotz extremer Befunde ließen sich immer BHB und
Bilirubin sowie GLDH mit der Therapie senken (Tab. 3).

Tabelle 3: Blutparameter (Mediane) geheilter und euthanasierter Kühe bei Klinik-Aufnahme (A) mit
extremen Leberbefunden und bei Entlassung (E)
AST (U/l) GLDH (U/l) Bilirubin BHB Cholesterol CK
(µmol/l) (mmol/l) (mmol/l) (U/l)
geheilt A E A E A E A E A E A E
300 162 96 39 19,0 12,5 1,40 0,45 1,7 1,7 1100 200
Ex. let. A E A E A E A E A E A E
310 410 115 102 28,5 21,0 1,00 0,40 1,6 1,1 1200 3800

Die 35% Kühe mit Exitus letalis hatten immer eine per se zum Tod führende Primärkrankheit
(phlegmonöse Mastitis, hgr. Endometritis, Peritonitis, Labmagenulcera, Thrombose, Botulismus,
Muskelruptur, Aspirationspneumonie). Als prognostisch nützlich erwiesen sich Cholesterol, CK,
Albumin und der Säure-Basen-Haushalt.
GLDH, Bilirubin sowie BHB, die die Leberzellintegrität, -ausscheidungs- sowie -syntheseleistung
repräsentieren, ließen auch bei Kühen mit Exitus letalis nicht auf eine insuffiziente Leber schließen.

3.3 Kühe mit lLMV und puerperaler Septikämie:


Die Ursache für letale Krankheitsverläufe ist bei Patienten der MTK Leipzig hauptsächlich die
puerperale Septikämie. In einer Studie an 50 Kühen erhielten 25 Kühe neben der Standardtherapie
(n=25, K) zusätzlich Dexamethason (2 mg/100 kg, Voren®, V). Nur bei Dexamethasongabe
besserten sich von Tag 0 zu Tag 2 die Puls- und Atemfrequenzen, die Pansenbewegungen sowie
Bilirubin, FFS, AST, GGT und GLDH (p<0,05) (Tab. 4). Die monozytäre Phagozytose sowie der
oxidative Burst der Monozyten und Granulozyten stiegen nur in der V-Gruppe signifikant an. Als
wichtiger und gewünschter Effekt sank TNFalpha bei der Dexamethason-Therapie (p<0,05). Die
Studie zeigt, dass der Therapieerfolg besonders von der Therapie der Puerperalstörungen abhängt.

3.4 Gerinnungsanalytische Untersuchungen bei Kühen mit Systemic Inflammatory Response


Syndrome (SIRS):
SIRS ist auch bei Kühen eine wichtige Ursache für Exitus letalis. Es involviert
Gerinnungsstörungen als DIC inkl. Thrombosen, verstärkt aber auch durch Insulinresistenz
wesentlich die Lipolyse und Steatose.
In einer Studie wurden bei 60 Kühen mit lLMV und Septikämie Thromboplastin- (TPZ), aktivierte
Partielle Thromboplastin- (aPTT) und Reptilasezeit (RT) sowie Fibrinogen (FIB), Antithrombin (ATIII),
Faktor XIII, Protein C (PC), D-Dimere, Procalcitonin (PCT), Thrombozyten (Plt) und Leukozyten (Leu)
untersucht (Tab. 5).

122 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Tabelle 4: Stoffwechselparameter, Phagozytose- und Burstaktivität bei Kühen mit lLMV und
puerperaler Septikämie ohne und mit Dexamethasontherapie (ab, AB=p<0,05)
Parameter d0 d2 d0 d2
FFS K 1251 1380a phagozytierende K 96,8 A 96,0 B
V 1109A 473Bb Neutrophile (%) V 97,7 96,2
Bilirubin K 1,69A 1,59 B phagozytierende K 85,2 85,4
µmol/l V 1,33 1,59 Makrophagen % V 85,0 91,9
BHB mol/l K 1,78 A 0,80 B burstaktive Neutrophile K 55,1 47,9
V 2,43 A 0,65 B (%) V 41,6 A 61,3 B
Cholesterol K 23,1 15,1 burstaktive K 7,0 A 3,4 B
mmol/l V 23,5 A 14,6 B Makrophagen % V 6,7 A 7,9 B
GLDH K 71,2 59,7 TNF-α (ng/ml) K 0-57 0-49
U/I V 110,8 A 56,7 B 1.-3. Quartil V 0-41 0-31
GGT K 44,8 39,8 AST K 217 236
U/l V 48,7 A 37,4 B U/l V 241A 184 B

Tabelle 5: Gerinnungsstatus bei 50 geheilten und 10 gestorbenen Kühen mit lLMV sowie SIRS-
Symptomatik bei Klinikaufnahme (a b = p<0,05)
TPZ aPTT FIB RT ATIII FXIII PC D-Dimere PCT Plt Leu
(%) (sec) (g/l) (sec) (%) (%) (%) (µ/l) (ng/ml) (G/l) (G/l)
geheilt 48 49,0 4,0a 20 120 92a 17 112a 0a 541a 7
Ex.let. 47 49,4 2,7b 19 118 820 b 12 123b 0,06 b 459b 7,3

Für Exitus letalis sprachen veränderte Fibrin-, Faktor XIII-, D-Dimer-, Procalcitonin- und
Thrombozytenwerte. Im Krankheitsverlauf sanken die Faktor XIII-Aktivität, Thombozytenzahlen und
die Antithrombinkonzentration. Reptilasezeit und Fibrinogen stiegen im Sinn einer DIC an.
Therapeutisch kann Heparin (180 IE/kg KM) genutzt werden (FÜRLL u. FÜRLL 2006).

4 Schlussfolgerungen:
 Die bei ca. 65% der Fälle bestehende einfache Leberverfettung ist klinisch wenig relevant und
durch „Leberschutztherapie“ (Glucose [-dauertropf], glukoplastische Verbindungen) gut zu
behandeln. Glucocorticoide (Voren®), Vitamin-B12 (Catosal), Vitamin C/E, Menbuton
(Genabil), Carnitin, Niacin und cis-Linolensäure (CLA) wirken unterstützend (FÜRLL 2007,
2008).
 Klinisch gravierend sind (schwere) entzündliche Organkrankheiten (hpts. Puerperalstörungen,
Mastitis, Enteritis, Nephritis). Leukopenie ist dafür ernstes Symptom. Der Stoffwechsel
einschließlich der der Leber wird u.a. durch Zytokine schwer gestört.
 Entscheidend sind die schnelle Diagnose sowie die konsequente ätiologische Therapie mit
wirksamer Antibiose, maximaler Entzündungshemmung, enzymatischen (Glucocorticoide) und
plasmatischen Antioxidantien (Vitamin C und E), Kreislaufstabilisierung, Elektrolytsubstitution
(K!, Mg) sowie Thrombosebekämpfung (Heparin).
 „Leberschutztherapie“ ist ein wichtiger Teil der Gesamtbehandlung, entscheidend ist jedoch die
Therapie der Zusatzkrankheiten, bes. von Lochiometra, Enteritis und Mastitis.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 123


Wiederkäuer
5 Literatur:
1. Fürll, M. Vorkommen, Ätiologie, Pathogenese, Diagnostik und medikamentelle Beeinflussung von
Leberschäden beim Rind. Vet. Med. Habil-Schrift, Leipzig, 1989
2. Fürll M. Update Leberverfettung. Nutztierpraxis aktuell, 2007; 137-46
3. Fürll M. Gesundheitsstabilisierung im peripartalen Zeitraum bei Kühen - was ist ad hoc durch den Praktiker
möglich? Nutztierpraxis aktuell, 2008,151-61
4. Fürll M, Fürll B. Puerperale Septikämie - Ursachen, Diagnostik, Therapie und Prophylaxe. Nutztierpraxis
aktuell, 2006, 59-66

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Fürll, Medizinische Tierklinik, Leipzig; [email protected]

124 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Aktuelles zum Monitoring von Milchkühen nach der Geburt


Wolfgang Heuwieser, Caroline Leutert, Onno Burfeind
Tierklinik für Fortpflanzung, Fachbereich Veterinärmedizin, FU Berlin

Einleitung
Im Puerperium von hochleistenden Milchkühen haben insbesondere Infektionen der Gebärmutter
und Stoffwechselstörungen Bedeutung. Für die Erkennung spezifischer Erkrankungen (u. a. akute
Metritis, Endometritis, Ketose) stehen allgemein anerkannte diagnostische Methoden zur Verfügung.
Die gebräuchlichen diagnostischen Methoden basieren auf einer kumulierten Erfahrung aus
Wissenschaft, Klinik und Praxis. Eine derartige klinische Evolution ist ein wichtiger Faktor des
medizinischen Fortschrittes und unverzichtbarer Bestandteil des aktuellen Wissenstandes in der
Tiermedizin. Allerdings wird aufgrund ebendieser allgemeingültigen Anerkennung nicht immer
reflektiert, dass jede diagnostische Methode mit unvermeidbaren Fehlern einhergeht.
In der klinischen Epidemiologie wird zwischen Typ I- und Typ II- Fehlern unterschieden. Bei
einem Typ I-Fehler wird das betreffende Tier als erkrankt diagnostiziert, obwohl dieses tatsächlich
gesund ist. Dagegen wird bei einem Typ II-Fehler das betreffende Tier als gesund diagnostiziert,
obwohl es tatsächlich erkrankt ist. Die Folgen können bei beiden Fehlerarten bedeutsam sein und
beinhalten ökonomische, pharmakologische und ethische Aspekte. Bei einem Typ I-Fehler wird ein
gesundes Tier unnötigerweise behandelt. Im günstigen Fall resultiert diese unnötige Behandlung
lediglich in vermeidbaren Kosten für den Milchproduzenten durch – überflüssige – Behandlungen
und etwaige Wartezeiten. Im Falle einer fälschlicherweise diagnostizierten akuten Metritis mit
folgerichtig durchgeführter antibiotischer Behandlung ist diese nicht nur unnötig, sondern kann einen
vermeidbaren Selektionsdruck auf vorhandene Bakterien ausüben und somit zur Entwicklung von
Resistenzen beitragen. Neben Strategien zur Verringerung von Reservoiren von resistenten
Erregern und der Entwicklung neuer Antibiotika gehört auch eine verbesserte Diagnostik von
infektiösen Erkrankungen zu den wichtigen Maßnahmen (4).
Ein Typ II-Fehler führt dazu, dass bei einem tatsächlich erkrankten Tier der positive Nutzen einer
Behandlung nicht realisiert wird und die Erkrankung fortbesteht oder sich gegebenenfalls sogar
verschlimmert. Dadurch wird ein mögliches Leiden des Tieres verlängert und weitere
Leistungseinbußen und unter Umständen sogar tierschutzrelevante Situationen in Kauf genommen.

Für viele der im Rahmen der klinischen Untersuchung des Rindes durchgeführten diagnostischen
Methoden liegen jedoch keine Informationen über Genauigkeit und Zuverlässigkeit vor. In diesem
Zusammenhang führt einer der anerkanntesten Wissenschaftler auf dem Gebiet der infektiösen
Gebärmuttererkrankungen, Prof. Martin Sheldon (Universität in Swansea, England) aus, dass das
Fehlen eines absoluten Goldstandards für die Diagnose von Gebärmuttererkrankungen die
Beurteilung der Leistung der diagnostischen Methoden (d. h. Sensitivität, Spezifität) erschwert. Es
wird einfach angenommen, dass die diagnostische Leistung der Methoden für den Gebrauch im Feld
ausreichend ist (6). Ebenso ist die Häufigkeit von Typ I- und Typ II-Fehlern in der Regel nicht
bekannt. Diese Situation ist unbefriedigend.
Die wenigen in der einschlägigen Literatur verfügbaren Beobachtungen deuten darauf hin, dass
die Fehlerquoten unter bestimmten Umständen erheblich sein können. So ist für das Messen der
rektalen Körpertemperatur als Hinweis auf entzündliche Vorgänge in der Gebärmutter nach der

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 125


Wiederkäuer
Abkalbung die Häufigkeit von Typ I- und Typ II-Fehlern beträchtlich. Bei einmaliger Messung der
rektalen Körpertemperatur pro Tag wurde eine Häufigkeit von 66 % (Typ I) und 21 % (Typ II)
beschrieben (5,10). Deshalb war es das Ziel mehrerer Forschungsprojekte der Tierklinik für
Fortpflanzung, Berlin, die diagnostische Leistung verschiedener im Puerperium eingesetzten
diagnostischen Methoden wissenschaftlich zu beurteilen.

Material und Methoden


In einer Reihe von Experimenten wurde die Wiederholbarkeit (innerhalb eines Untersuchers,
zwischen verschiedenen Untersuchern) verschiedener, für das Gesundheitsmonitoring von
frischabgekalbten Kühen häufig genutzten Methoden (u. a. Messen der rektalen Körpertemperatur,
Vaginoskopie, palpatorische Beurteilung des Zervixdurchmessers, adspektorische Beurteilung der
Pansenfüllung) bestimmt. Weiterhin erfolgte – soweit möglich – ein Vergleich mit einer
Referenzmethode, um die Sensitivität und Spezifität bestimmen zu können. Vaginaler Ausfluss
wurde auf einer 4-Punkte-Skala kategorisiert (0 = klarer Schleim, 1 = Schleim mit einigen Flocken,
2 = Ausfluss mit weniger als 50 % Eiter, 3 = Ausfluss mit mehr als 50 % Eiter). Neben der
Wiederholbarkeit wurde auch der Einfluss einer manuellen Palpation vom Mastdarm auf die
vaginoskopische Beurteilung des Ausflusses beurteilt.

Ergebnisse
Im Folgenden werden exemplarisch ausgewählte Ergebnisse für die Messung der rektalen
Körpertemperatur und für die vaginoskopische Beurteilung von Vaginalausfluss beschrieben. Weitere
relevante Ergebnisse werden im Vortrag vorgestellt oder sind bereits publiziert worden (2,7,9).
Die rektale Temperatur war im Frühpuerperium von einem Untersucher wiederholbar zu messen
(39,5 ± 0,1ºC; Variationskoeffizient = 0,2 %). Trotzdem war die maximale Differenz innerhalb von
zehn Messungen zum Teil erheblich (2 Kühe: 0,5ºC; 5 Kühe: 0,4ºC). Die von zwei unterschiedlichen
Personen gemessenen Werte zeigten eine hohe Korrelation (r = 0,98; P < 0,001) bei geringer
mittlerer Abweichung (0,1 ± 0,2ºC; P < 0,01).
Wurde mit vier unterschiedlich langen Thermometern die rektale Temperatur gemessen,
korrelierten die Messwerte ebenfalls (r = 0,94 bis 0,96; P < 0,001). Die mittlere Differenz zwischen
den einzelnen Thermometern lag zwischen 0,1 und 0,3ºC. Hierbei war die Differenz jeweils niedrig
bei zwei Thermometern mit entweder einer langen (GLA M750 = 39,2 ± 0,7ºC und
MTI8101 = 39,3 ± 0,7ºC) oder einer kurzen Sonde (MT1831 = 39,0 ± 0,7ºC und Domotherm
TH1 = 38,9 ± 0,7ºC). Der Einfluss der Eindringtiefe konnte im vierten Experiment bestätigt werden.
Trotz hoher Korrelation der Messwerte bei 11,5 und 6,0 cm (r = 0,95; P < 0,001) war das Ergebnis
bei einer Eindringtiefe von 11,5 cm im Mittel um 0,4 ± 0,2ºC (P < 0,001) höher als bei 6,0 cm. In
heißen Klimaphasen war die Körpertemperatur der Tiere im Frühpuerperium deutlich höher (etwa
0,5 ºC) im Vergleich zu Tieren, die unter moderaten Umgebungstemperaturen abgekalbt hatten.
Auch die Befunde der vaginoskopischen Beurteilung von Ausfluss waren gut wiederholbar. Eine
vorangegangene Palpation vom Mastdarm her hatte keinen Einfluss auf die Befunde.

Schlussfolgerung
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die rektale Temperatur ein wiederholbar messbarer
Parameter bei Kühen ist. Trotzdem können die Messergebnisse bei wiederholten Messungen bei
einigen Tieren um bis zu 0,5ºC abweichen. Die Wahl des Thermometers (bis 0,3ºC) und die

126 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Eindringtiefe (bis 0,4ºC) haben einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse. Diese Einflüsse
können mit dafür verantwortlich sein, dass zum einen ein nicht unerheblicher Anteil von Kühen in den
ersten Tagen nach der Abkalbung Temperaturen von über 39,5ºC (26 %) oder 39,7ºC (9 %) haben
(1,8) und zum anderen nicht alle an Metritis erkrankten Kühen bei täglich einmaliger Messung mit
Fieber diagnostiziert werden (1).
Um vergleichbare Messwerte zu bekommen, muss darauf geachtet werden, dass immer mit
demselben Thermometer bei einer einheitlichen Eindringtiefe gemessen wird. Da auch die
Umgebungstemperatur einen großen Einfluss auf die Körpertemperatur hat, sollte eine
Wiederholungsmessung in den kühleren Abendstunden durchgeführt werden.

Literaturverzeichnis
1. Benzaquen ME, Risco CA, Archbald LF, Melendez P, Thatcher MJ, Thatcher WW. Rectal Temperature,
Calving-Related Factors, and the Incidence of Puerperal Metritis in Postpartum Dairy Cows. J. Dairy Sci.
2007;90:2804-14.
2. Burfeind O, von Keyserlingk MAG, Weary DM, Veira DM, Heuwieser W. Short communication:
Repeatability of measures of rectal temperature in dairy cows. J. Dairy Sci. 2010a;93:624-7.
3. Burfeind O, P. Sepulveda P, von Keyserlingk MAG, Weary DM, Veira DM, Heuwieser W. Technical note:
Evaluation of a scoring system for rumen fill in dairy cows. J. Dairy Sci. 2010b;93:3635-40.
4. Fishman N. Antimicrobial Stewardship. The American Journal of Medicine. 2006;119(6, Supplement
1):S53-S61.
5. Kristula M, Smith BI, Simeone A. The use of daily postpartum rectal temperatures to select dairy cows for
treatment with systemic antibiotics. The Bovine Practitioner. 2001;35:117-25.
6. Sheldon IM, Lewis GS, LeBlanc S, Gilbert RO. Defining postpartum uterine disease in cattle.
Theriogenology. 2006;65(8):1516-30.
7. Schirmann K, Chapinal N, Weary DM, Heuwieser W, von Keyserlingk MAG. Short-term effects of
regrouping on behavior of prepartum dairy cows. Journal of Dairy Science. 2011;94(5):2312-9.
8. Smith BI, Risco CA. Management of Periparturient Disorders in Dairy Cattle. Veterinary Clinics of North
America: Food Animal Practice. 2005;21:503-21.
9. Vickers LA, Burfeind O, von Keyserlingk MAG, Veira DM, Weary DM, Heuwieser W. Technical note:
Comparison of rectal and vaginal temperatures in lactating dairy cows. J. Dairy Sci. 2010;93:5246-51.
10. Wagner SA, Schimek DE, Cheng FC. Body temperature and white blood cell count in postpartum dairy
cows. The Bovine Practitioner. 2008;42:18-25.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Wolfgang Heuwieser, Tierklinik für Fortpflanzung, Freie Universität Berlin,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 127


Wiederkäuer

Embryonale Mortalität – Hauptursache für Fertilitätsstörungen beim


Hochleistungsrind
Heinrich Bollwein
Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Bedeutung der embryonalen Mortalität


Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Steigerung der Milchleistung beim Rind mit einem
Rückgang in der Fertilität einhergeht. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass dieser negative
Zusammenhang zwischen Milchleistung und Fertilität auch genetisch bedingt ist, die Heritabilität für
das Merkmal Fruchtbarkeit scheint jedoch relativ gering zu sein. Außerdem gibt es Rinderbestände,
bei denen die Milchleistung in den letzten Jahren deutlich gesteigert wurde und dies nicht mit einer
verminderten Fertilität einherging. Es stellt sich daher die Frage, ob die beobachtete Abnahme der
Fruchtbarkeit tatsächlich ein unumgängliches Problem der Hochleistungsrinder darstellt.
Die Ursachen für den Rückgang in der Fertilität scheinen weniger in Störungen der Fertilisation,
als vielmehr in einem vermehrten Auftreten eines embryonalen Fruchttodes zu liegen. Während man
davon ausgeht, dass die Fertilisationsrate bei ordnungsgemäß durchgeführter Insemination mit
fertilem Sperma seit Jahrzehnten nahezu konstant bei etwa 80 bis 90 % liegt, gibt es Studien, nach
denen die Wahrscheinlichkeit eines embryonalen Fruchttodes heute etwa 30 bis 40 % beträgt. In den
USA und Großbritannien nimmt die Trächtigkeitsrate jährlich um etwa 1 % ab (6,9).

Ursachen für die embryonale Mortalität


Eine indirekte Rolle hinsichtlich der embryonalen Mortalität scheint die bei Hochleistungsrindern
häufig auftretende negative Energiebilanz zu spielen. So besteht unumstritten ein negativer
Zusammenhang zwischen der Energiebilanz und der Zeitdauer bis zur Wiederaufnahme des
Zyklusgeschehens nach der Geburt. Bei Kühen mit einem ausgeprägten Energiedefizit in den ersten
Wochen nach der Kalbung erfolgt die erste Ovulation später als bei Tieren, bei denen die
Energiebilanz ausgewogener ist. Als Hauptursache für die verspätete erste Ovulation nach der
Geburt gilt die bei diesen Tieren niedrigere Konzentration des Insulin-like Growth Factor-I (IGF-I).
Dieses Hormon wird vorwiegend in der Leber produziert. IGF-I ist für die Follikelentwicklung von
entscheidender Bedeutung. Da es bei Kühen mit negativer Energiebilanz in den ersten Wochen nach
der Geburt zu einer vermehrten Leberbelastung kommt, wird nicht ausreichend IGF-I synthetisiert.
Deshalb bleibt bei diesen Tieren die Ovulation in den ersten Wochen nach der Geburt häufig aus (4).
Bei Hochleistungsrindern mit verspätetem Eintreten der ersten Ovulation nach der Geburt wird
häufig die erste Brunst zur Besamung genutzt. Wird das Tier dabei trächtig, ist jedoch die
Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Luteolyse aufgrund einer erhöhten endogenen PGF2α-
Freisetzung erhöht. Dies liegt hauptsächlich daran, dass eine Phase mit hohen Progesteronspiegeln
dem Östrus vorausgehen muss, damit es im darauffolgenden Zyklus bzw. in der folgenden Gravidität
zu einer ausreichenden Bildung von Progesteronrezeptoren im Endometrium kommt. Ist dies nicht
der Fall, werden statt der Progesteron- vermehrt Oxytozinrezeptoren gebildet. Dadurch wird ein
positives Feedback zwischen Oxytocin- und PGF2α-Freisetzung und damit eine Luteolyse begünstigt.
Außerdem scheint ein hoher Progesteronspiegel vor der Ovulation auch für die Reifung des
dominanten Follikels wichtig zu sein, da dadurch die LH- und Östradiol-Sekretion stimuliert werden
soll. Bei mangelnder Follikelreifung kann die Oozytenqualität vermindert sein. Bei diesen Oozyten

128 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
kommt es zwar in der Regel zur Fertilisation, aber häufig nachfolgend zum Absterben des Embryos
(3).
Eine negative Energiebilanz hat zudem schädliche Einflüsse auf die Qualität der Eizellen. Bei
Kühen, die in den ersten Wochen nach der Geburt vermehrt Körperfett abbauen, werden vermehrt
nicht-veresterte Fettsäuren freigesetzt, deren erhöhte Konzentration in der Follikelflüssigkeit die
Oozyten schädigen (5). Auch der bei Rindern mit hoher Milchleistung hohe Lebermetabolismus wirkt
sich negativ auf das Überleben des Embryos aus. So ist die Leberdurchblutung bei Kühen mit hoher
Milchleistung erhöht, um die resorbierten Substrate zu verstoffwechseln. In der Leber werden aber
auch Östrogene und Progesteron metabolisiert. Daher zeigen Kühe mit hoher Milchleistung häufig
erniedrigte Blutspiegel dieser Hormone (12). Da Östrogene nicht nur für die Ausprägung der Brunst,
sondern auch für die Follikelreifung von entscheidender Bedeutung sind, weisen Kühe mit niedrigen
Östrogenspiegeln nicht nur schwache Brunstsymptome, sondern auch geringe Trächtigkeitsraten auf
(3). Zu niedrige Progesteronspiegel führen zu deutlich kleineren Embryonen mit einer reduzierten
Produktion von Interferon-(7).
Eine weitere Ursache für das gehäufte Vorkommen des embryonalen Fruchttodes bei Kühen liegt
darin, dass Tiere mit hoher Milchleistung anfälliger gegenüber Erkrankungen sind. Bei
Inflammationen wie zum Beispiel Mastitiden werden vermehrt Prostaglandine freigesetzt, die zu einer
Auflösung des Gelbkörpers und damit zu einem Abfall von Progesteron mit nachfolgendem Fruchttod
führen können (2). Ferner kommt es bei bakteriellen Entzündungen zur Bildung von Toxinen, die den
Hormonhaushalt und damit die Follikelreifung stören. Da die Toxine und Mediatoren aber auch in der
Follikelflüssigkeit akkumulieren, kommt es zudem zu einer direkten Schädigung der Oozyten (11).

Maßnahmen zur Vermeidung einer embryonalen Mortalität


Aus den genannten Ursachen für die hohe embryonale Mortalitätsrate der Hochleistungskühe
ergeben sich eine Reihe von prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen: Von
entscheidender Bedeutung ist, die Tiere um den Zeitpunkt der Geburt energetisch möglichst
bedarfsgerecht zu füttern. Außerdem ist darauf zu achten, in den ersten vier Wochen nach der
Geburt auftretende Erkrankungen möglichst frühzeitig zu behandeln. So hat sich gezeigt, dass
Mastitiden, Metritiden, Lahmheiten und Ketosen die Zeitdauer bis zum Auftreten der ersten Ovulation
nach der Geburt verlängern.
Kommt es bei Kühen trotzdem zu einer verlängerten Azyklie post partum und soll die erste
Ovulation genutzt werden, so kann durch eine 7-tägige Verabreichung von Progesteron vor der
Brunst die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Luteolyse gesenkt werden.
In einer Studie wurden auch durch die Applikation von 3300 IE hCG am Tag 5 nach der
Besamung positive Auswirkungen auf die Trächtigkeitsrate erzielt. HCG soll durch die Ovulation
eines sich zu diesem Zeitpunkt entwickelnden dominanten Follikels und der damit einhergehenden
Bildung eines zusätzlichen Gelbkörpers die Progesteronsynthese erhöhen (10). Auch durch eine 14-
tägige intravaginale Verabreichung von Progesteron ab Tag 4 nach der Besamung kann die
Trächtigkeitsrate gesteigert werden. Die Verabreichung von hCG bzw. Progesteron ist aber nur bei
Tieren mit einem Verdacht auf einen Progesteronmangel, d. h. bei hoher Leistung und negativer
Energiebilanz, sinnvoll. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass gegenwärtig für diese Indikation
arzneimittelrechtlich keine Progesteronpräparate zugelassen sind.
Um einer embryonalen Mortalität durch eine hohe endogene PGF2α-Freisetzung vorzubeugen,
werden in den letzten Jahren vermehrt mit Omega-3-Fettsäuren supplementierte Futtermittel

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 129


Wiederkäuer
eingesetzt. Dadurch soll über eine kompetitive Hemmung vermehrt das kaum luteolytisch wirksame
PGF3α an Stelle von PGF2α, das aus Omega-6-Fettsäuren synthetisiert wird, gebildet werden (8). Es
ist jedoch dabei zu beachten, dass die entsprechenden Fette in geschützter Form verabreicht
werden müssen, da sie ansonsten beim Wiederkäuer im Pansen verstoffwechselt werden.
Empfohlen wird zum Beispiel die Fütterung von 750 Gramm Leinöl pro Kuh und Tag zwischen Tag
55 post partum und Tag 32 post inseminationem (1).

Schlussfolgerung für die Praxis


Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei den Hochleistungsrindern aufgrund
unterschiedlichster Ursachen die embryonale Mortalitätsrate erhöht ist. Daher müssen verschiedene
prophylaktische und therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, um diese zu verringern.

Literaturverzeichnis
1. Ambrose DJ, Kastelic JP, Corbett R, Pitney PA, Petit HV, Small JA, Zalkovic P. Lower pregnancy losses in
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lactating dairy cows due to elevated steroid metabolism. Theriogenology. 2006;65:17-29.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Heinrich Bollwein, Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

130 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Chancen und Grenzen der hormonellen Behandlung von


Fruchtbarkeitsstörungen
Axel Wehrend
Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere mit Tierärztlicher
Ambulanz der Justus-Liebig-Universität Gießen

Einleitung
Neben Antibiotika sind Hormone sicherlich die sensibelste Wirkstoffgruppe, die in der
Veterinärmedizin Verwendung findet. Im Gegensatz zu den Antibiotika hat der Einsatz von
Hormonen lange Zeit nicht mehr im (kritischen) Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Ziel muss es
sein, hier auch in Zukunft keine Angriffspunkte zu liefern und mit Bedacht Stoffe mit hormoneller
Wirkung einzusetzen.

Chancen und Grenzen


Hormone werden in der Biuatrik zur Steuerung der Fortpflanzungsfunktion und zur Behandlung
von Fruchtbarkeitsstörungen eingesetzt. Beide Anwendungsgebiete sind unterschiedlich zu bewerten
und dürfen nicht hinsichtlich ihres Erfolges und der Indikationen gleich gesetzt werden. In der
Diskussion mit Hormonkritikern zeigt sich häufig, dass diese beiden Aspekte des Hormoneinsatzes
miteinander vermischt werden. Hier ist durch Klarheit der Worte deutlich der Unterschied
herauszustellen.
Der Begriff der Fruchtbarkeitsstörung ist unklar. So muss eine schlechte Fruchtbarkeit nicht auf
einer „Störung“ der Kuh begründet sein, sondern in Fehlern auf den Gebieten der Haltung, Fütterung
und des Managements, ohne dass genitale Erkrankungen diagnostiziert werden können.
Hormoneinsatz kann hier nicht zum Erfolg führen. Bei den „wahren“ Fruchtbarkeitsstörungen, das
heißt, es befindet sich ein pathologischer Befund an den Geschlechtsorganen der Kuh, ist zwischen
Kühen, die nur an Erkrankungen der Fortpflanzungsorgane leiden und Tieren, welche auch
Veränderungen an Gebärmutter oder Eierstock aufweisen, zu unterscheiden. Dazu ein Beispiel: Die
Heilungsrate von Kühen mit Ovarialzysten wird immer höher liegen als bei Kühen mit Ovarialzysten
und mittelgradigen oder hochgradigen Lahmheiten. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im
konkreten Fall die Fruchtbarkeitsstörung genau beschrieben werden muss, um zu entscheiden, ob
ein Hormoneinsatz überhaupt sinnvoll ist. Die Risikofaktoren, die zur Entwicklung der
Fruchtbarkeitsstörung geführt haben, sind zu analysieren und abzustellen. Es gilt der Grundsatz: Das
Einzeltier wird behandelt und die Herde kuriert.
Seit Jahren werden Hormone erfolgreich zur Behandlung von Fruchtbarkeitsstörungen in der
Praxis eingesetzt. Besonders hervorzuheben ist, dass durch die Verwendung von Prostaglandin F2
zur Therapie von Endometritiden und Pyometren der Einsatz von Antibiotika beim Vorliegen dieses
Krankheitsbildes gesenkt werden konnte. Durch die Etablierung von Hormonprogrammen statt einer
Einzelinjektion konnte die Rate erfolgreich behandelter Tiere, die Ovarialzysten aufweisen, erhöht
werden. Die Erfolgsaussichten einer Hormontherapie werden generell mit dem Modell der Inhibition,
Stimulation und Substitution beschrieben. Bei einer Inhibition wird das Hormon verabreicht, um die
endogene Hormonproduktion zu unterdrücken. Dazu gehört die Applikation von Prostaglandin F2
zur Induktion einer Luteolyse. Die Erfolgsaussichten sind gut. So erklärt sich die Überlegenheit der
Prostaglandintherapie einer Endometritis gegenüber der Antibiotikagabe bei dieser Erkrankung. Im

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 131


Wiederkäuer
Rahmen der Stimulation soll das Pharmakon die endogene Hormonproduktion anregen, die im
Rahmen des Krankheitsgeschehens nicht ausreichend ist. Ein Beispiel ist die Behandlung von
azyklischen Kühen mit Gonadotropinen und Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten. Da die
Ursache der hormonellen Störung nicht behoben wird, sind die Erfolgsaussichten mäßig bis schlecht.
Ein weiterer Aspekt, der Einfluss auf den Erfolg einer hormonellen Therapie nimmt, ist der
Zeitpunkt der Behandlung. Grundsätzlich gilt, dass eine frühe Behandlung die größten Aussichten
auf Erfolg hat. Dies erfordert eine effektive Gesundheitsüberwachung der Tiere, damit Erkrankungen
frühzeitig erkannt werden können. Eine frühe Behandlung kann jedoch dazu führen, dass zu viel
therapiert wird, da immunkompetente Tiere die Fähigkeit zur Selbstheilung besitzen bzw. eine
Behandlung keine Vorteile gegenüber einer Nichtbehandlung hat. Hier sind sicherlich
herdenspezifische Faktoren zu beachten, sodass z. B. keine generellen Empfehlungen gegeben
werden können, ab welchem Zeitpunkt eine Kuh mit Ovarialzysten nach der Geburt behandelt
werden sollte.
Für viele Fruchtbarkeitsstörungen gibt es unterschiedliche Methoden der Therapie. Bei kritischer
Überprüfung der verschiedenen Verfahren zeigt sich häufig ein ernüchterndes Bild. So ist
erstaunlicherweise für viele Erkrankungen noch nicht eindeutig belegt, welche die beste Behandlung
darstellt. Neben der veterinärmedizinischen Forschung, die in den letzten Jahren verstärkt
Behandlungsverfahren objektiv miteinander vergleicht, sollte in der Praxis dokumentiert werden,
welche Maßnahme zu welchem Erfolg führt. So lassen sich optimale Therapieverfahren für die
individuelle Herde gestalten.

Literaturverzeichnis
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beim weiblichen Rind. Parey; 1999. S. 159-64.
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Milchrind [Dissertation]. Gießen: Justus-Liebig-Universität; 2010.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Axel Wehrend, Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere
mit Tierärztlicher Ambulanz der Justus-Liebig-Universität Gießen, [email protected]
giessen.de

132 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Sexing von Nutztiersperma: Der Entwicklungsstand nach 30 Jahren


Forschung
Detlef Rath
Institut für Nutztiergenetik, Friedrich-Loeffler-Institut, Neustadt-Mariensee

Ein Verfahren, das nachweisbar das Geschlecht bei Säugernachkommen verschieben kann, ist
erst seit rund 30 Jahren bekannt. Wesentliche Impulse wurden auf einer Tagung 1971 an der Penn-
State University gegegeben (1). Die entscheidenden Entwicklungsschritte lieferten Van Dilla et al.
(2), die erstmals Wege der Erkennung von X-und Y-chromosomalen Spermien zeigten. Fulwyler und
Dean et al. erreichten durch hydrodynamische Fokussierung vor dem Laserstrahl eine deutliche
Orientierung der Spermien (3,4). Die Umsetzung der flowzytometrischen Grundlagen in ein für
Nutztiere verwendbares, praxisgerechtes Verfahren wurde in Folge von verschiedenen
Forschergruppen aufgenommen (4-7). Vor allem war es aber die Arbeitsgruppe von Dr. L. A.
Johnson im USDA, ARS in Beltsville, Maryland, USA, die die entscheidenden Lösungen erarbeitete.
Unter dem Begriff der „Beltsville Sperm Sexing Technology“ gelang es Johnson, die wesentlichen
Verarbeitungsschritte zusammenzufassen und 1993 die ersten Rindernachkommen mit gesextem
Sperma zu produzieren (8). Da die Flowzytometrie noch recht langsam war, wurden pro Stunde
maximal 360.000 Spermien sortiert. Hieraus ergab sich vor allem beim Schwein der Zwang, durch
IVF-Verfahren oder durch chirurgische Besamung mit sehr wenigen Spermien Nachkommen zu
erzeugen (9,10). Erst seitdem die Digitalisierung der analogen Signale technisch schneller zu
bewältigen ist, können mit der Hochgeschwindigkeits-Flowzytometrie ca. 10 Mio. Spermien/Std. mit
Reinheiten über 90 % sortiert werden (11).
Grundsätzlich handelt es sich bei dem Verfahren um quantitative Flowzytometrie. Mit
„Hoechst33342“ gefärbte Spermien werden im laminaren Fluss des Flowzytometers hydrodynamisch
fokussiert und passieren in einem diskontinuierlichen Tröpfchenstrom einen UV-Laserstrahl. Es
werden zwei emittierte Fluoreszenzsignale gemessen. Das 0° Signal der breiten Spermienkopfseite
korreliert mit dem DNA Gehalt und wird zur Steuerung der Sortiereinrichtung genutzt, das 90° Signal
entstammt dem Spermienkopfrand und ist nicht DNA-abhängig. Die Höhe des 0° Signals regelt die
computergesteuerte elektrische Aufladung der Spermien. Die geschlechtsspezifisch geladenen
Tröpfchen reißen nach ihrer Aufladung vom Tröpfchenstrom ab und fliegen frei durch ein
elektrostatisches Feld. Hier werden sie aufgrund ihrer vordotierten Ladung seitlich abgelenkt und in
einer spermienfreundlichen Flüssigkeit aufgefangen, die u. a. TES, Eidotter und Seminalplasma zur
Dekapazitation aufweist (12). Die nachfolgenden Verarbeitungsschritte sind tierartspezifisch
ausgelegt und variieren je nach Konservierungsverfahren deutlich.
Pro Stunde lassen sich ca. 10 Mio. Spermien pro Geschlecht mit einer Reinheit von über 90 %
sortieren. Damit ist die Technik zurzeit aufgrund ihrer Mengenbegrenzungen nur beim Rind
ökonomisch sinnvoll anwendbar. Neben der Optimierung des Herdenmanagements und der
Reduzierung der Tierbestände ohne Produktionseinbußen hat die Geburt von Kuhkälbern große
Vorteile. Sie haben einen höheren ökonomischen Wert als männliche und es treten weniger
Schwergeburten auf. Stehen mehr weibliche Nachkommen zur Verfügung, kann eine stärkere
Selektion durchgeführt werden. Betriebe mit einer hohen Bestandsergänzung oder wachsenden
Herden kommen beim Einsatz sortierten Spermas mit weniger Zukauftieren aus, was vielseitige

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 133


Wiederkäuer
Vorteile bietet. Außerdem kann durch die gezielte Anpaarung mit Y-chromosomalem Sperma der
Wert von Kreuzungstieren erhöht werden, die nicht für die Milchproduktion bestimmt sind (13,14).
Der Nutzen des sortierten Spermas ist in hohem Maße von dessen Fruchtbarkeit abhängig (15-
17). Hier ist noch nicht der maximale biologische und technische Stand erreicht (18,19). Kürzlich
wurde eine Studie über den praktischen Einsatz sortierten Spermas in den USA veröffentlicht (20).
Dort lag der Anteil tragender Färsen nach Erstbesamung bei 41 % und für Kühe bei 26 %. Grund für
die reduzierte Fruchtbarkeit sind vor allem Belastungen der Spermien während des
Sortiervorganges. Genauere Angaben finden sich hierzu bei Rath und Johnson (19). Im
Elektronenmikroskop zeigen sich nach dem Sexen vor allem an den Mitochondrien im
Spermienmittelstück Veränderungen, wodurch sowohl der Energiehaushalt als auch die
Spermiensensibilität gegenüber reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) beeinflusst wird. Vermutlich sind
die beobachteten ultrastrukturellen Veränderungen primär auf den Einfluss des
Hochspannungsfeldes zurückzuführen (21). Eine der Gegenmaßnahmen ist die temporäre Fixierung
der Spermien sowie die Optimierung der Spermienumgebung während des Sortiervorganges (18).
Bei Sexcess® handelt es sich um ein patentiertes Verfahren zum Sortieren, bei dem die
Konservierung entweder bei -196°C in flüssigem Stickstoff erfolgt. Alternativ kann das gesexte
Sperma bei diesem Verfahren ohne den Einfrierschritt auch für 5 Tage als Frischsamenprodukt
eingesetzt werden. Alle Medien, mit denen die Spermien hierbei in Berührung kommen, enthalten
u. a. spezifische Antioxidantien (AO) und Fixatoren (18).
Aktuelle spermatologische Studien bestätigen die positiven Effekte von Sexcess® auf die Vitalität
und Integrität gesexter Spermien. In einem Feldversuch wurde gesextes TG-Sperma nach dem
Sexcess® Verfahren und zugekauftes gesextes Sperma derselben Bullen mit unsortierten
Kontrollgruppen verglichen. Durch das Sexcess®-Protokoll kann eine deutliche Qualitätssteigerung in
Bezug auf Vitalität und Integrität der Spermien beobachtet werden (22). Vergleichbare Vorteile
wurden auch für flüssigkonserviertes Sperma erreicht. Die Besamung mit gesextem Frischsperma
führte in Feldversuchen zu Non-return Raten von rund 60 % (21).
Der bislang verwendete Fluoreszenzfarbstoff ist in Kombination mit energiereichen
Anregungsquellen wie einem UV-Laser kaum als kritisch zu betrachten (23). Allerdings verbleibt der
Farbstoff nach der Sortierung in den Spermien und wird in die zu befruchtende Oozyte und damit in
den Embryo transportiert. Weiterer Nachteil des bisherigen Färbeverfahrens ist seine Unspezifität
(24). Es wäre daher vorteilhaft, eine Gensonde zur Identifizierung von Y-Chromosom-spezifischen
DNA-Sequenzen einzusetzen. Es wurde daher untersucht, ob funktionalisierte Gold-Nanopartikel
diese Aufgabe erfüllen können (25). Die Herstellung von GNP sehr homogener Größe ohne die
Verwendung toxischer Chemikalien wurde im Laserzentrum Hannover entwickelt. Das erforderliche
Imaging von Nanopartikeln im biologischen System konnte in Mariensee mittels konfokaler
Mikroskopie etabliert werden (26).

Bisher wurden Gensonden zur Hybridisierung nur an fixierten Zellen eingesetzt. Daher musste
zunächst eine Oligonukleotid-Sonde entwickelt werden, die mittels Triplex-Hybridisierung in
Verbindung mit Locked Nucleic Acid (LNA)-Oligonukleotid funktionalisierten Nanopartikeln einen
Abschnitt des bovinen Y-Chromosoms markiert. Eine Dekondensierung des Spermienchromatins ist
bei der Triplex-Hybridisierung nicht notwendig. Dies ist essenziell, damit die Spermien ihre volle
Funktionsfähigkeit und DNA-Integrität beibehalten.
Eine weitere Verbesserung ist die Umgehung der Spermienablenkung im elektrischen Feld.
Geeignet scheint ein System zu sein, bei dem die Tropfenablenkung, ähnlich wie bei einer optischen
134 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
Pinzette, durch einen zweiten Laserstrahl erfolgt. Unsere Ergebnisse zeigen eine deutliche
Verbesserung der Spermaqualität im Vergleich zu herkömmlich sortierten Samenzellen (21), sodass
langfristig eine Angleichung an die Spermaqualität unsortierter Spermien erreicht werden kann.

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LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 135


Wiederkäuer
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Detlef Rath, Institut für Nutztiergenetik, Friedrich-Loeffler-Institut, Neustadt-Mariensee,
[email protected]

136 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Neue Wege zu einer verbesserten Fruchtbarkeit in Rinderherden


Peter Zieger, Torsten Steppin
Pfizer GmbH, Berlin

Die Leptospirose des Rindes – Eine Bedrohung für die deutsche Rinderproduktion?
Die Leptospirose ist eine weltweit auftretende Erkrankung bei Tier und Mensch, die durch
gramnegative Bakterien der Gattung Leptospira verursacht wird. Die Krankheitsbilder können
verschieden sein, häufig sind jedoch die Organe des Urogenitaltraktes betroffen.
Alle Leptospirenarten sind an einen oder mehrere Haupt- bzw. Reservoirwirte adaptiert. Beim
Rind wird das Serovar Hardjo als Hauptverursacher der Leptospirose angesehen.
Bei Kühen verursacht eine akute Infektion mit L. hardjo Veränderungen des Eutergewebes mit
teilweise starkem Milchrückgang. Sehr häufig werden Aborte beobachtet, die häufig erst einige
Wochen nach der Infektion auftreten. Eine Infektion mit L. hardjo kann vor allem bei Kälbern zu
akuten Erkrankungen mit hohem Fieber, Ikterus, Nephritiden und Meningitiden führen (1,2).
Die chronische Form der Leptospirose wird häufiger gefunden. Dabei kommt es zu einer
langanhaltenden Besiedelung der Nieren mit L. hardjo. Durch die Infektion kommt es gehäuft zu
embryonalem Fruchttod, Aborten, Totgeburten oder der Geburt lebensschwacher Kälber (3,4).
Zum Nachweis der Leptospiren können molekularbiologische Verfahren (PCR) und die
Anzüchtung verwendet werden. Zum Antikörpernachweis stehen für Blut und Milch verschiedene
ELISA zur Verfügung. Der Nachweis der Leptospirose ist laut Verordnung über meldepflichtige
Tierkrankheiten vom 11.02.2011 bei Schaf und Schwein meldepflichtig. Die Meldepflicht beim Rind
besteht nicht mehr. Über die Verbreitung der Leptospirose bei Rindern in Deutschland gibt es nur
wenige Angaben. Bei serologischen Untersuchungen wurden unterschiedliche Ergebnisse ermittelt.
In Europa ist die Rinderleptospirose in Großbritannien am weitesten verbreitet (5,6).

Ein Fallbericht wird kurz dargestellt


In einem Mutterkuhbetrieb wich das Abkalbeergebnis in einer Herde sehr deutlich vom Befund
der Trächtigkeitsuntersuchung ab, ohne dass klinische Hinweise auf ein Abortgeschehen sichtbar
waren. Bei einer anschließenden serologischen Untersuchung von Blutproben auffälliger Kühe auf
Antikörper gegen verschiedene Aborterreger wurden nur Antikörper gegen L. hardjo bei allen Kühen
gefunden. Antikörper gegen häufige Aborterreger (BVDV, Neospora, Brucella) wurden nicht oder nur
vereinzelt nachgewiesen. Bei weiteren Recherchen wurde festgestellt, dass in Herden, die im
gleichen Weidegebiet standen und wahrscheinlich Zugang zu kontaminiertem Wasser hatten,
ebenfalls eine zum TU-Ergebnis reduzierte Abkalberate hatten. In diesen Herden wurden auch
Antikörper gegen L. hardjo nachgewiesen. In Herden anderer benachbarter Weidegebiete wurden
keine Antikörper gegen L. hardjo und auch keine Differenzen zwischen Trächtigkeitsuntersuchung
und Abkalbeergebnis festgestellt.

Um ein aktuelles Bild der Verbreitung der Rinderleptospirose in Deutschland zu erlangen,


veranlasste die Pfizer GmbH die Untersuchung von Tankmilchproben auf Antikörper gegen L. hardjo.
Die Ergebnisse werden dargestellt und diskutiert sowie Prophylaxe- und Therapiemaßnahmen
vorgestellt.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 137


Wiederkäuer
Die peripartale Metritis und Ihre ökonomische Relevanz
Mangelnde Fruchtbarkeit bei Hochleistungskühen ist nach wie vor mit weitem Abstand der
Hauptabgangsgrund für Milchkühe in den Hauptproduktionsländern. Die Ursachen hierfür – wenn
auch in vielen Fällen noch hypothetischer Natur – sind äußerst vielfältig, lassen sich aber durch ein
gutes Management in ihrer Bedeutung deutlich reduzieren.
So gilt für viele Fruchtbarkeitsprobleme speziell der postpartale Zeitraum als Weichensteller und
hier im Besonderen die Involutionsvorgänge des Uterus. Nach aktuellen Studien erkranken im
Schnitt bis zu 50 % der Kühe an postpartaler Metritis und bis zu 40 % im Zuge dessen an klinischer
oder subklinischer Endometritis (7,8). Die Dunkelziffer kann in beiden Fällen noch deutlich höher
ausfallen.
Neben geeigneten Vorbeugemaßnahmen (Hauptrisikofaktoren sind u. a. Retentio secundinarum,
Hypocalcämie und Mängel im Transition Management der Kühe) spielt deshalb eine frühzeitige
Diagnostik und Behandlung von Metritiskühen eine entscheidende Rolle.
Neuere Studien zeigen nämlich, dass solchermaßen frühzeitig erkannte und behandelte Kühe die
gleiche Fruchtbarkeitsleistung erreichen können wie gesunde, unauffällige Kühe (9). Fiebermessen
gilt nach wie vor als wichtigstes Ad-hoc-Diagnostikum für Pueperalstörungen, doch es gilt zu
bedenken, dass bis zur Hälfte aller betroffenen Kühe keine erhöhte Temperatur zeigen (10). Es sind
deshalb weitere Diagnostika heranzuziehen wie Vaginalausfluss, Vaginoskopie, reduzierte
Futteraufnahme oder Blutparameteruntersuchungen.

Neuer Behandlungsansatz akute postpartale Metritis


Bei der akuten postpartalen Metritis gilt vor allen Dingen die systemische antibiotische
Behandlung unter Beachtung der Antibiotikarichtlinien als Mittel der Wahl, wobei ein ausreichender
Wirkstoffspiegel über 5 Tage für einen optimalen Behandlungserfolg anzustreben ist.

„Fruchtbarkeits-Talk“
Das finanzielle Ausmaß von Fruchtbarkeitsproblemen ist in vielen Fällen weder für Betriebsleiter
noch den Tierarzt ersichtlich. Meist bewegt man sich hier in der Beratung in einem „Graubereich“ von
Vermutungen und Gefühlen. Gezielte, auf ökonomischer Basis beruhende Ratschläge oder
Entscheidungen sind eher die Ausnahme, denn die Regel.
Der neue Pfizer HerdScan® zielt genau auf diese Problematik ab und hat sich zum Ziel gesetzt,
die Kommunikation zwischen Tierarzt und Landwirt zu optimieren. Hauptzweck ist es, die
Problembereiche im Betrieb zu identifizieren und zu quantifizieren. Neben Themen zur Fruchtbarkeit
stehen hier außerdem wichtige Aspekte wie Eutergesundheit, Lebenseffektivität, Abgangsursachen
oder Kuhkomfort im Fokus – allesamt Bereiche, die dem Landwirt erhebliche finanzielle Verluste
bereiten können. Mit Hilfe des HerdScan® kann der Tierarzt im Gespräch mit dem Landwirt sehr
einfach herausfinden, welche Potenziale bestimmte Verbesserungen in den einzelnen Bereichen
nach einer Intervention nach sich ziehen können. Der Tierarzt wird so zu einem wertvollen Berater
für den Landwirt, er bewegt sich somit immer mehr weg vom oft in der Diskussion stehenden
„Kostenfaktor“ hin zum für den Betrieb wichtigen „Produktionsfaktor“, gerade im
Fruchtbarkeitsbereich erscheint dies demnach wichtiger denn je. Weitere Infos dazu unter
www.herdscan.de.

138 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
1. Ellis WA. Leptospirosis as a cause of reproductive failure. Vet Clin North Am: Food Anim Pract.
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serogroup. Am J Vet Res. Vol. 43;No.5:780-4.
3. Guitian J, Thurmond MC, Hietala SK. Infertility and abortion among first-lactation dairy cows seropositive
or seronegative for Leptospira interrogans serovar hardjo. J Am Vet Med Assoc.1999;215(4):515-8.
4. Dhaliwal GS, Murray RD, Dobson H, Montgomery J, Ellis WA. Reduced conception rates in dairy cattle
associated withserological evidence of Leptospira interrogans serovar hardjo infection. Vet Rec.
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5. Pfizer Study 2134A-85-00-001.
6. Wiseman A, Joris E, Kind V, Debouck P. The prevalence of antibodies to Leptospira serovar hardjo, as
detected by ELISA, in samples of bulk tankmilk from four selected countries in Europe. Proc World
Buiatrics Congress; 2002.
7. Sheldon IM, Cronin J, Goetze L, Donofrio G, Schuberth HJ, Defining postpartum uterine disease and the
mechanisms of infection and immunity in the female reproductive tract in cattle.. Biol. Reprod.
2009;81:1025–32.
8. Benzaquen ME, Risco CA, Archbald LF, Melendez P, Thatcher MJ, Thatcher WW. Rectal temperature,
calving-related factors, and the incidence of puerperal metritis in postpartum dairy cows. Journal of Dairy
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9. Rabaglino MB, Santos JEP, Fuentes C, Risco CA. Milk production and reproductive performance in
postpartum dairy cows diagnosed and treated for metritis using a health monitoring program. AABP
conference; 2008.
10. Madoz l, De La Sota RL, Suzuki K ,Heuwieser W, Drillich M. Use of hysteroscopy for the diagnosis of pp
clinical endometritis in dairy cows. Vet Rec. 2010;167:142-3.

Kontaktadresse
Peter Zieger, Pfizer GmbH, Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 139


Wiederkäuer

Mastitisdiagnostik: Sind moderne molekularbiologische Techniken


den herkömmlichen kulturellen Verfahren überlegen?
Michael Zschöck
Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, Abteilung Veterinärmedizin, Gießen

Die mikrobiologische Diagnostik ist mit der Isolierung und Identifizierung pathogener
Mikroorganismen befasst, wobei kulturelle Untersuchungsverfahren in der Bakteriologie derzeit noch
dominieren. Abhängig von der Wachstumscharakteristik der vorliegenden Krankheitserreger kann die
Untersuchungsdauer mitunter Tage bis Wochen in Anspruch nehmen. Demgegenüber kann jedoch
oftmals eine möglichst schnelle Erstellung eines Befundes erforderlich sein. Aufgrund der
geschilderten Limitation dieses konventionellen Tests sind die potenziellen Einsatzgebiete moderner
Nukleinsäure-gestützter Methoden (z. B. PCR) in der mikrobiologischen Diagnostik absehbar.
Seit geraumer Zeit werden diese molekularbiologischen Untersuchungsverfahren vermehrt in der
medizinisch-mikrobiologischen Diagnostik eingesetzt (1). Die Vorteile der PCR liegen in der
vergleichsweise hohen analytischen Sensitivität, der erzielbaren Spezifizität, der allgemein schnellen
Durchführbarkeit der Tests, der weitestgehenden Unabhängigkeit von einer erfolgreichen
Anzüchtung sowie die Möglichkeit des Nachweises sogar ganzer Erregergruppen. Zudem bestehen
auch die Möglichkeit des Nachweises nicht oder nur schwer kultivierbarer Krankheitserreger, die
Möglichkeit des schnellen Nachweises von Virulenzfaktoren und die Option zur Automatisierung.
Nachteile sind, dass keine Informationen zur Infektiosität und Lebensfähigkeit möglich sind.
Obwohl der Nachweis von Resistenzgenen mittels PCR prinzipiell möglich ist, wird zu einer
aussagekräftigen phänotypischen in vitro-Sensitivitätstestung ein Erregerisolat benötigt. Aufgrund
der hohen Sensitivität der PCR besteht immer das Risiko der exogenen Kontamination und somit
des falsch positiven Untersuchungsergebnisses. Das Verfahren ist nach wie vor relativ teuer und
bisher nur in Teilbereichen hinreichend standardisiert. Auch der ökonomische Aspekt kann sich ggf.
als ein weiterer Nachteil erweisen. Die höheren Testkosten der PCR-Nachweise gegenüber den
herkömmlichen Methoden erscheinen nur dann gerechtfertigt, wenn aus deren Anwendung ein
klinischer und/oder an anderer Stelle wirtschaftlicher Vorteil für den Auftraggeber der Untersuchung
erwächst. Prinzipiell dürfen Proben potenziell infektiöser Materialien nur in Laboratorien mit
mikrobiologisch qualifiziertem Personal unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen bearbeitet
werden.
Nach wie vor werden in der mikrobiologischen Diagnostik konventionelle
Untersuchungsverfahren eingesetzt. Diese sollten dort, wo moderne NAT durchgeführt werden,
routinemäßig etabliert sein, damit eine ausreichende zusammenfassende Beurteilung möglich ist.
Dies wiederum impliziert, dass der verantwortliche Laborleiter über umfassende klinisch-
mikrobiologische und medizinische Kenntnisse verfügen muss. Eine entsprechende Qualifizierung ist
im Rahmen des Qualitätsmanagements zu berücksichtigen.
Somit soll die NAT prinzipiell bei folgenden Konstellationen zum Einsatz kommen:

 Nachweis nicht oder schwierig kultivierbarer oder langsam wachsender Erreger


 Eröffnung von Therapieoptionen ausschließlich durch das betreffende PCR-Verfahren, um den
klinischen Zustand des Patienten zu verbessern

140 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

 Erregernachweis bei antiinfektiver Vorbehandlung, wenn eine Erregeranzucht nicht mehr


erfolgversprechend ist
 Klinischer und/oder ökonomischer Nutzen für den Auftraggeber der Untersuchung durch einen
schnelleren und ggf. präziseren Befund
 Verbesserung der diagnostischen Sicherheit herkömmlicher phänotypischer Verfahren z. B.
durch Nachweis von Pathogenitätsfaktoren oder Resistenzgenen

Auch in der veterinärmedizinischen Mastitisdiagnostik lässt sich die PCR prinzipiell zur
Untersuchung von Milchproben (Viertelgemelksproben/Tankmilchproben) anwenden (2). In der
internationalen Literatur wurden PCR- Nachweisverfahren zu den wichtigsten Mastitiserregern
publiziert. Mögliche Einsatzgebiete der PCR- Technologie in der mikrobiologischen
Mastitisdiagnostik sollen nun folgend dargestellt werden. Unter Würdigung der bisher publizierten
PCR- Untersuchungsverfahren zu den verschiedenen Mastitiserregern soll deren Einsatz in der
Routinediagnostik kritisch hinterfragt werden.
Unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen sollen Empfehlungen für den zukünftigen Einsatz
dieser molekularbiologischen Techniken gegeben werden.

Klinische Mastitis
Bezüglich der Ätiologie der klinischen Mastitis kommen prinzipiell verschiedene Erreger bzw.
Erregergruppen in Betracht, die sich oftmals alle aufgrund des klinischen Bildes allein nicht
eingrenzen lassen. Da nicht für alle potenziellen Mastitiserreger PCR-Verfahren zur Verfügung
stehen, kann derzeit auf eine zumindest parallel durchgeführte herkömmlich-kulturelle Untersuchung
nicht verzichtet werden.
Demgegenüber sind bestimmte Mastitiserreger (z. B. Mycoplasmen, Chlamydien und Rikettsien)
schwer kultivierbar und werden im Rahmen der Routinediagnostik bisher nicht oder nur auf
besondere Anforderung erfasst. Hier ergeben sich im Hinblick auf das diagnostische Spektrum –
unter Berücksichtigung vorgenannter Qualitätsparameter – klare Vorteile beim Einsatz dieser PCR-
Techniken.
Auch bei Proben antiinfektiv erfolglos vorbehandelter Patienten ist möglicherweise eine klare
Indikation für PCR-Techniken gegeben. In puncto Schnelligkeit wäre die PCR den herkömmlichen
kulturellen Verfahren eindeutig überlegen. Aufgrund der besonderen Gegebenheiten bei der
Untersuchung von Milchproben sind jedoch Kriterien zur Ergebnisbeurteilung unumgänglich. In
Anlehnung an diese für die herkömmlich-kulturellen Verfahren ist allein der qualitative Nachweis
kontagiöser Mastitiserreger (S. agalactiae, S. aureus) positiv zu bewerten. Demgegenüber bedarf es
bei den umweltassoziierten Mastitiserregern einer quantitativen Beurteilung, wobei entsprechende
Grenzwerte für die RealTime-PCR derzeit noch fehlen. Dies ist dringend erforderlich, um
Fehlbeurteilungen durch Kontaminationen der Proben – umweltassoziierte Erreger sind in der
Umgebung der Tiere weit verbreitet – oder Strichkanalbesiedlung zu vermeiden.
Noch schwieriger gestaltet sich die Beurteilung von Mischkulturen. Für die klassische
Mastitisdiagnostik mittels Kultur hat das NMC Hinweise zur Beurteilung aufgelegt (3). Demnach ist
bei den klassischen, kontagiösen Mastitiserregern S. agalactiae und S. aureus auch bei Vorliegen
von Mischkulturen bestehend aus 2 und mehr Bakterienspezies von einem hoch signifikant zu
beurteilenden Ergebnis auszugehen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 141


Wiederkäuer
Bei den umweltassoziierten Erregern ist im Falle des Vorliegens einer Mischkultur die Signifikanz
des Resultats fraglich. Diese Beurteilungskriterien haben selbstverständlich für die PCR ebenso
Gültigkeit.

Subklinische Mastitis
Im Gegensatz zur Diagnostik bei der klinischen Mastitis handelt es sich bei der subklinischen
Mastitis nicht um eine Einzeltierdiagnostik. Vielmehr geht es im Wesentlichen um eine
Leitkeimdiagnostik. Es geht um die Beantwortung der Frage, welche Mastitiserreger als ursächliches
ätiologisches Agens gesehen werden können. Abhängig davon kommen dann verschiedene
Therapie- und Prophylaxekonzepte zur Anwendung. Bezüglich der Beurteilung von Vor- und
Nachteilen gelten prinzipiell die bereits in der klinischen Mastitisdiagnostik angeführten Argumente.
Schwer kultivierbare Erreger spielen hier sicherlich eine untergeordnete Rolle. Ebenso ist der Faktor
„Zeit“ in diesem Zusammenhang nicht von großer Bedeutung, da das subklinische Mastitisproblem in
der Regel bereits über einen längeren Zeitraum besteht und die Umsetzung des Sanierungskonzepts
meist höhere Priorität hat als beispielsweise die antiinfektive Therapie betroffener Euterviertel der
Kühe. Dementsprechend wird für den Einsatz der PCR als diagnostische Methode zum Nachweis
von Erregern subklinischer Mastitiden keine Indikation gesehen.

Nachweis von Mastitiserregern in der Bestandsmilch


Prinzipiell können die verschiedensten Bakteriengattungen und -arten in der Tankmilch
nachgewiesen werden. In Verbindung mit Fragen zur Eutergesundheit deutet der Nachweis von
kontagiösen oder klassischen Mastitiserregern der Arten S. agalactiae, S. aureus oder Mykoplasmen
immer auf ein Mastitisproblem hin. Demgegenüber hat der Nachweis von coliformen Erregern (E.
coli, Enterobacter sp., Citrobacter sp.), nicht Galt-Streptokokken oder sog. Umweltstreptokokken (S.
uberis, S. dysgalactiae sowie Koagulase-negativer Staphylokokken) nicht zwingend seinen Ursprung
in vermehrtem Auftreten von Euterentzündungen in dem betreffenden Milcherzeugerbetrieb.
Die Tankmilchuntersuchung kann niemals eine Viertelgemelksprobenuntersuchung zur
Mastitisdiagnostik ersetzen. Vielmehr ist das Verfahren lediglich als Monitor, d. h. als eine laufende
Überwachung der Eutergesundheitssituation hilfreich.
In diesem Bereich könnte ein mögliches Einsatzgebiet für die PCR-Techniken liegen. Mittels
eines Multiplexverfahrens ließen sich Bestandsmilchproben sensitiv und spezifisch auf kontagiöse
Mastitiserreger screenen. Im Gegensatz zum kulturellen Verfahren wäre die prinzipielle
Automatisierbarkeit der PCR hier von Vorteil.

Literaturverzeichnis
1. Podbielski A, Herrmann M, Kniehl E, Mauch H, Rüssmann H. Mikrobiologisch- infektiologische
Qualtätsstandards- Nukleinsäure- Amplifikationstechniken. Elsevier Urban Fischer; 2011; München.
2. Zschöck M, Kloppert B, Wolter W. Die Anwendung molekularbiologischer Verfahren in der
Mastitisdiagnostik. Tagung des Arbeitskreises Eutergesundheit der DVG; 2003; Kiel.
3. National Mastitis Council. Laboratory and Field Handbook on Bovine Mastitis. Wilson Blvd. Arlington;
1987.

Kontaktadresse
Dr. Michael Zschöck, Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, Gießen;
[email protected]

142 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Prävalenz, Resistenz- und Virulenzeigenschaften von


Staphylococcus aureus als Mastitiserreger
Karsten Donat1, Katharina Schlotter1, Helmut Hotzel2
1Tiergesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse, Jena; 2Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für
bakterielle Infektionen und Zoonosen, Jena

Einführung
Ein über Jahre hinweg hohes Vorkommen von Staphylococcus aureus im Rahmen der
Mastitisdiagnostik veranlasste den Tiergesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse zu
näheren Untersuchungen zur Verbreitung dieses Erregers. Im Rahmen eines Projekts sollte die
Prävalenz von Staphylococcus aureus innerhalb der Thüringer Milchviehbestände bestimmt werden.
Gegenstand weiterführender Untersuchungen waren die Resistenz- und Virulenzeigenschaften
ausgewählter Isolate.

Betriebe, Tiere, Material und Methoden


Am Projekt der Tierseuchenkasse beteiligten sich 34 Thüringer Milchviehbetriebe. Im Rahmen
von zwei Bestandsuntersuchungen im Zeitraum von September 2009 bis Dezember 2010 wurden
sämtliche laktierenden Tiere jeweils zweimal im Abstand von mindestens acht Wochen auf
Viertelgemelksebene beprobt. Auf diese Weise gelangten 74.536 Proben von 18.634 Tieren zur
bakteriologischen Untersuchung ins Labor des Tiergesundheitsdienstes der Tierseuchenkasse.
Diese erfolgte sowohl im Direktausstrich als auch nach Voranreicherung in einer Glucose-
Nährbouillon und einer Bebrütung über insgesamt 48 Stunden. Die Kulturen wurden nach 24 und 48
Stunden beurteilt und gemäß der DVG-Leitlinien bewertet.
Jeweils sechs repräsentative Staphylococcus aureus-Isolate pro Betrieb wurden mittels
Agardiffusion auf ihr Resistenzverhalten gegenüber 23 Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen aus
den Stoffgruppen β-Laktam-Antibiotika, Aminoglykoside, Gyrasehemmer, Makrolide, Lincosamide,
Tetrazykline und Trimethoprim getestet. Gleichzeitig wurden diese Isolate unter Anwendung der
DNA-Chip-Technologie (StaphyType; CLONDIAG, Jena, Deutschland) hinsichtlich ihrer
Resistenzgene und ihres Toxinbildungsvermögens näher charakterisiert.
Die Identifikation von MRSA-Stämmen erfolgte über den Nachweis des mecA-Gens, das für ein
verändertes Penicillin-bindendes Protein (PBP2a) kodiert und so die Resistenz gegenüber β-
Laktamen vermittelt.

Ergebnisse
Prävalenz
In jedem Betrieb konnten Staphylococcus aureus-Tiere ermittelt werden, sodass sich eine
Herdenprävalenz von 100 % ergibt.
Der Erreger wurde in 2,3 % aller untersuchten Proben nachgewiesen, in 52 % der Fälle in den
Hintervierteln. Bei 20,2 % der positiv auf Staphylococcus aureus getesteten Tiere gelang der
Erregernachweis in mehreren Vierteln.
Auf Einzeltierebene ergab sich eine Prävalenz von 6,2 % infizierten Tieren. Zwischen den
Betrieben variierten die Prävalenzen stark. Die höchste Prävalenz wies ein mit 45 laktierenden
Tieren vergleichsweise kleiner Betrieb auf, bei dem nahezu 50 % der untersuchten Tiere positiv auf

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 143


Wiederkäuer
Staphylococcus aureus getestet wurden. Demgegenüber konnten insbesondere bei größeren
Betrieben Prävalenzen von unter 1 % festgestellt werden. Nur acht Betriebe erreichten sowohl in der
ersten als auch in der zweiten Untersuchung eine Staphylococcus aureus-Prävalenz von unter 5 %.
Eine Klassifizierung der Betriebe nach ihrer Prävalenz in der zweiten Bestandsuntersuchung ist in
Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Anzahl der Betriebe nach der in der zweiten Bestandsuntersuchung ermittelten Prävalenz
Prävalenzklasse Anzahl Betriebe
< 2% 4
2-5 % 7
5-20% 21
> 20% 2
Gesamt 34

Deutliche laktationsabhängige Prävalenzunterschiede waren nicht festzustellen, die höchste


Einzeltierprävalenz wiesen in unserer Untersuchung die Tiere in der zweiten Laktation auf.

Tabelle 2: Anteil infizierter in Abhängigkeit von der Laktation


Untersuchte Tiere Positive Tiere
n n %
1. Laktation 7.039 445 6,3
2. Laktation 5.308 345 6,5
3. Laktation 3.455 210 5,9
>3. Laktation 2.832 164 5,8

Die Staphylococcus aureus-Isolate stammten von Kühen aus jeder Laktationswoche (Abb. 1).
Die höchsten Anteile infizierter Tiere waren in der zweiten Laktationshälfte festzustellen. In der 29.
Woche war mit 11 % der höchste Wert zu verzeichnen. Die niedrigsten Prävalenzen traten in den
ersten Laktationswochen auf.

Abb. 1: Anteil der Tiere mit


Staphylococcus aureus-Nachweis
in Abhängigkeit von der
Laktationswoche

144 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Resistenz
Das mittels Agardiffusion bestimmte Resistenzverhalten von 189 Isolaten ist in Tabelle 3
angegeben. Grundsätzlich waren Resistenzen gegen die getesteten Wirkstoffe und
Wirkstoffkombinationen in unseren Untersuchungen selten. Lediglich bei Penicillin, Cefacetril,
Tylosin, Trimethoprim und Tetracyclin lag der Anteil sensibler Isolate bei unter 90 %. Mittels DNA-
Chip-Technologie konnte bei vier Isolaten (2,1 %) das mecA-Gen nachgewiesen werden.

Tabelle 3: Ergebnisse der Resistenzbestimmung von 189 Staphylococcus aureus-Isolaten mittels


Agardiffusion
Wirkstoffgruppe Wirkstoff Sensibilität [%]
β-Laktame Amoxicillin/Clavulansäure 92,1
Ampicillin/Cloxacillin 95,8
Cloxacillin 96,3
Oxacillin 97,9
Penicillin 88,9
Cefacetril 75,1
Cefalexin 95,8
Cefazolin 97,9
Cefapirin 97,9
Cefoperazon 97,9
Cefquinom 97,9
Aminoglykoside Neomycin 97,4
Gyrasehemmer Danofloxacin 93,7
Enrofloxacin 95,2
Marbofloxacin 98,9
Makrolide Erythromycin 98,9
Tylosin 85,7
Lincosamide Pirlimycin 98,9
Trimethoprim Trimethoprim 87,8
Tetracycline Tetracyclin 85,2
Kombinations-Antibiotika Lincomycin/Neomycin 94,2
Penicillin/Streptomycin/Nafcillin 97,4
Cefalexin/Kanamycin 100

Virulenzeigenschaften
Während die Gene des humanmedizinisch relevanten Panton-Valentine-Leukozidins in keinem
der Isolate gefunden wurden, konnten in 151 Isolaten (79,9 %) die Gene des kuhassoziierten
Leukozidins LukM/LukF-P83 detektiert werden. Interessanterweise zählten sämtliche LukM/LukF-
P83-positiven Isolate zu Staphylococcus aureus-Stämmen, deren Vorkommen auf das Rind
beschränkt ist. Bei nicht wirtsspezifischen Staphylococcus aureus-Stämmen aus unserem
Untersuchungsgut lagen diese Gene nicht vor.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 145


Wiederkäuer
24 Isolate (12,7 %) verfügten über die Gene der klassischen Enterotoxine A, B und C,
wohingegen die Gene der Enterotoxine D und E in unseren Untersuchungen nicht nachgewiesen
wurden. Wesentlich häufiger als die „klassischen“ Enterotoxingene fanden sich die Gene der
Enterotoxine G, I, M, N, O und U. Sie waren in 147 Isolaten (77,8 %) vorhanden. Allerdings ist der
Zusammenhang der kodierten Toxine mit humanen Lebensmittelintoxikationen umstritten.

Diskussion
In unserer Studie wurden 6,2 % aller untersuchten Tiere positiv auf Staphylococcus aureus
getestet. Ähnliche Ergebnisse bzgl. der Einzeltierprävalenz wurden auch in anderen Teilen
Deutschlands und der Schweiz ermittelt (1,2). Die Tatsache, dass trotz zum Teil intensiver
Sanierungsprogramme in allen teilnehmenden Betrieben Staphylococcus aureus nachgewiesen
werden konnte, zeigt auf, wie schwierig die Schaffung Staphylococcus aureus-freier Bestände ist.
Dieser Erreger ist bei weitem nicht so stark an das Eutergewebe adaptiert wie Streptococcus
agalactiae und kommt daher auch außerhalb der Milchdrüse im Betrieb vor (3). Eine alleinige
Optimierung der Melkhygiene führt so häufig nicht zur Verhinderung von Neuinfektionen (4).
Das Resistenzverhalten der in unseren Untersuchungen betrachteten Isolate ist grundsätzlich als
positiv zu werten. Dabei sind unsere Ergebnisse mit denen einer Untersuchung im norddeutschen
Raum vergleichbar (5). Zu beachten ist jedoch, dass Staphylococcus aureus in der Lage ist, nach
Phagozytose durch Leukozyten in diesen Zellen zu überleben, wodurch er gegenüber einer
antibiotischen Behandlung unangreifbar wird (6).
Die geringe Häufigkeit von MRSA in den untersuchten Milchproben spricht für eine geringe
Verbreitung Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus-Stämme als Mastitiserreger.
Die Häufung der Stämme mit Genen des Leukozidins LukM/LukF-P83 weist auf eine mögliche
Beteiligung dieses Faktors im bovinen Mastitisgeschehen hin; seine Bedeutung als Virulenzfaktor
bedarf weiterführender Untersuchungen.

Literaturverzeichnis
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against antimicrobial agents in dairy cows in Brandenburg, Germany. J Dairy Sci. 2006;89(7):2542-51.
2. Moret-Stalder S, Fournier C, Miserez R, Albini S, Doherr MG, Reist M, Schaeren W, Kirchhofer M, Graber
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cows in the Canton of Bern, Switzerland. Prev Vet Med. 2009;88(1):72-6.
3. Seffner W, Bergmann A. Staphylokokken-Infektionen. In: Wendt K, Bostedt H, Mielke H, Fuchs HW, Hrsg..
Euter- und Gesäugekrankheiten. 1. Aufl. Jena/Stattgart: Gustav Fischer Verlag; 1994. p. 349-59.
4. Sommerhäuser J, Kloppert B, Wolter W, Zschöck M, Sobiraj A, Failing K. The epidemiology of
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Tierarztl Wochenschr. 2005;118:393-8.
6. Hébert A, Sayasith K, Sénéchal S, Dubreuil P, Lagacé J. Demonstration of intracellular Staphylococcus
aureus in bovine mastitis alveolar cells and macrophages isolated from naturally infected cow milk. FEMS
Microbiol Lett. 2000;193:57-62.

Kontaktadresse
Dr. Karsten Donat, Thüringer Tierseuchenkasse, Jena, [email protected]

146 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Hygieneregime, Impfung und Therapieansätze bei KNS-Mastitiden


Klaus Fehlings
Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., Fachabteilung Eutergesundheitsdienst und Milchhygiene

Einleitung
Eutergesundheit ist keine stabile Größe, da Mastitiserreger jederzeit übertragen werden können.
Eine keim- und Mastitiserreger-freie Umwelt ist nicht realisierbar. Die Bedeutung der Micrococcaceae
als Mastitiserreger wird kontrovers diskutiert. Während S. aureus eindeutig in der Epidemiologie den
kuhassoziierten Erregern zugeordnet wird, stufen Untersucher Koagulase-negative Staphylokokken
(KNS) als „minor pathogen“ oder aber fallweise als „major pathogen“ ein (1-3). Neuere Studien
zeigten auf, dass KNS auch bei akuten Mastitiden verursachende Agens sein können (4).

Hygienemanagement als Lösungsansatz


Vielfach besteht die Auffassung, dass vor dem Melken keine wirksame Maßnahme zur
Minimierung der Zitzenkontamination und damit auch einer Verringerung des Infektionsrisikos
verfügbar ist. Untersuchungen in Bayern haben aufgezeigt, dass ein konsequentes
Hygienemanagement zur Verringerung des Infektionsdruckes beitragen kann. Seit Jahren
dominieren Staphylokokken (Micrococcaceae) mit über 55% der positiven Nachweise das
Infektionsgeschehen. Während auf S. aureus etwa 22% der Erregernachweise entfielen, überwogen
koagulase-negative Staphylokokken (KNS) anteilig mit über 33%. In einer Studie wurde in drei
Beständen (60 Kühe/240 Viertel) eine desinfizierende Feuchtreinigung der Zitzen mit
Einwegeuterpapiertüchern vor dem Melken durchgeführt. Die Tücher wurden tropfnass einer 0,5%-
igen Tosylchloramid–Natrium-Lösung (12) (750 ppm Aktivchlor) entnommen und vor der Anwendung
ausgedrückt. Die Einwirkzeit lag bei ca. 20 Sekunden. Der Gesamt-Keimgehalt (KbE/cm2) auf der
Zitzenhaut wurde durchschnittlich um 99,0% reduziert (98,8%, 98,9% und 99,3%). In der
Kontrollgruppe (trockene Euterpapiertücher) gab es eine Reduktion um 87,5% (82,2% und 92,7%).
Die Keimzahlen pro 2 cm2 Zitzenhaut lagen zwischen 5,3 x 104 KbE (log 4,72) und 5,2 x 105 KbE (log
5,72) vor, nach der Reinigung zwischen 4,4 x 102 (log 2,65) KbE und 3,3 x 103 KbE (log 3,53) (Abb.
1). Die Zahl gram-negativer Mastitiserreger verringerte sich um 94,3% bzw. der KNS um 67,5%,
äskulin-positive Streptokokken wurden völlig eliminiert (5).
Zitzenbäder oder –sprays dürfen nur mit einer behördlichen Zulassung verwendet werden und
keine Rückstände in der Milch hinterlassen. Seit 1986 besitzt das geprüfte Mittel eine
Doppelzulassung für die Zitzendesinfektion vor (desinfizierende Feuchtreinigung) und nach dem
Melken.

Laktations- und Trockenstelltherapie als Lösungsansatz


Die Therapie Mastitis-kranker Tiere sowie ein nachhaltiges Trockenstellmanagement sind
essentielle Bestandteile einer Bekämpfungsstrategie. Die Laktationstherapie oder die
metaphylaktische Arzneimittelgabe zum Trockenstellzeitpunkt sind eine Hilfe zur Selbsthilfe für das
Rind, jedoch nicht die alleinige Problemlösung des Mastitisgeschehens.
In einer bayerischen Feldstudie zur Therapie subklinischer Kokken-Mastitiden wurden erkrankte
Kühe intramammär entweder mit einem Cephalosporin der ersten (Cefazolin) (13) oder der vierten
Generation (Cefquinom) (14) behandelt. Zu Therapiebeginn waren 62 Viertel/32 Kühe (48,4%)

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 147


Wiederkäuer
mikrobiologisch positiv (Micrococcaceae 53,2%, Streptokokken 24,2%). Der Vergleich der
bakteriologischen Heilungsraten bis 14 Tage nach der Behandlung ergab eine weitgehende
Übereinstimmung der Wirksamkeit beider Substanzen sowohl auf Euterviertel- als auch auf
Kuhebene (> 90 bzw. 80%). Bezüglich der bakteriologischen Heilungsraten und der Nachhaltigkeit
nach 40 bis 42 Tagen zeigte Cefquinom einen signifikant geringeren Infektionsstatus (33,3%/31,2%
der Vierteln/Kühe mikrobiologisch positiv gegenüber der zweiten Gruppe mit 35,5%/56,2%
Vierteln/Kühen). Hinsichtlich der Erregerverteilung ergab sich nach der Behandlung ein
vergleichbares Untersuchungsergebnis (ca. 56%/36%) (6).
Die Anwendung von Langzeit-ß-Lactamantibiotika (Isoxazolylpenicilline) (15,16) in zwei, im
Abstand von ca. 10 Jahren in Bayern durchgeführten Feldstudien, bewirkte eine deutliche
Verbesserung der Eutergesundheit und Verringerung der Zahl subklinischer Mastitiden in 11
untersuchten Herden. In der ersten Studie stellten sich KNS (Ø 31,6%) als Leitkeime heraus. (4) Am
14. Tag p.p. war das Verhältnis der Erregerverteilung vergleichbar, KNS waren nach wie vor die
Leitkeime. Es hatten jedoch mehr Kühe eine normale Sekretion (39,7%; KI%95UG - KI%95OG 31,482 -
47,929) als eine subklinische Mastitis (24,3%; KI%95UG - KI%95OG 17,059 - 31,469). Die
Neuinfektionsrate für klinische Mastitiden lag 28 Tage nach der Abkalbung bei 6,3% (acht Kühe). Die
Nachhaltigkeit dieser Maßnahme war aufgrund fehlerhafter Umweltbedingungen im Melk- und
Hygienemanagement in zwei Herden nicht umfassend sicherzustellen.
Die Anwendung von zwei Langzeittrockenstellern (15,16) in einer Feldstudie aus den Jahren
2008/2009 führte in beiden Behandlungsgruppen zu einer signifikanten Verbesserung der
Eutergesundheit. Am Studienende waren in beiden Gruppen mehr Kühe normal sekretierend als an
einer subklinischen Mastitis erkrankt. In allen Herden gab es ein konsequentes Hygiene- und
Melkmanagement. KNS dominierten in den sieben Herden als Leitkeim (12,4%). Am 14. Tag p.p. war
das Verhältnis der Erregerverteilung mit Studie 1 vergleichbar (KNS 6,8%). Ausgehend vom
Trockenstellzeitpunkt 14 - 16 Tage p.p. verringerte sich der Anteil mikrobiologisch positiver Tiere von
62,5% (55 Kühe) auf 17,1% (15 Kühe). Die Zunahme der Zahl gesunder Tiere war signifikant (beide
Gruppen p = 0,0001), es gab in beiden Gruppen mehr normal sekretierende Kühe, als an einer
subklinischen Mastitis erkrankte (Abb. 2). Die Neuinfektionsrate durch akute klinische Mastitiden p.p.
war in beiden Gruppen annähernd gleich hoch, sie lag bei 4,4% (fünf Kühe) (7).

Abb. 1: KbE auf der Zitzenhaut nach der Reinigung mit einer Tosylchloramid-Natrium-Lösung

148 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Abb. 2: Entwicklung der Eutergesundheit nach einer Trockenstellbehandlung mit Langzeit-ß-Lactamantibiotika


(Isoxazolylpenicilline)

Immunprophylaktische Maßnahmen als Lösungsansatz


Für die bakteriologische Heilung ist ein stabiles physiologisches Gleichgewicht der Kuh
unentbehrlich. Um das Immunsystem möglichst effektiv zu stimulieren, wurden in den letzten Jahren
u.a. Vakzinen gegen S.aureus und E.coli entwickelt, die zu einem milderen klinischen
Erkrankungsverlauf und einer verkürzten Erkrankungsdauer führten (8). Nach einer Impfung mit
bestandsspezifischen Impfstoffen stieg der Gehalt an Antikörpern gegen Mastitiserreger deutlich an,
während die Infektionsrate jedoch nicht signifikant gesenkt wurde (9). Zulassungsuntersuchungen für
einen inaktivierten Impfstoff gegen E. coli (J 5) und S. aureus (SP 140) zeigten auf, dass dieser
Neuinfektionen nicht verhindern konnte, aber die Vermehrung von S. aureus vermindert wurde (10).
In weiteren Feldversuchen gab es nach einer dreimaligen Vakzination eine signifikante Verringerung
klinischer und subklinischer Mastitiden (11). In Bayern wurde 2011 eine Wirksamkeitsstudie zur
Senkung der Neuinfektionsrate und des Infektionsdruckes in sieben Beständen über den Zeitraum
eines Kalenderjahres begonnen.

Zusammenfassung
Keiner der drei Lösungsansätze ist für sich in der Lage, eine durch Micrococcaceae bedingte
Bestandsproblematik zu lösen, besonders wenn KNS als Leitkeim identifiziert wurde. Die
Bekämpfungsstrategie muss einzelbetriebliche Merkmale und ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-
Verhältnis beachten. In der praktischen Umsetzung ist die Kombination aller drei Ansätze
möglicherweise zukunftsweisend (1).

Literaturverzeichnis
1. Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft e.V. (DVG), Fachgruppe "Milchhygiene". Hamann J,
Fehlings K, Herausgeber. Leitlinien zur Bekämpfung der Mastitis des Rindes als Bestandsproblem. 4.
Auflage, Gießen 2002.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 149


Wiederkäuer
2. Taponen S, Simojoki H, Haveri M, Larsen HD, Pyörälä S. Clinical characteristics and persistence of bovine
mastitis caused by different species of coagulase-negative staphylococci identified with API or AFLP. Vet.
Microbiol. 2006;115:199–207.
3. Schukken YU, Bar D, Gröhn YT, Barlow JW, Quesnell RR, Zadocks RN. Milk quality improvement and
mastitis control on dairy farms. The case of persistent infections and repeated clinical cases. Oral
presentation; WBC Budapest 2008. Kongressbericht CD.
4. Sobiraj A. Klinik und Therapie von schwierigen Akut-Mastitiden – Eine Bestandsaufnahme. Vortrag 25.
Bayerische Tierärztetage; 4. Juni 2011; Nürnberg.
5. Fehlings K. Hat die Zitzenpflege und Dekontamination noch eine Zukunft? Tagung der Fachgruppe
“Milchhygiene” der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG), Arbeitskreis “Eutergesundheit”.
Tagungsbericht 29.-30. März 2006. Leipzig. S. 31 - 40.
6. Fehlings K, Heil F, Huber-Schlenstedt R, Wittkowski G. Cephalosporine in der Behandlung subklinischer
Mastitiden – Vergleich der Wirksamkeit von Cephalosporinen der ersten und der vierten Generation. Prakt.
Tierarzt. 2006;87(8):632-8.
7. Fehlings K. Langzeitantibiotika als Bestandteil des Trockenstellmanagements – ist die Anwendung im
Hinblick auf Resistenzen noch anzuraten? Prakt. Tierarzt. 2011;92(8):im Druck.
8. Nickerson SC. Replacement heifers: the future milking herd. Proceedings Virginia Tech. Dairy
Conferences. 2001. S. 40-51.
9. Anacker G. Einsatz von bestandsspezifischen Impfstoffen in Färsenbeständen zur Verbesserung der
Eutergesundheit der Jungkühe. Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft. 2005. Projektbericht,
Internetdarstellung. Abruf Mai 2011.
10. Prenafeta A, March R, Foix A, Casals I, Costa L. Study of the humoral immunological response after
vaccination with a Staphylococcus aureus biofilm-embedded bacterin in dairy cows: Possible role of the
exopolysacharide specific antibody production in the protection from Staphylococcus aureus induced
mastitis. Vet. Immunolog. a. Immunopath. 2010;134(3-4):208-17.
11. Stellbrink E. Präsentation von Ergebnissen einer Feldstudie zur Zulassung eines Impfstoffes (Startvac®)
durch die EMA. Amendingen, Vortrag 12. Mai 2011.
12. Desinficin CL® (DeLaval GmbH, Glinde)
13. Celidocin®L (Merial GmbH)
14. Cobactan®LC (Intervet Deutschland GmbH)
15. Orbenin® Extra (Cloxacillin-Benzathin. Pfizer GmbH)
16. Stapenor® retard (Oxacillin-Benzathin/Oxacillin-Natrium. Bayer Vital GmbH)

Kontaktadresse
Prof. Dr. Klaus Fehlings, Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., Fachabteilung Eutergesundheitsdienst
und Milchhygiene, Günzburg, [email protected]

150 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Mastitisinzidenz von Milchkühen in Abhängigkeit von der


Stoffwechsellage
Jenny Hagen1, Manfred Fürll2
1Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig; 2Medizinische Tierklinik,
Veterinärmedizinischen Fakultät, Universität Leipzig

Mastitiden – ein multifaktorielles Krankheitsgeschehen


Die Entzündung der Milchdrüse, die häufig aus einer Infektion mit bakteriellen Erregern resultiert,
ist als eine Faktorenkrankheit zu betrachten. Demnach beeinflussen verschiedenste Umstände, die
häufig in Zusammenhang miteinander stehen, das Auftreten, die Häufigkeit, die Schwere und Dauer
dieser Erkrankung der Milchdrüse. Neben den infektiösen spielen auch die nicht-infektiösen
Ursachen eine Rolle in der Pathogenese von Mastitiden. Somit wirken auch an diesem
Krankheitsgeschehen verschiedene Umweltfaktoren, die Infektion mit pathogenen Erregern und die
wirtseigene Abwehr mit. Gerade die Funktion des Immunsystems ist eng mit der metabolischen
Situation des Tieres verbunden.
Im Jahr 2009 stieg die durchschnittliche Milchleistung in Sachsen mit 8400 kg je Kuh erstmals
über 8000 kg (1). Diese Entwicklung birgt Risiken in sich. Auffallend ist u.a. eine positive Korrelation
zwischen einer hohen Milchleistung und einer gesteigerten Inzidenz und Schwere von Mastitiden
(2,3).

Zusammenhang zwischen der Stoffwechsellage und dem Auftreten von Mastitiden


Abgesehen von zahlreichen Umwelteinflüssen ist metabolischer Stress als ein Risikofaktor für
das Auftreten von Euterentzündungen anzusehen. Mit zunehmender Jahresleistung einer Milchkuh
nimmt in gleichem Maße auch die Stoffwechselbelastung zu, verbunden mit einer negativen
Energiebalance und erhöhten Ketonkörperkonzentrationen (4). Solche metabolischen Entgleisungen
führen zu einer reduzierten Krankheitsresistenz. So bedingt eine negative Nettoenergiebalance eine
Verminderung der Phagozytoseleistung der Abwehrzellen. Besonders eine langanhaltende
energetische Minderversorgung bedingt eine negative Assoziation mit der Chemotaxis neutrophilder
Granulozyten. Auch eine gesteigerte β-Hydroxybutyratkonzentration ist mit einer reduzierten Aktivität
der Leukozyten sowie einer geringeren Intensität des „respiratory burst“ der polymorphkernigen
neutrophilen Granulozyten assoziiert (5). Ein gestörter Lipidmetabolismus, verbunden mit einer
gesteigerten Konzentration ungesättigter Fettsäuren in der Zirkulation, wirkt signifikant an der
Entstehung entzündlich bedingter Erkrankungen mit (6). Somit bewirken eine übermäßige
Fettspeicherung und eine nachfolgende vermehrte Mobilisation freier ungesättigter Fettsäuren im
peripartalen Zeitraum sowie in Phasen hoher Milchleistung eine Modifikation proinflammatorischer
Faktoren. Damit assoziiert ist ein erhöhtes Risiko inflammatorischer Erkrankungen des Euters (4).
Eine Lipidose geht mit einer Störung der Antikörperproduktion, Chemotaxis sowie Migration der
Leukozyten einher (5). Aus diesen metabolisch bedingten Dysfunktionen des Immunsystems
resultieren Krankheiten, wie u. a. Mastitiden (7). Da der Stoffwechsel eng mit der Fütterung der Kühe
verbunden ist, hat auch die nutritive Situation der Milchkühe Einfluss auf die Eutergesundheit, wie
aus Tabelle 1 hervorgeht.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 151


Wiederkäuer
Tabelle 1: Einfluss der Fütterungsbelastungen auf die Eutergesundheit (8)
Faktor Wirkung Folgen
 Energie post partum „Leberschäden“ Mastitis
Ketose - subklinisch  Phagozytose  Zellzahl
- klinisch Immunsuppression  Fett
 NH3/Pansen subkl. Mastitis
 Protein
Leberbelastung klin. Mastitis
 Kohlenhydrate Pansenazidose  Zellzahl
 Rohfaser  Ca klin. Mastitis
Östrogeneffekte Ödeme
Phytöstrogene
Immunsuppression  Zellzahl
Mykotoxine
 Phagozytose Mastitis
Nitrat/Nitrit Immunsuppression  Zellzahl
Gülle-N Hypoxämie  Vitaminbedarf
Brassica-Fütterung Schleimhautreizung Schleimhautschäden
 Carotin Immunsuppression subkl. Mastitis
 Vitamin E/Se  Antioxidantien latente Infektionen

Oxidativer Stress und antioxidantive Abwehr im Zusammenhang mit Mastitiden


Auch die Störung des antioxidativen Stoffwechsels ist ein bedeutender Faktor, der zu einer
Verminderung der Krankheitsresistenz führt. Die zunehmende Milchproduktion führt zu einer
Erhöhung des Stoffumsatzes im Euterparenchym. Der Anstieg des Sauerstoffverbrauchs in Zeiten
gesteigerter metabolischer Belastung, wie im peripartalen Zeitraum und der Hochlaktation, führt zu
einer vermehrten Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS). Dabei kann die ROS-Produktion im
Euter die Kapazität der antioxidativen Neutralisation übersteigen. Insbesondere im peripartalen
Zeitraum liegt zudem eine verminderte Konzentration an Antioxidantien vor, was in einer geringeren
Futteraufnahme, Veränderungen im Vitaminverbrauch und reduzierter Transportkapazität der
Vitamine im Plasma begründet liegt (4,10,11).
Das Ungleichgewicht zwischen der ROS-Bildung und der Verfügbarkeit der antioxidativen
Abwehr führt zu einer Akkumulation von toxischen Sauerstoffradikalen, (11). Dieser Zustand wird
unter dem Begriff „oxidativer Stress“ zusammengefasst. Diese reaktiven Sauerstoffspezies
attackieren alle Arten von Biomolekülen, was zum Verlust biologischer Funktionen bis hin zu
Apoptose und Nekrosen führen kann (9). Dies geht mit einer reduzierten Abwehr- und
Produktionsleistung der Milchdrüse einher und resultiert in einer erhöhten Entzündungsprädisposition
des Organs. Somit ist oxidativer Stress ein prädisponierender Faktor für die Dysfunktion des
Immunsystems, verbunden mit einer gesteigerten Mastitisinzidenz. Dies wird deutlich bei der
Untersuchung des antioxidativen Status von mastitiskranken Kühen im Vergleich zu gesunden
Kontrolltieren. Dabei ist die antioxidative Kapazität im Blutserum gesunder Kühe höher als bei den an
Mastitis erkrankten. Das lässt auf eine erhöhte systemische oxidative Belastung bei den Erkrankten
schließen bzw. auf einen erhöhten Verbrauch oder Bedarf. Es ist davon auszugehen, dass eine
Erkrankung im akuten Stadium nicht zwingend eine Schwächung der antioxidativen Kapazität
bewirkt. Vielmehr liegt im Vorfeld einer Mastitis eine Minderversorgung mit Antioxidantien vor, was
sich in einer Dysfunktion des Immunsystems und der antioxidativen Abwehr manifestiert. In der

152 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Euterlymphe, welche die organspezifischen metabolischen Reaktionen der Milchdrüse widerspiegelt,
zeigen die mastitiskranken Tiere jedoch höhere antioxidative Kapazitäten als die gesunden Kühe
(12). Damit wird die essentielle Bedeutung der Antioxidantien bei der lokalen Mastitisabwehr belegt.
Die Konzentrationserhöhung stellt eine initiale Anpassung an eine plötzlich auftretende oxidative
Belastungsreaktion, wie eine akute Euterentzündung, mit der Mobilisierung und Freisetzung endogen
gespeicherter Antioxidantien, dar (12,13). Die intrazellulär mobilisierten Antioxidantien werden im
interstitiellen Raum freigesetzt und von der afferenten Lymphe aufgenommen. Ebenfalls
nachgewiesen ist, dass die wasserlöslichen Antioxidantien schneller zum Einsatz kommen und
verbraucht werden als die lipidlöslichen, die verzögert vor oxidativem Schaden schützen (12). Erst im
chronischen Verlauf einer Entzündung kommt es zur Abnahme der antioxidativen Kapazitäten infolge
der Erschöpfung der antioxidativen Schutzsysteme.

Schlussfolgerung und Konsequenzen


Insbesondere im peripartalen Zeitraum und in der Hochlaktation ist die Stoffwechsellage der
Milchkühe zu kontrollieren und zu verbessern sowie die Supplementation von Antioxidantien zur
Verminderung der Inzidenz, Schwere und Dauer von Mastitiden zu überlegen.

Literaturverzeichnis
1. Statistisches Landesamt des Freistaats Sachsen 2009.
http://www.statistik.sachsen.de/12/pressearchiv/archiv2009/pm11209.htm
2. Fleischer P, Metzner M, Beyerbach M, Hoedemaker M, Klee W. The relationship between milk yield and
the incidence of some diseases in dairy cows. J Dairy Sci. 2001;84:2025-35.
3. Kornalijnslijper E, Beerda B, Daemen I, Werf J, Werven T, Niewold T, Rutten V, Noordhuizen-Stassen E.
The effect of milk production level on host resistance of dairy cows, as assessed by the severity of
experimental Escherichia coli mastitis. Vet Res. 2003;34:721-36.
4. Goff JP. Major advances in our understanding of nutritional influences on bovine health. J Dairy Sci.
2006;89:1292-301.
5. Suriyasathaporn W, Heuer C, Noordhuizen-Stassen EN, Schukken YH. Hyperketonemia and the
impairment of udder defense: a review. Vet Res. 2000 31:397-412.
6. Sordillo LM, Contreras GA, Aitken SL. Metabolic factors affecting the inflammatory response of
periparturient dairy cows. Anim Health Res Rev. 2009;10:53-63.
7. Fürll M, Hoops M, Jünger C, Wilken H. Bedeutung von Stoffwechselstörungen für die Eutergesundheit.
Vortragszusammenfassung Rind und Schwein. BPT-Kongress; 07.-10-11.2002; Nürnberg.
8. Wendt K, Lotthammer KH, Fehlings K, Spohr M. Handbuch Mastitis. Kamlage Verlag Osnabrück; 1998.
9. Zadak Z, Hyspler R, Ticha A, Hronek M, Fikrova P, Rathouska J, Hrnciarikova D, Stetina R. Antioxidants
and vitamins in clinical conditions. Physiol Res. 2009;58:13-7.
10. Fürll M, Müller D, Wilken H. Antioxidativer Status bei gesunden Kühen mit unterschiedlicher Milchleistung
im peripartalen Zeitraum. Leipziger Samstagsakademie. 1998;147-52.
11. Sordillo LM, Aitken SL. Impact of oxidative stress on the health and immune function of dairy cattle. Vet
Immunol Immunopathol. 2009;128:104-9.
12. Hagen J, Fürll M. Antioxidativer Stoffwechsel im Serum und in der Euterlymphe von an Mastitis erkrankten
Kühen im Vergleich zu gesunden Kontrolltieren. WTM. 2010;270-8.
13. Düberler I. Antioxidativer Status in Euterlymphe und Blut bei gesunden und kranken Kühen. [Dissertation
med. vet]. Leipzig: Univ. Leipzig; 2006.

Kontaktadresse
Dr. Jenny Hagen, Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 153


Wiederkäuer

Mehrwert einer erweiterten Mastitistherapie


Ulrike Exner
Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH, Ingelheim

Einleitung
Kühe sollen Geld verdienen – doch zunächst kostet ihre Aufzucht Geld. Das kalkulatorische
Betriebsergebnis fällt erst dann positiv aus, wenn die Milchkuh eine Leistung von 15 kg je Lebenstag
(und mehr) erbringt (1). Das bedeutet, dass bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von knapp 3
Laktationen viele Tiere den Betrieb bereits verlassen, während sie noch tief in den roten Zahlen
stecken (2)! Dabei verursachen zu viele und zu frühe Merzungen, gefolgt vom notwendigen Ersatz
durch frische Färsen, nicht nur finanzielle Verluste. Sie verringern auch die Möglichkeit für den
Betrieb, eine leistungsbezogene Selektion durchzuführen. Erfolgreiche Therapien, die die
Nutzungsdauer der Tiere verlängern, zahlen sich also auf Dauer aus.
Euterkrankheiten liegen seit Jahren unverändert auf Platz 2 der „Hitliste“ für Abgangsgründe (2).
Gegen die eingedrungenen Mastitiserreger geht man mit Antibiotika vor, der Einsatz zusätzlicher
Maßnahmen wird allerdings meist erst beim Vorliegen starker klinischer Symptome wie hohem
Fieber, Fressunlust oder gar Festliegen erwogen. Es ist bekannt, dass der Einsatz von NSAIDs
einen positiven Effekt auf den Heilungsverlauf akuter klinischer Mastitiden hat (3). Der Effekt des
Einsatzes von Meloxicam (Metacam®) zusätzlich zur antibiotischen Therapie schon bei milden und
moderaten Mastitiden wurde in einer großangelegten Feldstudie untersucht (4).

Material und Methoden


Insgesamt wurden 727 Kühe aus 15 Herden in Neuseeland in die Studie eingeschlossen. Diese
Tiere zeigten innerhalb der ersten 200 Laktationstage (Median = 13 Tage) Symptome einer Mastitis,
die vom Landwirt erkannt wurden (veränderte Milch/verändertes Euter; Kühe, die festlagen, Fieber
über 41,5°C hatten oder lethargisch waren, wurden ausgeschlossen). Alle Tiere wurden antibiotisch
behandelt (10 000 I.E. Penethamathydroiodid/kg KGW (Ingel-Mamyzin®) einmal täglich für drei
Tage). Innerhalb jeder Herde wurden die Kühe zufällig auf zwei Behandlungsgruppen aufgeteilt: eine
Gruppe erhielt zusätzlich zum Antibiotikum einmalig 0,5 mg Meloxicam/kg KGW (Metacam®, n = 361
Kühe), die andere Gruppe (n = 366 Kühe) bekam ein Placebo. Die Behandlungen waren verblindet,
eine Unterscheidung der Behandlungen bzw. Erkennung der Zuordnung der Tiere war weder für
Behandler noch für den Untersucher möglich. Vor der Behandlung wurden zur Isolierung des
verursachenden Erregers Milchproben entnommen, an den Tagen 7 (±3), 14 (±3) und 21 (±3) nach
Behandlungsbeginn wurden aus dem betroffenen Viertel Proben für die Zellzahlbestimmung
gezogen. Nach der Behandlung wurden bis zum Ende der Laktation die Leistungsdaten der Kühe
und evtl. Merzungsgründe erfasst.

Ergebnisse und Diskussion


Die Kühe der beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich Kalbedatum,
Alter, Rasse, Laktationstag, rektaler Temperatur, Mastitisscores und beteiligtem Erreger. Strep.
uberis war der am häufigsten isolierte Keim, gefolgt von S. aureus, KNS, S. dysgalactiae und E. coli.
In beiden Gruppen traten ähnlich viele Behandlungsversager bzw. Rezidive auf, auch konnte kein

154 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Unterschied beim Vergleich der Milchleistung nach 28 bzw. 200 Tagen der Behandlung festgestellt
werden.
Bei den mit Metacam® behandelten Kühen ergab sich ein signifikant niedrigerer Zellgehalt (550
± 48 vs. 711 ± 62 geometrisches Mittel (x 1000/ml) ± SE SCC/ml, P = 0,001). Die Zellzahlen in der
Metacamgruppe waren konsistent zu allen Probenahmezeitpunkten niedriger als in der
Kontrollgruppe. Zusätzlich wurden im Laufe der Laktation signifikant weniger Kühe aus der mit
Antibiotikum und Entzündungshemmer behandelten Gruppe gemerzt (16,4% vs. 28,2%, P < 0,001).
Der Merzungsgrund „nicht tragend“ wurde dabei in der Metacamgruppe bei 3,4% der Kühe genannt,
in der Kontrollgruppe war dies signifikant häufiger, nämlich bei 8,4% der Tiere, der Fall (P = 0,02).
Ein signifikanter Effekt auf die Entwicklung der Zellzahl ist erstmalig in dieser Studie für einen
Entzündungshemmer nachgewiesen worden. Frühere Studien fanden keine Auswirkung auf die
Zellzahl, weder beim Einsatz von Carprofen im Vergleich mit NaCl bei experimentell induzierten E.
coli-Mastitiden noch nach dem Einsatz von Flunixin bei LPS-induzierten Mastitiden (5,6).
Mastitis zählt nicht nur zu den häufigsten, sondern auch zu den verlustreichsten Erkrankungen
der Milchkühe (7). Die durchschnittlichen Kosten eines Falles summieren sich auf rund 450 €, davon
machen den Hauptteil die Nettobestandsergänzungskosten aus (8). Eine Verringerung des
Merzungsrisikos nach einer Mastitiserkrankung verringert diese Kosten deutlich. Damit ist der
Einsatz von Metacam® zusätzlich zum Antibiotikum schon bei milden und moderaten Mastitisfällen
auch ökonomisch gerechtfertigt, da sich hiermit ein signifikanter Effekt sowohl auf die
Zellzahlentwicklung als auch das Merzungsrisiko erreichen lässt.

Literaturverzeichnis
1. Wangler A, Blum E, Böttcher I, Sanftleben P. Lebensleistung und Nutzungsdauer von Milchkühen aus der
Sicht einer effizienten Milchproduktion. Züchtungskunde. 2009;81(5):341-60.
2. Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter e.V. Rinderproduktion in Deutschland 2009. Ausgabe 2010.
3. Hamann J, Friton GM. Klinische Wirksamkeit nicht steroidaler Antiphlogistika beim Vorliegen akuter
Mastitiden. Praktischer Tierarzt. 2003;84(5):390-6.
4. McDougall S, Bryan MA, Tiddy RM. Effect of treatment with the nonsteroidal antiinflammatory meloxicam
on milk production, somatic cell count, probability of re-treatment, and culling of dairy cows with mild
clinical mastitis. J Dairy Sci. 2009;92:4421-31.
5. Vangroenweghe F, Duchateau L, Boutet P, Lekeux P, Rainard P, Paape MJ, et al. Effect of carprofen
treatment following experimentally induced Escherichia coli mastitis in primiparous cows. J Dairy Sci.
2005;88:2361-76.
6. Anderson KL, Hunt E. Anti-inflammatory therapy in acute endotoxin-induced bovine mastitis. Vet Res
Commun. 198913:17-26.
7. Owens WE, Ray CH, Watts JL, Yancey RJ. Comparison of success of antibiotic therapy during lactation
and results of antimicrobial susceptibility tests for bovine mastitis. J Dairy Sci. 1997;80:313-7.
8. Lührmann B. Was kostet eine Mastitis? Milchpraxis 2007;2.

Kontaktadresse
Dr. Ulrike Exner, Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH, Ingelheim,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 155


Wiederkäuer

Hygienemanagement im Schaf- und Ziegenbestand


Udo Moog
Thüringer Tierseuchenkasse, Jena

Die Besonderheiten der Schaf- und Ziegenhaltung erfordern im Vergleich mit z. B. der
professionellen Schweine- und Geflügelproduktion andere Ansätze im Hygienemanagement. Ziel ist
nicht der Aufbau möglichst keimarmer bzw. von vielen konkreten Erregern freier Bestände, sondern
die Schaffung von Umweltbedingungen, in der robuste, gesunde Schafe, die gegen die in ihrer
natürlichen Umwelt vorkommenden Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten eine belastbare Resistenz
und Immunität aufweisen, gut gedeihen können. Ausnahmen bilden Tierseuchen sowie
Erkrankungen, die in bestimmten Populationen zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen
können (wie Maedi/Visna etwa bei Milch-, Kamerun- und Texelschafen und CAE bei Ziegen).

Hygiene in der Stallhaltung


In der Hobbyhaltung ist regelmäßiges Ausmisten und anschließendes Reinigen in der Regel
ausreichend. Treten jedoch Bestandsprobleme, wie Aborte, Euter- und Gelenksentzündungen oder
Durchfall- und Lungenerkrankungen auf, dann müssen auch in kleinen Beständen effektive
Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen (R/D-Maßnahmen) durchgeführt werden. In
Berufsschäfereien und Milchziegenbetrieben hingegen ist die jährliche Reinigung und Desinfektion
nach dem Ausmisten ein Muss. Ein Verzicht darauf führt spätestens in der nächsten Lammzeit zu
erhöhten Erkrankungsraten (1,2).
Ziel der turnusgemäß durchgeführten prophylaktischen R/D-Maßnahmen ist sowohl die Senkung
der allgemeinen Keimbelastung als auch die Reduktion/Vernichtung pathogener Erreger und damit
die Unterbrechung von Infektketten (1).

Für die Stalldesinfektion nach der jährlichen Entmistung im besenreinen Stall haben sich
folgende Verfahren bewährt:

 Chlorkalk 1-2 %-ig oder Branntkalk, jeweils 0,5 kg je m²


 Spezieller Desinfektionskalk mit hohem Entflammpunkt (z. B. DEDOLDES 100® oder
Stalosan F®)
 Flächendesinfektion mit z. B. Formalin 3-5 %-ig oder einem peressigsäurehaltigen
Desinfektionsmittel (z.B. Wofasteril® E 400, 0,5 %-ig) 0,4 l je m² (1,2)

Achtung: Chlorkalk und Branntkalk sind wirksame Desinfektionsmittel, können jedoch beim
Kontakt mit organischem Material bzw. beim Ablöschen Temperaturen entwickeln, durch die Stroh
oder Holz entflammt werden können.

Lammzeit
Hochträchtigkeit und Lammzeit stellen die höchsten Anforderungen an die Hygiene in der Schaf-
und Ziegenhaltung.
In der Schafhaltung werden nach der Geburt die Muttern mit ihren Lämmern im Stiez zur
besseren Prägung separiert. Hier ist auch die Tierüberwachung wesentlich besser gewährleistet.

156 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Durch die in den Stiezen meist abgehenden Nachgeburten und Lochien sind diese jedoch ein
Sammelbecken für pathogene Mikroorganismen. Deshalb sind das regelmäßige Versetzen sowie die
Zwischendesinfektion der Stieze ein effektives Instrument zur Reduktion des Keimdruckes. Diese
kann routinemäßig (z. B. einmal pro Woche, vor Neubelegung) oder bei Häufung von
Infektionserkrankungen durchgeführt werden (2).

Für die Zwischendesinfektion in der Lammzeit haben sich folgende Verfahren bewährt:

 Peressigsäurehaltiges Desinfektionsmittel (z. B. Wofasteril® E 400, 1,5 %-ig), Achtung:


Korrosionsgefahr bei Stalleinrichtung und Ausbringtechnik!
Vorteil: Die Tiere können bei dieser Art der Zwischendesinfektion in den Stallabteilen
verbleiben, die Desinfektionslösung darf jedoch nicht in deren Augen gelangen (2)
 Alternative: Ausbringen von Desinfektionskalk (s. o.) in den Stiezen und den
Sammelgruppen sowie unter den Tränken

Die Geburtshilfe stellt in der Schaf- und Ziegenhaltung auch eine Gefahr für den Menschen dar.
Die relevanten Aborterreger (Chlamydien, Toxoplasmen und Coxiellen) sind Zoonose-Erreger. Diese
Erreger werden in Beständen mit hohem Durchseuchungsgrad nicht nur bei Aborten, sondern auch
bei Geburten gesunder Lämmer mit den Fruchtwässern, Nachgeburten und Lochien massenhaft
ausgeschieden (1-3). Bei jedem erregerbedingten Abort findet eine Kontamination des
Ablammplatzes statt. Im weiteren Verlauf werden durch den erregerhaltigen Lochialfluss massenhaft
Aborterreger im gesamten Stall verbreitet. Aus diesem Grunde ist die Desinfektion der durch den
Abort kontaminierten Fläche und die sofortige Isolierung des abortierenden Schafes die effektivste
Möglichkeit des Schutzes der anderen trächtigen Schafe bzw. Ziegen vor einer Ansteckung. Ebenso
sind Nachgeburten und Aborte sowie Totgeburten umgehend sachgerecht zu entsorgen. Die
Reduktion des Infektionsdruckes mittels der oben beschriebenen Maßnahmen spielt damit eine
entscheidende Rolle, um den Anteil infizierter (trächtiger) Schafe beim Auftreten infektionsbedingter
Aborte möglichst minimal zu halten. Mit zunehmender Bestandsvergrößerung steigt der Erregerdruck
exponenziell an, wodurch die Wirksamkeit der Immunprophylaxe erheblich vermindert wird. Die von
den Schafen massenhaft ausgeschiedenen Aborterreger können bei Missachtung der
vorgeschlagenen Hygienemaßnahmen ebenso zahlreich aufgenommen werden und auch bei
vakzinierten Zutretern zu Impfdurchbrüchen führen (2-4).
Bei der Geburtshilfe ist die Einhaltung elementarer hygienischer Grundregeln durch den
Geburtshelfer Voraussetzung für den Schutz des Muttertiers vor einer Infektion.
Die Nabeldesinfektion mit einer alkoholischen Jodlösung dient der Vermeidung von Infektionen
sowie zur Beschleunigung des Eintrocknens des Nabels. Sie sollte in jedem Betrieb mit gehäuften
Nabel- und Gelenksentzündungen zur Routine gehören (1,3).

Schur
Durch den intensiven Kontakt des Schafscherers bei der Schur ist die Übertragung
verschiedenster Krankheiten möglich. Belegt sind die Übertragung von Räude, Dermatophylose und
Pseudotuberkulose (5). Aber auch einfache, kaum vermeidbare Schurwunden, nehmen bei
schlechten hygienischen Bedingungen einen wesentlich ungünstigeren Heilungsverlauf.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 157


Wiederkäuer
Grundregeln der Hygiene bei der Schur:
 Schermesserdesinfektion durch den Schafscherer vor jedem neuen Betrieb
 Wechsel der Arbeitskleidung vor jedem neuen Betrieb
 Sichtbar erkrankte Schafe immer zum Schluss scheren!

Durch thermische Behandlung (Abkochen) werden die Scherköpfe sicher desinfiziert, wobei 15
Sekunden Kontaktzeit ausreichend sind. Der Zusatz von Soda erhöht den Reinigungseffekt (5).

Tierhandel/Transport
Die rechtlichen Grundlagen zum Transport sind in der Tierschutztransport VO eingehend
geregelt. Hygienische Probleme bei Transporten von Schafen und Ziegen treten besonders bei
Überschneidungen von professioneller Haltung, Hobbyhaltung und Handel auf. Aufgrund der
vorhandenen Strukturen kommt dies in der Schaf- und Ziegenhaltung häufiger als in anderen
Bereichen der Tierproduktion vor.

Fütterungs- und Tränkhygiene


Besondere Probleme ergeben sich beim Einsatz von Abprodukten aus der Lebensmittelindustrie,
wie Treber, Pülpe oder Schlempe. Diese preisgünstigen Futtermittel haben jedoch bei
unsachgemäßer bzw. zu langer Lagerung ein enormes Schadpotenzial.
Bei Häufung von Erkrankungs- und Todesfällen bei Lämmern mit unspezifischen
Sektionsbefunden (z. B. E. coli, nicht typisierbar) können auch Mängel in der Tränkhygiene die
Ursache sein. Hier ist nur die gründliche Reinigung und Desinfektion aller wasserführenden und -
speichernden Einrichtungen sowie als Übergangslösung eine zusätzliche Tränkwasserdesinfektion
mit 0,001 %-iger Peressigsäurelösung das Mittel der Wahl (6).

Weidehygiene
Beim Hüten sind feuchte Stellen und Wasseransammlungen zu meiden, bei der Koppelhaltung
sind diese auszuzäunen. Zur Einschränkung von Parasiteninfektionen empfiehlt sich die
Umtriebsweide (Portionsweide). Die Ruhezeit der Weide sollte möglichst lang sein (4–6 Wochen).
Ebenso reduziert der Wechsel zwischen Weide- und Schnittnutzung parasitäre Reinfektionen.
Der Infektionsdruck von Trichostrongylidenlarven kann durch die Ausbringung von Kalkstickstoff
auf die Weiden gesenkt werden. Praktische Erfahrungen sowie In-vitro-Untersuchungen im Institut
für Parasitologie der Justus-Liebig-Universität Gießen bestätigen die larvizide Wirkung von
Kalkstickstoff (Perlka®) auf Haemonchus contortus-Larven (L3) (7).

Desinfektion im Seuchenfall
Die spezifischen R/D-Maßnahmen im Seuchenfalle sind in der „Richtlinie des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über Mittel und Verfahren
für die Durchführung der Desinfektion bei anzeigepflichtigen Tierseuchen“ (323-35130/0001, Stand
Februar 2007, aktualisiert 2009) verbindlich vorgeschrieben.

158 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
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7. Lang M, Bauer C. Prüfung der larviziden Wirkung von Cyanamid auf Trichostrongylidenlarven, DVG
Tagung, Fachgruppe Parasitologie; 4.-6.6.2007; Celle.

Kontaktadresse
Dr. Udo Moog, Schaf- und Ziegengesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse, Jena,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 159


Wiederkäuer

Urolithiasis – Harnsteinerkrankung beim kleinen Wiederkäuer


Marlene Sickinger, Uschi Schwarz
Klinik für Wiederkäuer und Schweine, Innere Medizin und Chirurgie, Justus-Liebig-Universität
Gießen

Einleitung
Unter Urolithiasis versteht man die Verlegung der Harnröhre (Obstruktion) im Bereich der
harnableitenden Wege durch Harngries, Konkremente und Harnsteine, die aus harnpflichtigen
Substanzen zusammengesetzt sind. Die obstruktive Urolithiasis ist bei männlichen Schafen und
Ziegen aufgrund ihrer anatomischen Verhältnisse eine weit verbreitete Erkrankung, die zu einem
teilweisen oder kompletten Verschluss der Urethra führen kann (1,2). Prädilektionsstellen für einen
solchen Harnröhrenverschluss aufgrund des sehr engen Lumens der Urethra an diesen Stellen sind
der Processus urethralis und die Flexura sigmoidea (2,3). Eine länger bestehende Obstruktion kann
zur Perforation der Harnröhre oder zur Blasenruptur führen (3). Palmer et al. geben das Vorliegen
einer Urolithiasis als häufigste Indikation zur chirurgischen Intervention beim kleinen Wiederkäuer an
(4). Bei Schafen ist außerdem eine Rasseprädisposition für diese Erkrankung für die Rassen
Schwarzkopfschaf und Merinolandschaf zu verzeichnen (1). Besonders häufig erkranken hierbei
Mastlämmer, Zuchtböcke in Schaukondition und frühkastrierte Tiere. Böcke im Alter von bis zu drei
Jahren erkranken häufiger als ältere Tiere (5).
Neben den bereits erwähnten anatomischen Faktoren spielen diätetische Faktoren im Sinne von
fütterungsbedingten Mineralstoffimbalancen eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer
Harnsteinerkrankung (3,5). Insbesondere in der Getreidemast kommt es häufig zu einer
Überversorgung mit Phosphor bei gleichzeitig mangelnder oder gleichbleibender Kalziumversorgung.
Dies führt zu einem Ca-P-Verhältnis von unter 2:1 (optimal ist ein Verhältnis von 2,5:1), da
Getreidekörner einen hohen Phosphatanteil aufweisen (5).
Unabhängig von der Fütterung kann Trinkwassermangel in Kombination mit Stresssituationen
(Transporte, Körungen, Auktionen, Schur. etc.) ebenfalls die Steinbildung begünstigen (1,3,5).
Voraussetzung für die Konkrementbildung ist das Vorhandensein von Kristallisationskernen wie
z. B. Entzündungsprodukte bei Harnblasenentzündungen, abgestoßene Epithelien, Leuko- und
Erythrozyten, Bakterien oder Fibrin (6).
Ein weiterer begünstigender Faktor für die spätere Entstehung der Urolithiasis ist die Kastration
im Alter von unter fünf Monaten. Dies führt zu einer Unterentwicklung von Harnröhre, Penis und
Processus urethralis, da deren Wachstum und Ausreifung auf das Vorhandensein von Testosteron
angewiesen ist (7).

Klinische Erscheinungen
Das klinische Erscheinungsbild wird in der Literatur wie folgt beschrieben: Mäßige
Harngriesbildung bleibt meist ohne klinische Erscheinungen. Von akuter Verlegung der Harnröhre
betroffene Tiere zeigen Teilnahmslosigkeit, Fressunlust und sondern sich von der Herde ab. Ihre
Körperhaltung ist sägebockartig, sie halten den Kopf gesenkt, knirschen mit den Zähnen und zeigen
erhöhte Atemfrequenz. Auch treten Koliksymptome mit aufgezogenem Abdomen und Treten gegen
den Bauch auf. Es wird in Intervallen auf Urin gepresst, dabei stehen die betroffenen Tiere
breitbeinig und nehmen fast hockende Stellung ein. Häufig wird dieses Bild als Pressen auf Kot

160 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
fehlinterpretiert. Ist die Harnröhre nur teilweise verlegt, dann kann Harnträufeln beobachtet werden,
handelt es sich um einen kompletten Verschluss, dann bleibt das Präputium trocken (1).

Behandlungsmöglichkeiten
Während in der Literatur eine Vielzahl von chirurgischen Therapieverfahren beschrieben wird, ist
das Erreichen eines langfristigen Therapieerfolges eher ein frustrierendes und schwieriges
Unterfangen (8). Als Therapiemöglichkeiten werden die Amputation des Processus urethralis, die
Penektomie, die perineale Urethrostomie, die ischiale Urethrostomie, die ischiale Urethrotomie, die
Urethrotomie, die Marsupialisation der Blase sowie die Zystostomie mit und ohne Einsetzen eines
Ballonkatheters in die Blase beschrieben (2). Zum jetzigen Zeitpunkt wird die Zystostomie mit
Einsetzen eines Ballonkatheters in die Blase als adäquates Verfahren zur Therapie von Zuchtböcken
und Hobbytieren angesehen (8). Das Einsetzen dieses Ballonkatheters kann via Laparotomie,
ultraschall- oder endoskopiegestützt, oder aber teilinvasiv unter digitaler Kontrolle erfolgen (9). Der
Blasenkatheter gewährleistet den kontinuierlichen Abfluss von Urin, eine dadurch erzeugte
Ruhigstellung der harnableitenden Wege und dadurch eine mögliche Regeneration der Urethra.
An der Klinik für Wiederkäuer und Schweine (Innere Medizin und Chirurgie) der Justus-Liebig-
Universität Gießen wurden im Zeitraum von 2009 bis 2011 sowohl endoskopiegestützte als auch
laparotomische Zystostomien an 27 Schaf- und Ziegenböcken durchgeführt. Die Erfolgsraten lagen
für die Laparotomie (14 Böcke) bei 57 % und für die endoskopische Operation (13 Böcke) bei 62 %.
Eine langfristige Erfolgsrate wurde nicht ermittelt.

Diskussion
Die in der Klinik festgestellten Heilungsraten sowohl bei der endoskopischen als auch bei der
laparotomischen Operationsmethode decken sich mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe um
Dühlmeier (7). Andere Autoren berichten über kurzfristige Heilungsraten von 76-80 % (10,11). Diese
Varianz in der Heilungsrate ist durch das sehr unterschiedliche Patientengut zu erklären. In den
Angaben der Literatur findet sich beispielsweise nur selten eine Angabe zur Erkrankungsdauer. Als
prognostisches Merkmal für das Überleben der Böcke geben Ewoldt et al. das Vorhandensein eines
intakten Processus urethralis, das Fehlen freier Flüssigkeit im Abdomen und einen Serum-
Kaliumgehalt von < 5,2 mmol/l an. Ebenso schienen kastrierte Böcke eine höhere Überlebenschance
zu haben als intakte Schaf- und Ziegenböcke (11).
Als prophylaktische bzw. postoperative begleitende Maßnahmen werden in der Literatur das
Einhalten eines Calcium/Phosphor-Verhältnisses von 2,5/1 bei einem maximalen Gehalt an
Phosphor von 0,6 % in der Ration genannt (3). Eine Reduktion des Harn-pH-Wertes kann durch das
Zufüttern von Kochsalz (1-4 %), Kalziumchlorid (1-2 %) oder Ammoniumchlorid (0,5-2 %) erreicht
werden (3). Ebenso von entscheidender Bedeutung ist die Sicherstellung der Wasseraufnahme
durch Anbieten frischen Wassers an mehreren Stellen der Weide oder des Stalls (8).

Zusammenfassung
Für das Erreichen zufriedenstellender (auch langfristiger) Heilungsraten nach operativer Therapie
der Urolithiasis werden noch weitere Studien zu diesem Thema notwendig sein. Aufgrund der nach
wie vor mäßigen Prognose und der doch eher hohen Kosten bezogen auf ein gehäuftes Auftreten in
manchen Schaf- und Ziegenbeständen sollte vermehrt auf prophylaktische Maßnahmen wertgelegt
werden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 161


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
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11. Ewoldt JM, Anderson DE, Miesner MD, Saville WJ. Short- and long-term outcome and factors predicting
survival after surgical tube cystostomy for treatment of obstructive urolithiasis in small ruminants. Vet Surg.
2006;35:417-22.

Kontaktadresse
Dr. Marlene Sickinger, Klinik für Wiederkäuer, Justus-Liebig-Universität Gießen,
[email protected]

162 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Verlaufsuntersuchung bei Schaf- und Ziegenböcken mit Urolithiasis


Reinhard Dühlmeier, Arnim Andreae, Alexandra von Altrock, Julia Jokiel, Isabel
Hennig-Pauka, Martin Ganter
Klinik für kleine Klauentiere und Forensische Medizin und Ambulatorische Klinik, Stiftung
Tierärztliche Hochschule Hannover

Einleitung
Das Wesen der Urolithiasis (Harnsteinerkrankung) besteht in einer Verlegung der Harnröhre
durch Struvit-, Kalziumkarbonat-, Kalziumoxalat- oder Silikatkonkremente mit Harnabflussstörung
und nachfolgender Nephropathie sowie Urämie (1). Die Erkrankung ist weltweit verbreitet (2) und
stellt in der Schaf- und Ziegenhaltung ein seit langem bekanntes Problem dar (3).
Die Erkrankung entsteht aus einer Interaktion zwischen der spezifischen Anatomie des Penis und
des Harnröhrenverlaufs beim Wiederkäuer (4) und diätetischen Faktoren (2,5). Weiterhin soll eine
Frühkastration (< 5. Lebensmonat) durch verminderte Testosteronproduktion dazu führen, dass
Penis und Harnröhre hypoplastisch bleiben und so die Anfälligkeit der Wiederkäuer gegenüber einer
konkrementbedingten Obstruktion erhöhen (5).
Klinisch äußert sich eine obstruktive Urolithiasis in Koliksymptomen mit Unruhe, Bruxismus und
Drängen auf Harn. Diese Symptome werden häufig als Anzeichen einer Erkrankung des Magen-
Darm-Trakts missinterpretiert (6). Bei unvollständigem Verschluss der Urethra kann der Harn
zunächst noch tröpfchenweise abgesetzt werden. Die Tiere sondern sich ab, zeigen Inappetenz,
kommen zum Festliegen und verenden ohne Therapie nach fünf bis sieben Tagen (2).
Die Therapie der obstruktiven Urolithiasis bereitet nach wie vor große Probleme, da eine
Beseitigung der Konkremente aus der Urethra nur möglich ist, wenn die Urolithen im Processus
urethrae lokalisiert sind. Falls die Ischurie nicht durch Absetzten des Proccesus urethrae beseitigt
werden kann, besteht das derzeit gängige Therapieprinzip darin, den Harnfluss durch eine temporäre
Zystostomie solange zu gewährleisten, bis es zur Rekanalisation der Urethra kommt (3). Die
Angaben in der Literatur hinsichtlich der Erfolgsaussichten dieser Vorgehensweise variieren stark
(3,7-9). In einer eigenen Evaluation des Patientengutes der Klinik für kleine Klauentiere aus den
Jahren 2000 bis 2005 wurde eine therapie- und speziesunabhängige Entlassungsrate von 52,3 %
ermittelt (10). Im Folgenden soll eine erneute Evalierung der Therapie bei obstruktiver Urolithiasis
präsentiert werden.

Material und Methoden


Patientengut
Im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.06.2011 wurden in der Klinik für kleine Klauentiere der
Stiftung Tierärztliche Hochschule 29 Schafböcke im Alter zwischen 6 Wochen bis 9 Jahre und 25
Ziegenböcke im Alter von 2 bis 11 Jahren aufgrund einer obstruktiven Urolithiasis eingestallt. Die
Krankheitsdauer vor der Klinikeinstellung betrug von wenigen Stunden bis zu 2 Wochen.

Therapie
Aufgrund des schlechten Allgemeinbefindens der Patienten oder aufgrund wirtschaftlicher
Erwägungen der Tierbesitzer wurden 5 Schaf- und Ziegenböcke ohne Behandlungsversuch

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 163


Wiederkäuer
euthanasiert. Bei den übrigen Patienten erfolgten Therapiemaßnahmen zur Wiederherstellung des
Harnflusses mit steigender Invasivität in folgender Reihenfolge:

1. Absetzen des Processus urethrae


2. Retrograde Katheterisierung und Spülung der Harnröhre
3. Temporäre Katheterzystostomie durch Implantation eines Foley-Katheters durch:
a. Transabdominale Einführung des Katheters mittels einer Spaltkanüle unter sono-
graphischer Kontrolle
b. Laparotomie mit Zystotomie und Zystostomie
4. Urethrostomie und Penisamputation

Flankierende Maßnahmen
Therapiebegleitend fand bei allen Patienten eine Kontrolle der Nierenfunktion statt (11). Bis zur
Wiederherstellung der Nierenfunktion wurden Volumen- und Elektrolytsubstitutionen durchgeführt.
Zur Prophylaxe bzw. Therapie von Harnwegsinfektionen fanden Antibiotika und Antiphlogistika
Anwendung.
Sobald sich die anhand der fraktionellen Reabsorptionsraten von Wasser und Elektrolyten
ermittelte Nierenfunktion regeneriert hatte, wurde durch temporären Verschluss des Harn-
blasenkatheters die Durchgängigkeit der ableitenden Harnwege kontrolliert. Im positiven Fall wurde
die Verschlussdauer des Foley-Katheters langsam gesteigert und der Katheter 14 bis 21 Tage nach
Implantation entfernt.

Ergebnisse
Gesamtbilanz
Insgesamt wurden im Erhebungszeitraum dieser Studie 27 Schaf- und 22 Ziegenböcke mit
klinisch manifester Urolithiasis behandelt. Unabhängig vom therapeutischen Vorgehen waren die
Behandlungen bei 18 Schafböcken (66,6 %) und bei 12 Ziegenböcken (54,5 %) primär erfolgreich.
Somit lag die speziesübergreifende Entlassungsrate nach der Erstbehandlung bei 61,2 %. Von den
entlassenen Tieren entwickelten 9 Schafböcke (50 %) und 8 Ziegenböcke (66,6 %) ein Rezidiv
innerhalb eines Zeitraums von wenigen Tagen bis zu 4 Jahren. Nach erneuter Therapie konnten 4
der Schafböcke und 5 der Ziegenböcke aus der Klinik entlassen werden. Bei 2 Schafböcken und 1
Ziegenbock trat ein zweites Rezidiv auf, dessen Therapie bei je einem Schafbock und einem
Ziegenbock erfolgreich verlief.
Unter Berücksichtigung der hohen Rezidivneigung ergibt sich demnach unter den behandelten
Tieren eine aktuelle Überlebensrate von 48,1 % bei den Schafböcken und 40,1 % bei den
Ziegenböcken. Dies entspricht einer Gesamtüberlebensrate von 44,8 % aller initial therapierten
Tiere.

Krankheitsverläufe nach Therapie mittels Absetzen des Processus urethrae


Bei 25 Schaf- und bei 15 Ziegenböcken gelang die Penisvorlagerung. Durch Absetzen des
Processus urethrae konnte bei 16 Schafböcken (59,3 % aller therapierten Schafböcke) der Harnfluss
wiederhergestellt werden. Von den Tieren, bei denen diese Maßnahme erfolglos blieb, wurden 3
ohne weitere Therapieversuche euthanasiert und 6 Schafböcke erfuhren eine Zystostomie. Diese
war bei 2 Böcken erfolgreich, während die übrigen 4 Tiere euthanasiert werden mussten oder

164 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
verendeten. Unter den 16 Schafböcken, die mittels Entfernung des Processus urethrae erfolgreich
therapiert wurden, kam es bei 6 Tieren (37,5 %) zu Rezidiven.
Bei den Ziegenböcken führte die Entfernung des Processus urethrae bei 6 Tieren zur
Wiederherstellung des Harnflusses (27,2 % aller therapierten Ziegenböcke), von denen 4 Tiere eine
erneute Urolithiasis entwickelten (66,6 %). Von den Ziegenböcken, bei denen diese Behandlung
versagte, wurde 1 Tier euthanasiert. Die übrigen 8 Ziegenböcke erfuhren eine temporäre
Zystostomie, die bei vieren dieser Tiere zur Entlassung führte.
In der speziesübergreifenden Evaluierung führte damit die Therapie mittels Absetzen des
Processus urtehrae bei 44,9 % aller behandelten Schaf- und Ziegenböcke zunächst zur Entlassung.
Allerdings erlitten 45,5 % der entlassenen Böcke ein Rezidiv.

Krankheitsverläufe bei primärer oder sekundärer invasiv-chirurgischer Therapie


Während des Betrachtungszeitraums erfuhren 14 Schaf- und 16 Ziegenböcke eine temporäre
Zystostomie, die bei 6 Schafböcken (42,8 %) und 8 Ziegenböcken (50 %) zur Entlassung führte.
Damit betrug die Gesamtentlassungsrate nach Zytostomie speziesübergreifend 43,8 %. Allerdings
musste bei je einem Schaf- und einem Ziegenbock ergänzend eine Harnröhrenfistel angelegt bzw.
eine Penisamputation durchgeführt werden.
Im Vergleich der Methoden der Zytostomie verlief die Laparotomie mit Katheterimplantation bei 6
von 10 Schafböcken erfolgreich, während die transabdominale Zytostomie in allen vier Fällen
misslang, in denen sie durchgeführt wurde. In dreien dieser Fälle war es bei der Katheterimplantation
zur Darmschädigung mit anschließender Peritonitis gekommen. Bei den Ziegenböcken konnten 7 der
14 mittels Laparotomie zystostomierten Tiere entlassen werden. Von den zwei mittels
transabdominaler Zystostomie behandelten Ziegenböcken musste ein Tier euthanasiert werden, da
es nach erfolgreicher Katheterimplantation nicht zur Urethrarekanalisation gekommen war.
Einer der Schaf- und zwei der Ziegenböcke, die eine Zytostomie erfahren hatten, entwickelten
ein Urolithiasis-Rezidiv (21,4 %), das in einem Fall erfolgreich therapiert werden konnte.

Fazit für die Praxis


Die neuerliche Evaluierung des Therapieerfolges bei Schaf- und Ziegenböcken mit klinisch
manifester obstruktiver Urolithiasis unter dem Patientengut der Klinik für kleine Klauentiere der
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover erbrachte ein ernüchterndes Ergebnis. Zwar konnte die
Entlassungsrate nach der Erstbehandlung von 52,3 % in den Jahren 2000 bis 2005 auf 61,2 %
gesteigert werden, aber aufgrund der hohen Rezidivneigung von 66,6 % ist die Urolithisais nach wie
vor als eine Erkrankung der kleinen Wiederkäuer mit ungünstiger Prognose anzusehen. Eine
deutliche Verbesserung dieser Situation ist nur zu erwarten, wenn Behandlungstechniken entwickelt
werden, die die Entfernung von Urolithen aus der Harnröhre ermöglichen. Die hohe Rezidivneigung
der Urolithiasis belegt auch, dass sich prophylaktische diätetische Maßnahmen nur unzureichend
dazu eignen, eine Neuformation von Konkrementen bei einmal erkrankten Tieren zu verhindern.
Hinsichtlich des Vergleichs zwischen transabdominaler Zystostomie und Harnblasen-
katheterisierung mittels Laparotomie ist letzterer aufgrund der deutlich geringeren Komplikationsrate
(Darmperforation, Peritonitis) eindeutig der Vorzug zu geben.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 165


Wiederkäuer
Literaturverzeichnis
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Kontaktadresse
Dr. Reinhard Dühlmeier, Klinik für kleine Klauentiere und Forensische Medizin und Ambulatorische
Klinik, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, [email protected]

166 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Trächtigkeitstoxikose - was macht die Krankheit kompliziert?


Manfred Fürll1, Eman Elbisy2, Alexander Flocke1, Kerstin Haacker1, Martin Kaske3,
Annette Kastner1, Sabine Richter1
1Medizinische Tierklinik Leipzig, 2Veterinärmedizinische Fakultät, Kairo, Ägypten, 3Stiftung
Tierärztliche Hochschule, Hannover

Problem- und Zielstellung


Die Pathophysiologie der oft letal verlaufenden Trächtigkeitstoxikose (TK) ist nicht vollständig
geklärt. Z. B. können dafür Einflüsse aus dem Fettgewebe durch Adipokine oder durch weitere
Besonderheiten des Fettstoffwechsels über Lipoproteine (LP) u. a. den Endotoxinmetabolismus
beeinflussende Faktoren durch Reduzierung der Endotoxinneutralisation und -clearance Erklärungen
liefern, wie für Rinder belegt ist.
Diese Hypothese wurde in Versuch A peripartal bei ein- und mehrlingsträchtigen Schafen zweier
Rassen untersucht und mit Befunden bei Kühen verglichen. In einem zweiten Versuch B wurde
mittels intravenösen Glucosetoleranztests (ivGTT) geprüft, ob sich die Glucosehomöostase bei
Merino- (MFS) und Schwarzköpfigen Fleischschafen (SKF) mit unterschiedlicher Fötenzahl gegen
Ende der Trächtigkeit unterscheidet.

Versuch A
Versuchsanordnung A
Bei 10 ein- und zwillingsträchtigen MFS- sowie SKF-Muttern erfolgten Blutkontrollen 5 Wochen
ante partum (W a. p.) bis 2 Wochen post partum (W p. p.) zu Parametern des Stoffwechsels und
Endotoxinmetabolismus.

Ergebnisse
Ausgewählte Resultate zeigt Tabelle 1 (Mediane). Die FFS-, Bilirubin- und Triacylglycerol-
Konzentrationen differierten gesichert (p<0,05) zwischen den ein- und zwillingsträchtigen Muttern
beider Rassen; BHB, Glucose, Cholesterol, Harnstoff und Protein zeigten a. p. keine Unterschiede.
Die quantitativ dominierenden -LP-(HDL)-Konzentrationen stiegen bei den MFS 1 bis gegen das
Lammen an (p<0,05), bei den MFS2 und SKF2 sanken sie differenziert mit Ausprägung des
Energiedefizits ab. Die ß-LP-(LDL)-Konzentrationen verhielten sich dazu gegensätzlich. Die ET-
Konzentrationen differierten zwischen den Gruppen nicht, die IgG-ALA-AK waren bei den
Zwillingstragenden gesichert höher und deuten auf stärkere ET-Einflüsse. TNFα war immer(!)
nachweisbar und kommt bei Zwillingstragenden in höheren Konzentrationen als bei Muttern mit
einem Fötus vor.
TNFα kann sowohl aus Fettgewebe als auch durch ET-Stimulation verstärkt in die Zirkulation
gelangen. Es kann die Lipolyse durch Hemmung der Insulinwirkung fördern und den Kreislauf
belasten. Gegenüber Kühen haben hochträchtige Schafmuttern ca. 3x höhere -LP-, ca. 2x höhere
TG- und Insulin-, moderat höhere FFS-Konzentrationen, ca. 6-10x höhere ALA-AK-Titer und
regelmäßig nachweisbares TNFα (Tabelle 1 und 2).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 167


Wiederkäuer
Tabelle 1: Parameter des Energie– und Endotoxin-Stoffwechsels bei gesunden ein- und
zwillingstragenden MFS (MFS 1, MFS 2) sowie bei zwillingstragenden SKF (SKF 2)
Wochen p. p. -5 -3 -1 +2 -5 -3 -1 +2

MFS 1 -LP 161 201 191 242 ß-LP 33 24 23 24

MFS 2 mg/dl 173 202 166 123 mg/dl 23 25 25 17

SKF 2 198 194 171 174 15 17 26 19

MFS 1 FFS 114 103 121 45 BHB 0,47 0,58 0,59 1,12
mmol/l
MFS 2 µmol/l 270 224 421 258 0,52 0,50 0,73 0,78

SKF 2 151 266 218 155 0,56 0,58 0,63 0,62

MFS1 TG 0,28 0,32 0,28 0,18 Glucose 2,825 3,11 3,14 3,21
mmol/l
MFS 2 0,27 0,35 0,40 0,19 2,95 2,905 3,44 3,42
SKF 2 0,26 0,25 0,39 0,17 2,915 2,73 3,03 3,37
MFS 1 Insulin 0,27 0,35 0,37 0,36 ET 0,05 0,75 0,30 0,13

MFS 2 nmol/l 0,18 0,15 0,16 0,16 EU/ml 0,06 0,13 0,19 0,10

SKF 2 0,17 0,16 0,15 0,17 0,09 0,10 0,22 0,04

MFS 1 TNFα - - - - ALA-AK- 19,5 27,3 23,1 25,8


IgG
MFS 2 ng/ml1 47,7 43,3 30,5 30,0 30,3 37,1 31,4 41,0

SKF 2 26,2 29,3 17,6 17,9 33,0 38,4 33,0 24,6


1 (1)

Der aus den Glucose-, Insulin- und FFS-Konzentrationen berechnete „Revised Quantitative
Insulin Sensitivity Check Index" (Tabelle 3), ein Maß für die Insulinsensitivität, war bei geringerer
energetischer Belastung bei Schaf und Rind gleichartig (2) In der letzten Woche a. p. sank er bei
Schafen aber stärker ab und ist vergleichbar mit Kühen, die eine DA entwickeln. Die Unterschiede
prägen sich besonders bei mehrlingsträchtigen MFS-Muttern aus.

168 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Tabelle 2: Parameter des Energiestoffwechsels bei gesunden (H) Kühen und Kühen mit Dislocatio
abomasi (DA) (3)
Tage p. p. 3 7 17 28 3 7 17 28

H -LP 57 66 89 136 ß-LP 30 28 35 47

DA mg/dl 51 35 60 77 mg/dl 14 11 6 29

H FFS 415 398 670 342 BHB 0,49 0,38 0,50 0,40
mmol/l
DA µmol/l 964 1271 1467 1043 0,88 1,91 1,20 0,85

H TG 0,11 0,15 0,18 0,15 Glucose 3,02 2,97 3,27 3,28


mmol/l
DA mmol/l 0,13 0,15 0,14 0,12 3,10 2,50 3,74 3,30

H Insulin ET 0,06 0,06 0,39 0,24


0,141 0,07 0,05
nmol/l
DA EU/ml 0,25 0,26 0,06 0,12
0,191 0,07 0,07
H TNFα 35,61 37,3 ALA-AK- 4,2 6,0 5,2 4,0
ng/ml Titer
DA 55,91 10,0 10,9 12,3 12,8 5,0
1eine Woche a. p.

Tabelle 3: Insulinwirksamkeit (RQUICKI) bei gesunden (H) ein- und zwillingstragenden Muttern
sowie bei gesunden und an Dislocatio abomasi (DA) erkrankten SB-Kühen
Mutterschafe SB-Kühe
Tage Tage
-35 -21 -7 +14 -28 -10 3 28
p. p. p. p.
MFS 1 0,43 0,41 0,39 A 0,47 a B H 0,45A 0,47 a A 0,40 a B 0,50 a C
MFS 2 0,39 a 0,42 A 0,36 a B 0,39 b DA 0,44 A 0,43 b 0,35 b B 0,44 b
SKF 2 0,44 b 0,41 0,42 b 0,43

Versuch B
Versuchsanordnung B
Die ivGTT erfolgten morgens an 15 gesunden, nüchternen MFS sowie 14 SKF 5, 3, und
1 W a. p. sowie 8 W p. p. (1,67 mmol Glucose/kg KM, Blutkontrollen [Glucose, Insulin FFA, BHB] 0-,
5-, 15-, 30-, 60-, und 120 min post appl.). Die Glucose-Eliminationskonstante k [min-1] wurde
berechnet als y=a•e-k•t+b (y=aktuelle Glucosekonzentration (Gk) im Serum, t=Zeit nach Beendigung
der Glucoseinjektion [min], a=basale Gk [mmol/l].
Ergebnisse
Die basalen Gk unterschieden sich mit ca. 3,0 mmol/l im Zeitraum 5 W a.p. bis 8 W p. p. nicht.
Die Glucose-Eliminationsrate (Tabelle 4) betrug 5 und 1 W a. p. sowie 8 W p. p ca. 0,021 min-1. Sie
war 3 W a. p. mit 0,025 min-1 signifikant höher. Die basalen (0,17 nmol/l) sowie maximalen (ca. 0,31

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 169


Wiederkäuer
nmol/l) Insulinkonzentrationen unterschieden sich zwischen den Kontrollzeitpunkten nicht. Die
niedrigsten FFA-Konzentrationen wurden 8 W p. p. gemessen (146 µmol/l); die höchsten waren
bereits 5 W a. p. nachweisbar (709 µmol/l). Die BHB-Konzentrationen erreichten ihr Maximum in der
1. W a. p. (0,76 mmol/l). SKF wiesen bei vergleichbaren basalen Gk basal und nach der
Glucoseinjektion höhere Insulinspiegel (p<0,05) sowie Glucose-Eliminationsraten (0,024 vs. 0,022
min-1) auf. Die BHB-Konzentrationen unterschieden sich nicht. Die Glucose-Eliminationsrate nahm
tendenziell mit zunehmender Fötenzahl zu (Einlinge vs. Mehrlinge: 0,021 vs. 0,024 min-1; p=0,08).
Unterschiede bzgl. Insulin-, FFA- und BHB-Konzentrationen bestanden tendenziell (p>0,05). Die 8
Tiere mit den niedrigsten (409 µmol/l: 0,027 min-1) hatten gegenüber den 8 Tieren mit den höchsten
BHB-Konzentrationen (710 µmol/l: 0,021 min-1) höhere Glucose-Eliminationsraten (p<0,05),
tendenziell höhere maximale Insulin- bei vergleichbaren basalen Glucose- und
Insulinkonzentrationen.

Tabelle 4: Peripartale Glucose-Eliminationsraten bei MFS- und SKF-Muttern (4)


Rasse, BHB-,FFS-
peripartal GER k [min-1] GER k [min-1] GER k [min-1]
Fötenzahl Klassen
BHB 0,41
5 W a. p. 0,021±0,004 MFS 0,0215±0,001 0,0275±0,0015
mmol/l
BHB 0,41
3 W a. p. 0,025±0,001 SKF 0,024±0,001 0,0215±0,002
mmol/l
FFS 310
1 W a. p. 0,022±0,001 1 Fötus 0,021±0,001 0,020±0,0015
µmol/l
FFS 780
8 W p. p. 0,0225±0,001 2 Föten 0,024±0,001 0,0233±0,001
µmol/l
>2 Föten 0,0245±0,002

In Übereinstimmung mit vorliegenden Resultaten ermittelten SCHLUMBOHM et al. ebenfalls eine


signifikant reduzierte Insulinsensitivität bei Schafen gegen Ende der Trächtigkeit (5). Sowohl die
Insulin-vermittelte Aufnahme von Glucose in die Muskulatur und ins Fettgewebe sowie die Insulin
vermittelte Lipolysehemmung werden am Ende der Gravidität gegenüber güsten Schafmuttern
gehemmt. Für die reduzierte Insulinwirkung spielt TNFα offensichtlich eine vermittelnde Rolle.

Schlussfolgerungen
 Als prädisponierender Faktor für die TK ist das Energiedefizit a. p. (Anzahl der Lämmer) der
wichtigste Einfluss.
 Besonderheiten des Stoffwechsels bei Schafen gegenüber Rindern kommen in ca. 3x
höheren -LP-Konzentrationen, ca. 2x höheren TG- und Insulin-Konzentrationen, moderat
höheren FFS-Konzentrationen, ca. 6-10x höheren ALA-AK-Titern und regelmäßig
nachweisbarem TNFα zum Ausdruck.
 RQUICKI ist bei gesunden Schafen 1 W a. p. am niedrigsten. Die Werte sind mit solchen
bei kranken Kühen mit DA vergleichbar. Sie sind in diesem Zeitraum bei SKF höher als bei
MFS.

170 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

 Die Glucose-Eliminationsraten sind 3 W a. p. gegenüber den anderen Zeiträumen (p<0,05)


bei Einlings- gegenüber Mehrlingsträchtigen sowie bei SKF gegenüber MFS höher, bei
Schafen mit hohem BHB niedriger. Die niedrigsten RQUICKI-Werte traten zeitversetzt
1 W a. p. auf.
 Für die reduzierte Insulinwirkung spielt TNFα offensichtlich eine wichtige vermittelnde Rolle.
 SKF haben eine höhere Ansprechbarkeit der ß–Zellen des Pankreas auf Glucose
gegenüber MFS-Mutterschafen.
 Die Untersuchungen weisen aber insgesamt eine erhebliche Adaptationsfähigkeit der
graviden Schafe im Hinblick auf die Glucosehomöostase mit rassetypischen Unterschieden
aus.

Literaturverzeichnis
1. El-Ebissy EA. Relationship Between Metabolic Parameters and TNFα in the Peripartal Period in Ewes.
(Diss med vet). Leipzig: Uni Leipzig;2011.
2. Goerigk D, Steinhöfel I, Fürll M. Peripartaler Revised Quantitative Insulin Sensitivity Check Index"
(RQUICKI) bei unterschiedlich aufgezogenen Färsen. Wien Tierärztl Mschr. 2011;98:76-81.
3. Kastner A. Untersuchungen zum Fettstoffwechsel und Endotoxin-Metabolismus bei Milchkühen vor dem
Auftreten der Dislocatio abomasi. (Diss med vet). Leipzig: Uni Leipzig; 2002.
4. Richter S. Stoffwechseluntersuchungen bei Schafen ante und post partum unter besonderer
Berücksichtigung von freien Endotoxinen und Glukosetoleranztest. (Diss med vet). Leipzig: Uni Leipzig;
2000.
5. Schlumbohm C, Sporleder HP, Gürtler H, Harmeyer J. The influence of insulin on metabolism of glucose,
free fatty acids and glycerol in normo- and hypocalcaemic ewes during different reproductive states. Deut
Tierarztl Woch. 1997;104:359-65.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Fürll, Medizinische Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 171


Wiederkäuer

Selenstoffwechsel bei kleinen Wiederkäuern: Neues zu


Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie im Rahmen der
Herdenbetreuung
Esther Humann-Ziehank
Klinik für kleine Klauentiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Selen
Selen ist ein für Säugetiere essenzielles Spurenelement. Nordeuropa sowie Teile Nordamerikas
sind aufgrund geringer Vorkommen von Selen in den Böden als selenarm anzusehen, was sich im
Grundfutter für kleine Wiederkäuer standortabhängig durch Gehalte < 0,05 mg Se/kg
Trockensubstanz (TS) widerspiegeln kann. Schafe und Ziegen sind gleichermaßen von Selenmangel
betroffen, ebenso Wildwiederkäuer (1). Aktuelle Felduntersuchungen ergaben bei ca. 50 % der
beprobten Betriebe eine Selenunterversorgung. Für Schafe und Ziegen gelten Gehalte von
0,2 mg Se/kg Futter-TS in der Gesamtration als bedarfsgerecht.
Viele Enzyme des antioxidativen Systems benötigen Selen als funktionellen Baustein. Daher
reflektiert Selenmangel zusammenfassend vor allem die verminderte Leistungsfähigkeit des
antioxiativen Systems und damit das Ausmaß an Zellschädigungen, die besonders in
Belastungsphasen (Wachstum, Trächtigkeit, Infektion u. a.) durch oxidativen Stress entstehen. Oft
treten klinische Anzeichen zusammen mit einem marginalen Angebot von Vitamin E auf. Da Vitamin
E ebenfalls als wichtiges Antioxidanz fungiert, können Selenmangelsituationen bei guter Vitamin-E-
Zufuhr länger ohne klinische Erkrankung toleriert werden (2).

Klinik
Als akute Verlaufsform (nutritive Muskeldystrophie) zeigen neugeborene Lämmer (kongenitale
Form) Festliegen mit schlaffen Lähmungen der Skelettmuskulatur, ggf. zusammen mit
Herzarrhythmie (Myokarddegeneration), die Letalität ist hoch. Ältere Lämmer sind zunächst
unauffällig, zeigen dann ab etwa der 2.-6. Lebenswoche zunehmende Bewegungseinschränkungen
in der Hinterhand, Kyphose, schmerzhafte Muskulatur sowie schließlich Festliegen bei erhaltenem
Appetit.
Sehr häufig kommt bei kleinen Wiederkäuern die chronische Verlaufsform vor. Sie äußert sich
beispielsweise in mangelnder Reproduktionsleistung (Muttern und Böcke), gesteigerter perinataler
Mortalität, Wachstumsverzögerung bei Lämmern, Kümmern sowie verminderter Woll- und
Fellqualität (1,2). Problematisch ist, dass die Symptome wenig spezifisch sind und Selenmangel
differenzialdiagnostisch daher oft nicht berücksichtigt wird.

Diagnostik
Seit einigen Jahren fokussiert sich die internationale, interdisziplinäre Selenforschung sowohl auf
die biologischen Funktionen der Selenoproteine als auch auf ihre Rolle in pathophysiologischen
Prozessen wie z. B. Immunreaktion, Neurodegeneration, Septikämie oder Kanzerogenese. Über 25
Selenoproteinfamilien konnten bisher indentifiziert, jedoch nur wenige davon auch funktionell
charakterisiert werden (3).
In der Veterinärmedizin ist neben der aussagekräftigen direkten Selenbestimmung in Serum oder
Organmaterial die Aktivitätsmessung des Selenoenzyms Glutathion Peroxidase (GPx) im Vollblut
172 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Wiederkäuer
etabliert. Diese Methode misst die gemeinsame Aktivität der GPx in Serum (GPx3) and Erythrozyten
(GPx1) im Vollblut-Hämolysat, wobei der erythrozytäre Beitrag zur Gesamt-GPx weit überwiegt. Die
erythrozytäre GPx1-Aktivität spiegelt dabei die Selenversorgung zum Zeitpunkt der
Erythrozytenbildung wider. Futterumstellungen wirken sich daher erst mit mehreren Wochen
Verzögerung aus und machen diesen Parameter für die Beurteilung der aktuellen Situation
unbrauchbar. Die GPx3-Aktivität im Serum korreliert bei Selenunterversorgung gut mit der Selen-
Konzentration im Serum, zeigt allerdings mit steigenden Selengehalten ein Sättigungsverhalten,
sodass Überversorgungen nicht angezeigt werden.
Die Se-Konzentrationen in Serum und Leber korrelieren gut und sind diagnostisch gleichwertig.
Die Selenoenzyme Thioredoxin-Reduktase sowie die GPx1 im Lebergewebe korrelieren deutlich mit
der Selenversorgung, sind als Routineparameter aufgrund der aufwendigen Analyseverfahren aber
nicht geeignet.
Bei der akuten nutritiven Muskeldystrophie sind die Enzymaktivitäten der Aspartat-
Aminotransferase, Glutamat-Dehydrogenase sowie der Creatin-Kinase im Plasma in Folge von
Muskel- und Leberzelldegenerationen erhöht (4).
Die Untersuchung der verwendeten Futtermittel auf die Selengehalte ist ebenfalls möglich,
erfordert aber eine Untersuchung der gesamten Ration und ist gegenüber der Selenbestimmung im
Serum die deutlich aufwendigere und teurere Alternative. Grundsätzlich sollte beachtet werden, dass
oft bei unterversorgten Tieren auch andere Spurenelemente wie Kupfer, Zink oder Kobalt mangelhaft
zur Verfügung stehen, was diagnostisch einbezogen werden sollte.

Differenzialdiagnostik
Bei der akuten Form bei Lämmern sind je nach Alter vor allem Hypothermie/Hypoglykämie,
Rachitis, Nabelentzündung mit Streuung in Gelenke, Kupfermangel, akute Infektionserkrankungen
sowie zentralnervöse Erkrankungen zu berücksichtigen. Die chronische Form ist insbesondere von
Befall mit Endoparasiten, unzureichender Fütterung sowie chronischen Infektionskrankheiten wie
z. B. Paratuberkulose abzugrenzen.

Therapie und Prophylaxe


Bei der akuten Erkrankung sollte unverzüglich die Gabe von Selen als Injektion subkutan
erfolgen, die Behandlung sollte frühestens nach ca. 14 Tagen wiederholt werden, da Selen auch
Vergiftungspotenzial hat.
Prophylaktisch/therapeutisch muss für jede Herde das umsetzbare Konzept individuell erstellt
werden. Ist die tägliche, jahreszeitunabhängige Gabe eines Mineralfutters möglich, sollten Präparate
mit Selengehalten > 40 mg/kg Mineralfutter ausgewählt werden. Eine ausreichende Aufnahme wird
nur über weiche Leckmassen oder pulverisiertes/pelletiertes Mineralfutter gewährleistet;
Minerallecksteine sind ungeeignet. Bei täglicher Gabe von Kraftfutterpellets ermöglicht auch eine
Einmischung von Selen direkt beim Mischfutterwerk eine zuverlässige Supplementierung. Bei reiner
Weidehaltung sollten Leckmassen in Eimern/Schalen immer verfügbar und wetterfest geschützt
angebracht sein. Ist eine solche kontinuierliche Gabe nicht durchführbar, kann alternativ zu
festgelegten Zeitpunkten im Jahr die komplette Herde per Injektion versorgt werden: alle Muttertiere
ca. 4 Wochen vor der Lammung, alle Lämmer am ersten Lebenstag und evt. in der 8. Lebenswoche,
alle Tiere vor dem Weideaustrieb und alle Böcke und Muttertiere ca. 4 Wochen vor Beginn der
Deckzeit. Lämmer erhalten 0,3-0,5 mg Se pro Injektion, Muttern und Böcke bis zu 1,5 mg Se pro
Injektion. Dabei ist zu beachten, dass Se in der Regel als Natrium-Selenit/Natrium-Selenat im

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 173


Wiederkäuer
Injektionspräparat vorliegt, die Selenkonzentration muss somit aus der Summenformel errechnet
werden, falls der Hersteller keine Angaben dazu macht.
Die Eingabe von selenhaltigen Boli in den Pansen ist prinzipiell auch bei kleinen Wiederkäuern
möglich und kann für ca. 4 Monate eine Supplementation gewähren. In Deutschland ist die
Zulassungssituation von derzeit z. B. in Großbritannien erhältlichen Präparaten einzeln zu prüfen:
entspricht das Produkt bezüglich der Spurenelementkonzentrationen den rechtlichen, inländischen
Anforderungen an ein Ergänzungsfuttermittel, ist es als solches einsetzbar.
Eine Grünlanddüngung mit Selenpräparaten ist möglich, setzt aber eine professionelle
Ausbringung voraus, da ansonsten Überdüngung mit Vergiftungspotenzial besteht.
Regelmäßig sollte der Erfolg der Supplementierung über die Untersuchung von Serum- und oder
Lebergeweben überwacht und die Intensität der Maßnahmen an die Ergebnisse angepasst werden.

Literaturverzeichnis
1. Humann-Ziehank E, Ganter M, Hennig-Pauka I, Binder A. Trace element status and liver and blood
parameters in sheep without mineral supply compared to local roe deer (Capreolus capreolus)
populations. Small Rumin Res. 2008;75:185-91.
2. Suttle N. Selenium. In: Suttle N, editor. The Mineral Nutrition of Livestock. 4rd Ed. ed. Oxfordshire: Cabi;
2010. p. 377-425.
3. Papp LV, Lu J, Holmgren A, Khanna KK. From selenium to selenoproteins: synthesis, identity, and their
role in human health. Antioxid Redox Signal. [Review]. 2007;9(7):775-806.
4. Bickhardt K, Ganter M, Sallmann P, Fuhrmann H. Investigation of the manifestation of vitamin E and
selenium deficiency in sheep and goats. Dtsch tierärztl Wschr. 1999;106(6):242-7.

Kontaktadresse
Dr. Esther Human-Ziehank, Klinik für kleine Klauentiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

174 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

Gründe für das Scheitern der Moderhinke-Sanierung und mögliche


Auswege
Martin Ganter1, Jana Kuhlemann1,2, Heinz Strobel2
1Klinik
für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover; 2Tierarztpraxis Heinz
Strobel, Stoffenried

Untersuchungen zum Vorkommen von Moderhinke auf der Schwäbischen Alb


Im Biosphärengebiet Schwäbische Alb mit dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen
als Kerngebiet wurden zur Datenerhebung über die regionale Situation der Moderhinke alle Schafe
haltenden Betriebe des Gebietes kontaktiert. Anhand einer Umfrage wurden die Moderhinke-
Situation sowie die Bekämpfungsmaßnahmen der Betriebe im gesamten Biosphärengebiet und im
Kerngebiet ermittelt. Gleichzeitig wurde im Kerngebiet, zur Beurteilung der betriebsindividuellen
Einflüsse auf die Moderhinke, eine detaillierte Betriebsanalyse mit monatlichen Betriebsbesuchen
durchgeführt. Im Verlauf der Betriebsbesuche wurden detaillierte Datenerhebungen und
Schätzungen der Lahmheitsprävalenzen vorgenommen.
Im Jahr 2009 betrug der Gesamtbestand der Schafe im Biosphärengebiet 24.780 Mutterschafe in
65 Betrieben, von denen 22.050 Mutterschafe (45 Betriebe) in die Datenerhebung der Umfrage
eingingen. 17 Betriebe mit insgesamt 16.380 Mutterschafen wurden intensiver analysiert. Davon
waren auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz jedoch nur 12.830 Mutterschafe in 14 Herden
vorhanden. Die Daten für die Betriebsanalyse wurden von April bis Oktober 2009 erhoben. In dieser
Zeit wurden die Herden im Kerngebiet monatlich besucht und die Lahmheitsprävalenz geschätzt
sowie das Betriebsmanagement im Hinblick auf die Moderhinke-Bekämpfung untersucht.
Trotz gleicher klimatischer und vegetativer Bedingungen auf dem ehemaligen
Truppenübungsplatz variierten die Lahmheitsprävalenzen zwischen und sogar innerhalb einzelner
Herden von 1 % bis nahezu 50 % im Untersuchungszeitraum.

Ergebnisse
Durch die Untersuchungen im Biosphärengebiet konnten einige Schwachpunkte im
Bekämpfungskonzept der Betriebe aufgedeckt werden. Es zeigte sich, dass insbesondere der blutige
Klauenschnitt meist nicht zu einer Reduktion der Lahmheitsprävalenz führte, sondern die Lahmheiten
noch zunahmen. Insgesamt führen vor allem eine inkonsequente Durchführung der
Bekämpfungsmaßnahmen, Personalmangel und zahlreiche psychologische Faktoren zu
Misserfolgen in der Bekämpfung der Moderhinke. Dabei wird der multifaktorielle Charakter der
Erkrankung häufig genutzt, um ein Misslingen von Bekämpfungsmaßnahmen zu begründen. Eine
Sanierung der Moderhinke im gesamten Biosphärengebiet erscheint somit unwahrscheinlich,
solange ein hohes Risiko für Neuinfektionen innerhalb der Herde und zwischen den Betrieben
besteht. Ein Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Moderhinke in dem Gebiet wird dennoch
vorgeschlagen.

Konsequenzen für die Moderhinke-Bekämpfung


Um eine Sanierung aller Herden des Biosphärengebietes zu erreichen, wären nach dem
heutigen Wissensstand folgende Maßnahmen sinnvoll und notwendig:

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 175


Wiederkäuer
In der ersten Phase Reduzierung der Moderhinke-Prävalenz durch
 Untersuchung und ggf. Behandlung aller Tiere unter epidemiologisch günstigen
Bedingungen (Stallphase )
 Selektion aller Tiere beim Auftrieb auf die Sommerweide anhand des Klauenbefundes;
Schafe mit klinischer Moderhinke (Score > 3) und chronisch deformierten Klauen sollten
nicht aufgetrieben werden.
 Konsequentes Rein-Raus Verfahren der Teilherden; kein Durchmischen von Teilherden
 Klauenbad beim Auftrieb auf die Sommerweide mit einem zugelassenen Klauenbad
 Impfung aller Schafe beim Auftrieb auf die Sommerweide mit Footvax® oder einer Vakzine,
die die im Biosphärengebiet vorhandenen pathogenen Stämme enthält; zur Isolierung und
Typisierung dieser Stämme sind noch zahlreiche Untersuchungen notwendig.
o Die Impfung soll zur Erreichung einer Grundimmunisierung nach 4 bis 6 Wochen
sowie nach weiteren 4 Monaten wiederholt werden.
 Selektion der Böcke auf Moderhinke-Toleranz anhand klinischer Befunde oder auf der
Basis des DQA2-Gentests

Bei Auftreten von Moderhinke:


o Unverzügliche systemische und lokale antibiotische Behandlung beim Auftreten
von Lahmheiten bei Einzeltieren oder Gruppen bereits bei interdigitaler Dermatitis;
Pflegeschnitt der Klauen nach 2-3 Wochen, frühestens nach 5 Tagen; blutige
Klauenpflege ist zu vermeiden.
o Dauerhafte Kennzeichnung aller Tiere mit Moderhinke
o Vorbeugemaßnahmen beim Auftreten von Lahmheiten bei Einzeltieren oder
Gruppen für den Rest der Herde (Fußbad, Impfung)

Diese Maßnahmen sollten über mehrere Weideperioden hinweg aufrechterhalten werden, bevor
eine Eradizierung der Moderhinke in Angriff genommen wird. Zuvor sollte die Moderhinke-Prävalenz
innerhalb aller Herden stabil unter 5 % liegen.

Sanierung
Sofern über mindestens zwei Monate hinweg keine neue Lahmheit durch Moderhinke
aufgetreten ist
 Kann eine Sanierung der Herde in Angriff genommen werden.
 Dürfen keine Tiere mit unbekanntem Status oder aus positiven Herden in die
Sanierungsherde aufgenommen werden.
 Sollten die Weideareale zwischen einzelnen Herden eindeutig abgegrenzt werden, sodass
auch Moderhinke-freie und Moderhinke-verdächtige Bezirke innerhalb der Weidegebiete
ausgewiesen werden können; Ziel sollte es sein, die Moderhinke-verdächtigen Gebiete
sukzessiv durch Sanierung von Einzelherden in Moderhinke-freie Gebiete umzuwandeln.
 In Moderhinke-unverdächtigen Herden kann schließlich auf die Impfung verzichtet werden.
 Die Lahmheitskontrollen müssen jedoch intensiviert werden, um den Status
aufrechtzuerhalten.
 Die züchterischen Maßnahmen auf der Basis des DQA2-Gentests oder auch auf der Basis
der Antikörperantwort auf eine Moderhinke-Impfung sollten gleichzeitig intensiviert werden,
um das Risiko von Neuerkrankungen zu reduzieren.

176 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer

 Voraussetzung ist zu Beginn der Sanierung, dass die gesamte Herde sachkundig und
innerhalb weniger Tage vollständig auf Moderhinke untersucht werden kann; da
entsprechendes Personal in den Schäfereien meist nicht in ausreichender Zahl vorhanden
ist, wäre es sinnvoll, solche Trupps von Klaueninspekteuren zu etablieren und zu schulen
und entsprechende Sanierungsprogramme anzubieten.

Literaturverzeichnis
1. Hickford JG. Zhou H, Slow S, Fang Q. Diversity of the ovine DQA2 gene. J Anim Sci. 2004; 82 (6): 1553-
1563
2. Kuhlemann J. Epidemiologie und Bekämpfung der Moderhinke auf regionaler Ebene [Dissertation].
Hannover: Tierärztliche Hochschule; 2011.
3. Wassink GJ, George TRN, Kaler J, Green LE. Footrot and interdigital dermatitis in sheep: Farmer
satisfaction with current management, their ideal management and sources used to adopt new strategies.
Prev Vet Med. 2010;96:65-73.

Kontaktadresse
Prof. Dr. M. Ganter, Klinik für kleine Klauentiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 177


Wiederkäuer

Scrapie und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit: wissenschaftlicher Stand


und Ausblick
Wiebke Wemheuer1, Sylvie L. Benestad2, Arne Wrede1, Wilhelm E. Wemheuer3,
Bertram Brenig3, Walter J. Schulz-Schaeffer1
1Prion- und Demenzforschung, Abteilung für Neuropathologie, UMG, Göttingen; 2National Veterinary
Institute, Oslo; 3Tierärztliches Institut, Göttingen

Prionkrankheiten
Unter den Prionkrankheiten ist es die Scrapie der Schafe, welche am längsten bekannt ist. Schon
1710 wurde sie schriftlich als das „Draben“ erwähnt (1). Prionkrankheiten, welche aufgrund ihrer
Übertragbarkeit und den spongiformen Veränderungen, die sie im zentralen Nervensystem (ZNS)
verursachen, auch als Transmissible Spongiforme Enzephalopathien (TSE) bezeichnet werden,
stellen eine Gruppe letal verlaufender Krankheiten bei verschiedenen Spezies dar. Dazu gehören
u. a. die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE), Chronic Wasting Disease (CWD) der Cerviden
in Nordamerika und humane Erkrankungen wie die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD, engl.
Creutzfeldt-Jakob Disease), das Gerstmann-Strauessler-Scheinker-Syndrom (GSS), Letale Familiäre
Insomie (FFI, engl. Fatal Familial Insomia) und die durch Todesriten übertragene Kuru. Aufgrund der
speziesübergreifenden Ähnlichkeit im histologischen Bild wurden Scrapie, CJD und Kuru bereits
einer Erkrankungsform zugerechet (2), bevor das Konzept der Prionkrankheiten etabliert wurde.
Heutzutage ist weitgehend akzeptiert, dass TSEs durch einen unkonventionellen Erreger, das „Prion“
(Akronym für „proteinacious infectious particle“) verursacht werden (3). Bei diesem handelt es sich
aller Wahrscheinlichkeit nach um die pathologische Isoform des in der Evolution hochkonservierten,
membranständigen physiologischen Prionproteins (4). Das fehlgefaltete Prionprotein verfügt über
einen hohen Gehalt an β-Faltblattstruktur, ist relativ proteaseresistent und neigt zur Bildung fibrillärer
Aggregate, die post mortem hauptsächlich im ZNS nachweisbar sind.
Die Scrapie der Schafe und Ziegen wird aktuell in eine klassische und eine atypische Form
unterteilt, was mittlerweile auch in der Tierseuchenbekämpfung Relevanz besitzt (5). Unterschiede
zwischen den beiden Scrapieformen liegen bezüglich epidemiologischer Daten, den
Polymorphismen des Prionproteingens betroffener Tiere, den biochemischen Eigenschaften und den
immunhistologisch detektierbaren Ablagerungsmustern des pathologischen Prionproteins vor (6). Da
die atypische Scrapie innerhalb einer Herde nur als Einzelfall vorkommt und ihr pathologisches
Prionprotein weniger leicht nachweisbar ist als das der klassischen Scrapie, scheint diese
Scrapieform lange Zeit übersehen worden zu sein. Gemäß Entdeckungsland und -jahr wird sie als
atypische/Nor98-Scrapie bezeichnet (7). Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD, s. o.) kann
sporadisch, genetisch oder iatrogen bedingt sein. Eine Sonderform stellt die neue Variante der CJD
dar, welche mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Übertragung der BSE auf den Menschen
verursacht wurde. Die sporadische CJD ist mit einer diagnostizierten Häufigkeit von 1-2:1.000.000 in
der Gesamtbevölkerung die häufigste humane Prionkrankheit (8,9). Es existieren zwei humane
Priontypen, die sich nach Proteinase K Verdau im Western Blot voneinander unterscheiden (10).
Darüber hinaus existiert ein Polymorphismus am Codon 129 im Prionproteingen. Die Kombination
von Priontyp und Genotyp bestimmt den Phänotyp der Erkrankung (11), wobei ersterer den größeren
Einfluss aufweist.

178 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Nachweis des pathologischen Prionproteins bei klassischer und atypischer/Nor98-Scrapie
Eine sehr sensitive Methode, um pathologisches Prionprotein im Gewebeschnitt nachzuweisen,
stellt der Paraffin-Embedded-Tissue (PET) Blot dar (12). Die Untersuchung klassischer und
atypischer/Nor98-Scrapieschafe mit dieser Methode zeigt deutliche Unterschiede in der Verteilung
und den Ablagerungsformen von PrPSc in zentralnervösen und lymphoretikulären Geweben (13,4).
Die Detektion des pathologischen Prionproteins ist sensitiver als mit herkömmlichen
immunhistochemischen Methoden (15). Auch lassen sich Unterschiede bezüglich der Stabilität der
zwei Scrapietypen gegenüber Denaturierung feststellen (13). Dazu wurde das pathologische
Prionprotein aufsteigenden Konzentrationen des chaotropen Salzes Guanidiniumhydrochlorid
ausgesetzt, anschließend enzymatisch mit Proteinase K verdaut und das verbleibende pathologische
Prionprotein mittels eines Membranadsorptionsassays sichtbar gemacht.

Parallelen zwischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und Scrapie


Bei Untersuchungen von Fällen sporadischer CJD mit den gleichen Methoden fallen deutliche
Parallelen der beiden Typen der CJD mit den beiden Scrapietypen auf: Das pathologische
Prionprotein atypischer/Nor98-Scrapiefälle und der CJD Fälle des Priontyps 1 weist im Gehirn ein
überwiegend retikuläres/synaptisches Ablagerungsmuster auf und ist verhältnismäßig sensitiv
gegenüber Denaturierung. Die klassische Scrapie und die Typ 2-CJD-Fälle hingegen haben
hinsichtlich der Ablagerung des pathologischen Prionproteins ein komplexes Muster aus größeren
Aggregaten gemeinsam und ihr pathologisches Prionprotein ist relativ stabil gegenüber einer
Denaturierung (13).

Besteht ein Übertragungsrisiko von Scrapie auf den Menschen?


Die Ähnlichkeit zwischen den CJD-Typen und Scrapietypen deutet darauf hin, dass mindestens
zwei vergleichbare pathologische Prionproteinfehlfaltungen über Artengrenzen hinweg existieren und
Prionkrankheiten auslösen können. Den Typ bestimmt aller Wahrscheinlichkeit nach die
Konformation des pathologischen Prionproteins. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass diese bei den
unterschiedlichen Spezies völlig unabhängig voneinander auftreten. Dennoch sind Prionkrankheiten
mit ihren langen Inkubationszeiten kritisch zu betrachten. Die klassische Scrapie gilt seit
Übertragungsversuchen mit Primaten (in den 60-iger Jahren) als nicht übertragbar auf den
Menschen (16). Für die atypische/Nor98-Scrapie sind solche Übertragungsversuche nicht
durchgeführt worden. Bisher geht man bei atypischer/Nor98-Scrapie von einer sporadisch
auftretenden Einzeltiererkrankung aus, wobei die Häufigkeit bei 5-8 Tieren pro 10.000 getesteten
liegt (17). Ein Risiko für den Menschen wurde als gering eingeschätzt, da in peripheren Organen (im
Gegensatz zur klassischen Scrapie) kein pathologisches Prionprotein gefunden werden konnte.
Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass im Bioassay mit transgenen Mäusen durchaus
Infektiosität in peripheren Nerven, lymphatischen Organen und Skelettmuskulatur vorhanden ist (18).
Auch scheint neben der intrazerebralen (19) auch die orale Übertragung von atypischer/Nor98-
Scrapie auf das Schaf zu funktionieren (20), wie dies auch bei klassischer Scrapie und oviner BSE
der Fall ist. Es könnte daher sein, dass diese Erkrankung auch unter natürlichen Bedingungen (wenn
auch in einem anderen Ausmaß als die klassische Scrapie) von Tier zu Tier übertragbar ist. Ferner
besteht die Möglichkeit, dass infektiöse Gewebe von subklinisch an atypischer/Nor98 erkrankten
Schafen in die menschliche Nahrungskette gelangen könnten, da derzeit in der EU
gesundgeschlachtete Schafe nur stichprobenartig auf Scrapie getestet werden [VO(EG)2001/999].

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 179


Wiederkäuer
Das Auftreten von speziesübergreifenden Parallelen bei Prionkrankheiten bedarf weiterer
Forschung, da diese auf gemeinsame Pathomechanismen hinweisen können und das Schaf somit
als Forschungsmodell für die Priontypen und die Prionausbreitung im Gehirn fungieren könnte.
Aktuell wäre jedoch auch eine intensivere Überwachung der atypischen/Nor98-Scrapie von großer
Bedeutung.

Literaturverzeichnis
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18. Andréoletti O, Orge L, Benestad SL, Beringue V, Litaise C, Simon S, et al. Atypical/Nor98 scrapie
infectivity in sheep peripheral tissues. PLoS Pathog. 2011;7(2):e1001285.
19. Simmons MM, Konold T, Simmons HA, Spencer YI, Lockey R, Spiropoulos J, et al. Experimental
transmission of atypical scrapie to sheep. BMC Vet Res. 2007;3:20.
20. Simmons MM, Moore SJ, Konold T, Thurston L, Terry LA, Thorne L, et al. Experimental oral transmission
of atypical scrapie to sheep. Emerg Infect Dis. 2011 May;17(5):848-54.

180 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Kontaktadresse
Dr. Wiebke Wemheuer, Prion- und Demenzforschung, Abteilung für Neuropathologie, UMG,
Göttingen, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 181


Wiederkäuer

Listeriose – Gibt es Fortschritte in der Bekämpfung?


Mireille Meylan
Wiederkäuerklinik, Vetsuisse Fakultät der Universität Bern (Schweiz)

Einleitung
Die Listeriose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, welche von verschiedenen
Listerienstämmen, in den meisten Fällen von Listeria monocytogenes (L. monocytogenes),
verursacht wird. Bei Wiederkäuern kann die Infektion eine Rhomboenzephalitis, Aborte, Sepsis,
Euterinfektionen oder Keratitiden hervorrufen, wobei die Gehirnlisteriose die häufigste Form der
Krankheit ist (1). Im Rahmen einer Überwachungsstudie bei verendeten Schafen und Ziegen in der
Schweiz wurde festgestellt, dass Listeriose für 32 % der beobachteten neuropathologischen
Veränderungen verantwortlich war. In dieser Studie war die Listeriose schweizweit die wichtigste
Ursache von Gehirnentzündungen bei kleinen Wiederkäuern mit einer Prävalenz von 2,6 % aller
untersuchten Tiere. Diese hohe Prävalenz ist von besonderer Bedeutung, weil die Listeriose auch
beim Menschen Enzephalitiden mit hoher Sterblichkeitsrate verursacht und die Erreger zwischen
Tier und Mensch übertragen werden können. Es wird vermutet, dass Wiederkäuer eine Rolle spielen
als Reservoir für Stämme, die Erkrankungen beim Menschen hervorrufen (2).

Pathogenese der Gehirnlisteriose


Listerien sind in der Umgebung ubiquitär (3). Bei der Futtermittelkonservierung durch Silierung
können sich Listerien, welche durch Erdkontamination in die Silage gelangen, im Fall einer
ungenügenden Ansäuerung stark vermehren. Die Wiederkäuer infizieren sich dann durch die
Aufnahme solcher stark verseuchten Futtermittel, was erklärt, dass Listeriose häufig bei mehreren
Tieren in einer Herde auftritt. Nach oraler Aufnahme dringen die Erreger durch kleine Wunden der
Maulschleimhaut (z. B. bei Zahnwechsel) ein und werden entlang Ästen des Nervus trigeminus in
den Hirnstamm transportiert, wo sie eine Entzündung mit Bildung von Mikroabszessen hervorrufen
(4). Dieser retrograde Transport von Listerien in den Hirnstamm entlang Nervenbahnen wurde
kürzlich mit immunhistochemischen Methoden überzeugend demonstriert (5).

Klinisches Erscheinungsbild
Die beschriebene Pathogenese der Gehirnlisteriose spiegelt sich in den klinischen Symptomen
wider. Nach einer 2 bis 6 Wochen langen Inkubationszeit nach oraler Aufnahme von Listerien
entwickeln infizierte Tiere typischerweise einseitige Kopfnervenausfälle, welche meistens auf Defizite
der Nerven VII (N. facialis), V (N. trigeminus) und XII (N. hypoglossus) zurückzuführen sind (5).
Klinisch stehen eine einseitige Gesichtslähmung (hängendes Ohr, Paralyse der Augenlieder,
Zungenlähmung, Asymetrie der Nüstern), eine verminderte bis abwesende Sensibilität der
betroffenen Gesichtsseite, Kreisen sowie Kau- und Schlucklähmungen im Vordergrund. In
fortgeschrittenen Fällen kommt es zu Festliegen und Tod (4).
Abweichungen in den Blutwerten sind unspezifisch und hängen von der Dauer der Erkrankung
und von der Lokalisation der Hirnstammläsionen bzw. der geschädigten Hirnnervenkerne ab. Wenn
eine Schluckstörung vorhanden ist, sind eine Hämokonzentration und eine metabolische Azidose
(infolge Bikarbonat-Verlust im Speichel) zu erwarten (5).

182 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Wiederkäuer
Diagnosebestätigung
In der Praxis wird die Diagnose meistens aufgrund der typischen klinischen Symptome gestellt,
weiter wird das Ansprechen auf die Therapie als Bestätigung berücksichtigt.
Am lebenden Tier kann die Diagnose durch die Untersuchung einer Liquorprobe bestätigt
werden: eine erhöhte Proteinkonzentration und v. a. eine Pleiozytose aufgrund einer erhöhten
Anzahl von Monozyten sind beim Rind für Listeriose typisch. Allerdings wurde beobachtet, dass
neutrophile Granulozyten der dominante Zelltyp im Liquor von Schafen mit Listeriose sind.
Liquorveränderungen können auch ganz fehlen, sodass eine Listeriose aufgrund eines normalen
Liquorbefundes nicht ausgeschlossen werden kann (6).

Therapie
Klassischerweise wird die Gehirnlisteriose mit hohen Dosen von Penicillin behandelt (7). In der
Humanmedizin wurde ein Behandlungsschema mit Ampicillin und Gentamicin empfohlen. Ein Vorteil
dieser Behandlung gegenüber der klassischen Behandlung wurde aber für Wiederkäuer nicht gezeigt
(5). An unserer Klinik werden Listeriosepatienten mit Na-Penicillin (80‘000 IE/kg KGW iv q 8 h
während 2 Tagen, gefolgt von 40‘000 IE/kg) behandelt. Alternativ wurde auch Oxytetrazyklin
(10 mg/kg KGW iv q 12 h) mit Erfolg eingesetzt (8). Als Minimalbehandlungsdauer werden 2 Wochen
empfohlen, wobei idealerweise die Antibiose während mindestens 3 Wochen weitergeführt werden
sollte. Die Applikation von nicht-steroidalen Entzündungshemmern (z. B. Flunixin Meglumin, 1-
2 mg/kg KGW iv q 24 h, zweimal) gehört zur Grundtherapie der Listeriose sowie die Gabe von
Thiamin (5,7). Als Unterstützungstherapie sind Infusionen angezeigt (mit isotonischer
Kochsalzlösung, bei Schlucklähmung mit Zusatz von Na-Bikarbonat, um die metabolische Azidose
zu korrigieren, Glukose als Energielieferant, solange die Tiere keine Nahrung aufnehmen können,
und Elektrolyten nach Bedarf). Weiter muss bei vollständiger Facialislähmung das Austrocknen der
Kornea durch das Auftragen von Augensalben (mindestens 4 x täglich) oder durch eine temporäre
Lidschürze vermieden werden.
Durch das Anbieten verschiedener Futtermittel guter Qualität soll der Appetit stimuliert werden,
frisches Wasser muss jederzeit zur Verfügung stehen. Die meistens vorhandene Pansenindigestion
kann durch die perorale Gabe von frischem Pansensaft behandelt werden.

Prognose
Der Verlauf der Gehirnlisteriose ist bei kleinen Wiederkäuern schwerer und rascher als beim
Rind. Bei Schafen und Ziegen wurden in einer Studie tiefe Überlebensraten von 15 % aller
erkrankten Tiere und 26 % der behandelten Tiere gefunden (5). Die Krankheit wurde auch bei
Neuweltkameliden beschrieben, bei denen sie mit einer schlechten Prognose assoziiert ist (8).
Festliegen gilt in allen Tierarten als ein prognostisch ungünstiges Zeichen (5,7,8). Bei Schafen deutet
eine starke Erhöhung der Proteinkonzentration und der Zellzahl im Liquor auf eine schlechte
Prognose hin (6).

Prophylaxe
Als Prophylaxe steht die Verfütterung von Futtermitteln hoher Qualität im Vordergund.
Insbesondere grobsinnlich verdorbene Silage sollte nicht verfüttert werden. Im Fall eines
Listerioseausbruches in einer Herde soll die Verfütterung von verdächtigem Futter sofort
abgebrochen werden. Auch Hygiene spielt in Problembetrieben eine wichtige Rolle (9). Obwohl
Berichte zur Vorbeugung der Listeriose durch Impfungen in der Literatur existieren (10), hat sich die

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 183


Wiederkäuer
Impfung in der Praxis nicht durchgesetzt, was vermutlich auf eine unbefriedigende Schutzwirkung
zurück zu führen ist.

Laufende Untersuchungen
Aufgrund der Unterschiede im Erscheinungsbild der Listeriose werden Unterschiede in der
Virulenz verschiedener Stämme von L. monocytogenes vermutet (11, 12). Diese Hypothese wird im
Rahmen eines Forschungsprojektes der Vetsuisse Fakultät Bern (unter der Leitung von Dr. A.
Oevermann) erforscht. Dabei werden mittels molekularbiologischer Methoden aus dem Gehirn von
an Listeriose erkrankten Schafen und Ziegen isolierte Stämme von L. monocytogenes charakterisiert
und die hervorgerufene Immunabwehr im Gewebe untersucht. Nicht zuletzt in Hinsicht auf das
zoonotische Potenzial von L. monocytogenes ist eine vertiefte Kenntnis des Erregers und ein
besseres Verständnis der Pathogenese der Krankheit eine wichtige Voraussetzung für eine
verbesserte Kontrolle dieser bei Tier und Mensch wichtigen Infektion.

Literaturverzeichnis
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2. Oevermann A, Botteron C, Seuberlich T, Nicolier A, Friess M, Doherr MG, Heim D, Hilbe M, Zimmer K,
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1999;215(3):369-71.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Mireille Meylan, Wiederkäuerklinik, Vetsuisse Fakultät der Universität Bern,
[email protected]

184 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

2 SCHWEIN

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 185


Schwein

Chancen und Risiken der der deutschen Schweinehaltung in Zeiten


der Globalisierung der Märkte
Hans-Wilhelm Windhorst
Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten, Universität Vechta

Das Problemfeld
Seit Mitte des letzten Jahrzehnts sind die deutsche Schweinehaltung und
Schweinefleischproduktion durch eine ungewöhnliche Dynamik gekennzeichnet. Wies Deutschland
noch zu Beginn der 1990er Jahre ein hohes Handelsdefizit mit Schweinfleisch auf, ist es innerhalb
weniger Jahre zu einem der führenden Exportländer für Schweinefleisch und dessen
Verarbeitungsprodukte aufgestiegen. Einerseits spiegelt sich darin die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Primärproduzenten und Schlachtunternehmen auf internationalen Märkten wider,
andererseits nimmt damit jedoch die Abhängigkeit von der Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes für
Schweinefleisch zu. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie es zu dieser
dynamischen Entwicklung gekommen ist und welche Chancen und Risiken bei einem gesättigten
Inlandsmarkt mit einer wachsenden Exportorientierung verbunden sein könnten.

Entwicklung der deutschen Schweineproduktion und des Außenhandels mit Schweinefleisch


In Deutschland rangierte 2010 die Schweineproduktion mit einem Produktionswert von 5,2
Milliarden € an zweiter Stelle, unmittelbar nach der Milcherzeugung. Sie hatte einen Anteil von 26,3
% an der tierischen Produktion und von 12,5 % an der gesamten agrarischen Erzeugung.

Tabelle 1: Die Entwicklung der deutschen Fleischproduktion zwischen 2005 und 2010; Angaben in
1.000 t Schlachtgewicht (1)
Jahr Schweine- Geflügel- Rind- Fleisch Anteil (%)
fleisch fleisch fleisch gesamt Schweine-
fleisch
2005 4.213 1.197 1.216 7.107 59,3
2006 4.292 1.185 1.235 7.187 59,7
2007 4.524 1.273 1.208 7.495 60,3
2008 4.606 1.391 1.212 7.776 59,2
2009 4.745 1.460 1.202 7.986 59,4
2010 4.898 1.588 1.218 8.296 59,0
Veränderung (%) + 16,3 + 32,7 + 0,2 + 16,7 -

Zwischen 2005 und 2010 ist die deutsche Erzeugung von Schweinefleisch von 4,2 Millionen
Tonnen auf nahezu 4,9 Millionen Tonnen oder anders ausgedrückt um 16,3 % gestiegen (Tabelle 1).
Der Anteil des Schweinefleisches an der gesamten deutschen Fleischerzeugung betrug im
betrachteten Zeitraum immer etwa 60 %. Innerhalb der EU rangierte Deutschland bezüglich der
Schweinefleischproduktion mit einem Anteil von 24,1 % auf dem ersten Rangplatz.
Zwischen 2005 und 2010 ist der Handelsüberschuss beim Schweinefleisch von nur 41.000
Tonnen auf nahezu 1,4 Millionen Tonnen gestiegen (1). Voraussetzungen hierfür waren eine nahezu

186 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
flächendeckende Einführung des QS-Systems (Qualität und Sicherheit), Veterinärabkommen der
Bundesregierung mit wichtigen Aufnahmeländern und leistungsfähige Schlacht- und
Verarbeitungsbetriebe, die sich an der Nachfrage auf den internationalen Märkten ausrichteten.

Tabelle 2: Entwicklung der deutschen Schweinfleischexporte zwischen 2005 und 2009; Angaben in
1.000 t Produktgewicht (1)
Jahr EU (25/27) Drittländer Gesamt*
Export Anteil (%) Export Anteil (%)
2005 1.173,9 79,8 296,8 20,2 1.470,6
2006 1.317.9 76,9 335,6 23,1 1.605,0
2007 1.556,9 83,0 318,8 17,0 1.875,7
2008 1.761,8 77,2 519,7 22,8 2.281,4
2009 1.875,4 76,8 552,0 23,2 2.427,4
2010* 1.810,5 73,6 650,8 26,4 2.461,3
Veränderung + 54,2 - + 119,3 - + 67,4
(%)

Die Ausfuhren in Drittländer nahmen deutlich schneller zu als die in Mitgliedsländer der EU
(Tabelle 2). Der Anteil der Drittländer an den Gesamtexporten erreichte 2010 einen Wert von 26,4 %.
Russland und Hongkong (als Transferstation nach China) waren dort die wichtigsten Märkte.

Pro-Kopf-Verbrauch und Selbstversorgungsgrad

Tabelle 3: Die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauches und des menschlichen Verzehrs von
Schweinefleisch sowie des Selbstversorgungsgrades in Deutschland zwischen 2000 und
2010, Angaben in kg (1,5)
Jahr Pro-Kopf- Menschlicher Verzehr Selbstversorgungsgrad
Verbrauch (%)
2000 54,2 39,1 87,1
2002 54,0 39,0 89,7
2004 54,1 39,0 91,7
2006 54,5 39,3 96,4
2008 54,4 39,2 103,3
2010 54,5 39,2 110,5

Eine Analyse der Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauches von Schweinefleisch zeigt, dass ganz
offensichtlich keine weitere Steigerung mehr erfolgt ist. Er bewegt sich seit dem Jahr 2000 um etwa
54 kg, der menschliche Verzehr um 39 kg (Tabelle 3).
Der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch erhöhte sich zwischen 2000 und 2010 von
87,1 % auf 110,5 %, eine Konsequenz des stagnierenden Verbrauchs und der schnell steigenden
Erzeugung.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 187


Schwein
Dynamik der Schweinehaltung und Schweinfleischproduktion
Im folgenden Abschnitt sollen die strukturelle und regionale Entwicklung der deutschen
Schweinehaltung und Schweinefleischproduktion im laufenden Jahrzehnt einer kurzen Analyse
unterzogen werden, weil sie erst die Dynamik der zurückliegenden Jahre, insbesondere im
Außenhandel, erklären.

Tabelle 4: Strukturelle Veränderungen in der deutschen Schweinehaltung zwischen 2000 und 2009
(Stand jeweils November)
2000 2005 2009 Veränderung (%)
Schweinehalter (1.000) 125,9 89,5 62,8 - 51,1
Zuchtsauen (1.000)
(> 50 kg) 2.525,8 2.503,6 2.235,6 - 11,5
Mastschweine (1.000)
(> 50 kg) 10.145,6 10.825,7 11.353,4 + 11,9
Schweine
gesamt (1.000) 25.766,8 26.989,1 26.841,0 + 4,2
Durchschnittliche
Bestandsgröße 205 302 427 + 108,3
(Quelle: AMI 2000)

Aus den Daten in Tabelle 4 kann man die gegenläufige Entwicklung in der deutschen
Zuchtsauen- und Mastschweinehaltung entnehmen. Im laufenden Jahrzehnt hat sich die Zahl der
schweinehaltenden Betriebe etwa halbiert. In der Zuchtsauenhaltung nahmen die Bestände um
11,5 % ab, während die Mastschweinebestände um 11,9 % anstiegen. Ohne hier auf Einzelheiten
eingehen zu können, kann festgehalten werden, dass nur noch die oberen Größenklassen (ab 200
Zuchtsauen und 1.000 Mastschweine) Anteile an den Gesamtbeständen gewinnen. Dieser Trend
wird sich auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen, denn in den Zentren der
Schweinehaltung liegt die Bestandsgröße bei Bauanträgen gegenwärtig bei etwa 800 bis 1.200
Zuchtsauen und 3.000 bis 4.000 Mastschweinen. Betriebe dieser Größenordnung sind in der Lage,
sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.
Innerhalb Deutschlands waren beträchtliche Unterschiede in den durchschnittlichen
Bestandsgrößen vorhanden. Es ist bemerkenswert, dass die pro Betrieb gehaltene Zahl an
Schweinen in Sachsen-Anhalt (1.666) und Mecklenburg-Vorpommern (1.581) sechs Mal so groß war
wie in Baden-Württemberg (245). Aber auch in Niedersachsen, dem Zentrum der deutschen
Schweinehaltung, waren die Durchschnittsbestände (767) nur etwa halb so groß wie in den beiden
führenden ostdeutschen Bundesländern.
Ebenso wie in der Primärproduktion liegt auch in der Schlachtung und Verarbeitung eine hohe
sektorale und regionale Konzentration vor. Über die Hälfte der 56,2 Millionen Schlachtungen des
Jahres 2009 entfielen auf die drei führenden Unternehmen, wobei das Unternehmen Tönnies mit
13,2 Millionen geschlachteten Schweinen eine deutliche Führungsposition einnahm.

Umfangreiche Lebendtierimporte
Die schnelle Steigerung der deutschen Schweinefleischerzeugung war nur möglich durch die
umfangreiche Einfuhr von Schlachtschweinen und Ferkeln. Die Zahl der importierten
Schlachtschweine ist von 1,5 Millionen im Jahr 2000 auf nahezu 5,1 Millionen im Jahr 2009

188 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
angestiegen. Davon entfielen 3,7 Millionen auf die Niederlande und 1,1 Millionen auf Dänemark.
Nach Angaben der AMI erhöhte sich die Einfuhr von Zucht- und Nutzschweinen zwischen 2000 und
2009 von 2,7 Millionen auf 8,1 Millionen (1). Davon kamen 5,0 Millionen aus Dänemark, was gut
60 % der dänischen Ferkelausfuhren entsprach, und 3,1 Millionen aus den Niederlanden. Vorläufige
Daten für das Jahr 2010 weisen eine leicht rückläufige Tendenz bei den Ferkeleinfuhren aus
Dänemark auf. Die Entwicklung in den beiden Hauptlieferländern wird genau zu beobachten sein,
weil vor allem in den Niederlanden von einem merklichen Rückgang in der Sauenhaltung im Gefolge
der Umstellung auf die Gruppenhaltung im Jahr 2013 ausgegangen wird.

Fazit
Die vorangehende Analyse hat deutlich gemacht, dass die deutsche Erzeugung und Ausfuhr von
Schweinefleisch seit Beginn des Jahrzehnts durch eine außergewöhnliche Dynamik gekennzeichnet
sind. Durch eine kontinuierliche Erhöhung der inländischen Produktion und die Einfuhr von
Schlachtschweinen konnten die Schlachtzahlen beträchtlich erhöht werden, sodass ab 2005 die
Schweinefleischexporte die Importe übertrafen. Im Jahr 2010 lag der Exportüberschuss bei 1,4
Millionen Tonnen. Deutschland ist in immer stärkerem Maße in den Weltmarkt für Schweinefleisch
eingebunden. Einerseits ist dieser ökonomische Erfolg bemerkenswert, zum anderen sind mit der
schnellen Steigerung von Produktion und Export jedoch auch Risiken und Probleme verbunden, die
nicht unterschätzt werden dürfen. In den Zentren der Veredelungswirtschaft im Nordwesten
Niedersachsens werden die Raumnutzungskonflikte immer deutlicher. Hier wird es auch in den
nächsten Jahren noch zu einer Erhöhung der Schweinebestände kommen. Dabei liegen die
beantragten Größenordnungen der neuen Anlagen weit über dem Bundesmittel und erreichen
Größenordnungen wie in den führenden Betrieben in Dänemark und den Niederlanden. Da jedoch
die Intensivgebiete der Schweinehaltung nahezu deckungsgleich sind mit denen in der Geflügelmast
und Legehennenhaltung, nimmt der Widerstand gegen die Errichtung neuer Stallanlagen zu. Sowohl
die landwirtschaftlichen Primärproduzenten als auch die Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe
werden gezwungen sein, auf diese Situation zu reagieren. Dabei wird es auch darauf ankommen, die
Produktionsstätten für Interessierte zu öffnen und den Konsumenten zu verdeutlichen, dass eine
Versorgung der Bevölkerung in den städtischen Agglomerationen nur durch kleine landwirtschaftliche
Betriebe, wie es offensichtlich einigen Opponenten vorschwebt, nicht möglich sein wird.

Literaturverzeichnis
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S. 80 u. S. 142-144.
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Hans-Wilhelm Windhorst, ISPA, Universität Vechta, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 189


Schwein

Tierseuchen und Zoonosen – Was gibt es Neues 2012?


Uwe Truyen
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Tierseuchenbekämpfung und des Verbraucherschutzes
basiert im Wesentlichen auf zweierlei Grundlage:
Zum einen ist hier die Bekämpfung der Zoonosen zu nennen, die basierend auf den EU-VO
2160/2003 zur Bekämpfung von Salmonellen und bestimmten anderen durch Lebensmittel
übertragbaren Zoonosenerregern vom 17. November 2003 und der Richtlinie EG 2003/99/EG zur
Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern und zur Änderung der Entscheidung
90/424/EWG des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 92/117/EWG des Rates vom 17.
November 2003 auf die Erregerminimierung der Primärproduktion ausgerichtet ist.
Diese Aufgabe ist mit der stichprobenartigen Untersuchung der Zuchtschweine 2008 und der
Mastschweine 2007 abgeschlossen worden. Eine Weiterführung dieser Untersuchung ist nicht
angedacht, auf nationaler Ebene ist hier lediglich die Schweinesalmonellen-Verordnung zu nennen,
die ebenfalls ohne Modifikation weitergeführt wird.

Zum anderen ist die ganze Breite der Tierseuchengesetzgebung zu nennen. Hier gibt es
allgemeine Vorgaben, die die Haltung der Schweine aus seuchenhygienischer Sicht regeln, sowie
die Verordnungen über meldepflichtige Tierkrankheiten und anzeigepflichtige Tierseuchen. Daneben
gibt es einzelne spezifische Schutzverordnungen, die bei Ausbruch einer Schweineseuche greifen.
Auch auf diesen Gebieten ist keine Veränderung in Sicht oder in Planung.

Inwieweit die zurzeit in der Öffentlichkeit sehr intensiv geführte Diskussion zur Korrektur der EU-
weiten Nicht-Impfungspolitik bei hochkontagiösen Tierseuchen tatsächlich zu einer Lockerung der
gegenwärtig stringenten Keulungsmaßnahmen bei der Schweinepest führen wird, ist nicht
abzusehen. Dennoch ist zu hoffen, dass Wege gefunden werden, auch Hausschweine wieder durch
eine Impfung gegen die Schweinepest zu schützen. Dies sollte in den gut kontrollierten
Schweinebeständen ebenso erfolgreich und sicher sein, wie die Auslage von Schweinepest-
Lebendimpfstoff in unseren Wäldern bei der Wildschweinepest.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Uwe Truyen, Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Zentrum für
Veterinary Public Health, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig,
[email protected]

190 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Antibiotikaresistenz? Verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika in


Deutschland und Europa
Manfred Kietzmann
Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

In der Öffentlichkeit wird der Einsatz antibakteriell wirksamer Stoffe bei Tieren und besonders bei
Nutztieren kritisch diskutiert. Selbst Forderungen, auf Antibiotika bei Tieren gänzlich zu verzichten,
sind zu hören. Häufigstes Argument ist die Problematik der Resistenzentwicklung bei Mensch und
Tier. Es muss für alle Beteiligten vorrangiges Ziel aller Maßnahmen sein, das Risiko der Zunahme
bakterieller Resistenzen sowie auch des Auftretens von Rückständen und einer unverhältnismäßigen
Umweltbelastung zu minimieren. Mit der Umsetzung der in den Antibiotika-Leitlinien
zusammengefassten Regeln der Antibiotika-Anwendung trägt die Tierärzteschaft dazu bei, dieses
Ziel zu erreichen.
In Europa trafen einzelne Länder mit der Etablierung von Monitoringsystemen Maßnahmen, die
bakterielle Resistenzsituation und ihre Entwicklung zu erfassen. In Deutschland wurden und werden
mit DART (Deutsche Antibiotikaresistenz-Strategie), die die Human- und Tiermedizin einbezieht,
verschiedene Maßnahmen initiiert – so eine Abgabemengen- und Verbrauchsmengenerfassung für
Antibiotika, eine Ausdehnung des Resistenzmonitorings, eine Standardisierung der
Resistenzbestimmung, eine Wirksamkeitsüberwachung von Antibiotika und eine Unterstützung
entsprechender Forschungsprojekte. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das
Monitoring-Programm GermVet, in dem die Resistenzsituation von veterinärpathogenen Erregern in
Zusammenarbeit der Zulassungsbehörde BVL und der Veterinärindustrie erfasst wird. In VetCAb
sollen wiederum Antibiotikaverbrauchsmengen erfasst werden. Hier ist eine Machbarkeitsstudie
durchgeführt worden; die Erfassungs- und Auswertemethodik erlauben es, den Antibiotikaverbrauch
bezogen auf Tagesdosen pro Tier vergleichbar anzugeben.
Alle Maßnahmen haben das Ziel, mit geeigneten Verfahren des Risikos der Zunahme bakterieller
Resistenzen zu minimieren. Sie können jedoch nur bei zielgerichtetem Zusammenwirken von
Human- und Tiermedizin erfolgreich sein.
Für die Tiermedizin gilt uneingeschränkt, dass der gezielte und bestimmungsgemäße Einsatz
von Antibiotika bei Tieren einen wesentlichen Stützpfeiler der Sicherung der Gesundheit von Tier
und(!) Mensch darstellt. Die Tierärzteschaft ist gehalten, den eigenen Umgang mit Antibiotika in den
Tierbeständen immer wieder kritisch zu hinterfragen und auf das unumgängliche Maß zu
beschränken. Zur Verminderung der eingesetzten Antibiotikamengen und damit zu einer
Reduzierung der Resistenzentwicklung, der Rückstandsbildung und der Umweltbelastung tragen
unter Beachtung der „Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen
Tierarzneimitteln“ eine Optimierung der Haltungsbedingungen, eine gezielte Ausgestaltung der
Therapieplans auf der Basis angemessener diagnostischer Verfahren und auch die Verwendung von
Stoffen oder Formulierungen mit günstigen Wirkstoffeigenschaften (z.B. Bioverfügbarkeit) bei (1).
Die nunmehr in ihrer zweiten Auflage vorliegenden „Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit
antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln“ (Antibiotika-Leitlinien) fassen hierzu die Grundprinzipien
des therapeutischen und metaphylaktischen Vorgehens zusammen. Dabei haben diese Leitlinien
weder direkt noch indirekt den Charakter einer Rechtsvorschrift; sie definieren jedoch die bei der
Anwendung von Antibiotika optimale Vorgehensweise, von der allerdings in begründeten Fällen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 191


Schwein
abgewichen werden kann. Für die praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten sind sie damit eine
zusammenfassende Empfehlung für den verantwortungsbewussten Gebrauch antibakterieller
Wirkstoffe bei Tieren. Für Überwachungsbehörden bedeuten sie eine wichtige Informationsquelle bei
der Beurteilung von Fragen des Arzneimitteleinsatzes auf der Basis der veterinärmedizinischen
Wissenschaft.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der gemäß den Antibiotika-Leitlinien erfolgende Einsatz
von Antibiotika in der Tiermedizin mit dazu beiträgt, dass Antibiotika für Mensch und Tier als
wirksame und sichere Arzneimittel erhalten bleiben. Damit belegen die Leitlinien nicht zuletzt auch
die klare Zielsetzung der Tierärzteschaft, ihren Beitrag zur Minimierung des Risikos, welches eine
Zunahme bakterieller Resistenzen gegen eingesetzte, antibakteriell wirksame Stoffe für Mensch und
Tier bedeutet, zu leisten.

Literaturverzeichnis
1. Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln. 2. Ausgabe;
Herausgeber: Bundestierärztekammer und Arbeitsgruppe Tierarzneimittel der Länderarbeitsgemeinschaft
Verbraucherschutz; 2010.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Kietzmann, Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung
Tierärztliche Hochschule Hannover, [email protected]

192 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Managing the highly prolific sow – Is >30 PSY reasonable?


Olli Peltoniemi, Claudio Oliviero
Dept Production Animal Medicine, Faculty of Veterinary Medicine, University of Helsinki (Finnland)

Introduction
The highly prolific sow, defined as one giving birth to 16 or more liveborn piglets, presents a
challenge to reproductive management of a sow herd (2). From the point of view of reproductive
management of the sow, feeding plays a key role. Therefore, recent findings related to feeding and
how it affects farrowing, lactation and oestrus management are given the highest priority in the
present paper. We report on recent findings related to feeding sows a high fiber diet during the period
preceding parturition and its beneficial effect on gut function and duration of farrowing (10). In
addition to feeding, arrangement of the farrowing pen (crate vs. pen; barren vs. enriched) appears as
a critical factor determining the course of parturition. Our latest findings suggest that prohibiting the
sow to exhibit nest building behaviour (1) prolongs parturition by an average of 90 minutes (8,11).
In addition, feeding sows with a high fiber diet during pregnancy; apart from being a beneficial
feeding strategy from the welfare point of view, it appears to increase the ad libitum feed intake
during lactation. This effect seems to be carried over to the average daily gain of piglets, especially
during the neonatal period (12,15). The amount of feed eaten by sows during lactation, on the other
hand, appears as a key in enhancing gonadotrophin secretion and follicle development throughout
lactation, however these effects of feeding become more evident towards the end of lactation (5).
Follicles growth after weaning, as triggered by gonadotrophins FSH and LH, occurs the faster the
better the stimulation by gonadotrophins has been prior to weaning (4). We argue that targeting at
more than 30 piglets / sow may not be a sustainable goal in most piggeries.

Successful farrowing
Successful farrowing can be defined as [1] sows given a chance to exhibit species specific nest
building behaviour, [2] duration of farrowing not exceeding five hours, [3] all piglets in the litter born
alive and [4] the first sucklings resulting in all newborn piglets receiving colostrum.
As fetuses grow fast at the end of pregnancy, there is a need to increase the energy intake by the
sow. A common feeding strategy has been to put sows on lactation diet during the period before
farrowing, to anticipate the great energy requirements during lactation. While being understandable
as a strategy from the energy intake point of view during lactation, this strategy by large ignores the
intestinal function and dietary metabolism during and shortly after farrowing.
In one of our studies we investigated the energy balance related parameters of the sow around
farrowing (10). The parameters indicating catabolism (NEFA and creatinine) increased significantly a
few days before farrowing, showing a positive peak almost on the day of parturition, this is,
concerning NEFA, in agreement with the results of Le Cozler et al. (6). On the other hand the
metabolic markers of dietary energy (urea, insulin and glucose) decreased significantly with the
approach of farrowing, yielding a negative peak on the day of parturition. This may be the result of an
internal regulation of the metabolism as the sow approaches farrowing. At this time, metabolism of
the external source of energy decreases and the main source of energy becomes the internal body
reserves (fat and muscles), as the peaks of NEFA and creatinine demonstrate. In this sensitive
phase, diet and intestinal activity seems of secondary importance. The parturition process clearly

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 193


Schwein
takes priority over digestive and intestinal activity, but the demand for energy remains high or even
higher, and is supplied mobilising internal reserves. Therefore, around farrowing it appears important,
to promote good intestinal activity with an adequate amount of fibre rather than just increase dietary
energy intake.
We observed that after having been on a traditional lactation diet with 3.8 % of crude fiber prior to
farrowing, sows showed an increased constipation incidence of up to 22 % for several days after
farrowing (Fig. 1) (10). Gut function slows down during parturition anyway and overgrowth of bacteria
in a gut filled with an energy-rich diet may lead into activation of the GALT (gut associated lymphoid
tissue) system (10,15). The activation of the GALT system would stimulate PGE2 release, which may
further suppress intestinal function until a leak of endotoxins through the gut wall occurs, bringing
about a systemic response and clinical symptoms found in post partum dysgalactia syndrome, PPDS
(16). Therefore, avoiding constipation by any means should be of interest to managers of any well
functioning piglet producing unit.

Fig. 1: Incidence of different grades


of constipation in the 3.8 % FIBRE
group (n = 40) and in the 7 % FIBRE
group (n = 41), during the
observational period (from 5 days
before to 5 days after farrowing).
Consecutive days of constipation
are recorded, and for constipation is
meant absence produced of feces.
Asterisks represent significant
differences between the two groups
with
P < 0.05.

While feeding sows laxatives like Glauber salt, cooked linseed mixture and commercial laxatives
are among traditional measures to avoid constipation, our experiences support adding more fiber into
sow diets before farrowing (10). A 7–11 % crude fiber content prior to farrowing appears as a
reasonable measure to prevent constipation and an important part of management of successful
farrowing (10, 12-13, 15). The first beneficial function of a high fiber diet is the improved intestinal
activity (10). However, other beneficial effects relating to the use of high fiber diets have also been
reported. These include improved intestinal immunity due to an increased mucin production as well
as improved energy utilization of the feed consumed.
Water intake of the sow before farrowing is an important parameter to monitor, since it is
elementary to milk production. On average, sows drink 10–30 liters of water around farrowing (10).
However, variation between individual sows was considerably large and sows on the high fiber diet
drank significantly more than did sows on the traditional diet (10). This was attributed to either
stimulating effect of fiber on water intake as such or the increased volume related to the higher fiber
diet possibly explaining the difference compared to the traditional pre-farrowing diet (10). Whatever
the cause, these findings encourage the use of diets containing more fiber prior to farrowing. The

194 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
usual flow recommendation of drinking water from nipples is 3–4 liters / minute and this is one of the
easiest parameters to me measured on a health check call in a farrowing unit.
Data from our group show that sows not given a chance to express nest building behaviour have
higher circulating cortisol concentrations before farrowing and lower oxytocin concentrations during
the expulsion phase of farrowing (Fig. 2) (8). From the practical viewpoint, however, maybe the most
important observation was the one related to the duration of farrowing. If not given a chance to build
up a nest in a crate – free pen, it took an average of 1.5 hours longer from our experinmental sows to
deliver the litter (Fig. 2) (8,10). Furthermore, the average interval between piglets was considerably
longer in crated sows with no nest building material (25 minutes CRATE vs. 16 minutes in PEN) (8).
Another explanation could be hormonal impairment due to the higher level of fat circulating in
overfed sows. A higher level of fat can affect lipid-soluble steroids, and especially the progesterone :
oestrogen ratio, which is known to affect oxytocin receptor activation (7,17). Abnormalities due to
oxytocin receptor activation may weaken the expulsive phase of parturition. A decline in
progesterone and a concomitant increase in the oestrogen profile should occur 36–24 hours prior to
parturition (3). We observed a delayed decline in progesterone beyond the first day after parturition in
a number of our trial sows (8), a delay that may be linked to obesity and the prolongation of
parturition. If so, progesterone bound to fat may be too stable to promptly react to CL regression.
We have recorded duration of farrowing in several studies by now (8,11). From these studies it is
apparent that a farrowing lasting longer than five hours is deemed unsuccessful and easily leads to
complications for both the dam and the newborn. Therefore, we suggest that with the modern sow
lines, a five hours threshold may be applied when making a difference between successful and
unsuccessful farrowing. Several factors, as constipation, body condition of the sow, parity, breed,
and number of stillborn piglets affect the duration of farrowing (11). Constipation, as discussed
above, may be alleviated by increasing fiber content of the diet. Backfat thickness of higher than 17
mm, however, also appeared as a risk factor for prolonged farrowing in the genetically lean Finnish
sow population (10).

Fig. 2: Average duration of farrowing


and average Oxytocin post-expulsion
pulses in the PEN (n = 9) and
CRATE (n = 9) groups of sows (mean
± SD). Data from Oliviero et al. (7).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 195


Schwein
The number of piglets stillborn prolonged the duration of farrowing (11). It is known from previous
studies that fetuses are usually alive shortly before farrowing. The great majority (>80 %) of piglets
that are deemed to born still, die during the course of parturition. It is therefore reasonable to assume
that dystocia, whether due to the dam or the fetus, is the major cause for piglets born still. According
to Jackson(4) inertia uteri (37 %) used to be considered as the most common cause for dystocia in
the sow, followed by the breech presentation (14.5 %), obstruction of the birth canal (13 %),
simultaneous presentation (10 %), downward torsion of the uterus (9 %), downward deviation of the
head (4 %) and fetal oversize (3.5 %). However, these robust classifications do not account for the
more precise causes for intrapartum deaths of piglets, such as strangulation or early rupture of the
umbilical cord or considerations relating to uterine contractions.
We found (11) that also the level of back fat affected the duration of farrowing even though the
sows used in this study were not particularly fat. Sows with a back fat average higher than 17 mm
had an average duration of farrowing of 385 ± 197 min (n = 48), whereas those with a back fat
average of less than 17 mm had an average duration of farrowing of 230 ± 103 min (n = 124; p <
0.001). One explanation could be a progesterone impairment due to the higher level of fat circulating
in those sows as described in the paragraph above. Another hypothesis could be that fat sows have
more adipose layers around the birth canal (3), thereby reducing the diameter of the birth canal,
which can create a physical obstacle to birth during the expulsive phase with delayed farrowing.
It is very well known that piglets need their passive immunity acquired through colostrum,
otherwise they will not be able to cope with the environmental infective pressure. As every piglet is in
need of colostrum and one that is missing out is clearly the one at risk of loosing life already in the
early days. Colostrum transmission through the gut wall of the piglet can only occur during the first
day of life and the amount of colostrum is not increasing according to the number of piglets born.
Therefore, in a large litter, supervision is required, not only during the process of parturition, but also
attending that even the last piglets born will receive adequate amount of colostrum. We found that,
after stillborn, the most common primary cause of perinatal mortality is starvation. Piglet which are
unable to adequately feed themselves within the first days of life have less chance to survive and
more chances to get crushed by the sow because of their state of lethargy which reduce their ability
to move and react fast.

Lactation performance of the sow and piglets


To care for a large litter, adequate feed intake of the sow is of great significance. A drop in feed
intake around farrowing can be considered as physiological. Stepwise rise in feed intake by 0.5 kg of
feed / day until day 10 or so will be enough to reach the target daily intake of about 8 kg, equal to
about 100 MJ ME for a sow nursing twelve piglets (13). A too steep rise in feed intake after farrowing
will jeopardize the success of the whole lactation, since there will be a decline in intake, followed by
fluctuation of it for most of the duration of lactation.
A balanced nutritional program designed to avoid excessive weight loss during lactation is of
great importance for successful lactation. It has been shown that by feeding the sow with higher
amounts of fiber during pregnancy, the intake of feed during subsequent lactation can be increased
with a corresponding increase in performance of piglets (15). It has also been shown that increasing
fiber intake through the reproductive life of the sow appears as a feasible approach, contributing to
improved welfare of the sow as well as good reproductive performance of the sow and improved
growth performance of piglets (10).

196 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Piglet mortality and mean birth weight appear to be closely associated with litter size. When litter
size increased from 10–15, the number of stillborn piglets went up from 0.3–1.0 and the proportion of
piglets weighing less than 1 kg went up from 3–15 %, respectively (2). In large litters, supervision of
farrowing is therefore necessary. The first issue there is an accurate prediction of farrowing. We have
developed techniques, whereby prediction of farrowing becomes possible and feasible. Movement
sensors monitoring impending farrowing can be used to predict the expulsion phase of farrowing 24
hours prior to the first birth of the first piglet (9). Other modern technology, such as the use of
thermocameras may be applied to detect hypothermic newborn piglets that require immediate
attention by the caretakers.
We argue that the present development regarding piglets born in the pig industry is not on a
sustainable basis. Instead of the number of piglets born alive, more research effort should be aimed
at increasing the birth weight of piglets born and decreasing the still birth rate. Moreover, more
attention should be paid to the quality of newborn piglets, the quality of piglets weaned and the
quality of fattening pigs. The quality of piglets and fattening pigs in the pig production may be
achieved by long term studies, starting during the fetal period, focusing on early development of the
piglet and finally exploring the fattening phase of the pig.

Improving follicle development


The intake of feed by sows during lactation appears as a key in enhancing gonadotrophin
secretion and follicle development throughout lactation, however these effects of feeding become
more evident towards the end of lactation (5). Follicle growth after weaning, as triggered by
gondatrophins FSH and LH, then occurs the faster the better the stimulation by gonadotrophins has
been prior to weaning (5). Decreasing lactation length is a commonly taken strategy in Europe to
hasten the reproductive cycle of the high producing sow and avoid excessive weight loss. However,
the sustainability and ethical grounds for these strategies need thorough attention in the near future.
Follicle development can also be monitored with regard to possible not-expected physiological or
pathological findings at the ovary. After weaning, detection of corpora lutea may indicate lactational
oestrus, while cystic follicles, for instance, are among classical examples of application of ultrasound
technology in sow herds.

Conclusions
Successful farrowing includes components of maternal behavior, duration of farrowing, piglet
mortality and colostrum intake. Feeding is considered as the major factor in the reproductive
management of the hyperprolific sow. New insights such as adding more fiber to sow diets during
pregnancy and especially in the period prior to farrowing prevent constipation, increase water intake
of the sow around parturition and increase milk intake and performance of piglets. The use of modern
technology in supervision of farrowing may improve losses related to large litters. In breeding
programs, new components of maternal characteristics such as maternal behavior, ease of
parturition, colostrum production, and piglet quality parameters may be taken to further improve the
success rate of reproductive management.

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LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 197


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Contact address
Professor Olli Peltoniemi, University of Helsinki, [email protected]

198 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Jungsauenmanagement – Worauf zu achten ist!


Johannes Kauffold
Ambulatorische und Geburtshilfliche Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

In der Ferkelerzeugung werden jährlich zwischen 30 und 50 % der Altsauen durch Jungsauen
ersetzt. Von diesen Jungsauen wird erwartet, dass sie in kürzester Zeit zu „Hochform auflaufen“, d.h.
viele Ferkel in möglichst jungem Alter gebären, diese dann aufziehen und sich dabei nicht derart
verausgaben, dass danach „nichts mehr geht“. Jungsauen sind somit ein kostbares Gut. Sie sind die
Leistungsträger von morgen. Das gibt es jedoch nicht umsonst. Es muss einiges getan werden,
damit die Jungsauen sich in der jeweiligen Umgebung gut entwickeln können. Zudem ist, wie auch
bei anderen Spezies, die Phase in utero als Embryo respektive Fetus nicht unwesentlich für
Gesundheit und Leistungsfähigkeit der aufwachsenden und später adulten Jungsau. Natürlich ist das
Leistungspotenzial der Jungsau genetisch determiniert. Das allein reicht jedoch nicht. Viele andere
Aspekte sind von Bedeutung (Tabelle 1).

Tabelle 1: Ausgewählte Faktoren mit Einfluss auf das Wohlbefinden und/oder die Leistungsfähigkeit
von Jungsauen
Faktor Erklärung bzw. Unterfaktor
Genetische Einflüsse Rasse
In utero: Fetale Programmierung
Körperkondition Körpergewicht
Rückenfettdicke
Lebendmassezunahme
Saisonalität
Umgebung inklusive Klima & Haltung Ventilation
Umgebungstemperatur
Lichtintensität
Belegdichte/ Platzangebot
Tierbewegung (d.h. „von A nach B“)
Umgang mit Tieren
Futter/Fütterung Kolostrumaufnahme
Futtermenge & -komposition
Wassermenge
Futterkontaminanten (u.a. Mykotoxine wie
Zearalenon)
Tiergesundheit Saugferkelerkrankungen
Erkrankungen in der Jungsauenaufzucht
Quarantäne/Integration in die Herde
(Vakzination?)
Eberkontakt In welchem Alter begonnen? Wie oft? Auf
welche Art? Welcher Eber?

Nicht immer wird diesen die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dann können sowohl
Wohlbefinden und/oder Leistungsfähigkeit der Tiere beeinträchtigt sein. Auf einige dieser Aspekte

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 199


Schwein
soll im Folgenden eingegangen werden. Es sei an dieser Stelle auch auf eine unlängst erschienene
Broschüre namhafter Autoren zum Jungsauenmanagement verwiesen (2).

Was bei der Auswahl der Remonten zu beachten ist.


Der Selektionsprozess beginnt schon mit der Geburt. Sollten Geburtsreihenfolge,
Geschlechterverhältnis und Geburtsgewicht bei der Wahl zukünftiger Remonten berücksichtigt
werden? Berechtigte aber bisher überwiegend unbeantwortete Fragen! Drickamer et al. empfehlen,
keine Ferkel zur Zucht zu nutzen, die aus Würfen mit mehr als zwölf Ferkeln stammen, wenn 67 %
davon männlichen Geschlechts sind (5). Grund ist, dass sie häufiger als Remonten aus Würfen mit
weniger männlichen Tieren umrauschen. Wir selbst starteten 2009 eine größere Studie, um oben
genannte Fragen zu adressieren (Kauffold, Donovan & Wade, unveröffentlicht). Zum jetzigen
Zeitpunkt liegen leider noch nicht alle Daten vor. Dennoch kann bereits gesagt werden: Das
Geburtsgewicht ist entscheidend für die weitere körperliche Entwicklung. Selbst unter optimalen
Aufzuchtsbedingungen bleiben Ferkel mit geringerem Geburtsgewicht im Vergleich zu schwereren
Wurfgeschwistern zurück. Das muss nicht, ist aber dann nachteilig wenn es gilt, zu einem
bestimmten Zeitpunkt Tiere einheitlichen Gewichts zur Verfügung zu stellen. Ob es ein „minimales“
oder gar „optimales“ Geburtsgewicht für Remonten gibt, das Leistungsfähigkeit und Langlebigkeit
garantiert, bleibt zu eruieren.
Der bei Geburt begonnene Selektionsprozess ist kontinuierlich fortzusetzen. Das Körpergewicht
ist dabei immer zu berücksichtigen. Ferkel, die zum Zeitpunkt des Absetzens mit 21 Lebenstagen 4–
4,5 kg wiegen, sind nach Auffassung des Autors zu leicht und als Remonten aus ähnlichen wie den
oben erwähnten Gründen ungeeignet. Die Auffassung, dass Jungsauen nicht aus Jungsauenwürfen
zu rekrutieren sind, hält sich hartnäckig, bleibt jedoch zu überprüfen. Es gibt dafür keinen plausiblen
biologischen Grund bis auf die Tatsache, dass Ferkel von Jungsauen in der Regel kleiner als die von
Altsauen sind und in ihrer körperlichen Entwicklung immer zurück bleiben werden. Insbesondere
Betrieben mit Eigenremontierung wird es schwer fallen, auf die Nutzung des Nachwuchses von
Jungsauen zu verzichten.
Bei der Einstufung mit ca. 180 Tagen ist neben der Konformation und Anzahl der Zitzen (optimal
14 und mehr) auch das Gewicht zu beurteilen. Jungsauen mit wie auch immer gearteten
Beinschäden (steifer Gang, Lahmheit, Klauenschäden etc.) kommen selbstverständlich nicht als
Remonten in Frage. Die Jungsauen sollten so konditioniert sein, dass sie bei Zuchtnutzung mit ca.
240 Tagen ein Gewicht von mindestens 135 kg haben. Brasilianischen Untersuchungen zufolge
können die Tiere auch schwerer sein, sollten 150 kg jedoch nicht überschreiten, da dann vermehrt
Totgeburten auftreten. Die Rückenfettdicke gilt landläufig als guter Indikator der körperlichen
Verfassung, scheint jedoch weniger entscheidend als bisher vermutet und ist maßgeblich von der
Rasse abhängig. Für zahlreiche Rassen gibt es keine bzw. keine zugänglichen Referenzwerte.
Unabhängig von der Rasse wird in der Regel angestrebt, dass Jungsauen eine Rückenfettdicke von
17 mm und mehr zur Belegung haben. Dieses Ziel wird ohne Zweifel nicht immer erreicht. Wichtiger
als Körpergewicht und Rückspeckdicke soll laut Bortolozzo et al. die durchschnittliche tägliche
Gewichtzunahme sein, die mindestens 700 g betragen soll (3).

Wie wichtig ist die Tiergesundheit?


Nur gesunde Tiere sind leistungsfähig. Auf die Gesundheit der Jungsauen ist deshalb in allen
Phasen der Aufzucht zu achten. Das beginnt unmittelbar post natum. Ferkel nehmen mit dem
Kolostrum neben immunologisch wichtigen auch zahlreiche andere inklusive hormonell wirksamer
200 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Schwein
Substanzen auf, die für ihre Entwicklung und spätere Funktionsfähigkeit zahlreicher Organe nicht
unbedeutend sind (siehe Beitrag Wehrend in diesem Heft). Darunter befindet sich Relaxin, das in der
Milch in den ersten zwei Tagen post partum in hohen Konzentrationen vorhanden ist und von den
Ferkeln in den ersten 36 Stunden post natum resorbiert werden kann. Dieses Relaxin ist für die
normale Entwicklung der Uteri notwendig (4). Fehlt Relaxin, z.B. durch Kolostrumentzug und
möglicherweise auch bei Mangel (zum Bespiel bei MMA oder infolge postnataler Diarrhoe), ist eine
Störung der Uterusentwicklung mit späterer eingeschränkter Funktionsfähigkeit nicht
auszuschließen. Gleiches ist dann anzunehmen, wenn der Prozess der Uterusentwicklung in der
frühen infantilen Phase durch sogenannte endokrine Desruptoren gestört wird. Zu solchen
Desruptoren gehören Estrogene bzw. Substanzen mit estrogener Wirkung wie Zearalenon.
Zearalenon kann mit der Milch übertragen werden (7).
Nach dem Absetzen sind es vor allem infektiöse Erkrankungen des Respirations- sowie
Gastrointestinaltraktes, die den Tieren zusetzen und diese in ihrer körperlichen Entwicklung
zurückwerfen. Dann ist mit einem verzögerten Pubertätseintritt zu rechnen (6).
Der Gesundheitsstatus der Jungsauen zum Zeitpunkt des Zukaufs und zur Eingliederung ist
genauso entscheidend für deren Erstlingsleistung wie der Gesundheitsstatus der Herde, in die sie zu
integrieren sind. Das Prinzip ist klar und an sich einfach: Zum Zeitpunkt der Eingliederung sollten
sich die Jungsauen mit all den in der Herde vorherrschenden Pathogenen auseinander gesetzt
haben und eine den Sauen vergleichbare Immunitätslage aufweisen. Bei Eigenremontierung mag
dieses Prinzip leichter durchzusetzen sein als bei Zukauf. Zugekaufte Jungsauen sind häufig
„gesünder“ als Sauen des Bestandes. Sie sind deshalb den im Bestand grassierenden Keimen vor
Einstallung in die Herde gezielt und kontrolliert auszusetzen. Dazu sind sie für mindestens 6 Wochen
zu quarantänisieren. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Quarantäne bestenfalls
ortsgetrennt vom Bestand oder alternativ so lokalisiert sein muss, dass die unkontrollierte Exposition
der Jungsauen auszuschließen ist. Wichtig ist, dass stringente Regeln für Verkehr von Personen und
jedweder Vehikel etabliert und eingehalten werden. Die gezielte Exposition der Jungsauen erfolgt
entweder durch Impfungen oder durch die sogenannte Kontaktsuppe, bei der den Jungsauen
Substrate (Se- und Exkrete, von denen angenommen wird, dass sie die im Bestand vorherrschenden
Keime enthalten) von Sauen des Bestandes angeboten werden. Welche Maßnahme auch immer
Anwendung findet, sie ist so zu terminieren, dass die Jungsauen mit einer belastbaren Immunität die
Quarantäne verlassen. Sollte der Immunstatus der zugekauften Jungsauen unbekannt oder suspekt
sein, ist zu serologischen Untersuchungen zu dessen Abklärung unbedingt zu raten. Leider passiert
es immer wieder, dass zugekaufte Jungsauen zur Aufrechterhaltung von Infektionsgeschehen im
Bestand beitragen. Entweder wurde falsch oder nicht geimpft. Oder aber es war unbekannt, dass die
zugekauften Jungsauen Träger von Erregern waren, für die die Herde entweder naiv oder nur
unzureichend geschützt war. Auch wenn das Pubertätsverhalten der Jungsauen durch derartige
Fehler nicht unbedingt beeinträchtigt sein muss, die Fertilität wird in der Regel kompromittiert sein.

Wie kann der Pubertätseintritt stimuliert werden?


Der Pubertätseintritt ist genetisch determiniert. Herkömmliche Produktionssauen haben das
Potenzial, mit ca. sechs Monaten in die Pubertät zu kommen. Anders chinesische Rassen wie die
Meishan, die bereits mit drei Monaten geschlechtsreif werden können. Um das genetisch
determinierte Potenzial auszuschöpfen, ist der Pubertätseintritt durch geeignete Maßnahmen zu
stimulieren. Dazu stehen zahlreiche zootechnische (solche, die auf den Einsatz von Hormonen
verzichten) und diverse biotechnische Elemente (solche, die auf dem Einsatz von Hormonen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 201


Schwein
basieren) zur Verfügung. Wichtigste unter den zootechnischen Maßnahmen ist der Eberkontakt.
Generell sind dabei nachfolgend genannte Aspekte zu berücksichtigen: 1) Alter bei Beginn des
Eberkontaktes. Die Angaben dazu variieren. Es scheint jedoch die Auffassung zu überwiegen, dass
frühzeitiger Eberkontakt den Pubertätseintritt beschleunigt (d.h. mit 140 bis 160 Lebenstagen). 2)
Häufigkeit des Eberkontakts. Der Autor dieses Beitrags bevorzugt „wohl dosierten“ Eberkontakt, z.B.
zweimal täglich über 30 min, während vor allem in den USA kontinuierlicher Eberkontakt praktiziert
wird. Ununterbrochener Eberkontakt kann zur Gewöhnung der Jungsauen führen; die „Einmaligkeit“
des Ereignisses geht verloren. 3) Art des Eberkontaktes. Unzweifelhaft ist der physische Kontakt der
effektivste (zum Beispiel Eber in die Bucht). Mit intakten Ebern ist Derartiges nicht immer
empfehlenswert bzw. möglich. Sterilisierte „Sucheber“ sind besser. Es stehen einfache Verfahren zur
Sterilisation von Ebern zur Verfügung (u.a. Absetzen des Nebenhodenschwanzes) (1). Alternativ und
weit verbreitet ist der „fense line“ Kontakt, bei dem der Eber im Stallgang ist und durch die
Buchtenabsperrung Kontakt zu den Jungsauen hat. 4) Eber. Es ist empfehlenswert, das
Stimulierungsverhalten der Eber regelmäßig zu kontrollieren. Manche Eber „ermüden“ und lassen in
ihrer Libido nach. Sie sind dann durch neue zu ersetzen. Es hängt sicher vom Eber ab, wann er
ermüdet und auszutauschen ist. Eigene Untersuchungen lassen vermuten, dass Eber mancher
Rassen „bessere“ Stimuliereber sind (da bessere Libido). Das mag dann berücksichtigt werden,
wenn Stimulierprotokolle zu evaluieren bzw. neu zu kreieren sind und ausreichende Flexibilität bei
der Wahl der Genetik der Eber besteht. „Eberkontakt“ lässt sich mit anderen zootechnischen
Maßnahmen, z.B. Buchtenpartnerwechsel zu einem Regime bündeln. Dies erlaubt dann Jungsauen
so zu stimulieren, dass deren Östren synchronisiert werden können. Dabei sind Eberkontakt und
Buchtenpartnerwechsel so zu terminieren, dass diese im Drei-Wochen-Rhythmus stattfinden. In der
Regel wird mit einem Alter von 160 Lebenstagen begonnen und bis zur Belegung mit oben
genanntem Regime fortgefahren. Sollen biotechnische Maßnahmen zur Anwendung kommen, sind
Hormone zu wählen, die das Follikelwachstum stimulieren. Dazu eignen sich Kombinationen aus 500
IE PMSG (eCG) und 250 IE hCG oder eCG als Monopräparate (800 – 1000 IE). Eine geringere
Dosierung (ob als Kombination oder Monopräparat) ist weniger effektiv. GnRH ist ungeeignet. Eine
Zuchtnutzung im induzierten Östrus ist nicht zu empfehlen. Besser ist die Nutzung des zweiten oder
gar dritten Östrus, da dann höhere Reproduktionsleistungen erwartet werden können.

Fazit
Die Jungsauenaufzucht ist eine Herausforderung. Unsere Jungsauen müssen fertil und
konditionell so stabil sein, dass sie hohe Reproduktionsleistungen im ersten und in nachfolgenden
Würfen erzielen. Das ist nur zu erreichen, wenn die Jungsauen optimal aufwachsen und gesund
sind. Der Prozess der Entscheidung, welches Tier als Remonte geeignet ist, beginnt schon mit der
Geburt und setzt sich kontinuierlich bis zur ersten Belegung fort. Das Körpergewicht kann dabei
wertvoller Parameter sein, da es neben seiner Funktion als Indikator für die jeweils vorherrschende
körperliche Verfassung Episoden vorangegangener Erkrankungen oder Fütterungsfehler
widerspiegelt.

Literaturverzeichnis
1. Althouse GC, Evans LE. Removal of the caudae epididymides to create infertile boars for use in estrus
detection programs. J Am Vet Med Assoc. 1997;210:678-80.
2. AVA. Handbuch Jungsauen. Horstmar-Leer. 1. Auflage; 2010.

202 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
3. Bortolozzo FP, Bernardi ML, Kummer R, Wentz I. Growth, body state and breeding performance in gilts
and primiparous sows. Reprod Fertil Suppl. 2009;66: 281-91.
4. Chen JC, Frankshun AL, Wiley AA, Miller DJ, Welch KA, Ho TY, Bartol FF, Bagnell CA. Milk-borne
lactocrine-acting factors affect gene expression patterns in the developing neonatal porcine uterus.
Reproduction. 2011;141:675-83.
5. Drickamer LC, Arthur RD, Rosenthal TL. Conception failure in swine: importance of the sex ratio of a
female's birth litter and tests of other factors. J Anim Sci. 1997;75:2192-6.
6. Hoy St. Zu den Auswirkungen von Atemwegserkrankungen auf die Mast- und Fruchtbarkeitsleistungen der
Schweine. Praktischer Tierarzt. 1994;75:121-7.
7. Kauffold J, Stephan K, Knauf D, Bartol FF, Waehner M. Effects of zearalenone (ZEA) exposure of gilts
during late gestation and lactation on metabolism and carry-over to piglets. 21st IPVS Congress,
Vancouver, Canada: 2010. S. 211.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Johannes Kauffold, Ambulatorische und Geburtshilfliche Tierklinik, Veterinärmedizinische
Fakultät, Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 203


Schwein

Lameness in sows and its implication for reproduction, animal


wellbeing and longevity
John Deen
University of Minnesota (USA)

The problem of lameness in breeding stock is of particular concern in swine welfare. It results in a
combination of pain, often untreated, higher mortality and euthanasia rates, problematic
transportation, lower productivity and a lower lifespan. In addition, if pictures or video of these
compromised animals are viewed by the public it is readily apparent that the welfare of these animals
is compromised and that farmers need to relate a comprehensive approach to this problem.
Unfortunately, swine production lacks these answers.

Though it may seem obvious that lameness should be a major concern, the level of research on
this subject is severely limited. In comparison to the plethora of studies in cattle on hoof lesions, very
little information is available concerning the prevention and treatment of lameness in swine. Hoof
lesions are very common in sows with 80–96 % of sows having at least one lesion (1). According to
Kroneman et al. (2), most of the cases of lameness in group-housed pigs are caused by foot
problems. The amount of hoof lesions are reported to be higher in group housed sows (3), which is a
cause for further concern, given the industry trend to move to group housing systems from gestation
stalls.

Although pain is the major mechanism for the adverse effects of lameness, pain research in
farmed animals is very limited. The absence of a gold standard is the major impediment, and latent
class analysis approaches have been used to assess the errors in diagnostic tools in the absence of
a gold standard. Indicators of lameness associated with pain include injury, reduction in feed intake,
claw lesions, compromised gait, weight-shifting, increased time spent lying and time taken for
postural changes. Identification of pain in lameness must be followed up by palliative measures or a
rapid decision to euthanize or slaughter. Thus the opportunities associated with reducing and
controlling lameness are substantial and the challenges are pressing. We cannot continue tacitly
accepting the levels of losses and associated painful conditions that come with the high levels of
lameness currently experienced in sow herds.

Table 1: Odds ratios and confidence intervals of risk factors associated with sow removals before
next parity
Risk factor Odds ratio Confidence interval
Piglets born alive 0.916** 0.869 – 0.965
Average lactation feed intake 0.827NS 0.670 – 1.022
Non lame vs. lame 0.626* 0.430 – 0.912
Parity 1 &2 vs. >5 0.548** 0.377 – 0.795
Parity 3 to 5 vs. >5 0.558*** 0.407 – 0.765
NS – not significant; *** <0.001; ** <0.01; * <0.05

204 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
The results of a logistic regression analyses we performed indicate the adverse effects of
lameness and other welfare problems during periparturient period on the longevity of sows before the
next parity. The risk of removal from the herd before next parity decreased by 8 % with every
additional piglet born alive (Table 1). Non-lame sows had significantly lower (P<0.05) likelihood of
removal (OR 0.626) from the herd before next farrowing compared lame sows. Sows of parity 1 and
2 had 45 % and sows of parity 3–5 had 44 % lower (P<0.05 for both) likelihood of removal from the
herd before next parity compared to sows of parity > 5. Though not statistically significant, the
likelihood of removal from the herd before next parity decreased with an increase in average lactation
feed intake (p = 0.08).

Lameness or other welfare problems developed during periparturient period can influence the
subsequent performance of the sows. Further, if severe, these conditions can lead to immediate
removal from the herd as well. Lameness is the single most important reason for premature removal
of sows from breeding herds (1). Gilts of parity zero had the lowest mortality risk and as parity
increases, annual mortality risk increases. A recent analysis has indicated that the risk of removal
from the herd before another farrowing is 3 % and 24 % lower respectively for sows of parity 1 and 2,
and 3–5 compared to sows of parity >5. It is likely that the risk of removal increases as the sow ages
especially if the sow develops reproductive or health problems.

Economically, the effects of lameness fall into four main categories:

Decreased salvage value is a recent focus in many markets. We are seeing a general
reluctance by inspection agencies and slaughter plants in accepting lame sows. This can result in a
discount at purchase or a higher rate of refusal of acceptance. We can also see higher mortality rates
in lame sows that reduce the likelihood of receiving anything for them.
Decreased output, in other words, less pigs sold per sow space, is the big cost of lameness.
This is an aspect that is almost universally underestimated. A major source of this effect is, of course,
the lower productivity seen at sows with a prior diagnosis of the lameness. The second is the fact
that when a lame sow is culled, there is often a significant length of time before the replacement gilt
is ready to be bred. This combination appears to be the major concern, and yet one that is
unmeasured on the great majority of farms. In a recent case we saw a decrease of 4.3 pigs per sow
space over a year after a diagnosis of lameness
Decreased value of output is the least accurate of economic estimates and is probably often
underestimated. We have difficulty putting a number on this estimate as there is often cross fostering
occurring in response to the effects of lameness. We have associated lameness with decreases in
feed intake, with increases in preweaning mortality, and with shortened lactation periods. Increased
culling rates also results in more gilt progeny that are often found to be of lower quality.

In summary, the effects of lameness can be large. When faced with these potential effects upon
the herd we have two choices. The first is to reduce the frequency of lameness. The second is to
ameliorate the effects of lameness upon the sow when it is diagnosed. Of course, the former is
always more attractive than the latter, but at this point both should be addressed.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 205


Schwein
References
1. Gjein H, Larssen B. The effect of claw lesions and claw infections on lameness in loose housing of
pregnant sows. Acta Vet Scand. 1995;36:433-42.
2. Kroneman A, Vellenga L, Van der Wilt FJ, Vermeer HM. Field research on veterinary problems in group-
housed sows – a survey of lameness.Vet Quart. 1993;15:26-9.
3. Anil L, Anil SS, Deen J, Baidoo SK, Wheaton JE. Evaluation of well being, productivity, and longevity of
pregnant sows housed in groups in pens with electronic sow feeder or separately in gestation stalls. Am J
Vet Res. 2005;66:1630-8.

Contact address
Prof. Dr. John Deen, University of Minnesota (USA), [email protected]

206 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Lahmheit bei Sauen – sind Klauenerkrankungen auch bei uns ein


Problem?
Christoph K.W. Mülling
Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig

Einführung
Lahmheiten bei Zuchtsauen sind der sichtbare Versuch des Tieres, Schmerzen, die durch
krankhafte Prozesse im Bewegungsapparat einschließlich der Klauen verursacht werden, zu
vermeiden. Schwere Klauenschäden können Schmerzen und Lahmheit verursachen und
beeinträchtigen das Wohlbefinden der Tiere und ihre Produktivität erheblich (1). Die Dimensionen
von Lahmheiten, die durch Klauenschäden verursacht werden oder mit diesen assoziiert sind, sind
erschreckend. 93 % der untersuchten Tiere in einer UK Studie (2) hatten Klauenschäden/-
erkrankungen. Die Hauptursachen für das Ausscheiden von Zuchtsauen in einer anderen Studie
waren im Bewegungsapparat lokalisiert (3). Klauenläsionen waren bei diesen Tieren mit 50–75 %
vertreten, häufig als sekundäre oder assoziierte Schäden.
Unser Wissen über Klauenschäden und damit assoziierte Lahmheiten beim Schwein stammt
überwiegend aus Forschungen an Mastschweinen und hier vorranging aus Untersuchungen an
Schlachthofmaterial, das nur eine Momentaufnahme ohne klinischen Kontext liefert. Informationen
über Klauenerkankungen beim Zuchtschwein sind begrenzt verfügbar und zumeist älteren Datums.
Nach unserem Wissen sind Klauenschäden jedoch auch bei Zuchtsauen häufig. Ältere Studien
beschreiben Klauenschäden sogar als einen Hauptauslösefaktor für Lahmheiten. Nach aktuellen
Untersuchungen ist klar, dass nicht jeder Klauenschaden unmittelbar Lahmheit verursacht. Jeder
Klauenschaden hat aber das Potential dafür, sich im Laufe der Zeit in eine schmerzhafte Erkrankung
zu entwickeln, die dann leistungsdepressiv wirkt und zu Sauenverlusten führen kann (1,4). Unter den
Klauenschäden verursachen vor allem Schäden am Ballen und der Weißen Linie gehäuft
Lahmheiten. Speziell bei Zuchtsauen hängen Schäden der Weißen Linie mit Lahmheiten zusammen
(5).
Verluste im Zusammenhang mit Klauenerkrankungen entstehen durch den Ersatz von
ausscheidenden Sauen, außerplanmäßigen Abgänge, einen höheren Anteil an Jungsauen, weniger
und schwächere Ferkel, höhere Saugferkelverluste, Fruchtbarkeitsprobleme, und einen verminderten
Erlös für Schlachtsauen.
Die ökonomische Seite der durch Klauenerkankungen und andere Erkrankungen des
Bewegungsapparates verursachten Lahmheiten bei Zuchtsauen ist dramatisch. Die
Remontierungsrate liegt in manchen Ferkelerzeugerbetrieben mittlerweile über 50 %; die
Sauentotalverluste übersteigen oft 10 % der Sauenabgänge. Es liegen mehrere relativ neue
Kalkulationen und Schätzungen über die Verluste in Zuchtbetrieben durch Lahmheiten vor. Diese
nennen Verluste durch Lahmheiten von 30 Euro pro Sau und Jahr bzw. 4600 Euro pro Jahr in einem
Betrieb mit 100 Sauen, sowie in einer anderen Studie 3850 Euro in einem Beispielbetrieb mit 200
Sauen (6).
In Anbetracht der vorliegenden Daten und Erkenntnisse lautet die Antwort auf die im Titel
formulierte Frage, ob Klauenerkankungen auch bei uns ein Problem sind, also eindeutig: Ja.
Allerdings wissen wir derzeit nicht genau, wie groß das Problem wirklich ist. Und in unserem
Wissen über Ätiologie und Pathogenese der Klauenschäden und der daraus entstehende

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 207


Schwein
Lahmheiten gibt es noch Defizite und Lücken. Weitere Forschungsarbeit ist erforderlich. Bereits 2005
stellten Kirk et al. fest, dass Studien, die sich auf den Einfluss von Haltung und Management auf den
Bewegungsapparat konzentrieren, dringend erforderlich sind (3).
Klauenerkankungen entstehen multifaktoriell mit Faktoren aus den Bereichen Haltung,
Management, Fütterung, Pathogene, Mikroorganismen, und Genetik. Lahmheit, hier durch
Klauenschäden verursacht, ist ein klinisches Symptom mit einer multifaktoriellen Ätiologie (7,8).
Es besteht Konsens darüber, dass sich insbesondere die Haltung dramatisch auf die
Klauengesundheit auswirkt. Die Klauen sind nicht für eine andauernde störungsfreie Funktion in
Stand und Lokomotion auf harten Böden konstruiert. Die Schweinklaue weist eine Reihe
anatomischer Merkmale auf, die sie für Schäden durch die existierenden Haltungssysteme
besonders empfänglich macht. Dies sind im Einzelnen: Lange Afterklauen mit Stützskelett für einen
stabilen Support auf weichem Boden, eine sehr harte Hornwand sowie eine harte Sohle, ein sehr
weicher Ballen, und abrupte Übergänge, die eine Prädisposition für Risse im Grenzbereich
verschiedener Hornqualitäten schaffen wie an der Ballen-Wandgrenze, Ballen-Sohlengrenze, Weiße
Linie. Die Aussenklauen sind auf hartem Boden stärker belastet (je enger die Beinstellung umso
mehr). Offensichtlich ist die Schweinklaue konstruiert für das Leben und Laufen auf weichen
variablen Böden. Probleme auf hartem Boden sind also konstruktionsbedingt. Die Hornproduktion
beträgt ca. 5-6mm/Monat bei Zuchtsauen. Damit müssen die Haltungsbedingungen einen
entsprechenden Abrieb ermöglichen.
Betrachten wir die Risikofaktoren für die Entstehung von Klauenschäden und nachfolgender
Lahmheit, so finden wir neben intrinsischen, also im Tier begründeten Ursachen, die wir nicht oder
nur langsam verändern können, auch extrinsische Risikofaktoren, die der Umwelt und dem
Tiermanagement entstammen. Intrinsische Risiken sind: Genetik (keine Zuchtselektion für robuste
Klauen), Hornproduktion, - qualität, Gliedmassenstellung, Größe der Klaue.
Die Zahl der extrinsischen Faktoren ist groß. Die folgende Auflistung nennt die wichtigsten, zu
denen es Untersuchungsdaten gibt: Stallboden (Unebenheiten, Kanten, Risse, Härte, rutschige oder
raue ausgebrochene Betonböden), Spaltenboden (Betonspalten mit zu großer Breite), Feuchtigkeit,
Hygiene, Überbelegung, harte Liegeflächen, Zeitdruck, ungepflegte Klauen, Konflikte in der
Rangordnung, Stress, Tiermanagement, Beschäftigungsmangel, schlechter Liegekomfort, Fütterung
(5,7,8).
Das Verhalten der Sau bestimmt in erheblichem Maße die Quantität und Qualität der Exposition
der Klauen gegenüber den Risikofaktoren. Dieses wird wiederum durch die sozialen Interaktionen
und die Reaktionen auf die Umwelt, in erheblichem Maße aber auch durch den Umgang mit den
Tieren beeinflusst. Konflikte, Platzmangel und raue Behandlung verursachen plötzliche
Bewegungen. Durch diese werden die Gewebe der Klauen Scherkräften unter gleichzeitiger
Druckbelastung ausgesetzt. Diese Art der biomechanischen Beanspruchung ist der physikalisch
wirksamste Weg, Gewebe zu schädigen oder sogar zu zerstören.

Zusammenfassend ist festzuhalten:


Klauenerkankungen sind nach derzeitigem Wissensstand ganz eindeutig auch bei uns ein
bedeutendes Problem in der Zuchtsauenhaltung unter ökonomischen und Tierschutzaspekten.
Schwere Klauenschäden können Lahmheiten bei Zuchtsauen verursachen, die das
Wohlbefinden der Tiere erheblich beeinträchtigen (1,9). Lahmheiten sind eine bedeutende Ursache
für das vorzeitige Ausscheiden von Sauen aus der Zuchtherde (4). Haltungsbedingungen und
Management sind mit der Entstehung von Klauenschäden vergesellschaftet. Es ist wichtig, die
208 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Schwein
Zusammenhänge zwischen Klauenschäden und Lahmheiten zu verstehen, um die Häufigkeit
derartiger Schäden zu verringern und das vorzeitige Ausscheiden von Sauen zu reduzieren.
Trotz der Faktenlage und der zuvor noch einmal betonten Zusammenhänge werden Lahmheit
und ihre Auswirkungen auf Wohlbefinden und Produktivität der Zuchtsau oft immer noch
unterschätzt. Signifikante Produktionsausfälle durch Lahmheiten infolge von Klauenschäden können
durch präventive Maßnahmen verhindert werden. Für das Erkennen und die Einschätzung des
Schweregrades von Lahmheiten und Klauenschäden in Betrieben wurden Scoring Systeme für
Klauenschäden und Lahmheiten entwickelt.
Das Scoring System aus dem Feet First Projekt (ZINPRO) arbeitet mit Lahmheitsgraden auf
einer Skala von 0 bis 3 (score 0 = keine Lahmheit, scores 1 bis 3 = ansteigender Schweregrad der
Lahmheit (http://feetfirst.zinpro.com/index.php/ffcustomers/ff-locomotion). Dieses System ermöglicht
eine einfache Identifizierung von lahmen Sauen und liefert eine gute Basis für ein gezieltes
Programm zur Reduktion von Klauenschäden und Lahmheiten.

Klauenerkrankungen auch bei uns ein Problem


Klauengesundheit bei Zuchtsauen ist eine ernste Herausforderung. Wir müssen uns dieser
Herausforderung in Forschung und Praxis stellen, um die Langlebigkeit von Zuchtsauen, die die
Wirtschaftlichkeit eines Betriebes maßgeblich bestimmt und ein wichtiger Indikator für Wohlbefinden
ist, zu verbessern.

Literaturverzeichnis
1. Ossent P. Klauenschmerzen nicht unterschätzen! Schweinezucht und Schweinmast. 2007;4:36-40.
2. Mouttotou N, Hatchell FM, Lundervold M, Green LE. Prevalence and distribution of foot lesions in finishing
pigs in south-west England. Vet Rec. 1997;141(5):115-20.
3. Kirk, RK, Svensmark B, Ellegaard LP, Jensen HE. Locomotive Disorders Associated with Sow Mortality in
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Christoph K.W. Mülling, Institut für Veterinär-Anatomie, Universität Leipzig,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 209


Schwein

PRRS: Diagnostik – Interpretation – Strategien


Friedrich Schmoll1, Adolf Steinrigl1, Sandra Revilla-Fernández1, Tatjana Sattler2
1AGES, Institut für veterinärmedizinische Untersuchungen, Mödling (Österreich), 2Medizinische
Tierklinik, Universität Leipzig

Einleitung
Rasche und sichere Verfahren zum Nachweis von Infektionskrankheiten auf Einzeltier- und
Herden-, regionaler und nationaler Ebene ist in vielerlei Hinsicht eine wesentliche Vorraussetzung für
eine erfolgreiche Tierproduktion. Je später Infektionen erkannt werden, umso größer sind die
verursachten Schäden. Eine besondere Herausforderung stellt die Dokumentation einer spezifischen
Pathogenfreiheit dar. In der Regel erfolgt die Antigen- und/oder Antikörper-Diagnostik anhand von
Blut bzw. Serum. Die diagnostische Sicherheit ergibt sich unter anderem aus der Sensitivität und
Spezifität der Testsysteme sowie aus der Anzahl der untersuchten Tiere als auch aus der Zeit der
wiederholten Untersuchungen.
Blutprobenentnahmen sind zum Teil arbeitsaufwändig und teuer, sowie mit Stress für Tiere und
Menschen verbunden. Sowohl von Seiten der Tierärzteschaft als auch bei den Landwirten besteht
daher der Wunsch nach alternativen Methoden zur Blutprobenentnahme. Für die wiederholte
Diagnostik bestimmter Erkrankungen wie beispielsweise PRRS ist die Untersuchung von
Speichelproben sowohl für PCR als auch zur Antikörperdiagnostik im Gespräch (1). Die Gewinnung
von Speichel kann über speziell dafür hergestellte Kaustricke gruppenweise oder bei Einzeltieren
erfolgen und stellt eine wesentliche Arbeitsentlastung sowie Stressminderung für die Tiere dar. Die
Detektion von PRRSV-RNA mittels Reverse Transkriptase Real-time PCR (RT-qPCR) beim Eber hat
sich bereits als erfolgreich erwiesen (2). Allerdings verlangen inhibierende Faktoren im Speichel
eventuell eine spezielle Extraktion bzw. angepasste PCR-Methodik (3). Untersuchungen auf PRRS
und PCV-2 aus dem Speichel werden zum Herdenmonitoring in der konventionellen
Schweinehaltung bereits von einigen Autoren empfohlen (4). Sowohl bei anderen Spezies als auch
beim Menschen dient Speichel schon seit langem als diagnostisches Medium für die
verschiedensten Fragestellungen (5).
Ziel der Studie war es daher, sowohl im Serum als auch im Speichel PRRSV-RNA mittels PCR
sowie PRRSV-Antikörper mittels ELISA zu bestimmen. Die Ergebnisse sollten qualitativ verglichen
werden, um eine Empfehlung bezüglich des zu verwendenden Probenmaterials für ein PRRSV-
Herdenmonitoring oder Einzeltieruntersuchungen abgeben zu können.

Material und Methoden


In die Studie wurden zehn nachweislich PRRS-negative Schweine (Alter 8 Wochen – n=4, 14
Wochen – n=3 bzw. 20 Wochen – n=3) einbezogen. Zu Beginn der Untersuchung erfolgte bei jedem
der Tiere die Entnahme einer Blutprobe aus der Vena cava cranialis sowie eine individuelle
Speichelprobenentnahme mittels eines Baumwoll-Strickes. Anschließend wurden die Schweine
einmalig mit einer PRRS-Lebendvakzine (Porcilis PRRS, Intervet) geimpft. Die weiteren
Probenentnahmen erfolgten in der gleichen Weise am 4., 7., 14. und 21. Tag nach der Vakzination.
Das Blut wurde zentrifugiert und das Serum bei -20°C bis zur Untersuchung eingefroren. Die
Speichelproben wurden aus den Stricken ausgepresst, in Eppendorfgefäßen aufgefangen und
ebenfalls bei -20°C bis zur Messung gelagert.

210 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Die Untersuchung auf PRRSV-Antikörper erfolgte in beiden Medien mittels IDEXX3-ELISA. Die
Speichel- und Serumproben wurden mittels RT-qPCR auf PRRSV-RNA getestet.

Ergebnisse
Die Ergebnisse der RT-qPCR sind in Tabelle 1 dargestellt. Bei zwei Schweinen (zu Beginn der
Untersuchung 8 Wochen alt) ließ sich zu keinem Untersuchungszeitpunkt PRRSV-RNA nachweisen.
Nur ein Schwein (Alter: 8 Wochen zu Beginn der Untersuchung) war zu jedem
Untersuchungszeitpunkt nach der Vakzination im Serum PRRSV-RNA-positiv.
Die Ergebnisse des PRRSV-Antikörper ELISAs sind ebenfalls in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Anzahl der Schweine mit positivem PRRSV-RNA Nachweis (PCR) und mit positivem
PRRSV-Antikörper-Nachweis (AK) zu den einzelnen Untersuchungszeitpunkten vor und
nach Vakzination mit PRRSV Lebendvakzine (untersuchte Tiere n=10)
Tag 4
Tag 0
(nach Tag 7 Tag 14 Tag 21
(vor Vakzination)
Vakzination)
PCR AK PCR AK PCR AK PCR AK PCR AK
Serum 0 0 3 0 7 0 5 7 3 8
Speichel 0 0 0 0 2 0 2 2 0 4

Bis einschließlich Tag 7 nach der Impfung blieben alle Tiere sowohl im Serum als auch im
Speichel PRRSV-Antikörper-negativ. Die beiden Tiere, bei denen keine PRRSV-RNA nachweisbar
war, zeigten auch keine Serokonversion.

Diskussion
In dieser Untersuchung gelang der PRRSV-RNA-Nachweis im Speichel bei deutlich weniger
Tieren als bei denselben Schweinen im Serum. Zu diesem Ergebnis kamen auch andere Autoren.
Inhibierende Faktoren im Speichel wurden als eine mögliche Ursache vermutet (3). Eine geringere
Virusmenge im Speichel könnte ebenfalls zu negativen Ergebnissen führen. In einer Untersuchung
bei Zuchtebern hingegen wurden im Speichel teilweise vergleichbare PRRSV-RNA-Mengen wie im
Serum gefunden (2).
Der PRRSV-RNA-Nachweis mittels RT-qPCR im Speichel ist möglich. Derzeit kann jedoch weder
zum Herdenmonitoring noch zur Einzeltieruntersuchung die Verwendung von Speichel als Alternative
zum Serum empfohlen werden. Genauere Untersuchungen zur RNA-Extraktionsmethodik und zum
Einfluss von inhibierenden Substanzen im Speichel sind notwendig.
Unterschiede in der Pathogenität von verschiedenen PRRSV Isolaten werden immer wieder
beschrieben. Es ist zu erwarten, dass sich diese Unterschiede auch in Virusmenge und Tropismus
zu verschiedenen Organen, Exkreten und Sekreten widerspiegeln. Generalisierte Rückschlüsse aus
solchen Untersuchungen sind daher nicht zulässig.
Das gleiche Bild ergibt sich beim Nachweis von PRRSV-Antikörpern. Auch hier war im Serum
häufiger ein positives Ergebnis zu finden als im Speichel. Auch in anderen Studien bewegten sich die
PRRSV-Antikörpertiter im Speichel auf einem niedrigeren Niveau als im Serum (1). Bevor der
Antikörpernachweis im Speichel als Mittel zur PRRSV-Diagnostik empfohlen werden kann, ist eine
Validierung des ELISAs für Speichelproben notwendig. Es ist zu erwarten, dass die

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 211


Schwein
Serumdiagnostik, so wie in der vorliegenden Untersuchung, der Speichelprobendiagnostik derzeit
überlegen ist.

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Kontaktadresse
Prof. Dr. Friedrich Schmoll, AGES, Institut für veterinärmedizinische Untersuchungen (IVET)
Mödling, Österreich, [email protected]

212 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

PCV2 vaccination: from the darkness to the light


Joaquim Segalés
Centre de Recerca en Sanitat Animal (CReSA), UAB-IRTA, Campus de la Universitat Autònoma de
Barcelona y Departament de Sanitat i d’Anatomia Animals, Facultat de Veterinària, Universitat
Autònoma de Barcelona, (Spain)

Introduction
The first official pan-European launch of a porcine circovirus type 2 (PCV2) vaccine was in 2007.
It was the result of a centralized licensing procedure, even some countries had such vaccine
available since 2004 (France and Germany) and 2006 (Denmark). It was an inactivated, adjuvanted
vaccine (a classical vaccine manufacturing approach) to be used in sows/gilts. Amazingly, at that
time, the perception in regards to the importance of problems linked to PCV2, and especially
postweaning multisystemic wasting syndrome (PMWS), was relatively limited. At least in a number of
European countries, producers and veterinarians felt that the vaccine reached the market too late;
the disease was really important from 1997 onwards, especially until 2004-05, but not as significant
afterwards. In spite of such perception, problems associated to PCV2 infections were still present in
a number of European farms. In fact, some veterinarians saw the novel vaccine as a potential
opportunity to improve their production results. Therefore, the logical precaution at that moment
caused that sales of this vaccine were almost exclusively based on technical aspects, so, efforts on
diagnosis of PMWS and PCV2 infection were reactivated (Fig. 1).

Fig. 1. Suspicious cases of PMWS


which were laboratorially confirmed
or not at the Servei de Diagnòstic
de Patologia Veterinària of the
Veterinary School at the Universitat
Autònoma de Barcelona (Spain),
between 2000 and 2011. *Data
from January to July 2011.

Even in 2007, but mainly in 2008, a curious paradox occurred. The only vaccine product
registered was licensed for adult swine. However, most of the information coming from North-
America indicated that piglet vaccination was more efficient to control porcine circovirus diseases
(PCVD) in the short term. Therefore, in some countries, like in Spain, a vaccine initially designed to
be used in adult animals was applied mostly in piglets, and its use increased over time.
Subsequently, in 2009, two more PCV2 vaccines were launched in the European market. Those two

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 213


Schwein
vaccines were licensed for their use in piglets and both were sub-unit vaccines, containing the capsid
protein of PCV2 expressed in a recombinant baculovirus system. Since then, the use of PCV2
vaccines has spread very significantly among producers, being nowadays the most used vaccine in
pigs worldwide. In fact, in some countries like United States and Germany, almost all pigs reaching
the slaughter have been vaccinated against this virus. Very recently, the vaccine initially licensed for
adult swine has also been registered for its use in piglets.
There is also a fourth PCV2 vaccine, which use has been commercially discontinued for some
time, and in 2011 it has been launched with a new name in North America. It is also an inactivated
vaccine, based on a chimeric virus that contains the capsid gene of PCV2 inserted in the backbone
of porcine circovirus type 1 genome (considered non-pathogenic for swine). Recently, another
inactivated PCV2 vaccine is under commercialization in some South-east Asian countries. A
summary of current commercial vaccines against PCV2 are displayed in Table 1.
If one knows the history of PCV2 since the very beginning, it is known that the „credibility“ of this
virus as a potential pig pathogen was extremely low no more than 5–6 years ago, even being PMWS
one of the most devastating swine diseases worldwide. However, the advent of PCV2 vaccines has
radically changed the perception on the importance of this viral agent. Therefore, it seems clear that
a ‘before’ and an ‘after’ of PCV2 vaccination exists in the pig population worldwide as well as in the
mentality of producers and veterinarians.

Table 1: Commercial PCV2 vaccines currently available in the international market


PCV2 vaccine Company Antigen Posology Licensed for
Ingelvac PCV2 ORF2 1 ml IM; Piglets
Boehringer Ingelheim*
CIRCOFLEX® protein 1 dose (2 weeks and older)
Fostera® PCV (former Inactivated 2 ml IM; Piglets
Pfizer (formerly Fort
Suvaxyn® PCV2 One PCV1-PCV2
Dodge)** 1 dose (4 weeks and older)
Dose ) chimera
Porcilis® PCV
Merck (formerly 2 ml IM; Piglets
(Europe) / PCV2 ORF2
Intervet Schering-
Circumvent® PCV protein 2 doses (3 weeks and older)
Plough)*
(America and Asia)
Inactivated 2 ml IM; Female breeding-
CIRCOVAC® Merial*
PCV2 2 doses age pigs
Inactivated 0.5 ml IM; 1 Piglets
CIRCOVAC® Merial*
PCV2 dose (3 weeks and older)
Daesung Inactivated 1 ml IM; Piglets (1 day to 3
DS Circo Pigvac®
Microbiologic Labs*** PCV2 1 dose weeks and older)
*Worldwide commercialization (some restrictions may apply); **Licensed in 2011 in North-America;
***Commercialized in a number of Couth-east Asian countries; IM = intramuscular administration

The ‘before’: pre-vaccine period (‘the darkness’)


PMWS was described as an apparent new disease in Canada by mid 90s. Link of the disease
with PCV2 was established in 1998 (1,2), even retrospective studies have shown that this viral
infection has been in the pig population at least since 1962 (3). On the other hand, experimental
studies using PCV2 hardly reproduced PMWS (4), so, the condition was soon considered a
multifactorial disease complex (5).

214 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
PMWS epizootics mainly started by mid 90s in Europe and Asia, and 2004–05 in North and
South-America. An economical estimation in Europe in 2004 suggested losses attributable to PMWS
of around 900 millions (6). At the moment of these severe outbreaks worldwide, most of the applied
research being conducted was focused on risk factors triggering the disease, with the logical
objective to counteract them. Table 2 summarises those factors (risky and protective ones) in
regards PMWS development. Moreover, such counteraction had always a relative impact on the
control of the disease, depending on farm and implementation degree of these measures (5).
Such scenario implied that the role of PCV2 was widely debated, even postulating the putative
existence of another pathogen that should be the primary one potentiating effects of PCV2. In spite
of important diagnostic efforts and after more than 14 years of research, such possible ‘agent X’ has
never been detected (7,8).

Table 2: Summary of management factors influencing the risk of development of porcine


multisystemic wasting syndrome (extracted from Grau-Roma et al., 2011 Vet J, 187: 23-32).
Factors increasing the risk of PWMS Factors decreasing the risk of PMWS
Facilities Large number of sows Separate pit for adjacent fattening rooms
Large pens at nursery and growing ages Shower facilities
Proximity to other pig farms
Management High level of cross-fostering Sorting pigs by sex at nursery stage
practices Short empty periods at weaning and Greater minimum weight at weaning
fattening Group housing sows during pregnancy
Large range in age and weight entering to Visitors avoiding contact with pigs for
nursery several days before visiting farm
Continuous flow through nursery Use of semen from an insemination centre
Purchase of replacement gilts
Sows with neck injuries due to poor injection
technique
Early weaning (< 21 days of age)
Vaccination/ Vaccination of gilts against Porcine Vaccination of sows against atrophic rhinitis
Treatment/ reproductive and respiratory syndrome virus Regular treatment for ectoparasitism
Nutrition Vaccination of sows against Escherichia coli Use of oxytocin during farrowing
Use of separate vaccines against Erysipelas Use of spray-dried plasma in initial nursery
and parvovirus on gilts ration

The ‘after’: vaccine period („the light“)


An intermediate period between „the darkness“ and „the light“ was characterized by the scientific
efforts to develop vaccines against PCV2 (9,10,11-14). However, most of these vaccine development
experimental studies had to face with a number of limitations. The most important one was of
administrative type. The existence of very exclusive patents for the development of PCV2 vaccines
caused the search for alternatives to develop antigen and vaccine preparation, as well as new
strategies of product registration (i.e. improvement of average daily gain (ADG) or PCV2 viremia
decrease as vaccine claims, instead of decreasing of clinical signs). Besides, two technical
limitations should be mentioned:
 PCV2 is not an easy cultivable virus (difficult to reach high titres), so, production of high amount
of virus is tedious and expensive.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 215


Schwein

 It does not exist, even nowadays, a clear-cut, systematic repeatable experimental reproduction
model for PMWS.

The vaccine period indicated in the heading of this section started really with the advent of PCV2
commercial vaccines, mainly from 2006–07 onwards. Even the starting of vaccine use was in 2004 in
some European countries as indicated in the introduction section, the most extensive use of these
products was in United States and Canada starting in 2006. In fact, the promising results obtained in
North-America encouraged the use of such vaccines when they were registered in most of European
countries.
Under field conditions, all PCV2 commercial vaccines existing so far have been able to decrease
percentages of mortality and number of runts in nursery and/or fattening/finishing pigs (15-20). More
importantly, improvement of ADG (10–40 g/day in vaccinated pigs compared to non-vaccinated
controls), feed conversion rate and pig size/weight homogeneity as well as decreasing of co-
infections and use of antibiotics have been the most significant benefits of PCV2 vaccination (21,22).
Therefore, it seems that all commercial vaccines to date exert a very positive effect in those farms
affected by PCVDs. Recently, a meta-analysis comparing the effect of different vaccine products in
regards ADG and mortality has been published (23). This study included published information
between 2006 and 2008 that used commercial PCV2 vaccines, had a control group to compare with
the vaccinated one and with both groups reared in the same facilities. In total, 107 studies were
identified, but the meta-analysis could only be performed with 24 of them accomplishing the selection
criteria. Major conclusions were that vaccines offer an improvement of ADG (between 10.6 to 41.5
g/day) and a significantly reduced mortality in growing/finishing pigs, but not in nursery pigs. An
interesting result from the meta-analysis was that pigs from porcine reproductive and respiratory
syndrome virus-free herds had a major increase difference of ADG between vaccinated and non-
vaccinated pigs.
One of the questions that field veterinarians usually ask in regards PCV2 vaccination in piglets is
“which is the best one?“. This is a delicate point, since there are a number of commercial interests
behind each vaccine product (just to remind that this is nowadays the most sold vaccine in pigs
worldwide). At a commercial level, there are different comparative studies among products, but some
of them lack of proper controls and the thoroughness needed to conduct field studies. So, their
results and extrapolations are, at least, doubtful or questionable. It is important to note, however, that
not only in the commercial world, but also in the scientific one, positive results tend to be published in
scientific journals or meetings, while negative ones are usually not shown in public. Therefore, the
author of the present review would like to highlight one study in which an independent comparative
work was performed and published in a peer-reviewed journal (24). In this study, three piglet
vaccines were compared and “it was concluded that PCV2 vaccine reduced viremia and improved
weight gain, but differences in weight gain among vaccinated groups were not statistically
significant“. In other words, all tested vaccines, under the conditions of the study, behaved similarly
or simply they did not offer differing results. Therefore, recommendation of one or another PCV2
piglet vaccine would not be apparently based on technical criteria, since all of them seem to offer a
similar efficacy.
Another significant question among veterinarians is the use of piglet or sow vaccination. In both
approaches the objective is the same: to achieve the best amount of meat of best quality at the least
price. Therefore, whatever vaccine strategy must fit the best cost-benefit context. It is true, however,
that ADG and mortality improvement is better in the short term when using piglet vaccination. On the

216 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
other hand, sow vaccination seems to generate some aside advantages, apparently, such as better
reproductive parameters including fertility, litter homogeneity, number of liveborn piglets and shorter
weaning-to-mate period. Therefore, these data should also be included in the overall cost-benefit
balance.
Another important current issue is the feasibility of PCV2 vaccines to improve productivity in
farms not suffering from PCVD outbreaks. To date, different field evidences indicate that such
vaccines are able to improve productive parameters (ADG, percentage of runts, body condition and
carcass weight) in PCV2 subclinical infection scenarios. These data allow speculating that if PCV2
vaccination counteracts the effects of the subclinical infection in cost-benefit terms, then, such
vaccination would be justified in whatever situation in which PCV2 infection takes place,
independently of overt disease occurrence or not. Moreover, if PCV2 is a ubiquitous virus (5), this
means that the agent is virtually in all farms worldwide. Consequently, the systematic vaccination of
all pigs against PCV2 would make sense. A practical aspect that would indirectly indicate such
conclusion is the extensive use of vaccines in a number of countries as indicated in the introduction
section. Besides, it must be emphasized that such effect of PCV2 vaccines on subclinical infection
scenarios should be properly studied and conveniently contrasted.

Is it worthy to invest on PMWS diagnostic efforts nowadays?


The evident PCV2 vaccine efficacy implied a lower interest on PCVD diagnoses. At least a
proportion of field veterinarians prefer a „trial and error“-system instead of establishing a laboratorial
diagnosis. The major reason for such preference is the difficulty of establishing a clear-cut diagnosis
of disease that fits into the internationally accepted case definition (25).
However, if the worldwide tendency is to vaccinate pigs massively against PCV2 (in both
clinically affected and subclinically infected farms), it is true that the laboratorial diagnosis previously
to vaccination does not make sense. Again, this would be reflected by the number of PMWS
diagnoses established during last years (Fig. 1). In contrast, the interest of establishing a diagnosis
might be increased in other contexts: 1) farms with PMWS-like clinical signs in pigs already
vaccinated against PCV2, and 2) farms in which results obtained by PCV2 vaccination are under
realistic expectations. Those scenarios are relatively new, but they do occur. Veterinarians must be
aware that a PCV2 vaccine "might not work as expected“ or “may fail“ , but it should be the product of
a complete diagnostic study to reach such conclusions; not only about PCV2, but also on other
causes of growth retardation and mortality. It must be emphasized that PCV2 vaccines will not solve
problems caused by other diseases.

Conclusions
The last six years have been a continuous demonstration that PCV2 vaccination has been a
great advance for the pig health worldwide, being probably one of the vaccines that veterinarians and
farmers have perceived as more beneficial. Therefore, PCV2 vaccination is considered as
fundamental to control clinical and non-clinical outcomes associated to this viral infection. Moreover,
the control and the prevention of risk factors for PCVDs are still a “life insurance“ for the correct
performance of the vaccine and the farm.
The big success of PCV2 vaccination contrasts with the fact that, in 2011, after 15 years of
intensive research on PCV2 and PCVDs, a number of fundamental questions still remain to be
answered. Important lack of knowledge on the pathogenesis of the disease, interaction of PCV2 and

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 217


Schwein
the pig immunity and even the lack of a reproducible and repeatable model of disease are still key
points to be resolved. Anyway... not everything could be perfect!

Acknowledgements
The author of this review acknowledges the funding of the project No. 513928 of the VI
Framework Programme of the European Union, and the projects GEN2003-20658-C05-02 and
Consolider Ingenio 2010 – PORCIVIR from the Ministerio de Educación y Ciencia of Spain. He
thanks very sincerely to all field veterinarians and PCV2 vaccine manufacturers for all collaboration,
help, and discussions on PCV2 during the last 14 years. Finally, special thanks to the collaboration of
multiple researchers and technicians at Centre de Recerca en Sanitat Animal (CReSA) and
Universitat Autònoma de Barcelona (UAB) during this period, as well as to the personnel from the
Servei de Diagnòstic de Patologia Veterinària of the Veterinary School of UAB.

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18. Desrosiers R, Clark E, Tremblay D, Tremblay R, Polson D. Use of a one-dose subunit vaccine to prevent
losses associated with porcine circovirus type 2. J Swine Health Prod. 2009;17:148-54.
19. Segales J, Urniza A, Alegre A, Bru T, Crisci E, Nofrarias M, Lopez-Soria S, Balasch M, Sibila M, Xu Z, et
al. A genetically engineered chimeric vaccine against porcine circovirus type 2 (PCV2) improves clinical,
pathological and virological outcomes in postweaning multisystemic wasting syndrome affected farms.
Vaccine. 2009;27(52):7313-21.
20. Pejsak Z, Podgorska K, Truszczynski M, Karbowiak P, Stadejek T. Efficacy of different protocols of
vaccination against porcine circovirus type 2 (PCV2) in a farm affected by postweaning multisystemic
wasting syndrome (PMWS). Comp Immunol Microbiol Infect Dis. 2009.
21. Kekarainen T, McCullough K, Fort M, Fossum C, Segales J, Allan GM: Immune responses and vaccine-
induced immunity against Porcine circovirus type 2. Vet Immunol Immunopathol. 136(3-4):185-93.
22. Vigre H, Dohoo IR, Stryhn H, Jensen VF: Use of register data to assess the association between use of
antimicrobials and outbreak of Postweaning Multisystemic Wasting Syndrome (PMWS) in Danish pig
herds. Prev Vet Med. 93(2-3):98-109.
23. Kristensen CS, Baadsgaard NP, Toft N: A meta-analysis comparing the effect of PCV2 vaccines on
average daily weight gain and mortality rate in pigs from weaning to slaughter. Prev Vet Med. 98(4):250-8.
24. Lyoo K, Joo H, Caldwell B, Kim H, Davies PR, Torrison J: Comparative efficacy of three commercial PCV2
vaccines in conventionally reared pigs. Vet J. 189(1):58-62.
25. Segales J: Update on postweaning multisystemic wasting syndrome and porcine dermatitis and
nephropathy syndrome diagnostics. J Swine Health Prod. 2002;10:277-81.

Contact address
Joaquim Segalés, DVM, PhD, Centre de Recerca en Sanitat Animal (CReSA), Facultat de
Veterinària, Universitat Autònoma de Barcelona (Spain), [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 219


Schwein

„Die häufigste Krankheit ist die Diagnose“


Georg Bruns
Tierarztpraxis Steinfeld

Bereits vor ca. 100 Jahren ist der Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus zu diesem Ergebnis
gekommen (1). Inwieweit diese Aussage auf die heutige Situation der veterinärmedizinischen
Diagnostik angewendet werden kann, soll im Folgenden untersucht werden.

Abb. 1: „Karl Kraus (* 28. April 1874 in Jičín, Böhmen; † 12. Juni 1936
in Wien) war einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des
beginnenden 20. Jahrhunderts. Er war Publizist, Satiriker, Lyriker,
Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach- und
Kulturkritiker sowie vor allem ein scharfer Kritiker der Presse und des
Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der Journaille“ (2).

Einleitung
Die zunehmende Konzentration in der Tierhaltung und die immer geringer werdende
Wertschöpfung, aber auch die gesellschaftlichen Anforderungen durch den vorbeugenden
Verbraucher und den Tierschutz erfordern ein anderes Vorgehen als in der Vergangenheit.
Stand früher die Behandlung erkrankter Tiere oder Tierbestände im Vordergrund, so müssen wir
heute unser Augenmerk zunehmend auf die Reduktion und Vorbeuge von Erkrankungen –
insbesondere in der Endproduktstufe – richten. Wie die Tierhalter müssen auch wir uns darauf
einstellen, dass die Gesellschaft ein immer „höherwertiges Produkt“ verlangen wird, aber nicht bereit
ist, mehr dafür zu zahlen.
Bei der Exportabhängigkeit der deutschen Landwirtschaft sind die Auswirkungen von Skandalen
zudem dramatisch.
In der öffentlichen, eher von Emotionen, denn von Sachargumenten dominierten Meinung ist die
Erwartungshaltung an unsere Tierhalter verständlicherweise hoch, sind sie doch mittlerweile
Lebensmittelunternehmer, welche die Sicherheit der von ihnen erzeugten Lebensmittel zu
gewährleisten haben. Durch die hier beschriebenen Veränderungen der betrieblichen wie auch
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nimmt die Diagnostik in der Schweinepraxis einen immer
größeren Stellenwert ein. Gleichzeitig aber werden die benötigten Untersuchungseinrichtungen
zunehmend abgebaut, insbesondere solche, die Tierkörperöffnungen zur Diagnose und Entnahme
brauchbarer Proben ermöglichen. Und das, obwohl der überwiegende Teil der Erkrankungen, die
eine antibiotische Behandlung benötigen, auf infektiöse Ursachen bakterieller Genese
zurückzuführen ist. Eine weitere Veränderung der Rahmenbedingungen ist die steigenden
gesetzlichen Vorgaben beim Einsatz von Antibiotika.

220 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Infolgedessen sind die Herausforderungen einer tierärztlichen Bestandsbetreuung nur bedingt
vergleichbar mit denen einer konventionellen, kurativen Praxis, auch, weil die zu behandelnden
Patienten in der Regel eine Tiergruppe und eben keine Einzeltiere sind.
Eine aussagekräftige Diagnostik gehört zu den primären Anforderungen einer guten
veterinärmedizinischen Praxis. Im folgenden Vortrag soll auf die uns alltäglich begleitenden
Probleme und die Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Bedarf und den tatsächlich bestehenden
Möglichkeiten in der Diagnostik hingewiesen werden.

Situationsbeschreibung
Angesichts der Fülle bestehender diagnostischer Einrichtungen erscheint die Themenwahl des
Vortrags absurd: Unsere Schränke sind voll von Prospekten diagnostischer Einrichtungen, allesamt
gut ausgerüstet, akkreditiert, zertifiziert und hochqualifiziert. Auch die Untersuchungszahlen geben
eine deutliche Auskunft, schließlich werden Millionen von Blut- und Kot- oder Tupferproben
bakteriologisch, serologisch oder als PCR untersucht. Diese Proben sind leicht zu entnehmen, gut zu
versenden und geben uns häufig einen Befund. Dagegen beträgt die Anzahl der Sektionen von
Schweinen, die zu klinisch-diagnostischen Zwecken durchgeführt werden, in Deutschland zwischen
5.000 und 10.000.
Bei jährlich etwa drei Millionen verendeten Tieren in Flatdeck und Mast und einer
angenommenen Aussagekraft von sehr großzügig gerechneten 30 % der Untersuchungsergebnisse
bewegen wir uns also bei ca. 2.000 bis 3.000 aussagekräftigen Sektionen pro Jahr – das sind gerade
einmal 0,1 % der verendeten Schweine (die Zahlen mögen regional, je nach Leistungsangebot
schwanken).
Die Anzahl der Sektionen wird sich tendenziell weiter verringern, denn eine Diagnostik, die an
Subventionen gebunden ist – wie wir es in großen Teilen Deutschlands sehen –, ist nicht
zukunftsträchtig. Dadurch sind in naher Zukunft auch Regionen gefährdet, die uns heute noch als
„gut versorgt“ erscheinen.

Der Weg zur Diagnose


Direkte Erregerdiagnostik: Wie komme ich an den Erreger heran?
Viele Regionen Deutschlands sind bedauernswert schlecht mit Einrichtungen versorgt, die eine
qualifizierte Diagnostik unter Zuhilfenahme von Tieröffnungen anbieten. Trotzdem ist für mich die
geringe Akzeptanz in scheinbar gut mit Untersuchungseinrichtungen versorgten Regionen immer
wieder überraschend. Trotz vollständiger oder überwiegender Kostenübernahme und sogar
Transportübernahme werden dort nur wenige Tiere untersucht. Die Gründe dafür sind noch immer
unklar: Sicherlich liegt es nicht am Pathologen, denn die Sensitivität der Methode „Sektion“ ist hoch.
Als limitierender Faktor der Diagnostik durch Sektionen ist dagegen die geringe Spezifität bei der
Auswahl der zur Untersuchung anstehenden Tiere anzusehen.
Allerdings braucht es grundsätzlich deutlich mehr Tierkörper, um wirklich aussagekräftige
Ergebnisse zu bekommen; fünf bis zehn zu untersuchende Tiere kommen schnell zusammen. Dies
überschreitet aber in der Regel die Kapazitäten und auch die Budgets der Einrichtungen. Auch sind
Gewichtsbeschränkungen oft ein großes Hindernis. Ein weiteres Problem ist der Zeitaufwand für eine
Sektion, die ein Eröffnen des Tierkörpers und Untersuchungen sämtlicher Organsysteme (ob
verändert oder nicht) beinhaltet und entsprechend kosten- und zeitintensiv ist.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 221


Schwein
Das Vertrauen unseres Klientel in solche Sektionsergebnisse ist zudem gering: Die Aussage
eines Tierhalters, er habe schon dreimal ein Schwein untersuchen lassen und es wäre nichts dabei
herausgekommen, ist häufig zu hören. Bei dem oft vorgefundenen „Frischezustand“ des Tierkörpers
ist dies sicherlich nicht überraschend. Was wir dann als Ergebnis erhalten, ist keine Diagnose,
sondern nur ein Befund. Letzteren in das klinische Bild einzuordnen, gestaltet sich häufig schwierig.
Das Ausweichen auf Alternativverfahren, wie z. B. die Bronchial-Lavage, hat sich nach unserer
Erfahrung nicht bewährt.

Indirekte Erregerdiagnostik
Verständlicherweise stürzen sich Untersuchungseinrichtungen auf Methoden, die automatisiert
und mit vergleichsweise geringem personellem Aufwand gut kalkulierbar durchgeführt werden
können, denn nur das ist wirtschaftlich. An dieser Form der Diagnostik ist Geld zu verdienen und das
ist auch gut so.
Zunehmend werden aber auch Gesundheitspässe, die diagnostisch durch Screening-
Untersuchungen begleitet werden, verlangt und angeboten. Diese Screenings werden leider oft nicht
nach epidemiologischen, sondern nach wirtschaftlichen Erfordernissen gemacht – zumindest was die
Probenzahl angeht. Schnell wird dann das Vorhanden- oder „Gewesensein“ eines potentiell
krankmachenden Erregers viraler oder bakterieller Herkunft als Basis einer Therapie gewählt. Die
Konsequenz ist der Zugzwang, Maßnahmen wie Antibiotika-Einsatz oder Schutzimpfungen nach
positiven Laborbefunden und ohne Rücksicht auf klinische Relevanz durchzuführen.
Aber ist ein serologischer Nachweis von Antikörpern gegen APP, HPS, Mycoplasma hämosuis,
PRRS etc. überhaupt bedeutsam? Wie hoch ist die Prävalenz im Feld, wie sieht es mit der klinischen
Relevanz aus? Was ist mit der Virulenz der indirekt nachgewiesenen Erreger? Was sagt ein
serologisch oder auch virologisch positiver Befund in einem ansonsten klinisch unauffälligen Bestand
in Regionen mit einer Prävalenz von über 50 % und einem Anteil virulenter Stämme von ca. 20 %
aus?
Das großflächige Austauschen der PRRS-Impfung durch die Circo-Impfung aus Kostengründen
zeigt dies deutlich: Bislang ist es bei uns in keinem Betrieb zu einer Wiederaufnahme der PRRS-
Impfung gekommen, trotz gleichbleibend positiver serologischer oder PCR-Ergebnisse bei einer eher
besseren Gesundheit der Tiere.
Das Vorhandensein von Erregern, seien es Viren oder Bakterien, bedeutet nicht, dass die Tiere
klinisch krank sind. Ihr Nachweis ist nur ein Bestandteil der diagnostischen Kaskade. Erst die
Verknüpfung von vielen Befunden kann eine Aussage ermöglichen.
Mangelnde Diagnostik – häufig aufgrund fehlender Möglichkeiten – führt zu großen
Zeitverzögerungen, unangebrachten Medikationen und großen wirtschaftlichen Belastungen für die
Tierhalter.

Eine falsche Diagnose ist schlechter als keine Diagnose


Hier kommen wir zum eigentlichen Problem:

 Wer ist oder wer sind wirklich der oder die Verursacher der Erkrankung?
 Wie kommen wir an den oder die Verursacher?
 Ist es ein einzelner Erreger oder eine Mischinfektion?
 Haben wir es mit einer Primär- oder einer Sekundärerkrankung zu tun?
 Ist es ein solitäres oder ein Bestandsproblem?

222 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

In Ermangelung einer aussagekräftigen Diagnostik mit begleitender Tieröffnung wird manchmal


auf jedwedes Laborergebnis dankbar zurückgegriffen. Wie schön, wenn ein positives PRRS-
Ergebnis aus dem Labor zurückkommt, ist es doch die willkommene Ausrede dafür, dass eine
antibiotische Behandlung schlecht angeschlagen hat.

Zusammenfassung
Die uns zur Verfügung stehenden, neueren Methoden müssen mit äußerster Sorgfalt in der
diagnostischen Kaskade betrachtet werden:
Die MAP-Technologie (Luminex) erlaubt beispielsweise die simultane Quantifizierung von bis zu
100 Parametern in einer einzigen, winzigen Probe und das innerhalb von drei Stunden. So ist bei
den schon jetzt möglichen Screenings z. B. aus Fleischsaftproben zu befürchten, dass völlig neue
Zoonosen aufgedeckt werden; die nächsten Lebensmittelskandale sind vorprogrammiert. Positiv ist
dagegen sicherlich, dass die neuen Technologien es ermöglichen, die numerischen Defizite in den
Tierseuchenmonitorings (wie z. B. KSP) auszugleichen. Untersuchungsmaterial wie
Fleischsaftproben (z. B. Salmonellen-Proben) stehen in ausreichendem Maße zur Verfügung.
„Frei von …“ ist jedoch nicht in jedem Fall ein Qualitätskriterium, denn Erreger, mit denen wir seit
zehntausenden von Jahren zusammenleben, haben im menschlichen Körper wichtige Aufgaben (z.
B. für unser Immunsystem).
Die Kosten einer Diagnostik sind schon jetzt ein häufig limitierender Faktor und dieses Problem
wird sich in Zukunft eher verstärken. Leider ist es momentan jedoch einfacher, Gelder für
Zoonosenforschung zu bekommen als für Basisdiagnostik. So gab man 2010 ca. zehn Millionen Euro
für BSE-Tests aus, gefunden wurde aber kein einziges positives Tier.
Ein weiteres Problem sind die Anforderungen der neuen Antibiotika-Leitlinien, die sich mit den
uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht erfüllen lassen. Eine Reduktion des Antibiotika-
Verbrauchs in der Nutztierpraxis lässt sich nur durch eine belastbare Diagnostik erreichen.
Unbedingt vermieden werden müssen Entwicklungen, wie sie aktuell in Holland zu beobachten
sind: die politische Forderung einer Reduktion des Antibiotikaeinsatzes um 50 %, also der Weg zur
reinen Fremdbestimmung mit sicherlich auch populistischem Hintergrund.
Die möglichen Folgen können durchaus kontraproduktiv sein:

 Keine Behandlung (Tierschutz/wirtschaftliche Schäden)


 Niedrigere Dosierung pro kg KGW
 Kürzere Behandlung
 Verlust der Kontrolle durch eventuell verstärkten Schwarzmarkt der Medikamente
 Anstieg einer Resistenzbildung
 Beschleunigter Strukturwandel zu Ungunsten einer bäuerlichen Tierhaltung

Wir Tierärzte müssen uns zukunftsorientiert und offen den Anforderungen stellen und aktiv tätig
werden. Hier ist vor allem ein Handeln seitens unserer Funktionsträger (insbesondere aus der
Wissenschaft und Politik) gefragt. Noch haben wir es in der Hand, die Rahmenbedingungen
mitzugestalten. Die Alternative ist Fremdbestimmung und zunehmender Verlust an Kompetenz und
Eigenverantwortlichkeit.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 223


Schwein
Wenn wir dies vermeiden wollen, ist der direkte Erregernachweis aus einer ausreichenden
Anzahl aussagekräftiger Proben unverzichtbar und lässt sich ohne Tierkörperöffnung auf den
Tierhaltungen in ausreichendem Umfang nicht erreichen.
Dazu benötigen wir Einrichtungen in den Betrieben (z. B. ein Bereich für tierärztliche Zwecke) für
die Eröffnung von Tieren zu diagnostischen Zwecken unter definierten Rahmenbedingungen. Dies
sollte für Betriebe ab Kat. 3 obligatorisch in die Schweinehaltungshygiene-Verordnung aufgenommen
werden.
Mit der Tierkörperöffnung hätten wir ein zeitnahes und kostensparendes Diagnostikum an der
Hand. Die Möglichkeit eines schnellen Agierens wäre die logische Konsequenz.
Eine Arbeitsgruppe aus Niedersachsen (Tierärztekammer/LAVES/TiHo Hannover/BpT) hat
bereits Rahmenbedingungen für eine zielorientierte Organentnahme erarbeitet. Diese können auf der
Website des LAVES unter folgendem Link eingesehen werden:
http://www.tierseucheninfo.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=27181&article_id=9177
0&_psmand=24.

Literaturverzeichnis
1. Karl Kraus, zitiert nach Lajos Schöne: Die häufigste Krankheit ist die Diagnose, in: Berliner Morgenpost
online, 03.05.2008:
http://www.morgenpost.de/printarchiv/wissen/article179796/Haeufigste_Krankheit_ist_die_Diagnose.html
(geöffnet am 24.07.11).
2. http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Kraus (geöffnet am 24.07.11).

Kontaktadresse
Georg Bruns, Tierarztpraxis Steinfeld (Oldenburg), [email protected]

224 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Diagnostische Möglichkeiten der Glässerschen Krankheit


Mathias Ritzmann1, Andrea Ladinig1, Andreas Palzer2
1Klinik
für Schweine der Veterinärmedizinischen Universität, Wien (Österreich); 2Tierarztpraxis
Scheidegg, Scheidegg

Seit einigen Jahren lässt sich weltweit ein vermehrtes Auftreten der Glässerschen Krankheit
beobachten. Ursachen dafür können die intensiven Haltungsbedingungen, das Zusammenbringen
von Aufzuchtferkeln und Mastschweinen aus verschiedenen Herkünften, ein frühes Absetzen der
Ferkel sowie ein intensiver Tierverkehr sein. Darüber hinaus kommen Ko-Infektionen mit PRRSV
oder PCV2 in Betracht, die das Krankheitsgeschehen begünstigen beziehungsweise verstärken
können.
Die Glässersche Krankheit kann in allen Betriebsarten auftreten, wobei Bestände mit hohem
Gesundheitsstatus (High-Health oder SPF-Betriebe) häufig stärker betroffen sind. Unter
experimentellen Bedingungen lässt sich die Erkrankung sehr gut reproduzieren und die Tiere können
eine hohe Sterblichkeit aufweisen.
Als Erreger der Glässerschen Krankheit gilt das Bakterium Haemophilus parasuis (H. parasuis)
mit derzeit 15 Serovaren. Je nach Immunitätslage der Tiere und der Pathogenität des Stammes
verläuft die Erkrankung perakut bis chronisch. Die Infektion erfolgt als Tröpfcheninfektion über die
Luft. Krankheitsfördernd sind Belastungen, wie Transport (daher auch der Begriff
„Transportkrankheit“), Umstallen, Mischen von Tieren unterschiedlicher Herkünfte, Einstallung von
Schweinen aus H.-parasuis-negativen Beständen, Futterwechsel oder schlechtes Stallklima.
Infektionen mit anderen bakteriellen Erregern begünstigen die Ansiedlung von H. parasuis in der
Lunge. Nach Anheften im Nasen-Rachen-Raum und einer septikämischen Phase verbreitet sich der
Erreger im Organismus. Besonders gefährdet sind die serösen Häute wie Bauchfell, Brustfell,
Herzbeutel und die Gelenke.
Beim akuten Verlauf kommt es zu hohem Fieber, Apathie, Kachexie, Lahmheiten,
umfangsvermehrten Gelenken, Husten, verstärkter Zwerchfellatmung, einer kyphotischen
Rückenlinie und Schmerzäußerungen wie Schreien. Außerdem treten zentralnervöse Symptome wie
Zittern oder Ruderbewegungen, teilweise in Seitenlage, auf. In schweren Fällen kann es zu bläulich-
violetten Verfärbungen an den Ohren, der Rüsselscheibe und den Gliedmaßen sowie zu
Bindehautentzündung kommen. Das Abhören der Lunge ergibt häufig Reibegeräusche. Am stärksten
betroffen sind Ferkel vier bis sechs Wochen nach dem Absetzen oder Läufer kurz nach dem
Einstallen in die Mast.
Der milde Verlauf mit Husten oder Lahmheiten geht oft in ein chronisches Stadium mit Kümmern
der Schweine über. Bei älteren Schweinen und in Betrieben mit Infektion des gesamten Bestandes
kann die klinische Symptomatik auf den Atemwegstrakt beschränkt bleiben.
Pathologisch-anatomische Veränderungen (fibrinöse Entzündungen) der serösen Häute in Form
von Polyarthritis, Peritonitis, Pleuritis mit katarrhalisch-eitriger Bronchopneumonie sowie Perikarditis
und Meningoenzephalitis können beobachtet werden.
Zum Nachweis von H. parasuis werden in der Routinediagnostik mikrobiologische
Untersuchungen der fibrinösen Auflagerungen oder der Bauchhöhlenflüssigkeit durchgeführt. Als
mögliche Differentialdiagnose zur Glässerschen Krankheit sind Infektionen mit Mycoplasma hyorhinis
(M. hyorhinis) zu beachten, die ebenfalls eine Polyserositis hervorrufen können.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 225


Schwein
Untersuchungen haben gezeigt, dass es relativ gute Methoden zur Diagnostik der Glässerschen
Krankheit gibt. In einem Versuch wurden insgesamt 50 Schweine aus 23 Betrieben ausgewertet. In
keinem der Bestände wurde eine Impfung gegen H. parasuis durchgeführt. Die klinische
Untersuchung der Tiere berücksichtigte insbesondere die Atemwege, die Gelenke und das
Zentralnervensystem. Nach der klinischen Begutachtung, die mit einem Punktesystem
(Scoresystem) bewertet wurde, lag bei Tieren mit einer Scorezahl von mehr als vier Punkten der
klinische Verdacht einer H.-parasuis-Infektion vor. Bei 46 Schweinen wurde nach der klinischen
Untersuchung eine Lungenspülprobe gewonnen, die Tiere wurden anschließend euthanasiert und
pathologisch-anatomisch untersucht. Während der Sektion erfolgte die Entnahme von
Trockensammeltupfern von Rippenfell, Herzbeutel und Bauchfell. Die bronchoalveoläre Lavage
(BAL) wurde einen Tag später mikrobiologisch kulturell bearbeitet. Die Untersuchung auf H. parasuis
erfolgte bei allen Proben mittels PCR. Die gewonnenen Sammeltupfer der serösen Häute wurden
ebenfalls per PCR auf H.-parasuis- und zusätzlich auf M.-hyorhinis-spezifische Genomabschnitte
untersucht. In der vorliegenden Studie galten fibrinöse Entzündungen von Pleura, Pericard und
Peritoneum als Serositis. In der Untersuchung zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen
dem Sektionsbild einer Serositis und dem molekularbiologischen Nachweis von H. parasuis sowie M.
hyorhinis. Außerdem wurde eine signifikante Beziehung zwischen H. parasuis und M. hyorhinis
festgestellt.
Insgesamt waren 25 der 50 beprobten Schweine bei der Untersuchung des Sammeltupfers
mittels PCR auf H. parasuis positiv. Die klinische Befundung lieferte einen ersten Hinweis auf die
Infektion, da typische Krankheitssymptome wie kyphotische Rückenlinie, auffällige Lungengeräusche
und eine vermehrte Gelenkfüllung bei den infizierten Tieren signifikant häufiger festzustellen waren.
Zwischen dem klinischem Bild und dem positiven kulturellem Befund der Untersuchung von
Lungenspülproben bestand jedoch kein signifikanter Zusammenhang.
Weiterhin konnte festgestellt werden, dass zwischen einem positiven bakteriologischen Befund
der BAL in Bezug auf H. parasuis und dem Vorliegen einer Serositis keine Assoziation bestand.
Zwischen dem Nachweis H.-parasuis-spezifischer Genomabschnitte aus den untersuchten
Sammeltupfern und pathologisch-anatomischen Veränderungen in Form einer Entzündung der
serösen Häute konnte ein signifikanter Zusammenhang festgestellt werden.
H. parasuis ist trotz typischer klinischer Symptomatik und entsprechender pathologisch-
anatomischer Veränderungen in Gewebeproben der serösen Häute bakteriologisch sehr schwer
nachweisbar. Dies konnte auch in verschiedenen Infektionsversuchen gezeigt werden. Der Grund ist
darin zu suchen, dass das Bakterium in totem Gewebe relativ schnell inaktiviert und von anderen,
weniger empfindlichen Keimen überwuchert wird. Bei antibiotisch vorbehandelten Tieren ist H.
parasuis in der Regel kulturell nicht mehr nachweisbar. Daher sollten immer unbehandelte und frisch
erkrankte Schweine zur Untersuchung herangezogen werden, da nur bei diesen Tieren eine sehr
hohe Nachweishäufigkeit des Erregers auch in der Bakteriologie gegeben ist. Die Nachweisquote
von H. parasuis kann folglich in klinischen und pathologisch-anatomischen Verdachtsfällen durch
einen Sammeltupfer der serösen Häute mit nachfolgender PCR im Vergleich zur kulturellen
Untersuchung massiv gesteigert werden. Dabei sind Tiere, die irgendeine Form einer fibrinösen
Serositis aufweisen, zu beproben. Der Nachweis von H. parasuis im Sammeltupfer von pathologisch-
anatomisch unauffälligen Schweinen kann weiterhin auf ein frühes Stadium der Infektion hinweisen.
Gleichzeitig weisen die vorliegenden Daten auf die Wichtigkeit einer klinischen und pathologischen
Untersuchung hin.

226 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Da H. parasuis zu den „early colonizers“ gehört, ist es schwierig, die Infektion alleine durch
Managementmaßnahmen zu kontrollieren. Dennoch ist eine Antibiotikabehandlung immer mit
geeigneten Hygiene- und Managementmaßnahmen zu unterstützen. Zur Wirksamkeit verschiedener
Substanzen und zur Bedeutung von Resistenzen gibt es zahlreiche Untersuchungen. Aufgrund des
schwierigen kulturellen Nachweises von H. parasuis ist die Anfertigung eines Antibiogramms nicht
immer möglich. Penicillin gilt als Mittel der Wahl zur Behandlung der Glässerschen Krankheit, es wird
jedoch auf eine steigende Resistenzrate hingewiesen. In einer Untersuchung konnten bei knapp
14 % der getesteten H.-parasuis-Isolate Resistenzen gegenüber Beta-Lactam-Antibiotika
nachgewiesen werden. Dagegen werden Cephalosporine neben der Kombination aus Trimethoprim
und Sulfonamiden, Ampicillin, Fluoroquinolon, Gentamicin, Makrolide, Spectinomycin, Tetrazykline
und Tiamulin als therapeutisch wirksame Präparate beschrieben.

Kontaktadresse
Mathias Ritzmann, Klinik für Schweine der Veterinärmedizinischen Universität Wien,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 227


Schwein

Entwicklungstendenzen in der Kontrolle und Therapie von Atemwegs-


erkrankungen beim Schwein
Hans-Peter Knoeppel
MSD Tiergesundheit, Unterschleißheim

APP- Infektionen gewinnen mit der Zunahme von Lebendimporten (im Jahr 2010 wurden über 9
Mio. Ferkel aus dem Ausland nach Deutschland importiert) und der Intensivierung der
Schweinehaltung seit einigen Jahren an Bedeutung.
Zudem hat APP eine hohe Bedeutung sowohl als Primär- als auch als Sekundärpathogen im
Rahmen des Porcine Respiratory Disease Complex (PRDC).
Die Prävalenzen für APP liegen, je nach Untersuchung, in Europa zwischen 89% und 100%
(Untersuchungen aus Belgien, Italien, Spanien). In Deutschland liegt die Seroprävalenz bei 90 % und
der Anteil an Seroreagenten innerhalb der Betriebe bei 55 %.
Neben hoher Sterblichkeit bei perakuter oder akuter APP-Infektion können durch chronisch
erkrankte Mastschweine große wirtschaftliche Einbußen in betroffenen Betrieben auftreten. Nach
Hartley et al. (1988) kommt es zu einer Verlängerung der Mast bei Auftreten von Pleuritis um einen
Tag und bei Auftreten von klinischen Symptomen sogar zu einer Mastverlängerung um 8 Tage.
Rohrbach et al. (1993) stellten bei ihren Untersuchungen fest, dass auch subklinische Infektionen zu
einer Mastverlängerung von bis zu 5,6 Tagen führen können.
APP wird in zwei Biovare mit 15 unterschiedlichen Serotypen eingeteilt. Besondere Relevanz
haben die Serotypen 1, 2, 5, 9 und 11, vor allem im Hinblick auf die Bildung von hämolytischen und
zytotoxischen Toxinen (APX I-III). Aus den Toxinwirkungen erklärt sich das pathologisch-
anatomische Bild mit Sequesterbildung im akuten Fall sowie mit Pleuraverwachsungen in der
chronischen Verlaufsform.
Die Ansteckung mit Actinobacillus pleuropneumoniae erfolgt über Aerosole. Insbesondere
chronisch infizierte Tiere stellen das Erregerreservoir dar und können symptomlose Überträger
("Carrier- Tiere") sein. Alle Altersstufen sind empfänglich, wobei klinische Symptome besonders bei
Tieren zwischen der 9. und 16. Lebenswoche auftreten.
Diagnostisch stehen neben serologischen ELISA-Techniken und der KBR zur Typisierung auch
unterschiedliche PCR Kits zur Verfügung. Mit letzteren sind Erregernachweis und Typisierung von
Kulturmaterial nach Anzucht aus Lungen- oder BALF-Proben möglich. Ein Bestandsmonitoring über
serologische Untersuchungen gestaltet sich zur Erfassung chronischer Krankheitsverläufe schwierig,
da es zu Kreuzreaktionen der ELISA–Tests mit apathogenen Actinobacillen kommen kann.
Zur Erfassung von chronischen APP-Infektionen eignet sich ein neues Schlachthofscreening, das
von italienischen Arbeitsgruppen der Universität Instituto Zooprofilattico Sperimentale Lombardia ed
Emilia Romagna entwickelt wurde. Hierbei werden Pleuritiden an Schlachtlungen kontrolliert
klassifiziert und mittels eines statistisch validierten Scoring-Systems einer möglichen subklinischen
APP- Infektion zugeordnet.
Das entwickelte Programm nennt sich Slaughterhouse Pleurisy Evaluation System, kurz
SPES und basiert auf einer ähnlichen Vergabe eines Scores von 0-4, wie es aus Schlachthof-
Scorings nach Madec und Kobisch (1982) für Mycoplasma hyopneumoniae- bedingte Spitzenlappen-
Pneumonien bekannt ist.

228 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Ein konsequentes und individuell auf den jeweiligen Bestand abgestimmtes Impfmaagement,
insbesondere mit Subunit-Vakzinen, führt zum Rückgang der klinischen Symptome und zu einer
deutlichen Leistungssteigerung im Bestand.
Bei perakuten oder akuten klinischen Ausbrüchen von APP im Bestand ist ein schneller Einsatz
von geeigneten Antibiotika mit einer Wirkdauer über mehrere Tage angezeigt. Schwer erkrankte
Tiere sollten parenteral behandelt werden. Hierfür eignen sich v.a. Antibiotika aus der Gruppe der
Makrolide, die eine sehr gute Wirksamkeit gegenüber Pasteurellaceae besitzen.

Kontaktadresse
Dr. Hans-Peter Knöppel, MSD Tiergesundheit, Unterschleißheim, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 229


Schwein

Mycoplasma hyorhinis – ein unterschätzter Erreger


Andreas Palzer1, Mathias Ritzmann2
1Tierarztpraxis Scheidegg, Scheidegg; 2Klinik für Schweine der VU, Wien (Österreich)

Mycoplasma hyorhinis (M. hyorhinis) kommt ähnlich wie andere Erreger nahezu ubiquitär in den
Lungen von Schweinen vor. Es gibt einzelne Stämme, mit denen es in Infektionsversuchen möglich
war, eine leichte Pneumonie auszulösen. Nach eigenen Untersuchungen ist es sehr wahrscheinlich,
dass M. hyorhinis bei der Genese von Pneumonien im Zusammenspiel mit anderen Erregern
beteiligt ist. So konnten Genomfraqmente des Erregers signifikant häufiger aus Lungenspülproben
von an Pneumonie erkrankten Tieren nachgewiesen werden. Weiterhin konnte eine Korrelation
zwischen der Schwere einer Pneumonie bzw. der pathologischen Veränderungen und dem
Nachweis von M. hyorhinis belegt werden, die auf eine Bedeutung des Erregers bei der Entstehung
von Lungenerkrankungen hinweisen. M. hyorhinis kann sowohl bei Saugferkeln als auch bei allen
anderen Altersgruppen nachgewiesen werden, dabei ergab sich in Bezug auf die Nachweishäufigkeit
kein signifikanter Unterschied.

Für die sogenannte Mykoplasmen-Polyserositis ist der kausale Zusammenhang zwischen


Krankheitsbild und Erreger mittels Infektionsversuchen klar belegt. So war es möglich, sowohl eine
Polyserositis als auch Arthritis durch eine Inokulation mit dem Erreger auszulösen. In eigenen
Untersuchungen konnte ein statistischer Zusammenhang zwischen einem positiven PCR-Befund und
typischen klinischen Symptomen einer Polyserositis nachgewiesen werden. Die von einer
Mykoplasmen-Polyserositis betroffenen Tiere entwickeln klinische Symptome und pathologische
Veränderungen, die denen der Glässerschen Krankheit entsprechen. Es gibt keine Möglichkeit, diese
beiden Krankheitsbilder zu unterscheiden. Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, muss ein
Erregernachweis durchgeführt werden. Dabei besteht die Schwierigkeit in der Auswahl eines
aussagekräftigen Probenmaterials. Die Lunge ist zum Nachweis nicht geeignet, da der Erreger wie
schon ausgeführt in sehr vielen Schweinen auch ohne Vorliegen einer Polyserositis nachgewiesen
werden kann. Gleiches gilt für Haemophilus parasuis (H. parasuis). In eigenen Untersuchungen hat
sich die Untersuchung eines Sammeltupfers der serösen Häute mittels PCR zum Nachweis von
spezifischen Genomfraqmenten bewährt. Dabei konnte festgestellt werden, dass in einem Tier
signifikant häufiger Doppelinfektionen mit beiden Erregern (sowohl M. hyorhinis als auch H. parasuis)
vorliegen. Allerdings waren diese Tiere auch häufig PRRSV-positiv, sodass es denkbar ist, das eine
Vorschädigung der Lunge durch den Virus einen Übertritt der ubiquitär vorkommenden Erreger ins
Blut mit anschließender Bakteriämie begünstigt. In solchen Fällen ist eine Kontrolle der PRRSV-
Infektion der erste Schritt zur Kontrolle der auftretenden Polyserositis.

Eine Kontrolle der Infektion ist durch den Einsatz von bestandsspezifischen Impfstoffen und/oder
einer Antibiose möglich. Tritt die Infektion sehr früh auf, kann über eine Mutterschutzimpfung eine
Besserung erzielt werden. Wie schon ausgeführt, sollte jedoch zuerst immer eine genaue
Überprüfung der die Infektion begünstigenden Faktoren (PRRSV-Infektion, schlechtes Stallklima,
Glässersche Krankheit) durchgeführt werden, da es für den Übertritt des Erregers aus der Lunge in
die Blutbahn eine Erklärung geben muss. Durch die Kontrolle dieser Faktoren kann das Geschehen
meist ausreichend sicher kontrolliert werden.

230 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Literatur
Weiterführende Literatur ist beim Verfasser erhältlich.

Kontaktadresse
Dr. Andreas Palzer, FTA für Schweine, Dipl. ECPHM, Tierarztpraxis Scheidegg,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 231


Schwein

Aktives Parasitenmanagement in der Schweinehaltung


Stefan Viebahn
SVIFT Ingenieurbüro für Tierproduktion, Marienheide

Einleitung
Nach wie vor stellt der Spulwurmbefall, insbesondere in der Mastschweinehaltung, ein weit
verbreitetes Problem dar. Auswertungen von befragten Schlachthöfen zeigen, dass der Anteil der auf
Grund von Hepatitis interstitialis parasitica multiplex verworfenen Lebern im Jahresschnitt zwischen
4 % und 16 % schwankt. Dabei sind in Einzelfällen Verwurfraten von bis zu 70 % zu beobachten.
Beispiele aus Erzeugerketten mit einem Tiergesundheits-Monitoring zeigen hingegen, dass die
Ascariose im Rahmen der kontinuierlichen Beratung auf eine durchschnittliche Leberverwurfrate von
unter 5 % gedrückt und gehalten werden kann (1). Die wirtschaftliche Bedeutung der Ascariose wird
hauptsächlich durch ein verringertes Mastendgewicht, eine verringerte Futterverwertung und die
durch die Entsorgung der verworfenen Lebern entstehenden Kosten für die Schlachtunternehmen
beschrieben. Aus tiergesundheitlicher Sicht können der Ascariose Trigger-Funktionen für PRDC und
der Salmonellen-Inzidenz zugeschrieben werden (2,3).

Nachweis der Ascariose


Der Nachweis des Spulwurms erfolgt idealerweise mittels Koproskopie am lebenden Tier, um die
wirtschaftlichen und tiergesundheitlichen Auswirkungen der Ascariose durch entsprechende
Behandlungsmaßnahmen zumindest begrenzen zu können. Es ist bekannt, dass die routinemäßig
angewendete Koproskopie zum Nachweis von Ascarideneiern über eine relativ geringe Sensitivität
verfügt. In der Literatur finden sich Angaben zur Sensitivität zwischen 45 % und 95 % bzw. 66 % und
94 % (4,5). Ebenso ist die Spezifität der Nachweismethode nicht zufriedenstellend. In
Untersuchungen gelang nur bei 28 % der real infizierten Schweine ein Ascariden-Nachweis über die
Kotuntersuchung. Während der Präpatenz gewonnene Kotproben lassen keine
Untersuchungsergebnisse erwarten. Da die Eiausscheidung der Ascariden im Zeitablauf starken
Schwankungen unterliegt, sind negative Befunde nicht unbedingt aussagekräftig (6). Es wird als
Stand des Wissens angesehen, dass nur mit einer Serie von Kotuntersuchungen Aussagen zur
Spulwurmprävalenz in einem Bestand gemacht werden können (7). Sofern Schweine haltende
Betriebe nicht einem entsprechend ausgerichtetem Tiergesundheits-Monitoring angehören, kann
sich daher eine effiziente Spulwurmbekämpfung in der Praxis als schwierig erweisen. Ausbleibende
Erfolge generieren beim Tierhalter eine Verringerung des Problembewusstseins und die weitere
Manifestierung der wirtschaftlichen und tiergesundheitlichen Problematik im Bestand.

Eigene Untersuchungen
Ziel dieser Studie war es zu untersuchen, ob die Aussagefähigkeit von koproskopischen
Ascariden-Untersuchungen bei Mastschweinen mittels einer vorhergehenden diagnostischen
Entwurmung erhöht werden kann, um eine realistische Entscheidungsgrundlage für das
Parasitenmanagement unter praktischen Verhältnissen zu erhalten. Piperazin bewirkt eine schnelle
Ausscheidung lumenständiger Ascaris-suum-Entwicklungsstadien (8). Aus diesem Grund wurde
daher Piperazincitrat für die diagnostische Entwurmung als Wirkstoff geprüft.

232 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Material und Methode
In dem Versuchsbetrieb werden im kontinuierlichen Verfahren die mit ca. 120 Sauen selbst
erzeugten Ferkel gemästet. Die Abteile sind mit Vollspaltenböden und einer Flüssigfütterung
ausgerüstet. Die Schlachtabrechnungen der letzten zwölf Monate wiesen Leberverwurfraten von
durchschnittlich 30 % aus. Die diagnostische Entwurmung wurde in Versuchsabschnitt I mit der
zulassungsgemäßen Dosis von 120 mg Piperazincitrat 5 H2O/kg KGW und in Versuchsabschnitt II
mit 300 mg Piperazincitrat 5 H2O/kg KGW über das Flüssigfutter durchgeführt (9). In Tabelle 1 ist die
zeitliche Abfolge von Behandlung und Kotprobengewinnung für beide Versuchsabschnitte
dargestellt.

Tabelle 1: zeitliche Abfolge der diagnostischen Entwurmung und der Kotprobengewinnung


Zeitpunkt Maßnahme
Tag -1 Gewinnung von Sammel- und Einzelkotproben
Tag 1 Wie Tag -1 und Verabreichung von Piperazincitrat
Tag 2 24 Stunden p.m. Gewinnung von Sammel- und Einzelkotproben
Tag 3 48 Stunden p.m. Gewinnung von Sammel- und Einzelkotproben

Untersuchungsmethodik
In Anlehnung an die Literatur wurden für die makroskopische Untersuchung aus allen Buchten
Sammelkotproben von drei bis vier kg gezogen (7). Der Kot wurde vor Ort unter scharfem
Wasserstrahl durch ein Sieb (Maschenweite 800 µm) mit einem Fassungsvermögen von ca. 500 g in
einen Eimer verbracht. Es erfolgte die Auszählung der im Sieb identifizierten adulten Spulwürmer.
Für die mikroskopische Untersuchung der Einzelkotproben wurde eine im Institut für
Parasitologie der Justus-Liebig-Universität Gießen etablierte Flotationsmethode angewandt. Der
Stichprobenumfang beträgt unter Berücksichtigung einer angenommenen Prävalenz von 30 % in der
Anfangsmast je acht und in der Endmast je sieben Einzelkotproben je untersuchter Bucht.
Zusätzlich erfolgte eine Poolung von Einzelkotproben zwecks makroskopischer Untersuchung
am Institut für Parasitologie der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Die Effizienz der diagnostischen Entwurmung wurde anhand der Anzahl makroskopisch
identifizierter adulter Spulwürmer pro untersuchter Bucht am Tag -1, 1, 2 und 3 sowie der Anzahl
mikroskopisch positiver Einzelkotproben am Tag -1, 2 und 3 bestimmt.
Die statistische Auswertung der Untersuchungsergebnisse der Sammelkotproben erfolgte mittels
Student-t-Test, die der Einzelkotproben mittels „Wilcoxon’s matched pair“-Test.

Ergebnisse
Zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung waren die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.
Es kann erwartet werden, dass bei Ascaridenbefall die diagnostische Entwurmung mit Piperazincitrat
in dem vorliegenden Fall zu einer Verbesserung der Aussagefähigkeit koproskopischer
Untersuchungen führte.

Literaturverzeichnis
1. Viebahn S. Aktives Parasitenmanagement. Vortrag 27. Vechtaer Veterinär-Symposium; 05.05.2011;
Vechta.
2. Kurze S, Wesemeier HH. Spulwurmbefall und Leberverwürfe bei Schweinen – Erhebungsdaten aus der
Praxis und wirtschaftliche Folgen. Der Praktische Tierarzt. 2006;87(2):128-34.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 233


Schwein
3. Van der Wolf PJ, Wolbers WB, Elbers ARW, van der Heijden HMJF, Koppen JMCC, Hunnemann WA, et
al. Herd level husbandry factors associated with the serological Salmonella prevalence in finishing pig
herds in The Netherlands. Vet. Microbiol. 2001;78:205-19.
4. Rommel M, Eckert T, Kutzer E. Allgemeines. Untersuchungsmethoden. In: Boch J, Supperer R, Eckert J,
Kutzer E, Rommel M, Bürger HJ, Körting W, Herausgeber. Veterinärmedizinische Parasitologie. 4. Auflage
Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg. S. 477-86.
5. Boes J, Nansen P, Stephenson LS. False-positive Ascaris suum egg counts in pigs. Int. J. Parasitol.
1997;27(7):833-8.
6. Buchwalder R, Hiepe TH, Ribbeck R, RUMMEL CH. Investigation into the course of experimental Ascaris
suum invasions in pigs under field conditions. Helminthol. 1984;21, 221-9.
7. Baumhüter F. Untersuchungen zu Risikofaktoren und zur Bekämpfung von Infektionen mit Spulwürmern
(Ascaris suum) bei Mastschweinen [Dissertation]. Hannover: Tierärztliche Hochschule; 1999.
8. Boes J, Eriksen L, Nansen P. Embryonation and infectivity of Ascaris suum eggs isolated from worms
expelled by pigs treated with albendazole, pyrantel mamoate, ivermectin or piperazine dihydrochloride.
Veterinary Parasitology. 1998;75:181-90.
9. Bauer C, Hertzberg H. Merkblätter zur Parasitenbekämpfung Schwein, Version für Deutschland. Intervet
Deutschland GmbH Herausgeber. S.13-14.

Kontaktadresse
Dr. agr. Stefan Viebahn, SVIFT Ingenieurbüro f. Tierproduktion, Marienheide,
[email protected]

234 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Das Immunsystem von Ferkeln


Hans-Joachim Schuberth
Institut für Immunologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Allgemeines zum Immunsystem des Schweines


Das Immunsystem von Schweinen weist einige Besonderheiten im Vergleich zu dem anderer
Säugerspezies auf. So besitzen Schweine sogenannte „invertierte“ Lymphknoten, die viele afferente,
aber nur ein efferentes Lymphgefäß aufweisen. Ebenso unterscheidet sich das Zirkulationsverhalten
von Immunzellen. Schweine besitzen zudem unter den T-Zellen, neben den einfach CD4- oder CD8-
positiven T-Zellen, eine Subgruppe, die sowohl das CD4- als auch das CD8-Molekül tragen (doppelt
positive T-Zellen). Diese Zellen weisen zwar besondere funktionelle Eigenschaften auf, die sich
jedoch, wie die anderen Besonderheiten beim Schwein, nicht auf die Immunantwort nach
Erregerkontakt oder die Impfantwort speziell auswirken.
Neben den klassischen Antikörpern IgM, IgA, IgE, und IgG sind beim Schwein bisher elf IgG-
Isotypen auf genetischer Ebene bekannt, von denen im Einzelnen nicht bekannt ist, welche Funktion
sie ausüben, unter welchen Umständen sie exprimiert werden und welche Bedeutung sie für die
Immunabwehr bestimmter Erreger haben (1). Das Fehlen „sauberer“ IgG-Isotyp-spezifischer
Reagenzien erschwert Untersuchungen, die für die Analyse von Immunantworten auf Impfstoffe oder
Erreger wichtig wären.

Besonderheiten des Immunsystems von Ferkeln


Ferkel sind bei der Geburt immunkompetent, d.h. sie sind in der Lage, koordiniert auf ein
Fremdantigen mit einer adaptiven Immunantwort zu reagieren. Allerdings zeigen manche Zelltypen
des angeborenen Immunsystems eine funktionelle Unreife. Dies äußert sich in einer schlechteren
Phagozytosefähigkeit, einer schwächeren Fähigkeit, Antigen zu präsentieren oder Signale (Zytokine,
Chemokine) an andere Zellen aussenden zu können (2). Ebenso ist die Fähigkeit der B-
Lymphozyten von neugeborenen Ferkeln, zu Plasmazellen zu differenzieren, in den ersten 4
Wochen nach der Geburt eingeschränkt (3).
Eine andere Form der Unreife stellt eine Polarisierung der Erreger-spezifischen Immunantworten
in Richtung Typ-II-Immunantworten dar. Typ-I-Immunantworten sind durch die Bildung Komplement-
aktivierender Antikörper und der Bildung von zytotoxischen T-Zellen gekennzeichnet (Leitzytokine:
IL-12 und IFN-). Typ-II-Antworten sind gekennzeichnet durch die Bildung anti-inflammatorischer
Zytokine (Leitzytokine: IL-4 und IL-10) und blockierender Antikörper. Ferkel zeigen wurfabhängige
Variationen der Expression von IL-4 und IL-10 (Typ-II) und eine stark vom Individuum abhängige
Expression von IFN- (4). Nimmt man das Verhältnis von IL-10/IFN-g als Maß für die Polarisierung
des Immunsystems Richtung Typ-I-Antworten (IFN-/IL-10 > 1) oder Typ-II-Antworten (IFN-/IL-10
< 1), so scheint es, über alle Ferkel gesehen mit dem Alter zu einem steigenden Verhältnis zu
kommen (5). Der Immunantwort-Phänotyp – mit Implikationen für die Prädisposition gegenüber
verschiedenen Infektionserkrankungen und den Impferfolg – wird sehr früh erlangt.
Kolostrumaufnahme bewirkt eine Reifung des Darmschleimhautimmunsystems mit
umfangreichen Änderungen der Zusammensetzung von Immunzellpopulationen. Die Zahl
intraepithelialer Lymphozyten steigt beispielsweise von Tag 1 bis Tag 60 nach der Geburt um das

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 235


Schwein
12-fache. Die Reifung des intestinalen Immunsystems wird ebenso durch die Keimbesiedelung des
Darmes enorm gefördert (6,7).

Die Bedeutung von Kolostrum für das Ferkel


Ferkel können trotz prinzipieller Immunkompetenz keine schnelle Immunantwort ausbilden. Ihr
initialer Schutz hängt direkt von Faktoren der Mutter ab, die sie zunächst über das Kolostrum, später
über die Milch erhalten (8,9). Dieser Schutz wird hauptsächlich durch Antikörper vermittelt (8).
Protektion wird jedoch ebenso durch maternale Immunzellen vermittelt, die aus dem Kolostrum in
das Ferkel übertreten (8-10). Ferkel von Sauen, die gegen Mycoplasma hyopneumoniae geimpft
wurden, zeigten T-Zell-abhängige Reaktionen nach Hauttestung und eine Antigen-spezifische
Proliferation der Blut-Lymphozyten (11). Dies belegt, dass Effektor-T-Zellen aus dem Kolostrum in
die Zirkulation von Ferkeln gelangen und dort Funktionen ausüben können.
Weiterhin enthält Kolostrum immunmodulierende und antimikrobielle Faktoren, die für den Schutz
des Neugeborenen und dessen Immunsystementwicklung von großer Bedeutung sind (9). Porcines
Kolostrum und porcine Milch enthalten ein breites Spektrum aus sowohl inflammatorischen (IL-6,
TNF-, IFN-, IL-12), anti-inflammatorischen (IL-10, IL-4) und regulatorischen (TGF-1) Zytokinen,
die entweder aus der Zirkulation stammen oder lokal im Gesäuge oder den Immunzellen des
Kolostrums produziert werden (12,13).

Einflüsse maternaler Antikörper auf Impfungen von Ferkeln


Eine Fülle von Publikationen belegt den hemmenden Effekt von maternalen Antikörpern auf die
Produktion eigner Antikörper des Ferkels. Je früher Ferkel mit kompletten, multivalenten Antigenen
oder Antigengemischen vakziniert werden, desto geringer fallen die Primär- wie auch die
Sekundärreaktion nach Wiederholungsimpfung aus (14,15). Bemerkenswert ist jedoch die
Beobachtung aus Impfversuchen mit Modellantigenen. Hier konnte gezeigt werden, dass Epitop-
spezifische Antworten der Ferkel selbst nach früher Immunisierung möglich sind, wenn zur
Immunisierung von Ferkeln ein Antigen verwendet wird, dass sich im Epitopspektrum leicht von dem
unterscheidet, welches zur Immunisierung von Muttersauen verwendet wurde (16).
Maternale Antikörper hemmen nicht nur. Die Bindungsstelle der maternalen Antikörper (der
Idiotyp) wird vom Ferkel als fremd erkannt. Antikörper dagegen sind idiotyp-spezifisch. Deren
Bindungsstelle sieht dem Epitop sehr ähnlich gegen das die Mutter Antikörper gebildet hat. Werden
nun vom Ferkel Antikörper gegen seine eigenen idiotyp-pezifischen Antikörper produziert, nennt man
diese anti-idiotyp-spezifische Antikörper. Sie können mit dem von der Mutter erkannten Antigen
reagieren. Diese Art der Antikörpergenerierung ist Teil der „Erziehung des Immunsystems“,
produziert keine hohen Antikörperspiegel, führt aber dazu, dass Gedächtniszellen entstehen, die in
Fall eines Erregerkontaktes schnell reagieren können. Die Relevanz von anti-idiotypischen
Antikörpern wurde für die Immunisierung gegen das PRRS-Virus belegt (17).

Literaturverzeichnis
1. Butler JE, Lager KM, Splichal I, Francis D, Kacskovics I, Sinkora M, et al. The piglet as a model for B cell
and immune system development. Vet Immunol Immunopathol. 2009;128(1-3):147-70.
2. Worliczek HL, Gerner W, Joachim A, Mundt HC, Saalmuller A. Porcine coccidiosis--investigations on the
cellular immune response against Isospora suis. Parasitol Res. 2009 Aug;105 Suppl 1:S151-5.
3. Hammerberg C, Schurig GG, Ochs DL. Immunodeficiency in young pigs. Am J Vet Res. 1989
Jun;50(6):868-74.

236 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
4. Wilkie BN, Rupa P, Schmied J. Practical immunoregulation: Neonatal immune response variation and
prophylaxis of experimental food allergy in pigs. Vet Immunol Immunopathol. 2011 Mar 12.
5. de Groot J, Kruijt L, Scholten JW, Boersma WJ, Buist WG, Engel B, et al. Age, gender and litter-related
variation in T-lymphocyte cytokine production in young pigs. Immunology. 2005 Aug;115(4):495-505.
6. Zhang J, Deng J, Wang Z, Che C, Li YF, Yang Q. Modulatory effects of Lactobacillus salivarius on
intestinal mucosal immunity of piglets. Curr Microbiol. 2011 May;62(5):1623-31.
7. Oste M, De Vos M, Van Haver E, Van Brantegem L, Thymann T, Sangild P, et al. Parenteral and enteral
feeding in preterm piglets differently affects extracellular matrix proteins, enterocyte proliferation and
apoptosis in the small intestine. Br J Nutr. 2010;104(7):989-97.
8. Salmon H, Berri M, Gerdts V, Meurens F. Humoral and cellular factors of maternal immunity in swine. Dev
Comp Immunol. 2009 Mar;33(3):384-93.
9. Wagstrom EA, Yoon KJ, Zimmerman JJ. Immune components in porcine mammary secretions. Viral
Immunol. 2000;13(3):383-97.
10. Tuboly S, Bernath S. Intestinal absorption of colostral lymphoid cells in newborn animals. Adv Exp Med
Biol. 2002;503:107-14.
11. Bandrick M, Pieters M, Pijoan C, Molitor TW. Passive transfer of maternal Mycoplasma hyopneumoniae-
specific cellular immunity to piglets. Clin Vaccine Immunol. 2008 Mar;15(3):540-3.
12. Nguyen TV, Yuan L, Azevedo MS, Jeong KI, Gonzalez AM, Saif LJ. Transfer of maternal cytokines to
suckling piglets: in vivo and in vitro models with implications for immunomodulation of neonatal immunity.
Vet Immunol Immunopathol. 2007 Jun 15;117(3-4):236-48.
13. Hagiwara K, Domi M, Ando J. Bovine colostral CD8-positive cells are potent IFN-gamma-producing cells.
Vet Immunol Immunopathol. 2008 Jul 15;124(1-2):93-8.
14. Markowska-Daniel I, Pomorska-Mol M, Pejsak Z. The influence of age and maternal antibodies on the
postvaccinal response against swine influenza viruses in pigs. Vet Immunol Immunopathol. 2011 Jul
15;142(1-2):81-6.
15. Baums CG, Bruggemann C, Kock C, Beineke A, Waldmann KH, Valentin-Weigand P. Immunogenicity of
an autogenous Streptococcus suis bacterin in preparturient sows and their piglets in relation to protection
after weaning. Clin Vaccine Immunol. 2010 Oct;17(10):1589-97.
16. Schuberth HJ, Gellermann M, Leibold W, grosse Beilage E. Immunisierung mit Modellantigenen zur
Prufung des Einflusses maternaler Antikörper auf die adaptive Immunantwort von Ferkeln. Dtsch Tierärtzl
Wschr. 2008;115(2):78-9.
17. Zhou EM, Clavijo A, Jiang Z, Ameri-Mahabadi M, Zimmerman JJ. Induction of auto-anti-idiotypic
antibodies specific for antibodies to matrix and envelope glycoprotein from pigs experimentally infected
with porcine reproductive and respiratory syndrome virus. Vet Immunol Immunopathol. 2004 Sep;101(1-
2):49-59.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Hans-Joachim Schuberth, Institut für Immunologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule, hans-
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 237


Schwein

Kolostrum – mehr als passive Immunisierung


Axel Wehrend1, Johannes Kauffold2
1Klinikum Veterinärmedizin, Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und
Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz, Justus-Liebig-Universität Gießen; 2Ambulatorische und
Geburtshilfliche Tierklinik der Veterinärmedizinischen Fakultät, Universität Leipzig

Einleitung
Die Bedeutung von Kolostrum wurde in der Vergangenheit in erster Linie in der Versorgung der
neugeborenen Ferkel mit Immunglobulinen und Energie gesehen. Daneben ist es durch hohe
Konzentrationen fettlöslicher Vitamine gekennzeichnet. Ein absoluter oder relativer Mangel an
kolostralen Antikörpern führt zur Infektionsanfälligkeit und gehört zu den wichtigsten Ursachen
neonataler Mortalität und Morbidität. Neue Untersuchungen zeigen, dass die Bedeutung des
Kolostrums nicht nur auf die Vermittlung einer passiven Immunität und Nährstoffversorgung
beschränkt ist, sondern eine Vielzahl von Inhaltsstoffen Einfluss auf die morphologische und
funktionelle Entwicklung von Organsystemen des Ferkels nehmen.

Hormone und Wachstumsfaktoren im Kolostrum


Maternale Hormone im Kolostrum sind an der postnatalen Differenzierung der weiblichen
Geschlechtsorgane des Ferkels beteiligt. So steuert kolostrales Relaxin im Zusammenhang mit
Östrogenen die morphologische und funktionelle Differenzierung von Zervix und Uterus beim
neonatalen Ferkel. Diese physiologische Bedeutung eröffnet die Möglichkeit von Störungen. So führt
die Aufnahme von Zearalenonmetaboliten über die Milch zu einer Veränderung der Genexpression in
den inneren Geschlechtsorganen beim weiblichen Ferkel.
Für Insulin, Leptin, IGF-1 und den Epidermal Growth factor wurden im Kolostrum deutlich höhere
Konzentrationen als in der Sauenmilch gefunden. Die genaue Bedeutung ist zum größten Teil noch
unbekannt und steht im Fokus aktueller Forschungen. Bekannt ist, dass kolostrale
Wachtumsfaktoren Einfluss auf die Entwicklung des Gastrointestinaltraktes nehmen. Interessant ist
in diesem Zusammenhang, dass die relative Zusammensetzung des Kolostrums mit diesen
Molekülen der Situation beim Menschen ähnelt, weshalb sich das Ferkel für Forschungsarbeiten auf
dem Gebiet der metabolischen Programmierung eignet.

Einflussfaktoren auf die Kolostrumqualität


Die Beeinflussung der Kolostrumqualität durch Immunisierung der Sau und Fütterung mit
Fettsäuren ist lange bekannt. Um weitere Faktoren zu erkennen, welche die Menge der
Kolostrumproduktion von Sauen beeinflussen, wurden Sauen, die viel Kolostrum produzieren, mit
Tieren, die weniger Kolostrum produzieren, verglichen. Eine große Menge von Kolostrum ist
insbesondere bei großen Würfen wünschenswert. Unterschiede zeigten sich im Bereich der
Elektrolyt- und Laktosekonzentrationen im Kolostrum. Keinen Einfluss zeigte die Wurfgröße. Aus
diesen Ergebnissen wird geschlossen, dass es individuelle Unterschiede im Zustand des
milchbildenden Gewebes zwischen den Sauengruppen gibt. Die differente
Elektrolytzusammensetzung weist auf eine durchlässigere Blut-Gesäugeschranke bei den niedrig-
produzierenden Tieren hin. Die Qualität des milchbildenden Gewebes muss in Zukunft verstärkt in
Zuchtprogramme aufgenommen werden. Aufgabe wird es sein, praxistaugliche Parameter zu
entwickeln, mit denen diese Eigenschaften erfasst werden können.

238 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Fazit für die Praxis
Da die Aufnahme von qualitativ hochwertigem Kolostrum weitreichende Bedeutung für das Ferkel
hat, die bis zu einer Beeinflussung der späteren Fruchtbarkeit führt, sind neben der Gewährleistung
der zeitgerechten, ausreichenden Kolostrumaufnahme durch die Neonaten, Haltungsbedingungen
der Sauen sicherzustellen, die eine optimale Kolostrumproduktion gewährleisten.

Literaturverzeichnis
1. Bartol FF, Wiley AA, Bagnell CA. Relaxin and maternal lactocrine programming of neonatal uterine
development. Ann N Y Acad Sci. 2009;1160:158-63.
2. Chen JC, Frankshun AL, Wiley AA, Miller DJ, Welch KA, Ho TY, Bartol FF, Bagnell CA. Milk-borne
lactocrine-acting factors affect gene expression patterns in the developing neonatal porcine uterus.
Reproduction. 2011;141(5):675-83.
3. Farmer C, Quesnel H. Nutritional, hormonal, and environmental effects on colostrum in sows. J Anim Sci.
2009;87(13 Suppl):56-64.
4. Foisnet A, Farmer C, David C, Quesnel H. Relationships between colostrum production by primiparous
sows and sow physiology around parturition. J Anim Sci. 2010;88(5):1672-83.
5. Guilloteau P, Zabielski R, Hammon HM, Metges CC. Nutritional programming of gastrointestinal tract
development. Is the pig a good model for man? Nutr Res Rev. 2010;23(1):4-22.
6. Markowska-Daniel I, Pomorska-Mól M, Pejsak Z. Dynamic changes of immunoglobulin concentrations in
pig colostrum and serum around parturition. Pol J Vet Sci. 2010;13(1):21-7.
7. Wiley AA, Kauffold J, Wähner M, Crean-Harris B, Miller DJ, Bagnell CA, Bartol FF. Laser microdissection
of neonatal porcine endometrium for tissue-specific evaluation of relaxin receptor (RXFP1) expression in
response to perinatal zearalenone exposure. Ann N Y Acad Sci. 2009;1160:190-1.
8. Wu WZ, Wang XQ, Wu GY, Kim SW, Chen F, Wang JJ. Differential composition of proteomes in sow
colostrum and milk from anterior and posterior mammary glands. J Anim Sci. 2010;88(8):2657-64.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Axel Wehrend, Klinikum Veterinärmedizin, Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und
Andrologie der Groß- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz der Justus-Liebig-Universität
Gießen, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 239


Schwein

Bedeutung und Bekämpfung des Clostridium-perfringens-Typ-A-


assoziierten Durchfalls der Saugferkel unter besonderer
Berücksichtigung der Immunprophylaxe
Sven Springer1, Jacqueline Finzel1, Volker Florian1, Heike Schoepe2, Georg
Baljer2, Hans-Joachim Selbitz1
1IDTBiologika GmbH, Geschäftsbereich Tiergesundheit, Forschung und Entwicklung; 2Institut für
Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere, Justus-Liebig-Universität Giessen

Einleitung
Im Gegensatz zur Toxovar C von Clostridium (C.) perfringens, dem Erreger der nekrotisierenden
Enteritis der Saugferkel (NE), gehört die Toxovar A zur Normalflora des Schweins, tritt aber im
Zusammenhang mit prädisponierenden Faktoren auch als Durchfallerreger bei Saugferkeln auf (1,2).
C. perfringens Typ A (CpA) induziert in der Regel eine katarrhalische Enteritis, die durch eine hohe
Morbidität, aber im Gegensatz zur NE durch eine geringe Mortalität, charakterisiert ist. Schwere
Verläufe wurden im Zusammenhang mit der Geburt von lebensschwachen Würfen infolge einer
Infektion mit dem PRRSV bzw. Leptospiren und nach Mischinfektion mit Rotaviren, enterotoxischen
E. coli (ETEC) und Isospora suis beschrieben (1,3).
Die Pathogenese des CpA-assoziierten Durchfalls ist nicht vollständig geklärt. Die Erkrankung
zeigt aber alle Kennzeichen einer Faktorenkrankheit. Sicher ist, dass CpA, wie alle C.-perfringens-
Stämme, das α-Toxin (Phospholipase C) bildet, das Bestandteile von Zellmembranen zerstört und
damit letal, dermonekrotisierend und hämolytisch wirkt. Weiterhin lassen sich aus erkrankten Ferkeln
in der Regel CpA-Stämme isolieren, die das Gen für die Produktion des so genannten 2-Toxins
(cpb2) tragen. Dieses Toxin wurde erstmals von Gibert et al. beschrieben (4). Die Wirkungsweise
des 2-Toxins ist nicht vollständig geklärt (5). Smedley III et al. vermutet eine porenformende
Aktivität des Toxins (6).

Ergebnisse der Untersuchung von C.-perfringens-Stämmen


Im Rahmen der Herstellung von bestandsspezifischen Impfstoffen wurden von März 2005 bis
Februar 2008 insgesamt 1435 C.-perfringens-Stämme untersucht. Die Untersuchungen umfassten
die Typisierung der Stämme mit Hilfe einer Multiplex-PCR und den quantitativen Nachweis des -
und 2-Toxins mit ELISA-Tests, auf der Grundlage monoklonaler Antikörper (7). Alle C.-perfringens-
Stämme wurden aus an Durchfall erkrankten Ferkeln isoliert. In den meisten Beständen kam bereits
ein kommerziell verfügbarer Impfstoff gegen die NE zum Einsatz, der aber nicht zum gewünschten
Erfolg führte.
Insgesamt gehörten 87,9 % der untersuchten Isolate zur Toxovar A (2+) und 6,3 % zur Toxovar
A (2-). Weitere 5,8 % der Stämme ließen sich als Toxovar C (2+) identifizieren. Die hohe
Nachweishäufigkeit cpb2-positver CpA-Stämme weist auf die Bedeutung des Erregers für das
Durchfallgeschehen der Saugferkel hin und entspricht den Ergebnissen aus der Literatur (2,8,9).
Nach Kultivierung der Stämme in einem Flüssigmedium wurden die Überstände quantitativ auf das
Vorkommen des - und 2-Toxins mit Hilfe der ELISA-Tests untersucht. Im Ergebnis zeigten C.-
perfringens-Stämme, die geringe oder mittlere Gehalte des -Toxins bildeten, häufig eine starke
Expression des 2-Toxins (Abb. 1). Wenn auch die Wirkungsweise des 2-Toxins bisher nicht

240 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
abschließend geklärt werden konnte, zeigen die Ergebnisse einen deutlichen Zusammenhang
zwischen dem quantitativen Nachweis des -Toxins und dem Nachweis des 2-Toxins.

Abb. 1: Bildung des - und 2-


Toxins in relativen Einheiten (rE)
nach Kultivierung von C.-
perfringens-Stämmen (n = 1435)
im Rahmen der Produktion
bestandsspezifischer Impfstoffe

Möglichkeiten der Bekämpfung


Da der CpA-assoziierte Durchfall den Charakter einer Faktorenkrankheit hat, ist eine
diagnostische Abklärung der Erkrankung von großer Bedeutung. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt des
Auftretens der Erkrankung sollte eine Untersuchung auf C. perfringens Typ C, ETEC, Rota- und
Coronaviren sowie auf Kokzidien und Strongyliden erfolgen. Beschrieben wurden auch Infektionen
mit C. difficile (10). Häufig kommen auch Mischinfektionen der genannten Erreger vor. Weiterhin
sollten prädisponierende Faktoren, wie z.B. eine mangelhafte Reinigung und Desinfektion (CpA ist
ein Sporenbildner), eine nicht bedarfsgerechte Fütterung der Sauen und Mängel im Management
abgestellt werden. Erkrankungen der Muttertiere, die mit der Geburt lebensschwacher Ferkel
einhergehen (z.B. PRRSV, Leptospirose) oder zu einer Verminderung der Milchaufnahme führen
(MMA), sollten beachtet werden.
Zur Bekämpfung der klinischen Symptome, die durch CpA hervorgerufen werden, kommen
bestandspezifische Impfstoffe und in schweren Fällen Antibiotika in den ersten Lebenstagen zum
Einsatz. Bewährt hat sich dabei die orale Gabe von Penicillinpräparaten. Dagegen sollten
Aminoglycosid-Antibiotika aufgrund der intrinsischen Resistenz der Clostridien nicht zum Einsatz
kommen. Bei der Herstellung von bestandsspezifischen Impfstoffen bereiten die Auswahl eines
geeigneten Impfstamms und Inaktivierungsverfahrens sowie der Aktivitätsverlust des -Toxoids
während der Lagerung des Impfstoffes die größten Probleme.
Diese Probleme wurden bei der Entwicklung einer Toxoidvakzine (Clostriporc A, IDT Biologika
GmbH) berücksichtigt. Grundlage der Vakzine ist das Toxoid eines CpA-Stamms mit einem hohen
- und 2-Toxin-Bildungsvermögen. Der Einsatz des Impfstoffes erfolgt als klassische
Muttertierimpfung, zweimal im Abstand von drei Wochen im letzten Drittel der Trächtigkeit. Die
Wirksamkeit der Vakzine wurde unter Labor- und Feldbedingungen geprüft. Da eine Infektion von
Ferkeln mit CpA nicht sicher zu Symptomen führt (Faktorenkrankheit), wurde zur Untersuchung der
Wirksamkeit unter Laborbedingungen ein Intoxikationsmodell entwickelt. Dazu wurden Jungsauen
fünf und zwei Wochen a.p. mit dem Impfstoff Clostriporc A s.c. vakziniert. Die Kontrollgruppe erhielt
physiologische Kochsalzlösung verabreicht. Vor der ersten und zweiten Impfung sowie zur Geburt

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 241


Schwein
wurden Blutproben genommen. Zur Geburt erfolgte die Entnahme einer Kolostrumprobe. Die Seren
und das Kolostrum wurden auf Antikörper gegen das - und 2-Toxin mit Hilfe von ELISA-Tests
untersucht. Am Tag nach der Geburt wurden Ferkel von geimpften Sauen und Kontrollsauen mit
einem - und 2-toxinhaltigen Überstand eines heterologen CpA-Stammes i.p. belastet. Nach der
Intoxikation erfolgten die Erfassung klinischer Veränderungen mit Hilfe eines „Scoring"-Schemas
(Allgemeinbefinden, Haltung, Verhalten, Milchaufnahme) und die Bestimmung der Mortalitätsrate in
den Gruppen. Zur statistischen Untersuchung von Unterschieden zwischen den Gruppen kam der U-
Test nach Mann und Whitney („klinischer Score") und der exakte Test nach Fischer (Mortalitätsrate)
zum Einsatz.
Geimpfte Sauen zeigten zur Geburt signifikant (Signifikanzniveau p < 0,05) höhere
Antikörpergehalte gegen das - und 2-Toxin im Serum und Kolostrum im Vergleich zur
Kontrollgruppe. Diese Antikörper wurden via Kolostrum übertragen und ließen sich im Serum der
Ferkel bis zur vierten Woche nach der Geburt nachweisen. Ferkel von geimpften Sauen zeigten im
Vergleich zu Ferkeln von Kontrollsauen eine signifikant geringere Erkrankungsrate und Mortalität
(siehe Tabelle 1).
Diese Ergebnisse konnten in Feldversuchen bestätigt werden. Die Impfung führte unter
Feldbedingungen zu einer signifikanten (p < 0,05) Reduzierung der Durchfallhäufigkeit und zu einer
signifikant (p < 0,05) besseren Gewichtsentwicklung der Ferkel.

Tabelle 1: Ergebnisse der klinischen Untersuchung („klinischer Score“) und der Mortalität nach
Impfung von Sauen mit einer C.-perfringens-Typ-A-Toxoidvakzine und Belastung der
Ferkel mit einem - und 2-toxinhaltigen Überstand eines heterologen CpA-Stamms
Klinischer Score Ferkel Mortalität Ferkel
Anzahl der Mittelwert ± SA
Versuch Gruppe Sauen n1 n1 gestorben in %
geimpft 5 9 0,56 ± 1,67a 8 1b 12,5
1
Placebo 6 11 4,91 ± 0,83 11 7 63,6
geimpft 7 13 0,15 ± 0,55a 13 0b 0
2
Placebo 7 13 4,77 ± 1,01 13 8 61,5
geimpft 6 12 0,08 ± 0,29a 12 0 0
3
Placebo 6 12 3,42 ± 1,78 12 3 25,0
1 Anzahlder Ferkel, SA = Standardabweichung, a p < 0,05 (U-Test nach Mann and Whitney), b p < 0,05 (exakter
Test nach Fisher)

Literaturverzeichnis
1. Gresham ACJ. Enteritis and enterotoxaemia associated with Clostridium perfringens infection in young
pigs. The Pig Journal. 1997;40:99-109.
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perfringens β2-toxin amongst animals, determined using genotyping and subtyping PCR assays.
Epidemiol Infect. 2000;124:61-7.
3. Holmgren N, Lindberg M, Linder A, Lundeheim N, Segall T. Piglet mortality caused by Clostridium
perfringens Type A. Proceedings of the 18th IPVS Congress, Hamburg, Germany, 27 June-01 July,
2004;260.

242 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
4. Gibert M, Jolivet-Renaud C, Popoff MR. Beta2 toxin, a novel toxin produced by Clostridium perfringens.
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5. van Asten A J A M, Nikolaou G N, Gröne A. The occurrence of cpb2- toxigenic Clostridium perfringens and
the possible role of the β2-toxin in enteric disease of domestic animals, wild animals and humans. Vet J.
2010;183:135-140.
6. Smedley III J G, Fisher D J, Sayeed S, Chakrabarti G, McClane BA. The enteric toxins of Clostridium
perfringens. Rev Physiol Biochem Pharmacol. 2004;152:183-204.
7. Baums C G, Schotte U, Amtsberg G, Goethe R. Diagnostic multiplex PCR for toxin genotyping of
Clostridium perfringens isolates. Vet Microbiol. 2004;100:11-6.
8. Klaasen HLBM, Molkenboer MJCH, Bakker J, Miserez R, Häni H, Frey J, Popoff MR, van den Bosch JF.
Detection of the β2 toxin gene of Clostridium perfringens in diarrhoeic piglets in The Netherlands and
Switzerland. FEMS Immunol Med Microbiol. 1999;24:325-32.
9. Bueschel DM, Jost BH, Billington SJ, Trinh HT, Songer JG. Prevalence of cpb2, encoding beta2 toxin, in
Clostridium perfringens field isolates: correlation of genotype with phenotype. Vet Microbiol. 2003;94:121-
9.
10. Hopman NE, Keessen EC, Harmanus C, Sanders IM, van Leengoed LA, Kuijper EJ, Lipmann LJ.
Acquisition of Clostridium difficile by piglets. Vet Microbiol. 2011;149:186-92.

Kontaktadresse
Dr. Sven Springer, IDT Biologika GmbH, Geschäftsbereich Tiergesundheit, Forschung und
Entwicklung, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 243


Schwein

Das Shigatoxin 2e im Komplex der Coli-Infektionen der Absatzferkel


und die Rolle neutralisierender Antikörper
Hans-Joachim Selbitz, Olaf Lüder, Volker Florian, Olaf Bastert, Regine Fricke
IDT Biologika GmbH, Geschäftsbereich Tiergesundheit, Forschung und Entwicklung, Dessau-Roßlau

Einleitung
Infektionen mit Escherichia (E.) coli spielen beim Schwein in verschiedenen Altersgruppen eine
große Rolle. Absatzferkel sind von Erkrankungen durch enterotoxische E. coli (ETEC),
enteropathogene E. coli (EPEC) und Edema-disease-E. coli (EDEC), eine Sonderform der
shigatoxinbildenden E. coli (STEC), betroffen. Es treten auch Stämme auf, die sowohl Shiga- und
Enterotoxine bilden. Bei der Ödemkrankheit handelt es sich um ein klar abgegrenztes Krankheitsbild,
das auf der Wirkung des Shigatoxins 2e (Stx2e) beruht. Die Anheftung an die Dünndarmschleimhaut
wird durch Fimbrien vermittelt, bei den EDEC dominieren Fimbrien des Typs F18ab, während F18ac-
Fimbrien eher in ETEC der Serogruppen O141, O147 und O157 nachgewiesen werden. Aktuelle
Untersuchungen von Barth et al. wiesen bei 73,2 % der STEC-Isolate F18ab-Gene nach,
wohingegen 93,6 % der STEC/ETEC-Isolate F18ac-Gene aufwiesen (1). Stx2e ist ein Holotoxin mit
einer pentameren B-Untereinheit, die für die Rezeptorbindung verantwortlich ist. Die A-Untereinheit
besitzt intrazelluläre, enzymatische Aktivitäten.
Bei der Bekämpfung der Ödemkrankheit spielen Impfungen bis heute nur eine sehr
untergeordnete Rolle, obwohl erste Versuche mit Toxoidvakzinen bereits vor Jahrzehnten
unternommen wurden (2). Ziel der Untersuchungen war es, Grundlagen für die Entwicklung eines
Impfstoffes auf der Basis eines rekombinanten Stx2e zu erarbeiten und insbesondere die Rolle
neutralisierender Antikörper zu prüfen.

Etablierung eines Intoxikationsmodells


Die Reproduktion des Krankheitsbildes „Ödemkrankheit“ hat sich in der Vergangenheit sowohl
bei Verwendung toxinbildender Kulturen als auch von toxinhaltigen Kulturpräparationen als schwierig
erwiesen. Durch Klonierung des Stx2e-Gens in E. coli K12 gelang die Herstellung von
rekombinantem Toxin, das nach intravenöser Applikation bei Absatzferkeln ausgeprägte Symptome
der Ödemkrankheit einschließlich letaler Krankheitsverläufe auslöste (3). Dabei war eine eindeutige
Dosisabhängigkeit zu erkennen. Bisherige Untersuchungen haben bis einschließlich des 109.
Lebenstages eine volle Empfänglichkeit gegenüber dem rekombinanten Toxin erbracht. Die
zytotoxischen Wirkungen des Toxins können in Vero-Zell-Kulturen nachgewiesen und titriert werden.
Der Toxintiter wird in CD50 (cytotoxische Dosis50) angegeben. Ein Serumneutralisationstest (SNT)
erlaubt den qualitativen und quantitativen Nachweis neutralisierender Antikörper. Für diesen SNT
wird Stx2e eingesetzt, das aus Kulturen von EDEC gewonnen wird (sogenanntes Feldtoxin).

Entwicklung eines rekombinanten Impfantigens


Mittels rekombinantem, chemisch (Glutaraldehyd) inaktivierten Stx2e ist eine Immunisierung
gegen die Ödemkrankheit möglich. Dennoch wurde im Hinblick auf Sicherheit und Ökotoxizität durch
gezielte genetische Modifikation (Austausch von Aminosäuren) eine Toxinmutante entwickelt (4). Da
die zytotoxischen Wirkungen dieses Toxins sehr stark reduziert sind, wird sein Nachweis in einem

244 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
ELISA vorgenommen und der Toxintiter in CD50äquiv ausgedrückt. Für die erforderlichen Testungen im
Rahmen der Impfstoffentwicklung kam Aluminiumhydroxid als Adjuvans zum Einsatz.

Nachweis neutralisierender Antikörper und des Schutzes im Intoxikationsmodell


Versuchsvakzinen mit abgestuften Antigengehalten wurden am 4. Lebenstag i.m. an Ferkel
serologisch negativer Sauen verabreicht. Am 25. Lebenstag erfolgte die i.v. Belastung mit
rekombinantem Stx2e. Sowohl die Nachweisbarkeit neutralisierender Antikörper als auch der Schutz
vor klinischen Erkrankungen und Verendungen ließen eine deutliche Dosisabhängigkeit erkennen.
Am 25. Lebenstag, also 21 Tage nach einmaliger Impfung, wiesen noch nicht alle geimpften Tiere
neutralisierende Antikörper auf (Tabelle 1), obwohl bei Toxinbelastung an diesem Tag sichere
Schutzeffekte dokumentiert werden konnten. Die überlebenden Tiere und ungeimpften Kontrolltiere
wurden bis zum 91. Lebenstag weiter serologisch untersucht. Sowohl der Anteil seropositiver Tiere
pro Gruppe als auch die Titer stiegen an, alle Kontrolltiere blieben seronegativ. Zur Ermittlung des
Schutzeffektes wurde ein klinischer Score angewendet, in den der letale Ausgang mit dem höchstem
Wert einging. Tiere mit neutralisierenden Antikörpern erwiesen sich in jedem Fall als geschützt,
unabhängig von der Titerhöhe (Tabelle 1).

Tabelle 1: Dosisabhängigkeit des Schutzes und des Nachweises neutralisierender Antikörper bei
Ferkeln nach einmaliger Impfung am 4. Lebenstag
Gruppe Immunisierungs- Neutralisierende Schutz (%) bei Neutralisierende
dosis Antikörper am 25. Challenge am 25. Antikörper am 35.
Lebenstag (positive Lebenstag Lebenstag (positive
Tiere /Gesamtzahl) Tiere/Gesamtzahl)
1 10 Mill. CD50 aquiv. 4/6 100 6/6
2 8 Mill. CD50 äquiv. 4/6 87 5/6
3 6 Mill. CD50 äquiv. 3/7 67 6/7
4 4 Mill. CD50 äquiv. 4/6 60 4/6
5 2 Mill. CD50 äquiv. 1/7 27 1/6
Kontrolle - 0/6 0 0/6

Die Dauer der Immunität bis zum 91. Lebenstag wurde durch Toxinbelastungen der am 4.
Lebenstag einmalig geimpften Tiere belegt.

Prüfung der Verträglichkeit für Schweine


Die Prüfung der Verträglichkeit erfolgte für das Erstimpfalter, 4. Lebenstag, nach den Vorschriften
des Europäischen Arzneibuches, dabei traten weder lokale noch systemische
Unverträglichkeitsreaktionen auf. Dadurch war der Nachweis der Unschädlichkeit für Ferkel dieser
Altersgruppe erbracht. Mit chemisch inaktiviertem rekombinanten Holotoxin war dies dagegen nicht
möglich.

Erste Ergebnisse von Feldversuchen


In Feldversuchen nach §17c des Tierseuchengesetzes gelang die Bestätigung der Wirksamkeit
der Versuchsvakzine, wiederum anhand der Parameter: neutralisierende Antikörper und klinischer
Schutz (Tabelle 2).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 245


Schwein
Tabelle 2: Nachweis neutralisierender Stx2e-Antikörper und Schutz vor letaler Ödemkrankheit in
einem Feldversuch nach einmaliger Impfung am 4. Lebenstag
Gruppe Tierzahl Letale Verläufe Neutralisierende
Antikörper am 60.
Lebenstag
(positive/untersuchte
Tiere)
Impfgruppe 161 0* 157/157*
Kontrollgruppe 158 18 (11,4%) 5/136
* p < 0,0001 exakter Test nach Fisher

Diskussion und Schlussfolgerungen


Unter Berücksichtigung der Pathogenese der Ödemkrankheit bieten sich zwei prinzipielle
Lösungswege für die Immunprophylaxe an. Das ist zum einen die Induktion antiadhäsiver Antikörper
gegen die Fimbrien des Typs F18ab und zum Anderen die Induktion neutraliserender Antikörper
gegen das Stx2e. Dabei müssen die antiadhäsiven Antikörper auf der Darmschleimhaut zur Wirkung
kommen, während die neutralisierenden antitoxischen Antikörper systemisch wirken. Mittels eines
rekombinanten Stx2e konnte ein stabiles Intoxikationsmodell entwickelt werden, in dem Ferkel nach
i.v.-Applikation das typische klinische Bild der Ödemkrankheit einschließlich der letalen Verlaufsform
ausprägten. Dieses Toxin erwies sich nach Toxoidierung als immunogen und protektiv, erfüllte aber
nicht alle Anforderungen an die Unschädlichkeit eines Impfstoffes. Durch gezielte genetische
Modifikation gelang die Entwicklung eines sicher verträglichen Impfantigens, das bereits an vier Tage
alte Saugferkeln problemlos verabreicht werden konnte. Nach einmaliger Impfung konnten Ferkel
gegenüber einer experimentellen Intoxikation am 25. Lebenstag geschützt werden, wobei eindeutige
dosisabhängige Effekte auftraten. Die Einmalimpfung schützte auch noch gegen eine experimentelle
Intoxikation am 91. Lebenstag. In einem Feldversuch war es möglich, diese Schutzeffekte in einem
Schweinebestand mit Ödemkrankheit zu belegen. Zwischen dem Nachweis neutralisierender
Antikörper im SNT und den Schutzeffekten bestand ein klarer Zusammenhang. Unabhängig von der
Höhe der Titer erwiesen sich regelmäßig alle Tiere als geschützt, bei denen neutralisierende
Antikörper nachgewiesen werden konnten.
Es ist weiteren Untersuchung vorbehalten, Impfregime für Bestände zu erproben, in denen die
Ödemkrankheit in einem späteren Lebensalter auftritt. Außerdem werden die Auswirkungen der
Impfung auf Parameter wie Tageszunahmen und den Medikamenteneinsatz näher untersucht.

Literatur
1. Barth S, Schwanitz A, Bauerfeind R. Polymerase chain reaction-based method for the typing of F 18
fimbriae and distribution of F 18 fimbrial subtypes among porcine Shiga toxin-encoding Escherichia coli in
Germany. J Vet Diagn Invest. 2011;23(3):454-64.
2. Awad-Masalmeh M, Willinger H. Untersuchungen zur Prophylaxe der Ödemkrankheit des Absatzferkels.
Wien tierärztl Mschr. 1987;74(12):422-6.
3. Hoffmann C. Entwicklung und Prüfung eines Impfstoffes gegen die Ödemkrankheit der
Schweine.(Dissertation). Gießen: Justus-Liebig-Universität; 2009.
4. Florian V. Entwicklung eines rekombinanten Stx2e-Impfantigens als Basis für einen Impfstoff gegen die
Ödemkrankheit der Schweine. Forschungsdokumentation IDT Biologika GmbH; 2008.

246 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Die Autoren danken Prof. Dr. Georg Baljer, Prof. Dr. Rolf Bauerfeind und Dr. Stefanie Barth,
Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten der Justus-Liebig-Universität Gießen für die langjährige
wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Hans-Joachim Selbitz, IDT Biologika GmbH Dessau-Roßlau,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 247


Schwein

Porzine Rotaviren: Problematik im Bestand und zoonotisches


Potential
Christian Köhler, Antje Rückner, Malgorzata Gac, Thomas W. Vahlenkamp
Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

Einleitung
Durchfallerkrankungen sind beim Ferkel keine Seltenheit. Sie können zu erheblichen Einbußen
durch Saugferkelverluste, hohe Behandlungskosten und Wachstumsbeeinträchtigung führen (1,2,4).
Durchfälle können während der gesamten Zeit zwischen Geburt und Absetzen auftreten. Während
neonatale Durchfälle überwiegend durch Clostridien (und früher auch TGE) verursacht werden, sind
bei späteren Durchfällen andere Bakterien (u.a. E. coli), aber auch Parasiten (Kryptosporidien),
nachweisbar. Rotavirusinfektionen verursachen bei verschiedenen Tierarten Schäden am
Darmepithel und induzieren durch Aktivierung des enteralen Nervensystems einen starken
Flüssigkeitsverlust (3,6). Es wurde lange Zeit angenommen, dass Rotaviren beim Schwein eher
milde Durchfälle verursachen und vor allem zum Ende der Saugperiode vorkommen (1). Mittlerweile
zeigten Untersuchungen, dass Rotavirusinfektionen auch bei Saugferkeln vorkommen (2,4).
Insbesondere Rotaviren der Gruppe A, aber auch Viren der Gruppe C, wurden in den ersten
Lebenswochen nachgewiesen (4).
Unsere eigenen Untersuchungen zielen auf eine Charakterisierung von aktuellen
Rotavirusisolaten, die wir versuchen, aus Proben Sächsischer Betriebe zu erlangen. Wie viele
Rotaviren anderer Spezies ist die Kultivierung von porzinen Rotaviren in vitro nicht einfach. Viele
primäre Zellen und Zell-Linien wurden mit wechselnden Ergebnissen getestet. Momentan werden
alle Virusisolierungen auf einer Nierenzell-Linie (MA-104) durchgeführt, da sich diese Zellen als
besonders geeignet gezeigt haben, in Anwesenheit von Trypsin, welches zur Erlangung der
Infektiösität reifer Rotaviruspartikel notwendig ist, zu wachsen. Im Vergleich zu Rotaviren der Gruppe
C werden die beim Schwein vorkommenden Rotaviren der Gruppe A häufiger in vitro isoliert.
Vereinzelte epidemiologische Untersuchungen scheinen das Bild zu ergeben, dass Rotaviren der
Gruppe A vor allem im Alter bis zu drei Wochen ausgeschieden werden, während Rotaviren der
Gruppe C über einen vergleichsweise längeren Zeitraum bis zur achten Lebenswoche
ausgeschieden werden können (8). Die beim Schwein ausgeschiedenen Virusmengen sind mit 107
infektiösen Viruspartikeln pro Gramm Faeces den Ausscheidungsmengen bei anderen Spezies
vergleichbar. Schwere klinische Verläufe mit hohen Mortalitätsraten sind insbesondere dann zu
beobachten, wenn andere Durchfallerreger wie zum Bespiel Clostridien hinzukommen. Impfstoffe bei
Schweinen gegen Rotaviren sind kommerziell nicht erhältlich. In Problembeständen werden zum Teil
für Rinder zugelassene Rotavirusvakzinen eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist allerdings fraglich, da im
Unterschied zum Rind beim Schwein andere Rotavirustypen vorkommen (4,5). Es werden somit
unter anderem präventive hygienische Maßnahmen sein, die zur Kontrolle der Ausbreitung von
Rotaviren beitragen.

Zoonotisches Potential
Humane Rotaviren der Gruppe A werden als recht spezies-spezifisch für den Menschen
angesehen. In den vergangenen Jahren wurde die Charakterisierung und Typisierung der
Rotavirusstämme erweitert. Neben den das äußere Kapsid (VP4, VP7) kodierenden

248 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Genomsegmenten werden alle weiteren Struktur- sowie Nicht-Strukturproteine in die Analysen
einbezogen. Hierbei zeigt sich, dass Genomsegmente, die die inneren Strukturproteine (VP6, VP1,
VP2, VP3) und die Nicht-Strukturproteine (NSP1, NSP2, NSP3, NSP4, NSP5) kodieren, bei einer
Vielzahl humaner und porziner Rotaviren große genetische Übereinstimmungen zeigen.
Offensichtlich belegen die Ergebnisse, dass es häufiger als bisher angenommen zu einer
Reassortierung von Genomsegmenten zwischen Viren humaner und porziner Herkunft kommt.
Dieser wechselseitige Austausch genetischer Information kann stets zur Bildung von Viren führen,
die neue biologische Eigenschaften haben. Um weitere Einsichten über das Vorkommen von
Reassortierung und mögliche zoonotische Übertragung von Rotaviren zwischen Mensch und
Schwein zu erlangen, führen wir im Institut epidemiologische Untersuchungen zum Vorkommen der
Infektion beim Schwein und zur Charakterisierung der beteiligten Rotavirusstämme durch.

Schlussfolgerung
Rotaviren spielen mit anderen bakteriellen und parasitären Infektionen eine bedeutende Rolle
beim Durchfallgeschehen in Schweinebeständen. Schwere klinische Verläufe werden insbesondere
bei Mischinfektionen mit verschiedenen Erregern beobachtet. Zur Entwicklung von Impfstoffen gegen
porzine Rotaviren ist die Kenntnis der zirkulierenden Stämme eine unabdingbare Voraussetzung. Die
Wirksamkeit der in Problembeständen zum Teil eingesetzten bovinen Rotavirusvakzinen ist fraglich,
da beim Schwein andere Rotavirus-Typen vorkommen (4,5). Auch bei der Entwicklung eines
porzinen Rotavirus-Impfstoffs sind präventive, hygienische Maßnahmen zur Kontrolle der
Ausbreitung der Viren in jedem Fall anzuwenden.

Literaturverzeichnis
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1981;4:229-42.
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Pezzotti G, Lavazza A, Buonavoglia C. Prevalence of group C rotaviruses in weaning and post-weaning
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8. Debouck P. Porcine Rotavirus. In: Horzinek MC, Pensaert MB, Herausgeber. Virus infections of porcines.
Elsevier; 1989. S. 97-109.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Dr. Thomas W. Vahlenkamp, Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät,
Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 249


Schwein

Diagnostik von Fruchtbarkeitsstörungen in einem Zuchtsauenbestand


anhand eines Fallberichtes
Peter Irgang
Dr-Vet Die Tierärzte Jöss, Lebring (Österreich)

Der Zuchtsauenbestand
Beim Zuchtsauenbestand handelt es sich um einen Ferkelerzeugerbetrieb mit 1100 Zuchttieren
und angeschlossener Ferkelaufzucht bis 30 kg Körpergewicht auf einem Standort und 3200
Mastplätzen mit Jungsauenaufzucht auf einem zweiten Standort in unmittelbarer Nähe.
Der Betrieb wird als geschlossener Betrieb geführt. Lediglich Endstufeneber für die
Ferkelproduktion und Sperma für die Reinzuchtlinien werden zugekauft. Die verwendete Genetik
stammt von der Firma „Hülsenberger Zuchtschweine“. Der Betrieb ist im Wochenrhythmus
organisiert und die Ferkel werden mit ca. 26 Tagen Alter abgesetzt. Die Jungsauen werden bis 30 kg
KGW mit den anderen Ferkeln derselben Altersgruppe gehalten und danach in einem separaten
Abteil im Bereich des Maststalles aufgestallt. Mit ca. 180 Tagen Alter kommen die zuvor selektierten
Tiere in den Jungsauenbereich der Zuchtanlage. Dort werden sie zur ersten Rausche stimuliert und
zur zweiten Rausche (mit 235 bis 260 Tagen Alter) belegt. Nach der ersten Trächtigkeitskontrolle
mittels Scanner am 28. Trächtigkeitstag werden die trächtigen Jungsauen dann in den Bereich der
trächtigen Altsauen gebracht und dort bis zum Verbringen in die Abferkelbuchten im Kastenstand
gehalten.
Der Gesundheitsstatus des Betriebes zum Zeitpunkt der Übernahme:
 PRRSV, Räude, PAR, Dysenterie negativ
 Influenza, APP, Mykoplasma, PIA, Leptospiren positiv

Prophylaxemaßnamen zum Zeitpunkt der Übernahme


 Jungsauen: Medikation mit OTC in den ersten 2 Wochen nach Verbringen vom
Aufzuchtbereich in den Jungsauendeckbereich. Vakzination gegen PPV, Leptospiren 2-mal
im Abstand von 4 Wochen
 Altsauen: Vakzination gegen PPV, Leptospiren in der Säugephase
 Ferkel: Vakzination gegen Mykoplasmen und PCV2 in der Säugezeit

Leistungsparameter
Die verschiedenen Leistungsparameter laut Sauenplaner lassen verschiedene Bereiche
erkennen, in welchen die Leistung im Verlauf des Jahres stark schwankt und über die
physiologischen Grenzen hinaus abweicht. Die Abferkelrate, die Aborte und die Anzahl der tot
geborenen Ferkel pro Wurf schwanken teilweise beträchtlich und sind nicht zufriedenstellend. Die
Gesamtleistung des Betriebes gemessen in Ferkel pro Sau und Jahr liegt mit 24,5 Ferkeln auf einem
mittleren Niveau und erscheint wirtschaftlich nicht besorgniserregend. Dennoch verursachen die
verlorenen Ferkel und die Leertage der Sauen beträchtliche Kosten. Dies veranlasste die
Eigentümer, eine umfassende Analyse der Situation zu beauftragen.

250 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Tabelle 1: Übersicht über die wichtigsten Leistungsparameter
A- J- AnzV
Monat Abf- Abf- Abf- Umr Umr Umr Ges Leb Tot Abg Verl - Abort
Rate Rate Rate /a.
% % % % AS% JS% /Wrf /Wrf /Wrf Wrf % verw %
01.01.2010 87,00 88,89 80,85 9,09 6,96 15,69 13,30 12,32 0,97 10,40 17,48 4 2,06
01.02.2010 86,49 89,26 80,82 11,76 11,11 13,16 13,93 13,03 0,90 10,34 19,12 6 2,80
01.03.2010 82,46 83,47 77,55 12,14 11,42 15,25 14,09 12,93 1,16 10,74 18,91 4 1,72
01.04.2010 82,89 85,96 72,00 13,25 10,77 22,22 13,46 12,45 1,00 10,37 16,78 9 4,04
01.05.2010 81,72 84,72 69,23 16,26 13,85 25,86 13,38 12,61 0,77 10,61 18,08 3 1,55
01.06.2010 81,48 86,93 67,16 13,64 10,38 20,99 13,47 12,49 0,98 10,68 19,96 6 2,79
01.07.2010 82,08 82,72 80,00 17,17 14,86 24,14 13,81 12,59 1,23 10,04 22,19 8 3,32
01.08.2010 78,97 81,19 69,81 15,33 13,28 23,73 14,09 12,92 1,17 9,80 21,05 8 3,56
01.09.2010 75,71 75,57 76,06 15,97 15,85 16,25 13,27 12,42 0,84 10,49 17,28 5 2,44
01.10.2010 80,39 81,13 77,78 10,33 7,89 19,23 13,45 12,47 0,98 10,55 20,07 6 2,71
01.11.2010 82,07 83,17 76,74 8,68 8,22 10,87 13,07 12,11 0,96 10,01 19,77 6 3,16
01.12.2010 82,97 84,12 79,66 6,64 5,59 9,68 13,53 12,56 0,97 10,13 19,47 6 2,62
01.01.2011 77,44 74,65 89,80 13,93 16,44 3,64 13,51 12,60 0,91 9,92 21,56 3 1,55
01.02.2011 7,33 7,47 6,90 23,53 23,59 23,33 13,88 12,89 0,98 10,29 22,83 3 1,69
01.03.2011 0,00 15,42 13,99 20,00 13,65 12,75 0,90 9,87 19,57 6 2,78

Vorgehen
Entsprechend der von Muirhead und Alexander vorgeschlagenen Vorgehensweise wurden zuerst
die Leistungsdaten des Sauenplaners genauer analysiert (1). Dabei wurden die Bereiche „Aborte“
und „Nachrauschende Sauen“ (vor allem Jungsauen) als Problembereiche identifiziert. Diese
Probleme wurden durch Gespräche mit dem betreuenden Personal genauer untersucht
(regelmäßige, unregelmäßige Umrauscher; Aborte in welchem Stadium, Sauen beim Scannen nicht
trächtig).
Danach wurden in den Problembereichen die Prozeduren für Samenmanagement und
Deckmanagement eingehend vor Ort untersucht. Zudem wurden Genitaltrakte von Problemsauen
mittels Ultraschall untersucht. Paarige Blutproben von Problemsauen wurden entnommen und auf
alle bekannten Erreger von Fruchtbarkeitsstörungen untersucht (Influenza, Leptospiren, PRRSV,
PCV2). Abortusmaterial wurde über zwei Monate gesammelt und tief gefroren. Danach wurden PCR
Untersuchungen auf Leptospiren, PPV, PCV2 und Influenzavirus durchgeführt. Weiters wurden die
zur Besamung eingesetzten Eber einer genauen klinischen und spermatologischen Untersuchung
unterzogen.
Futterproben aus mehreren Lieferungen wurden sowohl auf Mykotoxine als auch mikrobiologisch
untersucht. Die Haltungsbedingungen und das Fütterungsmanagement wurden genau analysiert.
Das verwendete Trinkwasser wurde einer bakteriologischen und chemischen Analyse
unterzogen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 251


Schwein
Ergebnisse
Besprechung mit dem Personal
Alle belegten Sauen wurden am 28. und am 48. Trächtigkeitstag mittels Ultraschall-Scanner
untersucht. Dabei wurden beim ersten Scannertermin innerhalb einer Gruppe einige Sauen als nicht
trächtig befunden und einige andere Sauen, welche beim ersten Termin als trächtig befunden
wurden, waren beim zweiten Termin nicht trächtig. Aborte wurden vor allem im ersten Drittel der
Trächtigkeit festgestellt. Jungsauen und Altsauen wurden bis zum 28. Trächtigkeitstag im
Kastenstand gehalten und nicht umgruppiert.

Bei der Untersuchung der Prozeduren für Samengewinnung, -aufbereitung und -lagerung sowie
der Rauschefeststellung und der Besamung wurden keine Mängel festgestellt.

Klinische Untersuchung von Problemsauen und Untersuchung mittels Ultraschall


Bei einzelnen nachrauschenden Sauen konnte mukös-purulenter Vaginalausfluss festgestellt
werden. Einzelne nicht trächtige Sauen zeigten im Ultraschall eine Vergrößerung des Uterus mit
teilweise ggr. Inhalt.
Die Ovarbefunde waren durchwegs in Ordnung (teilweise kleine anöstrische Ovarien).

Paarige Serumproben von Problemsauen


Bei keiner einzigen Serumprobe konnte ein Anstieg des Antikörpertiters zwischen Akut- und
Rekonvaleszenzprobe festgestellt werden. Alle Proben zeigten stabile Titer für APP Serogruppe 2
und einzelne Proben stabile Titer für Influenza, PCV2 und Leptospiren. Bei den Leptospiren konnten
bei L. bratislava, L. hardjö, L. icterohämorhagie mittels MAT Titer nachgewiesen werden, wobei die
Titer bei einer Probe bei 1:100 und bei allen anderen bei 1:50 lagen.

Abortusmaterial
Bei der Untersuchung des Abortusmaterials (40 Proben) von 6 Zuchtsauen konnten in keiner der
Proben mittels PCR die gesuchten Erreger (Leptospiren, Influenza, PRRSV, PCV2) nachgewiesen
werden.

Die spermatologische Untersuchung der Eber ergab bei 3 der 6 eingesetzten Eber eine
Normospermie und bei 3 Ebern eine Dysspermie.

Die Untersuchung der Futterproben von säugendem und trächtigem Sauenfutter ergab keine
erhöhten Werte bei der Bakteriologischen, mykologischen und bei der Mykotoxinuntersuchung.

Haltung und Fütterungsmanagement


Bei den Jungsauen war die Aufstallungsdichte der Jungsauen zur Rauschestimulation zu dicht
(Klauenverletzungen sichtbar, teilweise Anöstrie). Beim Fütterungsmanagement wurde die
Troghygiene bemängelt (vor allem bei den Ebern).
Weiters wurde das Fehlen eines Nagerbekämpfungsplanes bemängelt und teilweise relativ viel
Nagerkot vorgefunden.

252 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Trinkwasseruntersuchung
Die Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung waren unter den Normwerten. Bei der
chemischen Untersuchung wurden erhöhte Werte für Ammonium (als NH4), Mangan (als Mn) und
Sulfat (als SO4) festgestellt.

Diskussion
Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen zeigen einige Problembereiche auf
(Spermaqualität, Trinkwasserqualität, Jungsauenhaltung, Troghygiene, Nagerbekämpfung).
Es konnte weiters keine infektiöse Ursache für das Abortusgeschehen festgestellt werden. Die
Rolle von APP und Leptospiren sollten jedoch nicht ganz außer Acht gelassen werden. Klinisch
waren in der Sauenherde zu keiner Zeit Husten oder pneumonische Erscheinungen festzustellen.
Wilson und Kierstead haben Aborte im Gefolge von klinischen Ausbrüchen beschrieben (2). Die
Leptospirentiter können natürlich auch von der Vakzination stammen, obwohl diese sehr niedrig und
uneinheitlich sind. Verschiedene Autoren berichten über Antikörpertiter gegen Leptospira pomona
von bis zu 1:3200 nach 2-maliger Vakzination bei Jungsauen (3). Schafzahl berichtet über Titer von
bis zu 1:800 bei L. bratislava und Titer von bis zu 1:100 bei L. tarassovi nach 2-maliger Vakzination
der Jungsauen (4). Jedoch wurden auch in diesen Fällen in Betrieben mit nachgewiesener
Leptospirenproblematik bei infizierten Tieren keine hohen Titer (>1:200) im MAT gefunden. Ellis et al.
berichten über niedrige Titer (<1:100 im MAT) in endemisch infizierten Herden mit Abortusproblemen
(5). Doch konnten in keiner unserer Abortusproben mittels PCR Leptospiren nachgewiesen werden.
Durch die erhöhten Werte von Ammonium (als NH4) und Sulfat (als SO4) muss das Trinkwasser
in der Anlage als bedenklich eingestuft werden (6).

Literaturverzeichnis
1. Muirhead MR, Alexander TJL. Reproduction: Infectious and Non Infectious Infertility. In Managing Pig
Health and the treatment of disease 1st edition. 1997;135.
2. Wilson RW, Kierstead M. Haemophilus parahaemolyticus associated with abortion in swine. Can Vet J.
1976;17:222.
3. Terreni M, Magistrali C, Vezzoli F. Evaluation of serological titres against serovars of leptospira
interrogans induced by vaccination of replacement gilts. Proc 16th IPVS congress. 2000;425.
4. Schafzahl W. Erfahrungen mit dem Einsatz eines Leptospiroseimpfstoffes in Problembeständen. Proc
STTGD 20. Intensivseminar. 1999;29-42.
5. Ellis WA, McParland PJ, Bryson DG, Cassells JA. Prevalence of leptospira infection in aborted pigs in
Northern Ireland. Vet Rec. 1986a;118:63-5. Boars as carriers of leptospires of the Astralis serogroup on
farms with an abortion problem. Vet Rec. 1986b;118:563.
6. Früchtenicht K. Geogene und anthropogene Kontaminanten im Tränkewasser. Dtsch Tierärztl Wschr.
2000;107(8):329-31.

Kontaktadresse
Dr. Peter Irgang, Dr-Vet Die Tierärzte Jöss, Lebring, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 253


Schwein

Akute Pasteurellose (Hämorrhagische Septikämie) beim Schwein –


Fallbericht
Dirk Soike
Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Ruhlsdorf

Im Zusammenwirken mit anderen Erregern respiratorischer Erkrankungen spielt Pasteurella


multocida beim Schwein, wie auch bei anderen Tierarten, eine wichtige Rolle. Toxinbildende
Stämme des Kapseltyps D verursachen die Rhinitis atrophicans. Als primär pathogen werden die
Kapseltypen B und E angesehen. Sie verursachen eine akute verlustreiche septikämisch verlaufende
Erkrankung, die heute international als Hämorrhagische Septikämie (HS) bezeichnet wird. Diese
Infektion ist in einigen Ländern Asiens und Afrikas endemisch und verursacht besonders in Regionen
mit niedrigen Standards in Tierproduktion und Seuchenhygiene verheerende Verluste. Außerhalb
Asiens tritt HS eher sporadisch und regional begrenzt auf, in Deutschland zuletzt 1986. Hauptwirte
sind in den Endemieregionen Büffel und Rinder. Schweine sind wie einige andere Tierarten nur
ausnahmsweise betroffen. Aus dem europäischen Raum liegen bislang keine publizierten
Erfahrungen zur HS beim Schwein vor.
Im Sommer 2010 kam es zu einem regionalen Krankheitsgeschehen beidseits der Ländergrenze
zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt, in dessen Verlauf neben Verlusten bei Damwild und in
mehreren Rinderbeständen auch in zwei Schweinebeständen akute Erkrankungen mit
eindrucksvollen klinischen Erscheinungen und zahlreichen Todesfällen auftraten. Erste klinische
Anzeichen waren Fieber und Dyspnoe. Flächenhafte Zyanosen traten an den Ohren sowie im Hals-,
Brust- und Bauchbereich auf. Besonders auffällig waren erhebliche Umfangsvermehrungen im
ventralen Halsbereich, in einigen Fällen war schon klinisch eine starke Schwellung und Verfärbung
der Zunge zu beobachten. Innerhalb weniger Stunden bis zwei Tagen kamen die Tiere nach
schwankendem Gang zum Festliegen und verendeten unter Atemnot. Ein sprunghaftes Ansteigen
der Verluste war nach Belastungssituationen zu verzeichnen. Nach dem Einsetzen klinischer
Symptome durchgeführte antibiotische Behandlungen waren in der Regel erfolglos. Eine
konsequente Bestandsbehandlung führte dagegen zu einer schnellen Verbesserung der klinischen
Situation im Bestand.
Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung erwiesen sich die deutlichen Schwellungen im
Bereich des Kehlganges als Ansammlungen von Exsudat im Rahmen einer hochgradigen akuten
phlegmonösen Entzündung, die vom Pharynx ihren Ausgang nahm. Erhebliche Schwellungen im
Bereich des Zungengrundes und der Lymphknoten trugen zusätzlich zur Kompression der Luftwege
bei. Mildere klinische Verläufe und dezentere pathologische Veränderungen waren bei einem Teil
der betroffenen Tiere zu beobachten.
Bei der bakteriologischen Untersuchung gelang der Nachweis von P. multocida aus
verschiedenen Organen. Alle getesteten Isolate waren positiv für das Kapselantigen B und wiesen
HS-spezifische Genomsequenzen auf. Die molekularbiologischen Untersuchungen ließen zudem auf
eine identische Ätiologie des Krankheitsgeschehens beim Damwild sowie in den betroffenen Rinder-
und Schweinebeständen schließen.
Die Analyse des Krankheitsgeschehens in räumlicher und zeitlicher Hinsicht deutet darauf hin,
dass ein klinisches Geschehen beim Damwild zum Ausgangspunkt der Erkrankungen der Nutztiere
wurde. Aus den Endemiegebieten ist bekannt, dass klinisch latent infizierte Tiere (sog. Carrier) für

254 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
die Epidemiologie der HS von Bedeutung sind. Unter bestimmten belastenden Umständen kommt es
zur klinischen Erkrankung und massiven Ausscheidung des Erregers.
Umfangreiche Umgebungsuntersuchungen in Rinder- und Schweinebeständen sowie bei gesund
erlegtem Reh- und Damwild ergaben ein differenziertes Bild. Während sich in den untersuchten
Nutztierbeständen keine Carrier nachweisen ließen, war der Erreger noch Monate nach Abklingen
des Krankheitsgeschehens auf den Tonsillen eines Rehes sowie eines Damtieres nachweisbar. Dies
spricht dafür, dass es unter geeigneten Umständen erneut zum Eintrag des Erregers in
Nutztierbestände kommen kann. Daher ist es wichtig, bei der Abklärung von Verlustgeschehen die
Hämorrhagische Septikämie in die differentialdiagnostischen Überlegungen einzubeziehen. Erhöhte
Verluste bei Damwild sollten in jedem Fall Anlass zu einer verstärkten klinischen Kontrolle
benachbarter Nutztierbestände sein. Bei einem Verdacht der HS gilt es, die Diagnose unter
Berücksichtigung anderer septikämisch verlaufender Erkrankungen zu sichern.
Bei guter Resistenzsituation ist die HS durch frühzeitige konsequente Behandlung des gesamten
Bestandes gut beherrschbar. Flankierende hygienische Maßnahmen sollten die Gefahr der
Erregerverbreitung minimieren. Ein zoonotisches Risiko besteht nicht.

Den an den vorgelegten Untersuchungen beteiligten Kollegen aus Labor, Veterinär- und
Landesämtern und Praxis sowie den beteiligten Jägern sei herzlich gedankt.

Kontaktadresse
Dr. Dirk Soike, Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Ruhlsdorf,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 255


Schwein

Nachweis von MRSA CC398 im Schweinestall! Welche Gefahr besteht


für den Menschen?
Jürgen Harlizius1, Robin Köck2
1Tiergesundheitsdienst,Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Bonn; 2Institut für Hygiene,
Universitätsklinikum Münster, Münster

Einleitung
Staphylococcus aureus gehört zur physiologischen Normalflora. Bei etwa 20–50 % der
Menschen und Tiere ist S. aureus auf der Haut oder den Schleimhäuten nachweisbar. Der fakultativ
pathogene Keim kann aber Wundinfektionen mit eitriger Dermatitis, Furunkeln, Abszessen und
Nekrosen verursachen. Die schwerwiegende, akute oder chronische Verlaufsform mit Endokarditis,
Bakteriämie, Pyämie und/oder Septikämie kann auch zum Tode führen.
Schon seit den frühen 60er-Jahren sind auch Methicillin/Oxacillin-resistente Stämme (MRSA)
bekannt. Trotz hoher Besiedlungsraten wird bisher nur selten von MRSA-Erkrankungen bei
Schweinen und anderen landwirtschaftlichen Nutztieren berichtet.

MRSA beim Menschen


In Deutschland wird geschätzt, dass MRSA-Stämme rund 40 000 humane Erkrankungen pro
Jahr verursachen, ca. 2–4 % der Menschen, die in Krankenhäuser aufgenommen werden, sind
symptomlose Träger. Ein schlechtes Hygienemanagement in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen
und Krankentransportfahrzeugen spielt bei der Verbreitung der resistenten Erreger beim Menschen
eine entscheidende Rolle In Deutschland liegt der Anteil von MRSA an allen S. aureus-Isolaten aus
Blutkulturen zurzeit bei ca. 20–25 %, aber in Großbritannien bei ca. 40 % und in den USA bei über
60 %. Im Gegensatz dazu ist dieser Anteil in einigen europäischen Ländern (Skandinavien,
Niederlande) sehr viel niedriger und liegt bei unter 1 % (1).
In den Krankenhäusern versucht man folglich, die Verbreitung von MRSA einzudämmen.
Dazu dienen verschiedene präventive Hygienemaßnahmen. Die wichtigsten sind:
 Risikopatienten werden bereits bei Aufnahme in ein Krankenhaus auf eine MRSA-
Besiedlung hin untersucht („Screening“).
 Wird eine MRSA-Besiedlung oder -Infektion festgestellt, werden die betreffenden Patienten
getrennt von Patienten ohne MRSA untergebracht.
 Zusätzlich zur getrennten Unterbringung sollen Barrieremaßnahmen die Übertragung von
MRSA auf Personal, Besucher und andere Patienten verhindern. Dazu zählen das Tragen
von Schutzkitteln, Handschuhen und Mund-Nasen-Schutzmasken.
 Nach Kontakten zu MRSA-Patienten in Krankenhäusern soll eine sorgfältige
Händedesinfektion erfolgen.
Alle diese Maßnahmen dienen primär nicht dem Selbstschutz von Besuchern oder Personal.
Diese sind meist nicht infektionsgefährdet. Vielmehr sollen die präventiven Maßnahmen verhindern,
dass MRSA z. B. durch ungenügende Händehygiene zu anderen Patienten getragen werden, die
anfällig für die Entwicklung von MRSA-Infektionen sind. Dazu gehören z. B. Immunsupprimierte,
operierte Patienten oder Patienten mit Gefäßkathetern.

256 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
MRSA bei Tieren
Neben Menschen können jedoch auch Tiere Träger von MRSA sein (2). Bei Pferden, Katzen,
Hunden, Kaninchen und anderen Heimtieren sowie Exoten und den landwirtschaftlichen Nutztieren
sind positive Nachweise und Erkrankungen beschrieben. Mit sensitiven Methoden können die
Erreger selbst in genusstauglichen Fleischproben der verschiedensten Tierarten nachgewiesen
werden (3,4).
Die umfangreichsten Untersuchungen wurden bisher in Schweinebetrieben durchgeführt. Dabei
wurde festgestellt, dass in Deutschland auf 43–70 % der Schweinebetriebe MRSA-besiedelte Tiere
gefunden werden. Eine Studie der European Food Safety Authority EFSA) hat gezeigt, dass diese
Situation in den meisten europäischen Ländern ähnlich ist (5).
Molekulare Untersuchungen haben gezeigt, dass sich diese Stämme von typischen humanen
krankenhausassoziierten MRSA unterscheiden. In der Regel gehören sie zur klonalen Linie CC398.
Sie werden auch als auch „livestock-associated“ MRSA (LA-MRSA) bezeichnet (6).
In den letzten Jahren häufen sich Meldungen über MRSA-Besiedlungen und Infektionen bei
Menschen mit engem Tierkontakt. So wurde bei Tierärzten und Personen mit engem Kontakt zu
Schweinen eine höhere Besiedlung als bei anderen Bevölkerungsgruppen nachgewiesen (7,8).
In den Jahren 2006 und 2007 wurden beim nationalen Referenzlabor, dem Robert Koch Institut
in Wernigerode, unter 3544 MRSA-Einsendungen acht Fälle von Infektionen mit ST398 beim
Menschen nachgewiesen (9).
Bei unseren Untersuchungen in schweinehaltenden Betrieben in Nordrhein-Westfalen konnte
eine hohe Prävalenz nachgewiesen werden. Von 40 im Jahre 2007 untersuchten Betrieben waren 28
(70 %) positiv (6). 2009 wurden jeweils fünf Staubproben aus 86 Betrieben untersucht, davon waren
51 (59 %) positiv (10).
Untersuchungen in Niedersachsen haben gezeigt, das 86 % der Landwirte aus positiven
Betrieben auch mit MRSA besiedelt waren (11). In eigenen Untersuchungen waren 77 % der
Landwirte besiedelt und auch nach einer Karenzzeit ohne Schweinekontakt waren davon immer
noch 59 % positiv (12).
Vier für den Menschen wichtige potenzielle Gefahren des MRSA-Reservoirs in Nutztieren sind:
 Die Entwicklung von LA-MRSA-Infektionen bei Exponierten: Trotz der hohen LA-MRSA-
Besiedlungsraten ist bisher nicht bekannt, dass Risikogruppen im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung häufiger MRSA-Infektionen entwickeln.
 Der Import von LA-MRSA in Einrichtungen des Gesundheitssystems: Es konnte gezeigt
werden, dass in Regionen mit hoher Schweinehaltungsdichte der LA-MRSA-Anteil in
Krankenhäusern ansteigt.
 Die Kontamination von Fleisch: Es ist bekannt, dass Schweinefleischproben in 11 % der
Fälle mit LA-MRSA kontaminiert sind. Manche S. aureus können Enterotoxine bilden und
Lebensmittelinfektionen auslösen. Nach Einschätzung der Europäischen
Überwachungsbehörde für Lebensmittel (EFSA) gibt es bisher keinen Hinweis, dass die
Kontaminationen von Fleisch eine Gesundheitsgefahr für Konsumenten darstellen.
 MRSA haben die Möglichkeit, neue Virulenzeigenschaften und neue Antibiotikaresistenzen
zu erwerben.
Eine hypothetische Gefahr besteht in der Verbreitung solch besonderer MRSA in
Tierbeständen und einer nachfolgenden Übertragung auf den Menschen. Solche Stämme
wurden aber bisher nicht beobachtet.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 257


Schwein
Schlussfolgerung
Bei Menschen, die sich vermehrt in Schweineställen aufhalten, können vermehrt MRSA
nachgewiesen werden. Aber für den gesunden Menschen stellt dies keine besondere Gefahr dar,
denn vermehrte Erkrankungen bei Schweinehaltern sind bis jetzt nicht beobachtet worden. Dennoch
sollten allgemeine Hygieneregeln, wie regelmäßiges Händewaschen, Wechseln der Stallkleidung
und Duschen beachtet werden. Wichtige Informationen werden hier zusammengestellt: http://mrsa-
net.org/DE/vetmedinfo.html.
Eine Untersuchung von betroffenen Personen vor längeren Krankenhausaufenthalten oder
Operationen ist zu empfehlen.
Eine besondere Infektionsgefahr durch das Lebensmittel Fleisch besteht derzeit nicht. MRSA
wird nicht nur bei Nutztieren, sondern auch bei Heim- und Hobbytieren gefunden. Die Verbreitung
der MRSA-Stämme muss, besonders wenn ein enger Mensch-Tier-Kontakt besteht, bei allen
Tierarten weiter beobachtet werden. Ein Frühwarnsystem für epidemische Stämme, die zu
Erkrankungen führen, muss aufgebaut werden.

Literaturverzeichnis
1. EARS-net. The European Antimicrobial Resistance Surveillance System. Annual Report 2005. EARS-net;
2006.
2. Walther B, Friedrich AW, Brunnberg L, Wieler LH, Lübke-Becker A. Methicillin-resistente Staphylococcus
aureus (MRSA) in der Veterinärmedizin: ein „New Emerging Pathogen“? Berl.-
Münch.Tierärztl.Wochenschr. 2006;119:222-32.
3. Walther B, Wieler LH, Friedrich AW, Hanssen AM, Kohn B, Brunnberg L, Lübke-Becker A. Methicillin-
resistant Staphylococcus aureus (MRSA) isolated from small and exotic animals at a university hospital
during routine microbiological examinations. Vet Microbiol. 2008;127:171-8.
4. Wieler LH. MRSA – Ein Problem keineswegs nur der Humanmedizin. Deutsches Tierärzteblatt.
2008;7:900-903.
5. European Food Safety Authority. Analysis of the baseline survey on the prevalence of methicillin-resistant
Staphylococcus aureus (MRSA) in holdings with breeding pigs, in the EU, 2008, Part A: MRSA prevalence
estimates; on request from the European Commission. EFSA Journal. 2009;7(11):1376.
6. Köck R, Harlizius J, Bressan N, et al. Prevalence and molecular characteristics of methicillin-resistant
Staphylococcus aureus (MRSA) among pigs on German farms and import of livestock-related MRSA into
hospitals. Eur J Clin Microbiol Infect Dis Nov. 2009;28(11):1375-82.
7. Witte W, Strommenger B, Stanek C, Cuny C. Methicillin-resistant Staphylococcus aureus ST398 in
humans and animals, Central Europe. Emerg Infect Dis. 2007;13:255-8.
8. Wulf M, van Nes A, Eikelenboom-Boskamp A, de Vries J, Melchers W, Klaassen C, Voss A. Methicillin-
resistant Staphylococcus aureus in veterinary doctors and students, the Netherlands. Emerg Infect Dis.
2006;12:1939-41.
9. Cuny C, Witte W. Ist die Ausbreitung methicillinresistenter S. aureus (MRSA) bei Mastschweinen für den
Menschen von Bedeutung. MMW-Fortschr. Med.Originalien II. 2008;150:65-7.
10. Köck R, Apel J, Gerth C, Gundlach S, Lambrecht C, Schulze-Horsel T, Schulte-Wülver J, Böcker A,
Friedrich A, Harlizius J. Prevalence of MRSA CC398 in pig holdings and human hospital patients in North
Rhine-Westphalia, Germany. Proc. 21th IPVS Vancouver, Kanada 122; 2010.
11. Cuny C, Nathaus R, Layer F, Strommenger B, Altmann D, Witte W. Nasal colonization of humans with
methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) CC398 with and without exposure to pigs. PLoS One;
2009;4(8):e6800.
12. Köck R, Loth B, Schulte-Wülver J, Harlizius J. Does nasal colonization with Methicillin-resistant
Staphylococcus aureus (MRSA) in pig farmers persist after holidays from pig exposure? Proc. 9th
Safepork Maastricht Niederlande 92-94; 2011.

258 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
Kontaktadresse
Dr. Jürgen Harlizius, Tiergesundheitsdienst, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Bonn,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 259


Schwein

Mykobakterieninfektion in einer Zuchtsauenherde


Tatjana Sattler1, Sandra Revilla-Fernández2, Gabriele Romanek2, Erwin Hofer2,
Friedrich Schmoll2,3
1Medizinische
Tierklinik, Universität Leipzig, 2AGES, Institut für Veterinärmedizinische
Untersuchungen, Mödling (Österreich), 3Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich)

Einleitung
Infektionen mit Mykobakterien kommen bei vielen Spezies vor und können tuberkulöse
Veränderungen hervorrufen. Von besonderer Bedeutung dabei sind die Mykobakterien vom
Mycobacterium tuberculosis-Komplex (MTBC), hierbei vor allem M. tuberculosis und M. bovis, die
weltweit verbreitet sind(1).
Mykobakterien, die nicht zum MTBC gehören, werden als „Mycobacteria other than tuberculosis“
(MOTT) bezeichnet. Zu ihnen gehört unter anderem der Mycobacterium avium- Komplex (MAC).
Einer der bekanntesten Vertreter ist M. avium subsp. paratuberculosis, der Erreger der John´schen
Krankheit beim Rind(2). Eine Beteiligung an Morbus Crohn beim Menschen wird angenommen(3).
M avium subsp. avium und M. avium subsp. hominissuis sind die zurzeit am häufigsten beim
Schwein nachgewiesenen Mykobakterien(4). Reservoir ist neben verschiedenen Haus- und
Wildtierspezies auch Erde, Staub und Torf(5,6). Mykobakteriosen vom MAC-Typ bei Haustieren
manifestieren sich in Lymphknoten in Form von verkäsenden Granulomen(7,8). Die Veränderungen
lassen sich klinisch und pathologisch nicht von denen unterscheiden, die durch Infektionen mit
MTBC hervorgerufen werden(8).
Im Folgenden wird ein Fall von Mykobakteriose in einem Zuchtschweinebestand vorgestellt.

Untersuchungsmethodik und Befunde


Aus einer Sauenzuchtanlage in Österreich wurden insgesamt 125 Zuchtschweine (120
Jungsauen und 5 Eber) nach Kroatien exportiert.
Die Tiere wurden nach Ankunft im kroatischen Betrieb in Quarantäne gestellt. Neben der
serologischen Untersuchung auf Antikörper gegen Brucellen, Leptospiren, PRRSV, klassische
Schweinepest und Maul- und Klauenseuche wurde bei jedem Tier ein Tuberkulin-Intrakutantest
durchgeführt. Dazu wurden jedem Schwein jeweils 0,1 ml aviäres PPD (20 000 IU, PLIVA Zagreb)
und bovines PPD (50 000 IU, PLIVA Zagreb) intrakutan in den linken bzw. rechten Ohrgrund
appliziert. Die Hautreaktion wurde 48 und 72 Stunden nach der Applikation wie vom Hersteller
angegeben gemessen und befundet. Schwellungen von 2-5 cm Durchmesser mit zirkulärer Rötung
und Wärme wurden als positiv eingestuft.
44 Schweine (35 %) reagierten positiv im Tuberkulintest. Bei weiteren 40 Schweinen (32 %)
wurde Ödembildung von ca. 2 cm Durchmesser und eine Rötung festgestellt. Diese Tiere wurden im
Tuberkulintest als fraglich eingestuft.
Auf Grund des positiven Tuberkulintests in dieser Tiergruppe wurden 121 Schweine geschlachtet
und pathomorphologisch untersucht. Die Lnn. submandibulares, mesenteriales, inguinales,
mediastinales, hepatici und ileocaecales wurden entnommen. Die Lymphknoten wurden zur
Feststellung von tuberkulosetypischen Granulomen in feine Scheiben geschnitten. 107 der 121
Schweine (87 %) wiesen in einem oder mehreren Lymphknoten makroskopisch sichtbare für
Tuberkulose typische Veränderungen auf. Verkäsende Granulome mit zentraler Verkalkung wurden

260 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein
zu einem besonders hohen Prozentsatz (98 Schweine, 81 %) in den Lnn. mesenteriales gefunden.
35 dieser Tiere (29 %) wiesen zusätzlich gleichartige Befunde in den Lnn. submandibulares auf.
Für die pathohistologische Untersuchung der veränderten Lymphknoten erfolgte eine Färbung
mit Hämatoxilin-Eosin. Mikroskopisch wurden eine diffuse Epithelzellproliferation, bindegewebige
Zubildung und Makrophageneinwanderungen in die betroffenen Lymphknoten gefunden. Die
Granulome zeigten eine verkäsende Nekrose und kalzifizierte Einschlüsse.
Abstriche aus den veränderten Lymphknoten wurden für die Untersuchung auf das
Vorhandensein von säurefesten Stäbchen nach Ziehl-Neelsen gefärbt.
Von jedem positiven Schwein wurden Proben der veränderten Lymphknoten für die
bakteriologische Untersuchung aufbereitet und über einen Zeitraum von 2 Monaten bei 37 °C
inkubiert. In 113 Proben (93 %) konnten Mykobakterien angezüchtet werden.
Die bakteriologischen Kulturen wurden mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) auf das
Vorhandensein von Mykobakterien-spezifischer DNA untersucht. In allen Fällen konnte das Produkt
dem Mycobacterium avium-Komplex mittels zusätzlicher Sequenzierung zugeordnet werden. Eine
IS1245 basierende RFLP-PCR direkt aus der Lymphknoten-DNA ergab einen die genauere
Differenzierung des M. avium subsp. hominissuis (9). Alle 125 exportierten Schweine konnten nicht
als Zuchttiere eingesetzt werden und wurden geschlachtet.

Weiteres Vorgehen
Die exportierten Zuchtschweine wurden auf Grund der erhobenen Befunde vom Käufer
reklamiert. Um dies zu verifizieren und die Quelle zu ermitteln wurden im Herkunftsbetrieb in
Österreich weiterführende Untersuchungen durchgeführt.
Es erfolgte bei 21 Schweinen unterschiedlichen Alters ein Tuberculintest mit aviärem und
bovinem PPD. Sechs Tiere reagierten auf aviäres Tuberkulin positiv (Abb. 1). Sechs weitere Tiere
(Mastschweine etwa im gleichen Alter wie die exportierten Zuchtschweine) reagierten sowohl auf das
aviäre als auch auf das bovine Tuberkulin positiv und wurden für weitere Untersuchungen
geschlachtet.
In zwei von sechs eingeschickten Mesenteriallymphknoten wurden granulömatöse Abszesse
gefunden (Abb. 2). Bei beiden konnte mittels RFLP-PCR M. avium spp. hominissuis nachgewiesen
werden. In einer der beiden Proben ließen sich in der Ziehl-Neelsen-Färbung säurefeste Stäbchen
finden.
In einer nachfolgenden Untersuchung von 20 Lymphknoten mit histologisch nachgewiesener
granulomatöser Entzündung und Nekrose konnten in der Ziehl-Neelsen-Färbung in fünf Fällen
säurefeste Stäbchen gefunden werden. Hier verliefen sowohl die bakteriologische Untersuchung als
auch die PCR jedoch negativ.
Anamnestisch konnte erhoben werden, dass der Betrieb zur Prophylaxe von
Saugferkeldurchfällen Torf einsetzte. Um die Prävalenz von Mykobakterien im Torf zu ermitteln
wurden 16 Torfproben aus vier verschiedenen Betrieben und unterschiedlichen Verpackungen
bakteriologisch auf Mykobakterien untersucht. In allen Fällen konnte aus den Kulturen mittels PCR
M. avium nachgewiesen werden.

Diskussion
Infektionen mit MOTT sind in Österreich und Deutschland weder melde- noch anzeigepflichtig.
Untersuchungen zur Prävalenz sind daher kaum vorhanden. Studien belegen, dass die häufigsten
Mykobakteriosen bei Schweinen durch MAC, vor allem M. avium subsp. avium, M. avium subsp.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 261


Schwein
hominissuis, hervorgerufen werden.(7) Infektionswege mit diesen Mykobakterien sind vielfältig. In
Frage kommen kontaminierte Einstreu wie z.B. Sägespäne und Torf, Trinkwasser, Futtermittel,
Nager- oder Vogelkot.(6) In dieser Fallstudie wurde Torf als Infektionsquelle ermittelt.
Der Status „tuberkulosefrei“ wird einem Bestand zertifiziert, wenn die Lymphknoten auf dem
Schlachthof nicht beanstandet werden. Eine Neuinfektion mit Mykobakterien vom MOTT-Typ ist auf
Grund der Prävalenz in der Umwelt jedoch jederzeit möglich, so dass sich der Status eines Betriebes
kurzfristig ändern kann.

Literaturverzeichnis
1. Richter E, Weizenegger M, Rüsch-Gerdes S, Niemann S. Evaluation of genotype MTBC assay for
differentiation of clinical Mycobacterium tuberculosis complex isolates. J Clin Microbiol. 2003;41:2672-5.
2. Nielsen SS, Toft N: A review of prevalences of paratuberculosis in farmed animals in Europe. Prev Vet
Med. 2009;88:1-14.
3. Feller M, Huwiler K, Stephan R, Altpeter E, Shang A, Furrer H, Pfyffer GE, Jemmi T, Baumgartner A,
Egger M. Mycobacterium avium subspecies paratuberculosis and Crohn's disease: a systematic review
and meta-analysis. Lancet Infect Dis. 2007;7:607-13.
4. Songer JG, Post KW. Veterinary Microbiology: Bacterial and Fungal Agents of Animal Disease. Elsevier
Saunders. 2005;1:95-109.
5. Dürrling H, Ludewig F, Uhlemann J, Gericke R. Torf als Quelle einer Infektion mit aviären Mykobakterien
bei Schweinen. Tieraerztl Umschau. 1998;53:259-61.
6. Matlova L, Dvorska L, Ayele WA, Bartos M, Amemoris T, Pavlik I. Distribution of Mycobacterium avium
complex isolates in tissue samples of pigs fes peat naturally contaminated with Mycobacteria as a
supplement. J Clin Microbiol. 2005;43:1261-68.
7. Sirimalaisuwan A. Molecular biological studies on Mycobacterium aviumintracellulare complex isolated
from slaughtered pigs and wildlife animals in Germany [Dissertation]. Berlin, Freie Universität; 2004.
8. Ray JA, Mallmann VH, Mallmann WL, Morrill CC. Pathologic and bacteriologic features and
hypersensitivity of pigs given Mycobacterium bovis, Mycobacterium avium, or group III mycobacteria. Am J
Vet Res. 1972;33:1333-45.
9. Guerrero C, Bernasconi C, Burki D, Bodmer T, Telenti A. A novel insertion element from Mycobacterium
avium, IS1245, is a specific target for analysis of strain relatedness. J Clin Microbiol. 1995;3382): 304-307.

Kontaktadresse
Dr. Tatjana Sattler, Medizinische Tierklinik, Universität Leipzig,
[email protected]

262 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwein

Pseudorabiesvirus Infektion beim Wildschwein: ein Risiko für unsere


Haustiere?
Adolf Steinrigl, Sandra Revilla-Fernández, Zoltán Bagó, Friedrich Schmoll
AGES, Institut für veterinärmedizinische Untersuchungen, Mödling; A-2340 Mödling (Österreich)

Einleitung
Die Aujeszkysche Krankheit (AD), ausgelöst durch das Pseudorabiesvirus (PrV; auch Suid
Herpesvirus Typ 1 – SuHV1) ist eine wirtschaftlich bedeutsame Erkrankung bei Hausschweinen.
Auch Wildschweine sowie eine Vielzahl anderer Säugetierarten können durch PrV infiziert werden,
bei Nicht-Schweineartigen verläuft die Infektion in aller Regel innerhalb weniger Tage tödlich (1,2).
Durch strikte Kontrollmaßnahmen ist es gelungen, das Auftreten der AD bei Hausschweinen in vielen
Ländern zurückzudrängen oder auszumerzen. So sind derzeit 11 Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union, darunter Österreich, anerkannt frei von AD in Hausschweinen. Das sporadische Auftreten von
AD bei Wildschweinen und Jagdhunden lässt jedoch vermuten, dass PrV auch in Ländern mit AD-
freiem Hausschweinbestand in Wildschweinen vorhanden ist. Das bestätigen auch zahlreiche
serologische und virologische Untersuchungen an Wildschweinen aus verschiedenen europäischen
Ländern (3–5). Dadurch stellt sich die Frage, ob das Vorhandensein von PrV in Wildschweinen eine
Gefährdung der Hausschweinbestände oder anderer Haustiere darstellt.
Von 2004 bis 2010 wurden in Österreich insgesamt sieben Fälle von AD bei Jagdhunden
dokumentiert, die kurz zuvor an Wildschweinjagden teilgenommen hatten und dabei tatsächlichen
oder vermuteten Zugang zu aufgebrochenen Wildschweinen oder Wildschweininnereien hatten (6,7).
Mittels verschiedener molekulargenetischer Methoden sollte festgestellt werden, ob die in Hunden
gefundenen PrV-Stämme denen in Wildschweinen gleichen, um so den direkten Beweis der Infektion
der Hunde durch den Kontakt zu PrV-infizierten Wildschweinen zu erbringen. Im Zuge dieser
Arbeiten konnten zum ersten Mal österreichische PrV-Isolate typisiert und zu anderen bekannten
Stämmen/Isolaten in Beziehung gesetzt werden.

Material und Methoden


Gehirnproben von insgesamt sieben österreichischen Jagdhunden, die im Zeitraum 2004 – 2010
an AD gestorben waren, wurden analysiert. Zusätzlich wurden Gewebeproben von 92 im Zeitraum
von Sommer 2010 bis Frühling 2011 im Osten Österreichs erlegten Wildschweinen mittels real-time
PCR auf das Vorhandensein von PrV-DNA untersucht. PrV-DNA-positive Befunde wurden mittels
nested PCR sowie durch immunhistochemische Verfahren bestätigt. Die molekulare Typisierung der
vorhandenen Stämme erfolgte mittels Sequenzierung und anschließender phylogenetischer Analyse
der Glykoprotein C (gC)-kodierenden Region, sowie mittels Restriktions-Fragment-Längen-
Polymorphismus (RFLP)-Analyse nach enzymatischem Verdau (BamHI) von aus Zellkultur isolierter
PrV-DNA.

Ergebnisse
Aus Gehirnproben aller sieben im Zeitraum von 2004 – 2010 verendeten Jagdhunde konnte
mittels PCR ein Teil der gC-kodierenden Region (639 bp) amplifiziert werden. Von den 92 beprobten
Wildscheinen, die im Zeitraum von Sommer 2010 bis Frühling 2011 im östlichen Österreich
geschossen worden waren, erwiesen sich 3 Tiere als PrV-positiv; auch von diesen konnte die

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 263


Schwein
homologe gC-kodierende Sequenz amplifiziert werden. Zwei dieser Wildschweine wurden im Zuge
einer Gatterjagd erlegt, bei der sich zwei Jagdhunde mit AD infiziert hatten. Innereien des dritten
PrV-positiven Wildschweins waren nach der Jagd einem weiteren Jagdhund verfüttert worden, der
ebenfalls kurz darauf an AD verendete. Es gab keinen Hinweis auf Verhaltensauffälligkeit oder
sonstige augenscheinliche Krankheitsanzeichen bei den drei PrV-infizierten Wildschweinen; ebenso
waren die pathomorphologischen und pathohistologischen Befunde unspezifisch. Jedoch konnte
mittels Immunhistochemie PrV-Capsidantigen in geringer Menge in Tonsille und
Retropharyngeallymphknoten dargestellt werden. Die phylogenetische Analyse der aus
Wildschweinen und Jagdhunden amplifizierten gC-Sequenzen ergab, dass die in Österreich
gefundenen PrV-Stämme zwei verschiedenen genetischen Gruppierungen angehören. Eine dieser
Gruppen ist nahe mit osteuropäischen PrV-Stämmen verwandt, während die andere Gruppe
geografisch sehr heterogen ist. Zudem konnte der epidemiologische Zusammenhang, der sich aus
der Infektion zweier Jagdhunde im Rahmen der Gatterjagd und im anderen Fall durch die
Verfütterung von Wildschweininnereien ergab, durch die molekulargenetische Analyse bestätigt
werden: in beiden Fällen waren die aus den Jagdhunden isolierten Sequenzen jeweils identisch zu
den aus den Wildschweinen amplifizierten Gensegmenten. Bei den übrigen an AD verendeten
Jagdhunden lagen keine Proben von Kontakt-Wildschweinen vor; jedoch waren die aus diesen
Hunden amplifizierten Sequenzen den anderen österreichischen Isolaten sehr ähnlich und konnten
ebenfalls einer der beiden oben erwähnten genetischen Gruppierungen zugeordnet werden. Trotz
wiederholter Versuche konnte aus keinem der drei PCR-positiven Wildschweine replikaktionsfähiges
PrV isoliert werden. Die Virusisolierung gelang jedoch aus allen vier im Jahre 2010 verendeten
Jagdhunden. Die RFLP-Analyse des aus der Virusisolierung gereinigten PrV-Genoms bestätigte die
phylogenetische Analyse und zeigte, dass zwei verschiedene genetische Gruppen unterscheidbar
waren, die beide dem bei europäischen Wildschweinen verbreiteten Genotyp I angehörten (8).

Diskussion
Serologische Untersuchungen haben ergeben, dass ein hoher Prozentsatz von Wildschweinen in
Europa bereits Kontakt zu PrV hatte. Aufgrund der lebenslangen Infektion und der Möglichkeit der
Reaktivierung von PrV in latent infizierten Tieren stellt der hohe Prozentsatz seropositiver
Wildschweine eine theoretische Bedrohung für die AD-Freiheit der Hausschweinpopulation dar.
Nachdem aber viele Länder mit vermutlich seit langem bestehender Präsenz von PrV in den
Wildschweinebeständen in der Lage sind, den AD-freien Status bei Hausschweinen zu halten, sollte
diese Gefährdung nicht überbewertet werden, zumal in der modernen Schweinehaltung die Chancen
eines direkten Kontaktes zwischen lebenden Haus- und Wildschweinen eher gering sind. Besonders
Landwirten, die gleichzeitig Jäger sind, sollte die Präsenz dieser potentiell gefährlichen Seuche in
den Wildschweinbeständen jedoch bewusst gemacht werden; vor allem sollte die Verfütterung von
Jagdabfällen an Haustiere unterbunden werden. Im Gegensatz zu Hausschweinen haben
Jagdhunde offenbar ein gewisses „Berufsrisiko“ und erkranken – wie die Erfahrung der letzten Jahre
gezeigt hat – immer wieder im Zusammenhang mit jagdlichen Aktivitäten an AD. Derartige Fälle,
bzw. aus Jagdhunden isoliertes PrV wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach beschrieben und
die epidemiologischen Fakten, sowie molekulargenetische Untersuchungen legten Wildschweine als
die wahrscheinlichste Quelle von PrV-Infektionen bei Hunden nahe (6–9). Durch die gleichzeitige
Darstellung und Charakterisierung der PrV-Infektion bei Hunden und Wildschweinen konnten wir den
Verdacht erhärten, dass die Jagdhunde sich tatsächlich durch den Kontakt mit PrV-infiziertem
Wildschweingewebe infiziert hatten. Des Weiteren haben wir gezeigt, dass verschiedene genetische
264 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Schwein
Varianten von PrV zur gleichen Zeit im österreichischen Wildschweinbestand vorhanden sind und die
Infektion mit jeder der bisher gefundenen Varianten bei Hunden innerhalb kurzer Zeit zum Tod
führen kann.

Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei Norbert Nowotny und Jolanta Kolodziejek (Veterinärmedizinische
Universität Wien) für die Bereitstellung von PrV-Isolaten.

Literaturverzeichnis
1. Mettenleiter TC. Aujeszky's disease (pseudorabies) virus: the virus and molecular pathogenesis--state of
the art, June 1999. Vet Res. 2000;31(1):99-115.
2. Pomeranz LE, Reynolds AE, Hengartner CJ. Molecular biology of pseudorabies virus: impact on
neurovirology and veterinary medicine. Microbiol Mol Biol Rev. 2005; 69(3):462-500.
3. Albina E, Mesplède A, Chenut G, Le Potier MF, Bourbao G, Le Gal S, Leforban Y. A serological survey on
classical swine fever (CSF), Aujeszky's disease (AD) and porcine reproductive and respiratory syndrome
(PRRS) virus infections in French wild boars from 1991 to 1998. Vet Microbiol. 2000;77(1-2):43-57.
4. Ruiz-Fons F, Vidal D, Höfle U, Vicente J, Gortázar C. Aujeszky's disease virus infection patterns in
European wild boar. Vet Microbiol. 2007;120(3-4):241-50.
5. Pannwitz G, Freuling C, Denzin N, Schaarschmidt U, Nieper H, Hlinak A, Burkhardt S, Klopries M, Dedek
J, Hoffmann L, Kramer M, Selhorst T, Conraths FJ, Mettenleiter T, Müller T. A long-term serological survey
on Aujeszky's disease virus infections in wild boar in East Germany. Epidemiol Infect. 2011;15:1-11.
6. Thaller D, Bilek A, Revilla-Fernández S, Bagó Z, Schildorfer H, Url A, Weikel J, Weissenböck H. Nachweis
von Aujeszkyscher Krankheit bei einem Hund in Österreich. Wien Tierärztl Mschr. 2006;93:62–7.
7. Leschnik M, Gruber A, Kübber-Heiss A, Bagó Z, Revilla-Fernández S, Wodak E, Müller E, Rath H, Deutz
A. Epidemiologische Aspekte der Aujeszkyschen Krankheit in Österreich anhand von sechs aktuellen
Fällen beim Hund. Wien Tierärztl Mschr. 2011 (eingereicht).
8. Müller T, Klupp BG, Freuling C, Hoffmann B, Mojcicz M, Capua I, Palfi V, Toma B, Lutz W, Ruiz-Fon F,
Gortárzar C, Hlinak A, Schaarschmidt U, Zimmer K, Conraths FJ, Hahn EC, Mettenleiter TC.
Characterization of pseudorabies virus of wild boar origin from Europe. Epidemiol Infect.
2010;138(11):1590-600.
9. Cay AB, Letellier C. Isolation of Aujeszky’s disease virus from two hunting dogs in Belgium after hunting
wild boars. Vlaams Diergeneeskundig Tijdschrift. 2009;78:194-5.

Kontaktadresse
Dr. Adolf Steinrigl, AGES, Institut für veterinärmedizinische Untersuchungen, Mödling,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 265


Schwein

266 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

3 NUTZGEFLÜGEL

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 267


Nutzgeflügel

Einführung: Kritische Betrachtungen zur Antibiose beim Nutzgeflügel


Manfred Pöppel
Geflügelveterinärpraxis Delbrück

Resistenzproblematik
Seit der Einführung der Antibiotika vor mehr als 70 Jahren wurden zunehmend mehr Antibiotika
in der Nutztierpraxis verschrieben und aus unterschiedlichsten Gründen verabreicht. Hauptindikation
ist sicherlich die Therapie von bakteriellen Erkrankungen. Daneben wurden aber auch
prophylaktische oder metaphylaktische Behandlungen und nach dem endgültigen Verbot der
Wachstumsförderer im Jahre 2006 auch für diese Indikation Antibiotika eingesetzt. Hierdurch ist der
Gesamtverbrauch von Antibiotika innerhalb der letzten Jahre zwar regional unterschiedlich, aber
dennoch erheblich gestiegen. Hieraus können schwerwiegende Resistenzen von ganzen Bakterien
oder auch nur von übertragenen Resistenzgenen in Form von Plasmidaustausch auf bisher
problemlose Bakterien übertragen werden (1). Die WHO hat sich seit einigen Jahren intensiv mit
diesem Thema beschäftigt und in mehreren Symposien und Artikeln dieses Thema auf die Agenda
gesetzt.
In der Publikation „Tackling antibiotic resistence from a food safety perspective in Europe“
werden einige anfängliche Vorschläge zur Reduzierung und zum notwendigen Einsatz von
Antibiotika in der Nutztierpraxis gegeben und sollen so die Politik, die Landwirtschaft, die Veterinäre
und den Verbraucher sensibilisieren (2). Seit einigen Jahren sind mehrere europäische Gesetze auf
den Weg gebracht worden, wie beispielsweise die Zoonose-VO 2160/2003 EU, in der speziell die
Resistenzlage von im Geflügel vorkommenden Bakterien angesprochen wird, oder die RL 2001/82
EG, bei der die Lebensmittelsicherheit behandelt wird.
Uns allen sollte bewusst sein, dass die Entwicklung von multiresistenten Bakterienstämmen mit
einer geschätzten Todesrate im europäischen Raum von mehr als 25 000 Menschen jährlich
erhebliche Anstrengungen auch von veterinärmedizinischer Seite notwendig machen, auch wenn
nicht alle bakteriellen Resistenzen in der Humanmedizin aus dem Einsatz der Antibiotika in der
Nutztierpraxis zu erklären sind.

Antibiotikaeinsatz in Geflügelbeständen
Der Antibiotikaeinsatz in der Geflügelmast hat innerhalb der letzten Jahre erheblich
zugenommen. Dies geht aus Berichten der einzelnen Bundesländer (NI, NRW) hervor, die aufgrund
von Hinweisen aus der Presse, nicht zuletzt auch angeregt durch die WHO, solche Studien im Jahr
2010 und 2011 durchführen ließen.
In geflügeldichten Gebieten Niedersachsens ist die Behandlungshäufigkeit in Broilerbeständen
von gut zwei Behandlungen vor einigen Jahren auf 2,9 Behandlungen im Jahr 2009/2010 gestiegen.
Gründe hierfür sind zum einen das Verbot des Einsatzes von antibiotischen Futterzusatzstoffen
als Wachstumsförderer. Das Verbot der Futterzusatzstoffe in Dänemark vor ca. 20 Jahren hat dort
ebenfalls zu einem erheblichen Anstieg des Antibiotikaverbrauchs in den Geflügelbeständen geführt.
Durch diese antibiotischen Futterzusatzstoffe wurden neben einem wachstumsfördernden Effekt
auch andere Darmbakterien wie Clostridien kontrolliert und müssen heute häufiger direkt mit
Antibiotika behandelt werden.

268 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Ein weiterer, wenn auch damit verbundener Grund, sind die zum Teil recht geringen Erlöse in der
Geflügelmast, die besonders bei den recht hohen Futterpreisen des letzten Jahres den
Deckungsbeitrag stark sinken ließen. Durch den Einsatz von wachstumsfördernden Antibiotika kann
die Futterverwertung und das Endgewicht signifikant gesteigert werden. Hieraus resultiert die häufige
Anfrage der Mäster nach zusätzlichen Behandlungen, die meist von Brüterei-, Futtermittel- oder auch
von Produktionsberatern die Empfehlung der Leistungsverbesserung erhalten.
Über einen längeren Zeitraum betrachtet haben die eigentlichen bakteriellen Erkrankungen in der
Hähnchenmast nicht sonderlich zugenommen. Erkrankungen sind Dottersackinfektionen der wenige
Tage alten Küken mit E. coli, Pseudomonaden, Steptokokken- oder Staphylokokken-Infektionen. Bei
diesen Infektionen muss eine Behandlung abgewogen werden. Bei massiven Infektionen, bei denen
entweder die Elterntierherden zum Zeitpunkt der Eiablage Probleme hatten oder Mastherden aus
mehreren Elterntierherden zusammengestellt werden mussten, ist eine Behandlung oft nicht zu
vermeiden.
Eine Behandlung der Darminfektionen, besonders durch Clostridienstämme, ist durch das Verbot
von antibiotischen Futterzusatzstoffen ebenfalls nicht immer zu verhindern. Durch Anpassung des
Managements und der Futterrationen können einige Behandlungen ausbleiben, bei teilweise auch
etwas schlechteren Produktionszahlen.
Atemwegsinfektionen müssen ebenfalls meist behandelt werden, damit die Tiere in ihrem
Wohlbefinden nicht gestört sind und der Deckungsbetrag solch eines Mastdurchganges nicht
vollständig ins Minus läuft. Verschleppte Atemwegsinfektionen durch E. coli oder Ornithobakterium
rhinotracheale (ORT) führen besonders zu hohen Verwurfsraten am Schlachtband. Außerdem haben
die tauglichen Schlachtkörper schnell einen höheren Keimgehalt als normale Herden.
Die häufig sehr geringen Erlöse in der Geflügelmast führen außerdem zu einem erheblichen
Preisdruck für Impfstoffe und Arzneimittel. Viele von den Integrationen vorgegebene Verträge sind so
spitz kalkuliert, dass eine umfangreiche Betreuung sich wirtschaftlich nur mit einem höheren Einsatz
von Medikationen noch rechnet. Ein Kontrollbesuch endet häufig in einer Behandlung, wofür eine
Indikation in einer Mastherde immer gefunden werden kann und mit umfangreichen
bakteriologischen Untersuchungen untermauert wird. Die fachliche wie auch wirtschaftliche
Entscheidung eines Tierarztes, eine Therapie durchzuführen oder nicht, muss somit von einem
erheblichen Rückgrad getragen werden. Die tierärztliche Leistung durch die Kunden wird zurzeit nur
an den Kosten und den Produktionszahlen, wie Verluste, Endgewichte, Futterverwertung und
tägliche Tageszunahmen gemessen.
In der Putenmast sind die Antibiotikaverbräuche innerhalb der letzten zehn Jahre noch stärker
gestiegen als in der Hähnchenmast. Gründe hierfür sind die stetig gewachsenen Leistungen der
Tiere und eine starke Konzentration von Mastbeständen in bestimmten Regionen Deutschlands. Bei
einer Mastdauer der Hähne von ca. 22 Wochen sind horizontale Infektionen auch durch noch so gute
Biosicherheitsmaßnahmen nicht vollständig zu verhindern. Der vollständige Verzicht von Antibiotika
gegen Clostridien ist nach dem Verbot der Futterzusatzstoffe über die gesamte Mastdauer von 22
Wochen kaum erreichbar. Die Clostridien perfringens-Infektionen verursachen mehr oder weniger
ausgeprägte Enteritiden. Starke Darmstörungen wirken sich erheblich auf das Skelettsystem aus, so
dass Tiere mit längerem Durchfall meistens auch recht schlecht auf den Beinen bleiben.
Auch führt die große Geflügeldichte in einigen Regionen Deutschlands zu einem höheren
Infektionsdruck, der bei einer Mastdauer von 140–150 Tagen bei Putenhähnen diese Gattung
Geflügel mehr gefährdet als ein Hähnchenmastdurchgang mit 38–42 Tagen Mastdauer. Allein der
Zeitfaktor lässt die länger gemästeten Puten deutlich mehr erkranken Eine nicht rechtzeitig

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 269


Nutzgeflügel
behandelte Herde oder der Verzicht einer Behandlung, besonders in der Endmast, kann zu erhöhten
Verlusten führen und bedingt häufig auch höhere Verwurfsraten. Durch den wesentlich höheren Wert
einer Schlachtpute gegenüber einem Masthähnchen entstehen bei den Puten natürlich auch
wesentlich höhere wirtschaftliche Schäden.
Selbst bei der Grundeinstellung, nur wenige Behandlungen durchführen zu wollen, ist die
Verantwortung für eine erfolgreiche Mast für den Tierarzt äußerst groß. Aus diesem Grund werden
sicherlich auch einige Behandlungen zur Absicherung der Mastleistung mehr als nötig durchgeführt.

Aussichten
Wir als Tierärzte sollten mit allen Mitteln versuchen, das Dispensierrecht trotz aller Kritik zu
erhalten. Hierzu muss die Tierärzteschaft aus meiner Sicht jedoch einige Veränderungen
akzeptieren. Damit ein übermäßiger Einsatz von Antibiotika weitestgehend unterbleibt, müssen
Anstrengungen zur besseren Tiergesundheit, Verbesserungen der Haltungsbedingungen im Hinblick
auf bessere Gesunderhaltung der Tiere, Weiterentwicklungen und Forschungen in der Fütterung und
auch neu aufzubauende Überwachungssysteme etabliert werden.
Es wird immer Herden geben, die behandelt werden müssen, sei es durch schlechte
Elterntierherden, Brutproblemen oder geflügeldichte Gebieten mit horizontaler Ausbreitung von
Infektionskrankheiten. Ein hoher Einsatz von Antibiotika könnte auch im Einzelfall gerechtfertigt sein,
sollte aber dann nicht nur dokumentiert, sondern begründet werden. Hierzu muss aber neben den
behandelnden Tierärzten auch die zuständige Überwachung nachgeschult werden, damit solche
Begründungen verifiziert werden können.
Es sollte der Aufbau einer Datenbank für multiresistente Keime erfolgen, in der die Herkunft und
eventuelle Ursachenentstehung verwaltet wird. Falls sich Erkenntnisse zu umfangreichen
Resistenzproblemen einiger Antibiotika ergeben, muss die Möglichkeit einer schnellstmöglichen
Abänderung geschaffen werden.
Ferner muss ein Umdenken beim Verbraucher und vielleicht auch bei den anderen
Markteilnehmern stattfinden, damit auch dem Verbraucher die Qualität und der Mehrwert eines unter
Deutscher Überwachung erzeugten Stücks Geflügelfleisch bewusst gemacht werden kann. Nur
durch ausreichende Erlöse in der Geflügelmast können kostenintensive Haltungsveränderungen und
eventuelle Einbußen der Produktionszahlen, die geringere Antibiotikaverbräuche bedingen könnten,
durchgesetzt werden.
Die Tierärzteschaft kann aus meiner Sicht dieses große Problem der drastischen Eindämmung
von Antibiotikaverbräuchen nicht allein lösen. Hierzu müssen auch die Partner in den Integrationen
wie auch bei den Mästern mit gleicher Intensität an einer Minimierung des Antibiotikaverbrauchs
mitwirken.
Trotz aller Steigerungen der Behandlungen innerhalb der letzten Jahre ist die
Rückstandsproblematik bei Geflügelfleisch sehr gering und nicht gestiegen.

Literaturverzeichnis
1. Schwarz S. Resistenzproblematik in der Veterinärmedizin, Leipziger Blaue Hefte Proceedings 5. Leipziger
Tierärztekongress Bd. 2; 2010; S.530-4.
2. World Health Organization Regional Office for Europe; Tackling antibiotic resistance from food safety
perspective in Europe. 2011 ISBN 978 92 890 1421 2 (print) 1-88.

270 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Kontaktadresse
Dr. Manfred Pöppel, Fachtierarzt für Geflügel, Geflügelveterinärpraxis (GVP), Delbrück,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 271


Nutzgeflügel

Antibiotika-Leitlinien für das Geflügel


Manfred Kietzmann
Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Die in ihrer zweiten Auflage vorliegenden Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell
wirksamen Tierarzneimitteln fassen die Grundprinzipien der Antibiotikaanwendung bei Tieren
zusammen (1). Der gemäß den Antibiotika-Leitlinien erfolgende Einsatz von Antibiotika in der
Tiermedizin trägt dazu bei, dass Antibiotika für Mensch und Tier als wirksame und sichere
Arzneimittel erhalten bleiben. Bezüglich des Antibiotikaeinsatzes beim Geflügel steht der Einsatz der
Arzneimittel in Tierbeständen im Vordergrund, während Einzeltierbehandlungen zahlenmäßig eine
nur geringe Rolle spielen.
Die Leitlinien haben weder direkt noch indirekt den Charakter einer Rechtsvorschrift; sie
definieren jedoch eine bei der Anwendung von Antibiotika optimale Vorgehensweise, von der in
begründeten Fällen abgewichen werden kann. Somit dienen sie praktizierenden Tierärztinnen und
Tierärzten als eine zusammenfassende Empfehlung für den verantwortungsbewussten Gebrauch
antibakterieller Wirkstoffe bei Tieren. Gleichzeitig stellen sie selbstverständlich auch für
Überwachungsbehörden eine wichtige Informationsquelle bei der Beurteilung von Fragen des
Arzneimitteleinsatzes auf der Basis der veterinärmedizinischen Wissenschaft dar.
Im einem dem übergreifenden Teil der Antibiotika-Leitlinien angehängten tierartenspezifischen
Teil wird bezüglich der Anwendung von Antibiotika beim Geflügel zuerst darauf verwiesen, dass das
Bestandsmanagement (Optimierung der Haltungsbedingungen, Impfmanagement) für die
Vermeidung von Infektionskrankheiten und damit für eine Reduzierung der Menge eingesetzter
Antibiotika eine wesentliche Rolle spielt.
Jeder Einsatz von Antibiotika muss auf der Untersuchung von Einzeltieren bzw. des Bestandes
basieren, wobei darauf verwiesen wird, dass monokausale Erkrankungen beim Nutzgeflügel eine
eher untergeordnete Rolle spielen. Verwiesen wird auf die Leitlinien des Bundesverbands prakt.
Tierärzte (bpt) für die Durchführung einer tierärztlichen Bestandsbetreuung in Geflügelbeständen.
Bestandsspezifische bzw. epidemiologische Faktoren, die auf der Basis regelmäßiger Besuche des
den Tierbestand betreuenden Tierarztes erhoben werden, sind zu berücksichtigen.
Die Auswahl einzusetzender Antibiotika muss, basierend auf den diagnostischen Maßnahmen,
unter Berücksichtigung bestandsspezifischer Erfahrungen (Erkenntnisse zum Gesundheitsstatus des
Tierbestandes und über Ergebnisse vorausgegangener Antibiogramme) erfolgen, wenn eine
eindeutige ätiologische Diagnose (noch) nicht zu stellen ist. Neben dem therapeutischen Einsatz bei
klinisch erkrankten Tieren steht der metaphylaktische Einsatz bei Tieren, die als infiziert anzusehen
sind, jedoch noch keine klinischen Symptome zeigen.
Sog. „antibiotische Reservemittel“ sollen nur im begründeten Einzelfall bei strenger
Indikationsstellung eingesetzt werden. Auch eine Kombination von Antibiotika ist restriktiv zu
handhaben.
In den Antibiotika-Leitlinien wird auch darauf verwiesen, dass ein Großteil der Geflügelarten zu
den „Minor Species“ zählt, was bedeutet, dass Tierarzneimittel oft nur auf dem Wege der
Umwidmung angewendet werden können. Auf Grund der arzneimittelrechtlichen Situation (z. B.
Mindestwartezeiten bei Umwidmung) führt dies oft zu kaum lösbaren Problemsituationen, da eine

272 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
klinisch sinnvolle Behandlung (z. B. bei Masthähnchen) unmöglich wird. Hier muss eine Lösung, die
dem Tierschutz und der Wirtschaftlichkeit gerecht wird, gefunden werden.
Auch wird darauf verweisen, dass zurzeit für einige der beim Geflügel relevanten Erreger keine
anerkannten und standardisierten Untersuchungsverfahren und Bewertungskriterien vorhanden sind.
Mit den Antibiotika-Leitlinien liegt somit eine zusammenfassende Empfehlung für den
verantwortungsbewussten Gebrauch antibakterieller Wirkstoffe beim Nutzgeflügel vor.

Literaturverzeichnis
1. Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln. 2. Ausg.
Herausgeber: Bundestierärztekammer und Arbeitsgruppe Tierarzneimittel der Länderarbeitsgemeinschaft
Verbraucherschutz; 2010.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Kietzmann, Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung
Tierärztliche Hochschule Hannover, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 273


Nutzgeflügel

Aktuelle Zulassungen/Neuerungen bei Antibiotika/Antiparasitika


Ilka Ute Emmerich
Institut für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie, Veterinärmedizinische Fakultät der
Universität Leipzig

Neuzulassungen für das Geflügel seit dem 1. November 2009


In Zeitraum vom 1. November 2009 bis zum 27. Juli 2011 wurden insgesamt 21 Arzneimittel neu
für das Geflügel zugelassen, worunter sich 15 Antibiotika, 2 Narkotika, 1 nicht-steroidales
Antiphlogistikum (NSAID) und 3 Phytopharmaka befanden (Tabelle 1) (1). Innerhalb der
antimikrobiell wirksamen Substanzen erhielten 6 Wirkstoffe, die Penicilline Amoxicillin und
Phenoxymethylpenicillin (Penicillin V), das Fluorchinolon Enrofloxacin, die Makrolide Tylosin und
Tylvalosin und das Tetrazyklin Doxycyclin, eine Zulassung für Hühner und/oder Puten. Ein
doxycyclinhaltiges Antibiotikum wurde für Brieftauben zugelassen. Des Weiteren erhielten das
Inhalationsnarkotikum Isofluran für Ziervögel, das Injektionsnarkotikum Pentobarbital aus der Gruppe
der Barbiturate für Hühner, Tauben und Ziervögel, das NSAID Natriumsalicylat für Puten und zwei
Phytopharmaka eine Zulassung. Ein antiparasitär wirkendes Arzneimittel wurde für das Geflügel in
diesem Zeitraum nicht zugelassen, obwohl Antiparasitika in der Tiermedizin eine bedeutende Rolle
spielen und derzeit Therapienotstände bei Parasitosen des Geflügels bestehen (z. B. Rote
Vogelmilbe).

Interessante Neuzulassungen für das Geflügel


Nachdem Mitte 2009 der antimikrobielle Wirkstoff Doxycyclin aus der Gruppe der Tetrazykline,
der bis dahin nur für Hunde, Katzen und Schweine verfügbar war, für Hühner in den Markt eingeführt
wurde, stand Doxycyclin kurz darauf Anfang 2010 erstmalig auch für Puten zur Verfügung (2,3). Das
Granulat zur Herstellung einer Lösung zum Eingeben wurde unter dem Namen Pulmodox® 500 mg/g
unter anderem für Puten zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, an denen Doxycyclin-
empfindliche Mycoplasma-gallisepticum-Stämme beteiligt sind, zugelassen. Mit Doxycyclin stand
damit erstmals ein Tetrazyklin aus der Gruppe der „neuen Tetrazykline“ für Hühner und Puten zur
Verfügung, die gegenüber den älteren Tetrazyklinen Vorteile bezüglich des Wirkungsspektrums, des
pharmakokinetischen Verhaltens und der Toxizität besitzen. So verfügen die „neuen Tetrazykline“
über eine höhere Aktivität gegenüber Staphylococcus aureus, hemmen auch das Wachstum
plasmidtragender tetrazyklinresistenter sowie penizillinresistenter Stämme, zeigen schwächere
Interaktionen mit zwei- und dreiwertigen Kationen (nicht bei Fe2+) und weisen eine geringere
Toxizität auf (4). 2010 folgte mit der Brieftaube eine weitere Tierart, für die Doxycyclin zugelassen
wurde. Doxycxclin-t erhielt als Pulver zum Eingeben über das Trinkwasser zur Behandlung von
Erkrankungen des Verdauungstraktes, hervorgerufen durch Doxycyclin-empfindliche Salmonella
typhimurium var. Copenhagen, eine Zulassung.

274 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Tabelle 1: Übersicht über die seit dem 1. November 2009 neu zugelassenen Arzneimittel für
Geflügel (nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit, Stand 27. Juli 2011)(1)
Wirkstoffgruppe Präparat Wirkstoff- Darreichungsform und Tierart3, Vertreiber5 Zulassung
Wirkstoff (geschützer konzen- Art der Anwendung2 Wartezeit s-datum
Warenname) tration
1 (d)4
Antibiotika
Penicilline (Beta-Lactame) (grampositiv + z. T. gramnegativ + Pasteurellen, bakterizid)
Pulver zum Eingeben
Amoxicillin Octacillin 800 mg/g Huhn (1/-7) Albrecht 31.03.2010
über das Trinkwasser
Phenoxymethyl-
Pulver zum Eingeben
penicillin BayCubis6 325 mg/g Huhn (2/-8) Bayer Vital 17.05.2011
über das Trinkwasser
(Penicillin V)
Fluorchinolone (grampositiv + gramnegativ + Mykoplasmen, bakterizid)
bioptivet
100,0 Lsg. zum Eingeben über Huhn (4/-7)
Enrofloxacin Enrobioflox Tierarznei- 06.01.2011
mg/ml das Trinkwasser Pute (4/-7)
mittel
bioptivet
100,0 Lsg. zum Eingeben über Huhn (4/-7)
Enroflox Tierarznei- 24.03.2011
mg/ml das Trinkwasser Pute (4/-7)
mittel
100,0 Lsg. zum Eingeben über Huhn (3/-8)
Enro-Sleecol Albrecht 12.02.2011
mg/ml das Trinkwasser Pute (3/-8)
100,0 Lsg. zum Eingeben über Huhn (4/-7)
Lanflox Dopharma 08.02.2010
mg/ml das Trinkwasser Pute (4/-)
100,0 Lsg. zum Eingeben über Huhn (3/-8) Laboratorio
SPECTRON6 09.11.2010
mg/ml das Trinkwasser Pute (3/-8) s Hipra
Makrolide (grampositiv + Pasteurellen + Mykoplasmen, bakteriostatisch)
Granulat zum Eingeben Huhn (1/0) HUVE-
Tylosin Pharmasin 1000 mg/g 14.03.2011
über das Trinkwasser Pute (2/0) PHARMA
ECO
Granulat zum Eingeben
Tylvalosin Aivlosin6 625 mg/g Fasan (2/-8) Animal 14.12.2009
über das Trinkwasser
Health
Tetracycline (grampositiv + gramnegativ + Mykoplasmen + Chlamydien, bakteriostatisch)
Lsg. zum Eingeben über Huhn Divasa-
Doxycyclin DOXIVET6 230 mg/ml 14.07.2011
das Trinkwasser (59, 1210/-8) Farmavic
Granulat zur Herstellung bioptivet
Huhn (5/-8)
Doxy 50% 500 mg/g einer Lsg. zum Eingeben Tierarz- 06.01.2011
Pute (12/-8)
über das Trinkwasser neimittel
DOXYCYCLIN Pulver zum Eingeben Huhn (6/-8) PHARMA-
500 mg/g 04.07.2011
E CALIER6 über das Trinkwasser Pute (9/-8) NOVO
Chevita
Pulver zum Eingeben
doxycyclin-t6 117,6 mg/g Brieftaube11 Tier- 03.11.2010
über das Trinkwasser
arzneimittel
Granulat zur Herstellung Virbac
Huhn (5/-8)
Pulmodox 500 mg/g einer Lsg. zum Eingeben Tier- 04.11.2009
Pute (12/-8)
über das Trinkwasser arzneimittel
Pulver zum Eingeben Huhn
Soludox 500 mg/g Albrecht 25.08.2010
über das Trinkwasser (512, 1213/-7)

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 275


Nutzgeflügel
Fortsetzung Tabelle1:
Narkotika
Flüssigkeit zur Virbac
Isofluran Vetflurane6 1000 mg/g Herstellung eines Dampfs Ziervogel11 Tier- 30.08.2010
zur Inhalation arzneimittel
Inj.-Lsg. zur i. c., i. p., Huhn14
CP-
Pentobarbital Euthadorm6 400 mg/ml i. v., i. pul., i. a. Taube14 28.06.2011
Pharma
Anwendung Ziervogel11
Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID)
Natriumsalicylat Salicylsäure- 1000 mg/g Pulver zum Eingeben Pute (2/-) Chevita 26.05.2011
Na C100 G6 über das Trinkwasser Tier-
arzneimittel
Phytopharmaka
Agraria
Eichenrinde Ventrasan N 977 mg/g Pulver zum Eingeben Huhn (0/0) 26.11.2009
Pharma
Huhn (1/0)
Intervet
Fichtennadel- Stullmisan vet. Zierhuhn11
30,56 mg/g Pulver zum Eingeben Deutschlan 14.06.2010
extrakt Pulver Pute (1/0)
d
Wachtel (1/0)
Kamillenblüten Huhn
43,5 mg Serumwerk
Pfefferminzblätter Ventrarctin6 Lsg. zum Eingeben (Küken) 23.05.2011
(1:1:1)/g Bernburg
Schafgarbenkraut (k.A.)
1 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Artikel
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
2 Abkürzungen: i. c. = intracardial, i. p. = intraperitoneal, i. v. = intravenös, i. pul. = intrapulmonal, i. a. =
intraabdominal, Inj.-Lsg. = Injektionslösung, Lsg. = Lösung
3 In dieser Spalte sind nur die geflügelrelevanten Tierarten zu jedem Arzneimittel aufgeführt. Weitere
Tierarten, für die das Arzneimittel ebenfalls zugelassen sein könnte, wurden nicht berücksichtigt.
4 Zahl vor dem Schrägstrich ist die Wartezeit auf essbare Gewebe, die nach dem Schrägstrich die Wartezeit
auf die Eier. (k. A.) bedeutet keine Angabe.
5 Die Auflistung der pharmazeutischen Vertreiber kann, muss aber nicht vollständig sein.
6 Nach Auskunft des pharmazeutischen Unternehmers derzeit noch nicht im Handel.
7 Nicht bei Legehennen anwenden, deren Eier für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind. Nicht
innerhalb von 4 Wochen vor Legebeginn anwenden.
8 Nicht bei Legehennen verwenden, deren Eier für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind.
9 bei Behandlung von Pasteurellose mit maximal 10 mg/kg Körpergewicht über höchstens 4 Tage
10 bei Behandlung mit maximal 20 mg/kg Körpergewicht über höchstens 4 Tage
11 entfällt, da nicht für den menschlichen Verzehr vorgesehen
12 nach Verabreichung einer Dosis von 10 mg/kg Körpergewicht über 4 Tage
13 nach Verabreichung einer Dosis von 20 mg/kg Körpergewicht über 4 Tage
14 Bei Anwendung bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, darf das Fleisch nicht zum Konsum
freigegeben werden.

Das Makrolidantibiotikum Tylvalosin, das früher als Acetylisovaleryltylosin bezeichnet wurde und
als C-16-Makrolid dieselbe chemische Struktur wie Tylosin besitzt, erhielt Ende 2009 erstmals eine
Zulassung für Fasane (5). Es wurde als Granulat zum Eingeben über das Trinkwasser zur
Behandlung von Atemwegserkrankungen, hervorgerufen durch Mycoplasma gallisepticum, als
Aivlosin® 625 mg/g, zugelassen.
Außerdem erhielt im Jahr 2011 das schwache Analgetikum Natriumsalicylat eine Zulassung für
Puten. Bislang stand Natriumsalicylat, das Natriumsalz der Salicylsäure, genau wie

276 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Acetylsalicylsäure als Monopräparat nur für Rinder und Schweine zur Verfügung. Jetzt wurde
Natriumsalicylat als Pulver zum Eingeben für Puten zur symptomatischen Behandlung von
entzündlichen Atemwegserkrankungen in Kombination mit einer geeigneten antiinfektiven Therapie
unter dem Namen Salicylsäure-Na C100 G zugelassen.

Literaturverzeichnis
1. BVL (2011). Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Gebäude 247, Bundesallee
50, 38116 Braunschweig, Deutschland. http://www.bvl.bund.de. (letztes Abfragedatum 27. Juli 2011).
2. Emmerich IU. Neue Arzneimittel für Pferde und landwirtschaftliche Nutztiere 2009. Tierärztl Prax 2010;
38(G): 307–11.
3. Emmerich IU. Neue Arzneimittel für Pferde und landwirtschaftliche Nutztiere 2010. Tierärztl Prax 2011;
eingereicht.
4. Kroker R. Tetracycline. In: Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren. Löscher W, Ungemach FR, Kroker
R, Hrsg. Berlin: Parey. 2010;272–5.
5. Kroker R. Makrolide. In: Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren. Löscher W, Ungemach FR, Kroker
R, Hrsg. Berlin: Parey. 2010;277–82.

Kontaktadresse
Dr. Ilka Emmerich, Institut für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie, Veterinärmedizinische
Fakultät der Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 277


Nutzgeflügel

Resistenzmonitoring bei geflügelpathogenen Bakterien – Wo stehen


wir?
Heike Kaspar, Antje Römer, Ulrike Steinacker, Jürgen Wallmann, Joachim
Mankertz
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Berlin

Einleitung
Mit jedem Einsatz antibakteriell wirksamer Substanzen werden, sowohl in der Human- wie auch
in der Veterinärmedizin, neue Resistenzen geschaffen bzw. bereits bestehende
Antibiotikaresistenzen selektiert. Diesem Problem kann nur in einem interdisziplinären Ansatz
wirkungsvoll begegnet werden. Als wesentliches Tool des Risikomanagements zur Minimierung der
Antibiotikaresistenz dient das repräsentative Resistenzmonitoring tierpathogener Bakterien des
Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das valide quantitative Daten
zur Einschätzung der aktuellen Resistenzsituation in Deutschland bereitstellt.

Methode
Für geflügelpathogene Bakterien werden seit dem Jahr 2005 jährlich entsprechende
Empfindlichkeitsdaten nach einem dezidierten Stichprobenplan gegenüber 24 antibakteriell
wirksamen Substanzen erhoben. Es kommen ausschließlich Isolate von erkrankten Tieren zur
Untersuchung, die zuvor nicht antibakteriell behandelt worden sind.

Tabelle 1: Stichprobenplan: Bakterienisolate vom Geflügel


Indikation Tierart/Altersstufe Bakterienspezies
Respiratorische Masthahn P. multocida
Erkrankungen Legehenne E. coli
Pute B. bronchiseptica
Nabel- und Pute E. coli
Dottersackentzündung Huhn Staphylococcus spp.
Ps. aeruginosa
Septikämie Pute E. coli
Huhn Staphylococcus spp.
Ps. aeruginosa
Gastritis, Enteritis Masthahn E. coli
Legehenne Salmonella spp.
Pute Ps. aeruginosa

Die Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) und die Bewertung der erhobenen
MHK-Daten erfolgt gemäß CLSI-Standards (1), die eine Bewertung in Form von Resistenzraten mit
validen veterinärspezifischen klinischen Grenzwerten für die untersuchten Wirkstoffe, Tierarten und
Indikationen ermöglichen. Sind diese nicht vorhanden, erfolgt die Bewertung mit den entsprechenden
MHK90-Werten (mg/L), bei denen 90 % der untersuchten Isolate in ihrem Wachstum gehemmt
werden. Die MHK90-Werte lassen Rückschlüsse auf eine mögliche Wirksamkeit zu. Eine Auswertung

278 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
erfolgte entsprechend der verschiedenen Produktionsrichtungen und Indikationen, weiterhin wird der
Verlauf der Resistenzraten über die Studienjahre hinweg verglichen.

Ergebnisse
Die ermittelten Resistenzdaten zeigen, dass abhängig von Produktionsstufe und Indikation mit
hohen Resistenzraten bei Tetracyclin, Ampicillin und den potenzierten Sulfonamiden zu rechnen ist.
Insgesamt wurden in den Studienjahren 2005/2006, 2006/2007 und 2008 für die
Bakterienspezies E. coli 825 Isolate von Puten, 522 Isolate von Legehennen und 414 Isolate von
Masthähnen untersucht. Gegenüber den Tetracyclinen (bis zu 84 % bei Puten, bis zu 50 % bei
Masthähnen), Trimethoprim/Sulfamethoxazol (bis zu 45 % bei Puten) und Ampicillin (bis zu 70 % bei
Puten, bis zu 63 % bei Masthähnen) wurden die höchsten Resistenzraten ermittelt. Bei maximal 6 %
liegen dagegen die Resistenzraten der Fluorchinolone für die Produktionsstufe Masthähne,
diejenigen für die Pute liegen bei maximal 10 %. Insgesamt sind – über die Studienjahre hinweg
betrachtet – ein leichter Abwärtstrend bei den Resistenzraten und stabile MHK90-Werte zu
verzeichnen. Ein Anstieg zeigt sich im Vergleich der Studienjahre für die Prävalenz von Extended
Spectrum ß-Lactamase-Bildnern beim Geflügel von 0,2 % auf 1,4 %.
Im gleichen Zeitraum wurden für die Bakterienspezies Salmonella spp. 88 Isolate untersucht.
Hier wurden beim Nutzgeflügel im Vergleich zu den E.-coli-Isolaten niedrigere Resistenzraten
ermittelt (Ampicillin 19 %, Tetracyclin 13 %, übrige getestete Wirkstoffe unter 10 %). Allerdings
zeigen die MHK90-Werte bei den Wirkstoffen Colistin (von 4 auf 8 mg/L), Enrofloxacin (von 0,06 auf
1 mg/L) und Nalidixinsäure (von 4 auf ≥128 mg/L) einen deutlichen Aufwärtstrend.
Mit teils hohen Resistenzraten muss bei Staphylococcus aureus gerechnet werden.
Insbesondere betroffen sind die Wirkstoffe Penicillin/Aminopenicilline (60 %), Tetracyclin (70 %) und
die Makrolide (Erythromycin 44 %). Auch die MHK90-Werte für die neueren Cephalosporine liegen
mit 2–8 mg/L, abhängig vom Wirkstoff, im erhöhten Bereich. Weiterhin wurden einzelne MRSA-
positive Isolate identifiziert.

Ausblick
Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass Resistenzdaten für eine Bakterienspezies unbedingt
getrennt nach Tierart und Indikation auszuwerten sind, da sonst die Trendentwicklungen nicht
ausreichend beurteilt werden können. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Resistenzraten für
die älteren Wirkstoffe für das Nutzgeflügel zum Teil über denjenigen für andere Tierarten in
Deutschland liegen.

Literaturverzeichnis
1. CLSI document M31-A3. Performance standards for antimicrobial disk and dilution susceptibility tests for
bacteria isolated from animals; approved standard. Clinical and Laboratory Standards Institute. Wayne;
PA; U.S.A; 2008.

Kontaktadresse
Dr. Heike Kaspar, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Berlin,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 279


Nutzgeflügel

Besonderheiten der Antibiose über das Trinkwasser beim


Nutzgeflügel
Manfred Kietzmann
Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Beim Nutzgeflügel erfolgt die überwiegende Zahl der Behandlungen bakterieller


Infektionskrankheiten mit Antibiotika auf oralem Weg über das Trinkwasser. Grundsätzlich muss
dabei gewährleistet sein, dass jedem Tier eine therapeutisch wirksame Dosis verabreicht wird. Die
Trinkwasseraufnahme sollte hierzu täglich kontrolliert werden, um sicherzustellen, dass die Tiere die
bestimmungsgemäße Dosis auch erhalten. Auch eine regelmäßige Wartung des Tränksystems (z. B.
regelmäßige Reinigung, insbesondere von Nippeltränken) ist bedeutsam. Im Leitfaden einer
Arbeitsgruppe im BMELV vom 19.06.2009 mit dem Titel „Orale Anwendung von Tierarzneimitteln im
Nutztierbereich über das Futter oder das Trinkwasser“ (Beilage zum Deutschen Tierärzteblatt
4/2010) werden wichtige Kriterien der Trinkwasserapplikation zusammengefasst. Im Vergleich zur
Futtermedikation ist es dabei ein Vorteil, dass eine rasche Umstellung (Wirkstoffwechsel,
Dosierungsänderung) möglich ist. Bei der Trinkwasserapplikation kommen verschiedene Techniken
zur Anwendung – so beispielsweise Dosiergeräte, die dem Wasser eine vorgegebene Menge eines
Arzneimittels hinzufügen. Für derartige Dosiergeräte wurde eine DIN-Norm (DIN 10529-2) erarbeitet.

Es ist sicherzustellen, dass das Arzneimittel in der vom Tier aufgenommenen Wassermenge in
der notwendigen Konzentration enthalten ist. Entsprechende Berechnungen erfolgen auf der Basis
der pro Kilogramm Körpergewicht zu verabreichenden Dosis unter Berücksichtigung des
Wasserverbrauchs.

Bei der Trinkwassermedikation kommt Fragen der Löslichkeit und auch der Palatabilität
besondere Bedeutung zu. Zwar sind für die zur Behandlung via Tränkwasser zugelassenen
Fertigarzneimittel Löslichkeit und Stabilität der Lösung über definierte Zeiträume grundsätzlich
gegeben. Jedoch hängt beides nicht allein von den physikalisch-chemischen Eigenschaften des
Arzneistoffes ab, sondern wird auch durch die Wasserbeschaffenheit (z. B. pH-Wert, Härtegrad)
beeinflusst. Hier bestehen zum Teil sehr ausgeprägte regionale Unterschiede, was insbesondere für
Brunnenwasser gilt.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Manfred Kietzmann, Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung
Tierärztliche Hochschule Hannover, [email protected]

280 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Antibiose bei Tauben


Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Susanne Vorbrüggen
Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig

Auch im Rahmen der antibiotischen Behandlung von Taubenbeständen greift das AMG bzw. die
Tierimpfstoff-VO und TÄHAV. Eine ordnungsgemäße Behandlung von Tieren oder Tierbeständen
schließt demnach ein, dass nach den Regeln der tierärztlichen Wissenschaft die Tiere oder der
Tierbestand in angemessenem Umfang untersucht worden sind. Im Falle eines Taubenbestandes
sollte der Tierarzt daher im Prinzip den Gesamtbestand einer Adspektion und klinisch erkrankte Tiere
einer individuellen Kontrolle im Sinne einer klinischen Untersuchung unterwerfen.
Ein Bestandsbesuch ist in diesem Zusammenhang also in jedem Fall wünschenswert, allerdings
erscheint dieser aufgrund teilweise großer räumlicher Distanzen und dadurch entstehenden hohen
Zeitaufwandes nicht immer realisierbar. Nicht zu vernachlässigen sind auch die dadurch für den
Halter entstehenden Kosten. Es ist zu vermuten, dass daher nur ein kleiner Teil der Taubenhalter –
auch aufgrund bestehender leichter Beschaffung von Medikamenten aus dem Ausland,
insbesondere aus Belgien, Holland und Frankreich – regelmäßig den Tierarzt frequentiert. Besucht
der behandelnde Tierarzt den Taubenbestand also nicht persönlich, so müssen aber die Angaben
des Halters (im Sinne des AMGs) insbesondere bezüglich der Bestandsgröße durch Angaben aus
verlässlichen nachvollziehbaren Quellen spätestens bei Abgabe verschreibungspflichtiger
Medikamente untermauert werden.
Da viele Bestandsdaten auch einen Einfluss auf ein etwaiges Krankheitsgeschehen haben
können, erscheint die Erhebung derselben im Rahmen der Anamnese bei einer tierärztlichen
Untersuchung notwendig. Von Bedeutung bezüglich des benötigten Wissens erscheinen neben dem
speziellen tiermedizinischen Wissen (Unverträglichkeit von Medikamenten etc.) in diesem Rahmen
Fragen des Wesens des Brieftaubensports (Wettbewerbe, Jung- und Alttierflüge, Witwernschaft,
Mauser usw.), der Rassetaubenausstellungen, der Taubenzucht (Anpaarung, Winter- und
Sommergelege, Kropfmilch usw.) sowie der Taubenhaltung (Art des Schlages, Einrichtung des
Schlages usw.) und -ernährung (z. B. auch Witterungseinflüsse auf die Trinkwasseraufnahme bei
Medikation) zu sein (1).
Der eingangs erwähnte „angemessene Umfang“ der nachfolgenden tierärztlichen Untersuchung
kann je nach Lage des Falles verschieden sein, er muss aber eine einwandfreie Diagnose
ermöglichen. Bei Verdacht auf eine Infektionskrankheit entscheidet der behandelnde Tierarzt über
die Art des benötigten Probenmaterials je nach Art des Vorberichtes. Die klinische Untersuchung
einer lebenden Taube bzw. des gesamten Bestandes ist dabei nicht in allen Fällen zwingend
notwendig (z. B. Sammelkotprobe bei Salmonellose), da die klinische Symptomatik bei den meisten
Infektionskrankheiten unspezifisch ist und keine endgültige Diagnose erlaubt. Die meisten Erreger
können zweifelsfrei durch gezielte Auswahl des Probenmaterials und nachfolgende spezifische
Laboruntersuchungen, nach Rücksprache mit dem Halter auch ohne Besichtigung des
Taubenschlages, diagnostiziert werden. Infragekommende Proben sind Sammelkotproben sowie tote
und lebende Tiere und von diesen entnommene Tupfer, Blutproben etc. In der Regel wird der Halter
in der Tierarztpraxis vorstellig bzw. besucht der Tierarzt selbst den Bestand; in manchen Fällen
erfolgt der Untersuchungsauftrag allerdings durch Einsendung von Probenmaterials per Post,
vornehmlich von Kotproben bzw. toten Tieren.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 281


Nutzgeflügel
Nachdem durch die Deutsche Post aus Tierschutzgründen keine lebenden Tiere mehr versandt
werden können, ist die Einsendung solcher deutlich zurückgegangen, da die Halter auf
Spezialversandfirmen mit unterschiedlichen Anforderungen zurückgreifen müssen. Darüber hinaus
sind auch die hohen Kosten eines Lebendversandes einer Brieftaube eine deutliche Barriere, die den
häufigen Versand verhindern.
Eine endgültige Diagnose muss aber dann wie allgemein üblich immer im Zusammenhang unter
Berücksichtigung aller erhobenen Fakten (Anamnese, Klinik, Labor- bzw. Sektionsbefund) unter
Einbeziehung des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes erfolgen. So rechtfertigt z. B. der
bloße Befund „Escherichia coli“ aus einer Kotprobe noch keine antibiotische Behandlung eines
Taubenbestandes; demgegenüber ist der alleinige Befund „Salmonella typhimurium var.
copenhagen“ aus einer Kotprobe ausreichend, eine antibiotische Behandlung des Bestandes
vorzunehmen.

Therapie
Neben den Salmonellen spielen bakterielle Erreger wie die erwähnten E. coli-Keime bei
Brieftauben häufig als Auslöser von Sekundärinfektionen eine Rolle; als eigentliche Ursache
kommen konkurrierende Infektionen (insbesondere virale Erreger), aber z. B. auch Hygienemängel
infrage. Letztere müssen daher gezielt bei Erhebung der anamnestischen Daten abgefragt werden.
In nahezu allen Fällen von Infektionserkrankungen ist aufgrund der Ansteckungsgefahr eine
Behandlung aller Tiere des Taubenschlags nötig. Bei Verabreichung der Antibiotika über das
Trinkwasser ist es zwingend notwendig, den aktuellen Trinkwasserbedarf des Bestandes zu
erfragen/zu messen, da dieser abhängig von der Jahreszeit, dem Alter, der Leistung (Wettflüge) und
der Aufzucht der Jungen bereits physiologisch bis zu 5-fach erhöht sein kann. Hinweise der
Arzneimittelfirma sind lediglich richtungsweisend und können bei strikter Einhaltung ohne
Berücksichtigung des tatsächlichen Trinkwasserbedarfs schnell zu einer Über- bzw. Unterdosierung
führen.
Bei der Wahl des Antibiotikums muss unterschieden werden zwischen Nichtlebensmittel
liefernden Tauben, den Brieftauben („Heimtiere“, Umwidmung nach Kleintierkaskade möglich), und
Lebensmittel liefernden Tauben (Rassetauben, Fleischtauben).
Für letztere gibt es keine zugelassenen Antibiotika; für Brieftauben gibt es zurzeit sechs
Wirkstoffe, welche ausschließlich zur oralen Verabreichung verfügbar sind. Diese sind in für
Taubenbestände passenden Größen abgepackt, so dass ein Bezug auch mittels Rezept über die
Apotheke möglich wäre.
Bei der häufigen Umwidmung verschreibungspflichtiger oral zu verabreichender Medikamente
spielt in der Realität besonders das Enrofloxacin eine Rolle; eine Begründung für die Wahl dieses
Reserveantiinfektivums ist allerdings oftmals nicht zwingend nachvollziehbar. Darüber hinaus sind
auf dem Markt erhältliche Packungsgrößen für Enrofloxacin bzw. andere umzuwidmende
Medikamente im Allgemeinen wesentlich größer als dies für eine Bestandsbehandlung bei
Brieftauben nötig wäre, so dass ein Bezug über Rezept zu großer Mengen nicht möglich ist.
Die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel erfolgt zurzeit entweder bei Bestandsbesuch
durch den Tierarzt, bei Praxisbesuch an den Taubenhalter/das Tier direkt oder durch Versand der
Medikamente. Letzteres ist vor allem der Fall bei großer räumlicher Distanz zum Brieftaubenschlag
und wenn die Diagnostik der Erkrankung nicht am gleichen Tag der Untersuchung der Brieftauben
abgeschlossen werden kann.

282 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Wichtige bakterielle Erreger

Salmonellose
Es ist besonders Salm. typhimurium var. copenhagen von Bedeutung. Dauerausscheider und
Infektionsquelle können klinisch inapperente Tiere sein. Ein gehäuftes Auftreten wurde während der
Mauser, zum Reiseschluss, nach der Winterruhe bzw. zur Anpaarung im März beobachtet. Die
Diagnose erfolgt klinisch durch Untersuchung erkrankter Tiere bei der Gelenkform und pathologisch-
anatomisch bei der Gehirnform. Zusätzlich muss zur Sicherung der Diagnose ein bakteriologischer
Nachweis nach Anreicherung durchgeführt werden. Am lebenden Tier werden Kotproben oder
Gelenkpunktate bakteriologisch untersucht. Eine serologische Untersuchung zum Antikörper-
Nachweis ist ebenfalls möglich. Chloramphenicol-N®-Pulver (Chloramphenicol,
verschreibungspflichtig, 6,5 g Pulver pro 1 l Trinkwasser für 20 Tauben über 5 Tage) ist zur
Behandlung der Salmonellose bei Brieftauben zugelassen. Da die Halbwertszeit des
Chloramphenicols bei Tauben extrem kurz ist sowie das zugelassene Präparat nicht während der
Fortpflanzung, der Mauser und anderer Federwachstumsphasen eingesetzt werden soll, muss
jedoch im Falle einer Salmonellose oft umgewidmet werden. In neuerer Zeit wurde die gute
Wirksamkeit von Doxycyclin-t® (Zulassung für Brieftauben bei Salmonellose, Applikation über das
Trinkwasser in einer Tagesdosis von 40 mg/kg KGW über 14 Tage) belegt.
Außerdem wird eine jährliche Impfung gegen Salmonella typhimurium var. copenhagen
empfohlen. Zugelassene Impfstoffe (z. B. chevivac-S®, Colombovac parathyphus®, Zoosal T®)
werden einmal jährlich subkutan appliziert. Es wird geraten, vor der Impfung eine Behandlung mit
Chloramphenicol-N® durchzuführen, um bei unerkannt erkrankten Tieren Todesfälle zu vermeiden
(Herstellerangabe).

E. coli, Streptococcus gallolyticus


Diese Erreger gehören zur physiologischen Darmflora und werden somit als fakultativ pathogen
angesehen. Für Brieftauben zugelassene Arzneimittel zur Behandlung von Magen-Darm-
Erkrankungen, hervorgerufen durch E. coli, sind derzeit verschiedene Doxycyclin- und Furazolidon-
Präparate:
Doxycyclin-t® (Applikation über das Trinkwasser in einer Tagesdosis von 40 mg/kg KGW über
7 Tage; gute Gewebegängigkeit) und Furazolidon-t®-Kapseln (oral 1 Kapsel täglich pro Brieftaube
über 5–7 Tage; keine Resorption aus dem Magen-Darmtrakt). Zusätzlich ist Furazolidon+R-Pulver
((7,5 g Pulver pro 2 l Trinkwasser für 40 Tauben über 5–7 Tage, zweimalige Wiederholung der
Behandlung mit jeweils zwei Tagen Pause) zur Trinkwasserapplikation zugelassen.

Ornithose
Die Ornithose durch Infektion mit Chlamydia psittaci der Tauben unterliegt der Meldepflicht.
Infektionsraten (serologisch getestet) liegen bei 30–90 %, während aktive Infektionen mit bis zu 20 %
häufig sind. Genesene Tauben sind als latente Ausscheider eine Infektionsquelle für Jungtauben und
Menschen. Der Amtstierarzt darf auf Grundlage der Psittakose-Verordnung die Behandlung oder
Merzung des Tierbestandes je nach Seuchenlage anweisen. Der intrazelluläre Erreger wird beim
lebenden Tier aus einen 3-fach-Tupfer (Konjunktiven, Rachen, Kloake) oder einer Kotprobe
angezüchtet. Ein Nachweis kann mittlerweile auch über eine PCR erfolgen. Jedoch liefern Kotproben
durch ungenaue Erregerausscheidung keine exakten Ergebnisse. Postmortal kann der Erreger direkt
durch Stamp- oder Giemsa-Färbung aus den Organen nachgewiesen werden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 283


Nutzgeflügel
In den Ausführungen der Psittakose-Verordnung ist eine Behandlungsdauer von Tauben über
25 Tage vorgesehen. In der Praxis wird dies allerdings selten so lange durchgeführt.
Zur Behandlung der Ornithose sind derzeit keine Medikamente für Brieftauben zugelassen.
Tetrazykline stellen noch immer das Mittel der Wahl zur Behandlung einer Chlamydien-Infektion dar.
Allgemein anerkanntes Ziel einer Tetrazyklin-Therapie ist das Erreichen eines Plasma-
Wirkstoffspiegels >1µg/ml (3). Bei Untersuchungen an 14 verschiedenen Chlamydia psittaci–
Stämmen wurde für Doxycyclin eine MIC zwischen 0,05–0,2 µg/ml für die in-vitro-Inhibition ermittelt
(2). Der genannte Plasmaspiegel ist beispielsweise bei Tauben durch orale Verabreichung von
Doxycyclin-t® zu erreichen.
Es kann auch Chlortetracyclin C20 KS®-Pulver (Chlortetracyclin, zugelassen für Kälber und
Schweine, kleine 10 g Abpackungen erhältlich) oder Baytril-10 % orale Lösung® (Enrofloxacin,
1000 ml, zugelassen für Huhn und Pute, verschreibungspflichtig, 100–500 ppm entspricht 1–5 g
Enrofloxacin, entspricht 10–50 ml Baytril-10 % orale Lösung® pro 10 l Trinkwasser über 10 bis
14 Tage) umgewidmet werden. Diese sind allerdings wie erwähnt lediglich in großen Abpackungen
auf dem Markt erhältlich. In neuester Zeit ist auch Doxycyclin-t® einsetzbar, welches in Studien in
der oben angegebenen Dosis eine gute Verträglichkeit über 25 Tage zeigte und darüber hinaus
durchgängig wirksame Blut- und Gewebespiegel.

Literaturverzeichnis
1. Krautwald-Junghanns ME, Stelzer G. Spagat zwischen Gesetz und Realität? Tierärztliche Behandlung von
Brieftaubenbeständen. DTB 9; 2004. S. 908-15.
2. Butaye P, Ducatelle, R, de Backer P, Vermeersch H, Remon JP, F. Haesebrouck F. In Vitro Activities of
Doxycycline and Enrofloxacine against European Chlamydia psittaci Strains from Turkeys. Antimicrobial
agents and Chemotherapy. 1997;41(12):2800-1.
3. Flammer K. Preliminary notes on treatment of Chlamydiosis with Doxycycline medicated water. Proc. AAV,
Portland, USA; 2000. S. 3-5.

Kontaktadresse
Prof. Dr. M.-E. Krautwald-Junghanns, Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig,
[email protected]

284 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Salmonellose: Bekämpfung aus Sicht des Praktikers


Christine Ahlers
Duck-Tec Brüterei GmbH, Bad Belzig

Einleitung
Durch Lebensmittel übertragbare Salmonellen können beim Menschen Krankheitszustände
hervorrufen und der Lebensmittelerzeugung und Lebensmittelindustrie wirtschaftliche Verluste
verursachen. Lebensmittelsicherheit daher ist das vorrangige Ziel der Salmonellen-Bekämpfung in
Geflügelbeständen. Im Vordergrund steht dabei die Prävalenzsenkung der als relevant für die
menschliche Gesundheit eingestuften Serovare S. Enteritidis und S. Typhimurium (Kategorie 1 lt.
Hühner-Salmonellen-Verordnung) sowie S. Hadar, S. Infantis und S. Virchow (Kat. 2).
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über Maßnahmen zur Senkung der Prävalenz von nicht
speziesadaptierten Salmonella-Serovaren in konsumei- und fleischproduzierenden
Geflügelbeständen.

Bekämpfungsstrategien
Bedingt durch die geringe Wirtsspezifität, die hohe Tenazität der Salmonellen und die Fähigkeit
zur Persistenz im klinisch gesunden Tier existiert eine Vielzahl möglicher Eintragsquellen und
Erregerreservoire. Bekämpfungsstrategien können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die
spezifischen Eigenschaften des Erregers und seine Epidemiologie berücksichtigen, alle
Produktionsstufen von der Stammzucht bis zum Endverbraucher in die Bekämpfung einbezogen
werden und individuelle Bekämpfungsprogramme betriebsspezifische Besonderheiten
berücksichtigen.
In Betrieben ermittelte Schwachstellen für Eintrag und Persistenz von Salmonellen sollten in
einem spezifischen Hygieneprogramm berücksichtigt und kontinuierlich kontrolliert werden. Die
Dokumentation der angewiesenen Maßnahmen und deren Durchführung in einem Hygieneplan ist
dabei hilfreich.

Verhinderung des Erregereintrags:

Einstallung Salmonellen-freier Tiere


Effektive Bekämpfungsmaßnahmen der vorgelagerten Produktionsstufen sind Voraussetzung für
die Produktion salmonellenfreier Küken. Durch die Untersuchung von Kükenwindeln oder Mekonium
bzw. Sammelkotproben sollte der Salmonellenstatus zum Zeitpunkt der Einstallung kontrolliert
werden.

Verhinderung des Eintrags durch belebte oder unbelebte Vektoren


Zur Bestandsabschirmung müssen permanente und umfassende Maßnahmen getroffen werden:
u. a. zählen dazu die Kontrolle des Personen- und Fahrzeugverkehrs, das Tragen von
Schutzkleidung, Einrichtung von Hygieneschleusen, kontrollierter Einsatz von Gerätschaften,
wildvogel- und schadnagersichere Lagerung von Futter und Einstreu, Sauberkeit im Stallumfeld.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 285


Nutzgeflügel
Schadnager und –arthropoden und Parasiten sind potenzielle Eintragsquellen für Salmonellen in
Geflügelbestände und müssen daher unter Berücksichtigung ihrer Biologie permanent bekämpft
werden.

Verwendung von salmonellenfreiem Futter und Tränkwasser


Es sollten nur Futtermittel verwendet werden, deren Hersteller durch regelmäßige
Untersuchungen das Freisein von Salmonellen sicherstellen.
Betriebseigene Futtermittel müssen hygienisch einwandfrei, schadnager- und wildvogelsicher
gelagert und die Silos sowie deren Umfeld regelmäßig gereinigt werden.
Das Tränkwasser muss hygienisch einwandfrei sein. Tränkesystem und Vorlaufbehälter sind
regelmäßig zu reinigen.

Kontrolle und Minimierung der Erregerausbreitung im Bestand:


Monitoring
Regelmäßiges Monitoring der Tiere und des Umfeldes (z. B. Futter, Wasser, Schadnager,
Hygienekontrollen, ggf. auch Personal) ermöglicht die frühzeitige Feststellung eines Eintrags und die
zeitnahe Intensivierung von Bekämpfungsmaßnahmen, um die Ausbreitung von Salmonellen im
Bestand zu minimieren.
Für Zuchtherden von Hühnern und Puten, Legehennen-, Masthuhn- und Mastputenbestände sind
detaillierte Monitoringprogramme in den Durchführungsverordnungen zur VO (EG) 2160/2003
vorgeschrieben. Das QS-Prüfsystem schreibt für alle angeschlossenen Geflügelhaltungen Eingangs-
und Ausstallungskontrollen für jeden Durchgang vor. Betriebsinterne Eigenkontrollen in anderen
Geflügelhaltungen können sich hinsichtlich Probenmaterial, Intervall und Stichprobenumfang an den
dort gemachten Vorgaben orientieren.

Impfung
Impfungen können den Erregereintrag nicht verhindern, jedoch systemische Infektionen, die
Kolonisierung im Organismus und die fäkale Ausscheidung reduzieren und damit die Ausbreitung
von Salmonellen in den Beständen beschränken.
Die Impfung gegen S. Enteritidis und bei Verdacht auf eine Infektion im vorigen Durchgang auch
gegen S. Typhimurium ist für Legehennen-Aufzuchtherden mit mind. 250 Hühnern vorgeschrieben
(§13 Hühner-Salm.-VO). Zur Impfung gegen diese Serovare sind in Deutschland insgesamt zehn
verschiedene Lebend- und Inaktivatimpfstoffe für Hühner zugelassen.
Für andere Geflügelarten oder Salmonellen-Serovare sind mit Ausnahme von drei Vakzinen
gegen S. Typhimurium bei Tauben zum momentanen Zeitpunkt keine Impfstoffe zugelassen.
In der Praxis haben sich Impfprogramme mit möglichst frühzeitigem Einsatz von Lebendvakzinen
und Boosterung durch Inaktivatvakzinen bewährt. Insbesondere bei der Verabreichung von
Lebendimpfstoffen ist die fachgerechte Durchführung der Impfung und die Einhaltung der Angaben
des Herstellers zum Impfregime von essenzieller Bedeutung für die Ausbildung einer protektiven
Immunität.

Stabilisierung der Darmflora


Durch die Verabreichung von Darmflora (Competitive Exclusion, CE), organischen Säuren und
Prä- oder Probiotika kann die Widerstandsfähigkeit des Geflügels gegen die intestinale Besiedlung
durch Salmonellen erhöht werden (1,2,3). Grundsätzlich muss angestrebt werden, möglichst früh
286 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Nutzgeflügel
eine stabile Darmflora im Tier zu etablieren und zu erhalten, um dadurch eine Kolonisierung des
Darmtraktes mit Salmonellen zu erschweren oder zu verhindern. (4)

Antimikrobielle Therapie
Die Verordnung (EG) Nr. 1177/2006 untersagt die Verwendung antimikrobieller Mittel als
spezifische Methode zur Bekämpfung von Salmonellen bei Geflügel (Art. 2). Ausnahmen sind
möglich, u. a. wenn die Tiere klinische Symptome aufweisen, die ihnen übermäßiges Leiden
verursachen. Der Einsatz antimikrobieller Mittel muss in diesem Fall von der zuständigen Behörde
zugelassen und überwacht werden.
In Untersuchungen des BfR waren 2009 fast 50 % der Salmonella-Isolate resistent und 35 %
multiresistent (5). Jeder Einsatz von Antibiotika bei einer Salmonellose sollte daher durch einen
Resistenztest gesichert werden.

Eradikation des Erregers:


Für eine Salmonellen-Sanierung ist die Bewirtschaftung zumindest einzelner Stalleinheiten nach
dem Rein-Raus-Verfahren Voraussetzung.

Reinigung und Desinfektion


Nur bei sachgerechter Reinigung und Desinfektion unter Einbeziehung aller potenziell mit
Salmonellen belasteter Stellen in Stall und Stallumgebung kann für einige Serovare die Persistenz im
Bestand verhindert werden.
Nach der Desinfektion und vor Einbringen der Einstreu sollte eine bakteriologische Kontrolle
erfolgen.

Pflege der Stallumgebung und Ausläufe


Salmonellen sind außerhalb des Tierkörpers lange überlebensfähig. Persistenz des Erregers im
leeren Stall oder dessen Umgebung kann zur Infektion der nachfolgenden Herde führen. Wege und
Vorplätze von Ställen und Dunglagerstätten sollten befestigt und gut zu reinigen sein.
Ausläufe, die von salmonellen-positiven Herden genutzt wurden, sollten nach der Ausstallung
gekalkt und mind. 2 Wochen nicht genutzt werden.

Bekämpfung von Schadnagern und -arthropoden


Mäuse- und Rattenpopulationen sind ein bedeutendes Reservoir für Salmonellen und können
ebenso wie Insekten, Vorratsschädlinge und Parasiten Ursache für deren Persistenz in einem
Bestand sein. Die intensive Schädlingskontrolle muss daher Bestandteil jedes
Sanierungsprogramms sein und sollte von sachkundigen Personen durchgeführt werden.

Zusammenfassung
Die Lebensmittelsicherheit ist wegen der zoonotischen Bedeutung der Salmonellen vorrangiges
Ziel der Salmonellen-Bekämpfung in Geflügelbeständen.
Bedingt durch die geringe Wirtsspezifität, einer hohen Tenazität der Salmonellen und der
Fähigkeit zur Persistenz im klinisch gesunden Tier existiert eine Vielzahl möglicher Eintragsquellen
und Erregerreservoire. Die nachhaltige Kontrolle der komplexen Infektionswege stellt – insbesondere
in offenen Haltungsformen – für Tierhalter und Tierarzt eine kontinuierliche Herausforderung dar.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 287


Nutzgeflügel
Erfolgreiche Bekämpfungsstrategien müssen die spezifischen Eigenschaften des Erregers und
seine Epidemiologie berücksichtigen, alle Produktionsstufen von der Stammzucht bis zum
Endverbraucher in die Bekämpfung einbeziehen und betriebsspezifische Besonderheiten
berücksichtigen.

Die kontinuierliche Anwendung von Monitoringsystemen und betriebsspezifischen


Hygieneprogrammen ist Voraussetzung für die Verhinderung des Eintrags und die Eradikation von
Salmonellen. Durch Impfungen und Stabilisierung der Darmflora kann die Erregerausbreitung im
Bestand minimiert werden. Der Einsatz antimikrobieller Mittel ist als spezifische Methode zur
Bekämpfung von Salmonellen in Geflügelbeständen nur in Ausnahmefällen zulässig (Verordnung
(EG) Nr. 1177/2006).

Literaturverzeichnis
1. Methner U. „Competitive Exclusion“ – ein Verfahren zur Prophylaxe der Salmonella-Infektion beim
Geflügel. Lohmann Information 2/2001: 1-7.
2. Higgins JP, Higgins SE, Wolfenden AD, Herderson SN, Torres-Rodriguez A, Vecente JL, et al. Effect of
lactic acid bacteria probiotic culture treatment timing on Salmonella Enteritidis in neonatal broilers. Poult
Sci. 2007;86:1662-6.
3. Van Immerseel F, Russell JB, Flythe MD, Gantois I, Timbermont L, Pasmans F, et al. The use of organic
acids to combat Salmonella in poultry: a mechanistic explanation of the efficacy. Av Path. 2006;35:182-5.
4. Visscher C, Kamphues J. Salmonellen im Geflügelbestand: Fütterungseinflüsse?. Proceedings
Tierernährung für Tierärzte – im Fokus: Gesundheit und Leistung des Nutzgeflügels unter dem Einfluss
von Futter und Fütterung; 08.04.2011; Hannover. S. 61-80.
5. Schroeter A, Käsbohrer A. Deutsche Antibiotika-Resistenzsituation in der Lebensmittelkette – DARLink.
Berlin: BfR-Wissenschaft; 2010. S. 8.

Kontaktadresse
Dr. Christine Ahlers, Duck-Tec Brüterei GmbH, [email protected]

288 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Salmonellenbekämpfung aus der Sicht des Amtstierarztes


Annette Dressel
Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt des Landkreises Stendal, Sachsen-Anhalt

Allgemeines zur Bekämpfung der Salmonellose im Nutzgeflügelbereich


Salmonelleninfektionen und Salmonellenerkrankungen beim Geflügel sind seit langem als
problematische Erkrankungen mit hohem zoonotischem Potenzial bekannt. Die Minimierung bzw.
Vermeidung solcher Infektionen bei Mensch und Tier sind ein wichtiges Ziel des
Tiergesundheitsmanagements und der Lebensmittelüberwachung.
Mit der Verordnung (EG) 178/2002 wurden Festlegungen von allgemeinen harmonisierten
Grundsätzen und Anforderungen an das Lebensmittelrecht auf dem Gebiet der Europäischen Union
manifestiert (1). Die amtliche Überwachung der Tierbestände bzw. der Primärproduktion in den
Ländern der Europäischen Union garantiert die Umsetzung des europäischen Rechts.
In dem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und des Europäischen
Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am 22. März 2011
veröffentlichten Jahresbericht 2009 über Zoonosen wurde dargestellt, dass die Zahl der
Salmonellen-Fälle beim Menschen innerhalb von fünf Jahren durch EU-Maßnahmen von 174.544 im
Jahr 2004 auf 108.614 im Jahr 2009 beinahe halbiert werden konnte (2).
Diese Erfolge werden vor allem der im Jahr 2003 von der EU verabschiedeten „Verordnung (EG)
2160/2003 zur Bekämpfung von Salmonellen und bestimmten durch Lebensmittel übertragbaren
Zoonoseerregern“ zugeschrieben.
Bei der Legehennenhaltung in Deutschland wurden diese Ziele der Reduzierung in den
ausgewerteten Jahren verfehlt. Der Ausgangswert des Vorjahres (2008) von 2,7 % positiver Herden,
bezogen auf die Serovare S. Enteritidis und S. Typhimurium, hätte um mindestens 10 % auf 2,4 %
gesenkt werden müssen. Ermittelt wurden allerdings 4,8 %. Für Zuchttiere (Gallus gallus) wurde im
Jahr 2009 der geforderte Wert von 1 % mit einem positiven Anteil von 0,9 % erreicht, bezogen auf
die bereits genannten Serovare sowie die weiteren Serovare S. Infantis, S. Virchow und S. Hadar
(„Top five“).
Im Masthähnchenbereich wurden Werte von 0,4 % bezüglich der Infektionen von S. Enteritidis
und S. Typhimurium im Vergleich zu 0,7 % im Jahr 2008 erreicht. Zielwert ist im Jahr 2011 ein Wert
von einem Prozent infizierter Herden, der somit schon verwirklicht wurde (3).

Amtliche Überwachung der Legehennenbestände in Sachsen-Anhalt als Beispiel der


praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen der Salmonellenbekämpfung
Mit Inkrafttreten der Hühner-Salmonellen-Verordnung im Jahr 2009 sind mit dem seit dem Jahr
2010 wirksamen Paragraphen zwei, Absatz eins, bauliche Voraussetzungen durch den Tierhalter
vorzuhalten, die ein korrektes Hygienemanagement ermöglichen und fordern. Des Weiteren werden
in der Verordnung auch die gesundheitlichen Anforderungen hinsichtlich der Salmonellenprävention
bei den Tieren vom Eintagsküken bis zum adulten Tier geregelt (4).
Bereits im Jahr 2007 wurde unter Federführung des Zentralverbandes der Deutschen
Geflügelwirtschaft e. V. von der ZDG-Arbeitsgruppe Tiergesundheit der Leitfaden
Salmonellenbekämpfung bei Legehennen erarbeitet (5). Auch die Geflügelpest-Verordnung regelt in
ihren Paragraphen fünf und sechs grundsätzliche Hygienemaßnahmen (5).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 289


Nutzgeflügel
Im Land Sachsen-Anhalt hängt die Entschädigung durch die Tierseuchenkasse im positiven
Salmonellenfall bei Legehennen(S. Enteritidis und S. Typhimurium) davon ab, dass „der Tierhalter
die Empfehlungen des Leitfadens des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V.
(ZDG) ‚Salmonellenbekämpfung bei Legehennen’ (08/2007) und die ‚Empfehlungen zu
Biosicherheitsmaßnahmen und Frühwarnsystem in Geflügelhaltungen des Landes Sachsen-Anhalt’
nachweislich eingehalten hat und der Amtstierarzt hierzu gutachterlich Stellung genommen hat“ (6–
8). Die Nichteinhaltung rechtlicher Vorgaben und Empfehlungen bedeutet demnach den Verlust der
Entschädigung bzw. der Beihilfe durch die Tierseuchenkasse und verursacht damit beim Tierhalter
zusätzliche ökonomische Schäden.
Das Hauptaugenmerk der amtlichen Tätigkeit liegt neben den vorgeschriebenen Probenahmen
vor allem auf der präventiven Überwachung und damit der Kontrolle der Einhaltung der
Rechtsvorschriften.
Jedoch sind allein die rechtlich vorgeschriebenen Präventivmaßnahmen in vielen Fällen nicht
ausreichend, um eine konsequente Salmonellenprävention zu betreiben.
Das Hygienebewusstsein der Tierhalter ist hierbei sehr wichtig.
Die Infektion mit Salmonella Enteritidis in einem Legehennenbestand im Landkreis Stendal am
Ende des Jahres 2010 zeigte jedoch einige Probleme auf, die auch in anderen Betrieben des
Landkreises teilweise unzureichend gelöst sind und einem korrekten Hygienemanagement und der
damit verbundenen Seuchenprophylaxe entgegenstehen.

Bauliche Bedingungen für eine Legehennenanlage


Ein baulich intakter Stall ermöglicht eine effektive Reinigung und Desinfektion und verhindert
größtenteils den unnötigen Ungeziefer- und Schadnagereintrag.
Die Hygieneschleuse im Eingangsbereich der Stallanlage verhindert den Eintrag von
Krankheitserregern durch das Personal bzw. durch die Besucher.
Eine aufwendigere Unterteilung der Anlage in Betriebsabteilungen ermöglicht im positiven
Salmonellenfall in einer Betriebsabteilung die getrennte seuchenhygienische Betrachtung und damit
die Vermeidung einer Komplettberäumung.
Die Kadaverlagerung am Rand des Grundstückes in gekühlten Behältern hält das Ungeziefer
bzw. Schädlinge von der Anlage fern und das Befahren der Anlage durch die Kadaverfahrzeuge
verbleibt.
Ein Zaun um das Gelände verhindert den unbefugten Zutritt oder die Zufahrt von fremden
Personen, Fahrzeugen und auch von Wildtieren.

Aufzuchtbetrieb
Die erforderlichen Untersuchungen und Impfungen aus dem Aufzuchtbetrieb sind nachzuweisen
und werden mit der Anlieferung der Junghennen der Betriebsdokumentation beigefügt. Sie stellen
eine unerlässliche Präventivmaßnahme für die Gesunderhaltung des Legehennenbestandes dar.

Ungeziefer- und Schadnagerbekämpfung


Die konsequente und vor allem effektive Ungeziefer- und Schadnagerbekämpfung ist äußerst
wichtig, wird aber häufig etwas vernachlässigt.
Schadnager sind nach wie vor eine der Haupteintragsquellen für die Salmonelleninfektionen.
Fliegen, Käfer und andere Insekten müssen unbedingt in den Stall- und Nebengebäuden
bekämpft werden.

290 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Diese belebten Vektoren können alle anderen Hygienebemühungen des Tierhalters annullieren.

Dokumentation
Neben der üblichen Dokumentation zum Tierbestand werden im Stall der Tierseuchenalarmplan
und festgelegte Hygienevorschriften (Schadnagerbekämpfungsplan, Besucherbuch,
Personalhygienevorschriften) erwartet, die für das beschäftigte Personal wichtige Arbeitsmittel
darstellen.

Futtermittel
Futtermittel als Eintragsquelle für Salmonellen spielen immer weniger eine Rolle, da die
Futtermittelunternehmer ebenso wie die Lebensmittelunternehmer strengen Hygienegrundsätzen
unterworfen sind.
In der Geflügelhaltung werden Futtermittel meist in geschlossenen Behältern (Futtersilos)
gelagert, die regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden sollten.

Zusammenfassung
Die Salmonellenbekämpfung im Geflügelbereich bedarf der Zusammenarbeit von Tierhalter,
Hoftierarzt und amtlicher Überwachung. Wichtig ist, dass das Bewusstsein des Tierhalters als
Verantwortlicher einer hygienischen Produktion in der Lebensmittelkette geschult wird.
Bekannte Risikofaktoren sollten unter fachlicher Begleitung durch den Hoftierarzt minimiert
werden. Die amtliche Überwachung sollte eigentlich nur die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben
überprüfen.

Literaturverzeichnis
1. EG. Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002
zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung
der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur
Lebensmittelsicherheit.
2. European Food Safety Authority (EFSA), European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC).
Scientific Report of EFSA and ECDC,The European Union Summary Report on Trends and Sources of
Zoonoses, Zoonotic Agents and Food-borne Outbreaks in 2009. EFSA Journal. 2011;9(3):2090(pp.23,24).
3. Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. (ZDG). Prävalenzerhebungen – Salmonellen in
Geflügelherden. In: DGS Das Magazin für Geflügelwirtschaft und Schweineproduktion 26/11 (7/2011)
Exklusive Mitgliederinformationen Juli 2011, S.IV.
4. Anon. Verordnung zum Schutz gegen bestimmte Salmonelleninfektionen beim Haushuhn (Hühner-
Salmonellen-Verordnung) Vom 06. April 2009, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil I Nr. 19, S. 752 vom
15. April 2009, geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 2009, Bundesgesetzblatt Jahrgang
2009 Teil I Nr. 80, S.3939, Art.7 vom 23. Dezember 2009.
5. Anon. Verordnung zum Schutz gegen die Geflügelpest (Geflügelpest-Verordnung) vom 18. Oktober
2007, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007 Teil I Nr. 51, S. 2348 vom 22. Oktober 2007, geändert am 25.
April 2008, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil I Nr. 16, S. 764, Art. 2 vom 30. April 2008 und am 6.
April 2009 durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil I Nr. 19, S.749, Art. 6 vom 15. April 2009, zuletzt
geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 2009, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil I Nr. 80,
S.3939, Art. 1 vom 23. Dezember 2009.
6. Leitfaden Salmonellenbekämpfung bei Legehennen. Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft
e.V., Ausgabe August 2007.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 291


Nutzgeflügel
7. Empfehlungen zu Biosicherheitsmaßnahmen und Frühwarnsystem in Geflügelhaltungen MBl. LSA Nr.
20/2007 vom 29.05.2007; S. 415-8 und Nr.32 /2007 vom 10.9.2007; S. 731.
8. Anlage 27: Tierverluste beim Haushuhn infolge des Auftretens von Salmonella Enteritidis und Salmonella
Typhimurium", Satzung der Tierseuchenkasse Sachsen-Anhalt über die Gewährung von Beihilfen vom
08.12.1999, Bek. des ML vom 28.02.2000 (MBl. LSA S. 430), zuletzt geändert durch Beschluss des
Verwaltungsrates vom 16.12.2008, Bek. des MLU vom 14.01.2009 (MBl. LSA S. 75), Bek. des MLU vom
21.10.2010 (MBl. LSA S. 569).

Kontaktadresse
DVM Annette Dressel, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt des Landkreises Stendal,
Sachsen-Anhalt, [email protected]

292 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei


Puten
Ronald Günther
Heidemark Mästerkreis GmbH u. Co. KG, Veterinärlabor Haldensleben

Die Pute (auch Puter, Truthahn/Truthenne Meleagridis gallopavo) unterscheidet sich auf Grund
ihrer unterschiedlichen phylogenetischen Entwicklung in verschiedener Hinsicht deutlich vom
Haushuhn (Gallus gallus). Dies spiegelt sich u. a. im Verhalten, der Gewichtsentwicklung, dem
Zeitpunkt der sexuellen Reife und nicht zuletzt im Krankheitserregerspektrum wider. Besonders
bezüglich viraler und parasitärer Erreger wird dies offensichtlich. Bei den bakteriellen
Krankheitserregern besteht eine weitestgehende Übereinstimmung mit den beim Haushuhn
pathogenen Erregern (Pasteurella multocida, Erysipelothrix rhusiopathiae, Bordetella avium,
Ornithobacterium rhinotracheale, Riemerella anatipestifer, Clostridium perfringens, Escherichia coli,
Mycoplasma gallisepticum und synoviae u. a.). Für eine Reihe weiterer bakterieller Erreger kann die
Pute lediglich als Träger dienen, ohne selbst klinisch daran zu erkranken (Campylobacter spp.,
Salmonella spp. u. a.). Hinsichtlich der Empfindlichkeit und der Immunantwort gibt es wiederum
speziespezifische Unterschiede. Auch bei der Therapie sind einige Besonderheiten zu beachten.

Da die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftsgeflügelbestände heute im Rahmen von


Betreuungsverträgen kontinuierlich tierärztlich betreut wird, sind klinische Erfahrungen und die
Kenntnis des Bestandes sowie seiner Vorgeschichte die Hauptgrundlage einer raschen und sicheren
Diagnosestellung. Hierzu werden Einzeltiere untersucht, von denen auf die gesamte Herde
geschlossen wird. In diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit einer pathologisch-anatomischen
Untersuchung von gefallenen Tieren vor Ort unter Berücksichtigung seuchenhygienischer Aspekte
für die zielgerichtete Diagnosestellung von herausragender Bedeutung. Wichtige Daten zur
Untermauerung der Diagnose stammen aus Vorbericht, klinischem Bild, Wasserverbrauch,
Futterverbrauch und Verlustentwicklung der letzten Tage. Erregerisolierung und Resistenztest sollten
in jedem Fall angestrebt werden, dienen aber in den allermeisten Fällen der retrospektiven
Bestätigung des Verdachtes. Der Erfolg einer Behandlung hängt nach wie vor – neben der richtigen
Diagnosestellung – entscheidend vom Zeitpunkt des Beginns der Behandlung und der
Wasseraufnahme ab. Eine Herde wird als krank bezeichnet, wenn ein bestimmter Prozentsatz der
Tiere krankheitsspezifische Befunde aufweist. Dabei wird berücksichtigt, dass erregerabhängig ein
bestimmter Prozentsatz der Herde noch klinisch unauffällig ist, sich aber bereits infiziert hat und
somit in der Inkubationsphase befindet. Die Behandlungsnotwendigkeit ergibt sich aus dem
Zusammenspiel des/der beteiligten Erreger/s und dem/den damit verbundenen Krankheitsbild/ern,
der klinischen Erfahrung zum Krankheitsverlauf sowie bestandsspezifischen Besonderheiten, die den
Krankheitsverlauf beeinflussen können. Dies erklärt, dass eine Behandlungsnotwendigkeit von
Standort zu Standort trotz gleicher Erregerlage variieren kann!
Bei der Auswahl des Antibiotikums sind die Zulassungslage, die Resistenzlage des Erregers, ggf.
die therapeutische Breite und die Wartezeit sowie die einschlägigen rechtsverbindlichen
Bestimmungen und Leitlinien zu beachten (1). Bei der Ermittlung der Resistenzlage kann der
bestandsbetreuende Tierarzt auf seine Untersuchungsergebnisse aus vorangegangenen
Durchgängen zurückgreifen. Hierin besteht einer der entscheidenden Vorteile der systematischen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 293


Nutzgeflügel
Bestandsbetreuung. Diese geben ihm über die Jahre ein zuverlässiges Bild über die Entwicklung der
Resistenzsituation der beteiligten Erreger. Auf Grund der Tatsache, dass es sich bei Puten
arzneimittelrechtlich um eine “minor species“ handelt, sieht sich der Tierarzt allerdings häufig einem
Umwidmungsproblem wegen Fehlens eines zugelassenen Präparates gegenüber (2,3). Da es heute
keine „Geflügel“-Zulassungen mehr gibt, stellt die Verschreibung eines für das Huhn zugelassenen
Arzneimittels zur Anwendung bei der Pute bereits eine Umwidmung dar! Ein Therapienotstand für die
Pute ist darzulegen und 28 Tage Wartezeit sind zu berücksichtigen! Die Beachtung von Leitlinien
und Auslegungshinweisen sollte zur guten fachlichen Praxis gehören. Man sollte sich aber im Klaren
darüber sein, dass sie im Falle eines Rechtsstreites Gesetzen und Verordnungen nachgelagert und
nicht rechtsverbindlich sind.
Nach der Verschärfung der Vorschriften zum Einmischen von AMV in das Futter ist heute die
Applikation über das Tränkwasser das „Mittel der Wahl“ bei der Behandlung bakteriell bedingter
Krankheiten. Dabei kommen verschiedene Formen des Einmischens in Betracht, die der Tierarzt im
Rahmen der Verschreibung beachten sollte. Eine Inaugenscheinnahme der Installation vor Ort und
Befragung des Tierhalters zur tatsächlichen praktischen Durchführung und Wasserverfügbarkeit je
Zeiteinheit sollten ebenfalls zur Routine gehören. Sie geben einem wichtige Hinweise, ob das
Behandlungsziel mit der favorisierten Behandlungsmethode auch erreicht werden kann.

Eine weite Verbreitung haben sogenannte Proportionaldosiersysteme (z. B. Dosatron) gefunden.


Das Grundprinzip besteht in einer proportionalen Zudosierung eines Medikamentes zum
tatsächlichen aktuellen Wasserverbrauch, der über eine Wasseruhr ermittelt wird. Die Vorteile dieser
automatischen Dosiereinrichtungen liegen im verhältnismäßig geringen Anschaffungspreis sowie
geringem Installations- und Platzbedarf. Als nachteilig erweisen sich v. a. die Löslichkeiten
verschiedener, in Pulverform angebotener Präparate. Da das Lösungsvolumen auf Grund limitierter
Zudosierungsvolumina der Geräte relativ klein sein muss, kann es zu übersättigten Lösungen mit
Bodensatzbildung kommen. Die ungelösten Bestandteile führen dann über kurz oder lang zu
Funktionsstörungen auf Grund von Ablagerungen an dichtenden Teilen.
Eine zweite Möglichkeit der Applikation via Tränkewasser erfolgt über große Wasserreservoirs,
sogenannte Vorlaufbehälter. Diese bestehen i. d. R. aus Epoxydharz bzw. Edelstahl und haben je
nach Bestandsgröße ein definiertes Volumen (500, 1000, 2000, … Liter). Die Nachteile von
Vorlaufbehältern liegen in höheren Investitionskosten, Installationsaufwand und Platzbedarf. Auch
handelt es sich hierbei um ein „offenes System“ mit der Möglichkeit des Keimeintrages in den
Tränkwasserkreislauf. Vorteilhaft sind ein großes Lösungsvolumen, rasche Nachvollziehbarkeit der
verbrauchten Menge, gute Zugänglichkeit für Reinigungszwecke und Reduzierung von
Dosierungsfehlern.
Als Dosierempfehlung hat sich die Tagesdosis je Stall/Herde bewährt. Der Tierarzt ermittelt unter
Berücksichtigung von Tierzahl und durchschnittlichem Körpergewicht das zu behandelnde
Gesamtgewicht einer zu behandelnden Herde und unter Berücksichtigung der empfohlenen
therapeutischen Dosis in mg/kg Körpergewicht die Aufwandmenge an Medikament je Stall/Herde je
Tag.
Da in den meisten Putenbetrieben Brunnenwasser zur Tränke der Tiere Verwendung findet, ist
die Kenntnis der Wasserqualität notwendig (4). Diese sollte in Intervallen überprüft werden. Sie sollte
den Empfehlungen für Tränkwasser entsprechen (5). Abweichungen sind ggf. durch Verwendung
von Pufferlösungen zu kompensieren. Da wie oben ausgeführt in der Regel permanente
Dosiersysteme Anwendung finden, stellt sich die Frage nach Applikationsintervallen entsprechend
294 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Nutzgeflügel
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik des gewählten Wirkstoffes nur bedingt. Bei der Verwendung
rein konzentrationsabhängiger Wirkstoffe ist eine abweichende Anwendungspraxis überlegenswert.
Die genaue Kenntnis des tatsächlichen täglichen Wasserverbrauchs ist für die Stellung der
Prognose hinsichtlich des Behandlungsausganges von unschätzbarem Wert und sollte daher
unbedingt verlässlich vorliegen. In Abhängigkeit von Klima, Erkrankungssituationen und Alter der
Tiere können z. T. sehr große Schwankungen auftreten. So lassen z. B. steigende
Außentemperaturen den Wasserverbrauch auf über das 1,5-fache ansteigen! Dies korreliert jedoch
nicht proportional mit der Futteraufnahme. Bei einem Rückgang der Wasseraufnahme unter Norm
kann jedoch sehr sicher auf die ebenfalls zurückgegangene Futteraufnahme geschlossen werden.
Daher ist es ausgesprochen wichtig, die Relation des tatsächlichen Wasserverbrauchs zum
Normwasserverbrauch unter Berücksichtigung externer Faktoren richtig einzuschätzen.
Wasserverbräuche unterhalb der Norm müssen durch Maßnahmen wie Elektrolytgaben und
Erhöhung der Lichtintensität bzw. Verlängerung des Lichttages begleitet werden.
Eine Besonderheit bei Puten besteht in der altersabhängig sehr unterschiedlichen
Wasseraufnahme je kg Körpergewicht. So haben Küken in den ersten Lebenstagen
physiologischerweise eine ca. 4-fach höhere Wasseraufnahme pro kg Körpergewicht als
Endmasttiere im Alter von zwanzig Wochen. Bei einer Dosierung je Liter Wasser ist die Dosierung
dementsprechend anzupassen. Bestimmte Wirkstoffe sind für junge Puten auf Grund
geschmacklicher Eigenschaften in der Akzeptanz beeinträchtigt. Sie sind daher, wo möglich, zu
meiden. Ein permanentes Monitoring der verbrauchten Wassermengen ist unablässig.

Neben der bereits beschriebenen grundsätzlichen Vorgehensweise bei der Behandlung einer
bakteriellen Erkrankung bei Puten bedingen einzelne Erregereigenschaften bzw.
Erregerkombinationen sowie epidemiologische Besonderheiten die Aufmerksamkeit des Tierarztes.
So besitzen einige Erreger nach Erstinfektion des Bestandes auf Grund ihrer Persistenz in der Herde
die Neigung zum Rezidiv. Damit ist die erneute Erkrankung des Bestandes nach vorangegangener
klinischer Besserung bzw. „Heilung“ gemeint. Erreger, für die dies in besonderem Maße zutrifft, sind
Pasteurella multocida multocida, Erysipelothrix rhusiopathiae, Riemerella anatipestifer sowie
Mycoplasma gallisepticum und synoviae. Alle genannten Erreger vermögen nach nur
verhältnismäßig kurzer Zeit wiederholt schwerwiegendste Erkrankungen mit Todesfällen auszulösen.
Eine erneute Behandlung zur Rettung der Herde ist unumgänglich. Im Einzelfall kann auf Grund
hochgradig gestörten Allgemeinbefindens und damit drastisch reduzierter Wasseraufnahme eine
Einzeltierinjektion mit einem passenden Injektionsantibiotikum notwendig werden, da die orale
Applikation auf Grund eben genannter Umstände nicht zum Erfolg führen kann. Je nach Alter und
Erregereigenschaft ist – je nach Verfügbarkeit – eine Einzeltierimpfung der erkrankten Herde mit
einem kommerziellen Impfstoff in Betracht zu ziehen. Wenn dieser allerdings nicht verfügbar bzw.
auf Grund antigenetischer Eigenschaften des Erregers, die durch den Impfstoff nicht abgedeckt
werden, nicht sinnvoll ist, sollte die Herstellung eines bestandsspezifischen Impfstoffes dringend
erwogen werden. Da dies in der Regel eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, kommt diese Option
meist erst für den Folgebestand in Betracht. Andere bakterielle Erreger wie z. B. Ornithobacterium
rhinotracheale, Bordetella avium und bronchiseptica, Clostridium perfringens, Escherichia coli,
Pasteurella multocida ssp. septica u. a. können zwar ebenfalls mehrfach und – bei erstmaligem
Auftreten zu einem späten Zeitpunkt (6,7), – zu sehr heftigen Erkrankungen führen, sind bei einem
erneuten Auftreten jedoch in der Regel in ihrer Klinik deutlich abgeschwächt. Auch hier ist eine
Impfprophylaxe zu erwägen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 295


Nutzgeflügel
Eine Besonderheit stellen Mycoplasmen-Infektionen dar. Sowohl M. gallisepticum als auch M.
synoviae besitzen nur eine geringe Tenazität und sind daher außerhalb des Wirtes nur wenige Tage
überlebensfähig. Daher ist in solchen Fällen, v. a. bei M.-gallisepticum-Infektionen eine
Bestandssanierung durch Leerstand angezeigt. Ein solcher Ansatz kann allerdings nur unter
Berücksichtigung der epidemiologischen Lage zum Erfolg führen. Sollten unmittelbar benachbarte
Geflügelbestände ebenfalls betroffen sein, so kann nur eine konzertierte Aktion unter Einbeziehung
aller potenziellen Infektionsquellen und Wirtschaftsbeteiligten zum Erfolg führen.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass bakterielle Infektionen – auch unter


Berücksichtigung hoher Hygieneanforderungen – in Putenbeständen nach wie vor eine Rolle spielen.
Eine antibiotische Behandlung erkrankter Bestände auf Basis guter Diagnostik und in Kenntnis der
Resistenzlage ist veterinärmedizinisch und ethisch geboten. Eingedenk einer zunehmenden
öffentlichen wenn auch nicht immer sachlich geführten Diskussion zur Gefahr des Eintrages
resistenter Erreger in die Nahrungsmittelkette sollten Tierärzte alle verfügbaren
Vorbeugemaßnahmen in Betracht ziehen, um die Häufigkeit der Anwendung antibakterieller
Substanzen auf ein notwendiges Maß zu beschränken.

Literaturverzeichnis
1. AGTAM. Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln. Deutsches
Tierärzteblatt; 2010. Beilage Heft 10.
2. Günther R. Einsatz von Arzneimitteln beim Wirtschaftsgeflügel aus der Sicht der Praxis. 66. Fachgespräch
Geflügelkrankheiten. Hannover; 2004. S. 26-34.
3. Pöppel M. Antibiotika-Leitlinien – Tierärztliche Besonderheiten für Geflügel. Leipziger Blaue Hefte:
Proceedings 5. Leipziger Tierärztekongress Leipzig; 2010. S. 543-4.
4. Leitfaden des BMELV vom 19. Juni 2009 über die orale Anwendung von Tierarzneimitteln im
Nutztierbereich über das Futter oder das Trinkwasser.
http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Landwirtschaft/Tier/Tierarzneimittel/LeitfadenArzneimitte
l.html#doc650998bodyText10
5. Hygienische Qualität von Tränkwasser - Orientierungsrahmen zur futtermittelrechtlichen Beurteilung
http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Landwirtschaft/Tier/Futtermittel/Orientierungsrahmen-
Traenkewasser.html
6. Günther R, Ryll M, Hafez HM, Hinz K-H. New variety of Ornithobacterium rhinotracheale. 4th International
Symposium on Turkey Diseases. Berlin; 2002. S. 238-44.
7. Günther R, Bisgaard M, Christensen H. Unusual outbreak of Pasteurella multocida ssp. septica in a turkey
flock. 5th International Symposium on Turkey Production. Berlin; 2009. S. 287–91.

Kontaktadresse
Dr. Ronald Günther, HEIDEMARK Mästerkreis GmbH u. Co. KG, Veterinärlabor Haldensleben,
[email protected]

296 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei


Broilern
Ina Wiebelitz
Geflügelhof Möckern

Broiler sind aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer bei der Diagnostik und Therapie als Eilfälle zu
behandeln. Als „Hochleistungssportler“ müssen sie innerhalb von 30–40 Tagen ihre Schlachtreife
erreichen.
Sollten in dieser kurzen Zeit Störungen eintreten, egal ob management- oder erregerbedingt, ist
schnelles Handeln gefragt, um unnötige Einbußen in der Mastleistung zu begrenzen.
Die Verdienstmöglichkeiten bei den Mästern sind bei den derzeitigen Handelspreisen sehr gering
und jede verminderte Futteraufnahme oder gestörte Futterverwertung bringt eine Verlängerung des
Zyklogrammes mit sich. Besonders zum Mastende ist schnelle Hilfe gefragt, weil dann die größten
Zuwächse sind und die Küken für den nächsten Durchgang schon in den Startlöchern stehen.
Daraus ergeben sich mehrere, besonders in der Broilermast zu berücksichtigende Fakten:

 Ein schnelles Hinzuziehen des Tierarztes und


 die Möglichkeiten der Vor-Ort-Sektionen sind wichtige Bestandteile der antibakteriellen
Therapie.
 Bakteriologische Untersuchungen und Antibiogramme müssen in kürzester Zeit erstellt werden,
so dass ein sofort eingesetztes Mittel, gegen das eventuell Resistenzen vorliegen, schnell durch
ein wirksameres ersetzt werden kann und nachfolgende Hallen mit gleicher Symptomatik
optimal behandelt werden können. Zurzeit sind es besonders die verschiedenen
Enterokokkenstämme, die Probleme durch schnelle Resistenzentwicklung machen.
 Schnell und möglichst bakterizid wirkende antimikrobielle Substanzen müssen mit kurzer
Wartezeit für Broiler zugelassen sein. Die Anzahl der Mittel, die dies erfüllen, ist begrenzt.
 Ein gutes Vor-Ort-Dosiersystem, das gut und einfach gespült werden kann und möglichst noch
über ein Rührwerk verfügt, sollte Standard in Broilerställen sein. Gleichzeitig sind routinemäßige
Spülungen der Leitungssysteme mindestens in der Serviceperiode notwendig, um der
Biofilmbildung vorzubeugen. Hier sind Mittel, die gegen organische, und Mittel, die vor allem
gegen anorganische Ablagerungen wirken, im Wechsel anzuwenden.
 Die Wasserqualität ist mit der Forderung nach Trinkwasserqualität durch Kunden vorgegeben
und besonders für pH-empfindliche Antibiotika und Impfstoffe auch aus tierärztlicher Sicht
wichtig. Gerade bei Brunnenwasser, das zweimal jährlich sowohl mikrobiologisch wie auch auf
anorganische Bestandteile untersucht werden sollte, kann sich die Qualität plötzlich durch
Fremdeinfluss, z. B. einwandernde Schnecken im Sommer, akut verschlechtern.
Alte Rohrleitungssysteme bringen nicht nur verstopfte Filter mit sich, sondern sind auch
Ursache für Rückstandsfunde von Antibiotikagaben, die längst aus der Wartezeit oder sogar aus
der Zulassung heraus sind. Diese Dinge betreffen dann auch den bestandsbetreuenden
Tierarzt.
 Verbraucherschutz – Der Einsatz antimikrobiell wirksamer Substanzen sollte ausschließlich als
Therapeutikum gegen bakterielle Infektionen erfolgen. Obwohl die „Leitlinien für den sorgfältigen
Umgang mit antimikrobiell wirksamen Tierarzneimitteln“ eine Metaphylaxe nicht ausschließen,
bin ich als Tierarzt und Verbraucher eher geneigt, den Einsatz so gering wie möglich zu halten.
Bei Beständen mit mehreren Hallen sind aber metaphylaktische Gaben von antimikrobiell

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 297


Nutzgeflügel
wirksamen Substanzen manchmal nicht zu vermeiden. Sind z. B.in einem Bestand von acht,
zehn oder mehr Ställen mehrere Herden nacheinander an nekrotisierender Enteritis mit täglich
um die 1 % Mortalität erkrankt, bin ich als Tierarzt in die Pflicht genommen zu entscheiden, wie
mit den zurzeit noch gesunden Hallen verfahren wird. Sowohl Tierhalter als auch Tiere wollen
überleben. Ich kann also nicht abwarten.

Der sorgfältige Umgang mit sogenannten Reserveantibiotika ist nicht nur in den Medien heiß
diskutiert. Der massive Preisverfall durch das Auf-den Markt-Bringen von Generika verleitet zum
schnelleren Einsatz. Mit den Integrationen und Farmern sind diesbezüglich weitsichtige Absprachen
notwendig. Die Tierhalter sind auf Grund der i. d. R. sofortigen und sehr guten Wirkung von
Chinolonen und Cephalosporinen immer für den Einsatz, auch bei weniger dramatisch verlaufenden
Infektionen. Hier muss das tierärztliche Fachwissen zu Resistenzbildung, Wirkungsweisen der
Antibiotika, ESBL und MRSA nicht nur im Hinterkopf bleiben.

 Es besteht die Notwendigkeit, Alternativen zum Antibiotikaeinsatz zu suchen und


auszuprobieren. Impfungen der Elterntierherden mit stallspezifischen E.-Coli-, Enterokokken-
oder Gallibakterium-Vakzinen können durch maternale Antikörper frühe Infektionen verhindern.
Der Einsatz von Clostridium-Perfringens-Vakzinen wird immer wieder versucht. Futtersäuren,
Aromastoffe, Kräuterpulver, hochdosierte Vitamingaben und andere Stoffe werden immer
wieder mit mehr oder weniger Erfolg ausprobiert. Der Farmer sollte mit positiver Grundhaltung
dabei sein.
 In der Serviceperiode wird das Geld verdient. Mehr und mehr sind wir Tierärzte beim
Management und Kontrolltätigkeiten gefragt. Die bakterielle Belastung der Hallen nimmt mit der
Nutzungsdauer natürlich zu, umso mehr ist eine intensive Reinigung, Desinfektion und Kontrolle
notwendig. Besonders bei Clostridien und Enterokokken ist das entscheidend.

Die Mehrheit der Broilerbestände betreuenden Tierärzte ist innerhalb großer Integrationen tätig.
Dadurch sind, wie bei anderem Wirtschaftsgeflügel auch, weitere Entfernungen zu überbrücken.
Obwohl durch das Zyklogramm regelmäßige Besuche bei den Broilerbeständen eingetaktet sind, wie
z. B. Ankaufsuntersuchungen und Impfungen, treten perakute oder akute Probleme immer zu
anderen Zeiten auf. Das heißt für den Tierarzt schnell, mehr oder weniger Fahrzeit zu investieren
und für den Farmer, mindestens zweimal am Tag, wie in der Hähnchenhaltungsverordnung
gefordert, die Tiere in Augenschein zu nehmen, um schnell notwendige tierärztliche Hilfe
anzufordern.
Die Diagnose muss durch gezielte Befragung des Farmers bei Beladung des Autos stehen. So
stehen in der ersten Lebenswoche Nabel-Dottersack-Infektionen vor allem durch verschiedene E.-
Coli-Stämme im Vordergrund, die i. d. R. mit gut resorbierbaren antimikrobiell wirksamen
Substanzen behandelt werden können. In der 2. und 3. Lebenswoche sind besonders Enterokokken-
und z. T. Clostridien-Infektionen Ursache für Bestandsbesuche. Hier sind Resistenzen und weniger
gute Behandlungserfolge zu verzeichnen. Obwohl mehrere Antibiotika zur Verfügung stehen,
bereiten diese Infektionen Probleme. Anhand von Beispielen wird das derzeitige Vorgehen
beschrieben.
Zum Mastende spielen E.-Coli-bedingte Serositis und Luftsackentzündungen eine Rolle. ORT-
Infektionen sind aufgrund der wenigen Putenbestände in der Nähe kein Problem. Die für
Broilerbestände zugelassenen, gegen Gram-negative Bakterien wirksamen Substanzen sind
problematisch. Difloxacin mit guter Pharmakokinetik und einem Tag Wartezeit sollte als
Reserveantibiotikum geschont werden. Colistin mit zwei Tagen Wartezeit wird relativ schlecht
resorbiert und die auf der Zulassung vorgeschriebene Dosis ist für eine erfolgreiche Therapie
unzureichend. Hier sind die Pharmafirmen gefragt.

298 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Kontaktadresse
DVM Ina Wiebelitz, Geflügelhof Möckern, Leitzkau, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 299


Nutzgeflügel

Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei


Legehennen
Manfred Pöppel
Geflügelveterinärpraxis Delbrück

Von allen Nutzgeflügelarten werden die Legehennen trotz ihrer längeren Nutzungsdauer relativ
selten mit Antibiotika behandelt. Dies liegt zum einen an einem sehr umfangreichen Impfprogramm,
das nicht zuletzt wegen des Fehlens wirksamer und zugelassener Antibiotika gegen eine Reihe von
bakteriellen Erkrankungen aus der Not entstanden ist. Wesentlich mehr Medikamente wurden von
der Pharmaindustrie für fleischliefernde Geflügelarten (Broiler/Pute) zugelassen, sei es wegen der
besseren Verkaufserwartung oder wegen der besseren Akzeptanz der Kunden, wie Veterinäre und
Mäster. Eine Wartezeit von einigen Tagen für das Fleisch der Puten oder Hähnchen wird akzeptiert.
In einem produzierenden Legehennenbetrieb sind Wartezeiten, auch wenn es nur ein oder zwei
Tage sind, wirtschaftlich kaum durchzusetzen. Eine durchschnittliche Behandlungsdauer von 4–5
Tagen würde bei einer Wartezeit von nur zwei Tagen eine Vernichtung von ca. einem Wochengelege
bedeuten. In Tabelle 1 sind die wesentlichen bei Legehennen anzuwendenden Arzneimittel mit den
zu therapierenden Erkrankungen aufgeführt.
Mit der Einführung einer Höchstmengenverordnung 2377/90 (EWG) Anfang der 90er-Jahre gab
es für legende Hühnerherden zunächst nur noch drei zugelassene Antibiotika mit einer Wartezeit von
null Tagen für Eier. Für alle lebensmittelliefernden Tiere und Produkte der Tiere wie Eier, Milch und
Honig mussten über einen längeren Übergangszeitraum alle Produkte ein Höchstmengen-MRL
(Minimal Resudual Limit) vorlegen, um weiter an Nutztieren eingesetzt werden zu dürfen. Die
2377/90 (EWG) wurde durch die VO 470/2009 (EG) ersetzt, worin in zwei Tabellen alle Arzneimittel
aufgelistet werden. In Tabelle 1 sind Substanzen aufgeführt, für die ein MRL ermittelt wurde, in
Tabelle 2 sind alle Substanzen, für die es keine Höchstmengen gibt.
Diese Untersuchungen sind sehr kostenintensiv und jeder Pharmakonzern führt vor der
Zulassung eine Kosten-Nutzen-Analyse durch, die für die Eier produzierenden Legehennen sehr
häufig negativ ausfällt.
Vor ca. 2–3 Jahren wurden zwei weitere Antibiotika mit einer Wartezeit für Eier von null Tagen
zugelassen und ebenfalls in Tabelle 1 der VO 470/2009 (EG) aufgenommen. Trotzdem gibt es einige
Erkrankungen der Legehennen, für die wir zurzeit keine zugelassenen Arzneimittel haben.

Wichtige bakterielle Erkrankungen der Legehennen


E. Coli-Infektionen
Trotz vielfach eingesetzter Impfungen gegen E. Coli sind die Coliinfektionen und die
Coliseptikämie eine der häufigsten Erkrankungen der Legehennen, besonders bei Umweltproblemen
wie Hitze, Kälte oder, bei Freilandhaltungen, starker Nässe, wodurch die Hühner gerne schmutziges
Wasser aus den Ausläufen aufnehmen und dies häufig zunächst zu einer Darminfektion führt. Aber
auch andere Stressoren führen zu solchen teilweise verlustreichen Erkrankungen: Eine Behandlung
erfolgt meistens mit recht gutem Erfolg mit Colistinsulfat, das als Arzneimittel für eine septikämische
Erkrankung sicherlich nicht die erste Wahl sein sollte. Ein weiteres gegen gram-negative Bakterien
wirkendes Antibiotikum ist Neomycinsulfat, welches als Alternative zum Colistinsulfat gegen E. Coli-

300 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Infektionen auch eingesetzt wird. Aber auch dieses Antibiotikum wird recht schlecht resorbiert und
hat somit bei septikämischen Erkrankungen nicht immer durchschlagenden Erfolg.
Camphylobacter-like-infection oder Hepatitis E-Infektion ist eine Erkrankung, die nur bei jungen
Legeherden auftritt und die nach erhöhten Verlusten und meist auch deutlichen
Legeleistungseinbrüchen in der Regel eine Herdenimmunität mit sich bringt. Eine wirksame
Behandlung ist mit Neomycinsulfat bei sehr frühem Einsatz ohne größere Verluste zu erreichen. Die
letztendliche Ursache dieser Erkrankung ist aber noch nicht sicher geklärt. Die Tatsache, dass
Neomycinsulfat wirkt, spricht aber für das Vorhandensein von einem bakteriellen Erreger, der häufig
auch als Camphylobacter jejuni diagnostiziert werden konnte. Hier wirkt das Arzneimittel nach oraler
Verabreichung an seinem eigentlichen Wirkungsort recht gut.

Mycoplasmosen
Besonders in Beständen mit verschiedenen Altersgruppen oder in Regionen mit einem hohen
Mycoplasma-Infektionsdruck treten immer wieder Mycoplasma gallisepticum-Infektionen auf, die je
nach Erregerstamm erhebliche Atemwegsinfektionen mit anschließender Coliinfektion und
Legeleistungsdepressionen hervorrufen können.
Bis zur Zulassung von Tylan soluble® (Tylosin) und Denagard® (Tiamulin) wurden viele
gefährdete Betriebe gegen Mycoplasma gallisepticum geimpft. Wegen einer Fülle von anderen
Impfstoffen, die die Legehennen mittlerweile verabreicht bekommen, verzichten wir wegen der
Verfügbarkeit von wirksamen Arzneimitteln häufiger auf eine Impfung.

Nekrotisierende Enteritis (NE) und Clostridien-Infektionen


In Freilandhaltungen, aber auch in Bodenhaltungen, treten vermehrt Infektionen mit Clostridien
auf, die wir ebenfalls seit der Zulassung von Tylosin oder Tiamulin mit null Tagen Wartezeit recht gut
behandeln können. Schwere NE-Infektionen oder Botulismus lassen sich aber wesentlich besser mit
Benzylpenicillin-Ka oder Amoxicillin behandeln.
Beide Substanzen haben aber ein Behandlungsverbot für Legehennen und sind mit der Aufschrift
versehen: „Nicht bei Legehennen anwenden, deren Eier für den menschlichen Verzehr vorgesehen
sind und nicht innerhalb von 4 Wochen vor Legebeginn anwenden.“

Pasteurella- und Rotlauf-Infektionen


Besonders in Freilandhaltungen empfehlen wir, gegen beide bakterielle Erkrankungen zu impfen.
Bei vorherigen Durchbrüchen werden solche Bestände häufig sogar zweimal im Abstand von 3–4
Wochen geimpft, nicht zuletzt wegen dem Fehlen von wirksamen Arzneimitteln mit einer
Anwendungsgenehmigung. Bei einigen Rotlaufinfektionen ist ein Teilerfolg mit Tylosin oder Tiamulin
zu sehen. Rezidiven beider Erkrankungen sind aber nicht selten, sodass eine junge infizierte Herde
nur durch eine Mauser, mit einer Behandlung wirksamer Arzneimittel und simultaner Impfung
einigermaßen vor wirtschaftlich hohen Verlusten geschützt werden kann. Besonders bei einer
Geflügelcholera ist nach eingeleiteter Legepause und Vakzination eine Behandlung mit Enrofloxacin
erfolgreich. Aber auch auf Enrofloxacin ist, wie auf den meisten für Geflügel zugelassenen
Arzneimitteln, ein Verbotsvermerk: „Nicht bei Geflügel anwenden, dessen Eier für den menschlichen
Verzehr vorgesehen sind.“

Coryza-Infektionen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 301


Nutzgeflügel
Ansteckender Hühnerschnupfen (Avibacterium paragallinarum) wird besonders in den Betrieben
mit mehreren Altersgruppen immer wieder diagnostiziert: Eine Behandlung mit Tetracyclin® ist mit
einer Wartezeit von 14 Tagen möglich. Der wirtschaftliche Schaden einer Vernichtung der Eier für bis
zu 20 Tage ist erheblich und somit eine Behandlung in der Regel nicht durchsetzbar. Die meisten
gefährdeten Herden werden vorbeugend geimpft.

Tabelle 1: Übersicht über Arzneimittel bei Erkrankungen der Legehennen


Medikament Warte Wartezeit Organe Antibakterielle Erkrankungen
-zeit Gewebe Wirkung gegen
Ei
Colistinsulfat Atemwegsorgane, E. Coli Coliseptikämie
0 2
Darm
Neomycinsulfat Darm, selten E. Coli; Camph Camphylobacter
0 7
Atemwegsorgane like - infection
Tylosin Atemwegsorgane, Mycoplasmen, Mycoplasmose
Tylan soluble® Darm, Gelenke Clostridien Nekrotisierende
0 2
ORT Enteritis ( NE)
(Rotlauf)
Tiamulin Atemwegsorgane, Clostridien, ORT Botulismus, NE,
0 2 Darm, Gelenke
Denagard® (Rotlauf)
Flubenol Darm Spul-,Blinddarm- Wurmerkrankung
0 4 Haarwürmer
Solubenol® 10%
Praziquantel Darm Bandwürmer Wurmerkrankung
7 28
Cestocur®
Amprolium Darm Kokzidien Kokzidiosen
Nemaprol® 0 0
§73 AMG
Erythromycin Atemwegsorgane Mycoplasmen
0 3
Erythromycin W® Gram-postive B
Tetracyclin® Atemwegsorgane Avibacterium Coryza
14 14
paragallinarum
Enrofloxacin Atemwegsorgane, P. multocida, Pasteurellose,
X 4 Coryza, Rotlauf
Darm
Benzylpenicillin-Ka Darm Clostridien Cl perfringens,
Aviapen, X 1 Botulismus
Phenoxypen
Amoxicillin X 1 Verdauungsapparat Erysipelotrix Rotlauf
Ampicillin X 6 Verdauungsapparat Erysipelotrix Rotlauf
Sulfonamide X 14 Darm Kokzidien Kozidiose
Lincospectin® Atemwegsorgane Mycoplasmen; Mycoplasmose
X 8
Begleitflora

302 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Kokzidiosen
Die meisten deutschen Legehennenherden werden ebenfalls in der Aufzucht gegen Kokzidien
geimpft. In den neuen Volierensystemen ist die Immunantwort aber nicht immer 100 %, oder
einzelne Bestände werden trotz Empfehlung nicht geimpft, so dass auch in Legehennenherden am
Anfang der Produktion Kokzidiosen auftreten können.
Bei schweren Erkrankungen kann mit Nemaprol®, einem in Frankreich für Legehennen
zugelassenen Therapeutikum gegen Kokzidien mit null Tagen Wartezeit für Eier behandelt werden.
Dieses Produkt ist beim Therapienotstand mittels §73 nach Anzeige einzuführen und ist, da in einem
europäischen Mitgliedsland eine Zulassung für Eier mit einer Wartezeit von null Tagen besteht, auch
in Deutschland mit null Tagen zulässig.

Wurmbehandlungen
Behandlungen von Spul-, Blindarm- und Haarwürmern werden mit Solubenol® 10 %
durchgeführt. Es handelt sich um den Wirkstoff Flubenol, der nicht perfekt im Wasser suspendiert
wird und dessen Einsatz über das Futter für Legehennen keine Zulassung mehr besitzt. Hierdurch
kommt es nicht selten zu Verklebungen der Nippelanlagen und Tränksystemen.
Ein zugelassenes Arzneimittel für die Behandlung von Rundwürmern ist Levamisol®, welches
nun eine Wartezeit für fast alle Geflügelarten von 14 Tagen hat.
Eine Behandlung von Bandwürmern ist nur durch Umwidmung von Praziquantel möglich. Dieses
Produkt ist als Cestocur® für Schafe zugelassen und hat dann nach Umwidmung eine Wartezeit von
sieben Tagen für Eier!

Literaturverzeichnis
1. Woernle H, Jodas S. Geflügelkrankheiten. 3. Aufl. Ulmer Verlag; 2006. S. 59-62.

Kontaktadresse
Dr. Manfred Pöppel, Fachtierarzt für Geflügel, Geflügelveterinärpraxis (GVP), Delbrück,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 303


Nutzgeflügel

Besonderheiten der Therapie wichtiger bakterieller Erkrankungen bei


Sondergeflügel
Christine Ahlers
Duck-Tec Brüterei GmbH, Bad Belzig

Einleitung
Ein Großteil der als Nutzgeflügel gehaltenen Arten zählt zu den „Minor Species“, für die nur
wenige zugelassene Tierarzneimittel in Deutschland verfügbar sind. Viele Tierarzneimittel können
daher nur nach Umwidmung gem. § 56a AMG angewendet werden.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über häufiger vorkommende bakterielle Erkrankungen des
Wassergeflügels und ausgewählter Sondergeflügelarten sowie die bei deren Therapie zu
berücksichtigenden Aspekte. Wegen der eingeschränkten Möglichkeiten des Einsatzes von
Antibiotika sind hygienische, immunprophylaktische und therapieflankierende Maßnahmen zur
Stabilisierung der Tiergesundheit und Senkung des Infektionsdrucks bei diesen Geflügelarten von
herausragender Bedeutung.

Bakterielle Erkrankungen des Wasser- und Sondergeflügels


Monokausale Erkrankungen treten in der intensiven Geflügelhaltung selten auf. Mangelhafte
Haltungsbedingungen, ungünstiges Stallklima oder ein hoher Infektionsdruck durch unzureichende
Hygienemaßnahmen begünstigen, ebenso wie durch Stressoren oder Primärerkrankungen
immunsupprimierte Tiere, das Auftreten bakterieller Infektionen.
Während in intensiven Stallhaltungssystemen die Haltungsbedingungen ein wichtiger
Einflussfaktor für das Auftreten bakterieller Infektionen sind, können in Auslaufhaltungen Parasitosen
bakterielle Sekundärerkrankungen begünstigen.
Beim Sondergeflügel ist darüber hinaus zu beachten, dass häufig keine speziellen Futtermittel für
die jeweilige Tierart vorhanden sind, so dass für andere Geflügelarten konzipierte Futtermittel
eingesetzt werden. Die Nährstoffversorgung basiert oft auf Erfahrungswerten und ist deshalb
mitunter nicht tierart- und leistungsgerecht (1). In der Folge kann eine mangelhafte Stabilität der
Darmflora bakterielle Infektionen des Intestinaltraktes begünstigen.

E. coli-Infektionen
Infektionen mit E. coli zählen zu den häufigsten nicht speziesadaptierten, oft multifaktoriell
bedingten bakteriellen Erkrankungen. Der Erreger ist ubiquitär verbreitet und Bestandteil der
normalen Darmflora. Da er auch außerhalb des Tierkörpers vermehrungsfähig ist, sind hygienische
Maßnahmen im Stall und dessen Umgebung für die Bekämpfung pathogener E. coli-Stämme von
essenzieller Bedeutung.
In vom Autor betreuten Pekingentenbeständen wurden in den meisten Erkrankungsfällen
multiresistente E. coli nachgewiesen. Die Resistenzprüfung ist daher notwendig, um einen
Behandlungserfolg sicher zu stellen.

304 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Salmonellosen
Infektionen mit nicht speziesadaptierten Salmonella-Serovaren können bei allen Geflügelarten
auftreten, verursachen aber häufig nur bei Vorhandensein prädisponierender Faktoren klinische
Erkrankungen.
In Untersuchungen des BfR waren 2009 fast 50 % der Salmonella-Isolate resistent und 35 %
sogar multiresistent (2). Jeder Einsatz von Antibiotika bei einer Salmonellose sollte daher durch
einen Resistenztest gesichert werden. Die Verordnung (EG) Nr. 1177/2006 untersagt die
Verwendung antimikrobieller Mittel als spezifische Methode zur Bekämpfung von Geflügel (Art. 2).
Ausnahmen sind möglich, u. a. wenn die Tiere klinische Symptome aufweisen, die ihnen
übermäßiges Leiden verursachen.
Salmonellen sind außerhalb des Tierkörpers vermehrungsfähig. Hygienische Maßnahmen im
Stall und dessen Umgebung sind daher wichtiger Bestandteil von Bekämpfungsprogrammen.

Clostridiosen
Clostridien sind weltweit verbreitet und als Sporenbildner sehr widerstandsfähig gegenüber
Umwelteinflüssen und verschiedenen Desinfektionsmitteln. Infektionen des Intestinaltraktes mit
toxinbildenden Cl. perfringens (Nekrotisierende Enteritis) oder Cl. Colinum (Ulcerative Enteritis) und
Infektionen der Haut (Gasödemerkrankung) kommen bei verschiedenen Geflügelarten vor. Der
Erkrankung tritt häufig nach einer Primärschädigung bei immunsupprimierten Tieren auf (z. B.
Kokzidiose, Dysbakteriose des Darms, virale Erkrankungen, fütterungsbedingte Mangelsituationen).
Behandlungen mit Sulfonamiden haben sich in der Praxis als unwirksam erwiesen.

Pasteurellose
Pasteurella multocida ist ein primär pathogener Erreger, der bei verschiedenen Geflügelarten
perakute bis chronische Erkrankungen auslösen kann. Der Kenntnisstand zur Überlebensfähigkeit
von P. multocida in der Außenwelt ist unzureichend und widersprüchlich, im Stallmilieu bleibt er nur
wenige, max. 7 bis 14 Tage infektiös (3).

Riemerellose
In intensiven Enten- und Gänsehaltungen ist die Riemerellose eine häufig auftretende
Erkrankung, die hohe wirtschaftliche Verluste verursachen kann. Der Erreger, Riemerella
anatipestifer, wurde u. a. aus Fasanen, Wachteln und Perlhühnern isoliert (4). Er bleibt nach eigenen
Erfahrungen im Stallmilieu nur wenige Tage infektiös.

Ornithose
Chlamydophila psittaci kommt bei verschiedenen Vogelarten vor und ist auf den Menschen
übertragbar. Bei Geflügel kann eine Ornithose ohne prädisponierende Faktoren subklinisch
verlaufen.
Zur Therapie wird eine Langzeitbehandlung mit Chlortetrazyklin oder Enrofloxacin über 14 Tage
durchgeführt. Da für Wasser- und Sondergeflügel kein entsprechendes Präparat zugelassen ist, ist
die Behandlung von Masttieren bedingt durch die 28-tägige Wartezeit kaum möglich.
Gemäß § 12 der Psittakose-Verordnung kann die zuständige Behörde Maßnahmen zur
Bekämpfung der Ornithose bei allen Vogelarten anordnen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 305


Nutzgeflügel
Antibiotika, die zur Anwendung bei Wasser- und Sondergeflügelarten zugelassen sind
Die zur Anwendung zugelassenen Wirkstoffe sind in Tabelle 1 angegeben. Für Enten, Gänse,
Tauben und Fasanen sind nur Präparate einer Wirkstoffgruppe zugelassen, während für jede
antibiotische Therapie bei Wachteln, Straußen oder Perlhühnern gemäß §56a Abs. 2 AMG Präparate
umgewidmet werden müssen.
Die mit der mit Umwidmung von Tierarzneimitteln auf eine andere Tierart verbundene
Festsetzung der Wartezeit beträgt für Eier 7 Tage und für essbares Gewebe 28 Tage (§ 12a Abs. 2
TÄHAV). Letzteres kollidiert häufig mit der kurzen Lebensspanne des Mastgeflügels (Tauben: 28
Tage, Pekingenten: 42 Tage, Wachteln: 6 Wochen, Perlhühner: z. T. 6 Wochen), so dass aus
tiermedizinischer Sicht notwendige medikamentelle Behandlungen nicht durchgeführt werden
können, ohne den Produktionszyklus gravierend zu stören.

Tabelle 1: Zur Anwendung bei Enten, Gänsen, Tauben, Perlhühnern, Strauße, Fasanen und
Wachteln zugelassene Antibiotika
Geflügelart Anzahl zugelassener Wirkstoffe Wartezeit
Antibiotika
Enten 1 Oxytetrazyklin 14 Tage
Gänse 2 Sulfaquinoxalin 14 Tage
Tauben 3 Sulfadimidin, 14 Tage
Sulfaquinoxalin
Perlhühner 0
Straußen 0
Fasanen 2 Sulfaquinoxalin 14 Tage
Wachteln 0
(Quelle: vetidata)

Sowohl Sulfonamide als auch Tetrazykline haben eine mittlere therapeutische Breite und decken
bei günstiger Resistenzlage das Spektrum gram+- und gram–-Erreger eingeschränkt ab.
Beim Einsatz von Sulfonamiden ist zu beachten, dass in Kombination mit Monensin beim
Geflügel toxische Reaktionen auftreten können. (5).
Beim Einsatz von Tetrazyklinen über das Trinkwasser ist die Wasserqualität zu beachten: Die
Absorbtion von Tetrazyklinen wird durch Chelatbildung mit 2- oder 3-wertigen Kationen oder bei
gleichzeitiger Verabreichung eisenhaltiger Präparate herabgesetzt (5).

Prophylaktische und therapieflankierende Maßnahmen


In Anbetracht der stark eingeschränkten Möglichkeiten einer antimikrobiellen Therapie in
Wasser- und Sondergeflügelbeständen sind hygienische, immunprophylaktische und
therapieflankierende Maßnahmen zur Stabilisierung der Tiergesundheit und Senkung des
Infektionsdrucks von herausragender Bedeutung. Die spezifischen Eigenschaften des jeweiligen
Erregers und seine Epidemiologie müssen dabei für eine effektive Bekämpfung berücksichtigt
werden. So ist z. B. bei der Desinfektion nach Clostridieninfektionen ein Präparat mit sporizider
Wirkung, d. h. auf der Basis von Peressigsäure, Na-Hypochlorid, Chlorabspaltern, Jod, Formaldehyd,
Formaldehydabspaltern oder Glutaraldehyden, einzusetzen (6).

306 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Kommerzielle Vakzine gegen bakterielle Erkrankungen des Wasser- und Sondergeflügels sind
nur für Tauben (gegen Salmonellen und Pocken) und Enten (gegen Pasteurellen) zugelassen. Bei
Bedarf müssen bestandsspezifische Vakzine eingesetzt werden.

Zusammenfassung
Da für die Anwendung bei Wasser- und Sondergeflügelarten keine oder nur einzelne Antibiotika
zugelassen sind, können bakterielle Erkrankungen mit wenigen Ausnahmen nur über die
Umwidmung von Präparaten antibiotisch behandelt werden. Dabei kollidiert die festgesetzte
Wartezeit für essbares Gewebe auf 28 Tage (§ 12a Abs. 2 TÄHAV) häufig mit der kurzen
Lebensspanne des Mastgeflügels, so dass eine antibiotische Therapie in vielen Fällen nicht möglich
ist. Aus Gründen des Tierschutzes und für den Tierhalter auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit
der Haltung betroffener Geflügelarten ist dies nur schwer bzw. nicht akzeptierbar.

Literaturverzeichnis
1. Golze M. Einstieg in die Erzeugung und Vermarktung von Sondergeflügel. Proceedings des 14.
Arbeitskreises Sondergeflügel, 11.09.2010; Erfurt. S. 9-13.
2. Schroeter A, Käsbohrer A. Deutsche Antibiotika-Resistenzsituation in der Lebensmittelkette – DARLink.
Berlin: BfR-Wissenschaft; 2010. S. 8.
3. Hinz KH, Behr KP. Geflügelcholera. In: Siegmann O, Neumann U, Herausgeber. Kompendium der
Geflügelkrankheiten. 6. Aufl. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG; 2005. S. 224-8.
4. Hinz KH, Reetz G. Riemerellose. In: Siegmann O, Neumann U, Herausgeber. Kompendium der
Geflügelkrankheiten. 6. Aufl. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG; 2005. S. 234-7.
5. http://www.vetpharm.uzh.ch (eingesehen am 25.08.2011)
6. Kramer A, Widulle H, Assasdian O. Vergleichende Charakteristik häufig in Desinfektionsmitteln und
Antiseptika eingesetzter Wirkstoffe. In: Kramer A, Assasdian O, Herausgeber. Wallhäußers Praxis der
Sterilisation, Desinfektion, Antiseptik und Konservierung. Stuttgart und New York; 2008. S. 624-37.

Kontaktadresse
Dr. Christine Ahlers, Duck-Tec Brüterei GmbH, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 307


Nutzgeflügel

Anwendung von Natriumsalicylat zur ergänzenden, symptomatischen


Behandlung entzündlicher Atemwegserkrankungen bei Mastputen
Kerstin Cramer, Julia Böhme, Volker Schmidt, Maria-Elisabeth Krautwald-
Junghanns
Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig

Einleitung
Im Rahmen eines nationalen Zulassungsverfahrens wurde die Eignung von Natriumsalicylat zur
symptomatischen Behandlung entzündlicher Atemwegserkrankungen in Kombination mit einer
geeigneten antiinfektiven Therapie bei der Mastpute untersucht. Zu diesem Zweck wurden insgesamt
neun präklinische und klinische Studien durchgeführt. Nach erfolgreichem Abschluss des
Zulassungsverfahrens steht Natriumsalicylat nun unter dem Handelsnamen „Salicylsäure-
Na C100 G“ (chevita Tierarzneimittel GmbH, Pfaffenhofen) für das o. g. Indikationsgebiet zur
Verfügung. Das Präparat soll in einer Dosierung von 100 mg/kg Körpermasse (KM) während einer
Dauer von drei Tagen über das Trinkwasser verabreicht werden, die Wartezeit beträgt 48 h.
Sämtliche im Folgenden beschriebenen Versuche wurden an Mastputen der Herkunft Big 6 von
British United Turkeys (B.U.T.) durchgeführt.

Präklinische Studien
In präklinischen Studien zur Dosisfindung bzw. Dosisbestätigung konnte bewiesen werden, dass
oral appliziertes Natriumsalicylat in einer Einzeldosis von 50 mg/kg KM bzw. einer Tagesdosis von
100 mg/kg KM (verteilt auf zwei gleiche Dosen) einen antiphlogistischen Effekt bei der Pute besitzt
(1). Die beiden durchgeführten Versuche orientierten sich an Empfehlungen der „Guideline for the
conduct of efficacy studies for non-steroidal anti-inflammatory drugs”, in der als Methode für die
Untersuchung eines akut-entzündlichen Prozesses die subkutane Implantation von Karrageen-
behandelten Schwämmen mit folgender Messung von Entzündungsmediatoren im entzündlichen
Exsudat sowie zytologischer Untersuchung des Wundsekrets genannt wird (2). Eine 2004 von Baert
et al. veröffentlichte Studie über ein subkutanes Entzündungsmodell beim Huhn diente außerdem als
Hilfe bei der Entwicklung des Versuchsdesigns (3).
Um eine präzise Auswertung der pharmakokinetischen Daten zu gewährleisten, erfolgte die
Natriumsalicylat-Applikation sowohl in der Dosisfindungs- als auch in der Dosisbestätigungsstudie
per Knopfkanüle direkt in den Kropf. In einer dritten Studie konnte festgestellt werden, dass die ad-
libitum-Verabreichung von Natriumsalicylat in der Dosis 100 mg/kg KM über das Trinkwasser bei
klinisch gesunden Mastputen zu antiphlogistisch wirksamen Salicylat-Plasmakonzentrationen über
einen Applikationszeitraum von drei Tagen führt. In dieser Studie konnte außerdem bereits eine gute
Akzeptanz von Salicylsäure-Na C100 G bei der Zieltierart Pute beobachtet werden.
Des Weiteren wurde eine gute Verträglichkeit von Salicylsäure-Na C100 G bei oraler,
intraingluvialer Applikation über sechsTage dokumentiert; dies gilt sowohl für die 1-fache, als auch
für die 2-fache sowie 4-fache Therapiedosis.
Die Ergebnisse einer Rückstandstudie für Natriumsalicylat ergaben bei der Pute eine Wartezeit
von 48 h.

308 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel
Klinische Studien
In einer ersten klinischen Studie zur Palatibilität wurde die freiwillige Aufnahme der 1-fachen,
2-fachen sowie 4-fachen Therapiedosis bei der Zieltierart Pute untersucht; hier konnte eine
hervorragende Trinkwasserakzeptanz von Natriumsalicylat in der Therapiedosis 100 mg/kg KM*d
dokumentiert werden. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, der reines Trinkwasser angeboten
wurde, führte die Verabreichung der Therapiedosis zu einer signifikant erhöhten Wasseraufnahme.
Natriumsalicylat wird durch Mastputen offensichtlich so bevorzugt aufgenommen, dass auch bei
versehentlicher Verabreichung der 2-fachen sowie der 4-fachen Therapiedosis über die Tränke eine
Gefahr der Überdosierung besteht; daher muss die Lösungskonzentration von Salicylsäure-
Na C100 G täglich entsprechend dem am Vortag ermittelten Wasserverbrauch und der Körpermasse
der behandelten Tiere angepasst werden.
Zum Nachweis der klinischen Wirksamkeit wurde Natriumsalicylat außerdem in drei Feldstudien
(FS) bei Mastputen der Herkunft Big 6 (B.U.T.) eingesetzt. Zuvor wurden mehrere Mastputenhalter
zur Mitarbeit an diesem Projekt gewonnen. Nach Auftreten einer respiratorischen Erkrankung in
einem Bestand wurden die verantwortlichen Mitarbeiter der Klinik für Vögel und Reptilien, Universität
Leipzig, durch den bestandsbetreuenden Tierarzt informiert. Der Bestand wurde daraufhin
angefahren, und zumindest einer der mit der Durchführung des Versuchs betrauten Mitarbeiter
verblieb jeweils während des gesamten Versuchszeitraums vor Ort.
Zu Beginn der viertägigen experimentellen Phase (EP) wurden 96 Puten randomisiert aus der
betroffenen Herde ausgewählt und in zwei Gruppen zu je 48 Tieren in gesondert abgegrenzten
Abteilen im Stall aufgestellt. Eine Gruppe wurde im Folgenden mit Natriumsalicylat behandelt
(Therapiegruppe), die andere Gruppe bekam stattdessen reines Trinkwasser als Placebo verabreicht
(Kontrollgruppe). In der Therapiegruppe wurde ab dem zweiten Tag der EP Natriumsalicylat über das
Trinkwasser appliziert (100 mg/kg KM*d, berechnet auf den mittleren Wasserverbrauch des
Vortages), die Behandlungsdauer betrug drei Tage. Die antibiotische Therapie der respiratorischen
Infektion wurde in der Therapiegruppe und der Kontrollgruppe erst am dritten Tag der EP begonnen.
Diese zeitliche Verzögerung sollte eine Beurteilung des antiphlogistischen Effektes von
Natriumsalicylat, losgelöst von der kausalen Therapie, erleichtern, da die Stressanfälligkeit bei
Vögeln und insbesondere bei der Zieltierart Pute eine Interpretation klinischer Befunde grundsätzlich
erschwert. Aus tierschutzrechtlichen sowie ökonomischen Gründen konnte die antibiotische Therapie
in der Restherde nicht verzögert werden und begann daher am Tag 2, bzw. in der 3. FS aufgrund
des schlechten Allgemeinbefindens der Masttiere bereits am Tag 1 der EP. Das betreffende
Antibiotikum wurde vom bestandsbetreuenden Tierarzt ausgewählt und nach Herstellerempfehlung
für eine Dauer von jeweils fünf Tagen angewendet.
In den ersten beiden FS wurden am ersten und dritten Tag der EP jeweils zwölf Puten der
Untersuchungsgruppen euthanasiert und pathologisch-anatomisch sowie -histologisch untersucht,
um entzündliche Veränderungen zu dokumentieren. Bei je sechs Puten pro abgeteilte Gruppe
wurden am ersten Tag der EP außerdem mikrobiologische Untersuchungen zur
Erregerdifferenzierung durchgeführt.
Die Postexperimentelle Phase (PoP) schloss sich direkt der EP an und dauerte sieben Tage. Zur
Durchführung pathologischer Untersuchungen wurden in den ersten beiden FS an den Tagen 1 und
7 der PoP erneut je zwölf Tiere in beiden Untersuchungsgruppen euthanasiert, außerdem wurden
am Ende der PoP zur Feststellung des Behandlungserfolges nochmals Tupferproben von je sechs
der euthanasierten Puten pro Gruppe gewonnen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 309


Nutzgeflügel
Das Ausmaß der Erkrankung wurde über den gesamten Versuchszeitraum durch täglich
zweimalige Herdenuntersuchungen (in beiden Untersuchungsgruppen und in der Restherde) sowie
Einzeltieruntersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten (EP1, EP3, PoP1 und PoP7) erfasst.
Parallel zu den Einzeltieruntersuchungen erfolgten Blutprobenentnahmen zur Ermittlung der
Gesamtleukozytenzahl und des Differenzialblutbildes.
Die statistische Auswertung der ersten beiden FS ergab bezüglich der makroskopischen sowie
histologischen Organveränderungen keine hinsichtlich des Studienziels relevanten Unterschiede
zwischen den beiden Untersuchungsgruppen, die kausal auf einen Zusammenhang mit der
Applikation von Salicylsäure-Na C100 G hingedeutet hätten; daher wurde in der 3. FS nach
gewissenhafter Abwägung auf die Durchführung pathologischer Untersuchungen verzichtet. Auch in
dieser 3. FS erfolgte eine tierschutzgerechte Tötung von Puten zur Probengewinnung für
mikrobiologische Untersuchungen.
Die Erregerdifferenzierung ergab in der 1. FS Bordetella avium, sowie in der 2. und 3. FS jeweils
Ornithobacterium rhinotracheale. Zur antibiotischen Therapie wurden die folgenden Wirkstoffe
eingesetzt: 1. FS: Tetracyclin-HCl; 2. FS: Tylosin; 3. FS: Colistin plus Ampicillin, gefolgt von
Tetracyclin-HCl (Tage 4 bis 7 der PoP bis einen Tag nach Abschluss der Studie).
Zusammenfassend konnte in allen drei FS eine gute klinische Wirksamkeit von oral appliziertem
Salicylsäure-Na C100 G zur Behandlung entzündlicher Atemwegserkrankungen in Kombination mit
einem geeigneten Chemotherapeutikum in Putenmastbeständen belegt werden. So konnte in der
Therapiegruppe in jeder der drei FS eine signifikant früher einsetzende Verbesserung der klinischen
Symptome, insbesondere bezüglich des Zielorgansystems Respirationstrakt verzeichnet werden.
Zusätzlich führte die Applikation von Salicylsäure-Na C100 G in den ersten beiden Feldstudien
jeweils zu einer signifikant früher einsetzenden Verringerung der zirkulierenden Gesamtleukozyten;
in der dritten Feldstudie zeigten die Puten trotz ausgeprägter respiratorischer Symptomatik auch zu
Beginn des Versuchs lediglich eine milde Leukozytose, die homogen in beiden
Untersuchungsgruppen abnahm. Die Ergebnisse belegen einen positiven Einfluss von
Salicylsäure-Na C100 G auf den Genesungsprozess.

Literaturverzeichnis
1. Cramer K, Schmidt V, Feige M, Fuhrmann H, Richter A, Ungemach FR, Krautwald-Junghanns M-E.
Natriumsalicylat bei Puten – Untersuchung der akuten Entzündungsreaktion auf subkutan implantierte,
Karrageen-behandelte Kunststoffschwämme. Proceedings 5. Leipziger Tierärztekongress, 21.-23. Januar,
Leipzig. S. 224-9.
2. European Medicines Agency (EMEA). Guideline for the conduct of efficacy studies for non-steroidal anti-
inflammatory drugs. 2001. URL:
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2009/10/WC500004423.pdf.
Zitiert am 24.07.2011.
3. Baert K, Schelkens M, De Backer P. A pharmacokinetic and pharmacodynamic study with sodium
salicylate in a model of acute non-immune inflammation in chickens. Arch Geflügelk. 2004;68(4):164–9.

Kontaktadresse
Kerstin Cramer, Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig, [email protected]

310 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Geflügelkokzidiose-Bekämpfung
Arwid Daugschies, Matthias Lendner, Berit Bangoura
Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Universität Leipzig

Einleitung
Die Kontrolle von Kokzidieninfektionen ist eine andauernde Herausforderung in der
Geflügelhaltung. Insbesondere intensive Haltungsformen sind auf effiziente Bekämpfungs-
maßnahmen angewiesen. Die Anwendung von Antikokzidia, Vakzinierung und gezielte Hygiene sind
die wichtigsten Werkzeuge, um Erkrankung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Verluste in
Geflügelbeständen wenn nicht zu vermeiden, dann doch zumindest zu begrenzen. Dieser Beitrag
soll einen Überblick über gegenwärtig verfügbare Optionen geben.

Der Erreger
Kokzidiosen werden bei Hühnern durch verschiedene Protozoen der Gattung Eimeria verursacht.
Von besonders hoher Pathogenität sind die Arten Eimeria (E.) necatrix (Jejunum), E. tenella (Zäkum)
und E. brunetti (Ileum/Rektum). Diese können seuchenhafte Erkrankungen mit nicht unerheblicher
Mortalität in der Herde verursachen. E. acervulina, E. mitis, E. praecox und E. maxima befallen
unterschiedliche Abschnitte des Dünndarms. Sie sind weniger pathogen, können aber durchaus
Diarrhoe und vor allem Leistungseinbußen verursachen. Alle Eimerien sind wirtsspezifisch und
werden innerhalb der Tierart über die fäkal-orale Route übertragen. Das Infektionsstadium ist die
Oozyste, die mit den Fäzes in die Umwelt ausgeschieden wird und nach wenigen Tagen zur
Infektionsreife versport. Der im Intestinum ablaufende Abschnitt des Zyklus ist bei allen Eimerien im
Grundsatz ähnlich. Er besteht aus einer genetisch fixierten Abfolge von ungeschlechtlicher
(Merogonie) und geschlechtlicher (Gamogonie) Vermehrung, die ohne Ausnahme intrazellulär in der
Darmschleimhaut abläuft und mit der Bildung der Oozysten endet. Die daraus folgenden Schäden
können je nach Eimeria-Art und Infektionsdosis klinisch unauffällig bleiben oder zu
lebensbedrohender Enteritis führen. Die auch bei verhältnismäßig mildem Verlauf einer Eimeriose
gestörte Darmintegrität wird mit dem vermehrten Auftreten einer nekrotischen Enteritis durch
Clostridium perfringens in Geflügelbeständen assoziiert (1,2).

Hygiene
Eimerien sind ubiquitäre Parasiten und aus konventionellen Beständen praktisch nicht
eliminierbar. Die Kürze des Entwicklungszyklus (4–6 Tage), das hohe Reproduktionspotenzial und
die erhebliche Tenazität der Oozysten bewirken, dass es auch bei sorgfältiger Hygiene zu
Infektionen kommt, die sich rasch im Bestand ausbreiten und zu einem kritischen Anstieg des
Infektionsdrucks führen können. Auch wenn grundsätzlich Oozysten zu ihrer Versporung auf eine
feuchte Umgebung angewiesen sind, ist die Sporulationsrate in besonders feuchter Geflügeleinstreu
und in Hühnerkot geringer als in eher trockener Einstreu. Dies wird damit erklärt, dass in feuchter
Einstreu durch bakterielle Einwirkung Ammoniak produziert wird, das sporulationshemmend wirkt.
Maximale Sporulationsraten werden bei 31–62 % Feuchte und 25–28°C erreicht, allerdings
überleben die Oozysten anschließend nur für wenige Tage, so dass gefolgert wurde, dass anhaltend
hohe Oozystenzahlen in der Einstreu einen kontinuierlichen Eintrag neuer Oozysten erfordern (1).
Rein-Raus-Verfahren sind in Geflügelhaltungen gängige Praxis und ermöglichen es, vor der

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 311


Nutzgeflügel
Neuaufstallung ein wirkungsvolles Reinigungs- und Desinfektionsmanagement zu praktizieren. Hitze
und Trockenheit sind physikalische Maßnahmen, die Oozysten sicher abtöten können, oft ist es aber
üblich, leer geräumte Ställe mit chemischen Desinfektionsmitteln zu behandeln. Mit Blick auf die
Kokzidien muss dabei unbedingt beachtet werden, dass nicht alle Handelspräparate eine
hinreichende Wirkung entfalten. Die laufend aktualisierte Desinfektionsmittelliste der DVG
(www.dvg.net) ermöglicht dem Anwender die zielgerichtete Auswahl von Produkten, die im
standardisierten Versuch eine gute Wirkung (mind. 95 %) auf E.-tenella-Oozysten gezeigt haben. Die
Anwendungshinweise müssen allerdings streng beachtet werden und auch bei konsequenter
Handhabung stellt die Desinfektion keine Problemlösung, sondern nur eine unterstützende,
gleichwohl wichtige Maßnahme dar.

Antikokzidia
Antikokzidia werden seit Jahrzehnten in der Geflügelproduktion als Futtermittelzusatzstoffe
eingesetzt und waren eine wichtige Grundlage für die Intensivierung der Haltung. Neben den
ionophoren Antikokzidia, die mikrobielle Fermentationsprodukte darstellen, wurden auch zahlreiche
chemisch synthetisierte Antikokzidia entwickelt. Die Palette der beim Geflügel einsetzbaren
Antikokzidia wird durch die auslaufenden Zulassungen, die nicht in jedem Fall verlängert werden,
eingeschränkt. Ein weiteres Problem stellen die weit verbreiteten Resistenzen bzw.
Sensitivitätsminderungen von Eimeria-Feldstämmen dar, die sich oftmals auf mehrere verwandte
Substanzen und teils auch über chemische Gruppen hinweg manifestieren. Nicht zuletzt wegen der
vergleichsweise niedrigen Kosten einer Futtermedikation mit Antikokzidia ist diese
Bekämpfungsoption trotz der oft ungeklärten Sensitivitätslage vor allem in der Mast anhaltend
gebräuchlich. Eine Vermeidung von Resistenzentwicklungen ist bei dem üblichen Einsatz kaum
möglich, allerdings wurden Rotations- oder Shuttle-Verfahren vorgeschlagen, um sie zumindest zu
verzögern. Ein Wechsel von Präparaten sollte möglichst verschiedene Wirkstoffklassen
berücksichtigen. So kann beispielsweise im Starterfutter ein chemisches Antikokzidium eingesetzt
werden, gefolgt von einem Ionophor. In Beständen mit einem massiven Resistenzproblem könnte
auch versucht werden, durch einen temporären Einsatz einer Lebendvakzine eine günstigere
Resistenzlage zu erreichen (siehe unten). Zur Behandlung von Kokzidiosen sind das Triazinderivat
Toltrazuril und verschiedene Sulfonamide zugelassen. Zu berücksichtigen sind Absetzfristen und
Anwendungsverbote für Legehennen.
Pflanzenprodukte, vor allem basierend auf Oregano, und Probiotika wurden verschiedentlich auf
ihre Wirksamkeit gegen Kokzidiosen mit wechselndem, oft nicht überzeugendem Erfolg geprüft. Eine
direkte Wirkung von Probiotika auf die intrazellulär lebenden Kokzidien ist eher nicht zu erwarten,
allerdings ist es denkbar, dass die pathogenen Auswirkungen einer Kokzidiose bei ansonsten guter
Darmgesundheit und ausgewogener Mikroflora weniger schwer sind (3).

Immunschutz
Da Eimerien sehr immunogen sind, ist die Entwicklung von Vakzinen möglich. Versuche, eine
Protektion über die Applikation mehr oder weniger charakterisierter Antigenpräparationen zu
erreichen, haben die Erwartungen nur teilweise erfüllt. Eine interessante Überlegung war es, dass
über in Futterpflanzen exprimierte, gegen Eimerien gerichtete Antikörperfragmente ein Schutz
erreichbar sein könnte. So konnte der Verlauf einer experimentellen E.-tenella-Infektion durch die
Gabe solcher rekombinanter Fragmente zwar etwas gemildert werden, eine entsprechende
praktikable Anwendung ist allerdings nicht in Sicht (4). Ein Produkt, das zwei rekombinante Antigene
312 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Nutzgeflügel
von E.-maxima-Makrogametozyten enthält, ist in einigen Ländern als Muttertiervakzine (CoxAbicR,
Novartis) zugelassen. Die maternal übertragene Immunität induziert einen teilweisen Schutz gegen
homologe Infektionen, der aber graduell nach Schlupf des Kükens über 3 Wochen verschwindet,
soweit kein Booster aus der Umwelt erfolgt (5,6). Ein passiver Schutz von Küken kann auch zu
einem gewissen Grad erreicht werden, wenn ihnen über das Eigelb hyperimmunisierter Hühner IgY
verfüttert wird (7). Dieses Prinzip wird in einem kommerziellen Produkt (SupracoxR, Investigacion
Aplicada, Puebla, Mexico) genutzt und ist ebenfalls in Deutschland nicht verfügbar.
Am weitesten verbreitet und in der EU die einzige zugelassene Option ist das Impfen von
geschlüpften Küken mit attenuierten Lebendvakzinen. Diese Vakzinen enthalten vitale Oozysten von
Impfstämmen verschiedener Eimeria-Spezies, die auf ein geringeres Reproduktionspotenzial
selektiert wurden und daher weniger pathogen als die Wildstämme sind (z. B. ParacoxR-5 und
ParacoxR-8, MSD Tiergesundheit). Sie induzieren eine belastbare Immunität, die durch Re-Infektion
über von geimpften Tieren ausgeschiedene Oozysten dieser Impfstämme geboostert wird. Die
Applikation der Impfdosis erfolgt über die Tränke oder in Sprühkabinetten. Essenziell für die
Anwendung aller attenuierten Lebendvakzinen ist es, dass keine Antikokzidia appliziert werden. Ein
günstiger Nebeneffekt der Anwendung von Lebendvakzinen statt Antikokzidia kann sein, dass unter
solchen Bedingungen antikokzidiaresistente Feldstämme durch die sensitiven Impfstämme verdrängt
werden. Die Impfung kann auch über Oozysten, die bereits in das bebrütete Hühnerei inokuliert
werden, erfolgen. Wichtig ist dann, dass die Vögel nach dem Schlupf über die nach der Präpatenz
ausgeschiedenen Oozysten eine ausreichende Boosterung erfahren. Ein derartiges Verfahren ist zur
Marktreife entwickelt, in Deutschland aber nicht verfügbar (InovocoxR, Pfizer).

Schlussfolgerungen
Die Hühnerkokzidiose ist und bleibt ein bedeutsames Problem in der Geflügelproduktion, für das
Antikokzidia eine wichtige Komponente der Bekämpfungsstrategien bleiben. Dies muss zwingend
durch eine gute Tierhaltung und Hygiene ergänzt sein. Allerdings üben Resistenzen gegen
Wirkstoffe und die negative Wahrnehmung einer Futtermedikation in der Öffentlichkeit einen Druck in
Richtung alternativer Bekämpfungsoptionen aus. Bei geringem Infektionsdruck mit weniger
pathogenen Erregern kann möglicherweise die Einmischung von pflanzlichen Produkten oder
Probiotika in das Futter einen günstigen Effekt im Sinne einer Optimierung der Darmintegrität und
Mikrobiota ausüben. Bei Vakzination mit attenuierten Stämmen ist ein Verzicht auf Antikokzidia nicht
nur möglich, sondern erforderlich. Mangels anderer preiswerter und wirksamer Optionen wird es
auch in absehbarer Zukunft keine breitere Palette an Möglichkeiten geben, so dass der planvolle und
sachgerechte Einsatz von Antikokzidia oder Lebendvakzinen in absehbarer Zeit die zentrale
Grundlage der Kokzidienbekämpfung bleiben wird.

Literaturverzeichnis
1. Williams RB. Intercurrent coccidiosis and necrotic enteritis of chickens: rational, integrated disease
management by maintenance of gut integrity. Avian Pathol. 2005;34:159-80.
2. Lee KW, Lillehoj HS, Jeong W, Jeoung HY, An DJ. Avian necrotic enteritis: Experimental models, host
immunity, pathogenesis, risk factors, and vaccine development. Poult Sci. 2011;90:1381-90.
3. Lee SH, Lillehoj HS, Dalloul RA, Park DW, Hong YH, Lin JJ. Influence of Pediococcus-based probiotic on
coccidiosis in broiler chickens. Poult Sci. 2007;86:63-6.
4. Wedel, J. Experimentelle Untersuchungen zur Wirksamkeit rekombinanter Antikörperfragmente gegen
Eimeria tenella-Infektionen beim Huhn. [Dissertation]. Hannover: Tierärztliche Hochschule; 2009.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 313


Nutzgeflügel
5. Belli SI, Mai K, Skene CD, Gleeson MT, Witcombe DM, Katrib M, Finger A, Wallach MG, Smith NC.
Characterisation of the antigenic and immunogenic properties of bacterially expressed, sexual stage
antigens of the coccidian parasite, Eimeria maxima. Vaccine. 2004;22:4316-25.
6. Weber FH, Genteman KC, LeMay MA, Lewis DO Sr, Evans NA. Immunization of broiler chicks by in ovo
injection of infective stages of Eimeria. Poult Sci. 2004;83:392-9.
7. Lee SH, Lillehoj HS, Park DW, Jang SI, Morales A, García D, Lucio E, Larios R, Victoria G, Marrufo D,
Lillehoj EP. Protective effect of hyperimmune egg yolk IgY antibodies against Eimeria tenella and Eimeria
maxima infections. Vet Parasitol. 2009;163:123-6.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin,
Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, [email protected]

314 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Immunisierungsstrategien zur Bekämpfung der Roten Vogelmilbe


Gustavo R. Makert1, Stefan Chabierski1, Susanne Vorbrüggen2, Maria E.
Krautwald-Junghanns2, Matthias Voss3, Sebastian Ulbert1
1Arbeitsgruppe Impfstoff-Technologien, Fraunhofer Institut für Zell Therapie und Immunologie IZI,
Leipzig; 2Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig; 3Lohmann Tierzucht GmbH, Cuxhaven

Einleitung
Die blutsaugende Rote Vogelmilbe (Dermanyssus gallinae) gilt als der Ektoparasit, der
europaweit die größten wirtschaftlichen Schäden in der Geflügelzucht verursacht. Die Milben
befinden sich tagsüber in Mauerritzen und anderen Stellen der Geflügel-Behausungen und
parasitieren meist nachts an den Hühnern. Dabei kann ein einzelnes Huhn von bis zu mehreren
tausend Milben gleichzeitig befallen werden. Die Schadwirkungen auf die Vögel sind vielfältig: zum
einem kommt es zu Ruhelosigkeit, Anämie und letztendlich zur Reduktion der Legeleistung. Zum
anderen gibt es Hinweise, dass die Rote Vogelmilbe auch als Vektor für Infektionserreger, oft sogar
zoonotischer Natur, fungiert. Daher stellen sie auch eine Gefährdung für Menschen dar, welche in
Kontakt mit Geflügel stehen.
Bisher werden die Milben vor allem durch den Einsatz verschiedener Chemikalien bekämpft,
welche die Milben direkt abtöten. Um die meisten dieser Akarizide anwenden zu können, müssen die
Geflügelställe allerdings erst geleert werden. Darüber hinaus wurde mehreren Produkten wegen
erheblicher unspezifischer Toxizität die Zulassung in Europa entzogen. Auch werden laufend
Resistenzbildungen von Milben gegen Akarizide beobachtet. Daneben gibt es die Möglichkeit der
biologischen Kontrolle, z. B. über Raubmilben. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich diese Methode
auch in großen Geflügelzuchtbetrieben bewährt. Folglich besteht ein großer Bedarf an der
Entwicklung neuartiger Strategien gegen D. gallinae.

Immunisierung gegen die Rote Vogelmilbe


Als Alternative zur direkten Bekämpfung von Parasiten gibt es die Möglichkeit, die Wirte gegen
diese Schädlinge zu immunisieren. Das Prinzip ist hierbei analog zur sehr etablierten Immunisierung
gegen Bakterien oder Viren: der Wirt wird mit dem inaktivierten Erreger oder einem aus diesem
isolierten Antigen geimpft und bildet eine protektive Immunantwort. Dazu gehören antigen-
spezifische T-Zellen sowie Antikörper. Bei einem Kontakt mit dem Erreger wird dieser dann durch
Antikörper oder T-Killer-Zellen abgetötet (Impfschutz).
Bei der Immunisierung gegen einen Ektoparasiten wie D. gallinae gibt es nun die Besonderheit,
dass der Impfschutz außerhalb des Wirts aktiv werden muss. Damit scheiden z. B. T-Zellen als
Effektor-Mechanismen weitestgehend aus. Antikörper dagegen zirkulieren im Blut und werden in
hohem Maße von blutsaugenden Milben aufgenommen. Haben diese Antikörper nun ihr Antigen
z. B. im Saugrüssel oder im Verdauungstrakt der Milben, so können sie schädlich für die Parasiten
sein und zu deren Abtötung führen. Auch könnten Antikörper gegen Komponenten des
Milbenspeichels (wie z. B. Gerinnungshemmer) die Blutmahlzeit der Parasiten effektiv behindern.
Bereits angewandt wird diese Technologie in einem zugelassenen Impfstoff gegen die
Rinderzecke Boophilus microplus, wie D. gallinae eine parasitierende Milbe. Der Impfstoff besteht
aus einem Protein (Bm86) des Verdauungstrakts des Parasiten und die Immunisierung von Rindern
führt zu einer deutlichen Reduktion des Zeckenbefalls (1).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 315


Nutzgeflügel

In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass auch die Immunisierung von Hühnern mit
inaktivierten Roten Vogelmilben (als Roh-Extrakt) einen Schutz vor D. gallinae auslöst (2). Allerdings
sind Roh-Extrakte aus Milben für die Impfstoff-Entwicklung nicht brauchbar, da die Herstellung solch
einer Vakzine viel zu aufwendig wäre. Darüber hinaus wird die Wirkung eines Impfstoffs durch
Verwendung eines starken Antigens in hoher Konzentration signifikant erhöht. Deshalb müssen die
Antigene der Roten Vogelmilbe, welche zur Bildung protektiver Antikörper führen, in den Roh-
Extrakten erst noch identifiziert werden. In diesem Zusammenhang wurde bereits das Zecken-
Protein Bm86 getestet, jedoch war dieses Antigen wirkungslos gegen D. gallinae, wo kein direktes
Homolog zu Bm86 gefunden werden konnte (3).
Eine Herangehensweise, die momentan am Fraunhofer IZI angewandt wird, ist die
Immunisierung von Hühnern mit hochreinen Extrakt-Fraktionen aus D. gallinae. Dadurch wird die
verabreichte Antigen-Vielfalt bereits stark reduziert und eine Identifizierung der interessanten
Antigene nach der Immunisierung erleichtert.
Das Vorhandensein protektiver Antikörper in geimpften Hühnern kann in vitro über ein
Fütterungssystem untersucht werden (Abb. 1). Dabei werden Rote Vogelmilben in ein Reagenzglas
gegeben, welches an der Öffnung mit Hühnerhaut bespannt ist. Auf die Hühnerhaut wird Blut
gegeben, vermischt mit gereinigten Antikörpern (IgY) aus Eiern geimpfter Hühner („spiking“).
Nun können leicht die Milben identifiziert werden, welche durch die Haut Blut gesaugt haben, da
deren Größe im Vergleich zu den „leeren“ Parasiten signifikant zunimmt. Die „gesättigten“ Milben
werden nun beobachtet und ihre Überlebensrate über einige Tage gemessen. Abbildung 2 zeigt ein
typisches Ergebnis eines solchen Fütterungs-Versuchs. Durch diese Daten wird deutlich, welche
Hühner protektive Antikörper gebildet haben. Die entsprechenden geimpften Extrakt-Fraktionen
werden nun biochemisch untersucht. Dabei werden die einzelnen Proteine aufgetrennt und mit den
Antikörpern inkubiert. Durch den Vergleich von mehreren Extrakt-Fraktionen und Kontroll-Antikörpern
werden interessante Antigene bestimmt. Diese werden nun über Proteomics-Methoden identifiziert.
Am Ende stehen dann mehrere Impfstoff-Kandidaten.

Abb. 1: In vitro Fütterungssystem für D. gallinae (siehe


Text). Modifiziert nach (2).

316 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Nutzgeflügel

Abb. 2: Überlebensrate von D. gallinae nach der


in vitro Fütterung von Antikörper-Präparationen
aus Hühnern, die mit verschiedenen Extrakt-
Fraktionen immunisiert wurden. Gruppe 4 zeigt
eine deutlich erniedrigte Überlebensrate, was auf
das Vorhandensein protektiver Antikörper
schließen lässt.

Literaturverzeichnis
1. Jonsson NN, Matschoss AL, Pepper P, Green PE, Albrecht MS, Hungerford J, Ansell Evaluation of
tickGARD(PLUS), a novel vaccine against Boophilus microplus, in lactating Holstein-Friesian cows. J. Vet.
Parasitol. 2000;88(3-4):275-85.
2. Wright HW, Bartley K, Nisbet AJ, McDevitt R, Sparks NHC, Brocklehurst S, Huntley JF. The testing of
antibodies raised against poultry red mite antigens in an in vitro feeding assay; preliminary screen for
vaccine candidates. Exp. Appl. Acarol. 2009;48:81-91.
3. Harrington D, Canales M, de la Fuente J, de Luna C, Robinson K, Guy J, Sparagano O. Immunisation with
recombinant proteins subolesin and Bm86 for the control of Dermanyssus gallinae in poultry. Vaccine.
2009;27(30):4056-63.

Kontaktadresse
Dr. Sebastian Ulbert, AG Impfstoff-Technologien, Fraunhofer Institut für Zell Therapie und
Immunologie IZI, Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 317


Nutzgeflügel

318 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

4 BIENEN

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 319


Bienen

Die Honigbiene: Biologie eines Superorganismus


Klaus Schildberger
Tier- und Verhaltensphysiologie, Institut für Biologie, Universität Leipzig

Die Organisation eines Bienenvolkes gleicht mit seiner Arbeitsteilung, seiner Kommunikation,
seinen effizienten Mechanismen zur Nahrungsgewinnung, Schutz und Fortpflanzung einem
komplexen Organismus, der in seiner Leistungsfähigkeit den Säugetieren nicht nachsteht. Der
Zusammenschluss von zehntausenden von Individuen zu einem funktionellen Ganzen wird oft als
Superorganismus bezeichnet.
Im Vortrag werden verschiedene Aspekte dieser funktionellen Einheit vorgestellt, wie etwa die
Erschließung von Ressourcen durch Rekrutierung, die Feinabstimmung bei der Brutaufzucht durch
Kontrolle der Stocktemperatur, die Anpassung an wechselnde Blütentracht durch individuelles
Lernen oder die architektonische Meisterleistung des Wabenbaus. Der Bienenstaat ist aber keine
heile platonische Welt, sondern von Konflikten durchsetzt, die sich aus unterschiedlichen Interessen
der Individuen speisen und manchmal sogar tödliche Formen annehmen können.
Der Superorganismus Bienenstaat ist mehr als die Summe seiner Individuen und besitzt mehr
Eigenschaften als die einzelne Biene. Umgekehrt beeinflusst die Kolonie viele Eigenschaften der
Einzeltiere.

„Der Bienenstaat gleicht einem Zauberbrunnen; je mehr man daraus schöpft, desto reicher fließt er“
(Karl v. Frisch)

„Wenn die Biene von der Erde verschwindet, dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben:
keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr...“
(Albert Einstein)

Weiterführende Literatur
1. Tautz J. Phänomen Honigbiene. Spektrum; 2007.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Klaus Schildberger, Tier- und Verhaltensphysiologie, Institut für Biologie, Universität
Leipzig, [email protected]

320 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen

Allgemeines zu Bienenkrankheiten
Heike Aupperle
Laboklin GmbH & Co KG, Bad Kissingen

Einleitung
Bienenkrankheiten werden nach ihrer Ätiologie in die infektiösen (bakteriell, mykotisch, viral,
parasitär) und die nicht-infektiösen Erkrankungen (Vergiftungen, Haltungsfehler, Bienenschädlinge)
eingeteilt. Auf Grund der spezifischen diagnostischen Besonderheiten werden, unabhängig von der
Ätiologie, die Erkrankungen der Brut und die Erkrankungen der erwachsenen Biene sowie die
Bienenschädlinge unterschieden.
In den Tabellen 1–3 finden Sie eine Auflistung der wichtigsten Bienenkrankheiten, von denen
zwei in Deutschland anzeigepflichtig sind. Die Faulbrut, die Kalkbrut und die Varroose sind
heutzutage die praxisrelevantesten Erkrankungen.

Tabelle 1: Übersicht über die Brutkrankheiten der Honigbiene


Krankheit der Bienenbrut Erreger
Bösartige Faulbrut Bakterium: Paenibacillus larvae Anzeigepflicht!
Europäische Faulbrut Bakterium: Verschiedene Bakterien
Kalkbrut Schimmelpilz: Ascophaera apis
Steinbrut Schimmelpilze: Aspergillus flavus und Aspergillus fumigatus
Varroatose Parasit (Milbe): V. destructa
Tropilaelapsmilben Parasit (Milbe): Tropilaelaps clareae,
Tropilaelaps koenigerum Anzeigepflicht!
Sackbrut Virus: Morator aetatulae
Deformierte Flügel-Virus Virus: Deformed Wing Virus
Schwarze Königinnen Krankheit Virus: Black Queen Cell Virus
Kaschmir Bienen Virus Virus: Kaschmir Bienen Virus

Klinische Diagnostik von Bienenkrankheiten


Die klinische Diagnose beginnt mit der Besichtigung des Bienenbestandes und legt ein
Hauptaugenmerk auf die Hygiene (Lagerräume für Waben, Gerätschaften, Schleuderraum, Kleidung
des Imkers) und die Haltungsbedingungen.
Die Fluglochbeobachtung gibt Aufschluss über die Flugaktivität und darüber, was die Bienen in
die Beute hinein und hinaus tragen. Es kann z. B. beurteilt werden, welche Laute zu hören sind: ein
geschäftiges brummendes oder ein aufgeregtes hektisches Summen? Außerdem kann
aufschlussreich sein, was auf dem Flugbrett und vor der Beute auf dem Boden liegt. Bei der
Interpretation dieser Beobachtungen ist es allerdings wesentlich zu wissen, ob die Beobachtungen
zur Jahreszeit, zum Wetter und der Tageszeit passen!

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 321


Bienen
Tabelle 2: Übersicht über die Krankheiten der erwachsenen Honigbiene
Krankheiten der erwachsenen Biene Erreger
Bakterielle Septikämie Bakterium: Pseudomonas asepticus
Tracheenmilbenkrankheit Parasit (Milbe): Acaparis woodi
Nosematose Pilz: Nosema apis
Amöbenruhr Parasit (Einzeller): Malphigamöba mellifica
Ansteckende Schwarzsucht Virus: Chronisches Paralysevirus
Vergiftungen
Maikrankheit Wassermangel
Ruhr Gestörte Winterruhe
Nicht ansteckende Schwarzsucht Nicht infektiös, verschiedene Ursachen!

Tabelle 3: Übersicht über die Bienenschädlinge der Honigbiene


Bienenschädlinge
Kleiner Beutekäfer Aethina tumida Anzeigepflicht!
Wachsmotten
Bienenläuse

Beim Öffnen der Beute erlangt man einen Eindruck von der Volksstärke und möglicherweise
sieht man unerwünschte Mitbewohner (Ameisen, Beutekäfer etc).
Zu der speziellen Untersuchung gehört die Beurteilung des Gemülls:
Als „Gemüll“ werden die abgenagten Zellbestandteile, tote Bienen und sonstige Partikel bezeichnet,
die in der Beute zu Boden fallen. Viele tote Bienen im Sinne des Wintertotenfall sind normal. Sie
können aber, im klinischen Kontext beurteilt, auch auf Varroose, Nosematose, Tracheenmilben,
Weisellosigkeit oder Futtermangel hinweisen. Viele Kotflecken zeigen ein Durchfallgeschehen an.
Die Anzahl der Varroamilben ist diagnostisch besonders wichtig. Feuchtes schimmeliges Gemüll
findet man oft bei niedrigen Außentemperaturen.
Die Untersuchung der Waben zeigt, ob und inwieweit Wabenhygiene betrieben wird (Farbe der
Waben). Gravierende Befunde bei gelagerten Waben sind Schimmel, Fraßgänge von Wachsmotten
und Kotflecken auf den Waben (Durchfallproblematik).
Leitsymptome an den Waben, die erste Rückschlüsse auf die Ätiologie ermöglichen, sind z. B.
löchriges Brutbild, Mumien, Missbildungen, Durchfall. Das allgemeine Kardinalsymptom von
Brutkrankheiten (z. B. Varoose) findet man in der verdeckelten Brut in Form von eingefallenen,
löchrigen, rissigen Zelldeckeln. Das Bild der sog. Buckelbrütigkeit gibt Hinweise auf einen Verlust der
Königin.
Betrachtet man die Maden, so können ebenfalls hinweisende Befunde erhoben werden: Gelblich
verfärbte Rund- oder Streckmaden, die „verdreht“ in der Zelle liegen, sind typischerweise bei der
Europäischen oder der Amerikanischen Faulbrut zu finden. Bildet sich eine zähe fadenziehende
Masse, so spricht dies für die Bösartige Faulbrut (Anzeigepflicht!).
Weiße, grau-grüne oder schwarze Mumien sind typisch für Pilzerkrankungen. Während bei der
Kalkbrut die Mumien locker in der Zelle liegen, sitzen sie bei der Steinbrut fest in der Zelle. Die

322 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
Kalkbrutmumien können deshalb bei erhaltenem Putztrieb leichter von den Bienen entfernt werden
als Steinbrutmumien.
Eingefallene, löchrige, rissige Zelldeckel mit lockerem Schorf findet man sowohl bei der
Europäischen Faulbrut als auch bei der Sackbrut. Sind die Streckmaden gelblich, sackförmig
(Häutungsstörungen) und ist ihr Kopf nach vorne gerichtet, so spricht dies für die Sackbrut.
Grauschwarze Rundmaden treten bei Unterkühlung oder Futtermangel auf, aber im Gegensatz
zu anderen Krankheiten sind die Vorpuppen oder Puppen gut zu erkennen.
Intoxikationen, die auf die Häutungsabläufe einwirken, können zu unterschiedlichen Formen von
Missbildungen bei der Brut führen.
Folgende Befunde sind an den erwachsenen Bienen zu erheben: Ektoparasiten, wie die
Varroamilben, sind bei stärkerem Befall direkt auf den Bienen zu erkennen. Allerdings muss man
genau hinschauen, um die Bienenläuse von der Varroamilbe zu unterscheiden. Die Bienenläuse
findet man v. a. auf der Königin.
Differenzialdiagnostisch ist auch noch an die Tropilaelapsmilbe zu denken, die anzeigepflichtig
ist. Sie kommt bei uns bislang nicht vor, und man vermutet, dass sie in unseren Breiten den
brutfreien Winter nicht überstehen würde, da sie nur in der Brut und nicht auf den erwachsenen
Bienen überlebt.
Findet man bei erwachsenen Bienen Anzeichen von Atemnot, so ist an einen
Tracheenmilbenbefall zu denken. Die Bienen krabbeln und hüpfen dann vor der Beute auf dem
Boden herum.
Missbildungen des Körpers und der Flügel können beispielsweise infolge einer Varroainfektion,
bei Unterkühlung oder bei Vergiftungen auftreten.
Schwarz erscheinende Bienen mit dem Bild der sog. Schwarzsucht haben ihre Häarchen
verloren, was durch Räuberei, aber auch durch Virusinfektionen bedingt sein kann.

Probenentnahme
Bei Verdacht auf Amerikanische Faulbrut und bei Vergiftungsverdacht ist die Probenentnahme
nur im Beisein des Amtstierarztes bzw. eines Bienensachverständigen erlaubt!
Allgemein gelten die bekannten Empfehlungen für den Versand von Proben zur
mikrobiologischen Untersuchung.
Will man das Gemüll untersuchen lassen, so versendet man die Windel in einer Papiertüte und
nicht in einer Plastiktüte, um Schimmelbildung zu verhindern.
Zum Nachweis von Protozoen sollte man am besten frisch abgetötete Bienen einsenden. Bei
Verdacht auf eine Virusinfektion empfiehlt es sich, zeitlich getrennte Proben entnehmen, damit der
Verlauf der Infektion erfasst werden kann.
Zur Diagnose von Erkrankungen der erwachsenen Bienen reichen in der Regel 30 Bienen aus.
Lebende Bienen kann man durch Tieffrieren abtöten. Die Bienen werden in luftdurchlässigen
Behältnissen versandt, damit die Verwesung nicht gefördert wird.
Vergiftungen von Bienenvölkern zu untersuchen ist Aufgabe der einzigen Untersuchungsstelle für
Bienenvergiftungen, des Julius-Kühn-Instituts, Braunschweig. Die Voraussetzung ist eine
sachgerechte und repräsentative Entnahme von Bienen- und Pflanzenproben. Eine Bienenprobe
muss etwa 1000 tote Bienen (Gewicht ca. 80 bis 100 g), eine Pflanzenprobe mindestens 100 g
Pflanzenmaterial enthalten.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 323


Bienen
Therapiemaßnahmen
Außer für die Behandlung der Varroose sind in Deutschland grundsätzliche keine Medikamente
zur Behandlung von Bienenkrankheiten zugelassen.
Die meisten Krankheiten lassen sich mit imkerlichen Maßnahmen vermeiden, therapieren oder
zumindest ausgleichen. Dabei stehen immer eine Förderung des Putztriebes sowie die Stärkung des
Volkes durch optimale Fütterung und Haltung im Vordergrund. Maßnahmen, wie z. B. das
Umweiseln oder das Zusammenlegen von Völkern stärken die Bienengemeinschaft. Außerdem
können verschiedene Kunstschwarmverfahren angewendet werden.
Die Varroabehandlung ist die einzige zugelassene medikamentöse Behandlung von
Bienenkrankheiten. Aber auch hier gilt: erst die Diagnose, dann die Therapie! Die Diagnose erfolgt
über die Beurteilung des Milbentotenfall (Gemüll). Eine Indikation zur Behandlung besteht bei mehr
als drei toten Milben pro Tag.
Das Behandlungsregime der Varoose umfasst imkerliche Maßnahmen wie die Zerstörung der
Drohnenwaben und medikamentöse Therapien mit Säuren oder z. B. mit Bayvarol®. Es ist die
Verschreibungs- bzw. Apothekenpflicht und die Dokumentationspflicht zu beachten. Die Säuren
werden aufgeträufelt (Oxalsäure) oder aufgesprüht bzw. verdampft (Milch- und Ameisensäure).
Hierbei ist stets der Arbeitsschutz zu beachten, um Verätzungen zu vermeiden.
Die Reinigung und Desinfektion von Gerätschaften erfolgt mittels Abflammen der Rähmchen
(sehr zeitaufwendig und evtl. nicht vollständig) oder mittels heißem Ätznatron (5%ig). Vorsicht beim
Umgang mit Hitze, Säuren und Laugen: Schutzhandschuhe, Schutzbrille tragen! Nicht desinfizierbar
sind: Bienenkörbe, Bienenbesen, Gänseflügel, alte und rissige Beuten und Rähmchen. Sie sollten
verbrannt werden. Honig von Völkern mit Amerikanischer Faulbrut stellt keine Gefahr für Menschen
dar, ist aber hochinfektiös für Bienen! Daher ist die Kennzeichnung als Seuchenwachs zu beachten
und alles Gerät, das zur Honiggewinnung dient, zu desinfizieren! Ist eine Sanierung nicht möglich, so
bleibt nur das Abtöten von Völkern.
Abschließend kann also festgestellt werden, dass die Diagnose und Therapie der
Bienenkrankheiten detailliertes tierärztliches Fachwissen erfordert und nicht den Imkern allein
überlassen werden sollte.

Kontaktadresse
PD Dr. Heike Aupperle, Laboklin GmbH & Co KG, Bad Kissingen,[email protected]

324 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen

To bee or not to bee – Situation und Perspektiven der


Varroabekämpfung
Pia Aumeier1, Otto Boecking2, Gerhard Liebig3
1Ruhr-Universität Bochum, AG Verhaltensbiologie & Didaktik der Biologie; 2Institut für Bienenkunde
Celle, LAVES; 3UniversitätHohenheim, Landesanstalt für Bienenkunde

Varroa destructor, die Herausforderung für die Imkerei


Varroamilben (Acari, Mesostigmata) sind faszinierende Lebewesen, die sich mit
beeindruckenden Strategien perfekt an ihren Wirt, die Honigbiene, angepasst haben (1). Sowohl
dem Ursprungswirt Apis cerana F., als auch afrikanisierten Bienenrassen gelingt es, in dauerhafter
Koexistenz mit diesem obligaten Ektoparasiten zu leben. Dies liegt vermutlich vor allem an
bienenspezifischen Eigenschaften, wie der Beschränkung der Milbenreproduktion, der Bienen-
Populationsdynamik oder dem Hygieneverhalten (1,2). Die europäischen Rassen der inzwischen
weltweit intensiv genutzten Westlichen Honigbiene Apis mellifera L., verfügen jedoch nicht über
ausreichende Abwehrmechanismen gegen Varroa destructor. Züchterische Bemühungen,
Resistenzeigenschaften zu selektieren, schlugen bislang fehl. Umso bedeutender für eine dauerhafte
Gesunderhaltung der Bienen ist daher die gezielte und korrekt terminierte Bekämpfung des
Parasiten. Seriöse Studien der letzten Jahre zeigen: vieldiskutierte Mortalitätsfaktoren wie z. B.
Pestizidrückstände in Pollenvorräten deutscher Bienenvölker, wiesen bisher keine für die
Überlebensfähigkeit relevanten Konzentrationen auf (3). Vielmehr wird die Mortalität europäischer
Bienenvölker heute ganz elementar vom imkerlichem Knowhow aktueller Varroa-
Bekämpfungsstrategien beeinflusst (Abb.1).

Abb 1: Bienenvölkerverluste treten vor allem im Winter


auf. Außenfaktoren spielen dabei nur eine marginale
Rolle, maßgeblich ist die imkerliche Betriebsweise.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 325


Bienen
Pathogenese und Epidemiologie der Varroose
In europäischen Bienenvölkern befinden sich während der Brutsaison von Februar bis Oktober
stets etwa 80 % der Milbenpopulation in der reproduktiven Phase in Brutzellen (1).
Arbeiterinnenlarven werden ab 20, Drohnen ab 50 Stunden vor der Verdeckelung befallen. Die
Verpaarung der jungadulten Milben erfolgt noch innerhalb der gedeckelten Zelle, bei Einfachbefall
also zwischen Bruder und Schwestern. Nach nur 12 Tagen schlüpfen im Mittel 1,4 erwachsene
Tochtermilben mit der Jungbiene aus jeder Arbeiterinnenbrutzelle. In Drohnenbrut beträgt der
Reproduktionserfolg sogar 2,6 Töchter. Innerhalb weniger Stunden wechseln die Milben dann wieder
auf ältere Stockbienen, was die Wahrscheinlichkeit, bald wieder an eine Brutzelle herangetragen zu
werden enorm erhöht.
In intakten Bienenvölkern verhundertfacht sich die Milbenpopulation im Laufe einer Bienensaison
von Februar bis Oktober (5,6). Werden nur kurzlebige „Sommerbienen“ parasitiert, führt das selten
zu irreparablen Schäden. Ein normal starkes Volk von etwa 20.000 Bienen erträgt bis Mitte August
problemlos 10.000 Milben. Bedingt durch die saisontypische Abnahme der Brutzellenzahl kommt es
ab August jedoch zum Mehrfachbefall von sich entwickelnder Bienenbrut. So parasitierte Jungbienen
leiden als Imago durch den erlittenen Hämolymphverlust sowie beim Milbenstich übertragene
Pathogene unter Missbildungen (sog. Sekundärinfektionen, 7) und subsequent stark verringerter
Lebenserwartung und Verhaltensänderungen. Sie überstehen keinesfalls die lange brutfreie
Winterphase. Bricht ein Volk zusammen, steigen die phoretischen Milben auf die sich einfindenden
„Räuberbienen“ anderer Völker um.
Bei nur oberflächlicher Wabendurchsicht fallen die klinischen Symptome der Varroose gerade in
starken Völkern zunächst kaum auf. Betroffene ImkerInnen werden dann durch vermeintlich
unerklärliche Volkszusammenbrüche bereits zwei oder drei Jahre nach deren Bildung überrascht.
Wird ein solch stark parasitiertes Volk jedoch rechtzeitig, also vor der Aufzucht der langlebigen
Winterbienen ab Mitte August, von seiner Milbenlast befreit, entwickelt es sich gesund weiter. Der
starke Befall der Sommerbienen hat dann keine nachhaltige Schädigung der von ihnen
aufgezogenen Winterbienen zur Folge.

Problematik der Varroa-Bekämpfung


Mitteleuropäische Bienenvölker müssen regelmäßig (mindestens jährlich) und rechtzeitig (vor
Aufzucht der Winterbienen ab Mitte August) behandelt werden, um sie vor dem Ausbruch der
Varroose zu bewahren. Prämissen für diese Behandlung sind: kein Einsatz chemischer Mittel
während des Eintrags und der Verarbeitung von Honig, sowie kein Einsatz rückstands- oder
resistenzbildender Mittel. In Deutschland werden Rückstände fettlöslicher Substanzen in 60 % aller
Wachs- und 30 % aller Honigproben gefunden (8,9). Milben sind bereits gegen Wirkstoffe der
zugelassenen Mittel Bayvarol© (Pyrethroide) und Perizin (Coumaphos) resistent (1). Die 2008 medial
intensiv dargestellte Problematik des US-amerikanischen „Colony Collapse Disorder“ ist
höchstwahrscheinlich auf Resistenzerscheinungen der Milbe gegenüber Akariziden zurückzuführen.
Jedoch auch geeignete Varroazide verfehlen ihre Wirkung, wenn sie inkonsequent oder zum
falschen Zeitpunkt appliziert werden. So vermögen Thymolpräparate aufgrund ihrer fehlenden
Wirksamkeit in die verdeckelte Brut nur schwach befallene Völker zu sanieren. Ebenso findet
Oxalsäuredihydratlösung leider in der imkerlichen Praxis vermehrt auch in brütenden Völkern
Anwendung, kann jedoch ausschließlich phoretische Milben töten. Die wasserlösliche Ameisensäure
wiederum wirkt nur, wenn nicht gleichzeitig Futter gereicht und auf eine ausreichend hohe
Außentemperatur geachtet wird. Besonders problematisch ist mangelhafte Diagnostik: nur in
326 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3
Bienen
Ausnahmefällen überprüfen ImkerInnen Behandlungsnotwendigkeit und/oder -erfolg. Die teils
mangelhafte, sowie räumlich und zeitlich variierende Zulassungssituation der Varroazide
demoralisiert Anwender zusätzlich (Abb. 2).

Tabelle 1: Übersicht über die Notwendigkeit und Art jahreszeitlich angepasster Varroa-
Bekämpfungsstrategien. Der natürliche Milbentotenfall informiert dabei zuverlässig
über den Befallsgrad und Behandlungserfolg.
Wirtschaftsvolk
Ableger
(und starker Schwarm)
in brutfreier Phase mit
Drohnenrahmen
April bis Juli mind. 3 x 1x Milchsäure (15%)
schneiden
einsprühen
direkt nach dem
nur wenn nötig nur wenn nötig vor Auffütterung
Abschleudern
Notbehandlung durch
zwischen Mitte Juli Notbehandlung durch
(natürlicher (natürlicher Ameisensäure
und Mitte August Ameisensäure
Milbenfall >10 Milbenfall >5 (60/85%ig)
(60/85%ig) verdunsten
Varroa/d) Varroa/d) verdunsten lassen
lassen
vor Auffütterung
Ameisensäure
ab Mitte August 1x --------- ---------
(60/85%ig) verdunsten
lassen
1x nach Auffütterung 1x nach Auffütterung
zwischen Anfang
(kann entfallen Ameisensäure (kann entfallen Ameisensäure
und Mitte
wenn <5 (60/85%ig) verdunsten wenn <1 (60/85%ig)
September
Varroa/d) lassen Varroa/d) verdunsten lassen

1x Restentmilbung durch 1x Restentmilbung durch


zwischen Ende
Beträufeln von Beträufeln von
November und (kann entfallen (kann entfallen
Oxalsäuredihydrat- Oxalsäuredihydrat-
Mitte Dezember wenn <1 wenn <1
lösung (3,5%ig) lösung (3,5%ig)
Varroa/d) Varroa/d)

Abb. 2: Aktuell in Deutschland


zugelassene Varroazide und deren
Problematik. Fettlösliche
Komponenten bergen bei
längerfristigem Einsatz die Gefahr
von Rückständen und Resistenzen.
Organische Säuren sind die Mittel
der Zukunft.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 327


Bienen
Varroa destructor im Griff mit alternativen Mitteln im Konzept
Nachhaltige und effektive Varroa-Bekämpfung besteht aus einer Kombination von Strategien, die
jahreszeitlich gestreut und jeweils zum Zeitpunkt ihrer optimalen Wirksamkeit eingesetzt werden
(Tabelle 1):
 Von April bis Juli ziehen Honigbienen Drohnenbrut auf, die besonders attraktiv für
reproduktionswillige Milbenweibchen ist. In gezielt eingesetzten Rähmchen gestattet der/die
ImkerIn zunächst die Aufzucht männlicher Brut, entnimmt und vernichtet diese jedoch,
sobald die Zellen gedeckelt sind. Die darin gefangenen Milben werden effizient in einer
natürlichen Falle eleminiert. Gelingt es, 3–5 Drohnenwaben pro Volk und Saison auf diese
Weise zu „ernten“, wird die Entwicklung des Varroabefalls spürbar gebremst.
 Neu gebildete „Ableger“ werden nicht zur Honigernte eingesetzt und können daher ohne
Gefährdung der Honigqualität auch im Zeitraum April bis Juli mit einem Varroazid behandelt
werden. Sie werden während ihrer brutfreien Phase mit Milchsäure (15%ig) eingesprüht.
 Nach der letzten Honigernte ab Ende Juli schrumpfen Bienenvölker und bereiten sich so
auf den Winter vor. Nun legt der/die ImkerIn mit der Spätsommerpflege den Grundstein für
den imkerlichen Erfolg im nächsten Jahr: altes Wabenwerk wird entnommen (beugt
Brutkrankheiten vor), Ersatzfutter verabreicht und zwei- oder dreimal Ameisensäure
(optimalerweise 85%ig) gegen die Varroamilbe eingesetzt. Diese wasserlösliche Säure ist
das einzig bekannte Varroazid, das auch Milben in der reproduktiven Phase zu töten
vermag. Je höher dabei die Konzentration der eingesetzten Säure und je simpler der
Dispenser, desto sicherer ist auch bei ungünstigen Witterungsbedingungen und/oder später
Behandlung im September ein guter Behandlungserfolg zu erzielen. Dispenser, die dabei
Säure nicht schlagartig, sondern aus einem Reservoir sukzessive freisetzen, wirken
zuverlässiger und verursachen auch in den Händen Unerfahrener selten Schäden an Brut,
Bienen oder Königin.
 Elementarer Bestandteil jedes erfolgversprechenden Konzeptes ist die Beurteilung von
Notwendigkeit und Wirkung jeder Behandlung mit Hilfe der sogenannten „Gemülldiagnose“.
Eine unter den vergitterten Kastenboden geschobene weiße Einlage fängt dabei die ohne
Behandlung täglich tot herabfallenden Milben auf. Die Höhe dieses Falls gibt verlässlich
Aufschluss über die im Volk vorhandene Milbenpopulation.
 Im November und Dezember während ihrer winterlichen Ruhephase ziehen Bienen keine
Brut auf, alle Varroamilben können daher in ihrer phoretischen Phase durch einmaliges
Aufträufeln von Oxalsäure-Dihydratlösung (3,5%ig) auf die eng sitzende
Winterbienentraube besonders wirkungsvoll abgetötet werden. Die wenigen überlebenden
Milben können dann bis in den nächsten Spätsommer keinen nachhaltigen Schaden
anrichten.

Das vorgestellte Konzept bewährt sich seit 2008 im inzwischen größten bundesweiten
Verbundforschungsprojekt (finanziert von BLE/BMELV FKZ 2813301507) in inzwischen 150 Hobby-,
Berufs-, und Instituts-Imkereien. Es verzichtet vollständig auf den Einsatz chemischer Mittel während
der Tracht, sowie rückstands- oder resistenzbildender Varroazide. Die beteiligten Imkereien
verzeichneten durchgehend minimale Völkerverluste (Abb. 1). Das Erfolgsrezept: jede sinnvolle
Behandlung ist abgestimmt auf den Befallsgrad und die Entwicklung des Bienenvolkes.

Literaturverzeichnis
1. Rosenkranz P, Aumeier P, Ziegelmann B. Biology and control of Varroa destructor. J. Invert. Pathol.
Supplement. 2110;103:96-S119.
2. Rath W. Co-adaptation of Apis cerana Fabr. and Varroa jacobsoni Oud. Apidologie. 1999;30:97-110.

328 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
3. http://www.innovation-naturhaushalt.de/fileadmin/user_upload/Innovation_und_Naturhaushalt/
iunweb/downloads/250211_DEBIMO_Studie_final.pdf
4. Liebig G, Aumeier P, Boecking O. Beekeeping without losses by Varroa spec. – every year and
everywhere. Abstract der Tagung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Bieneninstitute in Berlin: Apidologie;
in press; 2011.
5. Calis JNM, Fries I, Ryrie SC. Population modelling of Varroa jacobsoni Oud. Apidologie. 1999;30: 111-24.
6. Fries I, Camazine S, Sneyd J. Population dynamics of Varroa jacobsoni: a model and a review. Bee World.
1994;75:5-28.
7. Genersch E, Aubert M. Emerging and re-emerging viruses of the honey bee (Apis mellifera L.) 2010;41:6-
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9. Bogdanov S. Contaminants of bee products. Apidologie. 2006;37:1-18.

Kontaktadresse
Dr. Pia Aumeier, AG Verhaltensbiologie & Didaktik der Biologie, Ruhr-Universität Bochum,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 329


Bienen

Virulenz und Virulenzfaktoren von Paenibacillus larvae


Elke Genersch
Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e. V., Hohen Neuendorf b. Berlin

Paenibacillus larvae
Das Gram-positive Bakterium Paenibacillus larvae (P. larvae) ist der Erreger der Amerikanischen
Faulbrut (AFB), einer weltweit verbreiteten Erkrankung der Brut der Westlichen Honigbiene (Apis
mellifera) (1). Die AFB ist unter den Bedingungen der modernen Bienenhaltung (Aufstellen vieler
Völker auf engem Raum, Austausch von Bienen- und Beutenmaterial innerhalb eines Bienenstands)
hoch ansteckend. Da sie außerdem zum Zusammenbruch ganzer Völker führen kann, wird sie in den
meisten Ländern als Tierseuche eingestuft. In diesen Ländern gilt das Abtöten erkrankter Völker und
das Vernichten des kontaminierten Materials oft als die wirkungsvollste Maßnahme, um eine weitere
Ausbreitung der Seuche von einem erkrankten Bienenstand aus zu verhindern.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Laufe der letzten 100 Jahre zu P. larvae gewonnen
wurden, hatten u. a. mehrmals Namensänderungen des Erregers der AFB zur Folge. In der älteren
Literatur finden sich daher die Bezeichnungen Bacillus larvae und Paenibacillus larvae larvae, die
heute nicht mehr gültig sind. Auch der früher als Bacillus pulvifaciens, Paenibacillus pulvifaciens bzw.
Paenibacillus larvae pulvifaciens bezeichnete Erreger, der als Verursacher der „powdery scale
disease“ galt, konnte letztendlich als P. larvae klassifiziert werden, da auch er in erkrankten Larven
die Symptome der AFB verursacht (1–5).
P. larvae ist ein stäbchenförmiges, rundherum begeißeltes Bakterium. Nach der Teilung bleiben
bei P. larvae die Bakterien aneinander hängen, sodass sich lange Ketten bilden, die sich mit Hilfe der
Geißeln aktiv und schnell fortbewegen. P. larvae hat die Fähigkeit, auf widrige Bedingungen wie z. B.
Nahrungsmangel mit der Bildung von Sporen zu reagieren. Nur diese Sporen, nicht die vegetativen
Bakterien, sind infektiös und lösen bei jungen Bienenlarven (bis zum Alter von ca. 36 Stunden nach
Eischlupf) eine AFB-Erkrankung aus, wenn sie oral über das Larvenfutter aufgenommen werden (6).
Ältere Larven und erwachsene Bienen sind resistent, d. h. sie erkranken nicht, wenn sie die Sporen
von P. larvae aufnehmen (7). Bei der Sporulation werfen die vegetativen Bakterienzellen ihre
Geißeln ab, die sich dann zu wellenförmigen Geißelzöpfen zusammenlagern. Die Sporen sind die
Dauerform von P. larvae. Sie sind äußerst widerstandsfähig und verlieren jahrelang selbst unter
extremen Bedingungen nicht ihre Infektiosität.
Die Infektion junger Larven erfolgt über die Aufnahme sporenhaltigen Futters (8). Die Sporen
keimen im Mitteldarm der Larven aus. Die vegetativen Bakterien vermehren sich zunächst im
Darmlumen, wobei die Fähigkeit von P. larvae, Fruktose, Glukose und andere im Nektar/Honig
vorkommende Zucker zu verstoffwechseln, eine Voraussetzung dafür ist, dass dieser Keim quasi als
Kommensale im Darm der Larve vom Larvenfutter leben kann (9,10). In dieser frühen Phase der
Infektion ist keine Schädigung des Darms zu beobachten (9). In einer späteren, invasiven Phase
durchdringt P. larvae die Darmwand und breitet sich im gesamten Larvengewebe aus (9). Die
erkrankten Tiere sterben und werden von P. larvae vollständig zu einer schleimigen Masse zersetzt.
Diese Faulbrutmasse und später dann der eingetrocknete, festsitzende Faulbrutschorf enthalten
ausschließlich P.-larvae-Bakterien bzw. P.-larvae-Sporen (8). Diese Sporen dienen der weiteren
Ausbreitung der AFB im infizierten Volk und werden z. B. bei der Reinigung der Brutzellen durch die
Arbeiterinnen im Brutnest verbreitet und ins Futter eingetragen.

330 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
Virulenz und Virulenzunterschiede von P. larvae
Mit Hilfe einer PCR-basierten Genotypisierung (rep-PCR) kann der Erreger der AFB, P. larvae, in
vier Genotypen eingeteilt werden (ERIC I–IV) (1,11). Diese vier Genotypen weisen auch
phänotypische Unterschiede auf, u. a. in der Sporenmorphologie im Elektronenmikroskop, in der
Koloniemorphologie auf Schafblutagar, in den biochemischen Eigenschaften und in der Virulenz
sowohl für die einzelne Larve als auch für das erkrankte Volk (1,10,12,13). Da regelmäßig nur die
beiden P.-larvae-Typen ERIC I und ERIC II als Erreger von AFB-Ausbrüchen nachgewiesen werden,
soll im weiteren Verlauf auch nur auf diese beiden Typen eingegangen werden.
P. larvae ERIC I und ERIC II unterscheiden sich deutlich in ihrer Virulenz den Larven gegenüber:
Der P.-larvae-Typ ERIC II tötet die infizierte Bienenbrut innerhalb von sechs bis sieben Tagen,
wogegen der Typ ERIC I ungefähr doppelt so lange, d. h. elf bis zwölf Tage braucht, bis alle
infizierten Larven tot sind (12). Dieser Unterschied ist für die Praxis bedeutsam, da Brutkrankheiten
im Bienenvolk über das sog Hygieneverhalten bekämpft werden (14). Die die Brut pflegenden
Arbeiterinnen im Alter von ca. 15–17 Tagen sind in der Lage, erkrankte und tote Larven zu erkennen
und auszuräumen (15). Dieses Erkennen ist besonders einfach und effektiv, wenn die Brutzellen mit
den Larven noch nicht verdeckelt sind. Larven, die erkennbar krank sind, werden aus unverdeckelten
Brutzellen fast vollständig von den Bienen ausgeräumt, während kranke Larven und Puppen in
verdeckelten Brutzellen nur noch in Ausnahmefällen oder von besonders „hygienischen“ Bienen
erkannt und ausgeräumt werden.
Für die Virulenz-Unterschiede bei den P.-larvae-Genotypen ERIC I und ERIC II bedeutet das
Folgendes: Dadurch, dass P.-larvae-ERIC II die Larven innerhalb von 6–7 Tagen tötet, sterben die
meisten infizierten Tiere (90–95 %) noch vor der Verdeckelung der Brutzellen und können effektiv
erkannt und ausgeräumt werden. Das Ausräumen der erkrankten Tiere behindert die Sporenbildung,
da der Erreger mit den Larven aus dem Volk entfernt wird, bevor er massiv Sporen bildet. Eine
Infektion mit P.-larvae-ERIC II kann sich deshalb nicht so schnell im Volk ausbreiten, bzw. kann über
eine längere Zeit unerkannt verlaufen, da sich nur wenige Zellen mit fadenziehender Masse oder
Faulbrutschorf bilden werden. Die fadenziehende Masse und der Faulbrutschorf entstehen nämlich
nur dann, wenn die infizierten Larven verdeckelt werden, im verdeckelten Stadium sterben und von
den Bienen unerkannt von P. larvae zersetzt werden – wie es bei Infektionen mit P.-larvae-ERIC I
der Fall ist. Hier stirbt die Mehrheit der infizierten Larven erst nach der Verdeckelung der Brutzelle.
Das Hygieneverhalten kann hier also nicht so gut wirken und die erkrankten und toten Larven
werden weniger effektiv ausgeräumt. Fadenziehende Masse und später der Sporen enthaltende
Faulbrutschorf bildet sich in wesentlich mehr Zellen, wodurch eine größere Menge an Sporen
entsteht. Das wiederum führt dazu, dass sich diese Infektion schneller im Volk ausbreiten kann und
das Volk schneller zusammenbricht. Es bedeutet aber auch, dass Infektionen mit P.-larvae-ERIC I
eher anhand der klassischen klinischen Symptome (fadenziehende Masse, Faulbrutschorf) auffallen.
P.-larvae-ERIC I dürfte daher bei einer visuellen Inspektion der Völker leichter zu erkennen sein als
P.-larvae-ERIC II. Diese Zusammenhänge wurden zuerst nur aus den Ergebnissen der
Laborversuche abgeleitet, konnten dann aber in Versuchen mit weiselrichtigen Minivölkern (kleine
Völker mit Königin) bestätigt werden (13).

Virulenzfaktoren von P. larvae


Es ist von großem wissenschaftlichen und praktischen Interesse, die genetischen Faktoren zu
kennen, die die Virulenzunterschiede bei P. larvae bedingen. Eine sehr potente Methode zur
Identifizierung genomischer Unterschiede ist die in der vergleichenden Genomanalyse häufig

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 331


Bienen
angewendete subtraktive Suppressions-Hybridisierung. Mithilfe dieser Methode ist es uns gelungen,
eine Reihe von Genen zu identifizieren, in denen sich die beiden Genotypen ERIC I und ERIC II
unterscheiden (16). Einige dieser Gene sind gute Kandidaten für Virulenzfaktoren. So konnten wir
die ersten Toxin-Gene identifizieren und zeigen, dass sich die Genotypen deutlich in den ihnen zur
Verfügung stehenden Toxinen unterscheiden (16,17). Es ist uns auch gelungen zu zeigen, dass
P. larvae die genetische Information besitzt, um sehr wirksame Antibiotika herzustellen und dass sich
die Genotypen in ihrem Repertoire an Antibiotika-Genen deutlich unterscheiden (16). Da einige
dieser Antibiotika auch als Zellgifte wirken können, wären sie zusammen mit den unterschiedlichen
Toxinen eine gute Erklärung für die unterschiedliche Schnelligkeit, mit der die Genotypen die Larven
und Völker töten. Weitere Arbeiten sind allerdings noch erforderlich, um die molekularen Grundlagen
der Virulenz und der Virulenzunterschiede von P. larvae aufzuklären.

Literaturverzeichnis
1. Genersch E, Forsgren E, Pentikäinen J, Ashiralieva A, Rauch S, Kilwinski J, Fries I. Reclassification of
Paenibacillus larvae subsp. pulvifaciens and Paenibacillus larvae subsp. larvae as Paenibacillus larvae
without subspecies differentiation. Int J Syst Evol Microbiol. 2006;56:501-11.
2. White GF. The bacteria of the apiary with special reference to bee disease. USDA, Bureau of Entomology,
Technical Series. 1906;14:1-50.
3. Heyndrickx M, Vandemeulebroecke K, Hoste B, Janssen P, Kersters K, de Vos P, Logan NA, Ali N,
Berkeley RCW. Reclassification of Paenibacillus (formerly Bacillus) pulvifaciens (Nakamura 1984) Ash et
al. 1994, a later synonym of Paenibacillus (formerly Bacillus) larvae (White, 1906) Ash et al. 1994, as a
subspecies of P. larvae, with emended descriptions of P. larvae as P. larvae subsp. larvae and P. larvae
subsp. pulvifaciens. Int J Syst Bacteriol 1996;46:270-9.
4. Katznelson H. Bacillus pulvifaciens (n.sp.), an organism associated with powdery scale of honeybee
larvae. J Bacteriol. 1950;59:153-5.
5. Ash C, Priest FG, Collins MD. Molecular identification of rRNA group 3 bacilli (Ash, Farrow, Wallbanks and
Collins) using a PCR probe test. Antonie van Leeuwenhoek. 1993;64:253-60.
6. Woodrow AW. Susceptibility of honeybee larvae to individual inoculations with spores of Bacillus larvae. J
Econ Entomol. 1942;35:892-5.
7. Woodrow AW, Holst EC. The mechanism of colony resistance to American foulbrood. J Econ Entomol.
1942;35:327-30.
8. Hansen H, Brodsgaard CJ. American foulbrood: a review of its biology, diagnosis and control. Bee World
1999;80:5-23.
9. Yue D, Nordhoff M, Wieler LH, Genersch E. Fluorescence in situ-hybridization (FISH) analysis of the
interactions between honeybee larvae and Paenibacillus larvae, the causative agent of American
foulbrood of honeybees (Apis mellifera). Environ Microbiol. 2008;10:1612-20.
10. Neuendorf S, Hedtke K, Tangen G, Genersch E. Biochemical characterization of different genotypes of
Paenibacillus larvae subsp. larvae, a honey bee bacterial pathogen. Microbiology. 2004;150:2381-90.
11. Genersch E, Otten C. The use of repetitive element PCR fingerprinting (rep-PCR) for genetic subtyping of
German field isolates of Paenibacillus larvae subsp. larvae. Apidologie. 2003;34:195-206.
12. Genersch E, Ashiralieva A, Fries I. Strain- and genotype-specific differences in virulence of Paenibacillus
larvae subsp. larvae, the causative agent of American foulbrood disease in honey bees. Appl Environ
Microbiol. 2005;71:7551-5.
13. Rauch S, Ashiralieva A, Hedtke K, Genersch E. Negative correlation between individual-insect-level
virulence and colony-level virulence of Paenibacillus larvae, the etiological agent of American foulbrood of
honeybees. Appl Environ Microbiol. 2009;75:3344-7.
14. Wilson-Rich N, Spivak MS, Fefferman NH, Starks PT. Genetic, individual, and group facilitation of disease
resistance in insect societies. Annu Rev Entomol. 2009;54:405-23.

332 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
15. Arathi H S, Burns I, Spivak M. Ethology of hygienic behaviour in the honey bee Apis mellifera L.
(Hymenoptera: Apidae): Behavioural repertoire of hygienic bees. Ethology.2000;106:365-79.
16. Fünfhaus A, Ashiralieva A, Borriss R, Genersch E. Use of suppression subtractive hybridization to identify
genetic differences between differentially virulent genotypes of Paenibacillus larvae, the etiological agent
of American Foulbrood of honeybees. Environ Microbiol Rep. 2009;1:240-50.
17. Ashiralieva A, Fünfhaus A, Borriss R, Genersch E. Identification of entomocidal toxins in Paenibacillus
larvae. Apidologie. 2008;39:599.

Kontaktadresse
PD Dr. Elke Genersch, Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e. V., Hohen Neuendorf b.
Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 333


Bienen

Gesund oder krank? – Einfache Felddiagnose, Umgang mit dem


Bienenhalter und zielorientiertes Vorgehen des Amtsveterinäres bei
Bienenerkrankungen
Guido Eich
LAVES Bieneninstitut Celle, Oldenburg

Gesund oder krank? – Einfache Felddiagnose


In den meisten Bereichen der Nutztierhaltung sind die Tierbestände komplett (Stallung, Becken)
oder weitestgehend (Koppelhaltung, Teiche, Volieren) isoliert von anderen Beständen gleicher oder
artverwandter Spezies. In der Bienenzucht ist dies tierart- und halterbedingt ausgeschlossen: Es
werden Tierbestände aktiv durch den Imker verbracht bei Anwanderung neuer Trachtgebiete,
weiterhin können Teile (Waben, Futter, Kästen) eines verendeten Volkes in gesunde Bestände
verbracht und in die gesunden Tiereinheiten implementiert und damit wiederbelebt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass der typische Bienenhalter aus dem Hobbybereich kommt und wenig
bis keine Ausbildung über Bienenerkrankungen, deren Diagnose und Sanierung erfahren hat. Dies
fördert eine unbemerkte Ausbreitung von Bienenerkrankungen und erschwert die Sanierung.
Der Kreisveterinär kommt in der Regel erst bei melde- und anzeigepflichtigen
Bienenerkrankungen ins Spiel, muss Tierbestände vor Ort auf klinische Symptome untersuchen,
Laborproben ziehen, den Befallsgrad und die räumliche Ausbreitung abschätzen und eventuelle
Sperrgebiete einrichten, ein Sanierungskonzept für den betroffenen Betrieb und das Befallsgebiet
erstellen und den Tierhalter beraten.

Felddiagnose-Ausrüstung
Inhalt der BSV-Arbeitskiste frei nach BZB Guido Eich
Bienendichte und auslaufsichere Transportkiste (Schäfer-Kiste)

Inhalt:
 Schutzkleidung (Imkerblouson mit Haube und Imkerhandschuhe)
 Stockmeißel und Abkehrbesen
 Pinzette evtl. mit (Extra-)Lupe
 Taschenlampe
 Feuerzeug
 Esslöffel und Honigglas
 Wasserfester Filzschreiber (z. B. Edding permanent)
 Aufkleber (z. B. abziehbare Adresskleber)
 Klebeband

Einwegartikel:
 Große (Pathologie-)Plastiktüten (min. Dadantwabengröße)
 Einmalhandschuhe
 3 l-Gefrierbeutel (oder größer!/Markenartikel)
 Papiertüten (oder Minipappbehälter) als (Bienen- oder Pflanzen-)Probenbehälter

334 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
Zusätzlich:
 „Auftrag zur Faulbrutuntersuchung“ (LAVES-IBC Formblatt)
 „Antrag auf Untersuchung von Bienenvergiftungen“ (JKI Formblatt)
 5–10 l Kanister mit Spülwasser
 Digitalkamera mit GPS Empfänger

Untersuchung von Brutzellen und Waben


Checkliste zur AFB-Standbegehung
Material gem. Inhaltsverzeichnis BSV Arbeitskiste
Prüfschema am Bienenstand
 tote Völker unbedingt untersuchen! – schwache Völker?
 Schwacher Flug?
 Standimker – Wanderimker?
 Außenstände für Ableger oder Wirtschaftsvölker?
 Fremdes Beutenmaterial gekauft – Gesundheitszeugnis vorhanden?! Von wem und wann
ausgestellt?
 Völker ge- oder verkauft – Gesundheitszeugnis vorhanden?! Von wem und wann ausgestellt?
 Vorratswaben-, Entdeckelungswachs- und Resthonigbestände?
 Nachbarimker oder Arbeitsgemeinschaft – Wo? Namen u. Adressen notieren, Lageplan
anfertigen (lassen)!

Prüfschema am Volk
 Tote Völker
 Kleine Völker
 vom Imker (!) Brutwabe ziehen und Bienen abschütteln lassen
 Volksstärke? Wabenzustand
 Futterstand und Brutwabenanzahl
 Kotspuren?
 Varroakotspuren?

Brut-Sichtkontrolle: Eingesunkene und/oder löchrige Zellen? Nach Öffnen der Zelle keine Biene
oder Made zu entdecken:

Ja:
 Masse am Zellboden suchen, Oberträger des Rähmchens zur Brust halten
 Schorf? Nicht aus der Zelle zu lösen?
 Pinzettentest: gummiartige, fadenziehendeMasse?
 Ausschlagprobe befallener Waben: braune fadenziehende Tropfen
 Wabe bienenfrei in den Probenbeutel, mit Klebeband verschließen und beschriften.

Nein:
 Biene oder gegenständliches (Made, Puppe, Futter, etc.) hinter dem eingesunkenen und/oder
löchrigen Deckel oder bei Ausschlagprobe? – Keine Faulbrut! – Andere Ursache, z. B.:
o evtl. vorhandene Schorfe lassen sich in einem Stück herauslösen: Sackbrut (synonym
Schiffchenbrut)
o Schorfe mit Kot verwechselt? Rähmchenschenkel nach Kotspritzern (Streifschüsse)
absuchen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 335


Bienen
o weiße flauschige „Stöpsel“ in verdeckelten Zellen? – Kalkbrutmumien
o Maden abgestorben, grau/schwarz verfärbt, noch lebend, z. T. bräunlich, nicht
fadenziehend: verkühlte Brut
o niemals außer Acht lassen: Hunger-, Varroaschäden, Vergiftungen (z. B. auch durch den
Imker!)

Untersuchung von Bienen


Auswaschprobe:
Material: Twist-off-Glas 273 mit leicht geseiftem Wasser befüllt
Bienenprobe in das Glas einbringen, 10 Sekunden schütteln, Untersuchung auf
ausgeschwemmte Parasiten wie: Varroa destructor; Tropilaelaps; Acarapis woodii.

Umgang mit dem Bienenhalter und zielorientiertes Vorgehen des Amtsveterinäres


Bei der Standbegehung auf die technische und fachliche Versiertheit des Imkers achten. Durch
das Öffnen- und Probenziehenlassen durch den Imker sind die Hierarchieebenen eindeutig definiert,
zudem ist der Veterinär bei eventuellen Königinnenverlusten oder Brutschäden nicht der
Verursacher. Das Untersuchungsergebnis ist erst bei Beendigung der Visitation zu besprechen, dies
beugt Anfeindungen und Unterbrechungen vor.
Unbeholfenen und schlecht ausgebildeten Imkern ist eine Standsanierung von z. B. AFB nicht
zumutbar, hier ist eine Tötung des Bestandes angebracht. Tötungen sind als Ausnahmeregel zu
betrachten! – In der Regel versucht der Amtsveterinär, den größten Teil der Betriebsmittel und Völker
durch Desinfektionsmaßnahmen zu erhalten, das ermuntert in der Zukunft andere Bienenhalter zur
Mitarbeit, auch bei der Meldung des eigenen verdächtigen Bestandes.
Bei der Festlegung von Sperrgebieten sind die gesetzlichen Grundlagen (1 km Radius) das
Minimum. Die Größe des Gebietes muss dem biologischen Flugbereich der Bienenvölker angepasst
sein (bis 3 km). Sperrgebietsgrenzen den natürlichen Begebenheiten (Bahnlinien, Straßen,
Gewässer- und Waldlinien) vor Ort anpassen und nicht mit dem Zirkel in der Karte.
Zur Aufarbeitung des Sperrgebietes ist ein Infoabend für Betroffene und für Nicht-Betroffene
Imker hilfreich: An diesem Tag wird Aufklärung amtlicher Seite betrieben, hierzu gehören klinischer
Verlauf, Größe des Sperrgebietes, Anzahl und Lage der Imkereien, Anwerbung von Hilfspersonal zur
Durchführung von Sanierungsmaßnahmen. Vorteil dieser Infoveranstaltung ist:

336 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Bienen
- alle Bienenhalter haben den gleichen Informationsstand
- im Sperrgebiet übersehene Imkereien werden an diesem Tag meist durch die
Teilnehmer nachgeliefert
- das Veterinäramt wird als begleitender Dienstleister wohlwollend wahrgenommen.
- Planung der Sanierungsmaßnahmen können auf mehrere Tierhalter verteilt werden
- Festlegung des Sanierungstermins und -ortes.

Gleichzeitige und flächendeckende Sanierung der betroffenen Betriebe verhindert eine


Verdriftung der Infektionen.

Kontaktadresse
Guido Eich, Bienenzuchtberater, LAVES Bieneninstitut Celle, Oldenburg,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 337


Bienen

Sind Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderte Pflanzen


Ursachen für das Bienensterben?
Hans-Hinrich Kaatz
Institut für Biologie/Zoologie, Universität Halle-Wittenberg

Die Honigbiene Apis mellifera L. ist weltweit der wichtigste Bestäuber in der Landwirtschaft. Der
Rückgang an Bienenvölkern in Nordamerika und einigen europäischen Ländern, z. T. mit periodisch
auftretenden massiven Völkerverlusten von bis zu 30 % u. a. in Deutschland, Spanien, der Türkei
und den USA, stellt ein ernsthaftes Problem für die Landwirtschaft dar (1–3). Als Ursachen für
werden u. a. Pflanzenschutzmittel, Krankheiten, aber auch gentechnisch veränderte Pflanzen
diskutiert.
Im Rahmen des Deutschen Bienenmonitorings wurde seit 2004 systematisch nach den Ursachen
des Bienensterbens gesucht (1). Dazu wurden jährlich ca. 1200 Bienenvölker mehrfach beprobt und
nach Krankheiten untersucht. Während der Rapsblüte und im Sommer kommen Bienenvölker vor
allem über die Pollennahrung mit einer Fülle an Pflanzenschutzmitteln in Kontakt. Die gemessenen
Konzentrationen liegen allerdings um mehrere Größenordnungen unter der akuten
Toxizitätsschwelle für Einzelsubstanzen. Die Belastungen der Bienenvölker im Sommer sind nicht
mit Verlusten im Winter korreliert. Vielmehr sind Parasitosen, primär die Varroamilbe und sekundär
Nosema und Viren als Hauptfaktoren für die Völkerverluste im Winter verantwortlich. Ob
Pflanzenschutzmittel im Sommer Bienenvölker schädigen, wird derzeit in mehreren
Forschungsprojekten analysiert.
Ob gentechnisch veränderte Pflanzen, insbesondere gegen Insekten gerichtete Bacillus-
thurinigensis-(Bt)-Toxine im Mais Wirkungen auf Honigbienen ausüben, ist derzeit noch nicht
endgültig geklärt. Es existieren kontroverse Ergebnisse zu Bienenverlusten, u. a. durch
Wechselwirkungen zwischen Parasiten und Bt-Toxinen. Angesichts der massiven Völkerverluste in
Deutschland und anderen europäischen Staaten ohne Exposition zum Bt-Mais müssen in Europa
andere als die oben aufgeführten Faktoren dafür verantwortlich sein.

Literaturverzeichnis
1. Genersch E, von der Ohe W, Kaatz H, Rosenkranz P, et al. The German Bee Monitoring-Project: A long-
term study to understand periodically high winter losses of honey bee colonies. Apidologie. 2010;41:332-
52.
2. Giray T, Kence M, Oskay D, Döke MA, Kence A. Colony losses in Turkey and causes of bee deaths.
Apidologie 2010;41:451-3.
3. van Engelsdorp D, Hayes JJr, Underwood RM, Pettis J. A survey of honey bee colony losses in the U.S.,
fall 2007 to spring 2008. PloS ONE 3, e4071.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Hans-Hinrich Kaatz, Universität Halle-Wittenberg, Institut für Biologie/Zoologie,
[email protected]

338 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

5 VERSUCHSTIERE

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 339


Versuchstiere

Berufsfelder und Arbeitsmöglichkeiten in der Versuchstierkunde


Christa Thöne-Reineke
Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin (FEM), Charité-Universitätsmedizin Berlin

Als Tierarzt/Tierärztin kann man in einem breit gestreuten Tätigkeitsfeld in der Forschung in
wissenschaftlichen Instituten, Universitäten und Firmen tätig sein. Üblicherweise beginnt die Karriere
als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Promotion mit einem experimentellen Thema direkt nach dem
Erhalt der Approbation. Aber auch ein späterer Einstieg ist noch möglich, auch wenn ein Wechsel
aus einem für dieses Berufsfeld untypischen Arbeitsgebiet nicht einfach ist. Es besteht die
Möglichkeit, direkt mit Tieren zu arbeiten oder aber sich auf In-vitro-Methoden zu spezialisieren, oder
sich nur auf Labormethoden zu spezialisieren, die dem Versuch am lebenden Tier nachgeschaltet
sind. Viele Tierärzte/Tierärztinnen im Bereich der Forschung sind als Tierhausleiter und/oder
Tierschutzbeauftragte tätig. Sie sind für die Verwaltung, Organisation und den Betrieb von
Tierhaltungen mit allen Aspekten wie Zucht und Haltung von Versuchstieren, Personal- und
Haushaltsführung, Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern, Überwachung von Forschungsvorhaben
verantwortlich, haben beratende Funktion bezüglich der geplanten Experimente und achten auf alle
tierschutzrechtlichen Aspekte in der Versuchstierhaltung und in den durchgeführten Versuchen.
Als Arbeitgeber können zum Beispiel Universitäten, Forschungsinstitute vom Bund,
Biotechnologie- oder Pharmafirmen, Zuchtbetriebe etc. genannt werden. Die Tätigkeiten sind
abhängig davon, in welchem Bereich der Einrichtungen man tätig ist, überschneiden sich jedoch in
der Regel oder sind sogar in einer einzelnen Person vereinigt. Tierärzte/Tierärztinnen, die in
leitenden Funktionen in der Forschung tätig sind, benötigen neben ihrer Approbation auf jeden Fall
mehrjährige Erfahrung und Kenntnisse in der Versuchstierkunde mit allen dazugehörigen
Teilbereichen wie Tierschutz, behördliche Verfahren und rechtliche Grundlagen zu
tierexperimentellen Vorhaben, Hygiene, Gesundheitsüberwachung, Gentechnik, wissenschaftliches
Arbeiten sowie Tierzucht und -haltung. Je nach Einsatzgebiet gehören auch Kenntnisse im Bereich
von Tierimporten/-exporten, biologischer Sicherheit, Arbeitsschutz, transgenen Technologien,
Alternativmethoden und Personalführung dazu. Für manche Tätigkeitsfelder sind
Zusatzqualifikationen wie Fachtierarzt/Fachtierärztin (z. B. für Versuchstierkunde, Tierschutz,
Pathologie, Physiologie, Biochemie) oder Fachwissenschaftler gefordert, um als Spezialist in
bestimmten Teilgebieten arbeiten zu können. Für bestimmte Positionen in der Forschung wird eine
abgeschlossene Promotion gefordert.

Je nachdem, in welchem Gebiet und in welchem Institut oder Unternehmen man tätig ist, sind
auch die Arbeitszeiten. Halbtagsstellen sind möglich, aber nur begrenzt vorhanden, da der Bereich
Forschung grundsätzlich den Einsatz auch an Wochenenden und Feiertagen fordert. Auch bei relativ
geregelten Arbeitszeiten sollte man sich diesbezüglich auf flexible Arbeitszeiten einstellen, die häufig
über der vereinbarten liegen. Die Arbeit ist jedoch meist sehr gut planbar, anders als bei einer
Tätigkeit in einer Praxis.
Die Verdienstmöglichkeiten sind im öffentlichen Dienst tariflich geregelt, im Bereich der Firmen
sind sie Verhandlungssache und abhängig von Erfahrung und Position.

340 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Versuchstiere
Tierhausleitungen von forschenden Einrichtungen, GV-SOLAS (www.gv-solas.de), FELASA
(www.felasa.eu), ACLAM (www.aclam.org), Tierärztekammer Berlin (Ausschuss für
Versuchstierkunde), versuchstierkundliche Institute der Universitäten.

Kontaktadresse
Christa Thöne-Reineke, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Forschungseinrichtung für
experimentelle Medizin (FEM), Krahmerstraße 6, 12207 Berlin

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 341


Versuchstiere

Tiermodelle
Claudia Abramjuk
Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Der Vortrag dieses Workshops gibt einen kurzen Überblick über Modelltiere und einige
beispielhafte Darstellungen von spezifischen Modellen, die häufig eingesetzt werden.

Tiermodelle sind in der medizinischen Forschung noch unverzichtbar und nicht ausreichend
durch Alternativmethoden ersetzbar. Viele Ergebnisse der Grundlagenforschung, präklinischen und
klinischen Fragestellungen basieren auf tierexperimentellen Studien, dies bedeutet konkret die
Verwendung von Tieren bzw. Tiermodellen.
Mit einem Modell versucht man, im Tierorganismus bestimmte physiologische oder pathologische
Strukturen zu verstehen, zu untersuchen und auch Verbesserungen in der Behandlung oder neue
therapeutische Ansätze für humane Erkrankungen zu entwickeln. Das Tier steht somit als
Stellvertreter für den Menschen. Die Voraussetzungen für die Verwendung eines Tiermodells sind
die Einhaltung des Tierschutzgesetzes, die Etablierung des Modells, Auswertung und
Reproduzierbarkeit der Ergebnisse und die Übertragbarkeit auf den Menschen. Diese Extrapolation
wird in vielen Bereichen als gesichert angenommen, auch weil Tierversuche in der Chemikalien-,
Arzneimittel- und Impfstoff-/Serenprüfung gesetzlich vorgeschrieben sind (1,2). Studien am
Menschen dürfen nicht ohne vorherige Prüfung der Sicherheit am Tier durchgeführt werden und
dienen somit zum Schutz des Menschen (3). Tiermodelle werden verwendet, da viele physiologische
oder pathologische Vorgänge im Tier denen des Menschen vergleichbar resp. induzierbar sind; hinzu
kommen die kürzere Lebensdauer der Tiere und die Standardisierbarkeit, um Schwankungen der
Ergebnisse auf ein Minimum zu beschränken. Trotz einer Vielzahl von medizinischen
Errungenschaften zum Wohl des Menschen wird im Gegensatz hierzu die Verwendung von Tieren
im Allgemeinen und die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tiermodellen im Speziellen immer
stärker angezweifelt. Neben den bekannten Fällen von Medikamenten, die aufgrund unerwünschter
Nebenwirkungen vom Markt genommen werden mussten, gibt es zunehmend Publikationen, die die
Übertragbarkeit auf den Menschen in Frage stellen, zumal es genügend Beispiele für intra- und
interindividuell unterschiedliche Rekationen schon innerhalb einer Art gibt (4,5). Bei näherer
Betrachtung finden sich jedoch Aussagen, die darauf schließen lassen, dass die unzureichende
Übertragbarkeit möglicherweise auf schlecht durchgeführten Tierstudien beruht. Es werden
schlechtes Studiendesign, mangelhafte Durchführung und Auswertung angeführt. Weiterhin
scheinen die zur Planung der Experimente herangezogenen Reviews oder evidenzbasierte Daten
ebenfalls methodisch und quantitativ unzureichend und zusätzlich noch mit einem Publikationsbias
behaftet zu sein (6–9). Auch die gegenwärtige Herangehensweise, Krankheitsursachen vor allem auf
genetischer Ebene durch transgene Tiere abzubilden, muss kritisch betrachtet werden, da die
alleinige Manipulation von Genen weitere Aspekte wie z. B. Ernährung und Umwelt, die die
Entstehung von Krankheiten beeinflussen, nicht berücksichtigt.
Trotz der kontroversen Diskussion zur Verwendung von Tiermodellen geht die DFG davon aus,
daß etwa 70 % der unerwünschten Wirkungen am Menschen durch Tierversuche vorhersagbar sind
(10). Welche Tierart bzw. welches Modell für eine bestimmte Fragestellung idealerweise verwendet
werden sollte, ist von wissenschaftlichen, praktischen und ethischen Faktoren abhängig, die der

342 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Versuchstiere
Experimentator gegeneinander abwägen muss. Als Orientierung können eine gründliche
Literaturrecherche, Anfragen bei Züchtern, Kooperationen, Fortbildungskurse und Kontakt zu den
Tierschutzbeauftragen unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten im Versuchsvorhaben,
der Tierhaltung und des Personals dienen.

Literaturverzeichnis
1. Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung
eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel.
2. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals.
3. Declaration of Helsinki - Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects (59th WMA
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4. Perel P, Roberts I, Sena E, Wheble P, Briscoe C, Sandercock P, et al. Comparison of treatment effects
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5. Pound P, Ebrahim S, Sandercock P, Bracken MB, Roberts I; Reviewing Animal Trials Systematically
(RATS) Group. Where is the evidence that animal research benefits humans? BMJ. 2004;328(7438):514-
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6. Mignini LE, Khan KS. Methodological quality of systematic reviews of animal studies: a survey of reviews
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7. Sandercock P, Roberts I. Systematic reviews of animal experiments. Lancet. 2002;360(9333):58.
8. Peters JL, Sutton AJ, Jones DR, Rushton L, Abrams KR. A systematic review of systematic reviews and
meta-analyses of animal experiments with guidelines for reporting. J Environ Sci Health B. 2006;41:1245-
58.
9. Sena ES, van der Worp HB, Bath PM, Howells DW, Macleos MR. Publication Bias in Reports of Animal
Stroke Studies Leads to Major Overstatement of Efficacy. PLoS Biology. 2010;8(3).
10. DFG. Tierversuche in der Forschung. Bonn: Lemmens Verlags- und Mediengesellschaft. 2004;18.

Kontaktadresse
Dr. Claudia Abramjuk, Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin, Charité –
Universitätsmedizin Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 343


Versuchstiere

Anforderungen an die Abgabe ehemaliger Versuchshunde und eigene


Erfahrungen
Mechthild Ladwig
Institut für vegetative Physiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, CCR

Das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt grundsätzlich das Überleben von Hunden, die in
Tierversuchen eingesetzt worden sind. Für die Abgabe überlebender Tiere an
Tierschutzorganisationen oder private Besitzer ist die Zustimmung des Projektleiters oder der
Forschungseinrichtung als Eigentümer des Hundes und eine abschließende tierärztliche
Untersuchung erforderlich, durch die bestätigt wird, dass das Tier ohne gravierende gesundheitliche
Beeinträchtigungen, die aus veterinärmedizinischer Sicht nicht vertretbar erscheinen, weiterleben
kann (TSchG § 9, Abs. 2, Satz 8) (1). Bei der Vermittlung dieser Hunde sollte die Vorgehensweise
gut durchdacht, klar definiert und nicht von Sentimentalität geleitet sein. Dabei hat das Wohlergehen
der Tiere die erste Priorität. Experten aus Versuchstierkunde und Tiermedizin empfehlen die
Beachtung folgender Kriterien (2):

Auswahl geeigneter Tiere


Hunde, die für die Abgabe an private Besitzer vorgesehen sind, müssen nach Beendigung der
Versuche physisch so gesund sein, dass nicht dauerhaft mit schweren Schmerzen oder Leiden zu
rechnen ist. Außerdem sollten sie psychisch so stabil erscheinen, dass Adaptation an eine neue
Umgebung möglich erscheint. Für eine solide Beurteilung sollten dem untersuchenden Tierarzt
grundsätzliche Informationen über die durchgeführten Eingriffe und klinische Untersuchungsbefunde,
soweit erhoben, zur Verfügung stehen. Beagles, die am häufigsten in Tierversuchen genutzte
Hunderasse, zeigen eine recht gute Anpassungsfähigkeit. Jungen Hunden gelingt die Adaptation an
veränderte Lebensbedingungen häufig leichter als älteren, aber ein höheres Alter des Hundes ist
kein generelles Ausschlusskriterium.

Vorbereitung der Tiere


Eine gute Vorbereitung der Tiere erleichtert dem Hund die Verarbeitung von neuen Eindrücken.
Dazu gehören z. B. der Kontakt mit anderen Hunden, die Gewöhnung an mehr als nur eine
Betreuungsperson und die Konfrontation mit unterschiedlichen akustischen, visuellen und taktilen
Reizen. Dieses Training sollte bereits beim Züchter beginnen. Dadurch wird den Hunden schon die
Eingewöhnung in die experimentelle Umgebung erleichtert. Die Durchführung solcher
Sozialisationsmaßnahmen macht die Tiere weniger stressanfällig und selbstsicherer für ihren Alltag
im Labor. Auch in der experimentellen Tierhaltung sollten die Tiere durch Trainingsmaßnahmen an
unterschiedliche Personen, wechselnde äußere Reize und vor allem die Versuchsbedingungen
gewöhnt sein. Wenn ein Hund zur Abgabe vorgesehen ist, ist es hilfreich, rechtzeitig mit der
Gewöhnung an Gegebenheiten, die ihn in seinem neuen Leben außerhalb der gewohnten
Laborumgebung erwarten, wie z. B. Spazierengehen an der Leine, zu beginnen.

Auswahl geeigneter Besitzer


Die Auswahl geeigneter Besitzer ist ein ganz besonders wichtiger Faktor für das Gelingen des
Eingliederungsprozesses von Laborhunden in ihr neues Leben. Daher muss dieser Prozess mit

344 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Versuchstiere
größter Sorgfalt durchgeführt werden. Grundsätzlich gilt für das Halten jeglicher Tiere gemäß TSchG
§ 2, dass Tierhalter über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und
Unterbringungsmöglichkeiten verfügen müssen. Dies gilt in besonderem Maße für das Halten von
1

ehemaligen Laborhunden, die für Tierversuche gezüchtet und somit nicht wie ein Familienhund
sozialisiert wurden und die ihre spezielle Erfahrung als Versuchshund mit sich bringen.
Zukünftige Besitzer sollten über den Charakter und das Temperament z. B. von Beaglen ganz
allgemein informiert sein und sich bewusst für einen Hund dieser Rasse entscheiden. Beagles sind
zwar relativ tolerant gegenüber Änderungen der Umgebung und verfügen über recht gute passive
Anpassungsstrategien, aber sie sind ursprünglich keine Familienhunde. Sie wurden als relativ
unabhängige Hunde für die Jagd gezüchtet und lieben es, die Umgebung auf eigene Faust zu
erkunden. Das führt dazu, dass sie dazu neigen, ihren eigenen Kopf durchzusetzen, ihrem Jagdtrieb
nachzugeben und wegzulaufen.
Darüber hinaus sollte möglichen neuen Besitzern die individuelle Vorgeschichte der Tiere
bewusst sein. Dazu gehören ihre speziellen versuchsbedingten Vorerfahrungen oder auch das
Fehlen von Erfahrungen mit der Welt außerhalb des Labors. Neben der allgemeinen Kenntnis über
die Haltung und den Umgang mit Hunden sind vor allem viel Geduld, Einfühlungsvermögen und die
nötige Konsequenz im Umgang mit dem Tier wichtig, damit sich der Hund an die veränderten
Umstände gewöhnen kann und lernt, sich in seiner neuen Umgebung zurecht zu finden. Dies ist
besonders bei bereits erwachsenen, ängstlichen oder nervösen Hunden von großer Bedeutung.
Eine ruhige Umgebung und das Vorhandensein eines weiteren Hundes haben sich als vorteilhaft
für die Adaptation erwiesen, während Kinder und Katzen diese häufig erschweren.

Anleitung zukünftiger Besitzer


Um Enttäuschungen vorzubeugen, sollte man mit den Besitzern über ihre Erwartungen an das
Tier reden und eine realistische Perspektive aufzeigen. Personen, die einen Versuchshund
aufnehmen wollen, müssen bereit sein, sich auch mit möglichen Problemen vor allem im Verhalten
der Tiere, sei es rassebedingt oder aus Adaptationsproblemen resultierend, auseinanderzusetzen.
Die Bereitschaft, die Bedeutung und das Ausmaß der Veränderung aus der Perspektive des Hundes
zu sehen und zu bewerten ist hilfreich, um die Eingewöhnungsphase für das Tier so gut wie möglich
zu gestalten. Für den Fall, dass Verhaltensprobleme auftreten, kann eine professionelle Beratung
durch Verhaltensfachleute hilfreich oder sogar erforderlich sein.
Ebenso wichtig wie Informationen, die den Hund betreffen, sind Gespräche mit den möglichen
neuen Hundebesitzern über ihre eigene Einstellung zu Tierversuchen und die Vorbereitung auf
mögliche Reaktionen aus dem persönlichen Umfeld. Hierfür ist ein gutes Vertrauensverhältnis
zwischen den Einrichtungen, die Versuchshunde abgeben und vermittelnden
Tierschutzorganisationen oder möglichen privaten Besitzern von großem Vorteil.

Begleitung der neuen Besitzer


Es kann einige Zeit beanspruchen, bis Versuchshunde sich an ihr neues Leben in einer
veränderten Umgebung gewöhnt haben, daher ist es wünschenswert, zumindest für die Anfangszeit,
mit den neuen Besitzern in Kontakt zu bleiben. Besuche nach ein bis zwei Monaten haben sich zum
Teil als sehr hilfreich erwiesen.
Die Information des nach Abgabe betreuenden niedergelassenen Tierarztes über die
experimentelle Vorgeschichte des Hundes kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 345


Versuchstiere
Jeder Hund reagiert unterschiedlich auf den Eingewöhnungsprozess in sein neues Zuhause.
Falls erkennbar wird, dass diese Eingewöhnung, aus welchen Gründen auch immer, für den Hund
und/oder Besitzer nicht zufriedenstellend verläuft, sollte das Tier zurückgenommen und ein weiterer
Versuch des Einlebens in ein neuerlich sorgfältig ausgewähltes neues Zuhause unternommen
werden, soweit nicht begründete Zweifel an der grundsätzlichen Adaptationsfähigkeit des Tieres
bestehen und in letzter Konsequenz die Einschläferung zur Folge haben.
Im Institut für vegetative Physiologie der Charité wurde über viele Jahre mit Beaglen gearbeitet.
Die Hunde lebten ein bis zwei Jahre mit chronisch implantierten Kathetern, die nach Beendigung der
Untersuchungen entfernt wurden. Bereits gegen Ende der Untersuchungsphase wurde nach
geeigneten möglichen Besitzern gesucht, sofern nicht schon eine Warteliste bestand. Diese
Personen wurden eingeladen, die Hunde im Vorfeld kennen zu lernen, sowohl in ihrer gewohnten
Umgebung der Tierhaltungsräume, als auch bei begleiteten Spaziergängen außerhalb der
Forschungseinrichtung. Dabei wurde die Gelegenheit zu Informationen über die Vorgeschichte des
jeweiligen Tieres, seinem individuellen Charakter und grundlegenden Informationen zur Sozialisation
von Versuchshunden genutzt. Dies gab den Interessenten Gelegenheit, sich so ausführlich wie
möglich mit dem potenziellen neuen „Familienmitglied“ sowie ihrer eigenen Erwartung und
Entscheidung auseinander zu setzen. Es bestand außerdem auch nach Abgabe der Tiere das
Angebot, sich bei Fragen oder gesundheitlichen Beschwerden der Tiere, die durch die
versuchsbedingten Eingriffe verursacht sein könnten, an uns zu wenden. In dieser Vorgehensweise
sehen wir den Grund dafür, dass es nur in wenigen Fällen nicht im ersten Anlauf gelungen ist, die
Tiere in ihrem neuen Zuhause erfolgreich einzugewöhnen oder bestehende Voreingenommenheiten
aus dem persönlichen Umfeld der neuen Hundebesitzer oder der betreuenden niedergelassenen
Kollegen zu überwinden. Bei den allermeisten vermittelten Tieren hatten wir über lange Zeit Kontakt
zu den Besitzern und konnten über Telefongespräche, Briefe und Bilder Anteil an dem neuen Leben
der Hunde nehmen. Umfangreiche Information, die eine gut durchdachte Entscheidung ermöglichen,
Kenntnisse über artgerechte Bedürfnisse, Erfahrung im Umgang mit Hunden und Geduld und
Einfühlungsvermögen der neuen Besitzer sowie eine sorgfältige Auswahl der in Frage kommenden
Hunde sind unabdingbare Voraussetzungen für das Gelingen einer Eingliederung von
Versuchshunden in ein privates Umfeld, fernab von ihrer gewohnten Umgebung, den bekannten
Bezugspersonen und konfrontiert mit vielen ungewohnten Reizen. Unsere überwiegend positiven
Erfahrungen und die Rückmeldung über in der Regel lange und gute Lebenserwartungen der Tiere
sowie die Freude ihrer Besitzer an und mit ihren Tieren lassen uns ein Stück Wiedergutmachung für
erlebtes Leid erhoffen und die aufwendigen Bemühungen im Zusammenhang mit Vermittlung und
Eingewöhnung dieser Hunde sinnvoll und lohnend erscheinen.

Literaturverzeichnis
1. Tierschutzgesetz in der Fassung vom 18. Mai 2006.
2. LASA Guidance on the Rehoming of Laboratory Dogs; 2000.

Kontaktadresse
Mechthild Ladwig, Institut für vegetative Physiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, CCR,
[email protected]

346 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Versuchstiere

Anästhesie und Analgesie im Tierversuch


Kristina Ullmann
Deutsches Rheuma Forschungszentrum, Berlin

Tierschutzgesetz
Das deutsche Tierschutzgesetz bestimmt schon in § 1: „Niemand darf einem Tier ohne
vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. In Bezug auf schmerzhafte
Tierversuche bedeutet das, dass diese nur unter Angabe eines „vernünftigen Grundes“ durchgeführt
werden dürfen. Außerdem muss dafür Sorge getragen werden, dass Schmerzen, Leiden oder
Schäden nur in dem Maße zugefügt werden, wie sie für den verfolgten Zweck unerlässlich sind
(§ 9 (2) 3.). Für schmerzlindernde Maßnahmen ist zu sorgen. Des Weiteren dürfen Versuche an
Wirbeltieren nur unter Betäubung vorgenommen werden (§ 9 (2) 4.). Hierfür sind vom Gesetzgeber
nur zwei Ausnahmen vorgesehen: 1. der geplante Eingriff ist weniger schmerzhaft als die
Beeinträchtigung des Tieres durch die Betäubung und 2. der Zweck des Tierversuchs schließt die
Betäubung aus (§9 (2) 4.).

Versuchstiere
86 % der in Deutschland verwendeten Versuchstiere sind Mäuse und Ratten (BMELV,
Versuchstierzahlen in Deutschland 2009). Diese Spezies werden in den meisten medizinischen und
naturwissenschaftlichen Studiengängen nur am Rande thematisiert. Daher fehlt vielen
Wissenschaftlern die Erfahrung im Umgang mit den Tieren, was auch zu Unsicherheiten bei der
Anwendung von Medikamenten führt. Gerade die Wirkung von Analgetika und Narkotika ist
tierartspezifisch. Häufig können Dosierungen nicht einfach von den Empfehlungen bei anderen
Haustieren auf das Körpergewicht der Kleinnager umgerechnet werden. Auch die möglichen Risiken
und Nebenwirkungen sind den Wissenschaftlern oft nicht bekannt.

Anästhesie
Anästhesieverfahren sind zu unterscheiden in Allgemeinanästhesien (Narkosen) und
Lokalanästhesien. Bei Labornagern ist die ausschließliche Verwendung einer Lokalanästhesie in der
Regel nicht möglich, weil die Tiere durch den Stress der Fixierung und Behandlung stark belastet
werden. Eine Kombination von Allgemein- und Lokalanästhesie ist möglich und vorteilhaft, weil
dadurch die Dosis der Allgemeinanästhetika gesenkt werden kann.
Um bei einer Allgemeinanästhesie Analgesie, Hypnose und Muskelrelaxation zu erreichen, sind
Kombinationen von Wirkstoffen notwendig. In vielen Laboren gibt es keine Inhalationsnarkosegeräte,
so dass die Wissenschaftler auf Injektionsnarkosen angewiesen sind. Bei Nagetieren kann die
Kombination von Ketamin und Xylazin, evtl. auch der Zusatz von Acepromazin genauso empfohlen
werden, wie der Einsatz von Medetomidin in Kombination mit Midazolam und Fentanyl als vollständig
antagonisierbare Anästhesie (1–3). Die Verwendung von Fentanyl ist wegen der Bestimmungen des
Betäubungsmittelgesetztes nur von befugten Personen möglich.
Die Applikation erfolgt in der Regel intraperitoneal oder intravenös. Vor allem bei Mäusen ist von
intramuskulären Applikationen wegen der geringen Muskelmasse abzuraten.
Dosierungsempfehlungen sind der Tabelle 1 zu entnehmen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 347


Versuchstiere
Tabelle 1: Empfohlene Injektionsanästhesien bei Ratte und Maus (2,3)
Medetomidin +
Xyl. + Ket. +
Xylazin Xylazin + Ketamin Midazolam +
Acepromazin
Fentanyl
Kleinere und
abdominale Abdominale Eingriffe, Abdominale Eingriffe,
Leichte
Ziel Eingriffe, chirurgische Toleranz chirurgische Toleranz
Sedation
chirurgische 30-50 Min. 30-45 Min.
Toleranz 20-30 Min.
Ketamin 55 Medetomidin 0,1
Ketamin 100
Dosis Ratte Xylazin 4 Midazolam 2
1-5 s.c., i.p. Xylazin 2,5 – 5
[mg/kg] Acepromazin 1,5 Fentanyl 0,005
i.p., i.m. (2)
i.p. (3) i.m., i.p. (2)
Ketamin 65 Medetomidin 0,5
Ketamin 120
Dosis Maus Xylazin 13 Midazolam 5
5-10 i.p. Xylazin 20
[mg/kg] Acepromazin 2 Fentanyl 0,05
i.p. (3)
i.p. (3) i.p. (2)

Inhalationsanästhetika (überwiegend und mit gleicher Wirksamkeit verwendet werden Isofluran


und Sevofluran) werden bei schmerzhaften Eingriffen mit Analgetika kombiniert (4). Zur Einleitung
wird das Tier in eine Induktionskammer (Quader aus Plexiglas) verbracht, in die das Narkosegas
eingeleitet wird.
Im Labor ist die Narkoseüberwachung von Nagetieren oft nur klinisch möglich, da es an
Gerätschaften wie z. B. EKG, Pulsoxymeter oder Kapnograph fehlt. Daher muss der Wissenschaftler
die Vitalparameter kennen. Tabelle 2 zeigt die überprüfbaren Reflexe bei Ratte und Maus (1).
Häufigster Narkosezwischenfall ist die Hypothermie. Ihr wird durch Wärmematten oder
Rotlichtlampen vorgebeugt.

Analgesie
Voraussetzung für die analgetische Behandlung von Versuchstieren sind das Bewusstsein, dass
Schmerzen durch die Behandlung zu erwarten sind und die Erkennung der Schmerzsymptome. Im
Zusammenhang mit dem Tierversuchsantrag ist bereits eine Einschätzung der Belastung der Tiere
und somit auch der entstehenden Schmerzen erforderlich. Die (ggf. prophylaktische) analgetische
Behandlung der Versuchstiere ist schon im Vorfeld zu klären. Die Erkennung der Schmerzsymptome
bei Nagetieren bereitet oft Schwierigkeiten. Durch die Schulung von Wissenschaftlern können hier
Unsicherheiten beseitigt werden.
Die Ablehnung einer Schmerzprophylaxe oder -therapie wird oft mit Einflüssen der Medikamente
auf die Versuchsergebnisse begründet. Es ist immer erforderlich, den Einzelfall zu prüfen.
Nebenwirkungen, die beim Menschen bekannt sind, müssen nicht auch bei Nagetieren auftreten
(1,2). Unbedingt beachtet werden sollten die durch Schmerz ausgelösten Körperreaktionen wie
Endorphin- und Stresshormonausschüttung, Immunsuppression oder reduzierte Futter- und
Wasseraufnahme. Tabelle 3 gibt Empfehlungen für die Schmerzbehandlung bei Labornagern (1).

348 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Versuchstiere
Tabelle 2: Typische Zeichen der Anästhesiestadien bei Nagetieren (1)
Stadium Analgesie Nager
Psychische Dämpfung, reduzierte Spontanmotorik, KEINE
I Analgesie -
Analgesie
II Exzitation - Ruderbewegungen, Zittern der Barthaare, Urinabsatz
Relaxation, Atem- und Kreislaufreaktion auf Schmerzreiz,
III 1 Hypnose -
Zwischenzehenreflex leicht +, Lidreflex +/-, zentraler Bulbus
Zwischenzehenreflex gerade -, Lidreflex -, Ohrkneifrefl. - ,
III 2 Chirurgische
+ Kornealrefl. +, keine Reaktion auf Schmerzreize; leichter
Toleranz
Exophthalmus
III 3 Depression + Zwischenzehenreflex -, Kornealreflex -, starker Exophthalmus
Reflexlosigkeit, Schnappatmung, weiter starrer Blick mit
IV Asphyxie ++ zentralgestelltem Bulbus, trockene Kornea, trockene
Schleimhäute

Tabelle 3: Empfohlene Analgesie bei Ratte und Maus (1)


Substanz Buprenorphin Carprofen Metamizol
Gruppe Opioide NSAID Pyrazolonderivat
Indikation Mäßige bis starke Entzündungsschmerz, Nicht entzündliche
Schmerzen jeder Art Verletzungen, Schmerzen, Krämpfe
Operationen, Prävention und Spasmen der
Hohlorgane,
Bauchhöhleneingriffe
Kontraindikation, Untersuchungen zur Untersuchungen zum Stress durch häufige
Komplikation GIT-Motilität und Entzündungsgeschehen Applikation
Gallenexkretion
Dosis Ratte [mg/kg] 0,03 – 0,05 s.c. 4 – 5 i.v. / s.c. 100 p.o. / s.c.
alle 6 - 12 h alle 24 h Alle 4 – 6 h
Dosis Maus [mg/kg] 0,05 – 0,1 s.c. 5 i.v. / s.c. 200 p.o. / s.c.
alle 6-12 h alle 12 h alle 4 - 6 h

Literaturverzeichnis
1. Ausschuss für Anästhesie, Analgesie und Schmerzprophylaxe, GV-SOLAS. Empfehlungen
Schmerztherapie bei Versuchstieren. GV-SOLAS; 2010.
2. Erhardt W, Henke J, Haberstroh J. Anästhesie und Analgesie beim Klein- und Heimtier. 1. Auflage.
Stuttgart:Schattauer; 2004.
3. Arras M, Autenried P, Rettich A, Spaeni D, Rülicke T. Optimization of intraperitoneal injection anesthesia
in mice: drugs, dosages, adverse effects, and anesthesia depth. Comp Med. 2001 Oct;51(5):443-56.
4. Cesarovic N, Nicholls F, Rettich A, Kronen P, Hässig M, Jirkof P, Arras M. Isoflurane and sevoflurane
provide equally effective anaesthesia in laboratory mice. Lab Anim. 2010 Oct;44(4):329-36.

Kontaktadresse
Dr. Kristina Ullmann, Deutsches Rheuma Forschungszentrum, Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 349


Versuchstiere

Arzneimittelentwicklung: Vom Labor bis zur Anwendung


Martin Kock
Bayer Pharma AG, Berlin

Die pharmazeutische Industrie, oft auch in Verbindung mit Universitäten, investiert erhebliche
Mittel in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente mit dem Ziel, Krankheiten zu heilen, die
Lebensqualität von Patienten zu verbessern und Leben zu verlängern. Von den ca. 30 000
Krankheiten sind nur etwa ein Drittel ursächlich behandelbar. Gegen mehr als 150 Krankheiten
könnten die forschenden Pharma-Unternehmen bis Ende 2015 neue Medikamente herausbringen.
Zu den Anwendungsfeldern der neuen Mittel zählen u. a. auch einige schwierige medizinische
Herausforderungen wie Hepatitis C und Tuberkulose. Laut Umfrage des Verbands der forschenden
Arzneimittelfirmen (VfA) gibt es 359 Projekte, die bis 2015 zur Zulassung eines neuen Medikaments
oder eines neuen Anwendungsgebiets für schon ein bekanntes Medikament führen können, wenn
die letzten Schritte im Entwicklungsprozess gut verlaufen (1). Bei 65 % dieser Projekte geht es um
ein Medikament mit neuem, d. h. noch nicht zugelassenem Wirkstoff; bei 19 % der Projekte wird für
einen bekannten Wirkstoff eine neue Darreichungsform oder eine Kombination mit einem weiteren
Wirkstoff entwickelt und bei 16 % der Projekte wird ein bereits zugelassenes Medikament darauf
geprüft, ob es gegen eine weitere Krankheit eingesetzt werden kann.
Die Entwicklung eines Arzneimittels dauert ca. 12–14 Jahre und kostet zwischen einer und zwei
Mrd. Euro, Tendenz steigend (2). Während dieser Zeit arbeiten Wissenschaftler verschiedener
Disziplinen daran, aus einer riesigen Anzahl von Substanzen einen geeigneten Wirkstoff
herauszufiltern. Sie untersuchen 5000 bis 10 000 Substanzen, von denen schließlich nur vier bis fünf
Wirkstoffkandidaten übrig bleiben, die dann in den klinischen Studien am Menschen getestet werden.
Letztendlich erreicht hiervon nur ein einziger die Zulassung und steht somit Ärzten und Patienten zur
Verfügung. Die Zusammenarbeit in funktionsübergreifenden, multidisziplinären Arbeitsteams ist in
dem komplexen Prozess der Arzneimittelentwicklung eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg.
Die verschiedenen Stationen der Arzneimittelentwicklung werden aufgezeigt.

Literaturverzeichnis
1. Forschung für das Leben. Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.; Stand Juni 2011.
2. 2007/2008 Pharmaceutical R&D Factbook. Center for Medicines. Research International Ltd. CMR
International; 2008.

Kontaktadresse
Dr. Martin Kock, Bayer Pharma AG, Berlin, [email protected]

350 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

6 VETERINARY PUBLIC HEALTH:


TIERSEUCHENBEKÄMPFUNG UND
TIERSCHUTZ

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 351


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Der neue Tiergesundheitsrechtsakt


Hans-Joachim Bätza
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bonn

Im Jahr 2007 hat die EU-Kommission eine Tiergesundheitsstrategie 2007–2013 vorgelegt, die
aus vier Säulen besteht. Die erste Säule hat eine Priorisierung (z.B. Kategorisierung von
Tierseuchen), die zweite Säule insbesondere die Erarbeitung eines EU-Tiergesundheitsrechtsaktes,
die dritte Säule Maßnahmen zur Vorbeugung, Überwachung und „preparedness“ und die vierte
Säule Förderung von Innovation und Forschung zum Inhalt. Mit dem in der zweiten Säule genannten
EU-Tiergesundheitsrechtsakt soll ein einheitlicher, in sich, aber auch mit den anderen
Unionspolitikfeldern kohärenter Rechtsrahmen erarbeitet werden, der neben Bekanntem (z. B.
Allgemeines zu Kennzeichnung, zu Maßnahmen im Seuchenverdacht oder nach
Seuchenfeststellung, epidemiologische Untersuchungen) auch neue Elemente enthält (z. B.
Risikobewertung, Monitoring, Surveillance, Biosicherheit). In diesen Rechtsakt sollen, jeweils
gegliedert in Kapitel über Land- und Wassertiere, neben den oben angesprochenen allgemeinen
Maßregeln auch Regelungen über den Handel, die Einfuhr und die Tierseuchenkontrolle
aufgenommen werden. Spezifische Vorschriften sollen in delegierten bzw. Durchführungsrechtsakten
festgelegt werden. Erste Diskussionen zwischen KOM und Mitgliedstaaten im Dezember 2010 über
einen ersten Entwurf des Rechtstextes haben erwartungsgemäß (noch) große Diskrepanzen
offenbart. Vor dem Hintergrund, dass der EU-Tiergesundheitsrechtsakt nicht losgelöst betrachtet
werden kann von der ebenfalls in Diskussion befindlichen EU-Verordnung über amtliche Kontrollen
(VO (EG) Nr. 882/2004) bleibt der Fortgang des Rechtsaktes derzeit noch offen. Detailfragen, z. B.
zur Biosicherheit, zur Abgrenzung zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 oder zum Handel werden
parallel in KOM-Arbeitsgruppensitzungen erörtert. Ein in sich schlüssiges Bild lässt sich derzeit (Juli
2011), auch wenn KOM den Rechtstext spätestens Mitte 2012 Rat und Europäischem Parlament zur
Diskussion vorlegen möchte, nicht absehen.

Kontaktadresse
Dr. Hans-Joachim Bätza, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Bonn; [email protected]

352 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Impfungen im Tierseuchenrecht: Eine persönliche Betrachtung


Uwe Truyen
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig

Die Herstellung, Zulassung, Anwendung und Abgabe von Tierimpfstoffen ist umfassend in der
Tierimpfstoffverordnung geregelt. Eine wesentliche Forderung dieser Verordnung ist, dass nur
zugelassene Impfstoffe angewendet werden dürfen. Dies stellt sicher, dass nur zugelassenen, das
heißt auf Wirksamkeit und Unschädlichkeit geprüfte Tierimpfstoffe zum Einsatz kommen.
Einige Punkte bei der Umsetzung der Tierimpfstoffverordnung bedürfen jedoch der breiten
Diskussion und Klärung. Dies betrifft im Wesentlichen die folgenden Punkte:

 Anwendung von bestandsspezifischen Impfstoffe: Wie weit darf z.B. die Definition des
Bestandes gefasst werden?
 Anwendungsempfehlung der Hersteller: Wie verbindlich kann sie für den Anwender sein?
Diese Diskussion schließt die Frage nach dem Zeitpunkt der Impfung, das Impfregime aber
auch das Problem der Umwidmung ein.
 Das Mischen von Impfstoffen, die als Kombination nicht zugelassen (geprüft) sind: Diese
Diskussion gewinnt durch die Möglichkeit der Abgabe von Impfstoffen an Tierhalter noch an
Brisanz.
 „Impfen statt keulen“: die Diskussion um eine Strategieänderung in der EU-Politik, die
gegenwärtig breit geführt wird.

Diese Punkte sollen erläutert werden und eine Diskussion um eine Anpassung/Ergänzung des
Regelwerks angestoßen werden.

Eine Rolle in dieser Diskussion soll die Ständige Impfkommission Veterinär (StIKo Vet) spielen,
die sich im Jahre 2006 im Bundesverband für praktizierende Tierärzte (BpT) gegründet hat und
seitdem Impfleitlinien für Kleintiere und jüngst für Pferde erarbeitet und publiziert hat.

Die StIKo Vet soll als feste Einrichtung im Tierseuchengesetz implementiert werden und
angegliedert an das Friedrich-Loeffler-Institut frei und ausdrücklich nicht weisungsgebunden Fragen
der Anwendung von Impfstoffen bei Tieren diskutieren.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Uwe Truyen, Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Zentrum für
Veterinary Public Health, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 353


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Chronischer Botulismus in Sachsen? Ein Fallbericht


Gerlinde Schneider
Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen

Das Auftreten chronischer Bestandserkrankungen in Milchviehbetrieben wird seit einigen Jahren


in der Bundesrepublik als Krankheitskomplex „Chronischer bzw. viszeraler Botulismus“ bezeichnet.
In den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind verschiedene Fälle durch diverse Medienberichte zu
einer neuen „unerforschten Rinderkrankheit“ mit, z.T. unterstelltem, zoonotischem Potenzial.
Berichtet wurde u.a. über ein Krankheitsgeschehen in einem Rinderhaltungsbetrieb im
Vogtlandkreis des Freistaates Sachsen. Weder der klassische noch der chronische Botulismus beim
Rind zählen zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen oder meldepflichtigen Tierkrankheiten.
Hinsichtlich Ätiologie und Klinik handelt es sich beim klassischen Botulismus um eine akute
Intoxikation mit dem Neurotoxin von Clostridium botulinum nach oraler Aufnahme mit dem Futter,
welche zu Paralysen und meist zum Festliegen und Verenden der Tiere führt.
Ursachen, Klinik und Diagnostik des chronischen Botulismus werden zwischen Laien und
Fachleuten kontrovers diskutiert. Aus Sicht der Wissenschaft bestehen nach wie vor Zweifel, ob der
chronische Botulismus als eigenständiges Krankheitsbild besteht.
Abweichend von der beim klassischen Botulismus erfolgenden Aufnahme von außerhalb des
Körpers von Clostridien gebildetem Toxin, wird beim chronischen Botulismus von der
Darmbesiedlung nach Dysbiose mit Sporen oder vegetativen Clostridium botulinum ausgegangen.
Nachfolgend soll es zu einer schleichenden, lang andauernden Intoxikation der betroffenen Tiere
kommen.
Es steht die Frage: Handelt es sich hierbei um eine kausal bedingte Erkrankung oder ist dies
eine Hypothese zur Erklärung eines unspezifischen chronischen Krankheitsbildes mit Inappentenz,
Digestionsproblemen, zentralnervösen Störungen, Klauen – und Eutererkrankungen,
Leistungsdepressionen bis hin zu Todesfällen bei Einwirken weiterer belastender Faktoren in
Milchviehherden?
Anhand der umfangreichen Befundlage aus der pathologischen Diagnostik verendeter und
getöteter Tiere aus dem betroffenen sächsischen Bestand wird analysiert, ob es sich dabei um einen
begründbaren Fall von chronischem Botulismus in Sachsen handeln könnte.
Eingegangen wird auch auf die Schwierigkeit einer veterinärmedizinisch zuverlässigen
Botulismusdiagnostik, da nur diese Basis für eine ätiologisch begründete Definition des chronischen
Botulismus sein kann.
Im Ergebnis wird die Bewertung und Zuordnung des bisher in Sachsen verzeichneten
Einzelfalles von „chronischem Botulismus“ vage bleiben, solange seitens Wissenschaft und
Forschung die Erstellung einer Falldefinition als auch die einer geeigneten Nachweismethode noch
ausstehen:

Kontaktadresse
Dr. Gerlinde Schneider, Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen
Sachsen, Dresden, [email protected]

354 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Afrikanische Schweinepest: Eine Gefahr für Deutschland?


Martin Beer, Sandra Blome
Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) wird durch ein DNS-Virus aus der Familie der Asfarviridae
verursacht. ASP ist eine hochkontagiöse, perakut bis chronisch verlaufende Infektion von Haus- und
Wildschweinen. Neben Haus- und Wildschweinen sind zumindest in Afrika auch Lederzecken der
Gattung Ornithodorus in den Infektionszyklus involviert. Die ASP ist klinisch nicht von der
Klassischen Schweinepest (KSP) zu unterscheiden und eine labordiagnostische Differenzialdiagnose
über den Nachweis von ASP-Virus oder ASP-spezifischen Antikörpern ist daher zwingend
erforderlich. Eine wirksame Vakzine gegen die ASP steht bisher nicht zur Verfügung.
Die ASP ist in Afrika endemisch verbreitet und kommt in Europa immer wieder auf Sardinien vor.
Deutschland war von der Seuche bisher noch nie betroffen. Seit 2007 breitet sich die ASP in
Transkaukasien und Teilen der Russischen Föderation aus. Eine Einschleppung nach Deutschland
muss befürchtet werden. Der in Russland vorherrschende Virusstamm ist sowohl für Haus- als auch
für Wildschweine hoch virulent und führt innerhalb von ca. einer Woche zum Tode der betroffenen
Tiere. Erhöhte Wachsamkeit aller Beteiligten ist somit geboten und für die rechtzeitige Erkennung
eines ASP-Ausbruchs von außerordentlich großer Bedeutung.
Eine eingehende Beschreibung von Verbreitung, Diagnose und Bekämpfung findet sich auch in
den folgenden aktuellen Publikationen: Blome et al., „Exotische Tierseuche vor den Toren der
Europäischen Union“ (Deutsches Tierärzteblatt 7/2011) sowie Blome et al., „Die afrikanische
Schweinepest in Osteuropa – eine Gefahr auch für deutsche Schweinebestände?“ (Tierärztliche
Umschau 7-8/2011).

Kontaktadresse
PD Dr. Martin Beer, Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 355


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Ansteckende Blutarmut der Einhufer: Epidemiologie und Bekämpfung


Matthias Kramer1, Patricia König2
1Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Epidemiologie, Wusterhausen/Dosse; 2Friedrich-Loeffler-
Institut, Institut für Virusdiagnostik, Greifswald-Insel Riems

Einleitung
Die ansteckende Blutarmut der Einhufer, auch bezeichnet als Equine Infektiöse Anämie (EIA)
oder Infektiöse Anämie der Einhufer (IAE), ist eine systemische Viruserkrankung der Pferde, Esel
und deren Kreuzungen sowie Zebras. Der Erreger, ein Lentivirus aus der Familie der Retroviren,
verursacht eine lebenslang persistierende Infektion, begleitet von mehr oder weniger stark
ausgeprägten immunpathologischen Prozessen. Die Tierseuche ist in Deutschland anzeigepflichtig
und ist in der Europäischen Union und in der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE)
mitteilungspflichtig. Sie wird in Deutschland gegenwärtig durch die „Verordnung zum Schutz gegen
die ansteckende Blutarmut der Einhufer“ vom 4. Oktober 2010 tierseuchenrechtlich geregelt, die
unter anderem die Tötung positiver Tiere sowie Sperrung und Untersuchung der betroffenen
Bestände und der Kontaktbetriebe vorschreibt. Der Mensch ist gegenüber dem Virus der EIA nicht
empfänglich.

Vorkommen
Die EIA ist weltweit verbreitet und tritt gelegentlich gehäuft regional in Nord- und Südamerika
sowie Süd- und Osteuropa auf. So scheint die Krankheit beispielsweise in Brasilien regional
endemisch vorzukommen (1). Darüber hinaus werden Ausbruchsmeldungen regelmäßig aus
verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und aus Australien bei der OIE registriert.
In den letzten Jahren wurden in nordwest- und mitteleuropäischen Ländern sporadische Fälle
und einzelne Ausbrüche unter Beteiligung von mehreren Equiden verzeichnet, die in der Regel
schnell und stringent getilgt wurden. Innerhalb der Europäischen Union werden EIA-Ausbrüche
besonders häufig aus Rumänien und Italien gemeldet.
Die EIA wurde in der Bundesrepublik Deutschland bereits in den 50er und 60er Jahren amtlich
festgestellt. Nach den von Heckmann veröffentlichten Daten wurden in den Jahren von 1950 bis
1955 jährlich zwischen 200 bis ca. 300 Ausbrüche amtlich festgestellt, wobei die Ausbruchszahlen
bis 1954 einen steigenden Trend aufwiesen, jedoch seit 1954 durch konsequente Verhütung und
Bekämpfung rückläufig waren (2). Seit Ende der sechziger Jahre bis Anfang der 80er traten nur noch
vereinzelt Fälle auf. Von 1985 bis 1997 wurde die EIA mit Ausnahme eines Falles im Jahr 1993 nicht
mehr amtlich festgestellt. In den Jahren 1998 bis 2005 kam es gelegentlich zur Feststellung
sporadischer Fälle (1998 = 3 Fälle, 1999 = 1 Fall, 2002 = 1 Fall). Seit dem Jahr 2006 nehmen die
amtlichen Feststellungszahlen der EIA in Deutschland wieder tendenziell zu und erreichten bis
einschließlich 2010 mit insgesamt 27 Ausbrüchen den bisherigen Höchststand. Dies entspricht etwa
dem Seuchenstand der Jahre 1962 und 1963 (2). Hinsichtlich der räumlichen Verbreitung der EIA-
Ausbrüche waren die Bundesländer Hessen, Bayern und Thüringen am stärksten betroffen, während
es zu einzelnen Ausbrüchen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen kam. In
Deutschland wird in den letzten Jahren eine Häufung der amtlichen Feststellungen in den Monaten
September und Oktober beobachtet, während im vergleichbaren Zeitraum in anderen EU-Staaten mit
erhöhter Meldefrequenz die Seuche eher in den Frühlingsmonaten festgestellt wurde.

356 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Epidemiologie
Die mechanische Übertragung durch große blutsaugende Insekten wie Pferdebremsen und
Wadenstecher (Tabanus-, Stomoxys-Arten) ist von epidemiologisch relevanter Bedeutung. Das EIA-
Virus (EIAV) bleibt nur etwa 15 bis 30 Minuten an den Mundwerkzeugen der Insekten infektiös,
daher kommt eine Übertragung durch Insektenvektoren über größere Entfernungen (mehr als 200 m)
nicht vor. Infizierte Pferde scheiden EIAV mit Körpersekreten aus, wodurch es bei engem Tierkontakt
ebenfalls zur Infektionsübertragung kommen kann. Epidemiologische Untersuchungen zu EIA-
Ausbrüchen in den letzten Jahren erbrachten Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der
Einfuhr bzw. der Verbringung von infizierten Equiden aus vergleichsweise hochinzidenten Ländern
und dem Vorkommen der EIA in Deutschland. In einigen Fällen konnte jedoch die Infektionsquelle
trotz intensiver Nachforschungen nicht ermittelt werden (3). Das EIAV kann auch durch nicht
zertifizierte biologische Produkte sowie bei Vernachlässigung von Desinfektions- und
Hygienemaßnahmen durch Injektionskanülen, tierärztliche Instrumente oder Pflegezubehör
übertragen werden.

Klinische Symptomatik
Infizierte Tiere bleiben lebenslang Virusträger und stellen potenzielle Infektionsquellen dar. Die
namensgebende Eigenschaft der Anämie (Blutarmut), die durch eine immunpathologische Auflösung
der roten Blutkörperchen entsteht, wird oftmals nicht beobachtet. In 30 bis 90 % der Fälle treten
keine klinischen Krankheitssymptome auf, die Tiere bleiben gesund erscheinende Virusträger,
sogenannte asymptomatische Carrier.
Eine klinische Erkrankung manifestiert sich in akuter oder chronischer Form. Vereinzelt sind
tödliche Verläufe möglich. Klinische Episoden dauern in etwa drei bis fünf Tage und gehen in
wiederkehrenden Schüben einher. Frequenz und Schweregrad nehmen im Infektionsverlauf ab.
Die akute Verlaufsform äußert sich in Fieber, Apathie, Schwäche, Ataxie, Ikterus, Tachykardie,
Herzarrhythmie sowie petechialen Blutungen vor allem auf der Zungenunterseite sowie auf
Schleimhäuten und Lidbindehäuten. Eine chronische Verlaufsform ist durch Erkrankungsschübe mit
rekurrierenden Fieberanfällen, Abgeschlagenheit sowie Ödembildung gekennzeichnet.

Differenzialdiagnostik
Die Babesiose, Ehrlichiose, Leptospirose, Borreliose sowie die Equine Virale Arteriitis (EVA)
müssen in Betracht gezogen werden. Außerdem erlangt während der warmen Jahreszeit und beim
Vorhandensein einer Thrombozytopenie die equine Anaplasmose differenzialdiagnostische
Bedeutung (5). Ödembildung wird auch im Rahmen von Nierenerkrankungen, Herz-/
Kreislaufinsuffizienz und starkem Wurmbefall beobachtet.

Labordiagnostik
Antikörpernachweis: Da das Virus im infizierten Tier persistiert, ist für die Diagnosestellung der
EIAV-Infektion ein positiver serologischer Befund ausreichend. Spezifische Antikörper sind zwei bis
drei Wochen (in Ausnahmefällen bis zu 60 Tagen) nach der Infektion nachweisbar. Für den Agargel-
Immundiffusionstest (AGIDT) werden kommerziell erhältliche Diagnostika verwendet. Darüber hinaus
sind kommerziell indirekte sowie blocking-ELISA-Tests (Enzyme Linked Immunosorbent Assay)
verfügbar.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 357


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Virusnachweis: Die Virusisolierung in primären equinen Makrophagen- und Leukozytenkulturen
ist zeitaufwändig und nicht immer erfolgreich. Die nested- Polymerase-Kettenreaktion (n-PCR) kann
zum Nachweis von viralem Erbmaterial eingesetzt werden (4).

Verhütung und Bekämpfung


Impfungen oder therapeutische Maßnahmen sind verboten. Ungeachtet dessen sind gegenwärtig
geeignete Vakzine auch nicht verfügbar. Die EIA ist eine bekämpfungspflichtige Tierseuche, wobei
die zuständige Behörde Vorsorgemaßnahmen im Sinne von Untersuchungen beispielsweise bei
Einhufern, die in einen Betrieb eingestallt werden oder bei Einhufern, die an Veranstaltungen
teilnehmen, bei denen Pferde verschiedener Bestände zusammenkommen, anordnen kann.
Bei amtlicher Feststellung des Verdachtes der EIA werden durch die zuständige Behörde
unverzüglich klinische und serologische Untersuchungen der seuchenverdächtigen Einhufer oder im
Falle von Verendungen oder Tötungen von Pferden virologische und serologische Untersuchungen
durchgeführt. Liegen Anhaltspunkte für einen Ausbruch der EIA vor, werden umfangreiche
epidemiologische Nachforschungen eingeleitet. Sämtliche Einhufer werden unverzüglich aufgestallt,
seuchenverdächtige Tiere von den übrigen Einhufern abgesondert, eine Insektenbekämpfung
durchgeführt und Geräte und Gegenstände, die EIAV-kontaminiert sein können, werden nach
näherer Anweisung der zuständigen Behörde gereinigt und desinfiziert.
Im Falle der amtlichen Feststellung des Ausbruchs der EIA erfolgt unter anderem die klinische
und serologische Untersuchung aller Einhufer, die serologische und virologische Untersuchung
verendeter oder getöteter Pferde und eine Bestandssperre. Die zuständige Behörde ordnet die
Tötung der Einhufer, bei denen EIA festgestellt wurde und ggf. auch der seuchenverdächtigen Tiere
an. Darüber hinaus wird ein Sperrbezirk mit einem Radium von mindestens einem Kilometer
festgelegt, in dem unter anderem sämtliche Einhufer aufgestallt, innerhalb von sieben Tagen
klinische und serologische Untersuchungen aller Einhufer durchgeführt und Verbringungs-,
Nutzungs-, bzw. Einsatzbeschränkungen für Einhufer und Samen, Eizellen und Embryonen
angeordnet werden. Die Maßnahmen werden im Sperrbezirk aufrechterhalten, bis eine zweimalige,
im Abstand von drei Monaten durchgeführte serologische Untersuchung mit negativem Ergebnis
abgeschlossen wurde.

Literaturverzeichnis
1. Bicout DJ, Cavalho R, Chalvet-Monfray K, Sabatier P. Distribution of equine infectiuos anemia in horses in
the north of Minas Gerais State, Brazil. J. Vet Diagn. Invest. 2006;18:479-82.
2. Heckmann, G. Anzeigepflichtige Tierseuchen in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 1983.
Verlag Paul Parey. Hamburg: 1984.
3. König P, Kramer M. Ansteckende Blutarmut – Equine infectious anemia. Tiergesundheitsjahresbericht,
Friedrich-Loeffler-Institut. Insel Rihms. 2009;(10):31-34.
4. Nagarajan, J et al., J. Virol. Methods. 2001;94:97-109.
5. Schusser GF, Spallek A, Börner H, Hörügel U, Uhlig A, Ohmar Kyaw W. Klinische und labormedizinische
Befunde bei Pferden mit akuter, chronischer oder inapparenter Form der infektiösen Anämie. J. Verbr.
Lebensm. 2008;3:405-10.
6. Verordnung zum Schutz gegen die ansteckende Blutarmut der Einhufer. 4. Oktober 2010; 2010; BGBl. I:
1326.

358 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Kontaktadresse
Dr. Matthias Kramer, Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Epidemiologie, Wusterhausen/Dosse,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 359


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

BHV1-Bekämpfung in Bayern: eine Erfolgsgeschichte


Alexander Seubert1, Michael Köstler2
1BayerischesStaatsministerium für Umwelt und Gesundheit, München; 2Bayerische
Tierseuchenkasse, München

In Bayern wurde bereits seit 1986, zunächst auf freiwilliger Basis, ein BHV1-
Bekämpfungsverfahren durchgeführt. Seit 1998 ist mit der BHV1-VO vom 25.11.1997 die Teilnahme
am Verfahren für alle Rinder haltenden Betriebe verpflichtend. Das Ziel des Bekämpfungsverfahrens
war die Tilgung der anzeigepflichtigen Tierseuche BHV1-Infektion und die Anerkennung als BHV1-
freie Region gemäß Artikel 10 der Richtlinie 64/432/EWG. Die Bekämpfungsstrategie beruhte auf der
Selektion und Ausmerzung der Reagenten. Die untersuchungspflichtigen Bestände werden durch
Sammelmilch- oder Einzelblutproben serologisch überwacht. Mit Ausnahme von Problembeständen
und Mastrindern wurden ausschließlich die Reagenten regelmäßig geimpft.
Zum 30.09.2003 waren 88,6 % der Milchvieh- und Mutterkuhbestände in Bayern BHV1-frei.
Dabei war die Sanierung in den Regierungsbezirken Oberfranken (96,75 %) und Oberpfalz (97 %)
am weitesten fortgeschritten. Da mit der bisherigen Bekämpfungsstrategie bei diesem hohen
Sanierungsstand ein signifikanter Fortschritt nicht mehr zu erzielen war, wurde ab Oktober 2003 mit
der Merzung der letzten Reagenten in diesen Regierungsbezirken begonnen. Die Tötung
(Schlachtung) der Reagenten wurde nach § 7 der BHV1-Verordnung angeordnet. Getötete
(geschlachtete) Rinder wurden gemäß §§ 66 ff. des Tierseuchengesetzes (Gemeiner Wert abzüglich
Schlachterlös) entschädigt.
Als erste Regionen Deutschlands erhielten die Regierungsbezirke Oberfranken und Oberpfalz
am 24.08.2007 die Anerkennung als BHV1-frei. In den übrigen fünf Regierungsbezirken wurde
zeitlich versetzt analog vorgegangen. Mittel- und Unterfranken sind seit dem 06.08.2010 als BHV1-
freie Regionen anerkannt. Für die übrigen Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und
Schwaben ist der Antrag auf Anerkennung als BHV1-freie Region bei der Europäischen Kommission
gestellt. Somit ist zu erwarten, dass im Laufe des Jahres 2011 ganz Bayern als BHV1-frei anerkannt
wird. Insgesamt wurde im Rahmen der Merzung der Reagenten für ca. 37.500 Rinder die Tötung
angeordnet. Die durchschnittliche Entschädigungsleistung je Rind betrug dabei ca. 800 €.
Mit der Anerkennung als BHV1-freie Region ergeben sich Handelsvorteile, da für Rinder aus
BHV1-freien Regionen eine größere Nachfrage zu erwarten ist und bisherige Handelsbarrieren zu
anerkannt BHV1-freien Regionen, wie z. B. Österreich, abgebaut werden. Auf der anderen Seite
ergeben sich aber auch Restriktionen beim Zukauf von Rindern aus nicht anerkannt BHV1-freien
Regionen, wie z. B. den übrigen Bundesländern, Frankreich oder der Tschechischen Republik. Der
Transport von Rindern aus nicht anerkannt BHV1-freien Regionen in anerkannt BHV1-freie Regionen
ist nur zulässig, wenn zusätzliche Gesundheitsgarantien, wie z.B. eine 30-tägige Quarantäne, erfüllt
worden sind. Für Rinder, die in Endmastbetriebe eingestellt werden sollen, gibt es erleichterte
Bedingungen ohne Quarantäne. Durch die zusätzlichen Garantien der Entscheidung 2004/558/EG
werden die Rinder haltenden Betriebe in der BHV1-freien Region bestmöglich vor BHV1-
Neuinfektionen geschützt.
In den bayerischen freien Regionen traten bis auf wenige positive Einzeltiere bisher keine BHV1-
Infektionen auf. Dies zeigt, dass in einer BHV1-freien Region, auch wenn angrenzende Regionen
nicht BHV1-frei sind oder Rinder aus nicht BHV1-freien Regionen zugehen, Neuinfektionen selten

360 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
auftreten. Die zuständigen Behörden erhalten aus der HI-Tierdatenbank zeitnah eine Information
über den Zugang von Rindern aus nicht anerkannt BHV1-freien Regionen. Damit ist eine effektive
Überwachung des Tierverkehrs in die freie Region gewährleistet.

Die BHV1-Freiheit der Milchviehbetriebe wird derzeit vierteljährlich mittels Sammelmilchproben


überwacht. Dieses Überwachungsregime soll kontinuierlich in ein Stichprobenverfahren analog zur
Überwachung des Status’ frei von der Aujeszkyschen Krankheit für Deutschland übergeführt werden.
Damit würden die Kosten für Probenahmen und Untersuchungen, die in der Vergangenheit zwischen
vier und sechs Millionen Euro pro Jahr lagen, auf ein Minimum reduziert werden.

Kontaktadresse
Dr. Alexander Seubert, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, München,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 361


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Zoonosen im Netzwerk erforschen – Die Nationale


Forschungsplattform für Zoonosen
Anke Wiethölter1, Gerlinde Benninger2, Stephan Ludwig2, Ilia Semmler3, Sebastian
Semler3, Martin H. Groschup1
Nationale Forschungsplattform für Zoonosen 1c/o Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger,
Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems; 2c/o Institut für Molekulare Virologie,
Westfälische Wilhelms-Universität, Münster; 3c/o TMF – Technologie- und Methodenplattform für die
vernetzte medizinische Forschung e.V., Berlin

Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation sind Zoonosen Krankheiten, die wechselseitig


zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Die Erreger sind vielfältig: Viren,
Bakterien, Parasiten, Pilze sowie Prionen können Zoonosen verursachen. Knapp zwei Drittel aller
bekannten Infektionskrankheiten beim Menschen zählen zu den Zoonosen (1). Von den zwischen
1940 und 2004 neu aufgetretenen Infektionskrankheiten waren 60 % zoonotischen Ursprungs (2).
Faktoren wie zunehmende Mobilität, schneller Bevölkerungszuwachs, die Erschließung neuer
Lebensräume, eine intensive Nutztierhaltung sowie Klimaveränderungen erhöhen das
Expositionsrisiko und begünstigen eine rasche Ausbreitung.
Um dieser Herausforderung des Gesundheitsschutzes für Mensch und Tier adäquat begegnen
zu können, ist es notwendig, die fachliche Trennung zwischen Infektionsbiologie, Human- und
Tiermedizin zu überwinden. Ein intensiver Erfahrungsaustausch in Verbindung mit einer breiten
interdisziplinären Vernetzung trägt maßgeblich zu einer Verbesserung der Prävention, Diagnostik
und Therapie von Zoonosen bei. Mit diesem Ziel wurde 2006 eine Forschungsvereinbarung
zwischen den drei beteiligten Bundesministerien für Gesundheit, für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz und für Bildung und Forschung geschlossen (3). Diese umfasst als Elemente
zum einen das Forschungssofortprogramm Influenza und zum anderen den Förderschwerpunkt
Zoonosen, bestehend aus Forschungsverbünden und der Nationalen Forschungsplattform für
Zoonosen.
Vor diesem Hintergrund wurde 2009 die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen als
wissenschaftsgetriebene, institutionalisierte Dachorganisation gegründet. Sie steht allen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Bereich Zoonosen in Deutschland forschen, offen
und vertritt deren Interessen. Ihre Geschäftsstelle ist an den drei Standorten Berlin (TMF), Münster
(Westfälische Wilhelms-Universität) und Insel Riems (FLI) angesiedelt. Diese drei Standorte
repräsentieren die Expertise auf dem infrastrukturellen Gebiet, die universitäre Forschung sowie die
Ressortforschung und spiegeln die Diversität der Aktivitäten im Bereich Zoonosen wider.
Zu den Aufgaben zählen die Veranstaltung von interdisziplinären Symposien und
themenspezifischen Workshops zur Stärkung des wissenschaftlichen Austausches sowie die
Bereitstellung von erforderlicher Infrastruktur für das Forschen in Netzwerken. Dabei dient die
Website www.zoonosen.net als zentrales Informations- und Serviceportal (4). Es hält Informationen
zur Plattform und rund um die Zoonosenforschung in Deutschland bereit und informiert über
Veranstaltungen, Möglichkeiten der Forschungsförderung sowie Pilot- und Querschnittsprojekte.
Mitglieder der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen erhalten darüber hinaus einen
geschützten Zugang zum eigens geschaffenen Datenbankinternetportal (DIP), das Informationen zu
Wissenschaftlern, bearbeiteten Zoonosenerregern und Forschungsinstitutionen enthält. Weiterhin

362 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
bietet das DIP eine Übersicht zu vorhandenen Probensammlungen in der Human- und Tiermedizin,
verfügbaren Zelllinien und laufenden Forschungsprojekten sowie umfangreiche Suchfunktionen zu
diesen Themen. Es stellt somit ein Werkzeug zur Vernetzung dar und unterstützt den strukturierten
Informationsaustausch innerhalb der Zoonosenforschung in Deutschland.

Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen wird mit Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung finanziell gefördert.

Literaturverzeichnis
1. Taylor LH, Latham SM, Woolhouse ME. Risk factors for human disease emergence. Phil. Trans. R. Soc.
Lond. B 2001;356:983-9.
2. Jones KE, Patel NG, Levy MA, Storeygard A, Balk D, Gittleman JL, Daszak P. Global trends in emerging
infectious diseases. Nature. 2008;451:990-4.
3. Bundesministerium für Bildung und Forschung [Internet]. Forschungsvereinbarung zu von Tieren auf
Menschen übertragbaren Krankheiten (Zoonosen) vom Kabinett beschlossen [zitiert 25. Juli 2011].
Verfügbar unter: http://www.bmbf.de/press/1758.php.
4. Nationale Forschungsplattform für Zoonosen [Internet]. Startseite der Plattform. [zitiert 25. Juli 2011].
Verfügbar unter: http://www.zoonosen.net/Home.aspx.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Martin H. Groschup, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Friedrich-Loeffler-
Institut, Greifswald–Insel Riems, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 363


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Nagetier-übertragene Infektionen in Deutschland


Martin Pfeffer, Dietlinde Woll
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Zentrum für Veterinary Public Health,
Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

Einleitung
Mit über 2.000 Arten in derzeit 443 Genera und 32 Familien stellen die Nagetiere (Rodentia) vor
den Fledermäusen die artenreichste Gruppe der Säugetiere. Nagetiere in unseren Breitengraden
sind vornehmlich nachtaktiv, sodass wir in der Regel nur selten von ihnen Notiz nehmen.
Schätzungen gehen davon aus, dass in urbanen Lebensräumen zwischen acht und zehn Nagetiere
auf einen Einwohner kommen. Für Leipzig errechnet sich so eine Nagetierpopulation von bis zu fünf
Millionen Tieren. Von etlichen heimischen Nagern ist zudem bekannt, dass sie bei günstigen
Verhältnissen eine Vermehrung der Population bis zum Zehnfachen möglich ist (Tab. 1). Dies betrifft
v.a. Mäusearten, die saisonal-kommensal leben (nur zu bestimmten Zeiten oder bei Futtermangel in
urbanen Gebieten) und ist meist vergesellschaftet mit milden Wintern und großen
Nahrungsangeboten (sogenannte Mastjahre, wenn überdurchschnittlich viele Eicheln und
Bucheckern zur Verfügung stehen). Die Verbreitung der Nagetierarten wird jedoch nicht nur durch
ihre Ansprüche an den jeweiligen Lebensraum bestimmt (Tab. 1), sondern erklärt sich auch aus
paläozoologischen Zusammenhängen. So kommt die Brandmaus (Apodemus agrarius) nur in der
nordöstlichen Hälfte Deutschlands vor und ist z.B. in Baden-Württemberg nicht heimisch. Die
Kenntnis über das Vorkommen und die stammesgeschichtlichen Beziehungen (Phylogenie) dieser
Nagetiere sind in Bezug auf die mit ihnen assoziierten Krankheitserreger interessant, da man bei
vielen von einer Koevolution von Nagetieren und Nagetier-assoziierten Erregern ausgeht. Ein
Verständnis dieser Zusammenhänge ist also möglicherweise auch hilfreich, um die Entstehung und
Häufung von Nagetier-assoziierten Erkrankungen besser zu verstehen und somit besser bekämpfen
zu können.

Nagetier-assoziierte Krankheitserreger in Deutschland


Zu den Nagetier-assoziierten Krankheitserregern gehören verschiedene Viren, Bakterien und
Parasiten (1). Die Erreger unterscheiden sich in der Assoziation mit spezifischen Reservoirwirten,
deren geographischer Verbreitung und den entsprechenden Übertragungswegen (siehe Tab. 1 und
Abb. 1).
Eine Reihe von Nagetier-assoziierten Erreger ist nach den Vorgaben durch das IfSG
meldepflichtig (siehe Tab. 1), d.h., sie sind spätestens 24 Stunden nach Diagnose oder Erkennen der
Erkrankung vom behandelnden Arzt bzw. diagnostizierenden Labor an das zuständige
Gesundheitsamt zu melden. Über die Bundeslandesebene werden die Meldungen an das Robert
Koch-Institut (RKI) weitergeleitet und dort in eine Datenbank eingepflegt.
Die Übertragungsweise der Erreger vom Nagetier auf den Menschen unterscheidet sich
maßgeblich bei den einzelnen Pathogenen. Prinzipiell kann diese Übertragung direkt oder indirekt
erfolgen (Abb.1). Der direkte Kontakt ist in unseren Breiten allerdings selten, so erfolgt die
Übertragung der Infektionserreger hier vorwiegend auf indirektem Weg. Die häufigste in Deutschland
durch Vektoren übertragene Infektionserkrankung des Menschen ist die Frühsommer-
Meningoenzephalitis (FSME). Hier kommt den Nagetieren die Rolle des Reservoirwirtes zu. Wie die

364 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Infektion der Nagetiere mit dem Virus der FSME genau abläuft ist nicht bekannt, aber das Virus
wurde schon von verschiedenen Mäusearten isoliert (2). Ähnlich stellt sich die Situation für weitere
Erreger wie Rickettsien, Anaplasmen, Babesien, wahrscheinlich Ehrlichien und andere Pathogene
dar, die in Nagetieren gefunden werden, die hier in der Regel keine Pathogenität zeigen, und die
über blutsaugende Arthropoden auf Mensch und Tier übertragen werden (3). Ein weiterer in
Deutschland sehr wichtiger indirekter Übertragungsweg ist der Kontakt mit oder die Inhalation von
infektiösen Ausscheidungen der entsprechenden Nager. So sind z.B. Hantaviren in Staub sehr lange
haltbar und können bei Verwirbelung eingeatmet werden. Leptospiren werden dagegen eher im
feuchten Milieu oder im Wasser durch kleinere Verletzungen der Haut aufgenommen. Nach fallenden
Zahlen in den 1960er bis 1990er Jahren hat die Anzahl der Leptospirosefälle in den vergangenen
Jahren zugenommen (4). Der Großteil der Infektionen ist mit Tätigkeiten am oder im (durch Nagetier-
Urin verunreinigten) Wasser bzw. Abwasser assoziiert. Darüber hinaus wird zunehmend über Fälle
nach direktem Kontakt zu Tieren, meist Ratte oder Hund, berichtet. Darunter befanden sich auch
mehrere Fälle, die durch als Haustiere gehaltene Ratten verursacht wurden. Ratten und andere
Nagetiere fungieren als Reservoir und Leptospiren können von ihnen über lange Zeit in großen
Mengen ausgeschieden werden (Tab. 1). In Abbildung 2 ist die geographische Verbreitung der seit
2001 gemeldeten 716 Fälle dargestellt, wobei lediglich die eher spektakulären Ausbruchsgeschehen
bei Triathleten oder Erntearbeitern hier in das öffentliche Bewusstsein gelangen (5,6,). Die
zugrundeliegenden Mechanismen werden jedoch nur unzureichend verstanden. Welche Nager
welche Leptospiren übertragen oder ob es hier überhaupt so etwas wie eine gewisse
Überträgerpräferenz gibt, ist bislang nicht bekannt. Schließlich gibt es etliche Erreger, bei denen
vermutet wird, dass Nagetiere bei ihrer Übertragung eine Rolle spielen, der entsprechende Beweis
ist jedoch bislang nicht gelungen (z.B. Coxiella burnetii, der Erreger des Q-Fiebers, Bartonella spp.,
darunter auch der Erreger der Katzenkratzkrankheit).

Abb. 1: Schematische Darstellung der


hauptsächlichen Übertragungsmöglichkeiten
von Infektionserregern vom Nagetier auf
Mensch und Tier. Links ist der sicherlich
wichtigste indirekte Übertragungsweg
dargestellt, bei dem die Nagetiere Erreger
ausscheiden, die dann von Mensch und Tier
aerogen oder mit kontaminierten Lebensmitteln
aufgenommen werden. Bei den Vektoren-
übertragenen Infektionen nehmen die Nagetiere
die Funktion von Reservoir- bzw.
Zwischenwirten ein (Mitte). Bei den in der
rechten Bildhälfte dargestellten direkten
Ansteckungen spielen die alimentären
Infektionen vor allem in Regionen der Welt eine
Rolle, wo jegliche Proteinquelle zur Ernährung genutzt wird. In Europa sind auch die Fälle von Rattenbissfieber
durch die entsprechenden hygienischen Verhältnisse vergleichsweise selten, aber durch die zunehmende
Haltung von Ratten als Haustiere nicht zu vernachlässigen. Die direkte Übertragung ist in unseren
Breitengraden vor allem in der Schadnagerbekämpfung zu berücksichtigen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 365


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Abb. 2: Geographische Verteilung der entsprechend


der Falldefinition des Robert Koch-Institutes
übermittelten 716 Fälle an Leptospirose seit Einführung
der Meldepflicht nach dem neuen
Infektionsschutzgesetz in Deutschland. In der
Darstellung nach Landkreis (Wohn-/Aufenthaltsort des
Patienten) ist zu beachten, dass der Meldeort nicht
notgedrungen identisch ist mit dem Ort, an dem die
Infektion erfolgte. Quelle: SurvStat,
http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 31.07.2011.

Nagetiere in urbanen Lebensräumen


In urbanen Gebieten sind es vornehmlich Nagetiere, die durch Menschen geprägte Lebensräume
zum Überleben nutzen und hieran sehr gut angepasst sind. Wanderratte, Hausratte und Hausmaus
leben in Gruppen und ernähren sich vor allem von Sämereien, Früchten und deren Produkten. Die
Wanderratte nimmt zusätzlich tierische Proteine als Nahrung auf, z.B. Jungvögel und Aas. Alle drei
Arten nutzen Müll im urbanen Bereich aus Containern, Tonnen oder Wertstoffsammlungen oder
falsch angelegte Komposthaufen als Nahrungsquelle. Andere Mäusearten (Gelbhalsmaus,
Waldmaus, Rötelmaus) kommen eigentlich frei im Wald oder am Waldrand vor. Im Winter oder im
Fall von Massenvermehrungen aber suchen sie die Nähe des Menschen oder wandern zur
Überwinterung und Nahrungssuche in Gebäude ein. Auch diese Arten stellen im urbanen und
suburbanen Bereich eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung des Menschen durch übertragbare
Krankheiten dar.

Nagetiere als Schädlinge in der Land- und Forstwirtschaft


Feldmaus und Schermaus bedrohen landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Existenz, wenn sie in
Jahren der Massenvermehrung großflächige Totalschäden auf Feldern und Weiden anrichten bzw.
wenn sie Obst- oder Rebanlagen durch Wurzel- oder Rindenfraßschäden vernichten. Waldmäuse
wiederum können erhebliche Schäden an Zuckerrübensaat anrichten. Eng an den menschlichen
Lebensraum gebundene Nager (s.o.) können in landwirtschaftlichen Betrieben bedeutende Vorrats-
und Materialschädlinge darstellen. Für die Wanderratte wird als Schätzwert eine Million Tonnen
verzehrter oder unbrauchbar gemachter Nahrungs- und Futtermittel pro Jahr allein für die
westdeutschen Bundesländer angenommen.
Vor allem Erd-, Feld-, Scher- und Rötelmäuse sind als Wühlmäuse für die Forstwirtschaft von
besonderer Bedeutung. Diese Tiere können Waldbäume in ihrer Jugendphase letal schädigen,
indem sie Rinde, Knospen, Zweige und Wurzeln junger Forstpflanzen benagen. Zu einem Anstieg
der Baumschäden kommt es vor allem in Jahren mit hohen Populationsdichten (siehe Tab. 1). Da die

366 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Individuenzahl häufig zum Ende der Vegetationsperiode zunimmt, das Angebot der Nahrung sich
jedoch zu diesem Zeitpunkt verringert, wird die Aktivität der Kleinnager hauptsächlich von der Suche
nach neuen Nahrungsquellen bestimmt. Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot führt dazu,
dass sich Kleinnager von Oktober bis März zunehmend auf alternative Nahrung wie junge
Forstgehölze orientieren. Insbesondere Laubgehölze dienen den Wühlmäusen in der
vegetationsarmen Winterperiode als zusätzliche Nahrungsquelle.

Nagetierbekämpfung
Wenn Nagetierschäden überhand nehmen, sie die wirtschaftliche Existenz beeinträchtigen, oder
wenn gesundheitliche Gefahren durch Übertragung von Krankheitserregern drohen, müssen
Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Hohe Populationsdichten der Nagetiere können die Prävalenz
zoonotischer Erreger fördern und zu einer erhöhten Zahl von Humaninfektionen führen. Manche
Probleme lassen sich durch Vorbeugemaßnahmen oder durch nagetiersichere Bauweise, Lagerung
von Futtermitteln in dicht schließenden Behältern oder konsequente Hygienemaßnahmen im Haus-
und Hofbereich lösen. Bekämpfungsmaßnahmen müssen frühzeitig und konsequent erfolgen. Es ist
nicht sinnvoll, eine Massenvermehrung von Nagern auf deren Höhepunkt kleinräumig zu bekämpfen,
weil die Erfolge durch Zuwanderung schnell zunichte gemacht würden. Naturgemäß sind es vor
allem die kommensalen und die saisonal-kommensalen Nager, die entsprechend ganzjährig, oder
nur in den kalten Jahreszeiten bekämpft werden müssen. Wichtig ist dabei, dass die Maßnahmen zur
Bekämpfung in allen Bereichen eines Betriebes gleichzeitig und über einen hinreichend langen
Zeitraum durchgeführt werden. An Wirkstoffen stehen je nach Anwendungsbereich verschiedene
zugelassene Präparate zur Verfügung. Prinzipiell sollte sachkundige Hilfe durch professionelle
Schädlingsbekämpfer in Anspruch genommen werden.

Schlussbemerkung
Im Spannungsfeld von Mensch und Tier nehmen die Nagetiere eine besondere Stellung ein, weil
sie in vielerlei Hinsicht unser Leben beeinflussen oder gar gefährden können. Nicht ohne Grund hat
sich die Hausmaus zu dem „Labortier“ des Menschen entwickelt. Von den bekannten rund 1.400
humanpathogenen Krankheitserregern sind mehr als 800 Zoonoseerreger, also
Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden (7). Während es beim
Menschen zum Ausbruch einer Infektionskrankheit kommen kann, zeigen die Erreger-tragenden
Reservoirwirte meist keinerlei Anzeichen einer Erkrankung. Neben entwicklungsbiologischen,
physiologischen und immunologischen Aspekten ist die Maus mit fast jedem Erreger infizierbar und
hat sich so schon früh einen festen Stellenwert in der Infektionsmedizin geschaffen. Mit Inkrafttreten
des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen
(Infektionsschutzgesetz, IfSG) und der damit verbundenen Einführung der Meldepflicht für humane
Infektionen mit bestimmten Zoonoseerregern wird eine bessere Erfassung dieser Erkrankungen
ermöglicht. Auf der anderen Seite ist das Wissen über die geographische Verbreitung und Häufigkeit
der zoonotischen Erreger in ihren natürlichen Reservoirwirten sehr gering. Hier wird es in Zukunft
noch viel zu forschen geben, um auch die in Deutschland vorkommenden Zoonosen besser
verstehen zu können und damit letztlich bessere Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können. Um
aber eine wirkungsvolle Bekämpfung zum Schutz von Mensch und Tier durchführen zu können, sind
diese Daten, aber auch die Kenntnis der Ökologie der entsprechenden Reservoirtiere notwendige
Voraussetzung.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 367


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Tabelle 1: Übersicht zu einigen, meist häufigen Nagetieren Deutschlands, ihrem hauptsächlichen
Vorkommen und den Krankheitserregern, mit denen sie assoziiert sind.
Familie; Art Vorkommen, Assoziierte Krankheitserregerb
Unterfamilie Habitat
Muridae; Brandmaus DOBV-Aa/SAAV, B. burgdorferi,
Murinae (Apodemus Leptospira spp., F. tularensis
(echte Mäuse) agrarius)
Gelbhalsmaus Wälder, Waldränder, DOBV-Af, FSMEV, HEV, CPXV, B.
(Apodemus Parks, Gebüsch burgdorferi s.s., B. afzelii, B. garinii,
flavicollis) Leptospira spp., F. tularensis
Waldmaus FSMEV, B. burgdorferi, F. tularensis
(Apodemus
sylvaticus)
Hausmaus (Mus C. burnetii, CPXV, LCMV, Leptospira
musculus) Menschliche ssp., F. tularensis
Hausratte (Rattus Siedlungen, Lager, CPXV,C. burnetii, Leptospira ssp.
rattus) Speicher, Stallungen,
Wanderratte (Rattus Kanalisation, SEOV, C. burnetii, B. burgdorferi, F.
norvegicus) Feldkulturen tularensis
Cricetidae; Rötelmausa Laub- und PUUV, FSMEV, CPXV, Ljunganvirus,
Arvicolinae (Myodes glareolus) Mischwälder, Tribec-Virus, Borrelia burgdorferi s.s., B.
(Wühlmäuse) Parklandschaften afzelii, Leptospira spp., F. tularensis,
Babesia microti
Feldmausa TULV, FSMEV, CPXV, Ljunganvirus,
(Microtus arvalis) Leptospira ssp., Brucella microti, C.
Grünland, Ackerbau- burnetii, Echinococcus multilocularis, B.
und Sonderkulturen, afzelii, F. tularensis
Erdmausa offene Landschaften CPXV, TULV, Babesia microti
(Microtus agrestis)

Schermausa Grünland, Gärten, F. tularensis


(Arvicola amphibius) Gewässerufer,
Aufforstungen
Bisam (Ondatra Wasserläufe, flache CPXV, F. tularensis
zibethicus) Seen
Myocastoridae Nutria (Myo-castor
coypus) An und in fließenden
Biber Gewässern CPXV, F. tularensis, Leptospira ssp.c
(Castor fiber)
aBei diesen Arten können typische Massenvermehrungen auftreten. b Daten entnommen den zitierten Arbeiten (1,8).
Herpesviren aus der Gattung Cytomegalievirus und Rhadinovirus gemäß (9) sind nicht aufgeführt. Die Abkürzungen
bezeichnen: PUUV, Puumalavirus; FSMEV, Frühsommer-Meningo-Enzephalitis-Virus; CPXV, Kuhpockenvirus; TULV,
Tulavirus; DOBV-Aa/SAAV, Apodemus agrarius assoziiertes Dobrava-Belgrad-Virus/Saaremaavirus; DOBV-Af,
Apodemus flaviciollis assoziiertes Dobrava-Belgrad-Virus; HEV, Hepatitis E-Virus; LCMV, Lymphozytäres
Choriomeningitisvirus; SEOV, Seoulvirus. c eigene, unveröffentlichte Daten.

368 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Danksagung
Wir möchten uns bei allen Kolleginnen und Kollegen des Netzwerks „Nagetier-übertragene
Pathogene“, allen voran Herrn PD Dr. Rainer G. Ulrich, Insel Riems, Frau PD Dr. Sandra Essbauer,
München, und Herrn Dr. Jens Jacob, Münster, für die Möglichkeit bedanken, in diesem Netzwerk
mitarbeiten zu dürfen und für die Bereitstellung vieler Informationen, die hier eingeflossen sind. Für
die Biberproben danken wir Herrn Dipl.-Biol. Rainer Allgöwer, Mühlacker.

Literaturverzeichnis
1. Ulrich RG, Heckel G, Pelz HJ, Wieler LH, Nordhoff M, Dobler G, Freise J, Matuschka FR, Jacob J,
Schmidt-Chanasit J, Gerstengarbe FW, Jäkel T, Süss J, Ehlers B, Nitsche A, Kallies R, Johne R, Günther
S, Henning K, Grunow R, Wenk M, Maul LC, Hunfeld KP, Wölfel R, Schares G, Scholz HC, Brockmann
SO, Pfeffer M, Essbauer SS. Rodents and rodent associated disease vectors: the network of "rodent
carrying pathogens" introduces itself. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitssch.
2009;52(3):352-69.
2. Dobler G, Asöpck H. Durch Zecken übertragene Arboviren als Erreger von Infektionen des Menschen. In:
Aspöck H, Herausgeber. Krank durch Arthropoden. Denisia 30; 2010. S. 467-499.
3. Ulrich RG, Schmidt-Chanasit J, Schlegel M, Jacob J, Pelz HJ, Mertens M, Wenk M, Büchner T, Masur D,
Sevke K, Groschup HM, Gerstengarbe FW, Pfeffer M, Oehme R, Wegener W, Bemmann M, Ohlmeyer L,
Wolf R, Zoller H, Koch J, Brockmann S, Heckel G, Essbauer SS. Network „Rodent-borne pathogens“ in
Germany: Longitudinal studies on the geographical distribution and prevalence of hantavirus infections.
Parasitology Research. 2008;102(Suppl 1):121-9.
4. Adler B, de la Pena Moctezuma A. Leptospira and Leptospirosis. Vet Microbiol. 2010;140:287-96.
5. Anonymous. Leptospira-Grippothyphosa-Ausbruch unter Erdbeerpflückern. Epidemiol Bull. 2008;11:85-8.
6. Brockmann S, Jansen A, Leitmeyer K. Leptospirose bei zwei Sportlernn nach Triathlons in Baden-
Württemberg. Epidemiol Bull 2006;38:329.
7. Jones KE, Patel NG, Levy MA. Global trends in emerging infectious diseases. Nature. 2008;451:990-3.
8. Kaysser P, Seibold E, Mätz-Rensing K, Pfeffer M, Essbauer S, Splettstoesser WD. Re-emergence of
tularemia in Germany: Presence of Francisella tularensis in different rodent species in endemic areas.
BMC Infect Dis. 2008;8:157.
9. Ehlers B, Küchler J, Yasmum N, Dural G, Voigt S, Schmidt-Chanasit J, Jäkel T, Matuschka FR, Richter D,
Essbauer S, Hughes DJ, Summers C, Bennett M, Stewart JP, Ulrich RG. Identification of novel rodent
herpesviruses, including the first gammaherpesvirus of Mus musculus. J Virol. 2007;81(15):8091-100.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Martin Pfeffer, Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Zentrum für
Veterinary Public Health, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 369


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

ESBL- jetzt auch ein Problem in der Veterinärmedizin ?


Dorothee Geier-Dömling, Michaela Gentil, Elisabeth Müller
Labor für klinische Diagnostik, Bad Kissingen

Einleitung
Die ESBL (extended spectrum β-lactamasen) beschreibt eine Resistenz-Eigenschaft von
Bakterien. Bakterien mit dieser Eigenschaft haben laut Literatur vorwiegend ihren normalen Standort
im tierischen und menschlichen Darm. Geraten sie aber in den Organismus, können sie zu
Infektionen im Harn- und Respirationstrakt, aber auch zu postoperativen Wundinfektionen und
Septikämien führen. Enterobakterien wie E. coli oder Klebsiella pneumoniae, die extended-spectrum
beta-lactamase produzieren, sind nicht gefährlicher als multiresistente Staphylococcus aureus-
Stämme (MRSA). Jedoch können ESBL-produzierende gramnegative Bakterien beinahe alle β-
Lactamantibiotika inaktivieren, die bei MRSA noch Wirkung zeigen. Dies kann bedeuten, dass viele
ESBL-Träger neben Cephalosporinen auch resistent gegenüber der Chinolongruppe sein können.
Bei den Keimarten handelt es sich vorwiegend um E. coli, Klebsiella spec., Proteus spec.,
Enterobacter spec. und andere. ESBL-Stämme sind β-Lactamasen mit einem erweiterten Spektrum,
das heißt sie können β-Lactame hydrolysieren und inaktivieren. Somit sind Bakterien die ESBLs
produzieren allen β-Lactam-Antibiotika gegenüber als resistent anzusehen, kennzeichnend ist jedoch
die Hemmbarkeit durch Clavulansäure.

Übertragung
Die Übertragung erfolgt durch direkten bzw. indirekten Kontakt mit Fäzes, kontaminierten
Händen bzw. Gegenständen (Stethoskope, Bronchoskope, Wäsche, Ultraschallgel usw.) sowie
erregerhaltigen Sekreten, infizierten Wunden; auch Übertragungswege durch Aerosole werden
diskutiert.
Als Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen/-Kolonisationen mit ESBL-Bildnern gelten:
geschwächte, körpereigene Immunabwehr, hohes Alter, invasive Maßnahmen mit erhöhtem
Infektionsrisiko, wie Katheter, Beatmungsgeräte, aber auch chronische Wunden und vor allem
exzessive Antibiotikatherapie mit 3. Generations-Cephalosporinen und Chinolonen, die die Bildung
und die Zunahme von multiresistenten Problemerregern provozieren.

Epidemiologische Untersuchungen
ESBLs sind auf Plasmiden lokalisiert. Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Gene, die zu
den ESBLs zusammengefasst werden. Durch horizontale Übertragung können sie auf viele Spezies
übertragen werden und mit anderen Resistenzgenen gekoppelt sein. Seit den 80er Jahren stellen
ESBLs ein ernstes Problem weltweit dar. Bereits 1983 wurden ESBL-Varianten identifiziert.
Ceftazidimresistenz durch Klebsiella pneumonia wurde in der Humanmedizin bei 5–10 % der
Intensivpatienten nachgewiesen. 1997 und 1998 wurden 25,4 % der Klebsiella sp. in West-EU und
Süd-EU positiv getestet. Die erste Isolation einer β-Lactamase gelang aus einem E. coli-Stamm.
Dies war TEM-1, das schon früher aus einer Blutkultur eines Patienten namens Temoniera gefunden
wurde. Für TEM-1 wird für 90 % aller Ampicillinresistenzen in E. coli verantwortlich gemacht.
Mittlerweile sind >100 TEM Derivate beschrieben. SHV-1 (Sulfhydryvariante) tauchte in Klebsiella
pneumonia und bei E. coli auf. Auch für SHV sind mehr als 50 Varianten beschrieben. Schon 1989

370 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
wurde das erste Mal in Deutschland CTX-M1 beschrieben. CTX-M β-Lactamasen traten in der
Zwischenzeit bei fokalen Ausbrüchen vor allem in Japan und Südamerika auf. Die Autoren
beschrieben bei verschiedenen Tierarten das Vorkommen von 150 TEMs- Typen. CTX M -1 wurde
beim gesunden Kleintier nicht in Europa, jedoch in Lateinamerika gefunden (5). Beim kranken
Kleintier mit Harnwegsinfektionen lagen dort bis zu 19 % AmpCß-lactamase-produzierende E. coli
vor.

Untersuchung
In der Veterinärmedizin existieren relativ wenig Daten über die Verbreitung der ESBL-Bildner bei
Tieren. In unserem Labor etablierten wir daher ein Vorgehen zum Nachweis von ESBLs aus
Routineeinsendungen der bakteriologischen Diagnostik. Zuhilfe kam uns das Mikronaut-S-System
Merlin, der Firma Viroteck. Das Testprinzip dieses Systems basiert darauf, dass phänotypische
Resistenzen durch Wachstumsorganismen in Gegenwart der getesteten Antibiotika untersucht
werden. Die als Mikrodilution bezeichnete standardisierte Methode gilt als weltweit anerkannte
Referenzmethode der minimalen Hemmkonzentration (MHK). Das MCN6-Software-Programm zeigt
bei Verdacht aufgrund des nachgewiesenen Resistenzspektrums einen Warnhinweis hinsichtlich
ESBL. Zur weiteren Abklärung wurden verdächtige Stämme nochmals subkultiviert und auf Oxoid
BrillanceTM ESBL-Agar ausgestrichen. Dabei handelt es sich um ein chromogenes Screening-
Medium für die Isolierung von ESBL-bildenden Organismen. Alle ESBL-identifizierten
Bakterienstämme wurden weiterführend molekularbiologisch analysiert. Dabei wurden die
Bakterienstämme mittels zweier Multiplex-PCRs, wie ausführlich beschrieben auf die am häufigsten
vorkommenden , resistenzvermittelnden Varianten des β-lactamase (bla)-gens (TEM, SHV, OXA und
CTX-M) untersucht (1).

Ergebnisse
Zur Auswertung gelangten 194 Proben innerhalb eines dreiviertel Jahres, die als ESBL
identifiziert worden waren. Der Hund lag bei der prozentualen Tierartenverteilung mit 48,5 % weit
vorne, gefolgt von einem kunterbunten Tierartenspektrum. Bei der Bakterienartverteilung wurde E.
coli mit 72,7 % am häufigsten isoliert. Die meisten ESBL-Isolate wurden aus Harnen und aus
Fäzesproben isoliert. Bei den untersuchten Bakterienstämmen konnten eine oder mehrere der
untersuchten Genvarianten mittels PCR nachgewiesen werden, wobei TEM gehäuft – aber noch
übertroffen von der CTX-M group 1 – vorkamen (siehe Abb. 1). In vielen PCR positiven Proben
wurden gleichzeitig mehrere Genvarianten identifiziert. 18,6 % der auf ESBL-Agar positiv getesteten
Stämme wiesen keine oben beschriebenen Gene auf. Bislang wurden diese Stämme nicht weiter auf
andere eventuell noch vorkommende Resistenzgene hin untersucht.

Diskussion
Zum kulturellen Nachweis der ESBL-Stämme wurde der Brillance-ESBL-Agar der Firma Oxoid
gewählt. Dieser Agar zeigte bei diversen Untersuchungen 100 % Sensitivität und Spezifität, wie bei
der Gruppe beschrieben (2). Der Nachweis der 194 ESBL-Stämme wurde zusätzlich noch durch
molekularbiologische Methoden mittels Multiplex-PCRs abgeglichen. Die beobachtete Häufung von
CTX-M und TEM-Varianten in den ESBLs stimmen mit aktuellen Untersuchungen in der
Humanmedizin überein (3). Wie in veterinärmedizinischen Veröffentlichungen beschrieben (4,5),
konnten bei dieser Studie ebenso aus Fäzes und Harn gehäuft ESBL-Isolate nachgewiesen werden,
wobei nicht mit Klarheit zu sagen ist, ob es sich um Besiedler-ESBLs oder echte Infektionserreger

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 371


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
handelt. Antibiotika werden in der Veterinärmedizin nicht immer korrekt eingesetzt. Inadäquate
Antibiotikagabe bei viralen Erkrankungen, Gebrauch von Breitspektrum-Antibiotika ohne Indikation,
falsche Dosierungen und Applikationen, Langzeitbehandlung, große Tierzahlen und gleichzeitige
Unterdosierung können bakterielle Resistenzen begünstigen. Auf dem Hintergrund der drohenden
Weiterverbreitung von Resistenzplasmiden unter Antibiotikagabe und damit verbundenem
Selektionsdruck ist der Einsatz auf der Basis der Antibiotika-Leitlinien in besonderem Maße
anzuraten.
Mindestanforderungen an den gezielten Einsatz von Antibiotika sind u.a. die vorangestellte
mikrobiologische Diagnose, die Auswahl des am besten geeignetsten Wirkstoffs mit schmalem
Wirkungsspektrum bei höchstmöglicher Sicherheitsbreite und gute Gewebegängigkeit für die
betroffene Lokalisation.

Abb. 1: Resistenzgene ESBL


(n=194), 2010-2011

Fazit
Der Nachweis des ESBL-Erregers ist nicht zwangsläufig mit einer Infektion gleichzusetzen,
vielmehr handelt es sich nicht selten um eine Besiedlung/Kolonisation ohne Infektionszeichen.
Aufgrund der Übertragbarkeit des Resistenzmechanismus steigt jedoch auch bei wirklichen
Infektionen der Anteil von ESBL-bildenden Erregern in alarmierender Weise an und muss in
zunehmendem Maße als ernste Bedrohung angesehen werden. Bei Infektionen durch ESBL-
Stämme sind häufig nur noch Carbapeneme (Imipenem etc.) oder eventuell noch Chinolone
wirksam. Der Einsatz dieser Reserveantibiotika kann wiederum zu Sekundärresistenzen, aber auch
zum Auftreten anderer multiresistenter Erreger, wie z.B. Pseudomonas aeruginosa führen. Dies kann
in Zukunft zu einem absoluten Therapienotstand führen, insbesondere da Neuentwicklungen auf
dem Antibiotikasektor in den letzten Jahren nur in den wenigsten Fällen mit Einführung neuer
Wirkstoffgruppen einhergingen.

Literaturverzeichnis
1. Dallenne C, Da Costa A, Decre D, Favier C, Arlet G. Development of a set of multiplex PCR assays for the
detection of genes encoding important beta-lactamases in Enterobacteriaceae. Antimicrob Chemother.
2010;65(3):490-5.
2. Malhotra-Kumar S, Cortinas Abrahantes S, Lammens C, Molenberghs G, Aerts M, Goossens H. Rapid
detection of extended-spectrum ß-lactamase-producing Enterobacteriaceae. A randomized, investigater-
blinded evaluation of culture-based approaches, Poster # P 2057.

372 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
3. Rubtsova M. Yu, Uliyashova MM, Edelstein MV, Egorov AM. Oligonucleotide microarrays with horseradish
peroxidase-based detection for the identification of extended-spectrum ß-lactamases. Elsevier: Biosensors
and Bioelectronics article in press; 2010.
4. Guardabassi L, Jensen LB & Kruse H. Antimicrobial use in animals. Blackwell Publishing, Oxford, UK;
2008.
5. Smet A, Martel An, Persoons D, Dewulf J, Heyndrickx M, Herman l, et al.,.Broad-spectrum ß-lactamases
among Enterobacteriaceae of animal origin: molecular aspects, mobility and impact on public health.
FEMS Microbiol. Rev. 2010;34:295-316.

Kontaktadresse
Dr. Dorothee Geier-Dömling, Labor für klinische Diagnostik, Bad Kissingen, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 373


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Leptospirose als Paradigma einer vernachlässigten Zoonose


Peter Valentin-Weigand
Institut für Mikrobiologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Zusammenfassung
Die Leptospirose ist weltweit gesehen die am weitesten verbreitete Zoonose und beispielhaft für
eine vernachlässigte Infektionskrankheit mit globaler Bedeutung. Die Gründe für die Unterschätzung
der Leptospirose als Zoonose sind vielfältig. Zum einen tritt sie in den Industrienationen nur
sporadisch auf. Zum anderen ist relativ wenig über Leptospiren bekannt. Dies hat sich erst in den
letzten Jahren geändert, auch bedingt durch Genomvergleiche verschiedener Stämme und Spezies,
Transkriptom- und Proteomanalysen sowie durch Etablierung von Methoden zur Herstellung von
Mutanten. Die Fortschritte in der Grundlagenforschung lassen darauf hoffen, dass diese auch zu
verbesserten Möglichkeiten der Diagnose und Bekämpfung führen werden. Der vorliegende Beitrag
soll eine kurze Übersicht zum derzeitigen Kenntnisstand über Leptospiren als Zoonoseerreger
geben. Schwerpunkte sind Erregerbiologie, Epidemiologie, Pathogenese und Immunkontrolle.

Taxonomie und Biologie der Leptospiren


Leptospiren gehören zu den Spirochaeten und umfassen pathogene wie saprophytär lebende
Spezies. Derzeit sind 13 pathogene Spezies beschrieben, zu denen vor allem L. interrogans und L.
borgpetersenii gehören. Etwa 50 % aller pathogenen Leptospiren gehören zu einer dieser beiden
Arten. Sie lassen sich auf Basis ihrer LPS-Antigenstruktur in 24 Serogruppen und über 260 Serovare
unterteilen. Die Serovare unterscheiden sich auch in ihrer Wirtspräferenz und Pathogenität. Von den
sechs beschriebenen saprophytären Leptospiren ist vor allem L. biflexa bekannt.
Morphologisch charakteristisch für Leptospiren ist ihre „Kleiderbügel“-Gestalt. Sie sind sehr dünn
und lang (ca. 0,1 x 6-20 µm) und zählen aufgrund ihrer Zellhüllenstruktur zu den gramnegativen
Bakterien. Ihr LPS ist strukturell sehr ähnlich dem LPS anderer gramnegativer Bakterien, wie z. B.
Escherichia coli; allerdings ist es weniger toxisch. Leptospiren sind mit Endoflagellen ausgestattet,
die ihnen eine hohe Motilität ermöglichen. Diese ist, neben anderen Faktoren, von großer Bedeutung
für ihr Überleben und die Pathogenität im Wirt. Sie sind obligat aerob und haben ihr
Wachstumsoptimum bei einer Temperatur von 28–30°C. Für die kulturelle Anzucht werden
Nährböden verwendet, die neben Vitaminen vor allem langkettige Fettsäuren enthalten müssen, da
diese als einzige C-Quelle verwertet werden. Diagnostisch ist von Bedeutung, dass die Isolierung
schwierig ist (je nach Serovar) und bis zu 13 Wochen dauern kann.
In den letzten Jahren wurden sechs Leptospiren-Genome sequenziert und analysiert. Demnach
liegt die Genomgröße zwischen 3,9 bis 4,6 MBp (also vergleichbar mit der Genomgröße von E. coli).
Interessant ist der Vergleich zwischen pathogenen und saprophytären Stämmen. In den bisher
publizierten Studien wurden 2052 gemeinsame Gene, aber auch eine Vielzahl unterschiedlicher
Gene nachgewiesen. Eine Genomreduktion hat offenbar bei L. borgpetersenii stattgefunden, was gut
zur eingeschränkten Lebensweise dieser Spezies passt. Sie ist, im Gegensatz zu L. biflexa und L.
interrogans, nicht in der Lage, in der Umwelt zu überleben, sondern auf Wirtsorganismen
angewiesen.

374 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Epidemiologie und Bedeutung der Leptospirose als Zoonose
Leptospiren sind sehr weit verbreitet. Praktisch jede Säugerspezies kann als Reservoirwirt
dienen. Als Hauptwirte für die Erhaltung von Naturherdinfektionen sind vor allem kleine Nagetiere,
wie Wanderratten oder Mäuse, von Bedeutung. Hauptwirte bei Haustieren sind besonders Hund,
Schwein, Rind und Schaf. Grundsätzlich können aber praktisch alle Wild- und Haustiere sowie der
Mensch infiziert werden. Viele Leptospirenspezies, mit Ausnahme von L. borgpetersenii, können
auch in nährstoffarmen Umgebungen überleben, wie z. B. in feuchten Böden oder Gewässern.
Kritisch sind dabei besonders Salzgehalt, pH-Wert und Viskosität sowie die Fähigkeit der
Leptospiren, Biofilme zu bilden. In den Hauptwirten kann die Infektion zur lebenslangen Persistenz
des Erregers in der Niere führen. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich mit dem Harn, in dem
Erregerkonzentrationen von bis zu 108/ml gefunden wurden. Daher spielt die Populationsdichte der
Hauptwirte eine sehr wichtige Rolle für die Exposition und damit das Infektionsrisiko des Menschen.
Der Mensch ist als Nebenwirt eher eine „Sackgasse“ für Leptospiren. Übertragungen von
Mensch zu Mensch sind ohne Bedeutung. Infektionen erfolgen in der Regel durch Eintritt der Erreger
über kleine Hautwunden oder über (auch intakte!) Schleimhäute nach Kontakt mit Urin oder
kontaminiertem Wasser. Die Infektion kann sehr vielseitig verlaufen, von leichten, grippe-ähnlichen
Erkrankungen bis zu sehr schwer verlaufenden Formen (z. B. Weil’sche Krankheit) mit Mortalitäten
von 5–10 %, abhängig von der Spezies bzw. dem Serovar. Die Inkubationszeiten variieren von
einem Tag bis vier Wochen. In der Regel sind es akute Verläufe; chronische Leptospirosen spielen
offenbar keine Rolle.
Weltweit kommt die Leptospirose am häufigsten in Entwicklungs- und Schwellenländern vor.
Jährlich werden etwa 500 000 Fälle gemeldet, Tendenz steigend. In Endemiegebieten liegen die
Inzidenzraten bei 10–100/100 000. Generell ist dort eine Veränderung der Epidemiologie von
sporadischen Fällen im ländlichen Raum hin zu gehäuften Erkrankungen im urbanen Raum zu
beobachten. Begünstigende Faktoren sind vor allem Überschwemmungen, mangelhafte sanitäre
Einrichtungen und hohe Populationsdichten der Reservoirwirte. Ein weiterer Umweltfaktor ist
offenbar die Artenvielfalt der Tiere. So korreliert in einigen Regionen der Rückgang der Biodiversität
von Säugetieren mit einer Zunahme der Leptospirose-Inzidenz. Auch in Nicht-Endemiegebieten
kommt es immer wieder zu Ausbrüchen. Meist stehen diese in Verbindung mit beruflicher Exposition,
in den letzten Jahren häufen sich aber Fälle und Ausbrüche in Verbindung mit Outdoor-Aktivitäten
(Wassersport, Triathlon-Wettkämpfe u. a.).

Pathogenese und Immunkontrolle


Nach Eintritt über Haut oder Schleimhäute gelangen die Erreger zunächst in den Blutkreislauf.
Diese bakteriämische Phase dauert bis zu sieben Tage. Es kommt, je nach Erregerkonzentration, zu
Schäden der Endothelzellen kleiner Gefäße und der Erythrozyten, vermutlich durch Toxine. Dies
führt zur lokalen Ischämie in den betroffenen Organen, was wiederum Nekrosen in den Nierentubuli
sowie Zellschäden in Leber, Lunge und anderen Organen zur Folge haben kann. In schweren Fällen
kommt es zu Hämorrhagien, Ikterus und Hämoglobinurie. Die molekularen Grundlagen der
Pathogenität sind bisher kaum bekannt. Einige (putative) Virulenzfaktoren sind beschrieben, z. B.
LPS, Hämolysine und Adhäsine. Bekannt ist ferner, dass die Resistenz gegenüber Komplement und
Phagozytose durch neutrophile Granulozyten eine wichtige Rolle spielt, allerdings nur in
Abwesenheit spezifischer Antikörper. Sobald zirkulierende Antikörper auftreten, kommt es zur
Eliminierung der Erreger durch Opsonophagozytose. Die zentrale Rolle der humoralen Immunität
wurde auch durch passiven Transfer protektiver Antikörper belegt. Die Induktion opsonisierender

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 375


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
(und neutralisierender) Antikörper ist daher das Hauptziel bei der Entwicklung von Impfstoffen zur
Immunprophylaxe. Solche Impfstoffe werden bereits seit den 1920er Jahren erforscht und
eingesetzt. Bisher sind die Erfolge aber noch nicht zufriedenstellend, da der erzeugte Schutz meist
nur auf ein bestimmtes Serovar beschränkt ist. Da kommerzielle Impfstoffe nicht immer auf Basis der
aktuell relevanten Serovare hergestellt werden, gibt es hier noch großen Forschungs- und
Entwicklungsbedarf. Eine kürzlich publizierte Studie zeigt aber, dass ein serovarübergreifender
Schutz durch einen attenuierten Lebendimpfstoff grundsätzlich möglich ist.

Schlussfolgerungen und Ausblick


Die Leptospirose ist eine weltweit verbreitete und zunehmend auftretende Zoonose, die laut
WHO als vernachlässigte („neglected“) Erkrankung mit globaler Bedeutung einzustufen ist. Dies hat
sicher unterschiedliche Gründe, zu denen u. a. das relativ geringe Wissen bedingt durch die
Schwierigkeit der Erforschung zählt. Hinsichtlich molekularer „Werkzeuge“ wurde erst in den letzten
Jahren ein Stand erreicht, der bei vielen anderen Erregern bereits seit über 20 Jahren vorliegt. Die
bei Leptospiren noch relativ junge Genomforschung lieferte bereits interessante Erkenntnisse über
Gene, die bei der evolutionären Anpassung des Erregers an dessen unterschiedliche Lebensräume
eine Rolle spielen. Es ist zu erwarten, dass die „postgenomische“ Forschung zusammen mit der
Weiterentwicklung geeigneter Infektionsmodelle zukünftig nicht nur die Grundlagenforschung
entscheidend voranbringt, sondern auch dazu beitragen wird, Diagnostik und Bekämpfung zu
verbessern.

Weiterführende Literatur
1. Evangelista KV, Coburn J. Leptospira as an emerging pathogen: a review of its biology, pathogenesis and
host immune responses. Future Microbiol. 2010;5(9):1413-25.
2. Lau CL, Smythe LD, Craig SB, Weinstein P. Climate change, flooding, urbanisation and leptospirosis:
fuelling the fire? Trans. R. Soc. Trop. Med. Hyg. 2010;104(10):631-8.
3. Adler B, de la Peña Moctezuma A. Leptospira and leptospirosis. Vet Microbiol. 2010;140(3-4):287-96.
4. Derne BT, Fearnley EJ, Lau CL, Paynter S, Weinstein P. Biodiversity and leptospirosis risk: A case of
pathogen regulation? Med Hypotheses. 2011;Jun 6 [Epub ahead of print].
5. Srikram A, Zhang K, Bartpho T, Lo M, Hoke DE, Sermswan RW, Adler B, Murray GL.. Cross-protective
immunity against leptospirosis elicited by a live, attenuated lipopolysaccharide mutant. J. Infect. Dis.
2011;203(6):870-9.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Peter Valentin-Weigand, Institut für Mikrobiologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Stiftung
Tierärztliche Hochschule Hannover, [email protected]

376 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Campylobacter beim Geflügel – Epidemiologie und Ansatzpunkte zur


Kontrolle
Ulrich Löhren
Rechterfeld

Einleitung
Während durch gezielte Bekämpfungsaktionen in der Primärproduktion die Inzidenz humaner
Salmonellose-Erkrankungen seit dem Höhepunkt 1993 stets rückläufig ist, steigt der Anteil humaner
Campylobacteriose-Fälle weiter an. In bestimmten Ländern, z. B. in Großbritannien, Irland und
Deutschland ist zwischenzeitlich die Zahl der gemeldeten Campylobacter-Erkrankungen des
Menschen größer als die durch Salmonellen ausgelösten Erkrankungen. Bei der Campylobacteriose
geht man von einer im Vergleich zu Salmonellen erheblich größeren Dunkelziffer bei der Zahl der
gemeldeten humanen Erkrankungen aus. Amtlich gemeldete Campylobacter-Erkrankungen des
Menschen beliefen sich in der EU 25 auf „nur“ 175 561 Fälle. Die tatsächliche Zahl jährlicher
Campylobacter-Erkrankungen des Menschen wird in der EU 27 auf mindestens zwei Millionen und
möglicherweise auf bis zu 20 Millionen geschätzt (1). Wegen der i. Vgl. zu Salmonellen meist
milderen Verlaufsform wird die Campylobacteriose von der Humanmedizin unterschätzt.
Der Rückgang der Salmonellose-Erkrankungen dürfte auch auf die im Rahmen der VO (EC)
2160/03 vorgeschriebenen Bekämpfungsprogramme, die von der Geflügelwirtschaft konsequent
umgesetzt wurden, zurückzuführen sein. Die Erwartung, dass sich parallel dazu – insbesondere
durch die verstärkten Biosicherheitsprogramme der Hähnchenhalter – auch die Campylobacteriose-
Erkrankungen reduzieren würden, hat sich nicht erfüllt. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich
die Epidemiologie der Salmonella und der Campylobacter-Infektionen des Geflügels fundamental
unterscheiden müssen.

Epidemiologie Campylobacter (und Salmonellen) im Vergleich


Vertikale Übertragung
Die vertikale Übertragung stellt bei bestimmten Salmonellen (S. e. und S. th.) einen der
Haupteintragswege dar. Daher geht das EU Bekämpfungskonzept auch von einem Top-Down-
Ansatz aus: siehe die inzwischen durch die VO 2160/03 aufgehobene Richtlinie (EC) 92/117.
Bei Campylobacter ist eine vertikale Übertragung eher unwahrscheinlich. Es gibt bislang trotz
intensiver Forschung keine direkten Nachweise von Campylobacter aus Brütereien oder von
Eintagsküken. Dennoch kommen in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder Berichte über
vermutete (oder belegte) Zusammenhänge zu einer Ei-Übertragung auf.

Tenazität in der Umwelt


Salmonella Infektionen können – ohne Wirtspassagen – mehrere Monate bis zu zwei Jahre in der
Umwelt überdauern. Dabei wird ihre Überlebensfähigkeit in trockenem Milieu, z. B. in Staub,
gesteigert. In feuchter Umgebung – wie z. B. auf der Oberfläche von Pflanzen, sterben Salmonellen
auch wegen des Tag-Nacht-Ganges und wegen der Exposition gegenüber UV-Licht sehr schnell ab.
Die Tenazität von Campylobacter ist demgegenüber wesentlich geringer. In trockenem Milieu
sterben sie in kurzer Zeit ab. Sie benötigen ein feuchtes Milieu um zu überleben, z. B.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 377


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Wasserpfützen oder den Biofilm im Trinkwasserleitungssystem. Aber auch hier beträgt die
Überlebenszeit – ohne Tierpassagen – Wochen und in Einzelfällen Monate.
Die Tenazität von Salmonellen gegenüber Kälte (und Frost) ist ebenfalls größer als die von
Campylobacter. Beide Zoonose-Erreger sind vergleichsweise empfindlich gegenüber den gängigen
Desinfektionsmitteln. Wichtig bei der Unterbrechung von Campylobacter-Infektketten ist, dass der
Stall in der Leerstandsphase überall trocken wird.

Typisierung
Die Serotypisierung von Salmonella-Isolaten nach dem Kauffmann-White-Schema ist sehr
hilfreich bei der Aufdeckung epidemiologischer Zusammenhänge – sowohl der Eintragswege beim
Geflügel als auch zum Nachweise der zoonotischen Bedeutung bestimmter Serovare. Zahlreiche
Geflügelprivatlabore sind dazu in der Lage und konnten somit bei der Aufdeckung von
Infektionswegen beitragen. Für ein epidemiologisches Feintuning bietet sich dann noch die
Phagentypisierung oder die Lysotypie an. Phagentypisierung oder Lysotypie ist zwar Speziallaboren
vorbehalten, aber sie gibt wertvolle Hinweise auf die Invasivität und Pathologie bestimmter
Salmonella-Clone.
Bei Campylobacter (C.) wird die weitaus größte Zahl humaner Erkrankungen durch die
Serotypen C. jejuni und C. coli hervorgerufen, die beide auch beim Geflügel vorkommen. Diese
beiden Seroypen werden auch als thermophile oder thermotolerante C.-Serovare bezeichnet, weil
sie bei 42°C ihre optimalen Wachstumsbedingungen haben. Andere C.-Serovare, wie z. B. C. lardi
und C. fetus kommen beim Geflügel nicht vor. Somit eignet sich die Serovar Bestimmung nicht für
epidemiologische Studien. Darüber hinaus gehört selbst eine Serotypisierung der beiden beim
Geflügel vorkommenden Serovare (C. jejuni und C. coli) nicht zum Standardumfang der Diagnostik in
Geflügelspeziallaboren.

Vorkommen von C. jejuni und C. coli bei anderen Tierarten


C. jejuni und C. coli findet man sehr häufig in der Darmflora aller warmblütigen Tiere
einschließlich unserer lebensmittelliefernden Nutztiere (Rind, Schaf und Schwein), bei unseren
Haustieren und bei Wildtieren. Daneben kommt C. sehr häufig bei zahlreichen (kaltblütigen) Insekten
vor: Fliegen, Mücken, Nematoden. Vermutlich kolonisiert Campylobacter im Biotop unserer
Geflügelställe wesentlich leichter und schneller als Salmonella. Der Darm des Huhnes mit einer
Temperatur von 42°C ermöglicht dann optimale Kolonisationsbedingungen für Campylobacter.
Während in der EFSA Studie C. jejuni 86,8 % aller C.-Isolate des Huhnes ausmachte, sind es
beim Schwein nur 2,1 %. C. coli macht dagegen nur 9,5 % der C.-Isolate des Huhnes aus, aber
87,1 % der Isolate des Schweines. Die fehlenden Isolate ließen sich nicht spezifizieren.
Diese Zahlen belegen, dass die verschiedenen Nutztierspezies unterschiedliche Nischen zur
Kolonisation der beiden Hauptserovare bieten und dass es Unterschiede in der Fähigkeit zur
Kolonisation bei den verschiedenen Tierspezies gibt.
Es gibt Unterschiede zwischen den Ländern. Nach Powel und Mitarbeitern waren in
Großbritannien von den C.-Isolaten des Huhnes 77 % C. jejuni und 23 % C. coli. In Norwegen waren
91 % C. jejuni und nur 7 % C. coli, 2 % C. lardi (2,3).

Übertragung Futter
Während dem Futter je nach Betrachtungsweise eine mittelgradige bis hohe Bedeutung beim
Ersteintrag von Salmonellen in bislang freie Geflügelbestände (und Schweinebestände) zukommt,

378 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
gibt es dafür bei C. keine Belege. In dem trockenen Milieu des Mischfutters können die
feuchteliebenden C. nicht überleben. Hinzu kommt, dass heute bei der Produktion von Mischfutter für
Geflügel Salmonella-dekontaminierende Maßnahmen (thermische Behandlung des Futters oder
Zugabe organischer Säuren) Stand der Technik sind. Beide Verfahren sind gleichwertig geeignet,
auch C. abzutöten, deren Tenazität i. Vgl. zu Salmonellen deutlich geringer ist.
Die Übertragung durch Futter spielt also in der Epidemiologie von C. keine Rolle.

Rezirkulierende Infektionen auf den Betrieben


Rezirkulierende Salmonella-Infektionen spielen beim Geflügel eine der Hauptrollen. Bestimmte
Serovare wie z. B. S. paratyphi B d-tartrat pos. oder S. infantis haben sich in bestimmten Regionen
sehr gut an das Milieu des Hähnchenstalles adaptiert. PFGE Bestimmungen von C.-Isolaten aus
Geflügelställen legen nahe, dass rezirkulierende Infektionen mit den gleichen C.-Clonen eine noch
größere Bedeutung haben als bei Salmonellen. Reservoire für C. in den Ställen oder im Biotop der
Ställe sind:
 Biofilme im Trinkwasserleistungssystem
 Wasserpfützen oder feuchte Vegetation außerhalb der Ställe
 Belebtes Biotop des Hähnchenstalles (Schadnager, Fliegen, Insekten, Nematoden)

Zeitpunkt des Auftretens und Ausbreitung einer Campylobacter Infektion


Campylobacter-Infektionen treten regelmäßig erst zu einem späteren Zeitpunkt auf. So sind in
eigenen Untersuchungen Hähnchenbestände nie früher als in einem Alter von 21 Tagen und selten
früher als in einem Alter von 28 Tagen positiv geworden. Im Gegensatz zu Salmonellen, bei denen
nach 28 Tagen Neuinfektionen eher selten sind, treten Campylobacter-Infektionen häufig nach 28
Tagen auf. Untersuchungen zur Intraherdenprävalenz haben gezeigt, dass Salmonella-Infektionen
sich langsam ausbreiten und nach einem Peak auch wieder auf eine Prävalenz von oft unter 5 %
abfallen. Campylobacter-Infektionen in einer Masthähnchenherde sind innerhalb weniger Tage nach
Einschleppung bei nahezu allen Tieren nachweisbar und die Befallsrate bleibt auch hoch. Bei
Prävalenz-Bestimmungen ist daher das Alter der Tiere zum Zeitpunkt der Probenahme von großer
Bedeutung. Wegen der oft späten Infektion ist die logistische Schlachtung, die bei Salmonella-
positiven Herden erfolgreich praktiziert wird, bei Campylobacter weniger erfolgreich, um eine
Kreuzkontamination in der Schlachterei zu vermeiden.

Jahreszeitliche Schwankungen
Es gibt bei Campylobacter einen ausgeprägten Sommer-Winter-Gang. Während in den
Wintermonaten das Vorkommen von Campylobacter eher gering ist, kommt es im Frühsommer zu
einem Anstieg der Befallsrate, die dann etwa ab November wieder abnimmt. Dies wird dahingehend
interpretiert, dass vermutlich dem Eintrag über belebte Vektoren (Fliegen, Insekten und Nematoden)
die größte Bedeutung zukommt. Andererseits ist die Tenazität von Campylobacter gegenüber Kälte
deutlich geringer als die von Salmonellen. Der Campylobacter-Kontrolle kommt also im Sommer eine
wesentlich größere Bedeutung zu als im Winter.

Ansatzpunkte zur Kontrolle:


Die Ansatzpunkte zur Kontrolle ergeben sich im Wesentlichen aus den aufgezeigten
Unterschieden in der Epidemiologie von Salmonellen und Campylobacter. Hierauf wird in der

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 379


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Präsentation näher eingegangen werden. Aus der Theorie des vorher Gesagten könnte man
ableiten, dass die Bekämpfung von Campylobacter einfacher sein müsste als die von Salmonellen.
 Keine vertikale Übertragung
 Keine Übertragung über das Futter
 Tenazität außerhalb einer belebten Umwelt geringer

Der Schwerpunkt der Campylobacter-Bekämpfung sollte in der Zeit von April bis Oktober liegen.
In den anderen Monaten spielen Campylobacter-Infektionen eine untergeordnete Rolle.
Um epidemiologische Verfolgsuntersuchungen durchführen zu können, müssen Isolate in der
PFGE untersucht werden, um festzustellen, ob es rezirkulierende Campylobacter Clone in den
Ställen oder im Stallbiotop gibt.
In der Reinigungs- und Desinfektionsphase (Serviceperiode) ist Wert darauf zu legen, dass der
Stall (am besten noch vor der Desinfektion) austrocknet. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei auf
das Wasserleitungssystem (Nippelstänge) zu legen.
In einer britischen Studie wurde gezeigt, dass die gleichen C.-Clone (PFGE), die außerhalb des
Gebäudes in Pfützen nachweisbar waren, sich ab dem 28. Lebenstag auch in den Hähnchen
nachweisen ließen. Dies unterstreicht die möglicherweise noch größere Bedeutung der Biosicherheit
und peniblen Trennung zwischen Innen- und Außenbereich der Ställe.
 Händewaschen bei jedem Zutritt zum Stall
 Barrieresysteme für Schuhwerk (Fußwannendesinfektion sicher nicht ausreichend)
 Penible Trennung des zwischen Materialien und Gerätschaften, die im Stall bzw. nur
außerhalb des Stalles benutzt werden dürfen.

Wichtig erscheint auch, die Stallumgebung und das Stallbiotop für die belebten Vektoren
unattraktiv zu machen. So sieht man z. B., dass die Hähnchenmastbetriebe in Skandinavien oder in
Großbritannien immer von einem vegetationslosen Streifen (z. B. aus Sand oder Kieselsteinen)
umgeben sind. Hier haben Insekten (und Schadnager) eine deutlich geringere Überlebenschance. In
Deutschland schreiben Bauvorschriften die Begrünung der Stallumgebung einschließlich eines
Bewuchses in unmittelbarer Nähe der Gebäude vor. Dies mag für Auge schöner sein, ist aber für
eine Campylobacter-Kontrolle kontraproduktiv.
Teilweise wird auch das Anbringen von Insektennetzen um die Lufteintrittsöffnungen propagiert.
Dies dürfte weder praktikabel noch wirtschaftlich vertretbar sein, weil
 Insektennetze den Lüftungswiderstand erheblich erhöhen und wir gerade im Sommer
(Hitzestress) maximale Lüftungsleistung benötigen.
 Insektennetze sich sehr schnell vom Staub zusetzen und dann die Zuluftleistung nochmals
herabgesetzt wird.
 es immer beim Betreten und Verlassen des Stalles durch das Betreuungspersonal oder
durch Besucher zu einem Lüftungskurzschluss kommt.

Ob durch kontinuierliche Verabreichung organischer Säuren über das Trinkwasser eine


nachhaltige Reduktion des Campylobacter-Befalles möglich ist, wird derzeit im Rahmen einer
Dissertation geprüft.
Alle Impfversuche gegen Campylobacter sind bislang enttäuschend verlaufen. Hoffnung
verspricht der Ansatz eines gegen Campylobacter gerichteten Phagencocktails. Im Labormaßstab
sind Phagen-Cocktails wirksam. Es wäre wünschenswert, wenn hierzu demnächst Studien

380 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
durchgeführt werden könnten. Bedauerlich wäre, wenn durch administrative Hemmnisse die
Erprobung eines Kontrollansatzes mittels Phagen unnötig erschwert oder hinausgezögert werden
würde.

Literaturverzeichnis
1. EFSA Panel on Biological Hazards (BIOHAZ); Scientific Opinion on Quantification of the risk posed by
broiler meat to human campylobacteriosis in the EU. EFSA Journal. 2010;8(1):1437.
2. [89pp]. doi:10.2903/j.efsa2010.1437. available online: www.efsa.europa.eu
3. Hofshagen M, Kruse H. Reduction in flock prevalence of Campylobacter spp. in broilers in Norway after
implementation of an action plan. JFood Prot. 2005;68:2220-3.
4. Powel L, Clifton-Hadley FA, Lawes J, Rodgers J, Vidal A. Campylobacter in broilers: results from a UK
National Prevalence Survey carried out in 2007. Proceedings 15th International Workshop on
Campylobacter, Helicobacter and related organisms. 2-5 September 2009.

Kontaktadresse
Dr. Ulrich Löhren, Tierärztlicher Berater, Rechterfeld, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 381


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Q-Fieber und Chlamydiosen bei Nutztieren


Udo Moog
Thüringer Tierseuchenkasse, Jena

Q-Fieber und Chlamydiosen sind wichtige Zoonosen, die regelmäßig zu teilweise schweren
Erkrankungen beim Menschen führen. Insbesondere beim Q-Fieber können sogenannte
Kleinraumepidemien mit bis zu mehreren hundert Erkrankten auftreten. Infektionsquellen sind
überwiegend Wiederkäuer sowie bei Psittakose/Ornithose das Geflügel. Aber auch bei den
Nutztieren selbst kommt es zu schweren Erkrankungen mit hohen wirtschaftlichen Verlusten.

Taxonomie
Die Taxonomie der Ordnung Chlamydiales erfährt regelmäßig Veränderungen (Abb. 1).

Abb. 1: Aktueller Stand der Taxonomie der Ordnung Chlamydiales (1)

382 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Der Erreger des Q-Fiebers, Coxiella (C.) burnetii wird taxonomisch der Ordnung Legionellales
und der Familie Coxiellaceae zugeordnet (2).

Coxiellen und Chlamydien – ähnlich und doch verschieden


Beide Zoonosen-Erreger sind sehr kleine gramnegative Bakterien, die sich obligat intrazellulär
vermehren und sich nach Stamp oder Giménez färben. Sie rufen jedoch unterschiedliche
Krankheitsbilder bei den Nutztieren hervor. Sowohl bei Infektionen durch Chlamydien als auch durch
C. burnetii kommen Aborte, Metritiden und Fertilitätsstörungen vor. Ausschließlich bei Chlamydien-
Infektionen hingegen werden Pneumonien, Polyarthritiden, Konjunktivitiden und Enteritiden
beschrieben (2–5).
Coxiellen haben durch die Bildung von sporenähnlichen Dauerformen (small density cells) eine
vergleichsweise hohe Tenazität sowie eine sehr hohe Infektiosität. Bereits ein bis zehn infektiöse
Einheiten können zur Infektion bei Mensch oder Tier führen.
Aufgrund dieser Besonderheiten gelten spezielle Vorsichtsmaßnahmen für die Einsendung von
Probenmaterial. Während Proben, in denen Coxiellen vermutet werden, gekühlt oder gefroren
versendet werden können, sollten Chlamydien, besonders, wenn eine Anzucht erwünscht ist, nur
gekühlt, keinesfalls gefroren sowie möglichst zeitnah eingesendet werden. Die Proben müssen beim
Versand als infektiöses Material gekennzeichnet bzw. mit einem Kurier versendet werden. Gemäß
BioStoff/EU-Richtlinie 90/679/EWG 1999 dürfen C. burnetii und C. psittaci nur in L-3 Laboren
bearbeitet werden (2–5).

Erkrankungen bei Nutztieren

Chlamydienerkrankungen
Geflügel
Das von C. psittaci verursachte Krankheitsbild wurde bisher beim Geflügel als Ornithose bzw. bei
Psittaziden als Psittakose bezeichnet und umfasst pulmonale und systemische Verlaufsformen. Der
Wirtsbereich C. psittaci umfasst mehrere hundert Vogelarten. Menschen werden durch von Vögeln
stammenden Staub aerogen infiziert. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind extrem selten. In
Deutschland treten jährlich 100–200 Erkrankungsfälle bei Menschen auf. Die Verordnung zur
Änderung der Verordnung über anzeigepflichtige Tierseuchen und der Verordnung über
meldepflichtige Tierkrankheiten wurde 2011 dahingehend geändert, dass die Anzeigepflicht der
Psittakose durch die Meldeplicht ersetzt wird. Anstatt Psittakose und Ornithose wird künftig die
einheitliche Bezeichnung „Chlamydiose“ verwendet (6,7).

Kleine Wiederkäuer
In Deutschland ist der Chlamydienabort, ausgelöst durch C. abortus, die häufigste Abortursache
bei Schafen und Ziegen. C. abortus ist auf den Menschen übertragbar und kann bei Schwangeren
Fehlgeburten verursachen (8).
Die Infektion erfolgt zumeist oral sowie aerogen durch Inhalation von erregerhaltigen Aerosolen
und kontaminierten Staubpartikeln. Da infizierte weibliche Schafe und Ziegen während der Brunst
Chlamydien mit dem Vaginalsekret ausscheiden, ist die venerische Übertragung auf Böcke möglich.
Böcke können den Erreger beim Deckakt verbreiten oder selbst eine Infektion mit
Erregerausscheidung im Sperma entwickeln.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 383


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Die Chlamydienpneumonie des Schafes verläuft in Form einer interstitiellen Bronchopneumonie.
Die Erkrankung kann experimentell durch C. abortus, C. pecorum und C. psittaci ausgelöst werden.
Chlamydienpneumonien werden häufig bei neugeborenen Lämmern in Schafherden mit
Chlamydienaborten beobachtet.
Chlamydienbedingte Polyarthritiden und Konjunktivitiden werden durch Subtypen der Spezies C.
pecorum verursacht (9).
Im Vortrag werden dazu aktuelle Untersuchungen aus Thüringen vorgestellt (10).

Rind
Infektionen von Rindern mit Chlamydien wie C. pecorum, C. abortus, C. psittaci und C. suis sind
weit verbreitet. Chronisch-rezidivierende Lungenerkrankungen bei Kälbern sowie Fertilitätsprobleme,
Polyarthritiden, Enzephalomyelitis, Keratokonjunktivitis und subklinische Mastitiden stehen dabei im
Vordergrund. Aborte treten nur selten auf. (3) Mittels PCR oder Serologie werden diese Erreger
jedoch auch häufig bei klinisch gesunden Tieren nachgewiesen. (4) Aktuelle Untersuchungen aus
der Schweiz zeigen das Vorkommen von Waddia chondrophila (0,9 %) und Parachlamydia (13,4 %)
bei Rinderaborten. Beide Erreger haben zoonotisches Potenzial und werden nicht mit der
routinemäßig durchgeführten Chlamydien-PCR erfasst (11).
Die Chlamydiose des Rindes ist nach derzeitigem Kenntnisstand als eine infektiöse
Faktorenkrankheit anzusehen. Demzufolge haben Herdenmanagement und Hygienestatus
bedeutenden Einfluss auf die Bekämpfung von Chlamydieninfektionen in Rinderbeständen (3).

Schwein
C. abortus, C. pecorum, C. psittaci, C. suis und Chlamydia-like-Erreger können bei Schweinen zu
Aborten, Geburt lebensschwacher Ferkel, Genitalinfektionen, Perikarditis, Polyarthritis, Konjunktivitis,
Enteritis und Pneumonien führen. Diese Erreger werden jedoch auch im Darm und dem
Atmungstrakt gesunder Tiere diagnostiziert. Oft sind diese mittels PCR geführten Erregernachweise
nur im Sinne einer Kolonisation ohne funktionelle Konsequenzen zu interpretieren (4).

Neuweltkameliden
Bei Alpakas und Lamas können seuchenhaft verlaufende Aborte, Keratokonjunktivitis,
Iridozyklitis und Polyarthritis durch Chlamydien ausgelöst werden. Behandlungen mit Tetrazyklinen
führen oft nur zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die Isolation von chronisch infizierten Tieren sowie
die Impfung der Restherde mit einer stallspezifischen Vakzine oder einer für Wiederkäuer
zugelassenen Chlamydienvakzine sind hier das Mittel der Wahl (12,13).

Q-Fieber
Infektionen mit C. burnetii verlaufen bei Wiederkäuern meist klinisch inapparent. Bei Schafen und
Rindern treten Aborte im Vergleich zur relativ weiten Verbreitung des Erregers nur selten und ohne
vorherige klinische Anzeichen gegen Ende der Trächtigkeit auf (14). In neuinfizierten Ziegenherden
kann es zu seuchenhaftem Verlammen kommen (2). Während die abortierten Feten äußerlich
unauffällig erscheinen, weisen infizierte Plazenten fibrinöse Auflagerungen zwischen den
Kotelydonen auf (5).
Im Brennpunkt des Zoonosengeschehens stehen die kleinen Wiederkäuer. Die zeitlich
begrenzten Lammzeiten, in denen von vielen Mutterschafen oder Ziegen nahezu zeitgleich

384 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
massenhaft Coxiellen mit dem Fruchtwasser und den Nachgeburten frei gesetzt werden können
sowie das Ablammen unter freiem Himmel oder im modernen offenen Ziegenstall auf trockener
Tiefstreu begünstigen die Erregerverbreitung nach der Austrocknung der Fruchtwässer durch den
Wind. Dadurch können Personen, die ansonsten selten Tierkontakt haben, wesentlich effektiver
infiziert werden, als durch Rinder. In der Milchviehhaltung erfolgt die Abkalbung mehr oder weniger
kontinuierlich und überwiegend im Stall, zu dem nur die Besitzer bzw. das Stallpersonal Zugang
haben. Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit der aerogenen Verbreitung der Coxiellen durch das
im Vergleich zum Schaf- oder Ziegenstall wesentlich feuchtere Milieu des Kuhstalls erheblich
geringer (14).

Literaturverzeichnis
1. Kuo CC, Stephens RS, Bavoil PM Kaltenboeck B. Genus Chlamydia Jones, Rake and Stearns 1945, 55.
In Bergers Manual of Systematic Bacteriology, 2nd edition, vol. 4, Eds. Krieg NR, Staley JT, Brown DR,
Hedlund BP, Paster BJ, Ward NL, et al., Heidelberg: Springer; 2011. S. 846-65.
2. Conraths FJ, Bernard H, Henning K, Kramer M, Neubauer H. Q-Fieber: Zur aktuellen Situation in
Deutschland und den Niederlanden. Tierärztl. Umschau. 2010;65:152-9.
3. Reinhold P, Sachse K, Kaltenboek B. Chlamydiaceae in cattle: Commensals, trigger organisms, or
pathogens? (Review). The Veterinary. Journal [Epub ahead of print] doi:10.1016/j.tvjl.2010.09.003.
4. Jäger J. Bewertung von Chlamydien-assoziierten Veränderungen der Lungenfunktion bei Kalb und
Schwein mittels Impuls-Oszilloresistometrie und der Software FAMOS[Dissertation]. Berlin: Freie
Universität; 2005.
5. Arricau-Bouvery N, Rodolakis A. Is Q Fever an emerging or re-emerging zoonosis? Vet. Res.
2005;36:327-49.
6. Anonym. Psittakose VO. BGBl (I) 2005. S. 3537-43.
7. Bekanntmachung der Neufassung der Verordnung über anzeigepflichtige Tierseuchen; B. v. 19.07.2011,
BGBl. I (Nr. 37)1404.
8. Pospischil A, Thoma R, Hilbe M, Grest P, Zimmermann D, Gebbers JO: Abortion in humans caused by
Chlamydophila abortus (Chlamydia psittaci serovar 1). Schweiz Arch Tierheilkd. 2002;144:463-6.
9. Wittenbrink MM, Chlamydieninfektionen, Lehrbuch der Schafkrankheiten; Behrens H, Ganter M, Hiepe T,
Berlin: Paul Parey; 2001. S. 261-9.
10. Lenzko H, Moog U, Henning K, Lederbach R, Diller R, Menge C, Sachse K, Sprague LD. High frequency
of chlamydial co-infections inclinically healthy sheep flocks. BMC Veterinary Research. 2011;(7):29-41.
11. Ruhl S, Goy G, Casson N, Thoma R, Pospischil A, Greub G, Borel N. Parachlamydia acanthamoebae
Infection and Abortion in Small Ruminants. Emerg Infect Dis. 2008 December;14(12):1966-8.
12. Göppner I, Eulenberger K, Berhardt A, Schult U, Neubauer A. Chlamydiose bei Alpakas (Lama Guanacö
F. Pacos). Verh. ber. Erkr. Zootiere. 1999;39:199-207.
13. Lenzko H, Moog U, Hotzel H, Sachse K, Sprague LD. Chlamydial infection in alpacas (Lama pacos): A
case report.Poster, First European Meeting on Animal Chlamydioses (EMAC). Murcia, Spain; June 14-16;
2009.
14. Böttcher J, Vossen A, Janowetz B, Alex M, Gangl A, Randt A, Meier N. Insights into the dynamics of
endemic Coxiella burnetii infection in cattle by application of phase-specific ELISAs in an infected dairy
herd. Vet. Microbiol. 2011;51(3-4):291-300.

Kontaktadresse
Dr. Udo Moog, Schaf- und Ziegengesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse, Jena,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 385


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Bakterielle Zoonosen: Greifen unsere Bekämpfungsmaßnahmen?


Andreas Hensel, Bernd-Alois Tenhagen, Matthias Hartung, Annemarie Käsbohrer
Bundesinstitut für Risikobewertung

Einleitung
Bakterielle Zoonosen gehören nach wie vor zu den wichtigsten Magen-Darm-Erkrankungen des
Menschen. In den letzten Jahren wurden deshalb erhebliche Anstrengungen unternommen, um das
Vorkommen insbesondere von Salmonellen in der Lebensmittelkette von der Primärproduktion bis
hin zum Lebensmittel im Einzelhandel zu verringern. Gleichzeitig wurde in erheblichem Maße
Verbraucheraufklärung betrieben im Hinblick auf eine angemessene Küchenhygiene im Umgang mit
möglicherweise mit Zoonoseerregern kontaminierten Lebensmitteln. In diesem Beitrag soll am
Beispiel der Salmonellose des Menschen untersucht werden, welche Erfolge diese Bemühungen
gebracht haben.

Neue Rechtliche Regelungen in der EU und auf nationaler Ebene


Auf Grundlage der Zoonosen-Bekämpfungsverordnung VO (EG) Nr. 2160/2003 wurden in den
letzten Jahren sukzessive Bekämpfungsverordnungen für Salmonellen in der Geflügelhaltung auf
EU-Ebene erlassen. Das Prinzip der Verordnungen besteht darin, einerseits Ziele für die
Bekämpfung und andererseits die Maßnahmen zur Überwachung der Verwirklichung der Ziele
festzulegen. Diese Ziele berücksichtigen die Ergebnisse der EU-weit nach einheitlichen Verfahren
durchgeführten Grundlagenstudien zur Schätzung der Prävalenz von Salmonellen in
unterschiedlichen Bereichen der Geflügelhaltung. Die Bekämpfung ist vor allem gegen die beiden
beim Menschen häufigsten Serovare Salmonella enterica subsp. enterica Enteritidis und
Typhimurium (Top2) gerichtet. Zu Salmonella Typhimurium werden mittlerweile auch die
monophasischen Varianten dieses Serovars mit der Seroformel S.1,4,[5],12:i:- gezählt, die beim
Schwein eine erhebliche Verbreitung erlangt haben. Im Bereich der Zuchtherden von Gallus gallus
werden darüber hinaus die Serovare S. Infantis, S. Virchow und S. Hadar (Top5) bei den Zielwerten
berücksichtigt.
Die Zielsetzung der Bekämpfung ist die Verminderung der Prävalenz dieser relevanten
Salmonellaserovare in dem jeweiligen Produktionszweig auf unter 1 % der untersuchten Herden
(Zuchthühner (Top5), Masthühner (Top2), Zuchtputen (Top2), Mastputen (Top2)) in einem Zeitraum
von drei Jahren. Bei den Legehennen wird eine Reduktion in Etappen angestrebt, wobei Grundlage
für die Berechnung der angestrebten Reduktionsrate des Folgejahres jeweils die Prävalenz des
abgeschlossenen Jahrs ist. Dieses Verfahren war gewählt worden, da in zahlreichen
Mitgliedsstaaten eine sehr hohe Prävalenz der relevanten Top2-Serovare ermittelt worden war.
Zu den Verordnungen zur Bekämpfung in der Primärproduktion wurden weitere Verordnungen
erlassen mit Bezug auf die Vermarktung von Eiern aus Legehennenbetrieben, die als positiv für
eines der beiden Top2-Serovare befunden wurden (VO (EG) Nr.1237/2007). Diese Eier dürfen nicht
mehr als Konsumeier der Güteklasse A vermarktet werden, sondern dürfen nur noch im Rahmen der
Verarbeitung eingesetzt werden, damit durch eine Hitzebehandlung ggf. vorhandene Salmonellen
sicher abgetötet werden. Einschränkungen für den Handel mit Geflügelfleisch aus positiven Herden
sind in der VO (EG) 2160/2003 festgelegt.

386 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Prävalenz von S. Enteritidis und S. Typhimurium in der Primärproduktion sowie im
Lebensmittel im Einzelhandel.
Bei den Ergebnissen der EU-weiten Grundlagenstudien belegte Deutschland im Hinblick auf die
Prävalenz von Salmonellen in der Geflügelhaltung eine mittlere Position. Die Ergebnisse für die
einzelnen Tierarten (Haushuhn, Pute) und Produktionsrichtungen (Legerichtung, Mastrichtung)
unterschieden sich erheblich im Hinblick auf den Anteil der beiden besonders humanrelevanten
Serovare S. Enteritidis und S. Typhimurium an der Gesamtsalmonellenprävalenz. Während bei
Legehennen S. Enteritidis das mit Abstand häufigste Serovar war, stellte es bei Masthähnchen und
Puten nur einen kleinen Teil der Isolate. S. Typhimurium, das bei Rind und Schwein dominierende
Serovar, stellte bei Legehennen und Masthähnchen nur einen vergleichsweise kleinen Teil der
positiven Nachweise. Der Anteil der S.-Typhimurium-Isolate bei Mastputen war mit 26 % am
höchsten. Auch insgesamt war die Salmonellenprävalenz in Herden von Legehennen mit 29,8 % am
höchsten, gefolgt von Masthähnchen und Mastputen mit 17,5 % und 10,3 %. In Zuchthennen wurde
keine Grundlagenerhebung durchgeführt, da bereits eine regelmäßige Überwachung der
Zuchtherden durch die Richtlinie 92/117/EWG vorgesehen war und somit Prävalenzdaten aus allen
EU-Ländern zur Verfügung standen. Eine Studie bei Zuchtputen ergab im Jahr 2006/07 keine
Nachweise von Salmonellen in den untersuchten 98 Herden in Deutschland.
Im Rahmen der Überwachung auf Grundlage der jeweiligen Bekämpfungsverordnungen werden
Legehennenbeständen seit 2008 regelmäßig untersucht und die Daten zur Prävalenz von
Salmonellen erfasst. Seit 2009 werden die Bekämpfungsprogramme bei Masthähnchenbeständen
und seit 2010 bei Putenbeständen durchgeführt. Ein Vergleich der Daten aus den
Bekämpfungsprogrammen mit den Ergebnissen der Grundlagenstudien zeigt eine deutlich geringere
Prävalenz in allen drei Tiergruppen (Abb. 1). Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die erforderliche
Beprobung im Rahmen der Bekämpfungsmaßnahmen weniger intensiv ist, so dass möglicherweise
geringgradig mit Salmonellen kontaminierte Herden nicht als positiv erkannt werden. Dem steht
allerdings entgegen, dass bei Legehennen eine wiederholte Untersuchung durchgeführt wird, was
die Nachweissicherheit wiederum erhöht. Es ist also möglicherweise ein Teil der Verringerung der
Prävalenz dem geänderten Probenahmeverfahren zuzuschreiben. Das Ausmaß und die Kontinuität
der Reduktion deuten aber auf einen begrenzten Einfluss dieser methodischen Unterschiede durch
das Probenahmeverfahren hin.
Die Übertragung von Salmonellen aus der Primärproduktion auf den Menschen erfolgt
überwiegend auf alimentärem Weg. Daher werden zur Abschätzung der Exposition des Menschen
seit Jahren Lebensmittel, u. a. Geflügelfleisch, im Rahmen der Überwachung auf das Vorkommen
von Salmonellen untersucht. Abbildung 2 zeigt den Anteil der Salmonella-positiven Planproben im
Rahmen der amtlichen Überwachung für Fleisch vom Hähnchen und Pute (BfR 2006–2011,
http://www.bfr.bund.de/de/zoonosenberichterstattung_durch_das_bfr-300.html). Insgesamt
schwankten die Werte für beide Fleischsorten je zwischen 5 und 12 % pro Jahr. Beim Fleisch vom
Masthähnchen wurde in den Jahren 2009 und 2010 die niedrigsten Werte der letzten sechs Jahre
festgestellt. Bei der Pute zeigt sich kein deutlicher Trend. Der Anteil von S. Enteritidis und S.
Typhimurium an den positiven Proben von Hähnchenfleisch fiel von 2008 auf 2009 deutlich ab, stieg
aber für S. Enteritidis im Jahr 2010 wieder an, so dass hier kein klarer Trend auszumachen ist.
Repräsentative Untersuchungen im Rahmen des Zoonosenmonitorings (nach AVV Zoonosen
Lebensmittelkette) in den Jahren 2009 und 2010 bestätigten die Ergebnisse der Überwachung
(frisches Hähnchenfleisch 2009: 7,6 %; Putenfleisch 2009 und 2010: 5,8 und 5,5 %).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 387


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Untersuchungen an Eiern zeigen seit Jahren eine niedrige Prävalenz von Salmonellen in bzw.
auf Eiern (BfR, 2006–2011). Bei der Untersuchung von Pools von Eiern wurden in den letzten Jahren
durchweg weniger als 1 % positive Pools gefunden. Dabei gehörte die überwiegende Mehrzahl der
untersuchten Isolate dem Serovar S. Enteritidis an. Bei Untersuchungen im Rahmen des
Zoonosenmonitorings 2010 wurde S. Enteritidis in 10 von 1440 untersuchten Pools von Eischalen
(0,7 %) gefunden, dagegen in keinem der entsprechenden Pools des Eiinhaltes.

Abb. 1: Prävalenz von Salmonellen in Herden von Legehennen, Masthähnchen und Mastputen in Deutschland
im Rahmen der EU-weiten Grundlagenstudien sowie den Erhebungen im Rahmen der
Bekämpfungsprogramme (Balken, die nur mit Jahreszahlen beschriftet sind)

Abb. 2: Anteil Salmonella-positiver


Planproben von Hähnchen- und
Putenfleisch im Rahmen der
amtlichen Überwachung,
Meldungen der Länder an das BfR

Häufigkeit der Salmonellose beim Menschen


Die Salmonellose gehört zu den meldepflichtigen Infektionskrankheiten des Menschen. Die
Meldung erfolgt an das Robert Koch-Institut als Bundesinstitut für Gesundheit. Die Daten werden
gesammelt und im Internet veröffentlicht (http://www3.rki.de/SurvStat/). Darüber hinaus erscheint
jährlich ein Bericht des RKI zu den meldepflichtigen Infektionskrankheiten des Menschen im Vorjahr.
Die Meldezahlen für die Salmonellose des Menschen in Deutschland sind seit etwa zwei
Jahrzehnten rückläufig. Während 1992 noch 195 000 Fälle gemeldet wurden, waren es im Jahr 2010
„nur“ noch etwa 25 000 Fälle.
Bei näherer Betrachtung der letzten zehn Jahre bestätigt sich der Rückgang. Auffällig sind jedoch
eine Änderung der Geschwindigkeit des Rückgangs seit 2008 und eine Änderung des jeweiligen
Anteils der wichtigsten Serovare an den Salmonellosefällen. Während von 2001 bis 2007 jeweils

388 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
etwa 60 % der Salmonellosefälle auf S. Enteritidis zurückzuführen waren und ca. 25 % auf S.
Typhimurium, sinkt seit 2008 der Anteil der durch S. Enteritidis hervorgerufenen Fälle deutlich,
wodurch der relative Anteil von S. Typhimurium steigt. Die absoluten Fallzahlen für S. Typhimurium
sanken aber zwischen 2007 und 2009 ebenfalls. Im Jahr 2010 ergab sich jedoch wieder ein Anstieg
von S. Typhimurium. Die überproportionale Reduktion des Abfalls der S.-Enteritidis-Fälle und dessen
Zeitpunkt deuten auf einen Zusammenhang mit der Durchführung des Bekämpfungsprogramms hin,
da S. Enteritidis vor allem bei Legehennen und in Eiern eine besondere Bedeutung hat. Zu dem
Effekt beigetragen haben kann auch die Maßregelung von Eiern aus Betrieben, die positiv für S.
Enteritidis oder S. Typhimurium getestet wurden. Inwieweit die inzwischen begonnenen
Salmonellenbekämpfungsmaßnahmen bei Masthähnchen und Puten zu dem Rückgang beigetragen
haben, kann derzeit nicht sicher abgeschätzt werden. Die weitere Entwicklung in den kommenden
Jahren muss daher sorgfältig beobachtet werden.

Fazit
Die Zahl der Salmonellose-Fälle beim Menschen, insbesondere verursacht durch S. Enteritidis,
hat sich in den letzten drei Jahren deutlich verringert. Ein Zusammenhang mit der Durchführung der
Bekämpfungsverordnungen für Salmonellen im Geflügel, insbesondere der Verordnungen, die
Legehennen und Eier betreffend, erscheint naheliegend. Ein deutlicher Effekt auf die Häufigkeit von
Infektionen mit S. Typhimurium ist bisher nicht zu erkennen, auch wenn die Zahl dieser Infektionen
von der Tendenz her ebenfalls rückläufig war. Da Infektionen mit S. Typhimurium neben Putenfleisch
auch mit Schweinefleisch in Verbindung gebracht werden, wäre ein Rückgang dieser Infektionen
eher von der Implementierung von effektiveren Bekämpfungsprogrammen für Salmonellen bei
Schweinen zu erwarten.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Andreas Hensel, Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 389


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Aktuelle Rechtsetzungsvorhaben in Deutschland und der EU sowie


Stand internationaler Übereinkommen
Katharina Kluge
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bonn

Im Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode haben die Regierungsparteien bekräftigt, dass
der Tierschutz eine zentrale Bedeutung hat. Die Bundesregierung setzt sich für artgerechte
Tierhaltung und –ernährung ein und will den Tierschutz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung im
Einklang mit der Wirtschaftlichkeit voranbringen. In diesem Sinne sind 2010/11 eine Reihe von
Vorhaben vorangetrieben worden.

Tierschutzgesetz
Die anstehende Änderung des Tierschutzgesetzes dient insbesondere der Umsetzung der
Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere in nationales
Recht. Die Umsetzung muss bis zum 10. November 2012 erfolgen, die Vorschriften sind ab dem 1.
Januar 2013 in den Mitgliedstaaten anzuwenden. Mit der Richtlinie wurden die Vorschriften der
Richtlinie 86/609/EWG umfassend überarbeitet und an den aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnisstand angepasst. Sie enthält unter anderem Regelungen zum Verfahren der
Genehmigung von Tierversuchen, zur Festlegung von Belastungsgraden, zur Haltung und Betreuung
von Versuchstieren, zu Anforderungen hinsichtlich der erforderlichen Sachkunde von Personen
sowie verschiedene Berichtspflichten und gesonderte Regelungen zu nicht-menschlichen Primaten.
Die Umsetzung der Richtlinie erfordert umfassende Anpassungen des nationalen Rechts. Derzeit in
Deutschland geltende strengere Regelungen sollen dabei beibehalten werden.
Um die Umsetzungsverpflichtung Deutschlands, insbesondere auch im Hinblick auf den engen
Zeitplan, nicht zu gefährden, ist zunächst keine umfassende Novellierung des Tierschutzgesetzes
geplant. Einzelne weitere Maßnahmen sind jedoch vorgesehen. Dazu gehört die Streichung der
Ausnahmeregelung für den Schenkelbrand beim Pferd oder die Überprüfung der Formulierung des
sog. Qualzuchtverbotes in § 11b des Tierschutzgesetzes im Hinblick auf den anzulegenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstab.

Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen der
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zur Haltung von Legehennen in Kleingruppen aus formalen
Gründen für verfassungswidrig erklärt. Die beanstandeten Regelungen des § 13b sowie des § 38
Abs. 3 und 4 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sind 2006 aufgrund eines
Maßgabebeschlusses des Bundesrates in die Verordnung aufgenommen worden. Eine inhaltliche
Bewertung der Regelungen zur Kleingruppenhaltung in Bezug auf deren Tiergerechtheit ist mit dem
Beschluss des Gerichts nicht verbunden. Die beanstandeten Regelungen sind noch bis zum 31.
März 2012 anwendbar. Nach diesem Datum wäre die Haltung von Legehennen in Kleingruppen von
den Vollzugsbehörden anhand sonstiger tierschutzrechtlicher Bestimmungen, insbesondere anhand
des § 2 des Tierschutzgesetzes sowie der §§ 3, 4 und 13 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
zu beurteilen. Um den sich daraus ergebenden Vollzugsschwierigkeiten zu begegnen, hat das
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) dem Bundesrat

390 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
eine Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zugeleitet. Die
Verordnung sieht ein Auslaufen der Kleingruppenhaltung und einen Bestandsschutz für bestehende
Kleingruppenhaltungen vor. Sie bedarf der Zustimmung des Bundesrates, der seine Zustimmung
auch unter dem Vorbehalt von Änderungen an der Verordnung geben kann.
Die gewerbliche Kaninchenhaltung steht immer wieder in der öffentlichen Kritik. Auch der
Bundesrat hat die Bundesregierung gebeten, die tierschutzrechtlichen Anforderungen an die Haltung
von Kaninchen zu Erwerbszwecken in Deutschland zu konkretisieren. Offensichtlich lässt sich der
Tierschutz in diesem Bereich allein mit den allgemeinen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes und
der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nicht ausreichend gewährleisten. Das BMELV hat daher
gemeinsam mit Experten der Länder ein Eckpunktepapier mit Vorschlägen für zukünftige
Regelungen erarbeitet und Tierschutz- und Wirtschaftsverbände um Stellungnahme gebeten. Auf der
Basis des Papiers und der eingegangenen Stellungnahmen soll im nächsten Schritt ein
Verordnungsentwurf zur Ergänzung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erarbeitet werden.
2009 ist die Vierte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in Kraft
getreten, mit der die Richtlinie 2007/43/EG mit Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern in
nationales Recht umgesetzt wurde. 2010/11 wurden unter der Leitung des Friedrich-Loeffler-Instituts
in einer Arbeitsgruppe mit Vertretern der Länder und der Wirtschaft bundeseinheitliche Leitlinien für
die gute betriebliche Praxis zur Haltung von Masthühnern erarbeitet, die insbesondere eine
Hilfestellung für die Tierhalter darstellen sollen. Seitens der Länder wurden Auslegungshinweise für
die zuständigen Überwachungsbehörden verabschiedet. Damit ist das Instrumentarium für die
Umsetzung der neuen Vorgaben sowie für einen bundeseinheitlichen Vollzug vorhanden.

Tierschutz-Schlachtverordnung
2009 ist die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der
Tötung in Kraft getreten, mit der die Regelungen der EU zum Tierschutz bei der Schlachtung
umfassend überarbeitet wurden. Die Verordnung enthält Vorschriften über die Tötung von Tieren, die
zur Herstellung von Lebensmitteln, Wolle, Häuten, Pelzen oder anderen Erzeugnissen gezüchtet
oder gehalten werden, sowie über die Tötung von Tieren zum Zwecke der Bestandsräumung und
damit zusammenhängende Tätigkeiten (z. B. die Handhabung und Ruhigstellung von Tieren in
Schlachtbetrieben). Sie ist ab 2013 in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden. Bis dahin muss
das nationale Tierschutz-Schlachtrecht angepasst werden. Dies betrifft insbesondere die Tierschutz-
Schlachtverordnung. Im Rahmen der Anpassung sind unter anderem Regelungen, die nun durch die
EU-Verordnung unmittelbar gelten, aufzuheben und Sanktionsbestimmungen zu schaffen. National
geltende, über die Regelungen der EU-Verordnung hinausgehende Vorschriften können beibehalten
werden. Die erforderlichen Arbeiten zur Erstellung eines Entwurfs zur Änderung der Tierschutz-
Schlachtverordnung wurden im BMELV begonnen.

Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz
Die kommerzielle Robbenjagd ist bei der europäischen Bevölkerung immer wieder auf Kritik
gestoßen. Seit dem 20. August 2010 gilt nun gemeinschaftsweit gemäß der Verordnung (EG) Nr.
1007/2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen ein grundsätzliches Verbot des
Inverkehrbringens solcher Produkte. Das Verbot gilt auch für Altbestände. Die Verordnung (EU) Nr.
737/2010 der Kommission vom 10. August 2010 regelt die Durchführung des Verkehrsverbotes.
Daneben wurden auf EU-Ebene technische Leitlinien veröffentlicht. Nationale
Durchführungsregelungen wurden durch Ergänzung des Katzen- und Hundefell-Einfuhr-

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 391


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Verbotsgesetzes, das nun den Titel „Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz“ trägt, erlassen. Gegen
das Handelsverbot für Robbenerzeugnisse haben 16 hauptsächlich kanadische Organisationen und
Personen vor dem Gericht der Europäischen Union Klage erhoben. Außerdem haben Kanada und
Norwegen vor der WTO Konsultationen angestrengt. Der Ausgang der Verfahren bleibt abzuwarten.

Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren


Zur Konkretisierung der allgemeinen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes gibt das BMELV
eine Reihe von Gutachten und Leitlinien heraus, die Tierhaltern und Vollzugsbehörden als
Orientierungs- und Auslegungshilfe bei der Anwendung der Rechtsvorschriften dienen. Zurzeit wird
das sog. Säugetiergutachten überarbeitet. Nach einer Auftaktveranstaltung mit den beteiligten
Kreisen wurde hierzu eine aus Vertretern des Tierschutzes, der Zoobranche und der Wissenschaft
zusammengesetzte Arbeitsgruppe eingerichtet, die ihre Arbeit aufgenommen hat.

Tierschutzkennzeichnung
Das BMELV unterstützt die Einführung einer freiwilligen Tierschutzkennzeichnung auf
europäischer Ebene. Die Europäische Kommission hatte hierzu im Oktober 2009 einen Bericht
vorgelegt. Der Bericht basiert auf einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen
Machbarkeitsstudie, die verschiedene Optionen für eine Tierschutzkennzeichnung vergleicht und
bewertet. Der Bericht wurde dem Agrarrat am 15. Dezember 2009 vorgestellt, im Agrarrat am 22.
Februar 2010 hat ein Meinungsaustausch zu dem Bericht stattgefunden. Deutschland hat sich dabei
für die Einführung einer freiwilligen Tierschutzkennzeichnung ausgesprochen. Die Europäische
Kommission hat nun angekündigt, sich mit der Thematik im 2. EU-Tierschutzaktionsplan, der im
Dezember 2011 von der Kommission verabschiedet werden soll, beschäftigen zu wollen.

Gesetzliche Regelungen
1. Tierschutzgesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 18.05.2006 (BGBl. I 2006, S. 1206, 1313),
zuletzt geändert durch Artikel 20 des Gesetzes vom 09.12.2010 (BGBl. I 2010, S. 1934).
2. Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in der Fassung der Neubekanntmachung vom 22.08.2006 (BGBl. I
2006, S. 2043), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 01.10.2009 (BGBl. I 2009, S. 3223).
3. Tierschutz-Schlachtverordnung vom 03.03.1997 (BGBl. I 1997, S. 405), zuletzt geändert durch Artikel 19
des Gesetzes vom 13.04.2006 (BGBl. I 2006, S. 855).
4. Gesetz zur Änderung des Katzen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsgesetzes und zur Änderung des
Seefischereigesetzes vom 11. August 2010 (BGBl. I Nr. 43 vom 17.08.2010, S. 1160).
5. Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz
der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (EU-Amtsbl. L 276 vom 20.10.2010, S. 33).
6. Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates vom 24.09.2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt
der Tötung (EU-Amtsbl. L 303 vom 18.11.2009, S. 1).
7. Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 über den
Handel mit Robbenerzeugnissen (EU-Amtsbl. L 286 vom 31.10.2009, S. 36.)
8. Verordnung (EU) Nr. 737/2010 der Kommission vom 10. August 2010 mit Durchführungsvorschriften zur
Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Handel mit
Robbenerzeugnissen (EU-Amtsbl. L 216 vom 17.08.2010, S. 1).
9. Technische Leitlinien mit einer beispielhaften Liste der Codes der kombinierten Nomenklatur, die
verbotene Robbenerzeugnisse erfassen können (EU-Amtsbl. C 356 vom 29.12.2010, S. 42).
10. Bericht der Europäischen Kommission vom 28.10.2009 an das Europäische Parlament, den Rat, den
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Optionen für eine

392 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Tierschutzkennzeichnung und den Aufbau eines europäischen Netzwerks von Referenzzentren für den
Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“.
11. BVerfG, 2 BvF 1/07 vom 12.10.2010, www.bverfg.de/entscheidungen/fs20101012_2bvf000107.html
12. Entschließung des Bundesrates zum Tierschutz bei der Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwecken,
Drucksache 115/09 (Beschluss) vom 06.03.2009.
13. Entschließung des Bundesrates zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden, Drucksache 479/10
(Beschluss) vom 15.10.2010.

Kontaktadresse
Dr. Katharina Kluge, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Bonn, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 393


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

10 Jahre Staatsziel Tierschutz


Konstantin Leondarakis
Rechtsanwaltskanzlei Göttingen

Im Rahmen des 6. Leipziger Tierärztekongresses 2012 beleuchtet der Verfasser in einem


Vortrag über 30 Minuten und anschließender Diskussion die Entstehung, die normierte
Rechtswirkung und die bis Stand 07/2011 bestehende Rechtswirklichkeit des Staatsziels „Tierschutz“
aus Art. 20a GG.

Historische Betrachtung
Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) vom 26.07.2002
(BGBl. I 2002, S. 2862) sind in die seit 1994 normierte Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ in
Artikel 20a GG nach dem Wort „Lebensgrundlagen“ die Wörter „und die Tiere“ eingefügt worden.
Damit wurde am 01.08.2002 das Staatsziel „Tierschutz“ als sechste Staatszielbestimmung normiert.
Der Verankerung des Staatsziels „Tierschutz“ in 2002 waren über viele Jahre zahlreiche
Initiativen und Gesetzesanträge voran gegangen, die unter der immer wieder erfolgten Ablehnung
von CDU und FDP die erforderliche verfassungsändernde 2/3-Mehrheit nicht erreichten.

Vor dem Hintergrund von bevor stehenden Bundestagswahlen im Jahr 2002 und dem
Schächturteil des Bundesverfassungsgerichts (1) vom 15.01.2002 änderte sich plötzlich die
Einstellung von CDU und FDP und es kam zu einen gemeinsamen Gesetzesentwurf mit SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, welcher am 17.05.2002 mit 543 Ja- gegen 19 Neinstimmen vom Bundestag
angenommen wurde. Der Bundesrat stimmte am 21.06.2002 zu. Die Grundgesetzänderung wurde
am 26.07.2002 vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 31.07.2002 im Bundesgesetzblatt
verkündet.

Die amtliche Begründung (BT-Drucks. 14/8860 S. 1, 3) zu dem gemeinsamen Gesetzesentwurf


beinhaltet folgende Ausführungen:

„Die Aufnahme eines Staatsziels Tierschutz trägt das Gebot eines sittlich verantworteten
Umgangs des Menschen mit den Tieren Rechnung. Die Leidens- und Empfindungsfähigkeit
insbesondere von höher entwickelten Tieren erfordert ein ethisches Mindestmaß für das menschliche
Verhalten. Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen
vermeidbare Leiden zu ersparen. Diese Verpflichtung […] umfasst drei Elemente, nämlich: den
Schutz der Tiere vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden sowie der Zerstörung ihrer
Lebensräume […]. Die Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung soll den bereits
einfachgesetzlich normierten Tierschutz stärken und die Wirksamkeit tierschützender Bestimmungen
sicherstellen. Ethischem Tierschutz wird heute ein hoher Stellenwert beigemessen […]. Durch das
Einfügen der Worte „und die Tiere“ in Artikel 20a GG erstreckt sich der Schutzauftrag auch auf die
einzelnen Tiere. Dem ethischen Tierschutz wird damit Verfassungsrang verliehen. Der Tierschutz
unterliegt den gleichen Bindungen und Schranken, wie der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen
[...].“

394 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Normierte Rechtswirkung
Staatszielbestimmungen sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die dem
Staat die fortdauernde Beachtung und Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener
Ziele – vorschreiben (2).
Der Staatsbürger kann aus dem Staatsziel aus Art. 20a GG keine subjektiven einklagbaren
Rechte ableiten.
Das Staatsziel „Tierschutz“ ist eine unmittelbar geltende und bindende Verhaltensvorgabe für alle
Teile des Staates und seiner Organe.
Mit einer nachhaltigen Betrachtung und dem Vorsorgegedanken besteht ein Gestaltungsauftrag
an die Staatsgewalten, dem Tierschutz einen möglich hohen Stellenwert im Rechtssystem
zuzuweisen (3).
Zu anderen Verfassungsnormen, auch den Grundrechten, besteht das Prinzip der formalen
Gleichrangigkeit, sodass bei Kollisionssituationen einseitige Prioritätsentscheidungen
ausgeschlossen sind (4). Vielmehr ist immer eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, wobei das Staatsziel Tierschutz einen Auslegungs- und
Abwägungsmaßstab normiert (5).
Grundrechte oder andere Verfassungswerte haben daher genauso wenig prinzipiell Vorrang vor
dem Staatsziel Tierschutz wie das Staatsziel Tierschutz prinzipiell Vorrang vor den Grundrechten
oder anderen Verfassungswerten hat.
Alle Organe des Staates aller drei Gewalten sind durch das Staatsziel Tierschutz unmittelbar
verpflichtet. Genauso wie die mittelbare Staatsverwaltung, z. B. der Gemeinden als Betreiber von
Schlachthöfen, der Universitäten als Halter von Versuchstieren und Veranstaltern von Tierversuchen
oder weiterer juristischer Personen des öffentlichen Rechts (6).
Dagegen gilt das Staatsziel Tierschutz zwischen Privaten nicht unmittelbar. Es kann aber eine
mittelbare Drittwirkung entfalten (7).
Für die Legislative folgt ein grundsätzliches Verschlechterungshindernis, da das Staatsziel eine
Verbesserung der vorgefundenen Ausgangslage verlangt (8).
Weiter folgt eine staatliche Nachbesserungspflicht, die den gesetzlichen Tierschutz stets auf den
neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse anpassen muss (9).
Damit geht eine staatliche Unterlassungspflicht für Schmerzen, Leiden und Tötungen von Tieren
einher. Die staatliche Unterlassungspflicht begründet ein relatives Schutzniveau, sodass Schmerzen,
Leiden und Tötungen nicht grundsätzlich verboten, aber erst nach einer Prüfung von Alternativen,
dem Gebot der Rücksichtnahme, der Minimierungspflicht und unter einer Rechtfertigung rechtmäßig
sind (10).
Weiter resultiert aus Art.20a GG eine staatliche Schutzpflicht. Der Staat muss initiativ, vorsorglich
und präventiv, bei einer Tiermisshandlung/-tötung sofort auch restriktiv, Maßnahmen zum Schutz der
(weiteren) Tiere vor Verletzungen oder/und Beeinträchtigungen durch Private vornehmen (11).
Alle vorgenannten Prinzipien stehen dabei unter einem Optimierungs- und einem
Effektivitätsgebot. Der Schutz der Tiere muss unter dem Staatsziel Tierschutz bestmöglich
vorangetrieben werden. Dem Staat muss dafür ein effektives gesetzliches Instrumentarium zur
Verfügung stehen (12). Dazu gehört ebenfalls eine eigene Gewährleistungsverantwortung des
Staates, was z. B. die erforderliche sachliche und personelle Ausstattung der jeweils zuständigen
Veterinärbehörden verlangt (13).
Unter den vorgenannten Wirkungen für die Legislative ist für die Rechtsprechung und die
Exekutive durch das Staatsziel Tierschutz ein Auslegungs- und Abwägungsmaßstab normiert.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 395


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln werden durch das Staatsziel ausgefüllt.
Ermessensentscheidungen sind durch das Staatsziel gelenkt. Diese Wirkungen gelten für das
gesamte Recht und sind nicht begrenzt auf gewisse Normierungen (14).

Rechtswirklichkeit
Die normierte Rechtswirkung unter einem Zeitraum von 10 Jahren lässt eine erhebliche,
tatsächliche Rechtswirkung erwarten. Diese Erwartung ist bislang auf keiner Ebene erfüllt worden.

Legislative
Die Legislative auf Bundes- und ganz überwiegend auch auf Landesebene hat, unter einem
offensichtlichen Vorrang von wirtschaftlichen und/oder sozialen Interessen, die normierte Wirkung
des Staatsziels Tierschutz bislang nur ungenügend umgesetzt und den Tierschutz nicht erkennbar
vorangetrieben. Bei genauer Betrachtung erhält man vielmehr den Eindruck eines Rückschritts.
Selbst bei bereits gerichtlich festgestellten Tierquälereien, wie der Geflügelkäfighaltung, wurde
der Schutzauftrag durch die Judikative an die Legislative nicht umgesetzt, hier sogar umgekehrt.
Sachlich gebotene Verbesserungen wurden von der Legislative nicht ausreichend verfolgt. So
wurde z. B. das Instrument der Tierschutzverbandsklage von Tierschutzorganisationen aus der
Gesellschaft seit 2002 durchgehend verlangt und vorbereitet. Auf Bundesebene gab es keine
Bemühungen in diese Richtung. Auf Landesebene konnte eine Tierschutzverbandsklage bislang nur
in Bremen normiert werden. Darüber hinaus wurde durch die Legislative, maßgeblich durch die CDU
und FDP, eine Tierschutzverbandsklage nur verhindert und unterlassen. Dabei ist eine Einführung
unaufhaltsam, allein unter historischer Betrachtung der Umweltschutz-Verbandsklage.
Weitere wichtige Bereiche, wie z. B. eine tatsächliche Reduzierung der Dauer von
Tiertransporten, Haltungsvorgaben für verschiedene Tiergruppen oder das Verbot von Wildtieren in
Zirkussen könnten unter dem Staatsziel Tierschutz auf politischer Ebene behandelt werden. Die
Politik hat dies aber bislang unterlassen.

Exekutive
Die Exekutive, vertreten z. B. durch die Veterinär- oder/und Ordnungsbehörden haben mit
§ 16a TierschutzG und weiteren Ermächtigungsgrundlagen in erheblichen Umfang die Möglichkeit,
teilweise gar die Verpflichtung, Maßnahmen auch auf Art.20a GG zu stützen.
Ob und in welchem Umfang dies tatsächlich geschieht, ist mangels statistischer Angaben nicht
möglich zu sagen. Der Unterzeichner kann nur aus eigener Erfahrung im Einzelfall feststellen, dass
eine Anwendung des Staatsziels Tierschutz durch die Exekutive nahezu nie erfolgt. Der subjektive
Eindruck begründet somit ebenfalls eine ungenügende Anwendung des Staatsziels Tierschutz durch
die Exekutive.

Judikative
Mangels Tierschutzverbandsklage entscheidet die Judikative bislang nur in den Fällen, in denen
ein Tiernutzer gegen eine Entscheidung der Exekutive vorgeht. Eine initiative gerichtliche Kontrolle
für einen Schutz der Tiere ist ohne Verbandsklage nicht möglich.
Insoweit geht es bei gerichtlichen Entscheidungen im Tierschutzrecht immer um bestehende
Missstände, die von der Behörde untersagt wurden und gegen die sich der Tiernutzer wehrt.

396 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Von den Gerichten ist aber natürlich auch in diesen Fällen die Anwendung des Art. 20a GG
verlangt. In welchem Umfang dies tatsächlich erfolgt, ist auch hier mangels statistischer Angaben
besonders bei den unteren Gerichten nicht erkennbar (15).
Eine Auswertung höchstrichterlicher Rechtssprechung lässt erkennen, dass Art. 20a GG zur
Anwendung gelangt. Zumeist steht diese aber hinter anderen Abwägungsbelangen zurück und
insofern erfolgt keine Verbesserung für einen Schutz der Tiere durch die Judikative. Eine genaue
Auswertung ist im Rahmen dieser Zusammenfassung nicht möglich.

Literaturverzeichnis
1. BVerfG NJW 2002, S.663 ff.
2. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 5; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz,
6.Aufl. 2008, Art. 20a, Rn.2 ff.
3. so auch Hillmer, Auswirkung einer Staatszielbestimmung Tierschutz im Grundgesetz…, Dissertation
Göttingen 2000.
4. vgl. z. B. Klöpfer, Umweltrecht, 2.Aufl. 2006, Art. 20a, Rn. 26.
5. Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 6.Aufl. 2008, Art. 20a, Rn. 17; Scholz in Mauntz/Dürig, Art. 20a, Rn. 42.
6. Hirt, Maisack, Moritz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Artikel 20a, Rn. 10.
7. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 12.
8. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 13; Lorz/Metzger,
Tierschutzgesetz, 6.Aufl. 2008, Art. 20a, Rn. 12.
9. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 14.
10. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 15; Lorz/Metzger,
Tierschutzgesetz, 6.Aufl. 2008, Art. 20a, Rn. 12.
11. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 16.
12. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 17, 18.
13. Vgl. dazu: Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 19.
14. Hirt/Maisack/Mortiz, Tierschutzgesetz 2. Aufl. 2007, Art. 20a, Rn. 21; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz,
6.Aufl. 2008, Art. 20a, Rn. 13, 19.
15. Eine Übersicht bietet die vom Unterzeichner begründete Datenbank des Landes Hessen: www.tierschutz-
urteile.de

Kontaktadresse
Rechtsanwalt Dr. jur. Konstantin Leondarakis, LL.M., Göttingen, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 397


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Indikatoren einer tiergerechten Mastputenaufzucht – erste Ergebnisse


einer Praxisstudie
Jens Hübel1, Thomas Bartels1, Shana Bergmann2, Nina Mädl2, Uwe Truyen3,
Michael Erhard2, Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns1
1Klinikfür Vögel und Reptilien, Universität Leipzig; 2Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde,
Tierhygiene und Tierhaltung, Ludwig-Maximilians-Universität München; 3Institut für Tierhygiene und
Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig

Einleitung
Im Rahmen des Forschungsprojektes „Indikatoren einer tiergerechten Mastputenhaltung in der
Aufzuchtphase“ soll der Einfluss der Haltung auf die Tiergesundheit und die Fitness von Mastputen
während der ersten Lebenswochen untersucht werden. Es wird angestrebt, mithilfe einer
umfassenden statistischen Erhebung solche Haltungs- und Managementfaktoren zu ermitteln, die die
Gesundheit der Puten in der Aufzuchtphase beeinflussen. Anlass für die Durchführung dieser zurzeit
noch laufenden Studie sind die Ergebnisse einer Untersuchung zu den Indikatoren einer
tiergerechten Mastputenhaltung (vgl. http://download.ble.de/06HS015.pdf). Hier war evident, dass
bereits in der 6. Lebenswoche, also kurze Zeit nach der Umstallung der Puten in den Maststall, ein
hoher Prozentsatz der Tiere pathologische Veränderungen der Sohlenballen aufwies (1).
Vor diesem Hintergrund erschien es angebracht, eine vergleichbare Studie zur Aufzuchtsituation,
wiederum deutschlandweit anhand von Erhebungen in Praxisbetrieben, zu initiieren.

Studiendesign
Die Erhebungen werden deutschlandweit in 24 Putenmastbetrieben durchgeführt. Untersucht
werden ausschließlich schwere Mastputen der Herkunft B.U.T. Big 6. Im Zuge der klinischen
Untersuchung werden jeweils 60 weibliche oder männliche Tiere am 3.-5. Einstallungstag sowie kurz
vor der Umstallung in den Maststall (zumeist in der 3.-6. Lebenswoche) einer adspektorischen und
palpatorischen Untersuchung unterzogen. Zusätzlich werden Daten zum Management und zu den
Haltungsbedingungen vom Tierhalter erfragt.
Als Hauptursache für das Auftreten von Pododermatitis bei Puten wird die Einstreufeuchtigkeit
gesehen (2). Daher schien es für die Beurteilung von Stallmanagement und Fußballengesundheit
wichtig, Einstreuproben parallel zu den Tieruntersuchungen zu nehmen.
In jedem untersuchten Durchgang wurde zu drei verschiedenen Zeitpunkten Einstreu gesammelt.
Die ersten Proben wurden vor Einstallung der Tiere entnommen, um die Qualität der Einstreu ohne
Kotkontamination beurteilen zu können. Das zweite und dritte Mal erfolgte es im Rahmen der beiden
Untersuchungstage. Nach einem vorher festgelegten Schema wurden Einzelproben entnommen,
diese zu Sammelproben von Tränke-, Futter- und Ruhebereich zusammengefasst und in Beuteln
luftdicht verschlossen. Im Labor wurden von diesen die Einstreufeuchtigkeit mittels Darr-Verfahren,
der pH-Wert und der Ammoniumgehalt bestimmt.
Im Rahmen des Vortrages sollen erste Befunde insbesondere unter Berücksichtigung der
ermittelten Einstreufeuchtigkeit präsentiert werden.

398 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Einstreu
In mehr als der Hälfte der untersuchten Betriebe wurden während der Aufzucht
Weichholzhobelspäne eingesetzt. Alternative Einstreumaterialien wie Gerstenstroh, Strohpellets,
Lignocellulose und Dinkelspelzen kamen nur bei wenigen Mästern zum Einsatz.
Bisher zeigten sich tendenziell Unterschiede in der Feuchtigkeit sowohl zwischen den
eingesetzten Einstreumaterialien als auch den Entnahmeorten. Im Weiteren wurde auch der Einfluss
vom Ort der Probenentnahme, von der Art des Tränkesystems und weiteren Faktoren untersucht.

Haut, Gefieder und Anhangsorgane


Nahezu alle Tiere waren schnabelkupiert, daher wurde auch der Schnabel, insbesondere die
Beurteilung, wie sich die Schnäbel 3 bis 5 Tage nach der Behandlung und kurz vor Umstallung
zwischen 3. und 6. Lebenswoche im Stall darstellen, mit in die Untersuchung einbezogen.
Am 3.-5. Einstallungstag konnten bei den bislang untersuchten, überwiegend schnabelkupierten
Putenküken noch keine Verletzungen der Körperdecke festgestellt werden (3). Zum Zeitpunkt der
zweiten Untersuchung, je nach Umstallungsrhythmus in der 3.-6. Lebenswoche, wiesen annähernd
90 % der Tiere keine Hautverletzungen auf. Waren Kratz- oder Hackverletzungen vorhanden, fanden
sich diese zum überwiegenden Teil im Rückenbereich. Betroffen waren hauptsächlich Küken aus
drei Betrieben. Aufgrund des klinischen Bildes der Läsionen kann davon ausgegangen werden, dass
die Verletzungen hauptsächlich von Artgenossen durch Überlaufen zugefügt wurden.
Hautverletzungen an anderen Körperregionen fanden sich nur vereinzelt in Größenordnungen von
jeweils maximal einem Prozent.
Im Gegensatz zur bei Puten geschlechtsabhängig unterschiedlich langen Mastphase, an deren
Ende zahlreiche Individuen pathologische Veränderungen der Brusthaut aufweisen können, wurden
bei Putenküken in der Aufzuchtphase bislang weder fokale ulzerative Dermatitiden („breast buttons“)
noch Entzündungen der Bursa sternalis diagnostiziert (4).
Veränderungen der Fußballenhaut gehören in der intensiven Putenhaltung zu den häufigsten
Krankheitsbildern und können zum Ende der Mast mit sehr hohen Prävalenzen dokumentiert
werden, jedoch auch bereits in der Aufzuchtphase auftreten (5). Von den bislang am 3.-
5. Einstallungstag untersuchten Puten [n=1150] wurden bei 67,7 % der Küken keine Veränderungen
der Ballenepidermis festgestellt. Zum zweiten Untersuchungszeitpunkt nahm die Zahl der Tiere ohne
Sohlenballenveränderungen deutlich ab. Tiefgreifende Läsionen der Ballenhaut konnten bei Puten in
der Aufzuchtphase bislang nicht nachgewiesen werden.

Danksagung
Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE); Förderkennzeichen 2810HS003.

Literaturverzeichnis
1. Krautwald-Junghanns M-E, Ellerich R, Böhme J, Cramer K, DellaVolpe A, Mitterer-Istyagin H, et al.
Erhebungen zur Haltung und Gesundheit von Mastputen in Deutschland. Berl Münch Tierärztl
Wochenschr. 2009;122:271-83.
2. Mayne RK, Else RW, Hocking PM. High litter moisture alone is sufficient to cause footpad dermatitis in
growing turkeys. Br Poult Sci. 2007;48:538-545.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 399


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
3. Krautwald-Junghanns M-E, Ellerich R, Mitterer-Istyagin H, Ludewig M, Fehlhaber K, Schuster E, et al.
Untersuchungen zur Prävalenz von Hautverletzungen bei schnabelkupierten Mastputen. Berl Münch
Tierärztl Wochenschr. 2011;124:8-16.
4. Mitterer-Istyagin H, Ludewig M, Bartels T, Krautwald-Junghanns M-E, Ellerich R, Schuster E, et al.
Examinations on the prevalence of foot pad lesions and breast skin lesions in B.U.T. Big 6 fattening
turkeys in Germany. Part II: Prevalence of breast skin lesions (Breast Buttons and Breast Blisters). Poult
Sci. 2011;90:775-80.
5. Krautwald-Junghanns M-E, Ellerich R, Mitterer-Istyagin H, Ludewig M, Fehlhaber K, Schuster E, et al.
Examinations on the prevalence of foot pad lesions and breast skin lesions in British United Turkeys Big 6
fattening turkeys in Germany. Part I: Prevalence of foot pad lesions. Poult Sci. 2011;90:555-60.

Kontaktadresse
Jens Hübel, Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig, [email protected]

400 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Tierschutzprobleme bei der Zucht von Nutztieren


Bernhard Hörning
Hochschule für nachhaltige Entwicklung (FH) Eberswalde

Ziel des Beitrags ist eine kurze Übersicht über Auswirkungen der Leistungssteigerungen auf die
Tiergesundheit bzw. Tiergerechtheit. In den letzten Jahren haben sich hierzu u. a. auch die
Bundestierärztekammer und der Bundesverband verbeamteter Tierärzte kritisch geäußert. Aktuell
hat die Bundestagsfraktion der Grünen im November 2010 eine kleine Anfrage zur Qualzucht an die
Bundesregierung gestellt und im März 2011 ein Fachgespräch hierzu durchgeführt (6,7).

Leistungssteigerungen und ihre Auswirkungen


In den vergangenen Jahrzehnten sind die Leistungen der Nutztiere züchterisch kontinuierlich
gesteigert worden. Grund waren vor allem stagnierende bzw. sinkende Preise. Die Milchleistung liegt
heute bei ca. 8.000 kg, die täglichen Zunahmen bei Mastschweinen liegen in der Praxis bei 750 g
(auf Prüfstation z. T. über 1.000 g), die abgesetzten Ferkel je Sau bei 23,8 im Jahr, die Legeleistung
in der Praxis bei 288 Eiern (Prüfstation 320 bzw. 330) und die täglichen Zunahmen bei Masthühnern
in der Praxis bei 56 g (Prüfstation 65 g).
Das Durchschnittsalter der Milchkühe betrug 2009 bei Schwarzbunten 4,5 Jahre, bei Rotbunten
4,7 Jahre, bei Fleckvieh 4,8 Jahre und bei Braunvieh 5,3 Jahre (ADR-Angaben). 2008/09 waren 45,8
% der Kühe unter 4,0 Jahren alt (Angaben vit). Aus diesen Angaben errechnen sich Nutzungsdauern
von unter drei Jahren. Die krankheitsbedingten Abgangsursachen haben stark zugenommen
(Sterilität, Euterkrankheiten, Klauen-/Gliedmaßenkrankheiten, Stoffwechselstörungen) und machen
heute fast 2/3 aller Merzungen aus. Die genannten Krankheitskomplexe sind auch die Hauptgründe
für tierärztliche Behandlungen, wie es Stichproben aufzeigen. Mit steigender Leistungshöhe nimmt
der Anteil der Summe der krankheitsbedingten Abgangsursachen linear zu (von 51,9 % bei < 7.000
auf 65,8 % bei > 10.000 kg/Jahr), wenn die Lebendabgänge (zur Zucht) herausgerechnet werden
(Daten des vit für 2009). Mit steigender Milchleistung verschlechtern sich ebenfalls linear
Fruchtbarkeitsmerkmale wie Zwischenkalbzeiten, Non-Return-Raten oder Besamungsindex (Bsp.
LKV Sachsen). Analog steigen die Tierarztkosten kontinuierlich an (Bsp. Rinderreport Schleswig-
Holstein bzw. Rheinland-Pfalz). Bei ca. 100 Betrieben in Schleswig-Holstein wurde bei vielen
Krankheiten ein linearer Anstieg mit der Leistungshöhe festgestellt (1).
Die Zucht auf hohen Magerfleischanteil hat bekanntlich die genetisch bedingte Stressanfälligkeit
von Schweinen erhöht. Neben dem Beinschwächesyndrom stehen im Vordergrund der
leistungsbedingten Krankheitserscheinungen die sogenannten Belastungsmyopathien. Darunter sind
Muskeldegenerationen und Störungen des Herz-Kreislaufsystems zu verstehen (z. B. die sog.
‘Bananenkrankheit’ oder der ‘Transporttod’). Verschiedene Studien zeigten Osteochondrosen bei 55
bis 90 % der Mastschweine (2).
Mit zunehmender Wurfgröße nimmt das Geburtsgewicht des einzelnen Ferkels ab (begrenzte
Kapazität des Uterus) und damit steigt das Gesundheits- und Mortalitätsrisiko deutlich an. Die
Nutzungsdauer der Sauen beträgt heute nur ca. 1,5-2,0 Jahre (Remontierung 40 bis 65 % im Jahr).
Stichproben zufolge findet etwa ein Viertel bis ein Drittel der Abgänge aus Fruchtbarkeitsproblemen
statt und ca. 10 % der Abgänge sind durch Fundamentprobleme bedingt.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 401


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Nach Angaben des statistischen Bundesamts 2005 wurden 93,1 % aller Legehennen nur eine
Legeperiode lang genutzt (d. h. ca. 1 Jahr). Zu den Hauptabgangsursachen bei Legehennen zählen
neben Kannibalismus Erkrankungen der Legeorgane (z. B. Leistungsprüfung in Kitzingen), d. h.
derjenigen Organe, welche die hohe Legeleistung realisieren. Die Eileiterentzündung (Salpingitis)
wird als ‚Berufskrankheit’ der Hühner bezeichnet. Häufig wird auch das Fettlebersyndrom
(Leberverfettung) angeführt, welches mit hohen Leistungen zusammenhängt. Ebenfalls im
Zusammenhang mit den hohen Leistungen steht die Osteoporose bei Legehennen (Käfiglähme). Als
weitere Tierschutzprobleme sind das Töten der männlichen Küken der Legehybriden zu nennen (30-
40 Millionen im Jahr in Deutschland), sowie die restriktive Fütterung der Elterntiere von
Masthühnerhybriden, welche wiederum Verhaltensstörungen der Nahrungsaufnahme begünstigt (3).
Als bedeutende Krankheiten bei Mastgeflügel (Puten, Hähnchen) sind Herz-Kreislaufprobleme
(plötzlicher Herztod, Aszites) sowie Beinschäden (z. B. tibiale Dyschondroplasie, TD) zu nennen.
Verschiedene Studien zeigten Häufigkeiten der TD von 55 bis zu 90 % (2). Skelett und innere
Organe können mit dem raschen Muskelwachstum nicht Schritt halten. Genannt werden auch
Muskelerkrankungen wie die Myopathie der tiefen Brustmuskulatur beim Broiler oder PSE-ähnliche
Erscheinungen bei der Pute. Ferner sind Verhaltensprobleme zu nennen (Übersicht in 3). Aufgrund
des Größenunterschiedes sind männliche Puten nicht mehr zum natürlichen Deckakt in der Lage.
Die schnell wachsenden Puten- oder Hähnchenherkünfte nutzen erhöht angebrachte Sitzstangen
sowie Ausläufe kaum. Mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme nehmen alle Verhaltensweisen im
Verlauf der Mast rapide ab, analog steigt der Anteil des Ruhens. Darüber hinaus ist die
Fortbewegung oft beeinträchtigt.
Für eine Bewertung der Tierschutzrelevanz kommen laut Tierschutzgesetz Schmerzen, Leiden
oder Schäden in Frage. Auch der „Qualzuchtparagraf“ 11b nennt diese Parameter (s. u.). Bei
degenerativen Gelenkerkrankungen kann davon ausgegangen werden, dass sie schmerzhaft sind.
Dies gilt auch für Schwergeburten (z. B. bei der Doppellender-Rasse Weißblaue Belgier).
Angenommen werden Schmerzen auch bei Knochenbrüchen (z. B. aufgrund von Osteoporose der
Legehennen), der Myopathie der tiefen Brustmuskulatur der Broiler und Mastputen, bei der
Belastungsmyopathie der Schweine (z. B. durch Muskelnekrosen), sowie bei Aszites aufgrund von
Sauerstoffmangel (2). Leiden werden allgemein in Verbindung gebracht mit Verhaltensstörungen.
Hier sind mit Hinblick auf die Leistungsstörungen insbesondere die drastischen
Verhaltenseinschränkungen bei schell wachsendem Mastgeflügel zu nennen (s. u.), evtl. aber auch
ein gestiegenes Erregungsniveau bei Milchkühen, fleischreichen Mastschweinen oder bei
Legehennen mit daraus resultierenden Problemen wie z. B. einer stärkeren Anfälligkeit für
Federpicken (vgl. 3).

Mögliche Maßnahmen
Als Maßnahmen zur Reduzierung der leistungsbedingten Probleme kommen juristische,
züchterische oder Managementmaßnahmen in Frage (2-4). Managementmaßnahmen sind wichtig,
da Leistungen und Gesundheit der Nutztiere in hohem Maße auch von den Umweltbedingungen
beeinflusst werden. Maßnahmen wie eine Reduzierung der Fütterungsintensität oder ein größeres
Platzangebot zur Verringerung von Beinschäden etwa beim Mastgeflügel ändern allerdings nichts an
den zuchtbedingten Ursachen. Darüber hinaus erscheinen sie als freiwillige Maßnahme angesichts
des Preisdrucks in der Landwirtschaft unrealistisch, da sie für die Erzeuger mit Mehrkosten
verbunden sind.

402 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Als züchterische Maßnahmen können z. B. Fitnessmerkmale im Selektionsindex bzw. im
Gesamtzuchtwert stärker gewichtet werden (z. B. Nutzungsdauer bei Milchkühen). Beispiele sind die
höhere Gewichtung der Nutzungsdauer durch den deutschen Holsteinverband (von 6 auf heute
20 %), der vom gleichen Verband heute parallel verfügbare sog. Fitnessindex oder die Einführung
von direkten Gesundheitsmerkmalen (Mastitis, Fruchtbarkeitsstörungen, Milchfieber) in der
gemeinsamen Zuchtwertschätzung für Fleckvieh durch Süddeutschland und Österreich. Auch bei
Schweinen könnte die Nutzungsdauer in die Zuchtwertschätzung aufgenommen werden. Andere
Beispiele sind die Berücksichtigung von Fleischqualitätsmerkmalen wie dem intramuskulären
Fettgehalt in der Schweiz oder in Dänemark, welcher mit einer höheren Fitness verbunden ist.
Als juristische Möglichkeit liegt ein Bezug auf das Tierschutzgesetz nahe. § 3 Nr. 1 verbietet
„einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes
offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen“. Der sog.
Qualzuchtparagraph (§ 11b) ist bislang noch nie vollzogen worden (4,5). Die derzeitige
Bundesregierung sieht jedoch keinen Bedarf für eine Konkretisierung (vgl. Antwort auf Anfrage der
GRÜNEN, 7). Allerdings gibt es Beispiele für Leistungsbeschränkungen oder den Ausschluss
bestimmter Herkünfte aus anderen Rechtsbereichen. So gelten z. B. Mindestschlachtalter für
Mastgeflügel im Ökolandbau (EU-Bio-Verordnung) oder in den EU-Vermarktungsnormen für
Geflügelfleisch. Einige Verbände des ökologischen Landbaus begrenzen die täglichen Zunahmen
von Mastgeflügel. Die EU-Bio-Verordnung schreibt vor, dass Rassen oder Linien so ausgewählt
werden, dass bestimmte Krankheiten oder Gesundheitsprobleme, die „für einige intensiv gehaltene
Rassen oder Linien typisch“ sind, vermieden werden. Als weitere juristische Maßnahme wird eine
Festlegung maximal zulässiger Auftrittshäufigkeiten für leistungsabhängige Gesundheitsstörungen
genannt (4).

Literaturverzeichnis
1. Prien K. Tierspezifische, betriebsspezifische und saisonale Faktoren der Gesundheit von Milchkühen (eine
statistische Erhebung in Schleswig-Holstein) [Dissertation]. Hannover: Tierärztliche Hochschule; 2006.
2. Demmler D. Leistungsabhängige Gesundheitsstörungen bei Nutztieren für die Fleischerzeugung
(Schweine, Rinder, Hühner, Puten) und ihre Relevanz für § 11b Tierschutzgesetz ("Qualzucht")
[Dissertation]. Berlin: Fachbereich Veterinärmedizin; 2011.
3. Hörning B. Auswirkungen der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren. Tierhaltung, Bd. 30, Kassel: Kassel
University Press; 2008.
4. Luy J. Leistungsabhängige Gesundheitsstörungen bei Nutztieren – die ethische Dimension. Berl. Münch.
Tierärztl. Wochenschr. 2006;119:373-85.
5. Hirt A, Maisack C, Moritz J. Tierschutzgesetz Kommentar. 2. Aufl., München: Franz Vahlen; 2007. S. 375-
89
6. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/037/1703798.pdf
7. http://www.gruene-bundestag.de/cms/tierschutz/dok/384/384370.wenn_die_zucht_zur_qual_wird.pdf

Kontaktadresse
Prof. Dr. agr. habil. Bernhard Hörning, Fachgebiet Ökologische Tierhaltung, Hochschule für
nachhaltige Entwicklung (FH) Eberswalde, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 403


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Umsetzung der EU-Versuchstierrichtlinie in deutsches Recht


Thomas Pyczak
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Stuttgart

Einleitung
Die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September
2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (in der Folge: RL) ist seit dem
09.10.2010 in Kraft. In den Mitgliedstaaten anzuwenden ist die RL ab dem 1. Januar 2013 (3).
Die RL ist in nationales Recht umzusetzen, was erhebliche Anpassungen des derzeit geltenden
Tierschutzrechts erfordert, insbesondere des 5. Abschnitts des Tierschutzgesetzes (§§ 7-10a
TierSchG). Wesentliche Änderungen ergeben sich insbesondere auch für den Vollzug des Gesetzes,
für den die Länder zuständig sind.
Ziel des Tagungsbeitrages ist es, die aufgrund der Umsetzung der RL anstehenden inhaltlichen
Änderungen im Sinne eines Überblicks darzustellen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich aufgrund
der Abgabefrist für den Beitrag im Tagungsband (Ende Juli 2011) bis zur Tagung noch wesentliche
Entwicklungen im Rahmen der laufenden nationalen Umsetzung ergeben werden. Deshalb wird das
gesprochene Wort von diesem Beitrag abweichen.

Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht und Anpassung der Verfahren


Bezüglich der Darstellung des aktuellen Standes der Umsetzung auf Bundesebene wird auf den
Tagungsbeitrag von Kluge, K. (BMELV) verwiesen.

In Baden-Württemberg laufen Beratungen zu den Auswirkungen der RL auf die Tätigkeit der
zuständigen Behörden seit Herbst 2010.
Um die neuen Vorgaben in den Behörden und Einrichtungen zeitgerecht umsetzen zu können,
müssen die nationalen Neuregelungen allen Verfahrensbeteiligten rechtzeitig vorliegen. Der gemäß
Art. 61 der RL vorgesehene Umsetzungszeitpunkt 10. November 2012 ist hierfür sicher wesentlich
zu spät.

Die Richtline – wesentliche Regelungen


Für die Behörden und Antragsteller in Deutschland resultieren aus der Richtlinie zahlreiche
Veränderungen, die im Rahmen dieses Beitrags nur übersichtsweise dargestellt werden können.
Wesentliche Punkte sind die:
 Einrichtung und Bedienung neuer Gremien und Verfahren
 Wesentliche Steigerung der Zahl der Genehmigungsanträge durch erweiterten
Geltungsbereich und weitgehenden Wegfall des Anzeigeverfahrens
 Wesentliche Erweiterung der Vorgaben zur Bearbeitung/Prüfung der Anträge
 Einführung eines neuen Verfahrens zur rückblickenden Bewertung der Tierbelastung
 Einführung eines neuen Verfahrens zur Information der Öffentlichkeit zu Versuchsprojekten
(Nichttechnische Projektzusammenfassung)
 Erweiterung der jährlich zu erstellenden Statistik

404 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

 Sowie neue Regelungen zur Durchführung der Kontrollen und Kontrollen der behördlichen
Tätigkeit durch die EU-Kommission

Anmerkungen unter besonderer Berücksichtigung von Vollzugsfragen


Einrichtung und Bedienung neuer Gremien und Verfahren:

a) Die RL fordert kein Gremium, das der Kommission nach § 15 Abs. 1 des TierSchG (sog.
Ethikkommission) entspricht. Sie regelt in Art. 38 Abs. 3 lediglich, dass die Behörde in bestimmten
Bereichen auf (ggf. auch behördeneigenes) „Fachwissen“ zurückgreift und in Art. 38 Abs. 4 lediglich
als Option die Einbeziehung der Stellungnahmen „unabhängiger Dritter" durch die Behörde.
Der Autor geht derzeit davon aus, dass die bestehende Regelung im nationalen Recht im Grundsatz
beibehalten wird; d. h. dass die Ethikkommissionen die Funktion des „unabhängigen Dritten"
wahrnehmen.
Darüber hinaus wird ein nationaler Ausschuss für den Schutz von für wissenschaftliche Zwecke
verwendete Tiere neu eingeführt. Dieser soll die zuständigen Behörden und die Tierschutzgremien in
Angelegenheiten, die mit Erwerb, Zucht, Unterbringung, Pflege und Verwendung von Tieren in
Verfahren zusammenhängen und den Austausch bewährter Praktiken gewährleisten, beraten (Art.
49 Abs. 1 der RL).

b) Die Richtlinie beinhaltet keine Funktion, die dem Tierschutzbeauftragten nach § 8b des
TierSchG entspricht. Gefordert wird in Art. 26 allerdings ein „Tierschutzgremium", das in
Verwendereinrichtungen mindestens aus der verantwortlichen Person (analog zu derjenigen nach §
11 TierSchG) sowie einem Wissenschaftler besteht und das auch „Eingaben von dem in Artikel 25
benannten Tierarzt erhält."
Es ist zu hoffen, dass die nationale Umsetzung hier für eine Beibehaltung des
Tierschutzbeauftragten gemäß § 8b TierSchG sorgt und eine möglichst eindeutige Vorgabe im
Hinblick auf dessen Beteiligung im Tierschutzgremium, seine Beratungs- und
Entscheidungsfunktionen in der Einrichtung sowie als Ansprechpartner der Behörden schafft.
Eine umfassende Darstellung zu den Anforderungen der RL an die in Verfahren beteiligten Personen
findet sich in Pyczak 2010 (6).

Erweiterter Geltungsbereich und weitgehender Wegfall des Anzeigeverfahrens:


Die RL bezieht auch selbstständig Nahrung aufnehmende Larven, Föten von Säugetieren ab
dem letzten Drittel ihrer normalen Entwicklung sowie lebende Kopffüßer ein (§ 1 Abs. 3).
Insbesondere Versuche unter Verwendung der beiden ersten Gruppen werden voraussichtlich zu
einer Erhöhung der Anzahl an Verfahren führen.
Bezüglich der Änderungen bei den bisherigen Anzeigeverfahren ist festzustellen, dass das sog.
„Vereinfachte Verwaltungsverfahren" (VVV) des Art. 42 der RL entgegen der Auffassung von Binder
nicht dem Anzeigeverfahren nach § 8a TierSchG entspricht, sondern im Gegenteil keine wesentliche
Erleichterung im Vergleich zu dem in der RL vorgesehenen Genehmigungsverfahren bringt (1).
Insgesamt wurde der voraussichtliche Zweck der Einführung des VVV, nämlich bei bestimmten
Projekten den Verfahrensaufwand wesentlich zu reduzieren, nicht erreicht. Der Aufwand im Rahmen
der Antragstellung und -bearbeitung entspricht weitgehend dem Genehmigungsverfahren. Auf
bestimmte Bestandteile, z. B. die retrospektive Bewertung, kann auch im normalen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 405


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Genehmigungsverfahren bei entsprechender Belastung „geringer als schwer" und "ohne
Verwendung von Primaten" verzichtet werden. Mögliche Haupterleichterung bleibt somit der als
Option im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht mögliche Verzicht auf die Vorlage der
„Nichttechnischen Projektzusammenfassung" (7).
Im Rahmen der Beratung des EU-Richtlinienentwurfs hatte der Deutsche Bundesrat bezüglich
des Anzeigeverfahrens folgenden Beschluss gefasst:
"Die Unterscheidung zwischen genehmigungspflichtigen und anzeigepflichtigen Tierversuchen
bzw. Eingriffen und Behandlungen hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt und muss
weiterhin in Anlehnung an das deutsche Tierschutzgesetz möglich sein" (2).
Diese Forderung des Bundesrates erfüllt das in der RL vorgesehene Verfahren nicht.
Für Antragsteller wie Behörden ergibt sich hier somit zukünftig ein erheblicher administrativer
Mehraufwand. Ob dieser Mehraufwand auch ein Mehr an Tierschutz bedeutet, muss sich erst noch
erweisen. Zumindest für gesetzlich vorgeschriebene und andere, bezüglich ihrer
Genehmigungsfähigkeit eher „unstrittige" Verfahren erscheint der Sinn dieses Mehraufwands
fragwürdig.

Eine gewisse Verfahrenserleichterung ergibt sich aus der in Art. 40 Abs. 4 der RL vorgesehenen
Möglichkeit, bestimmte Genehmigungen von gleichartigen Projekten zu einer Sammelgenehmigung
zusammenzufassen.

Erweiterung der Vorgaben zur Bearbeitung/Prüfung der Anträge:


Die Umsetzung der RL erfordert erhebliche Änderungen in den bisherigen Verfahren. Auf
zahlreiche Punkte ist der Autor bereits früher vertieft eingegangen, so z. B. die Berücksichtigung von
Schweregraden des Art. 15 (5). Eine Übersicht über die Verfahren und ihre Auswirkungen aus Sicht
der Verwaltung enthält Pyczak 2010 (6).
Art. 38 der RL sieht im Gegensatz zur bisherigen „qualifizierten Plausibilitätsprüfung" der
Angaben des Antragstellers jetzt eine materielle Prüfverpflichtung der Behörde vor, einschließlich
einer Schaden-Nutzen-Analyse des Projekts, „in deren Rahmen bewertet wird, ob die Schäden für
die Tiere in Form von Leiden, Schmerzen und Ängsten unter Berücksichtigung ethischer
Erwägungen durch das erwartete Ergebnis gerechtfertigt sind und letztlich Menschen, Tieren oder
der Umwelt zugute kommen können".
Die in Art. 41 festgelegte Bearbeitungsfrist von höchstens 40 Arbeitstagen kann gemäß Art. 41
Abs. 2 der RL mit ausreichender Begründung und Mitteilung an den Antragsteller einmalig für einen
begrenzten Zeitraum von höchstens 15 Arbeitstagen verlängert werden, wenn dies „durch den
komplexen oder interdisziplinären Charakter des Projekts gerechtfertigt ist".
In jedem Fall ist diese Frist angesichts des umfassenden Prüfauftrags der Behörde und
insbesondere bei Einbeziehung von externem Sachverstand sehr kurz bemessen und erfordert
ausreichende Kapazitäten bei der zuständigen Behörde sowie ggf. den beteiligten Kommissionen.
Hinzuweisen ist darauf, dass die Regelung der RL im Gegensatz zur bisherigen nationalen Vorgabe
(im Normalfall 3 Monate = ca. 60 Arbeitstage gemäß § 8 Abs. 5a TierSchG) keine
Genehmigungsfiktion enthält (8). Insoweit bleibt unklar, was nach Ablauf der Frist passieren soll.

406 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Rückblickende Bewertung:
Die sehr komplexe und aus Sicht des Autors nicht ganz durchdachte Regelung in Art. 39 der RL
wirft insbesondere die Frage auf, wie die Behörde ein solches Instrument sinnvoll und mit
vertretbarem Aufwand umsetzen soll. Dies gilt insbesondere auch für die Auswirkungen der
Ergebnisse dieser Evaluierung auf die Projekte sowie die sinnvolle Berücksichtigung in der
Versuchstierstatistik (vgl. Art. 54 der RL).
Prinzip ist, dass die Behörde die Bewertung der Tierbelastung anhand von Daten vorzunehmen
hat, die der Projektleiter liefert. Der Sinn einer Berücksichtigung der Daten in der Statistik erscheint
schon deshalb diskussionswürdig, weil diese Bewertung nicht für alle Projekte vorgeschrieben ist.
Eine versuchsbegleitende, differenzierte Bewertung der Tierbelastung wäre sicher ein gutes
Instrument im Sinne eines einrichtungsinternen „refinements". Ob sich das behördliche Verfahren in
der vorgesehenen Form im Hinblick auf den bürokratischen Aufwand und die sehr groben
Ergebniskategorien bewähren wird, erscheint eher zweifelhaft (5).

Information der Öffentlichkeit – Nichttechnische Projektzusammenfassung:


Die gemäß Art. 43 vorgeschriebene, nichttechnische Projektzusammenfassung soll als
Grundlage für die Information der Öffentlichkeit über Projektdaten dienen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Richtlinienentwurf dieses Instrument
insbesondere wegen des bürokratischen Aufwands und Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz
abgelehnt (2).
Im Rahmen der Umsetzung sind insbesondere eindeutige Vorgaben für den Inhalt und Umfang
der Darstellung durch den Projektleiter zu fordern (s. a. 5).

Statistik:
Neue Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung der Versuchstierstatistik enthält die RL nicht.
Anpassungen der bestehenden Tabellen werden jedoch erforderlich, um z. B. die Vorgaben zu
Schweregraden, insbesondere der retrospektiven Projektbewertungen, zu erfassen.
Soweit die in Art. 54 Abs. 1 der RL vorgegebene, zusätzliche, in 5-jährigem Turnus zu erfüllende
Berichtspflicht über die Durchführung der RL in den Mitgliedstaaten der Anpassung der Regelungen
an die Erfahrungen aus der Praxis dienen, ist dieses Instrument zu begrüßen.
Eine weitere Berichtspflicht wird eingeführt zur Zulassung der Verwendung anderer
Tötungsmethoden als denen, die in Annex IV der RL festgelegt sind. Die Mitgliedstaaten haben der
Kommission jedes Jahr hierüber „ausführliche Informationen vorzulegen" (Art. 54 Abs. 3 der RL).

Kontrollen:
Siehe auch Anmerkungen zu 3. In der RL wird nicht differenziert, ob sich die Kontrollen lediglich
auf die Einrichtungen oder auch auf einzelne Projekte beziehen sollen. Gemäß Art. 34 Abs. 3
„werden auf der Grundlage der Risikoanalyse gemäß Absatz 2 jährlich bei mindestens einem Drittel
der Verwender Inspektionen durchgeführt. Bei Züchtern, Lieferanten und Verwendern von
nichtmenschlichen Primaten werden jedoch mindestens einmal jährlich Inspektionen durchgeführt."
Nach Abs. 4 erfolgt ein angemessener Teil der Inspektionen ohne Vorankündigung.
Die Durchführung von Risikoanalysen wird einen gewissen Mehraufwand bedingen. Die Zahl der
Kontrollen wird in Baden-Württemberg voraussichtlich nicht wesentlich steigen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 407


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Die – insbesondere in Verwendereinrichtungen – sicher nicht ganz unproblematische und ggf.
wesentlich aufwändigere Durchführung unangekündigter Kontrollen steht offensichtlich unter
besonderer Beobachtung der EU-Kommission (vgl. Art. 35 Abs. 1).

Schlussbemerkung
Für die Behörden und Antragsteller in Deutschland ergeben sich aus der Richtlinie zahlreiche
Veränderungen. Gewissen zu erwartenden Fortschritten bezüglich des Tierschutzniveaus steht ein
erheblicher bürokratischer Mehraufwand gegenüber. Bereits jetzt ist ersichtlich, dass eine deutliche
Mehrbelastung für die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden entstehen wird.
Auch in den Versuchseinrichtungen sind erhebliche Änderungen umzusetzen. Strukturen, Gremien
und Verfahrensweisen müssen etabliert werden und sich einspielen. Wünschenswert ist eine
Evaluierung der Vorgaben, um diese bezüglich ihrer Konzeption und Effizienz bewerten und ggf.
anpassen zu können.

Literaturverzeichnis
1. Binder R. Die neue Tierversuchs-Richtlinie - Anspruch, Realität und Perspektiven, ALTEXethik.
2010;Vol.2:11–22.
2. Bundesrat. Beschluss des Bundesrates zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (KOM(2008) 543 endg.;
Ratsdok. 15546/08); Drucksache 873/08 (Beschluss) vom 13. Februar 2009.
3. EU 2010: Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010
zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere; Amtsblatt der Europäischen Union L
276/33 vom 20.10.2010
4. EU 2010a: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - konsolidierte Fassung; Amtsblatt der
Europäischen Union C 83/50 vom 30.3.2010.
5. Pyczak T. Anmerkungen zum Genehmigungsverfahren für Tierversuche gemäß dem Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke
verwendeten Tiere unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung von Belastungskatalogen; Dtsch
Tierärztl Wschr. 2009;116:248–54.
6. Pyczak T. Die Überarbeitung der EU-Versuchstierrichtlinie aus Sicht der Verwaltung; Tagungsband DVG
Fachgruppe Tierschutz Nürtingen; 2010; Gießen.
7. Pyczak T. Anzeigepflicht für bestimmte Tierversuche - Anmerkungen zum zukünftigen Verfahren auf
Grundlage der Vorgaben der EU-Versuchstierrichtlinie 2010/63/EU; Berl.Münch.Tierärztl.Wschr. (im
Druck); 2011.
8. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt
geändert durch Artikel 20 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1934).

Kontaktadresse
Dr. Thomas Pyczak, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Baden-Württemberg,
Stuttgart, [email protected]

408 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Kutschpferde in der Großstadt – eine Statuserhebung


Lutz Meißner
Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt, Dresden

Einleitung
Das Betreiben von Pferdekutschbetrieben in Großstädten, hier im historischen Stadtzentrum in
Dresden besonders, ist einerseits im Ansteigen begriffen; Touristen nehmen die angebotenen
Rundfahrten an. Andererseits erhöht sich die Anzahl der Anzeigen und Beschwerden über diese aus
der Sicht vieler Bürger und Touristen nicht tierschutzgerechte Verwendung der Pferde.
Es soll diskutiert werden, welche Regulierungsmöglichkeiten für die zuständigen Behörden
bestehen.

Beispiel Dresden – was passiert konkret


Kutschfahrten durch das barocke Dresden stehen im Mittelpunkt der Darstellung.
Startpunkte der Touren sind die Frauenkirche und die Hofkirche. Die Routen führen aus
verkehrsberuhigten Zonen über stark befahrene, asphaltierte bzw. gepflasterte Hauptstraßen zurück
zum Ausgangsort und dauern in der Regel eine knappe Stunde.
Es sind vier Kutschenbetriebe vor Ort, die derzeit aus zwei Landkreisen und der Stadt Dresden
kommen. Im Einsatz sind neben normalen Kutschen auch zwei doppelstöckige Fahrzeuge, die von je
zwei Kaltblutpferden gezogen werden. Die Pferde werden nach dem Einsatz in Dresden an einem
ca. 1 km vom Abfahrort entfernten Platz abgeschirrt und über Nacht zum Heimatstandort gefahren.

Rechtliche Rahmenbedingungen – Tierschutzgesetz


Es gilt der Grundsatz, dass jeder gewebsmäßig betriebene Reit- und Fahrbetrieb über eine
Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 3c der zuständigen Behörde bedarf.
Nach durchlaufenem Erlaubnisverfahren ist der Betreiber jedes Reit- und Fahrbetriebes
berechtigt, diese Tätigkeit ohne örtliche Begrenzung auszuüben. Dies führt dazu, dass per se jeder
dieser Betriebe berechtigt ist auch in der Großstadt seine Dienstleistung anzubieten. Aus
tierschutzrechtlicher Sicht ist eine Begrenzung der Zahl der Betriebe oder der Zahl der Kutschen
nicht möglich.
Alle in Dresden tätigen Betriebe besitzen eine Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 3c
Tierschutzgesetz.
Beim inhaltlichen Vergleich der vorgelegten Erlaubnisse sind diese je nach ausstellender
Behörde mit unterschiedlichen Nebenbestimmungen und Auflagen versehen. Diese differieren
hinsichtlich der von in der Erlaubnis benannten Fahrzeuge und Pferde sowie der geforderten
Sachkunde der Fahrer.

Sollte keine Erlaubnis vorliegen, kann die Behörde die Tätigkeit untersagen.

Rechtliche Rahmenbedingungen – Straßenverkehrsrecht


Welche Möglichkeiten bestehen, ergänzend zum Tierschutzrecht, klare Regeln für diese Betriebe
zu schaffen, die sowohl den Überwachungsbehörden als auch den Betrieben Rahmenbedingungen
vorgeben?

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 409


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
In Dresden besteht derzeit keine Möglichkeit der Regulierung der Kutschenfahrbetriebe über
straßenverkehrsrechtliche Sondernutzungserlaubnisse oder ähnliche Genehmigungen. Im
Personenbeförderungsgesetz sind diese Fahrzeuge nicht erfasst.
Es nehmen am großstädtischen Straßenverkehr Fahrzeuge teil, die teilweise mit über 20
Personen besetzt fahren. Die Verkehrssicherheit der Kutschen kann durch die Veterinärbehörde
nicht geprüft werden. Die genutzten Straßen sind auch für diesen Verkehr freigegeben, die Folge
sind massive Staus hinter den im Schritt gehenden Pferden mit ihren Kutschen, oft mehrere
Kutschen hintereinander. Unfallgefahren ergeben sich aus hupenden Verkehrsteilnehmern, Pferde
können durchgehen und Unfälle sind an sich durchaus im Bereich des Möglichen.
Derzeit wird von der Stadt Dresden nicht regulierend eingegriffen, Sondernutzungserlaubnisse an
den Endpunkten der Rundfahrten in den verkehrsberuhigten Zonen der Stadt werden nicht erteilt.
Offen bleiben auch die kommunalen Belange der Kotentsorgung, Tränkwasserbereitstellung,
geregelter Abfahrtsplätze, des Pausenplatzes bzw. Abschirrplatzes, der „Lizenz zum Betreiben des
Kutschenbetriebes im Stadtzentrum mit Vergabe mit Einzelkutschenerlaubnissen“ entsprechend den
räumlichen Möglichkeiten an den Abfahrtsplätzen.

Weitere Eingriffsmöglichkeiten wären landeseinheitliche Vorgaben wie in Thüringen und Berlin.

Weiterführende Literatur
1. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt
durch Artikel 20 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1934) geändert.

Kontaktadresse
DVM Lutz Meißner, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt, Dresden,
[email protected]

410 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Unerlässlichkeit des Schwanzkupierens beim Schwein


Friedhelm Jaeger
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Nicht-tierärztlich indizierte, sondern zootechnisch begründete Eingriffe und Amputationen bei


Nutztieren werden seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Vor allem das Kürzen von Schwänzen bei
Ferkeln steht derzeit im Brennpunkt dieser Diskussion. Obwohl EU-rechtlich und nach den Vorgaben
des deutschen Tierschutzgesetzes nur im besonders begründeten Einzelfall erlaubt, wird dieser
Eingriff in den konventionellen Schweinehaltungen zumeist „routinemäßig“ vorgenommen. Dies sei –
so die Befürworter aus der Praxis – ein Beitrag zum aktiven Tierschutz; denn dadurch könne
vorbeugend das Risiko eines späteren Kannibalismus (Schwanzbeißen) mit großen Schmerzen und
auch gefährlichen Infektionen bei den Mastschweinen bis hin zu Totalverlusten deutlich verringert
werden. Wenn man – so die Argumentation aus der Praxis weiter – den Eingriff des
Schwänzekürzens beim Saugferkel fachgerecht, z. B. unter Einsatz eines modernen
Heißkupiergerätes, vornimmt, falle die tierschutzfachliche Abwägung noch eher zugunsten des
prophylaktischen Kürzens aus, zumal dieser Eingriff innerhalb der ersten Lebenstage vom Landwirt
selbst und ohne Betäubung durchgeführt werden darf.

Diese Diskussion ist also vielschichtig:


 Der Landwirt befindet sich hier in einem tierschutzrechtlichen Spannungsfeld, weil
Rechtsvorschriften (nur im „begründeten Einzelfall“ zulässig) und Praxis („routinemäßig“
durchgeführt) nicht im Einklang stehen. Zusätzlich stellt sich die Frage nach einer Anlastung
nach dem Cross-Compliance-Recht, soweit ein formaler Tierschutz-Rechtsverstoß amtlich
festgestellt wird.
 Der Einzelne kann sein Management optimieren, hat jedoch bei allem Bemühen niemals die
absolute Sicherheit auf Erfolg, denn es handelt sich um ein Problem im System. Dies hat auch
die Agrarministerkonferenz in ihrem Beschluss am 30. April 2010 zu erkennen gegeben, in dem
sie hierzu ein überregionales Lösungskonzept in Abstimmung mit Dänemark und den
Niederlanden eingefordert hat.
 Kannibalismus bei Schweinen zeigt an, dass im Haltungssystem etwas nicht stimmt und die
Tiere gestresst sind. Das vorbeugende Kürzen des Schwanzes trägt zwar dazu bei, dass die
sichtbaren Auswirkungen weniger häufig auftreten, aber damit ist das Grundproblem nicht
gelöst. Dieser Eingriff ist insofern nur rein „symptomatisch“; er verringert lediglich bis zu einem
gewissen Grad das Verletzungsrisiko, ohne aber die Ursachen der Verhaltensstörung zu
beseitigen. So kommt es auch in Beständen mit gekürzten Schweineschwänzen immer wieder
zu Bissverletzungen an den Schwanzstummeln, aber auch an den Ohren und den Flanken. Die
damit verbundene ökonomische Komponente (Tierverluste; multiple Abszesse im
Schlachttierkörper) darf nicht unterschätzt werden und zeigt insofern auch in
betriebswirtschaftlicher Hinsicht Handlungsbedarf auf.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 411


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

 Das Tierschutzgesetz lässt zwar das betäubungslose Kürzen des Schweineschwanzes unter
bestimmten Voraussetzungen zu, schreibt aber gleichzeitig vor, dass flankierend alle
Möglichkeiten der Minderung von Schmerzen und Leiden auszuschöpfen sind. Nachdem sich
auf dieser Grundlage bereits durchgesetzt hat, dass die Kastration männlicher Ferkel nur nach
Gabe von Schmerzmitteln erfolgen darf, stellt sich nun die Frage, inwieweit diese nicht auch
beim Eingriff des Schwänzekürzens angewendet werden müssen.

Angesichts der intensiven Diskussion, sowie zusätzlich befördert durch die Verknüpfung des
Tierschutz-Fachrechts mit den Vorschriften des Cross-Compliance-Rechts, wurden in letzter Zeit
erhebliche Anstrengungen unternommen, den Ursachen für Kannibalismus bei den Schweinen näher
auf den Grund zu gehen. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand lassen sich folgende Formen
unterscheiden:

Primärer Kannibalismus – soweit nicht bereits durch unmittelbare Verhaltensauffälligkeiten sowie


durch mangelnde Sozialisation (z. B.: zu kurze Säugezeit; mutterlose Aufzucht) verursacht:

 Bei Schweinen werden bereits tägliche Gewichtszunahmen bis zu 1.000 g und sogar mehr (!)
angestrebt. Diese Wachstumsraten sind nur möglich, wenn den Schweinen besonders hoch
energetisches Futter angeboten wird, das aber nur einen geringen Rohfaseranteil enthält. Dies
kann bei portionierter Fütterung trotz ausreichender Energiezufuhr zeitweise zu latentem
Hungergefühl führen, was in Verbindung mit reizarmer Umgebung und Beschäftigungsmangel
zu vermehrter Unruhe führen kann.
 Vor allem bei Flüssigfütterung wird die Nahrung schnell und ohne größere Kauaktivität
abgeschluckt; dementsprechend ist der – ernährungsphysiologisch wichtige – Speichelfuß nur
gering. Hinzu kommt: der besonders beim Schwein stark ausgeprägte Kautrieb kann nicht
adäquat befriedigt werden.

Sekundärer Kannibalismus als Ausdruck einer überforderten Anpassungsfähigkeit (insbesondere:


gestörte Darmgesundheit):

 Um das (teure) Futter möglichst optimal zu verwerten (als „ideal“ wird eine
Futterverwertungsrate von 1:2,3 angestrebt), wird dieses zumeist möglichst fein vermahlen
angeboten (größere Oberfläche = optimierter Aufschluss). Dies verursacht
Verdauungsstörungen und kann sogar zu Magen-Darmgeschwüren führen.
 Bei rohfaserarmer Ernährung kommt es im Darm zu Dysbiosen und Fehlgärungen bis hin auch
zu Veränderungen bei der Chymus-Passage. Getriggert durch immunologische Prozesse (der
Dünndarm ist von den sog. Peyerschen Platten umschlossen = es ist das immunologische
Zentrum beim Schwein) kommt es zur Blutzirkulationsstörung in der feinen Endstrombahn bis
hin zum Absterben von peripherem Gewebe.

Beim Schwein wird dies sichtbar an Nekrosen am Ohrrand und Schwanzstummel, die
bezeichnenderweise oft parallel auftreten. Diese Nekrosen verursachen Juckreiz, es tritt

412 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Gewebeflüssigkeit aus, sodass dies dann für Artgenossen einerseits ein Anreiz zum Beknabbern und
für das betroffene Tier zur Duldung ist.
Abhilfe kann nur durch Optimierung des betrieblichen Managements geschaffen werden.
Besonders wichtig ist dabei aber auch, dass den Schweinen ergänzend Rohfaser (z. B.
Rübenschnitzel, Stroh/Heu oder Apfelbaumreisig) angeboten wird, das sie zerkauen (Speichelfluss!)
und abschlucken können. Dadurch könnte zugleich auch der Spieltrieb befriedigt werden und eine
Erklärung dafür gefunden werden, warum Ketten, Bälle und Autoreifen wegen deren mangelnder
Verformbarkeit als Beschäftigungsmaterial ungeeignet sind.
Gleichwohl ist bereits jetzt absehbar, dass ungeachtet aller Maßnahmen zur Verbesserung, der
Haltung und Fütterung bei Schweinen es immer ein Restrisiko der Caudophagie geben wird. Daher
sollten schon jetzt Überlegungen angestellt werden, wie dieses Restrisiko aufgefangen werden kann,
wenn es einen Schweinehalter unverschuldet trifft. In diesem Zusammenhang könnte über einen
„Solidarfonds“ nach dem Vorbild des EU-Mitgliedstaats Österreich nachgedacht werden: Diejenigen
Schweinemäster, die Tiere mit gekürztem Schwanz einstallen, zahlen einen bestimmten Beitrag in
einen Fonds, aus dem dann diejenigen Mäster „entschädigt“ werden, bei denen es bei der Mast von
Schweinen mit ungekürztem Schwanz zum Kannibalismus mit Verlusten kommt. Diese Regelung
beträfe dann auch Schweine aus anderen EU-Mitgliedstaaten (insbesondere Dänemark und
Niederlanden), da die Risiko-Umlage – soweit dieses Konzept mehrheitliche Zustimmung erfährt –
herkunftsunabhängig festgesetzt werden müsste.

Bei diesem Problemkreis bedarf es einer besonders engen Abstimmung mit den
Wirtschaftsbeteiligten.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Friedhelm Jaeger, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 413


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Erfahrungen mit der Haltung unkupierter Schweine in der Schweiz


Patricia Scheer
SUISAG Schweinegesundheitsdienst, Bern (Schweiz)

Tierschutz in der Schweiz


Die Schweiz hat zusammen mit den nordischen Ländern seit jeher eine Vorreiterrolle im
Tierschutz in Europa. Diese Politik ist möglich, weil die Schweiz keine lebenden Schweine importiert
und auch nur wenig Fleisch importiert wird, da sonst hohe Zölle anfallen. Daher wurde schon in der
Tierschutzrevision vom 1.9.2001 das Schwanzkupieren ohne Schmerzausschaltung verboten. Dies
bedeutete faktisch das Verbot des Schwanzkupierens, da ein Tierarzt die Schmerzausschaltung
hätte machen müssen. Effektiv verboten wurde das Schwanzkupieren bei Schweinen erst mit der
Tierschutzrevision von 2008. Anfänglich war die Skepsis unter den Mästern hoch, ob die Haltung der
Tiere mit intakten Schwänzen durchführbar wäre. Die Praxis zeigte dann jedoch sehr schnell, dass
das Mästen dieser Tiere auch in reizarmer Umgebung möglich ist. Weitere tierschutzrelevante
Unterschiede sind die regelmäßige Gabe von Beschäftigungsmaterial und die freie Haltung der
Sauen, die nur 10 Tage während der Rausche eingesperrt werden dürfen. Mindestens 30 % der
Masttiere in der Schweiz werden in Labelbetrieben gehalten, in denen ein noch höherer Tierschutz
verlangt wird, wie eingestreute Liegefläche, Auslauf und größere Abferkelbuchten. Die restlichen
Tiere stehen in konventionellen Betrieben, die den staatlich vorgeschriebenen Tierschutz erfüllen.
Dieser verlangt lediglich, dass die Tiere während einer Stunde Beschäftigung zur Verfügung haben,
wie Stroh, Hobelspäne oder andere kau- und essbare Fasern oder bei einer ad-libidum-Fütterung ein
aufgehängtes Weichholz zur Verfügung haben. Diese Tiere stehen oft auf Vollspaltenboden ohne
jeglichen Auslauf mit wenig Licht, die Haltung ist also sehr ähnlich wie in Betrieben in Europa. Die
Vorschrift, dass den Tieren Beschäftigung angeboten werden muss, hat sicher dazu beigetragen,
dass der Schwanzkannibalismus trotz unkupierter Schwänze in der Schweiz eher selten vorkommt.

Ursachen für Schwanzkannibalismus


Unwohlsein der Schweine und dadurch gesteigerte Aktivität führt oft zu Kannibalismus. Es
können fünf Ursachenkomplexe definiert werden:

 Beschäftigungsmangel: das Schwein ist ein sehr neugieriges Tier. In der Massentierhaltung
kann dieses Verhalten nicht ausgelebt werden, da die Stallungen möglichst sauber und
leicht zu reinigen sein müssen. Beschäftigung kann jedoch auch auf Vollspaltenboden in
verschiedenen Formen angeboten werden, z. B. in Strohraufen oder Pressstrohwürfel in
Spendern. Am besten bewährt hat sich eine bodendeckend mit Stroh, Sägemehl oder
Hobelspänen eingestreute Fläche, wo die Tiere das Wühlverhalten ausleben können. Kann
der Erkundungstrieb nicht an der Umgebung ausgelebt werden, wird der Nachbar
angeknabbert.
 Fütterungsfehler: Defizite in der Versorgung mit Protein, spezifischen Aminosäuren,
Mineralstoffen und Energie führen zu Unwohlsein und Unruhe der Schweine. Diese suchen
alternative Futterquellen und beknabbern den Schwanz des Nachbarn. Oft führt auch eine
zu tiefe Fütterungskurve oder zu wenig Fressplätze zu Kannibalismus. Fütterungsfehler
sollten in der heutigen Zeit nicht mehr vorkommen.

414 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

 Zu hohe Belegdichte: Dieser Zustand kann vorkommen, wenn zu viele Schweine eingestallt
werden oder wenn diese zu schwer werden (kein Abtransport). Interessanterweise führt oft
schon eine geringe Überbelegung zu Schwanzkannibalismus.
 Klimamängel: schlechte Luftqualität, Zugluft, zu kalte resp. seltener zu heiße Ställe und zu
hohe Luftfeuchtigkeit führen oft zu Kannibalismus. Wahrscheinlich wollen die Tiere alle an
klimatisch günstigen Orten liegen, von denen es zu wenig gibt. Es kommt dann zum
Wegbeißen des Konkurrenten.
 Krankheiten: Respiratorische Krankheiten (Influenza, HPS, etc.), Durchfall, starke
Verwurmung und PCV Infektionen führen zu Unwohlsein der Tiere, indem sie den Bedarf
an Nährstoffen ändern. Die Schweine suchen – wie bei den Fütterungsfehlern – nach
alternativen Futterquellen, wozu sich der Schwanz des Nachbarn sehr gut eignet. Wird die
Grundkrankheit behoben, so hört der Kannibalismus oft auf.

Vorbeugung
Die Umstellung auf die Mast von unkupierten Tieren ist den Schweizer Mästern anfangs nicht
leicht gefallen. Die Skepsis war groß. Doch das Gesetz musste umgesetzt werden. Auf vielen
Betrieben gibt es keine Probleme. Betriebe mit klimatischen Mängeln müssen saniert werden, d. h.
Ursachen wie Kältebrücken oder Zugluft müssen eliminiert werden. Oft reicht es, dass die
Temperatur den Bedürfnissen der Tiere angeglichen wird (bei der Einstallung schön warm, mit
steigendem Gewicht immer kühler). Das Anbieten von kau- und fressbarem Material (Stroh, Heu,
Silage, Pressstrohwürfel, Chinaschilf, Tannenäste, Weichholz etc.) dient sowohl der Beschäftigung
als auch der Sättigung. Andere Beschäftigungsmaterialien wie Ketten, Pneus und Bälle verlieren
sehr schnell an Reiz, insbesondere wenn sie verdreckt sind. Lüftungsfehler, Fütterungsfehler und
Überbelegungen müssen strikt vermieden werden.
Das Kupieren des Schwanzes hindert die Schweine nicht daran, den Kannibalismus an anderen
Körperstellen auszuleben, z. B. Ohren, Flanken, Gliedmassen.

Therapie
Die wichtigste Therapie ist die Eliminierung möglicher Ursachen des Kannibalismus. Im Weiteren
ist zu eruieren, ob es sich um einen einzelnen Beißer handelt oder ob schon mehrere Tiere beißen.
Einzelbeißer müssen sofort aus der Gruppe entfernt werden und entweder separiert gehalten oder
geschlachtet werden. Vom Kannibalismus stark betroffene Tiere werden in eine Krankenbucht
gebracht und antibiotisch bis zur Abheilung behandelt. Um eine ganze Gruppe zu beruhigen hat sich
die Gabe von Magnesium über das Futter bewährt (3-4 g für ein schweres Masttier während 10
Tagen). Auch die Gabe von Viehsalz am Boden (Cave-Wasserversorgung), von Brennnesseln oder
Tannenzweigen kann die Tiere ablenken. Manchmal helfen auch homöopathische Mittel. Das
Besprayen der blutenden Schwänze mit bitteren Substanzen ist oft nicht sehr hilfreich.

Schwanzkannibalismus in der Schweiz


Der Schweinegesundheitsdienst besucht einmal jährlich die ihm angeschlossenen Betriebe. Im
Jahr 2010 wurden 2082 Mastbetriebe besucht, in denen bei 282 Betriebsbesuchen (14 %)
Kannibalismus festgestellt wurde. Auf 29 stark von Schwanzkannibalismus betroffenen Betrieben
konnten folgende mögliche Ursachen eruiert werden (Mehrfachnennungen möglich): Luftqualität [6],
wurden mit Kannibalismus geliefert [5], zu kalt [4], Luftzug [2], zu wenig Beschäftigung [2], HPS-

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 415


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Einbruch [2], übergewichtige Tiere [1], Troglänge zu kurz [1], Grippe [1], Verwurmung [1], Futter [1].
Zehn dieser Betriebe konnten bis Mitte 2011 nachbesucht werden, auf zwei Betrieben persistierte
der Kannibalismus, auf acht Betrieben wurde kein Kannibalismus mehr festgestellt. Von den 29 stark
betroffenen Mastbetrieben waren acht Labelbetriebe, in denen den Schweinen eine mit Stroh
eingestreute Liegefläche zur Verfügung haben. Bei den anderen 21 Betrieben handelt es sich um
konventionelle Betriebe.
Im gleichen Jahr wurden auch 2833 Besuche auf Zuchtbetrieben gemacht. Bei 167
Betriebsbesuchen (6 %) wurde Kannibalismus bei Aufzuchtferkeln festgestellt. In 13 dieser Betriebe
wurde starker Kannibalismus festgestellt. Es handelte sich bei allen 13 Betrieben um Nicht-
Labelbetriebe. Die Ursachen des Kannibalismus waren sehr vielfältig: Mäuseplage, Überbelegung,
Durchfall, Influenza, HPS-Einbruch, zu kalter Stall, Zugluft, schlechte Luftqualität und Beschäftigung
zwar im vorgeschriebenen Rahmen aber tierwohltechnisch zu wenig. Zehn dieser Betriebe wurden
nachbesucht. Auf acht Betrieben trat kein Kannibalismus mehr auf, nachdem die Ursachen behoben
wurden. Auf einem Betrieb wurde eine starke Besserung verzeichnet und auf einem Betrieb
persistierte das Problem, obwohl kleinere Buchten und Ferkelnester eingebaut wurden.

Zusammenfassung
Das Mästen von Tieren mit intakten Schwänzen ist auch in reizarmer Umgebung möglich. Die
Ursachen für das Auftreten von Kannibalismus in der Schweiz können oft auf die bekannten Auslöser
zurückgeführt werden. Voraussetzung ist daher ein optimales Klima, adäquate Fütterung und keine
Überbelegung. Wird den Tieren zusätzlich Beschäftigung angeboten, verringert sich das
Kannibalismusrisiko stark.

Weiterführende Literatur
1. Götz M. Alternativen zum Schwanzcoupieren bei Schweinen. STS Merkblatt, Schweizer Tierschutz STS,
Basel.
2. Edwards S. What do we know about tail biting today. Proceedings of 3rd European Symposium of Porcine
Health Management; 25.-27.5.2011; Espoo, Finland. S.35-43.

Kontaktadresse
Dr. Patricia Scheer, SUISAG SGD, Bern, [email protected]

416 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz

Optimierung der nationalen Nerzhaltung nach Tierschutz-


Nutztierhaltungsverordnung
Elke Heyn, Shana Bergmann, Angela Hagn, Leandra Sabass, Sandra Brandl,
Michael Erhard
Department für Veterinärwissenschaften, Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und
Tierhaltung der Tierärztlichen Fakultät, LMU München

Einleitung
Die kommerzielle Pelztierhaltung steht in der heutigen Zeit oft im Mittelpunkt von emotionalen
Diskussionen in der Gesellschaft. Aus Tierschutzgründen stellt sich stets die Frage, wie das
Wohlbefinden von intensiv gehaltenen Pelztieren verbessert werden kann. Daraus ergeben sich
auch konkrete Anforderungen an die Haltungssysteme.
Aus zahlreichen Publikationen ist bekannt, dass der Amerikanische Nerz in der freien Wildbahn
semiaquatisch lebt, d. h. die Nähe zu Wasser bevorzugt. In der bisherigen kommerziellen
Nerzhaltung wird auf dieses Bedürfnis nach offenen Wasserflächen zum Schwimmen nicht
eingegangen. Zahlreiche Studien untersuchten den Einfluss von fehlenden Schwimmgelegenheiten
auf das Wohlbefinden der Nerze und stellten hier Zusammenhänge zwischen fehlendem
Schwimmwasserangebot und gestörtem Wohlbefinden her.
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 12. Dezember 2006, geändert durch die
Verordnung vom 01. Oktober 2009 enthält erstmals konkrete Vorschriften zur Haltung von Pelztieren.
Hier wird den Empfehlungen des Europarats in Bezug auf Pelztiere Rechnung getragen, welche
Forschungen zu Haltungsvorrichtungen empfehlen, die u. a. das Bedürfnis nach angemessener
Bewegungsfreiheit befriedigen und den Zugang zu Wasser zur Thermoregulation und zum
Schwimmen sowie andere Formen des Sozialverhaltens und des Erkundungsdrangs
berücksichtigen.
Daher schreibt die aktuelle TierSchNutzVO für Nerze ein Schwimmbecken je Haltungseinheit mit
einer Wasseroberfläche von mindestens 1 m2 und einer Wassertiefe von mindestens 30 cm vor.
Welche Form oder Maße das Becken aufweisen soll, ist jedoch nicht näher definiert.
Im Rahmen der durchgeführten Studien wurde versucht, passende Wasserbecken zu entwickeln,
die es den Tieren erlauben, ihre natürlichen Bedürfnisse hinsichtlich Wasser zu befriedigen. Mit Hilfe
dieser Untersuchungen sollte ein Haltungssystem entwickelt werden, das den Ansprüchen nach
speziesspezifischem Verhalten der Tiere gerecht wird, der derzeit geltenden TierSchNutzVO
entspricht und auch unter Praxisbedingungen umgesetzt werden kann.

Tiere, Material und Methode


Alle in den Studien eingesetzten Nerze wurden entweder nach dem Absetzen vom Muttertier in
der 9. Lebenswoche von einer kommerziellen Farm bezogen oder stammten aus der eigenen
Nachzucht. Neben Verhaltensbeobachtungen fand in allen Studien bei den Tieren alle zwei Wochen
eine Gesundheitsbeurteilung (Körpergewicht, Allgemeinbefinden, Fellqualität, Verletzungen) statt.
Des Weiteren wurde die Wasserqualität (Gesamtkeimgehalt, Enterobacteriaceae) der angebotenen
Wasserbecken in regelmäßigen Abständen untersucht.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 417


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Durchgeführte Studien

1. Teil: „Grundlagenforschung“ zur Wasserbeckennutzung


Im ersten Teil der Studie wurden grundlegende Daten erhoben: Der Hauptaugenmerk dieses
Teils bestand darin, festzustellen, ob Wasserbecken, die zum Schwimmen geeignet sind von den
Nerzen angenommen werden und wenn ja, welche der angebotenen Varianten, die sich in Form,
Größe oder Tiefe unterschieden, bevorzugt aufgesucht wurden. Dazu wurden den Nerzen (20 Nerze
pro Gruppe) in einer seminatürlichen Haltungsumwelt (zwei Freilandareale mit 290 m2 Grundfläche)
je drei unterschiedliche Wasserbecken zur freien Verfügung gestellt. Es standen eine rechteckige
„Schwimmrinne“ (Wasseroberfläche ca. 20 m2, Tiefe ca. 30 cm), ein runder „Teich“
(Wasseroberfläche ca. 4,9 m2, Tiefe ca. 80 cm) und ein fließender „Bach“ (Länge ca. 10 m, Tiefe 3-4
cm mit zwei Vertiefungen) zur Verfügung.
Sowohl die Ergebnisse der Direkt- als auch der Videobeobachtung zeigten, dass die Nerze
beider Gruppen grundsätzlich alle drei angebotenen Wasserbecken annahmen und von
Versuchsbeginn bis Ende nutzten. Dabei konnte im Verlauf von Ende Juli bis Anfang Dezember eine
tendenziell steigende Nutzungsintensität festgestellt werden. Bei dem Vergleich der Becken zeigten
die Ergebnisse eine eindeutige Präferenz für die Schwimmrinne. Diese wies über den gesamten
Zeitraum gesehen die längste Aufenthaltsdauer auf. Der Bach wurde insgesamt am kürzesten
aufgesucht. Die Haltung von Jungnerzen in der Gruppe mit freiem Zugang zu Schwimmbecken war
sowohl hinsichtlich der Akzeptanz der Tiere als auch hinsichtlich des guten Gesundheitszustands der
Nerze und der hygienisch einwandfreien Qualität des Badewassers erfolgreich. Die Ergebnisse
dieser Studie legen die Verwendung eines Wasserbeckens mit ca. 30 cm Tiefe nahe. Fließendes
Wasser ist nach den Ergebnissen dieser Studie nicht notwendig.

2. Teil: Umsetzung der gewonnen Erkenntnisse


Ziel des zweiten Teils der Studie war es, die gewonnen Erkenntnisse aus der
„Grundlagenforschung“ in einem Haltungssystem umzusetzen, das der TierSchNutzVO entspricht.
Bei dem Versuchsdurchgang wurden je acht Volieren mit vier Nerzen (2 Fähen, 2 Rüden) und
weitere acht Volieren mit sechs Nerze (3 Fähen, 3 Rüden) ausgestattet. Die jeweiligen Volieren
wiesen eine Grundfläche von 4 m2 auf, waren mit erhöhten Sitzbrettern und einer Einstreukiste mit
Sägespänen ausgestattet. Die Volieren mit der erhöhten Tierzahl waren zusätzlich noch mit einem
klappbaren Zwischengitter versehen. Außerhalb der Voliere befand sich über die gesamte Länge der
Voliere eine vergitterte Schwimmrinne (Länge 2 m, Breite 50 cm, Tiefe 30 cm, Wasseroberfläche von
1 m2), die für die Nerze über zwei Klappen von der Voliere aus zugänglich war.
Die abgesetzten Jungtiere ließen in der Schwimmrinnennutzung große Unterschiede erkennen.
Im Mittel steigt die Nutzung bis September an, um dann im November wieder abzufallen. Die
Nutzung der Wasserbecken wurde aufgeteilt nach Bewegung am Wasser, Trinken, Gründeln und
Schwimmen/Tauchen. Die Hauptaktivität der Nerze besteht aus der Bewegung am Wasser, d. h.
Auf- und Ablaufen entlang des Wasserbeckens, gefolgt von Trinken und „Gründeln“ (Tier steht
mindestens mit den Hinterpfoten auf dem Beckenrand. Der Kopf des Tieres taucht in das Wasser).
Teilweise wird auch der Oberkörper mit ins Wasser getaucht). Im Vergleich zum ersten Teil der
Studie nahm Schwimmen und Tauchen nur einen sehr geringen Anteil ein. Dieses Ergebnis lässt
vermuten, dass die zunächst angebotenen Schwimmrinnen, evtl. aufgrund der Form oder der

418 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Lokalisation außerhalb der Voliere, nicht adäquat für die Schwimmbedürfnisse von Nerzen
beschaffen waren.
Zusätzlich erwies sich die Nässe auf dem Betonboden, die durch Witterungseinflüsse in das nicht
komplett überdachte Haltungssystem gelangte, als problematisch.

3. Teil: Erste Optimierung der Haltungseinrichtungen für Nerze


Nach den im zweiten Teil der Studien gemachten Erfahrungen wurden die Haltungseinrichtungen
in einem ehemaligen Stallgebäude neu aufgebaut. Fenster und Türen des Gebäudes wurden
ausgehängt, sodass in den Räumen annähernd außenklimatische Bedingungen gegeben waren.
Das Wasserbecken wurde als quadratische Wanne mit den Außenmaßen von 1x1 m (Wassertiefe
30 cm) direkt in der Voliere platziert. Ingesamt nahmen 16 Volieren á 3 Nerze (8 Gruppen männlich,
8 Gruppen weiblich) an der Studie teil. Der Betonboden wurde im Gegensatz zu der vorherigen
Studie mit Gummimatten ausgelegt.
Erste Auswertungen der Verhaltensbeobachtungen zeigen, dass diese Wasserbecken innerhalb
der Voliere häufiger genutzt werden als die vorherige Schwimmrinne, die außen angebracht war.
Durch das Stallgebäude gelangt außer durch die Aktivitäten der Nerze am Wasserbecken und den
routinemäßigen Reinigungsarbeiten keine weitere Nässe durch Witterungseinflüsse in die
Haltungssysteme. Ebenso wie im zweiten Teil der Studie wurden die Einstreukisten mit Holzspänen
sehr gut von den Nerzen zum Abtrocknen nach dem Wasserbad, zum Spielen mit Artgenossen oder
auch zum Ruhen verwendet. Die erhöht angebrachten Bretter dienten als Aussichtsplattform und
aber auch zum Schlafen und wurden von den Nerzen gerne angenommen.

Schlussfolgerungen
Die Nutzung der Wasserbecken im 2. und 3. Teil der Studie war deutlich schlechter als dies unter
seminatürlichen Bedingungen im ersten Teil der Studie der Fall war. Die Nerze nutzen zwar das
Areal um das Wasserbecken für zahlreiche Aktivitäten, die Schwimmaktivität war aber geringer
ausgeprägt. Die Tiefe von 0,3 m dürfte keine Rolle gespielt haben, da unter seminatürlichen
Bedingungen das Becken mit dieser Wassertiefe sogar bevorzugt wurde. Ein offenes Wasserbecken
stellt nach unserer Ansicht eine essenzielle Ressource für das Normalverhalten von Nerzen dar. Da
Tiere nach dem deutschen Tierschutzgesetz § 2 verhaltensgerecht unterzubringen sind, darf auf
Schwimmbecken nicht verzichtet werden.
Wie im 1. Teil gezeigt, nutzen die Nerze die Wasserbecken gerne zum Schwimmen und somit
kann daraus nur geschlossen werden, dass die Größe (1 m²) und/oder auch die Form der Becken
möglicherweise nicht ausreichend oder attraktiv genug ist. Dies kann nur durch weitere
Untersuchung geklärt werden. Ein Wasserbecken muss aber unstrittig Bestandteil eines
Haltungssystems für Nerze sein, da dies für die verhaltensgerechte Unterbringung im Rahmen des
Normalverhaltens essenziell ist.
Weiterer Optimierungs- und Forschungsbedarf ist gegeben, da in unseren Studien das
Haltungssystem erstmals getestet wurde und bisher nur einige Optimierungen erfolgen konnten. Die
ökonomische Verwertbarkeit von Nerzfellen darf aber im Sinne des Tierschutzes im Kontext einer
artgemäßen Haltung von Tieren keine Rolle spielen. Inwieweit die zur Verfügung stehenden
Farmnerze unter kommerziellen Gesichtspunkten überhaupt tiergerecht gehalten werden können,
müssen weitere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 419


VPH: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz
Die Förderung des Projektes erfolgte aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE).

Kontaktadresse
Dr. Elke Heyn, Department für Veterinärwissenschaften, Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde,
Tierhygiene und Tierhaltung der Tierärztlichen Fakultät, LMU München,
[email protected]

420 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

7 VETERINARY PUBLIC HEALTH:


LEBENSMITTELSICHERHEIT

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 421


VPH: Lebensmittelsicherheit

Risikobewertung – zentrales Element der EU-Verbraucherschutzpolitik


Andreas Hensel, Klaus-Jürgen Henning
Bundesinstitut für Risikobewertung

Als Stunde Null der modernen EU-Verbraucherschutzpolitik wird weithin die BSE-Krise am
Anfang des Jahrhunderts angesehen. In deren Folge hat der europäische Gesetzgeber
Risikobewertung und Risikokommunikation auf der einen Seite und Risikomanagement auf der
anderen Seite institutionell getrennt.
Mit der Trennung sollen intransparente Einflüsse auf den wissenschaftlichen Bewertungsprozess
im Falle eines – vermuteten – gesundheitlichen Verbraucherrisikos möglichst weitgehend
ausgeschlossen werden.
Auf den wissenschaftlichen Bewertungsprozess und sein veröffentlichtes Ergebnis sollen danach
die vielgestaltigen Schritte der politischen und administrativen Umsetzung folgen. Dieser zweite
Prozess, die Verfahren des Risikomanagements, folgt durchaus anderen Einflüssen als der Prozess
der wissenschaftlichen Bewertung. Die Trennung der Prozesse soll die Verantwortung der jeweils
Beteiligten stärken.
Die Risikobewertung auf europäischer Ebene ist hinsichtlich Lebensmittel und Futtermittel Sache
der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, der EFSA. Deutschland hat die
Verbraucherschutzinstitutionen des Bundes ebenso wie die Europäische Union nach
Risikobewertung und Risikomanagement getrennt. Daher existiert auf nationaler Ebene ein direktes
Pendant zur EFSA, das Bundesinstitut für Risikobewertung, mit vergleichbaren Aufgaben.
Ziel der Risikobewertung ist es, Risiken anhand der vorliegenden Daten wissenschaftlich zu
beurteilen, um die Gesundheit der Bevölkerung bestmöglich zu schützen. Dazu gehört auch die
Risikokommunikation. Durch sie soll Näheres über das Risiko mitgeteilt werden und zwar in
adäquater Form, zielgruppenorientiert und transparent.
So soll selbständiges Handeln der Wirtschaft und der Verbraucher ermöglicht und riskantes
Ausweichverhalten vermieden werden. Die Risikobewertung ist Basis jeder Maßnahme des
Verbraucherschutzes, sei es durch die Wirtschaft oder durch den Staat. Und offene Kommunikation
stärkt wiederum die Verantwortung der Beteiligten.
Risikobewertungen müssen in hoher Zahl und mit großer Kontinuität, in kurzen Fristen und nach
zumindest in den verschiedenen Rechtsgebieten jeweils einheitlichen Maßstäben abgegeben
werden und sie müssen dem sich wandelnden Stand der Wissenschaften entsprechen. Sie müssen
auf eine Weise formuliert werden, die für die Regulierer der Gefahren und andere Adressaten
verwendbar ist und sie müssen vor Gericht und im wissenschaftlichen Wettbewerb Bestand haben.
Die Kommunikation von Risikobewertungen zum Zwecke der Lebensmittel- und
Futtermittelsicherheit befruchtet die wissenschaftliche Debatte und holt sie aus dem Elfenbeinturm.
Auch in Krisen kann die Wissenschaft über Risikobewertungen streiten, ohne gleich für das
Ergebnis verhaftet zu werden. So entsteht ein öffentlicher Diskurs, in dem EU-Kommission sowie
Parlamente und Regierungen der Mitgliedstaaten sich ihre Meinung bilden können.
Bei der Diskussion von EHEC, Dioxin und Pestiziden hat sich gezeigt, dass die Temperatur der
realen Gefahr nicht unbedingt der Hitze des gefühlten Risikos entspricht.
Ein Risiko beschreibt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens und diese ist vom
Gefährdungspotenzial und der Exposition abhängig. Die Bewertungskriterien von gerade den

422 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Experten, die sich für ein spezielles Risiko verantwortlich fühlen, kontrastieren häufig mit den
Kriterien von anderen Wissenschaftlern und Laien.
Bei der Risikowahrnehmung sind nicht nur nachweisliche Erkrankungs- und Todesfälle und die
Anzahl der durch falsche Werbung in Europa getäuschten Verbraucher relevant. Es spielen vielmehr
auch Parameter wie Bekanntheit des Risikos, Kontrollierbarkeit, Katastrophenpotenzial, Freiwilligkeit
und Schrecklichkeit eine Rolle.

Die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass sich die Auftrennung von Risikobewertung und
Risikomanagement gelohnt hat und die Risikobewertung zum wissenschaftlichen Kernelement und
Ausgangspunkt der europäischen Verbraucherschutzpolitik geworden ist.

Kontaktadresse
Klaus-Jürgen Henning, Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 423


VPH: Lebensmittelsicherheit

Aktuelle Gesichtspunkte aus dem Lebensmittel- und


Fleischhygienerecht
Karin Schindler
Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit, Erfurt

Lebensmittelrecht
Das europäische Lebensmittelrecht unterliegt einer ständigen Fortentwicklung. Neben der
Aktualisierung bestehender Vorschriften erfolgt eine schrittweise Überführung der Inhalte von EU-
Richtlinien in unmittelbar geltende Verordnungen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Information der Verbraucher über
Lebensmittel. Die Verordnung, über die seit Anfang des Jahres 2008 beraten wird, tritt an die Stelle
der bisherigen Etikettierungsrichtlinie 2000/13/EG und der Nährwertkennzeichnungsrichtlinie
90/496/EWG. Die darin enthaltenen Kennzeichnungsbestimmungen werden gestrafft und ergänzt
durch spezielle Regelungen für bestimmte Lebensmittel, so dass künftig alle wesentlichen
Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel in einem Rechtsakt zusammengefasst sind.
Hervorzuheben ist die Einführung der verpflichtenden Nährwertkennzeichnung für Lebensmittel in
Fertigpackungen, die nur noch wenige Ausnahmen zulässt. Die Verordnung enthält auch die
Mindestangaben bei unverpackten Lebensmitteln und ermächtigt die Mitgliedstaaten, für diesen
Bereich weitergehende Regelungen zu treffen.
Der Verordnungsvorschlag wurde nach Zustimmung des Rates im Juli 2011 vom Europäischen
Parlament angenommen. Die Vorschriften sollen drei Jahre nach Verkündung der Verordnung in
Kraft treten. Für die verbindliche Nährwertkennzeichnung ist eine Übergangsfrist von fünf Jahren
vorgesehen.

Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB)
erfolgte die Einführung neuer Meldepflichten für private Labore, für Lebensmittel- und
Futtermittelunternehmer sowie für die Behörden. Hintergrund dieser Vorschriften ist ein Aktionsplan,
der im Zuge der sog. „Dioxin-Krise“ im Januar 2010 entwickelt wurde.
Der neue § 44 Abs. 4a LFGB sieht eine Meldepflicht für Labore vor, wenn aufgrund der
Analyseergebnisse von Lebensmittelproben Grund zu der Annahme besteht, dass ein Lebensmittel
einem Verkehrsverbot nach Artikel 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 unterliegen würde.
Sowohl die Lebensmittelwirtschaft als auch die privaten Labore haben im Gesetzgebungsverfahren
darauf hingewiesen, dass die Labore in der Regel überfordert sein dürften, eine Beurteilung
abzugeben, ob ein Lebensmittel als nicht sicher einzustufen ist. Das sei insbesondere deshalb
anzunehmen, weil häufig keine umfassende Begutachtung durch die Lebensmittelunternehmer in
Auftrag gegeben wird, sondern lediglich die Analyse einzelner Parameter. Der Gesetzgeber ist
diesen Einwendungen nicht gefolgt. Kritisch anzumerken ist, dass mit der Regelung in die den
Lebensmittelunternehmern nach Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 obliegende
Verantwortung eingegriffen wird.
Der neue § 44a LFGB sieht eine Mitteilungspflicht des Lebensmittelunternehmers über die ihm
vorliegenden Untersuchungsergebnisse von Gehalten an gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen
vor, unabhängig von einer Höchstmengenüberschreitung. Die Reichweite der Verpflichtung,
insbesondere die Frage, auf welche nicht erwünschten Stoffe sich Mitteilungspflichten beziehen, soll

424 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
durch Rechtsverordnungen geregelt werden. Bis dahin gelten sie ausschließlich für Dioxine und
PCB. Die Behörden sind verpflichtet, die ihnen vom Lebensmittelunternehmer übermittelten Daten an
das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit weiterzugeben.

Die 6. Verbraucherschutzministerkonferenz hat am 17. September 2010 die


Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz mit der Entwicklung eines Konzeptes für ein
bundesweit verbindliches Modell zur betriebsbezogenen Veröffentlichung von Ergebnissen der
amtlichen Lebensmittelkontrolle beauftragt. Der daraufhin erarbeitete Vorschlag für ein nationales
System zur Information der Verbraucher über Ergebnisse von Betriebskontrollen der amtlichen
Lebensmittelüberwachung (Transparenzsystem) wurde von der Verbraucherschutzministerkonferenz
am 19. Mai 2011 gebilligt. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz wurde um die rechtliche Umsetzung gebeten.
Das vorgeschlagene Transparenzsystem basiert auf der Risikobeurteilung der Betriebe nach § 6
Abs. 1 AVV-Rahmen-Überwachung. In die Risikobeurteilung gehen alle wesentlichen Feststellungen
der Betriebskontrolle ein, die eine Aussage darüber zulassen, wie der Lebensmittelunternehmer
seiner lebensmittelrechtlichen Verantwortung nachkommt. Diese Bewertung soll in
Beurteilungsstufen unterteilt und grafisch dargestellt werden. Die Veröffentlichung durch den
Unternehmer ist in Form eines Aushangs angedacht, der neben der Bewertung der aktuellen
Betriebskontrolle auch die der vorangegangenen drei Kontrollen enthält. Das Transparenzsystem soll
auf alle Lebensmittelbetriebe angewandt, jedoch nach Betriebsgruppen zeitlich gestaffelt eingeführt
werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt noch kein Entwurf für eine rechtliche Verankerung des
Transparenzsystems vor.

Fleischhygienerecht
Mit der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 wurde die rechtliche Grundlage für die Untersuchung von
Mastschweinen und Kälbern ohne Anschnitte geschaffen. Die notwendigen Voraussetzungen
werden im EU-Recht umschrieben. In den einschlägigen Fachgremien sind Fragen der Durchführung
der risikobasierten Fleischuntersuchung ohne Anschnitte umfassend diskutiert worden.
Pilotvorhaben unter wissenschaftlicher Begleitung haben dazu beigetragen, die Möglichkeiten und
Grenzen der praktischen Umsetzung zu erproben und die notwendigen technischen
Voraussetzungen zu ermitteln. Aus den Erkenntnissen wurden Eckpunkte zur Einführung der
risikobasierten Fleischuntersuchung ohne Anschnitte bei Mastschweinen entwickelt und von der
zuständigen Arbeitsgruppe der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz als
Entscheidungshilfe für die Behörden angenommen. Die Eckpunkte bedürfen noch einer Ergänzung
hinsichtlich der erforderlichen flankierenden Untersuchungen auf Zoonoseerreger entsprechend der
Risikobewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung.
Eine niedersächsische Arbeitsgruppe aus Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der
Veterinärbehörden hat einen Leitfaden für die amtliche Überwachung der risikoorientierten
Fleischuntersuchung ohne Anschnitte beim Mastschwein entwickelt. Der Leitfaden wird derzeit in
einer Projektgruppe der Länder auf seine bundesweite Anwendbarkeit hin geprüft und dabei
erforderlichenfalls weiterentwickelt.

Im Gemeinschaftsrecht und im nationalen Recht hat es Änderungen der


fleischhygienerechtlichen Bestimmungen zu Farmwild gegeben.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 425


VPH: Lebensmittelsicherheit
Nach der Tierischen Lebensmittel-Überwachungsverordnung können die zuständigen Behörden
seit November 2010 kleinen Betrieben auf Antrag genehmigen, dass die Schlachttieruntersuchung
nicht innerhalb von 24 Stunden, sondern längstens 28 Tage vor der Schlachtung durchgeführt wird.
Außerdem muss der amtliche Tierarzt nicht mehr den Zeitpunkt und die ordnungsgemäße
Durchführung der Schlachtung bescheinigen. Diese Erleichterung ist an die Voraussetzung
gebunden, dass die Person, die die Schlachtung im Herkunftsbetrieb durchführt, nachweislich über
Kenntnisse verfügt, um Verhaltensstörungen oder andere Krankheitszeichen vor der Schlachtung am
Tier erkennen zu können. Der Betreffende bedarf einer Schulung, vergleichbar mit der der Jäger als
sog. „kundige Person“. Die Ausnahmegenehmigung hat zu Folge, dass das gewonnene Fleisch nach
der Fleischuntersuchung durch den amtlichen Tierarzt nicht mit dem EU-
Genusstauglichkeitskennzeichen versehen werden darf und bestimmten
Vermarktungsbeschränkungen unterliegt. Es darf gemäß der Tierischen Lebensmittel-
Hygieneverordnung nur an Verbraucher oder an örtliche Einzelhandelsbetriebe zur unmittelbaren
Abgabe an Verbraucher verkauft werden.
Im Februar 2011 hat die Europäische Kommission mit den Verordnungen (EU) Nr. 150/2011 und
Nr. 151/2011 Änderungen der Verordnungen (EG) Nr. 853/2004 und Nr. 854/2004 hinsichtlich
Fleisch von Farmwild vorgenommen. Die zuständige Behörde kann dem Farmwildhalter gestatten,
das vorschriftsmäßige Schlachten sowie den Zeitpunkt der Schlachtung im Herkunftsbetrieb
gegenüber dem Schlachthof selbst zu bescheinigen. Der amtliche Tierarzt muss zwar die
Schlachttieruntersuchung 24 Stunden vor der Schlachtung vornehmen, aber nicht bei der
Schlachtung anwesend sein. Voraussetzung dafür sind Fachkenntnisse des Farmwildhalters in
Bezug auf Tierschutz, die der Sachkunde nach nationalem Recht (Tierschutz-Schlachtverordnung)
entsprechen. Die Gewährung dieser Ausnahme zieht keine Vermarktungsbeschränkungen für das
Fleisch nach sich.

Die Europäische Kommission hat Beratungen zur Revision der Fleischuntersuchung


aufgenommen. Es wird eine Fortentwicklung hin zu einem risikoorientierten Ansatz unter stärkerer
Berücksichtigung der Gesundheitsdaten aus den Herkunftsbeständen angestrebt. Eine
Flexibilisierung der behördlichen Kontrollaufgaben durch Übertragung bestimmter
Verantwortlichkeiten auf den Schlachthof ist dabei denkbar. Noch liegen keine konkreten Vorschläge
vor. Der Prozess der Meinungsbildung innerhalb der Kommission und in den Mitgliedstaaten hat
gerade erst begonnen.

Kontaktadresse
Dr. Karin Schindler, Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit, Erfurt,
[email protected]

426 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Quo vadis – Überwachung von Rückständen und Kontaminanten in


der Lebensmittelkette
Roland Körber
Landeslabor Berlin-Brandenburg, Institut für Lebensmittel, Arzneimittel, Tierseuchen und Umwelt,
Berlin

Einleitung
Das öffentliche Interesse der Verbraucher hinsichtlich Rückständen, Kontaminanten und
toxischen Inhaltsstoffen in Lebensmitteln und Futtermitteln ist bedingt durch Dioxin- und Melamin-
Skandal, Hormon- und Tierarzneimittelmissbrauch sowie globalisierte Produktvielfalt am Markt
europaweit unvermindert groß. Der Leitgedanke der europäischen Strategie mit dem Grundsatz,
dass die Lebensmittelsicherheit auf einem umfassenden und einheitlichen Konzept für die gesamte
Lebensmittelherstellungs- und -vertriebskette (einschließlich der Futtermittel) vom Erzeuger bis zum
Verbraucher beruht, wird positiv durch Verbrauchervertrauen reflektiert, jedoch stets bei neuerlichen
echten oder medialen Skandalen hinterfragt.
Gleichwohl unterliegen die verbraucherschutzrelevanten Rückstände, Kontaminanten und
toxischen Inhaltsstoffe in Lebensmitteln und Futtermitteln einer besonderen wissenschaftlichen
Betrachtung und amtlichen Beobachtung im Sinne möglicher carry-over-Effekte und der damit
verbundenen Vorsorgeprinzipien für Mensch, Tier und Umwelt in einer zunehmend globalisierten
Verbraucherwelt.

Rechtliche Situation zur Überwachung von Futtermitteln und Lebensmitteln auf Rückstände
und Kontaminanten
Sowohl in der EU als auch national existiert kein in sich geschlossenes Rückstandsrecht, woraus
teilweise unterschiedliche begriffliche Aussagen und rechtliche Zuordnungen resultieren. Die
allgemeingültigen Definitionen zum Rückstandsrecht im internationalen Rahmen nach Tabelle 1
umfassen sowohl die Rückstände und Kontaminanten als auch die toxischen Inhaltsstoffe. Nach der
Basis-VO (EG) Nr. 178/2002 gehören Rückstände und Kontaminanten nicht zu Lebensmitteln und
dürfen in nicht sicheren Lebensmitteln bzw. Futtermitteln, die Verstöße gegen das Rückstandsrecht
einschließen, nicht in den Verkehr gebracht werden.
Die Rechtsvorschriften zum EU-Rückstandsrecht in der Lebensmittelkette wurden in den letzten
Jahren insbesondere durch einheitliche Regelungen für Futtermittel und Lebensmittel überarbeitet.
Darüber hinaus konnten die rechtlich geregelten Wirkstoffe sowie weitere Schadstoffe nach neuen
wissenschaftlichen Kriterien durch die EFSA fortlaufend bewertet werden. Diese einheitliche
Vorgehensweise in der gesamten Nahrungskette vom Feld bis zum Verbraucher, welche stets die
Vorgaben nach Codex-Alimentarius-Kriterien einbezieht, bringt einerseits für die
Wirtschaftsbeteiligten mehr Berechenbarkeit und für die Verbraucher mehr Sicherheit. Die nationalen
Rechtsvorschriften zu Rückständen und Kontaminanten in Futtermitteln und Lebensmitteln ergänzen
die EU-Vorschriften für bisher nicht geregelte Wirkstoffe und für Handhabungen in der amtlichen
Überwachung, einschließlich der Bußgeld- und Strafbewährung. Einen Überblick vermittelt Tabelle 2.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 427


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 1: Definitionen und Begriffsinhalte zu Schadstoffen und toxischen Inhaltsstoffen (1)
Begriffe Definitionen Begriffsinhalte
Schadstoffe Alle Stoffe, die für Pflanzen, Tiere,
Mensch und Umwelt schädlich sind

- Rückstände Stoffe, die eine gewollte Wirkung auf Pflanzenschutzmittel


die Produktion und Lagerung von Pharmakologisch wirksame Stoffe,
Futtermitteln, Lebensmitteln und Futtermittelzusatzstoffe
Vorprodukte ausüben und partiell im Lebensmittelzusatzstoffe
Endprodukt verbleiben
- Kontaminanten Stoffe, die unbeabsichtigt mit Schwermetalle, toxische Elemente
Verunreinigungen Futtermitteln, Lebensmitteln und PCBs, Dioxine, Difurane
Vorprodukten in Berührung kommen PSM-Altlasten, Radionuklide
und partiell im Endprodukt verbleiben

Toxische Stoffe, die auf oder in Futtermitteln Alkaloide, Glykoside, Phenole


Inhaltsstoffe bzw. Lebensmitteln während der Mykotoxine, Nitrat/Nitrit
Produktion oder Lagerung entstehen Acrylamid, 3-MCPD
und im Endprodukt bleiben

Die Rechtsvorschriften zum EU-Rückstandsrecht in der Lebensmittelkette wurden in den letzten


Jahren insbesondere durch einheitliche Regelungen für Futtermittel und Lebensmittel überarbeitet.
Darüber hinaus konnten die rechtlich geregelten Wirkstoffe sowie weitere Schadstoffe nach neuen
wissenschaftlichen Kriterien durch die EFSA fortlaufend bewertet werden. Diese einheitliche
Vorgehensweise in der gesamten Nahrungskette vom Feld bis zum Verbraucher, welche stets die
Vorgaben nach Codex-Alimentarius-Kriterien einbezieht, bringt einerseits für die
Wirtschaftsbeteiligten mehr Berechenbarkeit und für die Verbraucher mehr Sicherheit. Die nationalen
Rechtsvorschriften zu Rückständen und Kontaminanten in Futtermitteln und Lebensmitteln ergänzen
die EU-Vorschriften für bisher nicht geregelte Wirkstoffe und für Handhabungen in der amtlichen
Überwachung, einschließlich der Bußgeld- und Strafbewährung. Einen Überblick vermittelt Tabelle 2.

Mit der EU-Pestizidrückstände-VO Nr. 396/2005 wurde die nationale Rückstandshöchstmengen-


VO vollständig ersetzt. Neben dem Gemeinschaftsverfahren zur Festlegung der Höchstgehalte sind
in den VO-Anlagen auch die vorläufigen und die bestätigten Höchstgehalte sowie die Verfahren zur
amtlichen Kontrolle, zur Berichterstattung und zu Sanktionen geregelt worden. Die Ergebnisse des
Codex Committee on Pesticide Residues fanden dazu als internationale Standards der WTO
Eingang im EU-Recht.
Die Novellierung der EU-Regelungen zu Rückstandshöchstmengen pharmakologisch wirksamer
Stoffe verfolgte das Ziel, das Verfahren zur Festlegung der PWS-Höchstmengen neu zu ordnen, eine
vollständige Übereinstimmung mit den internationalen Codex-Alimentarius-Standards zu erzielen und
Referenzwerte für PWS-Wirkstoffe einzuführen, die nicht als Tierarzneimittel vorgesehen sind.
Mit der EU-Kontaminanten-VO Nr. 1881/2006 wurde das bewährte Bewertungskonzept nach
Kriterien der öffentlichen Gesundheit einerseits (u. a. Dioxine, Schwermetalle) und der
Minimierungsstrategie durch gute Herstellungs- und Verarbeitungspraxis andererseits (u. a. Nitrat,

428 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Mykotoxine, Akrylamid) weiterentwickelt. EU-Empfehlungen für drei bis fünf Jahreskontrollen zur
Minimierung der Belastung sollen die Höchstgehalte verifizieren.

Tabelle 2: EU- und nationale Vorschriften zum Rückstandsrecht


EU-Rechtsvorschriften zu Rückständen und Kontaminanten
Allgemeine EU-VO VO (EG) Nr. 178/2002 (Lebensmittel/Futtermittel-Basis-VO)
VO (EG) Nr. 882/2004 (Lebensmittel/Futtermittel/Tiergesundheit-
Kontroll-VO)
Spezielle EU-VO und EU-RL VO (EG) Nr. 470/2009 (Höchstmengen an TAM-Rückständen in tier.
LM)
VO (EG) Nr.37/2010 (Einstufung von TAM-Rückstandshöchstmengen
tier. LM)
RL 96/22/EWG (Verwendungsverbot hormoneller und anaboler Stoffe
RL 96/23/EWG (Kontrollmaßnahmen auf TAM/sonstige Rückstände in
tier. LM)
VO (EG) Nr. 1881/2006 (Höchstgehalte an Kontaminanten in LM)
VO (EG) Nr. 565 und 629/2008 (Höchstgehalte an best. Kontaminanten
in LM)
VO (EG) Nr. 396/2005 (Höchstgehalte an Pestizidrückständen in LM
u.FM)
VO (EG) Nr. 1107/2008 (Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln)
RL 2002/32/EG (Höchstgehalte an unerwünschten Stoffen in FM)
VO (EG) Nr. 1831/2003 (Zusatzstoffe in der Tierernährung/Futtermittel)
VO (EG) Nr. 124/2009 (Verschleppung von PWS-Zusatzstoffen in
tier.LM)
VO (EG) Nr. 183/2005 (Vorschriften für die Futtermittelhygiene)
EU-RL zur Probenahme und Nitrat, Mykotoxine
zu Analysenverfahren Schwermetalle (Cd, Pb, Hg), anorg. Zinn
Dioxine/Difurane/PCBs, PAKs, 3-MCPD; TAM-Rückstände
Nationale Rechtsvorschriften zu Rückständen und Kontaminanten
LM und FM-Gesetzbuch Rückstandshöchstmengen-VO (Pflanzenschutzmittel)
(LFGB) Kontaminanten-VO (Begrenzung von Kontaminanten in Lebensmitteln)
Produktspezifische VO mit Milchgüte-VO; Honig-VO
Höchstmengen Futtermittel-VO; FM-Probenahme- und Analysen-VO
Bedarfsgegenstände-VO; Kosmetik-VO
VO zur Umsetzung des EU- Tierische LM-Hygiene-VO
Hygienepakets Tierische LM-Hygiene-Überwachungs-VO
Lebensmittel-Drittlandeinfuhr-VO
Arzneimittelgesetz VO Pharmakologisch wirksame Stoffe; TÄ-Hausapotheken-VO
Pflanzenschutzgesetz Pflanzenschutzmittel-VO; Pflanzenschutz-Anwendungs-VO

Verifizierung der Risiken durch Rückstände und Kontaminanten in Futtermitteln


Die Risikobewertung von Futtermitteln und Lebensmitteln durch die EFSA und das BfR nach
Gefahrenidentifikation, Gefahrenbeschreibung, Expositionsabschätzung und Risikobeschreibung auf

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 429


VPH: Lebensmittelsicherheit
der Grundlage des Art. 6 der EU-Basis-VO 178/2002 richtet sich an die Tiergesundheit und an den
Verbraucherschutz.
Das Vorhandensein belastbarer Daten von Wirkstoffen aus toxikologischen Studien zur
Anwendung des ADI-/TDI-Konzeptes mit unterstellter langfristiger Schadstoffbelastung wird als
unverzichtbar für eine wissenschaftliche Bewertung der Futtermittel und der Lebensmittel und die
gesetzliche Festlegung von Höchstgehalten angesehen. Daneben kommt als Maßstab einer PSM-
Rückstandsbelastung mit erhöhtem Kurzzeitrisiko für Lebensmittel und Futtermittel im
Zusammenhang mit dem EU-weiten Schnellwarnsystem das ARfD-Konzept (akute Referenzdosis)
des BfR zur Anwendung.
Für die risikoorientierte Untersuchung von Futtermitteln auf Rückstände und Kontaminanten sind
außerdem bezüglich der Lebensmittelsicherheit die Carry-over-Effekte zu berücksichtigen. Für eine
Vielzahl von Schadstoffen (insb. Mykotoxine und PSM) liegen noch keine abschließend bewerteten
Daten vor. Aus Vorsorgegründen werden dennoch Empfehlungen zu Prävention, zur Reduzierung
und zur Orientierung auf EU- und nationaler Ebene gegeben (Minimierungskonzept, Aktionswerte).
Darüber hinaus sind die Analyseverfahren für alle Wirkstoffe und die unterschiedlichen
Futtermittelarten nach Qualitätskriterien entsprechend ISO/EN 17025 zu validieren, um vergleichbare
Entscheidungen aller nationalen Behörden zu gewährleisten. EU-Entscheidungen bzw. -
Empfehlungen zur Messunsicherheit bei der PSM-Analytik liegen derzeit ausschließlich für
Lebensmittel vor. Bezüglich Dioxinen und dioxinähnlichen PCBs in Lebensmitteln und Futtermitteln
sind diese QS-Kriterien nach RL 2002/69/EG bzw. RL 2004/44/EG verbindlich geregelt. Offene
Fragen ergeben sich derzeit hinsichtlich der Verfahrensweise zur Nulltoleranz für verbotene bzw.
nicht zugelassene Stoffe (PWS, PSM) bezüglich eines einheitlichen amtlichen Handelns.

Kontrollstrategien zur Überwachung von Lebensmitteln und Futtermitteln auf Rückstände und
Kontaminanten
Die EU-weit harmonisierten Kontrollmaßnahmen für die Lebensmittel-/Futtermittelherstellung und
den Lebensmittel-/Futtermittelverkehr nach risikoorientierten Gesichtspunkten umfassen sowohl die
Eigenkontrollsysteme der Wirtschaftsbeteiligten als auch die Erhebungen nach
Monitoringgrundsätzen (Statuserhebungen) und die amtlichen Überwachungsmaßnahmen
(Betriebsprüfungen mit risikoorientierten bzw. verdachtsorientierten Probenahmen, Analysen,
Begutachtungen). Mit der VO (EG) Nr. 882/2004 – Kontrollverordnung zur Überprüfung der
Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts – wurden einheitliche Kontrollstrategien
geschaffen und werden mehrjährige Kontrollprogramme unter Einbeziehung der Rückstände und
Kontaminanten in allen Mitgliedstaaten ab 2007 vorgeschrieben.
Die Überwachungsbehörden in den Ländern sind diesbezüglich nach einheitlichen
Qualitätsgrundsätzen verpflichtet, den Schwerpunkt der risikoorientierten Kontrollen nach einer
Verfahrens-SOP auf Erzeuger, Hersteller, Großhändler und Importeure im Zuständigkeitsbereich zu
konzentrieren. Warenkorbkontrollen bei Inverkehrbringern beschränken sich auf gesundheitlich
relevante und hygienische Fragestellungen. Ergebnisse aus dem EU-Schnellwarnsystem RASFF
finden direkten Eingang in die Kontrollen. Landesspezifische Schwerpunktprogramme zu
Rückständen und Kontaminanten umfassen die gesamte Nahrungskette, z. T. mit
Umweltbeobachtung (Dioxine, PCBs). Im Rahmen des bundesweiten Überwachungsprogramms für
Lebensmittel werden erzeuger- und herstellerbezogene Schwerpunkte zur Bioproduktion bezüglich
PSM und zur Lebensmittel-Bedarfsgegenständeherstellung bezüglich Amiden und Schwermetallen

430 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
geprüft. Das nationale Kontrollprogramm Futtermittelsicherheit und das Lebensmittelmonitoring sind
Bestandteil der amtlichen Kontrollen.
Besondere Bedeutung kommt dem nationalen Rückstandskontrollplan auf Tierarzneimittel-
Rückstände und sonstige Rückstände bei lebenden Tieren, Schlachttieren und Lebensmitteln
(NRKP) nach strengen EU-Vorgaben der RL 96/22 und 23/EWG zu. Mit dem § 41 LFGB und dem
§ 10 der neuen Tierischen Lebensmittelhygiene-Überwachungs-VO sind die Kontroll- und
Vollzugsmaßnahmen grundsätzlich geregelt. Mittels Landesverwaltungsvorschrift zum NRKP werden
klare Verfahrensabläufe vorgeprägt und Handlungsoptionen zum Vollzug gemeinsam mit weiteren
Ermittlungsbehörden vermittelt.
Im Zusammenhang mit der Abwehr von akuten, schadstoffbedingten Gefahren durch den
Futtermittel- bzw. den Lebensmittelverkehr werden in zunehmendem Maße risikoorientierte
Bewertungen der Ergebnisse von Probenuntersuchungen in der Erzeugerkette vorgenommen. Damit
lassen sich Vorhersagen zu möglichen Belastungen in den Futtermitteln bei Tierproduzenten und in
den Lebensmitteln beim Inverkehrbringer präzisieren. In Umsetzung des nationalen BMELV-
Aktionsplans „Verbraucherschutz in der Futtermittelkette“ wurde ein neues Dioxin-Frühwarnsystem
auf rechtlicher Grundlage eingerichtet, welches diesen Ansprüchen entspricht.

Literaturverzeichnis
1. Umweltgutachten des Rates der Sachverständigen zu Umweltfragen. 1987; Handbuch Futtermittelprüfung;
1991.

Kontaktadresse
Prof. Dr. habil. Roland Körber, Landeslabor Berlin-Brandenburg, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 431


VPH: Lebensmittelsicherheit

Entscheidungsstrukturen bei lebensmittel- und futtermittelrelevanten


Havarien am Beispiel des Dioxineintrags in die Lebensmittelkette
Heidemarie Helmsmüller

Zu diesem Vortrag lag zu Redaktionsschluss noch kein Beitrag vor. Aktuelle Beitragsergänzungen
finden Sie gegebenenfalls unter www.blauehefte.de.

Kontaktadresse:
Heidemarie Helmsmüller, Niedersächsiches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft,
Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Hannover,
heidemarie.helmsmü[email protected]

Notizen zum Vortrag:

432 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Nachmachen, Wertmindern und Irreführen: die Lebensmittelimitate


Goetz Hildebrandt1, Rafiqul Islam2
1Institut für Lebensmittelhygiene, Freie Universität Berlin; 2Landeslabor Berlin-Brandenburg

Einleitung
Schon immer gab es Lebensmittel, die nicht der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprachen,
indem ihre Beschaffenheit vom redlichen Herstellungsbrauch bzw. der berechtigten
Verbrauchererwartung namensgleicher Produkte abwich. So lange derartige Erzeugnisse die
Gesundheit nicht schädigen, können sie unter angemessener Deklaration durchaus verkehrsfähig
sein.

Täuschung im Lebensmittelrecht: Nachmachen, Wertmindern und Schönen


Aus dem früheren Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz übernahm das geltende
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch in § 11(2) 2 a–c drei Tatbestände der Täuschung, die bei
ausreichender Kenntlichmachung keinen Grund zur Beanstandung bieten. Es handelt sich dabei um
die nachgemachten, die wertgeminderten und die geschönten Lebensmittel. Die folgenden
Definitionen orientieren sich weitgehend an den Kommentaren von ZIPFEL.

„Nachmachen“ bezeichnet jedes Nachbilden eines handelsüblichen, sozusagen „echten“


Lebensmittels in der Weise, dass es nach dem sinnfälligen Gesamteindruck nur den äußeren
Schein, nicht aber das Wesen und den inneren Gehalt der imitierten Ware besitzt, weil es wesentlich
aus anderen oder andersartigen Stoffen besteht. Eine wertmindernde Veränderung muss dabei nicht
stattfinden.
Als Klassiker unter den Imitaten gilt die Margarine. Seit längerem bekannt sind weiterhin
Lachsersatz aus gefärbtem Salzfisch oder Deutscher Kaviar aus gefärbtem Rogen des Seehasen.
Zu den aktuellen Fällen gehören gehärtetes Rapsöl als Speckersatz in Geflügelsalami und
„Analogkäse“ aus Pflanzenöl, Stärke, Emulgatoren, Aromastoffen und Geschmacksverstärkern.
Nachmachen bedeutet aber auch, biochemische Reifungs- und Produktionsschritte durch Zugabe
der entsprechenden Stoffwechselprodukte vorzutäuschen, z. B. einen Obstwein aus Saft und Alkohol
zu mixen.

„Wertminderungen“, die als zweiter Tatbestand den Zwang zur Kenntlichmachung auslösen,
beziehen sich überwiegend auf den Nähr-, Genuss- und Gebrauchswert. Die Normabweichung muss
einerseits die Grenze des Unerheblichen überschreiten, andererseits darf der Produktfehler das
Erzeugnis selbstverständlich nicht ungeeignet für den menschlichen Verzehr machen.
Wertminderungen entstehen immer dann, wenn wertvolle Bestandteile entzogen oder nicht zugesetzt
werden bzw. wertmindernde Bestandteile zugesetzt oder nicht entzogen werden. Als konkrete
Beispiele für Täuschung seien Gulasch mit einer Rohfleischeinwaage unter 50 %, Plockwurst mit
Schwarte, verwässerte Milch, Haisteak mit anhaftendem Knorpel, aus kleinen Fleischstücken
zusammengeklebter Kochschinken oder Döner mit über 60 % Hackfleischanteil genannt.

Das „Schönen“ bezieht sich auf Manipulationen der Optik. Meist handelt es sich nicht um isolierte
Tatbestände, denn die Handlungen gehen oftmals mit Nachmachen oder Wertmindern einher.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 433


VPH: Lebensmittelsicherheit
Ausreichendes Kenntlichmachen durch Verkehrsbezeichnung
Das marktwirtschaftliche System der alten Bundesländer besaß ein Lebensmittel-
Kennzeichnungsrecht, das auf zwei Prämissen basierte, nämlich dem flüchtigen Verbraucher
einerseits und dem mehr oder weniger rigiden Reinheitsgebot andererseits. Letzteres bewirkte, dass
herkömmliche Rezepturbestandteile zwar variiert, aber nur selten ausgetauscht werden durften. Da
es bis vor 30 Jahren noch keine Zutatenliste gab, war der Konsument allein auf die
Verkehrsbezeichnung als unmittelbare Informationsquelle über die Lebensmittelbeschaffenheit
angewiesen. Unter dem Begriff „Verkehrsbezeichnung“ werden drei Varianten von Produktnamen
verstanden:
 die in Rechtsvorschriften festgelegten Bezeichnungen,
 die nach allgemeiner Verkehrsauffassung üblichen Bezeichnungen. Hier bietet das
Deutsche Lebensmittelbuch eine gewichtige Orientierungshilfe.
 eine Beschreibung des Lebensmittels und erforderlichenfalls seiner Verwendung, die es
dem Verbraucher ermöglicht, die Art des Lebensmittels zu erkennen und es von
verwechselbaren Erzeugnissen zu unterscheiden. Erklärende Beschreibungen finden sich
z. B. bei freien Käsesorten, Feinkostkreationen oder neuartigen Fertiggerichten.

Ganz besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Verkehrsbezeichnung gewann der


Begriff des Aliud (lat. = ein Anderes). Jedes Lebensmittel kann innerhalb einer bestimmten
Bandbreite variieren, ohne dass es seine charakteristischen Eigenschaften verliert. Überschreitet es
jedoch diese Grenze, besitzt es nicht mehr sein spezifisches Wesen und wird zu einem anderen
Lebensmittel mit anderem Namen. Die Abweichung muss so gravierend sein, dass sie sich weder im
Rahmen der Zutatenliste noch durch eine ergänzende Beschreibung in der Verkehrsbezeichnung
ausreichend kenntlich machen lässt. Ein Gulasch mit weniger als 50 % Rohfleischeinwaage ist eben
kein Fleischerzeugnis mehr, sondern ein Erzeugnis mit einem Zusatz von Fleisch und sollte
Gulaschsuppe heißen.

Zutatenverzeichnis und QUID-Regelung


Vor drei Jahrzehnten verschoben sich die Positionen im Dreieck Lebensmittel-Deklaration-
Verbaucher deutlich. Stark vereinfachend lässt sich die Entwicklung folgendermaßen darstellen:

Insbesondere durch den gemeinsamen europäischen Markt gewann das Warenangebot an


Vielfalt und unter einer Verkehrsbezeichnung fanden sich manchmal recht unterschiedliche
Lebensmittel. So können inzwischen Biere importiert und als „Bier“ deklariert werden, die nicht dem
deutschen Reinheitsgebot genügen. Um dem Konsumenten dennoch die Möglichkeit zur bewussten
Auswahl zu eröffnen, wurden 1981 das Zutatenverzeichnis und 2001 auch die Mengenangabe
bestimmter Zutaten (QUID-Regelung) als ergänzendes und zugleich verbindliches
Kennzeichnungselement eingeführt. Diese Regelung schien so lange unproblematisch zu sein, bis
sich der Europäische Gerichtshof mit der Verkehrsbezeichnung von EU-Importware beschäftigte. Er
stellte fest, dass eine konkrete Ergänzung der Verkehrsbezeichnung nur verlangt werden darf, wenn
das Zutatenverzeichnis bei eingeführter Ware nicht genügt, um den Verbraucher über die
Abweichung von der nationale Verkehrsauffassung zu informieren. Ganz deutlich wird diese
Philosophie beim EuGH-Urteil „Sauce Hollandaise/Sauce Bernaise“ aus dem Jahr 1995. So wird
allein durch das Fehlen des Begriffs „Butter“ in der Zutatenliste ein deutscher Konsument
hinreichend darüber informiert, dass dieses als „geschäumte Buttersoße“ zu definierende Produkt

434 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
kein Milchfett enthält. Das Privileg, gravierende Normabweichungen durch eine Erweiterung der
Verkehrsbezeichnung oder gar durch alleinige Auflistung im Zutatenverzeichnis kenntlich zu machen,
reklamieren nunmehr deutsche Hersteller auch für sich. Mit nachvollziehbaren Argumenten beklagen
sie Umkehrdiskriminierung und Wettbewerbsverzerrung.
Damit überhaupt die große Aufgabenfülle beim Lebensmitteleinkauf bewältigt werden kann,
musste sich letztlich das Verbraucherleitbild ändern. Auf der Basis des „Informationsmodells“ soll der
Konsument in die Lage versetzt werden, mittels ausführlicher Produktbeschreibung rationale und
marktgerechte Entscheidungen zu treffen. Er darf nicht mehr flüchtig ins Lebensmittelregal greifen,
sondern hat sich durchschnittlich informiert, aufmerksam und verständig beim Einkauf zu verhalten.
Die Interaktionen zwischen Kennzeichnungsinhalt und Informationsverarbeitung beschränken sich
aber nicht auf den Aspekt der Täuschung. Eine rechtskonforme Etikettierung enthält weit mehr als
die zur Identifizierung von nachgemachten und wertgeminderten Lebensmitteln notwendigen
Angaben, weshalb hier eine Desinformation durch Überinformation droht. Um nicht in seinen
Erwartungen enttäuscht zu werden, müsste der Konsument beim bewussten Einkauf von
Lebensmitteln den gleichen Informationsaufwand wie für den Abschluss eines Handy-Vertrags oder
den Wechsel der Krankenkasse betreiben.

Wege aus dem Informationsdilemma


Für den Lebensmitteleinkauf ist von einer hohen Aufgabenkomplexität auszugehen. Neben den
eigentlichen Produktinformationen belasten weitere Einflüsse wie zusätzliche Deklarationselemente,
ablenkungsreiche Umgebung, hoher Zeitdruck und der Erwerb einer Vielzahl von Produkten das
Konzentrationsvermögen. Deshalb kann der Konsument nur vergleichen und eine bewusste Auswahl
treffen, wenn die Informationen verständlich, übersichtlich und transparent dargeboten werden. Mit
dem Motto „Klarheit und Wahrheit bei der Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln“ stellt
sich die Projektseite der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbraucherzentrale Hessen
diesen Problemen. Auch das Deutsche Lebensmittelbuch bringt sich mit einer Verbesserung der
Lesbarkeit der Leitsätze sowie Formulierungen von allgemeinen Grundsätzen zur
Verbraucherinformation ein.
Entscheidend wird aber letztlich sein, welche Strategie die Europäische Gemeinschaft mit ihrer
Verordnung zur Verbraucherinformation bei Lebensmitteln verfolgt. Gerade hinsichtlich der Imitate,
d. h. Lebensmitteln, die nach EG-Diktion durch vollständigen oder partiellen Austausch von
Ingredienzien den Eindruck eines anderen Lebensmittels erwecken, ist bisher eine
unmissverständliche Verbraucherinformation vorgesehen.
Leider hat die Diskussion um die Kennzeichnung nachgemachter und teilsubstituierter
Lebensmittel längst die juristische und warenkundliche Ebene verlassen. Negativ aufgeladene
Begriffe wie „Imitat“ und „Ersatz“ instrumentalisieren die innovationskritischen Tendenzen in der
Gesellschaft. Um aus der Diskriminierungsfalle herauszukommen, wäre daher zu überlegen, ob den
Interessen aller Beteiligten nicht mit einer positiven Verstärkung, d. h. einem konsensfähigen
Zeichen für traditionelle, „substitutfreie“ Ware besser gedient wäre als mit einem endlosen Kleinkrieg
um die Verkehrsbezeichnungen von Alia.

Kontaktadresse
Goetz Hildebrandt, Institut für Lebensmittelhygiene, Freie Universität Berlin,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 435


VPH: Lebensmittelsicherheit

Kennzeichnung von Allergenen in Lebensmitteln – Rechtliche


Verpflichtung und praktische Grenzen
Wolf-Rüdiger Stenzel
Institut für Lebensmittelhygiene, Freie Universität Berlin

Einleitung
Für den Verbraucher besteht bei seiner Kaufentscheidung aus unterschiedlichen Gründen das
Interesse und die Notwendigkeit, sich über die Zusammensetzung der Lebensmittel Kenntnis zu
verschaffen. Ca. 80 % aller Lebensmittel werden in Fertigpackungen abgegeben und unmittelbare
Rückfragen zum Produkt sind beim Verkäufer erheblich eingeschränkt. Somit kommt der
Kennzeichnung des Erzeugnisses eine wesentliche Bedeutung zu. Es ist zu beachten, dass nur
vorverpackte Lebensmittel der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV) unterliegen (1). Die
Zusammensetzung des betreffenden Lebensmittels kann der Verbraucher demnach nur unmittelbar
der Zutatenliste entnehmen, während bei loser Ware („Theke/Gastronomie“) eine Rücksprache mit
dem Verkäufer möglich ist. In der Zutatenliste sind alle verwendeten Zutaten einschließlich
Zusatzstoffe verpflichtend in quantitativer Reihenfolge aufzulisten. Für die Einhaltung dieser
Forderung trägt der Lebensmittelhersteller die Verantwortung. Für bestimmte Verbrauchergruppen ist
es aus gesundheitlicher Sicht relevant, spezifische Kenntnis über Zutaten von Lebensmitteln zu
haben, deren Verzehr zu individuellen Unverträglichkeitsreaktionen führen kann. Solche
Unverträglichkeiten werden allgemein unter dem Begriff „Lebensmittelallergien“ zusammengefasst.

Einteilung von Unverträglichkeitsreaktionen auf Lebensmittel


Unverträglichkeitsreaktionen durch Lebensmittelinhaltsstoffe können in unterschiedliche
Ursachen eingeteilt werden.

Abb. 1:
Unverträglichkeitsreaktionen
durch Lebensmittel

Wie Abb.1 zu entnehmen ist, lassen sich Unverträglichkeitsreaktionen durch


Lebensmittelinhaltsstoffe grundsätzlich in Immunglobulin-E-vermittelte Reaktionen, Allergien, sowie
nicht immunologisch basierte Reaktionen, Intoleranzen, einteilen. Ursache für immunologische

436 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Reaktionen sind Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Immunsystem und dem
Lebensmittelinhaltstoff, an denen im besonderen Maße Eiweiße und/oder Lektine beteiligt sind. Die
Prävalenz immunologisch vermittelter Reaktionen wird von Zopf et al. 2009 mit 2–5 % angegeben
(2). Immunologische Reaktionen sind durch eine enge zeitliche Beziehung zwischen Aufnahme des
jeweiligen Agens und dem Auftreten von Symptomen charakterisiert. Bei den
Lebensmittelintoleranzen stehen Enzymopathien oder durch Arzneimittel bedingte unerwünschte
pharmakologische Wechselwirkungen im Vordergrund. Weiterhin spielen die persönliche Disposition
des Verbrauchers sowie qualitativ-quantitative Aspekte des Agens (Matrixeinflüsse etc.) eine nicht
unerhebliche Rolle. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass diese Faktoren auch auf
die nicht immunologisch vermittelten Reaktionen zutreffen.
Unberücksichtigt bleiben bei dieser Betrachtungsweise toxikologisch relevante Verbindungen, die
natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommen, (Solanin in der Kartoffelknolle/cyanogene Glycoside
in Bittermandeln) sowie psychologisch bedingte Reaktionen oder Kontaminanten.

Lebensmittelrechtliche Situation
Wie bereits dargestellt, weisen ausgewählte Lebensmittel gesundheitliche Gefahren auf und der
Gesetzgeber hat entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher getroffen. Im Rahmen
der europäischen Lebensmittelgesetzgebung wurden 14 Lebensmittel geregelt, die als
Hauptallergene bezeichnet werden und nachfolgend in nationales Recht umgesetzt worden sind
(1,3,4). Diese Lebensmittel sind in der Zutatenliste vorverpackter Lebensmittel verpflichtend
aufzuführen und berücksichtigen etwa 95 % aller relevanten Fälle. Eine gesonderte Kennzeichnung
ist nicht erforderlich, wo die Bezeichnung bereits auf Vorhandensein eines Allergens schließen lässt
(z. B. „Nussmus“, „“Milch-Schokolade“). Nur für die Allergene Gluten und Sulfit (SO2) bestehen
derzeit Schwellenwerte (< 20 mg/kg (5) bzw. < 10 mg/l) bei deren Überschreitung eine
Kenntlichmachung notwendig ist.
Eine Allergen-Kennzeichnungspflicht gilt derzeit noch nicht für lose Ware (inkl. Gastronomie),
wird aber durch den europäischen Gesetzgeber angestrebt (6).
Im Rahmen der Herstellung von Lebensmitteln ist es trotz aller präventiven Maßnahmen, die
z. B. in HACCP-Systemen verankert sind, nicht auszuschließen, dass Kreuzkontaminationen
auftreten, die im Rahmen der Produktspezifität eine Rolle spielen könnten (z. B.: Kontamination von
Süßwaren mit Sellerie sehr wenig wahrscheinlich, jedoch Kontamination Vollmilchschokolade mit
Nüssen). Das hat in der Praxis dazu geführt, dass Lebensmittelhersteller ihre Erzeugnisse mit einem
Hinweis auf der Lebensmittelverpackung versehen wie:
• „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“
• „kann Spuren von anderen Nüssen enthalten“
• „wurde auf einer Linie hergestellt, auf der auch Erdnüsse verarbeitet werden“
Solche Hinweise auf tatsächlich/potenziell vorhandene allergene Kontaminanten (cross contacts)
sind jedoch nicht Gegenstand des Kennzeichnungs-, sondern des Produkthaftungsrechtes (7).
Die oben zitierten Hinweise sind für den betroffenen Verbraucher nur eingeschränkt hilfreich, da
der der Terminus „Spuren“ nicht definiert ist und die individuelle Empfindlichkeit gegenüber dem
jeweiligen Allergen nicht immer bekannt ist.
Zur Lösung des Problems der Kennzeichnung von Allergenspuren nach einem cross contact
werden international unterschiedliche Lösungsansätze vorgeschlagen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 437


VPH: Lebensmittelsicherheit
Im schweizerischen Lebensmittelrecht ist seit 1999 ein Grenzwert von 1 g allergener Zutat/kg
bzw. l verzehrsübliches Lebensmittel festgeschrieben, bei dem ein cross contact berücksichtigt wird
(8).
In Australien wurde für die Lebensmittelhersteller das schwellenwertbasierte VITAL-Konzept
(„Vo-luntary Incidental Trace Allergen Labelling“) entwickelt und einer kritischen Bewertung
unterzogen (9,10). Das VITAL-Raster orientiert sich an von der FDA publizierten Daten über Lowest
Observed Adversed Effect Level (LOAEL) für Lebensmittelallergene, bezogen auf mg Protein im
Lebensmittel. Bei beiden Lösungsansätzen wird ein funktionsfähiges HACCP-System beim
Lebensmittelhersteller zwingend vorausgesetzt.

Tabelle 1: Schwellenwerte für Hauptallergene in mg/kg (ppm) gemäß VITAL-Konzept (9)

Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, bestehen für den Lebensmittelhersteller unterschiedliche


Handlungsoptionen, die als Aktionsebene/-level bezeichnet werden. Bei Aktionslevel 1 ist eine
Kennzeichnung nicht erforderlich, wenn die Proteinmenge infolge eines möglichen cross contacts
den bestimmten als kritisch angesehenen Schwellenwert nicht überschreitet. Ab einer definierten
Proteinkonzentration gemäß Aktionslevel 2 ist eine Kennzeichnung „Enthält Spuren von… “
erforderlich. Höhere Proteinkonzentrationen bedingen i. S. von Aktionsebene 3 eine Kennzeichnung
des Allergens im Endprodukt als Zutat: „xyz“. (Tabelle 2).

Tabelle 2: Handlungsanweisung zur Kennzeichnung von Lebensmittel gemäß VITAL-Konzept


Aktionslevel Kennzeichnung Deklaration
Aktionslevel 1 keine Kennzeichnung erforderlich kein Hinweis notwendig
Aktionslevel 2 Kennzeichnung erforderlich „Enthält Spuren von“
Aktionslevel 3 Kennzeichnung als „Zutat xyz“ erforderlich Zutat „xyz“ benennen

438 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Ausblick
Im Rahmen des vorbeugenden Verbraucherschutzes ist die Kennzeichnung von Lebensmitteln,
die Zutaten mit immunologischen/nichtimmunologischen Eigenschaften enthalten, grundsätzlich für
alle Formen der Abgabe verpflichtend. Die Ausnahmen für lose Ware und Außer-Haus-Verkauf
(Gastronomie) werden mit der anstehenden Änderung des europäischen Kennzeichnungsrechtes
aufgehoben. Es werden erste Lösungsansätze vorgestellt, die den Umgang mit cross contacts von
Allergenen regeln. Praktische Erfahrungen der Anwendung des VITAL-Konzepts durch Hersteller bei
cross contacts liegen bisher nicht vor. Der Lebensmittelhersteller ist auch weiterhin verpflichtet, alle
Anstrengungen zu unternehmen, Kreuzkontaminationen auszuschließen. Hinsichtlich der
Schwellenwertproblematik besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf im Bereich der
Ernährungsmedizin. Gleichzeitig sind auch die analytischen Verfahren voranzutreiben, um auf allen
Stufen der Be- und Verarbeitung kurzfristig quantitative Rückschlüsse auf das Vorliegen von
Hauptallergenen ziehen zu können.

Literaturverzeichnis
1. VO über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung - LMKV) - vom
22.12.1981, i.d.l.g.F. 2010.
2. Zopf Y, Baenkler HW, Silbermann A, Ham EG, Raithel M. Differenzialdiagnose von Nahrungsmittel-
unverträglichkeiten. Dsch Ärztebl. 2009;106:359-70.
3. RL 2003/89/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 10. November 2003 zur
Änderung der RL 2000/13/EG hinsichtlich der Angabe der in Lebensmitteln enthaltenen Zutaten.
4. RL 2006/142/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 10. November 2003 zur
Änderung der RL 2000/13/EG hinsichtlich der Angabe der in Lebensmitteln enthaltenen Zutaten.
5. VO (EG) Nr. 41/2009 DER KOMMISSION vom 20. Januar 2009 zur Zusammensetzung und
Kennzeichnung von Lebensmitteln, die für Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit geeignet sind.
6. EU parliament legislative resolution of 16 June 2010 on the proposal for a regulation of the EU parliament
and of the council on the provision of food information to consumers (COM(2008)0040 - C6-0052/2008 -
2008/0028(COD.
7. Matissek R. 2. Treffpunkt Ernährungswirtschaft. Potsdam: 25. August 2005.
8. Stellungnahme Nr. 002/2010 BfR vom 29. Juli 2009 - Bessere Allergenkennzeichnung von Lebensmitteln
für Verbraucher: Schwellenwerte können derzeit noch nicht zuverlässig festgelegt werden.
9. EU-VITAL Raster - Neues Konzept zur Kennzeichnung von Allergenen in Lebensmitteln CONGEN GmbH
- Robert-Rössle-Str.10 - 13125 Berlin.
10. Stellungnahme 038/2008 BfR vom 30. April 2008 - Neues Konzept zur Kennzeichnung von Allergenspuren
in Lebensmitteln.

Kontaktadresse
Prof. Dr. W.-R. Stenzel, Institut für Lebensmittelhygiene, Freie Universität Berlin,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 439


VPH: Lebensmittelsicherheit

Akkreditierung der Trichinenuntersuchungslabore im Freistaat


Thüringen
Lothar Hoffmann, Elisabeth Meyer-Kayser, Gerlind Orthey
Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (TLLV)

Einleitung
Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verlangt in Artikel 12, dass Laboratorien, welche die bei den
amtlichen Kontrollen gezogenen Proben analysieren, nach den einschlägigen europäischen Normen
betrieben und entsprechend akkredtiert werden. Um die Akkreditierung zu erlangen, muss in den
Trichinenuntersuchungslaboratorien ein Qualitätsmanagementsystem eingerichtet sein, das die
Anforderungen der Norm DIN EN ISO/IEC 17025 erfüllt.
Mit der Verordnung (EG) Nr. 2076/2005 wurde eine Übergangsfrist zur Erlangung der
Akkreditierung bis 31.12.2009 festgelegt, die für amtliche Labore, die Untersuchungen auf Trichinella
durchführen, mit der Verordnung (EG) Nr. 1162/2009 unter Auflagen bis zum 31.12.2013 verlängert
worden ist.
Vor diesem Hintergrund und mit der Absicht einer effizienten Realisierung wurde frühzeitig
entschieden, die Trichinenuntersuchungslabore der Kreise und kreisfreien Städte in Thüringen
hinsichtlich der Anforderungen des Qualitätsmanagements an das TLLV als bereits akkreditiertes
Laboratorium anzubinden.
Für die Anbindung der Labore mussten im Vorfeld der Antragsstellung auf Erweiterung der
Akkreditierung die beteiligten Einrichtungen (Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und
Gesundheit, TLLV, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter und
Trichinenuntersuchungslabore) durch enges Zusammenwirken zahlreiche Verfahrensschritte
(Tabelle 1) absolvieren.

Tabelle 1: Verfahrensschritte bei der Akkreditierung


Einzelaufgaben Inhalt
Beratung und Schulung der VLÜÄ Rechtliche Grundlagen
Anforderungen der ISO 17025
Mindestanforderungen an Laboratorien (S2)
Checkliste zum Stand der Laboratorien Personal, Qualifizierung
Untersuchungszahlen
Laborausrüstung
Erstellung der QM Dokumente SOPs, Prüfmethode, Gerätebücher
Ringversuch Organisation und Durchführung
Zugang für Trichinenuntersuchungslabore zur QM- QM, Dokumentation über VIS-TH
Dokumentation
Schulung des Untersuchungspersonals der Rechtliche Grundlagen, Vorkommen, QM im
Trichinenuntersuchungslabore Labor
Interne Audits Organisation, Durchführung, Auswertung
Rahmenverträge Kreise und kreisfreie Städte
Akkreditierung Antragstellung

440 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Rechtlicher Status
Die rechtliche Anbindung der Trichinenuntersuchungslabore an das TLLV basiert auf der
Grundlage der zwischen dem TLLV und den Landratsämtern bzw. Stadtverwaltungen
abgeschlossenen Rahmenverträgen, wonach diese Labore als akkreditiert im Sinne des Artikels 12
Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 gelten.

Verantwortung des TLLV


Dem TLLV obliegt die Verantwortung für die Überprüfung der Erfüllung der technischen und
personellen Voraussetzungen und die Anwendung der vorgeschriebenen Methoden zur
Durchführung der Trichinenuntersuchung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2075/2005 sowie der
Einhaltung der Anforderungen des Qualitätsmanagements entsprechend der DIN EN ISO/IEC
17025. Dies geschieht durch Erstellung bzw. Bereitstellung von allgemeinen und spezifischen QM-
Dokumentationen (Qualitätsmanagementhandbuch, SOPs, Prüfmethode, Labordokumente etc.) und
durch Schaffung des Zugangs zu Dokumentationen über das Veterinärinformationssystem Thüringen
(VIS-TH), die der Prüfperson zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen interner und externer Audits
werden die Tätigkeiten der Prüfperson kontrolliert. Das TLLV kann das Landratsamt auffordern, eine
Prüfperson von der Trichinenuntersuchungstätigkeit auszuschließen, wenn sie nachweislich die
fachlichen Anforderungen oder die Anforderungen des Qualitätsmanagementsystems des TLLV nicht
erfüllt.

Verantwortung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter (VLÜÄ)


Die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden sind dafür verantwortlich, dass die
Anforderungen, die sich aus der Einbeziehung der Labore in das Qualitätsmanagementsystem des
TLLV ergeben, fortlaufend eingehalten werden. Unabhängig von den durch das TLLV organisierten
internen Audits führt das jeweilige Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt regelmäßig,
mindestens einmal jährlich, eigenständige Kontrollen in den Labors durch.
Für die Durchführung der Trichinenuntersuchung benennen die VLÜÄ Prüfpersonen und sichern
nachweislich die fachliche Kompetenz dieser nach Anhang I Abschnitt III Kapitel IV Buchstaben A
und B der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 in Verbindung mit § 3 der Tierischen Lebensmittel-
Überwachungsverordnung in der jeweils geltenden Fassung. Sie gewährleisten die regelmäßige
Fortbildung der Prüfpersonen und stellen nach Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 2075/2005 sicher,
dass die Prüfpersonen an einem Qualitätskontrollprogramm für die Trichinennachweisverfahren und
an einer regelmäßigen Bewertung der Labore teilnehmen.

Anforderungen an die Trichinenuntersuchungslabore


Die Trichinenuntersuchungslabore verfügen über die Einrichtung und Ausstattung, um die
Untersuchungen nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2075/2005 ordnungsgemäß
durchführen zu können. Die Trichinenuntersuchungslabore entsprechen zusätzlich den
Anforderungen der technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe.

Ringversuche
Jährlich müssen die Trichinenuntersuchungslabore an vom TLLV organisierten Ringversuchen
teilnehmen, um einen Kompetenzbeweis zu erbringen (Tabelle 2). Ziel ist es, die qualitative und
quantitative Bewertung der Labore zu erreichen und somit die kontinuierliche Verbesserung des
Qualitätsmanagement.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 441


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 2: Ergebnisse der Ringversuche
Jahr Anzahl Labore Erfolgsquote
2009 46 46,7 %
2010 46 84,8 %

Fazit
Das Ziel, dass die bei amtlichen Kontrollen entnommenen Proben nur von Laboratorien
untersucht werden, die gemäß den einschlägigen europäischen Normen arbeiten und akkreditiert
sind, wurde für alle Laboratorien, die in Thüringen Untersuchungen auf Trichinen durchführen, durch
Einbindung dieser Laboratorien in das Qualitätsmanagementsystem des TLLV erreicht.

Literatur
Die Literaturliste kann beim Autor angefordert werden.

Kontaktadresse
Dr. Lothar Hoffmann, Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz, Bad
Langensalza, [email protected]

442 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Erster nationaler Ringversuch zum Nachweis von Anti-Trichinella IgG


in Schweineseren
Eva V. Knoop1,2, Matthias Filter1, Karsten Nöckler1
1Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin; 2Labor Diagnostik GmbH, Leipzig

Einleitung
Die Trichinellose ist eine seltene lebensmittelbedingte Infektionserkrankung, verursacht durch
Nematoden der Gattung Trichinella mit mildem bis tödlichem Verlauf. Menschen nehmen Larven
über rohes bzw. nicht ausreichend erhitztes Fleisch oder Fleischprodukte auf. In Deutschland kommt
die Trichinellose nur noch selten vor; vereinzelte Erkrankungsfälle hängen i. d. R. eng mit dem
Verzehr von Fleischprodukten aus Risikogebieten in Osteuropa zusammen. Die Verordnung (EG) Nr.
2075/2005 regelt die Durchführung der Untersuchung auf Trichinella: als Methode ist die künstliche
Verdauung anzuwenden, wobei das Magnetrührverfahren als Referenzmethode gilt. In der
Verordnung ist ferner festgelegt, dass serologische Tests für die Überwachung von Mastschweinen
aus Beständen oder Regionen mit vernachlässigbarem Infektionsrisiko nützlich sind. Zur Validierung
eines ELISA für den Nachweis von Trichinella-Antikörpern beim Schwein wurde im September 2009
am Nationalen Referenzlabor für Trichinellose (Bundesinstitut für Risikobewertung) ein Ringversuch
durchgeführt.

Material und Methoden


Teilgenommen haben 21 Labore aus 11 Bundesländern.
Jeder Teilnehmer erhielt ein Testpanel, bestehend aus 22 Seren experimentell mit Trichinella
spiralis infizierter Schweine (Tabelle 1). Die positiven Seren der beiden Titrationsreihen wurden in
Seren Trichinella-negativer Tiere verdünnt.
Alle Teilnehmer wurden gebeten, zusätzlich zum Testpanel 22 Feldproben (Schweineseren
und/oder -fleischsäfte) aus ihrer Routine zu testen.
Jedem Teilnehmer wurde von Labor Diagnostik GmbH Leipzig ein Testkit des PIGTYPE®
Trichinella Ab zur Verfügung gestellt. Die Durchführung des Ringversuchs erfolgte nach
Herstellerangaben; Ausnahme: die Ringversuchs- und Feldproben wurden im Doppelansatz getestet,
aber wie Einzelbestimmungen beurteilt. Der Test wurde zweimal (Abstand max. fünf Arbeitstage)
durchgeführt.
Für die qualitative Beurteilung wurden für jeden Teilnehmer anhand der Beurteilung die richtigen,
falsch-positiven und falsch-negativen Ergebnisse ermittelt und mit vorgegebenen Sollwerten
verglichen. Mithilfe des Variationskoeffizienten (VK) wurde die Wiederholbarkeit des Tests je Serum
und Labor geprüft.
Die quantitative Beurteilung erfolgte mit Hilfe des z-scores zur Ermittlung des Toleranzbereiches
(Standardparameter für die tolerierbare Abweichung = 10 %)1; die Streuung der Labore im Verhältnis
zur mittleren Streuung wurde mit der Mandel-k-Statistik2 zur Beurteilung von Wiederholungsfehlern
berechnet und die Reproduzierbarkeit des Tests wurde durch den Pearson-Korrelationskoeffizient
ermittelt.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 443


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 1: Titer und Sollwerte (angegeben als Beurteilung) des Testpanels.
Serumnummer Serumtiter Sollwert
(BfR-Inhouse-ELISA) (Beurteilung)
1 >/= 1:1280 positiv
2 1:10 Verdünnung von Serum 1 positiv
3 1:2 Verdünnung von Serum 2 positiv
4 1:2 Verdünnung von Serum 3 positiv und negativ möglich
5 1:2 Verdünnung von Serum 4 negativ
6 1:2 Verdünnung von Serum 5 negativ
7 1:2 Verdünnung von Serum 6 negativ
8 1:2 Verdünnung von Serum 7 negativ
9 1:80 positiv und negativ möglich
10 1:40 positiv und negativ möglich
11 1:320 positiv
12 1:160 positiv
13 1:160 positiv
14 1:10 Verdünnung von Serum 13 positiv
15 1:2 Verdünnung von Serum 14 positiv
16 1:2 Verdünnung von Serum 15 positiv und negativ möglich
17 1:2 Verdünnung von Serum 16 negativ
18 1:2 Verdünnung von Serum 17 negativ
19 1:2 Verdünnung von Serum 18 negativ
20 1:2 Verdünnung von Serum 19 negativ
21 1:160 positiv
22 >/= 1:1280 positiv

Ergebnisse
14 von 21 Laboren lagen mit der Beurteilung der Seren im Sollbereich; 5 Labore erhoben falsch-
positive und 2 Labore falsch-negative Befunde. Je ein falsch-positives bzw. falsch-negatives
Ergebnis lag an einer falschen Beurteilung, d. h. der S/P-Quotient wurde korrekt berechnet, aber
falsch beurteilt. Weitere Gründe für fehlerhafte Beurteilungen waren, dass statt des vom Hersteller
vorgegebenen S/P-Quotienten andere Beurteilungskriterien wie z. B. die Höhe der OD-Werte zur
Beurteilung herangezogen oder statt der Mittelwerte der Positivkontrollen zur Berechnung der S/P-
Quotienten nur einer der beiden OD-Werte der Positivkontrollen verwendet wurden. Ein falsch-
positives Ergebnis kann möglicherweise auf die Durchführung des Ringversuchs durch zwei
Mitarbeiter zurückgeführt werden. Bei allen anderen Laboren, in denen zwei Mitarbeiter den
Ringversuch durchgeführt haben, wurden die Ergebnisse reproduziert. Anhand der Beurteilung
wurden die Sensitivität und Spezifität des Tests berechnet (Tabelle 2).
Zu jedem Serum lagen 84 OD-Werte (vier OD-Werte/Labor) für die Berechnung der VK vor. Von
504 berechneten VK waren 63 > 20 %, von denen wiederum 33 > 30 % waren. Von den VK > 30 %
waren 9 positive, 17 negative und 7 grenzwertige Seren betroffen.
Die z-scores zeigen die Abweichung des Labormittelwertes vom Gesamtmittelwert als ein
Vielfaches der Präzisionsvorgabe σ für die Bestimmung der S/P-Quotienten (σ = 0,1). Die
Beurteilung von Wiederholfehlern eines Labors wurde durch die Mandel-k-Statistik ermittelt, bei der

444 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
die Streuung der Labore im Verhältnis zur mittleren Streuung dargestellt wird. Im vorliegenden
Ringversuch zeigen nur vier Labore Werte außerhalb der Toleranzgrenzen. Der mittlere
Pearson’sche Korrelationskoeffizient für beide Tests liegt bei 0,983 (sd= ± 0,017).
Von den teilnehmenden Labors wurden 212 Seren, 33 Plasma- und 169 Fleischsaftproben von
Hausschweinen sowie 26 Wildschweinproben in verschiedenen Kombinationen untersucht. Alle
Feldproben waren – mit Ausnahme von vier Wildschweinproben – serologisch negativ.

Tabelle 2: Sensitivität und Spezifität des PIGTYPE® Trichinella Ab.


positive Seren: negative Seren:
839 672
ELISA positiv 833 6
ELISA negativ 6 666
Sensitivität/Spezifität 99,28% 99,11%

Schlussfolgerung
In Deutschland kommen Infektionen mit Trichinella spp. beim Hausschwein in konventioneller
Haltung nicht mehr vor, während sie bei Wildschweinen und anderen wildlebenden Tieren weiterhin
nachgewiesen werden können. Die Ergebnisse der Feldprobenuntersuchung bestätigen dies: die
Proben vom Hausschwein waren alle serologisch negativ, während bei den Wildschweinproben 4
von 26 Proben positiv waren.
Mit Hilfe eines Ringversuchs kann die Präzision von Untersuchungsergebnissen bei
Wiederholbarkeits- und Reproduzierbarkeitsbedingungen geprüft werden. Als Maß für die
Wiederholbarkeit dient der VK. Bei Extinktionswerten gilt ein VK von < 20 % als ausreichend. Wird
bei der Mehrzahl der Seren ein VK von > 30 % innerhalb eines oder zwischen verschiedenen
Testdurchgängen ermittelt, ist die Variation zu groß. Bei Seren mit niedrigen Titern sind allerdings
höhere VK zu erwarten3. Dies bestätigt sich in diesem Ringversuch, da nur 1,8 % der positiven,
3,4 % der negativen und 1,2 % der grenzwertigen Seren einen VK > 30 % zeigten. Die
Wiederholbarkeit der Tests innerhalb der Teilnehmerlabore ist damit sehr gut.
Mit den z-scores kann die Abweichung eines Labors im Vergleich zu anderen Laboren durch
einen Toleranzbereich um den Sollwert ermittelt werden, während Mandel-k die
Laborstandardabweichung ins Verhältnis zur Wiederholbarkeitsstandardabweichung setzt.
Schwankungen in den quantitativen Ergebnissen – auch solche außerhalb des Toleranzbereiches –
führen jedoch nicht zwangsläufig zu einer falschen Probenbewertung, können aber einen
Rückschluss auf die Genauigkeit der Testdurchführung geben. Bei diesem Ringversuch zeigen
mehrere Labore in beiden Beurteilungen vereinzelte Ausreißer an einem und/oder beiden
Untersuchungstagen, wobei vier Labore mehr Ausreißer als tolerierbar zeigen. Hier sollte nach
Ursachen gesucht werden.
Die qualitative Auswertung ergibt eine Sensitivität von 99,28 % und eine Spezifität von 99,11 %,
was für einen Test sehr gut ist. Bei den grenzwertigen Seren wurden die meisten Seren positiv
beurteilt, was ein weiterer Hinweis für eine gute Sensitivität ist. Zu erwarten ist, dass bereits Tiere als
seropositiv erkannt werden dürften, die nur sehr geringe Titer ausbilden oder erst am Anfang der
Antikörperbildung stehen. Im Testpanel wurde je eine Titrationsreihe eines hoch- bzw. eines
mitteltitrigen Serums mitgeführt. Ziel war es, zu prüfen, bis zu welchem Titrationsschritt Antikörper

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 445


VPH: Lebensmittelsicherheit
nachgewiesen werden können. Der Nachweis des hochtitrigen Serums lag im erwarteten Bereich; im
mitteltitrigen Serum konnten Antikörper ebenso lang nachgewiesen werden. Das ist ein weiteres
Indiz für die gute Sensitivität des Tests.
Die Ergebnisse dieses Ringversuchs zeigen, dass der PIGTYPE® Trichinella Ab sowohl in der
Wiederholbarkeit als auch in der Reproduzierbarkeit sehr stabil ist. Die enge Korrelation der
Einzellaborwerte zu den Referenzlaborwerten zeigt ebenfalls eine sehr gute Reproduzierbarkeit der
Testergebnisse. Allgemein ist festzuhalten, dass bei der Etablierung eines neuen Tests und bei den
Einstellungen in der verwendeten Software zur Vermeidung von fehlerhaften Beurteilungen die
Herstellerangaben umgesetzt werden sollten.
Als Fazit kann aus diesem Ringversuch gezogen werden, dass die serologische Untersuchung
von Schweineseren als unterstützende Maßnahme für die Überwachung von Mastschweinen aus
Beständen oder Regionen mit vernachlässigbarem Infektionsrisiko eine gute Methode darstellt.

Literaturverzeichnis
1. ISO 13528:2005: Statistical methods for use in proficiency testing by interlaboratory comparisons. Berlin:
Beuth Verlag; 2005.
2. DIN ISO 5725-2:2002-12. Genauigkeit (Richtigkeit und Präzision) von Messverfahren und
Messergebnissen, Teil 2: Grundlegende Methoden für die Ermittlung der Wiederhol- und
Vergleichspräzision eines vereinheitlichten Messverfahrens. Berlin: DIN Deutsches Institut für Normung e.
V. 2002.
3. OIE. Trichinellosis. In: OIE - Manual of diagnostic tests and vaccines for terrestrial animals. Online edition:
http://www.oie.int/eng/normes/mmanual/A_summry.htm. 2009. S. 344-52

Kontaktadresse
Eva V. Knoop, Labor Diagnostik GmbH Leipzig, [email protected]

446 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Nachweis und Prävalenz des Duncker’schen Muskelegels in


Wildschweinen – ein Update
Katharina Riehn1, Ahmad Hamedy1, Knut Große2, Tanja Wüste2, Ernst Lücker1
1Institutfür Lebensmittelhygiene, Universität Leipzig; 2Stadt Brandenburg an der Havel, Gesundheits-
, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt

Einleitung
Seit dem Jahr 2002 kommt es auf dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik regelmäßig zu
Meldungen über Nachweise von Mesozerkarien des parasitären Saugwurms Alaria alata in
Wildfleisch (1,2). Der sogenannte Duncker’sche Muskelegel kann durch infiziertes Wildbret auch auf
den Menschen übertragen werden und schwerwiegende Erkrankungen verursachen. Eine
wissenschaftliche Bewertung des humanen Expositionsrisikos war bislang nicht möglich, da die
vornehmlich mit dem Referenzverfahren nach VO (EG) Nr. 2075/2005 erfassten Ergebnisse
hinsichtlich (i) der Verteilung des Duncker’schen Muskelegels im paratenischen Wirt sowie (ii) der
Erfassung der geographischen Verbreitung und Häufigkeit des Vorkommens des DME und (iii) seiner
Befallsstärke in Wildbret unter dem Caveat erheblicher Fehlraten interpretiert werden müssen. Durch
den Einsatz der neuentwickelten Alaria alata mesocercariae migration technique (AMT) innerhalb der
amtlichen Untersuchung besteht nun erstmals die Möglichkeit, diese Wissenslücken zu schließen.
Ziel der eigenen Untersuchungen ist somit die Weiterentwicklung und Validierung der AMT. Im
Rahmen des zu diesem Zweck durchgeführten Ringversuchs soll zum einen die Eignung der
eingesetzten Standardmaterialien überprüft und zum anderen die Optimierung der
Untersuchungsmethode sowie die Erarbeitung statistischer Kenngrößen ermöglicht werden.
Gleichzeitig bietet der Ringversuch die Möglichkeit, das Verfahren auf seine Eignung als Schnelltest
im Rahmen der amtlichen Überwachung hin zu überprüfen und, damit verbunden, Monitoring-
Untersuchungen, die die Klärung der Vorkommenshäufigkeit des Erregers in der Wildtierpopulation
ermöglichen, aufzunehmen.

Standardmaterialien
Bedingt durch den sehr komplizierten Vermehrungszyklus von Alaria alata ist eine artifizielle
Infektion von Versuchstieren unter Laborbedingungen sehr aufwendig und nur unter Aufbringung
unverhältnismäßig hoher Kosten realisierbar. Daher wurde bei der Herstellung der
Standardmaterialien auf Mesozerkarien aus natürlich infizierten Stapelwirten, hier Wildschweinen,
zurückgegriffen. Diese DME-positiven Tiere wurden uns von kooperierenden Veterinärämtern zur
Untersuchung überlassen. Alle Wildschweine wurden bis zur Abholung durch unser Institut und
anschließenden Probennahme bei max. 4°C gelagert. Nach der Enthäutung und Zerlegung der Tiere
erfolgte die Probennahme an verschiedenen anatomisch definierten Lokalisationen. Das
entnommene Probenmaterial wurde im Anschluss in beschriftete, verschließbare Plastikbeutel
verbracht und die Mesozerkarien mittels der AMT isoliert. Bei der sich anschließenden
lichtmikroskopischen Untersuchung wurde die Vitalität der Larven anhand ihrer Motilität beurteilt. Die
Herstellung der Standardmaterialien erfolgte dann durch Verbringen der vitalen DME in 30 g grob
zerkleinertes, DME-negatives Wildschweinfleisch. Hierzu wurde eine zuvor genau abgezählte Anzahl
Larven mittels einer Pipette auf die Hälfte des vorbereiteten Wildschweinfleischs gebracht und mit
dem restlichen Material abgedeckt. Jede Probe wurde in einen Plastikbecher verpackt und

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 447


VPH: Lebensmittelsicherheit
entsprechend nummeriert. Alle Proben wurden bis zum Versand im Kühlraum bei 4°C gelagert. Alle
Laboratorien erhielten je einen Satz Proben, eine standardisierte Versuchsapparatur bestehend aus
Glastrichter, Sieb, Schlauch und Schlauchklemmen, einen Vordruck zur Datenerfassung sowie eine
Standard Operation Procedure (SOP) für den Nachweis des Duncker’schen Muskelegels in Fleisch
mittels AMT. Diese ist in Tabelle 1 dargestellt. Zur Sicherung der Qualität des Standardmaterials
wurden Proben aus allen Chargen nach einer 24-stündigen Lagerung bei 4°C im Institut für
Lebensmittelhygiene gemäß den Anweisungen der SOP untersucht. Die Larvenwiederfindungsrate
lag hier bei 100 %.

Tabelle 1: Durchführung des modifizierten Larvenauswanderverfahrens (Alaria alata mesocercariae


migration technique, AMT)
 Messer oder Schere, Pinzette
 Schneidebrett
 Stativ, Stativring, Stativklemme
 Glastrichter, Ø 10 cm
 Kunststoffsieb, Ø 9 cm, Maschenweite 0,8 mm
 Gummischlauch, Ø 10 mm, 10 cm lang
 Schlauchklemme, 60 mm
Materialien

 50 ml Messzylinder aus Glas


 Trichinoskop mit Horizontaltisch oder Stereomikroskop mit in der Intensität einstellbarer
Durchlichtquelle
 einige Petrischalen mit 9 cm Durchmesser (für die Verwendung mit dem Stereomikroskop),
deren Boden mit einem spitzen Gegenstand in Quadrate von 10 × 10 mm eingeteilt sind
 ein Larvenzählbecken (für die Verwendung mit dem Trichinoskop), aus 3 mm starken
Acrylplatten gem. VO (EG) Nr. 2075/2005, Anhang I, Kapitel I, Nr. 1 (m)
 Leitungswasser temperiert auf 35–37°C
 eine auf mindestens 0,1 g genaue Waage

 30 g Probenmaterial bestehend aus quergestreifter Muskulatur, Fett- und Bindegewebe und


Probenahme und
zu verarbeitende

wenn vorhanden Drüsengewebe und/oder Lymphgewebe ist dem Tierkörper zu entnehmen


 Geeignete Probennahmestellen sind “Backe” (verschiedene Lokalisationen der
Mengen

kaudoventralen Kopfregion, die quergestreifte Muskulatur, Fett- und Bindegewebe,


Drüsengewebe und lymphatisches Gewebe umfassen), Peritoneum mit retroperitonealem
Fettgewebe, Zwerchfellpfeiler, Larynx mit anhaftendem Bindegewebe, Zunge,
Kaumuskulatur (Mm. masseter, temporalis, pterygoidei).
 Der Glastrichter wird im Stativ fixiert, der Gummischlauch wird am Trichter fixiert und mit
einer Schlauchklemme verschlossen.
 Das Sieb wird in den Trichter gelegt.
 30 g Probenmaterial werden manuell grob zerkleinert (etwa 0,5 cm Kantenlänge), in das
Sieb überführt und mit 150 ml lauwarmem Leitungswasser übergossen. Das Probenmaterial
soll vollständig mit Wasser bedeckt sein.
Verfahren

 Der Probenansatz bleibt für 45 Minuten bei Raumtemperatur stehen.


 Nach dieser Zeit werden 20 ml Flüssigkeit schnell in einen Messzylinder abgelassen und in
ein Larvenzählbecken/eine Petrischale überführt.
 Dann wird der Messzylinder mit höchstens 10 ml Leitungswasser gespült und diese
Flüssigkeit der im Larvenzählbecken oder in der Petrischale befindlichen Probe hinzugefügt.
 Danach wird die Probe mittels Trichinoskop oder Stereomikroskop mit 15- bis 20-facher
Vergrößerung untersucht. Bei verdächtigen Bereichen oder parasitenähnlichen Formen ist
die Vergrößerung auf 60- bis 100-fach zu erhöhen.

448 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Teilnehmende Laboratorien
Insgesamt nahmen 15 Laboratorien aus 9 Bundesländern (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen,
Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bayern) am
Ringversuch teil. Den Ringversuchsteilnehmern wurde der Versand der Proben etwa zwei Wochen
im Voraus angekündigt. Die Proben waren mit der Standard Operating Procedure (SOP) für den
Nachweis des Duncker'schen Muskelegels mittels Alaria alata mesocercariae migration technique
(AMT) zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden auf einem vorbereiteten Formblatt an das Institut für
Lebensmittelhygiene (IfL) zurückgesendet.

Auswertung
Die Auswertung erfolgte für jeden Teilnehmer nach der Anzahl der richtig erkannten DME-
positiven bzw. -negativen Muskelproben sowie der Zahl der falsch-positiven und falsch-negativen
Ergebnisse (qualitative Auswertung). Weiterhin wurden die Ergebnisse jedes Teilnehmers mit Anzahl
der tatsächlich in der Probe vorhanden Larven verglichen (quantitative Auswertung).

Ergebnisse
Von den zu bewertenden 60 DME-positiven Proben wurden Larven in 58 Proben (96,7 %)
gefunden. Zwei Ergebnisse erwiesen sich als falsch-negativ (3,3 %). Von den 30 negativen Proben
wurden 29 (96,7 %) korrekt und 1 als falsch-positive (3,3%) beurteilt. Die qualitativen Ergebnisse
sind in der Abbildung 1 graphisch dargestellt.

Abb. 1: Ergebnis der qualitativen Auswertung Abb. 2: Aufschlüsselung der Fehler-


der im Rahmen des Ringversuches an die häufigkeiten (Abweichung von
Teilnehmer versendeten Proben Larven-Sollwert) bei der quantitativen
Auswertung der Ringversuchsproben

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 449


VPH: Lebensmittelsicherheit
Insgesamt 43 (47,8 %) der 90 Proben wurden von den Ringversuchsteilnehmern korrekt
ausgezählt. Bei neun weiteren Proben (10 %) wurde lediglich eine Larve übersehen, acht weitere
Proben (8,9 %) wiesen zwei fehlende Larven auf. Die weitere Aufschlüsselung der
Fehlerhäufigkeiten ist der Abbildung 2 zu entnehmen.

Die Ergebnisse der quantitativen Auswertung für die einzelnen Labore zeigen, dass nur ein
Teilnehmer (6,7 %) alle positiven Proben gleichzeitig qualitativ und quantitativ richtig bewertet hat.
Ein weiterer Teilnehmer (6,7 %) hat bei je einer positiven Probe eine Larve über- bzw. unterzählt.
Drei Laboratorien (20 %) haben mehr als 70 % der in den Proben vorhandenen Muskelegel
identifizieren können. Insgesamt haben somit 33,3 % der teilnehmenden Laboratorien ≥ 70 % der in
den Proben befindlichen Larven sicher identifizieren können.

Diskussion
Die hohe Bereitschaft der Laboratorien zur Teilnahme am ersten Ringversuch zum Nachweis des
Duncker’schen Muskelegels in Fleisch verdeutlicht das Interesse der amtlichen Überwachung an
einer validierten Methode zum Nachweis dieses Parasiten. Erfreulicherweise wurden bereits im
ersten Teil dieses Ringversuches 96,7 % der positiven Proben von den Laboren korrekt als DME-
positiv bzw. -negativ beurteilt. Bei der quantitativen Auswertung der Proben zeigte sich indes, dass
nur etwa ein Viertel der Teilnehmer ≥ 70 % der in den Proben befindlichen Larven sicher
identifizieren konnte. Nur einem Teilnehmer gelang die korrekte Quantifizierung aller Proben.
Beim Auftreten von falsch-negativen Ergebnissen oder zu wenig nachgewiesener Larven sollte
eine Fehleranalyse erfolgen, um die Sensitivität der Nachweismethode zu verbessern. Folgende
Ursachen sollten in Betracht gezogen werden:
 Die Larven sind durch falsche Lagerung, zu langen Transport oder verzögerte Untersuchung im
Probenmaterial teilweise abgestorben und konnten nicht vollständig aus diesem auswandern.
 Durch die hohe Motilität der Larven kam es bei der Zählung zu Verwechslungen.
 Es wurde nicht das komplette Probenmaterial für die Untersuchung eingesetzt.
 Die Probengefäße wurden nicht korrekt nachgespült.
 Die Auswanderung der Larven aus dem Probenmaterial verlief nicht optimal (z. B.
Unterschreitung der vorgeschriebenen Auswanderzeit, Nichteinhaltung der Temperatur).
 Die Verdauungsflüssigkeit wurde unvollständig und/oder zu schnell mit dem Mikroskop
durchmustert, so dass Larven übersehen wurden.
 Die Kenntnisse zum Aussehen des Untersuchungsgegenstandes, d. h. zur Form und Größe der
Alaria-alata-Mesozerkarie sind mangelhaft.
Ursache für zu hohe Larvenzahlen könnte sein, dass Larven durch unsystematisches
Durchmustern der Verdauungsflüssigkeit mehrfach gezählt wurden oder dass Artefakte als
vermeintliche Larven identifiziert wurden. Letzteres könnte auch die Ursache für falsch-positive
Ergebnisse sein. Als Grund für falsch-positive Ergebnisse kommt z. B. auch eine unzureichende
Reinigung der vorher mit DME behafteten Gerätschaften in Frage.

Schlussfolgerung
Die Ergebnisse dieses ersten Ringversuchsteils zeigen deutlich, dass sich die AMT aufgrund
ihrer ausgesprochen hohen Sensitivität als Referenzverfahren für den Nachweis des Duncker’schen
Muskelegels in Fleisch anbietet. Gleichzeitig eignet sich dieses robuste und ausgesprochen

450 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
anwenderfreundliche Verfahren aufgrund des ausgesprochen geringen Kosten- und Zeitaufwandes
auch als Schnellmethode für den Einsatz in der amtlichen Überwachung. Hier bietet das Verfahren
insbesondere die Möglichkeit, DME-positive Sammelansätze, die im Rahmen der amtlichen
Untersuchung auf Trichinellen bei Wildschweinen häufig auftreten, eindeutig zu differenzieren. Dies
ermöglicht dann eine sowohl im Hinblick auf den gesundheitlichen Verbraucherschutz als auch
hinsichtlich des Schutzes der berechtigten Interessen der am Verkehr mit Wildbret beteiligten
Wirtschaftskreise korrekte Beurteilung der entsprechenden Stücke.

Literaturverzeichnis
1. Große K, Wüste T. Funde des Duncker’schen Muskelegels bei der Trichinenuntersuchung mittels
Verdauungsverfahrens. DVG 45. Arbeitstagung des Arbeitsgebiets “Lebensmittelhygiene”; 28.09.-
01.10.2004; Garmisch Partenkirchen
2. Große K, Wüste T. Der Dunker’sche Muskelegel: Funde bei der Trichinenuntersuchung mittels
Verdauungsverfahren. Fleischwirtschaft. 2006;4:106–8.

Kontaktadresse
Dr. Katharina Riehn, Institut für Lebensmittelhygiene, Universität Leipzig, [email protected]
leipzig.de

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 451


VPH: Lebensmittelsicherheit

Toxoplasma gondii – Aktuelle Erkenntnisse zur Verbreitung und zum


Übertragungsweg
Martina Ludewig1, Carolin Schade1, Susan Pott1, Martin Koethe1, Berit Bangoura2,
Arwid Daugschies2, Reinhard K. Straubinger3 und Karsten Fehlhaber1
1Institut für Lebensmittelhygiene Universität Leipzig; 2Institut für Parasitologie, Universität Leipzig;
3Lehrstuhl für Bakteriologie und Mykologie, Veterinärwissenschaftliches Departement, LMU München

Einleitung
Toxoplasma gondii ist ein obligat intrazellulär lebender Parasit, welcher weltweit verbreitet ist.
Alle warmblütigen Säugetiere sowie Vögel können sich mit dem Erreger infizieren. Dabei sind Katzen
und andere Feliden als Endwirte in der Lage, Oozysten in die Umwelt auszuscheiden. Die anderen
Tierarten und der Mensch sind im T.-gondii-Infektionszyklus Zwischenwirte. Die Infektion des
Menschen kann zum einen über die orale Aufnahme von sporulierten Oozysten aus der Umwelt und
zum anderen auch häufig über den Verzehr von T.-gondii-zystenhaltigem rohem bzw. nicht
ausreichend erhitztem Fleisch erfolgen (1). In Deutschland wird vor allem Schweinefleisch verzehrt.
Insbesondere daraus hergestellte Erzeugnisse wie rohes Hackfleisch oder kurz gereifte Rohwürste
(z. B. Zwiebelmettwurst, Knackwurst) stellen eine mögliche Infektionsquelle dar. Zunehmend werden
solche kurz gereiften Erzeugnisse auch aus Putenfleisch angeboten. Zum Überleben der T.-gondii-
Gewebezysten in Wurst liegen in der Literatur nur sehr wenige und teilweise widersprüchliche
Ergebnisse vor. Im Ergebnis aktueller Studien konnte gezeigt werden, dass bei Mastschweinen und
Mastputen aus deutschen Beständen Antikörper gegen T. gondii vorhanden sind. So waren 3,9 %
der Mastschweine und 18,4 % der Puten serologisch positiv (2,3). Außerdem kann sich der Mensch
über die orale Aufnahme von Tachyzoiten, die in der parasitämischen Phase über die Milch
ausgeschieden werden, infizieren. Dieser eher selten vorkommende Übertragungsweg wurde in der
Literatur beschrieben (4–6). Unklar ist bisher, ob die Tachyzoiten die Magenpassage überleben
können. Aus Publikationen ist bekannt, dass sie labil gegenüber der Wirkung von Salzsäure und
Pepsin sind (7–9). Die meisten T.-gondii-Infektionen des Menschen bleiben unerkannt, da ein
typisches klinisches Bild fehlt. Zu schwerwiegenden Krankheitsbildern kann es allerdings bei
immunsuppressiven Personen und bei Neugeborenen, wenn während der Schwangerschaft eine
Erstinfektion stattfindet, kommen (10). Im Ergebnis von zwei Fall-Kontrollstudien wurde rohes bzw.
nicht ausreichend erhitztes Fleisch als eine erhebliche Infektionsquelle für Toxoplasmose
herausgearbeitet (11,12). In den vergangenen Jahren wurden in einem vom BMBF geförderten
Verbundprojekt (TOXONET 01) an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig
zahlreiche Ergebnisse u. a. zum Vorkommen von T. gondii bei Puten und zur Tenazität von T.-
gondii-Gewebezysten bzw. -Tachyzoiten generiert. Ziel der Untersuchungen war es, neue
Erkenntnisse zum Infektionsrisiko von Toxoplasmose über Lebensmittel zu ermitteln. Aktuelle
Ergebnisse zum Überleben von T.-gondii-Gewebezysten in Rohwurst und zur Tenazität von
Tachyzoiten in simuliertem Magensaft und Magensaft mit Milch werden vorgestellt.

Material und Methoden


Einfluss der Rohwurstreifung auf T.-gondii-Gewebezysten
Für diese Versuche wurde Putenmettbrät mit Starterkulturen und 2 % NaCl, mit Starterkulturen
und 2 % Nitritpökelsalz sowie mit 2 % NaCl (3 Rezepturen) hergestellt. Das zystenhaltige Fleisch

452 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
wurde von mit T. gondii infizierten Mäusen gewonnen. Für die Herstellung der Würste wurden 3 g
Putenwurstbrät mit 7 g zystenhaltiger Mäusemuskulatur vermischt und in ein kleines Nylonsäckchen
(Polyamid-Präzisions-Siebgewebe, Maschenweite 100 µm, VWR, Darmstadt) verbracht, welches
dann zentral in die Brätmasse eingelegt wurde. Jeweils 200 g der Wurstmasse wurden in einen
Folienbeutel gefüllt und wie für Mettwurst auch üblich unter Vakuum verpackt. Anschließend erfolgte
für 12 h bei 20°C eine Reifung und bis zur Beprobung eine Lagerung bei 4°C. Nach 12, 24, 36, 48
und 72 h wurde das Putenmett auf infektionsfähige T.-gondii-Zysten mittels Maus-Bioassay geprüft.
Nach 6 Wochen wurden die Mäusegehirne dann mittels Lichtmikroskopie auf T.-gondii-Zysten und
mit der real-time PCR auf T.-gondii-DNA geprüft. Positiv- und Negativkontrollen wurden mitgeführt.
Das Versuchsvorhaben wurde bei der Landesdirektion Leipzig (Nr. V04/10) angezeigt.

Überleben von T.-gondii-Tachyzoiten in simuliertem Magensaft und Magensaft mit Milch im In-vitro-
Modell
Für die In-vitro-Versuche wurden Tachyzoiten auf Zellen der Linie Hep-2 kultiviert. Der simulierte
Magensaft wurde aus Pepsin, NaCl, Wasser und Salzsäure hergestellt (9). Die Untersuchungen im
Magensaft wurden bei pH-Werten zwischen 2,0 und 6,0 und mit einer Konzentration von 5 x
105 Tachyzoiten/50 ml Magensaft durchgeführt. Dieser wurde bei 37°C für jeweils 15, 30, 60 und
90 Minuten inkubiert. Zur Prüfung des Einflusses von Milch wurden dem Magensaft jeweils 25, 50
und 75 % Milch zugegeben.
Zum Nachweis der Infektiosität der Tachyzoiten wurde die Zellkultur sowohl lichtmikroskopisch
auf typische Infektionsanzeichen durch T.-gondii-Tachyzoiten untersucht, als auch in Kombination
mit der real-time-PCR auf eine Vermehrung von T.-gondii-gondii-DNA geprüft.

Ergebnisse
Einfluss der Rohwurstreifung auf T.-gondii-Gewebezysten
In allen nach der 12-stündigen Reifungszeit geprüften Mettproben wurde im Ergebnis des
Bioassay ein Überleben von T.-gondii-Muskelzysten nachgewiesen. Nach 24 h wurde lediglich in der
Wurstprobe mit Starterkultur und 2 % Nitritpökelsalz eine Infektiosität festgestellt.
Putenmettwurstproben, die nach 36, 48 und 72 h an die Mäuse verfüttert wurden, ergaben im
Bioassay ein negatives Ergebnis.

Überleben von T.-gondii-Tachyzoiten in simuliertem Magensaft und Magensaft mit Milch im In-vitro-
Modell
T.-gondii-Tachyzoiten überleben im Magensaft mit einem pH-Wert von 6,0 und 5,0 bis zu 90, bei
pH 4,0 bis zu 30 sowie bei pH 3,0 bis zu 15, vereinzelt bis zu 30 Minuten. Bei einem pH-Wert von 2,0
sterben sie nach 30 Minuten ab. In Magensaft mit einem Zusatz von 25, 50 und 75 % Milch und in
purer Milch bleiben Tachyzoiten nach einer Inkubation bis zu 90 Minuten infektionsfähig.

Diskussion und Schlussfolgerungen


Die Ergebnisse zum Einfluss der Rohwurstreifung auf die Überlebensfähigkeit von T.-gondii-
Gewebezysten sind nicht abschließend. Sie weisen aber bereits jetzt darauf hin, dass T.-gondii-
Gewebezysten in Rohwürsten durch die Reifetemperatur von 20°C und den Salzeinfluss sehr schnell
ihre Infektiosität verlieren. Andererseits zeigten In-vitro-Versuche zur Tenazität von T.-gondii-

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 453


VPH: Lebensmittelsicherheit
Gewebezysten, dass diese bei 4°C Lagerungstemperatur, einem pH-Wert von 6,0 und unter Zugabe
von 2 % Nitritpökelsalz bis zu 4 Tage infektionsfähig blieben (13).
Die in der parasitämischen Phase der Infektion gebildeten T.-gondii-Tachyzoiten gelten allgemein
als sehr empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen. Im hoch aziden Magensaft (pH = 2,0) sterben sie
rasch ab. Erhöht sich allerdings der pH-Wert im Magensaft, z. B. unter dem Einfluss von Milch,
verlängert dies die Überlebenszeit der Tachyzoiten deutlich. Unter diesen Umständen erscheint es
zumindest bei hohen Infektionsdosen möglich, dass die Tachyzoiten eine Magenpassage überleben.
Somit könnte auch über diesen Weg eine Infektion ausgelöst werden.
Insgesamt wurden im Projekt wichtige Erkenntnisse zur Übertragung von T. gondii über
Lebensmittel gewonnen.

Literaturverzeichnis
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Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2002;45:549-55.
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swine herds. Arch Lebensmittelhyg. 2008;59(1):5-8.
3. Koethe M, Pott S, Ludewig M, Bangoura B, Zöller B, Daugschies A, et al. Prevalence of specific IgG-
antibodies against Toxoplasma gondii in domestic turkeys determined by kinetic ELISA based on
recombinant GRA 7 and GRA 8. Vet. Parasitol. 2011; in press:doi.10.10.16/j.vetpar.2011.03.036.
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8. Sharma SP, Dubey JP. Quantitative survival of Toxoplasma gondii tachyzoites and bradyzoites in pepsin
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9. Dubey JP. Re-examination of resistance of Toxoplasma gondii tachyzoites and bradyzoites to pepsin and
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10. Janitschke K. Pränatale Übertragung der Toxoplasmose von der Mutter auf das Kind. Bundesgesund-
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11. Cook AJ, Gilbert RE, Buffolano W, Zufferey J, Petersen E, Jenum PA, et al. Sources of toxoplasma
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12. Jones JL, Dargelas V, Roberts J, Press S, Remington JS, Montoya JG. Risk factors for Toxoplasma gondii
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13. Pott S, Koethe M, Ludewig M, Bangoura B, Daugschies A, Straubinger RK, Fehlhaber K. Examinations of
the tenacity of Toxoplasma gondii tissue cysts in vitro. Programme and Abstracts des National Symposium
on Zoonoses Research; 7.10. - 8.10.2010; Berlin. S. 117.

Kontaktadresse
Dr. Martina Ludewig, Institut für Lebensmittelhygiene, Universität Leipzig,
[email protected]

454 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

TSE – ein Update


Anne Balkema-Buschmann1, Christine Fast1, Martin Eiden1, Ute Ziegler1, Grit
Priemer1, Matthias Kramer2, Franz J. Conraths2, Martin H. Groschup1
1Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Greifswald-Insel
Riems; 2 Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Epidemiologie, Wusterhausen

Vor nun beinahe elf Jahren wurde im November 2000 der erste BSE-Fall bei einem in
Deutschland geborenen Rind festgestellt. Die danach ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von
BSE trugen entscheidend dazu bei, dass die BSE-Situation heute insgesamt sehr positiv bewertet
werden kann. Unter dem Einfluss der BSE-Bekämpfungsmaßnahmen gehen die Fallzahlen in der
gesamten Europäischen Union (EU) seit einigen Jahren deutlich zurück. In Deutschland wurde 2010
erstmals seit dem Jahr 2000 kein weiterer BSE-Fall festgestellt.
Dennoch werden seit 2004 weltweit vereinzelt sogenannte atypische BSE-Fälle bei älteren
Rindern nachgewiesen, sodass davon ausgegangen werden muss, dass diese Fälle spontaner
Genese sind und daher auch in Zukunft immer wieder auftreten können.

BSE im Vereinigten Königreich


Im Jahr 1985 traten die ersten Fälle von boviner spongiformer Enzephalopathie (BSE) bei
Rindern in Großbritannien auf (1). Die Tiere fielen durch langsam fortschreitende neurologische
Symptomatik auf. Nach histopathologischer Untersuchung der Gehirne solcher Tiere wurde diese
Erkrankung der Gruppe der transmissiblen spongiformen Enzephalopathien (TSEs) zugeordnet.
Hierzu zählen auch die Scrapie bei Schaf und Ziege, die Chronic Wasting Disease (CWD) bei
Zerviden, und die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung beim Menschen.
Seit 1985 wurden allein im Vereinigten Königreich mehr als 180 000 klinische BSE-Fälle bei
Rindern diagnostiziert. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass dort im Verlauf der
Epidemie mehr als dreieinhalb Millionen Rinder mit dem BSE-Erreger infiziert wurden und allein
zwischen 1974 und 1996 etwa 750 000 mit BSE infizierte Tiere unerkannt in die Nahrungskette
gelangten (2,3). Seit 2003 sind die BSE-Fallzahlen im Vereinigten Königreich deutlich rückläufig;
2010 wurden hier noch elf Fälle amtlich gemeldet.

BSE in Deutschland
Nach der Feststellung von sieben BSE-Fällen im November und Dezember 2000 wurde im Jahr
2001 bei 125 Rindern BSE amtlich festgestellt, seitdem entwickelten sich die jährlichen Fallzahlen
rückläufig. Der bisher letzte BSE-Fall wurde im Juni 2009 amtlich festgestellt. Insgesamt wurden in
Deutschland bisher (26.11.2000–31.07.2011) 413 einheimische BSE-Fälle gemeldet.
Der Nachweis des ersten einheimischen BSE-Falles führte dazu, dass unverzüglich weit
reichende Bekämpfungsmaßnahmen eingeführt und überwacht wurden. Dies umfasste die
Verfütterungsverbote, die unschädliche Beseitigung der spezifizierten Risikomaterialien (SRM) sowie
der Untersuchung aller zum menschlichen Verzehr geschlachteten und der Risikotiere ab einer
festgelegten Altersgrenze. Die derzeit geltenden Bekämpfungsmaßnahmen sowie die Pläne zum
weiteren Vorgehen, die im 2010 veröffentlichten zweiten BSE-Fahrplan dargelegt ist, wurden kürzlich
zusammengefasst (4,5).

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 455


VPH: Lebensmittelsicherheit
Epidemiologische BSE-Situation in Deutschland in den Jahren 2000–2010
Für die Festlegung von Überwachungs- und Bekämpfungsmaßnahmen ist die Kenntnis der
Altersverteilung der diagnostizierten Fälle von besonderer Bedeutung. Für die zwischen 2000 und
2010 festgestellten 413 BSE-Fälle ergibt sich ein durchschnittliches Alter von 72,6 Monaten bei der
Feststellung. Das heißt, im Durchschnitt wurde ein BSE-Rind in Deutschland etwas über sechs Jahre
alt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass ca. 98 % aller BSE-Tiere in Deutschland zum
Zeitpunkt der Probenahme älter als 48 Monate waren. Die jüngsten BSE-Rinder wurden mit 28
Monaten und das älteste BSE-Rind mit 207 Monaten (17,25 Jahre) diagnostiziert. Diese
Beobachtungen und die verbesserte epidemiologische Lage machten es vertretbar, das BSE-
Testalter in verschiedenen Überwachungssegmenten sukzessive zu erhöhen.
Neben dem Diagnosealter ist jedoch auch das Geburtsjahr des BSE-Tieres von besonderer
Bedeutung, da die Infektion des Rindes mit dem BSE-Erreger in den ersten Lebensmonaten erfolgt
und dadurch die Expositionszeiträume für die einheimische Rinderpopulation abgeschätzt werden
können. Der überwiegende Teil der bisher in Deutschland diagnostizierten BSE-Tiere (54,5 %) wurde
in den Jahren 1995 und 1996 geboren. Die Verteilung der Geburtsjahre der BSE-Rinder ist auch für
die Bewertung der Bekämpfungsmaßnahmen wichtig. So wurden lediglich zwei BSE-Tiere nach dem
wirksamen Verfütterungsverbot in Deutschland, also nach dem 1. Januar 2001 geboren.
Epidemiologische Untersuchungen im Zusammenhang mit der BSE-Feststellung erbrachten
Hinweise, dass diese Tiere sich möglicherweise mit nativem Hirnmaterial bei der Tötung von Rindern
im Rahmen der BSE-Bekämpfung infiziert haben könnten. Unabhängig davon zeigen die Daten,
dass die ergriffenen Bekämpfungsmaßnahmen sehr rasch wirksam wurden.
Die räumliche Verteilung der BSE-Fälle (Feststellungsort) in Abb. 1 zeigt eine Häufung der Fälle
im Nordwesten und im Süden der Bundesrepublik. Diese Häufung korreliert jedoch mit der Dichte der
Rinderpopulationen in den entsprechenden
Regionen. Somit ist leicht erklärbar, dass die
meisten BSE-Fälle in den Bundesländern Bayern
(34,6 %), Niedersachsen (18,4 %), Baden-
Württemberg (11,3 %) und Schleswig-Holstein
(7,7 %) festgestellt wurden. Als am meisten
betroffene Landkreise erwiesen sich die
bayrischen Landkreise Weilheim-Schongau (12
Fälle), Unterallgäu und Ostallgäu (jeweils 11
Fälle).

Abb. 1: Räumliche Verteilung der BSE-Fälle auf der


Ebene von Gemeinden im Vergleich mit der
Rinderdichte (Quantile) auf der Basis der Landkreise
und kreisfreien Städte in Deutschland (413 Fälle,
26.11.2000–31.12.2010, Quelle: TSN und Hi-Tier,
20.01.2011)

456 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Pathogenese und Erregerverteilung bei BSE-infizierten Rindern
Auch einige Jahre nach dem Auftreten der ersten BSE-Fälle war die Pathogenese dieser
Erkrankung noch weitestgehend unklar. Aus britischen Studien war lediglich bekannt, dass dem
lymphatischen Gewebe des Ileums eine zentrale Rolle bei der Erregeraufnahme zukommt. Daher
wurde am Friedrich-Loeffler-Institut eine orale BSE-Pathogenesestudie durchgeführt, deren
Versuchsaufbau an anderer Stelle beschrieben wurde (6,7). Nach Auswertung der Ergebnisse ergibt
sich folgendes Bild der BSE-Pathogenese beim Rind:
Nach der oralen Aufnahme reichert sich der Erreger zunächst in der Peyerschen Platte des
distalen Ileums, aber auch im lymphatischen Gewebe der Ileozäkalplatte und in sehr geringem
Umfang auch des Jejunums an (8). Von dort erfolgt der Transport zum zentralen Nervensystem über
die sympathischen und parasympathischen vegetativen Nervenbahnen zu den großen
Bauchganglien (hauptsächlich zum Ganglion coeliacum) und weiter zum Rückenmark. Eine
Bedeutung des lymphatischen Systems bei der BSE-Pathogenese des Rindes kann ausgeschlossen
werden, da bisher mit Ausnahme der Peyerschen Platten des Dünndarms, sowie der Tonsillen bei
oral infizierten Rindern, nie ein Erregernachweis aus der Milz oder aus anderem lymphatischen
Gewebe BSE-infizierter Rinder gelang (9–11). Der Erregertransport verläuft also, anders als bei
TSE-infizierten Schafen, beim Rind offensichtlich rein neuronal.

Tabelle 1: Zahl der atypischen BSE-Fälle weltweit (Stand: Juni 2011)


Land H-Typ L-Typ
Belgien 0 1
Dänemark 0 1
Deutschland 1 1
Frankreich 14 13
Irland 1 0
Italien 0 5
Japan 0 1
Kanada 1 1
Niederlande 1 3
Österreich 1 2
Polen 2 8
Schweden 1 0
Schweiz 1 0
USA 2 0
Vereinigtes Königreich 3 3
∑ 28 39
67

Im Endstadium der Erkrankung kommt es allerdings, vom zentralen Nervensystem ausgehend,


zu einer zentrifugalen Ausbreitung des Erregers zurück in die Peripherie. So konnte bei klinisch BSE-
kranken Rindern der Erreger im M. semitendinosus sowie in der Zungenmuskulatur und im
respiratorischen Epithel nachgewiesen werden (10,12). Dies geschieht erst in einem Stadium der

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 457


VPH: Lebensmittelsicherheit
Erkrankung, in dem die BSE-Infektion mittels Schnelltest zweifelsfrei nachweisbar ist. Somit ist die
Gewissheit gegeben, dass das Fleisch solcher Tiere nicht in die Lebensmittelkette gelangen würde,
solange alle für den menschlichen Verzehr geschlachteten Rinder oberhalb einer definierten
Altersgrenze mittels BSE-Schnelltest untersucht werden.

Atypische BSE-Fälle
Im Jahr 2004 wurden erstmals unabhängig voneinander sogenannte atypische BSE-Fälle in
Frankreich und Italien beschrieben. Sie fielen zunächst in der Immunoblot-Untersuchung durch ein
etwas abweichendes Proteinbanden-Muster auf. Alle Fälle waren bei Rindern aufgetreten, die
mindestens acht Jahre alt waren. Während bei den in Frankreich festgestellten atypischen BSE-
Fällen eine etwas höhere Molekularmasse des krankheitsassoziierten Prion-Proteins (PrPSc) zu
beobachten war, was zur Bezeichnung H-Typ BSE (entsprechend der höheren ‚higher’
Molekularmasse) führte, fielen die in Italien beobachteten Fälle durch eine vergleichsweise niedrige
Molekularmasse des PrPSc auf und erhielten daher die Bezeichnung L-Typ BSE (13,14). Die
biochemischen Charakteristika der atypischen BSE-Fällen wurden kürzlich an anderer Stelle
zusammengefasst (15).
Nach diesen neuen Erkenntnissen wurden auch die deutschen BSE-Fälle retrospektiv auf
etwaige Abweichungen des Proteinbandenmusters im Immunoblot untersucht und es konnte jeweils
ein Fall des H-Typs und ein Fall des L-Typs ermittelt werden. Der L-Typ-Fall war 2002 bei einem 15
Jahre alten Schlachtrind aufgetreten, während der H-Typ Fall 2004 bei einem 13 Jahre alten
Schlachtrind diagnostiziert wurde (16). Interessanterweise wurde dem vom H-Typ betroffenen Tier
nach Angaben des Besitzers nie Milchaustauscher oder kommerzielles Rinderfutter verabreicht,
sodass zumindest für diesen Fall ein oraler Infektionsweg nicht nachvollziehbar ist.
Das Auftreten beider Krankheitsformen ausschließlich bei alten Tieren in verschiedenen
europäischen Ländern, aber auch in Japan, Kanada, und in den USA in sehr niedrigen Fallzahlen
(Tabelle 1) weist generell auf eine spontane Genese dieser Erkrankung hin.

Pathogenese und Erregerverteilung bei atypischen BSE-Fällen


Um die Frage der Erregerverteilung in peripheren Organen bei mit atypischer BSE infizierten
Rindern zu klären, wurde am Friedrich-Loeffler-Institut eine intrazerebrale Pathogenesestudie mit
beiden atypischen BSE-Formen durchgeführt. Diese Studie ist im Detail an anderer Stelle
beschrieben (7,15). Die während dieses Versuchs asservierten Proben wurden zum Nachweis von
PrPSc-Ablagerungen in peripheren Organen mittels BSE-Schnelltest, Immunoblot und
immunhistochemischer Färbung untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass zwar die
anatomische Verteilung der PrPSc-Ablagerungen im Gehirn tatsächlich von der bei klassischer BSE
vorliegenden Konzentration auf den Hirnstamm abweicht, dass aber die das lymphatische System
und die übrigen peripheren Organe genauso bis zum Ausbruch klinischer Symptome frei von
nachweisbaren PrPSc-Ablagerungen sind.

Literaturverzeichnis
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458 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
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9. Wells GA, Hawkins SA, Green RB, Austin AR, Dexter I, Spencer YI, et al. Preliminary observations on the
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13. Biacabe AG, Laplanche JL, Ryder S, Baron T. Distinct molecular phenotypes in bovine prion diseases.
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15. Balkema-Buschmann A, Kramer M, Conraths FJ, Groschup M H. Zehn Jahre nach dem ersten
einheimischen BSE-Fall in Deutschland – ist die Tierseuche BSE getilgt? Übersichten zur Tierernährung,
im Druck.
16. Buschmann A, Gretzschel A, Biacabe AG, Schiebel K, Corona C, Hoffmann C, et al. Atypical BSE in
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Kontaktadresse
Anne Balkema-Buschmann, Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für neue und neuartige
Tierseuchenerreger, Greifswald-Insel Riems, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 459


VPH: Lebensmittelsicherheit

Untersuchungen zur antiviralen Wirkung von Starter- und


Schutzkulturen
Anett Lange-Starke1, Anja Zielonka2, Karsten Fehlhaber1, Uwe Truyen2, Thiemo
Albert1
1Institut
für Lebensmittelhygiene, veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2Institut für
Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

Einleitung
Bei Lebensmittelfermentationen (z. B. Rohwurst) werden häufig sogenannte Starterkulturen
eingesetzt, um den Herstellungsprozess zu „starten“ oder zu beschleunigen. Meist kommen
vermehrungsfähige Rein- oder Mischkulturen von Milchsäurebakterien, Staphylokokken oder Hefen
zur Anwendung, die für die Ausprägung jeweils für das Produkt erwünschter sensorischer
Eigenschaften selektiert sind. Durch Nahrungskonkurrenz sowie durch Bildung antimikrobieller
Substanzen können sie die Vermehrung von unerwünschten Mikroorganismen verhindern und somit
auch zur Konservierung von Lebensmitteln beitragen. Kulturen, die bei Lebensmitteln eingesetzt
werden, um das Wachstum von Krankheitserregern zu hemmen, werden als Schutzkulturen
bezeichnet. Häufig von Laktobazillen gebildete antimikrobielle Metabolite sind u. a. organische
Säuren, Wasserstoffperoxid, Diacetyl und Bacteriocine (1).
Inwieweit Starter- und Schutzkulturen bzw. deren Metabolite antivirale Eigenschaften besitzen,
wurde bislang nur ansatzweise geprüft. Aus der Literatur verfügbare Daten lassen jedoch ein
antivirales Potenzial vermuten. So zeigte ein von Lactobacillus (Lb.) delbrueckii sowie von
Enterococcus faecium gebildetes Bacteriocin eine hemmende Wirkung gegenüber Influenza- bzw.
Herpesviren (2,3). Eine antivirale Aktivität gegenüber dem Newcastle-disease-Virus wurde für das
von Staphylococcus aureus gebildete Bacteriocin Staphylococcin 188 beschrieben (4). Auch zellfreie
Überstände von Bakterienkulturen sowie von mit probiotischen Laktobazillen fermentierten
Joghurtsorten zeigten antivirale Eigenschaften gegenüber Influenzaviren, Coxsackieviren und
Enterovirus 71 (5,6).
Welche Mechanismen die antivirale Aktivität verursachen, ist bislang noch nicht hinreichend
bekannt. Folgende Effekte werden in diesem Zusammenhang aber diskutiert: 1) Hemmung der
viralen Adsorption; 2) Zellinternalisierung („Trapping“) der Viruspartikeln durch die Bakterienzelle; 3)
Probiotische Effekte durch Immunmodulation und Stimulierung der zellulären Immunität des Wirtes;
4) Bildung von Metaboliten mit direkter antiviraler Wirkung (7).
In diesem Zusammenhang wird im Rahmen eines drittmittelgeförderten Forschungsvorhabens*
untersucht, ob auch rohwurstrelevante Starter- und Schutzkulturen bzw. deren Metabolite antivirale
Aktivität zeigen. Ziel des Projektes ist die Selektion und Beschreibung von Kulturen bzw. von
Metaboliten, die zur Verbesserung der Produktsicherheit bei Rohwürsten im Zusammenhang mit
viralen Infektionserregern führen können.
Folgende Untersuchungen wurden hierzu durchgeführt:

Es wurden die Bacteriocine Sakacin A, Sakacin P und Nisin geprüft. Bei Sakacin A und P handelt
es sich um Metabolite der Spezies Lb. sakei und Lb. curvatus, die häufig als Rohwurststarterkulturen
verwendet werden. Für die Versuche wurden chemisch-synthetisierte Bacteriocine bezogen. Nisin
(Bacteriocin von Lactococcus lactis) wurde in Form eines zur Anwendung bei Lebensmitteln

460 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
vorgesehenen Präparates verwendet. Die antivirale Wirkung dieser Metabolite wurde gegenüber
folgenden Viren geprüft: Influenzavirus H5N6 sowie H1N1, Newcastle-disease-Virus, felines
Herpesvirus und murines Norovirus (MNV). Die Viren wurden in mit Bacteriocin supplementiertem
PBS für drei Tage (24°C, pH: 5,8–6,3) exponiert. Im Anschluss wurde die jeweilige Titerreduktion
mittels Zellkultur-Assay bestimmt.
Für die getesteten Bacteriocine konnte kein antiviraler Effekt nachgewiesen werden. In den
Versuchsansätzen mit Nisin und Sakacin A zeigte sich zwar eine Titerreduktion bei Influenzavirus
H5N6 um 1,5–2 log-Stufen, die beginnende Instabilität des Virus im geprüften pH-Wert-Bereich
(< 6,2) erschwerte jedoch die Auswertung dieser Versuchsreihen. Experimente im neutralen
pH-Wert-Bereich bestätigten, dass die Virustiterreduktion von H5N6 auf einer reinen
pH-Abhängigkeit beruht bzw. die Bacteriocine Sakacin A und Nisin nicht antiviral auf das Virus
wirken.
Die Bacteriocine Sakacin A, Sakacin P und Nisin scheinen daher nicht geeignet, um als
wirksame Metabolite direkt gegenüber Viren eingesetzt zu werden. Inwieweit diese Substanzen die
Virus-Wirtszell-Interaktion beeinflussen, konnte anhand der Versuchsanordnung nicht geprüft
werden. Diese Fragestellung bleibt daher weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Antivirale Wirkung von Kulturüberständen


Es erfolgte ein Screening von Kulturüberständen auf ihre antivirale Wirkung gegenüber MNV
sowie gegenüber Influenzaviren H1N1 und H5N6. Folgende rohwurstrelevanten Starter- und
Schutzkulturen wurden hierbei geprüft: Staphylococcus xylosus, Staphylococcus carnosus, Kocuria
varians, Lb. plantarum, Lb. paracasei, Lb. curvatus, Lb. sakei, Pediococcus acidilactici sowie
Pediococcus pentosaceus. Die Inkubationsbedingungen sowie die Virustiterbestimmung entsprachen
denen der Bacteriocinversuche.
Von insgesamt 35 geprüften Kulturüberständen konnte bei einem von Lactobacillus curvatus
gebildeten Überstand ein signifikanter antiviraler Effekt gegenüber dem Norovirus-Surrogat MNV
festgestellt werden. Die dabei möglicherweise wirksamen Metabolite sollen durch weitere
Untersuchungen näher charakterisiert werden. Die Ergebnisse können daher eine hohe Bedeutung
für die Entwicklung zukünftiger Substanzen haben, die zur Inaktivierung humaner Noroviren geeignet
sind.

Antivirale Wirkung von Milchsäure und Starterkulturen in Rohwurst


In diesem Teilprojekt wird die Virustenazität in verschiedenen Rohwurstfermentationen
(Zwiebelmettwurst, Teewurst, Salami) geprüft. Bislang wurden Studien mit frischer Rohwurst
(Zwiebelmettwurst) durchgeführt.
Es wurde untersucht, ob die Infektiosität von MNV und von Influenzavirus H1N1 durch den Grad
der Säuerung beeinflusst werden kann. Hierzu wurde experimentell-viruskontaminiertes
Zwiebelmettwurstbrät mit D/L-Milchsäure auf unterschiedliche produkttypische pH-Werte (5,9–5,2)
eingestellt und die Abnahme des Virustiters nach 24 h Reifung bei 22°C bestimmt.
MNV zeigte sich dabei als sehr pH-Wert-stabil, während bei H1N1 eine schnelle Inaktivierung
nachgewiesen werden konnte, was anhand der Virus-Wiederfindungsrate direkt nach experimenteller
Kontamination erkennbar war. Diese war umso geringer, je niedriger der pH-Wert des Brätes war.
In weiteren Versuchsreihen wurde der Einfluss von vier verschiedenen Starterkulturen gegenüber
MNV im Zwiebelmettwurstbrät untersucht. Jeweils ein Bakterienisolat der Species Lb. plantarum, Lb.
paracasei, Lb. curvatus und Lb. sakei wurde hierzu verwendet. Die Kulturen wurden in die mit MNV

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 461


VPH: Lebensmittelsicherheit
kontaminierte Zwiebelmettwurst mit jeweils einem Ausgangskeimgehalt von 106 KbE/g eingemischt.
Die Reifung wurde anhand der vorher genannten Bedingungen durchgeführt.
Die Bakterienisolate konnten sich zwar im Zwiebelmettwurstbrät gut vermehren (auf 108–
10 KbE/g), zeigten allerdings keine antivirale Wirkung gegenüber MNV. Eine Bildung von antiviralen
9

Metaboliten durch die geprüften Kulturen ist daher unwahrscheinlich. Ob dies auch für Produkte mit
längerer Reifezeit zutrifft, wird sich erst bei weiteren Experimenten mit Teewurst und Salami
herausstellen.

Schlussfolgerungen
Die bislang erzielten Ergebnisse der Studie zeigen ein nur begrenztes antivirales Potenzial von
rohwurstrelevanten Starterkulturen. Eine Einflussnahme auf die Virustenazität erscheint nur über die
Auswahl von geeigneten milchsäurebildenden Kulturen möglich zu sein. Die Reduktion des pH-
Wertes (< 5,6) in Rohwurstfermentationen durch mikrobiellen Metabolismus führt im Zusammenhang
mit Influenzaviren zur Risikominimierung.

* Dieses Vorhaben wird aus Mitteln der industriellen Gemeinschaftsforschung


(Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) via AiF über den Forschungskreis der
Ernährungsindustrie e. V. (FEI) sowie dem Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie
e. V. gefördert. AiF-Projekt Nr. AiF-FV 16509 BR.

Literaturverzeichnis
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Probiotics, the Scientific Basis. London, UK: Chapman and Hall; 1992. S. 209-24.
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Kontaktadresse
Anett Lange-Starke, Institut für Lebensmittelhygiene, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität
Leipzig, [email protected]

462 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Einsatz von Bakteriophagen zur Bekämpfung von pathogenen


Mikroorganismen in der Lebensmittelkette
Stefanie Orquera1, Stefan Hertwig2, Greta Gölz1, Thomas Alter1
1Institut für Lebensmittelhygiene, FU Berlin; 2Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

Ein wissenschaftliches Feld, das in den letzten Jahren wieder an Interesse gewonnen hat, ist der
Einsatz von virulenten (lytischen) Bakteriophagen zur Bekämpfung pathogener Mikroorganismen.
Bakteriophagen kommen in fast allen Lebensräumen vor (z. B. in der Umwelt, im Darm von Tieren
und Menschen) und können in einer erheblichen Anzahl aus Fleisch und Milch isoliert werden.
Bakteriophagen besitzen dabei eine hohe Wirtsspezifität. Sie infizieren häufig nur eine
Bakterienspezies oder sogar nur einzelne Stämme einer Spezies.
In verschiedenen Studien wurde bereits die Wirksamkeit des Einsatzes von lytischen
Bakteriophagen zur Bekämpfung pathogener Mikroorganismen in der Lebensmittelkette
nachgewiesen (1-3).
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat im Jahr 2009 ein Gutachten
erstellt, in dem sie den Einsatz von Bakteriophagen in der europäischen Lebensmittelindustrie für
sinnvoll erachtet und als wirksam ansieht (4). Jedoch bestehe noch erheblicher Forschungsbedarf
auf diesem Gebiet, vor allem, um die Wirkung von Bakteriophagen bei möglichen Rekontaminationen
von Lebensmitteln durch die entsprechenden Mikroorganismen zu beschreiben und die Dauer der
Phagenaktivität bzw. das Überleben der Phagen unter lebensmitteltechnologischen Prozessen bzw.
im Endprodukt zu ermitteln (4). Nach Einschätzung der Autoren lassen die derzeitig verfügbaren
Daten keine Aussage darüber zu, ob Bakteriophagen auch bei Rekontaminationen von
Lebensmitteln wirksam sind.
Generell können zwei Wirkmechanismen bei lytischen Bakteriophagen unterschieden werden.
Bakteriophagen können in geringer Zahl Bakterien infizieren, sich in ihnen vermehren und durch
Lyse die Zellen zerstören (Lyse von innen). Liegt das Verhältnis Bakterium/Phage bei 1:100 oder
höher, kommt es häufig zur Lyse von außen (5). Hierbei adsorbieren so viele Phagen an die
Bakterienzelle, dass die bakterielle Membran kollabiert und dadurch die Zellen zerstört werden, ohne
dass sich die Phagen in den Bakterien vermehrt haben.

Preharvest-Einsatz
Erfolgreiche Ansätze bestehen bereits bei der Bekämpfung von enterotoxischen E. coli-
Infektionen von Kälbern, Lämmern und Schweinen durch Bakteriophagen. Gleichzeitig wurden
bereits in vitro- und in vivo-Versuche zur Preharvest-Applikation von lytischen Phagen zur Senkung
der quantitativen Belastung bzw. der Prävalenz von Salmonella, Campylobacter und E. coli O157:H7
in Lebensmittel liefernden Tieren durchgeführt (6). Einzelne Präparate sind bereits in den USA
zugelassen. Jedoch besteht auf diesem Gebiet noch erheblicher Forschungsbedarf. Besondere
Herausforderungen sind die Auswahl und die Charakterisierung der einzusetzenden Phagen, die Art
und Weise und der Zeitpunkt der Applikation und die Sicherstellung der Phagenaktivität von der
Produktion bis zum Einsatz. Offene Fragestellungen sind weiterhin die Bedeutung von
Resistenzbildungen bei Bakterien nach Phagenkontakt und mögliche Wechselwirkungen mit
Zielbakterien in der Stallumgebung.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 463


VPH: Lebensmittelsicherheit
Postharvest-Einsatz
Eine Vielzahl von Arbeiten befasst sich mit der Wirkung von Phagen auf Listeria (L.)
monocytogenes (7). Jedoch wurden auch Studien zum Einsatz von Bakteriophagen zur Bekämpfung
von Salmonella, Campylobacter, E. coli O157:H7, Cronobacter sakazakii, Staphylococcus aureus,
Yersinia enterocolitica (eigene Arbeiten) und Verderbniserregern in verschiedensten
Lebensmittelmatrizen durchgeführt (8-13).
Derzeit ist ein kommerziell eingesetztes Phagenpräparat zur Bekämpfung von L. monocytogenes
(Listex P100, Fa. MICREOS BV) erhältlich, das eine FDA-Zulassung für den US-amerikanischen
Markt besitzt. FDA und USDA haben im Jahr 2007 dem Präparat Listex P100 für alle Lebensmittel
den GRAS-Status (Generally Recognized As Safe) zuerkannt. Das Schweizer Bundesamt für
Gesundheit erlaubt den Einsatz von Listex P100 bei der Herstellung von Käse. MICROES BV geht
davon aus, dass das Präparat als nicht zulassungs- und deklarationspflichtiger
Verarbeitungshilfsstoff eingesetzt werden kann (14). Diese rechtliche Einordnung wird auch von
anderen Lebensmittelherstellern und deren Verbänden vertreten. Die Europäische Kommission kam
hingegen zu der Auffassung, dass zur Behandlung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs
eingesetzte Bakteriophagen entweder als zulassungspflichtige Lebensmittelzusatzstoffe oder als
genehmigungspflichtige Stoffe zum Zwecke der Entfernung von Oberflächenverunreinigungen im
Sinne des Artikels 3 (2) der VO(EG) 853/2004 anzusehen sind. In der 63. Arbeitstagung des ALTS
vom 8.-10. Juni 2009 wurde diese Problematik nochmals angesprochen (15). Der Autor betonte,
dass die kommerzielle Verfügbarkeit eines Bakteriophagenpräparates zur Bekämpfung von L.
monocytogenes zu Anfragen bei den Überwachungsbehörden geführt habe. Es sei zu klären, wie der
Einsatz von Phagen rechtlich einzuordnen ist. Voraussetzung zur Klärung dieser Fragestellung ist
die Verfügbarkeit von Daten, die das Verhalten von Phagen in Lebensmitteln nach technologischer
Verarbeitung beschreiben. Zudem müssen Nachweisverfahren etabliert werden, die eine
routinemäßige Überprüfung von Lebensmitteln auf das Vorhandensein von Bakteriophagen
ermöglichen.

Ausblick
Es ist zu erwarten, dass in den kommenden Jahren die kommerzielle Entwicklung von
Phagenpräparaten für die Lebensmittelindustrie weiter intensiviert wird. Voraussetzung für den
Einsatz ist die Klärung der offenen Fragestellungen, die u. a. in der EFSA-Stellungnahme
zusammengefasst wurden.

Literaturverzeichnis
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strategies to reduce the burden of human campylobacteriosis. Rev Sci Tech. 2006;25(2):581-94.
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considerations. Curr Pharm Biotechno. 2010 Jan;11(1):58-68.
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safety applications. Ann Rev Food Sci Technol. 2010;1:1-21.
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464 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
8. Bielke LR, Higgins SE, Donoghue AM, Donoghue DJ, Hargis BM, Tellez G. Use of wide-host-range
bacteriophages to reduce Salmonella on poultry products. Int J Poult Sci. 2007;6(10):754–7.
9. Atterbury RJ, Connerton PL, Dodd CE, Rees CE, Connerton IF. Application of host-specific
bacteriophages to the surface of chicken skin leads to a reduction in recovery of Campylobacter jejuni.
Appl Environ Microbiol. 2003;69(10):6302-6.
10. Sharma M, Patel JR, Conway WS, Ferguson S, Sulakvelidze A. Effectiveness of bacteriophages in
reducing Escherichia coli O157:H7 on fresh-cut cantaloupes and lettuce. J Food Prot. 2009;72(7):1481.
11. Kim K, Klumpp J, Loessner M. Enterobacter sakazakii bacteriophages can prevent bacterial growth in
reconstituted infant formula. Int J Food Microbiol. 2007;115(2):195–203.
12. Obeso JM, Martinez B, Rodriguez A, Garcia P. Lytic activity of the recombinant staphylococcal
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13. Greer GG, Dilts BD. Control of Brochothrix thermosphacta of pork adipose tissue using bacteriophages. J
Food Prot. 2002;65(5):861–3.
14. Teufer T, von Jagow C. Das grosse Fressen - Bakteriophagen in der Lebensmittelherstellung: eine
rechtliche Einordnung. Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (ZLR). 2007(1):25-50.
15. Loheis M. Einsatz von Bakteriophagen zur Biokontrolle von pathogenen Keimen in der
Lebensmittelproduktion. 63. Arbeitstagung des ALTS; 8.-10. Juni 2009; Berlin.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Thomas Alter, Institut für Lebensmittelhygiene, Berlin, [email protected]
berlin.de

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 465


VPH: Lebensmittelsicherheit

Die Bedeutung von Vibrio spp. für den gesundheitlichen


Verbraucherschutz – Stand und Ausblick
Stephan Hühn1, Ralf-Peter Pund2, Eckhard Strauch2, Greta Gölz1, Thomas Alter1
1Institut für Lebensmittelhygiene, FU Berlin; 2Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

Einleitung
Vibrionen sind gramnegative, halotolerante Bakterien, die weltweit in Meeresgewässern und
Brackwassergebieten, wie Flussmündungen, verbreitet sind. In vielen, vor allem äquatornahen
Ländern bilden pathogene Vibrio-Spezies (V.) einen der Hauptverursacher von bakteriell
verursachten Durchfallerkrankungen. Die Infektionen werden überwiegend durch den Verzehr von
kontaminierten Fischen, Fischprodukten und Meeresfrüchten sowie durch belastetes Trinkwasser
hervorgerufen. Hierbei sind die meisten durch Verzehr von Meeresfrüchten auftretenden Infektionen
V. parahaemolyticus zuzuschreiben, wohingegen nur wenige Infektionen durch V. cholerae
verursacht werden (1). Jedoch fehlt eine übergreifende Bewertung des Risikos von pathogenen
nicht-Cholera-verursachenden Vibrionen in Zentraleuropa.

Tabelle 1: Prävalenz von Vibrio spp. in Meeresfrüchten in Deutschland


Probenmaterial Prävalenz Isolierte Vibrio spp. Autor

Muscheln 50 % V. alginolyticus (45 %) (2)


Rohe Garnelen 35 % V. cholerae non O1 (14 %)
V. parahaemolyticus (9 %)
Hitzebehandelte Garnelen 7%
Fische, Krebse, Muscheln 18 % meist V. parahaemolyticus (3)
Miesmuscheln (aus 74 % V. alginolyticus (51 %) (4)
Erzeugungsgebieten) V. parahaemolyticus (40 %)
V. vulnificus (4 %)
Muscheln (Einzelhandel) 92 % V. alginolyticus (70 %)* (5)
V. fluvialis (35 %)
V. parahaemolyticus (20 %)
Muscheln (Einzelhandel) 7% V. parahaemolyticus (100 %) (6)
Garnelen (Einzelhandel) 32 % V. parahaemolyticus (82 %)*
V. cholerae (31 %)
V. vulnificus (19 %)
Fischprodukte (Einzelhandel) 2%
Muscheln (Einzelhandel) 50 % V. alginolyticus (63 %) (7)
V. parahaemolyticus (15 %)
V. cholerae non O1/non O139
(5 %)
* mehr als eine Vibrio-Spezies in einzelnen Proben nachweisbar

466 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Stand Deutschland
Auch in unseren Breiten können Vibrio-Infektionen aufgrund der globalen Klimaerwärmung und
durch die Zunahme des weltweiten Handels mit Meeresfrüchten an Bedeutung gewinnen. In
Deutschland wurden nach Untersuchungen zum Vorkommen von Vibrio spp. in Muscheln und
Garnelen hohe Nachweisraten für diese Bakterien detektiert (Tabelle 1). Hierbei konnten auch
potenziell pathogene Vibrio spp., wie V. parahaemolyticus detektiert werden. Ein Nachweis der
Hämolysin-codierenden Gene tdh/trh in den detektierten Stämmen war jedoch äußerst selten.
Allerdings gelangen Vibrio-Nachweise auch aus verzehrfertigen sowie gegarten Garnelen (2). Von
sämtlichen pathogenen Vibrio-Spezies sind lediglich die Cholera-verursachenden V. cholerae-
Infektionen nach IfSG meldepflichtig. Hierdurch könnte die Bedeutung der durch V. parahaemolyticus
und anderen Vibrio spp. verursachten enterischen Erkrankungen unterbewertet sein.

Schlussfolgerungen
Die Einhaltung der guten Herstellungspraxis über die gesamte Lebensmittelkette ist für die
Minimierung der potenziellen Gefahr von Vibrio-Infektionen durch den Verzehr von Meeresfrüchten
essenziell. Gerade die Einhaltung der Kühlkette von der Ernte bis zum Einzelhandel trägt wesentlich
dazu bei, eine mögliche Vermehrung von Vibrio spp. in den Produkten zu minimieren. Da diese bei
einer natürlichen Kontamination von 102-103 KbE/g (V. parahaemolyticus) und 20-35°C schon nach 2
bis 3 h eine für den Menschen infektiöse Dosis (105-107 KbE) erreichen können.

Literaturverzeichnis
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2. Sieffert M, Stolle A. Nachweis und Differenzierung von Vibrio spp. in Krusten- und Schalentieren.
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Qualität von Muscheln unter besonderer Berücksichtigung der Campylobacter spp.- und Vibrio spp.-
Population. 49 Arbeitstagung des Arbeitsgebietes 2008; Garmisch-Partenkirchen: DVG.
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Vorkommens von Vibrionen in Muscheln. RFL. 2011;63:93-6.

Kontaktadresse
Dr. Stephan Hühn, Institut für Lebensmittelhygiene, Fachbereich Veterinärmedizin, FU Berlin,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 467


VPH: Lebensmittelsicherheit

Chronischer Botulismus in einem sächsischen Milchviehbestand –


Ergebnisse der bakteriologischen und immunologischen
Untersuchungen und der durchgeführten Bekämpfungsmaßnahmen.
Monika Krüger1, Jürgen Neuhaus1, Kemal Gökce1, Hans-Georg Möckel2, Wieland
Schrödl1
1Institut für Bakteriologie und Mykologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig,
2Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramt des Vogtlandkreises

Einleitung
Seit Jahren wird in Deutschland zunehmend eine chronische, äußerst verlustreiche Herden-
erkrankung in Milchviehbeständen festgestellt, die anfangs durch allgemeine Symptome wie
Leistungsabfall unklarer Genese, gehäufte Lahmheiten, Verdauungsstörungen sowie therapie-
resistentes Festliegen mit häufig letalem Ausgang bei frisch laktierenden Kühen gekenn-zeichnet ist.
Erkrankte Tiere zeigen Bulbärparalyse sowie Lähmungen der Skelettmuskulatur. Lid-, Pupillen- und
Ohrreflex sind fast immer eingeschränkt. Mitunter liegt auch eine Zungen-lähmung vor. Der
Hautreflex in der Schulterregion und der Analreflex fallen häufig aus. Oft liegt auch eine
Schwanzlähmung vor. Die Stellreflexe der Kühe sind gestört, sie stehen breit-beinig, schwanken
oder kreuzen die Beine. Die Tiere laufen zögerlich und unwillig. Der Gang zeigt vorwiegend in der
Hinterhand typische Einschränkungen wie Nachschleifen der Klauen (Lähmung des Nervus
ischiadicus), Einknicken des Knie- und Sprunggelenks (Lähmung des Nervus fibularis) sowie eine
überzogene Außenrotation der Hintergliedmaße (Lähmung des Nervus obturatorius). Häufig können
Probleme bei der Wasser- (Tier säuft nicht in großen Zügen) und Futteraufnahme (Tiere kauen
Futterwickel) festgestellt werden. Auch das autonome Nervensystem ist beeinträchtigt, der Speichel
wird mukös, der Kot hart, der Pansen arbeitet schwach, das Wiederkauen lässt deutlich nach und
Harn wir in kleinen Mengen abgesetzt. Die Erkrankung ist häufig nicht nur mit Clostridium botulinum
verbunden, sondern mit dem erhöhten Nachweis mehrerer Clostridienspezies (C.) (4). Die Ursachen
für das Erkrankungsgeschehen, das in den Milchviehbeständen in der Regel über Jahre und
seuchenhaft verläuft, werden in der Tierärzteschaft, unter Fachwissenschaftlern und amtlichen
Tierseuchenbekämpfern in Deutschland seit Jahren kontrovers diskutiert, wobei den „Experten […]
eigennützige wirtschaftliche Interessen“ unterstellt werden (2). Ein großer Teil der klinischen
Symptome kann mit der Wirkung von C. botulinum-Neurotoxinen im Körper der Tiere in Beziehung
gebracht werden. C. botulinum gehört zu den ubiquitären, bodenbürtigen, sporenbildenden
Anaerobiern, die auch im Magen-Darm-Trakt (MDT) von Menschen und Tieren vorkommen. Der
Erreger bildet sieben (A-G) strukturell verwandte, doch antigenetisch verschiedene Neurotoxine. C.
botulinum ist eine heterogene Spezies, die aus vier physiologisch und phylogenetisch verschiedenen
Gruppen besteht (1). Toxinproduktion und Sporenbildung sind wesentliche Virulenzfaktoren des
Erregers. Als Erkrankungsformen sind Intoxikationen (klassischer Botulismus) bei Menschen und
Tieren wissenschaftlich akzeptiert. Intestinaler und Wundbotulismus, die mit der Inkorporierung des
Erregers oder seiner Sporen mit anschließender Toxinbildung verbunden sind, werden bisher nur
beim Menschen allgemein bestätigt. Der intestinale, chronische Botulismus bei Tieren, besonders bei
Rindern, ist demgegenüber wissenschaftlich umstritten. Das ist vor allem bedingt durch noch
vorhandene Schwierigkeiten in der Diagnostik von Toxin und Erreger, mangelnder Kenntnisse zu

468 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
den Umweltfaktoren, die das Wachstum der Erreger und die Toxinbildung entweder im Futtermittel
oder im MDT beeinflussen sowie über die Erreger- und/oder Toxinmengen im MDT, die zu einer
Erkrankung führen.
Mit den eigenen Untersuchungen in einem sächsischen Milchviehbestand und den getroffenen
Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung soll ein Beitrag zum Verständnis dieser wichtigen Rinderkrankheit
geleistet werden.

Tabelle 1: Ergebnisse der Untersuchungen auf C. botulinum Typ CD im Kot und Serumantikörper
gegen C. botulinum Typ ABE sowie CD von Kühen aus einem sächsischen
Milchviehbestand vor und nach der Immunisierung mit einem polyclostridiellen sowie C.
botulinum Typ CD-Impfstoff
Zeitpunkt n C C D D IgG IgG
direkt indirekt direkt indirekt ABE CD
≥ 100 % ≥ 100 %
1. Unters. 148 48,0 % 1,3 % 16,7 % 17,3 % 14,2 % 10,8 %
2. Unters. 150 0,7 % 0,0 % 9,3 % 18,7 % -*** 9,3 %
Topinamb.*
3. Unters. 142 0,7 % 0,0 % 0,0 % 0,7 % 4,3 % 72,3 %
Grundimpf.
4.Unters.** 131 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 1,5 % 36,7 %
* nach Topinambursubstitution
** nach 3. polyclostridieller Impfung
*** nicht untersucht

Material und Methoden


Untersuchungsmethoden
Im August 2010 wurden in einem sächsischen Milchviehbestand an 110 Kühen im Alter von über
30 Monaten, 49 Tieren ohne Kalbung im Alter zwischen 12 und 30 Monaten sowie 18 weiblichen
Kälbern zwischen 9 und 12 Monaten Untersuchungen zum direkten und indirekten Nachweis sowie
zur Bekämpfung von C. botulinum begonnen (ein Großteil der Tiere zeigte die klinische Symptomatik
wie unter Punkt 1). Dazu wurde der Tierbestand einer gesundheitlichen Bonitur unterzogen und 13
Tiere aufgrund eines erheblich reduzierten Allgemeinzustandes zur Euthanasie und 12 weniger stark
geschädigte Tiere zur alsbaldigen Schlachtung identifiziert. Der direkte Toxinnachweis und der
indirekte Erregernachweis (Toxinanreicherung) erfolgten mittels ELISA auf der Basis von
affinitätschromatografisch gereinigten polyklonalen Kaninchenantikörpern gegen die schweren
Ketten (Bindungsproteine) der Neurotoxine A, B, C, D und E in Kot, Pansensaft sowie Organen und
Darminhalten verendeter oder euthanasierter Tiere. Der indirekte Erregernachweis (Antikörper)
erfolgte mittels ELISA gegen steril filtrierte Mischkulturüberstandsantigene der Toxovare ABE und
CD. Weiterhin wurden Futter-, Wasser-, Bodenproben auf C. botulinum untersucht. Der gesamte
Tierbestand wurde im Zeitraum vom 07.09.2010 bis 07.03 2011 viermal bakteriologisch und
serologisch untersucht. Am 09.11.2010 wurden von je 10 Tieren der Haltungsgruppen Vorbereiter,
Frischabkalber (im Alter von 0-5 Wochen post partum), Hochleistende (im Alter von 6-20 Wochen
post partum), Besamungsfärsen und Trockensteher Poolproben (Blut) klinisch-chemisch untersucht.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 469


VPH: Lebensmittelsicherheit

Maßnahmen zur Bekämpfung der Erkrankung


Der gesamte Bestand wurde zweimal im Abstand von drei Wochen mit dem polyclostridiellen
Impfstoff Bravoxin und um zwei Wochen zeitversetzt mit Ausnahmegenehmigung mit dem
südafrikanischen C. botulinum Typ CD-Impfstoff grundimmunisiert. Zur Vorbereitung auf die Impfung
wurden die Tiere ab drei Wochen vor der ersten Impfung bis drei Wochen danach mit täglich 250 ml
Topinambursirup über die TMR substituiert. Aufgrund einer nicht einsetzenden Verbesserung der
klinischen Situation der Tiere erfolgte eine dritte Bravoxinimpfung am 20.01.2011.

Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchungen gehen aus den Tabellen 1 bis 4 hervor.

Tabelle 2: Ergebnisse der Untersuchungen auf C. botulinum Typ CD im Kot und Serumantikörper
gegen C. botulinum Typ ABE sowie CD von Jungvieh (im Alter von 9-12 Monaten) aus
einem sächsischen Milchviehbestand vor und nach der Immunisierung mit einem
polyclostridiellen sowie C. botulinum Typ CD-Impfstoff
Zeitpunkt n C C D D IgG IgG
direkt indirekt direkt indirekt ABE CD
≥ 100 % ≥ 100 %
1. Unters. 14 13,3 % 6,6 % 0,0 % 0,0 % 7,1 % 14,2 %
2. Unters. 19 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % - 10,5 %
Topinamb.*
3. Unters. 22 - - - - -*** 95,4 %
Grundimm.
4.Unters .** 14 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 58,5 %
* nach Topinambursubstitution
** nach 3. polyclostridieller Impfung
*** nicht untersucht

Tabelle 3: Ergebnis der Untersuchungen auf C. botulinum von verendeten oder euthanasierten
Tieren aus einem sächsischen Milchviehbestand vor und nach Impfmaßnahmen
n Impfung d*A dB dC dD dE i**A iB iC iD iE
ante
23 4,3 % 4,3 % 60 % 82,6 % 0,4 % 0,0 % 0,0 % 8,7 % 0,0 % 417,4 %
vacc.
post
5 40 % 20 % 40 % 40 % 0,0 % 0,0 % 20 % 0,0 % 0,0 %
vacc.
* direkt
** indirekt

470 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

Tabelle 4: Ergebnisse der Untersuchungen von Futter-, Tränkwasser, Gülle- und Bodenproben auf
C. botulinum
Substrat n A B C D E
Silage 5 0 1 0 0 0
Heu 2 0 0 0 0 0
Kraftfutter 2 0 0 1* 1* 1*
Wasser 9 0 0 4 5 0
Gülle 5 0 1** 0 1** 1**
Boden 7 0 0 0 0 0
* identische Probe
** identische Probe

Diskussion
Als Bodenmikroorganismus ist C. botulinum in der Umwelt und im MDT von Milchkühen
nachweisbar. Mit dem verwendeten Nachweissystem werden in Kot, Darmchymus oder Organen
Neurotoxinkonzentrationen nachgewiesen, die oberhalb 100-500 minimaler mausletaler Dosen
(MLD) liegen. Bisher existieren keine experimentellen Untersuchungen an Rindern, die die
Sporendosis oder die Bedingungen im MDT für die Induktion eines viszeralen Botulismus erarbeitet
haben. Moeller et al. gehen von einer Akkumulation der Neurotoxine an den peripheren Nerven aus
(3). Welche Toxinmengen vom Dickdarm ausgehend für die Induktion eines derartigen
Erkrankungsgeschehens notwendig sind, ist unklar. In den eigenen Untersuchungen konnte sowohl
mittels direktem Toxinnachweis als auch indirektem Erregernachweis im Kot der Tiere C. botulinum
Typ C und D nachgewiesen werden. Dass die Tiere Kontakt zum Erreger hatten, war auch über die
spezifischen Antikörpertiter vor der Impfung ersichtlich. Durch die Impfmaßnahmen, die
insbesondere beim Jungvieh sehr hohe, bei den Kühen nur bei ca. 40 % der Tiere hohe
Antikörpertiter induzierten, ist es zwar gelungen, die Erregerausscheidung über den Kot im
Gesamtbestand zu eliminieren, doch auf die klinischen Erscheinungen und auf die Tierleistung
hatten die Impfmaßnahmen keinen Effekt, da die Tierhalter wesentliche Fütterungs- und
Managementfehler nicht abstellen konnten.

Literaturverzeichnis
1. Cooksley CM, Davis IJ, Winzer K, Chan WC, Peck MW, Minton NP. Regulation of neurotoxin production
and sporulation by a putative agrBD signaling system in proteolytic Clostridium botulinum. Appl. Environm.
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4. Schwagerick B. Visceraler Botulismus – klinisches Bild. „5. Bayrischer Tierärztetag, 2-5.Juni, 2011. ISBN
987-3-934302-19-8; 2011; S. 316-8.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Monika Krüger, Institut für Bakteriologie und Mykologie, Veterinärmedizinische Fakultät,
Universität Leipzig, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 471


VPH: Lebensmittelsicherheit

Wie belastet ist unsere Rohmilch? – Untersuchungen zum


Vorkommen von MRSA und enterotoxinbildenden Staphylococcus
aureus–Stämmen in Thüringer Milchviehbeständen
Katharina Schlotter1, Karsten Donat1, Helmut Hotzel2
1Tiergesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse, Jena; 2Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für
bakterielle Infektionen und Zoonosen, Jena

Hintergrund
Als einer der häufigsten Erreger boviner Mastitiden hat Staphylococcus aureus nicht nur
entscheidenden Einfluss auf die Eutergesundheit der Milchkühe, sondern ist zudem aus
lebensmittelhygienischer Sicht bedeutsam.
Unter geeigneten Bedingungen kann sich dieser Erreger im Lebensmittel Milch vermehren und
Enterotoxine produzieren, die im Gegensatz zum eigentlichen Keim sehr widerstandsfähig
gegenüber Hitzeeinwirkung sind (1). Voraussetzung für die Toxinbildung ist neben dem Erreichen
einer Keimzahl von mindestens 105/g Lebensmittel das Vorhandensein entsprechender Enterotoxin-
Gene, wobei die Genausstattung verschiedener Staphylococcus aureus z. T. erheblich variiert (2,3).
Die Aufnahme der Enterotoxine durch den Konsumenten führt nach einer kurzen Inkubationszeit
von zwei bis sechs Stunden zu gastrointestinalen Symptomen. Diese enden in der Regel nach ein
bis zwei Tagen, jedoch kann es in seltenen Fällen zu lebensbedrohlichen kreislaufbedingten
Schockzuständen kommen (2, 4).
Neben den fünf sogenannten klassischen Enterotoxinen A-E wurden in den letzten Jahren
weitere Typen beschrieben, die mit SEG (Staphylococcal Enterotoxin G) bis SEV bezeichnet werden
(4-6). Verschiedene Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Fähigkeit zu gastrointestinalen
Symptomen zu führen, auf die Enterotoxine A-E, sowie evtl. SEH, SEG und SEI beschränkt ist (6,7).
Aufgrund der fehlenden oder bislang nicht nachgewiesenen emetischen Aktivität der Enterotoxine
SEJ-SEV werden diese von einigen Autoren auch als „staphylococcal enterotoxin-like“ (SEl)
bezeichnet (8,4).
Im Hinblick auf das Resistenzverhalten der in Rohmilch vorkommenden Staphylokokken ist das
Auftreten Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) von lebensmittelhygienischer
Relevanz. Diese Staphylokokken verfügen über ein verändertes, durch mecA kodiertes Penicillin-
bindendes Protein (PBP2a), das sich durch eine sehr niedrige Affinität zu Methicillin und den meisten
anderen β-Laktam-Antibiotika auszeichnet (9). Die dadurch bedingte Resistenz gegenüber β-
Laktamen wird häufig von Resistenzen gegenüber anderen Antibiotikaklassen begleitet (10).
Die bei Nutztieren nachgewiesenen MRSA gehören in der Regel dem Komplex CC398 an, der
beim Menschen selten invasive Infektionen hervorruft (11,12).
Aufgrund der vorgeschriebenen Pasteurisierung wird die Rolle von Konsummilch als Überträger
von MRSA auf den Menschen als gering eingeschätzt. Rohmilch bzw. Rohmilchprodukte hingegen
kommen als Vehikel in Frage (13).

Zielstellung, Material und Methoden


Ziel der durchgeführten Untersuchungen war es, Aufschluss über das genetische Potenzial der in
Thüringer Milchviehherden vorkommenden Staphylokokken hinsichtlich Enterotoxinbildungs-
vermögen und Resistenzverhalten zu erhalten.

472 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
81.567 Viertelgemelksproben aus 34 Thüringer Betrieben wurden im Rahmen von
Gesamtbestandskontrollen bakteriologisch untersucht. Staphylococcus aureus konnte in 1.902
Proben nachgewiesen werden. Mittels DNA-Chip-Technologie (StaphyType; CLONDIAG, Jena,
Deutschland) fand eine umfassende Charakterisierung von 189 für die Bestände repräsentativen
Staphylococcus aureus-Isolaten statt.

Ergebnisse
Enterotoxine
148 (78,3 %) der untersuchten Isolate verfügten über Enterotoxin-Gene, wobei die Gene von
SEG, SEI, SEM, SEN, SEO und SEU in unseren Untersuchungen dominierten. Diese Enterotoxin-
Gene sind auf einem gemeinsamen Genkomplex lokalisiert (egc-Cluster) und konnten bei 77,8 % der
Isolate detektiert werden.
Die Gene der klassischen Enterotoxine wurden bei 24 (12,7 %) Isolaten nachgewiesen. Dabei
überwog das Enterotoxin C-Gen, das bei 23 Isolaten (12,2 %) festgestellt wurde. Die Gene der
Enterotoxine D und E wurden nicht gefunden.

MRSA
Vier Isolate waren mecA-positiv (2,1 %) und konnten dem Komplex CC398 zugeordnet werden.
Sie entstammten unterschiedlichen Betrieben und waren neben ihrer Resistenz gegenüber β-
Laktam-Antibiotika auch resistent gegenüber Tetrazyklinen. Weitere Resistenzgene waren selten. In
der Bouillon-Mikrodilution wurde bei jeweils einem der vier Isolate eine Resistenz gegenüber
Makroliden/Lincosamiden, Fluorchinolonen und Aminoglykosiden festgestellt (Tabelle 1).
Enterotoxin-Gene sowie die beiden Gene des humanmedizinisch bedeutsamen Panton-
Valentine-Leukozidins waren nicht vorhanden.

Tabelle 1: Mittels Bouillon-Mikrodilution ermitteltes Resistenzverhalten der isolierten MRSA


Wirkstoffgruppe Wirkstoff MRSA-Isolat
1 2 3 4
β-Laktame Oxacillin R R R R
Benzylpenicillin R R R R
Cefuroxim R R R R
Tetracycline Tetracyclin R R R R
Fluorchinolone Levofloxacin R S S S
Moxifloxacin R S S S
Makrolide Erythromycin S R S S
Trimethoprim Trimethoprim R R R S
Lincosamide Clindamycin S R S S
Aminoglykoside Gentamycin S S R S
Tobramycin S S R S
Glykopeptide Vancomycin S S S S
Teicoplanin S S S S
Oxazolidinone Linezolid S S S S
Epoxyd-Antibiotika Fosfomycin S S S S
Fusidinsäure Fusidinsäure S S S S

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 473


VPH: Lebensmittelsicherheit
Diskussion
Grundsätzlich war im Großteil der untersuchten bovinen Staphylococcus aureus-Isolate das
Potenzial zur Enterotoxinbildung vorhanden. Allerdings handelte es sich weniger um Gene der
„klassischen“ Enterotoxine A–E, als vielmehr um Gene von Enterotoxinen, deren Zusammenhang mit
humanen Lebensmittelvergiftungen noch nicht eindeutig geklärt ist. Darüber hinaus lassen die
Ergebnisse der verwendeten DNA-Chips keine Aussage zu den tatsächlich exprimierten
Enterotoxinen zu. Selbst bei Vorhandensein der entsprechenden Gene kann bei Optimierung der
Verarbeitung und Lagerung des Lebensmittels keine Enterotoxin-Produktion erfolgen.
Verglichen mit Untersuchungen zum Vorkommen von MRSA in Geflügelfleisch, bei denen
Prävalenzen von bis zu 37,2 % ermittelt wurden, ist die in Rohmilch festgestellte MRSA-Prävalenz
von 2,1 % sehr gering (14,15). Dieser Wert untermauert Ergebnisse früherer deutscher Studien mit
ähnlichen MRSA-Prävalenzen (16,17). Auch außerhalb Deutschlands berichten verschiedene
Autoren von einer geringen Bedeutung Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus im
Zusammenhang mit bovinen Mastitiden (18,19).
Die nähere Charakterisierung der MRSA-Isolate ergab weiterhin eine geringe Ausstattung mit
Virulenz- und Resistenz-assoziierten Genen. Ob diese Eigenschaft auch in Zukunft fortbesteht, muss
beobachtet werden.

Literaturverzeichnis
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474 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
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Kontaktadresse
Katharina Schlotter, Thüringer Tierseuchenkasse, Jena, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 475


VPH: Lebensmittelsicherheit

Fischhaltung in Aquakultur – Bedeutung und lebensmittelhygienische


Aspekte
Edda Bartelt, Henner Neuhaus, Martina Weber, Stefan Effkemann
Institut für Fische und Fischereierzeugnisse, Cuxhaven, Niedersächsisches Landesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Die Bedeutung der Aquakultur


Der „Code of Practice for Fish and Fishery Products” des Codex Alimentarius definiert die
Aquakultur als die Aufzucht aquatischer Lebewesen, die für den menschlichen Verzehr vorgesehen
sind, während ihres gesamten oder teilweisen Lebenszyklus (mit Ausnahme von Meeressäugern,
Reptilien und Amphibien) (1). Im Sinne der Aquakultur-Richtlinie der EU erfolgt in der „Aquakultur“
die Aufzucht von Wasserorganismen mit entsprechenden Techniken und dem Ziel der
Produktionssteigerung über das unter natürlichen Bedingungen mögliche Maß hinaus, wobei die
Organismen während der genannten Aufzucht oder Haltung, einschließlich Ernte bzw. Fang,
Eigentum einer oder mehrerer natürlicher oder juristischer Personen bleiben (2). Die Aquakultur ist
einer der sich am schnellsten entwickelnden Zweige der Produktion tierischer Lebensmittel. Neben
den bekannten Lachs-, Forellen- und Austernzuchten werden zunehmend neue Fischarten, vor allem
Meerestiere, in Aquakulturanlagen produziert. Während das Fangvolumen der Meeresfischerei seine
Grenzen erreicht hat, nimmt seit 1970 der Anteil der Aquakultur an der globalen Versorgung mit
Fisch, Krusten-, Schalen- und Weichtieren mit einer jährlichen Wachstumsrate von 8,3 %
kontinuierlich zu. Bei einem seit den 90er Jahren stagnierenden Gesamtaufkommen an Fischen und
Fischereierzeugnissen von ca. 90 Mio. t pro Jahr betrug im Jahr 2009 der Anteil der Aquakultur an
der weltweiten Versorgung mit Fischen und Fischereierzeugnissen bereits 45,7 % (China: 80,2 %).
Das Züchten, Aufziehen und Inverkehrbringen von Fischen bzw. ihrer Erzeugnisse stellt für in
diesem Sektor arbeitende Personen eine wichtige Einkommensquelle dar. Asien nimmt mit einem
Anteil von 88,8 % die wichtigste Position in der weltweiten Aquakulturproduktion ein. Zu den 10
wichtigsten Nationen der Aquakulturproduktion gehören China, Indien, Vietnam, Thailand,
Indonesien, Bangladesh, Chile, Japan, Norwegen und die Philippinnen, wobei China mit 62,3 % den
größten Anteil an der weltweiten Versorgung mit tierischen Erzeugnissen aus der Aquakultur hat. Die
Europäischen Länder beteiligen sich mit 8 % an der gesamten Aquakulturproduktion.
Die häufigste Produktionsform der Aquakultur erfolgt mit Süßwasser (59,9 %), die marine
Aquakultur trägt mit 32,3 % zum Aufkommen bei. Die marine Aquakultur ist durch die Produktion
hochwertiger und hochpreisiger Fischarten, Krustentieren und Abalonen sowie die Produktion großer
Mengen von zweischaligen Weichtieren wie Muscheln und Austern gekennzeichnet.
Die Aquakultur liefert 54,7 % der weltweiten Süßwasserfischproduktion, gefolgt von
zweischaligen Weichtieren (24,9 %), Krustentieren (9,5 %), diadromen Fischarten (6,3 %) und
marinen Fischarten (3,4 %). Die Produktion der Süßwasserfischarten erfolgte vor allem bei Karpfen
(Cyprinidae) vorrangig in China, Indien, Bangladesch, Vietnam, gefolgt von den Welsartigen
(Pangasius spp.), vorrangig in Vietnam. Die Produktion zweischaliger Weichtiere betrifft v. a.
Austern, gefolgt von Venusmuscheln, Miesmuscheln und Jakobsmuscheln. Krustentiere werden
sowohl im Süßwasser, Salzwasser als auch in Brackwasser produziert. Die Aquakultur diadromer
Fischarten wird vom Atlantischen Lachs (Salmo salar) (44 %), der Regenbogenforelle (Salmo trutta)
(17,4 %) und dem Aal (Anguilla japonica und Anguilla anguilla) dominiert. Bezüglich der

476 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Seefischarten hat sich besonders die Produktion von Plattfischen mit den bedeutendsten Spezies
Steinbutt (Psetta maxima), Amerikanischer Butt (Paralichthys olivaceus) und der Rotzunge
(Cynoglossus semilaevis) sowie die Produktion von Dorsch (Gadus morrhua) (Norwegen!)
entwickelt. Ähnlich zu anderen landwirtschaftlichen Produktionsformen gewinnt die Nutzung
insbesondere in Asien eingeführter Spezies zunehmende Bedeutung (z. B. Tilapia, bestimmte
Garnelen-Arten) (3).

Lebensmittelsicherheit und Aquakultur


Die intensiven oder semiintensiven Aquakultursysteme sind gekennzeichnet durch höhere
Besatzdichten, Zukäufe großer Besatzeinheiten aus Zucht- oder Aufzuchtanlagen, die Verwendung
von Alleinfutter und der möglichen Verwendung von Tierarzneimitteln u. a. Therapeutika (1). Im
Hinblick auf lebensmittelhygienische Aspekte sind daher die Spezifika der Haltungssysteme, der
Fütterung, des Abfischens und des Transportes bis zur Schlachtung zu berücksichtigen. Obgleich
sich die anschließenden Prozessschritte und somit lebensmittelhygienische Fragestellungen der
Schlachtung und Verarbeitung von Fischereierzeugnissen aus Aquakultur nicht unterscheiden von
denen aus Wildfängen, sind dennoch die Besonderheiten des Eintrages mikrobieller und chemischer
Risiken aus der Aquakultur zu berücksichtigen.

Tabelle 1: Beispiele für Gefahren aus der Primärproduktion von Fischen und Fischerei-
erzeugnissen (preharvest)
Mikrobielle Chemische Physikalische
Gefahrenl Gefahren Gefahren
Parasiten Humanpathogene Chemikalien, Pestizide, Fremdkörper Metall-
Gattungen: Kontaminanten Herbizide, teile
Trematoden, Algizide, Fungizide,
Nematoden, Cestoden Antioxidantien
(Futterzusatz)
Bakterien Salmonella, Shigella, Tierarzneimittel, Antibiotika,
E. coli, Rückstände Wachstumsförderer,
Vibrio cholerae, andere
Vibrio Tierarzneimittel,
parahaemolyticus, Futterzusatzstoffe
Vibrio vulnificus
Viren Norovirus Schwermetalle Metalle geogenen
und anthropogenen
Ursprungs
Toxine Marine Biotoxine, Verschiedenes Öle
Biogene Amine

Gefahrenanalyse und lebensmittelhygienische Aspekte


Aquakultur- Erzeugnisse weisen im Allgemeinen die gleichen lebensmittelassoziierten Gefahren
auf wie sie in den korrespondierenden Arten aus Wildfängen auftreten können. Dies bezieht sich im
Besonderen auf die Risiken des Verderbs, sodass die gleichen Anforderungen an die Behandlung

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 477


VPH: Lebensmittelsicherheit
von frischem Fisch, Fischfilets oder –stücken gelten, aber auch grundsätzlich auf die Gefahren im
Zusammenhang mit der Primärproduktion, Behandlung und Verarbeitung von Fischen und
Fischereierzeugnissen (Tabellen 1,2). Hohe Besatzdichten können allerdings im Vergleich zu
natürlichen Lebensbedingungen das Risiko von Kreuzinfektionen mit Pathogenen innerhalb einer
Population erhöhen und sich zudem negativ auf die Wasserqualität und letztlich auch Fischqualität
auswirken. Andererseits können Fischarten aus der Aquakultur durch die kontrollierte Fütterung ein
geringeres Risiko aufweisen als Wildfänge z. B. im Hinblick auf die Belastung mit Parasiten oder
anderen, mit der Nahrung oder dem Wasser assoziierter Gefahren.
Mit der Entwicklung der Aquakultur wachsen die Herausforderungen an die
Umweltverträglichkeit, Produktqualität und Lebensmittelsicherheit. Potenzielle Gefahren, die
spezifisch für die Aquakultur sind, umfassen die Tierarzneimittelrückstände bei unzulässiger
Anwendung, die in den Produktionsformen angewandten Chemikalien sowie mögliche mikrobielle
Kontaminationen fäkalen Ursprungs. Insofern ist die Risikoabschätzung zu pathogenen Erregern,
chemischen Kontaminanten, Rückständen von Chemotherapeutika sowie der
Antibiotikaresistenzentwicklung in Erzeugnissen der Aquakultur besonders wichtig.
An ausgewählten Beispielen zu mikrobiellen Risiken (Listerien, Vibrionen, Salmonellen, Viren)
der extensiven Aquakultur (Miesmuschelkulturen, Forellenteichwirtschaften) sowie zu chemischen
Risiken durch Rückstände pharmakologisch wirksamer Substanzen in Aquakulturerzeugnissen
werden aktuelle Untersuchungen und Ergebnisse vorgestellt.

Tabelle 2: Beispiele für Gefahren in der weiteren Behandlung und Verarbeitung von Fischen und
Fischereierzeugnissen (postharvest)
Mikrobielle Chemische Physikalische
Gefahrenl Gefahren Gefahren
Pathogene Listeria Chemikalien, Reinigungs- und Fremdkörper Metall-
Erreger monocytogenes, Kontaminanten Desinfektionsmittel teile,
Clostridium botulinum, (falsche Applikation scharf-
Staphylococcus aureus und/oder kantige
Verwendung nicht Teile von
geeigneter Mittel) Gegen-
Kondensate ständen

Viren Hepatitis A, Rotavirus Zusatzstoffe, Verbotener Zusatz,


Inhaltsstoffe falsche Applikation
Biotoxine Scombrotoxin und
andere Biogene Amine,
Staphylokokken-
Enterotoxine,
Botulinumtoxin

478 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Literaturverzeichnis
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für Tiere in Aquakultur und Aquakulturerzeugnisse und zur Verhütung und Bekämpfung bestimmter
Wassertierkrankheiten; DE Amtsblatt der Europäischen Union L 328/14 vom 24.11.2006.
3. FAO (2010): The State of world fisheries and Aquakulture; 2010.
4. www.fao.org.

Kontaktadresse
Dr. Edda Bartelt, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
(LAVES), Institut für Fische und Fischereierzeugnisse (IFF) Cuxhaven,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 479


VPH: Lebensmittelsicherheit

Überlegungen zu den Einsatzmöglichkeiten von Nebenprodukten der


Schlachtung von Nutztieren in der Ernährung von Nutzfischen
Frank Liebert
Georg-August-Universität Göttingen, Department für Nutztierwissenschaften der Fakultät für
Agrarwissenschaften, Lehrstuhl für Tierernährungslehre

Ausgangslage
Der Anfall von Nebenprodukten aus der Schlachtung von Nutztieren liegt in der Größenordnung
von 42 Prozent (Rinder), 34 Prozent (Schweine) bzw. 60 Prozent (Geflügel) der jeweiligen
Lebendmasse bei der Schlachtung (1). Bei der Schlachtung von mehr als 50 Mio. Schweinen pro
Jahr in Deutschland mit 115 kg Lebendmasse wäre von knapp 2 Mio. t Frischmasse an
Nebenprodukten auszugehen, die zu mehr als 50 Prozent von gesund geschlachteten Tieren ohne
erkennbare Anzeichen für übertragbare Krankheiten (Kategorie 3 Material n. VO EG 1774/2002)
anfallen dürften (2). Nach Dampfdruckbehandlung, Trocknung und Konfektionierung ist die
Weiterverwendung derzeit energetisch möglich (Verbrennen der organischen Substanz). Zudem ist
der Einsatz als Pflanzendünger (Düngemittel VO vom 16.12.2008) möglich, wenn mindestens
Material der Kategorie 2 (gefallene Tiere, nicht durch eine Tierseuche verursacht) verwendet wurde.
Jedoch stellt sich die Pflanzenverfügbarkeit des enthaltenen Phosphors ohne zusätzliche technische
Behandlung als nicht ausreichend dar (3), insbesondere in den Aschen nach thermischer Nutzung
der Nebenprodukte. Es besteht Einsatzverbot bei lebensmittelliefernden Nutztieren, nicht aber im
Petfood-Bereich. Damit wurden im Jahr 2009 nur knapp 50 Prozent der Proteine der Kategorie 3 als
Futtermittel genutzt (2).
Aus aktueller Sicht (VO EG 1292/2005) bestehen in der Fischernährung im Vergleich zu
warmblütigen Nutztieren die geringeren Einschränkungen für die Verwendung von „Processed
Animal Proteins“ (PAP); es liegt bislang aber keine Freigabe für Geflügel- und Schweinemehle vor.
Für Blutmehle, Blutprodukte von Nichtwiederkäuern sowie von Nichtwiederkäuern gewonnene
Gelatine und hydrolysierte Proteine (<10 kDa) ist eine Verwendung im Fischfutter erlaubt.
Ungeachtet der dem vorbeugenden Verbraucherschutz dienenden sehr restriktiven Möglichkeiten zur
Wiederverwertung hochwertiger Nährstoffquellen bei Lebensmitteltieren, kommt der Ernährung von
Nutzfischen besondere Relevanz zu.

Argumente für einen bevorzugten Einsatz bei Nutzfischen


Es gibt besondere Gründe, die eine Verwendung dieser Nährstoffressourcen aus
Nebenprodukten besonders im Bereich Fischfutter interessant erscheinen lassen:
1. Höchste Wachstumsraten in der globalen Aquakulturentwicklung zur Erzeugung
hochwertiger Nahrungsproteine für die Humanernährung.
2. Die Aquakultur verbraucht den größten Anteil der globalen Erzeugung von Fischmehl bzw.
Fischöl (ca. 50 % bzw. ca. 80 %).
3. Das Aufkommen an Fischmehl/Fischöl stagniert (2009 nach IFFO: ca. 4,8 Millionen t bzw.
ca. 1 Million t), stellt einen entscheidenden Kostenfaktor und zugleich einen begrenzenden
Faktor für die Aquakulturentwicklung dar.

480 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Im Gegensatz zum Intraspeziesverbot bei warmblütigen Nutztieren bietet der Umstand, dass
Fische auch andere Fische verzehren, offenbar keinen Anhaltspunkt für eine gesellschaftlich zu
versagende Akzeptanz der mindestens erforderlichen Fischmehlanteile, insbesondere im Futter
karnivorer Fischarten. Deutlich stärker fällt demgegenüber die Kritik an der Art und Weise der
Rohstoffgewinnung für die Herstellung von Fischmehl aus. Eine „Plünderung der Meere“ (Leibniz
Institut für Meereswissenschaften, Kiel), nicht zuletzt durch industriell betriebenes Abfischen zur
Fischmehlherstellung, dürfte aus Gründen des Artenschutzes berechtigterweise keine Perspektive
haben. Aber auch Fischmehl aus der Verarbeitung von Speisefisch gerät zunehmend in den Fokus,
da nach Einschätzung derselben Einrichtung 30-80 Prozent der vermarkteten Fische, trotz
Einhaltung der diesbezüglichen Vorgaben, die Geschlechtsreife nicht erreichen. Unter aktuellen
europäischen Bedingungen bestehen verschärfte Einschränkungen für Fangquoten von ca. 90
Beständen in Nord- und Ostsee sowie im Nordatlantik. Diese stellen eine weitere Begrenzung für
den Anfall von Nebenprodukten der Verarbeitung von Fischen dar. Insgesamt wird damit dringend
nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, die unter weitgehendem Verzicht auf die Ressource Fischmehl
eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Erzeugung hochwertiger Nahrungsproteine aus
Aquakultur ermöglichen. Das inzwischen in 2010 abgeschlossene Projekt AquaMax im 6. EU-
Rahmenprogramm hat die bestehenden Möglichkeiten für eine Reihe wichtiger Aquakulturkandidaten
eruiert und Empfehlungen abgeleitet (Tabelle 1). Empfehlungen zum Einsatz von Nebenprodukten
als Beitrag zur Entlastung des Fischmehlverbrauches werden in Anbetracht futtermittelrechtlicher
Gegebenheiten nicht abgeleitet.

Tabelle 1: Ziele des abgeschlossenen EU-Projektes AquaMax für einen geringeren Anteil von
Fischmehl/Fischöl im Alleinfutter wichtiger Fischarten
Ist 2005 Ziel 2010
Fischmehl Fischöl Fischmehl Fischöl
Atlantischer Lachs 35-47 25-33 12-16 8-12
Forelle 30-35 20-25 5 5
Seebrasse 40-45 15-20 15 10
Karpfen 20-25 5-10 0 0

Es wird aber deutlich erkennbar, dass drastische Einschränkungen beim Verbrauch an


Fischmehl/Fischöl im Aquafeed möglich sind. Da im globalen Maßstab plantivore Karpfenartige die
Plätze 1-5 der bedeutendsten Spezies in der Aquakultur belegen, wäre aus quantitativer Sicht in
diesem Bereich die stärkste Entlastung möglich (4). Allerdings spielen in der Aquakultur der global
führenden Karpfenartigen traditionell kostengünstigere Futtermittel die entscheidende Rolle.
Signifikante Mengen an Fischmehl und Fischöl werden auch künftig in Aquakultursystemen mit
karnivoren Fischarten eingesetzt, die insbesondere vor allem national stark nachgefragt werden.
Jedoch wird diese, auch im europäischen Vergleich besondere, nationale Nachfragestruktur in
Deutschland mit einem Anteil an Seefischen von nahezu 65 Prozent (FIZ, 2010) auch durch den
Fischfang abgedeckt, wobei etwa 87 Prozent der in Deutschland verkauften Fische importiert
werden. Alle hier kurz dargestellten Fakten sprechen für eine umfassende Verwendung hochwertiger
tierischer Nährstoffträger aus der Verarbeitung einschlägiger Nebenprodukte der Kategorie 3. Dies
ist jedoch keine direkte Folgerung aus AquaMax, denn in diesem Rahmen wurde insbesondere nach
pflanzlichen Alternativ-Proteinen gesucht. Auch Raps- und Kartoffelprotein, ebenso wie die

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 481


VPH: Lebensmittelsicherheit
Körnerleguminosen Erbse und Lupine, werden als grundsätzlich geeignete Austauschproteine
klassifiziert, jedoch nach z. T. erheblicher futtermitteltechnologischer Bearbeitung zur Minderung von
möglichen antinutritiven Effekten. „Creating a vegetarian salmon“ steht sicher noch nicht auf der
Tagesordnung, aber die Richtung ist vorgegeben (5).

Wissenschaftliche Voraussetzungen und Fazit


Untersuchungen zu dieser Problematik wurden bei Nutzfischen bereits in den 80iger Jahren, also
lange vor BSE durchgeführt, vor allem um kostengünstige Protein- und Phosphorressourcen zu
nutzen und einen Beitrag zur Rezyklierung hochwertiger Nährstoffquellen zu leisten.
Ernährungsphysiologische Möglichkeiten und Grenzen sind also weitgehend bekannt. Traditionelle
Futterzusammensetzungen für Nutzfische fasst Tabelle 2 zusammen.

Tabelle 2: Traditionelle Hauptkomponenten in Aquafeed (in Prozent des Alleinfutters) und Trends
()
Omnivore Karnivore
Spezies Spezies*
Getreide (Mais, Weizen) 30 10
Ölsaatenverarbeitungsprodukte
56 8 ()
(Soja, Raps, Baumwolle, Sesam)
Corngluten (neu: Maisproteinkonzentrate) - 5
Fischmehl 10 50 ()
Fischöl 2 25 ()
* Global führend ist China, aber nur 7 % karnivore Spezies in Aquakultur

Derzeit beläuft sich der Anteil der Erzeugung von Aquafeed auf ca. 3 Prozent der gesamten
Mischfutterherstellung und wird mit etwa 25 Millionen t pro Jahr geschätzt, wovon alleine China ca.
56 Prozent erzeugt (6). Allerdings entfallen vermutlich mehr als 70 Prozent des global erzeugten
Aquafeeds auf nicht karnivore Spezies, womit einerseits eine Entlastung des Fischmehlverbrauches
einhergeht, andererseits aber auch nur ein begrenztes Potenzial für den Einsatz proteinreicher
tierischer Nebenprodukte aus der Schlachtung von Nutztieren besteht. Es müssen also für eine
sinnvolle Nutzung der anfallenden Proteinmengen auch klassische Nutztierarten wieder zunehmende
Beachtung finden. Hierfür fehlt es derzeit an einer offensiven Debatte und demzufolge an einem
ernsthaften Konsensversuch, der Chancen und Risiken aus aktueller Sicht bewertet. Während des
letzten internationalen Kongresses zur Fischernährung (Qingdao, China 2010) diskutierte ein
Workshop zum Thema „Alternative feed protein sources“ die Risiken von tierischen Nebenprodukten
(von Wiederkäuern!) in Aquafeed und ordnete die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von BSE
über den Fisch auf den Menschen als astronomisch gering ein (7). Anzumerken ist, wir haben in
Europa noch keinen Konsens über die Verwendung eines sortenreinen Tiermehls von
Nichtwiederkäuern der Kategorie 3 in Aussicht. Eine sachbezogene Auseinandersetzung mit diesem
Nachhaltigkeitsverzicht unter Beachtung aller realen Risiken gehört auf die Tagesordnung politischer
Entscheidungsträger.

482 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Literaturverzeichnis
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Kontaktadresse
Prof. Dr. Frank Liebert, Georg-August-Universität Göttingen, Department für Nutztierwissenschaften
der Fakultät für Agrarwissenschaften, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 483


VPH: Lebensmittelsicherheit

Qualität von ökologischen und konventionellen Aquakulturfischen


Horst Karl, Monika Manthey-Karl
Max Rubner-Institut, Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch, Hamburg

Einleitung
Der Weltfischfang einschließlich der Fischproduktion aus der Aquakultur betrug im Jahr 2009
nach Angaben der FAO ca. 145 Mio. t, davon wurden 115 Mio. t für die menschliche Ernährung
genutzt, der Rest diente der Herstellung von Futtermitteln (1). Der Anteil der Aquakultur stieg in den
letzten Jahren kontinuierlich an und lag 2009 mit 55,1 Mio. t bei ca. 46 % der Gesamtversorgung der
Weltbevölkerung mit Fischen, Krebsen, Muscheln und Algen.
Definitionsgemäß versteht man unter Aquakultur „die Aufzucht oder Haltung von
Wasserorganismen mit entsprechenden Techniken mit dem Ziel der Produktionssteigerung über das
unter natürlichen Bedingungen mögliche Maß hinaus; die betreffenden Organismen bleiben während
der gesamten Aufzucht oder Haltung, einschließlich Ernte bzw. Fang, Eigentum einer natürlichen
oder juristischen Person“ ((EG) Nr. 1198/2006 des Rates vom 27. Juli 2006 über den Europäischen
Fischereifond).
Diese kontrollierte Aufzucht hat auch in Deutschland eine lange Tradition. Schon im Mittelalter
wurden Karpfen gezüchtet und dienten vielen Mönchen und Adligen als erlaubte und gern
gegessene Fastenspeise. Seitdem hat die Vielfalt der Aquakulturprodukte auf dem deutschen Markt
erheblich zugenommen. Neben Karpfen und Forellen findet man heute u. a. Steinbutt, Doraden und
Wolfsbarsche aus mediterranen Zuchtanlagen, Garnelen aus Teichanlagen in Südostasien, Lachse
aus den Netzkäfigen Norwegen, Irlands oder Schottlands und Pangasiusfilets aus Vietnam sowie
Tilapien aus China in den Fischtheken.
Zuchtlachs ist heute mit 141 200 t eine der wichtigsten Fischarten auf dem deutschen Markt, dies
entspricht einem Marktanteil von 11,4 % (2). Aber auch Pangasius (Marktanteil 5,8 %) und Forelle
(Marktanteil 3,9 %) werden vom Verbraucher mehr gekauft als Makrele, Rotbarsch oder Kabeljau.
Die Erzeugung und Vermarktung ökologisch erzeugter Zuchtfische steht in Deutschland noch am
Anfang. 2009 wurden insgesamt ca. 260 t Biokarpfen und –forellen gezüchtet (3). Dazu kommt noch
der Verkauf von Biolachsprodukten. Die genaue Absatzmenge ist nicht bekannt.

In der ökologischen Aquakultur hat wie im ökologischen Landbau die artgerechte Tierhaltung
oberste Priorität.
Einzuhalten sind dabei folgende Grundsätze/Kriterien:
 Lebensbedingungen müssen das natürliche Verhalten sowie eine artgerechte
Nahrungsaufnahme ermöglichen.
 Haltung und Betrieb dürfen keine schädigende Wirkung auf die Tiere und die Umwelt
haben.
 Geringe Besatzdichte.
 Im Futter enthaltenes Fischmehl/Fischöl muss aus den Überresten der Verarbeitung von
Fischen für den menschlichen Verzehr stammen.
 Im Krankheitsfall sind Naturheilverfahren der konventionellen Tiermedizin vorzuziehen.

484 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Die genauen Richtlinien sind in den EG Verordnungen Nr. 834/2007 über die
ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen
Erzeugnissen und (EG) Nr. 710/2009 zur Änderung der VO Nr. 889/2008 mit
Durchführungsvorschriften für die Produktion von Tieren und Meeresalgen in
ökologischer/biologischer Aquakultur enthalten. Ihre Einhaltung wird streng von den zuständigen
Kontrollorganisationen wie Naturland oder anderen Ökoverbänden überwacht.
In der Verbrauchererwartung gelten ökologisch hergestellte Lebensmittel im Allgemeinen als
gesünder, besser schmeckend, schadstoffärmer und umweltfreundlicher. Bisher fehlten allerdings
vergleichende wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Aquakultur.
Am Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch des Max Rubner-Instituts wurden in
den letzten Jahren im Rahmen mehrerer Projekte umfangreiche Qualitätsvergleiche von ökologisch
und konventionell erzeugten Fischen durchgeführt.
Vorgestellt werden die Ergebnisse der vergleichenden Untersuchungen von Lachs, Pangasius
und Regenbogenforelle.

Sind Produkte aus der ökologischen Aquakultur besser?


Um diese Frage beantworten zu können, muss man zunächst definieren, welche Erwartungen
der Verbraucher an die Qualität und Lebensmittelsicherheit von Aquakulturprodukten stellt.
Der Begriff Qualität umfasst eine Vielzahl von positiven Eigenschaften, die in optimaler bzw.
guter Ausprägung vorhanden sein sollten.
Ein qualitativ hochwertiges Aquakulturprodukt soll folgende Attribute haben:

Es soll
 gut schmecken sowie
 frei von Fehlaromen,
 frisch,
 frei von Rückständen,
 umweltverträglich aufgezogen,
 mikrobiologisch einwandfrei,
 ganzjährig verfügbar und
 möglichst günstig im Preis sein.

Vergleichende Untersuchungen von ökologisch und konventionell gezüchteten Lachsen


Im Zeitraum 2002 bis 2004 wurden insgesamt 100 Proben des Atlantischen Lachses (Salmo
salar) aus ökologischer und konventioneller Zucht untersucht. Die Ökolachse (30 Stück aus
ökologischer Zucht) und die Wildlachse (20 Stück) stammten aus Irland, die Farmlachse (alle aus
konventioneller Zucht) wurden aus Irland (30 Stück) und Norwegen (20 Stück) bezogen. Alle Fische
waren frisch, stammten aus Netzkäfigen und hatten „Superior Quality“. Die Besatzdichte der
Ökolachse betrug 10 kg pro m3, die der Farmlachse 15-20 kg pro m3 (Norwegen) bzw. 25 kg pro m3
(Irland).
Verglichen wurden die Grundzusammensetzung, die Gehalte an erwünschten Inhaltsstoffen wie
Selen, Vitamin D, die Fettsäurezusammensetzung und der Anteil an Carotinoiden sowie die
unerwünschten organischen und anorganischen Rückstände, die sensorischen Eigenschaften und
physikalisch-chemische Parameter wie das Aromaprofil und die Farbe.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 485


VPH: Lebensmittelsicherheit
Es wurden keine generellen Unterschiede im Fettsäuremuster zwischen den Gruppen der
Farmlachse und der Ökolachse gefunden. Auch die Gehalte an Vitamin D waren vergleichbar.
Alle hatten vergleichbar niedrige Schadstoffgehalte. Ökologisch aufgezogene, konventionell
gefarmte und wild lebende Lachse waren auf Grund der unterschiedlichen Futter anhand der
Carotinoidzusammensetzung und ihres Astaxanthin-Isomerenmusters deutlich zu unterscheiden. Die
Sensorik von heißgeräucherten Lachsportionen ergab keine einheitliche Qualitätseinschätzung oder
Bevorzugung. Die Beurteilung hing stark vom Fettgehalt ab.

Vergleich von Regenbogenforellen aus konventioneller und ökologisch zertifizierter Aufzucht


In mehreren Studien wurden verschiedene Aufzuchtbedingungen einschließlich einiger
Futterversuche untersucht und die Produktqualität von Portionsforellen und geräucherten Forellen
aus ökologischer und konventioneller Zucht in Deutschland verglichen. Insgesamt wurden über 700
Forellen sensorisch, chemisch und physikalisch untersucht.
Alle eingesetzten Untersuchungsverfahren ergaben keine erkennbaren Qualitätsunterschiede
zwischen ökologisch und konventionell aufgezogenen Forellen. Die Qualität war generell hoch und
gekennzeichnet durch einen reinen Geschmack, niedrige Keimbelastung und geringe
Rückstandsgehalte. Die Forellen hatten relativ hohe Anteile an den Omega-3- Fettsäuren EPA und
DHA sowie hohe Vitamin D-Gehalte (4).
Viele der kleinen Zuchtbetriebe produzieren sehr naturnah und unterscheiden sich von
ökologischen Betrieben nur durch den Einsatz von konventionellem Futter.

Vergleich von Pangasiusfilets aus konventioneller und ökologisch zertifizierter Aufzucht


In den letzten Jahren hat sich mit dem Süßwasserfisch Pangasius (Pangasius hypophthalmus)
eine neue Fischart aus der Aquakultur sehr erfolgreich auf dem deutschen Markt positioniert.
Angeboten wird fast ausschließlich aufgetaute oder gefrostete Filetware, die eine hohe
Verbraucherakzeptanz besitzt.
Pangasius oder Schlankwels wird in Vietnam seit mehr als 15 Jahren im Mekong-Delta in vielen
kleinen Farmen gezüchtet. Der Fisch wird manuell in modernen, EU-zugelassenen
Verarbeitungszentren zu enthäuteten IQF-Filets (Individual Quick Frozen) verarbeitet.
Ökologisch und konventionell produzierte Pangasiusfilets zeigten große Unterschiede in der
Zusammensetzung. Die Rohproteingehalte der konventionellen Filets waren mit 13,3-15,7 % deutlich
niedriger als die der ökologischen mit 17,0-17,4 %. Umgekehrt waren ihre Wassergehalte gegenüber
der Ökoware erhöht. Durch weitergehende Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass
vielen der konventionell produzierten Filets Wasser und wasserbindende Mittel zugesetzt werden (5).

Zusammenfassung
Die Qualität von Zuchtfischen hängt von vielen Faktoren ab, sodass eine generelle Aussage zur
Qualitätseinstufung von ökologisch und konventionell gezüchteten Fischen nicht möglich ist.

Literaturverzeichnis
1. FAO Fisheries and Aquaculture department. The State of World Fisheries and Aquaculture 2010.
http://www.fao.org/docrep/013/i1820e/i1820e00.html
2. Fisch-Informationszentrum e.V. Fischwirtschaft Daten und Fakten 2010. www.fischinfo.de
3. Hiller J, Wichmann Th. Durchführung einer vergleichenden Betriebszweigauswertung zwischen ökologisch
und konventionell wirtschaftenden Aquakultur-Betrieben. Abschlussbericht: 08OE017 Bundesprogramm

486 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Ökologischer Landbau. http://forschung.oekolandbau.de/BOELN-ID-
Schnellzugriff.49.0.html?&tx_blnews2eprints_pi1[sort]=fkz
4. Manthey-Karl M, Karl H, Lehmann I, Meyer C, Ostermeyer U, Schubring R. Quality of organically and
conventionally farmed rainbow trout (Onchorhynchus mykiss) and smoked products thereof from the
German market. Arch. Lebensmittelhyg. 2010;61:40-9.
5. Karl H, Lehmann I, Rehbein H, Schubring R. Composition and quality attributes of conventionally and
organically farmed Pangasius fillets (Pangasius hypophtalmus) on the German market. International
Journal of Food Science & Technology 2010;45:56-66.

Kontaktadresse
Dr. Horst Karl, Max Rubner-Institut, Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch, Hamburg,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 487


VPH: Lebensmittelsicherheit

Anwendungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich und


Probleme der Lebensmittelsicherheit
Ralf Greiner, Kathleen Oehlke
Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, Karlsruhe

Anwendungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich


Technisch hergestellte Nanomaterialien bieten für die Lebensmittelindustrie interessante
Anwendungsmöglichkeiten (1). Forschungsaktivitäten zielen auf die Entwicklung von Lebensmitteln
mit verbessertem Geschmack und Aroma bzw. verbesserter Farbe, Textur und Konsistenz.
Außerdem soll die Absorption und Bioverfügbarkeit von Nährstoffen und bioaktiven Substanzen
erhöht werden. Darüber hinaus wird an der Verbesserung der Qualität, Haltbarkeit und Sicherheit der
Lebensmittel durch neue Verpackungssysteme gearbeitet. Diese Lebensmittelverpackungen
enthalten antimikrobiell wirkende Substanzen, besitzen eine verbesserte mechanische Stabilität oder
weisen verbesserte Barriereeigenschaften gegenüber Kohlendioxid, Sauerstoff und Wasser auf. Ein
weiterer Ansatzpunkt wird in der Integration von Nanosensoren und Nanoindikatoren in die
Lebensmittelverpackung gesehen. Diese dienen zur Rückverfolgbarkeit der Produkte bzw. zur
Überwachung der Lebensmittel während des Transports und der Lagerung hinsichtlich Frische und
Kontamination mit Verderbsorganismen, pathogenen Keimen, Allergenen oder Toxinen. Weiterhin
werden nanoskalige Beschichtungsmaterialien für Produktionsanlagen und Küchenutensilien
entwickelt, um die Oberflächenbeschaffenheit zu optimieren bzw. die Reinigung zu erleichtern. Viele
der möglichen Anwendungen technisch hergestellter Nanomaterialien im Lebensmittelsektor
befinden sich zurzeit noch im Forschungsstadium oder kurz vor der Markteinführung. In einigen
Ländern sind jedoch schon Produkte mit technisch hergestellten Nanomaterialien für den
Lebensmittelsektor kommerziell erhältlich. Das wirtschaftliche Potenzial von technisch hergestellten
Nanomaterialien wird im Allgemeinen als groß eingeschätzt. Solange die Risikoabschätzung
allerdings nicht geklärt ist, wird das Potenzial nicht ausgeschöpft werden können.

Sicherheit von „Nano-Lebensmitteln“


Die Ansichten über die Anwendung von Nanotechnologien im Lebensmittelsektor gehen weit
auseinander. Die Befürworter verweisen auf die Chancen z. B. einer längeren Haltbarkeit der
Lebensmittel oder ihrer verbesserten hygienischen bzw. ernährungsphysiologischen Qualität, die
Kritiker dagegen heben auf die möglichen gesundheitlichen Folgen wie z. B. Nerven- oder
Zellschäden ab. Allein aufgrund ihrer geringen Größe sind Nanomaterialien allerdings nicht per se
als gefährlich einzustufen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sehr oft die
Meinung vorherrscht, Nanotechnologien seien immer mit der Generierung von Nanomaterialien
verbunden. Das ist doch keineswegs der Fall. Nanotechnologien, d. h. Herstellungsmethoden mit
einer Präzision im Nanometerbereich, können auch zur Herstellung größerskaliger Materialien und
Strukturen genutzt werden und auch bei Anwendung konventioneller Verfahren entstehen
Nanomaterialien oder Nanostrukturen.
Im Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über die Bewertung
potenzieller Risiken der Anwendung von Nanotechnologien in der Lebens- und Futtermittelkette wird
ausgeführt, dass sich die bewährten internationalen Ansätze für die Risikobewertung auch auf
technisch hergestellte Nanomaterialien anwenden lassen. Eine Risikobewertung setzt sich demnach

488 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
in der Regel aus den vier Elementen Gefahrenidentifizierung, Gefahrencharakterisierung,
Expositionsabschätzung und Risikocharakterisierung zusammen und beschreibt die
Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines gesundheitlichen Effektes. Für eine valide Risikobewertung
sind somit Kenntnisse der toxikologischen Kenngrößen der zu bewertenden Substanz als auch
Daten zur Menge, die ein Mensch aufnimmt, erforderlich.

Exposition mit synthetischen Nanomaterialien durch Lebensmittel


Belastbare Daten zur Exposition des Menschen mit synthetischen Nanomaterialien durch
Lebensmittel liegen bisher nicht vor. Dies spiegelt einerseits die Schwierigkeiten wider, Informationen
von der Industrie über den Einsatz synthetischer Nanomaterialien im Lebensmittelsektor zu erhalten.
Zum anderen sind kaum Daten zum Übergang synthetischer Nanomaterialien von
Lebensmittelkontaktmaterialien auf Lebensmittel vorhanden. Außerdem fehlt eine verbindliche
Abgrenzung und Definition der Nanotechnologie bzw. synthetischer Nanomaterialien. Dies erzeugt
Unsicherheiten in Bezug auf die Zuordnung eines Prozesses, eines Materials oder einer Struktur zur
Nanotechnologie. Der Zusatz „Nano“ wird auch zu Werbezwecken genutzt, ohne dass die Produkte
synthetische Nanomaterialien enthalten. Die Ermittlung der Exposition mit synthetischen
Nanomaterialien durch Lebensmittel wird schließlich auch dadurch erschwert, dass sich synthetische
Nanomaterialien in Lebensmitteln zurzeit nur in Ausnahmefällen und mit hohem apparativen
Aufwand qualitativ bzw. quantitativ erfassen lassen. Schätzungen zufolge nimmt eine Person bei
einer westlichen Ernährungsweise täglich durchschnittlich 1012 bis 1014 Nano- und Mikropartikel oral
auf, von denen aber nur bis ca. 1 % aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert werden (2).

Verhalten synthetischer Nanomaterialien im Magen-Darm-Trakt


Über das Verhalten und den Verbleib von synthetischen Nanomaterialien im Magen-Darm-Trakt
ist nur wenig bekannt. Die vielen unterschiedlichen synthetischen Nanomaterialien, die im
Lebensmittelsektor Anwendung finden können, lassen kaum allgemeingültige Aussagen über ihr
Verhalten im Magen-Darm-Trakt und ihre biologische Wirkung zu. Diese Fragestellungen sind daher
fallspezifisch zu klären. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Interaktion der Nanomaterialien mit
der Umgebung kein statischer, sondern ein dynamischer Prozess ist und sich deshalb die Oberfläche
der Nanomaterialien durch Wechselwirkungen mit anderen Lebensmittelbestandteilen verändern
kann (3). Über Wechselwirkungen von synthetischen Nanomaterialien mit Lebensmittelbestandteilen,
insbesondere während der Verdauung, ist derzeit nur wenig bekannt.
Löslichkeit und Verdaulichkeit sind zwei Faktoren, die das Schicksal synthetischer
Nanomaterialien im Magen-Darm-Trakt wesentlich bestimmen. Gehen synthetische Nanomaterialien
unter physiologischen Bedingungen vollständig in Lösung, so verlieren sie ihre nanospezifischen
Eigenschaften. Bleiben dagegen Nanostrukturen kolloidal in Lösung, so bleiben auch ihre nano-
spezifischen Eigenschaften erhalten. Kolloidale Systeme werden unter anderem als Trägersysteme
für biologisch aktive Substanzen intensiv erforscht und können z. B. durch Selbstaggregation
natürlicher Makromoleküle oder synthetischer Polymere hergestellt werden. Inwieweit diese
Strukturen im Magen-Darm-Trakt aufgeschlossen werden können oder ob sie als intakte nanoskalige
Trägersysteme resorbiert werden, ist bisher kaum untersucht. Im Gegensatz zu organischen
Nanomaterialien werden anorganische Nanomaterialien wie Titandioxid im Magen-Darm-Trakt nicht
abgebaut. Diese nanoskaligen Materialien können folglich entweder ausgeschieden oder resorbiert

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 489


VPH: Lebensmittelsicherheit
werden. Es wird berichtet, dass die Aufnahme solcher Nanomaterialien aus dem Verdauungstrakt
größenabhängig ist.

Schlussfolgerungen
Das Wissen um das Verhalten und den Verbleib von synthetischen Nanomaterialien nach oraler
Exposition ist zurzeit noch ungenügend. Mit der Nahrung verabreichte anorganische Nanopartikel
konnten in verschiedenen Organen von Versuchstieren nachgewiesen werden. Insgesamt scheint
aber die Ausscheidung von Partikeln über den Darm sehr effizient zu sein. Die wenigen, bisher
durchgeführten Studien lassen jedoch kaum Rückschlüsse auf die reale Situation zu, da in diesen
Studien sehr große Mengen an Nanopartikeln oral appliziert wurden. Außerdem gibt es nur für
wenige der verwendeten Nanomaterialien potenzielle Anwendungsfelder im Lebensmittelsektor.
Die Risikobewertung spezieller Nanoprodukte kann derzeit nur fallspezifisch erfolgen und ist
angesichts des derzeit beschränkten Datenbestands und des Fehlens validierter Prüfungsmethoden
in der Praxis sehr schwierig und mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden. Um die vielen
derzeit bestehenden Unsicherheiten und Datenbeschränkungen auszuräumen sind zusätzliche
Forschungsarbeiten und Untersuchungen erforderlich. Insbesondere wird empfohlen:

 die Wechselwirkung und Stabilität von technisch hergestellten Nanomaterialien in Lebens-


und Futtermitteln, im Magen-Darm-Trakt und in biologischen Geweben zu untersuchen,

 Routineverfahren für den Nachweis, die Charakterisierung und die quantitative Erfassung
von technisch hergestellten Nanomaterialien in Lebens- und Futtermitteln sowie
Lebensmittelkontaktmaterialien zu entwickeln und zu validieren,

 Prüfmethoden für die Bewertung der Toxizität von technisch hergestellten Nanomaterialien
(einschließlich Zuverlässigkeit und Sachdienlichkeit der Prüfmethoden) zu entwickeln, zu
verbessern und zu validieren.

Literaturverzeichnis
1. Greiner R. Current and projected applications of nanotechnology in the food sector. J. Brazilian Soc. Food
Nutr. 2009;34:243-60.
2. Lomer MC, Thompson RP, Powell JJ. Fine and ultrafine particles of the diet: influence on the mucosal
immune response and association with Crohn’s disease. Proc. Nutr. Soc. 2002;61:123-30.
3. Cedervall T, Lynch I, Lindman S, Berggard T, Thulin E, Nilsson H, Dawson K, Linse S. Understanding the
nanoparticle-protein corona using methods to quantify exchange rates and affinities of proteins for
nanoparticles. Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 2007;104:2050-5.

Kontaktadresse
Dr. Ralf Greiner, Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel,
Institut für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik, Karlsruhe, [email protected]

490 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit

10 Jahre Verankerung des Tierschutzes im deutschen Grundgesetz –


Anspruch und Wirklichkeit im Bereich der lebensmittelliefernden
Nutztiere
Karen von Holleben
Beratungs- und Schulungsinstitut für Tierschutz bei Transport und Schlachtung

Einleitung
Zur Veranschaulichung der Problematik des Tierschutzes im Bereich der Nutztiere möchte ich
drei Beispiele anführen, um die angesprochene, ggf. bestehende Diskrepanz zu verdeutlichen,
darunter zwei zur Schnittstelle zwischen Transport und Schlachtung, der Anlieferung am
Schlachthof, und eines zum betäubungslosen Schlachten. Dabei sollen immer auch mögliche
Lösungsansätze angeführt werden.

Schnittstelle Transport-Schlachtung: 1. Transportunfähigkeit


Bei der Anlieferung am Schlachthof werden viele Probleme deutlich, deren Ursachen schon im
Vorfeld liegen. Ein gravierendes Tierschutzdefizit ist seit Jahren die Anlieferung transportunfähiger
Tiere. Diese fallen regelmäßig bei der Anlieferung am Schlachthof auf. Es sind überwiegend Tiere,
die sich nicht mehr selbstständig ohne Schmerzen fortbewegen können, z. B. Kühe oder Sauen mit
multiplen Gelenkentzündungen, ausgegrätschte Schweine oder Rinder mit gebrochenen Beinen.
Obwohl die Tiere deutliche Anzeichen von Schmerzen zeigen, wie Schonen der betroffenen
Gliedmaße, Zittern und hochfrequente, intensivierte Atmung, werden sie dennoch transportiert. Hier
ist die Sorgfalt und Initiative der amtlichen Tierärzte am Schlachthof gefragt – der einzigen
Kontrollstelle. Bei Ankunft auf dem Schlachthof werden diese Tiere jedoch nicht – wie
vorgeschrieben – an Ort und Stelle im Fahrzeug getötet, sondern während der Entladung und
Wartezeit weiteren Belastungen ausgesetzt. Nur selten werden Fälle weiter- bzw. rückverfolgt oder
wenigstens dokumentiert. In unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass in Einzelfällen
seitens der amtlichen Tierärzte noch nicht einmal eingegriffen wurde, wenn bestimmte Viehhändler
immer wieder transportunfähige Tiere anlieferten. Als Grund wird beispielsweise genannt, dass nicht
festgestellt werden könne, ob ein Bruch einer Gliedmaße auf dem Transport passiert sei (wie vom
Händler angegeben) oder bereits vorher. Eindeutige Beweise liefert bei einer gebrochenen
Gliedmaße sicher nur die histologische Untersuchung und die betroffenen Gliedmaßen werden von
einigen Kollegen auch eingeschickt. Leider stellen Strafverfolgungsmaßnahmen
(Transportunfähigkeit ist kein Bußgeldtatbestand (Tierschutztransportverordnung vom 11. Februar
2009 (BGBl. I S. 375)) häufig einen Aufwand dar, der von vielen Kollegen im Alltag nicht bewältigt
werden kann.
Die rechtlichen Grundlagen bezüglich Transportunfähigkeit sind nicht erst seit Inkrafttreten der
EU-VO 1/2005 festgelegt, sondern gelten national schon seit längerer Zeit (Verordnung zum Schutz
kranker oder verletzter Tiere vor Belastungen bei Transport von 1993). Auch die negativen
Auswirkungen der Schlachtung transportsportunfähiger Tiere auf den Schlachtablauf und die
Keimbelastung der Schlachtkörper sind hinreichend bekannt. Amtliche Tierärzte am Schlachthof sind
verpflichtet, bei der Schlachttier- und Fleischuntersuchung nicht nur fleischhygienische
Gesichtspunkte zu prüfen, sondern sind ebenso für den Tierschutz verantwortlich (VO 854/2004,
Kap. II Art. 5 (1) b und c, (3) c und d; Anhang I Kap. II B und C. Zwischen der Realität an den

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 491


VPH: Lebensmittelsicherheit
Schlachtbetrieben, den rechtlichen Anforderungen und auch den Erwartungen der Abnehmer (z. B.
den großen Handelsketten, die die Schlachtbetriebe in Audits auch nach Tierschutzkriterien
überprüfen) besteht hier eine ausgeprägte Lücke, an der die Tierärzte maßgeblich mit beteiligt sind.
Seit Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz sind hier keine nennenswerten positiven
Entwicklungen aufgetreten.
Transportunfähige Tiere werden nicht nur in Deutschland transportiert. Eine kürzlich vorgestellte
Untersuchung aus Irland belegt, dass von 1255 von Veterinären im Zeitraum 2006 bis 2008 für
Rinder ausgestellten Transportfähigkeitsbescheinigungen 75 % Tiere mit Störungen des
Bewegungsapparates betrafen. Allein in 61 % der bescheinigten Fälle gab es Frakturen an den
Gliedmaßen oder an Wirbelsäule, Becken oder Schulter (Cullinane et al. 2010). Dabei ist zu
beachten, dass nach aktuellem Hygienerecht eine Schlachtung von transportunfähigen Tieren am
Herkunftsbetrieb durchaus erlaubt ist, wenn eine Schlachttieruntersuchung stattgefunden hat, der
Magen-Darmtrakt an Ort und Stelle entfernt wurde, der Schlachttierkörper nicht länger als zwei
Stunden ungekühlt transportiert wurde und die entsprechenden Bescheinigungen den
Schlachtkörper begleiten (VERORDNUNG (EG) Nr. 853/2004 Anh. III Abschn. I Kap. VI). Es gibt
bereits entsprechendes Equipment in Deutschland und auch in Unternehmen, die sich speziell auf
die Schlachtung verunfallter Tiere eingerichtet haben.
Aufgrund der Vielschichtigkeit des Problems und der Notwendigkeit eines grundsätzlichen
Umdenkens wird im Folgenden ein interdisziplinäres Projekt vorgestellt, an dem die Autorin für die
FVE über mehr als 2 Jahre mitgearbeitet hat, die „Practical guidelines to assess fitness for Transport
of adult bovines (Leitfäden zur Beurteilung der Transportfähigkeit erwachsener Rinder)“. Nach Artikel
29 (EU Verordnung 1/2005) soll die Erarbeitung von Leitlinien für bewährte Praktiken, die auch
Empfehlungen für die Anwendung dieser Verordnung enthalten, auf einzelstaatlicher Ebene, unter
Zusammenarbeit mehrerer Mitgliedstaaten oder aber auf Gemeinschaftsebene gefördert werden.
Beispielhaft hierfür wurde unter Leitung von Eurogroup for animals (Dachverband nationaler und
europäischer Tierschutzorganisationen) und der UECBV (European Livestock- and Meat Trading
Union – Dachverband Vieh- und Fleischhandel) eine europäische Arbeitsgruppe gegründet, an der
als weitere NGOs auch die FVE (Europäische Tierärztevertretung), COPA-COGECA (European
farmers and agricooperatives), IRU (International Road Transport Union), ELT (European livestock
transporters) und die Animals Angels teilnahmen. Ziel war die Erarbeitung eines Leitfadens zur
Bestimmung der Transportfähigkeit von adulten Rindern. Man einigte sich auf ein Format, in dem
zunächst rechtliche Grundlagen und Definitionen, nachfolgend Transportverbote und in einem
weiteren Kapitel Entscheidungshilfen für schwierige Fälle anhand von Bildern und kurzen
Erläuterungen dargestellt werden. Der mehr als zweijährige Diskussionsprozess innerhalb der
Arbeitsgruppe war äußerst fruchtbar, es mussten große Klüfte überwunden werden, je nach Herkunft
und Hintergrund der Verbandsvertreter. Dennoch scherte am Ende der britisch dominierte Verband
der Landwirte aus Imagegründen aus der Autorengruppe aus. Die Tierärzteschaft war anfangs
überaus skeptisch, ob es überhaupt möglich sei, komplexe diagnostische Zusammenhänge in Form
eines Leitfadens darzustellen. Am Ende überzeugte jedoch das Resultat (Zitat: Es könne sogar als
Standard innerhalb des Kollegenkreises empfohlen werden). Die EU-Kommission wird den Leitfaden
übersetzen und verbreiten. Mit der Erarbeitung des Leitfadens gelang es erstmalig, dass Tierschutz,
Industrie und Veterinäre sich zu einem so umstrittenen Thema auf EU-weite Standards einigten. Ein
positiver Effekt hinsichtlich der Umsetzung der Transportfähigkeit adulter Rinder ist zu erwarten.
Neben der Transportfähigkeit könnten auch noch andere Problemfelder beim (Langzeit-)
Transport wie die „Versorgung von Jungtieren“, „Einhaltung von Melkintervallen“, „Zulassung von

492 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Fahrzeugen“ (Tränken, Lüftung, Temperatur- und Positionsaufzeichnungssysteme), „Ladedichten
und lichte Höhen“ über die Erarbeitung von Leitfäden und Standards wesentlich verbessert werden.
Dabei erscheint es sinnvoll, neben der „Wissenschaft“ auch die praktischen Erfahrungen der
Rechtsunterworfenen mit einzubeziehen. Auch das FVO ist gefordert, dort, wo positive Beispiele aus
anderen Mitgliedsstaaten effektiver dargestellt und kommuniziert werden müssen. Tierärzte müssen
sich zum Tierschutz bekennen und unzureichende rechtliche Instrumente beharrlich einfordern (z. B.
effektive Sanktionen). Nicht zuletzt die Arbeit in der interdisziplinären Arbeitsgruppe zur
Transportfähigkeit von Rindern macht deutlich, dass es neben der Kritik an „nicht umsetzbaren
Vorschriften“ auch konstruktive Instrumente gibt, mit denen wir Tierärzte im Sinne des Tierschutzes
Fortschritte erzielen können.

Schnittstelle Transport-Schlachtung: 2. Unzureichende lichte Höhe in mehrstöckigen


Transporten
Nach der EU Verordnung 1/2005 müssen „Transportmittel so konstruiert, gebaut und in Stand
gehalten und [...] so verwendet [werden], dass den Tieren Verletzungen und Leiden erspart werden
und ihre Sicherheit gewährleistet ist“ (Art. 3 c und Anh. I Kap. II (1.1)) und „die Tiere [...]
entsprechend ihrer Größe und der geplanten Beförderung über ausreichend Bodenfläche und
Standhöhe“ verfügen. Des Weiteren wird bestimmt, dass „innerhalb des Laderaums und auf jedem
Zwischendeck [...] genügend Platz zur Verfügung [steht], damit eine angemessene Luftzirkulation
über den stehenden Tieren gewährleistet ist, wobei ihre natürliche Bewegungsfreiheit auf keinen Fall
eingeschränkt werden darf“ (Anh. I Kap. II (1.2)). Die Forderung nach ausreichender Standhöhe ist
beim doppelstöckigen Transport von großen Rindern häufig nicht erfüllbar, zumal die maximale
Fahrzeughöhe nach Straßenverkehrszulassungsordnung bis auf wenige Ausnahmen auf vier Meter
begrenzt ist. „Ausreichende Standhöhe“ wie auch „natürliche Bewegungsfreiheit“ sind unbestimmte
Rechtsbegriffe, die in Europa mit lichten Höhen zwischen 10 und 25 cm über Widerrist der Rinder
ausgelegt werden. Die EFSA zitiert in ihrem aktuellen Bericht (EFSA 2011) eine Untersuchung der
Autorin (Von Holleben et al. 2003), in der 20 cm über Widerrist empfohlen werden. Diese
Empfehlung beruht auf einem Nebenbefund der umfangreichen Untersuchung zum möglichen
Einfluss von Transportfaktoren auf die Belastung der Tiere und die Schlachtkörper- und
Fleischqualität. Dabei wurde aber nicht die Fahrzeughöhe und die Höhe der Tiere gemessen,
sondern lediglich bei einer Analyse der Ursachen der Schlachtkörperschäden (schwere Blutergüsse
am lebenden Tier) festgestellt, dass mehr Schäden am Rücken vorkamen, wenn Tiere doppelstöckig
transportiert wurden. Bei der damaligen gängigen Praxis von 10 cm lichter Höhe über dem Widerrist
wurde im Sinne der Tiere geschlussfolgert, dass dies offenbar zu wenig sei (Von Holleben et al.
2003). In den Niederlanden werden derzeit 25 cm gefordert und damit ist der doppelstöckige
Transport von Rindern über sechs Monaten, wie auch in einigen anderen europäischen Ländern,
nicht mehr zugelassen. In Deutschland sind die rechtlichen Voraussetzungen in einer Art
Ausführungsvorschrift der Länder, dem sogenannten „Handbuch Tiertransport“ festgelegt, die dortige
Formulierung befindet sich gerade in der Überarbeitung.
Unabhängig davon, ob die lichte Höhe über dem Widerrist der Tiere 10 oder 20 cm betragen
muss, um den Tieren auch zum Balancieren oder zum Harnen ausreichende Bewegungsfreiheit zu
bieten, dürfen aber keinesfalls regelmäßige Verletzungen infolge zu niedriger lichter Höhe über den
Tieren auftreten. Fakt ist aber, dass momentan immer wieder Tiere, die auf sogenannten
Doppelstöckern transportiert wurden, äußerlich sichtbare Schäden am Rücken aufweisen oder nach
Hautabzug Blutergüsse am Rücken feststellbar sind (stumpfe Verletzungen kann man vor dem

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 493


VPH: Lebensmittelsicherheit
Hautabzug oftmals nicht sehen). Viele dieser Verletzungen stellen erhebliche Schäden dar und
lassen außerdem auf erhebliche Schmerzen und Leiden während der Fahrt schließen. Zum Teil
werden die angesprochenen Tiere allerdings mit noch weniger als 10 cm Freiraum über dem
Widerrist transportiert oder die über die maximal zulässige Höhe ausgefahrenen Dächer werden
während des Transportes auf den Rücken der Tiere heruntergelassen. Hierbei handelt es sich um
illegale Praktiken, die selbstverständlich von den zuständigen Veterinärbehörden am Schlachthof
geahndet werden müssen. Unseren Erfahrungen nach erfolgt eine Ahndung aber bisher nur in
Einzelfällen. Eine entsprechende Sensibilität der verantwortlichen Kollegen für die Vergehen der
Verursacher entwickelt sich nur langsam. Sicherlich ist die Konsequenz eine wirtschaftlich
bedeutsame Entscheidung, die große Kunden des Schlachtbetriebs verprellen könnte. Dennoch ist
der Tatbestand von Seiten der Tiere her eindeutig, und es sollte keine Bedenken gegen die
Notwendigkeit einer Ahndung geben. Auch hier klafft eine Lücke zwischen einem grundsätzlichen
Verständnis von Tierschutz bei den Verbrauchern und der Umsetzung bestehender rechtlicher
Anforderungen, die gerade bei der Integration des Tierschutzgedankens ins Grundgesetz wenig
verständlich erscheint.
Nur der Vollständigkeit halber sei das fachlich sinnvolle Vorgehen im oben angesprochenen Falle
genannt. Zum einen müssen im Sinne einer gerechten Behandlung auch der beteiligten
Wirtschaftspartner Verstöße gegen bestehendes Recht konsequent geahndet werden, zum anderen
müssen die oben genannten unbestimmten Rechtsbegriffe näher untersucht und eingegrenzt
werden. Ein doppelstöckiger Transport von ausgewachsenen Rindern darf nur erfolgen, wenn er
nicht aufgrund zu niedriger lichter Höhe zu Verletzungen führt. Ein weitreichendes Doppelstockverbot
wie in den Niederlanden kann Vorteile bringen, z. B. hinsichtlich einer einheitlichen Umsetzbarkeit
und Klarheit bei den Rechtsunterworfenen. Es ist nur dann nicht notwendig, wenn es die
Transporteure schaffen, zu große Tiere vom Transport auf zwei Ebenen auszuschließen und wenn
dies auch von den Behörden in ausreichendem Maße kontrolliert werden kann.
Die beiden bisher dargestellten Beispiele haben gezeigt, dass auch eine stärkere Bewertung des
Tierschutzes über die Aufnahme ins Grundgesetzt dort keinen Fortschritt gebracht hat, wo
vermeintlich wirtschaftliche Zwänge existieren und Kollegen nicht ausreichend sachkundig oder
gewillt sind.

Betäubungsloses Schlachten in Deutschland und Europa


Die Regelungen und Gerichtsentscheidungen zum betäubungslosen Schlachten in Deutschland
wurden bei oberflächlicher Betrachtung von der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetzt direkt
beeinflusst. Bei genauerem Hinsehen erscheint dies jedoch nicht so eindeutig. Dennoch werden
Ausnahmegenehmigungen für die betäubungslose Schlachtung in Deutschland nur nach genauen
Prüfungen und in geringem Umfange erteilt.
Nach § 4 a des Tierschutzgesetzes der Bundesrepublik Deutschland darf: „(1) Ein warmblütiges
Tier [...] nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist. (2)
Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn […] 2. die zuständige Behörde eine
Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die
Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von
Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu
entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten
vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen.“ Damit ist in
Deutschland die Erlaubnis zum betäubungslosen Schlachten auf einen Personenkreis begrenzt, der

494 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
tatsächlich auf die unbetäubte Schlachtung angewiesen ist, und der Export von Fleisch
betäubungslos geschlachteter Tiere ist verboten. Fleisch unbetäubt geschlachteter Tiere darf nur
verwandt werden, wenn dies zur Versorgung der Mitglieder einer Gemeinschaft notwendig ist,
hinsichtlich der substantiiert und nachvollziehbar darlegt worden ist, dass nach deren gemeinsamer
Glaubensüberzeugung der Verzehr des Fleischs von Tieren zwingend eine betäubungslose
Schlachtung voraussetze (Kluge 2010). Die Rechtslage und Rechtsentwicklung in Deutschland und
Europa ist in einem DialRel Report (siehe www.dialrel.eu) nachzulesen (Ferrari und Bottoni 2010).
Hierin sind auch die Nebenbestimmungen genannt, die im Zusammenhang mit einer
Ausnahmegenehmigung für eine betäubungslose Schlachtung in Deutschland von den zuständigen
Behörden erlassen werden (u. a. schonende Vorbehandlung und Fixierung, Sachkunde des
Ausführenden, Schärfe des Messers, notwendige Zeitspanne für die Ausblutung, während der die
Wunde nicht bewegt werden und das Tier nicht aufgehängt werden darf).
Des weiteren besteht in Deutschland die Möglichkeit, für die religiösen Schlachtungen ebenfalls
im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung eine sogenannte Elektrokurzzeitbetäubung zu
beantragen, bei der eine verkürzte Durchströmungszeit am Kopf toleriert wird und von der ansonsten
für erwachsene Rinder obligatorischen Herzdurchströmung im Sinne einer reversiblen Betäubung
abgesehen werden kann. Die Elektrokurzzeitbetäubung ist ein Betäubungsverfahren, das vom
Gesetzgeber in Deutschland speziell für die Durchführung von religiösen Schlachtungen für
Angehörige muslimischen Glaubens in die Tierschutz-Schlachtverordnung aufgenommen wurde
(§ 14 (2) Nr. 3). Die Voraussetzung für die Zulassung dieses Verfahrens ist, ebenso wie die
Zulassung betäubungsloser Schlachtungen, dass zwingende Vorschriften den Angehörigen
bestimmter Religionsgemeinschaften die Anwendung anderer Betäubungsverfahren untersagen. In
einem gegenüber dem Antrag auf betäubungslose Schlachtung vereinfachten Antragsverfahren
muss ein Nachweis der Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Religionsgemeinschaft, Angaben zur
Tierart und Anzahl der zu schlachtenden Tiere, Angaben zum Schlachtbetrieb und zur Durchführung
des Schlachtens, der Sachkundenachweise der Ausführenden und der Verbleib des Fleisches (Liste
der Abnehmer) dargelegt werden.
In einem ebenfalls im Rahmen des DialRel-Projektes durchgeführten juristisch orientierten
Ethikworkshop unter Leitung von Prof. Jörg Luy, FU Berlin, wurde das Deutsche
Verfassungsdilemma „Tierschutz contra Religionsfreiheit“ in Referaten und Diskussionen bearbeitet.
Köpernik und Caspar (2010) diskutierten in der Workshopzusammenfassung die „Schächt-Urteile“
von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht unter dem Einfluss der Aufnahme des
Tierschutzes ins Grundgesetz wie folgt: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom
23.11.2006 (BVerwGE 127, 183) entschieden, dass auch nach Einführung der
Staatszielbestimmung Tierschutz in Art. 20 a GG die Auslegung des § 4 a (2) Nr. 2 TierSchG
zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Lichte des Grundrechts der Glaubensfreiheit
extensiv zugunsten der Antragsteller vorzunehmen sei. Die Entscheidung beruft sich auf das
Schächturteil des Bundesverfassungsgerichts vor Einführung des Staatsziels Tierschutz
(BVerfGE 104, 337). Ob der Artikel 20 a GG eine engere Auslegung des § 4 (2) Nr. 2 TierSchG
möglich oder sogar erforderlich macht, wurde im Verlauf des Workshops unterschiedlich
beurteilt. Einige Teilnehmer hielten das Urteil des BVerwG für inkonsistent, da darin die neue
Verfassungslage nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Einhellig gelangten die Teilnehmer
zu der Auffassung, dass aufgrund der neueren Rechtsprechung letztlich nur eine gesetzliche
Änderung des § 4 a (2) TierschG eine Stärkung des Schutzes von Schlachttieren herbeiführen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 495


VPH: Lebensmittelsicherheit

könne; der im Workshop entwickelte Vorschlag hierzu ist im Seminarreader nachzulesen


(Köpernik und Caspar 2010).
In der EU-Rechtssetzung zum Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung und Tötung ist
das Betäubungsgebot festgelegt, (Art. 5 (1) der RL 93/119 bzw. Art. 4 (1) der Verordnung (EG) Nr.
1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung). Allerdings sind Ausnahmen vom
Betäubungsgebot möglich, „für Tiere, bei denen aufgrund bestimmter religiöser Riten besondere
Schlachtmethoden angewandt werden“ (Art. 5 (2) RL 93/119), bzw. „für Tiere, die speziellen
Schlachtmethoden unterliegen, die durch bestimmte religiöse Riten vorgeschrieben sind“ (Art. 4 (4)
VO 1099/2009). Die Antwort auf die Frage, wie und durch wen festgelegt werden kann, wie viele und
welche Tiere betäubungslos geschlachtet werden dürfen, wird den Mitgliedstaaten überlassen, die
entsprechend vielfältige Wege beschreiten. In Deutschland muss wie oben dargestellt bereits vor der
Schlachtung von der zuständigen Behörde geprüft werden, für wen Tiere zwingend betäubungslos
geschlachtet werden sollen, und nur über den Abnehmer des Fleisches kann definiert werden, für
welches Tier bezüglich seiner Schlachtung bestimmte religiöse Riten gelten. Die nationale
Rechtsetzung beschränkt darüber hinaus die Möglichkeit der betäubungslosen Schlachtung auf die
Schlachtung für Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften in Deutschland. Die in anderen
Ländern geltenden „Lösungen“ gehen vom totalen Verbot des betäubungslosen Schlachtens über
die Zulassung unter bestimmten z. T. sehr vage bestimmten, z. T. sehr strengen Voraussetzungen
(z. B. Schlachtbetrieb bestimmt die Methode anhand der Bedürfnisse seiner Kunden, Notwendigkeit
von Seiten der Religion, enge quantitative Begrenzung) bis zum obligatorischen sogenannten post
cut stunning, d. h. einer Betäubung nach dem Schnitt. Ein totales Verbot gibt es z. B. in der
finnischen Provinz Aland, Island, Lettland, Liechtenstein, Norwegen, Schweden und der Schweiz.
Unter mehr oder weniger strengen Bedingungen ist das betäubungslose Schlachten in Belgien,
Bulgarien, Dänemark (außer Rinder), Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien,
Italien, Irland, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, den Niederlanden (bis 2011),
Portugal, Polen, Rumänien, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern
erlaubt. Eine Betäubung nach dem Schnitt ist vorgeschrieben in Österreich und in Dänemark
(Rinder), in der Slowakei sowie in Estland und in Finnland (dort soll die Betäubung gleichzeitig mit
dem Schnitt erfolgen). Die z. T. relativ vagen Formulierungen in den europäischen Staaten führen zu
einer über den Bedarf hinausgehenden Produktion an betäubungslos erschlachtetem Fleisch, die
dem ethischen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht (Von Holleben 2010). Mittlerweile hat
der diesbezügliche öffentliche Druck in den Niederlanden dazu geführt, dass die zweite Kammer des
Parlaments einem Gesetz zum Verbot betäubungsloser Schlachtungen zugestimmt hat.
Maßgebliche Argumente zur Überzeugung des niederländischen Parlaments lieferte der ebenfalls im
Rahmen des DialRel-Projektes erstellte Bericht zum Stand der Wissenschaft und praktischen
Erfahrungen bei der religiösen Schlachtung (Von Holleben et al. 2010).
Dieser europäische Diskurs macht deutlich, dass bezüglich der öffentlichen Meinung, der
sorgfältigen und relativ restriktiven Genehmigungspraxis bei der betäubungslosen Schlachtung in
Deutschland und der Verankerung des Tierschutzes in Art. 20 a GG ein Gleichgewicht besteht,
auch wenn die unmittelbar im zeitlichen Umfeld der Staatszielbestimmung Tierschutz
erfolgenden Gerichtsentscheidungen die neue Verfassungslage möglicherweise nicht
hinreichend berücksichtigt haben.

496 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Abschließende Bemerkungen
Aus dem Erfahrungsbereich der Autorin wurden drei komplexe Beispiele dargestellt, anhand
derer verdeutlicht werden sollte, ob es 10 Jahre nach der Verankerung des Tierschutzes im
deutschen Grundgesetz eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. Zwei Beispiele,
nämlich die „Umsetzung der Regelungen zur Transportunfähigkeit“ sowie die „Unzureichende lichte
Höhe in mehrstöckigen Transporten“ betrafen die Schnittstelle zwischen Transport und Schlachtung,
die Kontrollstelle Schlachthoframpe. Als drittes Bespiel wurden die Regelungen zur betäubungslosen
Schlachtung in Deutschland und Europa beschrieben. Bezüglich der ersten beiden Beispiele wurde
deutlich, dass auch eine stärkere Bewertung des Tierschutzes über die Staatszielbestimmung
Tierschutz im Grundgesetz dort keinen Fortschritt gebracht hat, wo vermeintlich wirtschaftliche
Zwänge existieren. An der hier bestehenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sind
Tierärzte der zuständigen Behörden maßgeblich mitbeteiligt. Im Gegensatz hierzu besteht
hinsichtlich der nicht minder komplexen Regelung der betäubungslosen Schlachtung mit einer
sorgfältigen und relativ zurückhaltenden Genehmigungspraxis diese Diskrepanz nicht. Warum die
Umsetzung des Tierschutzes durch die Kollegen auf beiden Bereichen unterschiedlich ausfällt,
kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Möglicherweise hat es eine Rolle
gespielt, dass zur betäubungslosen Schlachtung unmittelbar im zeitlichen Umfeld der
Staatzielbestimmung Tierschutz mehrere Gerichtsentscheidungen erfolgten, die ein starkes
Medieninteresse verursacht haben, was ggf. die Verantwortung der zuständigen Behörden
unterstrichen hat.

Literaturverzeichnis
Das vollständige Verzeichnis ist bei Bedarf bei der Autorin erhältlich.

Kontaktadresse
Dr. Karen von Holleben, Beratungs- und Schulungsinstitut für Tierschutz bei Transport und
Schlachtung (bsi Schwarzenbek), [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 497


VPH: Lebensmittelsicherheit

Tierschutz bei der Betäubung und Entblutung von Schlachtschweinen


Klaus Troeger
Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch, Max Rubner-Institut, Standort Kulmbach

Einleitung
Tierschutz beim Umgang mit Nutztieren gewinnt, als ein Teil der Nachhaltigkeit, auch als
Marketing-Instrument zunehmend an Bedeutung. Nicht nur Nischenerzeugerprogramme oder
Ökoproduzenten auf der landwirtschaftlichen Seite, auch große Fleischkonzerne, Handels- und Fast
Food-Ketten haben schon heute deutlich über die gesetzlichen Mindestanforderungen
hinausgehende Tierschutzstandards (z. B. „Aktion Tierwohl“ der WESTFLEISCH eG oder
„McDonald`s Audit“ für Schlachthöfe).
Im Folgenden soll auf Tierschutzanforderungen an die Betäubung und Entblutung von
Schlachtschweinen sowie deren Kontrolle im industriellen Schlachtbetrieb eingegangen werden.
Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der zentralen Tierschutzforderung des Schlachtrechts, dass
„die Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit nach einer Betäubung bis zum Tod des Tieres
anhalten muss.“ (Art. 4 Abs. 1 EU-Verordnung Nr. 1099/2009).

Elektrobetäubung
Die Elektrobetäubung bewirkt eine Stimulierung des ganzen Gehirns, wobei es zu einer länger
anhaltenden Depolarisation von Nervenzellen mit fortlaufenden Aktionspotenzialen kommt. Wenn
dies in größeren Gruppen von Neuronen in beiden zerebralen Hemishären auftritt, ist die Folge ein
generalisierter epileptischer Anfall (Grand mal). Grand mal-Epilepsie ist ein pathologisches Extrem
neuronaler Synchronie und wird als unvereinbar mit einer normalen neuronalen Funktion und damit
der Aufrechterhaltung des Bewusstseins gesehen (1).
Moderne Betäubungstransformatoren, sowohl von manuellen als auch automatischen Anlagen,
verfügen in der Regel über verschiedene Betäubungsprogramme; Parameter wie Stromstärke,
Stromfrequenz und Stromflusszeit sind in einem gewissen Rahmen programmierbar. Um
Schlachtschäden wie Blutpunkte in der Muskulatur gering zu halten, wird für die bilaterale
Kopfdurchströmung meist ein höherfrequenter Strom (etwa 300 bis 800 Hz) benutzt. In diesem Fall
ist es jedoch zwingend notwendig, anschließend an die oder gleichzeitig mit der Kopfdurchströmung
eine Herzdurchströmung (meist mit zusätzlicher Herzelektrode, 50 bis maximal 100 Hz)
vorzunehmen, um Herzkammerflimmern auszulösen und damit die Betäubung irreversibel zu
gestalten. Bei alleiniger Kopfdurchströmung (mit höheren Frequenzen) werden die Tiere relativ
schnell, mitunter bereits vor oder kurz nach dem Entblutestich, wieder wach, so dass diese Art der
Betäubung als nicht tierschutzrechtskonform einzustufen ist (2,3). Wichtige Voraussetzungen für eine
tierschutzkonforme Elektrobetäubung sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Einhaltung
technischer Betäubungsparameter garantiert nicht automatisch die Tierschutzkonformität des
Verfahrens. Vielmehr muss die Tierschutzkonformität zusätzlich aufgrund der Wirkung, d. h. anhand
der klinischen Befunde geprüft und belegt werden.

498 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 1: Wichtige Voraussetzungen für eine tierschutzkonforme Elektrobetäubung
Voraussetzung Kriterien
Minimale Aufregung und physische Belastung Muskelkerntemperatur (Schinken) 45 min p.m.
< 40,5°C
Sofortige Empfindungs- und Keine Lautäußerung bei Elektrodenansatz sowie
Wahrnehmungslosigkeit Stromunterbrechung nach 300 msec
Zweistufiges System mit Auslösen von Tod innerhalb 60 sec (Hirnstamm-Areflexie,
Herzkammer-flimmern reaktionslose, maximal geweitete Pupillen, keine
Atmung)
Kurzes Betäubungs-Stechintervall Bei Liegendentblutung: < 10 sec
Effektiver Blutentzug Blutertrag: > 3 l pro Mastschwein
Quelle: (4, modifiziert)

CO2-Betäubung
Gemäß TierSchlV gelten für eine CO2-Betäubung folgende Tierschutzanforderungen:

 CO2-Konzentration > 80 % am ersten und letzten Halt


 Aufenthaltsdauer (in > 80 % CO2) mind. 100 sec
 Höchstdauer zwischen Betäubung und Entblutungsstich:
o 30 sec nach dem letzten Halt in der CO2-Atmosphäre
o 20 sec nach Auswurf aus der Anlage.

Abweichungen bei letzterer Anforderung können von der zuständigen Behörde in begründeten
Einzelfällen zugelassen werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Anforderungen des § 13 Abs. 1
TierSchlV erfüllt werden. Dazu müssen die Gasexpositionszeiten an die verlängerten Stun-to-stick-
Intervalle angepasst werden (Tabelle 2).

Tabelle 2: Richtwerte für Gasexpositionszeiten (> 90 % Kohlendioxid) bei verlängerten Stun-to-Stick-


Intervallen (z. B. Backloader-Anlagen)
Gasexpositionszeit Stun-to-Stick Intervall
(sec) (sec)
120 30
130 45
140 60
150 75
160 90
Quelle: (2)

Mit einer Verlängerung der Gasexpositionszeiten über die vom Verordnungsgeber geforderten
100 Sekunden hinaus nimmt der Anteil der irreversibel betäubten Schweine zu (Tabelle 3). Damit
wird die Betäubung aus Sicht des Tierschutzes sicherer.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 499


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 3: Anteil von toten Schweinen* nach CO2-Betäubung
Gasexpositionszeit % Tiere mit Rückkehr des Cornealreflexes % „tote“ Tiere
(sec) in > 90 % CO2 innerhalb von 150 sec nach Auswurf aus der
Betäubungsanlage
112 91 9
122 90 10
132 45 55
142 38 62
152 36 64
162 14 86
172 13 87
182 8 92
192 3 97
* Keine Rückkehr des Cornealreflexes innerhalb von 150 sec nach Auswurf
Quelle: (5, modifiziert)

Zur Kontrolle einer „Good CO2-Stunning Practice“ zum Zeitpunkt des Stechens werden folgende
Parameter empfohlen (5):
• Kein Schwein zeigt regelmäßige Atmung
• Kein Schwein zeigt Exzitationen
• Kein Schwein zeigt spontanes Augenblinzeln
• Maximal 5 % der Schweine zeigen positiven Cornealreflex

Entblutung
Die Entblutung der Schweine in industriellen Schlachtanlagen erfolgt heute i. d. R. mit
Hohlmessern über das geschlossene System sogenannter Stechkarussell-Anlagen. Bei einer
Schlachtleistung von z. B. 720 Schweinen pro Stunde kommen Anlagen mit 20 Hohlmessern zum
Einsatz; für die Ausführung des Entblutestichs bleiben dem Mitarbeiter dann 5 Sekunden Zeit pro
Tier. Eine (visuelle) Kontrolle des Entbluteerfolges beim Einzeltier ist nicht möglich, eine Korrektur
der Stichrichtung (aus Zeitgründen) ebenfalls kaum durchführbar. Bei reversiblen
Betäubungsverfahren wie der CO2-Betäubung entscheidet aber allein ein effektiver Blutentzug
darüber, ob die zentrale Tierschutzforderung des Schlachtrechts, nämlich dass „die Wahrnehmungs-
und Empfindungslosigkeit nach einer Betäubung bis zum Tod des Tieres anhalten muss“,
eingehalten wird.
Eine effektive Entblutung bewirkt einen steilen Blutdruckabfall mit nachfolgender zerebraler
Ischämie. In Folge dessen kommt es zu einem Ausfall der Gehirnfunktion mit eintretendem Tod
binnen etwa 60 Sekunden, gekennzeichnet durch
 Hirnstamm-Areflexie
 Ausfall der Atmungsaktivität
 Starre, maximal geweitete Pupillen (Mydriasis)

500 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Eine uneffektive Entblutung ist charkterisiert durch einen relativ geringen Blutverlust pro
Zeiteinheit. In Folge dessen kann es zu Thrombenbildung kommen, es tritt eine
Kreislaufzentralisation ein, gekennzeichnet durch
 Positive Hirnstammreflexe (hochfrequente Schnappatmung oder regelmäßige Atmung,
Korneal-, Lidreflex); positiver Nasenscheidewandreflex
 Rückkehr übergeordneter Gehirnzentren (Cortex und Formatio retikularis) mit kognitiven
Funktionen  Stellreflexe = Versuche, Kopf oder Körper aufzurichten

Kontrollmaßnahmen, ob die Schweine überhaupt und darüber hinaus auch effektiv gestochen
wurden, sind deshalb für industrielle Schlachtbetriebe unabdingbar. Die in Anitec-Stechkarussell-
Anlagen seit 1996 installierten Kontrollsysteme in Form von horizontalen Messfühlern zur
Füllstandskontrolle in den Blutauffangbehältern funktionieren nur unzuverlässig. In jüngerer
Vergangenheit wurden bessere technische Kontrollsysteme entwickelt. So ist in vielen dänischen
Schlachtbetrieben mit der VISSTIK-Stechkontrolle ein automatisches System installiert, das feststellt,
ob alle Schweine auch wirklich gestochen wurden (6). Aktuelle Entwicklungen in Deutschland nutzen
als Detektoren zur Erkennung der gewonnenen Blutmenge (pro Zeiteinheit) Leitfähigkeitssonden in
den Blutauffangbehältern oder Wärmebildkameras.
Auf jeden Fall muss der Schlachtbetrieb bei jedem Einzeltier den Nachweis führen, dass der Tod
vor dem Brühvorgang eingetreten ist (Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 Anh. III Nr. 3.2). Dies kann
über die Erfassung und Dokumentation einer ausreichenden Stichblutmenge (welche unmittelbar
zum Tode führt), aber auch durch Prüfung und Dokumentation direkter Kriterien des Todes, wie
Hirnstamm-Areflexie (reaktionslose, maximal geweitete Pupille u. a.), Herzstillstand oder Zerstörung
des Gehirns, erfolgen. Die amtliche Überwachung hat die Dokumentation zu prüfen und unter
Einbeziehung der Betäubungsparameter zu bewerten.

Literaturverzeichnis
1. Cook CJ, Devine CE, Gilbert KV, Smith DD, Maasland SA. The effect of electrical head-only stun duration
on electroencephalographic measured seizure and brain amino acid neurotransmitter release. Meat Sci.
1995;40:137-47.
2. EFSA European Food Safety Authority- AHAW/04-027. Welfare aspects of animal stunning and killing
methods. Scientific report of the scientific panel for animal health and welfare on a request from the
Commission related to welfare aspects of animal stunning and killing methods (Question No EFSA-Q-
2003-093). 2004;241 S. http://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/doc/45.pdf
3. Meiler D. Kontrolle des Entbluteerfolges bei der Schweineschlachtung im Hinblick auf Tierschutz und
mögliche Auswirkungen auf Ausblutungsgrad und Fleischqualität (Dissertation). München: Ludwig-
Maximilians-Universität; 2006.
4. Troeger K. Fleischgewinnung und –behandlung. In: Branscheid W, Honikel KO, Lengerken von G, Troeger
K, Herausgeber. Qualität von Fleisch und Fleischwaren. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Deutscher Fachverlag;
2007. S. 407-512.
5. Holst, S. Carbon dioxide stunning of pigs for slaughter - practical guidelines for good animal welfare.
Proceedings 47th ICoMST 2001; Krakow, Poland; Vol. I, S. 48-54.
6. Lykke L, Arnmark P, Borggaard C. Sichtkontrollsystem für das Stechen. Fleischwirtsch. 2010;90(7):22-3.

Kontaktadresse
Prof. Dr. Klaus Troeger, Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch, Max Rubner-Institut,
Kulmbach, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 501


VPH: Lebensmittelsicherheit

Die Schlachtung tragender Nutztiere – Aspekte des Tierschutzes und


Risikobewertung der additiven Hormonexposition
Katharina Riehn1, Gottfried Domel2, Almut Einspanier3, Jutta Gottschalk3, Giesela
Lochmann3, Goetz Hildebrandt4, Jörg Luy5, Ernst Lücker1
1Institut
für Lebensmittelhygiene, Universität Leipzig; 2Landratsamt Altenburger Land; 3Veterinär-
Physiologisch-Chemisches Institut, Universität Leipzig; 4Institut für Lebensmittelhygiene, Freie
Universität Berlin; 5Institut für Tierschutz und Tierverhalten, Freie Universität Berlin

Einleitung
Die Schlachtung gravider Rinder und die fleischhygienerechtliche Beurteilung dieser Tiere sind
zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder im gemeinschaftlichen, noch im nationalen Recht explizit
geregelt. Das Scientific Committee on Veterinary measures relating to Public Health (SCVPH) nahm
1999 in einem Gutachten Stellung zu einem möglichen Eintrag von Steroidhormonen in die
Nahrungskette über das Fleisch tragend geschlachteter Rinder und kam zu dem Ergebnis, dass „
[…] der Konsum von Fleisch tragender Tiere eine Ausnahme darstellt, da diese Tiere normalerweise
nicht geschlachtet werden“ (1). Dass die Schlachtung tragender Rinder sich in der Europäischen
Union jedoch nicht auf Einzelfälle beschränkt, bei denen gravide Tiere „versehentlich“ oder aus
Gründen eines Missmanagements im Herkunftsbetrieb zur Schlachtung kommen, zeigten erstmals
die Studien von Di Nicolo und Lücker et al. (2,3). Im Rahmen der Untersuchungen von Di Nicolo
wurden 1.556 deutsche, 1.032 belgische, 3.099 luxemburgische und 3.071 italienische
Schlachtrinder auf eine eventuell bestehende Trächtigkeit hin untersucht. In allen untersuchten
Schlachtbetrieben kam die Schlachtung tragender Tiere regelmäßig vor. Die Prävalenz der
tragenden Tiere betrug in luxemburgischen Schlachtbetrieben durchschnittlich 5,3 %, in Belgien
10,1 %, in Deutschland 4,9 % und in Italien 4,5 % (2). Lücker et al. haben bereits 2004 auf die
regelmäßige Schlachtung tragender Rinder in deutschen Schlachtbetrieben hingewiesen. In ihrer
Studie untersuchte die Arbeitsgruppe den Anteil gravider Tiere in 10 deutschen Schlachtbetrieben
und zeigte, dass bis zu 10,8 % (Mittelwert 4,3 %) der weiblichen Rinder tragend zur Schlachtung
kamen (3).

Exposition des Verbrauchers mit Steroidhormonrückständen aus verschiedenen Geweben


tragend geschlachteter Tiere
Obwohl sicher keine Zweifel bestehen, dass exogen zugeführte Stoffe mit hormoneller Wirkung
nachhaltig in endokrine Prozesse des Menschen eingreifen können, existiert zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nur eine Untersuchung, in der die Gehalte an Steroidhormonen im Fleisch und
verschiedenen anderen Geweben (Leber, Niere, Fett) tragender Rinder analysiert wurden (4). Die
Tabelle 1 zeigt beispielhaft die Ergebnisse der Analysen für die Steroidhormone Östradiol-17ß und
Östron.

502 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Tabelle 1: Gehalt an Östradiol-17β (E2) und Östron (E1) in ng/kg Frischmasse in verschiedenen
Geweben von Rindern (4)
Analyt Tierkategorie Muskel Leber Niere Fett
Färse unbehandelt 6-12 2-38 3-40 13-67
Färse behandelt mit E2 10 3 15 56
Ochse unbehandelt 1-14 4-14 7-14 3-10
Ochse behandelt mit 6-17 5-79 6-21 8-54
E2

E2
Bulle unbehandelt - - - 21
Kuh, 1. Trimester 16 58 127 5-31
Kuh, 2. Trimester 27 380 230 22-72
Kuh, 3. Trimester 33 1030 274 67-167
Färse unbehandelt 2-3 2 1 11
Färse behandelt mit E1 5 2 4 32
Ochse unbehandelt 2-6 1-20 1-8 8-23
Ochse behandelt mit 2-10 2-57 2-19 20-55
E1

E1
Bulle unbehandelt 15 13 3 36
Kuh, 1. Trimester 13-203 25-30 10-84 18-780
Kuh, 2. Trimester 136-482 115-125 166-262 460-2720
Kuh, 3. Trimester 208-523 145-252 142-550 2430-3870

Die Analysenergebnisse zeigen deutlich, dass die endogenen Hormongehalte in verschiedenen


Geweben tragender Tiere im Vergleich zu nichtgraviden Tieren und Tieren, die zur Unterstützung der
Mast Hormonimplantate eingesetzt bekamen, deutlich erhöht sind (4). Anderson und Skakkeæk
gehen bei diesen Untersuchungen allerdings von einer nicht unerheblichen Messunsicherheit aus, da
die nachzuweisenden Hormongehalte sehr dicht an der Nachweisgrenze der verwendeten
Radioimmunassay-Methode liegen und falsch negative Ergebnisse bzw. eine Untererfassung der
tatsächlichen Werte somit nicht ausgeschlossen werden können (5). Dafür sprechen auch die
vergleichsweise niedrigen Wiederfindungsraten an zugesetzten Steroidhormonen, die Kushinksky
mit 28,5-49,1 % für Östron (E1), Östradiol-17ß (E2) und Testosteron (T) und 17,2 % für Progesteron
(P4) angegeben hat.
Die unzureichende Datenlage bezüglich der exogenen Zufuhr von Stoffen mit hormoneller
Wirkung durch das Fleisch von tragend geschlachteten Tieren ist vor allem vor dem Hintergrund des
Einfuhrverbots von hormonbehandelten Rindern in die EU und der Ablehnung der Verwendung von
künstlichen und natürlichen Hormonen in der Tierproduktion sehr kritisch zu bewerten. Vor dem
Verbot des Einsatzes von Sexualsteroidhormonen bei der Fleischproduktion in der EU durch
Umsetzung der Richtlinie 88/146/EWG waren die Gehalte von E2 und E1 im Fleischgewebe nach
Einsatz von Steroiden nach Einschätzung der JECFA signifikant (2-fach) erhöht und führten somit
auch zu einer erhöhten Exposition der Konsumenten über die Nahrungskette (6). Die Richtlinie
2003/74/EG verbietet in diesem Zusammenhang die Anwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 503


VPH: Lebensmittelsicherheit
bzw. thyreostatischer Wirkung, was zu einer Verminderung des humanen Expositionsrisikos
gegenüber Stoffen mit hormoneller Wirkung beitragen soll. Gleichzeitig spricht sich die Europäische
Lebensmittelsicherheitsbehörde in ihrer Risikobewertung klar gegen den Import hormonbehandelter
Tiere in die EU aus (7).
Ziel der eigenen Untersuchungen ist die Erweiterung des Datenmaterials hinsichtlich der
Belastung der essbaren Gewebe tragender Rinder mit Steroidhormonrückständen und die
Bewertung der realistischen Expositionsbedingungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen und
unterschiedliche Verzehrsgewohnheiten.

Materialien und Methoden


Im Rahmen der eigenen Untersuchungen wurden in einem 12-monatigen Erhebungszeitraum
mittels eines Fragebogens Daten zur Prävalenz trächtig geschlachteter Rinder in Deutschland
erfasst. Es konnten Fragebögen aus insgesamt 53 deutschen Schlachtbetrieben ausgewertet
werden. Gleichzeitig erfolgte in einem Schlachtbetrieb die Beprobung verschiedener Zielorgane
(Muskulatur, Niere, Leber, Fettgewebe) von 45 Rindern in verschiedenen Stadien der Gravidität
sowie von nichtgraviden Kontrolltieren zur Analyse auf deren Gehalt an E2 und P4. Die Bestimmung
dieser Hormone in der Muskulatur erfolgte durch nach Niswender bzw. Abraham und Gottschalk
modifizierte 3H-Radioimmunoassays (RIA) (8-10). Zur Überprüfung der Parallelität und
Wiederfindungsrate an zugesetztem Hormon wurden Proben mit und ohne Zusatz von Progesteron
(Standardzusatz 4 ng P4) und Östradiol-17β (Standardzusatz 240 pg E2) in einer Verdünnungsreihe
getestet und die Parallelität zur jeweiligen Kalibrierkurve geprüft (vergleiche Abb. 1 und 2). Die
Wiederfindungsrate der markierten Hormone lag für P4 bei 85-95 %, für E2 bei 73-113 %. Zusätzlich
wurden aus jeder der vier Untersuchungsgruppen fünf Proben reines Fettgewebe mittels Ultra-
Performance-Liquid-Chromatographie (UPLC)–Tandem-Massenspektrometrie durch das
Lebensmittelhygienische Labor des Tiergesundheitsdienstes Bayern e. V. untersucht. Die
Bestimmung der Hormongehalte erfolgte gemäß den laborinternen Standard Operating Procedures
MET-LHO-138-LC-MS/MS und MET-LHO-139-LC-MS/MS des TGD Bayern e. V.

Abb. 1: Eichkurve (EK) und Wiederfindungsrate des Abb. 2: Eichkurve (EK) und Wiederfindungsrate
3H-Radio-Immunoassays (RIA) zur Untersuchung von des 3H-Radio-Immunoassays (RIA) zur
Muskelgewebe auf Progesteron (P4). Untersuchung von Muskelgewebe auf
17β-Östradiol (E2).

504 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
Ergebnisse
Die Auswertung der im Rahmen der Befragung erhobenen Daten zeigt, dass der Anteil tragend
geschlachteter Kühe bei bis zu 15 % der weiblichen Schlachtrinder liegt. Im Durchschnitt waren
9,6 % der weiblichen Rinder tragend, der Median lag bei 7,1 %. 52,8 % der teilnehmenden
Schlachtbetriebe (n=53) geben an, tragende Rinder zu schlachten. Bei den erfassten Tieren handelt
es sich ausschließlich um Milchvieh der Rasse Holstein-Friesian. Mehr als 90 % der tragenden Tiere
befinden sich in einem fortgeschrittenen Graviditätsstadium (2. und 3. Trimester). Das
durchschnittliche Alter der geschlachteten Tiere beträgt 57 Monate (min. 17 Monate, max. 127
Monate). Nach der Schlachtung der Muttertiere werden die Feten in der Regel nicht gesondert
getötet, sondern verbleiben in den Eihüllen bis der Tod durch Hypoxie eintritt. Es können dabei
regelmäßig deutliche und anhaltende Fetalbewegungen im Amnionsack festgestellt werden. Wie die
Tabelle 2 zeigt, weisen die in den essbaren Geweben tragender Rinder gemessenen
Steroidhormonwerte insgesamt eine hohe Variabilität auf. Ein Anstieg der Steroidhormone in der
Muskulatur und im Fett tragender Rinder ist vor allem ab dem Ende des 2. Trächtigkeitsdrittels zu
beobachten. Einzelne Tiere zeigen im dritten Trimester der Trächtigkeit um bis zu 5,2-fach erhöhte
E2-Werte und 1,6-fach erhöhte P4-Werte gegenüber der nichtgraviden Kontrollgruppe. Die im Fett
der tragenden Tiere gemessenen Werte für E2 sind erwartungsgemäß gegenüber den Werten im
Muskel nochmals um das 1,9-fache erhöht. Bei P4 ist sogar eine Erhöhung um das 6,4-fache
festzustellen.

Tabelle 2: Mittels 3H-Radioimmunoassays (RIA) und Ultra-Performance-Liquid-Chromatographie


(UPLC)–Tandem-Massenspektrometrie gemessene Östradiol-17β- und
Progesterongehalte in der Muskulatur und im Fett (Frischmasse) tragend
geschlachteter Rinder und nichtgravider Kontrolltiere
Gewebe/ Tierkategorie Östradiol-17ß Progesteron
Methode (pg/g) (ng/g)
min. max. min. max.
Nichtgravide Kuh (n=5) 105,8 132 2 11,4
Muskulatur/RIA

Kuh, 1. Trimester (n=7) 95,4 171,4 7 18,4


Kuh, 2. Trimester (n=22) 5,8 174,6 1,0 16,8
Kuh, 3. Trimester (n=17) 22,0 682 7,0 18,6

min. max. min. max.


Nichtgravide Kuh (n=5) <200 2,2 55
Fett/LC/MS

Kuh, 1. Trimester (n=5) <200 101,7 127,5


Kuh, 2. Trimester (n=5) <200 0,41 136,4
Kuh, 3. Trimester (n=5) <200 1,3x103 56 125,3

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 505


VPH: Lebensmittelsicherheit
Diskussion und Schlussfolgerungen
Die Auswertung der in den teilnehmenden Schlachtbetrieben bislang erhobenen Daten hat
gezeigt, dass die Schlachtung tragender Tiere keineswegs als Einzelphänomen betrachtet werden
darf. Die im Rahmen der eigenen Untersuchungen gemessenen Werte für P4 und E2 in der
Muskulatur von graviden Rindern liegen im Mittel in allen Stadien der Trächtigkeil über denen, die
Kushinsky angegeben hat (4). Dies ist sicher auch durch die nur mäßigen Wiederfindungsraten in
der Kushinsky-Studie zu erklären, die durch Methodenmodifikation im Rahmen der eigenen
Untersuchungen deutlich verbessert werden konnte. Ein Anstieg der Steroidhormone in den
Geweben tragender Rinder ist vor allem ab dem Ende des 2. Trächtigkeitsdrittels zu beobachten. Die
eigenen Untersuchungen haben gezeigt, dass das Fleisch von Tieren, die in einem fortgeschrittenen
Stadium der Trächtigkeit geschlachtet werden, im Vergleich zu nichtgraviden Tieren um bis zu 10-
fach erhöhte Gehalte an E2, dem potentesten natürlichen Estrogen und P4 aufweist. Eine Bewertung
der alimentären Exposition mit Steroidhormonen aus dem Fleisch tragender Rinder muss immer
auch die verschiedenen anderen Quellen für hormonartig wirkende Stoffe einbeziehen. Da diese sich
in der Nahrungskette anreichern können, müssen für den einzelnen Konsumenten grundsätzlich
recht unterschiedliche Expositionsszenarien berücksichtigt werden. Es steht jedoch außer Frage,
dass jeder Eintrag von Steroidhormonen und insbesondere der Eintrag des karzinogen E2, in die
Nahrungskette überaus kritisch bewertet werden muss, da für die fraglichen Substanzen zum
gegenwärtigen Zeitpunkt weder eine zulässige Tagesdosis festgesetzt noch eine quantitative
Risikoabschätzung hinsichtlich der alimentären Exposition des Verbrauchers vorgenommen werden
kann (1,11,12). Hier können in der Zukunft nur weitere Untersuchungen Aufschluss über die
realistischen Expositionsbedingungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen und unterschiedliche
Verzehrsgewohnheiten geben.

Literaturverzeichnis
1. Scientific Committee on Veterinary Measures Relating to Public Health, SCVPH. Opinion of the Scientific
Committee on Veterinary Measures Relating to Public Health. Assessment of potential risks to human
health from hormone residues in bovine meat and meat products. European Commission XXIV/B3/SC4;
1999. http://ec.europa.eu/food/fs/sc/scv/out21_en.pdf
2. Di Nicolo. Studie zum zusätzlichen Eintrag von Hormonen in die menschliche Nahrungskette durch das
Schlachten von trächtigen Rindern in der Europäischen Union am Beispiel von Luxemburg und Italien.
Dissertation, Universität Leipzig; 2006.
3. Lücker E, Bittner A, Einspanier A. Zur toxikologisch-hygienischen Bewertung der Exposition mit hormonell
wirksamen Stoffen bei Schlachtungen trächtiger Rinder unter verschiedenen Produktionsbedingungen.
Proceedings 44. Arbeitstagung DVG 'Lebensmittelhygiene' 2003, Garmisch-Partenkirchen, DVG Service
GmbH, Gießen. ISBN 3-936815-85-2; 2004. S. 628-33.
4. Kushinsky S. Safety aspects of the use of cattle implants containing natural steroids. International
Symposium on Safety Evaluation of Animal Drug Residues; 1983; Berlin.
5. Andersson AM, Skakkebaek NE. Exposure to exogenous estrogens in food: possible impact on human
development and health. Eur. J. Endocrinol. 1999;140:477-85.
6. Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives, JECFA. Toxicological evaluation of certain
veterinary drug residues in food. WHO Food Additives Series, No. 23. Cambridge University Press; 1988.
S. 643-50.
7. EFSA. Opinion of the Scientific Panel on contaminants in the Food Chain on a request from the European
Commission related to Hormon Residues in Bovine Meat and Meat products. The EFSA Journal.
2007;510:1-62.

506 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


VPH: Lebensmittelsicherheit
8. Niswender GD, Midgley Jr AR. Hapten-radioimmunoassay for steroid hormones. Immonological methods
in steroid determination. Péron F. G. and Caldwell B.V., Eds. Appleton-Century Crofts, New York: 1970. S.
149.
9. Abraham GE. Solid-phase radioimmunoassay of Östradiol-17β. J Clin Endokrin. 1969;29:866-70.
10. Gottschalk J. Validierte Methode zur Bestimmung von Progesteron und 17β-OÖstradiol. Labormitteilungen
an das Institut für Tierarzneimittel Berlin GmbH; 1999.
11. Scientific Committee on Veterinary Measures Relating to Public Health, SCVPH. Review of specific
documents Relating to the SCVPH opinion of 30 April 99 on the potential risks to human health from
hormone residues in meat products, adopted on 03 May 2000.
http://europa.eu.int/comm/food/bovinefood/chemicalsafety/contaminants/hormones/sci_opinion_en.htm
12. Scientific Committee on Veterinary Measures Relating to Public Health, SCVPH. Review of previous
SCVPH opinions of 30 April 1999 and 3 May 2000 on the potential risks to human health from hormone
residues in bovine meat and meat products, adopted on 10 April 2002.
http://ec.europa.eu/food/fs/sc/scv/out50_en.pdf

Kontaktadresse
Dr. Katharina Riehn, Institut für Lebensmittelhygiene, Universität Leipzig,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 507


VPH: Lebensmittelsicherheit

508 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Schwerpunkt

8
BERUFSRECHT,
BERUFSPOLITIK,
NIEDERLASSUNG

Pees M, Aschenbach JR, Gäbel G, Truyen U (Hrsg.)


LBH: Proceedings 6. Leipziger Tierärztekongress: Band 3
ISBN 978-3-86541-471-7

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 509


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in Österreich


Walter Holzhacker
Österreichische Tierärztekammer, Wien

Klagen von ArbeitnehmerInnen…


 Scheinangestelltenverhältnisse
(Werkverträge etc.)
 keine geregelten Dienstzeiten (in der Regel
50 – 60 Wochenstunden, unbezahlter Notdienst)
 schlechte Bezahlung (weniger als 800.- Euro
netto/Monat – oft angestellt als TierarzthelferIn!!)

Klagen von Dienstgebern…


 wollen keine Verantwortung übernehmen
 Freizeit ist wichtiger als Beruf (tierärztlicher Beruf ist kein „Beamtenjob“ – Flexibilität ist
Grundvoraussetzung spez. in der Nutztierpraxis)
 Mangelndes Wissen an „first days skills“
(müssen froh sein, dass sie etwas lernen können…, sind nur „Theoretiker“…

Statt gemeinsam jammern wäre besser gemeinsam ändern – aber wie?


 Kollektivvertragsfähigkeit des Berufsstandes
 Frauen haben anderen Zugang zum Beruf wie Männer (Familie, Kinder, Haushalt…)
- dem ist Rechnung zu tragen
 gegenseitiges Verständnis - offenes aufeinander Zugehen - korrekte Selbsteinschätzung -

Möglichkeiten von Zusammenarbeit in der tierärztlichen Praxis / Klinik


 Teilzeitarbeit – Mütter im Beruf
 Vollzeitarbeit - Neueinsteiger
 Teilhaberschaft – spätere Praxisnachfolge bzw.
Übernahme dabei möglich
 Gruppenpraxis - „Möglichkeit für Einzelkämpfer“
 Ges.m.b.H - interessant für Kliniken

Kontaktadresse:
Dr. Walter Holzacker, Österreichische Tierärztekammer, [email protected]

510 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Schweiz


Tobias Müller
Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte

1. Allgemeine Zahlen
• 500 angestellte TierärztInnen (von ingesamt 2500 bei der GST registrierten TierärztInnen)

• 75% weiblich, 25% männlich

• Arbeitsgebiet der angestellten TierärztInnen


- Kleintierpraxis 24%
- Gemischttierpraxis 25%
- Grosstierpraxis 13%
- Nutztierklinik 9%
- Kleintierklinik 12%
- Forschung 11%
- Sonstiges 6%

• Berufserfahrung der angestellten TierärztInnen


- weniger als 5 absolvierte Berufsjahre 54%
- 5-10 absolvierte Berufsjahre 36%

2. Arbeitszufriedenheit
• Mit dem Inhalt der Arbeit und der Arbeitstätigkeit sind 74% der angestellten TierärztInnen
zufrieden, v.a. eine interessante und abwechslungsreiche Arbeit wird als wichtig angesehen

• Unzufriedenheit herrscht insbesondere im Bereich Lohn, Arbeitszeiten und


Arbeitseinführung (37% der angestellten TierärztInnen sind unzufrieden mit der
Arbeitseinführung)

• Das Vertrauensverhältnis zu den direkten Vorgesetzten wird als überwiegend positiv


bewertet, auf der anderen Seite werden der Informationsfluss und die Betreuung als
unzureichend erachtet

3. Arbeitszeiten
• Gesetzlich festgelegte Arbeitszeit in CH = 42 h/ Woche (für angestellte TierärztInnen 45h)

• Angestellte TierärztInnen arbeiten häufig deutlich mehr: 60% zwischen 45-50 h oder über
50h, wobei nur 40% eine Vollzeitstelle besetzen

• Die Arbeitszeiten an den Universitäten liegen im Allgemeinen höher als in der Praxis

• In diesem Bereich ist insbesondere in den Privatpraxen eine Verbesserung der Situation zu
erkennen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 511


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
4. Lohn
• Der monatliche Bruttolohn bezogen auf 100% liegt im Median bei 5000-6000 SFR (= 4000-
4800 Euro)

• 55% der Notfall- und Sonntagsdienste werden nicht vergütet

• Nur gerade ¼ der angestellten TierärztInnen sind zufrieden mit der Bezahlung von
Überstunden und Notfalldiensten

• Da sich an den Universitäten viele angestellte Tier-ärztInnen in einem


Ausbildungsprogramm befinden, sind die Löhne an Universitäten meistens tiefer als in der
Praxis

(Informationen aus „Arbeitszufriedenheit bei AssistenztierärztInnen“, Marco Goetschi, 2005)

Kontaktadresse:
Dr. Tobias Müller, Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte, Sektion für TierärztInnen in
Anstellung STA, [email protected]

512 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in Südtirol


Franz Hintner
Tierärztekammer der Provinz Bozen

 Südtiroler Tierarztstudenten/Innen deutscher und ladinischer Muttersprache studieren Großteils


an der Vet. Med. Uni Wien und oder an der Vet. Med. Uni in München.
 Südtiroler Tierarztstudenten/Innen der italienischen Muttersprache studieren vor allem an den
13 möglichen Veterinärmedizinischen Universitäten in Italien
 Problem Italien: keine koordinierte, zielorientierte und bedarfsbezogene Veterinärmedizinische
Ausbildung
 Die Anzahl der Uni - Abgänger in Italien überschreitet weit den reellen Bedarf auf dem Markt.
 Über 30% der Universitätsabgänger von der Veterinärmedizin in Italien der letzten 10 Jahre
haben sich nie in die Berufskammer eingetragen.
 Situation der Nutztierpraktiker in Südtirol: Die strukturellen Änderungen und die wirtschaftliche
Lage in der Landwirtschaft haben sich negativ auf die finanzielle Situation der Praktiker
ausgewirkt. Es kann aber nicht die Aufgabe des Berufstandes sein dieserSituation Rechnung
zu tragen.
 Kleintierbereich oder Hobbytierhaltung: der Markt an Kleintierpraktikern ist auch in Südtirol
inzwischen ausreichend abgedeckt; die finanzielle Situation der Kunden ist, bedingt durch die
Wirtschaftskrise und die stagnierenden Einkommen, schlechter geworden
 Perspektiven für Südtiroler Tierärzte/Innen in Südtirol: sowohl im Nutztier- als auch im
Hobbytierbereich momentan geringe Nachfrage bzw. Bedarf
 Vorteile für die deutsch sprechenden Kollegen/Innen: Nachfrage an Nutztierpraktikern in
Österreich und in Deutschland groß, viele Südtiroler Tierärzte welche vor allem in München
oder in Wien studiert haben, kehren deshalb nach dem Studium nicht mehr nach Südtirol
zurück.
 Die Berufskategorie wird zunehmend weiblich (fast alle Neu-Einschreibungen sind weiblich)
Langfristig wird sich auch die Situation in Südtirol den nördlichen Ländern anpassen. Es wird
zu einem Mangel an Nutztierpraktikern kommen.

Formen der Zusammenarbeit:


 Selbständige Alleinunternehmer oder in einer gleichberechtigten Sozietät.
 Anstellung: direkt angestellte Tierärzte/Innen, diese Form der Mitarbeit wird in Südtirol nicht
und in Italien selten und zwar aus steuerrechtlichen Gründen in Erwägung gezogen.
 Daher freie Mitarbeiter in der Praxis auf Honorarbasis. Der Tierarzt/In stellt dem Arbeitgeber
eine vereinbarte jährliche Honorarnote aus.
 Jährliche Honorarnoten von bis zu 30.000€ pro Tierarzt/In sind laut italienischem Steuerrecht
mehrwertsteuerfrei
 Die Honorarnote entspricht dem Bruttogehalt, dementsprechend müssen alle
Lohnnebenkosten vom freien Mitarbeiter selbst entrichtet werden.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 513


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

 Vorteil für den Tierarzt als freier Mitarbeiter: er bringt ohne irgendeine finanzielle Beteiligung
seine Arbeitskraft mit Kopf und Händen ein und hat kein unternehmerisches Risiko
 Nachteil Kostenkalkulation nicht im Griff (viele Abgaben) keine Sicherheit, sofort kündbar, vor
allem für junge werdende Mütter keine Absicherung.
 Problem Kleintierpraxis: Junge Kollegen vor allem Kolleginnen verdienen in den ersten Jahren
als Assistent ein Entgelt das in keiner Weise der langen Ausbildung entspricht.
 Weitere Entscheidung: selbständiges Arbeiten, Eröffnung einer tierärztlichen Tätigkeit auf
eigenem unternehmerischen Risiko da keine Niederlassungsbarriere besteht oder wie erwähnt
als freier Mitarbeiter.

Kontaktadresse:
Dr. Franz M. Hintner, Präsident der Tierärztekammer der Provinz Bozen, [email protected]

514 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht einer


Tierärztin
Meike Stamm
Panitzsch

Arbeitszeit
+ Schichtplan führt zu
• besserer Planbarkeit
• geregelter Freizeit
• weniger Überstunden
• klaren Strukturen und definierten Ansprechpartnern
- Notfälle generell nicht planbar

Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben


+ Bevorzugung von Müttern
• Weniger Dienste
• Keine Nachtdienste
• Halbe Stelle
+ Langfristige Dienstplanung (inklusive Wochenenden/Feiertagen)
- Schwierig, abhängig von
• familiärer Anbindung vor Ort
• Beruf des Partners

Arbeitsumgebung und Vergütung


+ Gutes Arbeitsklima steigert Leistungsbereitschaft und –vermögen
+ Erfahrener Tierarzt immer verfügbar
+ Umlegen der Notdienstzuschläge auf Angestellte  mehr Patienten, mehr Gehalt
- Gehälter angestellter Tierärzte weiterhin unverhältnismäßig

Qualitätsorientierung, Fort- und Weiterbildung


+ Spezialsprechstunden
• Zielführende Patientenbetreuung
• Interne Hospitation in der Arbeitszeit
+ Interne Fallbesprechung
+ Erfahrungsaustausch nach Fortbildungen
- Beantragung von Urlaub für Fortbildungen
- Fortbildungszuschuss nicht kostendeckend

Kontaktadresse:
Meike Stamm, Tierärztliche Klinik für Kleintiere, Panitzsch, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 515


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht eines


Studierenden
Bund der Veterinärmedizinstudierenden Deutschland

Zu diesem Vortrag lag zu Redaktionsschluss noch kein Beitrag vor. Aktuelle Beitragsergänzungen
finden Sie gegebenenfalls unter www.blauehefte.de.

Notizen zum Vortrag:

516 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Angestellte Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis aus Sicht eines


tierärztlichen Arbeitgebers
Gerhard Thiele
Baruth

Zu diesem Vortrag lag zu Redaktionsschluss noch kein Beitrag vor. Aktuelle Beitragsergänzungen
finden Sie gegebenenfalls unter www.blauehefte.de.

Kontaktadresse
DVM Gerhard Thiele, Baruth/Mark, [email protected]

Notizen zum Vortrag:

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 517


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Die Niederlassung – rechtssicher in die Zukunft


Jürgen Althaus
Rechtsanwälte Mönig und Partner, Münster

Einleitung
Der Beruf des Tierarztes erfreut sich nach wie vor einer wachsenden Beliebtheit, sodass sich für
viele Tierärztinnen und Tierärzte die Frage stellt, in welcher Form (Anstellungsverhältnis,
Einzelpraxis, Kooperation usw.) sie ihren Beruf ausüben möchten und welche Variante die
wirtschaftlich sinnvollste ist.
Jeder Tierarzt, der sich mit dem Gedanken trägt, eine eigene berufliche Existenz zu gründen, sei
es durch Praxiskauf, Einstieg in eine bestehende Praxis oder Gründung einer Kooperation, sollte
sich bewusst sein, dass es rechtliche Fallstricke gibt und es wichtige rechtliche Aspekte zu bedenken
gilt.

Formen der Existenzgründung/Niederlassung


Entscheidet sich ein Tierarzt für eine Existenzgründung, stellt sich zunächst die Frage nach der
für den Einzelnen passenden Form. So steht eine Neugründung („auf der grünen Wiese“) ebenso zur
Disposition wie die Übernahme einer bestehenden Praxis, der Einkauf in eine bestehende Praxis
oder die Neuniederlassung in Form der Bildung einer Kooperation mit einem Kollegen/einer Kollegin.
All diese Varianten beinhalten Vor- und Nachteile, welche sorgfältig abzuwägen sind und im
Vorhinein bedacht werden sollten. Gerade im rechtlichen Bereich gilt es, spätere Probleme möglichst
schon in der Gründungsphase zu bedenken und soweit wie möglich zu regeln. Fehler oder
Versäumnisse in dieser Phase werden sich in der Praxis später häufig nerven- und kostenintensiv
auswirken.

Praxisneugründung
Einer Praxisneugründung („auf der grünen Wiese“) ist sicherlich die Existenzgründungsform mit
der größten Gestaltungsfreiheit, bietet jedoch auch einige der größten Risiken. So kann die
Tierärztin/der Tierarzt das gesamte Praxisumfeld selbst bestimmen (Räumlichkeiten, Ausrichtung der
Praxis, Mitarbeiter/-innen, Außenauftritt usw.) und muss sich weder mit einem Partner abstimmen,
noch gewachsene Strukturen mit ihren Vor- und Nachteilen übernehmen. Nachteilig ist jedoch, dass
eben nicht auf vorhandene Strukturen zurückgegriffen werden kann, also kein Kundenstamm, kein
eingespieltes Personal und keine Position am Markt vorhanden sind. Eine Praxisneugründung ist in
rechtlicher Hinsicht nicht besonders schwierig. Hier gilt es im Wesentlichen verschiedene
Anzeigepflichten bei verschiedenen Behörden (Tierärztekammer, zuständiges staatliches
Veterinäramt, zuständiges Gewerbeaufsichtsamt, Finanzamt, Krankenkassen usw.) zu beachten.

Praxisübernahme
Bei einer Praxisübernahme hingegen kann der Existenzgründer auf vorhandene Strukturen
zurückgreifen und insbesondere den vorhandenen Kundenstamm übernehmen. Darüber hinaus kann
häufig eine funktionstüchtige Praxiseinrichtung zu Buch- beziehungsweise Zeitwerten übernommen
werden, sodass die Investitionen in diesem Bereich deutlich moderater ausfallen.

518 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Da auf dem Weg zur eigenen Praxis auch im Falle einer Praxisübernahme eine Vielzahl von
Verträgen zu schließen beziehungsweise zu beachten sind (Kaufvertrag, Mietvertrag, Arbeitsverträge
usw.), sollte diesbezüglich der Rat von Fachanwälten eingeholt werden. Insbesondere laufende
Verträge führen in der Praxis immer wieder zu Fragen beziehungsweise Problemen. In der Regel
können allerdings diese Verträge (Leasingverträge über Geräte, Praxis-EDV, bestehende
Versicherungen, Dauerlieferungsverträge wie Strom, Gas, Wasser, Telefon etc.) unkompliziert auf
den Praxiserwerber übergeleitet werden.
Besonderes Augenmerk ist demgegenüber auf die bestehenden Arbeitsverträge zu richten. Hier
gelten aufgrund gesetzlicher Vorschriften (§ 613 a) BGB) sehr wichtige und zwingend einzuhaltende
rechtliche Verpflichtungen.
Ebenfalls äußerst bedeutend für den wirtschaftlichen Erfolg einer Praxisübernahme ist die
Möglichkeit, in einen bestehenden Mietvertrag einzusteigen beziehungsweise mit dem Vermieter
einen neuen Vertrag mit annehmbaren Konditionen abzuschließen. Der die Praxisräumlichkeiten
betreffende bestehende oder abzuschließende Mietvertrag sollte aufgrund seiner enormen
wirtschaftlichen Bedeutung stets genau geprüft und auf den Einzelfall abgestimmt werden.
Regelmäßig entpuppt sich der Mietvertrag bei Praxiskäufen als „Zünglein an der Waage“. Aus
diesem Grund sollte in den Praxiskaufvertrag stets eine aufschiebende Bedingung aufgenommen
werden, dergestalt, dass der Vertrag nur dann rechtskräftig wird, wenn der Mietvertrag auf den
Erwerber übertragen beziehungsweise ein neuer Mietvertrag abgeschlossen ist. Ansonsten läuft der
Praxiskäufer Gefahr, zwar eine Praxis wirksam gekauft zu haben, diese allerdings mangels eines
Mietvertrages nicht betreiben zu können.

Praxiskaufvertrag
Der Kauf einer Praxis begründet regelmäßig die Gründung einer wirtschaftlichen Existenz, ist
somit wortwörtlich von „existenzieller“ Bedeutung. Es ist aus Platzgründen nicht möglich, die
wesentlichen Vertragsinhalte im Einzelnen zu beschreiben. Insofern soll lediglich auf besonders
wichtige Notwendigkeiten hingewiesen werden. Ein Praxiskaufvertrag sollte – obwohl dies in
rechtlicher Hinsicht auch anders möglich ist – immer schriftlich abgeschlossen werden. Darüber
hinaus sollte ein Praxiskaufvertrag immer individuell ausgehandelt, ausgearbeitet und formuliert
werden. Die Verwendung von Musterverträgen sollte unterbleiben, da diese nicht den individuellen
Interessen gerecht werden können.
Die Sicherheit, eine umfassende Beratung und nicht zuletzt einen maßgeschneiderten Vertrag zu
erhalten, kann letztendlich nur die Konsultation eines Rechtsanwalts bieten, welcher über Erfahrung
auf dem Gebiet der Übertragung tierärztlicher Praxen verfügt und daher auf typische Fallstricke
hinweisen und die im Einzelfall beste Lösung erarbeiten kann.

Kooperationen
Neben der Möglichkeit, eine Praxis neu zu gründen oder eine bestehende Einzelpraxis zu
übernehmen, bietet sich als Einstieg in die Selbständigkeit häufig die Gründung oder Beteiligung an
einer Kooperation an. Die Arbeit im Rahmen einer Kooperation bietet viele Vorteile. So kann sich der
Einzelne auf bestimmte Bereiche spezialisieren. Zudem ist es unproblematisch, sich während
Krankheit- und Urlaubszeiten gegenseitig zu vertreten und so die Praxis ganzjährig geöffnet zu
halten. Nachteile bestehen demgegenüber darin, dass die Entscheidungsfreiheit naturgemäß
gegenüber der eines „Einzeltierarztes“ eingeschränkt ist und häufig der Zwang zur Findung von
Kompromissen besteht.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 519


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Kooperationsformen
Es existieren verschiedene Formen der tierärztlichen Kooperation mit ebenso unterschiedlichen
rechtlichen Ausgestaltungen und Folgen. So können sich Tierärzte zum Beispiel in reinen
Organisationsgemeinschaften verbinden. Hierbei wird zum Teil aus finanziellen und
organisatorischen Gründen eine gesamte Praxisstruktur gemeinsam genutzt
(Praxisgemeinschaft/Gruppenpraxis). Bei dieser Kooperationsform handelt es sich um einen relativ
lockeren Zusammenschluss, welcher dadurch gekennzeichnet wird, dass die beteiligten Tierärzte
ihre rechtliche und wirtschaftliche Eigenständigkeit behalten und lediglich Synergieeffekte durch die
gemeinsame Nutzung sächlicher und personeller Mittel nutzen.
Daneben besteht die Möglichkeit, sich innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft zu
verbinden. Hierbei ist charakteristisch, dass die tierärztliche Tätigkeit gemeinsam ausgeübt wird und
die einzelnen Partner beziehungsweise Praxen ihre rechtliche Selbständigkeit aufgeben. Die
typischste und in der Praxis am häufigsten anzutreffende Form einer Berufsausübungsgemeinschaft
ist die tierärztliche Gemeinschaftspraxis. Bei dieser Kooperationsform handelt es sich um die engste
Form der Zusammenarbeit, welche überwiegend in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen
Rechts ausgestaltet ist.

Gesellschaftsvertrag/Kooperationsvertrag
Der Ausarbeitung des Gesellschaftsvertrages kommt in der Praxis eine sehr große Bedeutung
zu, da dieser nicht nur die Modalitäten der gemeinsamen beruflichen Tätigkeit, sondern bestenfalls
auch alle Modalitäten hinsichtlich der verschiedenen Beendigungsszenarien regelt. So sollten nicht
nur Beteiligungs- und Gewinnverteilungsabreden festgehalten werden, sondern auch Regelungen für
den Fall der Berufsunfähigkeit und des Todes eines Gesellschafters ebenso wie die Möglichkeiten
der Kündigung (insbesondere Fristen) und deren Folgen (Wer scheidet aus? Abfindung ja oder nein?
Konkurrenzschutz ja oder nein? usw.) getroffen werden. Auch beim Gesellschaftsvertrag gilt die
wichtige Regel: Ein Gesellschaftsvertrag sollte wegen der besonderen Bedeutung immer schriftlich
niedergelegt und geschlossen werden. Hier sollte erst Recht auf die Verwendung von
Musterverträgen verzichtet werden. Ein Gesellschaftsvertrag sollte im Interesse der betroffenen
Parteien immer situations- und interessenabhängig individuell gestaltet werden. Die Kosten eines
individuell und sachgerecht gestalteten Gesellschaftsvertrags dürften im Regelfall geringer sein als
die Kosten einer Auseinandersetzung aufgrund eines unzureichend und nicht interessengerecht
gestalteten Vertrags.

Fazit
Beim Einstieg in die berufliche Selbständigkeit lauern viele rechtliche Fallstricke, aber auch
mindestens eben so viele Chancen, die eigene berufliche Tätigkeit den jeweiligen Wünschen
entsprechend zu gestalten. Wichtig sind vor allem eine zeitlich angemessene Planung und eine
konkrete und individuelle rechtliche Ausgestaltung der Existenzgründung. Dadurch kann sich der
Wunsch, die eigene Praxis „rechtsicher in die Zukunft“ zu führen, am besten realisieren lassen.

Kontaktadresse
Jürgen Althaus, Rechtsanwälte Mönig und Partner, Münster, [email protected]

520 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Existentielle Risiken richtig absichern


Tim-Oliver Kasten
TVD Brinkmann, Gudd & Tindler GmbH, Hannover

Chancen und Risiken einer selbstständigen Tätigkeit


Eine selbstständige Tätigkeit als Tierarzt birgt naturgemäß Chancen und Risiken. Endlich eigener
Chef sein, selbst gestalten können und auf eigene Rechnung arbeiten, das beflügelt die Phantasie
und das Engagement. Je nach Ehrgeiz, fachlichem und kaufmännischem Geschick steht ja auch ein
adäquates Einkommen in Aussicht. Nach der entbehrungsreichen Assistentenzeit lässt sich der eine
oder andere Wunsch erfüllen und beizeiten in die längerfristige Lebens- und Familienplanung
einsteigen.
Wenn nichts dazwischen kommt. Doch unverhofft kommt oft. Es passieren Anfängerfehler, die
ins Geld gehen. Ein Einbruch in die Praxis löst ein mittleres Chaos aus. Durch eine plötzliche
Erkrankung oder durch einen Unfall kommt der Umsatz zum Erliegen. Ebbe in der Kasse, aber die
Kosten laufen weiter.

Was ist existentiell?


Nicht jedes Ereignis bringt den jungen Praktiker wirtschaftlich in die Bredouille. Doch in der Regel
ist die Praxis kreditfinanziert, und Rücklagen sollen erst noch aufgebaut werden. Ein Schaden in
Höhe von einigen tausend Euro kann für einen Anfänger heikel werden, während ein gestandener
Praktiker das leichter wegsteckt.
Wirklich existenzbedrohend wird es, wenn die eigene Arbeitskraft durch einen Schicksalsschlag
beeinträchtigt wird. Dann steht nicht nur der aktuelle Lebensunterhalt in Frage, sondern unter
Umständen gerät auch die gesamte finanzielle Lebensplanung einschließlich der Altersvorsorge ins
Wanken. Deshalb ist ein vorausschauendes Riskmanagement gefragt – sowohl für die Praxis als
auch für die eigene Person.

Berufliche Haftung
Niemand ist vor Fehlern bei der Behandlung gefeit. Nach dem Bürgerlichen Recht haftet der
Verursacher dafür uneingeschränkt, wenn er einem Dritten einen Schaden zufügt. Voraussetzung für
den Schadenersatzanspruch ist jedoch ein Verschulden des Tierarztes. Erfolgte die Behandlung lege
artis, nach den Regeln der ärztlichen Kunst, besteht kein Haftungsgrund.
Weitreichender als Sachschäden – dazu gehören auch Schäden an Tieren – können
Personenschäden sein. Wird ein Tierhalter während der Behandlung von einem Patienten gebissen,
weil der Tierarzt unachtsam war, so kann dies einen Millionenschaden verursachen. Dies kann
eintreten, wenn die verletzte Person berufsunfähig wird und eine Rente beansprucht.
Eine weitere Art der Haftung betrifft die Vermögensschäden. Diese können bei gutachterlicher
Tätigkeit entstehen, zum Beispiel bei Kaufuntersuchungen. In der Pferdepraxis wirkt sich eine
Fehldiagnose besonders gravierend aus. Wenn der Tierarzt bei der Untersuchung eine
gesundheitliche Beeinträchtigung des Pferdes übersieht, kann der Käufer den Ersatz der Kosten für
Transport, Training, Futter und Unterbringung verlangen.
Die Haftung des Praxisinhabers erstreckt sich auch auf Schäden, die durch Angestellte und
Praxisvertreter verursacht werden. Für alle Schäden kommt die Berufshaftpflichtversicherung auf.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 521


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Praxiseinrichtung
Eine moderne und gut ausgestatte Praxis erfordert Investitionen zwischen 80.000 € und
150.000 €. Die Einrichtung, Geräte, Instrumente und Medikamente, auch Umbauten in den
gemieteten Raumen, gehen ins Geld. Wie beim persönlichen Hausrat kann auch das Praxisinventar
zu Schaden kommen: durch Feuer, Einbruchdiebstahl und Vandalismus, Leitungswasserschäden,
Sturm und Hagel. Diese Risiken lassen sich durch eine Inventarversicherung abdecken, die auch
den entgangenen Umsatz bei Praxisunterbrechung erstattet. Immer öfter sorgen auch Starkregen
und Überschwemmungen für enorme Schäden. Selbst mit Schneedruck, Erdrutsch und Erbeben ist
in einigen Gegenden zu rechnen. Diese Ereignisse zählen zu den erweiterten Elementarschäden, die
in die Inventarversicherung mit einem Zusatzbaustein eingeschlossen werden können.

Elektronik
Zum teuersten und zugleich empfindlichsten Equipment der Praxis zählt die Ausstattung an
elektronischen Geräten. Wenn ein Schallkopf zu Boden fällt, zahlt die Inventarversicherung nicht. Mit
einer Elektronikversicherung lassen sich die Folgen von unsachgemäßer Handhabung,
Bedienungsfehlern, Überspannung durch Blitz und Diebstahl während der Öffnungszeiten
versichern. Fahrpraxen können auch das Außenrisiko einschließen. Wenn zum Beispiel ein mobiles
Röntgengerät bei einem Autounfall oder beim Einsatz auf der Weide beschädigt wird, ist dies ein
versicherter Schaden. Auch wenn ein Kunde oder ein Patient den Schaden verursacht, kommt die
Versicherung dafür auf – und zwar zum Neuwert bzw. Wiederbeschaffungswert.

Rechtsschutz
Recht haben und Recht bekommen sind bekanntlich zwei Paar Schuh. Während die
Berufshaftpflicht unberechtigte Ansprüche von Patientenbesitzern abwehrt, bleibt das Kostenrisiko
bei allen anderen Rechtsstreiten beim Tierarzt. Der Worst-Case-Fall tritt dann ein, wenn der
Streitwert in die Hunderttausende geht. Dann können die Kosten für Gericht, Gutachter und Anwälte
auf mehrere zehntausend Euro anwachsen. Als Beispiel mag ein Autounfall mit Fremdverschulden
dienen. Wenn der Tierarzt dabei schwer verletzt wird und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, hat
er einen Schadenersatzanspruch gegen den Verursacher. Mit einer Rechtsschutzversicherung kann
er ohne eigenes Kostenrisiko den Anspruch einklagen – falls erforderlich durch mehrere Instanzen.
Die Rechtsschutzversicherung hilft auch, wenn Kunden die Rechnung nicht bezahlen
(Vertragsrecht) oder Ärger mit Angestellten gerichtlich geklärt werden muss (Arbeitsrecht). Streit mit
dem Vermieter der Praxis oder der privaten Wohnung (Wohnungs- und Mietrecht) sind ebenso
versichert wie ein Verstoß im Straßenverkehr (Verwaltungsrecht, Strafrecht). Selbst vorsätzlich
begehbare Straftaten, wie ein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht, können in die Police
eingeschlossen werden.

Krankenversicherung/Pflegepflichtversicherung
Seit 2009 besteht eine Krankenversicherungspflicht in Deutschland. Die letzte
Gesundheitsreform hat dafür gesorgt, dass niemand ohne Versicherungsschutz bleibt.
Selbstständige dürfen frei entscheiden, ob Sie sich freiwillig gesetzlich (GKV) oder privat (PKV)
krankenversichern. Eine weitreichende Entscheidung, die genau abgewogen sein will. Die
Systemunterschiede:
Die GKV bietet eine solide Grundabsicherung, die durch private Zusatzversicherungen
aufgestockt werden kann. Sie schließt Familienmitglieder ohne eigenes Einkommen beitragsfrei ein.

522 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
2009 betrug die Mindestbemessungsgrenze für Existenzgründer 1.260 € bei einem Beitragssatz von
14,9 Prozent des Einkommens (Gewinn). Solange der Gründungszuschuss gezahlt wird, haben
Existenzgründer eine niedrigere Bemessungsgrenze. Die Obergrenze liegt bei 3.675 € und wird
jedes Jahr angehoben. Für 2010 stand sie bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Was passiert,
wenn die Kosten steigen? Sie werden bei der GKV in der Regel durch Leistungskürzungen und
Zuzahlungen ausgeglichen.
In der PKV wird jede Person einzeln versichert. Die Leistungen richten sich nach den
Vorstellungen des Versicherten und werden dauerhaft vereinbart. Vom Einsteigertarif bis zum
Hochleistungstarif besteht eine breite Auswahl. PKV-Versicherte können sich als Privatpatienten
beim Arzt, Zahnarzt und im Krankenhaus behandeln lassen. Die privaten Kassen kalkulieren
gleichbleibende Beiträge über die gesamte Lebensphase. Kostensteigerungen können jedoch durch
Prämienanpassung weitergegeben werden. Dafür bleibt die Leistung konstant. Durch die Höhe der
Selbstbeteiligung lässt sich der Beitrag beeinflussen.
Aufgrund eines Bundesverfassungsgerichtsurteils hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2010 die
steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge neu geregelt. Sämtliche Beiträge zu
einer Krankenversicherung und einer Pflegepflichtversicherung, die dem gesetzlichen Basisschutz
entsprechen, dürfen als Vorsorgeaufwendungen geltend gemacht werden. Die Beiträge für
Chefarztbehandlung und Ein- oder Zweibettzimmer gehören nicht dazu.
Die Pflegepflichtversicherung wurde 1997 eingeführt und gewährt Pflegebedürftigen eine nach
dem Grad der Pflegebedürftigkeit abgestufte Leistung. Sie fällt bei ambulanter Pflege niedriger aus
als im Pflegeheim. Da die Höchstleistung begrenzt ist, kommen bei Unterbringung im Pflegeheim
Zuzahlungen von 1.500 € und mehr auf den Patienten oder die Angehörigen zu. Dieses Risiko ist
nicht zu unterschätzen. Es lässt sich durch eine Pflegezusatzversicherung oder ein Pflegetagegeld
absichern.

Krankentagegeld
Angestellte bekommen im Krankheitsfall eine Gehaltsfortzahlung von sechs Wochen.
Selbstständige müssen sich selbst um die Absicherung des Verdienstausfalls kümmern. Ein GKV-
Versicherter kann gegen Beitragszuschlag ein Tagegeld vereinbaren, das nach drei oder sechs
Wochen gezahlt wird. Die Höhe ist auf 70 Prozent des Einkommens begrenzt. Die Höchstleistung
beträgt 2.756 €. Da im Krankheitsfall nicht nur der Gewinn fehlt, sondern auch die laufenden Kosten
für Miete, Personal und Praxisfinanzierung bezahlt werden müssen, ist die gesetzliche Absicherung
deutlich zu niedrig. Ein Vertreter kostet bereits 200 € am Tag. Praxisinhaber – sowohl GKV- als auch
PKV-Versicherte – fahren daher besser mit einer privaten Krankentagegeldversicherung.
Karenzzeiten von zwei oder drei Wochen sind empfehlenswert. Die Höhe des Tagegeldes darf bis 75
Prozent des Umsatzes betragen. Bei einem Monatsumsatz von 12.000 € dürfen also 9.000 €
abgesichert werden. Das entspricht einem Tagessatz von 300 €.

Berufsunfähigkeit
Die Krankentagegeldversicherung stellt ihre Leistung ein, wenn dauerhafte Berufsunfähigkeit
eintritt. Die Versorgungswerke bieten einen Basisschutz bei Berufsunfähigkeit, allerdings müssen
sich praktizierende Tierärzte auf andere zulässige Tätigkeiten verweisen lassen. Wer – theoretisch –
noch als Amtstierarzt, Gutachter oder Pharmareferent arbeiten kann, erhält keine
Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente). Des Weiteren knüpfen die Versorgungswerke die BU-Leistung
an die komplette Aufgabe der tierärztlichen Tätigkeit. Deshalb ist die private Absicherung der

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 523


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Berufsunfähigkeit ein absolutes Muss. In Frage kommen nur Fünf-Sterne-Tarife, die bereits leisten,
wenn der Versicherte durch Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall voraussichtlich sechs
Monate nicht mehr in der Lage ist, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit auszuführen. Eine abstrakte
Verweisung auf eine andere Tätigkeit als Tierarzt sollte in den Bedingungen ausgeschlossen sein.
Die Höhe der BU-Rente darf bis zu 60 Prozent des (voraussichtlichen) Gewinns betragen. Eine
anfängliche Höhe von 2.000 bis 2.500 € ist empfehlenswert. Wer bereits eine BU-Rente als Assistent
abgeschlossen hat, kann eventuell von einer Erhöhungsoption ohne neue Gesundheitsprüfung
profitieren. Ansonsten sind die Gesundheitsfragen im Antrag gewissenhaft zu beantworten, denn
andernfalls kann der Versicherer später den Vertrag anfechten.

Unfallversicherung
Im Gegensatz zur BU-Rente zahlt die Unfallversicherung eine einmalige Invaliditätsleistung,
wenn durch einen Unfall eine dauerhafte Invalidität zurückbleibt. In der Praxis kommt es häufiger vor,
dass nach einem Katzenbiss ein Finger steif bleibt oder gar amputiert werden muss. Deshalb ist eine
besondere Gliedertaxe für Mediziner wichtig, die bei Daumen und Zeigefingern 60 Prozent statt der
üblichen 20 Prozent leistet. Durch eine vereinbarte Progression steigt die Leistung ab 25 Prozent
Invalidität stärker an als bei einer linearen Leistung. Die Unfallversicherung tritt bei privaten und
beruflichen Unfallfolgen ein – unabhängig vom Grad einer Berufsunfähigkeit.

Todesfallschutz
Bei Darlehensvergabe sichert sich die Bank üblicherweise gegen den Todesfall des
Praxisinhabers ab. Dies geschieht durch eine Risikolebensversicherung. Derselbe Schutz ist
ebenfalls zur Absicherung der Familie sinnvoll. In einer Gemeinschaftspraxis können sich die Inhaber
gegenseitig versichern. Somit erhält im Todesfall der verbleibende Partner die Versicherungsleistung
und kann damit die Erben des Verstorbenen auszahlen. Aus steuerlichen Gründen sollten
Versicherungsnehmer und versicherte Person sich „über Kreuz“ versichern. Nur bei richtiger
Gestaltung bleibt die Leistung steuerfrei.

Fazit: Ein Praxisgründer sollte seine beruflichen und persönlichen Risiken so absichern, dass die
Existenzgrundlage jederzeit gesichert ist – was immer auch passiert.

Kontaktadresse
Tim-Oliver Kasten, TVD Brinkmann, Gudd & Tindler GmbH, Hannover, tim.kasten@tvd-
finanzgruppe.de

524 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Besitzerkommunikation – der vertrauensvolle Umgang mit Tierhaltern


Gonthard Westphal
Horbach, Finanzoptimierung für Akademiker

„Ein Führender, der nicht kommunikationsfähig ist, genießt kaum Vertrauen.”


Dr. phil. Baldur Kirchner, Dozent für Persönlichkeitsbildung

„Wir sind schon ein merkwürdiges Volk, wenn wir mit Freude Maschinen bedienen, aber jedes
Lächeln gefriert, wenn es sich um die Bedienung von Menschen handelt.“
Roman Herzog (*1934), deutscher Bundespräsident 1994–1999

Innen- und Außenwirkung in der Kommunikation


Grundlage für jeden wirtschaftlichen, kaufmännischen, politischen und sozialen Erfolg ist die
offene, vertrauensvolle und vor allem wirksame Kommunikation mit Menschen. Eine
Grundvoraussetzung dafür ist, zu wissen, wie man auf andere wirkt. Welche Einflussfaktoren wirken
bei einem selbst und wie entwickelt sich daraus die Wirkung auf andere? Die Kenntnis der eigenen
Verhaltensmuster ermöglicht es Ihnen, Strategien zu entwickeln, um in jedem Umfeld erfolgreich zu
sein.
Viele Verhaltensforscher und Psychologen haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Wir
stützen uns auf die Insights®-Analyse von Carl Gustav Jung und William M. Marston, das
Persönlichkeitsgutachten des Scheelen-Instituts (INSIGHTS GmbH). Dieses Gutachten basiert auf
drei Säulen:
 Was motiviert mich Dinge zu tun, zu sagen und zu denken?
 Welche Stärken habe ich in meinem Profil?
 Wie erkenne ich in relativ kurzer Zeit mein Gegenüber, lerne es einschätzen und so
vertrauensvoll zu kommunizieren?
Neben jeder fachlichen Kompetenz, der medizinischen und fachlichen Notwendigkeit,
entscheidet gerade im Bereich der Veterinärmedizin Vertrauen und Einfühlungsvermögen über den
Erfolg des Tierarztes.

Ratio und Emotio


Die meisten Menschen treffen eine Entscheidung zu 95 % aufgrund von Empfindungen, nur zu
5 % werden Entscheidungen aufgrund rationaler Tatsachen getroffen (siehe Abb. 1). Möchte man
also jemanden dazu bringen, etwas zu tun, so muss man in seiner Kommunikation den emotionalen
Aspekt ansprechen, das Gegenüber emotional bewegen. Tatsachen allein werden kaum zu der
gewünschten Entscheidung führen. Beispielsweise wird man für eine Katze, die man für 25 € durch
eine andere ersetzen kann, trotzdem 100 € für eine notwendige Operation bezahlen, da man das
geliebte Tier ja behalten möchte. Eine rein emotionale Entscheidung.

Motive und Farben


Was sind Motive, Dinge zu tun? Wann vertraue ich Menschen? Was muss an Kommunikation
und Rhetorik im Vorfeld stattfinden? Grundsätzlich unterscheidet Scheelen vier Formen der
Motivation (siehe Abb. 2): Anerkennung (rot), Spieltrieb (gelb), Wunsch nach Sicherheit (blau) und

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 525


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Bedürfnis nach Ruhe und Harmonie (grün). Wir Menschen bedienen mindestens eins dieser Motive,
meist jedoch zwei, und manchmal sogar drei, um einen Kommunikationskanal zu öffnen.

5%
Ratio

95%
Emotio

Abb. 1: Das Verhältnis von Ratio und Emotio

rational

blau rot

introvertiert extrovertiert
grün gelb

emotional

Abb. 2: das Insights®-Rad

Rational-extrovertierte Menschen (rot) treffen gern schnell Entscheidungen, ohne viele


Hintergrundinformationen zu sammeln. Sie sind geborene Führungspersönlichkeiten. Extrovertiert-
emotionale Menschen (gelb) sind eher Inspiratoren: Sie sind kreativ, intuitiv, sehen den Spaß,
schließen sehr leicht Kontakte. Rational-introvertierte Menschen (blau) sind Beobachter: Sie
benötigen für eine Entscheidung viele Hintergrundinformationen und Bedenkzeit, um all diese
Informationen verarbeiten und eventuell zu einem Ergebnis kommen zu können. Emotional-
introvertierte Menschen (grün) sind sehr harmoniebedürftig, sie sind Unterstützer. Sie brauchen viele
Menschen um sich, treffen Entscheidungen selten allein, sondern tun oft das, wofür sich viele andere
auch schon entschieden haben.

Basis und adaptiert


Scheelen unterscheidet zusätzlich zwischen dem Basis- und den Adaptierten Stil (siehe Abb. 3).
Die Basis-Stil-Grafik gibt den „Basis-Stil“ wieder, als das Verhalten, das Sie von Ihrer Präferenz her
in Ihren Beruf einbringen werden. Die Grafik für den „Adaptierten Stil" beschreibt hingegen Ihre
Reaktion auf das gegebene Umfeld und benennt die Verhaltensweisen, die Sie selbst momentan für
angebracht halten und praktizieren.

526 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Um erfolgreich zu kommunizieren, muss ich also zunächst wissen, welcher Kommunikationstyp
ich bin. Dann kann ich mithilfe des Insights®-Rades herausfinden, zu welchem Typ mein Gegenüber
gehört und es so gezielt ansprechen. Beispielsweise möchte ein „blauer“ Tierbesitzer nicht: „Wir
machen das schon“ hören, sondern genau wissen, was der Veterinär am Tier tut, welche Folgen und
Nebenwirkungen auftreten können etc.

Abb. 3: Beispiel für Basis- und AdaptiertenStil (nach Frank Scheelen)

Weiterführende Literatur
1. www.insights.de, zugegriffen am 24.09.2009
2. persönlicher Insights-Test von Martina Queitsch 2006, Copyright © 1984-2006. TTI, Ltd., Success Insights
Intl, Inc. Licensee INSIGHTS GmbH, D-79761 Waldshut, www.insights.de
3. http://www.zitate.de/db/ergebnisse.php?stichwort=Kommunikation, zugegriffen am 24.09.2009
4. http://www.wissensagentur.net/index.php/archives/ein-sehr-sehr-nachdenklich-machendes-zitat.html,
zugegriffen am 24.09.2009

(Die Literatur zu den Abbildungen kann beim Autor erfragt werden)

Kontaktadresse
Gonthard Westphal, Horbach, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 527


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Ihre Krankenversicherung beim Einstieg ins Berufsleben als Tierarzt


Petra Vortkort
Deutsche Krankenversicherung AG

Seit 2007 arbeitet die Deutsche Krankenversicherung AG über den Freundeskreis der
Tiermedizin mit der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig zusammen und begleitet
die Tiermediziner vom Beginn ihrer Karriere an.
Nach dem Abschluss des Hochschulstudiums beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
Egal, ob Sie als angestellter Tierarzt z. B. in einer Tierklinik arbeiten oder später Ihre Karriere in
eigener Praxis starten, es stellt sich jetzt die individuell wichtige und notwendige Frage: Entspricht
meine bestehende Krankenversicherung meinen aktuellen und späteren Bedürfnissen?
Aus diesem Grund bietet Ihnen dieser Vortrag die Möglichkeit, sich einen Überblick zum Thema
Krankenversicherung zu verschaffen. Folgende Themen werden behandelt:

Pflicht zur Versicherung


Seit 2009 besteht Krankenversicherungspflicht in Deutschland.

Der Unterschied der beiden Krankenversicherungssysteme


 Gesetzliche Krankenversicherung – Solidaritätsprinzip
 Private Krankenversicherung – Äquivalenzprinzip

Aktuelle Situation
 Studentische Pflichtversicherung
 Ergänzende Absicherung zur Gesetzlichen Krankenkasse
 Option auf eine weitergehende Absicherung in der Privaten Krankenversicherung

Zukünftige Situation
 Arbeitnehmer
o Versicherungspflicht
o Befreiung von der Pflicht
o Jahresarbeitsentgeltgrenze
o Ergänzende Absicherung zur Gesetzlichen Krankenversicherung
o Pflegeversicherung
o Private Krankenversicherung
o Zuschuss zur Privaten Krankenversicherung
o Einkommensabsicherung auch unter Berücksichtigung des
Haushaltsbegleitgesetzes

 Freiberufler
o Freiwillige Versicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung
o Private Krankenversicherung
o Einkommensabsicherung – unterschiedliche Regelungen in der Gesetzlichen und
der Privaten Krankenversicherung

528 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

 Wahlerklärung und Wahltarife in der Gesetzlichen


Krankenversicherung
 Berechnungsgrundlage in der Privaten Krankenversicherung

Gruppenversicherungsverträge mit Vorteilen als Mitglied von tierärztlichen


Standesorganisationen
 Beitragsersparnis von bis zu 10 % gegenüber einer Einzelversicherung
 Annahmegarantie
 Sofortiger Versicherungsschutz
 Beitragsrückerstattung, wenn Sie keine Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen
 Mitversicherung von Familienangehörigen und Lebenspartnern zu den gleichen exklusiven
Konditionen
 Spezielle Tarife für Freiberufler

Kontaktadresse
Petra Vortkort, Direktionsbeauftragte, DKV Deutsche Krankenversicherung AG, Köln,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 529


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Der Tierarzt als Existenzgründer


Heidrun Bock
Treuebilanz StB GmbH, Dresden

Steuerliche Grundkenntnisse

Steuerarten

Ertragsteuern Substanzsteuern Verkehrsteuern

Ertragsteuern sind Steuern, die auf einen Vermögenszuwachs, also auf einen Zufluss von Geld
oder geldwerten Gütern (Erträge) für eine bestimmte Periode (Besteuerungszeitraum), erhoben
werden.
Einfach ausgedrückt: Wenn einer Person Geld zufließt, dann ist der Wert dieses Zuflusses die
Besteuerungsgrundlage, auf die ein Steuersatz angewendet wird und damit zu einem Betrag der
jeweiligen Ertragsteuer führt. Zu den Ertragsteuern gehören in Deutschland unter anderem die
Einkommensteuern, die von natürlichen Personen gezahlt wird; die Körperschaftsteuern, diese
zahlen sogenannte juristische Personen; die Gewerbeertragsteuern, gezahlt von Unternehmen,
gleich welcher Rechtsform.
Bemessungsgrundlage einer Substanzsteuer ist – im Unterschied zur Ertragsteuer – ein
bestimmter Vermögensstamm. Beispiele für Substanzsteuern in Deutschland sind die
Vermögensteuer (VSt) (sie wurde jedoch wegen ihrer Verfassungswidrigkeit in ihrer damaligen Form
seit dem 1. Januar 1997 ausgesetzt. Um die Wiedereinführung gibt es heute wieder politische
Diskussionen), die Grundsteuer, die inzwischen abgeschaffte Gewerbekapitalsteuer, die
Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer sowie die Kraftfahrzeugsteuer.
Hinweis: Der Begriff Substanzsteuer ist missverständlich, denn er suggeriert, dass die
Steuerzahlung aus der Verwertung der Substanz erfolgt, dass also die Substanz im Laufe der Zeit
durch die Steuer „verzehrt“ wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die
Steuersätze dagegen so zu bemessen, dass sie aus einem angenommenen Vermögensertrag
bezahlt werden können. Dies ist der sogenannte „Halbteilungsgrundsatz“, der vereinfacht beinhaltet,
dass der Fiskus in der Summe der Steuerarten nicht mehr als 50 % der Erträge beanspruchen kann,
die der Steuerpflichtige erwirtschaftet.
Die Verkehrsteuer schließlich knüpft an die Übertragung von Gütern im Rechtsverkehr an, also
Leistungsaustausch auf Grundlage von zivilrechtlichen Rechtsgeschäften. Maßgeblich für den
Besteuerungstatbestand ist bei einer Verkehrsteuer allein der Rechtsträgerwechsel und nicht die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Beispiele für Verkehrsteuern in Deutschland
sind die Umsatzsteuer, die Grunderwerbsteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer, Versicherungsteuer
sowie Zoll.

530 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Welche Steuern interessieren den selbständigen Tiermediziner?

Einkommensteuer
Der Gegensatz zur nichtselbständigen Tätigkeit liegt darin, dass kein Arbeitgeber da ist, der
monatlich die korrekte Steuer berechnet und an das Finanzamt abführt. Dies muss der Selbständige
selbst machen, gegebenenfalls mit der Unterstützung eines Steuerberaters. Wie macht er das?
In der Buchhaltung werden die betrieblichen Einnahmen und Ausgaben zusammengerechnet.
Aus der Buchhaltung wird der Jahresabschluss entwickelt: Die Differenz aus Einnahmen und
Ausgaben ergibt den vorläufigen Gewinn. Dieser ist zu korrigieren um verschiedene Positionen wie
Abschreibungen, PKW-Nutzung, Zinsen u.ä., damit sich der endgültige Gewinn der Praxis ergibt.
Dieser schließlich wird in die Steuererklärung übernommen, wie bisher die Zahlen aus der
Lohnsteuerkarte. Ab dann nimmt die Arbeit an der Steuererklärung den gleichen „Verlauf“ wie
während Ihrer nichtselbständigen Tätigkeit.
Der große Unterschied besteht darin, dass das Finanzamt mit Beginn Ihrer selbständigen
Existenz zunächst einmal nichts mehr von Ihnen weiß und schon gar keine Steuerzahlungen in Form
einer monatlichen Zahlung erhält. Das Finanzamt reagiert in den allermeisten Fällen erst nach der
Abgabe Ihrer ersten Einkommensteuererklärung. Hierin liegen Vor- und Nachteil gleichermaßen.
Warum?
Wenn Sie im Jahr 01 einen guten Gewinn machen, für den Sie 30.000 € Steuern bezahlen
müssen, so geben Sie die Steuererklärung nicht vor dem Jahr 03 ab. Dann müssen Sie im Jahr 03
auch erstmals Steuern bezahlen, und zwar die Steuern für das Jahr 01 in Höhe von 30.000 €.
Gleichzeitig wird das Finanzamt in diesem Jahr eine Vorauszahlung für das Jahr 02 in gleicher Höhe
anfordern (nochmals 30.000 €) und schließlich ebenfalls für das Jahr 03 (wieder 30.000 €). So
müssen Sie also im Jahr 03 Steuern in Höhe von 90.000 EUR bezahlen. Wohl dem, der hierauf
rechtzeitig hingearbeitet hat.

Umsatzsteuer
Die Umsätze der Tierärzte sind umsatzsteuerpflichtig, im Regelfall mit dem „normalen“
Steuersatz von 19 %. Das heißt: Sie behandeln für ein Honorar von 100 € zuzüglich 19 %
Umsatzsteuer, stellen also eine Rechnung von 119 €. Als Einnahme verbleiben Ihnen 100 €, denn
die Umsatzsteuer von 19 € müssen Sie an das Finanzamt abführen.
Für einige Umsätze (z.B. künstliche Besamung, Verkauf von Fütterungsarzneimitteln) müssen
Sie nur den „ermäßigten“ Steuersatz von 7 % abführen.
Sie bezahlen an Ihre Lieferanten, an Ihre Autowerkstatt, an Ihren Steuerberater, möglicherweise
auch an Ihren Vermieter Ihrerseits Rechnungsbeträge zuzüglich Umsatzsteuer. Diese an Lieferanten
oder Dienstleister von Ihnen bezahlte Umsatzsteuer bezeichnet man als „Vorsteuer“. Die Vorsteuer
können Sie von der von Ihnen vereinnahmten Umsatzsteuer abziehen, so dass Sie im Ergebnis
Umsatzsteuer auf den von Ihnen tatsächlich erwirtschafteten Mehrwert bezahlen. Daher der Begriff
„Mehrwertsteuer“, ein Begriff, den Sie genauso gut verwenden können wie „Umsatzsteuer“.
Je nach Höhe Ihrer Jahresumsatzsteuer müssen Sie monatlich, vierteljährlich oder jährlich eine
Umsatzsteuervoranmeldung bei Ihrem Finanzamt einreichen und die darin errechnete Umsatzsteuer
an das Finanzamt bezahlen.
Die Abgrenzung zwischen umsatzsteuerfreien und umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen ist
teilweise nicht einfach und unterliegt zudem ständigen Veränderungen. Dazu kommt, dass
Umsatzsteuer auf die steuerpflichtigen Umsätze dann nicht erhoben wird, wenn der Gesamtumsatz

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 531


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
der steuerpflichtigen Umsätze im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und
im laufenden Kalenderjahr 50.000 € nicht übersteigen wird. Dann sind Sie ein sogenannter
„Kleinunternehmer“ und überhaupt nicht umsatzsteuerpflichtig. Und hier beginnen möglicherweise
die Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten. Auch hier könnte es empfehlenswert sein, sich
fachkundige Beratung einzuholen.

Gewerbesteuer
Gewerbesteuer bezahlen Gewerbebetriebe. Als Tierarzt sind Sie aber Freiberufler, und damit
grundsätzlich nicht gewerbesteuerpflichtig. Trotzdem muss man diese Steuerart zumindest „in
Erinnerung“ behalten.
So ist der Verkauf (nicht die Abgabe im Rahmen einer tierärztlichen Leistung) von
Tierarzneimitteln zur Futter- oder Trinkwasserbeimischung gewerbesteuerpflichtig. Dies ist an sich
kein Problem: Die Einnahmen z.B. aus Medikamentenverkauf werden um die dazugehörigen
Ausgaben (Medikamenteneinkauf) gekürzt, die Differenz ist gewerbesteuerpflichtig, aber nur insoweit
24.500 € im Jahr überschritten werden.
Vorstehende Aussagen gelten aber nur für die tierärztliche Einzelpraxis. Sollten Sie Ihre Tätigkeit
im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis, einer Praxisgemeinschaft oder einer ähnlichen
Organisationsform ausüben, dann „infizieren“ auch minimale gewerbliche Umsätze den
Gesamtumsatz der Praxis. Der gesamte Gewinn der Praxis wird dann gewerbesteuerpflichtig. Im
Falle einer gemeinschaftlichen Berufsausübung sollten Sie deshalb unbedingt Rat einholen, wie
diese Gefahr vermieden werden kann (sie kann vermieden werden!).

Praxisgründung aus Steuerberatersicht

Die Gründungsphase
Bei Interesse an einer Niederlassung oder Übernahme einer Praxis sollte das Gespräch mit
einem Steuerberater und einer oder mehreren finanzierenden Banken gesucht werden. Hier werden
die finanziellen Perspektiven des Vorhabens beleuchtet und die für eine eventuelle Finanzierung
notwendigen Unterlagen erarbeitet (Businessplan). Dieser Businessplan stellt das geplante
Unternehmen vor und könnte folgenden Inhalt haben:

Angaben zur Person Persönliche Angaben von Ihnen mit Lebenslauf


Das Vorhaben Beschreibung Ihres Vorhabens mit Darstellung des geplanten
Standortes, der Wettbewerbssituation vor Ort, des Personalbedarfs
und der geplanten Unternehmensrechtsform
Finanzierung Übersicht über vorhandenes Eigenkapital und Sicherheiten
(Immobilien o.ä.) und geplantes Fremdkapital
Investition Darstellung des Investitionsbedarfs. Mit Hilfe von professionellen
Einrichtern sollte eine realistische Planung von Einrichtung und
Materialerstausstattung aufgestellt werden
Betriebliche Ergebnis- Betriebliche Ergebnis- und Liquiditätsplanung: Erstellen Sie für den
und Liquiditätsplanung Praxisbereich eine Umsatzplanung und einer Kostenplanung unter
Einbeziehung der vorher dargestellten Eigen- und Fremdmittel, der
Investitionen und der Personalplanung

532 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Privatbedarf Bisher haben Sie sich nur über die Einnahmen und Ausgaben der
Praxis Gedanken gemacht. Sie müssen aber auch leben. Deshalb
sind alle Ausgaben zusammenzustellen, mit denen Sie privat
belastet sind, also z.B. private Miete, private Versicherungen,
Lebensunterhalt samt Urlaub, private Steuerzahlungen. ‚Dieser
Privatbereich wird immer wieder unterschätzt und „zu leicht“
genommen
Kapitalbedarfsplan Wenn alle vorgenannten Positionen „zusammengerechnet“
werden, ergibt sich der Bedarf an Kapital für die Bezahlung der
Investitionen, der Anlaufkosten der Praxis und der notwendigen
Aufwendungen für den privaten Lebensunterhalt für die ersten
Jahre der Selbständigkeit

Parallel dazu raten wir dringend an, einen Rechtsanwalt einzuschalten, der mit Ihnen Kaufvertrag
und Mietvertrag überprüft und der Sie auch gegebenenfalls bei der Überprüfung von Verträgen zur
Gemeinschaftspraxis, Praxisgemeinschaft oder auch anderen Praxisformen unterstützt.
Für die Umsetzung eines Gründungsvorhabens vergehen leicht sechs Monate. Planen Sie
reichlich Zeit ein!

Gründungszuschuss
Wenn Sie Ihre Arbeitsstelle aufgegeben haben und sich mit der Praxisgründung beschäftigen,
hilft Ihnen finanziell gegebenenfalls der „Gründungszuschuss“ vom Staat. Anspruch auf den
Gründungszuschuss besteht ab einem Tag Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Anspruch auf
Arbeitslosengeld I. Die Grundförderung wird über neun Monate gewährt und kann eventuell auf 15
Monate verlängert werden. Leicht ergeben sich steuerfreie Zuschüsse in Höhe von 20.000 €. Lassen
Sie sich dringend von der Arbeitsagentur beraten, bevor Sie irgendeinen Vertrag unterschreiben.
Warum? Weil der Antrag auf Gewährung des Gründungszuschusses nur vor Beginn der
Selbständigkeit gestellt werden kann.

Personalwirtschaft
Die erste praktische Tätigkeit im Rahmen Ihrer Praxis besteht wahrscheinlich darin, Personal
einzustellen, wenn Sie es nicht bei einem Praxiskauf übernehmen. Hier sollte auch von Beginn an Ihr
Steuerberater eingeschaltet sein, denn seine erste Tätigkeit für die laufende Praxis nach der
Gründungsphase ist die Erstellung der Gehaltsabrechnungen für Ihr Personal.
Lohnsteuer muss einbehalten und an das Finanzamt abgeführt werden. Hierzu muss regelmäßig
eine Lohnsteueranmeldung beim Finanzamt abgegeben werden. Gleichzeitig müssen die Mitarbeiter
bei den zuständigen Krankenkassen angemeldet werden. Auch für die Kassen müssen regelmäßig
Beitragsnachweise erstellt werden. In allen diesen Tätigkeiten unterstützt Sie Ihr Steuerberater.

Die Praxis läuft


Dann ist es endlich soweit und die Praxis läuft. Ihr Steuerberater unterstützt Sie von nun an bei
der Lohnabrechnung (s.o.), der Buchhaltung, der Erstellung der Jahresabschlüsse und bei der
Anfertigung der Steuererklärungen. Daneben berät er Sie steuerlich und betriebswirtschaftlich und
hilft Ihnen bei allen steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 533


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Betriebswirtschaft der Praxis
Der Begriff der „Betriebswirtschaft“ schreckt viele kleine und mittlere Unternehmer ab, weil sie
sich erstens selten oder nie mit den Inhalten beschäftigt haben und zweitens, weil insbesondere die
Freiberufler den Glauben (oder die Hoffnung) haben, sie seien gar keine Unternehmer.
Wenn jedoch ein Freiberufler überlegt, ob er eine Praxis für einen Preis von 300.000 € kaufen
soll oder ob er ein Gerät für 30.000 € anschaffen soll, so überlegt er, ob er soviel Geld damit
einnehmen kann, dass er das aufgenommen Darlehen bedienen kann (siehe Businessplan!). Wenn
er sich dazu noch Notizen macht, so erstellt er schon fast eine Investitionsrechnung, eine Disziplin
der Betriebswirtschaftslehre. Wenn er dazu noch zwei Darlehensangebote und einen
Leasingvorschlag miteinander vergleicht, so könnte man das als Finanzierungsrechnung
bezeichnen, ebenfalls ein Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre.
Das heißt also: Sie beschäftigen sich regelmäßig mit der Betriebswirtschaftslehre. Stellt sich
noch die Frage, wofür oder für wen Sie das eigentlich machen. Auch wenn die finanzierende Bank
regelmäßig Berichte von Ihnen erwartet: Zunächst einmal sind Sie selbst an Informationen darüber
interessiert, wie wirtschaftlich Ihr Unternehmen arbeitet.
Solange der Gewinn ausreichend für die Finanzierung der heutigen Lebensqualität ist, besteht
kein großes Interesse, sich mit betriebswirtschaftlichen Sachverhalten zu beschäftigen. Wenn Sie
aber mit Umsatzrückgang und Kostensteigerungen zu kämpfen haben, wenn dazu die Kinder aus
der „billigen“ Schule in die „teure“ Universität wechseln, könnte es sein, dass die aus dem
Unternehmen zu entnehmenden Mittel nicht mehr ausreichen. Spätestens dann brauchen Sie eine
Strategie, um aus dieser „Falle“ herauszukommen. Strategie bedeutet planvolles Erreichen eines
Ziels. Und dafür muss man wissen, wo man startet.

Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA)


Die „Startposition“ wird mit einer BWA wiedergegeben. Eine BWA enthält grundsätzlich alle
Daten, die einen Überblick über Ihre „Betriebswirtschaft" in Form Ihrer Praxis geben. Die
Betriebseinnahmen sind gewöhnlich unterteilt in verschiedene Einnahme-Arten, ebenso sind die
Betriebsausgaben aufgeteilt auf z.B. Personal-, Miet-, Material- und andere Kosten.
Der errechnete Gewinn sagt noch nichts darüber aus, was an Liquidität vorhanden ist, was also
auf der Bank ist. Deshalb sollten in einer BWA auch Berechnungen für die Liquidität der Praxis oder
des Unternehmens zu finden sein. In der Liquiditätsrechnung werden entsprechende Zu- und
Abrechnungen vorgenommen. Als Ergebnis wird so nach dem Gewinn des Unternehmens der
Liquiditätsüberschuss ermittelt, gerne auch als „cash flow“ bezeichnet.
Auch dieses Ergebnis erhellt nicht abschließend, wieviel Geld denn tatsächlich zur freien
Verfügung steht. Dazu muss ermittelt werden, welche unabänderbaren privaten Ausgaben
regelmäßig anfallen, z.B. für Altersversorgung, private Versicherungen, private Hausfinanzierungen,
Lebensversicherungen und nicht zuletzt für die privaten Steuern. Erst nach Berücksichtigung dieser
sogenannten „gebundenen Entnahmen“ ist klar, welcher Betrag zur freien Verfügung steht für die
sogenannten „ungebundenen Entnahmen“.
Wir wechseln hier also aus dem betrieblichen in den privaten Bereich und beginnen, mit dem
Unternehmen den Unternehmer ganzheitlich zu betrachten. Dies ist auch sinnvoll, weil der
Unternehmer seinen Privatbedarf aus dem Unternehmen decken muss und sich beide Bereiche
gegenseitig beeinflussen. Eine gute BWA sollte deshalb auch diesen Bereich berücksichtigen. Nur
so kann man rechtzeitig den Hinweis erhalten, ob die mit dem Unternehmen erarbeitete Liquidität für
die Finanzierung der bestehenden privaten Verpflichtungen und Ansprüche ausreicht oder nicht. Im

534 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
letzteren Fall liefert die BWA Ansatzpunkte für Handlungsstrategien zur Umsatzerhöhung,
Kostensenkung im betrieblichen oder privaten Bereich usw.
Eins ist deutlich: Aus einer auf die Art des Unternehmens abgestimmten BWA sind
Fehlentwicklungen bereits frühzeitig zu erkennen und es muss nicht zwei Jahre oder mehr dauern,
bis Konsequenzen gezogen werden.

Kontaktadresse
Diplom-Finanzwirtin Heidrun Bock, Steuerberaterin, Dresden, [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 535


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Praktische Erfahrungen auf dem Weg in die Niederlassung


Ralph Kobera
Dresden

Im Vortrag werden einige persönliche Erfahrungen auf dem Weg in die Selbständigkeit mit einer
eigenen Tierarztpraxis wiedergegeben.

Am Anfang des Weges stand die Überlegung, ob eine Selbständigkeit überhaupt sinnvoll ist und
ob sie im Gegensatz zum Angestelltenverhältnis Vorteile bringt. Diese Entscheidung wurde über
einen längeren Zeitraum von ein bis zwei Jahren getroffen, wobei die bestehende private und
berufliche Situation, Angebote des Arbeitgebers für eine zukünftige Praxisbeteiligung, Vorstellungen
über die zukünftige Lebensgestaltung und alternative Jobs betrachtet wurden. In Verbindung mit
Informationen aus der Fachliteratur und persönlichen Gesprächen wurde schon zu diesem Zeitpunkt
erkannt, dass eine Selbständigkeit jederzeit mit deutlichen Risiken und Unannehmlichkeiten
verbunden sein wird. Eine genaue Vor- und Nachteilanalyse kam dann aber zu dem Ergebnis, dass
eine Selbständigkeit den persönlichen Zukunftsperspektiven am besten entspricht.
Nach der getroffenen Entscheidung zur Selbständigkeit stand die Überlegung der geeigneten
Wahl des zukünftigen Praxisstandortes. Dies erfolgte in erster Linie nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten und schloss auch zukünftige Änderungen der bestehenden Infrastruktur ein.
Nachdem diese beiden Punkte entschieden waren, erfolgte das Gespräch mit der zuständigen
Tierärztekammer (Sachsen). Die eigene Erfahrung zeigte dabei, dass dieser Schritt im Gegensatz zu
anderen Meinungen, ein besonders wichtiger ist und unbedingt am Anfang stehen sollte, da die
Tierärztekammer kompetent berät, die bestehenden regionalen Verhältnisse am besten einschätzen
kann und neben der Vermittlung kompetenter Berater auch Empfehlungen über einen sinnvollen
Praxisstandort geben kann.
Nach diesem Gespräch führte der nächste Schritt zum Steuerberater. Auch wenn am Anfang
einer Niederlassung das Bestreben besteht, so kostengünstig wie möglich zu arbeiten, erwies sich
dieser Schritt als überaus wichtig. Ein guter Steuerberater sollte dabei einer Niederlassung von
Anfang an auch kritisch gegenüber stehen und sollte in den ersten Gesprächen vom eigenen
Vorhaben logisch und sinnvoll überzeugt werden. Kritische Fragen und Gedanken wurden in die
weiteren Überlegungen eingearbeitet. Ob am Ende die eigenen zukünftigen wirtschaftlichen
Erwartungen objektiv sind, erkennt man, wenn der Steuerberater bei seinen
Wirtschaftlichkeitsberechnungen ähnliche Zahlen ermittelt wie die eigenen erwarteten.
Sinnvoll war es auch, den Steuerberater gleich von Beginn an bei den Kreditgesprächen mit den
Banken dabei zu haben und sich auch auf seine Empfehlungen zu verlassen, welche Banken bei der
Kreditvergabe am besten sind. Die eigene Erfahrung dabei ist, dass es sinnvoll ist, mit dem
Steuerberater zur Vertragsunterzeichnung zu erscheinen, da Banken scheinbar ihre
Kreditbedingungen schnell ändern können und besonders kleine Änderungen gegenüber den
Konditionen in den Vorgesprächen eine große Wirkung auf die zukünftige Kreditbelastung haben
können. Interessant war, zu erkennen, dass im Kreditgeschäft auch persönliche Sympathien oder
Antipathien Einfluss auf die Kreditkonditionen haben können.
Nach Klärung der Finanzierung (wobei auch mögliche Unterstützungen durch das Arbeitsamt
angenommen wurden) erfolgte der zügige Aufbau der Praxis. Dabei sollte man einer eigenen

536 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
individuellen Strategie folgen, welche regional interessant ist, sich von anderen Praxen abhebt, die
persönlichen Interessen und Fähigkeiten vereint, Nischen besetzt und keinen großen Eingriff in
bestehende andere Praxen darstellt. Gleichzeitig erfolgte der Abschluss entsprechender
Versicherungen, wobei auch hier den Empfehlungen der Tierärztekammer gefolgt wurde und diese
Entscheidungen bis jetzt nicht bereut wurden.
Mit Beginn des Praxisalltages wurde festgelegt, dass einige Tierarten nicht betreut werden
sollten, was am Anfang zwar geringe finanzielle Einbußen mit sich brachte, aber in den nächsten
Jahren eine deutlich bessere Lebensqualität ergab.
Für die ersten Praxisjahre ist zu empfehlen, stets auf den finanziellen Rückhalt zu achten, da in
den ersten drei bis vier Jahren der Selbständigkeit die steuerlichen Belastungen eher gering waren,
aber im vierten Praxisjahr dann Nachzahlungen und Vorauszahlungen an das Finanzamt fällig
wurden, welche ohne entsprechende Beratungen durch den Steuerberater und getätigte Rücklagen
eine schwierige wirtschaftliche Situation dargestellt hätten.
Das persönliche Fazit der eigenen Niederlassung ist ein durchweg positives, sicherlich auch, weil
zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Partner beteiligt waren.

Kontaktadresse
Dr. Ralph Kobera, Dresden; [email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 537


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Der Tierarzt als Unternehmer


Hans-Georg Möckel
Sächsische Landestierärztekammer

In Deutschland sind aktuell etwa 11.500 Tierärztinnen und Tierärzte unternehmerisch tätig, mehr
als 8.500 davon in einer tierärztlichen Einzelpraxis. Mindestens 50 % der Absolventen der fünf
tierärztlichen Ausbildungsstätten in Deutschland sehen heute noch in der eigenen Niederlassung die
angestrebte Karrierechance – wollen also Unternehmerin/Unternehmer werden! Die meisten
Tierärztinnen und Tierärzte – wie auch die Mehrzahl der Angehörigen der übrigen freien Heilberufe –
sehen dies allerdings häufig nicht mit der erforderlichen Konsequenz – sie verstehen ihre
Tierarztpraxis noch nicht als „Firma“ und erkennen in den Patientenbesitzern nicht immer auch ihre
„Kunden“.
Definitorisch sind Tierärzte in der eigenen Niederlassung oder im eigenen Untersuchungslabor
Unternehmer gemäß § 2 des Umsatzsteuergesetzes, denn sie üben die tierärztliche Tätigkeit
selbständig aus. Das Unternehmen Tierarztpraxis erzielt vorrangig Einkünfte aus den
tiermedizinischen Leistungen des Unternehmers Tierarzt.

Das Studium der Veterinärmedizin vermittelt in Deutschland eine hohe fachliche Kompetenz.
Betriebswirtschaftliches Wissen und Rechtskenntnisse zur Führung des Unternehmens
„Tierarztpraxis“ werden im Studium genauso wenig vermittelt, wie das erforderliche Basiswissen zu
den Eigenschaften des Unternehmers „Tierarzt“. Auch im späteren tierärztlichen Berufsleben neigen
viele Praxisbetreiber eher dazu, Fortbildungsangebote aus den Bereichen Betriebswirtschaft,
Informatik, Kommunikation und Unternehmens-Management zu meiden, als diese bewusst in die
persönliche Qualifikation zu integrieren. Der tierärztliche Berufsstand in Deutschland hat diese
Situation – endlich! – erkannt und bewertet nunmehr auch Fortbildungen in nicht direkt
tiermedizinischen Bereichen mit ATF-Stunden oder Fortbildungspunkten. Die Tierärztekammern und
insbesondere der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte bieten mit steigender Tendenz
Seminare zu Betriebswirtschaft, Recht und Unternehmensführung an.
Für die erfolgreiche Strategie bei der Unternehmensneugründung von Tierarztpraxen bzw. der
Fortführung bestehender Praxen durch Unternehmensübernahme bieten einige Tierärztekammern
individuelle Niederlassungsinformationen an. In der Sächsischen Landestierärztekammer wurden in
den letzten zehn Jahren vorwiegend durch die Geschäftsführerin mehr als 300 zum Teil
mehrstündige Beratungen mit Tierärztinnen und Tierärzten durchgeführt. Die inhaltlichen
Schwerpunkte führen dabei von den harten und weichen Standortfaktoren für die geplante
Niederlassung über Betrachtungen des tierärztlichen Umfeldes, der Finanzierung, der Erstellung des
Businessplanes, der Vorbereitung auf Kontakte zu Kreditunternehmen, Informationen zu den
möglichen Fördermöglichkeiten, den rechtlichen Aspekten des tierärztlichen Unternehmens, Rechten
und Pflichten des Arbeitgebers, dem Vertragsrecht Grundlagen der betriebswirtschaftlichen
Praxisführung, Kostenkontrolle unter besonderer Beachtung der Gebührenordnung für Tierärzte,
dem gesamten Spektrum des Berufsrechts, Hinweisen zu den Kooperationsformen bis zu
Alternativen für unternehmerisches Handeln.

538 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Fazit:
 Absolventinnen/Absolventen sollten unbedingt bei der „Erstkammer“ die individuelle
Beratung zu den beruflichen Möglichkeiten nutzen.
 Niederlassungs- und Karriereberatungen in den Kammern sollten alle wesentlichen
Aspekte für die unternehmerische Situation von Tierärzten umfassen. Für diese
Individualgespräche sind eine möglichst langjährige berufsständische Erfahrung,
betriebswirtschaftliche und rechtsfachliche Kompetenzen sowie kommunikative Fähigkeiten
des Beraters erforderlich. Für Erstgespräche sollten mindestens zwei bis vier Stunden
eingeplant werden. Ein Leitfaden für die Niederlassungsberatung ist im Sinne des
Qualitätsmanagements dieser wichtigen ersten Kontaktaufnahme zwischen dem neuen
Mitglied und der Kammer unerlässlich.
 Praktizierende Tierärzte sollten die eigenen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und
unternehmerischen Eigenschaften durch eine kontinuierliche Fortbildung in diesen
Bereichen stärken. Die Teilnahme an Praxiskostenvergleichen, z. B. beim Bundesverband
der praktizierenden Tierärzte, zeigen eigene Schwächen auf und fördern den Ausbau der
Stärken des Unternehmens „Tierarztpraxis“.

Kontaktadresse
Dr. Hans-Georg Möckel, Sächsische Landestierärztekammer; Dresden; info@tieraerztekammer-
sachsen.de

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 539


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Der Weg zum wirtschaftlichen Praxiserfolg


Andre Schuffenhauer
Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Filiale Dresden

Betriebswirtschaftliches Gründungskonzept
 Standort und Praxisräume

 Kapitalbedarfsanalyse

 Investitionsplan

 Finanzierungsplan

 Einsatz von Eigen- und Fremdkapital

Voraussetzungen Kreditgewährung
 Kreditfähigkeit/-würdigkeit

 Bewertung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse

 Kreditbesicherung

Finanzierungsmöglichkeiten
 Betriebsmittelkredit

 Öffentliche Fördermittel

 Hausbankdarlehen

Kontaktadresse:
Andre Schuffenhauer, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Dresden,
[email protected]

540 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Versicherungsrechtliche Fragen in der Ausbildungspraxis


Willy Witt
Medicopartner GmbH, Osnabrück

Im Rahmen des Studiums der Veterinärmedizin sind gemäß der Verordnung zur Approbation von
Tierärztinnen und Tierärzten (TAppV) vom 27. Juli 2006 (BGBl. I S. 1827), die durch Artikel 37 des
Gesetzes vom 2. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2686) geändert worden ist, verschiedene Praktika zu
absolvieren (1).
Ein wichtiger Ausbildungsabschnitt ist dabei die Ausbildung in der kurativen tierärztlichen Praxis.
Zur Sicherung eines hohen Niveaus der studentischen Ausbildung in diesem Abschnitt hat der
Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (bpt) die Initiative Tierärztliche Ausbildungspraxis ins
Leben gerufen, die von verschiedenen Gremien und Einrichtungen unterstützt wird.
Mit Beginn dieses Ausbildungsabschnitts (Praktikum) treten die Studenten (Praktikanten) in die
Wirkungssphäre der Praxis ein und werden durch die Praxisinhaber entsprechend der Zielvorgabe
für das Praktikum eingesetzt.
Zu berücksichtigen sind dabei der Ausbildungsstand, die physischen und psychischen
Fähigkeiten sowie die Bestimmungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes (Fürsorgepflicht der
Praxisinhaber).
Für die Praxisinhaber stellt sich vor Beginn des Ausbildungsabschnittes u. a. folgende Frage:
Welche versicherungsrechtlichen Fragen sind von besonderer Bedeutung?

Von besonderer Bedeutung sind zwei Komplexe:


 Haftung und Schadensersatz
(Berufshaftpflichtversicherung)

 Arbeits- und Wegeunfälle, Berufskrankheiten


(Gesetzliche Unfallversicherung; Sozialgesetzbuch VII = SGB VII) (2)

Haftung und Schadensersatz


Die Studenten (Praktikanten) sind im dienstlichen Auftrag in der Praxis für die Praxis tätig. Aus
dieser Tätigkeit resultierende Schadensersatzansprüche eines „Dritten“ (z. B. Tierbesitzer) richten
sich gegen die Praxis.
Die Absicherung erfolgt über die Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung der Praxis, da
Praktikanten gemäß allgemeinen und besonderen Bedingungen zur Berufshaftpflichtversicherung
wie „veterinärmedizinisches Hilfspersonal“ behandelt werden und zum mitversicherten Personenkreis
gehören (siehe eigener Versicherungsvertrag).

Arbeits- und Wegeunfälle, Berufskrankheiten


Grundsätzlich besteht für Praktikanten im Veterinärwesen Unfallversicherungsschutz über den
zuständigen Unfallversicherungsträger.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 541


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Das sind:
 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)
 Öffentliche Unfallversicherungsträger (z. B. Gemeindeunfallkasse)

Die Berufsgenossenschaft (BGW) hat in der bpt – Info 12/05 (Herausgeber: bpt Bundesverband
praktizierender Tierärzte e.V.) eine Zusammenstellung von Fallvarianten zur gesetzlichen
Unfallversicherung von Praktikanten und Hospitanten veröffentlicht (3).
Darin heißt es:
„Praktika, die im Zusammenhang mit dem Studium absolviert werden, sind über den
Praktikumbetrieb versichert, wenn die Studienordnung diese vorschreibt. Dies gilt auch für Praktika,
die von der Approbationsordnung vorgeschrieben werden.“ Gleiches gilt auch für die Absolvierung
eines freiwilligen Praktikums im Zusammenhang mit dem Veterinärmedizinstudium.
Zuständiger Versicherungsträger für den Praktikumsbetrieb (Tierarztpraxis) ist die
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege.
Achtung:
Für Schüler allgemeinbildender Schulen besteht für ein Schulpraktikum in der regulären Schulzeit
Versicherungsschutz über den öffentlichen Versicherungsträger.

Für Hospitanten besteht kein Versicherungsschutz, da sie sich lediglich zur Information oder
Fortbildung in der Praxis aufhalten, ohne in das Praxisgeschehen einzugreifen (keine Tätigkeit = kein
Versicherungsschutz).

Für spezielle Einzelfälle wird empfohlen, sich direkt an die Berufsgenossenschaft zu wenden.

Literaturverzeichnis
1. Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten (TAppV) vom 27.Juli 2006 BGBl I S. 1827).
2. Gesetzliche Unfallversicherung; Sozialgesetzbuch VII = SGB VII, Aichelberger Sozialgesetzbuch,
Textsammlung; Verlag C.H. Beck, München; 2008.
3. Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (bpt), bpt – info 12/05.

Kontaktadresse
Dr. Willy Witt, Medicopartner GmbH, Osnabrück, [email protected]

542 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Das Arbeitsschutzrecht – ein moderner Ansatz


Lutz Nickau
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Präventionsdienste, Hamburg

Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf einen gesunden und sicheren Arbeitsplatz. Zu Ihrer
Verantwortung als Arbeitgeber gehört es, die Gefährdungen in Ihrem Betrieb zu beurteilen und
angemessen zu reagieren. Die moderne Arbeitsschutzphilosophie beruht auf Zielvorgaben anstelle
vorgeschriebener detaillierter Einzelmaßnahmen.
Die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen sind im Arbeitsschutzgesetz und im
Arbeitssicherheitsgesetz gelegt. Ergänzend dazu gibt es noch einige wenige Vorschriften der
Gesetzlichen Unfallversicherung. Die BGV A1 (DGUV Vorschrift
1) beschreibt Vorgaben für die betriebliche Prävention, die
DGUV Vorschrift 2 regelt die Arbeitsschutzbetreuung. Das
moderne Arbeitsschutzrecht gibt den Betrieben einen großen
eigenverantwortlichen Handlungsspielraum.

Die Gefährdungsbeurteilung – Ihr Plan für den sicheren


Betrieb
Mit der Gefährdungsbeurteilung halten Sie einen Plan für
gezielte, angemessene und wirksame Arbeitsschutzmaßnahmen
in den Händen. Vieles werden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung und
der Ihrer Mitarbeiter selbst beurteilen können. Wenn Sie Fragen
haben, nehmen Sie Ihre betriebsärztliche und
sicherheitstechnische Betreuung in Anspruch. Nutzen Sie das
kostenlose Angebot der BGW an Medien, Seminaren und
Beratung.
 Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festlegen: Fassen Sie
ähnliche Tätigkeiten zusammen.
 Gefährdungen ermitteln: Welche Gefahren und
Belastungen könnten auftreten?
 Gefährdungen beurteilen: Wie hoch ist das Risiko und
wie viel Sicherheit setzen Sie sich als Ziel?
 Maßnahmen festlegen: Mit welchen Maßnahmen
können Sie Ihre Arbeitsschutzziele erreichen?
 Maßnahmen durchführen: Legen Sie Aufgaben,
Termine und Verantwortlichkeiten fest.
 Wirksamkeit überprüfen: Haben Sie Ihr Schutzziel
erreicht? Treten neue Gefährdungen auf?
 Gefährdungsbeurteilung fortschreiben: Ihre Arbeitswelt
ändert sich, aktualisieren Sie Ihre Gefährdungsbeurteilung bei
Bedarf.

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 543


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Kontaktadresse
Lutz Nickau, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Präventionsdienste,
Hamburg, [email protected]

544 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Tierärztinnen und Tierärzte als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber


Michael Panek
Bundesverband praktizierender Tierärzte e. V., Rechtsreferat

Wer als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber in einer tierärztlichen Praxis geneigt ist, ein
Arbeitsverhältnis (mit einer Assistentin oder einem Assistenten, einer oder einem Tiermedizinischen
Fachangestellten (TFA), einer oder einem Auszubildenden zur resp. zum TFA u. ä.) abzuschließen,
ist regelmäßig mit zahlreichen Fragestellungen konfrontiert, die mitunter wie folgt lauten:

Was habe ich als Arbeitgeberin oder als Arbeitgeber zu beachten:


 Bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses?
 Bei der Wahl der Beschäftigungsart?
 Beim Abschluss eines Arbeitsvertrages?
 Im Hinblick auf Anmelde-, Dokumentations- und Informationspflichten?
 Bei der Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses?
 Und in diesem Zusammenhang: Wann sind für mich Tarifverträge von Bedeutung?
 Im Hinblick auf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses?
 Nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses?

Was ist bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen zu beachten?


Bereits im Rahmen der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen entstehen rechtliche
Verpflichtungen insbesondere der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers, z. B. zur Übernahme der
Fahrtkosten des Bewerbers und zur sorgfältigen Aufbewahrung der Bewerbungsunterlagen (und ggf.
auch von deren Rücksendung). Die Bewerberin oder der Bewerber ist auf der anderen Seite
verpflichtet, wahrheitsgemäß Hindernisse, die einer Aufnahme der Arbeit entgegenstehen,
mitzuteilen. Fest steht seit einigen Jahren allerdings, dass die Frage nach dem Bestehen einer
Schwangerschaft unzulässig ist, bzw., ohne Sanktionen zu riskieren, wahrheitswidrig beantwortet
werden darf.

Was ist bei der Wahl der Beschäftigungsart bezüglich Arbeitsverhältnis oder freier Mitarbeit
zu beachten?
In der tierärztlichen Praxis ist der Irrtum weit verbreitet, die Art der Beschäftigung – freie Mitarbeit
oder Anstellung –könne in das Belieben der Vertragsparteien gestellt werden.
Für die Beschäftigung einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf der Grundlage eines
Arbeitsvertrages sprechen nach den vom Bundesarbeitsgericht und vom Bundessozialgericht
entwickelten Kriterien folgende Gesichtspunkte:
 Ausgeprägte fachliche Weisungsgebundenheit
 Bindung an feste Arbeitszeiten und an einen festen Arbeitsort
 Eingliederung in den Betrieb: Angewiesensein auf eine fremdbestimmte Organisation
 Schulden der ganzen Arbeitskraft
 Entlohnung durch festes Gehalt
 Bezeichnung als „Angestellter“

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 545


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

 Abführen von Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträgen


 Gewährung eines Urlaubsanspruchs und Weiterbezahlung auch bei Krankheit oder
Urlaub

Folgende Kriterien sprechen demgegenüber für die Beschäftigung selbstständiger


beziehungsweise freier Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter (auf der Grundlage eines vom
Arbeitsvertrag zu unterscheidenden Dienstvertrages):

 Fehlende oder geringe Fachaufsicht


 Zeitliche und örtliche Unabhängigkeit bei der Erfüllung der Dienstpflichten
 Dienstleistungen ohne fremde oder mit Hilfe eigener Werkzeuge und Mittel
 Tätigkeit für mehrere Dienstberechtigte/Praxisinhaber
 Bezahlung nach Stunden oder Tätigkeitserfolgen
 Bezeichnung als „freier Mitarbeiter“ o. ä.
 Rechnungserteilung unter Ausweis der Mehrwertsteuer
 Entlohnung ausschließlich für geleistete Dienste („Unternehmerrisiko“)

Allerdings sollten die genannten Kriterien nicht nur für sich allein gesehen, sondern stets im
Rahmen einer Gesamtwürdigung betrachtet werden; in der überwiegenden Mehrzahl der
Beschäftigungsverhältnisse wird statt einer „freien Mitarbeit“ tatsächlich ein Arbeitsverhältnis
vorliegen. Die unzulässige Beschäftigung auf der Grundlage einer freien Mitarbeit kann wegen
Vorenthaltens gesetzlicher Sozialversicherungsbeiträge auch eine Straftat nach § 666 a Abs. 1 des
Strafgesetzbuches eine Straftat darstellen.
Empfehlung: Vor der Beschäftigung auf der Grundlage einer freien Mitarbeit sollte stets ein
Statusprüfungsverfahren bei der Landesversicherungsanstalt beantragt werden!

Was ist beim Abschluss eines Arbeitsvertrages zu beachten?


Ein Arbeitsvertrag kann zwar grundsätzlich schriftlich, mündlich oder durch schlüssiges Handeln
geschlossen werden. Das am 28.07.1995 in Kraft getretene Nachweisgesetz begründet jedoch für
jede Arbeitgeberin und jeden Arbeitgeber die Verpflichtung, spätestens einen Monat nach dem
vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich
niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. In diese
Niederschrift sind nach § 2 Abs. 1 Nachweisgesetz mindestens folgende Punkte aufzunehmen:

 Der Name und die Anschrift der Vertragsparteien


 Der Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
 Bei befristeten Arbeitsverhältnissen: die vorhersehbare Dauer des
Arbeitsverhältnisses,
der Arbeitsort, oder falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort
tätig sein soll, ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten
beschäftigt werden kann
 Eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der von der Arbeitnehmerin oder vom
Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit

546 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

 Die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Zuschläge,


der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie andere Bestandteile des
Arbeitsentgelts und deren Fälligkeit
 Die vereinbarte Arbeitszeit
 Die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
 Die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses
 Ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, Betriebs- oder
Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind
 Hinweis: Bei Minijob-Beschäftigten sollte stets ein Hinweis auf die Möglichkeit der
Erlangung der Stellung einer versicherungspflichtigen Arbeitnehmerin oder eines
versicherungspflichtigen Arbeitnehmers erfolgen!

Was ist im Hinblick auf Anmelde-, Dokumentations- und Informationspflichten zu beachten?


Die wichtigsten im Zusammenhang mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses bestehenden
Dokumentations- und Meldepflichten sind folgende:

 Sozialversicherung:
Meldung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die Einzugsstelle (gesetzl.
Krankenkassen)
 Finanzverwaltung:
Betriebsstättenfinanzamt: betriebliche Steuern (Lohn- und Umsatzsteuer)
Lohnstättenfinanzamt: Einkommensteuer
 Unfallversicherung:
Anzeige der Praxiseröffnung bei der BGW
 Berufshaftpflicht:
Absicherung der tierärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen Gefahren bei
der Berufsausübung
 Röntgen-Verordnung:
Unterweisung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer tierärztlichen Praxis über die
möglichen Gefahren und die anzuwendenden Sicherheits- und Schutzmaßnahmen
 Arbeitsschutzgesetz - Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung:
Beurteilung der im Hinblick auf die einzelnen Arbeitsplätze möglichen Gefährdungen
 Arbeitssicherheitsgesetz/Unfallverhütungsvorschrift DGUV II:
Abschluss eines Vertrages über eine betriebsärztliche und sicherheitstechnische
Betreuung (dabei Wahl zwischen der Regelbetreuung, der Grundbetreuung und einer
anders bezogenen Betreuung)
 Praxisveräußerung (Information der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die
Einzelheiten des Betriebsübergangs):

Information der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über den Zeitpunkt oder geplanten
Zeitpunkt des Übergangs, Grund für den Übergang, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen
des Übergangs und die in Aussicht genommenen Maßnahmen

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 547


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Was ist bei der Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses zu beachten?
Der grundsätzlich auch im Arbeitsvertragsrecht geltende Grundsatz der Vertragsfreiheit wird
durch zahlreiche Arbeitnehmerschutzbestimmungen, die sich aus verschiedenen Gesetzen und
Verordnungen ergeben, eingeschränkt. Gegenstand einschlägiger Regelungen im Arbeitsvertrag
sollten folgende Punkte sein:
 Probearbeitsverhältnis:
Dient der Erprobung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers mit der Möglichkeit
einer Verkürzung der
Kündigungsfrist (im Sinne des Gesetzes: pauschal 2 Wochen)
 Dauer des Arbeitsverhältnisses:
Nach den hier einschlägigen Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes ist es
möglich, ein Arbeitsverhältnis bis zu einer Dauer von 2 Jahren zu befristen. Wird dieser
Zeitrahmen nicht von vornherein ausgeschöpft, ist es möglich, einer 1. Befristung noch
bis zu 3 weitere innerhalb dieser 2 Jahre folgen zu lassen.
 Urlaubsanspruch:
Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch beträgt lediglich 24 Werktage (Woche von
Montag bis einschl. Samstag) bzw. 20 Arbeitstage (bei einer Verteilung der Arbeitszeit
auf regelmäßig 5 Arbeitstage). Jugendliche (also z. B. Auszubildende als TFA) haben
nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz einen höheren Urlaubsanspruch zwischen 25
und 30 Werktagen.
 Arbeitszeit:
Die höchst zulässige Arbeitszeit beträgt 48 Stunden in der Woche, eine Überschreitung
von bis zu 2 Stunden ist möglich, wenn innerhalb eines Halbjahreszeitraums insgesamt
1.152 Stunden nicht überschritten werden.
 Zur Bewertung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft:
Bereitschaftsdienst, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Geheiß des
Arbeitgebers in der Praxis/Klinik zu erbringen haben, ist auf die wöchentliche
Höchstarbeitszeit voll anzurechnen. Dies gilt nicht für solche Bereitschaftsdienste, die
die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer zu Hause oder an einem sonstigen Ort zu
erbringen hat, und für Zeiten einer Rufbereitschaft, innerhalb derer die Wahl des
Aufenthaltsortes frei ist. Freizeitausgleichs- bzw. zusätzliche Vergütungsansprüche
sind in der Regel Gegenstand einschlägiger Regelungen im Arbeitsvertrag.
 Weihnachtsgratifikation – 13. Monatsgehalt:
Auf diese Leistungen besteht kein gesetzlicher Anspruch, sodass sie entweder unter
einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt oder aber mit einem Rückforderungsanspruch
verbunden werden können.
 Anspruch der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung im
Krankheitsfalle:
Dieser besteht für die Dauer von bis zu 6 Wochen. Die Höhe beträgt 100 %. Aufgrund
der U1-Entgeltfortzahlungsversicherung kann der Arbeitgeber einen
Rückerstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Krankenkasse geltend machen.
 Berufshaftpflichtversicherung:
Die Berufshaftpflichtversicherung ist für die Absicherung der tierärztlichen Mitarbeiter
unerlässlich. Üblicherweise wird der Assistent durch Erweiterung der

548 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
Berufshaftpflichtversicherung des Praxisinhabers mit in den Versicherungsschutz
eingeschlossen.
 Benutzung eines Kraftfahrzeuges:
Wenn erforderlich, sollte diese im Arbeitsvertrag geregelt werden. Als Nutzungsentgelt
kann eine Kilometerpauschale (z. B. 0,30 €/km) vereinbart werden.

Wann sind Tarifverträge für mich von Bedeutung?


Nach den Regelungen des Tarifvertragsgesetzes ist ein Arbeitsverhältnis tarifgebunden, wenn
die Beteiligten jeweils Mitglied in den Organisationen sind, die einen Tarifvertrag oder Tarifverträge
miteinander abgeschlossen haben. Für die 3 Tarifverträge, die im Rahmen der Beschäftigung von
Tiermedizinischen Fachangestellten von Bedeutung sind (Manteltarifvertrag für Tierarzthelferinnen in
der Fassung vom 01.07.2005, Gehaltstarifvertrag für Tierarzthelferinnen vom 01.01.2009 und
Tarifvertrag Betriebliche Altersversorgung, in Kraft getreten am 01.04.2009) bedeutet dies, dass
diese dann zwingender Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses sind, wenn die Arbeitgeberin oder der
Arbeitgeber Mitglied im bpt und die oder der Tiermedizinische Fachangestellte Mitglied im Verband
medizinischer Fachberufe e. V. ist. Fehlt es an der Mitgliedschaft nur einer oder eines Beteiligten in
der Berufsorganisation, kann der Arbeitsvertrag (unter Beachtung verschiedener
Arbeitnehmerschutzvorschriften) frei gestaltet werden.

Was ist im Hinblick auf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu beachten?


Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses erfolgt im Allgemeinen durch:
 Ablauf der Vertragslaufzeit bei befristetem Arbeitsverhältnis
 Aussprache einer (ordentlichen oder außerordentlichen) Kündigung
 Abschluss eines Aufhebungs- bzw. Auflösungsvertrages

Ablauf der Vertragslaufzeit bei befristetem Arbeitsverhältnis:


Ein in zulässiger Weise (also insbesondere: schriftlich) befristetes Arbeitsverhältnis endet zum
vertraglich vereinbarten Zeitpunkt, ohne dass es der Aussprache einer Kündigung bedarf. Die
Möglichkeiten zur Befristung sind bereits weiter oben unter der Überschrift Dauer des
Arbeitsverhältnisses näher dargestellt.

 Ordentliche Kündigung:
Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses unterliegt grundsätzlich folgenden
Wirksamkeitsvoraussetzungen:
o Schriftlichkeit der Kündigung:
o Einhaltung der arbeitsvertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen
Kündigungsfrist
o Ordnungsgemäßer Zugang/ordnungsgemäße Zustellung des
Kündigungsschreibens
o Beachtung von Kündigungsverboten oder -beschränkungen
o Ggf.: Anhörung des Betriebsrats.

Die Angabe eines Grundes im Kündigungsschreiben ist grundsätzlich nicht erforderlich. Von
dieser Frage indes zu unterscheiden ist diejenige, ob ein Grund für die Kündigung gegeben sein

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 549


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
muss. Die diesbezüglichen Einzelheiten ergeben sich aus dem Kündigungsgesetz, dessen
Anwendbarkeit allerdings voraussetzt, dass in dem Betrieb regelmäßig mehr als 10
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden.
Ein Berufsausbildungsverhältnis ist nach Ablauf der Probezeit grundsätzlich nicht mehr im Wege
der ordentlichen Kündigung kündbar (wohl aber für die Auszubildende oder den Auszubildenden
mittels der Berufsaufgabekündigung unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen).

 Außerordentliche Kündigung:
Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung setzt voraus, dass die allgemeinen
Voraussetzungen (siehe oben) eingehalten werden und darüber hinaus ein wichtiger oder
schwerwiegender Grund vorliegt. Nach Kenntniserlangung der Umstände, die die außerordentliche
Kündigung rechtfertigen, besteht genau 2 Wochen Zeit, diese Kündigung auszusprechen.

 Aufhebungsvertrag:
Ein Aufhebungsvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass er jederzeit ohne Einhaltung jeglicher
Fristen abgeschlossen werden kann; beide Beteiligten müssen sich nur einig sein, dass das
Arbeitsverhältnis zu einem gemeinsam festzulegenden Zeitpunkt enden soll.

Was ist nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu beachten?


 Pflicht zur Erteilung eines einfachen oder qualifizierten Arbeitszeugnisses:
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein
einfaches bzw. qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen.

 Vereinbarungen und Auswirkungen eines Wettbewerbsverbotes:


Die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbotes ist grundsätzlich nur unter Einhaltung folgender
Voraussetzungen möglich: Es muss schriftlich abgeschlossen werden, einen zulässigen örtlichen,
sachlichen und zeitlichen Rahmen sowie die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung
aufweisen.

 Nachwirkende Verschwiegenheitspflicht:
Die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Verschwiegenheitspflichten gelten auch über
dessen Beendigung hinaus fort.

Abschließende Anmerkung
Ein verantwortungsvolles „Arbeitgeberinnen- bzw. Arbeitgeberdasein" erfordert nicht nur gute
Fähigkeiten im Bereich der Mitarbeiterführung, sondern auch ein nicht unbeträchtliches Maß an
Know-how auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Nicht nur um arbeitsgerichtliche
Auseinandersetzungen zu vermeiden, sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gut beraten, dem
Besuch eines einschlägigen Seminars nicht abgeneigt zu sein. Es dürfte nämlich kaum ausreichend
sein, sich auf den Wortlaut bestehender Musterverträge zu verlassen. bpt-Mitgliedern ist es
unabhängig von der Anforderung von Musterverträgen jederzeit möglich, Rechtsberatung beim
Rechtsreferat einzuholen oder aber auf die Informationsbroschüren zurückzugreifen, die zu
einzelnen arbeitsrechtlichen Themen in den vergangenen Jahren verfasst worden sind („Fragen zum
Berufsausbildungsverhältnis“, „Auslegepflichtige und verfügbare Rechtsvorschriften“,

550 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
„Arbeitsrechtliche und arbeitsvertragliche Melde-, Dokumentations-, Informations- und
Genehmigungspflichten“ und „Das Wichtigste zum Thema Kündigung“).

Kontaktadresse
RA Michael Panek, Bundesverband praktizierender Tierärzte e. V., Rechtsreferat, Frankfurt am Main,
[email protected]

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 551


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung

Werberecht für Tierärzte

Impfen zum Aktionspreis – was ist an Preiswerbung erlaubt?


Christiane Köber
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.

Ende der 90er Jahre zeichneten sich erste Liberalisierungstendenzen im ärztlichen Werberecht
ab. Mittlerweile lässt sich zu Recht behaupten, dass sich das tierärztliche Werbeverbot zum
tierärztlichen Werberecht gewandelt hat. Für viele Tierärzte ist Werbung mittlerweile
selbstverständlich geworden, um den Tierhalter auf das eigene Behandlungsportfolio oder
Spezialisierungen aufmerksam zu machen. Festzustellen ist, dass die Werbung kreativer wird. So
hält auch im Arztbereich Preiswerbung Einzug. In Anzeigen oder auf Internetplattformen werben
Ärzte mittlerweile mit Rabattangeboten oder Pauschalpreisen. Immer mehr Tierärzte entdecken
darüber hinaus die Möglichkeit des so genannten Social Media Marketing, d. h. der Werbung in
sozialen Netzwerken wie facebook oder youtube. Die mit diesen Werbeformen verbundenen
Probleme sollen im Folgenden kurz beleuchtet werden.

Preiswerbung im tierärztlichen Bereich


Anders als der Einzelhandel sind Tierärzte in der Berechnung ihrer Preise bzw. Gebühren nicht
frei: Die Gebührenordnungen sehen vor, dass die Höhe der einzelnen Gebühr innerhalb eines
Gebührenrahmens unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen
Leistung zu bemessen ist. Nur in begründeten Ausnahmefällen darf der Tierarzt also die Gebühren
der GOT unterschreiten (§ 4 GOT). Die Unterschreitung des Einfachsatzes der GOT stellt nicht nur
einen Verstoß gegen die Gebührenordnung dar, sondern kann zugleich auch über das
Wettbewerbsrecht geahndet werden. Derjenige, der Untersuchungen zu Gebühren unter dem
Einfachsatz anbietet oder abrechnet, kann mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts auf Unterlassung
in Anspruch genommen werden.
Dies gilt allerdings auch für Pauschalpreise und Rabatte, die die Gebührenordnungen ebenfalls
nicht vorsehen. So hat das Landgericht Bonn folgerichtig einem Zahnarzt untersagt, Zahnimplantate
zum Pauschalpreis anzubieten (LG Bonn, Urteil vom 21.04.2011, Az. 14 O 184/10). Der Zahnarzt
hatte im Rahmen einer Herbstaktion Zahnimplantate zum Preis von 888,00 € angeboten. Die Richter
betonten, dass die Gebührenordnung der Transparenz der Liquidation diene, aber auch eine
angemessene, leistungsgerechte Vergütung der Zahnärzte sicherstelle und damit dem
Verbraucherschutz diene. Angesichts der Vorgaben der zahnärztlichen Gebührenordnung seien
Pauschalhonorare unzulässig. Dies gilt natürlich auch für die Preiswerbung von Tierärzten. Von der
Aktion eines bayerischen Tierarztes, der Mitgliedern eines Reitvereins 10 % Rabatt auf seine
tierärztlichen Behandlungen ankündigte, ist deshalb dringend abzuraten.

Internetauktionen
Mittlerweile können Tierärzte ihre Leistungen auch bei Internetauktionen anbieten. Tierhalter
können auf diesen Auktionsplattformen die Dienstleistungen der Tierärzte bewerten, Preise
vergleichen und Behandlungswünsche angeben. Innerhalb von sieben Tagen können dann die
Veterinäre ihre Angebote abgeben. Derartige Angebote mögen vielen befremdlich erscheinen, nach

552 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.12.2010, Az. I ZR 55/08, lassen sich derartige
Portale wettbewerbsrechtlich nicht mehr angreifen. Tierärzte, die an diesen Auktionen teilnehmen,
haben auch keine berufsrechtlichen Schritte zu befürchten. Denn das Bundesverfassungsgericht gab
der Verfassungsbeschwerde eines Zahnarztes statt, der sich gegen die entsprechende Entscheidung
seiner Berufsgerichtsbarkeit zur Wehr setzte. Gegen den Zahnarzt war ein berufsrechtliches
Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil er auf der betreffenden Internetplattform eine
Kostenschätzung abgegeben hatte. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Entscheidung
des Landesberufsgerichts den Zahnarzt in seiner Berufsausübungsfreiheit verletzt habe. Das Verbot,
eine Kostenschätzung ohne vorherige Untersuchung auf dem Internetportal abzugeben, sei nicht
durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Aber auch hier gilt: Die Kostenschätzung
(und natürlich die endgültige Rechnung) muss sich im Rahmen der Gebührenordnung halten.

Anlockmittel Zugabe – wo liegen die Grenzen?


Das Heilmittelwerbegesetz, insbesondere die Vorschrift des § 7 Heilmittelwerbegesetz, regelt das
Verschenken von Waren oder Dienstleistungen. Derartige Zuwendungen sind nur in ganz eng
begrenzten Ausnahmefällen zulässig; grundsätzlich soll der Verbraucher im Gesundheitsbereich
nicht mit derartigen Geschenken „angelockt“ werden. Die Wettbewerbszentrale hat deshalb
Zahnärzte abgemahnt, die nicht nur eine Praxis in der Pfalz sondern auch im Oman betreiben. Sie
boten den Verbrauchern, die eine Zahnersatz- oder Implantatbehandlung im Oman vornahmen,
einen kostenlosen Flug sowie den Aufenthalt in einem Fünf-Sterne-Hotel im Oman an. Die Zahnärzte
gaben keine Unterlassungserklärung ab. Die von der Wettbewerbszentrale beantragte einstweilige
Verfügung hat das Landgericht Koblenz erlassen und den Zahnärzten diese Werbeaktion untersagt
(LG Koblenz, Beschluss vom 19.05.2011, Az. 16 O 176/11). Mittlerweile hat die Gegenseite die
einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anerkannt.
Aber auch die kostenlose Erbringung originärer ärztlicher Leistungen kann einen Verstoß gegen
§ 7 HWG darstellen. So stellt ein Venencheck den Teil einer ärztlichen Leistung dar, der
normalerweise nach der Gebührenordnung der Ärzte kostenpflichtig ist. Die Ankündigung einer
kostenlosen Venenuntersuchung ist damit unzulässig (LG Stade, Urteil vom 16.06.2011, Az. 8 O
23/11 – nicht rechtskräftig).
Von dem Angebot, bei Inanspruchnahme einer Entwurmungsbehandlung dem Tierhalter ein
kostenloses Entwurmungspräparat mitsamt einem kleinen Begrüßungspräsent gratis mitzugeben, ist
daher abzuraten.

Werbung in sozialen Netzwerken


Werbung bei facebook, Xing oder ähnlichen Plattformen wirft immer wieder die Frage auf, ob hier
die gleichen Wettbewerbsregeln gelten wie bei anderen Medien. Die Frage lässt sich eindeutig mit
„Ja“ beantworten. Wer in diesen neuen Medien seine Tierarztpraxis vorstellt, betreibt Werbung im
Sinne des Wettbewerbsrechts. Gegenstand sowohl des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG) als auch des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) sind alle Maßnahmen, die letztlich darauf
abzielen, die Aufmerksamkeit des Adressaten zu wecken und den Absatz der angebotenen Ware
oder Leistung zu steigern. Die Werberegeln sind nicht auf bestimmte Medien beschränkt, sie gelten
auch für die sozialen Netzwerke. Das bedeutet ganz konkret, dass man nicht nur den zahlreichen
strikten Regeln des HWG unterliegt, sondern auch den Informationspflichten, etwa der
Impressumspflicht nach § 5 Telemediengesetz (TMG), nachkommen muss. Zu beachten sind die
Verbote des § 11 HWG, der „Danksagungen“ Dritter verbietet. Solche Stellungnahmen wirken

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 553


Berufsrecht, Berufspolitik, Niederlassung
besonders glaubwürdig und überzeugend, letztlich kann der medizinische Laie diese Urteile Dritter
aber nicht richtig einschätzen. Wer also Tierhaltern bei facebook eine Plattform bietet, ist in der
Pflicht, lobende Äußerungen über die tierärztliche Behandlung und Praxis zu kontrollieren und ggf.
zu löschen.

Kontaktadresse
Christiane Köber, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V., Bad Homburg,
[email protected]

554 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Index

INDEX – STICHWORTVERZEICHNIS
Schwein · 232
Atemwegserkrankung
A Geflügel · 308
Schwein · 228
Abferkeln · 193 atypische BSE-Fälle · 457
Actinobacillus pleuropneumoniae · 228 atypische Gebärparese · 62
Afrikanische Schweinepest · 355 Aufhebungsvertrag · 550
Akkreditierung · 440 Aujeszkysche Krankheit · 263
Akute Pasteurellose Ausbildungspraxis · 541
Schwein · 254 Azalidantibiotikum · 99
Alaria alata mesocercariae migration technique · 447 Azetat · 107
Allergene · 436
Amerikanische Faulbrut · 330
Analgesie B
Versuchstier · 347
Anästhesie bakterielle Erkrankungen
Rind · 83 Broiler · 297
Versuchstier · 347 Legehenne · 300
Ansteckende Blutarmut der Einhufer · 356 Pute · 293
ansteckender Hühnerschnupfen · 302 Sondergeflügel · 304
Anthelmintika · 33 bakterielle Zoonosen · 386
Antibiose Bakteriophagen · 463
Geflügel · 268, 280 Ballonkatheter · 161
Pute · 293 Berichtspflicht · 407
Tauben · 281 berufliche Haftung · 521
Antibiotika · 372 Berufshaftpflichtversicherung · 541
Geflügel · 272, 274, 297, 300 Berufsunfähigkeit · 523
Sondergeflügel · 306 Beschäftigungsart · 545
Wassergeflügel · 306 Besitzerkommunikation · 525
Antibiotika-Leitlinien · 191, 223, 272, 372 Bestandsabschirmung · 285
Antibiotikaresistenz · 191, 278 Bestandsbetreuung · 44, 52
Antikokzidia · 33, 312 Bestandserkrankungen
Antioxidantien · 153 Milchvieh · 354
Antiparasitika Bestandsmanagement
Geflügel · 274 Geflügel · 272
Anti-Trichinella IgG · 443 Milchkuhherde · 43
AP-Aktivität Bestandsproblem · 44
Rind · 66 Beta2-Toxin · 240
Aquafeed · 482 Beta-Lactamantibiotika · 370
Aquakultur · 476, 484 Betäubung · 498
Arbeitgeber · 545 Betäubungsgebot · 496
Arbeitsschutzrecht · 543 betäubungsloses Schlachten · 494
Arbeitsverhältniss · 545 Betriebserhebung · 48
Arbeitsvertrag · 519, 546 Betriebswirtschaft · 534
Arzneimittelentwicklung · 350 BHV-1 · Siehe bovines Herpesvirus Typ 1
Arzneimittelneuzulassungen BHV1-Bekämpfung · 360
Geflügel · 275 BHV-1-Endsanierung · 94
Ascariose Bienenhalter · 334

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 555


Index

Bienenkrankheiten · 321, 334 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit · 178


Bienenmonitoring · 338
Bienenprobe · 323
Bienenschädlinge · 322 D
Bienenstaat · 320
Bienensterben · 338 Deutsche Antibiotikaresistenz-Strategie · 191
Bienenuntersuchung · 336 Diagnostik · 220
Blauzungenkrankheit · 92 diätetisches Management
Blutschwitzen · 101 Durchfall · 27
Botulismus · 354 Dioxin · 432
bovine Neonatale Panzytopenie · 101 Dokumentationspflicht · 547
bovine spongiforme Enzephalopathie · 455 Doppelstockverbot · 494
bovine Virusdiarrhoe · 95 Doxycyclin
bovines Herpesvirus Typ 1 · 94 Geflügel · 274
BSE · Siehe bovine spongiforme Enzephalopathie Duncker’scher Muskelegel · 447
BSE-Fahrplan · 455 Durchfallerkrankung
BSE-Pathogenesestudie · 457 Ferkel · 240, 248
Bursitis calcanea subtendinea Kalb · 19, 27
Rind · 87 Dystokie · 196
Bursitis tarsalis lateralis
Rind · 87
E
Butyrat · 107
BVD · Siehe bovine Virusdiarrhoe
E. coli · 244
BVD-Pflichtbekämpfung · 95
E. coli-Infektion
Ferkel · 244
C Sondergeflügel · 304
E. Coli-Infektion
Calciumversorgung Legehenne · 300
Milchkuh · 56 Eberkontakt · 202
Campylobacter Eimerien
Geflügel · 377 Kalb · 32
Campylobacter-Kontrolle · 379 Eingliederungsprozess
Chirurgie Laborhund · 344
Rind · 83 Einkommenssteuer · 531
Chlamydienerkrankung Einstreufeuchtigkeit · 398
Geflügel · 383 Elektrobetäubung · 498
kleine Wiederkäuer · 383 Elektrokurzzeitbetäubung · 495
Neuweltkameliden · 384 Embryonale Mortalität · 128
Nutztier · 382 Endoparasiten
Rind · 384 Kalb · 31
Schwein · 384 Energieversorgung
chronischer Botulismus · 354, 468 Rind · 41
Clostridiosen Entblutung · 498
Sondergeflügel · 305 Enteritis
Clostridium botulinum-Impfstoff · 470 Kalb · 31
Clostridium-perfringens-Typ-A Enterotoxin · 472
Schwein · 240 Entzündungshemmer · 155
CO2-Betäubung · 499 Epiphysenfugenentzündung
Coliseptikämie Rind · 89
Legehenne · 300 Equine Infektiöse Anämie · 356
Coxiellen · 383 Erregerdiagnostik

556 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Index

direkt · 221 Gebärparese · 62, 65


indirekt · 222 Gebührenordnung · 552
Erstabkalbealter · 36 Gefährdungsbeurteilung · 543
ESBL · 370, Siehe extended spectrum ß-lactamasen Gefahrenanalyse
Ethikkommission · 405 Aquakultur · 477
EU-Kontaminantenverordnung · 428 Geflügelmast · 269
EU-Pestizidrückständeverordnung · 428 Gehirnlisteriose · 182
EU-Rückstandsrecht · 427 Gemüll · 322
Eutergesundheit · 142 Gesellschaftsvertrag · 520
EU-Versuchstierrichtlinie · 404 Gesundheitsmonitoring
Existenzgründung · 518, 521, 530, 536 Rind · 49
extended spectrum β-lactamasen · 370 Gesundheitsschutz · 362
Extrapolation · 342 Gewerbesteuer · 532
Glässersche Krankheit · 225, 230
Glucose-Eliminationsrate · 170
F Glukoneogenese · 107
Glutathion-Peroxidase · 172
Fertilitätsstörungen Grundlagenforschung · 342
Rind · 128 Gründungszuschuss · 533
Festliegen · 62, 163 Gruppenpraxis · 520
Fibularis tertius-Ruptur
Rind · 90
Fibularis-Parese H
Rind · 90
Fischernährung · 480 Haemophilus parasuis · 225
Fischhaltung · 476 Hähnchenmast · 269
Fischmehl · 481 Hämorrhagische Diathese · 101
Fleischhygienerecht · 424 Hämorrhagische Septikämie
Fleischproduktion · 186 Schwein · 254
Flowzytometrie · 133 Hauptallergene · 438
Fluglochbeobachtung · 321 Heilmittelwerbegesetz · 553
Forschung · 340 Heißkupiergerät · 411
Fruchtbarkeit Herdenbetreuung · 48
Rind · 137 Hochleistungszuchtsau · 193
Fruchtbarkeitsstörung · 131 Höchstmengenverordnung · 300
Schwein · 250 Honigbiene · 320
Frühsommer-Meningoenzephalitis · 364 Hormonbehandlung · 131
Fußballengesundheit · 398 Hormonexposition · 502
Futtermittelüberwachung · 430 Hygienemanagement · 147, 156
Futtermittelzusatzstoffe · 312 Hyperglykämie · 118
Fütterung Hypophosphatämie · 62
Jungrind · 36
Rind · 41
Futterzusatzstoffe I
Geflügel · 268
Immunglobulinversorgung
Kalb · 22
G Immunsystem · 79
Schwein · 235
Gamithromycin · 99 Impfung · 353, 552
Gastrocnemius-Ruptur Geflügelsalmonellose · 286
Rind · 89 Infektionsschutzgesetz · 367

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 557


Index

Informationsmodell · 435 Laktationsleistung


Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung · 53 Schwein · 196
Internetauktion · 552 Laktationstherapie · 147
Lammzeit · 156
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch · 424, 433
J Lebensmittelallergie · 436
Lebensmittelfermentation · 460
Jungrinderaufzucht · 36 Lebensmittelhygiene · 386, 476
Jungsauenmanagement · 199 Lebensmittelimitate · 433
Lebensmittel-Kennzeichnungsrecht · 434
Lebensmittelkennzeichnungsverordnung · 436
K
Lebensmittelkette · 427, 432, 463
Lebensmittelrecht · 424, 433, 436
Kälberaufzucht · 16
Lebensmittelsicherheit · 488
Kaninchenhaltung · 391
Lebensmittelüberwachung · 430
Kannibalismus
Lebensmittelüberwachungsbehörde · 441
Schwein · 411, 414
Leber
Kennzeichnungspflicht · 437
Rind · 107, 111
Kennzeichnungsvorschriften · 424
Leberinsuffizienz
Klauenerkrankung
Mensch · 105
Schwein · 207
Leberkrankheiten
Kleingruppenhaltung
Rind · 120
Legehenne · 390
Leberschutztherapie · 120
Koagulase-negative Staphylokokken · 147
Leberverfettung
Kokzidienvakzine · 312
Milchkuh · 116
Kokzidiose
Legehennenhaltung · 290, 390
Geflügel · 311
Leistungsbeschränkung · 403
Legehenne · 303
Leistungssteigerung · 401
Kolostrum · 16, 22, 196, 235, 238
Leptospirose · 365, 374
Kolostrumqualität · 238
Rind · 137
Kommunikation · 525
Leukozidin · 145
Kooperationsformen · 520
Lipomobilisationssyndrom · 116
Koproskopie · 232
Listeriose · 182
Krankentagegeld · 523
Krankenversicherung · 522, 528
Kryptosporidien M
Rind · 31
Kündigung · 549 Mangan
Kupfer Rind · 70
Rind · 70 Masthühnerhaltung · 391
Kutschpferd · 409 Mastitis · 141, 143, 147, 151, 472
Mastitisdiagnostik · 140
Mastitistherapie · 154
L
Mastputenaufzucht · 398
maternale Antikörper · 236
Labelbetrieb · 414
maternale Hormone · 238
Labmagenverlagerung · 121, 169
Meeresfrüchte · 466
Laborhund · 344
mehrstöckiger Transport · 493
Lachs · 485
Meldepflicht · 547
Lahmheit
Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus · 472
Schwein · 204, 207
Metritis
Laktationsinzidenz · 44
Rind · 138

558 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Index

Milchfieber · 59 Niederlassung · 518, 536, 538


Milchsäure · 461 nosokomiale Infektion · 370
Milchviehbetrieb · 48 nutritive Muskeldystrophie · 172
Mindestschlachtalter · 403 Nutzfischernährung · 480
Mineralfutter Nutztiere · 491
Rind · 72 Nutztiersperma · 133
Mitteilungspflicht · 424 Nutztierzucht · 401
Modelltiere · 342
Moderhinke · 175
Moderhinke-Sanierung · 175 O
modifiziertes Larvenauswanderverfahren · 448
molekularbiologische Untersuchungsverfahren · 140 Obstipation
Monitoring Schwein · 194
Geflügel · 286 Ödemkrankheit · 244
Milchkuh · 125 öffentlicher Dienst · 340
MRSA · Siehe Methicillin-resistenter Staphylococcus ökologische Aquakultur · 484
aureus Ornithose · 305, 382
MRSA CC398 · 256 Tauben · 283
Mucosal Disease · 96 Östradiol · 503
multimodale Analgesie · 85 Östron · 503
Mycoplasma hyorhinis · 230 oxidativer Stress · 152, 172
Mycoplasmen-Infektion
Legehenne · 301
P
Mycoplasmen-Infektionen
Geflügel · 296
Paenibacillus larvae · 330
Mykobakterieninfektion
Pangasius · 486
Schwein · 260
Parasitenmanagement
Schwein · 232
N Pasteurella-Infektion
Legehenne · 301
Nabeldesinfektion · 157 PCR · 140
Nachmachen · 433 PCR-Untersuchung · 210
Nagetier-assoziierte Erkrankungen · 375 PCV2 · Siehe porzines Circovirus Typ 2
Nagetier-assoziierte Erkrankungen · 364, 368 PCV2-Impfung · 213
Nagetierbekämpfung · 367 Pelztierhaltung · 417
Nährstoffversorgung peripartale Metritis
Rind · 41 Rind · 138
Nanotechnologie · 488 Peritarsitis
Nationale Forschungsplattform für Zoonosen · 362 Rind · 87
Natriumsalicylat Personalwirtschaft · 533
Geflügel · 276 Pflanzenschutzmittel · 338
Mastpute · 308 Pflegepflichtversicherung · 522
nekrotisierende Enteritis Phosphorversorgung
Legehenne · 301 Milchkuh · 56
Nematodeninfektion Pleuritis
Kalb · 33 Schwein · 228
neonatale Diarrhoe PMWS · Siehe Postweaning Multisystemic Wasting
Rind · 19 Syndrome
Nerzhaltung · 417 PMWS-Diagnostik · 217
Neurotoxin · 468 Pneumonie
neutralisierende Antikörper · 244 Schwein · 230

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 559


Index

Pododermatitis R
Pute · 398
Polyserositis reaktive Sauerstoffspezies · 152
Schwein · 225, 230 Rechtsschutz · 522
Porcine Respiratory Disease Complex · 228 Regenbogenforelle · 486
porzines Circovirus Typ 2 · 213 Rehydratation
porzines reproduktives und respiratorisches Syndrom Kalb · 19, 27
· 210 Remontenselektion · 200
Postweaning Multisystemic Wasting Syndrome · 213 Reserveantibiotika · 272, 298, 372
Praxiseinrichtung · 522 Resistenzmonitoring
Praxiserfolg · 540 Geflügel · 278
Praxisgemeinschaft · 520 Rhinitis atrophicans · 254
Praxisgründung · 532 Rindergrippe · 99
Praxiskaufvertrag · 519 Rindertuberkulose · 92
Praxisneugründung · 518 Risikoanalyse · 407
Praxisübernahme · 518 Risikobewertung · 422, 429, 488, 502
PRDC · Siehe Porcine Respiratory Disease Complex Robbenjagd · 391
Preiswerbung · 552 Rohmilch · 472
Prion · 178 Rohwurst · 461
Processus urethrae-Entfernung · 164 Rohwurstreifung · 452
Produktionskrankheit · 45 Rotavirusinfektion
Propionat · 108 Schwein · 248
Proportionaldosiersystem · 294 Rote Vogelmilbe · 315
Protein-Energie-Mangelernährung · 79 Rotlauf-Infektion
Protozoeninfektion Legehenne · 301
Kalb · 31 Rückenfettdicke · 196
PRRS · Siehe porzines reproduktives und Rückstandsrecht · 429
respiratorisches Syndrom Rückstandsüberwachung · 427
Pseudorabiesvirus-Infektion
Schwein · 263
Psittakose · 382 S
Psittakose-Verordnung · 283
Pubertätseintritt Salmonella enteritidis · 387
Schwein · 201 Salmonella typhimurium · 387
puerperale Septikämie Salmonellen · 377
Rind · 122 Salmonellenbekämpfung
Puerperium Geflügel · 289
Milchkuh · 125 Salmonellose
Putenmast · 269 Geflügel · 285, 289
Mensch · 386
Sondergeflügel · 305
Q Tauben · 283
Säugetiergutachten · 392
Q-Fieber · 382 Säure-Basen-Haushalt
Qualitätsmanagement · 441 Rind · 65
Qualitätssicherungssystem · 53 Schächten · 494
Qualzucht · 402 Schädlinge · 366
Qualzuchtverbot · 390 Schadstoffe · 428
Schlachtnebenprodukte · 480
Schlachtschweine · 498
Schlachtung · 491
Trächtigkeit · 502

560 LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3


Index

Schmerz · 85 Rind · 122


Schmerzmanagement
Rind · 83
Schönen · 433 T
Schurhygiene · 158
Schutzkulturen · 460 Tarifvertrag · 549
Schwanzbeißen · 411 Tarsuserkrankung
Schwanzkupieren Rind · 87
Schwein · 411, 414 Täuschung · 433
Schweinefleischexport · 187 Tendovaginitis · 89
Schweinefleischverbrauch · 187 Tibialis-Parese
Schweinegesundheitsdienst · 415 Rind · 90
Schweinehaltung · 186 Tierarzneimittelkontrollgesetz · 48
Schweinepest · 190 Tierarzneimittel-Rückstände · 431
Schweineproduktion · 186 Tierärzte in der Praxis · 515, 516, 517
Scrapie · 178 Tierärzte in der Schweiz · 511
Selen Tierärzte in Österreich · 510
kleine Wiederkäuer · 172 Tierärzte in Südtirol · 513
Rind · 70 Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz · 391
Ziege · 75 Tiergesundheit · 401
Seleninjektion · 173 Tiergesundheitsdienst-Verordnung · 48
Selenmangel · 76 Tiergesundheitsjahresbericht 2010 · 94
septische Arthritis Tiergesundheitsrechtsakt · 352
Rind · 88 Tierimpfstoffverordnung · 353
Septischer Spat Tierische Lebensmittelhygiene-Überwachungs-
Rind · 89 Verordnung · 431
Sexing · 133 Tiermisshandlung · 395
Shigatoxin 2e · 244 Tiermodelle · 342
simulierter Magensaft · 453 Tierschutz · 394, 401, 404, 409, 411, 414, 491, 498,
SIRS · Siehe Systemic Inflammatory Response 502
Syndrome Tierschutzbeauftragte · 340
Slaughterhouse Pleurisy Evaluation System · 228 Tierschutzgesetz · 344, 347, 390, 409, 494
Solidarfonds · 413 Tierschutzgremium · 405
Spermiensortierung · 133 Tierschutzkennzeichnung · 392
SPES · Siehe Slaughterhouse Pleurisy Evaluation Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung · 390, 417
System Tierschutz-Schlachtverordnung · 391
Spulwurmbefall Tierschutzverbandsklage · 396
Schwein · 232 Tierseuchen · 190
Spurenelementmangel Tierseuchenbekämpfung · 190
Rind · 72 Tierseuchengesetz · 360
Staatszielbestimmung · 395 Tierseuchenrecht · 353
Stable to Table-Konzept · 52 Tiertransport · 493
Stalldesinfektion · 156 Tierversuch · 347
Stallhygiene · 156 Tierversuche · 344
Staphylococcus aureus · 143, 256, 472 Tierversuchsantrag · 348
Starterkulturen · 460 Todesfallschutz · 524
Stechkontrolle · 501 toxische Inhaltsstoffe · 428
Steroidhormonrückstände · 502 Toxoplasma gondii · 452
Steuerarten · 530 Toxoplasmose · 452
Superorganismus · 320 Trächtigkeitstoxikose · 167
Systemic Inflammatory Response Syndrome Tränkeautomat
Kalb · 25

LBH: 6. Leipziger Tierärztekongress Band 3 561


Index

Tränkemanagement Verkehrsbezeichnung · 434


Kälberdurchfall · 30 Verkehrsverbot · 424
transmissible spongiforme Enzephalopathie · 178, Versicherungsrecht · 541
455 Versorgungsempfehlung
Transparenzsystem · 425 Milchkuh · 56
Transportunfähigkeit · 491 verspätete Ovulation · 128
Trichinellenuntersuchung · 443 Versuchshunde · 344
Trichinellose · 443 Versuchstiere · 347
Trichinenuntersuchung · 441 Versuchstierkunde · 340
Trichinenuntersuchungslabor · 440 Versuchstierstatistik · 407
Trichostrongyliden Veterinär-Arzneispezialitäten-
Kalb · 33 Anwendungsverordnung · 48
Trinkwasserantibiose Veterinary Herd Controlling-System · 53
Geflügel · 280 Vibrionen · 466
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