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Urs Fueglistaller · Christoph Müller

Susan Müller · Thierry Volery

Entrepreneurship
Modelle – Umsetzung – Perspektiven
Mit Fallbeispielen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz
4. Auflage
Entrepreneurship
Urs Fueglistaller • Christoph Müller •
Susan Müller • Thierry Volery

Entrepreneurship
Modelle – Umsetzung – Perspektiven
Mit Fallbeispielen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz

4. Auflage
Urs Fueglistaller Christoph Müller
Susan Müller Henri B. Meier Unternehmensschule
Thierry Volery Universität St. Gallen,
Schweizerisches Institut für Klein- und Mittel- St. Gallen, Switzerland
unternehmen
Universität St. Gallen,
St. Gallen, Switzerland

ISBN 978-3-8349-4769-7       ISBN 978-3-8349-4770-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3

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Vorwort

Entrepreneure verändern den Status quo. Aus Begeisterung für eine neue Idee oder aus Un-
zufriedenheit mit der derzeitigen Situation bringen sie Neues in die Welt. Unter­nehmerinnen
und Unternehmer sorgen für neue Lösungsansätze, die im Idealfall besser sind als die, die
wir schon kannten. Sie schaffen Arbeitsplätze und erhöhen den Wohlstand sowie die Inno-
vationskraft von Volkswirtschaften. Damit nehmen Entrepreneure eine wichtige Rolle in
der Gesellschaft wahr. Und nicht zuletzt sind sie häufig zufriedener als Angestellte, weil
es eine sehr befriedigende Erfahrung ist, etwas Eigenes zu schaffen.

77 Etwas Neues und Eigenes schaffen – das ist ein zutiefst menschliches
Bedürfnis.

Etwas Neues schaffen – das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis und ein spannendes
Abenteuer obendrein. Aber ist Unternehmertum damit etwas für jeden? Wohl eher nicht.
Dennoch sind wir davon überzeugt, dass mehr Menschen als bisher unternehmerisch tätig
sein könnten; egal, ob dies nun im eigenen Unternehmen geschieht oder in einem Unter-
nehmen, das anderen gehört. Entrepreneurship ist eben auch eine Einstellung und eine
Methode – Einstellungen lassen sich verändern und Methoden lassen sich erlernen. Allen,
die sich mit Überzeugung für eine unternehmerische Karriere entscheiden, möchten wir
mit diesem Lehrbuch das notwendige Wissen und Handwerkszeug mit auf den Weg geben,
um sich gut gerüstet auf das Abenteuer Entrepreneurship einzulassen. Damit das gelingt,
werden in diesem Lehrbuch die aus unserer Sicht wichtigsten Themen beleuchtet. Bei den
einzelnen Kapiteln handelt es sich um abgeschlossene Einheiten, die jeweils eigene Lern-
ziele, Begriffsdefinitionen, Erläuterungen und Unternehmensbeispiele enthalten. Damit
können die Kapitel auch einzeln gelesen und bearbeitet werden.
In den ersten drei Kapiteln erhalten die Leser einen Überblick über die wichtigsten
Eckpfeiler zum Thema Entrepreneurship: Was ist eigentlich ein Unternehmer? Und was
versteht man unter Unternehmertum? Welche Rolle spielen Entrepreneure in der Gesell-
schaft? Und wie entdeckt oder entwickelt man eine unternehmerische Gelegenheit?
In Kapitel vier bis zehn werden dann die einzelnen Themen bearbeitet, die im un-
ternehmerischen Prozess eine wichtige Rolle spielen: Was ist eine Innovation? Und wie
lassen sich Innovationen eigentlich „managen“? Wie entwickelt man ein Geschäftsmodell

V
VI Vorwort

und eine Strategie? Welche Möglichkeiten gibt es, ein Produkt oder eine Dienstleistung
erfolgreich und authentisch zu vermarkten? Wie finanziert man eine Geschäftsidee? Und
welche Rechtsform soll das Unternehmen haben? Wie sieht ein guter Businessplan aus?
Und schlussendlich: Welche Wachstums- und Exit-Strategien gibt es eigentlich?
In den letzten beiden Kapiteln werden zwei besondere Ausprägungen des Unterneh-
mertums behandelt. Das Kapitel „Social Entrepreneurship“ erläutert, wie mit unternehme-
rischen Geschäftsmodellen soziale und ökologische Probleme gelöst werden können. Das
Kapitel „Corporate Entrepreneurship“ zeigt auf, wie Unternehmen es schaffen können,
dauerhaft Ideen und Innovationen hervorzubringen.

77 Fallstudien sind nicht die Realität – aber ein nützlicher Versuch, in einem
geschützten Rahmen der Wirklichkeit näher zu kommen.

Mit theoretischen Überlegungen und Konzepten allein kann Unternehmertum jedoch nicht
vermittelt werden. Denn eine erfolgreiche Unternehmensgründung setzt eben nicht nur
Wissen, sondern auch Fertigkeiten voraus; und diese müssen trainiert werden. So wie man
Klavierspielen nicht lernen kann, ohne am Klavier zu sitzen, lässt sich Entrepreneurship
nicht lernen, ohne dass man sich mit unternehmerischen Fragestellungen auseinandersetzt.
Eine Möglichkeit, Fertigkeiten im Rahmen von Seminaren oder Vorlesungen zu trainieren,
bieten Lehr-Fallstudien. Sie transportieren komplexe Herausforderungen des Start-up-All-
tags in den Vorlesungssaal, die dort von den Studierenden gemeistert werden müssen. Denn
letztlich ist es die Umsetzung, die darüber entscheidet, ob eine Gründung erfolgreich ist
oder nicht. Fallstudien sind nicht die Realität – aber ein guter Versuch, in einem geschützten
Rahmen der Wirklichkeit näher zu kommen. So erhalten Studierende die Möglichkeit, Wis-
sen und Konzepte anzuwenden und Fertigkeiten zu entwickeln. Daher stellen authentische
Fallstudien ein wesentliches Element dieses Lehrbuchs dar. Jedes Kapitel schließt mit einer
passenden Fallstudie ab, die auf einer realen Unternehmens­situation basiert. Darüber hinaus
gibt es in jedem Kapitel Unternehmensprofile, die ebenfalls beispielhaft aufzeigen, wie
Unternehmertum gelingen kann. Die Vielfalt der Beispiele soll zeigen, wie unterschiedlich
das Thema Unternehmensgründung aussehen kann.

77 Für die 4. Auflage wurden alle Kapitel überarbeitet und neue wissen-
schaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.

Für die 4. Auflage wurden alle Kapitel überarbeitet. Einige Fallstudien und Unternehmer-
profile wurden durch neue ersetzt oder aktualisiert. Es wurden neue wissenschaftliche
Erkenntnisse berücksichtigt und neue Themen wie z. B. die Methode des Lean Start-ups
aufgegriffen. An den Überarbeitungen des Lehrbuchs haben viele Personen mitgearbeitet,
bei denen wir uns bedanken möchten. Ein herzliches Dankeschön geht an Dominik Bur-
ger, Alexander Fust und Arik Röschke, die an der inhaltlichen Überarbeitung mitgewirkt
haben. Alle drei sind am Schweizerischen Institut für Klein- und Mittelunternehmen an
der Universität St. Gallen tätig. Ein besonderer Dank geht an Prof. Dr. Norbert Kailer vom
Vorwort VII

Institut für Unternehmensgründung und Unternehmensentwicklung der Johannes Kepler


Universität Linz. Wie bereits in den drei vorherigen Ausgaben hat er auch dieses Mal da-
für gesorgt, dass die österreichischen Informationen im Kapitel „Rechtliche Grundlagen“
auf dem aktuellsten Stand sind. Des Weiteren möchten wir uns ganz herzlich bei unseren
Fallstudienpartnern für ihre Zeit und Unterstützung bedanken. Danken möchten wir auch
Ulrike Lörcher von Springer Gabler, die uns auch dieses Mal bei sämtlichen Fragen un-
terstützt hat. Ein herzliches Dankeschön geht zudem an Anette Villnow für ein schnelles
und professionelles Lektorat.
Wir wünschen allen, die mit unserem Buch arbeiten, viel Freude und Erfolg bei ihren
unternehmerischen Vorhaben.

St. Gallen,  Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller, Thierry Volery
im Oktober 2015
Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke
1.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Ursprung und Bedeutung von Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . 4
1.3.1 Der Ursprung von Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3.2 Entrepreneurship in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.4.1 Der Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.4.2 Die unternehmerische Gelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.4.3 Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.4.4 Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.4.5 Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.5 Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess . . . . . . . 13
1.5.1 Unternehmerische Gelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.5.2 Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.5.3 Evaluieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.5.4 Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.5.5 Entrepreneurship als schöpferische Zerstörung . . . . . . . . . . 19
1.5.6 Messung unternehmerischer Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.6 Entrepreneurship und KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.6.1 Die wirtschaftliche Bedeutung von KMU . . . . . . . . . . . . . 25
1.6.2 Entrepreneurship und KMU: zwei sich ergänzende Begriffe . . . 27
1.6.3 Entrepreneur versus KMU-Manager . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.7 Fallstudie: Scarabeus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

IX
X Inhaltsverzeichnis

2 Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . 37


Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke
2.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.3 Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten . . . . . . . . . . 39
2.3.1 Entdeckungs- versus Entstehungsansatz . . . . . . . . . . . . . 39
2.3.2 Der Entdeckungsansatz (discovery) . . . . . . . . . . . . . . . . 40
2.3.3 Der Entstehungsansatz (creation) . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.4 Gelegenheiten strukturiert bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.4.1 Ist die unternehmerische Gelegenheit umsetzbar? . . . . . . . . 49
2.4.2 Ist die unternehmerische Gelegenheit tragfähig? . . . . . . . . . 50
2.4.3 Lohnt sich die Wahrnehmung der unternehmerischen
Gelegenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.5 Schritte im Gründungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.5.1 Gründung eines Unternehmens in Deutschland . . . . . . . . . . 53
2.5.2 Gründung eines Unternehmens in der Schweiz . . . . . . . . . . 54
2.5.3 Gründung eines Unternehmens in Österreich . . . . . . . . . . . 55
2.5.4 Gründung eines Unternehmens im Ländervergleich . . . . . . . 55
2.6 Fallstudie: Clean Insulating Technologies . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.6.1 Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.6.2 Die Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.6.3 Vorteile der Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.6.4 Das Geschäftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.6.5 Der Markt und die Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.6.6 Das Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3 Der Entrepreneur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke
3.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.3 Unternehmerische Gelegenheiten nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.3.1 Opportunitätskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.3.2 Risk-return-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.3.3 Realoptionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.3.4 Affordable Loss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.3.5 Auslöser und Barrieren für die Unternehmensgründung . . . . . 70
3.4 Unternehmerprofile verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.4.1 Die Rollen der Unternehmer – Eine ökonomische Perspektive . . 72
3.4.2 Der Unternehmer als Innovator . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Inhaltsverzeichnis XI

3.4.3 Charakteristika von Unternehmern – Ein behavioristischer


Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3.4.4 Das Gründerteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.5 Was Entrepreneure tun: the Entrepreneur’s Job . . . . . . . . . . . . . 80
3.5.1 Arbeitszeiten und Arbeitsrhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.5.2 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3 Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.4 Strategische versus operative Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.5 Entrepreneure in unterschiedlichen Rollen . . . . . . . . . . . . 82
3.6 Die Risiken einer Karriere als Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.6.1 Finanzielle Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.6.2 Karriererisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.3 Soziale Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.4 Gesundheitliche Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.7 Erfolgsmessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.7.1 Opportunitätskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.7.2 Liquiditätspremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.7.3 Risikopremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
3.7.4 Unsicherheitspremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.8 Fallstudie: Saustark Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.8.1 Wie alles anfing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.8.2 Die Unternehmensgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.8.3 Der Aufbau von Saustark Design . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
3.8.4 Die Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
3.8.5 Wie geht es weiter mit Saustark Design? . . . . . . . . . . . . . 93
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
4 Innovation und Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller, Thierry Volery
Unter Mitarbeit von Alexander Fust
4.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4.2 Einführung zu Innovation und Unternehmertum . . . . . . . . . . . . . 99
4.3 Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.4 Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung
von Innovationenund Geschäftsideen . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
4.4.1 Die zündende Idee in den Frühphasen von
Innovationsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
4.4.2 Evaluation der Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.4.3 Leistungsdesign, Prototyping und Konzeptentwicklung . . . . 116
4.4.4 Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
4.4.5 Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
XII Inhaltsverzeichnis

4.5 Förderung der Innovationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120


4.5.1 Die Rolle des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
4.5.2 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess: Kaizen . . . . . . . . 125
4.5.3 Cross-functional Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4.5.4 Innovationsbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
4.6 Fallstudie: KISKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
4.6.1 Vorstellung von KISKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.6.2 Innovationsentwicklung von KISKA am Beispiel von KTM . . 129
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
5 Strategie und Geschäftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery
5.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
5.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
5.3 Was ist eine Strategie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
5.4 Der strategische Managementprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
5.4.1 Formulierung der Vision, Mission und der strategischen Ziele . 143
5.4.2 Durchführung einer SWOT-Analyse . . . . . . . . . . . . . . 145
5.4.3 Entscheidung für eine generische Strategie . . . . . . . . . . . 145
5.4.4 Implementierung einer Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . 146
5.4.5 Bewertung einer Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5.5 Der Effectuation-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5.6 Spezifische Herausforderungen einer Start-up-Strategie . . . . . . . . 150
5.7 Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien
und Geschäftsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
5.8 Geschäftsmodell-Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.8.1 Die Königsdisziplin der Innovation . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.8.2 Werkzeuge zur Entwicklung von Geschäftsmodell-Innovationen 164
5.8.3 Konzept-kreative Gründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
5.9 Fallstudie: Doodle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
5.9.1 Teil A: Gründung und Start von Doodle . . . . . . . . . . . . . 168
5.9.2 Teil B: Exit der Doodle-Gründer und Fortführung als
Tamedia-Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
6 Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung . . . . . . . . . . . 179
Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller, Thierry Volery
Unter Mitarbeit von Dominik Burger
6.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
6.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
6.3 Markt – Das unbekannte Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
6.4 Entrepreneurial Marketing – Eine Lebenszyklusbetrachtung . . . . . . 187
6.5 Auftreten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Inhaltsverzeichnis XIII

6.6 Marktorientierung und Marketingkonzept . . . . . . . . . . . . . . . 195


6.7 Marktstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
6.7.1 Segmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
6.7.2 Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.7.3 Einschätzung der Marktattraktivität . . . . . . . . . . . . . . . 200
6.7.4 Markt- und Kundenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
6.8 Der Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
6.8.1 Elemente des Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
6.8.2 Einsatz von neuen Marketinginstrumenten . . . . . . . . . . . 207
6.9 Fallstudie: Coffee Circle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
7 Gründungsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery
7.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
7.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
7.3 Die Finanzierungsphasen und -quellen im Überblick . . . . . . . . . 219
7.4 Die Grundlagen und Erkenntnisse der Finanzierungstheorie . . . . . . 222
7.4.1 Finanzierungsbesonderheiten von Start-ups . . . . . . . . . . . 222
7.4.2 Auftreten von Marktfriktionen und Marktineffizienzen . . . . . 223
7.4.3 Neue Institutionenökonomik mit Milderungsmechanismen . . . 224
7.4.4 Beiträge der Finanzierungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . 226
7.5 Die Institutionen des Finanzierungsmarktes . . . . . . . . . . . . . . 228
7.5.1 Grundmuster: Direktbeziehungen und Intermediäre . . . . . . 228
7.5.2 Nachfrager: Unternehmenstypen . . . . . . . . . . . . . . . . 228
7.5.3 Anbieter: Kapitalgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
7.6 Die Inhalte des (Risiko-)Finanzierungsprozesses . . . . . . . . . . . 236
7.6.1 Finanzierungsschritte und Vertragsinhalte
bei Risikokapitalfinanzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
7.6.2 Unternehmensbewertungen bei Start-ups . . . . . . . . . . . . 238
7.7 Die Werkzeuge der Gründungsfinanzplanung . . . . . . . . . . . . . 240
7.7.1 Grundsätzliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
7.7.2 Gestaltung des Finanzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
7.8 Fallstudie: Crowdfunding – Suche nach alternativen
Finanzierungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
8 Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery
8.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
8.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
XIV Inhaltsverzeichnis

8.3 Wahl der geeigneten Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251


8.3.1 Grundsätzliche Fragen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . 252
8.3.2 Darstellung deutscher Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . 253
8.3.3 Darstellung österreichischer Rechtsformen . . . . . . . . . . . 260
8.3.4 Darstellung Schweizer Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . 266
8.4 Geistiges Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
8.4.1 Was ist geistiges Eigentum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
8.4.2 Einzelne Schutzrechte im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 274
8.4.3 Patentstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.5 Fallstudie: Austrianova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
9 Businessplanning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery
9.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
9.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
9.3 Bedeutung und Einsatzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
9.4 Aufbau des Businessplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
9.4.1 Executive Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
9.4.2 Idee und Produkt/Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 297
9.4.3 Personen und Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
9.4.4 Kunden und Konkurrenz, Märkte und Marketing . . . . . . . . 299
9.4.5 Organisation und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
9.4.6 Umsetzungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
9.4.7 Risiken und Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
9.4.8 Finanzplanung und Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . 303
9.5 Die Erstellung eines Businessplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
9.5.1 Zentrale Anforderungen an einen Businessplan . . . . . . . . . 304
9.5.2 Vorgehen bei der Erstellung eines Businessplans . . . . . . . . 306
9.6 Discovery-driven Planning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
9.6.1 Umgekehrte Erfolgsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
9.6.2 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . 310
9.6.3 Identifizierung impliziter Annahmen . . . . . . . . . . . . . . 313
9.6.4 Anpassung der umgekehrten Erfolgsrechnung . . . . . . . . . 314
9.6.5 Meilensteinplanung zur Überprüfung der Annahmen . . . . . . 314
9.7 Fallstudie: BistroBox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
10 Wachstum und Exit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery
10.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
10.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Inhaltsverzeichnis XV

10.3 Die Dimensionen von Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325


10.3.1 Finanzielles Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
10.3.2 Strategisches Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
10.3.3 Organisatorisches Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
10.4 Die Entscheidung, nicht zu wachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
10.5 Wachstumsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
10.6 Wachstumstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
10.6.1 Lebenszyklustheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
10.6.2 Evolutionstheoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
10.7 Wachstumsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
10.7.1 Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
10.7.2 Kunden/Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
10.8 Exit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
10.8.1 Einflussfaktoren und Ausstiegsstragien . . . . . . . . . . . . . 343
10.8.2 Verkauf an Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
10.8.3 Management-Buy-out (MBO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
10.8.4 Strategische Allianzen und Fusionen . . . . . . . . . . . . . . 347
10.8.5 Börsengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
10.9 Fallstudie: LiberoVision und Vizrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
11 Social Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery
11.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
11.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
11.3 Was versteht man unter Social Entrepreneurship? . . . . . . . . . . . 360
11.4 Entstehung von Social Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . 363
11.4.1 Bedeutung und Verbreitung von Social Entrepreneurship . . . . 363
11.4.2 Unterstützungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
11.4.3 Chancen für „traditionelle“ Unternehmen . . . . . . . . . . . . 366
11.4.4 Chancen für „traditionelle“ Non-Profit-Organisationen . . . . . 367
11.5 Die Rolle des Social Entrepreneurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
11.6 Geschäftschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
11.7 Geschäftsmodell-Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
11.7.1 Co-Creation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
11.7.2 Bekämpfung der Problemursache . . . . . . . . . . . . . . . . 375
11.7.3 Ertragsmodelle, die die Unternehmensvision unterstützen . . . 376
11.8 Fallstudie: ChancenWerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
XVI Inhaltsverzeichnis

12 Corporate Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389


Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery
12.1 Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
12.2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
12.2.1 Corporate Entrepreneurship – Ein umfassender Begriff . . . . . 391
12.2.2 Systematisierung von Corporate-Venture-Capital-Aktivitäten . 392
12.2.3 Herausforderungen für bestehende Unternehmen . . . . . . . . 394
12.3 Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung . . . 395
12.3.1 Entwicklungsprozess des Corporate Entrepreneurships . . . . . 397
12.3.2 Offene Innovationsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
12.4 Fallstudie: Vergleich T-Ventures mit Swisscom Ventures . . . . . . . 404
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . .  8


Abb. 1.2 Prozesskette von Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14
Abb. 1.3 Ausmaß unternehmerischer Aktivität in ausgewählten Ländern . . .  24
Abb. 2.1 Die Rolle des Entrepreneurs im Entdeckungsansatz . . . . . . . . .  43
Abb. 2.2 Die Rolle des Entrepreneurs im Entstehungsansatz . . . . . . . . . .  45
Abb. 2.3 Prozess zur Gelegenheitsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48
Abb. 3.1 Unterschiedliche Rollen der Entrepreneure . . . . . . . . . . . . . .  82
Abb. 3.2 Erfolgsmessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  88
Abb. 4.1 Lean Startup (Ries, 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  107
Abb. 4.2 Kenntnis der Kreativitätstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . .  112
Abb. 4.3 Nutzung der Kreativitätstechniken, falls sie bekannt sind . . . . . .  113
Abb. 4.4 Wo Ideen entstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  114
Abb. 4.5 Ideentrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  116
Abb. 4.6 Wie werden Ideen zu Innovationen transformiert? . . . . . . . . . .  117
Abb. 4.7 Strategischer Prozess der Innovationsentwicklung (KISKA) . . . . .  129
Abb. 5.1 Der strategische Managementprozess . . . . . . . . . . . . . . . .  144
Abb. 5.2 Generische Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  146
Abb. 5.3 Mit dem eigenen Geschäftsmodell auf dem Weg zur eigenen
Strategie (Jasper Bouwsma und Christoph Müller) . . . . . . . . . .  155
Abb. 5.4 Business Model Canvas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  158
Abb. 5.5 Business Model mit Wirkungszusammenhängen . . . . . . . . . . .  159

XVII
XVIII Abbildungsverzeichnis

Abb. 5.6 Geschäftsmodellkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  161


Abb. 5.7 Nutzenkurve Fleet Management von Hilti versus Wettbewerber . . .  166
Abb. 6.1 Entrepreneurial Marketing im Kontext Unternehmung, Markt
und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  184
Abb. 7.1 Kernaufgaben der Finanzierungsphasen . . . . . . . . . . . . . . .  220
Abb. 7.2 Systematik der Finanzierungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . .  221
Abb. 10.1 Ausgewählte Wachstumsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . .  326
Abb. 10.2 Produkt-Markt-Matrix von Ansoff . . . . . . . . . . . . . . . . . .  330
Abb. 10.3 Aus einem starken Kernbereich heraus expandieren . . . . . . . . .  332
Abb. 10.4 Strategische Wachstumsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  333
Abb. 10.5 Die „sechs Zwillinge“ erfolgreichen Wachstums . . . . . . . . . . .  340
Abb. 10.6 Strategische und finanzielle Optionen . . . . . . . . . . . . . . . .  344
Abb. 11.1 Unterscheidung von Organisationen aufgrund ihrer Zielsetzung . . .  361
Abb. 11.2 Auswahlkriterien von Ashoka (http://germany.ashoka.org.) . . . . .  370
Abb. 11.3 SHS2-Bildungskette. (IBFS ChancenWerk) . . . . . . . . . . . . .  380
Abb. 12.1 Systematisierung von Corporate Entrepreneurship . . . . . . . . . .  393
Abb. 12.2 Corporate-Entrepreneurship-Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . .  399
Tabellenverzeichnis

Tab. 1.1 Anteil Unternehmen/Beschäftigte nach


Unternehmensgrößenklassen (in %, 2012) . . . . . . . . . . . . . .  26
Tab. 1.2 Unterschiede zwischen Entrepreneurship und KMU-Management . .  29
Tab. 2.1 Unterschiede zwischen dem Entdeckungs- und dem
Entstehungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  41
Tab. 2.2 Gründungsprozess in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . .  54
Tab. 2.3 Gründungsprozess in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . .  55
Tab. 2.4 Gründungsprozess in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  56
Tab. 2.5 Kennzahlen für Gründungen im Ländervergleich . . . . . . . . . . .  57
Tab. 3.1 Typische Charakteristika von Unternehmern . . . . . . . . . . . . .  75
Tab. 4.1 Fragen zur Evaluation von Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  115
Tab. 4.2 Einfache Hilfestellung für das Projektmanagement . . . . . . . . .  118
Tab. 4.3 Patent- und Markenämter in der EU, Deutschland, Österreich
und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  119
Tab. 5.1 Geschäftsmodell-Innovation Hilti . . . . . . . . . . . . . . . . . .  165
Tab. 6.1 Unternehmensarten und Herausforderungen im Entrepreneurial
Marketing sowie Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  191
Tab. 7.1 Ansätze der Neuen Institutionenökonomik . . . . . . . . . . . . . .  225
Tab. 7.2 Typen von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . .  225
Tab. 7.3 Problemtypen der Informationsasymmetrie . . . . . . . . . . . . .  227
Tab. 7.4 Arten der Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  233
Tab. 8.1 Bewertung der deutschen Handelsfirma . . . . . . . . . . . . . . .  254

XIX
XX Tabellenverzeichnis

Tab. 8.2 Bewertung der deutschen GmbH und der UG (haftungsbeschränkt) .  256


Tab. 8.3 Bewertung der deutschen Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . .  259
Tab. 8.4 Zusammenfassende Darstellung für Deutschland . . . . . . . . . .  259
Tab. 8.5 Bewertung des österreichischen Einzelunternehmens . . . . . . . .  261
Tab. 8.6 Bewertung der österreichischen GmbH . . . . . . . . . . . . . . .  263
Tab. 8.7 Bewertung der österreichischen Aktiengesellschaft . . . . . . . . .  264
Tab. 8.8 Zusammenfassende Darstellung für Österreich . . . . . . . . . . . .  265
Tab. 8.9 Bewertung der schweizerischen Einzelunternehmung . . . . . . . .  267
Tab. 8.10 Bewertung der schweizerischen GmbH . . . . . . . . . . . . . . .  268
Tab. 8.11 Bewertung der schweizerischen Aktiengesellschaft . . . . . . . . .  270
Tab. 8.12 Zusammenfassende Darstellung für die Schweiz . . . . . . . . . . .  271
Tab. 9.1 Umgekehrte Erfolgsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  311
Tab. 9.2 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Durchführung Fahrstunden . .  312
Tab. 9.3 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Vertrieb und Marketing . . . .  312
Tab. 9.4 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Verwaltung und Organisation .  313
Tab. 9.5 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Geschätzte Gesamtkosten . . .  313
Tab. 9.6 Liste mit impliziten Annahmen und Maßnahmen zur Überprüfung .  314
Tab. 10.1 Charakteristika der einzelnen Lebensphasen . . . . . . . . . . . . .  337
Tab. 10.2 Twin 2: Team & Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . .  341
Tab. 10.3 Twin 5: Unternehmensprozesse & Ausführung . . . . . . . . . . . .  341
Tab. 10.4 Kennzahlen LiberoVision (in CHF) . . . . . . . . . . . . . . . . .  352
Tab. 11.1 Beispiele von Geschäftschancen von Social Entrepreneurs . . . . .  372
Tab. 11.2 Aufwände und Erträge pro SHS2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  382
Tab. 11.3 Einkommenssituation ChancenWerk . . . . . . . . . . . . . . . . .  383
Tab. 12.1 Entwicklungsprozess für neue Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . .  397
Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Urs Fueglistaller ist Inhaber des Lehrstuhls für Un-


ternehmensführung mit besonderer Berücksichtigung der kleinen
dynamischen Unternehmungen und Direktor des Schweizerischen In-
stituts für Klein- und Mittelunternehmen an der Universität St. Gallen
(KMU-HSG). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: KMU
und kundenorientierte Innovation sowie nachhaltige Kundenbe­
ziehung und KMU-Führung. Urs Fueglistaller  hat von 1983 bis 1987
in St. Gallen studiert. Er promovierte an der TU Cottbus (1993), nahm
einen Ruf an die Steinbeis University Berlin (1998–2001) an und wurde
nach seiner Habilitation 2002 zum Extraordinarius der Universität St.
Gallen und zum geschäftsführenden Direktor des KMU-HSG gewählt.
Seit 2011 ist er dort Ordinarius. Er gehört zu den Gründern des Schwei-
zer KMU-Tags, der seit 2003 zu den größten KMU-Veranstaltungen
zählt.

Prof. Dr. Christoph Müller  ist Titularprofessor für Betriebswirt-


schaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der KMU und der
Unternehmensgründungen an der Universität St. Gallen. Er ist aka-
demischer Co-Direktor an der Henri B. Meier Unternehmerschule
der Executive School of Management, Technology & Law der Uni-
versität St. Gallen. Zudem ist er als Geschäftsführer, Verwaltungs- und
Aufsichtsrat von KMU tätig. Er schloss 1995 seine Promotion über
die Internationalisierung mittelständischer Werkzeugmaschinen-Un-
ternehmen und 2001 seine Habilitation über (De-)Regulierung und
Unternehmertum an der Universität St. Gallen ab. Von 2002 bis 2008
hatte er den Stiftungslehrstuhl Entrepreneurship an der Universität
Hohenheim inne. Anschließend wechselte er wieder an die Universität
St. Gallen.

XXI
XXII Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Susan Müller  ist Assistenzprofessorin für Entrepreneurship


an der Universität St. Gallen. Dort arbeitet sie am Schweizerischen
Institut für Klein- und Mittelunternehmen (KMU-HSG). Zu ihren
Forschungsschwerpunkten gehören Entrepreneurship Education, So-
cial Entrepreneurship und Geschäftsmodelle. Susan Müller  studierte
an der Berufsakademie Karlsruhe im Bereich Wirtschaftsinformatik.
Anschließend absolvierte sie ein MBA-Studium an der University
of Pittsburgh. Von 2001 bis 2007 arbeitete sie als Unternehmens-
beraterin bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung in Köln
mit den Schwerpunkten Marketing und Organisation. Von 2007 bis
2012 sowie seit September 2014 arbeitet(e) sie am KMU-HSG. Im
Jahr 2009 promovierte sie an der Universität St. Gallen zum Thema
Entrepreneurship Education. Von 2012 bis August 2014 arbeitete sie
am World Vision Center for Social Innovation der EBS Universität
für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden.

Prof. Dr. Thierry Volery  ist Professor für Entrepreneurship an der


Universität St. Gallen und geschäftsführender Direktor des Schwei-
zerischen Instituts für Klein- und Mittelunternehmen (KMU-HSG).
Sein Doktorat erlangte er an der Universität Fribourg, wo er unter
anderem von 1992 bis 1995 als Assistent tätig war. Danach folgte ein
Aufenthalt an der Curtin University of Technology in Perth (Austra-
lien). Von 1999 bis 2002 war er Professor an der EM Lyon, einer der
großen französischen Managementschulen. Seine zuletzt veröffent-
lichten Bücher tragen die Titel „Entrepreneurship and Small Busi-
ness“ (4. Auflage, Wiley, 2014) und „Visionäre, die sich durchsetzen“
(Orell Füssli, Zürich, 2006).
Grundlagen
1

1
Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke

Zusammenfassung
Entrepreneurship beschäftigt sich hauptsächlich mit der Gründung innovativer Unter-
nehmen und der Schaffung neuer wirtschaftlicher Strukturen, schließt aber andere Vari-
anten wie den Kauf eines Unternehmens oder den Lizenzverkauf nicht per se aus. Auf
einer Makroebene ist Entrepreneurship ein Prozess der kreativen Zerstörung. Unter-
nehmer sind für diesen Prozess ein zentrales Element: Sie identifizieren Gelegenhei-
ten und machen neue Technologien und Konzepte wirtschaftlich nutzbar. Im Rahmen
dieses Lehrbuches wird eine prozessorientierte Sicht von Entrepreneurship angewen-
det, die das Erkennen, Evaluieren und Nutzen von unternehmerischen Gelegenheiten
umfasst. Die Existenz von unternehmerischen Gelegenheiten wird mit dem Bestehen
von wirtschaftlichen Ungleichgewichten und asymmetrischen Informationen begrün-
det. Das Erkennen von Gelegenheiten ist eng an die Person des Unternehmers gebun-
den, wobei Vorkenntnisse und kognitive Eigenschaften eine große Rolle spielen. Bei der
Evaluierung einer Gelegenheit ist es für den Unternehmer maßgeblich, ob nach seiner
Einschätzung der Nutzen einer unternehmerischen Gelegenheit größer ist als die Oppor-
tunitätskosten, die ihm durch das Vernachlässigen anderer Alternativen entstehen. Für
die Nutzung einer unternehmerischen Gelegenheit kommen zwei grundsätzliche institu-
tionelle Arrangements infrage: die Gründung einer Unternehmung oder der Verkauf der
Gelegenheit am Markt. Die Begriffe Entrepreneurship und KMU sind eng miteinander
verbunden, aber nicht deckungsgleich. Entrepreneurship ist vor allem in den frühen
Phasen eines Unternehmens von Bedeutung, wohingegen in späteren Phasen meist die
Sicherung und Steigerung der Effizienz im Vordergrund stehen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_1 1
2 1 Grundlagen

Lernziele
•• Sie können die Entwicklung von Entrepreneurship als eigenständige, wissen-
schaftliche Disziplin erläutern.
•• Sie können erläutern, was man unter Entrepreneurship versteht.
•• Sie können die Schlüsselelemente von Entrepreneurship definieren und erläu-
tern.
•• Sie sind in der Lage, die Bedeutung von Entrepreneurship hinsichtlich der wirt-
schaftlichen Entwicklung und Innovationsfähigkeit eines Landes einzuschätzen.
•• Sie können die wirtschaftliche Bedeutung von KMU in Deutschland, Österreich
und der Schweiz beurteilen.
•• Sie können den Zusammenhang zwischen Entrepreneurship und KMU erläutern.

1.1 Begriffserklärungen

77 Entrepreneurship:  Ein Prozess, der von Individuen initiiert und durchgeführt wird

und der dazu dient, unternehmerische Gelegenheiten zu identifizieren, zu evaluieren und


zu nutzen.

77 Entrepreneur (Unternehmer):  Ein Individuum, das innovative Produkte oder Produk-

tionsmethoden am Markt durchsetzt, neue wirtschaftliche Strukturen etabliert und beste-


hende, weniger innovative Unternehmen aus dem Markt drängt, jedoch nicht zwangsläufig
Inhaber eines Unternehmens sein muss. Entrepreneure verfolgen ihre Projekte mit Kon-
sequenz und sind in der Lage, die notwendigen Ressourcen zur Umsetzung ihrer Ideen zu
akquirieren. Unternehmer glauben, dass sie ihr Leben kontrollieren können, und sind in
der Lage, Risiken einzugehen.

77 Unternehmerische Gelegenheiten:  Situationen, in denen neue Zweck-Mittel-Bezie-


hungen möglich sind und Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden können.

77Schöpferische Zerstörung:  Prozess des simultanen Aufkommens und Verschwindens


von Technologien, Produkten und Firmen auf dem Markt als Resultat von Innovation.

77 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU):  Unternehmen mit weniger als 250 Beschäf-
tigten. KMU sind charakterisiert durch eine persönliche Unternehmensführung, ein enges
Produktspektrum und individualisierte Leistungen.
1.2 Einführung 3

1.2 Einführung

77 Entrepreneurship wird als Motor für die Wirtschaft betrachtet und gefördert.

Aufgrund zahlreicher Aufrufe aus der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit nach
neuen und innovativen Unternehmen wie „Gründer schaffen Arbeitsplätze und bringen die
Wirtschaft voran“ sind in den letzten Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz
zahlreiche Initiativen entstanden, die Innovation und Unternehmertum fördern. So gibt
es beispielsweise vielfältige Förderprogramme für Jungunternehmer, Businessplan-Wett-
bewerbe und Steuererleichterungen für Gründer. Neue, innovative Unternehmen werden
teilweise sogar zum Allheilmittel wirtschaftlicher Probleme erklärt, und die Förderung von
Unternehmensgründungen, vor allem im Hochtechnologiebereich, wird zum Politikum.
Häufig werden in diesem Zusammenhang Schlagworte wie Entrepreneurship, Unter-
nehmer oder Unternehmertum verwendet, ohne eine genaue Eingrenzung der Begriffe
vorzunehmen. Insbesondere Entrepreneurship ist zum Modewort avanciert und zeigt sich
in der theoretischen Konzeption als ein Phänomen mit vielen schillernden Facetten. Ei-
nige dieser Facetten, unter anderem die wirtschaftliche Bedeutung von Entrepreneurship,
werden im Rahmen dieses Grundlagenkapitels behandelt. Zunächst erfolgt jedoch eine
Abgrenzung der Begriffe Entrepreneurship und Unternehmer, welche die Grundlage die-
ses Lehrbuches bilden.

77 Innovationen und unternehmerische Gelegenheiten kennzeichnen Entrepre-


neurship.

Für den aus dem englischsprachigen Raum stammenden Begriff Entrepreneurship res-
pektive das aus dem Französischen stammende Wort Entrepreneur gibt es im Deutschen
kein vollständig zutreffendes Synonym. Am ehesten treffen noch die Begriffe des Un-
ternehmertums oder des Unternehmers zu, die allerdings im deutschen Sprachgebrauch
wesentlich breiter gefasst sind als der Begriff Entrepreneurship im Englischen, der sich
im Wesentlichen auf die Verwertung unternehmerischer Gelegenheiten bezieht und dabei
den Aspekt der Innovation betont. Der Begriff des Unternehmers ist im Deutschen sehr
weit gefasst. Man bezeichnet damit sowohl Selbstständige als auch Gründer von Start-ups,
Inhaber von Familienunternehmen oder innovative Manager allgemein. Dies wiederum
hat Auswirkungen auf das Verständnis des Begriffs Unternehmertum, der in der Folge
ebenfalls sehr umfassend genutzt wird. Für den Begriff Entrepreneurship gilt Ähnliches:
Auch Entrepreneurship wird im Deutschen eher weit gefasst und bezeichnet alle Formen
unternehmerischer Tätigkeiten, also auch die traditionellen, etablierten Handwerker um
die Ecke. Wird zusätzlich der Aspekt der Innovation eingebracht, ergibt sich eine engere
Definition von Entrepreneurship, mit dem sich dieses Lehrbuch schwerpunktmäßig befasst.

77 Entrepreneurship ist ein unternehmerischer Prozess zur Durchsetzung innova-


tiver Produkte und Produktionsmethoden.
4 1 Grundlagen

Ein Unternehmer im Sinne des Ökonomen Joseph Schumpeter (1883–1950), der eine
enge Definition von Entrepreneurship verwendet, ist eine Person, die innovative Produkte
oder Produktionsmethoden am Markt durchsetzt, neue wirtschaftliche Strukturen etabliert
und bestehende, weniger innovative Unternehmen aus dem Markt drängt. Eigentümer
eines etablierten Familienunternehmens sind nicht zwangsweise während des gesamten
Lebens Unternehmer des Schumpeter’schen Typs, zeitweise agieren sie vielmehr als
„Verwalter“ des Unternehmens. Hingegen lassen sich die Gründer innovativer Start-ups
eindeutig dem Typ „Unternehmer“ zuordnen. Sie nehmen im Rahmen einer Volkswirt-
schaft wichtige Funktionen wahr, wie beispielsweise die Steigerung der Wettbewerbsfä-
higkeit eines Landes. Mit dieser engen Definition werden zum einen die institutionelle
Sicht (Unternehmer) und zum anderen die prozessuale Sicht (unternehmerischer Prozess)
von Entrepreneurship betont. Der Schwerpunkt des Lehrbuches liegt, wie später in die-
sem Kapitel noch gezeigt wird, auf der prozessualen Sicht von Entrepreneurship und
weniger darin, welche Personen mit welchen Charaktereigenschaften zum Unternehmer
geeignet sind und wie sich diese Eigenschaften in der Folge auf den Unternehmensverlauf
auswirken.

77 Existenzgründungen orientieren sich häufig an vorhandenen Geschäftsideen.

Ein anderer, vor allem in Deutschland gebräuchlicher Begriff ist derjenige der Existenz-
gründung. Diese Form der Gründung orientiert sich meistens an bereits vorhandenen Ge-
schäftsideen und steht damit in einem, zumindest im volkswirtschaftlichen Sinn, unmittel-
baren Verdrängungswettbewerb hinsichtlich Qualität oder Preis. Unternehmensgründungen
stehen demgegenüber in einem „Innovationswettbewerb“, was „me too“-Gründungen aber
nicht ausschließen soll [1]. Entrepreneurship im Verständnis dieses Lehrbuches beschäftigt
sich hauptsächlich mit der Gründung solcher innovativer Unternehmen und der Schaffung
neuer wirtschaftlicher Strukturen. Andere Formen der Unternehmensgründungen sollen
aber nicht per se von der Analyse ausgeschlossen werden.

1.3 Ursprung und Bedeutung von Entrepreneurship

77 Entrepreneurship stellt ein Kernelement der wirtschaftlichen Leistungsfähig-


keit dar.

Entrepreneurship spielt für die Entwicklung und das Wachstum einer Volkswirtschaft eine
lebenswichtige Rolle, die mittlerweile weitgehend anerkannt ist. Die OECD sieht dies in
ihrem Bericht zur Förderung von Entrepreneurship [2] ähnlich:
Entrepreneurship wird als Kernelement der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angesehen,
vor allem in Bezug auf innovative Veränderungsprozesse, die eine wichtige strukturelle und
dynamische Rolle in Volkswirtschaften übernehmen.
1.3  Ursprung und Bedeutung von Entrepreneurship 5

Die Wichtigkeit von Entrepreneurship lässt sich am Beispiel der Transformationsländer


Mittel- und Osteuropas, aber auch Ostdeutschlands sehr gut erklären. Geprägt durch fest-
gefahrene und wenig innovative Staatsbetriebe, mussten diese Länder nach dem Jahr 1989
umdenken und neben einer notwendigen Privatisierung und Deregulierung auch die Schaf-
fung eines aktiven und innovativen Unternehmertums fördern.

1.3.1 Der Ursprung von Entrepreneurship

77 Der Begriff „Entrepreneurship“ lässt sich auf das französische Wort „entre-
prendre“ zurückführen.

Der Begriff Entrepreneurship geht ursprünglich auf das französische Wort „entreprendre“
zurück, was so viel wie „etwas unternehmen“ oder „in die eigenen Hände nehmen“ bedeu-
tet. Der irische Bankier Richard Cantillon führte im ausgehenden 18. Jahrhundert diesen
Begriff in den entstehenden Wirtschaftswissenschaften in Form des Entrepreneurs ein und
betonte vor allem die Einkommenserzielung unter Unsicherheit. Der Ökonom Jean-Baptiste
Say ergänzte den Begriff mit der Koordination von Produktionsfaktoren (Land, Kapital,
Arbeitskraft) durch den Unternehmer und grenzte diesen vom Kapitalisten ab, der lediglich
Geld zur Verfügung stellt und keine aktive Rolle in der Produktion übernimmt. Entrepre-
neure sind allerdings keine Erfindung der Neuzeit. Bereits bei den Griechen, Römern und
Persern waren es innovative Köpfe, die neue Entwicklungen vorantrieben. In den Bereichen
Tunnel-, Brücken- und Kanalbau, Medizin, Heiztechnik und Automatenherstellung gab
es eine Reihe unternehmerischer Höchstleistungen. So kann Cäsar als erster europäischer
Verkehrsplaner oder Augustus als Initiator der staatlichen Feuerwehr angesehen werden.
Sie entwickelten Ideen und Projekte, die bis heute unser Leben bestimmen [3].
Während der industriellen Revolution wurde der Begriff Entrepreneurship dafür verwen-
det, ein neues Phänomen zu beschreiben: Ein Individuum formuliert eine Geschäftsidee,
entwickelt sie und sorgt dafür, dass ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, um ein
neues Unternehmen aufzubauen.

77 Entrepreneure bestimmten den Wandel während der industriellen Revolution.

In dieser Geschichtsepoche, also im 18./19. Jahrhundert, fand durch den Einsatz neuer


Technologien und das Aufkommen der Massenproduktion ein wirtschaftlicher und sozialer
Umbruch statt, der nicht zuletzt die Aufweichung von Standesdenken zur Folge hatte. Der
Entrepreneur oder Unternehmer wurde zu einer entscheidenden Figur, die innerhalb eines
Marktes agierte und diesen Wandel vorantrieb. Unternehmer wie Werner von Siemens,
Friedrich Krupp, August Thyssen, Gottlieb Daimler, Carl Zeiß oder Adam Opel prägten
die industrielle Revolution in Deutschland und die Zeit darüber hinaus. Aber auch die
Schweizer Chemieindustrie (Fritz Hoffmann-LaRoche, Edouard Sandoz, Johann Rudolf
Geigy) und die Schokoladenhersteller (Johann Jakob Tobler, Johann Rudolf Lindt, Philippe
6 1 Grundlagen

Suchard) wurden seit dieser Zeit durch Unternehmer und deren Familien geprägt, mitunter
bis zur heutigen Zeit. Unternehmer sind diesem Verständnis nach risikofreudige Personen,
die günstige Gelegenheiten nutzen, Risiken übernehmen und durch ihren Beitrag in be-
stimmten Märkten einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herstellen.

77 Schumpeter verhalf dem Entrepreneur als „Innovator“ und „Agent des Wan-
dels“ zur Berühmtheit.

Berühmtheit erlangte der Begriff Entrepreneurship mit dem österreichischen Ökonomen


Joseph Schumpeter, der im Unternehmer vor allem einen Innovator sah, der Ressourcen
neu kombiniert, auf den Markt bringt und damit das Marktgleichgewicht stört. Schumpeter
betonte damit insbesondere die Rolle des Unternehmers als Agent des Wandels in Volks-
wirtschaften. Anders dagegen der US-Amerikaner Israel Kirzner, der einen Unternehmer
als Person sieht, der die Schwachstellen eines Marktes ausnutzt und diesen dadurch wieder
ins Gleichgewicht bringt. Beide betonten jedoch die herausragende Rolle von Entrepre-
neurship für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, sei es als „Wiederhersteller“
oder „Störer“ eines Marktgleichgewichtes.

1.3.2 Entrepreneurship in der Wissenschaft

77 Entrepreneurship wurde in der Wissenschaft lange Zeit vernachlässigt.

Seit der industriellen Revolution haben viele Wirtschaftswissenschaftler ihre Aufmerk-


samkeit auf das Phänomen Entrepreneurship gerichtet. Trotz der zumindest intuitiv nach-
vollziehbaren Wichtigkeit in der realen Wirtschaft spielte der Unternehmer in den Wirt-
schaftswissenschaften bis noch vor wenigen Jahren eine eher untergeordnete bis gar keine
Rolle, und die Literatur war nach Ansicht des Entrepreneurship-Experten Casson [4] eher
diffus. Für den Ökonomen William Baumol, der sich um die Wiedereinführung des Un-
ternehmers in die wissenschaftliche Diskussion bemühte, war die Vernachlässigung von
Entrepreneurship in den Wirtschaftswissenschaften, als ob man den Prinzen Dänemarks
bei der Diskussion des Shakespeare-Stücks „Hamlet“ ausschließen würde [5].
Erst in den letzten Jahrzehnten macht sich ein vermehrtes wissenschaftliches Interesse
für das Thema Entrepreneurship bemerkbar. Als Konzept mit vielen Facetten bleibt es
jedoch schwierig, eine genaue Definition für Entrepreneurship zu finden. Da sich Ent-
repreneurship nicht innerhalb der Grenzen einer Disziplin bewegt, wurden im Rahmen
verschiedener wissenschaftlicher Studien im Bereich Entrepreneurship unterschiedliche
theoretische Perspektiven eingenommen und verschiedene Analyseeinheiten und Methoden
gewählt. Daher ist es nicht überraschend festzustellen, dass es keine einheitliche Definition
von Entrepreneurship gibt, über die sich alle Anspruchsgruppen, geschweige denn Wis-
senschaftler, einig sind.
1.4  Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship 7

77 In den 1990er-Jahren lag der Schwerpunkt der Forschung auf der Person des
Unternehmers.

Der Ursprung eines der größten Probleme bei der Definition von Entrepreneurship dürfte
in den späten 1990er-Jahren liegen. Die meisten Wissenschaftler konzentrierten sich auf
die Person und das Tun eines Unternehmers. Damit verfolgten sie im Wesentlichen einen
personenzentrierten Ansatz von Entrepreneurship. Das Problem dieser Annäherung besteht
darin, dass sich Entrepreneurship aus dem Zusammenspiel zweier verschiedener Phäno-
mene zusammensetzt, nämlich aus dem Bestehen lukrativer Geschäftsmöglichkeiten und
dem Vorhandensein unternehmerisch handelnder Persönlichkeiten [6]. Wird Entrepreneur-
ship jedoch lediglich durch das handelnde Individuum erklärt, kann nur eine unvollständige
Definition geliefert werden, die keiner kritischen Prüfung standhält. In der Forschung hat
sich deshalb gezeigt, dass dieser personenzentrierte Ansatz das Phänomen Entrepreneurship
nur unzureichend erklären kann [7] und deshalb ein erweitertes Verständnis von Entrepre-
neurship notwendig wird.

77 Entrepreneurship: Prozess der Identifikation neuer unternehmerischer Gele-


genheiten und deren Umsetzung in marktfähige Produkte und Dienstleistun-
gen.

Vor diesem Hintergrund definieren wir Entrepreneurship als den Prozess der Identifika-
tion und Umsetzung neuer unternehmerischer Gelegenheiten in marktfähige Produkte und
Dienstleistungen. Diese Definition wird von dem ehemaligen Harvard-Professor Howard
H. Stevenson ergänzt, der Entrepreneurship als „the pursuit of opportunity beyond the
resources you currently control“ [8] beschreibt. Nach Shane und Venkataraman beschäf-
tigt sich Entrepreneurship als akademische Disziplin mit der Untersuchung der Herkunft
unternehmerischer Gelegenheiten, dem Prozess der Entdeckung, Bewertung und Verwer-
tung dieser Gelegenheiten und den Individuen, die unternehmerische Gelegenheiten
entdecken, bewerten und nutzen [9].

1.4 Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship

Auf Basis der obigen Definitionen lassen sich die folgenden fünf Kernelemente von
Entrepreneurship anführen (siehe Abb. 1.1): der Unternehmer (Entrepreneur), eine un-
ternehmerische Gelegenheit, ausreichende Ressourcen, eine Form der Organisation und
eine günstige Umwelt. Diese Faktoren müssen vorhanden sein, können sich aber in den
verschiedensten Formen bemerkbar machen [10]. Wichtig ist: Es braucht einen Unter-
nehmer, der in der Verantwortung steht, die fünf Faktoren so zu kombinieren, dass Werte
geschaffen werden.
8 1 Grundlagen

Abb. 1.1  Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship [11]

1.4.1 Der Unternehmer

77 Vier Faktoren unterstützen das Erkennen unternehmerischer Gelegenheiten.

Entrepreneurship erfordert mindestens eine engagierte Person. Der Entrepreneur ist der
Kern des unternehmerischen Prozesses. Er erkennt die unternehmerische Gelegenheit
und koordiniert das Zusammenspiel der Ressourcen, um die Chance zu evaluieren und
ggf. weiterzuverfolgen. Letztlich ist er es, der eine Organisation aufbaut, die sicherstellt,
dass die unternehmerische Gelegenheit durch die richtige Kombination der Ressourcen
dauerhaft genutzt werden kann. Wissenschaftler haben verschiedene Hypothesen darüber
aufgestellt, welche Faktoren das Erkennen und Nutzen von Marktchancen beeinflussen.
Darunter gibt es vier, die als besonders bedeutend identifiziert wurden: die aktive Suche
nach Marktchancen, unternehmerische Wachsamkeit (entrepreneurial alertness), Vorwissen
und soziale Netzwerke.
1.4  Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship 9

77 Unternehmer suchen aktiv nach Marktchancen.

• Die aktive Suche nach Marktchancen: Entrepreneurship-Studien haben gezeigt,


dass dem Erkennen verfügbarer Marktchancen eine systematische Suche vorausgeht
[12]. Entrepreneure suchen häufiger als Manager aktiv nach Chancen und potenziell
ungenutzten Gewinnpotenzialen [13]. Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, dass
eine aktive Suche für die Wahrnehmung von Marktchancen durch Entrepreneure eine
wesentliche Rolle spielt.
• Unternehmerische Wachsamkeit: Kirzner nutzte den Begriff der unternehmerischen
Wachsamkeit als Erster, um damit die Wahrnehmung unternehmerischer Gelegenhei-
ten zu beschreiben [14]. Er definierte Wachsamkeit als Neigung, Informationen über
Objekte, Ereignisse und Verhaltensmuster besonders gut wahrzunehmen. Individuen
mit ausgeprägter Wachsamkeit zeigen einen besonderen Spürsinn für die Probleme
von Produzenten und Kunden, unbefriedigte Kundenwünsche und die Neukombina-
tion von Ressourcen. Der Begriff der Wachsamkeit betont damit die Tatsache, dass
Marktchancen von manchen Individuen wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht
aktiv danach suchen. Was aber sind die Voraussetzungen für unternehmerische Wach-
samkeit? Es gibt Vermutungen, dass Wachsamkeit hauptsächlich von der Kreativität
und den intellektuellen Kapazitäten von Individuen abhängt [12]. Diese Kapazitäten
helfen Unternehmern, neue Lösungen für den Markt und zur Befriedigung von Kun-
denbedürfnissen zu identifizieren und kreative Wege zu entwickeln, um Ressourcen
zu beschaffen.
• Vorkenntnisse: Menschen tendieren dazu, bevorzugt die Informationen wahrzuneh-
men, die sie mit vorhandenem Wissen in Verbindung bringen können. Zahlreiche
Belege weisen darauf hin, dass sich Wissen, das in einem reichen und abwechs-
lungsreichen (Arbeits-)Leben gesammelt wurde, positiv auf die Wahrnehmung von
Marktchancen auswirkt. Die spezifischen Vorkenntnisse einer Person sorgen für einen
Wissenskorridor, der die Wahrnehmung bestimmter Marktchancen erlaubt, während
andere nicht erkannt werden [15]. Eine gegebene Marktchance ist daher nicht für alle
angehenden Unternehmer offensichtlich.

77 Eine Vielzahl von Kontakten zu unterschiedlichen Netzwerken hilft, erfolgreich


zu sein.

• Soziale Netzwerke: Menschen sind durch verschiedene soziale Netzwerke, die von
flüchtigen Bekanntschaften bis zu engen Familienbeziehungen reichen, miteinan-
der verbunden. Diese Netzwerke spielen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung
unternehmerischer Gelegenheiten, der Ressourcenakquise und der Entwicklung von
Organisationen eine wichtige Rolle [16]. Die Ausgestaltung des sozialen Netzwerkes
bestimmt seinen Nutzen für die Netzwerkteilnehmer. Kleine Netzwerke mit engen
Verbindungen können unter Umständen weniger nützlich sein als Netzwerke, die
eine Vielzahl weiterer, lockerer Verbindungen zu Menschen außerhalb des Netzwerk-
10 1 Grundlagen

kerns pflegen. Durchlässigere Netzwerke mit einer Vielzahl „schwacher“ Bindungen


und sozialer Kontakte sind gegenüber geschlossenen Netzwerken mit einer Vielzahl
redundanter Verbindungen offener und durchlässiger hinsichtlich neuer Ideen und
Marktchancen [17]. Mit anderen Worten: Eine Gruppe von Freunden, die Aktivitäten
ausschließlich innerhalb der Gruppe durchführt, teilt bereits das gleiche Wissen und
hat vermutlich eine ähnliche Wahrnehmung in Bezug auf unternehmerische Gelegen-
heiten. Eine Gruppe von Individuen mit Verbindungen zu anderen sozialen Netzen
hat dagegen einen besseren Zugang zu neuen Informationen und Ressourcen. Um
individuell erfolgreich zu sein, ist es daher vorteilhafter, mit mehreren Netzwerken in
Kontakt zu stehen, als eine Vielzahl von Verbindungen in ein und demselben Netz-
werk zu pflegen.
• Die vier genannten Faktoren wurden mehrfach wissenschaftlich untersucht und kön-
nen als weitgehend unabhängige Aspekte in Bezug auf die Wahrnehmung unterneh-
merischer Gelegenheiten und die Akquise von Ressourcen angesehen werden.

77 Unternehmer nutzen „mentale Landkarten“ zur Entdeckung unternehmeri-


scher Gelegenheiten.

Weitere interessante Forschungsergebnisse kommen aus dem Bereich der Kognitionswis-


senschaften, in denen verschiedene Disziplinen wie Psychologie, Linguistik, Neurowis-
senschaften und Ökonomie vereinigt wurden, um zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf
die Wahrnehmung unternehmerischer Gelegenheiten zu gelangen. Dieser Ansatz führte
zu der Überlegung, dass Unternehmer so etwas wie „mentale Landkarten“ nutzen, um die
richtigen Schlüsse zwischen Veränderungen in den Bereichen Technologie, Demografie,
Markt, Regierungspolitik und anderen Faktoren zu ziehen. Die Muster, die sie in den Ver-
änderungen oder den Trends feststellen, können dann als Ideen für neue Unternehmungen
genutzt werden.

1.4.2 Die unternehmerische Gelegenheit

77 Unternehmerische Gelegenheiten entwickeln sich häufig erst im Laufe der


Zeit.

Im Allgemeinen spricht man von einer unternehmerischen Gelegenheit, wenn sich die
Möglichkeit bietet, ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung oder eine neue Methode
einzuführen und zu einem höheren Preis als die Produktionskosten zu verkaufen [18].
Unternehmerische Gelegenheiten liegen jedoch nicht „fertig“ und für jeden erkennbar vor,
vielmehr entwickeln sie sich über die Zeit oder müssen durch einen Unternehmer aktiv
entwickelt werden (siehe hierzu auch Abschn. 2.4.1.). So können unternehmerische Ge-
legenheiten als latente Marktbedürfnisse oder brachliegende Ressourcen und Kapazitäten
vorliegen [19].
1.4  Die Schlüsselelemente von Entrepreneurship 11

77 Marktchancen können nachfrage- oder angebotsinduziert sein.

Latente oder unbefriedigte Marktbedürfnisse sind die Quelle nachfragegetriebener Markt-


chancen (market pull). Der Anreiz zur Produktinnovation geht von der Käuferseite aus,
selbst wenn die zukünftigen Kunden ihre Bedürfnisse, Interessen und Probleme noch nicht
explizit artikulieren. Die Aufgabe des Unternehmers besteht darin, diese Bedürfnisse zu
erkennen und ein Angebot zu entwickeln, das Kunden einen Mehrwert bietet. Ungenutzte
oder nur zum Teil genutzte Ressourcen, neue Technologien und Methoden können ebenfalls
Möglichkeiten bieten, einen Mehrwert für Kunden zu schaffen. In diesem Fall identifizieren
Unternehmer zunächst Ressourcen, die nicht optimal genutzt werden, um anschließend
eine bessere Möglichkeit der Nutzung bzw. der Ressourcenkombination zu finden. Man
spricht von einer angebots- oder technologiegetriebenen Marktchance (market push oder
technology push). So könnte beispielsweise eine Technologie zur Herstellung eines Ma-
terials, das die Eigenschaften von Metall und Glas kombiniert, entwickelt werden, bevor
konkrete Anwendungsmöglichkeiten bestehen. In ähnlicher Weise könnten neue medizini-
sche Verfahren entwickelt werden, ohne dass potenzielle medizinische Anwendungsfelder
bereits bekannt wären [20].

1.4.3 Ressourcen

77 Die Bündelung von Ressourcen ist eine unternehmerische Herausforderung.

Nachdem der Unternehmer eine unternehmerische Gelegenheit entwickelt hat, muss er die
vorhandenen Ressourcen so bündeln und einsetzen, dass die Gelegenheit im Markt genutzt
und in einer entsprechenden Organisationsform umgesetzt werden kann. Als „Ressource“
kann alles dienen, was der Umsetzung der Idee nutzt. In der ressourcenbasierten Theo-
rie unterscheidet man zwischen sechs verschiedenen Arten von Ressourcen: finanziellen,
physischen, menschlichen, technologischen, sozialen und organisatorischen Ressourcen.

77 Soziale Netzwerke können bei der Ressourcenakquise nützlich sein.

Die Zusammenstellung der Ressourcen zu Beginn der unternehmerischen Tätigkeit stellt


eine außergewöhnliche Herausforderung für den Unternehmer dar. Fehlende Reputation
und fehlende Referenzen werden aus Sicht potenzieller Kapitalgeber als erhöhtes Risiko
gewertet. Bei den meisten Neugründungen ist die anfängliche Ausstattung mit Ressourcen
unvollständig. Unternehmer geben sich daher vertrauenswürdig, um weitere Ressourcen
zu erhalten. Mitunter versuchen Unternehmer, ein Image von Erfolg durch entsprechende
Symbole wie ausgefeilte Businesspläne, Geschichten oder modische Büros aufzubauen.
Damit sollen weitere Partner oder Investoren gewonnen werden, die bereit sind, Ressour-
cen für den Unternehmensaufbau zur Verfügung zu stellen. Bestimmte Ressourcen wie
beispielsweise soziale Netzwerke werden genutzt, um weitere Ressourcen zu erhalten (z. B.
12 1 Grundlagen

finanzielle Ressourcen). Im besten Fall dienen soziale Netzwerke dazu, materielle und
ideelle Vorteile zu erlangen, Kooperationen und Vertrauen von anderen, Finanzen, Vermö-
genswerte und Ausstattung, die zu einem geringeren Preis bezogen werden können, mit
eingeschlossen [21].

1.4.4 Organisation

77 Unternehmerische Gelegenheiten können im Rahmen verschiedener Organi-


sationsformen genutzt werden.

Für die Nutzung unternehmerischer Chancen bieten sich eine Reihe organisatorischer Aus-
gestaltungsmöglichkeiten an. Zwar konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Medien auf
unabhängige Start-ups, aber auch Unternehmensausgründungen, Franchises, Joint Ventures
und Unternehmenskäufe ermöglichen die Wahrnehmung von Marktchancen. An dieser
Stelle wird deutlich, dass Entrepreneurship in verschiedenen Umgebungen stattfinden kann
und dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Unternehmer zu werden. Anhand der ge-
nannten Unternehmensausgründung, die beispielsweise als unternehmenseigenes Start-up
innerhalb eines Unternehmens beginnen kann, lässt sich dies sehr gut zeigen: Die neue
Einheit kann entweder eine interne Abteilung oder eine neue Tochtergesellschaft einer
etablierten Unternehmung sein. Joint Ventures, Lizenzierungen, Franchises und Spin-offs
sind weitere Beispiele für mögliche Organisationsformen.
Manchmal ist es nicht notwendig, eine neue Organisation aufzubauen, um Marktchancen
zu nutzen und Ressourcen neu zu kombinieren. Mitunter kann es sich anbieten, ein existie-
rendes Unternehmen als bestehendes Vehikel zu nutzen. Der Vorteil: Im besten Fall ermög-
lichen vorhandene Produktions- und Vertriebsstrukturen, dass Produkt- und Serviceinno-
vationen schnellstmöglich auf den Markt gebracht werden können. Die Übernahme eines
Familienunternehmens durch die nächste Generation und die anschließende Verlagerung
von Ressourcen auf ein neues Geschäftsmodell stellt ein weiteres Beispiel für die Nutzung
einer vorhandenen Organisation dar. Die Nutzung unternehmerischer Gelegenheiten durch
etablierte Unternehmen wird übergreifend als „Corporate Entrepreneurship“ bezeichnet.
Mehr Informationen zu diesem Thema finden sich in Kap. 12.

77 Wer etwas Vorhandenes in einen neuen Kontext bringt, handelt ebenfalls


„unternehmerisch“.

Die vorherrschende Meinung besagt, dass es nicht ausreicht, eine Unternehmung zu grün-
den, um dem Adjektiv „unternehmerisch“ gerecht zu werden. Dafür wird eine echte Inno-
vation benötigt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es für die Gründung eines Unternehmens
nicht immer der Originalität und Innovationskraft bedarf. Die neue Unternehmung kann
genauso gut eine Kopie einer anderen Unternehmung aus der Nachbarstadt sein. Der Um-
fang einer Innovation kann erheblich schwanken, und die Erweiterung, der Nachbau oder
1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 13

die Neukombination existierender Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse kann ebenso


als Innovation bezeichnet werden.

1.4.5 Umwelt

77 Rahmenbedingungen spielen eine kritische Rolle im Bereich Entrepreneur-


ship.

Umwelt- und Rahmenbedingungen spielen eine kritische Rolle im Bereich Entrepreneur-


ship. Zum einen werden die unternehmerischen Gelegenheiten selbst durch die Umwelt
geprägt, in der Unternehmertum stattfindet. So ergeben sich Marktchancen beispielsweise
aufgrund von Marktineffizienzen, die auf zeitliche oder räumliche Informationsasymmetrien
zurückzuführen sind. Auch politische, regulative, soziale oder demografische Veränderun-
gen können der Grund für unternehmerische Gelegenheiten sein. Zum anderen beeinflusst
die Umwelt aber auch die Möglichkeiten, wie die Gelegenheiten genutzt werden können.
Grundsätzlich beeinflussen Umwelteinflüsse Neugründungen auf zwei Ebenen: auf der
regionalen und auf der gesellschaftlichen Ebene. Auf der regionalen Ebene sind die An-
zahl der Unternehmungen innerhalb einer Industrie und die Ausprägung der Verbindungen
zwischen diesen Unternehmen von Bedeutung. Individuen, die eine Unternehmung in
einer Umgebung mit hoher Unternehmensdichte starten möchten, haben auf der einen
Seite grundsätzlich mehr Möglichkeiten, das passende Know-how zu finden und soziale
Netzwerke aufzubauen. Auf der anderen Seite müssen sie jedoch mit einer intensiven Kon-
kurrenz zurechtkommen. Auf der gesellschaftlichen Ebene prägt die Umwelt kulturelle
Normen und Werte. Diese wiederum haben Einfluss auf die unternehmerische Intention und
die Bereitschaft von potenziellen Partnern und Kapitalgebern, Unternehmensgründungen
zu unterstützen. Zudem bestimmen staatliche und politische Aktivitäten und Entscheidun-
gen die institutionellen Strukturen, die unternehmerische Aktivitäten fördern und behindern
[22]. Es gibt zahlreiche empirische Hinweise, dass regulatorische und administrative Be-
lastungen unternehmerische Aktivitäten negativ beeinflussen können. So haben übermäßig
strenge Vorschriften in Bezug auf den Waren- oder Arbeitsmarkt messbare Auswirkungen
auf den Eintritt und Austritt neuer Unternehmungen.

1.5 Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess

77 Unternehmerische Gelegenheiten müssen entwickelt werden.

Entrepreneurship ist ein Prozess, den Individuen vorantreiben, um neue unternehmerische


Gelegenheiten zu identifizieren, zu bewerten und zu nutzen. Laut Shane und Venkataraman
[9] beinhaltet diese prozessorientierte Perspektive auf das Forschungsgebiet Entrepreneur-
ship die folgenden Teilbereiche:
14 1 Grundlagen

• die Suche nach der Herkunft unternehmerischer Gelegenheiten;


• den Prozess des Entdeckens, der Evaluierung und der Nutzung von Gelegenheiten;
• die Personen, die diese Gelegenheiten entdecken, evaluieren und nutzen.

Ausgangspunkt des Entrepreneurship-Prozesses sind die Identifikation oder die Entwick-


lung unternehmerischer Gelegenheiten durch ein Individuum. Gelegenheiten sind nicht per
se existent, oftmals müssen sie bis zu einem gewissen Grad geschaffen oder zumindest ent-
wickelt werden, indem beispielsweise systematisch Kundenbedürfnisse untersucht werden.
Gelegenheiten sind zwar mitunter objektiv erfassbar, werden aber nicht von jedem Indivi-
duum erkannt bzw. gleichermaßen bewertet. Das Erkennen von Gelegenheiten ist stark von
den kognitiven Eigenschaften und den Vorkenntnissen („prior knowledge“) der Individuen
abhängig. Die Evaluierung ist ein wichtiger Schritt, da sich hier zeigt, ob die Gelegenheit
auch wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden kann und Gewinn abwirft. Dabei kommt es
zum einen auf die Eigenschaften der Gelegenheit und zum anderen auf die individuellen
Neigungen an. So kann die Risikoneigung darüber entscheiden, ob eine Gelegenheit von
einer Person in Betracht gezogen wird, während sie eine andere Person als zu risikoreich
einstuft. Die Nutzung einer Gelegenheit kann in unterschiedlichen Formen erfolgen, wobei
die Gründung eines Unternehmens die häufigste Form sein dürfte. Der Entrepreneurship-
Prozess umfasst die Schritte Erkennen, Evaluieren und Nutzen, wobei es eine Vielzahl an
Faktoren gibt, die den unternehmerischen Prozess beeinflussen können. Abbildung 1.2 gibt
einen Überblick über die skizzierte Prozesskette.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei der Beschreibung von Entrepreneur-
ship als Prozess nicht nur klassische Unternehmensgründungen betrachtet werden sollen.
Vielmehr sind verschiedene Organisationsformen zu betrachten, die es erlauben, unterneh-
merische Gelegenheiten zu nutzen. Dazu kann auch ein Lizenzverkauf gehören, der häufig
zur Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Hochschulen genutzt wird. Denkbar
ist auch die Realisierung eines Projektes innerhalb oder mithilfe eines bereits bestehenden
Unternehmens.

Abb. 1.2  Prozesskette von Entrepreneurship


1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 15

1.5.1 Unternehmerische Gelegenheiten

77 In der realen Wirtschaft existieren immer Informationsasymmetrien.

Unternehmerische Gelegenheiten sind eine Grundvoraussetzung für Entrepreneurship. Wie


in Abschn. 1.5.2 beschrieben, sind unternehmerische Gelegenheiten Situationen, in denen
Zweck-Mittel-Verbindungen möglich sind und neue Produkte, Dienstleistungen oder Me-
thoden zu einem höheren Preis als die Herstellkosten verkauft werden können [23].
Neben dem rationalen Handeln der Akteure geht die neoklassische Theorie vom Vor-
handensein perfekter Informationen aus. In einer ungleichgewichtigen Wirtschaft ist das
Gegenteil der Fall, d. h., es bestehen asymmetrische, also ungleich verteilte Informationen
unter Individuen. Von asymmetrischen Informationen spricht man beispielsweise, wenn
Individuen über einen Wissensvorsprung verfügen, der für den eigenen Vorteil ausgenutzt
werden kann (unvollständige Information, z. B. beim Gebrauchtwagenkauf). Eine andere
Form von Informationsasymmetrie liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten nach Ab-
schluss eines Vertrages bei Vertragsunterschrift nicht vorhersehbar ist (unvollkommene
Information).

1.5.2 Erkennen

77 Unterschiedliche Fähigkeiten bei der Einschätzung unternehmerischer Gele-


genheiten ermöglichen Entrepreneurship.

Marktungleichgewichte und asymmetrische Informationen sind eine Voraussetzung für das


Entstehen unternehmerischer Gelegenheiten. Die Wahrnehmung der unternehmerischen
Gelegenheiten hängt jedoch von Individuen ab, und diese wiederum bringen unterschied-
liche Fähigkeiten mit, Informationen über unternehmerische Gelegenheiten zu erkennen,
zu bewerten und zu nutzen [24]. Kognitive Eigenschaften und Vorkenntnisse („prior know-
ledge“) spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Die unterschiedlichen
Fähigkeiten sind die eigentliche Quelle von Entrepreneurship. Wenn dem nicht so wäre,
könnte jeder eine Gelegenheit als solche identifizieren und nutzen und die Erzielung eines
Profits wäre damit ausgeschlossen.
Die Vorkenntnisse eines Unternehmers ergänzen im Idealfall die neuen Informationen,
die zum Erkennen oder zur Entwicklung von unternehmerischen Gelegenheiten führen [9].
Diese Vorkenntnisse können aus verschiedenen Quellen stammen wie z. B. aus Arbeitser-
fahrungen, Hobbys oder Schulbildung. Dabei sind drei Dimensionen für das Erkennen von
unternehmerischen Gelegenheiten relevant [24]:

• (Vor-)Kenntnisse über Märkte,


• (Vor-)Kenntnisse über die Versorgung von Märkten und
• (Vor-)Kenntnisse über Kundenprobleme.
16 1 Grundlagen

Kenntnisse in diesen Bereichen ermöglichen es einem Individuum, genauer einschätzen zu


können, bei welchen Märkten sich der Einstieg mit einer neuen Technologie lohnt, wie eine
neue Technologie zur Versorgung von Märkten genutzt werden kann und welche darauf
basierenden Produkte und Dienstleistungen angeboten werden können.
Ein Unternehmer sollte im Idealfall zudem über bestimmte kognitive Eigenschaften
verfügen, auf die in Kap. 2 eingegangen wird. Ohne diese kognitiven Eigenschaften sind
Vorkenntnisse nutzlos, da ein Unternehmer nicht zwangsläufig neue Kombinationen von
Produktionsfaktoren als solche erkennen kann [9]. Die Geschichte des Nichterkennens
solcher neuer Kombinationen ist lang, auch bei der Entwicklung bahnbrechender Tech-
nologien wie z. B. der Glühlampe, deren Potenzial beim technologischen Übergang von
Gleich- zu Wechselstrom selbst von Thomas A. Edison nicht erkannt wurde. Weitverbreitet
ist auch das Problem, dass nicht die gesamte Breite der Anwendungsgebiete einer Tech-
nologie erkannt wird.

1.5.3 Evaluieren

77 Risikoneigung und Optimismus: Individuelle Einstellungen entscheiden


darüber, wer welche unternehmerischen Chancen nutzt.

Nicht jede Gelegenheit wird von Unternehmern wirtschaftlich genutzt. Die Entscheidung
darüber hängt sowohl von der Art der Gelegenheit als auch von der individuellen Einschät-
zung der Chance durch den Unternehmer ab [25]. Aus Sicht des Entrepreneurs muss der
Wert einer unternehmerischen Gelegenheit größer sein als die Opportunitätskosten, die ihm
durch das Vernachlässigen anderer Alternativen entstehen. Bei der Einschätzung spielen
zudem die Risikoneigung und der Optimismus des Unternehmers eine wichtige Rolle.
Bereits während des Erkennens unternehmerischer Chancen kann es zu einer bewussten
oder unbewussten, ständig mitlaufenden Evaluierung kommen. Hier spielen Charakter-
eigenschaften wie die von Kirzner beschriebene „Wachsamkeit“ des Unternehmers eine
wesentliche Rolle. Erst nachdem der Unternehmer zu dem Schluss gelangt ist, eine Gele-
genheit weiterzuverfolgen, wird der Prozess formaler und auch anderen gegenüber geäu-
ßert, z. B., wenn es um die Suche nach Ressourcen geht [20]. So wird bei Innovationen eine
der ersten formalen Analysen eine Machbarkeitsstudie sein, die ermitteln soll, ob eine neue
Ressourcenkombination sich auch in einen wirtschaftlichen Erfolg umwandeln lässt [20].

77 Meilensteine helfen, den Fortgang der Unternehmensgründung im Blick zu


behalten.

Für die Evaluierung sind insbesondere Methoden aus dem Innovationsmanagement hilf-
reich wie beispielsweise eine Meilensteinplanung. Mithilfe einer Meilensteinplanung kann
das Gründungsprojekt in einzelne Phasen unterteilt und der Projektfortlauf über die Er-
reichung dieser Meilensteine kontrolliert werden. So werden bei der Finanzierung über
1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 17

Risikokapital mit Kapitalgebern häufig Meilensteine vereinbart, von deren Erreichen die
Freigabe weiterer Finanzmittel abhängig gemacht wird. Meilensteine können für das Pro-
jekt wichtige Ergebnisse sein, wie etwa die Erstellung eines Prototyps oder das Erreichen
bestimmter Umsatzziele.

1.5.4 Nutzen

Für die Nutzung unternehmerischer Gelegenheiten kommen grundsätzlich zwei institu-


tionelle Arrangements infrage: die Gründung einer eigenen Firma (Hierarchie) und der
Verkauf der unternehmerischen Gelegenheit (Markt) [9]. Die Gründung einer eigenen Un-
ternehmung ist umso wahrscheinlicher:

• je weniger ein Individuum Anreize vorfindet, die Gelegenheiten in einem großen


Unternehmen zu nutzen,
• je weniger Vorteile durch Skalen- oder Lernkurveneffekte bestehende Unternehmen
innehaben und
• je geringer die Markteintrittsbarrieren in einer Branche sind.

Zusätzlich spielt der effektive Schutz von geistigem Eigentum (Immaterialgüterrechte)


durch Patente eine Rolle, wenn es darum geht, eine unternehmerische Gelegenheit umzu-
setzen, die auf einer bestimmten Erfindung beruht.
Die größte Aufmerksamkeit durch Medien und Wissenschaft erhalten neue, unabhän-
gige Start-ups. Trotzdem dürfen die anderen Formen des Unternehmertums wie Corporate
Entrepreneurship (siehe Kap. 12), Franchising, Joint Ventures, Lizenzierung und Unter-
nehmensaufkäufe nicht außer Acht gelassen werden. Zur besseren Orientierung können
die möglichen Formen in drei große Gruppen eingeteilt werden:

• Alleine gründen: Die Gründung eines Unternehmens ist die häufigste Form, eine
unternehmerische Gelegenheiten zu nutzen. Die zentrale Figur im Gründungsprozess
ist das gründende Individuum. Aber nicht jeder hat das Potenzial, ein neues Unterneh-
men zu gründen, und von denen, die über das Potenzial verfügen, werden es nicht alle
versuchen. Von denjenigen wiederum, die versuchen, ein Unternehmen zu gründen,
werden nicht alle erfolgreich sein. Einige Wissenschaftler betrachten diese Form des
Entrepreneurship daher als „Königsdisziplin“, die, wie in Kap. 3 beschrieben, mit
einigen persönlichen Risiken und Herausforderungen verbunden ist.
• Im Team gründen: Unternehmensgründungen finden sehr häufig in Teams statt, vor al-
lem wenn es sich um wissensbasierte oder technologiegetriebene Gründungen handelt
und spezifisches Wissen benötigt wird, das nicht nur bei einer Person alleine angesie-
delt ist. Im Team zu gründen kann aber noch eine Vielzahl anderer Ursachen haben.
So kann es für Individuen mit genügend Kapital, aber wenig Ideen für eine Gründung
durchaus interessant sein, ein bestehendes Unternehmen in Form eines Management-
18 1 Grundlagen

Buy-ins (MBI) oder das Unternehmen, in dem man bereits beschäftigt ist, in Form
eines Management-Buy-outs (MBO) zu übernehmen. Eine weitere Variante ist die
Übernahme eines Franchise (z. B. McDonald’s, Fressnapf), was in der Regel mit ho-
hen, unwiederbringlichen Investitionskosten, sogenannten Sunk Costs, verbunden ist
und die unternehmerische Freiheit sehr einschränken kann. Wenn die eigenen Mittel
nicht reichen, um eine unternehmerische Gelegenheit zu verwirklichen, kann zusam-
men mit einem bestehenden Unternehmen ein Joint Venture eingegangen werden,
beispielsweise, um eine Auslandsexpansion voranzutreiben.
• Verkaufen/Kaufen einer Lizenz oder eines Patents: Der Verkauf bzw. Kauf einer
Lizenz oder eines Patents stellen ebenfalls Varianten für die Nutzung einer unterneh-
merischen Gelegenheit dar. Sind die Entwicklungskosten eines Produktes oder einer
Technologie sehr hoch, kann es sinnvoll sein, bereits im Vorfeld der Vermarktung zu
entscheiden, die Entwicklung nur bis zu einem bestimmten Stadium zu betreiben und
sie relativ früh in Form einer Lizenz oder eines Patentes zu verkaufen. Im Bereich
der Biotechnologie und allgemein im Hightechbereich ist dies sehr häufig der Fall.
Für den Käufer einer Lizenz oder eines Patentes kann der Kauf wiederum die Basis
für eine Neugründung oder für eine Erweiterung seines bestehenden Unternehmens
darstellen.

Auf einer Makroebene ist Entrepreneurship ein Prozess der kreativen Zerstörung. Schum-
peter verwies damit auf die gleichzeitig destruktiven und konstruktiven Auswirkungen von
Innovationen, durch die Neues das Alte zerstört und junge Unternehmen andere aus dem
Markt drängen. Unternehmer sind für diesen Prozess der kreativen Zerstörung ein zentrales
Element: Sie identifizieren Gelegenheiten und machen sowohl neue Technologien als auch
Konzepte wirtschaftlich nutzbar.

77 Kreativität, Durchhaltevermögen und Anpassungsfähigkeit kennzeichnen


erfolgreiche Unternehmer.

Unternehmerprofil: Matthias Foessel – Beyond Surface Technologies


Man nennt sie High Potentials, begabte junge Leute in großen Unternehmen, die von
ihren Vorgesetzten gezielt gefördert und an die Spitzenpositionen herangeführt werden.
Matthias Foessel war ein solcher High Potential. Schon als 25-Jähriger erhielt er den
Auftrag, in den USA einen textilen Weichmacher zu entwickeln und auf den Markt zu
bringen. Foessel reüssierte. Sein Aufstieg war programmiert. Zuerst bei der deutschen
Ciba-Spezialitätenchemie-Tochter, die ihn in die USA geschickt hatte, dann am Baseler
Hauptsitz. Zuletzt war er bei der Ciba Spezialitätenchemie für die weltweit aufgestellte
Geschäftseinheit Textilveredelung verantwortlich.
Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch. Nur eines begann den Aufsteiger mehr und
mehr zu stören: die für Großunternehmen typischen trägen Mechanismen. Selbst wenn
es um einen Megatrend wie die Nachhaltigkeit ging: „Jedem von uns war klar, dass
die Textilchemie grün werden musste, aber keiner war bereit, dafür ein Risiko auf sich
1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 19

zu nehmen“, resümiert Foessel. Im Januar 2008 zog der 42-Jährige die Reißleine: Er


kündigte und gründete die Beyond Surface Technologies (BST).
Im April 2008 bezog der Jungunternehmer sein Firmendomizil auf dem Gelände der
RohnerChem, in der Nähe von Basel. Es handelte sich um aufgegebene Farbchemiela-
bors, und Foessel erinnert sich an zentimeterdicke Staubschichten und Gerätschaften
aus der Nachkriegszeit. „Aber es machte Spaß, wieder einmal selber Hand anzule-
gen.“ Zusammen mit seinem Gründungspartner Lee Howarth, seiner Frau und seinen
Kindern riss er altes Mobiliar heraus und verlegte neue Böden. Kaum ein Jahr später
tätigte die BST ihre ersten Verkäufe. Es handelte sich um einen zu 100 % organischen
Weichmacher. Die Basistechnologie stammt von einem schottischen Unternehmen, das
sich auf pflanzliche Beschichtungssysteme spezialisiert hat.
Die Kunden – Textilhersteller aus der Schweiz und dem europäischen Ausland –
profitieren von BST gleich doppelt: Sie polieren mit bescheidenen Mehrkosten ihre
Ökobilanz auf und sind fit für den Megatrend Nachhaltigkeit, der in der Textilindustrie
vor allem von den Markenherstellern getrieben wird; von Firmen wie Switcher, H&M,
Levis oder auch von Ikea.
Existenzangst hat der frühere Topmanager noch nie verspürt. „Schlimmstenfalls
müsste ich mir einen Job suchen und dann möglicherweise meinen Lebensmittelpunkt
aus Freiburg i. Br. weg verlegen.“ Aber das sei mit der Familie abgesprochen; sie habe
seine Entscheidungen immer gestützt. Was das rein Berufliche betrifft, macht er sich
schon gar keine Sorgen. Denn, so Foessel: „Ich bin durch die neuen Erfahrungen ein
kompletterer Manager als vorher.“
Quelle: Direktes, gekürztes Zitat entnommen aus Dubacher, J., Zukunftsbranche
Greentech, gründen 2.0, 2011, S. 18.

1.5.5 Entrepreneurship als schöpferische Zerstörung

77 Innovationen spielen eine strategische Rolle für die wirtschaftliche Entwick-


lung einer Volkswirtschaft.

Innovationen, die durch Unternehmer vorangetrieben werden, spielen eine strategische


Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung und Konjunktur einer Volkswirtschaft. Die Qua-
lität der Leistung der Entrepreneure ist ausschlaggebend dafür, ob das Kapital schnell oder
langsam wächst und ob das Wachstum die Entwicklung neuer Produkte oder Techniken
beinhaltet. Unterschiede zwischen den Wachstumsraten verschiedener Länder können daher
zu großen Teilen von der Qualität der unternehmerischen Tätigkeiten abhängig gemacht
werden. Wirtschaftliches Wachstum findet nicht aufgrund von Verbesserungen in den
Bereichen Technologie, Produktivität oder Ressourcen statt, sondern weil Entrepreneure
erstens Technologien, Organisationen und Prozesse verbessern, zweitens innovativer und
produktiver werden und drittens andere Unternehmen aus dem Wettbewerb drängen. Im
Verlauf dieser kreativen Zerstörung entstehen mehr und/oder bessere Arbeitsplätze, als
20 1 Grundlagen

durch den Unternehmensabbau verloren gehen. Die Gesamtproduktivität steigt und das
wirtschaftliche Wohlergehen nimmt zu.

77 Die Gründungsdynamik ist ein Indikator für die schöpferische Zerstörung.

Ein Indikator für schöpferische Zerstörung ist die Gründungsdynamik innerhalb einer
nationalen Volkswirtschaft [26]. Damit wird das Ausmaß beschrieben, in dem Unternehmen
in einen Industriezweig eintreten, wachsen und niedergehen. Obwohl es weitestgehend an-
erkannt wird, dass die Gründungsdynamik einen wesentlichen Bestandteil wirtschaftlichen
Wachstums darstellt, ist es oftmals für die öffentliche Meinung und die politischen Kräfte
schwierig zu akzeptieren, dass Entrepreneurship auch eine zerstörerische Komponente
beinhaltet. Es wäre illusorisch zu denken, dass eine Volkswirtschaft von dem durch Entre-
preneurship geschaffenen Wachstum und Fortschritt nur profitieren kann. Es muss auch in
Kauf genommen werden, dass Unternehmen restrukturiert oder sogar geschlossen werden
müssen und damit unvermeidbare Konsequenzen (Produktrückzug vom Markt, Abbau von
Arbeitskräften, Verluste für Investoren) verbunden sind.
Mehr und mehr beschäftigen sich Entrepreneurship-Forscher mit der Rolle von so-
genannten „wirtschaftlichen Experimenten“ [27] als wesentliche Treiber von kreativer
Zerstörung und ökonomischer Entwicklung. Ein wirtschaftliches Experiment ist ein neuer
Ansatz der Wertschöpfung mit dem Ziel, einen ökonomischen Vorteil zu erzielen. Wirt-
schaftliches Experimentieren kann (und wird) in etablierten Unternehmen (und sogar im
öffentlichen Sektor) eingesetzt und ist ein Kernelement des Entrepreneurship-Prozesses.
Einfach ausgedrückt gehen ein günstiges Umfeld für Entrepreneurship und ein hohes Maß
an wirtschaftlichem Experimentieren Hand in Hand.
Entrepreneurship hat zwei besondere Funktionen im Prozess des wirtschaftlichen Ex-
perimentierens. Zum einen führen Unternehmensgründer quasi „extreme“ Experimente
durch. Neugründungen sind nicht beschränkt durch bestehende Technologien, traditionelle
Produktionsmethoden oder die Notwendigkeit, etablierte Märkte zu bedienen. Stattdessen
können Gründer radikaler als etablierte Organisationen sein und grundlegend neue Ansätze
der Wertschöpfung verfolgen. Zum Zweiten gibt es bei wirtschaftlichen Experimenten – im
Unterschied zu rein wissenschaftlichen Experimenten – immer einen direkten Wettbewerb
untereinander. Neue Unternehmen führen hierbei nicht nur zu einer (beträchtlichen) zusätz-
lichen eigenen Wertschöpfung. Weitere Nutzeneffekte ergeben sich für die etablierten Un-
ternehmen durch einen insgesamt intensiveren Wettbewerb. Aufgrund der zentralen Rolle
im Prozess des wirtschaftlichen Experimentierens trägt Entrepreneurship maßgeblich zur
Entstehung von ökonomisch nutzbarem Wissen bei, das die Grundlage für wirtschaftliche
Prosperität bildet.

77 Entrepreneure führen wirtschaftliche Experimente durch.

In den vergangenen Jahren haben sich Entrepreneurship-Forscher genauer mit der Frage
beschäftigt, warum wirtschaftliches Experimentieren wichtig ist und welche Rolle Ent-
1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 21

repreneurship hierbei spielt. Obgleich es noch offene Fragen gibt, konzentriert sich die
aktuelle Forschung auf drei verschiedene „Arten“ des Experimentierens als Treiber von
ökonomischem Wachstum und Wohlstand: technologisches Experimentieren, Markt-Ex-
perimentieren und organisationales Experimentieren [28]. Diese drei „Arten“ des Experi-
mentierens wurden von Stern wie folgt beschrieben:

• Technologisches Experimentieren – der Versuch, eine wissenschaftliche Invention


oder eine technische Erfindung wirtschaftlich nutzbar zu machen. In den meisten
Fällen beinhaltet technologisches Experimentieren das Kombinieren verschiedener
bekannter Technologien in neuer Form, wobei es eine hohe Unsicherheit bezüglich
der Leistung und Umsetzbarkeit der neuen Kombination gibt. Die Wahrscheinlichkeit,
dass sich eine technologische Invention auch wirtschaftlich durchsetzt, ist insgesamt
gering. Die Stärke des kombinatorischen Problemlösens zeigt sich allerdings, wenn
eine Reihe solcher Experimente vollzogen werden. In den frühen Jahren der Biotech-
nologieindustrie verfolgten Forschergruppen in Universitäten und neuen Unterneh-
men unterschiedliche Methoden, um menschliche Hormone (wie z. B. Insulin oder
Wachstumshormone) in Bakterien herzustellen. Im Unterschied zu Forschergruppen
an Universitäten, die eine Methode auf der Basis des Klonens von DNA verwendeten,
verfolgte das Unternehmen Genentech Experimente basierend auf der Idee der che-
mischen Synthese. Dieses Vorgehen verhalf Genentech letztendlich zum Durchbruch
und zur Marktführerschaft.
• Markt-Experimentieren – der Versuch, die Anwendungen eines Produktes zu
bestimmen, bei denen eine Technologie am profitabelsten eingesetzt werden kann.
Auch wenn die technische Machbarkeit eines Produktes erreicht werden konnte,
ist meist noch ein umfangreiches Experimentieren erforderlich, um die Anwen-
dungsfelder zu identifizieren, die am sinnvollsten und lukrativsten sind. In vielen,
wenn nicht sogar in den meisten Fällen liegt die sinnvollste Anwendung einer
Technologie weit von der ursprünglichen Vorstellung des Erfinders entfernt. Häufig
haben Nutzer und nicht die Produzenten das notwendige Wissen und den richtigen
Ansporn, um die besten Anwendungen einer neu entstehenden Technologie zu
identifizieren [29].
• Organisationales Experimentieren – Ein organisationales Experiment umfasst die
Entwicklung und Erschaffung einer neuen Organisationsform, die der Wertschöp-
fung und Gewinnerzielung dient. Beim organisationalen Experimentieren geht
es darum, die Interaktionen von marktlichen und technologischen Gelegenheiten
zu nutzen. In deutlichem Gegensatz zur Vorstellung des einsamen Erfinders, der
unbeirrt eine technische Vision verfolgt, müssen Gründer, die ein organisationales
Experiment durchführen, ein Team zusammenstellen und motivieren. Ein Beispiel
sind strategische Allianzen in der Biotechnologie. Diese Organisationsform ist zu
einem wichtigen Bestandteil des Geschäftsmodells von jungen Biotechnologieun-
ternehmen geworden, um Risiken zu verteilen und die Marktmacht und die eigene
Legitimität zu erhöhen.
22 1 Grundlagen

1.5.6 Messung unternehmerischer Aktivität

77 Der Global Entrepreneurship Monitor misst systematisch unternehmerische


Aktivitäten in verschiedenen Ländern.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Nutzung unternehmerischer Gelegenheiten


in höchst unterschiedlichen Institutionen stattfinden kann, wird es verständlich, wieso die
Messung unternehmerischer Aktivität innerhalb eines Landes mit Schwierigkeiten behaftet
ist. Schnell wachsenden Unternehmen in expandierenden Industriesektoren wurde in letzter
Zeit eine große Aufmerksamkeit zuteil, was aber zu eher anekdotischen Aussagen über
das unternehmerische Potenzial der einzelnen Länder führte. Der Global Entrepreneurship
Monitor (GEM) ist ein internationales Forscherkonsortium, das über diese Ersteindrücke
hinausgehen und systematisch die folgenden beiden Faktoren messen möchte: erstens den
Stand der Start-up-Aktivitäten und zweitens die Ausbreitung junger Unternehmen, sprich
diejenigen Firmen, welche die Start-up-Phase überstanden haben.
In einem ersten Schritt werden für jedes Land die Start-up-Aktivitäten der erwach-
senen Bevölkerung (18–64 Jahre) ermittelt. Ausschlaggebend ist die Frage, ob die be-
fragten Personen in Gründungsaktivitäten involviert sind. In einem zweiten Schritt wird
die Ausbreitung junger Unternehmen gemessen. Dabei wird der Anteil der Bevölkerung
berücksichtigt, der ein Unternehmen leitet, das zum Zeitpunkt der Befragung nicht älter
als 42 Monate ist. Der Schwerpunkt der Forschung liegt bei beiden Messungen auf den
unternehmerischen Aktivitäten von Individuen, auch wenn sie nicht über die Mehrheit am
betreffenden Unternehmen verfügen.
Einen ersten Einblick in das Ausmaß unternehmerischer Aktivität ausgewählter Länder
bietet Abb. 1.3, die auf den Daten des GEM-Projektes basiert. Die Grafik zeigt den pro-
zentualen Anteil der Personen, die entweder in Start-up-Aktivitäten involviert sind oder ein
eigenes Unternehmen leiten, das nicht älter als 42 Monate ist. Dargestellt wird eine Aus-
wahl an europäischen Ländern, die 2013 und 2014 am GEM-Projekt teilgenommen haben,
wobei europäische Transformationsländer gesondert gruppiert wurden. Als Vergleich wurde
zudem die unternehmerische Aktivität der Vereinigten Staaten aufgezeigt. Die vertikalen
Balken stellen ein 95-%-Konfidenzintervall (Fehlertoleranz) dar und geben einen Hinweis
auf die Genauigkeit der Messung.

77 Die Gründungsaktivität in Deutschland ist im europäischen Vergleich eher


niedrig.

Die Gründungsaktivität in Deutschland ist im europäischen Vergleich mit 5,1 % eher nied-
rig. Die niedrigen Werte hängen unter anderem mit der Gründungseinstellung zusammen:
Deutschlands Erwachsene sind pessimistischer hinsichtlich der Gründungschancen als die
Bürger vergleichbarer GEM-Länder, und die Angst vor dem Scheitern hält Personen relativ
häufig davon ab, zu gründen. Zudem mangelt es in Deutschland unter anderem an schuli-
scher und außerschulischer Vorbereitung auf eine unternehmerische Selbstständigkeit. Hin-
1.5  Der Versuch einer Definition: Entrepreneurship als Prozess 23

gegen besitzt Deutschland relative Stärken bei qualitativ hochwertigen Gründungen (z. B.
mit wissensintensiven Produkten). Zudem werden als Stärken des Gründungsstandortes
Deutschland insbesondere die physische Infrastruktur, der Schutz des geistigen Eigentums
und die öffentlichen Förderprogramme als Stärken angesehen [30]. Hervorzuheben ist auch,
dass in Deutschland zwar im Vergleich zu vorigen Jahren weniger Menschen gegründet
haben, diese dies aber häufiger tun, weil sie eine Marktchance sehen und nicht, wie es in
vielen anderen europäischen Ländern der Fall ist, aufgrund eines Mangels an Erwerbsal-
ternativen [31].
In der Schweiz versuchen 7,6 % der erwachsenen Bevölkerung, ein Unternehmen zu
gründen bzw. sind bereits Inhaber eines jungen Unternehmens. Die generelle Einstellung
der erwachsenen Bevölkerung zu Gründungsaktivitäten und dem Status erfolgreicher Unter-
nehmer bewegt sich in der Schweiz über dem Durchschnitt der innovationsbasierten Öko-
nomien. Positiv zu bewerten ist die Einstellung der Schweizer zu Gründungen. Fast 40 %
der erwachsenen Schweizer beurteilen die Chance für eine Unternehmensgründung positiv
und mehr als die Hälfte der Befragten traut sich eine Gründung zu [25]. Eine Vorreiterrolle
nimmt die Schweiz in Bezug auf unternehmerische Aktivitäten von Frauen ein, da das
Verhältnis der Geschlechter praktisch ausgeglichen ist. Im Jahr 2013 hielt die Schweiz dies-
bezüglich sogar die Spitzenposition aller innovationsbasierten Volkswirtschaften inne [32].
In Österreich liegt der Anteil der erwachsenen Bevölkerung, die in Gründungsaktivitäten
involviert ist, bei 9,5 % (Zahlen von 2012, 2014). Im internationalen Vergleich befindet
sich Österreich daher im Spitzenfeld der sogenannten innovationsbasierten Länder auf dem
fünften Platz. Diese Ländergruppe weist hohe Pro-Kopf-Einkommen sowie einen geringen
Anteil von Primärgütern am Export auf. Innerhalb der EU befindet sich Österreich ebenfalls
auf dem 5. Rang. Im Vergleich zum Jahr der letzten Erhebung in Österreich ist ein starker
Anstieg zu verzeichnen. 2007 lag Österreich im internationalen Vergleich mit 2,4 % noch
an letzter Stelle [33].
Der Umfang der Gründungsaktivität liegt in den USA höher als in den meisten europäi-
schen Ländern. Derzeit sind dort fast 13,1 % der Bevölkerung aktiv an Gründungsaktivitä-
ten beteiligt, und damit mehr als doppelt so viele Menschen wie in Deutschland. Wo viele
Unternehmen gegründet werden, verschwinden allerdings auch viele wieder vom Markt;
die Fluktuation im Unternehmensbestand ist in den USA also deutlich höher als bei uns.
Für die wirtschaftliche Entwicklung sind vor allem ambitionierte, wachstumsstarke Grün-
dungen wichtig. Auch diese finden sich in den USA signifikant häufiger als in Europa [33].

77 In Österreich und der Schweiz entstehen Unternehmen meistens, um Chancen


zu nutzen, und nicht aus der Not heraus.

Im Rahmen der GEM-Studie wird zwischen opportunity und necessity entrepreneurship


unterschieden. Die interviewten Personen wurden gebeten anzugeben, ob sie ihr Unterneh-
men gegründet haben, um eine gute Gelegenheit zu nutzen (opportunity entrepreneurship),
oder ob die Gründung wegen fehlender besserer Erwerbsalternativen erfolgte (necessity
entrepreneurship).
24 1 Grundlagen

USA

Lettland (14)
Transformationsländer

Ungarn

Kroatien

Polen

Russland

Norwegen

Niederlande

Griechenland

Irland Abb. 1.3  Ausmaß unternehmerischer Aktivität in ausgewählten Ländern [34]

Schweiz

Großbritannien

Finnland

Frankreich

Schweden

Spanien

Deutschland

Österreich (12/14)

Dänemark (12/14)

Belgien

Italien

14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0%


1.6  Entrepreneurship und KMU 25

Das Ausmaß unternehmerischer Aktivität aus der Not heraus hat für die Schweiz und Ös-
terreich eine eher geringe Bedeutung (nur 7,5 % der Gründungsaktivitäten in der Schweiz;
11 % in Österreich). Meist wird die unternehmerische Aktivität vom Wunsch nach Selbst-
verwirklichung getrieben. Neben der Schweiz weisen die Niederlande und Finnland die
höchsten Werte auf. Auch in Deutschland haben Gründungen aus der Not heraus stark
abgenommen. Heute sind es 18,7 % der Gründer, die sich aufgrund des Mangels anderer
Erwerbsmöglichkeiten selbstständig machen. In Ländern wie Jamaika, Indien und Malawi
erfolgen Gründungen aus der Not heraus bei nahezu 40 % aller Gründungen aufgrund
fehlender Erwerbsalternativen [35, 36].

1.6 Entrepreneurship und KMU

Entrepreneurship ist für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes von entscheiden-
der Bedeutung. Wie aber hängen Entrepreneurship und das Management von kleinen und
mittleren Unternehmen zusammen? Wie ist die Bedeutung von KMU für die Wirtschaft
einzuschätzen? Und wo liegen die Unterschiede zwischen Entrepreneurship und dem Ma-
nagement von kleinen und mittleren Unternehmen?

1.6.1 Die wirtschaftliche Bedeutung von KMU

77 99 % aller Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind


KMU.

Die meisten Unternehmer in Deutschland leiten kleine und mittlere Unternehmen. Man
könnte sagen, dass Unternehmertum viel eher Kleinunternehmertum als „Big Business“
ist. KMU stellen mehr als 99 % aller Unternehmen in Deutschland, Österreich und der
Schweiz und beschäftigen mehr als 60 % aller Personen, die in der Privatwirtschaft ar-
beiten. Sie sind wichtig für die Schaffung von Arbeitsplätzen, und sie sorgen für Wettbe-
werb, Strukturwandel und die Umsetzung von Innovationen. Trotzdem werden sie in der
Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen als Großunternehmen. Die Wirtschaftsteile
der Zeitungen werden bestimmt von Berichten über Unternehmen wie Daimler, Siemens,
HypoVereinsbank oder Nestlé. Dieses Missverhältnis von tatsächlicher Bedeutung und
öffentlicher Wahrnehmung kann prägnant mit den Worten „dominant und unscheinbar
zugleich“ umschrieben werden [37].
Nach der quantitativen Abgrenzung zählen alle Unternehmen, freien Berufe und sons-
tige selbstständig ausgeübten Tätigkeiten als KMU, soweit sie eine bestimmte Größe nicht
überschreiten. Einzelne Länder verwenden diesbezüglich unterschiedliche Abgrenzungen.
Nach einer Empfehlung der Europäischen Kommission werden seit dem 1. Januar 2005
Unternehmen als KMU gezählt, wenn sie die folgenden Kriterien erfüllen:
26 1 Grundlagen

• weniger als 250 Beschäftigte,


• weniger als 50 Mio. EUR Umsatz oder
• weniger als 43 Mio. EUR Bilanzsumme,
• eigenständiges Unternehmen, d. h. 25 % oder mehr des Kapitals oder der Stimmrechte
dürfen nicht direkt oder indirekt von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden
[38].

77 Die Europäische Kommission hat Kriterien zur Abgrenzung von KMU festgelegt.

Diese Definition von KMU wird heute in vielen europäischen Ländern angewendet, auch
um die Förder- und Subventionsströme der Staaten entsprechend lenken zu können. Die
Gruppe der KMU lässt sich hierbei noch weiter gehend nach Kleinst-, Klein- und Mittel-
unternehmen unterscheiden. Kleinstunternehmen haben weniger als zehn Mitarbeitende,
Kleinunternehmen 10–49 und Mittelunternehmen 50–249. Tabelle 1.1 zeigt den prozentua-
len Anteil von KMU an der Gesamtheit aller Unternehmen für ausgewählte Länder. Zudem
wird der Anteil der Beschäftigten, die in KMU tätig sind, aufgezeigt.

Tab. 1.1  Anteil Unternehmen/Beschäftigte nach Unternehmensgrößenklassen (in %, 2012)

Kleinstun- Kleinun- Mittelun- KMU Großun-


ternehmen ternehmen ternehmen 0 – 249  Mit- ternehmen
0 – 9  Mit- 10 – 49 50 – 249 arbeitende über 250
arbeitende Mitarbei- Mitarbei- Mitarbei-
tende tende tende

Land Total Un- Anteil Unternehmen in %


ternehmen (Anteil Beschäftige in %)
in Mio.
(Total Be-
schäftigte
in Mio.)
Deutsch- 2,1 81,8 15,2 2,5 99,5 0,5
land (26,5) (18,6) (23,6) (20,5) (62,7) (37,3)
Schweiz 0,6 92,3 6,3 1,2 99,8 0,2
(4,3) (30,8) (20,3) (19,0) (70,1) (29,9)
Öster- 0,3 87,4 10,7 1,6 99,7 0,3
reich (2,6) (25,1) (23,7) (19,1) (67,9) (32,1)
EUR-27 21,1 92,3 6,4 1,1 99,8 0,2
(131,1) (28,8) (20,6) (17,3) (66,7) (33,3)

Quelle: Fueglistaller, U., Fust, A., Brunner, Ch. & Althaus, B. (2014) Schweizer KMU –
Eine Analyse der aktuellsten Zahlen – Ausgabe 2015. Schweizerisches Institut für Klein-
und Mittelunternehmen an der Universität St. Gallen, St. Gallen, 2014.
1.6  Entrepreneurship und KMU 27

77 KMU beschäftigen über 60 % aller Mitarbeitenden in der Privatwirtschaft.

KMU machen einen wesentlichen Anteil aller Unternehmen in fast allen Volkswirtschaften
der Welt aus. In Deutschland beschäftigen 99,5 % aller privatwirtschaftlichen Unternehmen
weniger als 250 Mitarbeitende und lassen sich daher dem Bereich der KMU zurechnen.
In Österreich und der Schweiz verhält es sich ganz ähnlich. Der große Teil der KMU hat
sogar weniger als zehn Mitarbeitende und kann damit als Kleinstunternehmen bezeichnet
werden. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist der Trend erkennbar, dass ein steigender Anteil von
Selbstständigen gar keine Mitarbeitende mehr hat und alleine arbeitet [39].
Bei der Anzahl der Beschäftigten sind die Relationen deutlich zugunsten der Großun-
ternehmen verschoben. KMU beschäftigen etwa 60–70 % aller Personen in der Privatwirt-
schaft, wohingegen Großunternehmen auf immerhin 30–40 % kommen. Auch hier gilt al-
lerdings, dass – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – die Mehrheit der Beschäftigten
in der Privatwirtschaft im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen arbeitet.
Die Zahlen sprechen für sich: Der Großteil der wirtschaftlichen Leistung einer Volks-
wirtschaft wird in und von KMU erbracht.

1.6.2 Entrepreneurship und KMU: zwei sich ergänzende Begriffe

77 KMU und Entrepreneurship sind eng miteinander verknüpft.

KMU und Entrepreneurship sind zwar zwei unterschiedliche Begriffe, sind aber eng mit-
einander verknüpft: Entrepreneurship vollzieht sich meist in der Form der Gründung eines
neuen Unternehmens. Neue Unternehmen beginnen naturgemäß zunächst als kleine Unter-
nehmen. Das Management eines KMU erfordert jedoch andere Kenntnisse und Fähigkeiten
als die Gründung eines neuen Unternehmens, und Entrepreneurship ist nicht auf KMU be-
schränkt, sondern es gibt vielfältige Beispiele für Entrepreneurship in großen Unternehmen.

77 Entrepreneure können sich innerhalb kurzer Zeit zu „Global Playern“ ent­


wickeln.

Im Abschn. 1.6 wurde der modellhafte Ablauf des Entrepreneurship-Prozesses bereits dar-


gestellt.
Microsoft, SAP und Logitech können als Beispiele dafür dienen, dass neu gegründete
Unternehmen in wenigen Jahren mehrere Tausend Arbeitsplätze schaffen und sogar zu
„Global Playern“ werden können. Entrepreneurship ist damit die Voraussetzung für die
Entstehung von kleinen und großen Unternehmen. Die Entwicklung hin zu einem Groß-
unternehmen kann allerdings nicht als typisches Resultat von Entrepreneurship angesehen
werden. Die Mehrzahl aller Unternehmen ist nicht nur bei der Gründung klein, sondern
wird auch klein bleiben. Nur sehr wenige Unternehmen erreichen jemals die Schwelle von
250 Mitarbeitenden, ab der sie als Großunternehmen zu bezeichnen wären.
28 1 Grundlagen

Entrepreneurship lässt sich als Entdeckung, Beurteilung und Ausnutzung von Geschäfts-
möglichkeiten beschreiben. Typischerweise spielt Entrepreneurship gerade in der Grün-
dungsphase von Unternehmen eine große Rolle. Mit wachsender Größe und zunehmender
Etablierung am Markt verliert allerdings häufig das innovative Element an Bedeutung und
es kommt stärker darauf an, die bestehende Unternehmung zu managen. Schon Schumpeter
hat darauf hingewiesen, dass Unternehmer nicht dauerhaft die Rolle eines Entrepreneurs
ausüben, sondern meist irgendwann eher koordinierende und verwaltende Tätigkeiten über-
nehmen: „… halten wir fest, dass jemand grundsätzlich nur dann Unternehmer ist, wenn
er eine ,neue Kombination durchsetzt‘ – weshalb er den Charakter [eines Unternehmers]
verliert, wenn er die geschaffene Unternehmung dann kreislaufmäßig weiter betreibt“ [40].
Das Phänomen des nachlassenden Unternehmergeistes hat sehr anschaulich Thomas Mann
in seinem Roman „Buddenbrooks“ beschrieben. Mit der Frage der Wiederbelebung des
Unternehmergeistes beschäftigt sich Kap. 12 Corporate Entrepreneurship des vorliegenden
Buchs.

77 KMU erschließen nicht unbedingt neue Geschäftsfelder.

Management lässt sich nach Ulrich definieren als Gestalten, Lenken und Entwickeln
zweckorientierter soziotechnischer Institutionen [41]. Diese Definition von Manage-
ment schließt die Weiterentwicklung einer Unternehmung mit ein, was auch Entrepre-
neurship-Prozesse umfassen kann. Die Managementtätigkeit besteht in KMU allerdings
häufig zu einem großen Teil aus der Erledigung des Tagesgeschäfts, ohne dass neue
Geschäftsfelder erschlossen werden. Eine solche Unternehmensausrichtung ist hier ge-
meint, wenn von KMU-Management im Unterschied zu tatsächlichem Entrepreneurship
die Rede ist.
Neben den Unterschieden in Bezug auf den Innovationsgrad und die zu erledigenden
Aufgaben spielt die Bedeutung von Wachstum eine wichtige Rolle: Viele KMU sind nicht
wachstumsorientiert, was sie von Unternehmen mit einer starken Entrepreneurship-Aus-
richtung unterscheidet.

1.6.3 Entrepreneur versus KMU-Manager

77 Entrepreneure sind aktiv auf der Suche nach neuen unternehmerischen Gele-
genheiten.

Die Wesensunterschiede von Unternehmen mit Entrepreneurship-Ausrichtung und KMU


machen sich auch in den Rollen bemerkbar, die ein Entrepreneur bzw. ein KMU-Manager
einnimmt. Mit dem Begriff Entrepreneur werden Personen beschrieben, die neue Ideen
entwickeln, ein Unternehmen auf der Grundlage dieser Ideen aufbauen und Wert stiften.
Nicht alle Unternehmer erfüllen diese Kriterien, da viele kleine Firmen nicht aktiv nach
neuen Ideen oder unternehmerischen Gelegenheiten suchen. Als Beispiel seien hier Perso-
1.6  Entrepreneurship und KMU 29

nen genannt, die in einem Großunternehmen arbeiten und dieses verlassen, um die gleiche
Aufgabe als Einmannunternehmen wahrzunehmen. Sie sind eher Selbstständige als Unter-
nehmer. Sie entwickeln keine innovative Idee und übernehmen kein substanzielles Risiko,
sie verrichten lediglich ihre bisherige Arbeit in einem anderen Format. Entrepreneure da-
gegen verfolgen eine Wachstumsstrategie, fühlen sich der Innovation verpflichtet, führen
hartnäckig die notwendigen Ressourcen zusammen und haben das dringende Bedürfnis,
etwas zu erreichen. Ein KMU-Manager zeichnet sich dagegen nicht unbedingt durch ver-
gleichbare Eigenschaften aus, und die Eigenschaften sind auch nicht immer notwendig, um
ein KMU erfolgreich zu führen. Tabelle 1.2 zeigt die wichtigsten Unterschiede zwischen
Entrepreneurship und KMU-Management nochmals im Überblick. Hierbei sei jedoch auch
erwähnt, dass es durchaus KMU gibt, die im Sinne von „Entrepreneurship“ ständig auf
der Suche nach innovativen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen sind und
Wachstumsstrategien aktiv verfolgen.

Tab. 1.2  Unterschiede zwischen Entrepreneurship und KMU-Management

Entrepreneurship KMU-Management

Begriffsdefinition Ein Prozess, der von Indi- Die Verwaltung eines klei-
viduen initiiert und durch- nen unabhängigen Unterneh-
geführt wird und der dazu mens
dient, unternehmerische
Gelegenheiten zu identifi-
zieren, zu evaluieren und zu
nutzen
Unternehmensgröße Groß, mittel oder klein Klein
Risikograd Sehr unterschiedlich Im Allgemeinen niedriges
Risiko
Anzahl beteiligter Personen Reicht von sehr wenigen bis Klein oder mittel
sehr vielen
Wirtschaftssektor Privater, staatlicher und Privater Sektor
Non-Profit-Sektor
Wachstumsfokus Hoch Variabel
Schlüsselperson Entrepreneur KMU-Manager
Schlüsseleigenschaften des Streben nach Anerkennung Moderates Streben nach
Individuums (gründet ein Unternehmen, Anerkennung (führt ein
um sich einen Traum zu Unternehmen, um den
verwirklichen); hohe Kon- Lebensunterhalt davon zu
trollüberzeugung (locus of bestreiten); gute organisa-
control); hohe Risikobereit- torische Fähigkeiten, um
schaft; wachstumsorientiert effizient zu managen; keine/
geringe Innovation; modera-
tes Wachstum
30 1 Grundlagen

1.7 Fallstudie: Scarabeus

Während der letzten Monate haben sich Fabienne Schärli und Nora Gautschi einen guten
Überblick über den schweizerischen Reitsportbekleidungsmarkt verschafft. Im Juli 2007
sitzen die beiden Freundinnen im Clubhaus ihres Reitvereins im Kanton Aargau und ma-
chen sich Gedanken darüber, welches Geschäftsmodell sich am besten eignet, um mit den
ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen jedem ihrer zukünftigen Kunden passende und
funktionale Reitsportbekleidung anbieten zu können.

Wie alles anfing

77 Mangelnde Funktionalität herkömmlicher Reitbekleidung brachte die zwei


Gründerinnen auf die Idee, eine eigene Reitbekleidungsmarke zu entwickeln.

Fabienne Schärli (Jahrgang 1982) studierte Modedesign in Paris und arbeitete anschließend


erst als Designerin von Haute Couture und dann als Entwicklerin von Sportbekleidung
für renommierte Marken im Ski-, Bike-, Surf- und Gleitschirmbereich. In ihrer Freizeit
verbrachte sie jede Minute auf dem Pferderücken. Dort traf sie auf die begeisterte Spring-
reiterin und Studentin Nora Gautschi (Jahrgang 1988). Wie unzählige andere Reiter auf
der ganzen Welt, plagten sich beide mit der mangelnden Funktionalität herkömmlicher
Reitbekleidung. Wie soll man mit seinem Pferd verschmelzen, wenn die Hose drückt, das
Shirt nassgeschwitzt ist und das Turnierjackett ein geschmeidiges Mitgehen der Hand über
dem Sprung verhindert? Ihnen war klar: „Dem Reitsport fehlt richtige Sportbekleidung!“
Die beiden Reiterinnen beschließen, das zu ändern. Noch im Clubhaus machen sie sich
erste Gedanken, wie sie den Markt für Reitsportbekleidung revolutionieren können.
Nora und Fabienne hatten sich zehn Jahre zuvor im Reitstall kennengelernt. Sie waren
dort beide begeisterte Reiterinnen und trainierten beim gleichen Trainer. Seit jeher verband
sie dadurch eine lockere Freundschaft. Nach dem Abschluss der technischen Berufsmaturität
und einem Eidgenössischen Diplom als Damenschneiderin ging Fabienne nach Paris, um
dort Modedesign zu studieren – die Wege der beiden trennten sich vorerst. Nach drei Jahren
Studium und etlichen Praktika bei renommierten Designhäusern erlangte sie innerhalb von
zwei Jahren zusätzlich noch berufsbegleitend ein Eidgenössisches Diplom als Product Textile
Manager an einer Textilfachschule. Während ihrer ersten Anstellung baute sie den Maßkon-
fektionssektor auf, bei der zweiten Firma war sie für Design, Produktentwicklung und Pro-
duct Management von zwei Kollektionen für fünf Kunden aus dem Bereich Ski, Snowboard,
Outdoor, Gleitschirme und Bike verantwortlich. Anfänglich hatte sie durch ihre vielfältigen
Aufgaben eine steile Lernkurve. Fabienne erlangte spezifisches Wissen über die Sport- und
Textilbranche und knüpfte wichtige Kontakte mit Produzenten. Nach fünf Jahren in der
Modestadt an der Seine suchte sie allerdings nach neuen Aufgaben und Herausforderungen.
Während Fabienne in Paris ihr theoretisches und praktisches Wissen ausbaute, begann
Nora ein BWL-Studium an der Universität St. Gallen (HSG). Sie wollte unbedingt betriebs-
wirtschaftliche Kenntnisse erlangen und konnte ihr Wissen während zwei Praktika in der
1.7  Fallstudie: Scarabeus 31

Immobilienbranche und einem Werkzeughersteller in der Praxis anwenden. Doch das war
ihr nicht genug. Sie wollte etwas Eigenes machen und Unternehmertum selbst kennenler-
nen. Gemeinsam mit zwei Studienkollegen gründete sie ein Start-up, das Wohnungen und
einzelne Zimmer vermietete. Damals lernte sie, wie wichtig Strategie und genaues Arbeiten
sind, um erfolgreich ein Unternehmen führen zu können.
Von jeher begeisterte sich Nora mehr für die Praxis als für die Theorie ihres Studiums
und so war sie überglücklich, nun mit Fabienne über eine neue Geschäftsidee nachzuden-
ken. Nun planten sie den Eintritt in ein völlig neues Geschäftsfeld, und sie wussten, dass
es notwendig sein würde, den Markt für funktionale Reitsportkleidung besser zu verstehen.

Der Markt
Als passionierte Reiterinnen hatten Fabienne und Nora selbst erfahren, dass die Sakkos
mit großen Schulterpolstern und die Reiterhosen viel zu steif und nicht auf Sport ausgelegt
waren und sich dadurch maßgeblich von der funktionalen Kleidung unterschieden, die es
bereits für andere Sportbereiche gab. Warum also nicht die Technologien und Materialien
auch im Pferdesport einsetzen – das Know-how war zudem größtenteils bereits vorhanden.
Sie beschließen daher, noch weitere Informationen über das aktuelle Angebot zu funktiona-
ler Kleidung im Reitsport zu sammeln. Um das derzeitige Angebot zu erforschen, erstellen
sie eine Konkurrenzanalyse durch Mistery Shopping und besuchen zahlreiche Fachmessen
für Sportbekleidung und Reiterbedarf.
Die wesentlichen Erkenntnisse beschreiben sie wie folgt: In den zahlreichen Läden
für Pferdeartikel und Reitsportkleidung gibt es ein sehr umfangreiches Angebot an Be-
kleidung. Die meisten Artikel machen aber einen eher altmodischen Eindruck in Bezug
auf Verpackung, Markenimage und insbesondere Schnitt und sind alles andere als funk-
tional und auf die Bedürfnisse sowie das Wohlbefinden der Reiter ausgelegt. Eine echte
Premium-Marke können sie nicht ausmachen, auch wenn es einen Anbieter gibt, der sich
selbst so bezeichnet. Allerdings fehlt es eindeutig an der entsprechenden Qualität und dem
entsprechenden Service.

77 Reitsportkleidung kann funktional sein – dies ist bei der Konkurrenz aber nicht
der Fall.

Andererseits wollen sie aber auch die Nachfrage nach ihrem Produkt verstehen und hören
sich daher auf zahlreichen Reitturnieren und im eigenen Reitstall bei den Reitern nach de-
ren Bedürfnissen an Reitkleidung um – ein Bedarf scheint auf jeden Fall vorhanden zu sein.
Zusätzlich erstellen sie umfangreiche Marktanalysen für die Schweiz, Deutschland,
Österreich, Großbritannien und die USA, um aufgrund von Anzahl Reiter, Entwicklung
der jährlichen Pferdezuwachsraten und Anzahl Turniere ihr Marktpotenzial abschätzen zu
können. Das Ergebnis macht einen vielversprechenden Eindruck.
Während ihrer umfangreichen Recherche fällt Nora und Fabienne auf, dass keiner der
Hersteller von Reitsportkleidung modische und funktionale Produkte im Sortiment hat,
obwohl insbesondere Reiterinnen besonders viel Geld für Mode ausgeben. Sie schließen
32 1 Grundlagen

daraus, dass sie zwar mit einer ganzen Reihe an Reitsportbekleidung würden konkurrieren
müssen, dass es jedoch relativ einfach sein würde, sich von anderen Produkten abzuheben
und ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln.
Bereits zu diesem noch sehr frühen Zeitpunkt beschließen die beiden, dass sie ihren
Kunden durch den Trage- und Funktionskomfort etwas Gutes tun wollen, denn der Reiter
soll sich beim Reiten voll und ganz auf sein Pferd konzentrieren können und es spüren,
anstatt durch einengende Kleidung und sich abzeichnende Nähte abgelenkt zu werden.
Zudem findet Reitsport bei jeder Witterung statt, ob Regen, Schnee oder Sonnenschein, und
bei all diesen unterschiedlichen Bedingungen soll die Kleidung gleichbleibende Qualität
und höchsten Komfort beibehalten.

Erste Gedanken zum Geschäftsmodell


Die entscheidende Frage ist jedoch: Wie können sie sicherstellen, dass ihre Produkte das
halten, was sie versprechen? Welche spezifischen Anforderungen brauchen die Kleidungs-
stücke, um den extremen Anforderungen standzuhalten? Sie bestellen zahlreiche Muster-
stoffe, planen eine Kollektion, verwerfen einige Ideen und fertigen schließlich mit den
ausgewählten Materialien eine Herren- und Damenkollektion bestehend aus 35 Produkten,
die die Reiter vom „Hals bis an den Fußknöchel“ einkleiden, so Fabienne. Diese Klei-
dungsstücke stellen sie Testpersonen zur Verfügung, um diese unter echten Bedingungen
auf Abriebfestigkeit, Elastizität, Witterungsbeständigkeit und Komfort zu testen. Die Rück-
meldungen fließen dann direkt in die Verbesserung der Kleidungsstücke ein.

77 Funktional, bequem, modisch – so sollte die Reitsportmode der Zukunft sein.

Unter Berücksichtigung aller Informationen und Eindrücke, die sie durch ihre Recherche
gewinnen, ist ihnen klar, welchen Mehrwert sie ihren zukünftigen Kunden bieten wollen:
Sie wollen funktionale, bequeme und modische Reisportmode verkaufen, die aus wider-
standsfähigem Material besteht und ein modernes Image besitzt. Was sie noch nicht wis-
sen: Wo und wie sollen die Kunden an die Produkte gelangen? Ist es ihnen wichtig, die
Kleidungsstücke vor dem Kauf anzufassen? Oder sollte der Vertrieb ausschließlich online
erfolgen? Sie überlegen, wie das richtige Geschäftsmodell aussehen könnte.

Die Suche nach dem richtigen Geschäftsmodell

77 Verkauf der Reitsportmode über das Internet, eigene Läden oder Wiederver-
käufer?

Fabienne und Nora diskutieren mehrere Optionen, um zukünftigen Kunden ihre funktionale
und modische Kleidung anbieten zu können:

• Direktvertrieb über eigene Läden: In eigenen Läden könnten die Rückmeldungen


der Kunden direkt aufgegriffen werden. Zudem hätten die Kunden die Möglichkeit,
1.7  Fallstudie: Scarabeus 33

die Kleidungsstücke zu testen und sich auszutauschen. Allerdings bräuchte es hohe


Initialinvestitionen, der Standort müsste gut gewählt werden und die Personalkosten
würden auch hohe Summen verschlingen. Zudem wäre das Angebot nur relativ lokal
verfügbar.
• Direktvertrieb über das Internet: Die beiden Gründerinnen würden eine Internetseite
mit Onlineshop erstellen, über welche die Kunden die Ware direkt bestellen könn-
ten. Dadurch könnte eine sehr große Kundengruppe angesprochen werden. Zudem
würde dies im Vergleich zum Direktvertrieb über eigene Läden die Kosten senken,
allerdings bereiten Nora und Fabienne die logistischen Herausforderungen Sorgen, da
gemäß Erfahrungen von anderen Onlineshops Kunden Waren häufig retournieren, was
wiederum die Kosten nach oben treibt.
• Vertrieb über Wiederverkäufer: Eine weitere Möglichkeit sehen die beiden Gründe-
rinnen im Verkauf über Vertriebspartner. Dadurch könnten sie schnell stark wachsen
und wären in zahlreichen Städten und Ländern präsent. Allerdings hätten sie dann
keinen Einfluss auf den Verkaufsprozess und Kundenfeedback würde sie möglicher-
weise nur unzureichend erreichen. Letztlich müsste auch ein Großteil der Marge an
den Wiederverkäufer abgetreten werden.

Nächste Schritte

77 Eine Entscheidung über das Geschäftsmodell und die Kollektion muss in den
nächsten Wochen getroffen werden.

Im Herbst 2007 sitzen die beiden Gründerinnen abermals zusammen, um die verschiedenen


Geschäftsmodelle und ihre Kollektion zu besprechen. Dabei müssen sie das zu erwartende
Einkommen, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten und natürlich notwendige Investitionen be-
rücksichtigen.

Fragen zur Fallstudie


1. Wie kam es dazu, dass Nora und Fabienne eine unternehmerische Gelegenheit ent-
deckt haben?
2. Wie haben die beiden Gründerinnen die unternehmerische Gelegenheit evaluiert?
3. Welche Vor- und Nachteile bringen die verschiedenen Geschäftsmodelle zur Nut-
zung der unternehmerischen Gelegenheit mit sich? Welche weiteren Alternativen
sind denkbar?
4. Welche Aktivitäten müssen vor der Gründung des Unternehmens in Angriff genom-
men werden?
5. Wie sollte die Kollektion ausgestaltet sein? Sollte eine Konzentration auf weniger
Produkte und nur ein Geschlecht erfolgen?
34 1 Grundlagen

Diskussionsfragen
1. Wieso wird Entrepreneurship oftmals als komplexes Phänomen beschrieben? Wel-
che Annäherungen und/oder Dimensionen sind denkbar?
2. Warum wird nur ein kleiner prozentualer Anteil der Bevölkerung zum Unternehmer
und gründet ein unabhängiges Unternehmen?
3. Welche Rolle sollte der Staat bei der Förderung von Entrepreneurship einnehmen?
Was sind Pro- und Kontra-Argumente für ein Engagement?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Fallgatter, M. (2002). Theorie des Entrepreneurship: Perspektiven zur Erforschung der Ent-
stehung und Entwicklung junger Unternehmungen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag
GmbH.
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economy 2nd OECD conference of ministers responsible for SMEs.
3 Sonnabend, H. (2002). Wie Augustus die Feuerwehr erfand – Große Errungenschaften der
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Academy of Management Review, 26, 217–226.
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9 Shane, S., & Venkataraman, S. (2000). The promise of entrepreneurship as a field of research.
Academy of Management Review, 25(1), 217–226.
10 Wickham, P. (2004). Strategic Entrepreneurship. Harlow: Prentice Hall.
11 Shane, S. (2003). A general theory of entrepreneurship: the individual-opportunity nexus. Al-
dershot: Edward Elgar.
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14 Shane, S. (2000). Prior knowledge and the discovery of entrepreneurial Opportunities. Orga-
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Literatur 35

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tenham: Edward Elgar.
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28 von Hippel, E., & Katz, R. (2002). Shifting Innovation to users via toolkits. Management Sci-
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29 Sternberg, R., Brixy, U., & Hundt, C. (2011). Global Entrepreneurship Monitor – Länderbericht
Deutschland 2010. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
30 Sternberg, R., Vorderwülbecke, A., & Brixy, U. (2014). Global Entrepreneurship Monitor –
Länderbericht Deutschland 2013. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB).
31 Baldegger, R. J., Alberton, S., Hacklin, A., Brülhart, A., Huber, A., Saglam, O., & Willd, P.
(2014). Global Entrepreneurship Monitor. Länderbericht Schweiz 2013. Fribourg: Hochschule
für Wirtschaft (HSW).
32 Schmalzer, Th., Frech, B., Wenzel, R., & Mahajan, L. (2013). Global Entrepreneurship Monitor.
Bericht zur Lage des Unternehmertums in Österreich 2012. Graz: FH Joenneum.
33 Global Entrepreneurship Monitor 2012 und 2013 (Österreich/Dänemark: 2012).
36 1 Grundlagen

34 Kelley, D. J., Brush, A. A. C., Corbett, A. C., Lyons, Th., Majbouri, M., & Rogoff, E. G. (2013).
Global Entrepreneurship Monitor – 2013 United States Report. Babson Park: Babson College
& Zicklin School of Business.
35 Kelley, D., Bosma, N., & Amoros, J. E. (2014). Global Entrepreneurship Monitor – 2013 Global
Report, Babson & Universidad del Desarrollo. Babson Park: Universiti Tun Abdul Razak.
36 Xavier, R., Kelley, D., Kew, J., Herrington, M., & Vorderwülbecke, A. (2013). Global Entre-
preneurship Monitor – 2012 Global Report. Babson Park: Babson College.
37 Fueglistaller, U., Fust, A., & Federer, S. (2006). Kleinunternehmen in der Schweiz – dominant
und unscheinbar zugleich, Schweizerisches Institut für Klein- und Mittelunternehmen. St. Gal-
len: KMU-HSG.
38 EU-Kommission, Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition
der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, Amtsblatt der EU,
2003/361/EG, L124/36-41, Brüssel.
39 Leicht, R. (2000). Die neuen Selbstständigen arbeiten alleine. Internationales Gewerbearchiv,
S(48), 75–90.
40 European commission (2013). Entrepreneurship 2020 Action Plan: Reigniting the entrepreneu-
rial spirit in Europe. http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/files/entrepreneurship-2020/
final-report-pub-cons-entr2020-ap_en.pdf. Zugegriffen: 11.11.2014
41 Ulrich, H. (1984). Management, Haupt: Bern.

Weiterführende Literatur
Shane, S. (2003). A general theory of entrepreneurship: the individual-opportunity nexus. Chelten-
ham: Edward Elgar.
Thiel, P. (2014). Zero to One: Notes on Startups, or How to Build the Future. New York: Crown
Business.
Weitere Informationen zur Gründungsforschung finden sich unter www.fgf-ev.de, der Homepage des
Förderkreises Gründungs-Forschung e. V., der zentralen Institution für die deutschsprachige
Gründungsforschung.
Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung
2

2
Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke

Zusammenfassung
In Bezug auf unternehmerische Gelegenheiten sind zwei Perspektiven vorherrschend:
der Entdeckungs- und der Entstehungsansatz. Diese unterscheiden sich hinsichtlich der
Frage, ob für die Gelegenheitserkennung die Suche nach neuen Informationen oder die
Verarbeitung vorhandener Informationen in neuer Form erforderlich ist. Der Entde-
ckungsansatz entspricht eher der Kirznerschen Sichtweise, der Entstehungsansatz eher
der Schumpeterschen Sichtweise. Das Spezifische an unternehmerischen Gelegenhei-
ten ist nach Kirzner, dass sie die Entdeckung (discovery) einer neuen Zweck-Mittel-
Beziehung notwendig machen, wofür nach Kirzner nur neue Zugänge zu bestehenden
Informationen nötig sind, während Schumpeter vollkommen neue Informationen und
einen damit verbundenen kreativen Akt (creation) für erforderlich hält. Die Gelegen-
heit soll dann systematisch evaluiert werden, um zu prüfen, ob sie tatsächlich eine un-
ternehmerische Gelegenheit darstellt – also eine Situation, bei der nachhaltig Wert und
Wohlstand geschaffen werden können. Nachdem die unternehmerische Chance geprüft
und ggf. für umsetzbar erklärt wurde, geht es in die Umsetzungsphase. In Deutschland,
der Schweiz und auch in Österreich ist eine Gründung mit Formalitäten verbunden.
Zwar unternehmen alle drei Länder Anstrengungen, die Prozesse zu erleichtern, aber
dennoch schneiden sie im Vergleich mit Best-Practice-Beispielen aus anderen Ländern
eher schlecht ab.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_2 37
38 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Lernziele
•• Sie können erklären, wie unternehmerische Gelegenheiten entstehen.
•• Sie sind in der Lage, den Unterschied zwischen Entdeckungs- und Entstehungs-
ansatz zu erklären.
•• Sie kennen die kritischen Punkte, die bei der Evaluation von unternehmerischen
Gelegenheiten berücksichtigt werden müssen.
•• Sie kennen die formalen Schritte, die bei einer Unternehmensgründung in
Deutschland, der Schweiz und Österreich durchlaufen werden müssen.
•• Sie kennen die Unterschiede, die im Hinblick auf die zu durchlaufenden Grün-
dungsschritte zwischen den drei Ländern existieren.

2.1 Begriffserklärungen

77 Entdeckungsansatz (discovery theory):  Günstige Gelegenheiten existieren unabhän-


gig von den Aktivitäten einer Person und warten darauf, entdeckt und genutzt zu werden
(„Kirznersche Gelegenheiten“).

77 Entstehungsansatz (creation theory):  Günstige Gelegenheiten sind nicht einfach da.


Sie entstehen erst, wenn Unternehmer sich auf einen iterativen Prozess des Agierens und
Reagierens einlassen, um diese zu erschaffen („Schumpetersche Gelegenheiten“).

77Unternehmerische Gelegenheiten:  Situationen, in denen neue Zweck-Mittel-Bezie-


hungen möglich sind und Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden können.

77 Ressourcen:  Alle Mittel (finanzielle, physische, menschliche, technologische, soziale


und organisatorische), die einem Unternehmen bei der Umsetzung einer Idee nutzen.

2.2 Einführung

Jede Gründung beginnt mit einer Idee. Nicht alle Ideen eignen sich jedoch für eine Un-
ternehmensgründung. Einige Ideen stellen echte unternehmerische Gelegenheiten dar
– also jene Situationen, in denen neue Zweck-Mittel-Beziehungen möglich sind und Pro-
dukte, Dienstleistungen oder Methoden verkauft werden können. Viele Ideen werden je-
doch nie durchführbar und profitabel sein. Wichtig ist, dass man dies erkennt, bevor man
Zeit und Geld in die Realisierung der Idee investiert. In diesem Kapitel wird zuerst der
Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten beschrieben. Wir gehen hierbei auf zwei
konkurrierende Ansätze zur Entstehung von unternehmerischen Gelegenheiten ein: den
Entdeckungsansatz und den Entstehungsansatz. Dann wird ein strukturiertes Vorge-
2.3  Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten 39

hen zur Gelegenheitsevaluierung aufgezeigt. Es handelt sich dabei um eine systematische


Vorgehensweise, mit der herausgefunden werden kann, ob eine Idee praktikabel ist, ob sie
kommerzielles Potenzial besitzt und ob Ressourcen in ausreichendem Maße zur Verfügung
stehen. So können Gelegenheiten, die zum Scheitern verurteilt sind, herausgefiltert werden,
bevor der Unternehmer mit der Umsetzung der Idee beginnt und Ressourcen investiert.

77 Der Unternehmer muss die Ressourcen für die Umsetzung des Vorhabens
akquirieren.

Wurde eine Idee für praktikabel, potenziell gewinnbringend und umsetzbar erachtet, be-
ginnt die Umsetzungsphase. In Kap. 3 wird daher gezeigt, welche Schritte im Gründungs-
prozess durchlaufen werden müssen. Dabei werden die drei Länder Deutschland, Österreich
und die Schweiz sowohl gesondert als auch im Ländervergleich betrachtet.

2.3 Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten

77 Es gibt zwei konkurrierende Ansätze bezüglich unternehmerischer Gelegen-


heiten.

In Kap. 1 haben wir unternehmerische Gelegenheiten als diejenigen Situationen bezeichnet,


in denen neue Zweck-Mittel-Beziehungen möglich sind und Produkte oder Dienstleis-
tungen verkauft werden können [1]. Es stellen sich in diesem Zusammenhang allerdings
einige Fragen: Existieren unternehmerische Gelegenheiten unabhängig von der Person des
Unternehmers und warten nur darauf, entdeckt zu werden? Oder werden sie erst durch das
Handeln von Gründern erschaffen? Im folgenden Abschnitt werden beide Ansätze näher
beschrieben. Hierbei gehen wir auch auf die Herkunft von unternehmerischen Gelegenhei-
ten ein. Die folgenden Ausführungen zum Entdeckungs- und Entstehungsansatz beruhen
im Wesentlichen auf der Arbeit von Alvarez und Barney [2].

2.3.1 Entdeckungs- versus Entstehungsansatz

Als der weltbekannte Bergsteiger George Mallory gefragt wurde, warum er den Mount
Everest bestiegen hat, soll er geantwortet haben: „Weil er da ist.“ Viele Entrepreneurship-
Forscher verwenden eine ähnliche Metapher, wenn es um die Frage geht, warum Unter-
nehmer unternehmerische Gelegenheiten nutzen: weil diese Gelegenheiten existieren und
manche Menschen eben cleverer und weitsichtiger als andere sind, diese Gelegenheiten
zu erkennen und zu nutzen.
Die Annahme, dass Gelegenheiten – ähnlich wie Berge – objektiv existieren und nur
darauf warten, entdeckt und genutzt zu werden, hat wichtige Implikationen für unterneh-
merisches Handeln. Unter dieser Annahme kommt es für ambitionierte Unternehmer vor
40 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

allem darauf an, gute unternehmerische Gelegenheiten zu entdecken – unter Anwendung


der notwendigen Datenerhebungs- und Marktforschungstechniken – und sie dann zu ver-
werten – unter Anwendung der erforderlichen Strategien. All das sollte so schnell wie mög-
lich erfolgen, bevor ein anderer die Gelegenheit entdeckt und nutzt. Genauso wie wenige
Menschen den Namen der Person kennen, die als zweiter Mensch einen Berg bestiegen
hat, sind Unternehmer, die eine Gelegenheit spät erkennen und nutzen, im Allgemeinen
nicht so erfolgreich wie die Pioniere.

77 Sind unternehmerische Gelegenheiten bereits da oder werden sie durch Un-


ternehmer erst geschaffen?

Was aber geschieht, wenn unternehmerische Gelegenheiten nicht wie Berge sind, die nur
darauf warten, entdeckt und erobert zu werden? Angenommen, die Marktunvollkommen-
heiten, auf denen eine Gelegenheit beruht, werden stattdessen erst durch die Aktivitäten
eines Unternehmers geschaffen. In diesem Fall wäre die richtige Metapher für Entrepre-
neurship nicht Bergsteigen, sondern „Berge erschaffen“. Unter dieser Annahme sollten
Unternehmer nicht nach einer bereits vorliegenden Gelegenheit suchen, sondern sich statt-
dessen auf einen iterativen Lernprozess einlassen, der schlussendlich zur Entstehung einer
unternehmerischen Gelegenheit führen kann.
Beide Ansätze, der Entdeckungsansatz und der Entstehungsansatz, gehen davon aus,
dass das Erkennen und Nutzen von Gelegenheiten das Ziel von Unternehmern ist. Beide
Ansätze gehen zudem davon aus, dass Marktunvollkommenheiten die Basis von Gelegen-
heiten bilden. Bei der Schaffung neuer unternehmerischer Gelegenheiten (Entstehungsan-
satz) können Entrepreneure natürlich auch auf Informationen zu existierenden Gelegen-
heiten stoßen (Entdeckungsansatz). Bei den Gelegenheiten allerdings, die erst durch die
Aktivitäten von Entrepreneuren geschaffen werden, liegen vorab keine Informationen vor
und können daher auch nicht gesammelt oder analysiert werden.
Die zentralen Unterschiede der beiden Ansätze sowie Annahmen und Implikationen für
den Entrepreneur sind in Tab. 2.1 dargestellt.

2.3.2 Der Entdeckungsansatz (discovery)

Beim klassischen Entdeckungsansatz wird argumentiert, dass Gelegenheiten aufgrund von


Ineffizienzen in der Allokation von Ressourcen oder Marktunvollkommenheiten in einem
Markt oder einer Industrie bestehen. Durch die Verbindung von Ressourcen auf neuartige
Weise können Entrepreneure neue Zweck-Mittel-Beziehungen bilden, somit vormals un-
bemerkte oder unbekannte Produkte, Dienstleistungen oder Produktionsprozesse auf den
Markt bringen und potenziell ökonomischen Nutzen schaffen. Bei diesem Ansatz sind die
Ineffizienzen und Wettbewerbsunvollkommenheiten, die unternehmerische Gelegenheiten
schaffen, im Wesentlichen auf exogene Veränderungen eines Marktes oder einer Industrie
zurückzuführen. Diese beinhalten neue Technologien, Veränderungen von Kundenwün-
2.3  Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten 41

schen oder rechtlichen Rahmenbedingungen, demografische Entwicklungen oder andere


Ereignisse, die einen Markt oder eine Branche aus dem Gleichgewicht bringen und dabei

Tab. 2.1  Unterschiede zwischen dem Entdeckungs- und dem Entstehungsansatz [3]

Annahmen Entdeckungsansatz (disco- Entstehungsansatz (creation)


very)

Über die Herkunft der Gele- Entdeckung einer neuen Schaffung einer neuen
genheiten Zweck-Mittel-Beziehung Zweck-Mittel-Beziehung
(„Kirznersche Gelegenhei- („Schumpetersche Gelegen-
ten“). heiten“).
Über die Unternehmer Entrepreneure verfügen Der pfadabhängige Prozess
ex-ante über Besonderheiten der Schaffung von unterneh-
(z. B. vorhandenes Wissen merischen Gelegenheiten
und Information, psycholo- kann ex-post zu deutlichen
gische Charakteristika), die Unterschieden zwischen
die Entdeckung der Gelegen- Entrepreneuren und anderen
heit ermöglichen. Personen führen.
Entrepreneure suchen aktiv Entrepreneure unterscheiden
nach Gelegenheiten und sich jedoch nicht unbedingt
haben eine besondere Nei- von anderen Personen und
gung, diese wahrzunehmen können sich auch selbst ver-
(alertness). ändern bei der Erschaffung
von Gelegenheiten.
Über die notwendigen Der Besitz der passenden, Das Ergebnis der Schaf-
Informationen vorher verfügbaren Informa- fung von Gelegenheiten ist
tionen führt zur Wahrneh- offen und vorab unbekannt.
mung der Gelegenheit. Gelegenheiten stehen z. T.
in keinem Zusammenhang
zu derzeit verfügbaren In-
formationen. Umfangreiches
Wissen kann neu entstehen.
Implikationen
Denkansatz Causation: Auswahl der Effectuation: Entwicklung
notwendigen Mittel, um ein möglicher neuer Ziele unter
vorher definiertes Ziel zu Nutzung der vorhandenen
erreichen Ressourcen
Entscheidungsfindung Deduktiv: Sammeln und Induktiv und iterativ: An-
Analyse von Informationen wendung von Heuristiken
und Formulierung einer
Strategie
Strategie Vollständig formuliert, we- Emergent: vielfältige
nig Anpassungen Anpassungen auf Basis von
Versuch und Irrtum
42 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

neue Gelegenheiten entstehen lassen können [4]. Einen guten Überblick über verschiedene
Quellen von Gelegenheiten bieten auch Frank und Mitterer [5].
Die Betonung von exogenen Schocks als Quelle von neuen Gelegenheiten deutet darauf
hin, dass es beim Entdeckungsansatz vor allem auf die (systematische) Suche nach guten
Gelegenheiten ankommt. Deshalb erscheinen unternehmerische Gelegenheiten aus der
Perspektive derer, die diese nutzen möchten, als reale und objektive Phänomene – wie
verloren gegangenes Gepäck in einem Bahnhof –, die nur darauf warten, entdeckt und
genutzt zu werden. Die Aufgabe des Entrepreneurs ist es bei diesem Ansatz, wachsam
und aufmerksam im Hinblick auf günstige Gelegenheiten zu werden und diejenigen für
sich zu beanspruchen, die den größten ökonomischen Nutzen versprechen. Erfolgreiche
Entrepreneure sind folglich Personen, die einzigartige Möglichkeiten wahrnehmen (oder
entdecken).

77 Um „Kirznersche Gelegenheiten“ zu entdecken, muss der Unternehmer wach-


sam sein.

Entrepreneure und andere Personen unterscheiden sich in einigen wesentlichen Merkma-


len, denn ansonsten könnte jede Person in einem Markt auf eine Gelegenheit aufmerksam
werden und diese nutzen. Die Unterschiede zwischen Personen führen zu Informationsa-
symmetrien bezüglich bestimmter Gelegenheiten.
Darüber hinaus können Entrepreneure über Vorkenntnisse verfügen, die sie befähigen,
Arbitragemöglichkeiten bzw. Marktineffizienzen innerhalb bestehender Märkte zu ent-
decken und zu nutzen [6]. Es handelt sich damit um die Ausnutzung von Informations­
asymmetrien, die dazu führen, dass der Entrepreneur eine durch Fehler oder Unterlassung
anderer Marktteilnehmer entstandene Gelegenheit entdeckt. Der Entdeckungsprozess be-
steht somit in einem spontanen Erkennen von Gewinnchancen, das durch die spezielle
Wachsamkeit (alertness) des Entrepreneurs hervorgebracht wird. Die früheren Handlungen
von Entrepreneuren stellen eine weitere Quelle von Gelegenheiten dar: Innovationen ziehen
weitere Innovationsmöglichkeiten nach sich. Damit wird eine unternehmerische Aktivität
Bestandteil eines sich selbst reproduzierenden Prozesses.
Der Entdeckungsansatz folgt typischerweise einer kausalen Vorgehensweise, die in
Abb. 2.1 dargestellt wird.
Nach der Entdeckung einer Gelegenheit bewertet der potenzielle Entrepreneur das wirt-
schaftliche Potenzial der Idee, sodass Ziele festgelegt und ein Plan erstellt werden, wie die
identifizierte Gelegenheit genutzt werden kann. Abhängig vom Ausmaß der Gelegenheit
und den individuellen Besonderheiten des potenziellen Entrepreneurs – wie der Fähigkeit,
Aufmerksamkeit zu erregen, Opportunitätskosten und frühere unternehmerische Erfahrung
– entscheidet der Entrepreneur, ob ein Unternehmen gegründet wird. Investitionsmaßnah-
men und Handlungen wie die Erstellung von Musterprodukten und das Untersuchen von
Marktreaktionen folgen typischerweise der Unternehmensgründung. Im nächsten Schritt
stehen verschiedene strategische Entscheidungen an, die u. a. das Geschäftsmodell, Partner-
schaften, die Preisgestaltung und die Produktpalette umfassen. Nach der Produkteinführung
2.3  Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten 43

Entrepreneur sucht
nach Ressourcen,
Wahrnehmung von Bewertung von um die
unternehmerischen unternehmerischen unternehmerische
Gelegenheiten Gelegenheiten Gelegenheit
zu verfolgen

Entrepreneur
entwickelt eine
Identifikation von Ziele definiert und
Lösung, um die
unternehmerischen Plan formuliert, um Markteintritt
wahrgenommenen
Gelegenheiten die Ziele zu erreichen
Bedürfnisse zu
befriedigen

Anpassungen aufgrund von


Rückmeldungen aus dem Markt

Abb. 2.1  Die Rolle des Entrepreneurs im Entdeckungsansatz [[7], S. 1024]

wird die Nachfrage entweder befriedigt oder nicht. Somit erhält der Entrepreneur Feedback
auf seine Idee und kann Anpassungen vornehmen.

2.3.3 Der Entstehungsansatz (creation)

Der Entstehungsansatz geht davon aus, dass die Aktivitäten von Entrepreneuren und nicht
exogene Veränderungen von Märkten oder Branchen die Ursache von Gelegenheiten sind. In
diesem Sinne sind Gelegenheiten erst dann vorhanden, wenn Unternehmer handeln, um sie
zu erschaffen. Diese Gelegenheiten werden als „Schumpetersche Gelegenheiten“ bezeichnet.
Sie wirken gleichgewichtszerstörend (schöpferische Zerstörung) wegen ihres innovativen
Charakters und des pro-aktiven Elements ihrer Schaffung. Entrepreneure handeln nicht erst,
nachdem sie eine Gelegenheit erkannt haben. Stattdessen handeln sie, warten eine Rückmel-
dung auf diese Handlungen ab – üblicherweise vom Markt –, um sich dann anzupassen und
erneut in veränderter Form zu handeln. In diesem Sinne ist die Entstehung von Gelegenheiten
ein pfadabhängiger und emergenter Prozess [8]. Treten (technologische, demografische etc.)
Veränderungen auf, so nutzt gemäß diesem Ansatz der Entrepreneur diese und setzt sie in
eine neuartige wertstiftende Zweck-Mittel-Beziehung um (d. h. er kreiert die Gelegenheit).

77 „Schumpetersche Gelegenheiten“ sind nicht einfach da; sie werden neu


geschaffen.

Der Entstehungsansatz geht von anderen Annahmen bezüglich der Person des Entrepre-
neurs aus als der Entdeckungsansatz. Wie oben angeführt, geht der Entdeckungsansatz
von systematischen Unterschieden zwischen Entrepreneuren und Nicht-Entrepreneuren
aus, die ein wesentlicher Grund für unternehmerische Aktivitäten sind. Beim Entstehungs-
44 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

ansatz sind solche Unterschiede – wenn sie überhaupt existieren – im Wesentlichen das
Resultat des unternehmerischen Handelns und nicht dessen Ursache. Dabei geht es erstens
um pfadabhängige Prozesse, zweitens um kognitive Heuristiken und drittens darum, dass
Entscheidungen unter Unsicherheiten getroffen werden.
Beim Entstehungsansatz gibt es einen pfadabhängigen Prozess der Schaffung unter-
nehmerischer Gelegenheiten, der ex-post zu signifikanten Unterschieden zwischen Entre-
preneuren und Nicht-Entrepreneuren führen kann. Dies gilt auch dann, wenn vorab keine
Unterschiede ersichtlich waren. Als Beispiel kann man zwei Personen anführen, bei denen
vorab keine Unterschiede in Bezug auf ihre Persönlichkeit, ihre kognitiven Fähigkeiten
und ihre soziale Einbindung ersichtlich sind. Lediglich kleine Unterschiede im lokalen
Umfeld – beispielsweise wen sie kennen oder wo sie leben – mag die eine Person dazu
bewegen, den unternehmerischen Prozess einzuschlagen und eine unternehmerische Ge-
legenheit zu erschaffen und die andere nicht. Glück und zufällige Veränderungen in der
Umwelt können eine große Rolle spielen bei der Frage, wer Entrepreneur wird und wer
nicht [9].
Anfänglich sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Personen klein. Der Prozess
der Erschaffung unternehmerischer Gelegenheiten kann allerdings zu einer Verstärkung
individueller Eigenschaften führen. Die Person, die einen unternehmerischen Weg ein-
schlägt, wird möglicherweise bestimmte kognitive Merkmale – wie einen systematischen
Über-Optimismus oder die Bereitschaft, auf Basis weniger Informationen zu generalisieren
– in höherem Maße verstärken als andere kognitive Eigenschaften. Dieser Prozess kann
ex-post signifikante Unterschiede zwischen unternehmerisch aktiven Personen und anderen
hervorrufen. In diesem Sinne sind Unterschiede zwischen den beiden Personengruppen das
Resultat und nicht die Ursache der unternehmerischen Aktivitäten [6].
Beim Entstehungsansatz warten Personen nicht auf exogene Veränderungen, die zu
unternehmerischen Gelegenheiten führen. Gelegenheiten sind soziale Konstrukte, die nicht
unabhängig von der Wahrnehmung der unternehmerisch handelnden Personen existieren.
Erst wenn Personen die Initiative ergreifen, um unternehmerische Gelegenheiten zu ent-
wickeln, interagieren sie mit ihrer Umwelt und dem Markt, wodurch die Korrektheit ihrer
Annahmen überprüft wird.
Der Entstehungsansatz geht davon aus, dass das Ergebnis eines evolutionären Prozesses
nicht im Vorhinein bekannt ist. Daher haben zukünftige Gelegenheiten zum Teil keinen
direkten Bezug zu derzeit vorhandenen Informationen. Die derzeit vorhandenen Bran-
cheninformationen können sogar hinderlich für die Schaffung von Gelegenheiten sein.
Die Informationen, die für die Herausbildung der Gelegenheit notwendig sind, werden
oft erst auf Basis der vorherigen Aktivitäten und Entscheidungen im Prozess gewonnen.
Umfangreiches Wissen kann neu entstehen.
Beim Entstehungsansatz handeln die Entscheidungsträger unter Ungewissheit. Dies liegt
daran, dass – gemäß Annahme – Gelegenheiten nicht existieren, bevor sie von einer Person
geschaffen worden sind. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung über die Erschaffung
einer unternehmerischen Gelegenheit getroffen wird, liegen noch keine Informationen
über die möglichen Resultate dieses Prozesses vor. Grundsätzlich werden Informationen
2.3  Der Charakter von unternehmerischen Gelegenheiten 45

über mögliche Ergebnisse und Eintrittswahrscheinlichkeiten erst im Prozess erarbeitet


und liegen vorab nicht vor, egal, wie intensiv man sich auch darum bemühen würde. Das
heißt nicht, dass Entrepreneure vorab keinerlei Informationen über mögliche Ereignisse
sammeln können.
Dem Entstehungsansatz liegt eine Entscheidungslogik zugrunde, die als Effectuation-
Prozess bezeichnet wird. Wie in Abb. 2.2 gezeigt, beginnt dieser Prozess mit einer gegebe-
nen Menge an Möglichkeiten und bewirkt im weiteren Verlauf die Entwicklung von Zielen
durch die Handlungen und das Bestreben von Entrepreneuren sowie den Austausch mit
anderen Personen. Die gegebenen Möglichkeiten beschreiben, wie Entrepreneure wichtige
Entscheidungen treffen, indem sie sich auf die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen
konzentrieren und sich fragen „Wer bin ich?“, „Was weiß ich?“ und „Wen kenne ich, um
neue Möglichkeiten zu entdecken?“. Ihre Handlungen beruhen darauf, was sie können und
was sie als sich lohnend erachten. Eine der ersten Handlungen ist der Austausch mit anderen
und daraus resultierend der Beitritt neuer Projektbeteiligter. Doch jede weitere Person, die
zum Unternehmen dazustößt, bringt neue Möglichkeiten und Ziele ein. Somit werden mit
jedem weiteren Projektbeteiligten zwei konkurrierende Kreisläufe in Bewegung gesetzt:
ein expandierender und ein konvergierender.
Gemäß Sarasvathy lassen sich während jedes einzelnen Prozessschrittes Entrepreneure
bei ihren Handlungen von den folgenden Prinzipien leiten [4]:

• Das Spatz-in-der-Hand-Prinzip. Dieses Prinzip unterstreicht die Steuerung durch


Möglichkeiten (im Gegensatz zur Steuerung durch Ziele). Die Betonung liegt hierbei
darauf, etwas Neues zu erschaffen mit bestehenden Möglichkeiten, anstatt neue Wege
zu finden, um gegebene Ziele zu erreichen.
• Das Leistbare-Verlust-Prinzip. Dieses Prinzip schreibt vor, sich danach auszurichten,
was man bereit ist zu verlieren, anstatt in Berechnungen über mögliche Erträge zu
investieren.

Erweiternder Zyklus von Ressourcen

Effektiver Verlauf
möglicher Aktivitäten Neue
Mittel
Wer bin ich? Austausch mit Verbindliche
Was kann ich
Was weiss ich? anderen Zusagen von
tun?
Wen kenne ich? Menschen Anspruchsgruppen
Neue
Effektive Mittel Ziele

Konvergierender Zyklus der Änderungen des Artefakts

Neuer Markt

Abb. 2.2  Die Rolle des Entrepreneurs im Entstehungsansatz [[7], S. 1025]


46 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

• Das Flickenteppich-Prinzip. Dieses Prinzip umfasst Verhandlungen mit jedem und


allen Stakeholdern, die bereit sind, reale Beiträge zum Projekt beizusteuern, ohne sich
über Opportunitätskosten Sorgen zu machen oder aufwendige Wettbewerbsanalysen
durchzuführen. Außerdem bestimmen die Ziele der Unternehmung, wer an Bord
kommt, und nicht umgekehrt.
• Das Limonaden-Prinzip. Dieses Prinzip mahnt an, unerwartete Zufälle und Umstände
anzuerkennen und als Hebel zu nutzen, anstelle zu versuchen, sie zu vermeiden, zu
bezwingen oder sich ihnen anzupassen.
• Das Pilot-im-Flugzeug-Prinzip. Dieses Prinzip fordert, sich auf das menschliche
Handeln als primärer Treiber neuer Gelegenheiten zu verlassen, anstatt unternehme-
rischen Einsatz auf die Ausnutzung von technologischen oder sozioökonomischen
Trendänderungen zu limitieren.

77 „How to run a complete country without oil?“ Diese Frage brachte Shai Agassi
dazu, eine unternehmerische Gelegenheit zu kreieren.

Unternehmerprofil: Shai Agassi – Eine unternehmerische Gelegenheit kreieren


Die Idee, die dem Unternehmen BetterPlace zugrunde liegt, ist ein gutes Beispiel für
eine unternehmerische Gelegenheit, die noch nicht vorhanden war, sondern erst noch
geschaffen werden musste. Kreiert wurde die Idee von Shai Agassi, einem Softwareun-
ternehmer israelischer Herkunft. 2006 wurde Shai Agassi vom Weltwirtschaftsforum in
Davos in die Gruppe der „Young Global Leaders“ eingeladen. Die „Young Global Lea-
ders“ arbeiten gemeinsam an der „2030 Initiative“, die die Erstellung eines Aktionsplans
zur Verwirklichung der Vision einer idealen Welt im Jahr 2030 zum Ziel hat. Im Rahmen
der Initiative beschäftigte sich Shai Agassi mit einer Frage, die ihn seitdem nicht mehr
losgelassen hat: „How to run a complete country without oil?“
Die Bedingungen, unter denen Öl gefördert wird, werden zunehmend schwieri-
ger, teurer und gefährlicher. Zudem heizt die Verbrennung von Öl unser Klima an.
Die Automobilindustrie mit ihrem Hunger nach Öl spielt hier eine wichtige Rolle. In
entwickelten Ländern werden ca. 25 % des Öls im Autoverkehr verbraucht. Wie kann
man dieses Problem lösen? Welche alternativen Treibstoffe gibt es? Zunächst dachte
Shai Agassi, die Antwort müsse Ethanol sein. Dann dachte er an Wasserstoff, bis er
mit Wissenschaftlern sprach, die ihn auch davon abbrachten. Gab es eine Möglichkeit,
ein komplettes Land dazu zu bringen, auf Elektroautos umzusteigen, die ihre Energie
ausschließlich aus regenerativen Quellen erhielten? Gab es eine Möglichkeit, dies so
zu tun, dass das Angebot den Kunden sowohl den notwendigen Komfort bot als auch
erschwinglich war?
Ein Besuch beim Elektroautohersteller Tesla brachte ihn auf die Idee, dass die Lösung
darin liegen könnte, die Eigentümerschaft des Autos von der Eigentümerschaft der Bat-
terie zu trennen. Das würde gleich zwei Probleme lösen, die die Verbreitung des Elektro­
2.4  Gelegenheiten strukturiert bewerten 47

autos bisher behinderten. Das erste Problem liegt darin, dass die Batterien noch sehr teu-
er sind. Das zweite Problem ist die Reichweite, die momentan bei max. 500 Kilometern
liegt, dann ist die Batterie leer. Was, wenn der Kunde nur das Auto kaufen würde, die
Batterie jedoch einem Infrastrukturanbieter gehörte, von dem die Kunden E-Kilometer
kaufen könnten? Vergleichbar mit einem Mobilfunkanbieter, von dem man das Gerät er-
hält und die Telefonminuten mit einem Vertrag hinzukauft. So müsste der Kunde nur das
Auto, nicht aber die Batterie kaufen. Damit wäre das erstgenannte Problem gelöst. Das
zweite Problem, die eingeschränkte Reichweite, könnte gelöst werden, indem die Besit-
zer der Elektroautos ihre Batterie unterwegs an sogenannten „Swap Stations“ würden
austauschen können. Wer mehr als die 500 Kilometer zurücklegt, könnte zu einer Swap
Station fahren, wo ein Roboter die alte Batterie herausnimmt und eine neu aufgeladene
einlegt. Wer geringere Strecken zurücklegt, könnte die Batterie zu Hause oder an anderen
mit Ladegeräten ausgestatteten Parkplätzen aufladen. Im Durchschnitt würden die Kun-
den weniger häufig ihre Batterie wechseln, als sie bisher tanken müssen.
Die „Swap Stations“ gab es bisher jedoch nicht. Genauso wenig gab es eine aus-
reichende Zahl an Elektroautos, die es ermöglichte, dass ganze Länder auf E-Autos
umsteigen würden. Die Idee von BetterPlace schien jedoch überzeugend zu sein. So
überzeugend, dass das Unternehmen mehr als 700 Mio. USD bei Investoren einsam-
meln konnte, um die Idee zu realisieren. Renault-Nissan produzierte die zugehörigen
Elektroautos. Mehrere Länder unterstützen die Idee, indem sie die Transformation hin
zu E-Autos mit Steuererleichterungen fördern. Zudem gab es Länder, die direkt mit
BetterPlace kooperierten, unter anderem Israel, Dänemark und Australien. Die ersten
Tests, bei denen die E-Autos als Taxis in Tokio eingesetzt wurden, liefen erfolgreich.
Im zweiten Quartal 2013 musste BetterPlace allerdings Insolvenz beantragen, nachdem
keine weitere Finanzierung mehr gefunden wurde.

2.4 Gelegenheiten strukturiert bewerten

Der Prozess Kreativität – Innovation – Entrepreneurship beinhaltet im Wesentlichen die


Identifikation und die Bewertung unternehmerischer Gelegenheiten. Während dieses Pro-
zesses werden Geschäftsideen beurteilt, um zu ermitteln, ob sie tatsächlich eine unternehme-
rische Gelegenheit darstellen – also eine Situation, bei der nachhaltig Wert und Wohlstand
geschaffen werden können. Es existieren verschiedene Methoden, um unternehmerische
Gelegenheiten zu bewerten. Die meisten wurden von Beratern oder Risikokapitalgebern
entwickelt. Ein schrittweises Verfahren, das sich sowohl für die Bewertung technischer als
auch nicht-technischer Geschäftsideen eignet, ist in Abb. 2.3 dargestellt.

77 Gelegenheiten können systematisch evaluiert werden.

Es besteht aus einer Reihe von strengen Filtern, die durchlaufen werden, um Gelegenheiten
zu identifizieren, die ein signifikantes kommerzielles Potenzial bieten. Andere Versionen
48 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Abb. 2.3  Prozess zur Gelegenheitsbewertung

dieses Verfahrens, auch bekannt unter dem Namen „Schrello screen“ oder R-W-W („real,
win, worth it“) kursieren seit den 1980er-Jahren und wurden von Großunternehmen einge-
setzt, um das kommerzielle Potenzial und das Risiko von Projekten in ihrem Innovations-
Portfolio zu beurteilen [10]. Jedes Instrument, das für die Bewertung von Gelegenheiten
eingesetzt wird, sollte die folgenden Punkte ansprechen:

• Ist die unternehmerische Gelegenheit umsetzbar? Technische Machbarkeit: Kann das


Produkt oder die Dienstleistung mit derzeit verfügbaren oder zumindest realisierbaren
Technologien hergestellt bzw. erbracht werden? Sind ungewöhnliche Materialien,
Formen oder außerordentlich hohe Leistungen zur Herstellung erforderlich, sollte das
Projekt vorsichtig begonnen werden, bis abgeklärt ist, ob die Anforderungen tatsäch-
lich realisiert werden können.
• Ist die unternehmerische Gelegenheit tragfähig? Marktliche Machbarkeit: Gibt es
überhaupt Abnehmer für das Produkt oder die Dienstleistung? Sind Charakteristika
vorhanden, aufgrund derer Kunden dem Produkt oder der Dienstleistung den Vor-
zug vor bereits bestehenden Angeboten geben würden? Experten lassen sich in der
Annahme, dass jemand das Resultat ihrer Arbeit haben möchte, oft zu vorschnellen
Handlungen hinreißen. Mitunter werden Ideen alleine aus dem Grund realisiert, weil
es möglich ist. Ingenieure haben oft die Neigung, sich in eine Technologie zu verlie-
ben, und vergessen darüber, dass letztendlich die Anwendung der Technologie zählt
und nicht die Technologie selbst.
• Lohnt sich die Wahrnehmung der unternehmerischen Gelegenheit? Wirtschaftliche
Machbarkeit: Kann das Produkt entwickelt, produziert und vertrieben werden und
hierbei letztendlich einen Gewinn generieren? Beinhaltet das Produkt eine ökonomi-
sche Absurdität wie einen Verkaufspreis unter den Herstellkosten oder einen unter
dem Einkommensminimum liegenden Lohn für einen Zulieferer oder Dienstleister?
2.4  Gelegenheiten strukturiert bewerten 49

Im Folgenden werden die einzelnen Schritte zur Bewertung einer Geschäftsidee erläutert
und die wesentlichen Fragen, die in jeder Phase zu beantworten sind, dargestellt.

2.4.1 Ist die unternehmerische Gelegenheit umsetzbar?

Der erste Schritt besteht darin, den Innovationsgrad, die Patentierbarkeit, die technische
Machbarkeit und die Eigentumsrechte der Innovation zu prüfen. Normalerweise scheiden
hier bereits 50 % aller Innovationen aus, da es sich eben nicht um echte Innovationen
handelt: Jemand anders an einem anderen Ort hat die Erfindung bereits der Öffentlichkeit
vorgestellt und patentieren lassen. Auch wenn der zukünftige Unternehmer sein Patent
bereits angemeldet hat, könnte es daher sein, dass ihm jemand das Patent streitig macht.

77 Recherchen sind notwendig, um herauszufinden, ob die Idee tatsächlich neu ist.

• Ist die Erfindung/Idee neu? Wenige „Innovationen“ sind wirklich neu. Erkenntnisse
in einem Gebiet sind einem anderen oft längst bekannt. Diese Undurchsichtigkeit
wird durch einen fachbereichsspezifischen, wissenschaftlichen Jargon und Akronyme
noch verstärkt. In der Realität wird daher das Rad häufig neu erfunden. Eine erste
Internetrecherche kann Auskunft darüber geben, ob eine „Innovation“ nicht vielleicht
doch schon existiert. Ein Großteil aller wissenschaftlichen Gruppen nutzt das Internet
heute intensiv, um Informationen über sich selbst, ihre Arbeit und üblicherweise ihre
neuesten Publikationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Recherche zu
Veröffentlichungen zum jeweiligen Themengebiet – sowohl Artikel als auch Patente –
sollte die wichtigsten Informationen zutage bringen.

77 Der Erfinder verliert das Recht auf Patentschutz, wenn er seine Innovation im
Vorfeld öffentlich demonstriert.

• Ist die Erfindung patentierbar? Patente werden nur für Innovationen vergeben, die
neu sind und Fachkräften, die sich in dem jeweiligen Bereich auskennen, noch nicht
bekannt sind. Daraus folgt, dass der Erfinder das Recht auf Schutz verliert, wenn
er vor der Patentanmeldung seine Innovation demonstriert, verkauft oder öffentlich
diskutiert. Die Erteilung des Patentes ist an vier Voraussetzungen gebunden: Neuheit,
erfinderische Tätigkeit, technischer Charakter und die gewerbliche Anwendbarkeit
(siehe Kap. 8). Der Unternehmer muss also vorsichtig vorgehen und sich dieser Prob-
leme bewusst sein, um die Möglichkeit der Patentierung zu erhalten.
Ein Schlüsselprinzip des Patentschutzes ist, dass der Patentinhaber sein eigener „Po-
lizist“ sein muss. Es ist Aufgabe des Patentinhabers selbst, einen Verstoß gegen den
Patentschutz, meist zivilrechtlich, zu verfolgen. Manche Innovationen mögen zwar
sehr nützlich sein, sind aber völlig unkontrollierbar. Wird beispielsweise Beton so
modifiziert, dass die schalldämmende Eigenschaft von Betonböden verbessert wird,
50 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

ist die Einhaltung des Patenschutzes fast unmöglich: Um herauszufinden, ob die Tech-
nik angewandt wurde, müsste man entweder beim Einbau dabei gewesen sein oder
den Boden im Nachhinein wieder aufreißen.
• Ist es technisch machbar? Wie kann man dies herausfinden? Ein Weg besteht darin,
eine Befragung unter Fachkollegen durchzuführen. Unter Nutzung von Vertraulich-
keitsvereinbarungen sollten auch Meinungen von anderen Experten im jeweiligen
Feld eingeholt werden, die über konkurrierende Technologien informiert sein sollten.
Weiterhin sollte ein Prototyp entwickelt werden. Ein solcher Prototyp kann bei der
Suche nach technischen Herausforderungen behilflich sein und nützliche Hinweise für
eine mögliche spätere Serienproduktion geben.

2.4.2 Ist die unternehmerische Gelegenheit tragfähig?

Im zweiten Schritt wird geprüft, ob die Dienstleistung oder das Produkt einen Vorteil ge-
genüber existierenden Lösungen aufweist. An dieser Frage scheitern ca. 30 % aller Innova-
tionen, was jedoch nicht unbedingt bedeuten muss, dass der Unternehmer aufgrund besserer
Marketingaktivitäten oder aufgrund seiner geografischen Lage damit keinen Erfolg haben
könnte. Dennoch müssen die Vorteile zu Angeboten, die sich an die gleichen Zielgruppen
richten, klar herausgearbeitet werden.

77 Expertengespräche, Internetrecherche und Branchenberichte helfen, die Vor-


teile der eigenen Idee einzuschätzen.

• Gibt es Vorteile gegenüber existierenden Produkten oder Technologien? Eine Mög-


lichkeit, um herauszufinden, ob es vergleichbare Angebote bereits gibt, sind Ex-
pertengespräche. Die Experten werden dann gebeten, alle ähnlichen Produkte oder
Dienstleistungen zu nennen. In jedem Fall muss eine Internetrecherche durchgeführt
werden. Eine strukturierte Suche sollte relativ zügig über bereits existierende Ge-
legenheiten Auskunft geben. Es sollten zwei verschiedene Arten der Suche durch-
geführt werden: zum einen die Suche nach dem gleichen Produkt oder der gleichen
Dienstleistung, zum anderen die Suche nach Angeboten, die die gleichen Bedürfnisse
befriedigen. Anschließend muss man sich folgende Fragen stellen: Welches Produkt
oder welche Dienstleistung ist wirtschaftlich attraktiver? Welches ist schneller, güns-
tiger oder einfacher? Hier gilt es zu beachten, dass es den Kunden normalerweise egal
ist, wie die dahinterliegende Technologie funktioniert. Stattdessen kommt es ihnen
auf den Nutzen an. Zum Schluss dieser Phase sollte noch eine sehr wichtige Frage
beantwortet werden: Sind die technischen Vorteile relevant? Es gibt drei generische
Typen kommerzieller Vorteile: Zeitersparnis, Kostenersparnis oder es handelt sich um
neuartige Produkte oder Dienstleistungen, die für den Kunden einen Nutzen darstel-
len, den es bisher in dieser Form noch nicht gab.
2.4  Gelegenheiten strukturiert bewerten 51

• Gibt es potenzielle Kunden, die bereit sind, für den Nutzen zu bezahlen? An dieser
Stelle wird, soweit dies möglich ist, geprüft, ob der Markt überhaupt bereit ist, für
die angebotenen Vorteile zu bezahlen. Es könnte nämlich auch sein, dass der Markt
die Vorteile ignoriert (Vorteil wird zwar erkannt, aber nicht benötigt) oder sie gern
absorbieren würde (nähme sie gratis, würde aber nicht zahlen). Es bietet sich an,
potenzielle Käufer – Individuen oder Firmen – für die Anwendung zu identifizieren.
Anschließend kann mit diesen potenziellen Käufern Kontakt aufgenommen werden,
um zu verifizieren, dass sie die Vorteile, die bei einer erfolgreichen Umsetzung zu
erwarten sind, tatsächlich wünschen und wertschätzen. Es gibt keine bessere Bestäti-
gung für die Brauchbarkeit einer Idee als die klare Zusage eines potenziellen Kunden,
das Produkt gegen einen entsprechenden Kaufpreis abnehmen zu wollen.
• Es genügt in dieser Phase, eine Auswahl sogenannter lead buyers zu befragen. Man
muss jedoch berücksichtigen, dass das Ja oder Nein eines Einzelnen immer nur für
diese Person gilt. Sie kann nicht für eine komplette Branche oder Zielgruppe sprechen
und urteilt nicht abschließend über die Machbarkeit der Idee. Auf jeden Fall lohnt
es sich nachzufragen, weshalb die betreffende Person dem Produkt zustimmt oder
es ablehnt. In dieser Phase kann es daher von Vorteil sein, eine qualitative Analyse
durchzuführen, um detaillierte Meinungen über das Produkt einzuholen.
• Besitze ich die notwendigen Ressourcen? Für jede signifikante und kommerziell
nutzbare Chance sollte als Nächstes eruiert werden, welche Ressourcen für die
Entwicklung und Vermarktung notwendig sind. Unter Ressourcen werden Fak-
toren verstanden, die im weitesten Sinne zur Leistungserstellung benutzt werden
können. In der Tat reichen selbst die kreativsten Ideen und Innovationen nicht aus,
um ein Geschäft aufzubauen. Ohne Ressourcen kann selbst die beste Idee keinen
Unternehmer hervorbringen. Insgesamt sind sechs verschiedene Ressourcenarten zu
berücksichtigen: finanzielle, physische, humane, technologische und organisatori-
sche Ressourcen sowie Reputation. Diese sechs Arten beinhalten alle Fähigkeiten,
Sachmittel, organisatorischen Prozesse, Firmenattribute, Informationen und Know-
how [10].

2.4.3 Lohnt sich die Wahrnehmung der unternehmerischen


Gelegenheit?

Die vorangegangene Phase gibt Auskunft darüber, ob Kunden bereit sind, für das Produkt
oder die Dienstleistung zu bezahlen. Diese Information reicht aber nicht aus, um zu ent-
scheiden, ob eine Idee weiterverfolgt werden soll oder nicht. Wichtig ist die zu erwartende
Rendite. Um diese zu berechnen, müssen verschiedene Analysen durchgeführt und Annah-
men getroffen werden. So müssen der durchsetzbare Preis (aufgrund von vergleichbaren
Preisen in der Gegenwart bzw. den Aussagen potenzieller Kunden), das Marktvolumen, der
Marktanteil und die kompletten Aufwendungen für die notwendigen Ressourcen kalkuliert
52 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

werden. Die Ergebnisse dieser Berechnungen werden im Businessplan aufgeführt. Dort


müssen auch die möglichen Optionen für einen Exit, d. h. für einen Ausstieg für Eigentümer
und Kapitalgeber, dargelegt werden. Ideen oder Anwendungen, die diese Phase erfolgreich
durchlaufen haben, sind kommerziell nutzbar.

77 Nur wenn die Idee eine angemessene Rendite erwirtschaftet, ist sie kommer-
ziell nutzbar.

• Wie groß ist der Markt und welche Merkmale weist er auf? Würde der Markt für die
Vorteile des Produkts oder der Dienstleistung auch bezahlen? Mit anderen Worten,
lohnt sich die Nutzung des Produkts oder der Dienstleistung oder würde der Markt
entweder deren Vorteile ignorieren („nett, aber nicht notwendig“) oder aber nur dann
in Anspruch nehmen wollen, falls dies kostenlos möglich ist? Um dies herauszufin-
den, müssen Fragen über die Größe und Veränderung des Marktes und dessen Offen-
heit gegenüber neuen Produkten gestellt werden. Das Resultat dieser Untersuchung
hilft bei der Identifikation potenzieller Marktsegmente, geeigneter Markteintrittsstra-
tegien und schließlich der Bildung von Absatzplanungen.
• Erstellung eines Businessplans. Die gesammelten Informationen können genutzt
werden, um die kommerzielle Tragfähigkeit einer Gründung, eines neuen Produk-
tangebots oder eines Unternehmenskaufs zu bestimmen. Üblicherweise wird die
Durchführbarkeitsanalyse in einem Businessplan zusammengefasst, also in einem
umfassenden Dokument, das als Plan für eine Geschäftsgründung fungiert. In Kap. 9
werden die spezifischen Inhalte eines Businessplans im Detail besprochen. Eine
Durchsicht der Inhalte eines Businessplans zeigt, dass es im Wesentlichen um die
Beantwortung einer Reihe offener Fragen geht, was nur durch vorherige genaue Re-
cherchen möglich ist.

2.5 Schritte im Gründungsprozess

Um ein Unternehmen zu gründen, ist eine Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Anmel-
deformalitäten zu erfüllen. Diese variieren jedoch von Land zu Land und je nach Rechts-
form. Auf die Vor- und Nachteile der einzelnen Rechtsformen wird in Kap. 8 genauer
eingegangen.

77 Eine Gründung erfordert eine ganze Reihe von Anmeldeformalitäten, die, je


nach Land und Rechtsform, einen enormen Zeitaufwand erfordern können.

Zu beachten ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass für bestimmte Tätig-
keiten besondere Genehmigungen nötig sind. Gesundheitszeugnisse im Hotelgewerbe
sind nur ein Beispiel. Obwohl alle drei Länder Anstrengungen unternehmen, den büro-
2.5  Schritte im Gründungsprozess 53

kratischen Aufwand in Grenzen zu halten, ist die eigentliche Gründung doch mehr als
reine Formsache und kann leicht zu zeitlichen und finanziellen Engpässen führen. Selbst-
verständlich ist es empfehlenswert, sich im Vorfeld möglichst genau über die benötigten
Unterlagen zu informieren, um sie sorgfältig zusammenstellen zu können und so unnö-
tigen Zeitverlust zu vermeiden. Prinzipiell ist die Gründung eines Einzelunternehmens
oder einer Personengesellschaft weniger zeit- und kostenintensiv als die Gründung einer
Kapitalgesellschaft.

2.5.1 Gründung eines Unternehmens in Deutschland

77 Deutschland: Für die Ausübung eines Gewerbes ist i. d. R. keine Erlaubnis
erforderlich.

In Deutschland herrscht Gewerbefreiheit, d. h., in der Regel ist für die Ausübung eines Ge-
werbes keine besondere Erlaubnis erforderlich. Die Tätigkeit in manchen Branchen (z. B.
Apotheken, Gastgewerbe) ist aus Verbraucherschutzgründen jedoch genehmigungspflich-
tig. In Deutschland werden mit der Gewerbeanmeldung unter anderem folgende Behörden
automatisch informiert: Finanzamt, Berufsgenossenschaft, Statistisches Landesamt, Hand-
werkskammer (bei Handwerksberufen), die Industrie- und Handelskammer, die Agentur für
Arbeit sowie das Handelsregister (Registergericht). Trotzdem empfiehlt es sich, mit allen
Stellen selbst Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass alle Informationen vorliegen.
Die notwendigen Schritte, um ein Einzelunternehmen bzw. eine Kapitalgesellschaft zu
gründen, sind in Tab. 2.2 dargestellt.

77 Seit August 2006 können Erwerbslose, die sich selbstständig machen, einen


Gründungszuschuss beantragen.

Seit dem 1. August 2006 besteht für Empfänger von Arbeitslosengeld I die Möglichkeit,
einen Gründungszuschuss zu erhalten. Der Gründungszuschuss ersetzt die vorher gewähr-
ten Einzelmaßnahmen des Überbrückungsgeldes und des Existenzgründungszuschusses
(„Ich-AG“) und führt sie zu einem Instrument zusammen. Die Förderzeit beträgt maximal
15 Monate und unterteilt sich in zwei Phasen: In den ersten sechs Monaten erhalten die
Existenzgründer einen Zuschuss in Höhe ihres individuellen Arbeitslosengeldes sowie eine
Pauschale von 300 EUR, die für die soziale Absicherung verwendet werden soll. Bei der
Bewilligung des Gründungszuschusses handelt es sich um eine Ermessensleistung; es gibt
daher keinen Rechtsanspruch auf diesen. Die zweite Phase der Förderung erfolgt nur dann,
wenn eine intensive Geschäftstätigkeit vorliegt und es demnach sinnvoll ist, die Person wei-
ter zu fördern. Geprüft wird diese Voraussetzung von der Agentur für Arbeit. Nach einem
positiven Bescheid erhalten die Gründer für weitere neun Monate die Gründungspauschale
von 300 EUR für die Sozialversicherung.
54 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Tab. 2.2  Gründungsprozess in Deutschland

Schritte Einzelunternehmen/Personenge- Kapitalgesellschaft


sellschaft

1 Anmeldung beim Gewerbeamt der Notarielle Beurkundung


Gemeinde (ausgenommen sind: des Gesellschaftsvertrages
freie Berufe, Wissenschaftler,
Land- und Forstwirtschaft)
2 Wenn es sich um eine Firma im Gewerbeanmeldung
Sinne des Handelsgesetzbuches
handelt, muss ein Eintrag ins Han-
delsregister beim Registergericht
erfolgen.
Eintrag ins Partnerschaftsregister
für Partnerfirmen
3 Finanzamt Eintrag ins Handelsregister
beim Registergericht
4 Agentur für Arbeit (alle Unterneh- Finanzamt
men, die Mitarbeitende beschäf-
tigen)
5 Sozialversicherung Agentur für Arbeit
6 Berufsgenossenschaft Sozialversicherung
7 Berufsgenossenschaft
Web www.existenzgruender.de
www.ihk.de

2.5.2 Gründung eines Unternehmens in der Schweiz

77 Schweiz: Einzelunternehmen können online gegründet werden.

Ebenso wie in Deutschland sind für manche Tätigkeiten besondere Genehmigungen nötig.
Es ist daher wichtig, dies im Vorhinein abzuklären.
Seit dem Frühjahr 2004 hat die Schweiz den ersten virtuellen Amtsschalter für KMU in-
stalliert: Unter www.kmuadmin.ch kann die Anmeldung für Einzelunternehmen, Kollektiv-
und Kommanditgesellschaften online durchgeführt werden. Zudem ist es möglich, GmbHs
und AGs bei der Mehrwertsteuer und der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV)
anzumelden. Die einzelnen Schritte für die Unternehmensgründung finden sich in Tab. 2.3.
Wie groß ist eigentlich der zeitliche Aufwand für die Gründung einer Firma in der
Schweiz; und zwar von den ersten Abklärungen bis zur Ablage der letzten erforderlichen
Dokumente? Die Antwort für Aktiengesellschaften: Es sind 8,9 Stunden, verteilt über ei-
nen Zeitraum von 20 Tagen. Finanziell kommt die Gründung einer AG inkl. Eintrag ins
2.5  Schritte im Gründungsprozess 55

Tab. 2.3  Gründungsprozess in der Schweiz

Schritte Personenunternehmen Kapitalgesellschaften

1 Eintrag ins Handelsregister (falls Notarielle Beurkundung


laut Handelsregisterverordnung der Gründungsunterlagen
dazu verpflichtet)
2 Anmeldung bei der Sozialver­ Anmeldung beim Handelsregister-
sicherungsanstalt des Kantons amt des Kantons
3 Anmeldung Mehrwertsteuer bei Anmeldung bei der Sozialver­
der Eidg. Steuerverwaltung in sicherungsanstalt des Kantons
Bern
4 Anmeldung Mehrwertsteuer
bei der Eidg. Steuerverwaltung
in Bern
Web www.gruenden.ch www.gruenden.ch
www.kmuadmin.ch

Handelsregister erfahrungsgemäß auf mindestens 3000 CHF zu stehen. Die gute Nachricht:


International ist die Schweiz mit diesen Werten guter Durchschnitt [11].

2.5.3 Gründung eines Unternehmens in Österreich

77 Österreich: Gebühren und Abgaben für Neugründungen entfallen.

In Österreich wurde im Rahmen der Steuerreform 2002 das Neugründungsförderungsgesetz


(NeuFÖG) beschlossen, um Neugründern zu helfen, Gründungskosten zu sparen. Damit
werden Gebühren und Abgaben, die bei einer Gründung normalerweise anfallen, erlassen.
In Österreich wird ähnlich wie in Deutschland zwischen freien und reglementierten
Gewerben unterschieden. Für die Ausübung eines reglementierten Gewerbes ist ein Be-
fähigungsausweis nötig. Die notwendigen Schritte für eine Gründung können Tab. 2.4
entnommen werden.

2.5.4 Gründung eines Unternehmens im Ländervergleich

77 Gründungsfreundlich bedeutet, eine Unternehmung schnell, unbürokratisch


und kostengünstig gründen zu können.

Der Prozess der Unternehmensgründung kann in eine Vorgründungsphase und eine Grün-
dungsphase unterteilt werden, wobei die formalen Gründungsschritte in die zweite Phase
56 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Tab. 2.4  Gründungsprozess in Österreich

Schritte Personenunternehmen Kapitalgesellschaften

1 Firmenbucheintrag Notarielle Beglaubigung


des Gesellschaftsvertrages
2 Gewerbeanmeldung Firmenbucheintrag
3 Anzeige der unternehmerischen Gewerbeanmeldung
Tätigkeit beim Finanzamt
4 Anzeige der unternehmerischen Anzeige der unternehmerischen
Tätigkeit bei der Sozialversiche- Tätigkeit beim Finanzamt
rungsanstalt der gewerblichen
Wirtschaft (SVA)
5 Anzeige der unternehmerischen
Tätigkeit bei der Sozialversiche-
rungsanstalt der gewerblichen
Wirtschaft (SVA)
Web www.gruenderservice.at

fallen. Die Vorgründungsphase umfasst den Weg von der ersten Idee bis zu ersten außen-
wirksamen Maßnahmen. Die zweite Phase umfasst alle Schritte, um das Unternehmen
formal zu gründen. Ein unternehmerfreundliches Land zeichnet sich dadurch aus, dass die
zweite Phase möglichst wenige Verfahrensschritte mit geringem bürokratischen Aufwand
umfasst. Zudem sollte die finanzielle Belastung möglichst gering sein und die Koordination
zwischen den Behörden möglichst reibungslos funktionieren.
Wie leicht ist es eigentlich ein Unternehmen zu gründen? Die Antwort fällt meist sub-
jektiv aus: Wer damit Erfolg hat, wird wenig Verständnis für all jene haben, die mit über-
bordender Bürokratie, konservativen Kreditgebern und hohen Steuern zu kämpfen haben.
Einen anderen Weg geht deshalb der internationale Index „Doing Business“ und vergleicht
schlichtweg objektiv messbare Kennziffern.
Die Studie „Doing Business“ der Weltbank hat vier Regulierungskriterien für die
Gründung eines Unternehmens untersucht: die notwendige Anzahl der Verfahrensschritte,
die Zeitspanne, die Kosten und die Mindesthöhe des einzubringenden Kapitals. Heraus
kommt dabei ein Ranking der Länder, in denen das Gründen besonders einfach bezie-
hungsweise besonders schwer fällt. Tabelle 2.5 zeigt die Ergebnisse für die drei deutsch-
sprachigen Länder. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass es auf kommunaler und
kantonaler Ebene durchaus zu Schwankungen innerhalb der genannten Länder kommen
kann.

77 Im weltweiten Vergleich sind jedoch auch die Bedingungen in der Schweiz


suboptimal.
2.6  Fallstudie: Clean Insulating Technologies 57

Tab. 2.5  Kennzahlen für Gründungen im Ländervergleich

Schritte Österreich Deutschland Schweiz

Anzahl Schritte 8 9 6
Zeit (Tage) 22 14,5 10
Kosten (% Einkom- 0,3 8,8 2,0
men pro Kopf)
Minimum Kapital 13,6 35,8 25,4
(% Einkommen pro
Kopf)
Ranking „Gründung 101 114 69
Leichtigkeit“

Quelle: Doing Business 2015, www.doingbusiness.org.

Im jüngsten Ranking von 2015 landet Deutschland auf Platz 114 (von insgesamt 189 Län-
dern) – elf Plätze schlechter als noch im Vorjahr. Das ist nicht besonders rühmlich für
ein Land, das sich als Innovationsstandort versteht. Demnach dauert es in Deutschland
im Schnitt 14 Tage, um ein Start-up zu gründen. Was in Deutschland das Gründerklima
merklich trübt, sind vor allem die hohen behördlichen Auflagen – insbesondere wenn es
darum geht, Personal einzustellen oder wieder zu entlassen sowie sich für sein Vorhaben
Geld zu leihen und seine Steuern abzurechnen. Zudem sind die Kosten für eine Unterneh-
mensgründung etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt der anderen Industrienationen,
was potenzielle Gründer zusätzlich abschrecken dürfte.
Die vorteilhafte Situation in der Schweiz bedeutet allerdings nur einen relativen Vor-
teil. Ein Blick auf die Best-Practice-Beispiele Kanada und Neuseeland zeigt, wie weit die
Reduzierung der Gründungsregulierung gehen kann. In beiden Länder gibt es z. B. nur
einen Schritt bei der Gründung eines Unternehmens. In Neuseeland dauert die Gründung
nur einen Tag; und die Kosten für eine Gründung betragen in Kanada und Neuseeland nur
0,4 % des Jahreseinkommens.

2.6 Fallstudie: Clean Insulating Technologies

77 Ein Verfahren zur Produktion von Isoliermatten aus Wiesengras soll die Grund-
lage für ein Unternehmen bilden.

Gras wächst praktisch von alleine, ist einfach zu ernten und lässt sich als natürlicher Dämm-
stoff verwenden. Diese Idee und ein selbst entwickeltes Verfahren ließen Stefan Grass im
Jahre 2006 die Firma Gramitech gründen. 2010 erfolgte die Inbetriebnahme einer kleinen
58 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Versuchsfabrik im Schweizer Kanton Waadt. Nach einem Brand der Fabrikhalle übernahm
Christian Roggeman das Unternehmen und benannte es in Clean Insulating Technologies
um. Seit Herbst 2014 ist Gramitherm, so nennen die Gründer die natürlichen Isolations-
matten, wieder auf dem Markt. Neben Christian Roggeman und Stefan Grass gehören auch
Eduardo Paz und Thierry Hassanaly zum neuen Gründerteam. Das Gründerteam steht vor
der Herausforderung, die Vorteile der entwickelten Isoliermatten aus Gras den Kunden
durch überzeugendes Marketing nahezubringen und diese zum Kauf der Innovation zu
bewegen.

2.6.1 Aktuelle Situation

77 Die Bedeutung der Energieeffizienz bei Häusern steigt.

Die Isolierung von Häusern ist eine wichtige Angelegenheit. Die Dämmung soll im Winter
die Kälte abweisen sowie die Räume warm halten und im Sommer das Gegenteil bewirken.
Energie soll somit eingespart werden. In vielen Ländern gelten sowohl bei Neu- als auch
bei Altbauten strenge Auflagen, die energieeffizientes Bauen vorschreiben.

77 Gras als Rohstoff ist an sehr vielen Orten auf der Welt zu finden

Rund ein Fünftel der Erdoberfläche ist von Gräsern bewachsen. Sie sind sehr wider-
standsfähig und halten Temperaturen von ca. −35 bis +50 °C stand. So kommen sie vom
Äquator bis jenseits der Polarkreise und von den Meeresküsten bis ins Hochgebirge vor.

77 Es existierte bis dato keine Technologie, die Grasfasern als Dämmstoff nutzbar
machte.

Die von Stefan Grass entwickelte Technologie zur Nutzbarmachung von Wiesengras ist
einzigartig auf der Welt. Gegenüber konventionellen Isolationsmaterialien weisen Gras-
fasern als Dämmstoff große technische und ökologische Vorteile auf. Durch Herstellung,
Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung synthetischen Dämm-Materials fällt bei-
spielsweise die achtfache Energiemenge im Vergleich zum Grasfaserdämmstoff an.

77 Der Bekanntheitsgrad von Gramitherm soll nun gesteigert werden.

Nach der Neugründung des Unternehmens soll der Bekanntheitsgrad von Gramitherm über
die Grenzen der Schweiz hinweg gesteigert und das Produkt sowohl auf dem schweizeri-
schen als auch auf dem europäischen Markt etabliert werden. Außerdem gilt es, die weitere
internationale Expansion der Marke Gramitherm in Angriff zu nehmen.
2.6  Fallstudie: Clean Insulating Technologies 59

2.6.2 Die Technologie

77 Das Herstellungsverfahren der natürlichen Dämmplatten erlaubt eine abfall-


freie und somit ressourcenschonende Produktion.

Die Produktion der Gramitherm-Dämmplatten erfolgt in drei Schritten. Ausgangspunkt ist


das Rohmaterial (Frisch- oder Silogras sowie Maissilage), das durch Landwirtschaftsbe-
triebe aus der Region, die in die Vermarktungskette eingebunden sind, geerntet und in Silos
gelagert wird. Die Lagerung in Silos sichert eine ganzjährige Produktion von Dämmplat-
ten bei gleich bleibender Qualität. Darüber hinaus ist die Silage eine kostengünstige und
dezentrale Lagerform.
Aus dem Gras werden durch einen speziellen Verarbeitungsprozess Zellulosefasern
gewonnen, die im nächsten Arbeitsschritt zu Isoliermatten zusammengepresst werden. Auf
einem Hektar Land kann genug Gras angebaut werden, um 250 Kubikmeter Isoliermaterial
herzustellen.
Die technischen Hindernisse waren bei der Entwicklung von Gramitherm nicht unbedeu-
tend. So bestand bis dahin kein Verfahren zur Auflösung der Zellwände von Gras. Einzig der
komplexe Verdauungsapparat der Wiederkäuer war bisher dazu in der Lage. Die unzähligen
Versuche brachten dem Erfinder Grass aber den erhofften Erfolg. Enzyme, welche dem
dampferhitzten Gras beigegeben wurden, bauten in der Folge die Zellulose der Zellwände
zu Zucker ab. Aus diesem Gemisch gelang es, Fasern, Proteine und Energie zu isolieren.
Die technische Basis zur Herstellung von Dämmstoff aus Grasfasern war gegeben.
Das Herstellungsverfahren ermöglicht darüber hinaus eine abfallfreie Produktion, da
die verdaulichen Bestandteile von Gras von den Fasern abgetrennt und separat als Tierfut-
ter oder als Substrat für die Biogasgewinnung verwertet werden können. Die gewonnene
Energie speist wiederum die Fabrikationsmaschinen.

2.6.3 Vorteile der Technologie

Die technischen Eigenschaften der Gramitherm-Dämmplatten, einschließlich deren ther-


mischer und akustischer Isolation, sind vergleichbar oder besser als diejenigen der konven-
tionellen Produkte. Auch bei sommerlichen Temperaturen weist der Dämmstoff aus dem
nachwachsenden Rohstoff technische Vorteile gegenüber konventionellem Isoliermaterial
auf. So beträgt die Phasenverschiebung, d. h. die Zeitspanne, in welcher die Außentempe-
ratur durch die Gebäudehülle ins Innere dringen kann, rund elf Stunden. Dieser ideale Wert
wird erreicht, weil sich Naturfasern grundsätzlich nur sehr langsam aufwärmen respektive
abkühlen.

77 Das Produkt leistet eine vergleichbare oder bessere Isolation als konventio-
nelle Produkte.
60 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Der Grasdämmstoff ist aufgrund der Trennung der verdaulichen Rohstoffbestandteile von
den Fasern sowie der Ausrüstung mit mineralischen Salzen für Nagetiere nicht essbar. Bei
der Trennung werden außerdem Pollen aussortiert, sodass Gramitherm auch von Allergi-
kern eingesetzt werden kann.
Der Rohstoff Gras weist weitere wichtige Vorteile auf. Er wächst schnell und ist in
der Pflege unkompliziert. Die Versorgung mit Rohmaterial ist mit keinen hohen Kosten
verbunden, da Gras fast auf der ganzen Welt zu finden ist. Lange Transportwege und hohe
Transportkosten entfallen daher.

77 Der Dämmstoff ist weltweit verfügbar.

Darüber hinaus soll Gramitherm das einzige Dämm-Material mit einem CO2-neutralen
Fußabdruck sein. Da Gras bei seinem Wachstum CO2 absorbiert, trägt Gramitherm auch
zu einer Reduktion des Treibhausgaseffektes bei. Am Ende seiner Lebensdauer kann der
Dämmstoff, sofern er nicht verschmutzt oder mit anderen Baustoffen und Beschichtungen
verbunden ist, der Wiederverwendung, dem Recycling oder der Verbrennung zugeführt
werden.

77 Gegenüber anderen Dämmstoffen zeigt Gramitherm Vorteile auf bezüglich


der eingesetzten grauen Energie, dem Treibhauseffekt sowie den allgemeinen
Umwelteinflüssen.

Die landwirtschaftliche Nutzung von Wiesengras ohne die im Normalfall angebundene


Nutztierhaltung ermöglicht den Landwirten eine vereinfachte Einkommensmöglichkeit.
Zudem trägt diese Nutzungsart zur Reduktion der landwirtschaftlichen Überproduktion bei.

2.6.4 Das Geschäftsmodell

Gramitherm kann in der aktuellen Produktionsform als Dämmstoff für den Einsatz mit
geringer bis mittlerer Druckbelastung eingesetzt werden. Dazu gehören u. a. Kerndämmung
von zweischaligen Mauerwerken, Zwischen- und Untersparrendämmung, Holzelement-
dämmung oder Innenwanddämmung. Weitere Einsatzgebiete sind die Steildach-Aufspar-
rendämmung, Estrichbodendämmung sowie die Dämmung hinterlüfteter Fassaden.
Das derzeitige Geschäftsmodell sieht vor, die Gramitherm-Dämmplatten in der Schweiz
selbst zu produzieren. Auch in Europa sollen vorwiegend Isolationsmatten aus eigener Pro-
duktion vertrieben werden. In Ergänzung dazu und vor allem für die Forcierung der interna-
tionalen Expansion soll die europäische und weltweite Produktion über Joint Ventures und
Partnerschaften in Form von Lizenzen erfolgen. Somit soll sichergestellt werden, dass dort
produziert wird, wo das Gras wächst und die Isoliermatten auch verwendet werden. Durch
lokale Partner soll die Effizienz der Produktion gewährt werden können. Eine intensive
Zusammenarbeit mit der lokalen Landwirtschaft ist daher unabdingbar. Die Expansion ins
2.6  Fallstudie: Clean Insulating Technologies 61

Ausland ist aufgrund des relativ kleinen Marktes für natürliche Dämmstoffe in der Schweiz
von enormer Bedeutung, um die finanzielle Zukunft des Unternehmens zu sichern.

77 Die weltweite Produktion soll über lokale Partner in Form von Lizenzen
erfolgen.

Da Gramitherm sowohl vor Kälte als auch vor Hitze schützt, planen die Gründer von
Clean Insulating Technologies insbesondere eine Expansion nach Südamerika sowie Süd-
ostasien. Die dortigen Länder zeigen einen relativ stabilen Wirtschaftsaufschwung, stei-
gende Lebensqualität sowie eine üppige Vegetation. Darüber hinaus ist der Markteintritt
in Nordamerika bereits in Planung. Die größte Herausforderung stellt hierbei die Suche
nach lokalen Partnern dar.
Insbesondere lokale Landwirtschaftsbetriebe sollen als Partner gewonnen werden. Für
sie soll das Geschäftsmodell besonders attraktiv sein. So können sie sowohl Futter für
ihre Tiere erzeugen als auch Geld verdienen mit dem Verkauf von Gras für Gramitherm
(bis Juni geschnittenes Gras enthält mehr Zellulosefasern und eignet sich bestens für
Gramitherm; nach Juni geschnittenes Gras enthält mehr Proteine und eignet sich besser
als Futtermittel).
Die hohe Effizienz der Gewinnung, Herstellung und Verarbeitung von Grasfasern er-
möglicht zudem eine Preisgestaltung, die mit anderen Produkten und Lösungen konkur-
renzfähig ist. Verglichen mit anderen Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen ist
die Produktion günstiger. Gegenüber konventionellen Dämmungen weist sie jedoch ein
höheres Preisniveau auf.
Große Bedeutung kommt daher dem Marketing zu, um die Vorteile der entwickelten
Isoliermatten bekannt zu machen und das Produkt auf dem Markt zu etablieren. Hierbei
hoffen die Gründer von Clean Insulating Technologies, auf die bestehende Kundenbasis
aufzubauen und mithilfe von vorhandenen Kontakten nach Süddeutschland, Norditalien
und Österreich Gramitherm zum Erfolg zu führen.
Kunden für das Produkt sind private Bauherren, verarbeitende Betriebe (Holzbauunter-
nehmen und Handwerker), Architekten, Generalunternehmen sowie die öffentliche Hand.

2.6.5 Der Markt und die Konkurrenz

Auf dem Schweizer Markt haben Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen einen An-
teil von ca. 5 %. Holzfasern stellen hierbei den größten Anteil. Schätzungen zufolge wächst
sowohl der Markt für konventionelle als auch für natürliche Dämmstoffe um jährlich etwa
10–15 %. Auch auf dem europäischen Isolationsmarkt werden ca. 95 % der Dämmstoffe
synthetisch hergestellt. Gramitherm-Isolationsmatten sind daher ein klares Nischenprodukt.
Um theoretisch den gesamten Schweizer Markt für Naturdämmstoffe mit Gramitherm-
Isolierungen zu bedienen, müssten 125.000 Kubikmeter Gramitherm hergestellt und hierfür
etwa 0,1 % des gesamten schweizerischen Graslandes verwendet werden.
62 2  Unternehmerische Gelegenheiten und Umsetzung

Clean Insulating Technologies ist derzeit das einzige Unternehmen, das Dämm-Material
aus Grasfasern herstellt. Ein Schweizer Unternehmen, das auf ähnliche Weise Gras-Isolati-
onen hergestellt hatte, ist im Jahre 2003 in Konkurs gegangen. Die Konkurrenz von Clean
Insulating Technologies besteht daher hauptsächlich aus den Herstellern von Naturdämm-
stoffen, die Holzfasern, Holzwolle, Zellulose und Hanf verwenden.

77 Clean Insulating Technologies ist derzeit das einzige Unternehmen, das


Dämm-Material aus Grasfasern herstellt.

Schätzungen für die EU25 gehen davon aus, dass 5–10 % der totalen Grasflächen bzw.
30 Mio. Tonnen Gras in den letzten Jahren für einen neuen Gebrauch frei geworden sind,
ohne dass die konventionelle Nutzung des Grases als Futtermittel beeinträchtigt wäre. Gras
als Rohstoff für die Isolationsmatten wird daher auch in Zukunft in ausreichendem Umfang
in Europa vorhanden sein.

2.6.6 Das Team

Stefan Grass ist der Erfinder von Gramitherm und als CTO im Unternehmen Clean Insu-
lating Technologies tätig. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Produktent-
wicklung für die Landwirtschaftsindustrie sowie die nachhaltige Energieproduktion.

77 Das Team von Clean Insulating Technologies verfügt über ein breit gefächertes
Wissen

Christian Roggeman ist der CEO von Clean Insulating Technologies und blickt auf eine
15-jährige Erfahrung in der Bauindustrie sowie eine zehnjährige Erfahrung im Business
Development zurück. Zusammen mit Eduardo Paz, der das Kundenmanagement verant-
wortet, sitzt er im Verwaltungsrat der Firma.
Um die finanziellen Angelegenheiten kümmert sich Thierry Hassanaly als CFO. Vor
seiner Tätigkeit bei Clean Insulating Technologies war er mehr als zehn Jahre im Invest-
ment Banking tätig.

Fragen zu der Fallstudie


Wenn Sie an der Stelle von Christian Roggeman wären:
1. Welches sind die Schritte, die zunächst getan werden müssen, um das Unternehmen
vorwärtszubringen? Was ist wichtig und was ist weniger wichtig?
2. Wie würde eine grobe Meilensteinplanung für die nächsten eineinhalb Jahre ausse-
hen? Würde diese auch personelle Konsequenzen beinhalten?
3. Welche weiteren Geschäftsmodelle, neben dem Vertrieb in Form von Lizenzen, sind
denkbar?
Literatur 63

Diskussionsfragen
1. Welche Quellen konnten Sie bereits nutzen, um unternehmerische Gelegenheiten zu
entdecken oder zu entwickeln?
2. Prüfen Sie eine eigene Unternehmensidee hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit, Tragfä-
higkeit und Renditeaussichten.
3. Welche Rahmenbedingungen sollte der Staat schaffen, um Gründungen zu fördern?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Eckhardt, J., & Shane, S. (2003). Opportunities and entrepreneurship. Journal of Management,
29(3), 333–49.
2 Alvarez, S. A., & Barney, J. (2007). Discovery and creation: Alternative theories of entrepre-
neurial action. Strategic Entrepreneurship Journal, 1(11), 11–26.
3 Sarasvathy, S. (2008). Effectuation: Elements of Entrepreneurial Expertise (S. 15–16). Chel-
tenham: Edward Elgar.
4 Frank, H., & Mitterer, G. (2009). Opportunity Recognition – State of the Art und Forschungs-
perspektiven. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 79(3), 367–406.
5 Baker, T., & Nelson, R. (2005). Creating something from nothing: Resource construction
through entrepreneurial bricolage. Administrative Science Quarterly, 50, 329–366.
6 Fisher, G. (2012). Effectuation, causation, and bricolage: A behavioral comparison of emerging
theories in entrepreneurship research. Entrepreneurship Theory & Practice, 36(5), 1019–1051.
7 Grichnik, D. (2006). Die Opportunity Map der internationalen Entrepreneurshipforschung: Zum
Kern des interdisziplinären Forschungsprogramms. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 76(12),
1303–1333.
8 Kirzner, I. (1997). Entrepreneurial discovery and the competitive market process: An austrian
approach. Journal of Economic Literature, 35, 60–85.
9 Day, G. (2007). Is it real? Can we win? Is it worth it? Managing risk and reward in an innovation
portfolio. Harvard Business Review, December, 110–120.
10 gründen 2.0 – Das Gründer ABC, Zürich, 2011. www.gruenden.ch.
11 World Bank (2014). World Bank, Doing Business in 2015 Washington. www.doingbusiness.org

Weiterführende Literatur
Faschingbauer, M. (2013). Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und
handeln (2. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Grichnik, D., Brettel, M., Koropp, C., & Mauer, R. (2010). Entrepreneurship. Unternehmerisches
Denken, Entscheiden und Handeln in innovativen und technologieorientieren Unternehmungen.
Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Shane, S. (2009). The Illusions of Entrepreneurship. New Haven & London,: Yale University Press.
Der Entrepreneur
3

3
Thierry Volery, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller
Unter Mitarbeit von Arik Röschke

Zusammenfassung
Entrepreneure entwickeln innovative Produkte und Dienstleistungen, setzen diese um
und verdrängen weniger innovative Unternehmer vom Markt. Dabei spielt die Per-
sönlichkeit des Unternehmers eine zentrale Rolle, die in Beziehung zur unternehmeri-
schen Chance gesehen werden muss. Zum einen kann der Unternehmer nur in Bezug zu
seinem unternehmerischen Projekt verstanden werden, zum anderen sind individuelle
persönliche Unterschiede wichtig für die Entdeckung bzw. Entwicklung von Chancen.
Nachdem Unternehmer eine Chance identifiziert und bewertet haben, müssen sie ent-
scheiden, ob sie sie auch nutzen möchten. Dies hängt wiederum von Charakteristika der
Chance und dem Unternehmertyp ab. Es gibt zwei Denkschulen, die sich mit Entre-
preneurship aus individueller Perspektive befassen. Die ökonomische Denkschule geht
davon aus, dass der Unternehmer ein Agent ist, der verschiedene Rollen übernimmt:
Risikoträger, Arbitrageur, Innovator oder Koordinator knapper Ressourcen. Der beha-
vioristische Ansatz identifiziert drei unternehmerische Eigenschaften: Leistungsmoti-
vation, interne Kontrollüberzeugung und Risikofreudigkeit. Was tun Entrepreneure, um
unternehmerische Gelegenheiten zu nutzen? Eine Studie gibt Aufschluss über Arbeits-
zeiten und Arbeitsweisen, über die Funktionsbereiche, in denen sich Entrepreneure am
häufigsten engagieren (Organisations- und Produktentwicklung, Marketing/Vertrieb/
PR und Personal) sowie über die Hauptaktivitäten (z. B. Informationen und Meinungen
austauschen). Zudem agieren Entrepreneure innerhalb ihrer Arbeit in unterschiedlichen
Rollen, die entweder der Zukunftsgestaltung oder der Sicherung des „Daily Business“
dienen bzw. für beide Aspekte genutzt werden können.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_3 65
66 3  Der Entrepreneur

Lernziele
•• Sie können den aktuellen wissenschaftlichen Stand bezüglich Verhaltensweisen,
Rollen und Charakteristika von Entrepreneuren erläutern.
•• Sie können die Aktivitäten und das Verhalten von etablierten Entrepreneuren
erläutern.
•• Sie können die Risiken benennen, mit denen sich ein Entrepreneur auseinander-
setzen muss.
•• Sie können die verschiedenen Messgrößen unternehmerischen Erfolgs erläutern.

3.1 Begriffserklärungen

77 Entrepreneur (Unternehmer):  Ein Individuum, das innovative Produkte oder Produk-


tionsmethoden am Markt durchsetzt, neue wirtschaftliche Strukturen etabliert und beste-
hende, weniger innovative Unternehmen aus dem Markt drängt, jedoch nicht zwangsläufig
Inhaber eines Unternehmens sein muss. Entrepreneure verfolgen ihre Projekte mit Kon-
sequenz und sind in der Lage, die notwendigen Ressourcen zur Umsetzung ihrer Ideen zu
akquirieren. Unternehmer glauben, dass sie ihr Leben kontrollieren können, und sind in
der Lage, Risiken einzugehen.

77 Pfadabhängigkeit (path dependency):  Ein analytisches Konzept, das Prozessmodelle

beschreibt, deren zeitlicher Verlauf strukturell einem Pfad ähnelt. Im Kontext von Entrepre-
neurship verfolgen Entrepreneure eine Gelegenheit entlang eines „Entwicklungspfads“, den
sie nicht ohne Weiteres verlassen können. Pfadabhängigkeit wird vor allem von Vertretern
des Entstehungsansatzes (creation theory) (siehe Abschn. 2.4.3) betont.

77 Heuristik:  Vorgehensweise zur Lösung von allgemeinen Problemen, für die keine ein-
deutigen Lösungsstrategien bekannt sind bzw. für die aufgrund des erforderlichen Auf-
wands die Entwicklung einer Lösungsstrategie nicht sinnvoll erscheint. Sie beinhaltet in
erster Linie „Daumenregeln“ auf der Grundlage subjektiver Erfahrungen und überlieferter
Verhaltensweisen.

77 Opportunitätskosten:  Kosten, die entstehen, wenn ein bestimmtes Investment einem

zweitbesten vorgezogen wird. Opportunitätskosten geben an, auf wie viel Nutzen aufgrund
der Nichtrealisierung der zweitbesten Variante verzichtet wird.

77 Arbitrage:  Ausnutzen von Preis-, Kurs- oder Zinsunterschieden von gleichen Pro-

dukten, Waren oder Dienstleistungen auf verschiedenen Märkten zur Gewinnerzielung.


Personen, die Arbitrage-Aktivitäten ausführen, werden entsprechend als Arbitrageure
bezeichnet.
3.3  Unternehmerische Gelegenheiten nutzen 67

3.2 Einführung

77 Die Unternehmerpersönlichkeit spielt eine entscheidende Rolle bei der Entde-


ckung und Nutzung von Chancen.

Die Persönlichkeit des Unternehmers spielt eine zentrale Rolle bei der Gründung von
Unternehmen. Dieses Kapitel identifiziert und diskutiert die persönlichen Dimensionen,
die Erklärungsansätze für den unternehmerischen Prozess liefern und ihn beeinflussen.
Zunächst ist es wichtig, die Beziehung zwischen Individuum und unternehmerischen Chan-
cen oder Gelegenheiten zu verstehen. Zum einen kann der Unternehmer nur in Bezug
zu seinem unternehmerischen Projekt verstanden werden, zum anderen sind individuelle
persönliche Unterschiede wichtig für die Entdeckung und Nutzung von Chancen. In einem
zweiten Schritt werden Rollen und Charakteristika von Unternehmern aus ökonomischer
und psychologischer Perspektive betrachtet.

3.3 Unternehmerische Gelegenheiten nutzen

77 Die treibende Kraft bei jedem Gründungsvorhaben ist immer der Unterneh-
mer.

Gelegenheitserkennung und -schaffung sind mittlerweile als Kernelemente von Entrepre-


neurship anerkannt. Ihre Erkennung kann entweder als a) Realisierung einer Gelegenheit zur
Gründung eines neuen Unternehmens oder b) als bedeutende Verbesserung der Stellung eines
bestehenden Unternehmens definiert werden [1]. Anfangs wird eine Gelegenheit meist von
einer einzelnen Person wahrgenommen, die dann entscheidet, ob sie allein oder gemeinsam
mit anderen die Idee weiterverfolgt. So wird ein Prozess neuer Wertgenerierung angestoßen,
wobei aus der Gelegenheit ein unternehmerisches Projekt wird. Wächst das Projekt, beginnt
es ab einem bestimmten Punkt, den Unternehmer einzuschränken. Da sich Unternehmer sehr
häufig über den Erfolg ihres Projektes definieren, beeinflusst das Projekt auch den Unter-
nehmer selbst. Das Projekt nimmt einen prominenten Platz im Leben des Unternehmers ein
(Aktivitäten, Ziele, Mittel, Interessen) und beeinflusst das soziale Netzwerk der Person. Zum
Beispiel sind angehende Unternehmer immer auf der Suche nach Ressourcen (Informationen,
Finanzen, Kontakte), die ihnen helfen können, ihr Gründungsvorhaben zu realisieren. Der
Unternehmer nutzt viele Facetten des Lebens, die normalerweise nicht mit dem Geschäft in
Verbindung gebracht werden, um so seine neue Unternehmung voranzubringen.

77 Entrepreneurship kann auch als Verknüpfung zwischen Entrepreneur und


Gelegenheit verstanden werden.

Daher wird Entrepreneurship häufig auch als Verknüpfung einer Person (des Entrepreneurs)
und einer Gelegenheit gesehen. Diese Verbindung wird als eine Dualität betrachtet, bei
68 3  Der Entrepreneur

welcher der Entrepreneur und die Gelegenheit nicht unabhängig voneinander existieren
und daher auch nicht unabhängig voneinander verstanden werden können. In ähnlicher
Form bezeichnen Bruyat und Julien [2] die Beziehung zwischen Individuum und Gele-
genheit als „dialogisch“ oder als System mit einer zirkulären Kausalitätsbeziehung. Auf
Entrepreneurship bezogen heißt dialogisch demzufolge, dass eine Person nur Entrepreneur
genannt werden kann, weil sie ein Projekt zur Kommerzialisierung eines neuen Produktes
oder Services verfolgt. Gleichzeitig existiert dieses unternehmerische Projekt nur, weil es
eine Person gibt, die diese Gelegenheit identifiziert hat und sie verfolgt.
In Kap. 2 haben wir zwei Ansätze präsentiert, die die Entstehung von unternehmerischen
Gelegenheiten beschreiben, den Entdeckungsansatz (discovery theory) und den Entste-
hungsansatz (creation theory). Nach dem Entdeckungsansatz existieren Gelegenheiten als
objektive und reale Phänomene, unabhängig von den Aktivitäten oder Wahrnehmungen
von Entrepreneuren. Demgegenüber geht der Entstehungsansatz davon aus, dass Gele-
genheiten nicht durch externe Veränderungen auf Märkten oder in Branchen, sondern erst
durch die Handlungen von Entrepreneuren selbst geschaffen werden. Diese beiden Ansätze
unterscheiden sich also in der Rolle, die dem Entrepreneur beigemessen wird. Der Ent-
deckungsansatz geht davon aus, dass der Unternehmer ein Entdecker ist, während beim
Entstehungsansatz der Unternehmer durch seine Entscheidungen und Handlungen zum
Schöpfer der unternehmerischen Gelegenheit wird.

3.3.1 Opportunitätskosten

Obwohl die Entdeckung einer Gelegenheit eine notwendige Voraussetzung für Entrepre-
neurship ist, gehört mehr dazu. Nachdem potenzielle Unternehmer eine Gelegenheit iden-
tifiziert und eingeschätzt haben, müssen sie entscheiden, ob sie die Gelegenheit nutzen
wollen. Warum, wann und wie gehen bestimmte Menschen, und nicht andere, den Gele-
genheiten nach, die sie entdeckt haben? Die Antwort liegt wiederum in den Charakteristika
des Individuums und der Art der Gelegenheit [3]. Unternehmer neigen dazu, Gelegenheiten
nachzugehen, von denen sie sich hohe Erfolgsaussichten versprechen. Diese Gelegenheiten
haben ein Gewinnpotenzial, das die Opportunitätskosten für entgangene Alternativen,
Geld, Zeit und Risiko, die in die Entwicklung des Projekts eingeflossen sind, kompensiert.
Gelegenheiten werden besonders dann genutzt, wenn Nachfrage und Gewinnmargen groß
sind, der Technologielebenszyklus am Anfang steht und der Wettbewerb in der Industrie
gering ist.

77 Die Chancenwahrnehmung wird unter anderem durch individuelle Unter-


schiede in den Bereichen Risikowahrnehmung und Optimismus beeinflusst.

Individuelle Unterschiede sind ein weiterer Erklärungsansatz. Zuerst ist festzustellen, dass
Individuen unterschiedliche Opportunitätskosten haben. Opportunitätskosten fallen an, weil
man eine bestimmte Alternative statt einer anderen gewählt hat. Wenn z. B. ein Angestellter
3.3  Unternehmerische Gelegenheiten nutzen 69

des öffentlichen Dienstes ein Unternehmen gründet, sind seine Opportunitätskosten das
Einkommen, das er als Angestellter erhalten hätte. Da das Einkommen von Person zu Person
variiert, wird auch die Attraktivität einer Gelegenheit unterschiedlich beurteilt. Zudem wird
die Entscheidung, unternehmerische Gelegenheiten auszunutzen, auch von individuellen
Unterschieden in Bezug auf Risikowahrnehmung, Optimismus, Leistungsmotivation und
Toleranz gegenüber Ungewissheit abhängen. Die verschiedenen psychologischen Charak-
teristika des Unternehmers werden später im Kapitel (Abschn. 3.5.3) detailliert behandelt.

3.3.2 Risk-return-Analyse

Die klassische Risk-return-Analyse wird häufig als Methode beschrieben, die einer Per-
son hilft, die Entscheidung zu treffen, ob sie als Unternehmer tätig werden sollte. Hierbei
werden angehende Unternehmer vor die Aufgabe gestellt, den Net Present Value (NPV)
zukünftiger risikobereinigter Erträge zu kalkulieren und gleichzeitig die Opportunitäts-
kosten in Form des eigenen Arbeitsmarktwerts zu berücksichtigen. Campbell hält hierzu
beispielsweise fest, dass „an individual’s decision whether to become an entrepreneur will
be based upon a comparison of the expected reward to entrepreneurship and the reward to
the best alternative use of his [or her] time“ [4].

3.3.3 Realoptionsanalyse

Unlängst wurde ein weiterer Ansatz entwickelt, der auf realen Optionen basiert. Dieser
beschreibt eine Alternative oder Wahlmöglichkeit, die zusammen mit einer unternehmeri-
schen Investitionsmöglichkeit auftritt. Die Realoptionsanalyse ermöglicht Entscheidungs-
trägern, Investitionsmöglichkeiten dann genauer zu kalkulieren, wenn Investitionen in
einzelne Abschnitte unterteilt werden können. Die Realoptionstheorie befasst sich mit
Investitionsklassen bei realen Vermögenswerten, die in ihrer Struktur vergleichbar mit
Finanzoptionen sind. So wie auch der Kauf eines Optionsvertrags das Recht, aber nicht
die Verpflichtung enthält, das dem Vertrag zugrunde liegende Anlagegut zu kaufen, so
beinhalten Realoptionsinvestitionen die Möglichkeit, die Investition fortzuführen.
McGrath unterstreicht die Bedeutung des Ansatzes, unternehmerische Investitionen
durch die Linse der realen Optionen zu betrachten: „if investments are staged so that expen-
ditures end under poor conditions, losses can be contained“ [5]. Die Kosten eines Versagens
sind somit limitiert auf die Kosten für die Schaffung der realen Optionen abzüglich des
verbleibenden Optionswerts. Sollte es sich zeigen, dass die Bedingungen vorteilhaft sind,
können weitere Investitionen getätigt und die Option somit ausgeübt werden. Die Logik der
Realoptionsanalyse betont, dass das Schlüsselthema nicht die Vermeidung von Misserfolg,
sondern das Managen der Kosten eines Misserfolgs ist. Dies geschieht, indem die Zeit, in
der man Risiken ausgesetzt ist, verkürzt und gleichzeitig der Zugang zu attraktiven Oppor-
tunitäten und Gewinnmaximierung bewahrt wird. Dies bedeutet folglich, dass schrittweise
70 3  Der Entrepreneur

auf sich ändernde Projektrisiken eingegangen wird, wenn in ein Unternehmen investiert
wird, um stets flexibel und angemessen auf geänderte Risiken reagieren zu können.

3.3.4 Affordable Loss

Ein weiterer Ansatz basiert auf der Idee des Affordable Loss (leistbarer Verlust). Das
Konzept des Affordable Loss rät Individuen, eine unternehmerische Gelegenheit auf der
Grundlage eines Verlustes zu verfolgen, der zwar nur möglicherweise eintritt, der aber zu
verkraften wäre und mit dem man sich bereits abgefunden hat.
Die Schätzung des leistbaren Verlusts hängt hierbei nicht von der unternehmerischen
Gelegenheit ab, sondern unterscheidet sich von Unternehmer zu Unternehmer und sogar je
nach Lebensabschnitt und -verhältnissen eines Unternehmers. Indem der leistbare Verlust
geschätzt und somit die Entscheidung bezüglich der zu verfolgenden unternehmerischen
Gelegenheit gefällt wird, reduzieren Individuen ihre Abhängigkeit von Prognosen.
„To calculate expected returns, we have to estimate future sales and possible risks that
constitute our cost of capital, and then raise enough money to launch the business venture.
To calculate affordable loss, all we need to know is our current financial condition and a
psychological estimate of our commitment in terms of worst-case scenario.“ [6]

3.3.5 Auslöser und Barrieren für die Unternehmensgründung

Es gibt verschiedene Beweggründe, warum Personen die Gründung eines Unternehmens


vorantreiben. Neben monetären Motiven spielen vor allem auch das Streben nach Selbst-
verwirklichung, Innovativität und Unabhängigkeit eine Rolle [7, 8, 9].

• Selbstverwirklichung: Viele Personen wollen mit der Gründung eines Unternehmens


eigene Ziele und Träume verwirklichen. Sie suchen eine Herausforderung und wollen
als Person wachsen.
• Materielle Entlohnung: Viele Unternehmer gründen ihre eigene Unternehmung, weil
sie ihrem Einsatz entsprechend entlohnt werden möchten und ihnen die potenziel-
len finanziellen Anreize attraktiv erscheinen. Ein Unternehmen zu gründen oder zu
kaufen, kann zudem für Personen mit größeren Ersparnissen eine interessante Option
darstellen.
• Innovation: Auf die Frage, warum sie eine Unternehmung gründen wollen, antworten
viele Unternehmer mit Begründungen wie „um etwas Neues zu schaffen“ oder „um
eine innovative Produktidee zu entwickeln“. Zusammengenommen sprechen daraus
der Wunsch und die Fähigkeit, etwas Neues zu schaffen.
• Streben nach Unabhängigkeit: Unternehmer wollen unabhängig sein, an einem Ort
ihrer Wahl arbeiten und ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen. Nicht zuletzt wollen sie
„ihr eigener Chef“ sein.
3.4  Unternehmerprofile verstehen 71

Die obige Aufzählung zeigt auch, dass sich die Motive von Gründern nur marginal von
den Karrieremotiven von Nicht-Gründern unterscheiden. Dies deutet darauf hin, dass
letztendlich sehr viele Menschen zur Gründung eines Unternehmens bereit wären, es
aber immer einen konkreten Auslöser braucht, damit tatsächlich Gründungsaktivitäten
aufgenommen werden. Einschneidende Ereignisse wie eine Kündigung, Frustration am
Arbeitsplatz, ein Universitätsabschluss oder eine Erbschaft können ein solcher Auslöser
für eine Unternehmensgründung sein. Shapero und Sokol sprechen hierbei von „entre-
preneurial events“ [10].

77 Fehlende Ressourcen, Konformitätskosten und Versagensängste stellen Barrie-


ren für den erfolgreichen Aufbau eines Unternehmens dar.

Eine Unternehmensgründung kann ein langer und schwieriger Prozess sein, der neben po-
sitiven Entwicklungen auch Rückschläge und Barrieren mit sich bringt. Sind die Barrieren
zu hoch, verfolgen manche Unternehmer die Chance nicht weiter. Dabei sind folgende
Barrieren besonders häufig anzutreffen:

• Fehlende Ressourcen: Manche angehenden Unternehmer besitzen nicht die nötigen


Marketing- und Managementfähigkeiten. Diese persönlichen Unzulänglichkeiten wer-
den durch fehlende Informationen über Start-ups und die Schwierigkeit, Finanzmittel
zu finden, noch verstärkt.
• Konformitätskosten: Hohe Steuern und weitere Kosten, die anfallen, um Gesetze und
Vorschriften zu erfüllen, werden als großes Hindernis empfunden. Solche Konformi-
tätskosten werden oft auch als „red tape“ bezeichnet.
• Realität: Ein Unternehmen zu gründen, erweist sich oft als schwieriger und risiko-
reicher als ursprünglich erwartet. Da die Zukunft als sehr ungewiss wahrgenommen
wird, schleicht sich gerade in der Anfangsphase der Gründung ein Gefühl der Versa-
gensangst ein.

3.4 Unternehmerprofile verstehen

77 Ökonomen betrachten Unternehmer als Agenten des Wandels, die eine be-
stimmte Rolle wahrnehmen; Behavioristen betrachten Kreativität und Intuition
des Unternehmers.

Es ist schwierig, Unternehmer zu identifizieren, sie zu finden und festzustellen, was sie tun.
Ist der Handwerker, der Inhaber eines kleinen Geschäftes oder sogar der Manager einer
großen Firma ein Unternehmer? Findet man Unternehmer nur in der Privatwirtschaft oder
gibt es sie auch in Behörden oder Non-Profit-Organisationen? In diesem Abschnitt werden
die beiden Denkschulen behandelt, die sich mit Unternehmerprofilen befassen. Zum einen
gibt es die Ökonomen, die den Unternehmer als Agent des Wandels betrachten, der sich
72 3  Der Entrepreneur

auf bestimmte Rollen spezialisiert. Zum anderen gibt es die Behavioristen, die sich auf die
kreativen und intuitiven Charakteristika von Unternehmern konzentrieren. Des Weiteren
werden in den folgenden Abschnitten die verschiedenen Risiken präsentiert, die bei einer
Karriere als Unternehmer zu beachten sind, und relevante Erfolgsmessgrößen von Entre-
preneurship betrachtet.

3.4.1 Die Rollen der Unternehmer – Eine ökonomische Perspektive

Aus ökonomischer Perspektive ist Entrepreneurship eine Funktion. Um es mit den Worten
Cassons auszudrücken: „Der Unternehmer ist, was der Unternehmer tut.“ [11] Der Status
des Unternehmers kann dann hinsichtlich der Tätigkeiten analysiert werden, die er im
Rahmen seiner Funktion wahrnimmt. So kann der Unternehmer Risikoträger, Arbitrageur,
Innovator oder Koordinator knapper Ressourcen sein.

3.4.1.1 Der Unternehmer als Träger von Risiko

77 Unternehmer kaufen Ressourcen ein, bevor das Endprodukt der Arbeit ver-
kauft ist. Das macht sie zu Risikoträgern.

Cantillon [12] beschreibt den Unternehmer als eine Person, die einen bestimmten Preis
für ein Produkt bezahlt, um es für einen ungewissen Preis weiterzuverkaufen. Indem die
Person Entscheidungen über die Beschaffung und Nutzung von Ressourcen fällt, trägt sie
das unternehmerische Risiko. Gemäß dieser Perspektive sind z. B. Händler spezialisierte
Risikoträger. Auch Produzenten können Risikoträger sein, da sie Arbeitskraft einkaufen,
bevor das Endprodukt der Arbeit verkauft wird.
Von Risiko spricht man, wenn das Eintreten einer Reihe von unsicheren Ereignissen mit
einiger Wahrscheinlichkeit vorhergesehen werden kann. Der Unternehmer ist bereit, das
verbleibende Risiko zu tragen, das nicht kalkuliert und nicht in eine Versicherung überführt
werden kann. Unsicherheit, die weder vermieden noch versichert werden kann, ist nach
Knight die Quelle von Gewinn:
„Gewinn entsteht aus der inhärenten, absoluten Unvorhersehbarkeit der Dinge, einzig aus
dem Fakt, dass das Ergebnis menschlichen Handelns nicht vorhersehbar ist und letztlich sogar
Wahrscheinlichkeitsberechnungen unmöglich und bedeutungslos sind“ [13]1.

Wenn Menschen mit Unsicherheit konfrontiert sind, müssen sie sich auf ihr eigenes Urteil
verlassen, weil es keine verlässlichen externen Informationen gibt. Demnach basiert der
Gewinn letztlich auf dem guten Urteilsvermögen des Unternehmers.

1
Eigene Übersetzung.
3.4  Unternehmerprofile verstehen 73

3.4.1.2 Der Unternehmer als Arbitrageur

77 Unternehmer decken Preisunterschiede auf und nutzen sie.

Für andere Wirtschaftswissenschaftler [14] ist der Unternehmer die Hauptperson der Markt-
wirtschaft. In einem sich ständig ändernden Umfeld bewegen Unternehmer die Wirtschaft
durch Spekulation und Arbitrage zu ihrem Gleichgewicht hin. Die Hauptfunktion des Un-
ternehmers in diesem Kontext ist die Aufdeckung von Preisunterschieden. Wenn der Unter-
nehmer der Erste ist, der diese Preisunterschiede ausnutzt, kann er von einem temporären
Monopolgewinn profitieren. Gewinn ist hier also die Belohnung für das Erkennen einer
Marktchance und für die Funktion als Intermediär. Die Eintrittsfreiheit in den Markt sorgt
dann dafür, dass der Unternehmer mittelfristig einen normalen Gewinn erzielt.

3.4.2 Der Unternehmer als Innovator

77 Laut Schumpeter ist ein dynamisches Ungleichgewicht der Normalzustand


einer gesunden Wirtschaft.

Schumpeter [15] stellte sich gegen die traditionellen Wirtschaftswissenschaftler, die ver-
suchten, Ressourcen im stabilen Umfeld zu optimieren. Er ging davon aus, dass nicht
Gleichgewicht und Optimierung, sondern dynamisches Ungleichgewicht, wie es innovative
Unternehmer hervorbringen, der Normalzustand einer gesunden Wirtschaft ist. Demnach ist
der Unternehmer ein Innovator, der neue Kombinationen kreiert, neue Technologien oder
Produkte einführt, Exportmärkte entdeckt oder neue Arten von Institutionen wie Franchise
oder Joint Venture ins Leben ruft. Unternehmer sind nicht zwingend Innovatoren – sie
entwickeln Technologien nicht unbedingt selbst, erkennen aber deren kommerzielles Po-
tenzial. Auch tragen sie nicht das gesamte Risiko – diese Rolle wird oft mit einer Bank
oder anderen Finanzinvestoren geteilt.

3.4.2.1 Der Unternehmer als Koordinator knapper Ressourcen

77 Unternehmer sorgen dafür, dass Besitzer verschiedener Ressourcen diese zur


Gründung einer neuen Unternehmung einsetzen.

Say [16], ein weiterer Wirtschaftswissenschaftler, beschrieb den Unternehmer als Koor-
dinator und Leiter der Produktion. Die meisten Unternehmer haben zwar die Einsicht in
eine Chance und wissen sie zu beschreiben und zu erklären, jedoch haben nicht alle Zu-
gang zu den nötigen Ressourcen (z. B. Geld, Arbeit, Räumlichkeiten, Technologie). Daher
übernimmt der Unternehmer die wichtige Aufgabe, Besitzer verschiedener Ressourcen
davon zu überzeugen, einen Teil ihrer Ressourcen zur neuen Unternehmung beizusteu-
ern. Zudem koordiniert der Unternehmer in der Folge das Zusammenspiel akquirierter
74 3  Der Entrepreneur

Ressourcen [17]. Um die Aufgabe erfolgreich zu meistern, muss der Unternehmer über
ein gutes Urteilsvermögen verfügen, beharrlich sein und über genügend Wissen in der
Geschäftswelt verfügen.

3.4.3 Charakteristika von Unternehmern – Ein behavioristischer Ansatz

77 Leistungsmotivation, interne Kontrollüberzeugung und Risikofreudigkeit


kennzeichnen Unternehmer.

Die zweite Kategorie von Wissenschaftlern, die sich mit Unternehmern befassen, sind die
Behavioristen, einschließlich der Soziologen und Psychologen. Der Fokus früher Studien
zum Thema Entrepreneurship lag auf den psychologischen Charakteristika und der Per-
sönlichkeit des Individuums als Determinanten unternehmerischen Verhaltens. Typische
Charakteristika sind in Tab. 3.1 zusammengefasst [18].
Die Liste der diskutierten unternehmerischen Charakteristika ist zwar sehr lang, jedoch
weisen laut Forschungsliteratur lediglich drei der diskutierten Eigenschaften eine gute
Validität auf [19]: Leistungsmotivation, Selbstwirksamkeit und Risikoneigung.

3.4.3.1 Leistungsmotivation
Von allen psychologischen Faktoren, die mit der Gründung neuer Unternehmungen in
Verbindung gebracht wurden, hat die Leistungsbereitschaft die längste Tradition. Leis-
tungsbereitschaft – das Streben einer Person nach Exzellenz oder das Bedürfnis, sich in
Konkurrenzsituationen erfolgreich zu behaupten – ist ein Schlüsselattribut erfolgreicher
Unternehmer [20].

3.4.3.2 Selbstwirksamkeitserwartung

77 Effektive Unternehmer sind davon überzeugt, dass Ereignisse hauptsächlich


Resultate ihrer eigenen Handlungen sind.

Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung fragt nach der persönlichen Einschätzung


der eigenen Kompetenzen, allgemein mit Schwierigkeiten und Hürden im täglichen Leben
zurechtzukommen [21]. Eine Person mit einer hohen unternehmerischen Selbstwirksam-
keit hat die Erwartung, die mit einer Unternehmensgründung verbundenen Tätigkeiten
aufgrund der eigenen Kompetenzen auch bei Schwierigkeiten erfolgreich bewältigen zu
können. Unternehmensgründer sollten eine hohe unternehmerische Selbstwirksamkeit
aufweisen und davon überzeugt sein, dass es ihnen gelingen wird, ihr eigenes Unterneh-
men zu gründen.
Effektive Entrepreneure haben in der Regel eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung
sowie eine interne Kontrollüberzeugung. Menschen mit einer ausgeprägten internen Kon-
3.4  Unternehmerprofile verstehen 75

Tab. 3.1  Typische Charakteristika von Unternehmern

Selbstvertrauen Toleranz gegenüber Ungewissheit


Risikoneigung Aufnahmefähigkeit für Vorschläge
Flexibilität Dynamische Führungseigenschaften
Geistige Unabhängigkeit Initiative
Energie und Fleiß Einfallsreichtum
Arbeitsmoral Kommunikationsfähigkeit
Kreativität Beharrlichkeit
Leistungsmotivation Gewinnorientierung
Selbstwirksamkeitserwartung Weitsicht

trollüberzeugung glauben, Ereignisse, denen sie selbst ausgesetzt sind, kontrollieren zu


können. Dieses Attribut stimmt auch mit hoher Motivation und Streben nach Unabhän-
gigkeit überein.
Der internen Kontrollüberzeugung liegt das Konzept des „Ich als treibende Kraft“ zu-
grunde. Demnach kontrollieren die Gedanken eines Individuums seine Handlungen. Durch
Bewusstmachen dieser führenden Funktion können Menschen ihre Überzeugungen und
Motivationen positiv beeinflussen und somit letztendlich auch in gewissem Maße ihre
Leistung. Wie sehr ein Mensch glaubt, selbstbestimmt zu handeln, hängt davon ab, wie
sehr er sich die Quelle seines Antriebs und seiner persönlichen Kontrolle bewusst macht
[22]. Anders formuliert: Jeder hat es selbst in der Hand, seine Gedanken auf Leistung
und Ziele zu fokussieren und sich nicht durch Angst oder Gefühle der Unzulänglichkeit
abbringen zu lassen.

3.4.3.3 Risikoneigung

77 Unternehmer gehen kalkulierte Risiken ein und lernen, diese zu managen.

Obwohl Unternehmer keine Glücksspieler sind, zeichnen sie sich durch die Neigung aus,
kalkulierbare Risiken einzugehen. In einer Welt, die durch Veränderung, Risiko und Unge-
wissheit gekennzeichnet ist, sind Unternehmer diejenigen, die lernen, Risiko zu managen.
Zumindest teilweise tun sie das, indem sie einen Teil des Risikos auf andere (Investoren,
Banken, Partner, Kunden, Angestellte) verteilen. Die Neigung, Risiken einzugehen, wird
stark von kognitiver Heuristik beeinflusst. Obwohl Unternehmer nach eigener Wahrneh-
mung vielleicht nicht risikofreudiger sind als andere, neigen sie tatsächlich eher dazu,
Geschäftssituationen positiver einzuschätzen [23]. Während andere Menschen in einer
Situation wenig Potenzial sehen, sieht der Unternehmer darin eine Chance.
76 3  Der Entrepreneur

77 Unternehmer lassen sich keinem bestimmten Stereotyp zuordnen.

Die Suche nach den typischen Charakteristika, die einen Unternehmer ausmachen, konnte
jedoch die Frage, was Menschen dazu treibt, Unternehmungen zu gründen, nur teilweise
beantworten. Die Untersuchung des demografischen Hintergrunds von Unternehmern (Alter,
Geschlecht, vorherige Anstellung) war ein weiterer Versuch, Unternehmer und deren Hand-
lungen zu verstehen und ein Muster zu erkennen. Studien zeigen, dass Unternehmer eher
besser ausgebildete Menschen sind, deren Eltern bereits ein Unternehmen besaßen. Zudem
lassen sie sich eher dort nieder, wo sie bereits leben oder arbeiten. Die Gründung hat häufig
etwas mit ihrem bisherigen Tätigkeitsfeld zu tun. Die Ergebnisse dieser Studien waren je-
doch insgesamt nicht eindeutig [24], was allerdings wenig überraschend ist, da Unternehmer
als innovative und eigenwillige Menschen von vornherein keinem Stereotyp entsprechen.

Unternehmerprofil: Ali Jelveh, Christopher Blum – Die soziale Cloud für zu Hause
Im Jahre 2010 starteten Ali Jelveh und Christopher Blum mit der Realisierung ihrer
Geschäftsidee – Protonet, der Cloud für zu Hause. Die orangefarbene Box in der Größe
einer Kaffeedose ermöglicht „die Speicherung und den Austausch von Daten sowie die
Kommunikation im Team und vereint die Funktionen einer Cloud, eines Servers und
eines Social Networks“, sagt Blum. Die beiden Gründer eint die Vision, mit der kleinen
Box den Personal Server in die Häuser der Menschen zu bringen, so wie der Personal
Computer den Rechner vom Büro in den Privathaushalt gebracht hat.
Die von den Gründern entwickelte Software ermöglicht bis zu 50 Personen das Tei-
len von Daten. Diese können sich in themen- oder projektbezogenen Gruppen zusam-
menschließen und dort miteinander kommunizieren. Es ist außerdem möglich, Auf-
gaben zu verteilen sowie To-do-Listen zu erstellen und Termine zu koordinieren. In
einzelnen Gruppen können Kunden oder projektbezogene Mitarbeiter als externe Gäste
eingeladen und mit verschiedenen Berechtigungen ausgestattet werden. Protonet bietet
auch die Möglichkeit, private Chats oder Videoanrufe zu starten. „Wir können völlig
auf E-Mail und externe Cloud-Dienste verzichten“, erklärt Jelveh.
Die Hardware von Protonet entwickelten Jelveh und Blum zusammen mit dem
Industriedesigner David Burkhardt. Als Glücksfall entpuppte sich die weltweite Ge-
heimdienstaffäre, die den Durchbruch von Protonet einläutete. Datensicherheit war in
aller Munde, und durch die im November 2012 gestartete Crowdfunding-Kampagne
konnten innerhalb von 48 Minuten 200.000 Euro eingesammelt werden; so schnell
hatte sich noch niemals zuvor in Europa ein Start-up finanziert. „Das Wichtigste war
zu erkennen, dass die Leute, die bei einem Crowdinvestment ihr Geld in so ein Projekt
investieren, gar nicht so sehr auf Businesspläne schauen. Entscheidend ist vielmehr die
Vision, die ein Start-up hat“, stellt Blum fest.
Durch die Dezentralisierung der Datenspeicherung auf kleinere Einheiten werde man
als Ziel von Hackern und Geheimdiensten unattraktiver und die Massenüberwachung
des Informationsflusses werde erheblich erschwert, betont Jelveh. Dabei war Protonet
3.4  Unternehmerprofile verstehen 77

ursprünglich nicht als Vorreiter der Datensicherheit konzipiert, sondern als WG-Server,
auf dem sich die Mitbewohner Dateien und Nachrichten zuschicken können.
Die beiden Unternehmer lernten sich bei einem großen deutschen Social-Network-
Betreiber kennen, bei dem sie als leitende Entwickler arbeiteten. Als Hobby neben der
Arbeit begann Jelveh die Arbeit an Protonet, da ihm der Umgang der großen Cloud-
Anbieter mit den Daten der Nutzer, die analysiert und verwertet werden, nicht gefiel. Er
schrieb ein Konzept und schickte es an alle Entwickler seiner Arbeitsstätte. Zum ersten
Treffen kamen 16 Kollegen, zum zweiten nur noch Blum und Jelveh. Sie reichten die
Kündigung ein und machten sich an die Arbeit, um die unternehmerische Gelegenheit
zu nutzen.
Quelle: EXIST-news, 01/2014, S. 20–21, brandeins, 02/2015, S. 63–78 und www.
protonet.info

3.4.4 Das Gründerteam

Der Gründer als Einmann-Unternehmung ist längst nicht die Regel, da eine erfolgreiche
Gründung viele Talente und Fähigkeiten verlangt, die selten in einem Individuum vereint
sind. Besonders bei Gründungen mit großem Wachstumspotenzial, wie z. B. Unternehmen,
die Software entwickeln und verkaufen, sind Teamgründungen sogar sehr häufig [25]. Nicht
zuletzt messen Finanziers dem Gründerteam große Bedeutung bei, da bei neuen Unterneh-
men noch nicht auf vergangene unternehmerische Leistungen zurückgeblickt werden kann.

77 Gründerteams sind insbesondere bei Unternehmen mit einem hohen


Wachstumspotenzial notwendig, da unterschiedliche Talente und Fähigkeiten
benötigt werden.

Durch das Zusammenwirken mehrerer Menschen im Team entstehen viele Vorteile, da-
runter:

• Das Team verfügt insgesamt über eine größere Problemlösungskapazität, einen breite-
ren Erfahrungshorizont und ein größeres Wissensspektrum.
• Die einzelnen Teammitglieder können sich gegenseitig persönlich und fachlich wei-
terbringen (z. B. Einschätzen der Konkurrenzsituation, Entwicklung einer Marktein-
trittsstrategie).
• Der Austritt eines Teammitglieds kann besser verkraftet werden.
• Das Gefühl, allein zu sein, mit dem Gründer häufig zu kämpfen haben, taucht weniger
häufig auf.

77 Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit in Teams drohen bei Kompetenzun-


klarheiten und „Group-think“.
78 3  Der Entrepreneur

Untersuchungen haben gezeigt, dass in Frühphasen Venture Capital Funds ihre Investitions-
entscheidung vor allem von der Geschäftserfahrung des Gründerteams abhängig machen. In
der Folge erhalten viele Hochtechnologie-Gründungen keine Finanzierung, weil sie keine
erfahrenen Manager in ihrem Gründerteam haben. Inkubator- oder Vermittlungseinrich-
tungen versuchen, dieses Problem zu lösen, indem sie erfahrene Geschäftsführer für das
neue Unternehmen gewinnen. Während dies auf den ersten Blick als Lösungsmöglichkeit
erscheint, sollte bedacht werden, dass viele dieser erfahrenen Geschäftsführer die Gründung
auch schnell wieder verlassen. Die beste Lösung ist daher eindeutig ein erfahrenes Grün-
derteam. Wenn dieses allerdings nur durch das Anwerben von externen Geschäftsführern
möglich ist, kann sich dies auch zum Nachteil entwickeln. Möglicherweise sollten Investo-
ren daher lieber ein Coaching organisieren oder selbst anbieten, anstatt externe Fachkräfte
anzuwerben. Gründungsteams, die die notwendige Unterstützung erhalten, lernen schnell
und entwickeln sich gemeinsam in ein reifes Management-Team mit den nötigen Fähig-
keiten und Erfahrungen [26].
Für den Erfolg eines Start-ups sind sowohl der Teambildungsprozess als auch der Ar-
beitsmodus von Bedeutung. Letztlich ist es jedoch von der Art der Unternehmung abhängig,
ob tatsächlich ein Team notwendig ist.

3.4.4.1 Teambildungsprozess
Unternehmensgründungen werden normalerweise durch ein Kernteam oder eine Einzelper-
son angestoßen (Gründungsnukleus). Im Laufe der Zeit stoßen neue Teammitglieder hinzu,
sodass ein inneres und ein äußeres Team entstehen [27]. Eine vordringliche Aufgabe besteht
daher darin, neue Teammitglieder zu rekrutieren und zu integrieren. Bei der Bewertung von
Teams durch Risikokapitalgeber werden vor allem Erfahrungen in der relevanten Industrie,
eine Erfolg versprechende Mischung aus technischen und geschäftlichen Hintergründen der
Teammitglieder sowie Erfahrung in der Leitung von Teams als Erfolgsfaktoren für neue
Unternehmungen angesehen.

77 Teams arbeiten erst dann effektiv zusammen, wenn sie die Phasen „Forming“
und „Storming“ erfolgreich durchlaufen haben.

Teams, unabhängig davon, ob es sich um Gründungsteams oder andere Teams handelt,


durchlaufen einen Entwicklungsprozess, der als „forming, storming, norming, perfor-
ming“ beschrieben wird. In der „Formations-Phase“ kommen die Teammitglieder zu-
sammen. Vertrauen und Interaktion existieren noch nicht und die Leistung ist niedrig.
Deswegen besteht das Ziel darin, diese Phase möglichst schnell zu überwinden. Die
„Storming-Phase“ ist durch ein hohes Maß an Konflikten und Diskussionen gekenn-
zeichnet. Die einzelnen Mitglieder agieren zwar mehr, das Vertrauen untereinander ist
aber noch niedrig. Es liegt in der Verantwortung des jeweiligen Gründers bzw. Gründer-
teams, Vertrauen aufzubauen, Unterstützung zu geben und das Team zusammenwachsen
zu lassen. In der Phase des „Normings“ flauen die Konflikte ab und es entwickeln sich
wirkungsvolle Umgangsformen und Regeln, die das Team stärken und ihm erlauben,
3.4  Unternehmerprofile verstehen 79

effektiv zusammenzuarbeiten. Das Team ist umso effektiver, je besser die Normen von
allen akzeptiert werden [28]. In dieser Phase steigt die Leistungsfähigkeit des Teams, bis
es in der „Performing-Phase“ die volle Leistungsfähigkeit erreicht. Es gibt keine Regeln,
mit denen sich vorhersagen lässt, wie viel Zeit jede Phase in Anspruch nimmt. Das Ziel
sollte jedoch darin bestehen, möglichst lange in den Phasen „Norming“ und „Performing“
zu verbleiben. Veränderungen des Umfeldes können das Team in neuerliche „Forming“-
und „Storming-Phasen“ werfen.
Eine weitere Herausforderung für den führenden Gründer besteht darin festzustellen,
ob die Kommunikation im Team und der persönliche Bezug zum Unternehmen stimmen.
Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil in Start-ups generell eng zusammengearbeitet wird.
Aufgrund der engen Zusammenarbeit ist der Teambildungsprozess in jungen Unternehmen
durch ein intensives gegenseitiges Evaluieren gekennzeichnet.

3.4.4.2 Arbeitsweise

77 Der Umgang mit Konflikten ist eine wesentliche Herausforderung in Gründer-


teams.

Das Gründerteam muss schnell lernen, effektiv und effizient zusammenzuarbeiten. Dabei
geht es um eine sinnvolle Arbeitsteilung und -organisation, einen konstruktiven Umgang
miteinander und vor allem darum, wie im Team mit Konflikten umgegangen wird, die
eine unweigerliche Folge der oben geforderten Heterogenität sind. Die Arbeitsweise des
Teams wird auch vom Gründungsprozess beeinflusst, aus dem es selbst hervorgegangen
ist.
Es gibt eine Reihe nützlicher Verhaltensweisen, die es Teams erleichtern, erfolgreich
zusammenzuarbeiten. Diese sind unter anderem:

1. Konfliktkompetenz: Erfolgreiche Teams gehen mit Konflikten offen und ohne Verzö-
gerung um. Sinnvoll ist es, von Anfang an verbindliche Regeln aufzustellen, wie mit
Konflikten umgegangen werden soll.
2. Respekt für die Zeit der anderen: Dazu gehört beispielsweise, dass Meetings pünktlich
begonnen werden.
3. Zuhören: Zuhören können und offen sein für andere Meinungen und Vorschläge sind
wichtige Fähigkeiten in einem Team. Einfache Regeln sind z. B., andere ausreden zu
lassen und Urteile erst am Ende einer Aussage auszusprechen.
4. Wenig defensives Verhalten: Feedback ist nur nützlich, wenn es so gegeben wird, dass
die betreffende Person nicht in defensive Verhaltensweisen gedrängt wird.
5. Vollständige Beteiligung: Alle Teammitglieder müssen sich einbringen und beteiligen
können. Sowohl der Versuch Einzelner, Diskussionen zu dominieren, als auch der totale
Rückzug sind problematisch.
6. Ehrlichkeit: Ehrlichkeit ist sicherlich der wichtigste Punkt, um Konflikte im Team bei-
zulegen.
80 3  Der Entrepreneur

3.5 Was Entrepreneure tun: the Entrepreneur’s Job

Mit welchen Tätigkeiten verbringen Manager ihre Zeit? Um dies herauszufinden, begleitete
der Managementforscher und Vordenker Henry Mintzberg vor gut 40 Jahren mit einem
Notizblock und einem Aufnahmegerät US-amerikanische Topmanager aus verschiedenen
Branchen jeweils eine Woche lang durch ihren Arbeitsalltag. Dem Ansatz von Mintzberg
folgend, sind Volery et al. im Rahmen einer Studie für die Unternehmensberatung Ernst &
Young der Frage nachgegangen, womit Entrepreneure tatsächlich ihre Zeit verbringen [29].
Insgesamt wurden sechs Entrepreneure über einen Zeitraum von jeweils vier Tagen von
den Wissenschaftlern beobachtet. Dabei wurden sämtliche Aktivitäten mit dazugehörigen
Attributen wie Beginn und Ende der Aktivität, Ort, Teilnehmer etc. notiert. Im Folgenden
werden die Ergebnisse dieser Untersuchung dargestellt.

3.5.1 Arbeitszeiten und Arbeitsrhythmus

Im Durchschnitt arbeiteten die beobachteten Entrepreneure täglich 10,7 Stunden, ins-


gesamt also ca. 53 Stunden pro Arbeitswoche. Dazu kommen mitunter Arbeiten am
Wochenende und Reiseaktivitäten. Geschäftsrelevante Aktivitäten finden für alle Entre-
preneure auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten statt. Dazu gehören beispielsweise
Networking-Events oder Ausstellungen und Messen. Solche Termine bringen häufig
Reiseaktivitäten mit sich, auch nach Übersee, und erhöhen so schnell die Anzahl der
Arbeitsstunden.

77 Der Großteil durchgeführter Aktivitäten dauert 5 Minuten oder weniger.

Die Entrepreneure arbeiteten an einer Vielzahl von Aktivitäten, wobei die Beschäftigung
mit einer Aktivität meistens sehr kurz war. Das Arbeiten lässt sich beim Großteil der beob-
achteten Unternehmer am besten mit „fragmentiert“ beschreiben. Im Durchschnitt führten
die beobachteten Entrepreneure 85 Aktivitäten pro Tag durch, wobei 71 % dieser Aktivi-
täten fünf Minuten oder weniger in Anspruch nahmen. Lediglich 15 % aller Aktivitäten
dauerten länger als zehn Minuten, und häufig wurden auch diese Phasen durch eingehende
Anrufe, E-Mail-Nachrichten oder ins Büro eintretende Personen unterbrochen.
Ein hoher Anteil der Aktivitäten wurde von den Entrepreneuren selbst initiiert: Mehr
als 80 % der Impulse für neue Handlungen gehen vom Entrepreneur selbst aus. Dabei
kann es sich um selbstgetätigte Anrufe, ein geplantes Meeting, eine Ad-hoc-Besprechung
mit einem Kollegen oder die Entscheidung handeln, E-Mails zu einem bestimmten Zeit-
punkt zu bearbeiten. Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung: Dieses Freiheitsgefühl
wird durch die Möglichkeit, das Büro zu jeder Zeit verlassen zu können und Tage frei-
zunehmen, unterstützt – auch wenn von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch gemacht
wird.
3.5  Was Entrepreneure tun: the Entrepreneur’s Job 81

3.5.2 Funktionen

Die Entrepreneure waren in allen Unternehmensbereichen aktiv, vom Einkauf bis zum
Verkauf der Produkte, von der Marktrecherche bis zum Controlling. Dennoch waren Ar-
beitsschwerpunkte zu erkennen. Berücksichtigt man den Zeitanteil, den die Entrepreneure
auf die verschiedenen Funktionsbereiche verwenden, lassen sich vor allem drei Bereiche
ausmachen, auf die sich die Unternehmer besonders konzentrieren: Organisations- und
Produktentwicklung (24 %), Marketing/Vertrieb/PR (18 %) und Personal (16 %).

3.5.3 Aktivitäten

Mit der Perspektive Aktivität wurde eine verhaltensorientierte Einteilung der Tätigkeiten
vorgenommen, die die Aktivität möglichst genau beschreibt, ohne ihren Zweck zu inter-
pretieren, und unabhängig davon, in welchen funktionalen Bereich die Aktivität fällt (z. B.
arbeitet analytisch, pflegt Beziehungen).

77 Entrepreneure können als „Information-Broker“ bezeichnet werden.

Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit verbrachten die Entrepreneure damit, über unterschied-
liche Medien und mit verschiedenen Kommunikationspartnern Informationen und Mei-
nungen auszutauschen (47 %). Dies geschah sowohl in Form von „asynchroner Kommu-
nikation“, bei der das Senden und Empfangen von Informationen, wie dies bei E-Mails der
Fall ist, zeitlich versetzt passiert, oder durch persönliche Gespräche mit einem oder mehr
Gesprächspartnern. Entrepreneure können folglich als „Information-Broker“ beschrieben
werden, die eine wichtige Informationsschnittstelle zwischen Umwelt (Kunden, Lieferan-
ten, Investoren, Partner, Bewerber) und interner Organisation (Mitarbeitende, Mitgründer,
Aufsichtsrat) darstellen.

3.5.4 Strategische versus operative Tätigkeiten

81 % der beobachteten Aktivitäten waren operativer, 19 % strategischer Natur. Als „strategisch“
wurden Aktivitäten dann gekennzeichnet, wenn sie potenziell signifikante und langfristige
Auswirkungen auf den Erfolg der Unternehmung haben könnten. Hierunter fällt beispielsweise
die Einstellung wichtiger Mitarbeitender, die Erarbeitung einer neuen Organisationsstruktur,
die Initiierung von Partnerschaften mit anderen Organisationen oder die Akquise von Eigen-
oder Fremdkapital. Operative Aktivitäten sind dagegen Aktivitäten, die im Zusammenhang
mit dem täglichen Geschäftsbetrieb stehen oder eher administrativer Natur sind.
Eine operative Aktivität dauerte durchschnittlich nur circa 5 Minuten, während strate-
gische Aktivitäten im Durchschnitt mehr als 17 Minuten einnahmen. Betrachtet man daher
82 3  Der Entrepreneur

die Gesamtzeit, die die jeweiligen Aktivitäten in Anspruch nehmen, so nehmen Aktivitäten
auf strategischer Ebene immerhin 43 % und operative Aktivitäten 57 % der Arbeitszeit ein.

3.5.5 Entrepreneure in unterschiedlichen Rollen

77 Unternehmer nehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen ein.

Wie können Unternehmer dafür sorgen, dass sie sich dennoch nicht im Detail verlieren,
sondern den Blick fürs Ganze bewahren? Bei der Analyse der Daten konnten verschiedene
Rollen identifiziert werden, in die die Unternehmer abwechselnd, teilweise auch zeitgleich,
hineinschlüpften. Die Unternehmer nehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen wahr.
In einigen Rollen sorgen sie dafür, dass das bestehende Geschäft reibungslos funktioniert,
während sie in anderen Rollen die Gestaltung der Zukunft vorantreiben.
Nicht alle Rollen müssen in jeder Phase des Unternehmens in gleicher zeitlicher Intensi-
tät wahrgenommen werden. Im Gegenteil: Erfolgreiche Entrepreneure verlegen ihren Fokus
im Laufe der Zeit auf die Rollen, mit denen sie die Zukunft der Organisation beeinflussen.
Je mehr Freiräume sich ein Entrepreneur für Aufgaben schaffen kann, die mit der Gestal-
tung des Unternehmens zu tun haben, und je reibungsloser das Tagesgeschäft funktioniert,
desto besser für die langfristige Unternehmensentwicklung.
Wie in Abb. 3.1 dargestellt, konnten insgesamt zehn verschiedene Rollen beobachtet
werden, die die Unternehmer einnehmen. Im Rahmen von jeweils drei Rollen kümmert sich
der Unternehmer um die Zukunftsgestaltung des Unternehmens (strategische Aufgaben/
Exploration) sowie um das „Daily Business“ (operative Aufgaben/Exploitation). Vier wei-
tere Rollen werden teilweise zur Einflussnahme auf operative, teilweise zur Einflussnahme
auf strategische Bereiche genutzt.

Abb. 3.1  Unterschiedliche Rollen der Entrepreneure [[29] S. 20]


3.5  Was Entrepreneure tun: the Entrepreneur’s Job 83

• Der Visionär: Als Visionär geben die Unternehmer die Richtung an, in die sich das
Unternehmen langfristig entwickeln soll. Möchte man Weltmarktführer in der eigenen
Nische werden? Möchte man Preisführer im Massengeschäft sein? Um ein Unterneh-
men in diese Richtung zu steuern, muss man die Vision jedoch auch kommunizieren
können. Es reicht nicht aus, die Visionen für sich im Kopf zu haben. Gute Unterneh-
mer haben starke Visionen, die sie mit ihren Mitarbeitenden teilen und mit denen sie
das Unternehmen in eine sinnvolle Richtung lenken.

77 Unternehmer sind ständig auf der Suche nach neuen Ideen.

• Der Entdecker: Unternehmertum heißt immer auch, neue Geschäftschancen zu erken-


nen und zu entwickeln, solche, die andere nicht als Chancen erkennen, häufig nicht
einmal die eigenen Mitarbeitenden. Unternehmer sind in ihrem Denken und Handeln
ständig damit beschäftigt, neue Absatzmärkte, neue Produkte, neue Dienstleistungen
oder gänzlich neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und zu implementieren.
• Der Steuermann: In der Rolle als Steuermann muss der Entrepreneur das Unter-
nehmen auf Kurs halten. Er muss überlegen, wie die Ziele erreicht werden können,
und die nächsten wegweisenden Schritte in Angriff nehmen. Sollen die Unterneh-
mensziele mit Partnerschaften erreicht werden oder mit organischem Wachstum?
Wenn Schwierigkeiten oder unerwartete Entwicklungen auftreten, muss er entschei-
den, ob und wie der Weg geändert werden soll.
• Der Infobroker: Der Unternehmer stellt einen „Informationshub“ im Unternehmen
dar. Über seine Mitarbeitenden, Partner und Netzwerke erhält er ständig Informatio-
nen und muss entscheiden, wer welche Information erhalten soll bzw. wie damit um-
zugehen ist. Für die Effektivität scheint es bei dieser Rolle entscheidend zu sein, dass
sich der Unternehmer nicht von den auf ihn einprasselnden Informationen regieren
lässt, sondern dass er selbst entscheidet, wann er welche Informationen aufnehmen
möchte. Nur wenige der beobachteten Unternehmer waren konsequent genug, ihr
Handy während eines Meetings auszuschalten oder dem Klick auf das Mailprogramm
bei einer eingehenden E-Mail zu widerstehen.
• Der Entscheider: Gut organisierte Unternehmer können sich auf wichtige und strate-
gische Entscheidungen konzentrieren, während ihre Mitarbeitenden über ausreichende
Kenntnisse und Freiräume verfügen, Entscheidungen des Tagesgeschäfts zu treffen.
Im besten Fall kümmern sich Unternehmer nur dann um Entscheidungen operativer
Natur, wenn es sich um außergewöhnlich große Aufträge oder besondere Kunden han-
delt oder wenn Schwierigkeiten auftreten. Es wird nicht im Detail zu regeln sein, was
nun beispielsweise einen „besonderen Kunden“ ausmacht oder wann von „Schwie-
rigkeiten“ die Rede ist. Wichtig ist jedoch, dass die Mitarbeitenden ein Gefühl dafür
entwickeln, wann der Unternehmer hinzugezogen werden sollte und wann nicht.
• Der Verkäufer: Unternehmer müssen verkaufen. Sie müssen ihre Produkte und
Dienstleistungen am Markt positionieren, und sie müssen ihre Ideen an Mitarbeitende,
Partner und Investoren „verkaufen“, um Ressourcen für ihre Organisation zu akquirie-
84 3  Der Entrepreneur

ren. Damit wirken sie als Verkäufer nach innen und nach außen. Bei den beobachteten
Unternehmern konnten wir eine hohe Kompetenz feststellen, anderen ihre Vorstellun-
gen und Ideen zu vermitteln, um diese mit ins Boot zu holen. Besonders gut waren die
Entrepreneure zudem darin, ihre Erwartungen sehr klar und deutlich zu umreißen und
ihre Unzufriedenheit auszudrücken, ohne dabei jedoch überzogen zu reagieren, wenn
diese nicht erfüllt wurden.

77 Ein diversifiziertes Netzwerk sorgt für neue Impulse.

• Der Netzwerker: Erfolgreiche Unternehmer verfügen über ein großes und diversi-
fiziertes Netzwerk. Sie treffen sich nicht nur mit Personen, die das Gleiche machen
wie sie, sondern auch mit Bekannten und Freunden, die aus ganz anderen Bereichen
und Branchen kommen, wobei es sich bei einigen Bekanntschaften durchaus um
lockere Kontakte handeln kann. Gerade durch die Vielfalt der Kontakte erhält der
Unternehmer neue Impulse und bewahrt sich letztlich eine gewisse Distanz zum
eigenen Geschäft. Wahrscheinlich liegt die Rolle des Netzwerkers dem Entrepre-
neur auch deshalb so gut, weil er sich vor allem durch Neugier und Lust auf Neues
auszeichnet.
• Der Front-Arbeiter: Einige der beobachteten Unternehmer sind regelmäßig an der
eigentlichen Leistungserstellung beteiligt, während andere nur in Ausnahmefällen
mitwirken und sich ein Unternehmer sogar komplett aus dem operativen Tagesge-
schäft herausgenommen hat. Unter „operativem Tagesgeschäft“ sollen hier alle Akti-
vitäten verstanden werden, die für die Erstellung, den Verkauf oder die Abrechnung
von Leistungen notwendig sind, zumindest soweit es sich nicht um außergewöhnliche
Aufträge oder Kunden handelt.
• Der Problemlöser: Trouble-Shooting – Wenn etwas nicht so läuft wie es laufen
soll, muss manchmal der Chef eingreifen. Und sei es nur, weil ein Kunde vom Chef
beruhigt werden möchte. Unternehmern gelingt Trouble-Shooting häufig sehr gut.
Nicht zuletzt, weil es sich um neue Situationen handelt, die so noch nie da gewesen
waren – eine Spezialität von Unternehmern. Nicht alle Probleme muss der Unterneh-
mer jedoch selbst lösen. Effektive Unternehmer merken, wenn sie zu einem Problem
gerufen werden, das eigentlich einer ihrer Mitarbeitenden lösen könnte, oder wenn
sich ein Mitarbeitender unter Umgehung seines direkten Vorgesetzten direkt an den
Chef wendet. In beiden Fällen kann es wichtig sein, das Problem nicht zu lösen, son-
dern den jeweiligen Mitarbeitenden oder, im zweiten Fall, den Vorgesetzten dabei zu
unterstützen, das Problem zu lösen.
• Der Controller: Als Controller achten Entrepreneure darauf, dass ihre Mitarbeitenden
sich auf die richtigen Ziele konzentrieren und diese erreichen. So berichten Mitar-
beitende beispielsweise in regelmäßigen Meetings über den Stand ihrer Arbeiten,
oder Abteilungsleiter evaluieren den Zielerreichungsgrad ihrer Abteilung (z. B. 80 %
erreicht/zufrieden). Nach unseren Beobachtungen haben effektive Unternehmer
3.6  Die Risiken einer Karriere als Unternehmer 85

implementierte Routinen, um die genannten Bereiche im Auge zu behalten. So gibt


es beispielsweise regelmäßige, straff geführte Meetings, in denen jeder Mitarbeitende
über den Stand seiner Aufgaben berichtet, oder einen regelmäßigen „Jour Fixe“ mit
dem Finanzchef.

3.6 Die Risiken einer Karriere als Unternehmer

77 Unternehmer müssen Risiken berücksichtigen und managen.

Das Leben eines Unternehmers wird gerne romantisch verklärt. Meistens bedeutet Un-
ternehmer zu sein allerdings nicht die von vielen Professoren, Politikern und der Bou-
levardpresse dargestellte einträgliche Erfahrung. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass
Selbstständigkeit zwar zu einem kurzzeitigen Anstieg der Berufszufriedenheit führt, Un-
ternehmer jedoch einen signifikanten Einkommensverlust hinnehmen müssen und weder
glücklicher noch gesünder werden. Aus diesem Grund sollten angehende Entrepreneure
ein angemessenes Bild der zu erwartenden Gegenleistungen haben, bevor sie ihr eigenes
Unternehmen gründen.
Will man eine Karriere als Unternehmer verfolgen, sollten zuvor vor allem die folgenden
vier Risiken bedacht werden: erstens finanzielle Risiken, zweitens Karriererisiken, drit-
tens soziale Risiken und viertens gesundheitliche Risiken. Alle potenziellen Unternehmer
müssen sich fragen, ob sie bereit sind, diese Risiken einzugehen, und sollten Strategien
entwickeln, diese Risiken zu minimieren.

3.6.1 Finanzielle Risiken

Typischerweise investieren Unternehmer große Summen ihres privaten Vermögens in die


Gründung. Sie binden ihre gesamten oder zumindest einen Teil ihrer Ersparnisse in der
Unternehmung. Sie müssen z. B eine Hypothek aufnehmen, um eine Sicherheit für zu-
sätzliches Kapital bieten zu können. Nach der Start-up-Phase werden meist alle Gewinne
reinvestiert, um das Geschäft auszubauen. Letztlich laufen Unternehmer im Falle einer
Insolvenz Gefahr, alles oder einen Teil des investierten Geldes zu verlieren.
Es gibt verschiedene Wege für Unternehmer, das finanzielle Risiko zu reduzieren. Eine
Strategie besteht darin, finanzielle Mittel von Banken, Partnern oder Risikokapitalgebern
zu leihen. Eine andere Möglichkeit stellt die Überschreibung des persönlichen Besitzes
auf den Partner dar, sodass zumindest dieser Besitz gesichert ist, auch wenn die Firma
Insolvenz anmelden muss. Die Wahl einer rechtlich günstigen Struktur kann das finanzielle
Risiko ebenfalls mindern. So bietet die Gründung einer juristischen Person, bei der die
Haftung beschränkt ist, beachtliche Vorteile bzgl. der Risikobegrenzung gegenüber einer
Personengesellschaft.
86 3  Der Entrepreneur

3.6.2 Karriererisiken

77 Die Gründung einer Unternehmung parallel zur alten Arbeitsstelle kann Karri-
ererisiken mindern.

Eine Frage, die sich viele potenzielle Unternehmer stellen, ist, ob sie im Falle des Schei-
terns eine Arbeit finden werden oder an ihre alte Stelle zurückkehren können. Vor allem
für gut bezahlte Berufstätige, die kurz vor der Pensionierung stehen, ist dies eine ernst zu
nehmende Sorge. Sie müssen sich fragen, ob sie bereit sind, ggf. eine weniger attraktive
Stelle zu akzeptieren, sollten sie wieder ins Angestelltenverhältnis wechseln wollen oder
müssen. Das Karriererisiko kann gemindert werden, indem man eine Unternehmung auf
Teilzeitbasis gründet, während man zunächst die alte Stelle behält.

3.6.3 Soziale Risiken

Eine Unternehmung zu gründen beansprucht viel Energie und Zeit seitens des Unterneh-
mers. Infolgedessen werden Familie und soziales Engagement wahrscheinlich zu kurz
kommen. Um Enttäuschungen und Vorwürfe zu vermeiden, sollte die Entscheidung, eine
Unternehmung zu gründen, daher gemeinsam mit der Familie getroffen werden.
Ein weiteres Risiko leitet sich aus dem Image gescheiterter Unternehmer ab. In manchen
Gesellschaften herrscht wenig Toleranz gegenüber Misserfolgen. Ein typisches Beispiel ist
kia su, „die Angst, zu verlieren“, die in der Kultur Singapurs vorherrscht. Sie beschreibt
eine Mentalität, in der Scheitern als Blamage angesehen wird, die Schande über die Familie
bringt.

3.6.4 Gesundheitliche Risiken

77 Eine Unternehmensgründung stellt die physische und psychische Belastbar-


keit auf die Probe.

Entrepreneurship ist eine harte Arbeit, nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Oft wird
das Leben eines Unternehmers von seiner Arbeit dominiert. Eine klare Trennung zwischen
Arbeit und Privatleben ist kaum zu erreichen, und ein normaler Arbeitstag kann schnell
zehn bis zwölf Stunden einnehmen. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmer unter hö-
herem Stress und mehr psychosomatischen Gesundheitsproblemen leiden als Menschen,
die nicht selbstständig sind [30]. Deswegen sollten sich potenzielle Unternehmer darüber
klar werden, ob sie den Anforderungen, die eine Gründung mit sich bringt, gesundheitlich
gewachsen sind.
3.7 Erfolgsmessgrößen 87

3.7 Erfolgsmessgrößen

77 Unternehmerisches Engagement muss sich in Form eines entsprechenden


Returns auszahlen.

Letztlich muss ein Unternehmen Gewinn erzielen, um im Markt zu bleiben. Unternehmer


müssen daher in der Lage sein, einfache standardisierte Größen zur Erfolgsmessung heran-
zuziehen. Die relevanten Kenngrößen für Unternehmer sind: erstens die absolute geschäft-
liche Performance, die einen Return für das unternehmerische Engagement einbringt, und
zweitens der soziale Beitrag des individuellen Engagements.
Eine hohe unternehmerische Leistung relativ zu anderen Unternehmen ist kein aus-
reichendes Erfolgsmaß, da der Gewinn größer sein muss als ein bestimmter Grenzwert,
um die individuellen Opportunitätskosten zu decken. Um den Break-even aus Sicht des
Unternehmers zu erreichen, muss der Gewinn die Kosten für entgangene Alternativen
(Opportunitätskosten) sowie das Geld, die Zeit und den Einsatz, die in die Unternehmung
geflossen sind (Liquiditätspremium), decken. Darüber hinaus müssen ein Risikopremium
sowie ein Premium für Unsicherheit gedeckt sein [31].

3.7.1 Opportunitätskosten

Ökonomen benutzen den Begriff Opportunitätskosten, um zu beschreiben, auf wie viel


Nutzen verzichtet wird, wenn eine bestimmte Handlungsoption einer anderen vorgezogen
wird [32]. Wenn sich ein Angestellter selbstständig macht, muss er z. B. ein reguläres
Einkommen und Ferien aufgeben. Opportunitätskosten sind besonders für gut bezahlte
Berufstätige wie beispielsweise Führungskräfte sehr hoch.

3.7.2 Liquiditätspremium

77 Die meisten potenziellen Unternehmer entwickeln das Geschäftskonzept auf


eigene Kosten.

Allgemein sind erhebliche Investitionen notwendig, um im unternehmerischen Prozess


Chancen zu bewerten und zu nutzen. Die meisten potenziellen Unternehmer investieren
ihr eigenes Geld in Pre-Start-up-Aktivitäten wie den Bau eines Prototyps oder eine Mark-
tuntersuchung durch professionelle Berater. Darüber hinaus investieren sie viel Energie
und einen Großteil ihrer Freizeit, um das Geschäftskonzept zu verbessern und die Besitzer
verschiedener Ressourcen (Venture Capitalists, Zulieferer, Kunden, potenzielle Angestellte)
zu überzeugen, sich am Geschäft zu beteiligen.
88 3  Der Entrepreneur

3.7.3 Risikopremium

77 Risiken sind Ereignisse, die mit einer messbaren Wahrscheinlichkeit eintreten.

Ökonomisch betrachtet bezeichnet Risiko die Möglichkeit eines Verlustes. Man spricht
von einem Risiko, wenn zukünftige Ereignisse mit einer messbaren Wahrscheinlichkeit
eintreten. Nach Knight [13] lassen sich Risiken messen, da es sich um Situationen handelt,
die schon mehrmals aufgetreten sind. Folglich können die Erfolgswahrscheinlichkeit und
das entsprechende Risikopremium berechnet werden. Wenn der Unternehmer z. B. ein
vielversprechendes Produkt (gute Testergebnisse) entwickelt hat, das durch ein Patent oder
ein eingetragenes Warenzeichen geschützt werden kann und auf einen bekannten Markt
zielt, ist das Risikopremium relativ gering.

Abb. 3.2  Erfolgsmessgrößen [31]


3.8  Fallstudie: Saustark Design 89

3.7.4 Unsicherheitspremium

Unsicherheit ist im Gegensatz zu Risiko nicht messbar und kann daher auch nicht durch
Versicherungen oder Ähnliches aufgefangen werden. Unsicherheit liegt vor, wenn die
Umstände weder auf rationaler Basis (weil sie zu irregulär sind) noch durch empirische
Beobachtung (weil sie einzigartig sind) analysiert werden können. Von Unsicherheit spricht
man demzufolge immer dann, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse
unbestimmt oder nicht kalkulierbar ist. Ein Unsicherheitspremium fällt besonders groß aus,
wenn der Unternehmer keine Erfahrung in der Industrie hat, für die das Produkt bestimmt
ist, oder das Produkt auf einer radikalen Innovation, d. h. neuen Technologien, beruht.
Wie in Abb. 3.2 dargestellt, stellen Ergebnisse, die kleiner sind als die Summe der
genannten vier Komponenten, einen Verlust für den Unternehmer dar, selbst wenn die
Summe weit größer ist als die Performance rivalisierender Firmen. Nur der Gewinn, der
über diesem Minimum liegt, kann als Lohn des Unternehmers angesehen werden.

3.8 Fallstudie: Saustark Design

77 Marie-Helen und Florian standen vor der Entscheidung, ob sie Saustark Design
weiterführen sollten.

Es war Anfang 2013, als Marie-Helen Hoffstaedter und Florian Hoffstaedter darüber nach-
dachten, wie die Zukunft ihres Start-ups aussehen sollte. Sie hatten im Februar 2011 Sau-
stark Design gegründet, eine Art Tuning-Shop für Ikea-Möbel. Über einen Onlineshop
wurde Kunden die Möglichkeit geboten, ihre Ikea-Möbel mithilfe von Accessoires und
Sitzbezügen zu individualisieren. Das Unternehmen verbuchte bereits konstante Verkäufe.
Allerdings wurde das Unternehmen nach wie vor eigenfinanziert. Die Umsätze reichten
nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Florian stand vor der Entscheidung, ob er als
selbstständiger Unternehmensberater weiterarbeiten oder sich gänzlich der Geschäftsfüh-
rung von Saustark Design widmen sollte. Marie-Helen musste entscheiden, ob sie in ihren
alten Job als Innenarchitektin zurückkehren sollte, um ein kalkulierbares Einkommen mit
einer gewissen Sicherheit zu haben, oder ob sie Unternehmerin sein wollte mit allen damit
verbundenen Risiken und Erfolgschancen.

3.8.1 Wie alles anfing

77 Vielleicht ließe sich mit der Individualisierung von Ikea-Möbeln ja Geld verdie-
nen.

Marie-Helen studierte an der TU München Architektur, als sie auf die Idee für Saustark
Design kam. Ihre Studentenwohnung hatte sie, wie viele ihrer Freunde auch, fast vollständig
90 3  Der Entrepreneur

mit Ikea-Möbeln eingerichtet. Sie mochte das reduzierte, skandinavische Design. Allerdings
vermisste sie die Individualität, und das klassische Design schien ihr doch irgendwann lang-
weilig zu sein. Sie begann, ihre Ikea-Möbel zu individualisieren: Sie bastelte Zierleisten für
das Regal, entwarf Griffe für ihren Schrank und nähte selbst Sesselbezüge. Ihre Freunde wa-
ren von den individualisierten Möbelstücken begeistert. Wenn Marie-Helen ihnen erzählte,
dass unter den Bezügen Ikea steckte, schüttelten viele nur ungläubig den Kopf. Auch viele
Freunde wollten ihre eigenen Ikea-Möbel verändern und individualisieren.
Die Idee zu Saustark Design begann sich langsam zu formen. Marie-Helen recherchierte
Marktzahlen von Ikea und ihr wurde bewusst, dass ein großes Marktpotenzial hinter ihrem
Hobby liegt. Denn die europäische Möbelbranche erzielt jährlich einen Umsatz von 40
bis 45 Mrd. EUR. Ikea ist in Deutschland mit einem Marktanteil von 13 % mit Abstand
Marktführer im Möbelhandel und erzielt einen Jahresumsatz von knapp 4 Mrd. EUR.
Der Gedanke, ein eigenes Unternehmen zu führen, war schon seit geraumer Zeit in ih-
rem Kopf herumgeschwirrt. So hatte sie während ihres Studiums bereits erste Gründungs-
erfahrung beim Zentrum für Innovation und Gründung der TU München sammeln können.
Im Jahre 2010 stand für Marie-Helen schließlich der Entschluss fest, ihr Hobby zu
professionalisieren und ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Unterstützung bekam sie
hierbei von ihrem Mann, Florian, der zu dieser Zeit im Business Development eines Un-
ternehmens, das auf den Bereich Wohnimmobilien spezialisiert war, arbeitete. Er hatte
einen Master in Marketing und Entrepreneurship gemacht und wollte vorerst nur beratend
zur Seite stehen, um weiterhin seiner Arbeit nachgehen zu können. Florian unterstützte
Marie-Helen insbesondere beim Entwurf des Businessplans. Bei einem sich positiv entwi-
ckelnden Unternehmensstart war angedacht, dass Florian später verstärkt im Unternehmen
mitarbeiten sollte.
Die Geschäftsidee war mit wenigen Worten zusammengefasst: Ikea-Möbel werden
durch passende Textilien und Accessoires individualisiert. Die Textilien sollten handge-
fertigt sein und somit das Möbelstück auch insgesamt aufwerten. Der Fokus sollte auf
hochwertigen Materialien und guter Verarbeitung liegen. Der Vertrieb sollte über einen
Onlineshop erfolgen.
Beim Markteintritt sollte sich das Sortiment vorerst auf abnehmbare und waschbare Sitz-
möbelbezüge beschränken. Mit zunehmendem Erfolg sollte allerdings rasch das Angebot
ausgebaut werden, um weitere Kunden anzusprechen.
Die Sitzbezüge müssten eine große Individualisierungsmöglichkeit bieten. Aus diesem
Grund durfte das Angebot von vornherein nicht zu eng gewählt werden. Vor einer Bestel-
lung sollte den Kunden die Möglichkeit gegeben werden, verschiedene Stoffproben kosten-
los anzufordern, um Qualität, Farbe und Struktur des Stoffes überprüfen zu können. Eine
getätigte Bestellung könnte dann direkt an eine Partner-Näherei übermittelt werden. Marie-
Helen und Florian wurden hierbei in Polen fündig: eine Näherei, die auf Heimtextilien und
Sitzmöbelbezüge spezialisiert war sowie günstig und trotzdem hochwertig produzierte.

77 Saustark Design sollte sich insbesondere an 25- bis 45-jährige Frauen mit mitt-
lerem Einkommen und einem Drang zur Individualisierung richten.
3.8  Fallstudie: Saustark Design 91

Als Zielgruppe wurden vornehmlich weibliche Ikea-Kunden zwischen 25 und 45 Jahren


identifiziert, die sich aufgrund einer neuen Lebenslage (Kinder, Tiere, sozialer Aufstieg)
oder einfach aus dem Drang nach Individualität für die Produkte von Saustark Design
entscheiden. Eine Vorliebe für klassisches, skandinavisches Design sowie ein mittleres
Einkommen wurden als weitere Kriterien festgelegt. Insbesondere in Ballungszentren, in
denen Ikea-Märkte zu finden sind, identifizierten Marie-Helen und Florian ihre Zielgruppe.
Um die Zielgruppe auch einzubinden, sollte es zusätzlich einen Blog geben, in dem
eigene Kreationen vorgeschlagen werden könnten. Auch war ein Votingbereich geplant,
in dem die Produktpalette mitbestimmt werden sollte.

3.8.2 Die Unternehmensgründung

77 Notwendiges Wissen für die Programmierung der Webseite musste extern


beschafft werden.

Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Saustark Design war die Programmierung
der Webseite sowie des Onlineshops, da der gesamte Vertrieb hierüber abgewickelt werden
sollte. Da weder Marie-Helen noch Florian über ausreichende Kenntnisse auf diesem Ge-
biet verfügten, engagierten sie eine auf Webdesign und Onlineshop-Systeme spezialisierte
Agentur, die auch gleichzeitig das Online-Marketing übernehmen sollte.
Da die Geschäftsidee zunehmend Gestalt annahm, fingen die beiden an zu überlegen,
welche Rechtsform sie dem zukünftigen Unternehmen geben wollten.

77 Sie entschieden sich für eine GmbH-Gründung.

Im Februar 2011 war es schließlich so weit. Marie-Helen gründete mit privaten Ersparnis-


sen die Saustark Design GmbH und wurde als einzige Gesellschafterin eingesetzt. Ein paar
Monate später wurde auch Florian, der mittlerweile als selbstständiger Unternehmensbera-
ter arbeitete, zum zweiten Geschäftsführer bestimmt. Unternehmenssitz wurde München.
Die beschränkte Haftung sorgt dafür, dass die GmbH nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen
haftet, ein Durchgriffsrecht auf das Privatvermögen der Gesellschafter besteht nicht. Durch
ihre Gründungserfahrung an der TU München war Marie-Helen bereits in Grundzügen mit
dem Gründungsprozess vertraut, sie wollte jedoch das Verfahren einer GmbH-Gründung
genau kennenlernen. Ein Grund für die gewählte Rechtsform war auch, dass der gute Ruf
einer deutschen GmbH genutzt werden sollte, um gegenüber Kunden Zuverlässigkeit und
Glaubwürdigkeit zu demonstrieren.
Im Mai 2011 ging schließlich die Webseite online. Als zusätzliche Unterstützung wurde
Tonia Nazmi engagiert, die sich von nun an um die Anliegen der Kunden sowie den Be-
stellprozess kümmerte.
92 3  Der Entrepreneur

3.8.3 Der Aufbau von Saustark Design

Eine große Herausforderung stellte das Marketing dar. Wie konnte man als kleines Un-
ternehmen mit einem geringen Budget dafür sorgen, dass möglichst schnell Bestellungen
eingehen und die Bekanntheit erhöht wird?

77 Auch mit einem kleinen Marketingbudget kann man Wirkung erzielen.

Zunächst wurden natürlich alle Freunde angesprochen, die bereits vor der Gründung von
den individualisierten Ikea-Möbeln Marie-Helens begeistert waren. Die Mund-zu-Mund-
Propaganda unter Freunden brachte die ersten Bestellungen. Als wichtigstes Marketing-
instrument wurde Google Adwords eingeführt. Man wollte bei Googles Suchergebnissen
rund um das Thema Ikea-Bezüge sehr präsent sein und somit näher an die Zielgruppe
heranrücken.
Des Weiteren wurde aktiv versucht, sich in den Massenmedien zu präsentieren. Nach
einem Bericht in der Sendung „Galileo“ von Pro7 wurde auch in der „WirtschaftsWoche“,
bei Bild.de und SpiegelOnline über Saustark Design berichtet. Artikel in Frauen- und Ein-
richtungsfachzeitschriften, wie „Lust auf Wohnen“, „Deco“, „selber machen“ oder „Freun-
din“, wurden eingesetzt, um gezielt die Anspruchsgruppe zu erreichen.

77 Google Adworks sowie Artikel in Frauen- und Einrichtungsfachzeitschriften


sollten ihnen dabei helfen, bekannt zu werden.

Auch der Blog auf der eigenen Webseite mit kreativen Ikea-Hacks (d. h. umgebaute
IKEA-Produkte) half bei der Positionierung des Unternehmens. Aus dem Blog wurde
sogar ein Buch gefertigt (Pimp your Home), in dem kreative Wohnideen mit Ikea prä-
sentiert werden.
Im sozialen Netzwerk Facebook gibt es mehrere Millionen Ikea-Fans, welche alle auf
Saustark Design aufmerksam gemacht werden sollten. Seit der Online-Schaltung des Fa-
cebook-Accounts von Saustark Design im Jahre 2011 hatten sich allerdings erst knapp
4000 Personen als Fans geoutet.
Anfang 2012 kontaktierten Anwälte von Ikea das Team von Saustark Design. Hierbei
ging es insbesondere darum, die Produktdarstellung sowie die Verwendung der Marke Ikea
zu klären. Marie-Helen und Florian hatten in Anlehnung an die MTV-Show „Pimp my
Ride“ mit dem Spruch „Pimp your Ikea“ geworben. Nachdem dieser Spruch entfernt und
weitere kleine Änderungen erfolgt waren, waren die Anwälte von Ikea zufrieden. Durch den
anwaltlichen Schriftverkehr konnten die Gründer auch die rechtliche Seite ihres Unterneh-
mens abschließend klären. Saustark Design wurde von nun an offiziell als „Tuning-Shop“
angesehen, ähnlich einem Autotuning-Shop oder Handyhüllenhersteller.
3.8  Fallstudie: Saustark Design 93

3.8.4 Die Konkurrenz

77 Es existierte bereits ein schwedisches Unternehmen, das Individualisierungs-


möglichkeiten von Ikea-Möbeln anbietet.

Laut Aussage von Marie-Helen und Florian sieht sich Saustark Design hauptsächlich zwei
Konkurrenten gegenübergestellt: Bemz und Ikea.
Bemz ist ein schwedisches Unternehmen mit Sitz in Stockholm, das 2004 gegründet
wurde. Es ist der direkte Wettbewerber und First Mover im Markt. Bemz bietet Heimtex-
tilien und abnehmbare Sofabezüge für die beliebtesten Ikea Polstermöbel an. Das Unter-
nehmen erzielt einen jährlichen Umsatz von ca. 5 Mio. EUR mit 14 Mitarbeitern. Seit 2009
vertreibt Bemz seine Produkte auch international in ca. 17 Ländern über einen Onlineshop.
Die Stoffe sind aus Naturmaterialien, sehr hochwertig und teilweise von namhaften Desi-
gnern. Preislich liegen die Bezüge über denen von Saustark Design.
Ikea bietet neben Polstermöbeln auch selbst Bezüge für die aktuellen Sitzmöbel an.
Trotzdem ist Ikea kein direkter Wettbewerber, da das Ikea-Geschäftsmodell mit dem von
Saustark Design nicht vergleichbar ist. Ikea produziert auf Masse und spricht weltweit
einen Massenmarkt mit standardisierten Produkten an, während Saustark Design auf Be-
stellung für einen Nischenmarkt produziert und so individuelle Wünsche umsetzen kann.
Neben Bemz und Ikea tummeln sich im Markt weitere Wettbewerber, von denen die
meisten aber eher kleinere Firmen ohne hohes Wachstumspotenzial sind, die nur eine klei-
nere Anzahl von Bezügen und Modellen anbieten können. Zu diesen zählen Comfort Works
(Australien), Cover Couch (Großbritannien), Villa Venga (Niederlande), Dekoria (Polen
und international), Herzers (Österreich) und Knesting (USA).
Als eine wesentliche Markteintrittsbarriere identifizierten Marie-Helen und Florian
große Mengen und eine große Anzahl von Modellen, da die Produktion bei vielen Modellen
und Stoffarten sehr komplex wird, sodass Fehler auftauchen können. Auch potenziert sich
die Anzahl der Produkte im Shop, für die zusätzliches Bildmaterial erstellt werden muss.
Zudem muss die Shopsoftware dann sehr komplexe Zusammenhänge abbilden können,
und es kann nicht auf Standardlösungen zurückgegriffen werden. Diese Überlegungen
wiederum brachten Marie-Helen und Florian zur Erkenntnis, dass ein rasches Wachstum
von Saustark Design notwendig wäre, um schnell eine signifikante Unternehmensgröße zu
erreichen und somit den Eintritt von Wettbewerbern zu verhindern.

3.8.5 Wie geht es weiter mit Saustark Design?

Aus der Sicht der Gründer gab es genügend Platz im Markt für das Angebot von Saustark
Design. In Deutschland waren die Startbedingungen sehr gut. Das Umsatzwachstum ent-
wickelte sich moderat, blieb jedoch hinter den Erwartungen der Gründer zurück. Nach wie
vor schrieb das Unternehmen rote Zahlen. Um den Break-even erreichen und Gewinne
schreiben zu könnten, müssten die Verkäufe enorm gesteigert werden. Gleichzeitig müssten
94 3  Der Entrepreneur

jedoch auch die personellen Kapazitäten erhöht werden. Bis jetzt wurde das Unternehmen
eigenfinanziert. Um das Marketing ausbauen, die Produktpalette erweitern und zusätzli-
che Mitarbeiter einstellen zu können, müsste frisches Kapital beschafft werden, das von
Marie-Helen und Florian allein nicht aufgebracht werden kann. Auf der anderen Seite gab
es im Bereich Marketing noch Dutzende von Möglichkeiten, die man ausschöpfen könnte.

77 Marie-Helen und Florian stehen vor großen Herausforderungen.


Neben Saustark Design hätten sie auch andere Chancen.

Sowohl Marie-Helen als auch Florian glaubten an die Geschäftsidee. Florian hätte allerdings
auch die Möglichkeit, sich verstärkt seiner Tätigkeit als selbstständiger Unternehmensbe-
rater zu widmen. Ob er trotz Doppelbelastung als Unternehmensberater und als Geschäfts-
führer von Saustark Design den Aufgaben bei Saustark Design gerecht werden könnte, war
fraglich. Er könnte sich auch vorstellen, sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen
und, wie zu Beginn der Unternehmensgründung, lediglich beratend für das Unternehmend
tätig zu sein. Marie-Helen würde sehr gerne ihre Geschäftsidee voranbringen. Sie könnte al-
lerdings auch wieder in ihre alte Arbeit als Innenarchitektin zurückkehren. Sie war sich nicht
sicher, ob sie den zukünftigen Aufgaben im Zweifelsfalle alleine gewachsen sein würde.

Fragen zur Fallstudie


1. Wie sind die Erfolgsaussichten von Saustark Design zu bewerten?
2. Nehmen wir an, Sie befinden sich in der Situation von Florian Hoffstaedter: Wie
würden Sie sich entscheiden? Welche Gründe sprechen für ein weiteres Engagement
bei Saustark Design? Welche Gründe sprechen dagegen?
3. Wurde die unternehmerische Gelegenheit entdeckt oder geschaffen? Oder anders
gefragt: Schafft die Gelegenheit die Entrepreneure oder schaffen die Entrepreneure
die Gelegenheit?

Diskussionsfragen
1. Inwiefern unterscheiden sich die Rollen des Entrepreneurs im Zusammenhang mit
dem Entstehungs- bzw. Entdeckungsansatz?
2. Inwiefern unterscheiden sich Chancen und Risiken von Entrepreneuren und Mana-
gern?
3. Inwiefern unterscheiden sich „The Manager’s Job“ und „The Entrepreneur’s Job“?
4. Welche Erfolgsmessgrößen müssen Unternehmer betrachten?

Quellen:
• https://www.seedmatch.de/startups/saustark-design-2/businessplan#project-navi
• https://www.seedmatch.de/startups/saustark-design
• http://blog.seedmatch.de/2015/02/25/neues-gewand-fuer-ikea-moebel/
Literatur 95

• http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/ikea-start-ups-bieten-tuning-fuer-moebel-
wie-billy-klippan-expedit-a-958287.html
• www.saustark.de

Literatur

Verwendete Literatur
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Weiterführende Literatur
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Innovation und Entrepreneurship
4

4
Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller, Thierry Volery
Unter Mitarbeit von Alexander Fust

Zusammenfassung
Innovation und Entrepreneurship sind eng miteinander verbunden. Denn erst der kre-
ative Unternehmer, dem es gelingt, seine Ideen und Vorstellungen über neue Prozesse,
Dienstleistungen oder Produkte in Innovationen zu transferieren und anschließend da-
mit auf dem Markt Nutzen für den Kunden zu kreieren, kann langfristig auf dem Markt
existieren. Deshalb konzentriert sich das vorliegende Kapitel auf fünf Bereiche:
Prozess: Von der Idee bis hin zur wettbewerbsorientierten Diffusion werden die
1. 
einzelnen Schritte mit den dazu unterstützenden Instrumenten erklärt.
Methoden: Kundenbedürfnisse können unterschiedlich erkannt werden. Es werden
2. 
Methoden wie Crowd Sourcing, Netnographie, User Entrepreneurship oder die
Kundenbeobachtung vorgestellt.
Lean Startup: Diese Methode ist eine praktikable und schlanke Möglichkeit, um
3. 
Geschäftsideen mit geringen finanziellen Mitteln und einem hohen Kundennutzen
zu erstellen.
Treiber für die Innovation: Beispielsweise werden hier Kreativitätsförderer wie die
4. 
Unternehmungskultur und Innovationsbarrieren im Unternehmen beschrieben.
Rolle des Unternehmers: Die zentrale Rolle des Unternehmers wird nebst den Stra-
5. 
tegie-, Prozess- und Strukturfaktoren als Innovator, Förderer und Integrator darge-
stellt.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_4 97
98 4  Innovation und Entrepreneurship

Lernziele
•• Sie können die zwei zentralen Elemente der Definition der Innovation nennen
und erklären.
•• Sie können die einzelnen Phasen des Innovationsprozesses darlegen.
•• Sie können verschiedene Methoden in den Phasen des Innovationsprozesses
ausführen und anwenden.
•• Sie können die Schritte von Lean Startup darstellen.
•• Sie können verschiedene Innovationsförderer und -barrieren erläutern.
•• Sie können auflisten, welche Instrumente die Unternehmerin und der Unterneh-
mer einsetzen kann, um die Innovationsfähigkeit im Unternehmen zu fördern.

4.1 Begriffserklärungen

77Kreativität:  Kreativität umschreibt die schöpferische Kraft, mit der Neuerungen (In-
novationen) oder Erfindungen (Inventionen) vorangetrieben werden.

77 Idee:  Die Idee ist eine geistige Vorstellung und stellt einen Lösungsansatz zu einem
Problem oder zur Behebung eines unbefriedigenden Sachverhalts dar.

77 Invention oder Erfindung:  Bei der Invention oder Erfindung geht es um den Prozess
der Wissensgenerierung durch Forschung und Entwicklung und die erstmalige technische,
soziale oder prozessuale Realisierung einer neuen Problemlösung.

77 Innovation:  Die erstmalige Anwendung einer neuen Problemlösung oder wiederho-


lender Problemlösungstechnik, die darauf gerichtet ist, Unternehmensziele auf neuartige
Weise zu erfüllen.

77 Innovationsmanagement:  Die Gestaltung, Entwicklung und Lenkung von Neuerun-


gen in einem Unternehmen oder einer Organisationseinheit. Das Innovationsmanagement
beschreibt die Begleitung des Akteurs von der (eigenen) Idee bis zur Einführung und (Wie-
der-)Etablierung der marktfähigen Erneuerung oder Erfindung.

77 Diffusion:  Verbreitung und Etablierung der Innovation auf dem Markt dank Kunden-
nachfrage.
4.2  Einführung zu Innovation und Unternehmertum 99

4.2 Einführung zu Innovation und Unternehmertum

77 Kreativität und Innovationswille kennzeichnen Unternehmer.

„Innovation und Entrepreneurship“ – der Titel des Kapitels umschreibt die enge Beziehung
zwischen der unternehmerischen Kraft und dem kreativen Geist, die sich vor allem in
Frühphasen von Innovationsprozessen ergeben. Die Innovation, das Tragen von Risiko,
das Entdecken, das Koordinieren sowie Umsetzen von neuen Chancen (Gelegenheiten,
Opportunitäten) im Markt sind wichtige Faktoren in diesem Prozess [1]. Beispielsweise
wird im Rahmen des GEM-Projekts [2] Unternehmertum als Prozess definiert, der die
Identifizierung, Evaluierung und Verwertung von Geschäftsmöglichkeiten umfasst. Bereits
die Diskussion über den Prozess veranschaulicht die angedeutet enge Beziehung zwischen
Innovation und Entrepreneurship; jede Innovation birgt in sich Risiken, die evaluiert wer-
den, Marktnischen, Ideen, Prozessverbesserungen, die entdeckt und koordiniert werden,
damit Innovationen in den Markt diffundieren können. Eine weitere Beziehung ergibt sich
durch den Charakter des Unternehmers, der als Akteur handelt und dadurch Neues etwa in
Form von Innovationen umsetzt. Somit werden Innovationen in vielen Facetten durch die
Persönlichkeit des Unternehmers geprägt. Deshalb wird im Laufe des Kapitels die enge
Verknüpfung zwischen unternehmerischem Agieren und innovativem Entwickeln des Un-
ternehmers dargestellt. Zunächst sollen einige definitorische Grundlagen zur Innovation
vorgestellt werden.
Es sind folgende Arten von Innovationen zu unterscheiden [3]:

• Geschäftsmodellinnovationen: Das Geschäftsmodell unterscheidet sich von bisher


bekannten Geschäftsmodellen in der Branche, indem den Kunden ein neuartiger Nut-
zen angeboten wird, die Leistung auf eine komplett andere Art erstellt wird und/oder
Erträge auf eine andere Art und Weise erwirtschaftet werden.
• Produkt- und Dienstleistungsinnovationen: Es werden neue Produkte und Dienstleis-
tungen im Markt eingeführt. In der Praxis findet oft eine Verschmelzung von Pro-
dukten und Dienstleistungen im Sinne von Leistungssystemen statt (z. B. Kauf von
Personenaufzügen inklusive Wartungs- und Sicherheitsverträge), die auch unterneh-
mensübergreifend gestaltet sein können.
• Prozess- und Verfahrensinnovation: Der Prozess der Faktorenkombination wird neu
gestaltet oder verändert. Dabei kann zwischen technologischen und administrativen
Prozessinnovationen unterschieden werden. Ein Beispiel für eine administrative Pro-
zessinnovation wäre etwa, dass Rechnungen nicht immer zeitaufwendig neu erstellt
werden müssen, sondern mit einem Mausklick generiert werden. Eine technische
Prozessverbesserung wäre etwa die Einführung des Lean-Production-Systems.
• Sozialinnovationen: Neue Interaktionen zwischen Menschen oder im normativen
Sinne „gut für die Gesellschaft und ihre Mitglieder“ mit dem Ziel, neue Lösungen für
gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen zu entwickeln [4]. Meist handelt
es sich dabei um neue Arten der Kommunikation oder Kooperation. Eng mit techni-
100 4  Innovation und Entrepreneurship

schen Innovationen (z. B. Workflow-Lösungen wie Lotus Notes oder Social Media
wie Facebook, Doodle, Xing usw.) werden soziale Innovationen beobachtbar, teils als
Begleiterscheinung, teils als Voraussetzung oder als Folge.

Der Innovationsbegriff kann des Weiteren durch vier Kriterien [5] umschrieben werden:

• Inhaltliche/objektive Dimension: Sie beschäftigt sich neben den Arten von Innovati-
onen mit dem Neuheitsgrad des veränderten oder erfundenen Leistungssystems oder
Prozesses. Als neu gilt in der Regel eine Problemlösung, die über den bisherigen
Erkenntnis- und Erfahrungsstand hinausgeht sowie zwei oder mehrere Disziplinen
miteinander verbindet. Der Neuheitsgrad kann dabei von imitierend über inkrementell
bis hin zu bahnbrechend und radikal reichen. Radikale Innovationen umschreiben
meist Innovationen, die nicht nur eine Markt-, sondern auch eine Technologieneuheit
beinhalten und das Kundenverhalten ändern können [6].
• Subjektive Dimension: Eine Neuerung kann für ein Individuum, eine Gruppe oder
eine Institution subjektiv neu sein, selbst dann, wenn sie von anderen bereits genutzt
wird. Diesbezüglich führt die EU-Kommission aus, dass die Innovation neu für das
Unternehmen oder neu für den Markt sein kann [7].
• Prozessuale Dimension: Der Anfang und das Ende der Neuerung im Prozessablauf wer-
den in den Unternehmen unterschiedlich definiert. Unbestritten ist, dass mindestens die
Phasen bis zur Markteinführung des neuen Produktes oder der neuen Dienstleistung als
Innovationsprozess definiert werden. Der Abschn. 4.4 enthält dazu mehr Ausführungen.
• Normative Dimension: Das Kriterium befasst sich mit der Frage, ob nur diejenigen
Neuerungen als innovativ gelten, die zu einer Verbesserung des bisher Vorhandenen
führen. Jedoch hängt die Beurteilung des Ausmaßes der Verbesserung vom Stand-
punkt des Betrachters ab.

77 Als Innovation wird die erstmalige wirtschaftliche Anwendung einer Problem-


lösung im Markt beschrieben.

Diese vier Dimensionen führen zu folgender Definition: „Unter Innovation ist die erstmalige
wirtschaftliche Anwendung einer neuen technischen, wirtschaftlichen, organisatorischen
und sozialen Problemlösung im Sinne einer ökonomischen Optimierung der Wissensverwer-
tung zu verstehen. Sie wirkt auf die neuartige Erfüllung der Unternehmensziele.“ [8] Inno-
vations- und Wissensmanagement stehen deshalb in enger Wechselwirkung zueinander. Sie
sind im Idealfall einer hohen Dynamik ausgesetzt und in die Leistungsprozesse integriert.
Die Vorstufe der Innovation ist die Idee oder die Invention: Die Idee stellt einen Lösungs-
ansatz zu einem Problem oder zur Behebung eines unbefriedigenden Sachverhalts dar. Bei
der Invention oder Erfindung geht es um den Prozess der Wissensgenerierung durch For-
schung und Entwicklung und die erstmalige technische Realisierung einer neuen Problemlö-
sung [8]. Die Innovation unterscheidet sich von ihnen, indem sie im Markt umgesetzt wird.
Bevor auf den Innovationsprozess eingegangen wird, soll zuerst die Rolle der Führung
im Rahmen des Innovationsmanagements betrachtet werden.
4.3 Innovationsmanagement 101

4.3 Innovationsmanagement

77 Innovationsmanagement soll aus Ideen markttaugliche Leistungen machen.

Das Innovationsmanagement verfolgt ein zentrales Ziel: Aus Ideen sollen markttaugliche
Leistungen entstehen. Das Innovationsmanagement umschreibt somit die Auseinander-
setzung der Führungsebene einer Unternehmung mit Innovationen. Es umfasst die strate-
gischen und operativen Aufgaben der Führung: die Planung, Entscheidung, Organisation
und Kontrolle der Innovationen [9]. Dabei stehen vier Aufgaben- und Problemfelder im
Zusammenhang mit Innovationen im Zentrum:

1. Die systemkonforme Integration der Innovation in die bestehenden Leistungen des Un-
ternehmens: Neben der Konformität mit dem bisherigen Sortiment und der Strategie
müssen sich die Beschäftigten mit der hinzugekommenen Produkt- oder Dienstleis-
tungsinnovation identifizieren können. Um diese Integration auch nach außen etablieren
zu können, ist ein Dialog mit den Anspruchsgruppen notwendig. So können Konsumen-
ten, Lieferanten und weitere Stakeholder in die Entscheidung integriert werden (siehe
Abschn. 4.4 zur Frühphase von Innovationsprozessen und Evaluation).

77 Damit sich Kunden und Mitarbeitende mit den neuen Leistungen identifizie-
ren, braucht es viel Dialog.

2. Wissenstransfer und Ausnutzung der Fähigkeiten der Mitarbeitenden: Die Kunden ha-
ben einen Wissensvorsprung gegenüber dem Anbieter in Bezug auf ihre Wünsche und
Bedürfnisse. Die Unternehmen brauchen daher relevante Informationen über ihre Kun-
den, um ihnen nutzenstiftende Angebote machen zu können [10]. Ein gut aufgebautes
Wissensmanagement, das die persönlichen Bedürfnisse, die Lebenserfahrungen und
-hintergründe der Kunden aufnimmt, wird dadurch umso wichtiger. Damit einhergehend
entstehen vielseitige Anforderungen an die Mitarbeitenden und die Führungskräfte, die
mit den Kunden kommunizieren, sowie an den Unternehmer selbst. Sich in den Kun-
den hineinversetzen zu können, seine Beweggründe und Gedanken beim Kauf oder bei
seinen Problemen zu verstehen, wird die Kommunikation mit dem Kunden beeinflus-
sen. Es soll eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, damit sich der Kunde
entfalten und seine Wünsche offenbaren kann. Diesen kommunikativen und sozialen
Kompetenzen soll schon bei der Mitarbeiterrekrutierung Beachtung geschenkt werden
[10]. Falls dieses Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen im Kundenkontakt
nicht vorhanden sind, bleibt viel Potenzial ungenutzt.

77 Wissens- und fähigkeitsbezogene Grundlagen verhindern die Imitation durch


die Konkurrenz.

3. Schutz vor Nachahmung der Konkurrenz: Je nach Integrationsgrad des Kunden in den
Innovationsprozess sind für ihn Produkt-, Dienstleistungs-, Prozess- und Sozialinnova-
102 4  Innovation und Entrepreneurship

tionen des Anbieters erkennbar. Die Kunden nehmen dabei nicht nur die Ergebnismerk-
male der Leistungen wahr, sondern lernen auch, die Prozess- und Potenzialmerkmale
der neuen Produkte zu beurteilen. Je transparenter diese Merkmale sind, desto weniger
kann die Innovation vor der Konkurrenz geschützt werden. Dies kann aber mit einem
faktischen Imitationsschutz kompensiert werden. Wissens- und fähigkeitsbezogene
Grundlagen, die verhindern, dass die Konkurrenz die neuartige Lösung übernimmt,
erschweren die Imitation [11].
4. Kooperation (Offene Strukturen, siehe dazu auch Open Innovation in Abschn. 12.2.3):
Obwohl oben der Schutz vor Imitationen erwähnt wurde, gehört die Handhabe von Inno-
vationskooperationen ebenfalls zu den Aufgaben des Innovationsmanagements. Integriert
ein Unternehmen beispielsweise ausgewählte Kunden in den Innovationsprozess oder ent-
wickelt ein Unternehmen zusammen mit Experten aus Wissenschaft und anderen Firmen
ein neues Produkt, müssen Rechte (geistiges Eigentum, Benutzerrechte) und Pflichten
(Produkthaftung, Vermarktung, Vertrieb usw.) geklärt werden. Ebenfalls verlangen Ko-
operationen von den Beteiligten Verständnis, Vertrauen und normative Spielregeln, die
immer wieder kommuniziert werden müssen. Wenn bei Innovationsprozessen eine aktive,
strategische Nutzung externer Gruppierungen stattfindet (siehe Ausführungen zu Open
Innovation in Abschn. 12.2.3 sowie zu Netnographie, Crowd Sourcing in Abschn. 4.4.1.1),
um das Innovationspotenzial zu erhöhen, muss das Management des Innovationsprozesses
klare Vorgaben, Rechte, Pflichten aber auch projektbegleitende Informationen und den
Abschluss des Innovationsprozesses kommunizieren und somit den Prozess führen [12].

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kundenbindung, Beziehungsmanagement,


Integration von Kunden in den Innovationsprozess und Reputation des Innovators eine
zentrale Rolle in Bezug auf den Erfolg einer Innovation spielen. Das normative und stra-
tegische Management sollte deshalb auf eine innovationsfreundliche Kultur ausgelegt sein.
Im Folgenden wird auf einzelne ausgewählte Punkte im Innovationsprozess eingegangen.

4.4 Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung


von Innovationenund Geschäftsideen

77 Die Realität folgt häufig nicht den idealtypischen Phasen des Innovations­
prozesses.

Der klassische und modellhafte Innovationsprozess kann grob in fünf verschiedene Phasen
eingeteilt werden [13]:

• Ideengewinnung,
• Ideenprüfung und -auswahl,
• Leistungsdesign und Plausibilitätstests durchführen,
• Prototyp in einem Testmarkt evaluieren (Produkt), Konzept testen (Dienstleistung),
• Einführung und Diffusion.
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 103

Das klassische Phasenmodell [14] des Innovationsprozesses wird auch kritisiert. Die Rea-
lität zeigt nämlich, dass in vielen Fällen der reale Innovationsprozess die Reihenfolge der
idealtypischen Phasen nicht einhält. Teilweise entstehen Iterationen zwischen den einzelnen
Phasen und über sie hinweg. Auch werden diese Prozesse in der Praxis nicht nur sequenzi-
ell, sondern auch parallel durchgeführt aufgrund des Drucks der verringerten time to market
(time to market = Zeit von der Entwicklung bis zur Markteinführung eines Produktes oder
einer Dienstleistung). Diese parallelen Prozesse sind zwar schneller, kosten dafür oft mehr
und brauchen zusätzliche Kommunikation.
Bei My-Innovation, einer Plattform für Kleinunternehmen, die im Rahmen des Interreg-
Projektes erstellt wurde, wird ein klar definierter Innovationsprozess vorgegeben, der sich
auf die Analyse, die Projektentwicklung und den Businessplan bezieht. Weitere Informa-
tionen unter www.my-innovation.ch.
Im Nachfolgenden wird vor allem der Frühphase von Innovationsprozessen ein be-
sonderes Gewicht verliehen, da sie für die nachfolgenden Phasen relevant ist (so zeigen
Studien, dass die Frühphasen eine besonders große Relevanz für den Erfolg von Innova-
tionen haben) [15].

4.4.1 Die zündende Idee in den Frühphasen von Innovationsprozessen

In einer Frühphase von Innovationsprozessen geht es darum, Opportunitäten zu erkennen,


sie zu analysieren und dann Ideen zu entwickeln, um diese Opportunitäten auszunutzen
[16].
Opportunitäten können aus verschiedenen Ursprüngen heraus entstehen, was in Ab-
schn. 2.3.2 ausgeführt wurde [17, 18, 19, 20, 21, 22]. Verschiedene Faktoren können dazu
führen, dass gewisse Personen diese Opportunitäten erkennen und andere nicht (siehe
Kap. 3). Studien zeigen, dass die Arbeitserfahrung und die Bildung des Unternehmers
einen Einfluss darauf haben, ob er eine Opportunität erkennt oder eben nicht (z. B. Vor-
wissen und Erfahrungen [23]). Zudem wird auch diskutiert, inwiefern Unternehmer sich
unterschiedlicher kognitiver Prozesse bedienen (z. B. Mustererkennung, kontrafaktisches
Denken oder unternehmerische Wachsamkeit [20, 24, 25]). Die Unternehmer nutzen ver-
schiedene Informationskanäle (z. B. Netzwerke), um zu diesen Informationen zu kommen
[26]. Nachfolgend werden die Informationskanäle vorgestellt, die Unternehmer nutzen.
Als Informationskanäle können zwei verschiedene Gruppen unterschieden werden –
interne und externe: Der Unternehmer, seine Führungscrew sowie Mitarbeitende gelten als
interne Quellen. Als externe Quellen dienen der Kunde, Lieferanten, Partnerunternehmen,
externe Berater, Treuhänder, Banken und öffentliche Institutionen wie Universitäten, Wirt-
schaftsförderer und Handelskammern.

4.4.1.1 Ideen von Kunden

77 Auch externe Personen wie Lieferanten, Kunden oder Partnerunternehmen


liefern Ideen für Innovationen.
104 4  Innovation und Entrepreneurship

Besonders (potenzielle) Kunden gelten als wichtiger Informationskanal für Unternehmer,


wenn es darum geht, die Kundenbedürfnisse zu erfassen und in entsprechende Lösungen
umzusetzen. Dazu werden verschiedene Methoden und Konzepte aufgelistet, die teilweise
auch kombiniert werden (können). Es werden verschiedene Konzepte wie Kundenfeed-
backs, Lead User, User Entrepreneurship, Crowd Sourcing, Kundenbeobachtungen und
Netnographie ausgeführt, um danach die Methodik von Lean Startups zu erläutern.
Eine einfache Form für bestehende Firmen, Feedback von Kunden zu erhalten, bieten
Plattformen des Meinungsaustausches: z. B. eine zu diesem Zweck eingerichtete E-Mail-
Adresse, ein Kontaktformular auf der Webseite, die Angabe einer speziellen Telefonnum-
mer, Kundenforen, Fokusgruppen (Gruppendiskussionen mit ausgewählten Kunden über
bestimmte Themen) [27]. Die zuletzt genannten Methoden können auch in späteren Pha-
sen des Innovationsprozesses eingesetzt werden. Eine weitere in der Praxis oft genutzte
Möglichkeit sind Reklamationen. Sie können als Chance für den Unternehmer angesehen
werden: Nur ein kleiner Teil der Kunden kommuniziert dem Unternehmen allfällige Pro-
bleme. Der Rest wechselt den Anbieter unausgesprochen. In diesem Zusammenhang zeigt
das Recovery Paradoxon, dass unzufriedene Kunden, deren Probleme gelöst werden, in
Zukunft loyaler und zufriedener sind als Kunden ohne solche Vorkommnisse [28].
Der Lead-User-Ansatz als ein weiteres Instrument nutzt die unterschiedlichen Persön-
lichkeitseigenschaften von Kunden [29]. Diese Kunden zeichnen sich durch folgende Cha-
rakteristiken aus:

• Sie erleben Bedürfnisse vor der Masse der Kunden und kennen den Markt und die
angebotenen Produkte und Dienstleistungen meist gut [30].
• Sie haben eine besondere Motivation, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Die Be-
reitschaft, in die Lösung zu investieren, korreliert mit dem erwarteten Nutzen der
Innovation [31].

Ein Unternehmen kann von diesem Wissen der Lead User profitieren, indem es auf ver-
schiedene Arten mit ihnen interagiert (siehe Auflistung). Das Wissen besteht entweder aus
Wissen über die Bedürfnisse der Kunden oder aus technologischem Wissen in Form von
konkreten Lösungen [32].

• Kundenworkshops: Meist übernehmen Externe die Moderation von Workshops, zu


denen Lead User und weitere Kunden zu einer Thematik Ideen generieren und sich
austauschen, um neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln.
• Toolkits: Es können Toolkits zur Verfügung gestellt werden, mit deren Hilfe Lead
User (oder auch andere Kunden) eigene Lösungskonzepte entwickeln [33]. So eruiert
beispielsweise die Porsche-Akademie zusammen mit ihren Kunden im Bereich
„Lean Production“ spezifische Montagekonzepte. Die Toolkits beinhalten standar-
disierte Abläufe oder Werkzeuge, mit deren Hilfe Kunden und die Ingenieure der
Porsche-Akademie neue Fertigungsabläufe festlegen [34]. Ein weiteres Beispiel
liefert Spreadshirt, das den Kunden das Designen von T-Shirts ermöglicht (http://
www.spreadshirt.com/).
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 105

Die Schwierigkeit liegt darin, diese Lead User zu identifizieren und das aus der Interaktion
entstandene Wissen zu schützen. Deshalb werden vielfach Kunden mit einbezogen, zu
denen der Unternehmer ein Vertrauensverhältnis hat.
Lead User gründen mitunter auch selbst Unternehmen, da sie mit bisherigen Marktleis-
tungen nicht zufrieden sind. Dies wird auch unter dem Begriff „User Entrepreneurship“
diskutiert. Nutzer von Produkten verändern diese Produkte nach ihrem Gutdünken und ent-
decken dadurch mehr zufällig eine mögliche Geschäftsidee. Freunde oder eine bestimmte
Community werden auf die verbesserte Lösung aufmerksam und generieren daraufhin eine
Nachfrage. Nach einer gewachsenen Nachfrage entscheiden sich User-Unternehmer, diese
Produkte zu kommerzialisieren, und gründen ein Unternehmen. In den USA zeigt sich, dass
mehr als die Hälfte der untersuchten Spielzeughersteller von User Entrepreneuren gegrün-
det wurde [35]. Ähnliches gilt für Kite Surfing, IT-Lösungen für Bibliotheken, Chirurgie
und Mountainbiker [36, 37, 38]. Es zeigte sich, dass diese User-Innovatoren vielfach von
der Community gratis Unterstützung erhielten [39].

Unternehmensportät: Freitag [40]


Die beiden Brüder Daniel (damals Freelance-Grafiker) und Markus Freitag (gelernter
Ausstellungs- und Dekorationsgestalter und damals Student an der Hochschule für
Gestaltung in Zürich) waren auf der Suche nach einer robusten, wasserdichten Um-
hängetasche, um in Zürich auch im Regen Fahrrad zu fahren. Beim Blick aus dem
Wohnungsfenster auf die Straße entstand die Idee, aus Lastwagenplanen Fahrradta-
schen selbst zu schneidern. In Handarbeit entstand zu Hause die erste Tasche mithilfe
von Planen, Fahrradschläuchen und Sicherheitsgurten. Diese Artikel waren Ergebnis
eines Brainstormings, das die beiden für Schaufensterdekorationen für einen Dritte-
Welt-Laden sammelten. Die Tasche fand bei Freunden und Bekannten großen An-
klang, wodurch eine frühindustrielle Nähmaschine angeschafft wurde und die Pro-
duktion in Heimarbeit aufgenommen wurde. Die ersten Verkaufsaktionen hatten den
Charakter von „Tupperwarepartys“, wobei die Taschen unter Kollegen und im kleinen
Kreis verkauft wurden. Nach und nach wuchsen auch die Vertriebskanäle. Heute ist
Freitag ein Unternehmen, das neben der Trendtasche noch weitere Utensilien aus Pla-
nen herstellt. Es war am Anfang weder beabsichtigt noch gewollt, aus der Idee ein
Geschäft zu machen.

Crowd Sourcing bezeichnet eine „Schwarmauslagerung“, d. h. die Auslagerung von gewis-
sen Unternehmensaufgaben auf sogenannte Freizeitarbeiter außerhalb des Unternehmens
(meist durch das Medium Internet) [41]. Diese Schwarmauslagerung wird überwiegend
durch Ideenwettbewerbe oder bestimmte Plattformen gewährleistet.

• Ideenwettbewerbe: Kundenwettbewerbe zeichnen die besten Ideen aus.


• Internet-Plattformen: Es gibt spezielle Internetplattformen wie etwa Atizo (www.
atizo.ch), Innocentive (www.innocentive.com) oder jovoto (www.jovoto.com), die in-
teressierten Unternehmen anbieten, dass Community-Mitglieder Ideen für bestimmte
106 4  Innovation und Entrepreneurship

Fragestellungen generieren. Diese Antworten werden dann bewertet (entweder durch


die Community-Mitglieder oder den Kunden). Migros hat etwa mit ihrem Service
Migipedia einen Ideenwettbewerb lanciert, um zu erfahren, welches Produkt oder
welche Dienstleistung Migros neu anbieten könnte.

Crowd Sourcing ist nicht ohne Nachteile. Neben der erwähnten eingeschränkten Schütz-
barkeit der Ideen in Kundeninteraktionen besteht auch die Gefahr, dass die Community/die
Kunden im Rahmen von Wettbewerben Ideen präferieren, die vom Unternehmen hingegen
nicht als prämierwürdig erachtet werden. Dies kann sogar in Shitstorms enden wie z. B.
bei Pril von Henkel [42].
Die Kundenbeobachtung respektive die Experimentalforschung mit dem Kunden sind
weitere Methoden. Das Verhalten und die Empfindungen des Kunden werden anhand von
Tests im Labor erforscht und ausgewertet. Dadurch ergeben sich neue Erkenntnisse bei-
spielsweise über das Entscheidungsverhalten des Kunden. Eng damit verbunden sind Kun-
denbeobachtungen (Scoutings) [43]. Kunden werden in ihrem Verhalten beobachtet: Wie
nutzen sie das Produkt oder die Dienstleistung? Wie verhält sich die eigene Software in
Verbindung mit anderen? Zu welchem Zweck wird das Produkt verwendet?
Eine neuere Form, die Kundenprobleme zu erfassen ist Netnographie [44]. Die Me-
thode der Netnographie setzt sich aus den Begriffen „Internet“ und „Ethnographie“
zusammen. Durch die eigene Beteiligung des Unternehmers als Forscher (Ethnogra-
phie) wird das Verhalten von Gruppen und ihren Mitgliedern im Internet beobachtet.
Für den Forscher stehen nicht die Personen im Zentrum, sondern die soziale Interaktion
im Internet. Es werden Daten aus Online-Communities genutzt, um mehr über die Be-
dürfnisse der Kunden herauszufinden. In diesen Blogs, Community-Foren und weiteren
Austauschplattformen werden Probleme und Schwierigkeiten im Umgang mit Produkten
und Dienstleistungen von den Nutzern dargelegt und auch Möglichkeiten zur Lösung
dieser Probleme diskutiert (z. B. www.chefkoch.de für Köche oder www.ilounge.com
für den iPod) [45]. Dieser Prozess wurde zum Beispiel in verschiedenen Basketball-
Communities für die Entwicklung von neuen Schuhen oder in der Kosmetikindustrie
erfolgreich ausgeführt [46].

77 Lean Startup ist eine Methodik, wie Unternehmer schnell und schlank Kunden-
feedback einholen, um den Kunden mit ihren Produkten und Dienstleistungen
einen größeren Nutzen zu bieten.

Eine weitere aktuelle Methodik, um die Kundenbedürfnisse herauszufinden, ist Lean Star-
tup. Was haben Zappos (www.zappos.com) und Dropbox (www.dropbox.com) u. a. ge-
meinsam? Beide Geschäftsideen wurden mit der Methodik von Lean Startup gegründet.
Lean Startup bedient sich dreier Schritte (siehe Abb. 4.1; [47]):

1. Aus einer Geschäftsidee soll möglichst schnell ein Prototyp entwickelt werden mit Mi-
nimalanforderung für die Kunden (ein sogenanntes „Minimum Viable Product (MVP)“).
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 107

Lernen vom
Idee
Feedback:
anpassen oder Prototyp mit
beibehalten Mindest-
anforderungen
bauen

Daten
(z.B. von Kunden) Prototyp (MVP)

These entwickeln und messen

Abb. 4.1  Lean Startup (Ries, 2014) [47]

Es geht darum, möglichst schnell mit einer bestehenden Lösung zu den Kunden zu gehen
und Feedback abzuholen. Diese Lösung soll nicht perfekt sein.
2. In einem weiteren Schritt werden Thesen aufgestellt, die es durch Testen beim Kunden
zu prüfen gilt (Feedback und Datenerhebung). Als Feedbackgeber können mögliche
Lieferanten, Marktexperten, (potenzielle) Kunden dienen. Es sollen auch naive Fragen
gestellt werden, um mehr zu erfahren. Unserer Erfahrung nach sind viele Menschen
bereit, Ihnen Auskunft zu geben. Sprechen Sie mit möglichst vielen Leuten. Es empfiehlt
sich nicht, nur Freunde zu fragen, denn sie könnten sozial erwünscht antworten, um
Sie nicht zu verletzen. Fremde sind oft ehrlicher und Sie brauchen ehrliches Feedback
[48]. Für KMU empfiehlt es sich, mit dem Prototyp zu Early Adopters zu gehen. Das
sind Kunden, die Leistungen als Erste ausprobieren möchten. Sie mögen Fehler dieser
neuen Leistungen auch eher verzeihen als der Durchschnittskunde.
3. Je nach Resultat des Feedbacks werden die Thesen verworfen oder beibehalten und
somit wird der Prototyp (MVP) angepasst oder mit bestimmten Eigenschaften belassen.
Oft zeigt sich, dass Sie selbst verliebt in Ihre Geschäftsidee sind und blind vor Liebe
Ihre Leistung nicht mit dem Blick des Kunden wahrnehmen. Sind die Aspekte, die Sie
überzeugen, wirklich auch jene, die Ihre Kunden überzeugen?

Beispiel
Was haben nun Zappos und Dropbox gemacht? Zappos Gründer Nick Swinmurn wollte
die These testen, ob Kunden Schuhe online kaufen würden (www.zappos.com). Dazu
erstellte er einen einfachen Webshop, stellte Fotos von Schuhen aus nahe gelegenen
Schuhläden aus und testete, ob sie gekauft wurden. Sobald die Schuhe von Kunden
bestellt wurden, kaufte Nick Swinmurn dieses Paar Schuhe im entsprechenden Schuh-
laden zum vollen Preis und verschickte es. Mit diesem Verfahren konnte er diese The-
se schnell, einfach und günstig testen. Dropbox Gründer Drew Houston und Arash
Ferdowsi wollten möglichst schnell Kundenfeedbacks zu ihrem Dienst haben (www.
108 4  Innovation und Entrepreneurship

dropbox.com). Dazu erstellten sie ein Video über die Funktionsweise von Dropbox. Es
war jedoch eher als Prototyp zu verstehen mit den wichtigsten Eigenschaften als ein
voll funktionstüchtiger Service. Durch geschickte Platzierung des Videos in bestimm-
ten Kanälen erreichten die beiden eine Warteliste von 75.000 potenziellen Kunden, die
von der Demo begeistert waren. Somit konnten sie die These testen, ob der Service von
Dropbox nachgefragt würde [47].

4.4.1.2 Interne Quellen im eigenen Unternehmen

77 Konkurrenzbeobachtung, Benchmarking bzw. Forschung und Entwicklung


sind nur einige Möglichkeiten, für neue unternehmensinterne Ideen zu
sorgen.

Unternehmensintern sind unter anderem folgende Möglichkeiten der Ideenfindung denkbar,


wobei das Kundenbedürfnis und der Kundennutzen im Zentrum stehen sollen:

• Konsequente Konkurrenzbeobachtung: Eine konsequente Konkurrenzbeobachtung


ermöglicht es, neue Elemente einzubauen, welche die eigenen Leistungssysteme sinn-
voll ergänzen und erneuern [49].
• Beobachtung neuer technologischer Möglichkeiten: Das regelmäßige Monitoring des
Technologieumfeldes und die Evaluation der technologischen Möglichkeiten zeigen
neue Trends, Chancen und Gefahren auf.
• Analogien aus anderen Kontexten einbeziehen: Marktlösungen oder Technologien
aus anderen Ländern und anderen Branchen können auf die Eignung für den eigenen
Markt evaluiert werden. Hierbei wird auch von Technology Brokering gesprochen
[50]. Ein Beispiel dazu: BWL-Studenten haben True Fruits gegründet, da sie fruchtige
Getränke (Smoothies) in Großbritannien entdeckten und diese Idee für Deutschland
übernahmen (siehe www.true-fruits.com).
• Design-driven Innovation: Verganti [51] schlägt vor, dass Unternehmen mit einbezo-
gen werden, die ein ähnliches Kundenerlebnis anvisieren. So können etwa ein Käse-
und ein Küchenhersteller durch die Zusammenarbeit neue Produkte und Dienstleistun-
gen in neuartiger Art und Weise entwickeln, die dem Kunden einen Mehrwert bieten.
• Trendforschung: Aus gesellschaftlichen Trends können wichtige Erkenntnisse für
zukünftige Leistungsanforderungen generiert werden.
• Innovationsnetzwerke: Die Zusammenarbeit mit Partnern, die mit ihrem Know-how
eine Ergänzung darstellen können, kann förderlich sein, um Innovationen zu entde-
cken und umzusetzen. Dieses Wissen kann fachlicher (z. B. Experten einer Branche,
Lohnfertiger) oder prozessualer Natur sein (z. B. Experten im Prozess mit metho-
dischem Wissen). Von besonderer Bedeutung ist es dabei, diese Partner frühzeitig
in den Innovationsprozess zu integrieren, damit entsprechende Fragestellungen von
Anfang an ganzheitlich betrachtet werden können (z. B. Einbeziehung der Produktion
in die Entwicklung, damit die Produktionskosten minimiert werden können). Zahlrei-
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 109

che Untersuchungen zeigen, dass Netzwerke im Bereich Forschung und Entwicklung


einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit der Unternehmen, speziell der
KMU, haben [52, 53, 54]. Eine detaillierte Untersuchung des Netzwerkverhaltens von
KMU in einer überschaubaren und ländlichen Region in der Schweiz (Oberwallis)
zeigt jedoch, dass noch großes Potenzial in der Zusammenarbeit zwischen KMU und
etwa Forschungsinstitutionen wie Universitäten, Technischen Hochschulen und Fach-
hochschulen vorhanden ist [55]. Unternehmer von Start-up-Firmen und KMU müssen
ihre Forschungsinteressen gegenüber Forschungsinstitutionen vermehrt artikulieren.
Nur so kann ein Transfer von Wissen und Erkenntnissen im Sinne einer Wechselwir-
kung zwischen Forschung und Wirtschaft zustande kommen.
• Benchmarking und Erfahrungsaustausch: Ein Erfahrungsaustausch mit anderen
Unternehmern zeigt die eigenen Stärken, aber auch die Schwächen gegenüber der
Referenzgruppe auf und sensibilisiert den Innovator für zukünftige Handlungsfelder.
• Service Blueprinting: Das von Shostak entwickelte Service Blueprinting bildet einen
Dienstleistungsprozess ab, wobei unterschieden wird zwischen Prozessen, die für den
Kunden sichtbar sind, und solchen, die ihm verborgen bleiben [56]. Nach der Fest-
legung dieser Prozessschritte werden Verbesserungsmöglichkeiten in den einzelnen
Schritten diskutiert.
• Mystery Shopping: Beim Mystery Shopping übernehmen fiktive Kunden (insbeson-
dere bei Dienstleistungen) die Rolle von Kunden und erkennen dadurch Verbesse-
rungspotenzial [57].

77 Design Thinking: Menschen und ihre Bedürfnisse sowie Verhaltensweisen


stehen im Zentrum der Betrachtung.

• Design Thinking: Dieser Begriff wurde insbesondere von IDEO, einer amerikani-
schen Produktdesignfirma, geprägt [58]. Der dabei verwendete Prozess kann ver-
einfacht in die groben drei Phasen „Inspiration“, „Ideation“ und „Implementierung“
eingeteilt werden, wobei dieser Prozess nicht-linear und iterativ abläuft. Anhand
der Fragestellung des Kunden werden die Anwender (Endkunden) zur Nutzung der
Produkte befragt: Was denken die Endkunden bei der Benutzung von entsprechenden
Produkten und Dienstleistungen? Wieso verhalten sie sich entsprechend? Welche
Gründe können erkannt werden, warum sie abgeneigt sind gegenüber bestimmten
Facetten des Produktes respektive der Dienstleistung? Diese Erkenntnisse von ver-
schiedenen Anwendern und Experten werden an einer Wand visualisiert. Während
der Ideation-Phase führt das interdisziplinäre Team Brainstorming-Sitzungen durch,
entwickelt verschiedene Szenarien und visualisiert sie. Es werden erste Prototypen
gebastelt und getestet (bei Dienstleistungen werden auch Videos oder Bilder erstellt).
Die Ideen werden in der Projektgruppe und mit Kunden diskutiert, um diese Konzepte
weiter zu verbessern. Die Ideen werden dann in der Implementierung umgesetzt,
indem ein oder zwei finale Prototypen gebaut werden. Dabei werden fortlaufend
Verbesserungen vorgenommen.
110 4  Innovation und Entrepreneurship

4.4.1.3 Mitarbeitende
Die Mitarbeitenden sind eine weitere wichtige Quelle für Innovationen. Dabei wird im
Nachfolgenden vor allem auf die Möglichkeiten zur Institutionalisierung eingegangen.
Weitergehende Ausführungen sind in Abschn. 4.5 zu finden.

77 Mitarbeitende sind eine wichtige Quelle für Innovationen.

• Mitarbeitende: Die Kreativität und das Ideenpotenzial der eigenen Mitarbeitenden


können durch Ideenbörsen, einem betrieblichen Vorschlagswesen oder Kreativitäts-
techniken genutzt werden [59]. Nicht jedes Instrument wird von den Mitarbeitenden
wirklich akzeptiert und genutzt. Es ist an die Persönlichkeiten der Mitarbeitenden
anzupassen und die Führungskräfte müssen dahinterstehen und immer wieder darauf
aufmerksam machen.
• Forschung und Entwicklung [59]: Die eigene Forschungs- und Entwicklungsabtei-
lung kann etwa neue Technologien entwickeln, die danach in Anwendungen für den
Kunden umgesetzt werden können.
• Multiplikationen: Innovationen können intern verglichen und der interne Ideenwett-
bewerb gefördert werden (beispielsweise zwischen Abteilungen oder Filialen, falls
solche vorhanden sein sollten).

4.4.1.4 Unternehmer und seine Kreativität


Folgende vier Verhaltensweisen unterscheiden gemäß Dyer et al. [60] innovative und er-
folgreiche Unternehmer (z. B. die Gründer von Dell, Amazon, Skype) von weniger inno-
vativen:

• Hinterfragen: Erfolgreiche Unternehmer hinterfragen den Status quo, stellen sich bei
der Betrachtung von verschiedenen Ereignissen die Fragen nach dem „Wieso“ und
sind sich dessen bewusst, dass es auch anders gehen könnte.
• Beobachten: Sie beobachten die Kunden und fragen sich dabei auch: Wie verhalten
sie sich? Was ist unterschiedlich zu dem, was die Unternehmer selbst erwartet haben?
• Experimentieren: Verschiedene physische Experimente werden durchgeführt. Es wird
ausprobiert und gebastelt. Es können sich auch neue Erkenntnisse aus dem mentalen
Erforschen ergeben: „Was wäre, wenn …?“
• Idea Networking: Es besteht ein Netzwerk mit Personen, die unterschiedliche Hin-
tergründe aufweisen. Daraus lernt der Unternehmer neue Perspektiven kennen und
betrachtet Herausforderungen und Gegebenheiten aus einer anderen Sichtweise. Es
wird mit fremden Personen gesprochen, um mehr über einen bestimmten Sachverhalt
zu erfahren.

Neben verschiedenen Methoden können Kreativitätstechniken helfen, neue Ideen zu erhal-


ten. Kreativität umschreibt die schöpferische Kraft, die für Neuerungen (Innovationen) oder
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 111

Erfindungen (Inventionen) vorhanden sein muss. Die tragenden Elemente der Definition
von Kreativität sind folgende: Es soll etwas Neues und Sinnvolles entstehen [61]1.

77 Kreativität ist der schöpferische Prozess der Ideenfindung.

Die Begriffe Innovation und Kreativität stehen in engem Kontakt zueinander, wird doch im
Allgemeinen unter Kreativität das Generieren von neuen, brauchbaren Ideen verstanden;
also der schöpferische Prozess der Ideenfindung [[63], S. 367 ff ].
Nachfolgend werden einige Techniken ausgeführt, im Wissen, dass diese Auflistung
nicht vollständig ist.2

• Brainstorming: Beim auf Alex Osborn zurückgehenden Brainstorming werden Ideen


für eine definierte Fragestellung generiert und von einem Moderator für alle sichtbar
festgehalten (z. B. auf einem Flipchart). Es ist zentral, dass die Ideen in dieser Phase
nicht kritisiert werden, um möglichst viele Ideen zu erhalten. Die Evaluation dieser
Ideen findet in einer anschließenden Phase statt.
• Brainwriting/635: Brainwriting (auch 635 genannt) eignet sich für Personen, die eher
scheu sind oder sich nicht gerne in Gruppen einbringen. Es funktioniert nach dem-
selben Grundprinzip wie das Brainstorming: Jede Person erhält ein Blatt Papier mit
derselben Fragestellung. Es enthält mindestens sechs Zeilen und drei Spalten. In der
obersten Zeile fügt jede Person für jede Zelle in den drei Spalten eine Idee ein. Nach
spätestens fünf Minuten wird dieses Blatt an eine andere Person weitergereicht, die
in der zweitobersten Zeile weitere drei Ideen generiert etc. Zusammenfassend gesagt:
Sechs Personen schreiben drei Ideen in fünf Minuten, wodurch insgesamt 108 Ideen
in 30 Minuten entstehen.
• Umkehrmethode: Es geht darum, dass die Fragestellung negativ formuliert wird.
D. h. anstatt der Frage: „Wie können wir unsere Dienstleistung verbessern“?, wird die
Frage gestellt: „Wie können wir unsere Dienstleistung verschlechtern?“
• Mind Mapping: Die von Buzan entwickelte Methode dient dem Strukturieren und Vi-
sualisieren von Problemstellungen. Mind-Maps bieten einen strukturierten Überblick
über Themen, wobei Zusammenhänge visuell dokumentiert werden.
• Five Whys?: Die Frage „Warum“ wird fünfmal in Folge den Antworten entgegnet.
Zum Beispiel: Erste Frage: „Wieso funktioniert der Motor nicht?“ Antwort: „Weil das
Stromkabel defekt ist.“ Zweite Frage: „Warum ist das Stromkabel defekt?“ usw. So
werden Ursachen ermittelt, die vorher möglicherweise unbekannt waren. Die Me-
thode führt jedoch nicht immer zu sinnvollen Antworten.

1
In Anlehnung an [62].
2
Für weitere Ausführungen siehe etwa [56, 64].
112 4  Innovation und Entrepreneurship

Abb. 4.2  Kenntnis der Kreativitätstechniken

Bekannt sind insbesondere die Kreativitätstechniken Brainstorming, Mind Mapping und


der morphologische Kasten, wie eine Umfrage bei 118 Unternehmern von Produktionsbe-
trieben ergab (siehe Abb. 4.2). Genutzt werden vor allem Brainstorming, Mind Mapping
und Five Whys (siehe Abb. 4.3).
Das nachfolgende Beispiel zeigt, dass nicht nur bestimmte Kreativitätstechniken ziel-
führend sind für das Generieren von neuen Ideen, sondern auch die Beschäftigung mit der
Thematik in der Freizeit.

Unternehmensporträt: STAG
Als Christian Gloor – heute CEO des Mutterkonzerns Griston Holding AG und damals
Geschäftsführer und Mitinhaber der STAG AG in Maienfeld im malerischen Schwei-
zer Rheintal, besser bekannt als „Heidiland“3 – mit seinen Ingenieuren die brandneue
Erfindung kommentierte, war der Satz: „Dass uns diese simple Idee nicht schon früher
in den Sinn gekommen ist!“, bei der Betrachtung ihres neuen Verfahrens für die Ent-
leerung von Schüttguttrichtern oft zu hören. Der Dreiklang Kreativität, Innovation und
Entrepreneurship wird in der STAG AG vorbildlich gelebt und bildet die Grundlage für
ihren Wettbewerbserfolg. Dabei spielen die individuelle und gruppenweite Kreativität
des Unternehmers und seiner Mitarbeitenden, aber auch die Integration der Kunden
sowie die eiserne Einhaltung der Spielregeln innerhalb der Innovationsprozesse eine
zentrale Rolle. Die treibende Kraft hinter dem Dreiklang ist jedoch der Unternehmer
Gloor. Innovationsmanagement und Inventionen, also Erfindungen, befassen sich ge-

3
Die Marke „Heidiland“ ist selbst ein innovatives Beispiel, wie sich eine Region positioniert, De-
tailangaben dazu auf www.heidiland.com.
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 113

Abb. 4.3  Nutzung der Kreativitätstechniken, falls sie bekannt sind

mäß der nicht völlig ernst gemeinten Aussage von Gloor mit Dingen, die simpel, ja
offensichtlich sind und etwas verspätet in den Sinn kommen.

77 Ein Kundenproblem war der Anlass für eine Produktinnovation.

Zurück zur oben erwähnten Innovation der STAG. Es begann alles mit einem Kun-
denproblem: Das Schüttgut im Einfülltrichter bildete buchstäblich eine Brücke. Sand,
Salz, Weizen – was immer in der Schüttguttechnologie gefördert, oder gelagert wird
–, alle Produkte haben dynamische Eigenschaften, die mit der Strömungslehre und der
mechanischen Schüttguttechnik erklärt werden. Wenn ein Rest der Förderware beim
Einfülltrichter an den Wänden hängen bleibt oder Brücken bildet, kann die potenzielle
Energie aufgrund des Reibungswiderstandes nicht in kinetische Energie (Gravitati-
onskraft) gewandelt werden. „Die Mitarbeiter unseres Kunden müssen regelmäßig mit
dem Hammer an die Außenwand des sieben Meter hohen Trichters schlagen, damit
das Schüttgut von den Innenwänden fällt. Natürlich ist der Schaden an den Trichtern
groß und die Motivation des Kunden wird dadurch auch nicht gefördert.“ So die Aus-
sage eines Ingenieurs der STAG: „Deshalb ist mir am Wochenende Folgendes in den
Sinn gekommen …“ Die folgende angeregte Diskussion hatte zum Ergebnis, dass die
Idee des Ingenieurs innerhalb der Gruppe weiterentwickelt und schlussendlich paten-
tiert wurde. Die STAG verdiente in den nachfolgenden Jahren mit dieser Innovation
viel Geld. Wie eingangs betont, ist die Idee simpel: „Befestige oben und unten im In-
nern des Trichters Stahlseile und lasse sie entgegengesetzt drehen, damit das Schüttgut
durch die dadurch verursachte Bewegung, die den Reibungswiderstand aufhebt, nach
unten fällt.“
114 4  Innovation und Entrepreneurship

77 Viele gute Ideen entstehen nicht im Unternehmen, sondern in der Freizeit.

Haben Sie sich auch schon gefragt, wo Ihre Ideen entstehen? Der Ingenieur der STAG
hatte offenbar am Wochenende die zündende Idee. Untersuchungen bestätigen die Aussage:
Ideen entstehen nicht primär in dem Unternehmen, sondern in der Freizeit. Die Erklärungs-
ansätze der Psychologie und Neurologie gehen dabei weniger vom Modell des Gedanken-
blitzes aus (heureka!), sondern von der bewussten oder unbewussten Distanzierung von
einem Problem oder Sachverhalt (Ex-involvement), die es dem Innovator ermöglicht, neue
oder offensichtliche Aspekte aus anderer Perspektive zu sehen. Diese Tatsache macht sich
die STAG zunutze, indem sie ihre strategischen Workshops zwischendurch mit Wanderun-
gen in der Natur auflockert. Abbildung 4.4 verdeutlicht den Zusammenhang anhand einer
Befragung von Ingenieuren. Der Unternehmer kann sich das Ergebnis der Umfrage zunutze
machen, indem er versucht, seine Mitarbeitenden zu inspirieren, oder sie ins verdiente Wo-
chenende mit dem Auftrag entlässt, am kommenden Montag Ideen für das Unternehmen
mitzubringen.

Abb. 4.4  Wo Ideen entstehen [65]


4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 115

Zwar wurde diese Frühphase nun als stark strukturiert vorgestellt, aber die Erfahrung
aus der Praxis zeigt, dass insbesondere in jungen und kleinen Unternehmen die Früh-
phasen von Innovationsprozessen meist intuitiv und wenig formalisiert ablaufen. Die
Flexibilität, Produkte und Dienstleistungen schnell anzupassen, wird in dieser Phase als
wichtig erachtet.

4.4.2 Evaluation der Ideen

In einem weiteren Schritt werden die Ideen bewertet. Dabei können verschiedene Verfahren
und Kriterien angewendet werden.
Zur Bewertung können vier verschiedene Kategorien von Kriterien gebildet werden,
die in Tab. 4.1 näher erläutert werden: Sinnhaftigkeit, Machbarkeit, Marktattraktivität,
Wirtschaftlichkeit [66].
Als weiteres Kriterium kann der Nutzen für die Kunden und das Unternehmen (po-
tenzieller Gewinn) den Entwicklungs- und operativen Kosten gegenübergestellt werden.

Tab. 4.1  Fragen zur Evaluation von Ideen

Sinnhaftigkeit Passt sie zu unserer Kultur, zu uns?


Ist sie sinnvoll?
Verstößt sie gegen die Menschenwürde?
Denunziert sie Personen oder Gruppen?
Ist sie vereinbar mit unseren eigenen Stärken?
Machbarkeit Ist sie umsetzbar?
Ist die Technologie vorhanden?
Ist sie patentierbar (siehe dazu Abschn. 4.4.3)?
Ist sie neu?
Können wir sie mit unseren Ressourcen erstellen?
Marktattraktivität Ist der Kundennutzen höher als bei bestehenden Angebo-
ten?
Besteht eine Nachfrage nach der neuen Leistung?
Wird das Kundenverhalten dadurch geändert?
Wie schnell kann die Leistung durch die Konkurrenten
kopiert werden?
Wie attraktiv ist die Nachahmung der Leistung durch die
Konkurrenz?
Wirtschaftlichkeit Wie groß ist das Marktpotenzial?
Sind die erwarteten Umsätze höher als die Kosten?
Sind die Risiken und Unsicherheiten aktzeptabel?

Quelle: in Anlehnung an Day, G. S., Is it real? Can we win? Is it worth it? Managing risk
and reward in an innovation portfolio. 2007. Harvard Business Review. Jg. 85, Nr. 12,
S. 110–120.
116 4  Innovation und Entrepreneurship

Abb. 4.5 Ideentrichter

Erfahrene Unternehmer betonen im Vergleich zu Neugründern, dass die Geschäftsidee


skalierbar sein und vor allem auch einen hohen Profit erwirtschaften soll. Neugründer
betonen hingegen stärker die Neuartigkeit einer Geschäftsidee [67]. Neugründer können
sich von den erfahrenen Unternehmern inspirieren lassen, indem sie die Rentabilität und
Skalierbarkeit stärker einbeziehen.
Die Ideen können etwa an einer Wand, einem Flipchart oder in einem elektronischen
Dokument visualisiert werden. Die Personen, welche die Ideen bewerten, können dazu
verschiedene farbige Post-its verwenden. Gelbe Post-its können umsetzbare Ideen zeigen,
rote Post-its Ideen, die aus dem Bauchgefühl heraus als besonders gut erachtet werden.
Weitere Kriterien können auch durch den Unternehmer selbst definiert werden.

77 Ideengeber müssen über den Verlauf ihrer Idee informiert werden.

Werden die Ideen von Mitarbeitenden oder Kunden einbezogen, ist es wichtig, die Ideen-
geber über den Verlauf ihrer Ideen zu informieren. Es soll transparent gemacht werden,
aus welchen Gründen eine Idee nicht weiterverfolgt wird. Werden die Ideengeber nicht
informiert, kann dies dazu führen, dass sie demotiviert werden und zukünftig Ideen nicht
mehr einbringen werden. Eine einfache Möglichkeit ist es etwa, einen Trichter zu erstellen
(z. B. elektronisch oder auf Papier) und die Ideen mit Post-its je nach ihrem jeweiligen
Stand einzufügen (siehe Abb. 4.5).

4.4.3 Leistungsdesign, Prototyping und Konzeptentwicklung

77 Die Integration der Kunden ist ein Erfolgsfaktor für die Entwicklung einer
Innovation.

Ist die Idee bewertet und ausgewählt, geht es darum, das Leistungsdesign zu definieren. Dazu
wird zuerst ein Businessplan (siehe Kap. 9) entwickelt, wobei vor allem die Meilensteine,
die Anforderungen an das Design, die Kosten und die Entwicklungszeit wichtig sind – eine
Betrachtung des Marktes (Konkurrenz, Potenzial) wurde bereits in der Ideenbewertung vor-
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 117

genommen. Für die Entwicklung eines Leistungsdesign sind Prototypen (für Produkte) und
Service Blueprinting (für Dienstleistungen) hilfreich. Es gilt, sich auf einen Businessplan zu
einigen und entsprechend vorzugehen. In einer Untersuchung von KMU wurden die Fak-
toren analysiert, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Gelingen der Transformation der
Idee hin zur Innovation ausüben [68]. Das Ergebnis zeigt deutlich, welch zentrale Rolle die
Einbeziehung des Kunden im Innovationsprozess einnimmt (siehe Abb. 4.6). Dazu soll auch
auf die Methodik des Lean Startups verwiesen werden (siehe Abschn. 4.4.1.1).
Vor allem Prototypen werden vielfach mithilfe von Lieferanten oder Lohnfertigern her-
gestellt, die technisches Know-how in dem gewünschten Bereich besitzen. Durch die Spe-
zialisierung verschiedener Unternehmen ist es für Unternehmer nicht zwingend, z. B. eine
Ingenieurausbildung zu besitzen, um ein Produkt auf den Markt zu bringen. Es gibt viele
Lohnfertiger, die dies für ihre Kunden erledigen. Die Unternehmer erhalten diese Dienst-

Abb. 4.6  Wie werden Ideen zu Innovationen transformiert? [68]


118 4  Innovation und Entrepreneurship

Tab. 4.2  Einfache Hilfestellung für das Projektmanagement

Wer Macht was Bis wann

Markus Müller Diskutiert mit dem Lieferan- 7.7.2016


ten über die neue Muster-
komponente.

Quelle: eigene Darstellung.

leistung zu einem überschaubaren Preis (ohne die Maschinen selbst kaufen zu müssen).
Im Rahmen von Lean Startup empfiehlt sich eine möglichst geringe Zahl an Prototypen
herzustellen, um die Thesen zu testen (siehe Abschn. 4.4.1.1).

77 Die Zuständigkeiten für die Innovationsentwicklung müssen klar geregelt


werden.

In einem weiteren Schritt wird das Projektmanagement wichtiger als die Kreativität einzel-
ner Personen. Es geht nämlich darum, die Entwicklung gemäß den Vorgaben (Zeit, Qualität
respektive Ziel der Innovation und Kosten) umzusetzen. Es ist auch zentral, Zuständig-
keiten klar zu regeln. Ein einfaches Instrument kann dabei sein, eine Tabelle zu erstellen
und anhand der Kategorien „Wer“, „Macht was“, „Bis wann“ auszuführen (vgl. Tab. 4.2).
Gerade für große Neuerungen ist aber auch hier eine gewisse Flexibilität von Vorteil, um
der Unsicherheit mit der neuartigen Leistung besser im Prozess begegnen zu können. Neue
Erkenntnisse, die sich im Prozess ergeben (z. B. Reaktionen auf einen ersten Prototyp),
können dazu führen, dass die Lösung angepasst werden muss.
Für die Patentierung oder Markenanmeldung bieten verschiedene Ämter oder auch
Anwaltskanzleien ihre Hilfe an. Die Liste der Ämter in den einzelnen Ländern wird in
Tab. 4.3 dargelegt. Gewisse Anwaltskanzleien (vor allem jene, die sich auf Marken- und
Patentrecht spezialisiert haben) bieten neben der Eintragung auch die Überwachung der
Schutzrechte an.

4.4.4 Tests

Nach der Entwicklung eines Prototyps oder eines Blueprints für Dienstleistungen folgt die
Testphase. Diese Testdurchführung kann mit oder ohne Kundenintegration durchgeführt
werden. Dabei bietet es sich an, erste Tests intern vorzunehmen, um die gröbsten Prob-
leme zu beseitigen. Instrumente sind Tests von Mitarbeitenden, Tests von Marktexperten,
Kundenbefragungen, Tests durch eine kleine Anzahl von ausgewählten Kunden oder der
Erfahrungsaustausch mit anderen Dienstleistern oder Herstellern [9].
Für diesen Test können auch sogenannte Opinion Leaders einbezogen werden. Opinion
Leaders sind Kunden, welche die Meinung eines Marktes stark beeinflussen und somit
4.4  Innovationsprozess: Entwicklung und Umsetzung von Innovationen 119

Tab. 4.3  Patent- und Markenämter in der EU, Deutschland, Österreich und der Schweiz

Europäische Union European Patent Office, wobei Patente ge-


sucht werden können. Weitere Informationen
unter www.epo.org
Deutschland Deutsches Patent- und Markenamt. Weitere
Informationen unter www.dpma.de
Österreich Das Österreichische Patentamt. Weitere
Informationen unter www.patentamt.at
Schweiz Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigen-
tum. Weitere Informationen unter www.ige.
ch und http://kmu.ige.ch

Quelle: eigene Darstellung.

einem Unternehmen helfen können, wichtige Anforderungen einzubeziehen, um die ent-


wickelte Leistung in den Markt zu diffundieren [69]. Die Schwierigkeit liegt jedoch meist
darin, diese Opinion Leaders zu identifizieren.

4.4.5 Markteinführung

77 Nicht immer sind Kunden von einem neuen Produkt so überzeugt wie der
Unternehmer.

Die Markteinführung hat das Ziel, die neue Leistung im Markt einzuführen und zu posi-
tionieren (siehe auch Kap. 6 „Entrepreneurial Marketing“). Dem Kunden sollen die Leis-
tungseigenschaften und der Nutzen der Leistung klargemacht werden. Dies kann auch zu
schmerzhaften persönlichen Erfahrungen führen, falls nicht alle potenziellen Kunden vom
Produkt oder der Dienstleistung so begeistert sind wie der Unternehmer.
Für die Markteinführung ist es wichtig, dass die unternehmensinternen Prozesse in der
Leistungserstellung stimmen und alle Mitarbeitenden entsprechend geschult sind. Das
heißt, der Kundendienst muss klar geregelt sein, um Anfragen professionell begegnen zu
können. Gerade die ersten Kunden sollen begeistert werden, damit sie entsprechend von
den positiven Erlebnissen anderen Kunden berichten können.

77 Die Verbreitungsgeschwindigkeit einer Innovation hängt mit ihren Eigenschaf-


ten zusammen.

Die Diffusion gilt als der Prozess, durch den eine Innovation durch bestimmte Kanäle über
die Zeit innerhalb eines sozialen Systems verbreitet und kommuniziert wird. Die Eigen-
schaften der Innovation können auf die Verbreitungsgeschwindigkeit Einfluss nehmen. Je
120 4  Innovation und Entrepreneurship

nach Charakteristika der Innovation kann der Unternehmer prognostizieren, wie schnell
sich die Diffusion etabliert. Das hat den Vorteil der Planbarkeit von Diffusionsstrategien.
Dabei beeinflussen etwa die Sichtbarkeit der Innovationsergebnisse, die Möglichkeit,
die Produkte und Dienstleistungen auszuprobieren, sowie auch das Erkennen eines klaren
relativen Vorteils im Vergleich zu Konkurrenzprodukten die Diffusionsgeschwindigkeit
[[63], S. 382 f]. Bei innovativen Produkten wird meist auf einen Direktvertrieb gesetzt, um
die Vorteile direkt aufzeigen zu können.

77 Die Diffusion von Innovation kann in fünf Prozessschritten dargestellt werden.

Das Ziel der Auflistung von Innovationseigenschaften und deren Einfluss auf die Diffu-
sionsgeschwindigkeit ist nicht, eine möglichst umfassende Liste vorzustellen, sondern
Innovatoren und Innovationsförderer für mögliche Chancen in der Etablierung ihrer Inno-
vationen zu sensibilisieren. Nichtsdestoweniger ist der Erfolg einer Innovation auch von
der Logik und Geschwindigkeit abhängig, wie der Kunde die Innovation „verinnerlichen“
kann. Die Diffusion kann in fünf Prozessschritten dargestellt werden:

• Wissen: Der Kunde muss zuerst Know-how über potenzielle oder vorhandene Innova-
tionen erlangen.
• Überzeugung (Persuasion): Dem Kunden muss eine innere Einstellung zur Innova-
tion ermöglicht werden.
• Entscheidung: Der Kunde sammelt Argumente, die ihm zur Annahme oder Ableh-
nung der Innovation verhelfen.
• Implementierung: Bei positiver Entscheidung beginnt der Kunde, die Innovation
anzuwenden.
• Bestätigung: Der Kunde sucht nach Argumenten, um die Wahl der Innovation zu
begründen.

Es ist Aufgabe des Unternehmers, dem Kunden Unterstützung zu bieten und möglichst gute
Gründe zu liefern, damit er die Prozessschritte rasch und in sich konsistent durchlaufen kann.
Aufgrund der Unsicherheit werden in Innovationsprojekten vielfach die Kosten unter-
schätzt, da im Laufe des Prozesses neue Erkenntnisse auftauchen. Auch lässt sich beobachten,
dass Gründer am Anfang auf ein einziges Produkt oder eine Dienstleistung setzen, damit die
Gefahr der Verzettelung verringert wird und sie ihre Ressourcen zielführend einsetzen können.

4.5 Förderung der Innovationsfähigkeit

Die Innovationsfähigkeit kann durch entsprechende Strukturen und Prozesse gefördert


werden sowie durch die Etablierung einer entsprechenden Kultur. Eine Unternehmenskultur
setzt sich aus verschiedenen Werten, Routinen und Normen zusammen, die sich über die
Zeit im Unternehmen etabliert haben und die nur in den wenigsten Fällen auf den ersten
4.5  Förderung der Innovationsfähigkeit 121

Blick sichtbar sind. Dabei wird ein gewisser Widerspruch des Wortes „Innovationskultur“
erkennbar. Die Kultur ist über längere Zeit entwickelt worden und Veränderungen dieser
Unternehmenskultur sind deshalb oft schwierig kurzfristig zu vollziehen. Die Innovation
dagegen umschreibt etwas Neues. Das heißt, durch das kreative Arbeiten von Personen
wird Neues erschaffen, was auch Veränderungen durch diese Neuartigkeit hervorruft. Eine
Innovationskultur kämpft somit darum, Routinen, Normen und Werte zu bilden, welche
das Erschaffen von Innovationen und Veränderungen begünstigen.

4.5.1 Die Rolle des Unternehmers

Welche Rolle kommt dem Unternehmer bei der Förderung der Innovationstätigkeit zu? Bei
der Erfolgsfaktorenforschung wird die Rolle des Unternehmers als Promotor für Innovatio-
nen immer wieder genannt. Diverse Studien zeigen, dass folgende Faktorengruppen einen
meist signifikanten Einfluss auf den Erfolg von Innovationen haben [70, 71, 72, 73, 74]:

77 Strategische Faktoren, Prozess- und Kulturfaktoren sowie der Unternehmer


selbst haben einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg von Innovationen.

• Strategische Faktoren: Nachhaltige Strategie mit Kernkompetenzen, Forschungs- und


Entwicklungsprogramm, Vermarktungs- und technologisches Potenzial, Produktvor-
teile aus Kundensicht, Vorhandensein von Referenzkunden, Vertrautheit und Gedan-
kenaustausch mit Zielkunden, Kooperationsbeziehungen, unter anderem mit For-
schungsinstitutionen, Lieferanten oder Kunden, Management von Qualifikationen.
• Prozessfaktoren: Strukturbildung und Projektmanagement, Nutzung externer Ideen,
Organisation der Innovations- und Trendsuche, durchgehender Innovationsprozess,
Strukturbildung und Projektmanagement, offene Organisationsstruktur, effiziente
Nutzung interner und externer Ressourcen, interdisziplinäre Teams und Verbindung
von Technologie mit Marketing, Austausch von Wissen, Schnelligkeit der Umsetzung
sowie Überwindung von Innovationshindernissen.
• Kulturfaktoren: Rolle von Lernen und Wissensmanagement, Verantwortung für
Lernprozesse, Einbeziehung der Mitarbeitenden, Teamgeist, Reflexion über Produkte,
Leistungen sowie Nutzung von Kunden-Feedback.
• Unternehmerfaktor: Vorbildfunktion des Unternehmers, Innovationsfähigkeit und
Integrationsfähigkeit, Zulassung von divergenten Denkprozessen, Leadership als
Lebensstil, Offenheit für Kooperationen.

77 Der Entrepreneur nimmt bei der Innovation drei Rollen ein: Innovator, Förderer
und Integrator.

Der Unternehmer hat ein Interesse daran, sich durch innovative Leistungssysteme und
Prozesse einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern zu verschaffen. Seine
122 4  Innovation und Entrepreneurship

Rolle ist daher stets dreifach: (1) Zum einen liefert der Unternehmer permanent selbst
Ideen und entwickelt daraus Innovationen. Er nimmt die Rolle des kreativen Vordenkers
und Vorbildes gegenüber seinen Beschäftigten, Kunden und anderen Stakeholdern ein. Die
Fähigkeiten umfassen dabei Bereiche wie Wissen, technische Fertigkeiten, Imagination,
Heuristiken (Kreativitätstechniken), förderlicher Arbeits- und kognitiver Stil. Kreativität
wird neben den Fähigkeiten insbesondere durch die intrinsische Motivation unterstützt. (2)
Zum anderen kommt ihm die Rolle als Betreuer und Manager gegenüber seinen Mitarbei-
tenden und deren Ideen und Innovationen zu, aber auch der Abbau von Innovationsbarri-
eren (siehe Abschn. 4.5.4) gilt für ihn als zentrale Aufgabe. Die ausbalancierte Wahrneh-
mung der beiden genannten Rollen bildet die Grundlage für den Unternehmer, erfolgreich
auf dem Markt zu agieren. Strategisches Management ist der Weg vom Reagieren hin zum
Agieren [75, 76]; das Kreieren und Fördern von Innovationen und des innovativen Geistes
im Unternehmen bietet dabei den entscheidenden Schritt Richtung Agieren. (3) Die dritte
Aufgabe umfasst demzufolge die Integration des Innovationsmanagements in die Unter-
nehmenspolitik. Das Wesen, die Intensität, Qualität und Häufigkeit von Innovationen sind
kongruent zur Strategie, Struktur und Kultur des Unternehmens. Hier gilt es, eine latente
Gefahr, die ein Übermaß an Innovation in sich birgt, zu vermeiden: Der Verdrängungseffekt
[77] umschreibt das Phänomen der Überlastung. So kann man sich leicht vorstellen, dass
zu viele Innovationen mit der Zeit für das Unternehmen, für seine Beschäftigten, aber auch
für die Kunden oder Lieferanten negative Auswirkungen haben. Die Innovationskraft wird
beispielsweise durch Demotivation der Beteiligten, finanzielle Engpässe des Unternehmens
oder Inakzeptanz der Kunden verdrängt.
Die Aufgabe des Unternehmers ist es also, Verfahren zu entwickeln, welche die Kreati-
vität und Innovation in Organisationen optimieren. Die folgende Auflistung von Verfahren
stellt lediglich eine Auswahl von zahlreichen Instrumenten der Kreativitäts- und Innova-
tionsförderung dar:

• Kulturelle Instrumente: Bewusste Sprachkultur, konstruktive Lernkultur, keine


Schuldzuweisungen bei Fehlern, Offenheit für divergente Denkprozesse (Einfluss von
Minoritäten provoziert Diskussionen über einen Sachverhalt, die sonst nicht geführt
worden wären) [78], Leadership und Lebensstil des Unternehmers, Bewusstsein der
Vorbildfunktion, Erfolgszelebrierung, Verhinderung von Neid und Mobbing, Förde-
rung der Dienstleistungskompetenz auf allen Stufen.
• Strategische Instrumente: Etablierung von informellen und formellen Kommuni-
kationsmöglichkeiten, klare Spielregeln in der Personalpolitik. Eingehen von Netz-
werken und Coopetition (Kooperation und Konkurrenz), Innovationskompetenz als
Strategisches Erfolgspotenzial (SEP). Einsatz strategischer Instrumente wie Balanced
Scorecard, Business Process Reengineering, Total Quality Management, Benchmar-
king oder Wissensmanagement.
• Operative, prozessorientierte Instrumente: Wissensdatenbanken, Kreativitätstechni-
ken, Betreuung durch Externe, Angebot und Management von Weiterbildung, le-
benslanges Lernen, Freiräume für Forschung und Entwicklung und Bekämpfung von
4.5  Förderung der Innovationsfähigkeit 123

Innovationsbarrieren, Integration der Kunden in Innovationsprozesse, Dreieck der


Entlohnungsgerechtigkeit (Löhne sind gerecht nach Qualifikation, gegenüber ande-
ren Mitarbeitenden und gegenüber dem Markt), Etablierung von Kaizen (siehe auch
Abschn. 4.5.2 zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess), European Foundation
of Quality Management (EFQM) und deren Wettbewerbe, Workflow-Management,
Need-Assessment-Methoden (Innovationsbedarfserfassung: Eruierung der Bedürfnisse
der Kunden bis hin zur Beschäftigung von Mitarbeitenden des Kunden im eigenen
Unternehmen) [79] oder Lead-User-Konzept (siehe auch Abschn. 4.4.1.1; [80]).4

77 Visionen, partizipative Sicherheit, Aufgaben- und Leistungsorientierung sowie


praktische Unterstützung bei der Umsetzung machen Innovationen möglich.

Die Implementierung dieser Instrumente kann allerdings nur dann zu mehr Kreativität und
Innovation führen, wenn in einer Organisation auch entsprechende Rahmenbedingungen
gegeben sind (siehe weiter oben). Aufgrund zahlreicher Untersuchungen wurde festgestellt,
dass vier Rahmenbedingungen das Teamklima positiv beeinflussen und somit die Gefahr
mentaler Blockierungen [81] vermindern: Vision, partizipative Sicherheit, Aufgaben- und
Leistungsorientierung und Unterstützung von Innovationen [82, 83].

• Vision: Höhere Ziele, die die Mitarbeitenden motivieren, die als bedeutsam erachteten
Konsequenzen einer Innovation anzustreben.
• Partizipative Sicherheit: Rahmenbedingungen motivieren zur Beteiligung an der Ent-
scheidungsfindung, und Kollegen und Vorgesetzte werden als nicht bedrohlich erlebt.
Die Autonomie des Innovationsteams muss dabei vorhanden sein.
• Aufgaben- und Leistungsorientierung: Durch klare Verantwortlichkeiten, Ressourcen-
zuteilung und gegenseitige Kontrolle innerhalb von Gruppen sowie kritische Bewer-
tungen von Innovationen werden hervorragende Leistungen ermöglicht.
• Unterstützung von Innovationen: Erwartungshaltung der Organisation (Druck), dass
kontinuierliche Versuche für neue oder verbesserte Vorgehensweisen in der Arbeits-
umwelt stattfinden und diese Zustimmung und praktische Unterstützung durch den
Unternehmer oder das Team erfahren. Die konsequente Umsetzung dieser Schritte ist
erfolgsentscheidend [84]. Die Fehlertoleranz in diesem Prozess, die Dankbarkeit und
die Wertzuweisung von neuen Ideen durch den Unternehmer sind hierbei auch zentral.

Unternehmensporträt: Noventa AG, Schweiz


Noventa hat auf Druck seines damals wichtigsten Kunden eine Optimierung der Pro-
duktionsprozesse durchgeführt anhand der japanischen Philosophie des Lean-Produk-
tionssystems. Qualität, Kosten und Prozessgeschwindigkeit konnten dadurch signifi-
kant verbessert werden. Die konsequente Umsetzung von Verfahren und Konzepten

4
Die Begriffe wie Kaizen, Workflow-Management u. a. werden auf verschiedenen Lexikon-Servern
detailliert erklärt, z. B. www.ib.hu-berlin.de.
124 4  Innovation und Entrepreneurship

wie best point (ideale und ergonomische Anordnung der Instrumente für die Montage),
Kaizen (Unternehmungsführungs- und Prozesskonzept, das auf einer Philosophie der
ewigen Veränderung beruht) sowie one piece flow (Prinzip der starren Verkettung; d. h.
das Verbinden von zwei oder mehreren in bestimmten Abständen aufgestellten Ferti-
gungs- bzw. Verarbeitungseinrichtungen durch Zubringereinrichtungen) erhöhte sich
die Gesamtproduktivität um bemerkenswerte 30 %! Gleichzeitig gelangen der Noventa
Produktinnovationen. Im Dusch-WC-Markt konnte die Firma ein komplett neuartiges
Produkt (Dusch-WC LaPreva) realisieren.
Diese Innovationsstrategie verhalf der Noventa dazu, die verlangte Kostenreduktion
einzuhalten, und erhöhte gegenüber Konkurrenten aus den osteuropäischen Ländern
oder Asien die Wettbewerbsfähigkeit. Was ist das Erfolgsrezept der Noventa AG bei
diesem radikalen Restrukturierungsprozess?

-
Operative Erfolgsfaktoren des Innovationsprozesses:
Die Unternehmungsleitung arbeitete während mehrerer Wochen operativ in der
Montagehalle mit, dies förderte den Know-how-Transfer und Kontakt zwischen

-
Mitarbeitenden und Geschäftsführung.
Der Innovationsprozess erstreckte sich über die gesamte Fertigung, inklusive
vor- und nachgelagerter Prozesse, mit dem Ziel, die Fertigungsphilosophie der
Unternehmung nachhaltig zu verändern und wettbewerbsfähiger zu werden.

-
Strategische Erfolgsfaktoren des Innovationsprozesses:
Kundenportfolio und sehr unterschiedliche Bedürfnisse der Kunden fordern das

-
Entwicklungsteam, die Gefahr der Routine wird dadurch reduziert;
Geschäftsführung als Treiber für den Top-down-Ansatz dank Integration der
Geschäftsführung in die operative Gestaltung neuer Prozesse (Auslösung von

--
Bottom-up-Ansätzen);
Situatives, zielgerichtetes Coaching durch externe Experten;
Abbau von Innovationshemmnissen: enges Zeitkorsett durch den Kunden vorge-
geben, Bereitschaft des Kunden gegenüber Noventa, Risiko einzugehen.

-
Kulturelle Erfolgsfaktoren des Innovationsmanagements:
Druck von außen und Involvierung des Kunden in Innovationsprozesse im Sinne

-
einer Wechselwirkung ist innovationsförderlich;
Kreativität wird konsequent durch Begeisterung und Freiräume gefördert. Es soll
jedoch keinen Kreativitätsprozess im Sinne einer starren Abfolge von definier-
ten Schritten geben. Der Ideenfindungsprozess besteht darin, Anreize zu schaffen

-
und umsetzungs-kompetente und kreative Mitarbeitende zusammenzubringen;
Schließlich bekennen sich die Unternehmer und Inhaber als Kreativitäts- und
Innovationsbeeinflussende: A. Stähli, P. Besserer, R. Maurer und D. Marxer se-
hen ihre Aufgabe in der Unternehmung unter anderem auch im Management der
Erfolgsfaktoren und fördern die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen.
4.5  Förderung der Innovationsfähigkeit 125

Nun muss sich die Noventa AG mit der Frage beschäftigen, wie die schöpferische Kraft
von allen Beschäftigten nachhaltig genutzt und in der Kultur, der Struktur sowie der
Strategie des Unternehmens verankert werden kann. Es geht dabei auch darum, die
internationale Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu behaupten und auszubauen.
Die Noventa AG ist heute ein Unternehmen mit ca. 600 Mitarbeitenden mit Haupt-
sitz in der Schweiz. Das Unternehmen ist in den Bereichen Design, Engineering, Too-
ling, Kunststofftechnik sowie Gerätebau tätig.
Noventa entwickelt Produkte für andere Unternehmen und ist somit innovativ in
Bereichen der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung sowie der Prozessgestaltung.
Die Entwicklung kann von der ersten Idee über das Prototyping bis hin zur Serienpro-
duktion reichen. Weitere Informationen unter www.noventa.com.

77 Das Erfolgsrezept der Noventa besteht aus operativen, strategischen und


kulturellen Erfolgsfaktoren.

4.5.2 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess: Kaizen

77 Kaizen bedeutet „Veränderung und Wandel zum Besseren“.

Das Innovationsmanagement spiegelt auch das Erkennen und die Nutzung von kontinuier-
lichen Verbesserungsmöglichkeiten im Sinne des Kaizen-Ansatzes wider. Kaizen bedeutet
„Veränderung und Wandel zum Besseren“ (japanisch) und umschreibt einen Managemen-
tansatz, der die ständige und inkrementelle Verbesserung von Bewährtem zum Ziel hat [85].
Kaizen verweist auf die Nutzung der innovativen Kraft jedes einzelnen Mitarbeitenden im
Unternehmen, der mit seinen Ideen und Verbesserungsvorschlägen mit einen „Bottom-up-
Ansatz“ (von unten nach oben) im Gegensatz zu einem „Top-down-Ansatz“ (von oben nach
unten) für die kontinuierliche und nachhaltige Verbesserung der Leistungsprozesse sorgt.
Idealerweise fördert das Management eines Unternehmens durch ein etabliertes und damit
von allen Beschäftigten gelebtes Innovationsmanagement beide Ansätze.

4.5.3 Cross-functional Teams

Spezialisten verschiedener organisatorischer Einheiten (auch über die Organisationen


hinweg) arbeiten gemeinsam in sogenannten Cross-functional Teams (CFT) im Rah-
men des Entwicklungsprozesses einer neuen Dienstleistung oder eines neuen Produktes.
Diese Teams bestehen aus Personen aus der Produktion, dem Marketing und der Entwick-
lung, damit entsprechende Fragen, die sonst erst später im Entwicklungsprozess themati-
siert werden, bereits vorher aufgeworfen und besprochen werden. Die Einbindung der Pro-
duktion (oder der Leistungserbringer bei Dienstleistungen) in die Entwicklung ermöglicht
es, Einsparpotenziale zu erhalten, um die anschließende Produktion effizienter zu erstellen.
126 4  Innovation und Entrepreneurship

Diese Personen teilen sich Informationen und fällen gemeinsam Entscheidungen. Dabei
nimmt ein einheitliches Prozess- und Zielverständnis des Projektes eine zentrale Rolle ein,
um unterschiedlichen Interpretationen vorzubeugen [86, 87].
Folgende Erfolgsfaktoren können dabei identifiziert werden [88]:

• Klare Zielfestlegung;
• Zusammensetzung bzgl. Diversität der Stärken;
• Projektleiter, der das Ziel nicht aus den Augen lässt, aber auch den Teammitgliedern
einen nötigen Freiraum gibt;
• Support der Unternehmensführung, wobei in kleinen Unternehmen meist der Unter-
nehmer oder die Geschäftsführung in solchen Projekten integriert ist;
• Commitment der Teammitglieder;
• Respekt und Vertrauen unter den Teammitgliedern.

Da in jungen und kleinen Unternehmen meist der Unternehmer in Personalunion diese


Funktionen ausführt, jedoch vielfach nicht die Kapazitäten (zeitlich, finanziell und fach-
lich) besitzt, um alles selbst zu leisten, arbeiten diese Unternehmer oft mit Lieferanten oder
Vertriebsfachleuten zusammen.

4.5.4 Innovationsbarrieren

77 Veränderungen finden häufig dann statt, wenn ein Unternehmen unter Druck
steht.

Gerade Studien zum Veränderungsmanagement zeigen, dass Veränderungen meist aus ei-
nem gewissen Druck entstehen, dass also Innovationsbarrieren aufgrund eines starken
Drucks überwunden werden können. Dies können etwa verschlechterte Margen oder die
Unzufriedenheit eines Kunden sein. Durch diesen Druck sieht sich das Unternehmen ge-
zwungen, starke Veränderungsprozesse in Gang zu setzen, wie etwa den kontinuierlichen
Verbesserungsprozess oder strategische Veränderungen.
Die Gründe für Innovationsbarrieren sind vielseitig [5]. Die Veränderung von Routinen
ist mit Aufwand aufseiten des Individuums verbunden und diese Anstrengung möchten
nicht alle Personen auf sich nehmen. Zudem sind auch mögliche Vorurteile vorhanden
gegenüber Neuerungen: dass die Neuerungen vielleicht gar nicht den Nutzen bringen, den
sie vorgeben. Teilweise wird auch vom Not-invented-here-Syndrom gesprochen [89]. Das
heißt, externe Ideen werden nicht als solche akzeptiert und entsprechend abgelehnt, da sie
nicht von den Mitarbeitenden selbst stammen. Schließlich wird auch von einer funktionalen
Fixiertheit gesprochen (functional fixation) [90]. Es wird angenommen, dass bestimmte
Funktionen als inhärent für einen bestimmten Kontext gelten und entsprechend nicht in ei-
nen anderen Kontext transferiert werden können. Ein Beispiel dazu ist, dass die Schweizer
Post ursprünglich keine weiteren Produkte verkaufte, die nicht mit ihrer Kernkompetenz
4.6  Fallstudie: KISKA 127

(dem Versenden der Post) zusammenhingen. Heutzutage werden auch Bücher, Mobiltele-
fone und Computer in den Poststellen verkauft.
Der Protest einer Person gegenüber Innovationen und Veränderungen kann dabei
verschiedene Argumente beinhalten: technologische, absatzwirtschaftliche, finanz- und
erfolgswirtschaftliche sowie ökologische Begründungen. Diese Behauptungen können
vordergründig sein und persönliche Anliegen überdecken. Die tiefgründigen Widerstände
können etwa auf einem Nicht-Wissen oder einem Nicht-Wollen basieren [5]. Innovati-
onen erfordern vielfach intensives Lernen und eine geistige Auseinandersetzung, die
mit individuellem Aufwand verbunden ist, den bestimmte Personen nicht bereit sind
auszuführen.

77 Promotoren können bei der Überwindung von Widerständen eine große Rolle
spielen.

Promotoren können bei der Überwindung von Widerständen eine große Rolle spielen. Es
werden drei Arten von Promotoren unterschieden [5]: der Fach-, Macht- und Prozesspro-
motor. Der Fachpromotor besitzt relevantes objektspezifisches Fachwissen, das dazu dient,
die Innovation umzusetzen. Der Machtpromotor hat aufgrund seiner Verantwortung die
Möglichkeit, das Innovationsprojekt zu stoppen oder es stark voranzutreiben. Der Prozes-
spromotor hat Organisationskenntnis, da er weiß, wer von der Innovation betroffen sein
könnte. Ergänzend dazu nennen wir den Motivationspromotor, der Beteiligte mit Argu-
menten überzeugt, mit seiner Art motiviert und die Menschen zum Handeln ansteckt. Es
ist wichtig, die verschiedenen Promotoren für das einzelne Innovationsprojekt zu identifi-
zieren und entsprechend ein Bewusstsein für diese verschiedenen Personen zu entwickeln.
Idealerweise werden sie in das Projekt integriert oder ihre Ideen aufgenommen, damit der
Eindruck entsteht, dass die Ideen von ihnen kommen.

4.6 Fallstudie: KISKA

Julian Herget ist Marktforscher bei KISKA. Er ist zuständig dafür, die Kundenbedürfnisse
durch verschiedene Formen der Marktforschung herauszufinden. Neue Produkte sollen
entwickelt oder bestehende Produkte verbessert werden, um dem Kunden einen Mehrwert
zu liefern. Die Geschäftsführung von KTM beauftragte KISKA, ein neues Marktseg-
ment für KTM zu erschließen. Dazu wird zuerst der allgemeine Marktforschungs- und
Entwicklungsprozess von KISKA aufgeführt, um dann auf das Beispiel von KTM ein-
zugehen.

77 Das Design von neuen Produkten soll mit der Strategie und der Markenbot-
schaft von Firmen zusammenhängen.
128 4  Innovation und Entrepreneurship

4.6.1 Vorstellung von KISKA

KISKA mit Sitz in Salzburg in Österreich wurde 1990 durch Gerald Kiska gegründet
und ist heute mit über 150 Mitarbeitenden aus mehr als 20 Nationen eines der führenden
Markenberatungs- und Designunternehmen Europas. Das Unternehmen entwickelt Design-
lösungen, die Marken langfristig stärken und Markenerlebnisse schaffen. Ein konsequent
verfolgtes Markendesign bringt Wiedererkennung und Differenzierung vom Wettbewerb.
Resultierend daraus vergrößern sich die Marktchancen und die Kundenbindung.
Neben dem Produktdesign und Innovationsmanagement widmet sich KISKA seit einiger
Zeit verstärkt dem Kommunikationsdesign sowie der Markenentwicklung und -beratung
inklusive qualitativer Marktforschung (Fokusgruppen, Tiefeninterviews etc.). Durch Trend-
forschung oder Konkurrenzanalyse etwa ist es möglich, mehr über den Zielmarkt im Jetzt
und in der Zukunft zu erfahren. KISKA ist es besonders durch diese Prozesse möglich,
innovativ zu sein. Durch das Erfolgsrezept der integrierten Designentwicklung werden
alle Elemente einer Marke bedient, vom Produkt über die Produktumgebung bis hin zur
Kommunikation. Damit wird eine einheitliche, einzigartige Botschaft vermittelt, die für
den Kunden relevant ist.
Ausgangspunkt von jedem Projekt ist der Kunde, der mit seiner Anfrage an KISKA
herantritt. Er gibt für sein Unternehmen Wachstumsziele, finanzielle Ziele, eine Marke-
tingstrategie wie auch die Marke an. Allenfalls wird dies auch mit KISKA erarbeitet. Das
Team bei KISKA beantwortet, wie die Ziele mit Marke, Design, Kommunikation sowie
Innovation erreicht werden können, und setzt diese um. KISKA legt besonderen Wert auf
nachhaltige Kundenberatung, durch die das Kundenvertrauen aufgebaut wird. Besonders
bei Innovations- und Beratungsprozessen stellt dies eine wichtige Grundlage der erfolg-
reichen Zusammenarbeit dar.
Echte Innovationen weisen aus KISKAs Erfahrung einige Voraussetzungen auf: Inno-
vation sollte strategisch eingesetzt werden, sodass diese z. B. auf die Unternehmensziele
sowie die Marke „einzahlt“. Des Weiteren sollte sie sich am Konsumenten orientieren und
für diesen auch relevant sein. Häufig wird übersehen, dass eine Idee schnell entsteht, jedoch
aufwendig in der technischen Umsetzung ist und die Gesamtentwicklung finanziert werden
muss. Ohne einen mutigen Entscheider ist sie zumeist nicht zu verwirklichen.
Im Bereich des Produktdesigns und der Innovationsentwicklung für den Konsumenten
kann der strategische Prozess vereinfacht wie in Abb. 4.7 dargestellt werden.
Nach der gemeinsamen Festlegung der Ziele konzentriert sich KISKA auf den Konsu-
menten, um möglichst viel über ihn und seinen Markt zu erfahren.

77 Während der Recherchephase werden die wesentlichen Konkurrenten und


bestehenden Produkte analysiert.

Im „Recherche“-Prozess wird deshalb der Markt erfasst und auf die wesentlichen Konkur-
renten und deren bestehende Produkte geachtet. Weiter wird auch die eigene Markenposi-
tionierung durchleuchtet und relevante Trends gesucht. Durch qualitative Marktforschung
4.6  Fallstudie: KISKA 129

Abb. 4.7  Strategischer Prozess der Innovationsentwicklung (KISKA)

wie zum Beispiel Tiefeninterviews und Fokusgruppen werden Kaufverhalten, Wahrneh-


mung des Konsumenten, dessen Bedürfnisse bezüglich Funktionalität und Benutzerfreund-
lichkeit, aber auch dessen Einstellungen über die Marke untersucht. Diese Erkenntnisse
sind unabdingbar für die Definition der USPs (Unique Selling Propositions) der Marke und
des Produktes und werden während der „Analyse“-Phase ausgearbeitet. Aufbauend auf
diesen Prozess werden im „Kreativ“-Prozess anhand der gewonnenen Erkenntnisse Ideen
entwickelt und Zukunftsszenarien für den Kunden aufgezeigt. Im „Entscheidungs“-Prozess
wird anhand von vorher definierten Bewertungskriterien, die anhand von verschiedenen
Matrizen mit unterschiedlichen Ausprägungen und Achsenbezeichnungen abgebildet wer-
den, die Auswahl vorgenommen.
In der „Implementations“-Phase wird die Idee von Marke und Design ausgeführt und
auf den Markt gebracht. Die Idee wird durch die Umsetzung somit zur Innovation.

4.6.2 Innovationsentwicklung von KISKA am Beispiel von KTM

Die Geschäftsführung von KTM beauftragte KISKA, ein neues Marktsegment für KTM
zu erschließen. KTM ist der zweitgrößte Hersteller von Sportmotorrädern in Europa mit
Sitz in Mattighofen, Österreich.
Die Herausforderung lag darin, eine neue Zielgruppe, Jugendliche von 14 bis 18 Jahren,
frühzeitig über das richtige Produkt an die Marke zu binden.
In diesem Projekt spielt vor allem die Erforschung der Zielgruppe eine entscheidende
Rolle, da KTM mit der Duke 125 einen komplett neuen Markt erschließen will, zu dem es
bislang keinen Zugang hatte.
Zunächst wurde die Altersgruppe untersucht, um sie zu segmentieren. Dies erfolgte an-
hand des Verwendungsverhaltens, der Motivation, Interessen und Vorbildfunktion, welche
mittels Feldforschung (Interviews, Beobachtung) identifiziert wurden.

77 KISKA identifizierte fünf verschiedene Gruppen von Jugendlichen.

Die Jugendlichen wurden in fünf verschiedene Gruppen eingeteilt, die nach den verschiede-
nen Verwendungszwecken, von Image über Hobby bis hin zu Mobilität, angelegt wurden:
die „Playboys“, „Petrolheads“, „Hobby Biker“, „Profi Racer“ und „Pendler“. Anhand einer
Matrix wurden diese fünf Gruppen dargestellt, um die für KTM relevanteste Zielgruppe aus-
wählen und somit gezielt ansprechen zu können. Die „Petrolheads“ sind die unabhängigen
Technologieexperten, die höchste Glaubwürdigkeit vermitteln. Durch ihr fahrerisches Kön-
130 4  Innovation und Entrepreneurship

nen weisen sie mehr Kompetenz und Stil als die anderen Gruppen auf. Sie sind die „Freaks“
in der Szene, zu denen alle anderen Gruppen aufblicken und sind somit meinungsbildend.
Im „Recherche“-Prozess stellte sich zudem heraus, dass Individualität, Stil und Persönlich-
keit für die Jugendlichen eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb war es wichtig, die Marke
zielgruppenrelevant zu übersetzen. KTM steht für Performance und „Ready to Race“ und in
diesem Projekt konzentrierte man sich auf die zielgruppenadäquate Übersetzung dieser Leit-
motive im Produkt und in der Kommunikation. Durch die innovative Entwicklung des Pro-
dukts gelang es, diese Bedürfnisse mit den Leitmotiven der Marke glaubwürdig zu verbinden.
Anschließend wurde in Fokusgruppen mit den Jugendlichen das Design der ersten Pro-
totypen im Vergleich zu Mitbewerbern diskutiert, um es danach noch einmal anzupassen.
Designer waren bei dem Research- und Strategieprozess von Anfang an mit dabei, was
ein tiefes Verständnis der Konsumentenbedürfnisse und eine hohe Akzeptanz der For-
schungsergebnisse garantierte. Zusätzlich machte es einen direkten Transfer im „Kreativ“-
Prozess möglich. Individualität war ein sehr wichtiger Anspruch an das neue Motorrad.
Deshalb stellte KISKA das Produkt als Paket vor. Die Duke 125 kam mit zahlreichem
Zubehör auf den Markt, wie zum Beispiel Kleidung und Stickerkits, um den Jugendlichen
eine Individualisierung ihres Motorrads zu gewährleisten. Neben dem Design wurden eine
interaktive Kommunikationsstrategie und eine After-Sales-orientierte Preisstrategie entwi-
ckelt, die den Bedürfnissen der Jugendlichen entsprachen.

77 Die frühzeitige Integration der KTM-Ingenieure ermöglichte die Entwicklung


einer erfolgreichen innovativen Gesamtlösung.

Die Gesamtlösung zeichnet sich zusätzlich durch intelligentes Produktdesign mit einer neu-
artigen Komponentenanordnung aus. Durch die frühzeitige Integration der KTM-Ingenieure
konnte eine erfolgreiche innovative Gesamtlösung entwickelt werden. Die spezielle Konstruk-
tionsweise des Motors und des Rahmens ermöglichten ein vergleichsweise geringes Fahrzeug-
gewicht. Des Weiteren besitzt die Duke 125 eine Auspuffkammer anstatt des Rohres, wodurch
das Gewicht möglichst zentral und weit unten ausgerichtet werden konnte. Ein niedriger
Schwerpunkt wird erreicht und somit ist das Bike wendiger und einfacher zu handhaben, was
zusätzlich durch eine komfortablere, weil ergonomisch bessere Sitzposition unterstützt wird.
Das Ergebnis der konsequenten Ausrichtung der 4-Ps (Product, Place, Promotion, Price)
und deren innovative, auf die Zielgruppe ausgerichtete Umsetzung, insbesondere im Pro-
dukt, war eine erfolgreiche Markteinführung, die den geplanten Marktanteil von 10 %
deutlich übertroffen hat.
Weitgehend lassen sich vier Erfolgsfaktoren des Innovationsprozesses von KISKA zu-
sammenfassen

1. Die Tatsache, dass KISKA die Beratungsleistung als ganzheitlich betrachtet, ist ein
besonderes Merkmal, das KISKA einzigartig macht. Die Marke, das Produktdesign
und das Innovationsmanagement werden auf die Strategie des Kunden von KISKA als
Einheit aufeinander abgestimmt.
4.6  Fallstudie: KISKA 131

2. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Einbindung und Begleitung des Designers wäh-
rend des gesamten Prozesses. Zusätzlich wird der Kunde stark in den Innovationspro-
zess einbezogen. Eine klare Zieldefinition des Kunden am Anfang und eine qualitative
Marktforschung mit den Konsumenten sind wesentliche Bausteine.
3. Ein besonderes Merkmal von KISKA ist die im Prozess enthaltene Marktforschung,
die gezielt eingesetzt wird, um die kreative Richtung zu definieren, ohne sie dabei ein-
zuschränken. KISKA tritt mit ihrem Credo „Designing Desire“ mit einer besonderen
Passion und Ambition an ihre zahlreichen Projekte heran, ohne die unkonventionelle
Ideen und inspirierende Lösungen oft nicht möglich wären.
4. Als Dienstleister ist es möglich, kreative Impulse zu setzen und mit einem frischen Blick
querzudenken. Die Innovation muss jedoch vom Auftraggeber gewollt und schlussend-
lich gelebt werden.

Fragen zur Fallstudie


1. Wie würden Sie vorgehen, um erstens zu erfahren, ob ein E-Bike von KTM Markt-
akzeptanz erfahren würde, und zweitens beim Design eines E-Bikes die richtigen
Entscheidungen zu treffen?
2. Welche Gefahren und Risiken können Sie im Fallbeispiel eruieren?
3. Ein Kunde kommt zu Ihnen und möchte, dass Sie mit ihm zusammen ein neues
Kinderspielzeug entwickeln. Sie werden angefragt, wie Sie den Prozess gestalten
würden. Erarbeiten Sie für diesen Kunden einen Vorschlag für den Prozess und füh-
ren Sie diesen möglichst konkret aus.
4. In Anbetracht von Design-Thinking: Welche Personen sollte KISKA bei der Ent-
wicklung z. B. einer Wasserpistole einbeziehen?

Diskussionsfragen
1. Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen den theoretischen Überlegungen zur Innovation
und dem Fallbeispiel?
2. Umschreiben Sie die verschiedenen Arten von Innovationsbarrieren. Wie können sie
verhindert werden?
3. Suchen Sie verschiedene gesellschaftliche Trends z. B. im Internet. Überlegen Sie
sich in einem zweiten Schritt, inwiefern diese Trends eine Auswirkung auf Ihre Ge-
schäftstätigkeit haben könnten.
4. Bitte suchen Sie für Ihren Markt (oder einen Markt von Interesse) relevante Blogs
und Foren, in denen Ihre Kunden sich austauschen. Was sind dargelegte Probleme?
Wie könnten diese Probleme gelöst werden?
5. Versuchen Sie für Ihre Geschäftsidee oder Ihr Unternehmen zu überlegen, wer Ihre
Kunden sind und welche Bedürfnisse sie haben. Wenn Sie die Gelegenheit haben:
Fragen Sie Ihre Kunden, wie Sie Ihre Dienstleistung/Ihr Produkt wahrnehmen.
132 4  Innovation und Entrepreneurship

Literatur

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Strategie und Geschäftsmodell
5

5
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Eine erfolgreiche Strategie und ein tragfähiges Geschäftsmodell bestimmen wesentlich
den Erfolg eines Unternehmens. Die Strategie ist die planvolle Ausrichtung der Unter-
nehmensaktivitäten auf ein langfristiges Ziel und ermöglicht es dem Unternehmen, sich
gegenüber den Mitbewerbern zu positionieren. Die Entwicklung einer Strategie kann
sehr strukturiert vorgenommen werden und theoretisch anhand des klassischen stra-
tegischen Managementprozesses durchgeführt werden. Start-up-Unternehmen müssen
Strategien jedoch unter Unsicherheit entwickeln: Sie kennen die Reaktionen des Mark-
tes und die Spielregeln des Marktes häufig noch gar nicht. Daher sollten Jungunterneh-
mer neben linear-kausalen Denkansätzen auch den Effectuation-Ansatz mit berück-
sichtigen. Entrepreneure, die nach den Prinzipien des Effectuation-Ansatzes handeln,
gehen von den Mitteln aus, die ihnen zur Verfügung stehen (wer ich bin, was ich kann,
wen ich kenne), um dann zu überlegen, was sie mit diesen Mitteln erreichen können.
Des Weiteren stehen Start-up-Unternehmen eine Reihe von Werkzeugen zur Strategie-
und Geschäftsmodellentwicklung zur Verfügung, darunter z. B. das COSTAR-Modell
und verschiedene Business-Model-Ansätze. Im Zusammenhang mit Geschäftsmodel-
len und Start-up-Unternehmen ist das wichtige Thema Geschäftsmodell-Innovationen
zu nennen. Gerade Jungunternehmer können mit Geschäftsmodell-Innovationen die
Spielregeln einer Branche neu definieren, indem sie ihren Kunden einen neuartigen
Nutzen anbieten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_5 137
138 5  Strategie und Geschäftsmodell

Lernziele
Nach der Lektüre dieses Kapitels sollten Sie folgende Fragen beantworten können:

•• Sie können erläutern, was man unter einer Unternehmensstrategie versteht und
welche Besonderheiten für Start-up-Unternehmen gelten.
•• Sie sind in der Lage, eine Unternehmensstrategie für Start-up-Unternehmen zu
entwickeln.
•• Sie wissen, worin der Unterschied zwischen einem logisch-kausalen Ansatz und
einem Effectuation-Ansatz besteht und welche Konsequenzen sich daraus für
Gründungsvorhaben ergeben.
•• Sie können erläutern, was man unter einem Geschäftsmodell versteht und aus
welchen Hauptbestandteilen ein Geschäftsmodell besteht.
•• Sie können erläutern, was man unter einer Geschäftsmodell-Innovation versteht.
•• Sie kennen Werkzeuge zur Entwicklung von Geschäftsmodell-Innovationen und
können diese anwenden.
•• Sie können die Merkmale von konzept-kreativen Gründungen erläutern.

5.1 Begriffserklärungen

77 Strategie:  Die planvolle Ausrichtung sämtlicher Unternehmensaktivitäten und -pro-

zesse zur Erzielung langfristig wirkender Wettbewerbsvorteile. Eine Strategie ist ein Mittel
zur Positionierung der eigenen Tätigkeiten in Relation zu den Kundenbedürfnissen und den
Angeboten der Mitbewerber.

77 Vision:  In einer Unternehmensvision wird zusammengefasst, was das Unternehmen


langfristig erreichen und darstellen möchte. Die Vision erfüllt mehrere Funktionen: Sie
soll die Mitarbeitenden inspirieren und motivieren (Mobilisierungsfunktion), eine gemein-
same Identität stiften (Identitätsfunktion) und die Identifikation mit dem Unternehmen
ermöglichen (Identifikationsfunktion). Oft wird die Vision durch die Zukunftsvorstellung
des Unternehmers alleine geprägt, nach innen kommuniziert und von den Mitarbeitenden
akzeptiert und gelebt.

77 Mission:  Die Mission oder auch das Unternehmensleitbild drückt das Selbstverständnis
der Unternehmensaufgabe aus. Unter anderem soll so den Mitarbeitenden die Sinnhaftig-
keit und der Wert ihrer Aufgabe verdeutlicht werden.

77 Effectuation:  Causation-Prozesse gehen von einem festgelegten Effekt aus, der er-
zielt werden soll. Sie konzentrieren sich darauf, die richtigen Mittel auszuwählen, um
diesen Effekt zu erzielen. Effectuation-Prozesse gehen dagegen von den zur Verfügung
5.2 Einführung 139

stehenden Mitteln aus (wer ich bin, was ich kann, wen ich kenne), um dann zwischen
den möglichen Effekten auszuwählen, die mit diesen Mitteln erzielt werden können [1],
S. 245. Im Prinzip entspricht dieses Vorgehen dem Grundverständnis eines aus eigener
Kraft wirtschaftenden Unternehmers und hat erst in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit
der Wissenschaft erlangt.

77 Geschäftsmodell:  Ein Geschäftsmodell ist eine modellhafte Beschreibung der Funk-


tionsweise eines Unternehmens oder eines Geschäftsbereiches. Das Geschäftsmodell be-
schreibt, wie die Strategie umgesetzt wird. Die Beschreibung des Geschäftsmodells kann
anhand eines Wertschöpfungsnetzwerks erfolgen, das zumeist anhand von acht bis zehn
relevanten Dimensionen wie Ressourcen, Kunden, Ertragsmechanismus, Prozesse etc.
darstellt, wie das Unternehmen Wert für seine Kunden und das Unternehmen schafft. Es
existieren vielfältige Spielarten von Geschäftsmodellen, die aber im Grundsatz mit den-
selben bzw. ähnlichen Dimensionen arbeiten und sich vor allem durch das Aufzeigen von
Wirkmechanismen unterscheiden.

77 Geschäftsmodell-Innovation:  Neuerfindung des für eine Branche typischen Geschäfts-


modells. Die Geschäftsmodell-Innovation unterscheidet sich von bisher bekannten Ge-
schäftsmodellen in der Branche, indem den Kunden ein neuartiger Nutzen angeboten wird,
die Leistung auf eine komplett andere Art erstellt wird und/oder Erträge auf eine andere
Art und Weise erwirtschaftet werden. Die Entwicklung von Geschäftsmodellen kann mit
methodischen und visuellen Rastern unterstützt werden.

77 Konzept-kreative Gründung:  Einfache, aber durchdachte Gründungsidee, die nicht


durch eine grundlegende technologische Innovation geprägt ist, sondern durch ein neues
Arrangement der einzelnen Dimensionen eines Geschäftsmodells und damit durch ein
neuartiges Geschäftskonzept. Nach Möglichkeit setzt sich die Idee aus bereits vorhande-
nen Komponenten zusammen. Damit soll „Unternehmertum für jedermann“ ermöglicht
werden [2].

5.2 Einführung

Weshalb sind einige Unternehmen erfolgreicher als andere? Was ist notwendig, um lang-
fristig im Markt zu bestehen? Warum können Start-ups etablierte Branchen oder „Bran-
chenriesen“ herausfordern und sogar verdrängen? Und was muss bei der Ausgestaltung der
nächsten Produktgeneration beachtet werden, um auch dann wieder für Kunden attraktiv
zu sein?
Die genannten Fragen beschäftigen sich alle mit dem zentralen Thema der Strategie-
festlegung. Mit der Entwicklung einer Unternehmensstrategie verfolgt letztlich jedes Un-
ternehmen das Ziel, Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten aufzubauen und sie
langfristig zu verteidigen [3]. Wettbewerbsvorteile und damit Unternehmensleistungen, die
140 5  Strategie und Geschäftsmodell

besser sind als die der Mitbewerber, können auf folgende Arten realisiert werden: Entwe-
der stiftet man seinen Kunden einen höheren Nutzen als die Konkurrenz oder man bietet
einen vergleichbaren Nutzen zu einem niedrigeren Preis – oder beides. Die wirtschaftliche
Logik dahinter ist schnell erklärt: Für einen höheren Mehrwert kann man einen höheren
Preis verlangen, höhere Effizienz resultiert in einem niedrigeren Durchschnittspreis pro
erstelltem Produkt [4].
Woraus entstehen aber Wettbewerbsvorteile? Letztlich resultieren alle Unterschiede
daraus, dass ein Unternehmen bestimmte Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Her-
stellung oder dem Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen stehen, anders und/oder
besser durchführt als seine Mitbewerber. Eine Differenzierung ist aber auch durch die
Auswahl an Aktivitäten möglich. In beiden Fällen bilden die Unternehmensaktivitäten die
„Basiseinheit“ von Wettbewerbsvorteilen. Übergreifend lässt sich sagen: Die Wettbewerbs-
vorteile oder -nachteile resultieren aus der Gesamtheit aller Aktivitäten und Prozesse eines
Unternehmens [4].
Eine operationale Effektivität entsteht dadurch, dass ein Unternehmen bestimmte Ak-
tivitäten und Prozesse besser durchführen kann als seine Konkurrenten. Eine strategische
Positionierung dagegen hat damit zu tun, Aktivitäten auszuführen, die sich entweder von
denen der Konkurrenz unterscheiden, oder gleiche Aktivitäten in einer unterschiedlichen
Art und Weise durchzuführen.

77 Wettbewerbsvorteile müssen sich an drei Dimensionen orientieren: den eige-


nen Stärken und Kompetenzen sowie den Kundenbedürfnissen.

Wie baut ein Start-up-Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf und für welche sollte es sich
entscheiden? Letztlich wird sich jedes Unternehmen, ob bestehend oder neu im Markt, an
drei Dimensionen orientieren: den eigenen Stärken und Kompetenzen sowie den Kunden-
bedürfnissen. Wobei Letztere auch latent vorliegen können und erst noch entwickelt werden
müssen. Einige Unternehmen haben genau dies, nämlich den Einsatz ihrer Stärken zum
Nutzen der Kunden, vorbildlich umgesetzt:

• Apple gelingt es besser als anderen Unternehmen, die Brücke zwischen Technik,
Design und Kunden zu schlagen. Dafür zahlen die Kunden derzeit nach wie vor
mehr, als sie für vergleichbare Technologie müssten, und machen damit Apple zum
wertvollsten Unternehmen der Welt, da der Kurs Ende April 2015 wieder ein neues
Allzeithoch erreicht hat.
• Das Zürcher Unternehmen Freitag (siehe auch Unternehmensprofil in Kap. 4) ver-
kauft Designertaschen, die aus alten Lkw-Planen, gebrauchten Sicherheitsgurten und
gebrauchten Fahrradschläuchen gefertigt werden. Jede Tasche hat ein individuelles
Design. Kunden mögen Individualität, und die Marke erreichte Kultstatus. Bei Ideen-
wettbewerben tauchen regelmäßig „Imitate“ auf. Mittlerweile wurde das Angebot mit
weiteren Accessoires ausgebaut.
5.3  Was ist eine Strategie? 141

77 „Es anders und besser machen als die anderen“ – letztlich ist genau das die
Essenz von Strategie.

Die beiden Beispiele zeigen, dass eine strategische Positionierung es einem Unternehmen
ermöglicht, sich über einen langen Zeitraum gegenüber dem Wettbewerb zu behaupten.
Unbenommen bleibt, dass auch diese Unternehmen ständig ihre operativen Aktivitäten
verbessern müssen. Die zugrunde liegende Strategie jedoch hat langfristig Bestand. Com-
puter und MP3-Player, Möbel und Designertaschen stellen auch andere her. Aber Apple
und Freitag tun es auf eine grundlegend andere Art als ihre Wettbewerber. „Es anders und
besser machen als die anderen“ – letztlich ist genau das die Essenz von wirklich erfolgrei-
chen Strategien [4]. Zumindest muss das die Unternehmenskommunikation uns Endkunden
glaubhaft machen können.

5.3 Was ist eine Strategie?

In der betriebswirtschaftlichen Literatur finden sich verschiedene Auffassungen darüber,


was eine Strategie ausmacht. Kann man nur von Strategie sprechen, wenn die Ergebnisse
geplant oder gar schriftlich festgehalten sind? Bejaht man dies, sind wahrscheinlich viele
KMU strategielos. Und was ist überhaupt eine Strategie? Eher ein Ergebnis oder eher ein
Prozess?

77 Mintzbergs 5 Ps beleuchten das Thema Strategie aus fünf verschiedenen


Blickwinkeln.

Mintzberg trug in seinen „5 Ps for Strategy“ fünf verschiedene Auffassungen von Strategie
zusammen, die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

• Strategie als Plan (plan): Dieser Ansatz entspricht der landläufigen Vorstellung einer
Weg-Ziel-Beschreibung am besten. Der Plan wird bewusst und vor der Handlung
entwickelt.
• Strategie als Manöver oder Spielzug (ploy): Eine Strategie kann auch als Manöver
oder Spielzug gegen Wettbewerber verstanden werden.
• Strategie als Verhaltensmuster (pattern): Die beiden vorherigen Sichtweisen erfassen
noch nicht das resultierende Verhalten. Daher fasst die dritte Definition Strategie als
Muster in einer Reihe von Handlungen auf – also als Konsistenz im Verhalten, egal,
ob dieses beabsichtigt war oder nicht. Damit verfügt jedes Unternehmen per Defini-
tion über eine Strategie.
• Strategie als Position (position): Die vierte Definition sieht Strategie als Position des
Unternehmens im Umfeld und beantwortet damit die Frage, welche Märkte bedient
werden und wie das Unternehmen gegenüber Wettbewerbern aufgestellt ist.
142 5  Strategie und Geschäftsmodell

• Strategie als Perspektive (perspective): Die fünfte Definition richtet den Blick nach
innen, indem Strategie als Perspektive betrachtet wird. Hier wird die Frage beantwor-
tet, welche Sichtweise das Unternehmen zur Außenwelt einnimmt.

Die fünf genannten Definitionen schließen sich gegenseitig nicht aus, vielmehr ergänzen
sie sich und helfen, das komplexe Thema Strategie besser zu verstehen und mit der Fülle
an Literatur und Möglichkeiten kompetent umzugehen.

77 Die Entwicklung einer Strategie zwingt zur bewussten Auseinandersetzung


mit der Zukunft.

Im Zusammenhang mit einer Unternehmensgründung ist eine Strategie als bewusst ange-
legter Plan von Bedeutung, da er den Unternehmer zwingt, sich antizipativ mit der Zukunft
auseinanderzusetzen. Schließlich soll, wie Einstein sagte, Planung den Zufall durch den
Irrtum ersetzen, denn nur aus Letzterem kann gelernt werden. Der Unternehmer sollte sich
aber nicht der Illusion hingeben, dass Planung etwas ist, was – einmal durchgeführt – für
immer gilt. In Anlehnung an die Definition von Strategie als Verhaltensmuster ist, wie
Mintzberg aufzeigte, jedoch anzuerkennen, dass nur ein Teil der beabsichtigten Strategien
tatsächlich realisiert werden, während andere versanden oder ungeplant umgesetzt werden.
Im Vordergrund muss daher Flexibilität stehen, die sich jedoch an übergeordneten langfris-
tigen Richtgrößen ausrichtet.
Angesichts der Dynamik der Märkte, der Mehrdeutigkeit von Ereignissen und der Un-
sicherheit, mit der die Zukunft belastet ist, ist es nicht möglich, alle Entwicklungen zu
antizipieren, geschweige denn alle Auswirkungen richtig einzuschätzen. Dies trifft umso
mehr auf Jungunternehmer zu, denen Erfahrungswerte über Märkte und Kunden fehlen
und die daher immer mit Ungewissheiten umgehen müssen.

77 Eine erfolgreiche Strategie schafft es, Wettbewerbsvorteile aufzubauen und


langfristig zu sichern.

Indem die Firma eine Strategie festlegt, bestimmt sie ihre Ziele. Kein Unternehmen kann
jedoch mittelfristig ohne Wettbewerbsvorteil überleben. Kern der unternehmerischen Planung
sind daher die Schaffung, der Schutz und die Entwicklung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile.
Dass ein Unternehmen über einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verfügt, stellt jedoch
keine Garantie dar, dass es ihm tatsächlich gelingt, diesen zu halten. Geheimnisse sickern
nach außen, Patente laufen aus, und Konkurrenten erobern Märkte, die vorher als sicher
galten. Überlegene Technologien und Prozesse sind immer auch Magnete für Nachahmer.
Gleichzeitig muss das Unternehmen aufpassen, keine Wettbewerbsnachteile aufzubauen,
die die Gewinne aus den Vorteilen aufzehren. Besonders neue Firmen sind mit einigen un-
ausweichlichen Nachteilen konfrontiert: Sie sind klein, haben keine Bonitätsgeschichte und
keine Glaubwürdigkeit am Markt. Aber: Entrepreneurship wäre keine Herausforderung,
wenn es keine Probleme gäbe.
5.4  Der strategische Managementprozess 143

5.4 Der strategische Managementprozess

77 Die Entwicklung einer Strategie ist kein linearer Prozess.

In diesem Kapitel wird zunächst der klassische strategische Managementprozess darge-


stellt. Ein sehr einfaches, aber doch nützliches Ablaufmodell zur Entwicklung und Ver-
wirklichung einer Strategie ist in vier Schritte untergliedert: Analyse, Strategieentwicklung,
Strategieumsetzung und Strategiekontrolle.
Nachteilig an diesem Ablaufschema ist zu werten, dass es dazu verleitet, Strategieent-
wicklung als linearen Prozess zu betrachten, was der Wirklichkeit nicht gerecht wird. So
sind Entwicklung und Umsetzung nicht voneinander zu trennen. Auch die Kontrolle der
Strategieumsetzung, im Sinne eines Lernens, sollte nicht allein als nachgeschaltet betrach-
tet werden. Ändern sich Rahmenbedingungen oder findet Lernen statt, muss die Strategie
entsprechend angepasst werden. Erst mit einer konsequenten Umsetzung der strategischen
Ideen stellt sich dann der Erfolg ein.
Diesem Gedanken trägt der strategische Managementprozess Rechnung, der Feedback-
Prozesse explizit berücksichtigt (siehe Abb. 5.1).

5.4.1 Formulierung der Vision, Mission und der strategischen Ziele

Die Entwicklung eines strategischen Plans ist ein mehrstufiger Prozess, der die Entwick-
lung einer Vision, Mission sowie strategischer Ziele beinhaltet.

77 Eine Vision soll ein realistisches und erstrebenswertes Bild des Unternehmens
in der Zukunft sein.

Im ersten Schritt wird eine realistische Vision für das Unternehmen entwickelt. Die Vision
sollte ein erstrebenswertes Bild des Unternehmens in drei oder mehr Jahren darstellen. Um
eine Vision zu formulieren, müssen zukünftige Produkte, Märkte, Kunden, Prozesse, der
Unternehmensstandort und die Personalstruktur des Unternehmens berücksichtigt werden.
In einem zweiten Schritt versucht das Unternehmen, seinen Zweck und sein Wesen
in einer Mission zu formulieren. So lässt sich die (damalige) Mission von Microsoft, die
durch den Gründer Bill Gates geprägt ist, sehr prägnant darstellen: Einen PC für jedermann!
Eine solche Erklärung zeigt, worum es dem Unternehmen geht, und ist aussagekräftiger als
allgemeine Aussagen wie „Wir sind im Internet-TV-Business“ oder „Wir sind im Geschäft,
um Geld zu verdienen“.
Der dritte wesentliche Schritt besteht in der Festlegung der strategischen Unterneh-
mensziele: Was möchte das Unternehmen mittel- und langfristig erreichen? Neben der
Notwendigkeit, regelmäßige Einkünfte zu erzielen, sollten die Ziele mit den Erwartun-
gen und Anforderungen der wesentlichen Stakeholder, inklusive der Mitarbeitenden,
übereinstimmen. Die Ziele sollten unter anderem die Bereiche Wachstum, Profitabilität,
144 5  Strategie und Geschäftsmodell

Abb. 5.1  Der strategische Managementprozess [3]

Technologie, Produktangebote und zu bearbeitende Märkte umfassen. Unternehmens-


strategien beantworten mit ihren strategischen Unternehmenszielen damit die Frage, in
welchen Bereichen (Produkt-Markt-Kombinationen) ein Unternehmen tätig werden soll
[5].

77 Specific, measurable, achievable, relevant, timely: Ziele müssen SMART sein.

Im vierten Schritt werden die operativen Unternehmensziele festgelegt, mitsamt spezifi-


schen und zeitgebundenen Messgrößen, die erreicht werden sollen, indem Strategien, die
den Unternehmenszielen dienen, umgesetzt werden. So könnte das Ziel eines Unterneh-
mens beispielsweise darin bestehen, in drei Jahren einen Jahresumsatz von 3 Mio. EUR
zu realisieren. Damit Ziele wirken können, müssen sie eindeutig definiert sein und die
folgenden Kriterien erfüllen, die mit dem Akronym SMART abgekürzt werden:
5.4  Der strategische Managementprozess 145

• Specific: Ziele müssen spezifisch, sprich eindeutig definiert sein.


• Measurable: Ziele müssen messbar sein.
• Achievable: Ziele müssen erreichbar sein.
• Relevant: Ziele müssen relevant sein, sprich eine Bedeutung haben.
• Timely: Ziele müssen mit klaren Terminvorgaben verbunden sein.

Operative Unternehmensziele können sich beispielsweise auf den Markt beziehen, in dem
das Unternehmen aktiv ist (z. B. Marktanteile), auf Produkte (z. B. verkaufte Menge eines
bestimmten Produktes zu einem Stichtag), auf Finanzkennzahlen oder die Profitabilität.

5.4.2 Durchführung einer SWOT-Analyse

77 Mithilfe der SWOT-Analyse werden Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken


analysiert.

Mithilfe einer SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) wird es dem


Gründer ermöglicht, die Schwächen und Stärken sowie die Chancen und Gefahren in Rela-
tion zu seinem Umfeld und insbesondere auch zur Konkurrenz zu ermitteln (Was machen
wir gut? Was macht die Konkurrenz besser?). Diese Methode hat ihren Ursprung im stra-
tegischen Management, ist aber auch für einen Gründer nach wie vor sehr hilfreich. Dieser
kann damit die wesentlichen Einflüsse auf sein Unternehmen sowie die eigene Position des
Unternehmens aufgrund interner Gegebenheiten in einer übersichtlichen Weise bestimmen,
um so zu einer Gesamtanalyse des Start-ups zu kommen. Die Ergebnisse weisen zudem auf
mögliche Wettbewerbsvorteile hin. Eine solche Analyse setzt sich aus einem internen Teil
(Stärken und Schwächen) und einem externen Teil (Chancen und Gefahren) zusammen.

5.4.3 Entscheidung für eine generische Strategie

77 Kostenführerschaft, Qualitätsführerschaft und Fokussierung stellen generische


Strategien dar.

Ein neues Unternehmen sollte sich durch die Nutzung seiner Stärken positionieren. Laut
Michael Porter lassen sich die Stärken eines Unternehmens letztendlich in die beiden Kate-
gorien „Kostenvorteile“ und „Differenzierung“ einteilen. In Abhängigkeit davon, ob diese
Strategien entweder sehr stark oder weniger stark ausgeprägt sind, lassen sich die drei in
Abb. 5.2 gezeigten generischen Strategien ableiten: Kostenführerschaft, Differenzierung
und die Konzentration auf Schwerpunkte [6].
Diese Strategien werden als generisch bezeichnet, weil sie nicht firmen- oder branchen-
abhängig sind. Die Entwicklung generischer Geschäftsstrategien ist häufig eine Funktion
von branchenspezifischen Charakteristika. Das bedeutet, dass der Erfolg jeder Strategie
146 5  Strategie und Geschäftsmodell

Abb. 5.2  Generische Strategien [6]

letztlich von der Fähigkeit des Unternehmens abhängt, Aktivitäten zu entfalten, die zu
einer gesteigerten Konzentration und zu Markteintrittsbarrieren für andere Unternehmen
führen. Die Höhe der Markteintrittsbarrieren bestimmt schließlich den Umfang höherer
Unternehmensprofite.

• Differenzierung: Bei der Differenzierungsstrategie versucht der Unternehmer, dem


Kunden einen einzigartigen Vorteil zu bieten (Qualitätsführerschaft), für den ein
entsprechender Preis verlangt werden kann. In der Regel wird ein Gründungsunter-
nehmen eine Differenzierungsstrategie anwenden, da für die Preisdifferenzierung
die Erfahrung und/oder die Ressourcen nicht ausreichen, vor allem, wenn damit ein
Gesamtmarkt bearbeitet werden soll.
• Kostenführerschaft: Mit einer Kostenführerschaft versucht sich der Anbieter, nur
aufgrund des Preisvorteils gegenüber der Konkurrenz abzuheben. Dies bedingt ein
ständiges Bemühen um eine Senkung der Kosten und deren rigorose Kontrolle.
• Konzentration auf Schwerpunkte: Unternehmen, die eine Nischenstrategie verfolgen,
konzentrieren sich auf bestimmte Segmente, Kundengruppen oder einen spezifischen
geografischen Markt. Der Grundgedanke einer Nischenstrategie liegt darin, dass ein
Unternehmen, das sich gezielt auf ein bestimmtes Segment konzentriert, entweder ei-
nen höheren Kundennutzen stiften kann als ein Unternehmen, das einen Massenmarkt
bedient, oder eine günstigere Kostensituation erreicht. In manchen Fällen kann sogar
beides erreicht werden. Nischenunternehmen erreichen häufig eine hohe Kundenloya-
lität.

5.4.4 Implementierung einer Strategie

77 Eine Strategie, die nur auf dem Papier existiert, ist nutzlos. Auf die erfolgreiche
Implementierung und Anpassung kommt es an.

Eine Strategie, die nur auf dem Papier besteht und nie Realität wird, ist nutzlos. Die Voraus-
setzungen für eine erfolgreiche Implementierung werden vom Beginn der Strategieentwick-
lung an gelegt. Wie wurde der Prozess gestaltet? Wurden die Betroffenen eingebunden?
5.5  Der Effectuation-Ansatz 147

Dies sind zwei von vielen Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Der Ausgangspunkt
des Gründers ist insofern glücklich, als er mit einem „weißen Blatt“ beginnt und sich die
Problematik von Wandelprozessen mit all ihren Hürden kaum stellt. Da die Person des
Unternehmers gerade in der Anfangsphase eine dominante Rolle spielt und er in alle wich-
tigen Entscheidungen einbezogen ist oder sie allein trifft, liegen Strategieentwicklung und
-umsetzung in seiner Hand.
Wichtig ist jedoch, dass die notwendigen Organisations- und Controllingstrukturen auf-
gebaut werden, um die Strategie umsetzen und kontinuierlich die Erfolge evaluieren zu
können. Die Evaluation ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Strategie kontinuierlich
überprüft und angepasst wird [3].

5.4.5 Bewertung einer Strategie

77 Strategien sollten kontinuierlich überprüft und bei Bedarf angepasst werden.

Auch erfolgreiche Strategien sind nicht für die Ewigkeit bestimmt. Externe und interne
Rahmenbedingungen verändern sich, und es muss kontinuierlich überprüft werden, ob
die aktuell verfolgte Strategie erfolgreich ist oder nicht. So ist beispielsweise zu prüfen,
inwieweit die strategischen Ziele erreicht wurden, damit die Erfahrungen in die nächste
Runde der Strategieformulierung einfließen können. Der Evaluationsprozess stellt damit
einen wichtigen Schritt dar, um festzulegen, ob die Strategie weiterverfolgt werden soll
wie bisher oder ob Änderungen in der strategischen Richtung notwendig sind. Zur Über-
prüfung der Strategie können Unternehmen verschiedene Instrumentarien einsetzen. Dabei
reichen die Optionen von bürokratischen Kontrollen bis zum Aufbau und der Pflege einer
bestimmten Organisationskultur. Zudem müssen sich Unternehmen darüber klar werden,
welche Motivationsstrukturen aufgebaut werden sollen [3]. Wichtig ist in jedem Fall, dass
diese mit den langfristigen Zielen in Einklang sind.

5.5 Der Effectuation-Ansatz

Dem in Abschn. 5.4 beschriebenen Weg der Strategieentwicklung liegt ein überwiegend


linear-kausaler Denkansatz zugrunde: Am Anfang steht eine Vision, die erreicht werden
soll, und der Gründer versucht dann, die notwendigen strategischen Schritte abzuleiten,
die notwendig sind, um das Ziel zu erreichen.

77 Jungunternehmer sollten, neben linear-kausalem Denken, auch den Effectua-


tion-Ansatz verstehen und nutzen.

Daher sollten Jungunternehmer, neben linear-kausalem Denken, auch den Effectuation-


Ansatz verstehen und für sich nutzen. Effectuation stellt situationsbezogenes Denken und
Handeln in den Vordergrund, ohne dass dies jedoch mit einer opportunistischen Vorgehens-
148 5  Strategie und Geschäftsmodell

weise gleichgesetzt werden könnte. Der Ansatz wurde von Sarasvathy entwickelt, die den
Unterschied zwischen kausalem Denken und Effectuation wie folgt beschreibt: „Causation
processes take a particular effect as given and focus on selecting between means to create
that effect. Effectuation processes take a set of means as given and focus on selecting be-
tween possible effects that can be created with that set of means.“ [[1], S. 245]

77 Effectuation eignet sich vor allem für Situationen mit vielen unbekannten
Faktoren.

Damit kann man Effectuation auch als Gegenteil von linear-kausalem Denken begreifen.
Während linear-kausales Denken sehr gut bei vorgegebenen Zielen und einer bekannten
Umgebung angewendet werden kann, eignet sich Effectuation vor allem in Situationen
mit vielen unbekannten Faktoren – also solchen Situationen, denen Gründer sehr häufig
ausgesetzt sind. Während etablierte Unternehmen aufgrund von früheren Erfahrungen Wis-
sen über ihre Märkte und Kunden haben, fehlt Jungunternehmen dieses Wissen oftmals.
Wie setzt man einen Preis fest, wenn das Unternehmen, welches das Produkt anbieten
wird, noch gar nicht existiert? Eine Preisfunktion, aus der sich der Preis ableiten ließe, ist
schließlich noch nicht bekannt. Noch schwieriger wird es, wenn ein Preis für ein Produkt
festgelegt werden soll, für das es bis dato noch gar keinen Markt gibt [[1], S. 244].
Sarasvathy nutzt in einer ihrer Veröffentlichungen folgendes Beispiel, um den Unter-
schied zwischen kausalem Denken (Causation) und Effectuation zu erklären: Ein Koch
wird von einem Auftraggeber gebeten, ein bestimmtes Menü zu kochen. Der Koch no-
tiert sich die Zutaten, geht einkaufen und kocht das Essen – ein klassisches Beispiel von
Causation. Das Ziel ist im Voraus bekannt und die Schritte, die zur Erreichung des Ziels
notwendig sind, lassen sich eindeutig ableiten. Im zweiten Fall bittet der Auftraggeber den
Koch zu schauen, welche Zutaten er in der Küche findet, um ihm dann mögliche Menüvor-
schläge zu unterbreiten, die mit den vorhandenen Zutaten gekocht werden können. Dies
ist ein Beispiel für einen Effectuation-Prozess. Der Koch beginnt seine Überlegungen mit
den Mitteln, die ihm derzeit zur Verfügung stehen, um sich dann verschiedene mögliche
Menüvorschläge auszudenken. In beiden Fällen wird auf das gleiche übergeordnete Ziel
hingearbeitet: Es geht darum, ein Menü zu kochen. Im ersten Fall wählt man jedoch zwi-
schen verschiedenen Möglichkeiten aus, um einen vorher festgelegten Effekt zu erzielen
(Causation), während man im zweiten Fall zwischen vielen möglichen Effekten auswählt,
die mit gegebenen Mitteln erreicht werden können (Effectuation) [[1], S. 245].
Was bedeutet dies nun aber für Jungunternehmer? Diese Frage lässt sich am besten mit
einem Beispiel beantworten. Man stelle sich einen Unternehmer vor, der in Zürich ein
Restaurant für gesundes Fast Food starten möchte. Folgt der Unternehmer einem Causa-
tion-Ansatz, würde er vielleicht wie folgt vorgehen: Er würde versuchen, die Zielgruppen
zu analysieren und geeignete Kundensegmente auszumachen. Dann würde er versuchen,
die Attraktivität der einzelnen Segmente zu beleuchten. Wenn er sich für ein bestimmtes
Segment entschieden hat, würde er die entsprechende Positionierung ableiten, eine Mar-
ketingstrategie entwickeln und letztlich seinen Plan umsetzen. Sprich, er würde analytisch
5.5  Der Effectuation-Ansatz 149

und planerisch vorgehen. Bevor er in den Markt geht, hätte er bereits viel Zeit auf Planung,
Analyse und Recherche verwendet.

77 Unternehmer, die dem Effectuation-Ansatz folgen, gehen von den Mitteln aus,
die sie zur Verfügung haben.

Ein Unternehmer, der einem Effectuation-Ansatz folgt, würde anders vorgehen. Er würde
sich z. B. zunächst überlegen, wie viel Mittel er überhaupt zur Verfügung hat. Vielleicht
kann er derzeit lediglich 5000 EUR investieren – zu wenig, um Räumlichkeiten nach seinen
Vorstellungen umbauen zu lassen und Räumlichkeiten anzumieten. Vielleicht kennt er aber
jemanden, der in Zürich einen kleinen Laden betreibt, der frische Fruchtsäfte verkauft. Er
könnte seinen Bekannten fragen, ob er probehalber gesundes Fast Food an seinem Stand
verkaufen dürfte, zunächst vielleicht lediglich eine kleine Auswahl an Salaten und gesun-
den Sandwiches. Er könnte seinen Freund am Umsatz beteiligen. Auf diese Art und Weise
spart er sich teure Investitionen und könnte herausfinden, ob und welche seiner Produkte
bei den Kunden überhaupt ankommen. Vielleicht würde er merken, dass Sandwiches sich
nur schlecht verkaufen ließen. Er würde daraufhin vielleicht ausprobieren, ob sich gesunde
Suppen besser verkaufen. Vielleicht würden die Suppen so gut funktionieren, dass er im
Anschluss ein Fast-Food-Restaurant eröffnet, das sich auf gesunde Suppen aus regionalen
Produkten spezialisiert. Vielleicht funktioniert aber auch gerade das Zusammenspiel zwi-
schen gesunden Fruchtsäften, Sandwiches und Salaten, und die beiden Partner beschließen,
ein Franchise-Konzept zu entwickeln, das genau diese Dinge zusammenbringt. Es könnte
aber auch passieren, dass der Jungunternehmer des Öfteren Aufträge von Büroangestellten
erhält, die gesunde Sandwiches und Salate für ihre Kollegen oder für Besprechungen mit-
nehmen. Vielleicht würde er sich daher lieber auf einen Catering-Service für Firmenkunden
spezialisieren und sich komplett von der Vorstellung eines Ladens mit Kundenverkehr ver-
abschieden. Sprich, das Unternehmen würde sich in Abhängigkeit davon, was die Kunden
wirklich möchten, entwickeln.

77 Effectuation heißt, die Dinge zu nutzen, die zur Verfügung stehen: wen man
kennt, was man weiß, wer man ist.

Faschingbauer [7], der den Effectuation-Ansatz im deutschsprachigen Raum bekannt ge-


macht hat, fasst die Prinzipien des Ansatzes wie folgt zusammen:

• Mittelorientierung: Der Unternehmer geht von den Dingen aus, die ihm zur Verfü-
gung stehen. Er fragt sich, wen er kennt, was er weiß und wer er ist. Er versucht, diese
Mittel zu nutzen, um etwas Neues zu kreieren.
• Leistbarer Verlust: Der Unternehmer überlegt sich, worin die schlimmsten Konse-
quenzen seines Handelns bestehen würden. Wenn er mit dem schlimmsten Fall leben
könnte, beginnt er mit der Umsetzung. Wenn die möglichen Konsequenzen jedoch so
schlimm sind, dass sie unerträglich wären, greift er zu Plan B.
150 5  Strategie und Geschäftsmodell

• Umstände und Zufälle nutzen: Immer wieder gibt es Umstände und Zufälle, die Un-
ternehmen zu neuen Produkten oder Dienstleistungen verhelfen. Entrepreneure, die
Effectuation einsetzen, zeigen sich diesen Umständen und Zufällen gegenüber offen
und nutzen sie.
• Vereinbarungen und Partnerschaften: „Effectuators“ arbeiten mit Partnern zusam-
men, die ähnliche Interessen verfolgen. Dabei werden die Ziele den Vorstellungen des
Partners angepasst, mit denen man zusammenarbeiten möchte.

Effectuation soll aber keinesfalls kausales Denken ersetzen. Vielmehr können die beiden
Ansätze in unterschiedlichen Situationen während der Start-up-Phase zum Tragen kommen
und sich sinnvoll ergänzen. Letzten Endes geht es wie so oft um „gesunden Menschenver-
stand“, einfach wissenschaftlicher formuliert.

5.6 Spezifische Herausforderungen einer Start-up-Strategie

In Abschn. 5.5 wurde bereits beschrieben, dass Jungunternehmer vor der Herausforderung


stehen, unter Unsicherheit agieren zu müssen. Es gibt jedoch noch weitere Herausforderun-
gen, denen sich Unternehmensgründer stellen müssen. So findet beispielsweise Malik [[8],
S. 255–283] unter Rückgriff auf die bekannte PIMS®-Datenbank (Profit Impact of Mar-
ket Strategies) weitere Herausforderungen, denen sich Jungunternehmer stellen müssen.
Die PIMS®-Datenbank beinhaltet auch Datensätze von Start-up-Unternehmen, die helfen
können, Erfolgsfaktoren von Innovations- und Start-up-Strategien empirisch abzuleiten.
Ausgehend von den laut Malik typischen Fehlern (oder besser: typischen Eigenschaften)
eines Start-ups wie fehlende und nicht herausgearbeitete Wettbewerbsvorteile, unbeachtete
Konkurrenzreaktionen, verspielte Potenziale zur Gewinnteilung und fehlende Langzeitpro-
file sind, laut Malik, folgende sieben Erfolgsfaktoren für Start-ups entscheidend:

• „Marketing-Positionierung;
• Innovation;
• Einzigartigkeit der Angebote;
• Struktur der Absatzkanäle;
• Managementerfahrung;
• Fähigkeit, die Nachfrage zu befriedigen, und
• Marktumgebung“ [[8], S. 257].

Daraus leitet Malik eine „Strategy Map“ ab, die folgende neun Dimensionen umfasst:

• „Kundenproblem,
• am Markt vorhandene Lösungstechnologien,
• eigene Lösungstechniken (relative Sortimentsbreite),
• neue Lösungstechnologien (Entwicklung),
5.6  Spezifische Herausforderungen einer Start-up-Strategie 151

• potenzielle neue Lösungstechnologien (Forschung),


• sozio-ökonomische Trends,
• Marktentwicklung,
• Marktanteilsziele und
• Konkurrenz“ [[8], S. 74].

Diese Strategy Map baut auf dem Malik General Management Model (GMM)® auf, das
wie andere vergleichbare Management-Modelle die Kernthemen Strategie, Struktur, Kultur
und Führungskräfte in die Umwelt, Unternehmenspolitik und Governance einbettet [[8],
S. 74 ff.]. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass auch und gerade für ein Start-up
die Orientierung an einem theoretisch fundierten und praktisch bewährten Strategie- bzw.
Management-Modell zu empfehlen ist.

77 Nach Malik besteht die optimale Start-up-Strategie aus vier Phasen.

Ausgehend von der Strategy Map entwickelt Malik die nach eigenen Aussagen „optimale
Start-up-Strategie“ mit vier Phasen [[8], S. 261 ff.]:

• Phase 1: Der Erfolg des Markteintritts in Phase 1 hängt von der Qualität der Markt-
leistung und dem angebotenen Kundennutzen ab: „Qualität ist wichtiger als Cash-
flow“, „Marktanteil ist wichtiger als Gewinn“ [[8], S. 262].
• Phase 2: In Phase 2 muss das Start-up rasch wachsen, Marktanteile mit aggressivem
Marketing gewinnen und verteidigen.
• Phase 3: Phase 3 ist bestimmt von dem Erlangen einer hohen Produktivität unter
Berücksichtigung der Erfahrungs- und Lernkurveneffekte.
• Phase 4: Phase 4 stellt die eigentliche Gewinnphase dar, da zuvor die nachhaltig
wirksamen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden.

Zudem ist es wichtig, die passende Umgebung für das Start-up auszuwählen, wie eine
günstige Innovationsumgebung oder rasch wachsende Märkte. Anschließend ist es wichtig,
eine zweite Innovationswelle auszulösen, um den Erfolg auch langfristig zu sichern.

77 Eine Start-up-Strategie weist zehn Grundsätze auf.

Als Schlussfolgerung dieser laut Malik wissenschaftlich fundierten Herleitung der erfolg-
reichen Start-up-Strategie werden „zehn Grundsätze für erfolgreiches Innovieren“ abge-
leitet [[8], S. 274 ff.]:

1. Ziele auf die Spitze, auf Marktführerschaft und deutliche Veränderungen;


2. Schaffe Platz für Neues;
3. Trenne das Neue vom Bisherigen (andere Maßstäbe, andere Budgets, andere Zeitdis-
positionen, anderes Reporting);
152 5  Strategie und Geschäftsmodell

4. Suche die Chance in den Problemen;


5. Verlange eine zweite „erste“ Seite von den Controllern (führe ein hintergründiges Ge-
spräch mit deinen Controllern);
6. Schreibe deine Erwartungen auf;
7. Stelle die Grenzkonditionen fest;
8. Du brauchst die besten Leute;
9. Mache Tests;
10. Konzentriere dich strikt auf Weniges.

77 Zehn typische Misserfolgsfaktoren lassen sich bei gescheiterten Gründungs-


projekten beobachten.

Diesen zehn Erfolgsfaktoren lassen sich nun zehn typische Misserfolgsfaktoren von Start-
ups gegenüberstellen. Exemplarisch sind hier zehn Faktoren aufgeführt, die auf der Com-
munity-Plattform Squidoo.com unter der Überschrift „The Top 10 Reasons Startups Fail“
genannt wurden [9]:

1. Schlechte Ausführung (Poor Execution): Eine schlechte Umsetzung ist verantwortlich


für das Scheitern vieler Unternehmen. Entrepreneure sollten sich daher auf ihre Fä-
higkeiten konzentrieren und nur Geschäftsmöglichkeiten verfolgen, bei denen sie ihre
Stärken nutzen können.
2. Kein funktionierender Markt (No Viable Market): Ein großer Fehler von Entrepreneuren
besteht darin, viel Zeit und Geld in die Entwicklung eines Produktes zu investieren, ohne
sich darüber Gedanken zu machen, wie die Kunden von dem Produkt erfahren. Viele
Entrepreneure machen sich auch keine Gedanken darüber, was ihren Kunden wirklich
wichtig ist, und was Kunden bereit sind zu bezahlen.
3. Zu großer Hebel (Too Much Leverage): Etablierte Unternehmen können ihre Erträge
für die nächsten Quartale mit einiger Sicherheit voraussagen. Sie können die Hebel-
wirkung von Fremdkapital und Fixkosten mit Bedacht einsetzen, um die Eigenkapi-
talrentabilität zu erhöhen. Start-up-Unternehmen fehlt diese Planungssicherheit. Für
sie kann die Aufnahme von Kapital oder der Aufbau weiterer fixer Kosten eine Gefahr
darstellen.
4. Unterkapitalisierung des Unternehmens (Undercapitalizing the Business): Entrepre-
neure unterschätzen häufig die Menge an Zeit und Geld, die es braucht, um einen po-
sitiven Cashflow zu generieren. Dies zwingt vielversprechende Start-ups häufig dazu,
ihr Unternehmen frühzeitig zu beenden. Gründer sollten daher bei der Finanzplanung
konservativ vorgehen.
5. Fehlender Wettbewerbsvorteil (Lack of Competitive Advantages): Viele Unternehmer
starten „Me-too-Gründungen“, die sich kaum von vorhandenen Unternehmen unter-
scheiden. Sie gründen eben eine weitere Wäscherei, Pizzeria etc. Fehlende Wettbewerbs-
vorteile machen Start-up-Unternehmen jedoch extrem anfällig für neue Anbieter, die
nur darauf warten, Kunden durch weitere Preissenkungen zum Wechsel zu bewegen.
5.6  Spezifische Herausforderungen einer Start-up-Strategie 153

6. Kopf-an-Kopf-Rennen mit den führenden Unternehmen einer Branche (Competing


Head-to-Head with Industry Leaders): Entrepreneure, die versuchen, in einen direkten
Wettbewerb mit den Marktführern einzusteigen, verlieren diese Auseinandersetzung
meistens. Große Unternehmen verfügen über genügend Ressourcen, um neuen Wettbe-
werbern den Markteintritt zu erschweren. Sie können Preise unterbieten, Marketingaus-
gaben erhöhen und den Zugang zu Lieferanten und Distributoren erschweren. Start-ups,
die nicht über ein Weltklasseteam und „tiefe Taschen“ verfügen, können diesen Kampf
kaum gewinnen.
7. Eine zu kleine Nische auswählen (Picking a Niche that is too Small): Viele kleine Unter-
nehmen konkurrieren erfolgreich mit größeren Unternehmen, indem sie sich auf einen
Nischenmarkt spezialisieren. Die Nische muss jedoch immer noch groß genug sein,
um das Überleben des Start-ups zu sichern. Des Weiteren darf es nicht zu teuer sein,
Kunden zu finden und zu bedienen. Zudem kann der Wettbewerb in einer Marktnische
mitunter genauso wettbewerbsintensiv sein wie in einem Massenmarkt.
8. Trennung des Gründungsteams (Breakup of the Founding Team): In Start-up-Unterneh-
men herrscht häufig ein hohes Stressniveau. Es kann zu Auseinandersetzungen über die
zukünftige Ausrichtung des Unternehmens oder über die Gewinnaufteilung unter den
Anteilseignern kommen. In Start-up-Unternehmen übernimmt eine Person oft meh-
rere Aufgaben und Rollen. Daher kann ein Ausstieg einer Schlüsselperson mitunter
das Scheitern des Start-ups nach sich ziehen. Es ist daher wichtig, Vereinbarungen im
Vorfeld zu treffen, damit die Gründer und weitere Schlüsselpersonen fair behandelt
werden und die Interessen der Einzelnen mit dem Erfolg der Firma in Einklang gebracht
werden.

77 Eine kostenorientierte Preisfindung spiegelt nicht unbedingt den Preis wider,


den Kunden zu zahlen bereit sind.

9. Schlechte Preisstrategie (Poor Pricing Strategy): Die häufigste Methode, einen Preis
festzusetzen, besteht darin, die Stückkosten als Grundlage zu nehmen, die angestrebte
Gewinnmarge zu addieren und so den Preis zu ermitteln (cost-based pricing). Dies hat
jedoch häufig wenig damit zu tun, was einem Kunden das Produkt tatsächlich wert ist.
Die Methode kann daher zu einem systematischen „underpricing“ führen, falls Kunden
prinzipiell bereit wären, mehr für dieses Produkt zu bezahlen. Im anderen Fall kann die
Methode auch dazu führen, dass der Preis über dem liegt, was die Kunden zu zahlen
bereit sind.
10. Zu schnelles Wachstum (Growing too Fast): Wachstum wird von den meisten Start-up-
Unternehmen als sehr wichtig erachtet. Zu schnelles Wachstum kann jedoch tödlich sein
für Unternehmen. Die Ursache kann zum einen darin liegen, dass Start-up-Unternehmen
die Entwicklung von Organisationsstrukturen und Infrastruktur vernachlässigen. Zum
anderen benötigt Wachstum häufig finanzielle Investitionen in Anlage- und Umlauf-
vermögen. Mitunter können diese Investitionen jedoch den Cashflow aufbrauchen und
die Existenz des Unternehmens gefährden.
154 5  Strategie und Geschäftsmodell

5.7 Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien


und Geschäftsmodellen

Es gibt einige Instrumente zur Strategie-Entwicklung, die auf die Bedürfnisse von Jung-
unternehmen zugeschnitten sind. Im Folgenden werden einige Instrumente vorgestellt,
die in Gründungsseminaren und Workshops erfolgreich eingesetzt wurden und die für die
schrittweise Entwicklung einer Strategie, alleine oder unter Einbezug eines Coachs, genutzt
werden können.

77 Der Weg vom Geschäftsmodell zur Strategie kann mit Instrumenten unter-
stützt werden.

Dazu ist praktischerweise ein Weg zu beschreiten, der bei der Gründungsidee beginnt,
über die Ausarbeitung eines Geschäftsmodells zu einem Businessplan führt und als
Ergebnis dieses Prozesses zur ausformulierten Strategie des Start-ups führt. Für eine
hohe Qualität eines Geschäftsmodells braucht es oft ein iteratives Vorgehen: Eine Grün-
dungsidee wird entdeckt oder entwickelt (vgl. Entdeckungs- versus Entstehungsansatz in
Abschn. 2.3.1) und die ersten Grundzüge eines Geschäftsmodells werden gesetzt. Dabei
merkt der Gründer oder das Gründungsteam, dass die Idee beispielsweise an die Kun-
denbedürfnisse oder an Gesetzesvorlagen angepasst werden muss. Der Weg zur markt-
tauglichen Strategie läuft entsprechend über „Schlaufen“ im Sinne von Vorwärts- und
Rückwärtsbewegungen. Abbildung 5.3 zeigt dabei die wichtigsten Stationen auf diesem
Weg zur Strategie auf.

77 Die COSTAR-Methode unterstützt den Ideenfindungsprozess.

Das Start-up steigt in seinen Strategieprozess mit dem Ideenfindungsprozess ein. Hierzu
bietet sich eine Orientierung zum Beispiel an der COSTAR-Methode an, die u. a. von Jasper
Bouwsma von Vujadé Ltd. und seinem früheren Arbeitgeber SWISSCOM eingesetzt wird.
COSTAR steht für die folgenden sechs Kerndimensionen einer Geschäftsidee: Customer,
Opportunity, Solution, Team, Advantage und Result [10]:

• Customer: Wer ist der Kunde und was sind seine Interessen, Eigenschaften und Be-
dürfnisse?
• Opportunity: Worin liegt die Marktchance und wie groß ist das Potenzial? Welche
Trends, Technologien und weitere Marktveränderungen sind für Ihr Vorhaben beson-
ders relevant und nützlich?
• Solution: Wie sieht Ihre Lösung konkret aus? Wie deckt Ihre Lösung die aufgezeich-
neten Kundenbedürfnisse und wie berücksichtigt sie die identifizierte Marktchance?
• Team: Wen brauchen Sie im Team, damit Sie Ihre Lösung erfolgreich entwickeln
können?
5.7  Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien und Geschäftsmodellen 155

Abb. 5.3  Mit dem eigenen Geschäftsmodell auf dem Weg zur eigenen Strategie (Jasper Bouwsma
und Christoph Müller)

• Advantage: Was sind die Vorteile Ihrer Idee gegenüber anderen Alternativen? Was ist
einzigartig?
• Result: Welche Ergebnisse darf man von Ihrer Lösung erwarten? Denken Sie von
Anfang an den Markterfolg Ihrer Idee. Versuchen Sie, die Ergebnisse von Beginn an
zu quantifizieren.

Ausgehend von diesem COSTAR-Resultat besteht die nächste, ungleich komplexere Auf-
gabe für das Start-up-Unternehmen darin, ein Geschäftsmodell auszuarbeiten.
Aus jeder guten Idee lassen sich Dutzende von Geschäftsmodellen erstellen. Zunächst
gilt es aber zu klären, was unter einem Geschäftsmodell eigentlich zu verstehen ist. Ein
Geschäftsmodell beschreibt die „Logik“ eines Unternehmens. Damit ist der Prozess der
Geschäftsmodell-Modellierung Teil der Unternehmensstrategieentwicklung. Umgangs-
sprachlich wird mit dem Begriff „Geschäftsmodell“ sehr großzügig umgegangen. So wird
manchmal vom Geschäftsmodell gesprochen, obwohl nur ein Teil des Geschäftsmodells
wie z. B. das Ertragsmodell gemeint ist (z. B. „Vertrieb über das Internet“).

77 Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen zur Beschreibung von Geschäftsmodellen.

In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen, anhand derer Elemente und Be-
standteile von Geschäftsmodellen beschrieben werden können. Im Folgenden werden zu-
nächst die Kerninhalte eines Geschäftsmodell-Ansatzes erläutert, bevor dann zwei weitere
156 5  Strategie und Geschäftsmodell

etablierte Ansätze genannt werden. Das Geschäftsmodell ist eingebettet in die folgenden
Dimensionen (siehe auch Abb. 5.3):

• Strukturelle und rechtliche Aspekte sowie Führungs- und Aufsichtsgremien: Hierzu


zählen neben diesen Themen die zugrunde liegende Technologie und die dazugehö-
rige Patent- und Lizensierungsstrategie des Start-ups.
• Wertschöpfungsnetzwerk: Aus der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ist die Wert-
schöpfungskette von Porter bestens bekannt. Ausgehend von solch einer Kette ist das
gesamte Wertschöpfungsnetzwerk, in den das Start-up eingebettet ist, aufzuzeigen.
Dieses Netzwerk umfasst alle Partner aufseiten der Beschaffung, der Produktion und
des Vertriebs. Hinzukommen die jeweiligen Regulatoren/Gesetzgeber einer Branche,
die für offizielle oder inoffizielle Standards der Technik und des Geschäftsverkehrs
sorgen. Zudem sind die eine Branche grundlegend beeinflussenden soziologischen und
psychologischen Strömungen zu beachten. Dazu zählt auch die Kenntnis aller aktuel-
len und potenziellen Wettbewerber, die Einfluss auf das Start-up nehmen (können).

77 Der Frage, wie der erste zahlende Kunde gewonnen werden soll, kommt eine
zentrale Bedeutung zu.

• Markt & Kunden/Produkte & Dienstleistungen: Wie im Kapitel Marketing beschrie-


ben, muss das Start-up-Unternehmen seine Märkte und Zielgruppen einerseits und
seine eigenen, zu einem Leistungssystem verbundenen Produkte und Dienstleistungen
andererseits analysieren und zielgerichtet bearbeiten können. Dabei kommt der Frage
„Wie gewinne ich konkret meinen ersten zahlenden Kunden?“ eine zentrale Bedeu-
tung zu. Das klingt banal, trotzdem verzichtet der Großteil der Businesspläne zu-
gunsten von allgemeinen Marktdarstellungen auf die Klärung dieser für den weiteren
Geschäftsverlauf zentralen Frage.
• Talent Management & Kultur: Genauso unabdingbar ist es für ein Start-up aufzu-
zeigen, warum und wie weitere unternehmerische Talente im Unternehmen arbeiten
sollen. Deshalb kommt dem Thema „Talent Management“ eine entscheidende Bedeu-
tung zu; damit auch Themen wie Employer Branding oder Teamaufbau und -führung.
Das Start-up kann nur dann den Wachstumspfad einschlagen, wenn es attraktiv für
weitere Personen wird. Doch dies ist ein weiterer Aspekt, der regelmäßig in Business-
plänen ausgeblendet wird. In der Folge spielt auch das Thema Unternehmenskultur
eine wichtige Rolle für den langfristigen Erfolg und das Wachstum des Start-ups.
• Geschäftsprozesse & Internet: Der Aufbau und die belastbare konsequente Führung
von Geschäftsprozessen ist für das Vorankommen des Start-ups ebenfalls wichtig.
Dies umfasst die Prozesse gegenüber Kunden und Lieferanten, die Managementpro-
zesse und auch die unterstützenden Prozesse wie Finanz- und Rechnungswesen oder
IT. Die Klärung der Frage, welche Prozesse dabei webbasiert ablaufen sollen, spielt in
diesem Zusammenhang ebenfalls eine je nach Branche wichtige Rolle.
5.7  Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien und Geschäftsmodellen 157

77 Die Koordination der Cashflow-Ströme ist für Start-up-Unternehmen enorm


wichtig.

• Finanzen & Gewinn: Zu jedem Geschäftsmodell gehört das passende Ertragsmodell.


Hierbei ist aufzuzeigen, mit welchem System das Start-up seine Profite erwirtschaften
will. Je nach Branche stehen hier verschiedene Ansätze zur Auswahl. Aus Start-up-
Sicht sind alle Cashflow-Ströme (Geschäft an sich, Investitionen und Finanzierungen)
so zu steuern, dass zu einem Zeitpunkt X ein Free Cashflow erzielt wird.
• Aktivitäten, Meilensteine > Wachstumsstrategie: Es ist bereits bei der Darstellung des
Geschäftsmodells wichtig, dass aufgezeigt wird, welchen Wachstumspfad das Unter-
nehmen einschlagen will. Weitere Informationen zum Thema Wachstumsstrategien
finden sich in Kap. 10.
• Bezahlter Kern-Nutzen: Als zentrales Ergebnis des Geschäftsmodells sollte klar wer-
den, wofür das Unternehmen steht und womit es nachhaltig Kundennutzen kreieren
und Profit erwirtschaften will.

Das auf diese Weise entstandene Geschäftsmodell lässt sich dann anschließend zu einem
Businessplan erweitern (siehe Kap. 9). Bei der Erstellung des Geschäftsmodells fließen
sowohl konzeptionelle als auch empirische Erkenntnisse mit ein.

77 Der einfach gestaltete „Business Model Canvas“ von Osterwalder oder das
differenziertere Wirkungsmodell von Wirtz erlaubt, die eigenen Geschäftsmo-
delle zu diskutieren und neu zu gestalten.

Die hier vorgestellte Darstellung eines Geschäftsmodells ist nur einer von vielen Ansätzen.
Damit die jeweiligen Start-ups den für ihre Zwecke passenden Geschäftsmodell-Ansatz
auswählen können, sollen im Folgenden noch zwei weitere Geschäftsmodell-Ansätze auf-
grund ihrer Verbreitung exemplarisch herausgegriffen werden. Sehr verbreitet, und mittler-
weile auch als iphone-App erhältlich, ist der „Business Model Canvas“ von Alexander Os-
terwalder. Anhand der folgenden neun Bestandteile können Geschäftsmodelle dargestellt,
diskutiert oder völlig neu gestaltet werden: (1) Customer Segments, (2) Value Propositions,
(3) Channels, (4) Customer Relationships, (5) Revenue Streams, (6) Key Resources, (7)
Key Activitites, (8) Key Partners, (9) Cost Structure.
Abbildung 5.4 zeigt den Business Model Canvas und die jeweiligen Fragen, die sich
Start-up-Unternehmen (oder existierende Unternehmen) beim (Re-)Design ihres Geschäfts-
modells stellen sollten.
Das Business Model Canvas hat mittlerweile dank des eingängigen Designs und un-
zähliger Anwendungsfälle eine weite Verbreitung erfahren. Es ist allerdings immer noch
dasselbe statische Modell mit neun Dimensionen wie seit Anbeginn (vgl. Abb. 5.4). Hin-
gegen zeigt das Business Model von Wirtz anschaulich die Wirkungszusammenhänge zwi-
schen den einzelnen Dimensionen auf (siehe Abb. 5.5). In einer gründlichen Herleitung des
158

Abb. 5.4  Business Model Canvas [11]


5  Strategie und Geschäftsmodell
Finanzmodell
Business Model Erlösmodell

Beschaffungsmodell Leistungserstellungsmodell Marktangebotsmodell Kundenmodell

Wertschöpfungs- Transfor-
prozess matorischer Angebot 1
Prozess
Monetäre
Einsatzfaktoren Value Proposition Leistungsübermittlung
Quelle 1
Produkte Privat-
Produktentwicklung • Präsentation kunden
• Qualität Kostenstruktur • Distribution
Zahlungen • Serviceleistungen
• Quantität
• Zuverlässigkeit Produkte & Dienst-
leistungen
• Flexibilität Garantieleistungen
Interaktion
Angebot 2 Geschäfts-
Nichtproduktbezogene • Kunden Input kunden
dispositive Leistungen • Feedback
• Ausrichtung der Produktions- Value Proposition
Quelle 2 bzw. Leistungserstellungs- • Kleine und
faktoren mittel-
Dienstleistungen ständische
Kostenstruktur Erlöse Unternehmen
Nichtproduktbezogene
• Qualität innerbetriebliche Leistungen • Großunterneh-
• Quantität Zahlungen • Produktentwicklung men und
• Zuverlässigkeit • Management-Infrastruktur Coopetition-Potenzial • Abschlüsse multinationale
• Flexibilität • Kundenbezogene Leistungen • Zinszahlungen Konzerne
• Externe Leistungen zur • Gebühren
Abwicklung • Provisionen
• etc.

Stategie Kompetenzen/Ressourcen Netzwerk

• Strategiepositionen • Innovationsfähigkeit • Kooperationen


• Business Mission • Prozess- und Strukturkompetenz • Strategische Partnerschaften
• Operative Exzellenz: Operative Profitabilität • Branchenspezifische Kompetenz • Vertriebs- und Filialnetzwerk
5.7  Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien und Geschäftsmodellen

Komplexitätsverringerung, Prozesssicherheit • Leistungserstellungskompetenz • Key-Accounts


• Leadership Values: Strategiekonsistenz, • Customer-Relationship-Kompetenz • Zahlungsnetzwerke
Leistungskultur, Kundenfokus, Mitarbeiterförder-
ung, Vertrauen und Feedback fördern
• Wachstum und Konkurrenzfähigkeit
159

Abb. 5.5  Business Model mit Wirkungszusammenhängen [[12], S. 159]


160 5  Strategie und Geschäftsmodell

Geschäftsmodell-Denkens und der vielfältigen Varianten geht er sowohl auf die Struktur
als auch auf das Management von Geschäftsmodellen ein [12].
Ein anderer Ansatz ist das Geschäftsmodell von Stähler, das ebenfalls in einer Reihe
von Seminaren eingesetzt wird. Laut Stähler helfen die folgenden vier Kernfragen beim
Design eines Geschäftsmodells:

77 Laut Stähler unterstützen vier Kernfragen die Entwicklung eines Geschäftsmo-


dells.

• Value Proposition: Welchen Nutzen stiftet das Unternehmen für seine Kunden und
andere Stakeholder?
• Wertschöpfungsarchitektur: Wie schafft das Unternehmen diesen Wert?
• Ertragsmodell: Wie und womit verdient das Unternehmen Geld?
• Team & Werte: Wer ist in unserem Team? Wie gehen wir miteinander, mit Kunden
und Partnern um?

Die vier genannten Bereiche bilden die Hauptbestandteile eines Geschäftsmodells, anhand
derer ein bestehendes oder zukünftiges Geschäftsmodell beschrieben, diskutiert, verbessert
oder kreiert werden kann. Abbildung 5.6 gibt einen Überblick über das Gesamtmodell mit
weiteren Unterfragen, die bei der Geschäftsmodell-Entwicklung hilfreich sein können.
Wer einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungspfade von Geschäftsmodell-
Ansätzen der letzten Jahrzehnte sucht, findet diesen in einer Übersichtsgrafik, die auf dem
Blog „The Business Model Database“ von Anders Sunderlin dargestellt wird [14].

Unternehmerprofil: Günter Faltins Teekampagne – Eine Sorte Tee. Nur die beste.
Günter Faltin war knapp über 30 Jahre alt, als er an der Freien Universität Berlin Pro-
fessor für Ökonomie wurde. Von Beginn an stand für ihn fest, dass er sich mit dem
Thema Wirtschaft nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch beschäftigen wollte.
Nur wie sein Unternehmen aussehen sollte, das wusste er noch nicht.
Auf Reisen in Entwicklungsländern war ihm aufgefallen, dass Produkte wie Kaffee,
Bananen oder Tee äußerst billig waren, sich der Preis auf dem Weg vom Herstellerland
zum Kunden jedoch vervielfachte, obwohl die Hersteller im Erzeugerland von den ho-
hen Preisen nicht profitierten. Auf dem Weg vom Erzeugerland zum Konsumenten ver-
teuerte sich Tee um den Faktor 10. Musste das sein? Und woran lag das? Günter Faltin
begann zu recherchieren, um herauszufinden, was den Tee auf dem Weg zum Konsu-
menten so unglaublich teuer machte. Da war zunächst eine extrem lange Handelskette:
der Exporteur im Erzeugerland, der Importeur im Verbrauchsland, der Großhändler, der
Teehändler und schließlich, ganz am Ende, der Konsument. Ein wichtiger Kostentrei-
ber bestand damit in der Vielzahl der Handelsstufen.
Ein weiterer Faktor war die Sortimentstiefe, die dem Kunden in Teegeschäften an-
geboten wird. Gut sortierte Geschäfte führen mehrere Hundert Teesorten. Das erhöht
5.7  Werkzeuge zur Entwicklung von Start-up-Strategien und Geschäftsmodellen 161

Abb. 5.6  Geschäftsmodellkarte [13]

die Lagerkosten, da von jedem Tee zumindest ein kleiner Vorrat vorhanden sein muss.
Bestellt der Teehändler nach, reichen diese Mengen jedoch wiederum nicht aus, um
direkt beim Importeur kaufen zu können; so kommt er am Großhändler nicht vorbei.
Ein weiterer Kostentreiber waren die Kleinpackungen. Häufig wurde Tee in
100-Gramm-Packungen angeboten. Einen triftigen Grund hierfür konnte Günter Faltin
nicht finden. Selbst nachdem eine Teepackung geöffnet wurde, verliert der Tee sein
Aroma erst nach circa zwei Jahren, ganz anders als Kaffee, bei dem das Aroma bereits
nach einigen Tagen nachlässt. Die kleinen Verpackungen schienen also nichts weiter zu
sein als eine Konvention, auf die man sich im Laufe der Zeit unausgesprochen geeinigt
hatte. Einen echten Mehrwert für die Endverbraucher konnte der zukünftige Gründer
darin nicht erkennen.
Was also, wenn man die genannten Kostentreiber, die Anzahl der Handelsstufen,
die Breite des Warensortiments und die Kleinpackungen abschaffen würde? Was, wenn
man nur eine Sorte Tee ohne Zwischenhandel und in Großpackungen anbieten wür-
de? Die Einkaufsmenge wäre groß genug, um direkt im Herkunftsland einkaufen zu
können. Die ökonomischen Einsparungen wären so groß, dass man auch den besten
Tee der Welt zu einem günstigen Preis anbieten könnte. Vielleicht, so Günter Faltins
Überlegung, wäre der Kunde dann bereit, auf eine große Auswahl an Tee zu verzichten.
Günter Faltin machte die Probe aufs Exempel. Er bestellte vier Tonnen des welt-
besten Tees, Darjeeling-Tee, aus Indien und verkaufte ihn in Großpackungen direkt an
den Endkunden. Verkaufsplatz: der Campus der Freien Universität Berlin. Bereits nach
kurzer Zeit waren vier Tonnen Tee verkauft.
162 5  Strategie und Geschäftsmodell

Die Wirkung: Die Teekampagne ist mittlerweile der größte Darjeeling-Importeur


der Welt. Zwischenzeitlich macht die Teekampagne einen Umsatz von circa 8 Mio.
EUR pro Jahr. Mit 400 Tonnen Tee ist das Unternehmen der größte Darjeeling-Impor-
teur der Welt. Mehr als 200.000 Kunden haben das Teeversandhaus bereits genutzt und
ihre Teebestellungen per Post, Telefon, Fax, Internet oder E-Mail in Auftrag gegeben.
Die Pakete werden direkt nach Hause geliefert. Im Juni 2009 wurde Günter Faltin für
seine „Teekampagne“ mit dem Sonderpreis des „Deutschen Gründerpreises“ ausge-
zeichnet [15].

77 Der beste Tee der Welt wird beim Erzeuger eingekauft und ohne Zwischen-
händler in Großpackungen zum Kunden gebracht.

5.8 Geschäftsmodell-Innovationen

Jedes Unternehmen, ob nun Start-up oder etabliertes Unternehmen, benötigt ein valides
Geschäftsmodell, mit dem Werte für die Kunden geschaffen werden. Da Start-up-Unterneh-
men von Neuem beginnen, ohne die Altlasten bereits bestehender Strukturen und Denkwei-
sen, sind es häufig Start-up-Unternehmen, die mit Geschäftsmodell-Innovationen aufwar-
ten. Daher wird in diesem Kapitel erläutert, was unter einer Geschäftsmodell-Innovation
zu verstehen ist, weshalb Geschäftsmodell-Innovationen interessant sind und mit welchen
Instrumenten sie vorangetrieben werden können.

5.8.1 Die Königsdisziplin der Innovation

Unternehmen können auf folgenden Ebenen Innovationen vorantreiben:

• Produkt- und Serviceebene,


• Prozessebene,
• Geschäftsmodellebene.

In entwickelten Märkten, in denen ein Großteil der Mitbewerber kontinuierlich damit


beschäftigt ist, Betriebsabläufe effizienter zu machen, und laufend das Produktportfolio
erneuert, wird es jedoch schwierig, sich durch Prozessverbesserungen oder Produkt- und
Dienstleistungsinnovationen hervorzuheben. In einem kompetitiven Umfeld sind diese
Innovationsarten wichtig, um im Wettbewerb bestehen zu können, sie reichen jedoch mög-
licherweise nicht mehr aus, um sich zu differenzieren und zu den Besten zu gehören. Inno-
vationen des Geschäftsmodells können hier eine Möglichkeit sein, um die Konkurrenz auf
Abstand zu halten. Im Rahmen einer Studie für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst
& Young haben Müller und Volery sich daher dem Thema Geschäftsmodell-Innovationen
5.8 Geschäftsmodell-Innovationen 163

gewidmet, um anhand von Literaturrecherchen und vier Fallbeispielen das Thema zu be-
leuchten. Die Ausführungen in diesem Unterkapitel und im Abschn. 5.8.2 sind im Wesent-
lichen dieser Studie entnommen [15].

77 Innovationen des Geschäftsmodells können die Konkurrenz auf Abstand


halten.

Es gibt nur wenige Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen verschiedenen


Innovationstypen und dem Erfolg eines Unternehmens analysieren. Eine Ausnahme ist
die globale CEO-Studie von IBM. Die Studie zeigt, dass Unternehmen, die ihren Inno-
vationsschwerpunkt auf ihr Geschäftsmodell legen, ein höheres Wachstum des operati-
ven Ergebnisses verzeichnen als Unternehmen, die den Fokus auf Produkt-, Service- oder
Prozessinnovationen legen [16]. In der Studie wurden die CEOs von 765 Unternehmen
gebeten, anzugeben, welche Innovationsart für ihr Unternehmen Priorität hat. Bei ihrer
Angabe konnten sie sich zwischen „Produkte/Services/Märkte“, „Betriebsabläufe“ und
„Geschäftsmodelle“ entscheiden. Anschließend wurden diese Daten mit der Entwicklung
des operativen Ergebnisses in den letzten fünf Jahren in Verbindung gebracht. Die IBM-
Studie kam zu folgendem Resultat: Unternehmen, die ihren Innovationsschwerpunkt beim
Thema „Geschäftsmodell“ sahen, konnten im Vergleich zu den anderen Unternehmen häu-
figer ein größeres Wachstum der operativen Marge vorweisen.
Neue Produkte werden natürlich weiterhin eine wichtige Rolle spielen, um im Wettbe-
werb zu bestehen. Entwicklungen wie Globalisierung, technischer Fortschritt und Innova-
tionstechnologien werden jedoch dafür sorgen, dass Produktneuheiten und Technologien
in kürzester Zeit überall zur Verfügung stehen. So werden sich Produkte immer ähnlicher,
was Kunden dazu veranlasst, ihre Kaufentscheidungen zunehmend aufgrund des Preises
zu treffen, auf den Hersteller achten sie dann immer weniger.

77 Unternehmen können sich mithilfe von Nutzeninnovationen „Blaue Ozeane“


schaffen.

Die französischen Wissenschaftler Kim und Mauborgne nennen solche Märkte „rote Ozeane“
[17]. Rote Ozeane sind hart umkämpft, der Preisdruck steigt kontinuierlich und Differenzie-
rungen werden zunehmend schwieriger. Die beiden Wissenschaftler sind jedoch überzeugt,
dass sich Unternehmen mithilfe von Nutzeninnovationen „blaue Ozeane“ schaffen können.
Ein Beispiel für eine solche Innovation ist das Fleet-Management-Konzept des liech-
tensteinischen Unternehmens Hilti. Hilti entwickelt regelmäßig Produktinnovationen,
mit denen Kunden das Abbauen, Messen und Befestigen leichter gemacht werden soll.
Ende 2003 überraschte das Unternehmen seine Kunden und Mitbewerber jedoch mit einer
Geschäftsmodell-Innovation: Anstatt ein Produkt zu kaufen, können Kunden das Produkt
für einen festen monatlichen Betrag leasen. Die Kunden erhalten damit Anspruch auf Pro-
dukte, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr einsatzbereit
sind. Ist eine Maschine defekt, sorgt Hilti für sofortigen Ersatz oder sofortige Reparatur.
164 5  Strategie und Geschäftsmodell

77 Kunden sind mit dem Baugeräte-Management häufig überfordert. Das Fleet


Management löst dieses Problem.

Das Angebot des Fleet Managements löst ein echtes Kundenproblem. Viele Kunden waren
mit dem Baugeräte-Management überfordert. Sie wussten häufig nicht, wie viele Geräte auf
welcher Baustelle im Einsatz waren. War eine Maschine defekt, wurde zunächst ein Kosten-
voranschlag eingeholt. Überstiegen die Kosten einen bestimmten Betrag, musste gegebenen-
falls der Vorgesetzte mit einbezogen werden, um zu entscheiden, ob die Reparatur in Auftrag
gegeben werden sollte oder nicht. Bis das Gerät repariert oder ein Neugerät beschafft war,
vergingen mitunter bis zu drei Wochen. Das Fleet-Management-Angebot löst dieses Problem.
Der Kunde kann sich darauf verlassen, dass er jederzeit eine einsatzfähige Maschine zur
Verfügung hat. Das Fleet Management ist eine Geschäftsmodell-Innovation, die sich hin-
sichtlich des Kundennutzens, der Architektur der Leistungserstellung (wie wird das Produkt
erstellt?) und hinsichtlich des Ertragsmodells vom konventionellen Verkauf von Baugeräten
unterscheidet. Tabelle 5.1 beschreibt die Hauptbestandteile der Geschäftsmodell-Innovation.

5.8.2 Werkzeuge zur Entwicklung von Geschäftsmodell-Innovationen

77 Geschäftsmodell-Innovationen können systematisch entwickelt werden.

Geschäftsmodell-Innovationen kann man systematisch entwickeln. Die Autoren Kim und


Mauborgne stellen mehrere Methoden vor, mit deren Hilfe sich junge oder etablierte Unter-
nehmen „blaue Ozeane“ schaffen können. Im Folgenden sollen ausgewählte Werkzeuge vor-
gestellt werden (weitere Werkzeuge finden sich auf der Seite www.blueoceanstrategy.com)

• Strategische Kontur und Nutzenkurve: Anhand der Strategischen Kontur können die
aktuellen Spielregeln einer Branche analysiert werden, um anschließend die eigene
strategische Position zu verändern. Zunächst werden die kundenrelevanten Faktoren
der Dienstleistung oder des Produktes aufgeführt, die momentan die Grundlage des
Wettbewerbs bestimmen. Im Baugeräteverkauf, die Branche, in der auch das Un-
ternehmen Hilti tätig ist, sind dies beispielsweise Faktoren wie „Produktqualität“,
„Kundennähe“ und „Anschaffungskosten“. Diese Faktoren werden auf der horizon-
talen Achse eingetragen. Auf der vertikalen Achse wird für jeden Faktor vermerkt,
auf welchem Niveau der jeweilige Faktor vom bestehenden Angebot in einer Branche
oder Industrie erfüllt wird. Anschließend kann eine neue Nutzenkurve eingezeichnet
werden, am besten so, dass der Kunde durch die Umgestaltung einen neuen für ihn
relevanten Nutzen erfährt. Man versucht also, ganz bewusst anders als der Wettbe-
werb vorzugehen.

77 Mithilfe des Vier-Aktionen-Formats kann die Nutzenkurve so umgestaltet


werden, dass Kunden ein neuartiger Nutzen angeboten wird.
5.8 Geschäftsmodell-Innovationen 165

Tab. 5.1  Geschäftsmodell-Innovation Hilti

Komponenten des Bisheriger Verkauf von Fleet Management


Geschäftsmodells Baugeräten

Kundennutzen Hochwertige und inno- Einsatzfähige Geräteflotte


vative Werkzeuge und auf dem neuesten Stand der
Befestigungstechnik für Technik
die Bauindustrie Übernahme des Geräte-
Managements
Architektur der Leis- Direktverkauf der Geräte an Abgestufte Fleet-Manage-
tungserstellung die Bauindustrie in mehr als ment-Pakete
120 Ländern Bei Bedarf sofortige Ersatz-
leistung oder Reparatur
Ertragsmodell Erträge aus dem Geräte­ Monatliche Erträge aus
verkauf Leasingverträgen

• Vier-Aktionen-Format: Um die Nutzenkurve umzugestalten, kann das Vier-Aktionen-


Format von Kim und Mauborgne verwendet werden. Dabei werden vier Schlüsselfra-
gen gestellt:
Eliminieren: Welche Elemente, die bisher als selbstverständlich betrachtet wurden,
können gestrichen werden?
Reduzieren: Welche Faktoren sollen bis weit unter den Branchenstandard reduziert
werden?
Steigern: Welche Faktoren sollen bis weit über den Standard gesteigert werden?
Kreieren: Welche Faktoren, die in der Branche noch nicht bekannt sind, sollen neu
geschaffen werden?

Abbildung 5.7 zeigt, wie Hilti die Nutzenkurve mit dem Angebot des Fleet Managements
neu gestaltet hat: Die Anschaffungskosten wurden eliminiert, stattdessen bezahlen die
Kunden nun eine monatliche Leasinggebühr. In Bezug auf die Produktqualität und die
Kundennähe schneidet Hilti besser ab als der Branchendurchschnitt. Zudem wurden zwei
kundenrelevante Faktoren, die es so vorher noch nicht gab, neu geschaffen: die garantierte
Verfügbarkeit funktionsfähiger Geräte an 365 Tagen im Jahr und die Leasinggebühr.
Gründer können die Strategische Kontur und die Nutzenkurve verwenden, um in ihrer
Branche systematisch Geschäftsmodell-Innovationen zu entwickeln. Dabei kann die Nut-
zenkurve mithilfe des Vier-Aktionen-Formats so umgestaltet werden, dass sie sich deutlich
von der Nutzenkurve anderer Branchenteilnehmer unterscheidet und den Kunden einen
neuen, besseren oder anderen Nutzen bietet. Die von den Autoren und Wissenschaftlern
Kim und Mauborgne vorgeschlagenen Werkzeuge zeigen, dass man Geschäftsmodell-
Innovationen nicht dem Zufall überlassen muss. Im Gegenteil: Wer seine Nutzenkurve
systematisch verändert, sei es als Jungunternehmer oder etablierter Unternehmer, kann
ganz gezielt die Schaffung „blauer Ozeane“ vorantreiben.
166 5  Strategie und Geschäftsmodell

Abb. 5.7  Nutzenkurve Fleet Management von Hilti versus Wettbewerber

5.8.3 Konzept-kreative Gründungen

77 Der Entrepreneur sollte sich darauf konzentrieren, Neues in die Welt zu bringen.

Gerade wenn es sich nicht um technische Ideen handelt, können die Überlegungen zu
konzept-kreativen Gründungen, wie sie Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship
an der FU, anstellt, interessante Möglichkeiten bieten, um Geschäftsmodell-Innovationen
zu entwickeln. In seinem Buch „Kopf schlägt Kapital“ [2] räumt Faltin zunächst mit der
Vorstellung auf, ein Unternehmer müsse letztlich alles können, von der Konzeptentwicklung
über die Buchhaltung bis zur Personalentwicklung. Aus seiner Sicht ist dies eine verstaubte
Vorstellung. Statt dem Unternehmer alles zuzumuten, sollte man zwischen der Eigentums-
funktion, der Managementfunktion und der Funktion „Neues in die Welt“ zu bringen, unter-
schieden. Es gibt keinen Grund dafür, weshalb man alle drei Funktionen dem Unternehmer
zuschreiben müsse. Ein Entrepreneur tut vielmehr gut daran, sich lediglich auf eine der
drei Funktionen zu konzentrieren, nämlich der letztgenannten: Der Entrepreneur ist dafür
zuständig, Neues in die Welt zu bringen. Dazu gehören laut Faltin die folgenden Aufgaben:

• Ein eigenes, innovatives Konzept zu entwickeln, es zu implementieren und weiterzu-


entwickeln;
5.8 Geschäftsmodell-Innovationen 167

• Adaption an sich ändernde Bedingungen;


• Mitarbeiter für das eigene Konzept begeistern zu können;
• Marktbeobachtung, um frühzeitig neue Trends und technologische Entwicklungen zu
erkennen;
• Richtungsentscheidungen vorbereiten und treffen, um damit die Instanz für alle
grundsätzlichen Entscheidungen zu sein.

77 Der Entrepreneur sollte am und nicht im Unternehmen arbeiten.

Der Unternehmer soll also nicht im Unternehmen, sondern vielmehr am Unternehmen


arbeiten. Er ist dafür zuständig ein überzeugendes Ideenkonzept zu entwickeln. Ein inno-
vatives Ideenkonzept zeichnet sich aus Faltins Sicht durch folgende Punkte aus:

• Marktvorteile werden klar herausgearbeitet;


• es sichert einen Vorsprung vor Imitatoren;
• schützt vor technologischer Obsoleszenz (Veralterung);
• schützt vor wirtschaftlicher Obsoleszenz;
• minimiert den Finanzierungsaufwand;
• Marketing ist ein integraler Bestandteil des Entrepreneurial Designs.

Beispiel für derartig innovative Ideenkonzepte ist die weiter oben im Unternehmerprofil
beschriebene Teekampagne, die Faltin selbst gegründet hat. Aber auch bei den Unterneh-
men Aldi, Migros, Ikea oder Body Shop handelt es sich um konzept-kreative Unterneh-
men. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie bieten ihren Kunden einen Nutzen, den es in
der Form bisher noch nicht gab. Gottlieb Duttweiler zum Beispiel wollte zeigen, dass es
eine Zumutung war, dass die Schweizer Konsumenten den dreifachen Herstellpreis zahlen
mussten. 1925 gründete er die Migros und machte sich einen Namen als Preisbrecher. Er
ließ fünf Lastwagen mit nur sechs Artikeln losfahren. Es gab Kaffee, Reis, Zucker, Teig-
waren, Kokosfett und Seife. Die Waren wurden in Großpackungen angeboten, und ein
Flugblatt informierte die Kunden darüber, weshalb die Waren trotz hoher Qualität so billig
verkauft werden konnten. Aus seinem Konzept ist der mittlerweile knapp vor Coop größte
schweizerische Detailhändler geworden.
Auch Ikea revolutionierte mit einem durchdachten Konzept die eigene Branche. Dass
Kunden ihre Möbel zu Hause selbst zusammenbauten, weil sie im Gegenzug Möbel mit
modernem Design zu einem erschwinglichen Preis bekamen, gab es vorher nicht.
Faltin sieht hinter all diesen Ideen folgende Gemeinsamkeiten: Es handelt sich um gut
durchdachte Ideenkonzepte, die sich durch Einfachheit und Skalierbarkeit auszeichnen und
das Risiko für den Gründer minimieren.
In seinem neuesten Buch „Wir sind das Kapital“ erweitert Günter Faltin seine Grund-
gedanken um gesellschaftliche und philosophische Überlegungen, um mit frischen Entre-
preneuren in eine „intelligentere Ökonomie“ aufzubrechen [18].
168 5  Strategie und Geschäftsmodell

5.9 Fallstudie: Doodle

5.9.1 Teil A: Gründung und Start von Doodle

77 Ende 2010 knackt Doodle in der Schweiz die magische Grenze von einer Mil-
lion Unique Visitors pro Monat.

Am Abend des 14. Dezember 2010 treffen sich die beiden Gründer von Doodle, Michael
Näf und Paul Sevinç, zu einer Nachtschicht in ihrem Büro im Technopark Zürich. Das 2007
gegründete Unternehmen befindet sich auf Wachstumskurs: Jahr für Jahr erhöhen sich die
Nutzerzahlen um den Faktor 2 bis 3. Eine Woche zuvor konnte Doodle in der Schweiz
die magische Grenze von einer Million Besucher (Unique Visitors) pro Monat knacken.
Weltweit nutzen über sechs Millionen Internetnutzer die Webseite, um gemeinsame Ter-
mine für Geschäftsessen, Kinoabende oder Vorstandssitzungen zu finden. Die Gründer
sind sich jedoch sicher, dass das Marktpotenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. Sie
möchten die nächsten zwei bis drei Jahre nutzen, um zu wachsen, um dann ein möglichst
lukratives Übernahmeangebot zu erhalten. Wie kann dieses Vorhaben am besten gelingen?
Die beiden zerbrechen sich bis spät in die Nacht den Kopf über die beste Strategie, um das
Unternehmen in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln …

Hintergrundinformationen

77 Michael Näf wollte sich mit Kollegen zum Abendessen treffen. Die Terminfin-
dung war schwierig. Das war der Anfang von Doodle.

Phase 1 Doodle als Hobby (2003–2007): Michael Näf ging es zunächst lediglich darum,
ein privates Problem zu lösen: Im Jahr 2003 wollte er mit Kollegen einen gemeinsamen
Termin zum Abendessen finden. Das hört sich einfach an, erwies sich jedoch als schwierig.
Dutzende von E-Mails mussten ausgetauscht werden, ohne dass man zu einem Resultat
gekommen wäre. Also programmierte der gelernte Informatiker eine Anwendung, um das
Problem zu lösen: Alle Kollegen, die zum Abendessen eingeladen waren, erhielten einen
Link zu einer Webseite. Dort standen einige Termine in einer tabellarischen Übersicht zur
Auswahl. Jeder konnte eintragen, ob er an dem entsprechenden Termin Zeit hatte oder
nicht. Auf einen Blick war zu sehen, wer an welchen Abenden zur Verfügung stand.
Die Webadresse, unter der das Werkzeug zur Terminfindung zugänglich war, kannten
zunächst nur Michael und seine Kollegen. Erst 2004 stellte er das Tool ins Netz und damit
der Öffentlichkeit zur Verfügung. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Michael zu dieser
Zeit als Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Doodle war lediglich ein Hobby. Bereits zwei
Jahre später wurden der Ansturm auf die Webseite und der Aufwand für die Betreuung
jedoch so groß, dass Michael nur zwei Möglichkeiten sah: Entweder er musste das Projekt
abgeben oder eine Firma gründen, um das Projekt zu professionalisieren.
Phase 2 Unternehmensgründung (2007): Michael entschied sich für die zweite Option. Im
März 2007 gründete Michael gemeinsam mit seinem ETH-Kollegen Paul Sevinç die Inturico
5.9  Fallstudie: Doodle 169

Engineering GmbH. Paul und er hatten die letzten vier Jahre das Büro an der ETH Zürich
miteinander geteilt und kannten sich gut. Im ersten Jahr schrieben sie einen Businessplan,
generierten erste Werbeeinahmen und nahmen an dem Coaching „CTI Start-up“ teil, das von
der Innovationsagentur der Schweiz angeboten wird. Dabei wurden Michael und Paul über
mehrere Monate von einem Coach begleitet, der sie bei der Geschäftsentwicklung unterstützte.

77 In den Jahren 2008 und 2009 befand sich Doodle auf Wachstumskurs.

Phase 3 Wachstum (2008 und 2009): In den Jahren 2008 und 2009 befand sich Doodle
auf Wachstumskurs. Im Februar 2008 investierten die Innovationsstiftung der Schwyzer
Kantonalbank und die Beteiligungsgesellschaft Creathor Venture in das Unternehmen,
das im Zuge dieser Finanzierungsrunde in die Doodle AG umgewandelt wurde. Die bei-
den Gründer behielten jeweils gut ein Drittel des Unternehmens, den Rest erhielten die
beiden Investoren. Im Jahr 2008 wurde fast monatlich ein weiterer Mitarbeiter eingestellt.
Ende 2008 waren bereits acht Mitarbeitende bei Doodle beschäftigt, davon gut die Hälfte
in den Bereichen Produktentwicklung, Betrieb und Softwareentwicklung (u. a. ETH- und
FH-Absolventen), die andere Hälfte in den Bereichen Verkauf, Marketing und PR/Kom-
munikation. Das Alter der Mitarbeitenden lag zwischen Mitte 20 und Ende 30. Seit Beginn
des Unternehmens sitzt Doodle im Technopark Zürich, sodass kontinuierliches Wachstum
möglich war. Das Team musste so, trotzt schnellen Wachstums, jeweils nur innerhalb des
Technoparks umziehen, was inzwischen bereits viermal der Fall war.
Anfang 2009 erlebte Doodle eine kurze Durststrecke aufgrund der weltweiten Wirt-
schaftskrise und der damit verbundenen Rückgänge der Werbeausgaben. Das Wachstum
in puncto User-Zahlen war jedoch ungebrochen und ab Mitte 2009 entwickelten sich auch
die Umsätze wieder sehr erfreulich.

77 Ende 2010 erreicht das Unternehmen den Breakeven.

Phase 4 Breakeven und weiteres Wachstum (ab 2010): Im Jahr 2010 konnten die Nutzerzah-
len und Umsätze weiter gesteigert werden, sodass der Breakeven Ende 2010 erreicht werden
konnte. Im Laufe des Jahres kamen zwei weitere Mitarbeitende hinzu. Im Februar 2011 wird
ein neuer Verkaufsleiter dazukommen, Anfang April 2011 wird das Team zudem durch eine
Campaign-Managerin unterstützt, die für die reibungslose Abwicklung der Werbekampagne
verantwortlich sein wird. In den nächsten Monaten soll der Wert des Unternehmens, nicht
zuletzt auch im Hinblick auf den geplanten Exit, nochmals enorm gesteigert werden. Im
Mai 2011 steigt das Schweizer Medienhaus Tamedia AG als Gesellschafter mit ein.

Geschäftsmodell

77 Pro Woche verbringen Arbeitnehmer fünf Stunden mit Terminkoordination.

Laut einer von Doodle in Auftrag gegebenen internationalen Studie sind Arbeitnehmer
rund fünf Stunden pro Woche oder umgerechnet rund sechs Arbeitswochen pro Jahr mit
170 5  Strategie und Geschäftsmodell

der Koordination von Terminen beschäftigt. Befragt wurden 1500 Angestellte aus Deutsch-
land, Frankreich und den USA, die in Assistenz- oder Manager-Positionen arbeiten. Die
meisten nutzen nach wie vor Telefon, E-Mail oder ihren Desktop-Kalender, um Termine
zu vereinbaren. Genau an dieser Stelle setzt Doodle an: Doodle bietet seinen Kunden ein
einfaches und nutzerfreundliches Werkzeug, um die Terminkoordination mit mehreren
Personen erheblich zu vereinfachen. Dies spiegelt sich auch in der Tagline von Doodle
wider: „Doodle: easy scheduling.“ Die Funktionalität können User als kostenlosen Service
oder, in der Premiumversion, als kostenpflichtigen Service beziehen.
Free Doodle: Die Grundfunktionen von Doodle können kostenlos genutzt werden. Die
User müssen weder eine Software herunterladen noch eine Software kaufen. Zu den Grund-
funktionalitäten gehören das Einrichten von Terminumfragen sowie das Einrichten einer
Umfrage, um eine Wahl zu treffen (z. B. Wahl eines Kinofilms, Restaurants). Des Weiteren
können eine Reihe weiterer Doodle-Optionen genutzt werden. Dazu gehören zum Beispiel
eine Zeitzonenunterstützung oder versteckte Umfragen, die lediglich der Person, die die
Umfrage eingerichtet hat, zeigen, wer bereits an der Umfrage teilgenommen hat. Free
Doodle ist das am schnellsten wachsende Produkt und wesentlich für die Markenbekannt-
heit von Doodle verantwortlich.

77 Die aktive Vermarktung der Webseiten bringt fünfmal höhere Umsätze ein.

Den Großteil seiner Einnahmen erwirtschaftet Doodle derzeit mit der Vermarktung der
Webseite. Grundsätzlich hat Doodle die Wahl, ob die Vermarktung der Webseite mithilfe
von Werbenetzwerken (z. B. Google AdSense, Yahoo! Publisher Network usw.) erfolgt oder
ob die Seiten selbst aktiv vermarktet werden. Vermarktet Doodle die Seiten selbst, bedeutet
dies zwar einen großen Zeitaufwand, es können jedoch auch deutlich höhere Preise verlangt
werden. So lassen sich mit der aktiven Vermarktung von Werbeflächen fünfmal höhere
Umsätze generieren, als wenn die Flächen über ein Werbenetzwerk vermarktet werden.

77 In der Schweiz werden die Werbeflächen zu 100 % aktiv vermarktet.

Momentan werden die Werbeflächen in der Schweiz zu 100 % aktiv vermarktet. Darum
kümmert sich momentan eine Person, bald wird das Verkaufsteam jedoch aus drei Per-
sonen bestehen. Mit ausgewählten Agenturen und Vermarktern werden Rahmenverträge
abgeschlossen. In Deutschland wird die Webseite ebenfalls seit Anfang 2010 aktiv ver-
marktet, wobei die Aktivitäten in Deutschland ab Anfang 2011 noch deutlich verstärkt
werden sollen.
Bei dem Verkauf von Werbeflächen gibt es unterschiedliche Modelle. Das bei Doodle
meistgenutzte Modell besteht darin, den Kunden Werbeflächen auf Basis eines sogenann-
ten TKPs zu verkaufen. TKP steht für „Tausender-Kontakt-Preis“. Sprich, die Kunden
bezahlen dafür, dass ihre Werbung eintausendmal eingeblendet wird. Der TKP hängt zum
Beispiel von der Größe des Werbemittels, der Platzierung und der Zielgruppengenauigkeit
(Targeting) ab. Die Zielgruppengenauigkeit kann Doodle über die Titel sicherstellen, die die
5.9  Fallstudie: Doodle 171

Nutzer für eine Umfrage verwenden. So können beispielsweise Sportevents, gemeinsame


Essen oder geschäftliche Anlässe wie zum Beispiel Sitzungen auseinandergehalten werden.
Je genauer die Zielgruppe spezifiziert wird, desto besser für den Kunden und desto hö-
her der TKP. In der Schweiz muss ein Kunde ohne spezifisches Targeting einen TKP von
ca. 40 CHF bezahlen, mit Targeting liegt der TKP dagegen bei 60–80 CHF. Welchen TKP
Doodle in Deutschland erreichen kann, ist noch unklar. Es ist aber davon auszugehen, dass
der TKP tiefer liegen wird als in der Schweiz.

77 Doodle konnte in den vorangegangenen Jahren, entgegen dem allgemeinen


Trend, mehrere Preiserhöhungen durchsetzen.

Im Allgemeinen sind die Preise für TKP in den letzten Jahren gefallen. Doodle konnte
jedoch aufgrund seines steigenden Bekanntheitsgrads, der erfolgreichen Positionierung im
Premium-Segment und des zielgruppenspezifischen Verkaufs in den letzten zwei Jahren
mehrere Preiserhöhungen durchsetzen.
Um die Seite bekannt zu machen, setzt Doodle in erster Linie auf die Viralität des
Produkts. Zudem wird das Wachstum mit weiteren PR- und Kommunikationsmaßnahmen
unterstützt. So werden z. B. Blogger und Redakteure kontinuierlich mit Informationen
versorgt. Vereinzelte Werbekampagnen werden als Gegengeschäfte durchgeführt (z. B.
Tausch von Printfläche und Online-Werbung bei Doodle). In der Schweiz hat es Doodle
mittlerweile in die Top 10 der größten Online-Seiten geschafft, was die Vermarktung der
Seite erheblich vereinfacht. Viele Kunden möchten sich nicht mit vielen kleinen Anbietern
von Online-Werbeflächen beschäftigen und bevorzugen stattdessen Seiten mit einer hohen
Reichweite.
Seit einem Jahr bietet Doodle seinen Service auch über eine iPhone App an (Preis:
3,30 CHF/Monat). Zudem wurde vor Kurzem eine Doodle-Version lanciert, die auf dem
Betriebssystem „Android“ genutzt werden kann, dem meistgenutzten Betriebssystem für
mobile Endgeräte (Ergänzung: Damit bietet Doodle aktuell (2015) folgende Funktionali-
täten an: Doodle-Konto (gratis); Kalender verbinden; MeetMe (gratis), Premium Doodle
(kostenpflichtig); Doodle Mobile [19]).

77 Das Produkt „Premium Doodle“ ermöglicht es den Kunden, individuell gestal-


tete Umfragen einzurichten.

Premium Doodle: Neben dem kostenlosen Doodle gibt es Premium-Produkte, für die die
Kunden bezahlen müssen:

• Das Produkt „Premium Doodle Solo“ richtet sich an Individualkunden, die Doodle
werbefrei nutzen und ihre Umfragen persönlich gestalten möchten. Zusätzlich gibt es
einige Funktionalitäten, die die Effizienz der Umfrage steigern können: So sieht man,
wie auch beim Produkt Free Doodle, auf einen Blick, wer sich noch nicht eingetragen
hat, und kann automatische oder manuelle Erinnerungen verschicken.
172 5  Strategie und Geschäftsmodell

• Die beiden Produkte „Premium Doodle Business“ und „Premium Doodle Enterprise“
richten sich an Unternehmen. Die Business-Version ist für Unternehmen ausgelegt, in
denen fünf bis 1000 Mitarbeitende Doodle-Umfragen erstellen können, die Enterprise-
Version richtet sich an Unternehmen, in denen mehr als 1000 Mitarbeitende Doodle-
Umfragen einrichten können. Die Anzahl der Umfrageteilnehmer ist unlimitiert. Der
Hauptvorteil beider Produkte liegt darin, dass die Unternehmen ihren Mitarbeitenden
Terminumfragen unter einem eigenen Branding zur Verfügung stellen können. Die
Seite ist werbefrei und kann vollständig genutzt werden, um das eigene Logo und wei-
tere, firmenrelevante Informationen zu präsentieren. Das Unternehmens-Doodle ist un-
ter einer eigenen URL erreichbar und wird verschlüsselt. Auch hier werden eine Reihe
von Effizienzfunktionen angeboten (z. B. Erinnerungen an alle verschicken, die sich
noch nicht eingetragen haben, Kalenderintegration). Doodle Business wird beispiels-
weise von der AdNovum Informatik AG genutzt, einem Informatik-Komplettanbieter
aus der Schweiz mit ca. 250 Mitarbeitenden. Das unternehmenseigene Doodle ist
unter der Domain adnovum.doodle.com erreichbar und wird gemäß AdNovum häufig
genutzt, um Termine zwischen Mitarbeitenden und ihren Kunden zu koordinieren.
• Die Preise für die beiden Premiumprodukte hängen von der Anzahl der User ab. So
kostet ein „Premium Doodle Business“, das von bis zu fünf Personen genutzt werden
kann, 119 CHF/Jahr. Wird das Produkt von bis zu 1000 Personen genutzt, liegt der
Preis bei 1799 CHF/Jahr. Dazwischen gibt es mehrere Abstufungen. Wie bereits oben
erwähnt, bezieht sich die Anzahl der Nutzer nur auf die Anzahl der Personen, die über
das Premium-Abo Umfragen erstellen können, die Anzahl der Umfrageteilnehmer ist
jeweils unlimitiert.

Doodle erzielt derzeit 75 % aller Umsätze mit Werbung, die auf den Seiten von Free Doodle
geschaltet werden. Mit den Bezahlprodukten werden ca. 25 % der Umsätze generiert.

Marktdurchdringung

77 Jeder siebte Schweizer nutzt einmal pro Woche Doodle.

Jeden Monat nutzen 1,22 Mio. Unique Visitors aus der Schweiz den Service von Doodle,
entweder um eine neue Umfrage einzurichten oder um an einer Umfrage teilzunehmen.
Damit hat Doodle eine grob geschätzte Marktdurchdringung von fast 16 %. Ungefähr
jeder siebte Schweizer nutzt einmal im Monat Doodle. Bei einer Umfrage im Früh-
jahr 2009 hat sich gezeigt, dass 43 % (ungestützt) bzw. 62 % (gestützt) der Schweizer
Doodle kennen. In den übrigen Ländern hat Doodle eine weit geringere Marktverbrei-
tung. Die Zahlen aus der Schweiz zeigen jedoch, welches Potenzial Doodle in anderen
Ländern haben könnte.
In Deutschland liegt die Marktdurchdringung bei 1,5 %. Damit ist man noch weit von
dem zu erreichenden Potenzial entfernt. Da Deutschland um ein Vielfaches größer ist (über
5.9  Fallstudie: Doodle 173

80 Millionen Einwohner), ist die Anzahl der Unique Visitors mit 1,22 Millionen genauso
hoch wie in der Schweiz. In den USA gibt es derzeit ca. 870.000 Unique Visitors pro Monat,
in Frankreich ca. 660.000.
In der Schweiz, Deutschland, den USA und Frankreich bewirbt und vermarktet Doodle
die Webseite aktiv, mit einem derzeitigen Schwerpunkt auf der Schweiz. In Belgien, Groß-
britannien, Kanada, Österreich, Spanien, Dänemark und Schweden wird Doodle zwar be-
reits genutzt, eine aktive Vermarktung findet jedoch noch nicht statt. In diesen Ländern
liegt die Anzahl der Unique Visitors jeweils unter 250.000 pro Monat. Die Anzahl der
Unique Visitors hat einen direkten Einfluss auf den Umsatz. Ein Unique Visitor verursacht
im Durchschnitt 13 Seitenaufrufe (sogenannte Page Impressions), wobei auf dem Großteil
dieser Seiten Werbebanner eingeblendet werden.

77 Ein kanadisches Unternehmen könnte den US-amerikanischen Markt erobern.

Einer der attraktivsten Märkte für Doodle sind die USA. Hier gibt es jedoch einen rele-
vanten Konkurrenten. Ein kanadisches Unternehmen mit Sitz in Montréal ist seit 2009
insbesondere auf dem kanadischen und US-amerikanischen Markt präsent. Wie Doodle
hat auch der kanadische Mitbewerber zunächst ein kostenloses Werkzeug zur Verfügung
gestellt, das es den Usern erlaubt, Termine zu vereinbaren. Seit November 2010 bietet das
Unternehmen kostenpflichtige Premiumdienste an. Auch diese erinnern an das Produkt-
angebot von Doodle. Nutzer können sich einen Premiumaccount einrichten, der es ihnen
erlaubt, Terminumfragen und Einladungs-E-Mails mit eigenem Branding (Logo, Firmen-
farben etc.) einzurichten bzw. zu verschicken. Zudem können die Termine mit Outlook,
Google Calendar und Apple iCal synchronisiert werden. In den Jahren 2007 und 2008 hat
das Unternehmen 1,36 bzw. 5 Millionen USD von Risikokapitalgebern erhalten. Damit hat
das Unternehmen die Möglichkeit, sehr viel Geld in das Team, die Produktentwicklung und
die Werbung zu investieren. Eine „Konkurrenz“ stellen allerdings nicht nur andere Anbieter
von webbasierten Terminfindungstools dar.
User können das Problem der gemeinsamen Terminkoordination auch mit den Pro-
grammen lösen, die sie bereits nutzen, um ihre Kalenderdaten zu verwalten. Sowohl
Outlook als auch Lotus Notes bieten die Möglichkeit, Kalender für andere Nutzer frei-
zugeben, um deren freie und besetzte Zeiten anzeigen zu lassen und Termine zu verein-
baren. Bisher werden diese Funktionalitäten aus verschiedenen Gründen häufig jedoch
nicht genutzt: Zum Teil sind die Programme nicht richtig eingerichtet, teilweise sind
sie schlichtweg zu kompliziert oder die Anwendungen funktionieren nur innerhalb der
„eigenen Welt“ gut und weniger im Austausch mit anderen Umgebungen und anderen
Kalenderlösungen. Doodle wird außerdem häufig bevorzugt, weil es zuverlässig funkti-
oniert, über den Browser genutzt werden kann und keine Installation erfordert. Darüber
hinaus verstehen die eingeladenen Personen intuitiv, was zu tun ist. Zudem bietet Doodle
mehrere Terminoptionen an, damit wird die Terminfindung zu einem kooperativen, kon-
sensbasierten Prozess.
174 5  Strategie und Geschäftsmodell

Zukunftsstrategien

77 Doodle muss sich zwischen einer Reihe möglicher Zukunftsstrategien ent-


scheiden.

Während ihrer „Nachtschicht“ diskutieren Michael und Paul eine Reihe von strategischen
Optionen.

• Marktanteile von „Free Doodle“ in anderen Ländern erhöhen: Die erste Option be-
steht darin, die Marktdurchdringung von „Free Doodle“ in anderen Ländern voranzu-
treiben, vor allem in Deutschland, den USA und in Frankreich; also in den Ländern,
in denen der Markteintritt bereits erfolgt ist. In allen diesen Ländern soll der Beweis
erbracht werden, dass mit Werbung signifikante Umsätze generiert werden können.
Da sich die Einnahmen mit Free Doodle durch Werbung parallel zu den Nutzerzahlen
entwickeln, wird hierfür vor allem „Traffic-Wachstum“ benötigt. Nach den bisherigen
Erfahrungen von Michael und Paul ist dies hauptsächlich durch virales Marketing
möglich. Einen wichtigen viralen Effekt bringt bereits die Nutzung von Doodle mit
sich: Erstellt ein Nutzer eine Doodle-Umfrage, um den Doodle-Link anschließend
an zehn seiner Freunde zu verschicken, sind darunter potenziell auch Personen, die
Doodle noch nicht kennen. Mit jeder Doodle-Umfrage steigt daher der Bekanntheits-
grad von Doodle. Grundsätzlich bleibt es jedoch schwierig, die Geschwindigkeit
der viralen Verbreitung zu beeinflussen. Das Wachstum wird in den verschiedenen
Märkten durch weitere Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen PR und Kommu-
nikation, unterstützt.
• Vermarktung der Premiumprodukte erhöhen: Die zweite Strategie besteht darin, den
Verkauf der Premiumprodukte „Premium Doodle Business“ und „Premium Doodle
Enterprise“ in ausgewählten Ländern zu forcieren. Die Durchführung könnte ent-
weder von eigenen Verkäufern übernommen werden, die dafür angestellt werden
müssten (ca. 100.000 CHF pro Mitarbeiter und Jahr), oder von freien Mitarbeitenden,
die auf Erfolgsbasis für Doodle arbeiten.
• Für die Produkte „Premium Doodle Solo“ und „Premium Doodle Business“ können
sich die Kunden selbst registrieren. Auch die Preise sind von vornherein festgelegt.
Das Produkt „Premium Doodle Enterprise“ benötigt dagegen eine aktive Betreuung
des Kunden. Der Kunde muss überzeugt werden, es muss ein individuelles Angebot
erstellt werden und die URL muss eingerichtet werden, Letzteres lässt sich jedoch in
wenigen Minuten erledigen.

77 Denkbar sind auch völlig neue Produkte und Geschäftsmodelle.

• Neue Produkte: Eine weitere Strategie besteht darin, in neue Produktentwicklungen


zu investieren. Michael und Paul könnten sich vorstellen, dass diese neuen Pro-
dukte Doodle eine völlig neue Richtung geben könnten. Aus der derzeitigen Tagline
5.9  Fallstudie: Doodle 175

„Doodle: easy scheduling“ könnte die Tagline „Doodle: wir organisieren Ihre Zu-
kunft“ werden.
• Die Idee: Wer Doodle nutzt, plant für die Zukunft, und wer seinen Kalender mit
Doodle verknüpft, stellt eine ganze Reihe an zukunftsrelevanten Daten ein. Diese
Informationen könnten genutzt werden, um die Zukunft besser und effizienter zu
organisieren. So könnte ein Kalenderassistent genutzt werden, um Reisen besser zu
planen, weil automatisch erkannt wird, wann der Besitzer des Kalenders an welchem
Ort sein muss. Aus der Grundüberlegung, dass über Doodle Zukunftsdaten genutzt
werden können, lassen sich eine ganze Reihe neuer Geschäftsfelder entwickeln.
Zudem eröffnen sich orts- und zielgruppenspezifische Vermarktungsmöglichkeiten.
So könnte man den Kunden in Abhängigkeit ihres Aufenthaltsortes Angebote und
Hinweise zu Restaurants, Hotels oder Shows zukommen lassen.
• Die Zielsetzung dieser Option könnte darin bestehen, Ende 2011 ein neues verkaufs-
fähiges Produkt entwickelt zu haben, das in den Bereich „Zukunft organisieren“ fällt.
Doodle könnte beispielsweise ein gemeinsames Projekt mit der „Förderagentur für
Innovation“ (KTI) der Schweiz initiieren. Eine Konzentration auf diese Strategie
würde es zudem notwendig machen, einen zusätzlichen Ingenieur einzustellen (ca.
150.000 CHF pro Mitarbeiter und Jahr).

77 Mittlerweile können sich User eine Doodle-Identität geben.

• MeetMe: Doodle hat ein neues Anwendungsfeld erfunden: Die Nutzer haben die
Möglichkeit erhalten, einen „One-on-One-Termin“ mit einer anderen Person zu ver-
einbaren. Die Nutzer können sich hierfür eine persönliche Identität in Doodle geben
und ihre Free- und Busy-Zeiten aus dem via Doodle angebundenen Kalender anzei-
gen lassen. Eine Person, die einen Termin mit dem Nutzer wünscht, kann auf dessen
persönlicher Seite einige Vorschläge machen und die Terminanfrage platzieren. Das
neue Produkt soll sowohl den Traffic auf der Seite erhöhen, was wiederum zu höheren
Werbeeinahmen führt, als auch die Kundenbindung durch die persönliche Identität
und die Einbindung des Kalenders verbessern. Zudem eröffnen sich auch hier zielge-
richtete Marketingmöglichkeiten, die die Kalenderinformationen aktiv nutzen (z. B.
Nutzung von Hinweisen auf den Ort des Meetings, um dem Nutzer Konferenzräume
oder Restaurants zu präsentieren). MeetMe wird für Doodle eine wichtige Neuerung
mit sich bringen. Neben den bisherigen Umfragen wird Doodle über ein zweites „so-
ziales Objekt“ verfügen: den User.

5.9.2 Teil B: Exit der Doodle-Gründer und Fortführung als Tamedia-


Tochtergesellschaft

77 2014 erfolgte der Exit der Gründer und die Mehrheitsübernahme durch das
Schweizer Medienunternehmen Tamedia AG.
176 5  Strategie und Geschäftsmodell

Phase 5 Exit und Trade Sale (2014): Im Jahr 2013 brachte Doodle eine Android App
auf den Markt und ist damit über alle handelsüblichen Mobilgeräte perfekt nutzbar. Nach
10 Millionen Nutzern im Jahr 2011 überwandt Doodle im Jahr 2014 bereits die 20 Millionen-
Grenze. Die beiden Gründer, Michael Näf und Paul E. Sevinç, verließen die Geschäftsführung
und übergaben diese an den Online-Spezialisten Michael Brecht. Tamedia übernahm 2014 die
Mehrheit an Doodle und will jetzt in das weitere internationale Wachstum investieren [20].

Fragen zur Fallstudie


Versetzen Sie sich in die Situation von Michael Näf und Paul Sevinç:
Teil A
1. Zeichnen Sie die Nutzenkurve für Doodle sowie für die bisherige Lösung durch
konventionelle Terminplanungstools wie Outlook oder Lotus Notes auf.
2. Für welche der diskutierten Wachstumsstrategien würden Sie sich entscheiden? Was
sind Ihre Gründe?
Teil B
3. Welche weiteren Wachstumsoptionen sehen Sie für Doodle unter dem Dach der Ta-
media AG?
4. Was sind die nächsten Schritte, um die von Ihnen vorgeschlagene Strategie umzu-
setzen?
5. Was sind Ihre Empfehlungen an die Doodle-Gründer, wie sie sich jetzt engagieren
sollen?

Diskussionsfragen
1. Bei welchen Ihnen bekannten etablierten Unternehmen können Sie eine klare Stra-
tegie erkennen? Worin besteht die Strategie?
2. Welche Start-up-Unternehmen kennen Sie, die mit einer eindeutigen Strategie Er-
folg hatten? Welche Erfolgsfaktoren lassen sich erkennen?
3. Kennen Sie Unternehmen, die mit ihrer anfänglichen Strategie gescheitert sind, die
es aber geschafft haben, ihre Strategie schnell genug zu ändern, um dann doch noch
Erfolg zu haben?
4. Welche Geschäftsmodell-Innovationen kennen Sie?
5. Entwickeln Sie eine eigene Geschäftsmodell-Innovation, indem Sie die genannten
Werkzeuge einsetzen.
Literatur 177

Literatur

Verwendete Literatur
1 Sarasvathy, S. (2001). Causation and effectuation: Toward a theoretical shift from economic
inevitability to entrepreneurial contingency, The Academy of Management Review, Jg. 26,
Nr. 2.
2 Faltin, G. (2008). Kopf schlägt Kapital. München: Carl Hanser Verlag.
3 Hill, C., & Jones, G. (2001). Strategic management theory – An integrated approach. Boston:
Houghton Mifflin.
4 Porter, M. (1996). What is Strategy? Harvard Business Review, November-December, 61–78.
5 Meffert, H., Burmann, C., & Kirchgeorg, M. (2008). Marketing – Grundlagen marktorientierter
Unternehmensführung (10. Aufl.). Wiesbaden: Gabler Verlag. vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage
6 Porter, M. (1999). Wettbewerbsstrategie – Methoden zur Analyse von Branchen und Konkur-
renten. Frankfurt/Main/New York: Campus.
7 Faschingbauer, M. (2010). Effectuation – Wie erfolgreiche Unternehmen denken, entscheiden
und handeln. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
8 Malik, F. (2011). Strategie – Navigieren in der Komplexität der neuen Welt. Frankfurt/Main/
New York: Campus Verlag.
9 http://www.squidoo.com/starup_failures, Zugriff am 06.07.2011.
10 Bouwsma, J. (2010). Kursunterlagen Universität St. Gallen, Herbstsemester 2010.
11 Osterwalder, A. (2011). www.businessmodelgeneration.com, gekürzte Version, eigene Über-
setzung, Zugriff am 19.09.2011.
12 Wirtz, B. (2013). W., Business Model Management (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
13 Stähler, Patrick, http://blog.business-model-innovation.com/tools/, Zugriff am 19.09.2011.
14 Anders, S., The business model database, http://tbmdb.blogspot.com/2010/09/evolution-of-
business-model-concept.html, Zugriff am 19.09.2011.
15 Mueller, S., & Volery, T. (2010). Business Model Innovation, Bericht Ernst & Young – Agenda
Mittelstand. Zürich: Ernst & Young.
16 Business Consulting Services (2006). Expanding the innovation horizon: The global CEO study
17 Kim, W. C., & Mauborgne, R. (2004). Der Blaue Ozean als Strategie. München: Carl Hanser
Verlag.
18 Faltin, G. (2015). Wir sind das Kapital. Hamburg: Murmann.
19 www.doodle.com/de/funktionen, Zugriff am 29.04.2015.
20 www.doodle.com/de/presse/meilensteine, Zugriff am 29.04.2015.

Weiterführende Literatur
Chan, K., & Mauborgne, R. (2005). Der Blaue Ozean als Strategie. Wie man neue Märkte schafft,
wo es keine Konkurrenz gibt. München: Hanser Wirtschaft.
Faltin, G. (2012). Kopf schlägt Kapital. München: dtv Verlag.
178 5  Strategie und Geschäftsmodell

Kollmann, T. (2010). E-Venture – Grundlagen elektronischer Geschäftsprozesse in der Net Economy


(4. Aufl.). Wiesbaden: Gabler Verlag.
Porter, M. (2000). Wettbewerbsvorteile – Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt/Main/
New York: Campus Verlag.
Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung
6

6
Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Susan Müller, Thierry Volery
Unter Mitarbeit von Dominik Burger

Zusammenfassung
Die Marktausrichtung und Inszenierung des Unternehmers gegenüber seinen (poten-
ziellen) Kunden stellt für Start-ups, KMU und Großunternehmen eine Herausforderung
dar. Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, dass sich ihr Produkt verkauft, weil
es die technisch bessere Lösung ist. Die Kunden können sich via Internet einen raschen
Überblick über vergleichbare Produkte und Dienstleistungen verschaffen. Deshalb sind
im Marketing Anstrengungen erforderlich, die über die Erstellung eines Werbepros-
pekts hinausgehen.
Mögliche Lösungsansätze für die zunehmende Wettbewerbsdynamik bietet der Ansatz
Entrepreneurial Marketing, welcher zahlreiche Facetten aufweist. Im Kern geht es um
die marktorientierten Aktivitäten des Unternehmers, seine Wahrnehmung von Oppor-
tunitäten und die (kostengünstige) Vermarktung der Produkte und Dienstleistungen mit
Marketinginstrumenten. Dabei ist die Inszenierung des Unternehmers oder der Mitar-
beitenden auf dem Markt und im direkten Kundenkontakt mit dem Marketingkonzept
des Unternehmens abzustimmen, damit keine Widersprüche entstehen und der Kunde
einen verlässlichen Ansprechpartner hat.
Die Grundlage für jede Marktorientierung bildet die Marktkenntnis. Im Marketingkon-
zept erfolgt die Planung klassischer Maßnahmen des Marketing-Mix, die mit neueren
Instrumenten wie dem viralen Marketing ergänzt werden können. Die Instrumente be-
einflussen sich gegenseitig und sind aufeinander abzustimmen, zumal sie kurzfristig
nicht geändert werden können.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_6 179
180 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Lernziele
•• Sie können Entrepreneurial Marketing mit den klassischen Marketinginstrumen-
ten kombinieren.
•• Sie können verschiedene Formen und die Definition von Entrepreneurial Marke-
ting darlegen.
•• Sie können Entrepreneurial Marketing und klassisches Marketing in einen Ge-
samtkontext einbeziehen.
•• Sie können die Gründe ausführen, weshalb die Betrachtung des Marktes eine
wesentliche Rolle für die Erstellung eines Businessplans spielt.
•• Sie kennen die zentralen Elemente einer Marktanalyse und eines Marketingkon-
zeptes.

6.1 Begriffserklärungen

77 Entrepreneurial Marketing:  Hauptsächlich ist damit „Gründungsmarketing“ gemeint,

aber auch Entrepreneurial Marketing im Sinne eines „unternehmerisch-innovativen Mar-


ketingkonzeptes“ als Identifizierung und Erschließung von Opportunitäten durch spontane,
innovative Marketingaktionen, unabhängig von Unternehmensalter und -größe.

77 Inszenierung:  Aus dem Theater stammender Begriff, der „das in-Szene-setzen“ als

Schauspiel versteht. Im Kontext Entrepreneurial Marketing bedeutet Inszenierung die Ver-


anschaulichung durch den Unternehmer oder durch eine andere Persönlichkeit von persön-
lichen oder unternehmensspezifischen materiellen oder immateriellen Werten (Inszenierung
von Erfolgsgeschichten, neuen Produkten oder Dienstleistungen), um beim Kunden eine
Verbundenheit zu diesen Werten und zur Person herzustellen.

77 Marketing:  Denkhaltung, Unternehmensfunktion, welche die Ausrichtung des Unter-


nehmens am Markt beinhaltet (Marktausrichtung).

77 Markt:  Ökonomischer Ort des Tausches beziehungsweise des Zusammentreffens zwi-


schen Angebot und Nachfrage.

77 Marktorientierung:  Orientierung eines Unternehmens an den Kundenbedürfnissen,


Markt- und Umweltbedingungen sowie dem Konkurrenzverhalten zur proaktiven Beein-
flussung von Kundenbedürfnissen und -verhalten.

77 Marketingkonzept:  Grundlegender strategischer Entwurf aller marktbezogenen Akti-


vitäten eines Unternehmens.
6.2 Einführung 181

77 Marktstrategie:  Festlegung der Ziele des Marketings, beispielsweise die Wahl von
Zielmarkt und -kunden.

77 Markt- und Kundenanalyse:  Sammlung, Auswertung und Interpretation von Markt-


und Kundendaten (auch Marktforschung genannt).

77 Guerilla-Marketing:  Die Auswahl von unkonventionellen Aktionen im Marketing, an-

hand welcher mit geringem Ressourceneinsatz eine große mediale Wirkung erzielt werden
soll (beispielsweise virales Marketing).

6.2 Einführung

77 Entrepreneurship + Marketing = Entrepreneurial Marketing.

Ziel dieses Kapitels ist die Vermittlung eines Grundverständnisses für die unternehmerische
und marktorientierte Ausrichtung einer Firma im Sinne des Entrepreneurial Marketings
und der Nutzung von Marketinginstrumenten. Zuerst erfolgt eine zusammenfassende Dar-
stellung des Entrepreneurial Marketings. Danach erfolgt eine Einführung in die Thematik
des Marktes. Ebenfalls werden grundlegende Begriffe des Marketings dargestellt und ge-
zeigt, wie beispielsweise eine Marktanalyse durchgeführt wird.
Klassisches Marketing und Entrepreneurial Marketing werden in zahlreichen Unterneh-
men kombiniert. Dabei geht es bei klassischem Marketing um den marktgerichteten und
damit marktgerechten Einsatz von Instrumenten, um den Absatz der Produkte oder Dienst-
leistungen zu verbessern und den Bekanntheitsgrad (Anbieter und Angebot) zu erhöhen.
Bei Entrepreneurial Marketing geht es um ein vom Unternehmer oder von Führungskräften
geprägtes und inszeniertes Auftreten gegenüber Kunden, Mitarbeitenden oder Medien und
um proaktives Eruieren und Ausnutzen von Marktchancen und Opportunitäten. Es liegt auf
der Hand, dass die beiden Begriffe eng miteinander in Verbindung stehen und dass sich
die dahinterliegenden Aktivitäten überschneiden können. Für die erfolgreiche Vermarktung
des Leistungsangebotes und des Unternehmens braucht es beides. Deshalb werden im
vorliegenden Kapitel sowohl das Entrepreneurial Marketing als auch die Instrumente des
klassischen Marketings vorgestellt. Entrepreneurial Marketing und Marketinginstrumente
können nicht einfach unabhängig von der Unternehmensgröße, dem Selbstverständnis der
Unternehmensleitung, der Branche, den vorhandenen Ressourcen oder dem unternehme-
rischen Kontext eingesetzt werden, sondern bedürfen der situativen Adaption oder der
Justierung im Sinne einer marktorientierten Kompetenz.
Entrepreneurial Marketing stellt die Schnittstelle zwischen zwei Forschungs- und
Themenschwerpunkten dar: Entrepreneurship und Marketing. Ausgangssituation beider
Schwerpunkte ist die unternehmerische Aktivität, die sich aus der Wahrnehmung von un-
befriedigten Marktbedürfnissen und der sich daraus bildenden Inspiration für mögliche,
182 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

innovative Lösungsarten für die Überwindung dieses Ist-Zustandes ergibt. Die Forschungs-
richtung Entrepreneurship befasst sich mit den Bemühungen von Personen, die auf eigenes
Risiko eine Geschäfts- beziehungsweise Produkt-Vision in ein erfolgreiches Unternehmen
umwandeln [1]. In der Entrepreneurship-Forschung werden ebenfalls Fragen zur Art und
Besonderheiten bezüglich Mindset, Denken, Entscheiden und Handeln von Personen in ih-
rer Verfolgung unternehmerischer Gelegenheiten [2]1 mit entsprechender Berücksichtigung
bestehender und neuer Ressourcen, aber auch zum Prozess der Kreation von Neuem im
Sinne des Entdeckens und des Kreierens diskutiert. Es geht dabei im Wesentlichen um die
Person und die Gelegenheit, den sogenannten Individual-Opportunity-Nexus [3]2. In der
Folge werden die Begriffe unternehmerische Gelegenheit, Opportunität, und Geschäftsidee
als Synonym behandelt.

77 Marketing ist marktgerichtete Unternehmensführung.

Marketing (vgl. auch Abschn. 6.3) beschreibt einen marktgerichteten Ansatz der Unter-
nehmensführung, der die Befriedigung von Bedürfnissen des Kunden und deren Erwar-
tungen zum Ziel hat und damit ein Teil des unternehmerischen Gesamtprozesses ist. Die
Forschungsrichtung Marketing beschäftigt sich mit der strategischen Frage, wie sich Un-
ternehmen mit ihren Leistungssystemen (Verknüpfungen von Produkten, Dienstleistungen
und Prozessen) mittels direkter Kommunikation, Akquisitions- und Werbeaktivtäten, Public
Relations, (sozialen) Netzwerk-Aktivitäten oder beispielsweise Messe-, Event-Auftritten
auf den Märkten einbringen, positionieren und etablieren können. Es geht dabei um die
Denkhaltung und Unternehmensfunktion, welche die Ausrichtung des Unternehmens am
Markt beinhaltet. Marketing ist eine organisationale Funktion und ein Set von Prozessen
für das Kreieren, Kommunizieren und Transportieren von Werten hin zum Kunden. Dabei
wird beim Management der Kundenbeziehung auf den Nutzen sowohl für das Unterneh-
men als auch für die mit dem Unternehmen verbundenen Interessengruppen (Stakeholder,
Kunden, Lieferanten usw.) geachtet [9].
Marketingprozesse gründen auf dem genauen Beobachten der relevanten Umwelt eines
Unternehmens. Darauf aufbauend folgen die Suche und Analyse von Opportunitäten und
das Entwerfen von Marketingkonzepten sowie das Implementieren und Kontrollieren von
Marketingaktivitäten. Im Entrepreneurial Marketing ist das Entwerfen von Marketingkon-
zepten stark von der Marktorientierung des Unternehmers getrieben. Deshalb kann Entre-
preneurial Marketing als „… the proactive identification and exploitation of opportunities

1
Eine unternehmerische Opportunität ist die Anbahnung und Manifestation einer Situation, bei der
sich die Erkenntnis des Opportunitätserkennenden etabliert, dass daraus ein Leistungssystem für
den Markt oder in Unternehmensnetzwerken nutzenstiftend im Sinne einer Einführung einer neuen
Zweck-Mittel-Beziehung für den Kunden und den Anbieter angeboten werden kann. Erst durch die
Vorstellung und das Bewusstwerden einer bestehenden oder imaginären Situation durch den Beob-
achter kann eine Opportunität entstehen.
2
Für Input orientierte Definitionen vgl. [4, 5, 6]. Für Output-orientierte Definitionen vgl. [6, 7, 8].
6.3  Markt – Das unbekannte Wesen 183

for attracting and retaining customers through innovative approaches […] to resource
leveraging and value creation“ [10] verstanden werden.
Aufgrund der hohen Bedeutung der relevanten Umwelt wird zunächst auf den Begriff
des Marktes (Abschn. 6.3) eingegangen. Die anschließende Auseinandersetzung mit En-
trepreneurial Marketing (ab Abschn. 6.4) und den Konzepten und Instrumenten des Mar-
ketings (ab Abschn. 6.6) bildet die theoretische Grundlage für die Lösung der Fallstudie
(Abschn. 6.9). Eine grafische Übersicht über die Kapitelstruktur findet sich in Abb. 6.1.

6.3 Markt – Das unbekannte Wesen

77 Ein Unternehmen sollte die Bedürfnisse des Kunden möglichst gut befriedi-
gen.

Nicht selten kommt es in Businessplänen vor, dass der Abschnitt Marketing beziehungs-
weise Marktuntersuchung eines Unternehmens nur aus der Aufzählung der verschiedenen
Marketingmaßnahmen besteht und keine Aussage darüber getroffen wird, wer denn ei-
gentlich die Kunden des Unternehmens sind. Die Frage nach den Zielkunden wird von den
Unternehmern oftmals mit einem Schulterzucken und der Bemerkung quittiert, dass sich
das Produkt oder die Dienstleistung, wenn sie gut genug ist, von selbst verkaufen wird.
Dies geht an der Realität leider vorbei. Die Kunst besteht nicht nur darin, ein denkbar gutes
Produkt oder eine gute Dienstleistung zu kreieren, sondern ebenfalls die Bedürfnisse des
Kunden möglichst genau und zum richtigen Zeitpunkt zu befriedigen.
Im Folgenden werden zentrale Begriffe des Marketings erklärt, damit der Leser ein
Verständnis für die verschiedenen Ansätze (beispielsweise Marktorientierung, Marketing-
konzept, Marktattraktivität), für das Auftreten des Unternehmers, für Instrumente (Mar-
keting-Mix, Marktanalyse, Marktstrategie mit Segmentierung, Positionierung) und für
Marktforschung erhält.

77 Unter Marketing wird die Ausrichtung des Unternehmens am Markt verstan-


den.

Marketing umfasst nicht nur die Ausgestaltung des Produkts, das Festlegen des Preises oder
das Bestimmen des Werbebudgets und kann damit nicht nur mit Werbung gleichgesetzt
werden. Vielmehr werden unter Marketing die Ausrichtung des Unternehmens am Markt
und die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen und Ressourcen verstanden [11]3.
Der Begriff kommt damit einer unternehmerischen Denkhaltung gleich: Marketing wird
neben unternehmerischen Funktionen wie Logistik oder Unternehmensplanung gleichfalls
als wichtig für den unternehmerischen Erfolg angesehen [11]. In einer weitergehenden
Auslegung der Aufgaben des Marketings hat sich das gesamte Unternehmen nach dieser

3
Siehe auch dort zitierte Literatur.
184 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Unternehmensfunktion zu richten, andere Interessen haben sich unterzuordnen. Obwohl


diese Ausrichtung des Marketings etwas extrem scheint, ist es vor allem auch für Unter-
nehmensgründer wichtig, die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Über
Kauf oder Nichtkauf des Kunden bestimmt einzig und allein dessen subjektives Empfinden,
ob seine Bedürfnisse durch dieses Produkt befriedigt werden.

77 Kenntnisse des relevanten Marktes bilden die Grundlage der Marktstrategie.

Um bestimmen zu können, welche Bedürfnisse die Kunden haben, muss das Unter-
nehmen über genaue Kenntnisse des relevanten Marktes verfügen, deren Grundlage die
Marktforschung und -analyse sein sollten. Diese Erkenntnisse sollten sich in einer an die
Gesamtunternehmensstrategie angelehnte Marktstrategie niederschlagen, die wiederum
die Basis für die notwendigen Maßnahmen im Marketing bildet. Die Festlegung und
Umsetzung erfolgen über das sogenannte Marketingkonzept, in dem die wesentlichen
Grundlagen, Entscheidungen und Maßnahmen in aufeinander abgestimmter Form fest-
gehalten sind.
In Abb. 6.1 sind die Begriffe im Sinne eines Wirkungszusammenhanges dargestellt. Als
Ausgangspunkt können sowohl der Markt respektive die Bedürfnisse der Kunden als auch
das Unternehmen mit seiner typischen Kultur, Strategie und Struktur gewählt werden. Der
Markt stellt dabei den Ort dar, an dem sich Angebot und Nachfrage treffen und wo sich
der Unternehmer und seine Mitarbeitenden präsentieren. Jedoch werden Opportunitäten
auf dem Markt auch in der Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Kunden wahr-
genommen und erkannt (vgl. Kap. 2).
Das Unternehmen beeinflusst durch die gelebten Werte (Kultur), die geplante, unterneh-
merische Ausrichtung (Strategie) und die gewachsene Form (Struktur) das Entrepreneurial

Unternehmung Markt Kunden

Kultur, Strategie Marketing-Aktivitäten im Marketing-Aktivitäten zw.


und Struktur Unternehmen Unternehmen und Markt

Marketing-Mix und Einsatz der


• Marktorientierung &
Instrumente
Marketingkonzept
Entrepreneurial
Marketing umfasst: • Marktstrategie: Latente und
Unternehmer und Leistungsangebot Nachfrage bestehende
• Segmentierung und
Opportunität sowie Bedürfnisse
Positionierung
Marketing-Aktivitäten
• Einschätzung der Auftreten des Unternehmers, der Mitarbeitenden
Marktattraktivität,
Markt- und
Kundenanalyse Wahrnehmung von Gelegenheiten / Opportunitäten

Unternehmer und Mitarbeitende


mit Kompetenzen, Haltung und Bereitschaft

Abb. 6.1  Entrepreneurial Marketing im Kontext Unternehmung, Markt und Kunden


6.3  Markt – Das unbekannte Wesen 185

Marketing. Ebenfalls wird dieses durch die Kompetenzen, Motivation (Bereitschaft) und
Grundhaltung (Mindset) des Unternehmers und der Mitarbeitenden geprägt. Entrepreneu-
rial Marketing beinhaltet sowohl das Auftreten des Unternehmers und die Wahrnehmung
von Gelegenheiten als auch die Marketing-Aktivitäten.
Die Marketing-Aktivitäten teilen sich in Abb. 6.1 in zwei Bereiche:

• Marketing-Aktivitäten im Unternehmen versorgen die nachfolgenden Marketing-


Aktivitäten zwischen Unternehmen und Markt mit profunden Informationen und
beinhalten das grundsätzliche Verständnis über den Markt (Marktorientierung) sowie
die Marktstrategie. Unter Marktstrategie werden vier Bereiche vorgestellt: 1. Segmen-
tierung der Käufergruppen und Positionierung im Sinne der Alleinstellungsmerkmale
des Unternehmens gegenüber der Konkurrenz. 2. Einschätzung der Attraktivität,
Renditemöglichkeiten, Größe, Wachstum oder Wettbewerbsintensität des Zielmarktes.
3. Analyse des Marktes, der Konkurrenz, der Kunden, um deren Verhalten zu verste-
hen, und 4. Marktforschung als konkrete, systematische Aktivität im Sinne der soeben
genannten Analysen.
• Marketing-Aktivitäten zwischen Unternehmen und Markt bestehen aus dem klassi-
schen Marketing-Mix und dem Auftreten des Unternehmers und seiner Mitarbeiten-
den auf dem Markt sowie deren Wahrnehmung von Opportunitäten.

Die Pfeile in Abb. 6.1 weisen auf die gegenseitige Wirkungs- und Informationsrichtun-
gen hin. So beeinflusst beispielsweise die Unternehmenskultur die Art und Weise des
Entrepreneurial Marketings. Gleichzeitig kann die Wahrnehmung und Umsetzung ge-
eigneter Opportunitäten in neue Produkte oder Dienstleistungen die Unternehmenskultur
beeinflussen.
Im Folgenden werden zuerst der Markt, das Auftreten des Unternehmers auf dem Markt
und die Wahrnehmung von Opportunitäten beschrieben. Anschließend folgt die Auseinan-
dersetzung mit dem Marketingkonzept, der Marketingstrategie sowie dem Instrumenten-
Mix.

77 Auf dem Markt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander.

Am Anfang einer jeden Marktorientierung steht die genaue Kenntnis des Marktes. Ein
Marketingkonzept mag noch so ausgefeilt sein, wenn es an den Marktgegebenheiten vor-
beigeht, ist es von vornherein zum Scheitern verurteilt. So gibt es in verschiedenen Indust-
rien Rahmenbedingungen, an die sich die Marktteilnehmer mehr oder weniger freiwillig zu
halten haben. Man denke beispielsweise an die strengen Vorschriften im Bereich Werbung
für Pharmazeutika. Jedoch besteht ein Markt nicht nur aus der Beziehung zwischen Produ-
zent und Konsument, sondern es kommen weitere Akteure hinzu, die auf die Kaufprozesse
Einfluss nehmen können, wie der Staat oder die Konkurrenten, die in den Augen der Kon-
sumenten ein gleichwertiges Produkt anbieten. Der Markt im ursprünglichen Sinne eines
Marktplatzes als realer Ort des Austausches von Waren oder Dienstleistungen zwischen
186 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Käufer und Verkäufer hat heute eine eher untergeordnete Rolle, erlebt aber mit dem Internet
und den dort vorhandenen virtuellen Marktplätzen eine Art Wiedergeburt. Hingegen hat der
Begriff des Marktes seinen festen Platz in den Wirtschaftswissenschaften.

77 Der Preis eines Gutes spiegelt dessen relative Knappheit wider.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Ausgangslage des Wirtschaftens das Bestehen von
nahezu unbegrenzten Bedürfnissen, denen aber aufgrund der relativen Güterknappheit
Grenzen gesetzt sind [12]. Dadurch werden die Menschen genötigt, die nur knapp vor-
handenen Mittel (Arbeit, Kapital, Boden und Wissen) so einzusetzen, dass eine möglichst
optimale Bedürfnisbefriedigung erreicht wird. Auf dem Markt treffen sich Angebot und
Nachfrage. Bei einem ideal funktionierenden Markt wird dieser „geräumt“, es bleiben
weder Produkte noch Nachfragen übrig. Über den Preis wird die relative Knappheit des
Gutes, aber auch die Art oder Beschaffenheit des Gutes ausgedrückt (zum Beispiel luxu-
riös, qualitativ-hochstehend oder billig). Normalerweise wird über die Nachfrage der Preis
bestimmt, es spielen bei einigen Gütern aber auch Effekte mit hinein, welche die Nachfrage
beeinflussen, die nicht rein ökonomisch sind. So gibt es in der mikroökonomischen Theorie
den sogenannten Veblen-Effekt [12]. Damit werden Güter bezeichnet, die umso begehrter
werden, je höher der Preis ist. Damit soll ein demonstrativer Konsum gezeigt werden („man
kann es sich leisten“). Obwohl zum Beispiel ein Sekt deutscher Herkunft eine ebenso gute
Qualität aufweisen kann, wird trotzdem teurer französischer Champagner einer Edelmarke
konsumiert. Unterschieden werden Märkte nach ihrem Organisationsgrad (stark oder weni-
ger stark organisiert, zum Beispiel die Börse als Markt mit hohem Organisationsgrad), Grad
der Offenheit (früher die Zutrittsbeschränkungen auf dem Telekommunikationsmarkt) und
dem Vollkommenheitsgrad (vollständige Markttransparenz, die allerdings in der Realität
fast nie erreicht wird) [12]. Die Kenntnis solcher Gesetzmäßigkeiten hilft einem Gründer,
den für ihn relevanten Markt und damit seine Kunden besser zu verstehen.

77 Märkte können nach Absatz- und Beschaffungsmärkten unterschieden werden.

In der Betriebswirtschaftslehre werden Märkte zunächst danach unterschieden, ob es sich


für das Unternehmen um einen Absatz- oder um einen Beschaffungsmarkt handelt. Beim
Absatzmarkt interessiert vor allem, welche Kunden in diesem Markt kaufen und welche
Bedürfnisse sie haben. Ein anderer Aspekt wäre die Zusammensetzung der Branche und
ob dort potenzielle Gefahrenquellen auszumachen sind, zum Beispiel sehr hohe Eintritts-
barrieren, die für ein Gründungsunternehmen nur schwer zu überwinden sind. Beschaf-
fungsmärkte wie Arbeits-, Material- oder Kapitalmarkt spielen im Businessplan in einigen
Kapiteln eine Rolle. So interessiert es etwaige zukünftige Investoren, ob die Gründer be-
reits die geeigneten Arbeitskräfte und vor allem Schlüsselpersonen für das Unternehmen
engagieren konnten.
6.4  Entrepreneurial Marketing – Eine Lebenszyklusbetrachtung 187

77 Das Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten hat sich in den letz-
ten Jahrzehnten geändert.

Was die Entwicklung der Märkte [11] angeht, so war bis weit in die 1970er-Jahre das
Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten eher produktionsorientiert, das heißt,
die Güter waren rarer als die Bedürfnisse der Konsumenten. Diese mussten sich glücklich
schätzen, eines der begehrten Güter ergattern zu können. Dieses Bild entsprach einem
klassischen Verkäufermarkt, die Optimierung des Herstellungsprozesses stand im Vorder-
grund. Mit einer Sättigung des Marktes ging auch eine größere Konkurrenz einher. Die
Verkaufsbemühungen der Hersteller mussten zum Beispiel mithilfe von Werbung verstärkt
werden. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert: Das Verhält-
nis zwischen Gütern und Konsumenten ist in den Industrieländern mittlerweile von einem
Mangel an Konsumenten oder einem Überschuss an Angeboten geprägt. Die Unternehmen
müssen die Nachfrage genau abschätzen und dementsprechend produzieren.

6.4 Entrepreneurial Marketing – Eine Lebenszyklusbetrachtung

Firmen durchlaufen üblicherweise verschiedene Lebenszyklusphasen: Gründung/Entwick-


lung, Wachstum, Reife und Sättigung. Je nach Phase erfordert die Situation unterschied-
liches Entrepreneurial Marketing und einen unterschiedlichen Einsatz der Marketinginst-
rumente. Eng mit der Lebenszyklusorientierung können drei Gruppen von Unternehmen
verglichen werden: erstens Start-ups, zweitens KMU und drittens Großunternehmen res-
pektive etablierte Familienunternehmen (seit mehreren Generationen bestehende Unterneh-
men/Dynastien). Start-ups sind üblicherweise in der Gründungs- und Frühentwicklungs-
phase beheimatet, KMU in der Wachstums- und Reifephase, die oft jedoch bewusst auf
weiteres Wachstum verzichtet haben, und Großunternehmen sowie Familienunternehmen
ebenfalls in der Wachstums- sowie in der Reife- und Sättigungsphase.

77 Marketing und Entrepreneurship: Wie treten junge Firmen auf den Märkten
auf?

Entrepreneurial Marketing kann entsprechend mit Neugründungen in Zusammenhang


gebracht werden: Es geht um spezifische Marketingfragen bei noch jungen, ressourcen-
beschränkten und wachstumsorientierten Firmen [13], die sich mit folgenden Fragen aus-
einandersetzen (Marketing in Entrepreneurship):

• Wie planen wir unseren Markteintritt?


• Wie erreichen wir mit unseren wenigen Ressourcen eine möglichst hohe Wahrneh-
mung beim (potenziellen) Kunden?
• Wie möchten wir uns positionieren?
• Welches Image möchten wir erlangen?
188 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

77 Entrepreneurship und Marketing: Wie inszenieren sich Persönlichkeiten auf


den Märkten?

Doch neben dem Fokus auf Neugründungen beschäftigt sich die Forschung im Bereich
Entrepreneurial Marketing auch mit anderen Themen:

• Unternehmerische, innovative, oft ungeplante spontane Inszenierung durch Persön-


lichkeiten in (etablierten) Unternehmen, die die Verbundenheit der Person mit der
Unternehmung und/oder Produkten und Dienstleistungen demonstrieren und dadurch
Glaubwürdigkeit bei (potenziellen) Kunden kommunizieren (Entrepreneurship in
Marketing) respektive den unternehmerischen Nutzen erhöhen.
• Instrumente, um Kundenbedürfnisse und Marktopportunitäten zu erkennen und zu
evaluieren (Entrepreneurship und Marketing). Dabei sind die Instrumente stark auf
die Marktorientierung des Unternehmers ausgerichtet.

77 Entrepreneurship + Marketing = Kombination von Marketinginstrumenten


und Inszenierung des Unternehmers.

Aufgrund der in Abschn. 6.1 ausgeführten Definition wird deutlich, dass die Akteure des
Entrepreneurial Marketings nicht nur zwingend Gründer von Start-ups sind, sondern dass
damit auch Unternehmer von Klein- und Mittelbetrieben oder von Großunternehmen und
traditionsbewussten Familienunternehmen gemeint sind. Eine Annäherung zur Differen-
zierung des Begriffes Entrepreneurial Marketing kann je nach Firmengröße und -alter
folgendermaßen ausfallen:
Besonderheiten bei Start-ups im Zusammenhang mit Entrepreneurial Marketing: Neu-
gründungen sehen sich etlichen Herausforderungen am Markt gegenüber, neben fehlenden
Ressourcen und Unsicherheiten im Bereich der Unternehmensgestaltung besteht das Pro-
blem der fehlenden Glaubwürdigkeit am Markt. Vor allem bei Gründungen aus akademi-
schen Institutionen kommt oftmals eine mangelhafte Marktkenntnis durch eine geringe
Berufserfahrung außerhalb des universitären Feldes hinzu. Marktanalyse und Marketing
werden daher als zwei der größten Probleme, aber auch als Erfolgskriterien beim Unterneh-
mensstart angesehen. Beide Elemente können entscheidend helfen, den Markt und damit
die relevanten Kunden besser zu verstehen und deren Bedürfnisse mit einem geeigneten
Produkt oder einer geeigneten Dienstleistung zu befriedigen. Dieses Argument wird nicht
zuletzt durch Risikokapitalgeber eingebracht. Bei ihnen wird die Marktanalyse als eines der
Instrumente angesehen, mit denen sich die Versagensquote von Unternehmensgründungen
verringern lässt [14]. Nach deren Meinung wird dieser Themenbereich in den Businessplä-
nen entweder zu ungenau, zu wenig oder schlichtweg falsch dargestellt. Deshalb gilt es für
Gründer oder Gründerteams, mit ihren beschränkt vorhandenen Ressourcen eine möglichst
genaue Marktanalyse durchzuführen, einen entsprechenden Marketing-Mix zu lancieren
und diesen mit einer innovativen Inszenierung der eigenen Persönlichkeiten zu ergän-
zen. Beispielsweise trat während der Vorlesungen im Masterbereich einer Universität ein
6.4  Entrepreneurial Marketing – Eine Lebenszyklusbetrachtung 189

Gründungsteam mit drei Doktoranden auf, welches auf gewiefte Weise den Studierenden
bewusst machte, welche Gefahren bei Lausch- und Viren-Angriffen auf Mobiltelefone lau-
ern und dass ihre Dienste, die auf die Abwehr dieser Gefahren spezifiziert sind, für wenig
Geld in Anspruch genommen werden können. Die drei Doktoranden hatten kein Geld für
teure Marketingkampagnen, wohl aber eine gut inszenierte Story und den direkten Zugang
zu potenziellen Kunden dank ihrer Verbundenheit zur Zielgruppe.
Besonderheiten bei etablierten KMU im Zusammenhang mit Entrepreneurial Marketing:
Wie bei Start-ups wäre auch bei KMU eine Pauschalisierung des Vorgehens und der Dar-
legung der Besonderheiten fehl am Platz. Trotzdem gibt es einige typische Merkmale von
KMU, die Anregungen zur Gestaltung eines KMU-typischen Entrepreneurial Marketings
zulassen.
Dank des ständigen Oszillierens zwischen ihren operativen, strategischen und normati-
ven Tätigkeiten und Überlegungen sind Unternehmer und Führungskräfte von KMU nahe
am Marktgeschehen sowie mit ihren Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden verbunden.
Deshalb können sich diese Akteure mittels Entrepreneurial Marketing nebst den bestehen-
den Marketingaktivitäten mit ihren Persönlichkeiten, Geschichten und etablierten Leis-
tungssystemen direkt an die Kunden wenden. Dadurch erhöhen sich die Glaubwürdigkeit
des Unternehmens und seiner Produkte und Dienstleistungen. Unabdingbar für etablierte
KMU ist das Bewusstsein der KMU-Manager und Unternehmer, dass ihre geplanten oder
spontanen Marktauftritte mit dem Marketing-Mix und dem Wertesystem des Unternehmens
einhergehen müssen. So kann beispielsweise der Besitzer einer erfolgreichen Restaurant-
Kette, die ausschließlich vegetarische Nahrung anbietet, nicht in der Öffentlichkeit mit
einem Salami-Brötchen in der Hand ein Fernseh-Interview geben. Auf den ersten Blick
erscheint er nicht glaubwürdig und die Vermutung liegt nahe, dass einige Kunden daraufhin
ihre Loyalität aufgeben und nicht mehr ins Restaurant gehen. Es könnte sich jedoch wäh-
rend des Interviews ganz anders abspielen, wenn sich der Unternehmer richtig inszeniert
und mitteilt, dass auch er manchmal gerne Fleisch isst (zum Beispiel einmal im Monat),
aber dass er während der restlichen Tage in seinem Restaurant nur das Beste an gesunder,
vegetarischer Nahrung konsumiert und seinen Gästen offeriert. Auf die verbale Schlagfer-
tigkeit, Spontaneität, Authentizität und unternehmerische Motivation kommt es an.
Die Kunden von KMU haben grundsätzlich vier Kanäle, mittels derer sie über Produkte,
Dienstleistungen und über das Unternehmen im Allgemeinen informiert werden: 1. klas-
sische Marketingaktivitäten (Werbung, PR, Internet, Social Media oder Publireportage),
2. Direktansprache durch Mitarbeitende (Kundendienst, Key-Account-Manager, Logistik
usw.), 3. Unternehmer und Führungskräfte (Entrepreneurial Marketing) und 4. durch Ab-
satzmittler und bestehende Kunden (Mund-zu-Mund-Werbung, Referenzen usw.).
Besonderheiten bei Großunternehmen und traditionellen Familienunternehmen im Zu-
sammenhang mit Entrepreneurial Marketing: Börsennotierte Großunternehmen oder tra-
ditionsbewusste große Familienunternehmen nutzen Entrepreneurial Marketing wiederum
anders als Start-ups oder KMU. Die professionellen Auftritte in TV, Presse oder Radio von
Mike Duke, Jimmy Walter, Gerhard Gromme, Warren Buffett, Wolfgang Grupp, Richard
Brandson oder von Vertretern von Familiendynastien, zum Beispiel von Claus Hipp oder
190 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Thomas Schmidheiny, haben etwas gemeinsam: Die Marketingkampagnen sind konzern-


sowie weltweit eingespielt und die mediale Darstellung der mächtigen Persönlichkeiten
ist bestens darauf abgestimmt. Das Ziel dabei ist, der Kampagne eine Identität, ein Gesicht
oder eine Stimme zu geben, damit sich die Konsumenten damit (noch besser) identifizieren
können. Wenn Claus Hipp als geschäftsführender Gesellschafter sagt, dass er sich für die
Qualität seiner Produkte mit seinem Namen verbürgt, ist dies nicht nur eine kraftvolle
und nachhaltige Botschaft, sondern auch gelebtes Entrepreneurial Marketing. Auch hier
gelten die oben genannten grundsätzlichen vier Informationskanäle, wobei der Professio-
nalisierungsgrad im ersten Kanal bei Großunternehmen meistens höher ist und die direkte
Interaktion des Unternehmers mit seinen Kunden meistens geringer ist als bei KMU.
Tabelle 6.1 bietet einen Überblick über die gruppenspezifischen Ausprägungen hinsicht-
lich verschiedener Bereiche des Entrepreneurial Marketings und des klassischen Marke-
tings. Dabei muss festgehalten werden, dass es sich bei den Aussagen in Tab. 6.1 um relativ
pointierte Positionierungen handelt, die leicht widerlegt werden können. Den Autoren geht
es dabei um die Sensibilisierung des Lesers, sich mit den Bereichen und Unternehmensar-
ten auseinanderzusetzen und so zu einer eigenen Meinung zu gelangen. Die Aussagen in
Tab. 6.1 sollen deshalb als Thesen und mögliche Ausprägungen der Bereiche verstanden
werden.
Die Themen aus Tab. 6.1 werden in der Folge umschrieben. Dabei gilt es, ein Verständ-
nis für die Instrumente des Entrepreneurial Marketings zu schaffen und die klassischen
Themen des Marketings zu umschreiben.

6.5 Auftreten des Unternehmers

77 Der Unternehmer muss sich überlegen, welche verbalen und non-verbalen


Elemente er gegenüber dem jeweiligen Publikum einsetzen möchte.

Beim Auftritt des Unternehmers gegenüber Kunden oder der Öffentlichkeit (Medien wie
Fernsehen, Internet, Radio oder Presse) spielen Emotionen nebst der Kernbotschaft über
die Leistungsdeterminanten (Qualität, Funktionalität, Preis, Verfügbarkeit, Kundenori-
entierung) des Produktes oder der Dienstleistung eine bedeutende Rolle. Deshalb muss
sich der Unternehmer bewusst sein, wie er in der jeweiligen Interaktion mit seinem Pub-
likum seine verbalen und non-verbalen Elemente einsetzen will. Die Kundeninteraktion
verdeutlicht, ob der Unternehmer auf den Kunden zugehen und ihm zuhören kann und
seine Bedürfnisse erkennt. Empathische Fähigkeiten können dem Unternehmer und den
Mitarbeitenden ermöglichen, die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen. Empathie, das Ein-
fühlungsvermögen, stellt die Fähigkeit dar, den Standpunkt einer anderen Person mittels
Perspektivenübernahme zu verstehen (kognitive Empathie) [16] und auf die Gefühle dieser
Person zu reagieren (emotionale Empathie) [17], beispielswiese mit Hilfsbereitschaft oder
Mitgefühl. Die Marketing-Forschung zeigt unter anderem, dass je empathischer Verkäufer
sind, desto größer ist ihr Wissen über die Bedürfnisse der Kunden [18] und desto größer ist
6.5  Auftreten des Unternehmers 191

Tab. 6.1  Unternehmensarten und Herausforderungen im Entrepreneurial Marketing sowie Marketing

Arten Start-ups KMU Großunternehmen und


Bereiche Dynastien (Familien-
unternehmen)

Auftreten des Spontanes, persön- Teils spontane, teils Meist inszenierte


Unterneh- liches Auftreten des geplante öffentliche Auftritte des Me-
mers, Inhalt Gründers, des Grün- Auftritte des Unter- diensprechers, eher
der Botschaft derteams; Erzählung nehmens; spannende selten des CEO oder
und Ein- aktueller Geschichten Geschichten aus der Verwaltungsratspräsi-
druck des und Herausforderun- Vergangenheit und denten oder Inhaber(-
Betrachters gen; Auftritt v. a. in Gegenwart. Familie); meistens
Communities, Freun- Betrachter sieht v. a. Erfolgsgeschichten aus
deskreisen; Nutzung den Macher, der sich der Vergangenheit und
der Social Networks engagiert („go the extra aktuelle Geschehnisse,
als Bekanntheitsplatt- mile“), Glaubwür- Vermeidung von Skan-
form; virales Marke- digkeit, Erfolgsstory, dalgeschichten.
ting mittels knapper Unternehmer, Agilität, Betrachter sieht v. a.
Ressourcen. Vergangenheit und Zu- Marktmacht und
Betrachter sieht v. a. versicht des Unterneh- Größe (Trägheit,
Engagement, Risiko, mens für die Zukunft Inertia), History,
„alles auf eine Karte dank Innovationsfä- Glaubwürdigkeit und
setzen“, Herzblut higkeit und Dienst- Zukunftsfähigkeit,
und Begeisterung, leistungskompetenz; professionelles Marke-
auch Naivität des vermehrt auch Social ting sowie Forschung
Gründers, des Grün- Entrepreneurship und Entwicklung und
derteams, vermehrt Dienst an der Gesell-
soziales „grünes“ schaft
Engagement
Wahrneh- Grundidee wird Mitarbeiter mit hoher Professionelle Eruie-
mung von konsequent verfolgt Kundeninteraktion rung von Opportunitä-
Oppor- und dank steter Kom- geben ihre Wahrneh- ten mittels Forschung
tunitäten munikation und Ab- mungen direkt an und etablierten
(vgl. Kap. 2) tastung den Bedürf- Unternehmer weiter. Feedback-Prozessen
nissen der Kunden Unternehmer nimmt von Kundendienstmit-
rasch angepasst. Dank dank engem Kunden- arbeitenden; etablierte
engem Kontakt zu kontakt Opportunitäten Bedürfnisanalyse und
Freunden, Kollegen wahr. Beschwerden Beschwerdemanage-
und In-Szenen wird sind Chef-Sache ment als Quellen neuer
direktes Feedback Gelegenheiten
adaptiert (Friendly
Communities)

Quelle: eigene Darstellung.


192 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Tab. 6.1  (Fortsetzung)

Arten Start-ups KMU Großunternehmen und


Bereiche Dynastien (Familien-
unternehmen)

Kunden­ Hohe Kundenori- Hohe Kundenorientie- Kundenorientierung


orientierung entierung aufgrund rung des Unternehmers dank technischer
und Motiv engen Kontakts; und seiner Mitarbeiten- Möglichkeiten hoch;
des Kunden Kunde in Gründungs- den als zentrale Diffe- Individualisierung und
phase auch Test-User renzierungsmöglichkeit direkte Kundenanspra-
und Mitentwickler; gegenüber Konkur- che als Herausforde-
Risiko (z. B. falsche renz; Zeitressource rung.
Produktstrategie, des Unternehmers als Kunde will direkten
lediglich ein Kunde) Herausforderung. Nutzen erfahren und
und Zeitressource Kunde will direkten sich in einer großen
der Unternehmer als Nutzen und Exklusi- Community darstellen.
Herausforderung. vität erfahren (mein Inszenierung durch be-
Kunde demonstriert Coiffeur, mein Metz- kannte Marken i. S. d.
Exklusivität und germeister, mein Kleid Zugehörigkeit (ich
Neuheit, wenn er Pro- von Akris), jedoch auch fahre ebenfalls einen
dukte, Dienstleistun- langfristige Partner- BMW, trinke Coca-
gen kauft/konsumiert schaften dank Vertrau- Cola, trage Armani,
und Marke vertritt. ensverhältnis (B2B). Hugo Boss, rieche
nach Chanel usw.).
Beobachtung Durch das Gründer- Durch Unternehmer Durch intensive
von Markt- team permanenter und Mitarbeitende; Marktforschung,
entwicklun- Prozess; wenig wenig Marktforschung Beobachter (Scouts,
gen (Markt- Marktforschung; aufgrund knapper Trend-Analytiker),
forschung) Berücksichtigung der finanzieller und zeitli- Kundensysteme (z. B.
knappen finanziellen cher Ressourcen. Kartensysteme).
Ressourcen.
Marktana- Wird tendenziell eher Teils professionelle Professionell vorhan-
lyse (Markt- vernachlässigt, hinge- CRM-Formen, teils ad den.
forschung) gen im Falle weniger hoc durch Unternehmer
Kunden ausgeprägt und Mitarbeitende.
vorhanden.
Evaluation Durch das Grün- Durch Unternehmer Durch Marketing­
und Umset- derteam mit hoher und Kadermitarbei- abteilung in Zu-
zung von Op- Geschwindigkeit in tende, manchmal sammenarbeit mit
portunitäten, der Anpassung dank externe Institutionen Forschungs- und Ent-
Marktgele- flacher Hierarchie. (Berater, Studierende wicklungsabteilungen;
genheiten usw.); z. T. hohe Ge- lange Entscheidungs-
schwindigkeit in der wege aufgrund der
Umsetzung, manchmal Unternehmensgröße
eher langwierig, wenn und Prozessvorgaben.
sich das Management
nicht entscheiden kann.

Quelle: eigene Darstellung.


6.5  Auftreten des Unternehmers 193

Tab. 6.1  (Fortsetzung)

Arten Start-ups KMU Großunternehmen und


Bereiche Dynastien (Familien-
unternehmen)

Marktstrate- Tendenziell eher we- Teils professionelle Lö- Professionell vorhan-


gie, Segmen- niger vorhanden. sungen vorhanden, teils den.
tierung, Posi- inkrementelle Ansätze
tionierung sichtbar.
Einsatz Mar- Aktives virales Klassische Marketing- Klassische Marketing-
ketinginstru- Marketing verbreitet, instrumente, aktives instrumente, aktives
mente Blogging, Innovati- und passives virales und passives virales
onen in Marketing- Marketing, passives Marketing, aktives
Aktivitäten dank Blogging Blogging, Nutzung
fehlender Ressourcen von Social Media
mit dem Ziel, zum
Alltagsgespräch zu
werden
Market- Nur bedingt gegeben, Relevant, wobei Professioneller Marke-
ing-Mix, da Such- und Abtas- Schwerpunkt auf tingansatz
Marketing­ tungsprozesse in allen Vertrieb, Werbung,
ansatz mit 4P stattfinden Kundenempfehlungen
4P (product, und Mund-zu-Mund-
price, promo- Werbung (Buzz-Marke-
tion, place) ting) liegt [15]
Marketing- Intuitives, durch die Ansatzweise vorhan- Transparent und pro-
konzept Gründer gelebtes den, oft mit Lücken fessionell vorhanden
Marketingkonzept

Quelle: eigene Darstellung.

ihr Verkaufserfolg [19]. Aktuelle Ergebnisse der Entrepreneurship-Forschung legen nahe,


dass die emotionale Empathie von CEOs von KMU einen positiven Effekt auf den Un-
ternehmenserfolg hat [20]. Unternehmer-Empathie beziehungsweise Kundenorientierung
lohnt sich also. Kundenorientierung kann als strategische Differenzierung gegenüber den
Mitbewerbern etabliert werden, wenn es dem Unternehmer gelingt, langfristige Kunden-
beziehungen aufzubauen, die auf Vertrauen, Respekt und gemeinsamen Erfolgen basieren.
Dabei spielt sowohl im direkten Kundenkontakt als auch im Auftritt des Unternehmers in
der Öffentlichkeit die Art der Kommunikation und Wertevermittlung eine entscheidende
Rolle. „Man kann nicht einfach kommunizieren“ (in Anlehnung an Watzlawick [21] – Man
kann nicht nicht kommunizieren). Diese auf den ersten Blick eher simple Aussage verweist
auf die hohe Bedeutung solcher Interaktionen, die mittels Üben, Feedback von engen Ver-
trauten und Erfahrungen im Umgang mit Medien und unterschiedlichen Zuhörern erlernt
werden müssen. Auch Empathie kann trainiert werden, zum Beispiel durch Rollenspiele
und Mystery Shopping [22, 23].
194 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Die Inszenierung kann dabei in verbale und non-verbale Elemente eingeteilt werden.
Non-verbale Kommunikation dient dem Ausdruck von Emotionen und Einstellungen, Dar-
stellung von Persönlichkeitseigenschaften (ich bin ein stiller Schaffer, ich bin aggressiv
usw.) und zur Modulation einer verbalen Nachricht (ergänzend, verdeutlichend, einschrän-
kend oder widersprechend). Stimme, Sprachperformance, Melodie, Schlagfertigkeit, Argu-
mentationsstil sind Bestandteile der verbalen Wahrnehmung. Dabei gilt der Grundsatz der
richtigen Adressierung für den Sprechenden, die mit einer nicht abschließenden Auswahl
von Fragen umschrieben werden kann:

• Was ist meine Kernbotschaft (zum Beispiel wir sind begeistert, haben Freude am
Unternehmertum, wir glauben an unsere Innovation)?
• Wer ist der Adressat meiner Botschaft, in welchem Umfeld ist er tätig (zum Beispiel
akademisches, familiäres, industrielles, intellektuelles, religiöses Umfeld)?
• Welchen Ausbildungsgrad hat der Zuhörer, Gesprächspartner, wie viele Informationen
sind im Kontext passend (zum Beispiel Kurzauftritt im Radio, Interview auf You-
Tube, Expertengespräch bei einer Großveranstaltung)?
• Welche Prioritäten setzt das Publikum (Info- oder Entertainment, Expertenwissen,
präzise oder prosaische Aussagen, Unterstützungsrede oder Kontrapunkt, Reflexions-
oder Darstellungsplattform)?
• Welcher Argumentationsstil ist gefragt (fordernd, erklärend, konträr usw.)?

77 Der Sprechende muss sich darüber im Klaren sein, welche Rolle er einnimmt.

Dabei muss sich der Sprechende darüber im Klaren sein, welche Rolle er einnimmt. Jeder
hat neben seinen verschiedenen Rollen (Familienvater, Managerin usw.) eine Identität,
die seine Persönlichkeit repräsentiert. Es gilt dabei, dass dem Adressaten seine einge-
nommene Rolle in Verbindung mit der eigenen Identität erklärt wird. Nur dann ist es für
den Adressaten nachvollziehbar, warum die Rolle in der jeweiligen Form übernommen
wird. Nicht zuletzt gilt die Gebärdensprache unter Gehörlosen oder die Lormen-Sprache
von Taubblinden mit anderen Menschen als verbale Kommunikation, da es sich um eine
Kodierung der jeweiligen verbalen Systeme handelt.
Bei den non-verbalen Elementen ist die Spanne der Optionen ebenfalls umfassend und
gibt Antwort auf folgende, nicht abschließende Fragen:

• Wie interpretiert der Empfänger meine Körperhaltung und -bewegungen (angespannt,


souverän, zitternd, entspannt, leichtfüßig, nervös, müde, statisch, zappelig usw.)?
• Wie setze ich meinen Augenkontakt ein (ausweichend, stechend, analysierend, perma-
nent usw.)?
• Wie sind mein Händedruck und mein Gesichtsausdruck, meine Mimik (wie errötet, ver-
steinert, erzürnt, offen, lachend, traurig, schmerzverzerrt, nachdenklich, Stirn runzelnd,
Lippen-, Augenbewegungen) sowie Gestik (Arm-, Hand-, Kopfbewegungen, aber auch
Rumpf- und Beinbewegungen in engem Zusammenspiel mit dem Gesagten)?
6.6  Marktorientierung und Marketingkonzept 195

• Wie bin ich gekleidet?


• Wie sieht meine unmittelbare Umgebung aus (Büroeinrichtung, Auto, Architektur der
Fabrik, des Eigenheims)?
• Welche Besonderheiten wie Schmuck, Accessoires, Piercings, Tätowierungen, Nar-
ben, Frisur trage ich?
• Wie ist mein Tonfall (fordernd, schmeichelnd, aggressiv)?
• Berühre ich bewusst mein Gegenüber?
• Wie ist mein Körpergeruch, welche Distanz nehme ich zu meinem Gegenüber ein?

Aber auch die Abfolge des Einsatzes verbaler und non-verbaler Elemente spielt in einem
Gespräch eine bedeutende Rolle (zuerst fordernd, dann plötzlich milde, immer aggressiver
werdend usw.).

6.6 Marktorientierung und Marketingkonzept

77 Marktorientierung bildet die Grundlage für die Ausgestaltung des Marketing-


konzepts.

Die Marktorientierung einer Unternehmung bildet die Grundlage für die Ausgestaltung
ihres Marketingkonzepts und kann in drei Verhaltenskomponenten unterteilt werden:
1. Kundenorientierung, 2. Wettbewerbsorientierung, 3. interfunktionelle beziehungsweise
abteilungsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens [24]. Neben den
Verhaltenskomponenten sind jedoch die Handlungen, die aus einer Marktorientierung resul-
tieren, nicht außer Acht zu lassen: „Market orientation is the organizationwide generation
of market intelligence pertaining to current and future customer needs, dissemination of the
intelligence across departments, and organizationwide responsiveness to it“ [25]. Die ent-
scheidenden Prozesse, welche eine Marktorientierung beeinflussen, sind dabei das Verstehen
der heutigen und zukünftigen Bedürfnisse des Kunden, beispielsweise mittels kognitiver
Empathie, die Verteilung und Nutzung dieses Wissens in den unterschiedlichen Abteilungen
eines Unternehmens und die Fähigkeit dieser Abteilungen, Maßnahmen zu ergreifen.
Die Handlungen der Marktorientierung [25] und der diesbezüglichen Verhaltenskom-
ponente Kundenorientierung [26] sind vergleichbar, wobei es wesentliche Unterschiede
hinsichtlich der Informationsgenerierung und der damit einhergehenden Orientierung eines
Unternehmens gibt. Im Rahmen der Marktorientierung werden die Informationen nicht
hauptsächlich direkt vom Kunden gewonnen [27], sondern vielmehr aus einer vielfältigen
Perspektive, welche das Wettbewerbs- und Marktumfeld berücksichtigt [25]. Die Informa-
tionsgewinnung bei der Marktorientierung entspricht daher weitestgehend einer Vogelper-
spektive, durch welche ein Unternehmen einen besseren Gesamtüberblick erhält. Jedoch
erfolgt dies unter der Einschränkung, dass das Wissen über den einzelnen Kunden nicht
so tiefgehend ist wie bei einer hohen Kundenorientierung, bei welcher die Informationen
weitestgehend aus der Kundeninteraktion gewonnen werden.
196 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

77 Das Marketingkonzept ist ein Werkzeug zur Koordination von Zielen und
Mitteln.

Das Marketingkonzept stellt ein System beziehungsweise Werkzeug dar, mit dem die
Ziele im Bereich des Marketings festgehalten werden und der Mitteleinsatz koordiniert
wird. Dieses Konzept ist ein Mittel zum Zweck und sollte nicht das Ziel selbst sein, nur
weil es Bestandteil eines Businessplans ist. Das folgende Schema zeigt eine idealty-
pische Vorgehensweise für die Erstellung eines Marketingkonzeptes [28]. Es ist nicht
zweckdienlich, sich in jedem Fall daran zu halten, sondern es sollte für die individuellen
Anforderungen ähnlich wie beim gesamten Businessplan angepasst werden. Zwar werden
nicht alle Punkte unbedingt in dieser Reihenfolge und am gleichen Ort im Businessplan
erscheinen, es sollten jedoch alle Punkte bearbeitet werden, um ein in sich stimmiges
Konzept zu erhalten. Ein Marketingkonzept beinhaltet in einer Idealversion die folgenden
Punkte [29]:

• Vorgaben aus der Unternehmensstrategie, -kultur und -struktur sowie Anpassung an


die vorhandenen fachlichen Kompetenzen;
• Marketingstrategie mit Segmentierung und Positionierung, Analysen über Markt und
Kunden, Marketingziele sowie Marktforschung;
• Marketinginstrumente (Marketing-Mix);
• Marketingtaktik;
• Implementierung/Kontrolle.

Aus der allgemeinen Unternehmensstrategie stammen die Vorgaben für das Marketing, die
mit Informationen aus der Unternehmens- und Marktanalyse ergänzt werden. Als Resultat
sollte eine Liste mit Marketingzielen erstellt werden, die grundlegende Fragen wie Segmen-
tierung oder Positionierung beantwortet. Ausgehend von diesen Antworten können die ein-
zelnen Maßnahmen des Marketing-Mix mit der Gesamtstrategie stimmig geplant werden.

77 Die Marketingtaktik beschreibt den kurzfristigen Einsatz der Mittel.

Die Marketingtaktik beschreibt den kurzfristigen Einsatz dieser Mittel, stellt also eine Art
Projektplanung dar. Um den Kreislauf zu schließen und notwendige Anpassungen vorneh-
men zu können, steht nach der Implementierung die Kontrolle der getroffenen Maßnahmen.
Der Zeithorizont erstreckt sich bei der strategischen Planung möglicherweise über mehrere
Jahre, beim Marketing-Mix eher über eine kürzere Periode, die meistens ein Kalenderjahr
umfasst. Als Gründer darf dabei nicht vergessen werden, dass einige Maßnahmen einiges an
Zeit brauchen, bis sie wirksam werden, zum Beispiel bis sich eine Botschaft in den Köpfen
der Kunden festgesetzt hat. Auf die Marketingtaktik und -kontrolle wird im Folgenden nicht
mehr weiter eingegangen.
6.7 Marktstrategie 197

6.7 Marktstrategie

77 In der Marktstrategie werden die Ziele des Marketings festgelegt.

Die Entwicklung vom Verkäufermarkt hin zur Marktorientierung in der jüngeren Vergan-
genheit hat einige Herausforderungen für das Marketing mit sich gebracht [11]. Durch
Sättigungserscheinungen und Substitutionskonkurrenz wurden die Positionen der Anbieter
weiter geschwächt [28]. Sich nur noch rein am Absatzmarkt zu orientieren reicht nicht
mehr aus, sondern es müssen die relevanten Umfeldentwicklungen einbezogen werden,
zum Beispiel Regulierungen und Deregulierungen. Für die meisten Gründer und etablierten
Unternehmen stellt sich die Frage, wie unter härteren Wettbewerbsbedingungen sein Pro-
dukt, seine Dienstleistung oder die Kombination von beiden (Leistungssysteme) verkauft
werden soll. Es braucht einiges an Anstrengungen, aber auch Planung, um die Angebote
erfolgreich an die Kunden zu bringen. Damit dies zielgerichtet, das heißt die allgemeinen
Unternehmensziele verfolgend, geschieht, müssen im Bereich des Marketings Entschei-
dungen getroffen und in formaler Weise in einer Marktstrategie niedergelegt werden. Erst
wenn Ziele und daraus abgeleitete Strategien fixiert sind, können Maßnahmen ohne Leer-
und Irrläufe durchgeführt werden.
Eine der ersten Herausforderungen nach dem Erkennen von Opportunitäten, dem Fin-
den einer Geschäftsidee, der Klärung über den Auftritt des Unternehmers im Sinne des
Entrepreneurial Marketings und der Analyse des Marktes besteht darin, ausgehend von
den Unternehmenszielen geeignete Marktstrategien für die Umsetzung am Markt zu fin-
den und sich möglichst gut am Markt und vor allem beim Kunden zu positionieren. Dem
Unternehmer stehen hierbei einige grundsätzliche strategische Möglichkeiten offen, wobei
es hauptsächlich um die grundlegende Ausrichtung der Unternehmensstrategie und um den
Zeitpunkt des Markteintritts geht. Darauf aufbauend kann im Rahmen der Segmentierung
und Positionierung die Stellung beim Kunden festgelegt werden.

6.7.1 Segmentierung

In jedem Lehrbuch über Marketing wird die Methode der Marktsegmentierung zur
Sprache gebracht. Marktsegmentierung kann als die Aufteilung eines heterogenen Ge-
samtmarktes in relativ homogene Käufergruppen mit dem Ziel der differenzierten An-
sprache dieser Gruppen bezeichnet werden [28]. Im Vordergrund steht dabei sicherlich
die Zufriedenstellung der individuellen Kundenwünsche durch spezifische Produkte.
Gleichzeitig wird aber ein gezielter und damit effizienterer Werbeeinsatz möglich und
der Wettbewerbsdruck vermindert, da die Zahl der Konkurrenten überschaubarer wird.
Viele Autoren bezeichnen die Marksegmentierung deshalb als eines der Kernkonzepte
im Marketing [28].
198 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

77 Bei einer Segmentierungsstrategie werden besonders lukrative Kundenseg-


mente bedient.

Das Ziel einer Segmentierungsstrategie bei Gründungsunternehmen ist es im Regelfall, jenes


Kundensegment zu identifizieren, welches für den Unternehmensstart am lukrativsten ist. Der
Vorteil einer solchen Single-Segment-Strategie liegt vor allem in einer Bündelung der Kräfte
und einem in der Regel geringeren finanziellen Aufwand [30], was den beschränkten Res-
sourcen eines Gründungsunternehmens sehr entgegenkommt. Nachteilig wirkt sich hingegen
die Abhängigkeit von der Entwicklung dieses einen Segments aus. Die relative Stabilität der
Marktsegmente wird heutzutage aber oftmals durch wechselnde Lebensstile und durch ein
sich rasch änderndes Rollenverhalten infrage gestellt [31]. Der Begriff des „hybriden Kon-
sumenten“ drängt sich hier auf. Ein Konsument muss so nicht mehr zwingend die ganze Zeit
einem einzelnen Segment zugehörig sein, sondern wird je nach (Lebens-)Umstand zwischen
den Segmenten wechseln. Die Segmentdefinition muss sich zunehmend an Lebensstilkriterien
orientieren und darf dabei nicht nur auf, zum Beispiel, soziodemografischen Kriterien wie
dem Alter festgefahren sein, sondern muss sich aus mehreren Kategorien zusammensetzen.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen [28], um eine Segmentierung und eine darauf auf-
bauende Positionierung vornehmen zu können, ist die sogenannte Kaufverhaltensrelevanz.
In einem segmentierten Markt muss der Kunde den Unterschied zwischen den einzelnen
Produkten wahrnehmen können. Gleichzeitig muss für ihn der Unterschied relevant sein. Es
muss durch das Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Überzeugungsarbeit geleistet
werden, damit ein einzigartiger Vorteil des eigenen Produkts für den Kunden sichtbar und
eine gegenüber den Konkurrenten einzigartige Positionierung erreicht wird. Für Gründungs-
unternehmen, die noch nicht über eine Reputation am Markt verfügen, bedeutet dies eine
große Herausforderung vor allem in der direkten Kommunikation mit dem Kunden, da
dieser von der Vorteilhaftigkeit der eigenen Leistung erst überzeugt werden muss.

77 Eine Segmentierung ist nur sinnvoll, wenn das Kundensegment ausreichend


groß und stabil ist.

Gleichzeitig muss aber für die Segmentierung eine Gruppe von Kunden mit Ähnlichkeiten
der Bedürfnisse existieren, die sich für eine Bearbeitung lohnt, das heißt, das Segment muss
groß genug und über eine längere Zeit hinweg in ausreichender Größe stabil sein. Damit
verbunden ist das Problem der Identifizierbarkeit und Ansprechbarkeit der Kunden, was
insbesondere für Gründungsunternehmen wichtig ist, da diesen aufgrund der limitierten
Ressourcen in der Regel nicht alle Kommunikationswege offenstehen. Anders als bei Groß-
unternehmen, bei denen die Fehleinschätzung eines Segments lediglich zu Umsatzeinbußen
führt, kann die Fehleinschätzung für ein Gründungsunternehmen existenzbedrohend sein.
Zur Marktsegmentierung per se können unterschiedliche Kriterien herangezogen
werden. In der Regel werden dabei mehrere Kriterien kombiniert. Dies ist auch für eher
kleinere Gründungsunternehmen sinnvoll, da somit von Beginn an die Zielkunden genau
festgelegt werden können und Streuverluste vermieden werden. Generell lassen sich
6.7 Marktstrategie 199

fünf Kategorien von Kriterien für die Marktsegmentierung [28] in Konsumgütermärkten


unterscheiden:

• Bedürfnisse (beziehungsweise Nutzenvorstellungen);


• Soziodemografische Kriterien (Alter, Beruf);
• Verhaltensorientierte Kriterien (Preisverhalten, Mediennutzung);
• Psychografische Kriterien (Lebensstil, Kaufabsichten);
• Geografische Kriterien (Land, Ortsteile).

77 Lebensstilkriterien werden bei der Segmentierung immer bedeutender.

In den letzten Jahren hat die Einteilung nach Lebensstilkriterien weiter zugenommen, je-
doch wird damit die Erfassung von aktuellen und latenten Bedürfnissen für die Unterneh-
mung immer schwieriger. Bei Industriegütermärkten ist an die Einkaufsgremien („Buying
Center“) zu denken, bei denen die Entscheidung über Kauf oder Nichtkauf nicht von einer
Einzelperson gefällt wird, sondern von mehreren. Zusätzlich zu den bereits genannten
Kriterien können bei Industriemärkten auch branchen- (zum Beispiel Konkurrenzintensität)
oder unternehmensbezogene Kriterien (zum Beispiel Umsatz oder Mitarbeiterzahl) eine
Rolle spielen [[27], S. 60].
Beim Vorgehen für die Segmentierung gehen viele Autoren von einem dreistufigen
Verfahren aus, das die Datenerhebung, -analyse und die Profilerstellung umfasst [32].
Ein solches Segmentierungsverfahren sollte von Zeit zu Zeit wiederholt werden, da sich
Marktsegmente aufgrund geänderter Präferenzen und Einstellungen verändern können.
So kann sich ein Start-up nicht darauf verlassen, dass diejenige Segmentierung, die beim
Unternehmensstart gewählt wurde, auch in den Jahren des Wachstums noch relevant ist.

6.7.2 Positionierung

77 Positionierung bedeutet die aktive Planung, Gestaltung und Kontrolle des


Unternehmensimages beim Kunden.

Mit der Segmentierung kann festgelegt werden, wer die Kunden eines Unternehmens
sind. Darauf aufbauend ergibt sich die Frage nach der Positionierung, also der Sicht des
Kunden auf das Unternehmen beziehungsweise nach den Alleinstellungsmerkmalen des
Unternehmens gegenüber der Konkurrenz. Positionierung bedeutet die aktive Planung,
Gestaltung und Kontrolle des Unternehmensimages am Markt allgemein und insbesondere
beim Kunden [32]. Die Positionierung eines Unternehmens, einzelner Geschäftsfelder oder
eines Produkts ist vor allem für Gründungsunternehmen sehr wichtig, da sich dadurch eine
Abgrenzung gegenüber den Konkurrenten am Markt erzielen lässt. Sehr oft werden die
Fragen der Segmentierung und Positionierung aus Praktikabilitätsgründen bei einem Grün-
dungsunternehmen gemeinsam abgeklärt. Es bestehen jedoch einige Voraussetzungen, die
200 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

erfüllt sein müssen, um überhaupt zu einer Segmentierung und zu einer darauf aufbauenden
und passenden Positionierung zu kommen.

77 Gründungsunternehmen sollten sich bei der Positionierung auf wenige, klar


kommunizierte Merkmale beschränken.

In einem ersten Schritt wird es für Gründer wichtig sein, eine klare Trennung in der Kaufab-
sicht mithilfe von Segmentierungskriterien zu bilden, also zwischen Kauf- und Nichtkauf
unterscheiden zu können. Bei Gründungsunternehmen können in einem weiteren Schritt
mit der Kombination verschiedener Kriterien weitere Segmentierungen vorgenommen
werden. Ziel sollte es sein, am Schluss diejenige Kundengruppe bestimmen zu können,
deren Bearbeitung durch gesonderte Marketingmaßnahmen am meisten lohnenswert ist,
und nicht in undifferenzierter Form den Gesamtmarkt bearbeiten zu wollen. Bei der Posi-
tionierung muss sich ein Gründer entscheiden, wie viele unterschiedliche Merkmale zur
Unterscheidung am Markt herangezogen werden sollen. Wichtig für Gründungsunterneh-
men ist es, sich auf wenige, klar kommunizierte Merkmale zu beschränken, die für die
Kaufentscheidung des Kunden relevant und eingängig sind.

6.7.3 Einschätzung der Marktattraktivität

77 Ein wichtiges Beurteilungskriterium bei Businessplänen ist die Marktattrak­


tivität.

Eines der wichtigsten Beurteilungskriterien bei Businessplänen hinsichtlich der Rendite-


chancen ist in den Augen der Risikokapitalgeber die sogenannte Marktattraktivität [33].
Erst wenn ein Markt hinsichtlich der zukünftigen Renditechancen den Kapitalgebern loh-
nenswert erscheint, werden diese investieren. Deshalb müssen sich die wichtigsten Punkte
einer Marktanalyse in begründeter Form (auch die Annahmen müssen begründet werden)
in einem Businessplan wiederfinden. Zu den wichtigsten Punkten zählen:

• Marktpotenzial (quantitativ in Geldwerten);


• Marktwachstum (Steigerungspotenzial in Prozent);
• Intensität des Wettbewerbs (aus der Branchenanalyse).

Bei der Schätzung des Marktpotenzials oder -wachstums stellt es für Gründer einen Un-
terschied dar, ob sie in einen bereits bestehenden Markt eintreten oder ob sie von einer
völlig neuen Leistung ausgehen. Beim Eintritt in einen bereits bestehenden Markt können
viele Informationen über Größe, Art und Wachstum des Marktes aus bereits vorhandenen
Quellen wie etwa amtlichen Statistiken, Branchenberichten oder dem Internet beschafft
werden. Hingegen wird sich ein Gründer bei den Schätzungen für eine neue Leistung auf
Annahmen und Vermutungen verlassen müssen und selbst Marktforschung betreiben. Bei
6.7 Marktstrategie 201

der Schätzung des Marktwachstums geht es um die Zukunftserwartungen hinsichtlich der


relevanten Entwicklungen im Umfeld, zum Beispiel die Technologieentwicklung in den
nächsten 24 Monaten.

6.7.4 Markt- und Kundenanalyse

77 Bei der Marktanalyse werden Informationen über das Umfeld, den Wett­
bewerb, die Konkurrenten und insbesondere über die zukünftigen Kunden
ausgewertet.

Die genaue Kenntnis des Marktes und das Ableiten der notwendigen Konsequenzen für
das Marketing, aber auch für den gesamten Geschäftsplan (Unternehmensstrategie) gehö-
ren zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren für das langfristige Bestehen des Unternehmens.
Wichtig für ein Gründungsunternehmen ist es, Informationen über das Umfeld, den dort
herrschenden Wettbewerb, über die Konkurrenten und insbesondere über die zukünftigen
Kunden zu erhalten.

77 Bei der Kundenanalyse wird ermittelt, wer die Kunden sind und wie sie sich
verhalten.

Neben der Analyse der Bedingungen am Markt und im Umfeld des Unternehmens ist
eine zentrale Frage beim Start jene nach dem Verhalten der Kunden beziehungsweise wer
die Kunden überhaupt sind. Nicht immer sind die Antworten auf diese Fragen von Be-
ginn an klar, da vor allem in regulierten oder mehrstufigen Märkten eine genaue Kenntnis
des Kaufprozesses notwendig ist, um die Kunden und deren Bedürfnisse identifizieren zu
können, also die genaue Kenntnis des Käuferverhaltens. Zudem haben viele Trends einen
nicht unerheblichen Einfluss auf das Verhalten der Kunden und damit auf ihre Kaufpro-
zesse. Beispielhaft können „hybride Konsumenten“ (vgl. Abschn. 6.7.1) zum einen sehr
günstige Güter konsumieren (am Mittag Fast Food), sich zum anderen einen extrem erleb-
nisorientierten Luxuskonsum gönnen (am Abend im Gourmetrestaurant essen). Obwohl es
damit stets schwieriger wird, das Verhalten der Konsumenten vorauszusagen, gibt es einige
grundlegende Prinzipien, die das Käuferverhalten kennzeichnen.

77 Durch den Kauf eines Produkts beziehungsweise einer Dienstleistung will der
Kunde ein Bedürfnis befriedigen.

Durch den Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung möchte ein Kunde ein Bedürfnis
befriedigen und handelt damit zweckorientiert. Entgegen der landläufigen Meinung ist es
nicht ausschließlich die Werbung, die diese Bedürfnisse hervorruft. Diese sind im Kunden
bereits latent vorhanden. Bedürfnisse können sehr unterschiedlich sein, die Spannweite
kann vom simplen Stillen des Dursts bis hin zu Selbstverwirklichungs- oder Profilierungs-
202 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

bestrebungen reichen. Bemerkenswert dabei ist, dass bei Kaufentscheidungen mehrere


Bedürfnisse zusammenwirken können, zum Beispiel Stillen von Durst und Streben nach
Status, das heißt, ein teures, trendiges Mineralwasser wird gewählt. Aber auch das In-
volvement der Kunden, das heißt die „geistige Beteiligung“ beim Kaufprozess, spielt eine
Rolle. So gibt es Güter wie etwa Spülmittel, bei denen sachliche Informationen kaum eine
Rolle spielen, sondern bei denen die Wiedererkennung am Regal ausschlaggebend ist. Das
Gegenteil hierzu, High Involvement beziehungsweise die hohe Beteiligung am Kauf, ist
jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Diese Güter sind zumeist teuer und haben einen
hohen gesellschaftlichen Wert. Die Kunden befassen sich intensiver mit dem Produkt und
machen sich über Produkteigenschaften und -qualitäten Gedanken. Beispielhaft kann bei
Konsumgütern der Autokauf oder bei Industriegütern der Anlagenbau genannt werden.

77 Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst die Kaufentscheidung.

Hinsichtlich der Einflussfaktoren betrachtet die Forschung vor allem die Aktivitäten, die
sich vor einem Kauf abspielen. Entscheidungen können wenige Sekunden dauern oder
sich zum Beispiel beim Kauf industrieller Anlagen über mehrere Monate oder Jahre hin-
ziehen. Es spielen dabei sowohl individuelle (intrapersonale) und externe (interpersonale)
Einflussfaktoren als auch Störfaktoren eine Rolle. Bei den individuellen Einflussfaktoren
sind verschiedene Faktoren wie Wissen, Einstellungen oder das bereits zuvor genannte
Involvement, aber ebenso persönliche Merkmale wie der Lebensstil von Bedeutung. Auch
bei den externen Einflussfaktoren zeigen sich Unterschiede: Ökonomische und soziale Fak-
toren wie Freunde oder Familie beeinflussen die Entscheidung. Gestört beziehungsweise
beeinflusst werden kann die Entscheidung durch die Verfügbarkeit (Sonderangebot) oder
durch den Zeitablauf. Zusätzlich hat der Verwendungszweck (eigener Gebrauch, Geschenk
oder Bewirtung) einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung. Dies ist
für Unternehmensgründer von Relevanz, da sich damit Hinweise für die Marketingarbeit
ergeben. So wird ein Hersteller von hoch technisierten und spezialisierten Anlagen ein
größeres Gewicht auf den direkten Kundenkontakt legen als auf Zeitschriftenkampagnen.
Anders sieht es bei Trendprodukten aus. Dort ist es wichtig, innerhalb kürzester Frist an
die Trendsetter des jeweiligen Produktbereichs heranzukommen und diese für die Leistung
zu begeistern.

77 Kundenbindung ist oft wichtiger und einfacher als die Gewinnung neuer
Kunden.

Für ein Unternehmen ist es nicht nur wichtig, Produkte einmal an einen Kunden zu ver-
kaufen, sondern diesen auch als loyalen Kunden über eine längere Periode hinweg an das
Unternehmen zu binden und somit den Customer Lifetime Value zu optimieren. Damit
rückt die Kundenbindung bei vielen Unternehmen in den Mittelpunkt. Vor allem für Grün-
dungsunternehmen ist es wichtig, nicht nur an die Phase vor dem Kauf zu denken, sondern
den gesamten Buying Cycle des Kunden zu betrachten, also bereits an die Nutzungsphase
respektive den Kundenservice zu denken und nicht nur an den reinen Verkauf des Produkts.
6.7 Marktstrategie 203

Mit einer solchen Betrachtungsweise kann ein Kunde besser an das Unternehmen gebun-
den werden. Für ein Gründungsunternehmen ist dies insofern relevant, als diese Kunden
Verbesserungs- oder Erweiterungsvorschläge liefern können und damit die Verbreitung des
Produktes durch eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse gefördert wird. Ein zweiter
Effekt ist die positive Werbung durch zufriedene Kunden [25].

77 Marktforschung bedeutet die systematische Sammlung und Aufbereitung von


Daten über den Markt.

Eine konsequent geführte Markt- und Kundenanalyse kann als Marktforschung bezeich-
net werden. Die Wettbewerbsvorteile, die ein Unternehmen gegenüber den anderen Anbie-
tern hat, müssen durch eine der Zielgruppe angepasste Marktstrategie klar hervortreten.
Die Marktforschung schafft hierfür die Voraussetzungen, indem sie die dafür notwendigen
Informationen beschafft und aufbereitet. Nicht immer verfügen angehende Gründer oder
KMU allerdings über die erforderlichen finanziellen Ressourcen, die notwendigen Daten
extern, zum Beispiel bei Marktforschungsinstituten, einzukaufen. Die Alternative besteht
darin, die Informationen selbst zu beschaffen und in geeigneter Form aufzubereiten.

77 Marktforschung liefert zwar Daten, kann aber keine Entscheidungen ersetzen.

Bei Gründungen im technischen Bereich kann oftmals eher eine Produkt- als eine Marktori-
entierung beobachtet werden. Die technische Idee ist ausgefeilt, die Gründer sind sich aber
nicht immer sicher, die Kundenbedürfnisse und -ansprüche zu treffen, geschweige denn ob
ein ausreichend großes Marktpotenzial vorhanden ist oder Konkurrenten ein vergleichba-
res Produkt zu einem günstigeren Preis anbieten. Das Marketing und die Marktforschung
stellen vom Markt her ein diametrales Denken dar, was in die Ausrichtung der Unterneh-
mung eingebracht wird. Dadurch sollen bessere Entscheidungen ermöglicht werden. Die
Marktforschung kann jedoch keine Entscheidungen ersetzen und keinen Erfolg garantieren
[28]. Unter dem Begriff Marktforschung [28] können Informationen verstanden werden,
die benutzt werden für die:

• Identifizierung von Marketingchancen und -problemen: Bestimmung von Markt-


segmenten, Wettbewerbsanalyse, Ermittlung neuer Bedürfnisse von Konsumenten,
Untersuchung potenzieller neuer Märkte, Prognose des Marktvolumens;
• Entwicklung, Modifizierung und Überprüfung von Marketingmaßnahmen: Werbepre-
tests, Produkttests, Werbeerfolgskontrolle, Testmärkte;
• Überprüfung des Marketingerfolgs: Beobachtung der Marktanteilsentwicklung, Ima-
geanalysen, Messung der Kundenzufriedenheit.

Es kann eine Zweiteilung des Begriffes ausgemacht werden. Zum einen deckt der Begriff
der Marktforschung den Bereich der Informationssuche und -auswertung im Rahmen der
Marktuntersuchung ab, zum anderen bildet die Marktforschung die Basis für die Entwick-
lung einer Marktstrategie.
204 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

77 Die Ergebnisse der Marktforschung dienen der Marktabschätzung und der


Planung von Marketingaktivitäten.

Um eine zutreffende Marketingplanung zu gestalten, die die Wünsche beziehungsweise


Anforderungen des Kunden genau trifft, ist es wichtig, die einzelnen Märkte genau zu
kennen. Ebenso gilt es dabei abzuschätzen, wie sich der Einsatz der Marketinginstrumente
auswirkt, was beispielsweise mithilfe von Befragungen potenzieller Kunden erfolgen kann.
In der wissenschaftlichen Literatur hat sich eine Unterteilung in sogenannte Primär- und
Sekundärforschung etabliert, um sich in der Vielzahl verschiedener Marktforschungsins-
trumente orientieren zu können. Diese Zweiteilung unterscheidet danach, ob eine Markt-
untersuchung selbst vorgenommen (Primärforschung) oder bereits vorhandenes Material
genutzt wird (Sekundärforschung). Insbesondere mit dem zunehmenden Einsatz von mo-
dernen Informations- und Kommunikationstechnologien im Bereich der Marktforschung
hat die Anzahl der Instrumente fast unüberschaubare Ausmaße angenommen. Nicht alle
vorhandenen Instrumente sind aber für Unternehmen einsetzbar und sinnvoll. So wird es
beispielsweise für die Gründer in den wenigsten Fällen möglich sein, bei einem neuen
Produkt aus der Konsumgüterindustrie eine repräsentative Bevölkerungserhebung durch-
zuführen oder durchführen zu lassen. Sie werden viel eher versuchen, möglichst ähnliche
vorhandene Daten einer bereits bestehenden Untersuchung zu beschaffen.

77 Die Primärforschung erhebt neue Daten.

Bei der Primärforschung (englisch: field research) werden Daten aufgrund eines For-
schungsplans neu und speziell für ein Unternehmen erhoben, zum Beispiel durch eine
Befragung unter potenziellen Zielkunden. Dies hat den Vorteil einer sehr großen Aktualität
der Daten und ist speziell auf die Anforderungen der Auftraggeber zugeschnitten. Dem ste-
hen schwerwiegende Nachteile dieser Art der Erhebung gegenüber: Die Kosten, die beim
Einkauf oder bei eigener Erstellung einer aussagekräftigen Primärerhebung anfallen, sind
nicht zu unterschätzen. Wenn sich die Gründer dennoch zur Durchführung einer eigenen
Erhebung entscheiden, ist diese mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden, da die
Planung und Durchführung einiges an Wissen voraussetzen. Einen Vorteil bietet hier das
Internet, gerade für Unternehmensgründer. Online-Umfragen können bereits für wenig
Geld online (oder auch einfach per E-Mail) realisiert werden. Gegebenenfalls kann eine Be-
fragung unter den Mitgliedern des eigenen Netzwerkes (Facebook-Kontakte etc.) zunächst
ausreichend sein. So führten beispielsweise die Gründer von mymuesli eine Umfrage zum
Frühstückverhalten durch, indem sie E-Mails an Freunde und Bekannte verschickten. In-
nerhalb weniger Tage erhielten sie einige Hundert wertvolle Rückmeldungen.

77 Quantitative und qualitative Befragungen haben unterschiedliche Ziele.

Bei quantitativen Befragungen wird meistens versucht, Stichproben zu erheben, welche


die Grundgesamtheit möglichst genau repräsentieren, um ein Abbild der gesamten Kun-
6.8  Der Marketing-Mix 205

denwünsche und -ansprüche zu erhalten. Wenn eine repräsentative Stichprobe erhoben


werden soll, ist es von Bedeutung, dass die Befragten rein zufällig ausgewählt und nicht
bewusst oder willkürlich befragt werden, nur weil sie einfach erreichbar oder vermeintlich
repräsentativ erscheinen. Bei qualitativen Befragungen, im Rahmen derer meistens längere
Interviews durchgeführt werden, kann mehr in die Tiefe gegangen werden, sodass zum
Beispiel die Beweggründe für Kauf oder Nichtkauf beziehungsweise die genauen Kun-
denanforderungen in Erfahrung gebracht werden können. Unternehmensgründer könnten
beispielsweise eine Gruppendiskussion mit potenziellen Kunden durchführen, um das ge-
plante Leistungsangebot zu optimieren.

77 Bei der Sekundärforschung werden bestehende Quellen ausgewertet.

Die Sekundärforschung (englisch: desk research) bezieht ihre Informationen aus bereits
vorhandenen Quellen, die gegebenenfalls neu interpretiert werden, indem die spezifische
Unternehmenssituation berücksichtigt wird [34]. Der Vorteil dieser Erhebung besteht
in der raschen und teilweisen kostenlosen Zugänglichkeit von Daten. Im Zeitalter des
Internets und der Suchmaschinen hat sich die Suche nach geeigneten Informationen ver-
einfacht. Die Herausforderung besteht nun darin, aus einer großen Anzahl möglicher
Quellen die für die eigenen Bedürfnisse angemessenen Erhebungen zu identifizieren.
Oftmals zeigt sich das Problem, dass die im Internet gefundenen Daten zu ungenau oder
veraltet sind.

6.8 Der Marketing-Mix

77 Der Marketing-Mix bestimmt, welche Instrumente in welcher Kombination


eingesetzt werden.

Der Marketing-Mix ist innerhalb des Marketingkonzeptes das mittelfristige Instrument.


Es bestimmt, welche Instrumente in welcher Kombination zur Zielerreichung eingesetzt
werden. Eine gute Mittelkombination steht hier im Vordergrund und nicht die Optimierung
einzelner Instrumente. Die Kunden nehmen beim Marketing-Mix nicht die Wirkung der
Instrumente einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit wahr. Die Kaufentscheidung erfolgt (aus
der Sicht des Kunden) aufgrund eines Wertgewinns, verstanden als Differenz zwischen
(kognitiver und/oder emotionaler) Wertesumme und Kostensumme [32]. Der nach dem
Kauf wahrgenommene Wertgewinn soll den vor dem Kauf erwarteten Wertgewinn mög-
lichst übersteigen, sodass der Kunde mit der Leistung zufrieden ist und langfristig an das
Unternehmen gebunden werden kann [[28], S. 169].
206 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

6.8.1 Elemente des Marketing-Mix

77 Der Marketing-Mix bezieht sich auf das Produkt, den Preis, die Kommunikation
und die Distribution (4 P).

In der Literatur und Praxis hat sich beim Marketing-Mix eine Einteilung in vier Bereiche
(die sogenannten 4 Ps: englisch für Product (Produktgestaltung), Price (Preispolitik), Pro-
motion (Kommunikationspolitik), Place (Distributionspolitik)) eingebürgert:

• Produktgestaltung: Die Produktgestaltung umfasst alle Maßnahmen, die mit dem


Produkt in direkter Verbindung stehen. Dazu gehören neben dem Produkt selbst die
Verpackung, Service oder Garantieleistungen (Buying Cycle). Ein Produkt kann ver-
schiedene Ausprägungen haben und kann entweder ein Sachgut, eine Dienstleistung
oder eine Kombination davon sein, ein sogenanntes Leistungssystem [35]. Ein solches
Leistungssystem kann die Bedürfnisse von Konsumenten oftmals besser erfüllen als
ein Sachgut. Gleichzeitig werden Kernprodukte immer leichter austauschbar und eine
Differenzierung ist oftmals nur über den Preis möglich. Leistungssysteme bieten eine
Ausweichmöglichkeit, sich über die Leistung zu differenzieren, indem ein Gesamtpa-
ket angeboten wird.
• Preispolitik: Durch eine aktive Preisgestaltung kann der Unternehmenserfolg maß-
geblich gesteigert werden. Zur Preispolitik gehört nicht nur der eigentliche Preis,
sondern auch preisrelevante Konditionen wie Skonti und Rabatte. Viele Gründer ste-
hen bei der Festlegung des Preises vor Herausforderungen. Beim Unternehmensstart
sind Gründer häufig vorsichtig und setzen zu niedrige Preise. Dies kann im Verlauf
des Unternehmenswachstums zu Problemen führen, da Preiserhöhungen vor allem
bei Stammkunden schwierig durchsetzbar sind und das Gewinnpotenzial nicht voll
ausgeschöpft werden kann.
• Kommunikationspolitik: Da die meisten Produkte, wie vorher erwähnt, von ihrer
objektiven Beschaffenheit her austauschbar sind, kommt der Kommunikation eine
wesentliche Rolle zu. Die Kommunikation dient der Förderung der Beeinflussung
des Nachfragers durch den Anbieter. Zu den bekanntesten Instrumenten gehören die
Werbung (alle möglichen Medien von der Anzeige im Lokalblatt bis hin zur E-Mail-
Werbung), Verkaufsförderung und die Öffentlichkeitsarbeit (englisch: public rela-
tions, PR).
• Distributionspolitik: Der Begriff der Distribution bezieht sich auf die Aktivitäten, die
zur Überbrückung der zeitlichen und räumlichen Distanz zwischen der Erstellung
einer Leistung und deren Kauf durch den Endkunden anfallen [36]. Der Merksatz
lautet dabei: die richtige Leistung am richtigen Ort zur richtigen Zeit in der richtigen
Menge und Qualität bereitzustellen. Für Gründer stellt sich die Frage, ob die erhebli-
che Investition in den Aufbau eines eigenen Absatzkanals investiert werden soll oder
ob mit anderen Unternehmen in diesem Bereich kooperiert wird.
6.8  Der Marketing-Mix 207

6.8.2 Einsatz von neuen Marketinginstrumenten

77 Neue Marketinginstrumente sind schnell in der Verbreitung, kostengünstig


und nahe beim Geschehen.

Neue Marketinginstrumente zeichnen sich durch drei Faktoren aus: Erstens benutzen Ak-
teure wie Gründer und Unternehmer Systeme (Internet-Dienste wie YouTube, google+,
Twitter, Xing oder Facebook, Online-Zeitungen und -Foren), in denen Informationen enorm
schnell und durch Katalysatoren (zum Beispiel durch begeisterte Kunden) in Communi-
ties (E-Mails, Chats, Social Network Sites, Blogs) verbreitet werden. Zweitens sind sie
kostengünstig im Sinne der finanziellen Konsequenzen (eine Werbung auf Facebook im
Vergleich zu einem Inserat in der „FAZ“) und der Infrastruktur (Internet-Anschluss genügt),
wohl aber teuer aufgrund der Präsenzzeiten der Akteure, die online Informationen liefern,
da die Verrechenbarkeit der geleisteten Stunden der Akteure oft nicht gegeben ist. Drittens
ist das Engagement der Akteure durch die Historie ihrer Aktivitäten für den Kunden direkt
nachvollziehbar und erkennbar [37].

77 Guerilla-Marketing ist der Königsweg der Innovativen und Brotlosen.

Der Begriff Guerilla-Marketing wird im Zusammenhang mit dem Einsatz neuer Marke-
tinginstrumente oft benutzt. Bei Guerilla-Marketing geht es um ungewöhnliche Aktivitäten
im Marketing, die mit geringem Mittelaufwand eine möglichst weitreichende Wirkung
erzielen [38]. Damit wird deutlich, dass dieser Marketing-Ansatz bereits lange existiert.
Beispielsweise wurde das legendäre Woodstock-Festival (1969, Bethel, Bundestaat NY)
mit geringem Werbebudget, jedoch mit intensiver Mund-zu-Mund-Werbung innerhalb der
damaligen Hippiebewegung angepriesen [39]. Die Formen der Guerilla-Vermarktung sind
vielfältig, beispielsweise virales Marketing, Werbebotschaften auf Stickern, T-Shirts oder
Autos, kreative Events, Projektionen mit Laser oder Beamer an Hochhäuser, Plakat- und
Graffiti-Aktionen oder Mundpropaganda zählen dazu.

Unternehmerprofil: Mammut Sports Group Schweiz mit einer einmaligen Inszenierung


Weltberühmt wurde die Firma Mammut (Mammut Sports Group Schweiz, Outdoor-
bekleidung, Alpinausrüstung, Kletterseile, Rucksäcke oder Berg- und Wanderschuhe)
mit Sitz in Seon, Schweiz, als 2006 eine ältere Dame namens Mary Woodbridge eine
Mammut-Winterjacke kaufte. Die 85-jährige Lady und ihr Dackel Daisy aus Großbri-
tannien wollten daraufhin den Mount Everest (8.848 m) besteigen. Weltweit hat die-
ses Vorhaben in Zeitschriften, YouTube, Foren, im Radio und auf Newsportalen für
Schlagzeilen gesorgt. Hinter dieser Inszenierung stand nicht etwa Rolf Georg Schmid,
CEO der Firma Mammut. Es waren die Marketing-Experten des Unternehmens, denen
es dadurch gelang, die hohe Qualität der Mammut-Produkte an (potenzielle) Bergsport-
ler aus aller Welt zu kommunizieren, verbunden mit der Botschaft, dass hervorragendes
Material noch lange keinen guten Bergsportler ausmacht [40].
208 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

77 Nutzung von Buzz-Marketing und Social Media schafft Marktvorteile.

Das virale Marketing (auch Buzz-Marketing genannt)4 stellt eine recht neue Marketing-
form dar, die soziale Netzwerke im Sinne von Netzgemeinschaften und Webdienste wie
zum Beispiel google+, Facebook, Myspace, Xing, Twitter und LinkedIn sowie Medien
(YouTube, Lokal-Radio, -Fernsehen usw.) nutzt, um mit einer oftmals einzigartigen und
ungewöhnlichen Kampagne auf eine Marke, ein Unternehmen, Unternehmer, Produkt
oder eine Dienstleistung mit einer hohen Verbreitungsgeschwindigkeit aufmerksam zu
machen [41]. Abgesehen von einer innovativen Kampagne ist mittlerweile eine durch-
dachte Marketingstrategie zur Platzierung und Verbreitung der Botschaften für den Erfolg
von viralen Marketingmaßnahmen entscheidend. Spezialisierte Unternehmen platzieren
und verbreiten digitale Nachrichten im Internet. Dank ihrer vielschichtigen Netzwerke
bestehend aus Meinungsführern und Trendsettern können sie Botschaften zielgruppenspe-
zifisch platzieren. Die am häufigsten genutzten Verbreitungsformen digitaler Nachrich-
ten sind Chats, Instant-Messenger oder E-Mail [42]. Konkret bietet sich zur Verbreitung
beispielsweise die Weiterleitung von E-Mails an, die der Konsument meist nicht selbst
verfasst, sondern lediglich weiterleitet, aber auch Weblogs, Beiträge innerhalb von Com-
munities, Unterschriftensammlungen und Bonusprogramme auf Internetseiten (Counter),
die Konsumenten zur Verbreitung von Web-Adressen anregen. Ebenfalls zu den neuen
Marketinginstrumenten zählen Werbeprogramme auf bekannten Suchmaschinen im In-
ternet – sogenanntes Suchmaschinenmarketing. Google-AdWords stellt diesbezüglich ein
Beispiel dar.
Nachdem sowohl die Grundlagen des Entrepreneurial Marketings als auch Instrumente
des Marketings vorgestellt wurden, können nun die Instrumente auf die nachfolgende Fall-
studie angewandt werden.

6.9 Fallstudie: Coffee Circle

77 Fallstudie Coffee Circle: Kaffee direkt aus Äthiopien mit gutem Gewissen.

Es war der 10. Dezember 2010, als Moritz Waldstein, Martin Elwert und Robert Rudnick
am großen Tisch des Cafés im Betahaus, einem Coworking Space, in Berlin Kreuzberg
saßen. Sie diskutierten über die nächsten Schritte ihres Start-up-Unternehmens, unter
anderem über die Lancierung ihrer Webseite, die bereits 2012 online ging. Unter www.
coffeecircle.com können Kunden hochwertigen Kaffee aus Äthiopien bestellen, von des-
sen Verkaufserlös die Farmer in weit höherem Maße profitieren, als dies bei konventio-
nell gehandeltem Kaffee der Fall ist. Anfangs kamen die Bestellungen hauptsächlich von
Freunden und Bekannten, heute zudem von verschiedensten Privat- und Geschäftskunden.

4
Eine Vielzahl von Beispielen viraler Marketing-Strategien findet sich auf den Internetseiten Wiki-
pedia und YouTube (so beispielsweise JK Wedding Entrance Dance unter https://www.youtube.com/
watch?v=4-94JhLEiN0, Zugriff am 23. April 2015).
6.9  Fallstudie: Coffee Circle 209

Nachdem der Kaffee lediglich über das Internet verkauft wurde, kann der Kaffee mittler-
weile auch im Einzelhandel gekauft werden – in der Schweizer Migros beispielsweise seit
Herbst 2014. Mit dem E-Commerce werden jedoch noch 70 bis 80 % des Gesamtumsatzes
erwirtschaftet. Erscheint dies ausreichend, um mittelfristig hohe Umsätze zu erzielen? Oder
sollten die beiden Jungunternehmer Martin und Robert (Moritz verließ im Juni 2013 das
Unternehmen) weitere Vertriebswege aufbauen?

Die Idee

77 Die Farmer profitieren in der Regel kaum vom Anbau des Kaffees; das haben
die Jungunternehmer geändert.

Die Geschäftsidee entwickelten die Jungunternehmer nach einem Äthiopienaufenthalt von


Moritz und Martin. Moritz hatte bereits im Jahr 2007 mithilfe von Spendengeldern den Bau
eines Waisenhauses in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, begonnen. Bei einem zweiten
Besuch im Jahr 2009 war Martin mit dabei, um bei der Schuleröffnung mitzuhelfen. Während
ihres Aufenthalts lernten sie den Kaffee Äthiopiens kennen und schätzen. Kaffeeanbau hat
in Äthiopien Tradition und die Kaffeebohnen sind von außergewöhnlicher Qualität. Was die
beiden jedoch feststellten: Die Farmer profitieren in der Regel kaum vom Anbau des Kaffees.
Während die Unternehmen, die den Kaffee in die Supermarktregale westlicher Länder brin-
gen, hohe Preise erzielen, sind die Farmer häufig nicht einmal in der Lage, ihre Familien zu
ernähren. Moritz und Martin arbeiteten im Jahr 2009 bei der Unternehmensberatung Roland
Berger. Dort lernten sie Robert kennen, mit dem sie schließlich das Geschäftskonzept für Cof-
fee Circle entwickelten: Sie wollten den Verkauf von äthiopischem Feinschmecker-Kaffee mit
direkter Aufbauhilfe vor Ort kombinieren. Sie wollten die Handelskette transparent gestalten,
die Rückverfolgbarkeit bis zum Hersteller gewährleisten und einen direkteren Bezug zwischen
Kunden und Farmer herstellen. So spannend die Projekte bei der Unternehmensberatung auch
waren, für diese Idee waren sie bereit, ihren Arbeitsplatz zu verlassen.

Finanzierung

77 Finanzierung einer Idee: Familie und Freunde halfen mit.

Wie viele Gründer verfügten auch die Jungunternehmer von Coffee Circle über geringe finan-
zielle Mittel. Die Finanzierung setzte sich zu Beginn aus folgenden Bausteinen zusammen:

• Eigene Ersparnisse und „Friends & Family“: Während der ersten Monate lebten die
Jungunternehmer von Ersparnissen sowie finanziellen Mitteln von „Friends & Fa-
mily“, die sie unter anderem für die Gründung ihrer GmbH einsetzten (Stammkapital
in Höhe von 25.000 EUR).
• KfW-StartGeld: Ein Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), mit wel-
chem Existenzgründer, Freiberufler und kleine Unternehmen gefördert werden. Die
Jungunternehmer konnten bei der Berliner Sparkasse, ihrer Hausbank, einen Kredit in
210 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Höhe von 100.000 EUR aufnehmen, den die KfW zu 80 % besicherte. Für den Kredit
haften aber die Jungunternehmer zunächst selbst.
• Gründungszuschuss der Bundesagentur für Arbeit: Gründer können bei der Agentur
für Arbeit einen Gründungszuschuss beantragen, sofern sie aus der Arbeitslosigkeit
heraus gründen. Der Zuschuss deckt die Lebenshaltungskosten, hängt in seiner Höhe
von dem Gehalt vor der Arbeitslosigkeit ab und wird über einen Zeitraum von neun
Monaten bezahlt. Gehälter für die Jungunternehmer musste Coffee Circle erst ab
Mai 2011 bezahlen.

Um die weitere Entwicklung des Unternehmens zu finanzieren, machten sich die Jungun-
ternehmer auf die Suche nach Risikokapitalgebern oder „Rich Individuals“, sprich Busi-
ness Angels, die Investitionsmöglichkeiten mit gesellschaftlicher Wirkung (statt hohen
Dividenden) suchen. Im Zeitraum von August 2011 bis 2013 stellte Tengelmann Ventures
Risikokapital bereit. Im Anschluss daran konnten die Jungunternehmer den Schweizer
„Impact Investor“ Elea Foundation und den britischen „Venture Capitalist“ HOWZAT
Partners als Risikokapitalgeber gewinnen.

Wertschöpfungskette

77 Der gute Kaffee ist das Ergebnis einer komplexen Wertschöpfungskette.

Der Weg des Kaffees führt von Äthiopien nach Berlin. In Äthiopien wird der Kaffee an-
gebaut, gewaschen und sortiert. Auf dem Landweg gelangt der Kaffee ins Nachbarland
Dschibuti. Dort wird der Kaffee auf Schiffe verladen, um anschließend über das Rote
Meer, den Suez-Kanal, das Mittelmeer, den Atlantik und die Nordsee nach Hamburg und
schließlich mit einer Spedition nach Berlin zu gelangen. Sämtliche CO2-Emissionen, die
beim Transport des Kaffees entstehen, werden mithilfe der Organisation Climate Partner
kompensiert. Climate Partner investiert das Geld in Klimaschutzprojekte, die an ande-
rer Stelle für CO2-Einsparungen sorgen. In Berlin wird der Kaffee von einem erfahrenen
Kaffeeröster geröstet. Dabei wird die Röstung individuell auf die jeweilige Kaffeecharge
abgestimmt, um den Bohnen das bestmögliche Aroma zu entlocken. Damit der Kaffee die
Kunden möglichst frisch erreicht, werden jeweils nur kleine Mengen geröstet. Das Rösten
des Kaffees ist aufwendig und stellt sicherlich den anspruchsvollsten Arbeitsschritt in der
Wertschöpfungskette dar. Über einen Zeitraum von 16 bis 20 Minuten wird der Kaffee bei
über 200 °C geröstet. Wissen, Fertigkeiten und entsprechendes Equipment sind notwendig,
um die Röstung des Kaffees in dieser Qualität zu gewährleisten. Anschließend wird der
Kaffee von Hand verpackt, bevor er in den Verkauf gelangt.
6.9  Fallstudie: Coffee Circle 211

Produkte

77 Über den Web-Shop werden acht hochwertige Kaffeesorten angeboten.

Derzeit werden acht verschiedene Sorten Kaffee sowie hochwertiges Zubehör (Kaffeebe-
reiter, Gläser, Tassen oder Milchschäumer) verkauft. Folgende drei Kaffeesorten führen die
Jungunternehmer schon seit Beginn des Internetverkaufs in ihrem Sortiment:

• Yirgacheffe-Kaffee, ein Gourmetkaffee mit würzig-fruchtigem Geschmack aus der


Yirga-Region im Süden Äthiopiens.
• Limu-Kaffee, bekannt für sein blumig-süßes Aroma. Im Jahr 2010 wurde der Limu-
Kaffee zu einem der fünf besten Kaffees in Äthiopien gekürt – ein tolles Ergebnis in
einem Land, in dem so viele hochwertige Kaffeesorten angebaut werden.
• Bio-Espresso mit weichem und nicht zu bitterem Geschmack mit ausschließlich bio-
logischem Anbau. Anstatt wie bei Espresso üblich, eine Mischung aus Arabica- und
Robusta-Bohnen für den Espresso zu nutzen, wird der Espresso nur aus Arabica-Boh-
nen hergestellt, die sich durch einen feineren Geschmack auszeichnen und weniger
bitter sind.

Für jedes verkaufte Kilogramm wird 1,00 EUR als Spende beiseitegelegt. Das Geld fließt
in Entwicklungsprojekte bei den Kaffeebauern in Äthiopien. Beim Kauf kann der Kunde
selbst entscheiden, ob er es Coffee Circle überlässt, den Betrag einem Projekt zuzuordnen
oder lieber selbst bestimmt, wofür das Geld eingesetzt werden wird. Die gespendeten Gel-
der konnten bisher für die elektrische und medizinische Grundausstattung (Solarstation,
Behandlungstisch, Stethoskope, Blutdruckmessgerät, Grundvorrat an Medikamenten) einer
Gesundheitsstation in Ilketunjo, einem Dorf mit 4000 Einwohnern, und für den Bau einer
Schule verwendet werden, an welcher heute 680 Kinder unterrichtet werden. Bis 2018
möchte Coffee Circle mit einer Deutschen „Non-Governmental Organization“ (NGO) ein
Projekt realisieren, welches zum Ziel hat, bis zu 46.000 Menschen mit Wasser und sanitären
Einrichtungen zu versorgen.

Marketing

77 Marketingmaßnahmen: Die Klaviatur des Entrepreneurial Marketings.

Die Jungunternehmen haben von Beginn an eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen, um


auf sich aufmerksam zu machen:

• Unternehmensblog: Es wurde ein Blog eingerichtet, der über Themen rund um Kaffee
berichtet.
• Facebook: Auf Facebook wurde eine Community aufgebaut, die bereits bei der
Lancierung der Webseite mehrere Hundert Fans hatte. Zunächst hatten die Jungun-
212 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

ternehmer ihre Freunde aktiviert. So hatten sie in relativ kurzer Zeit die ersten zwei-,
dreihundert Fans zusammen. Auf der Facebook-Seite stellten sie zunächst witzige
Begebenheiten rund um den Start-up-Alltag ein, um ihre Fans zu unterhalten.
• Online-Blogger: Viele Online-Blogger, die sich mit kulinarischen Themen und Nach-
haltigkeit beschäftigen, wurden angeschrieben. Bei Interesse erhielten sie Kaffeepro-
ben. So wurde erstmalig über Coffee Circle geschrieben.
• PR: Die Jungunternehmer beauftragten eine PR-Agentur, die zum Beispiel pünktlich
zum Start professionelle Pressemitteilungen streute. PR stellt für die Jungunternehmer
ein zentrales Marketinginstrument dar, um ihr nachhaltiges Geschäftsmodell einer
breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
• Events: Coffee Circle ist bei verschiedenen Events zu Gast, um Kaffee auszuschen-
ken, unter anderem bei der Berlinale, der Transmediale (Berliner Festival für Kunst
und Digitale Kultur) und verschiedenen Galerieeröffnungen.
• Firmenkontakte: Coffee Circle hat eine Reihe von Restaurants, Hotels und vor allem
Firmen kontaktiert, die mit ihrem jährlichen Kaffeekonsum ihre eigenen Entwick-
lungsprojekte umsetzen können.

Die nächsten Schritte

77 Die Jungunternehmer haben sich für die nächsten Monate einiges vorgenom-
men.

Um die Entwicklung des Unternehmens voranzutreiben, haben sich die Jungunternehmer


für die nächsten Monate wichtige Schritte vorgenommen:

• Die Jungunternehmer möchten den Kaffee neben Äthiopien aus weiteren Ländern wie
beispielsweise Kolumbien einkaufen, um die Geschmacksvielfalt für die Kunden zu
erhöhen. Dafür sind die Überarbeitung der Webseite und die Einführung eines soliden
ERP-Systems (ERP: „Enterprise Resource Planning“) erforderlich.
• Einerseits soll der Customer Lifetime Value bestehender Kunden mittels feinem Kaf-
fee, exzellentem Service, schöner Verpackung und Abonnements weiterhin optimiert
werden, andererseits sollen neue Kunden akquiriert werden.
• Zukünftig möchten die Jungunternehmer den Kaffee selbst rösten, um die Qualität des
Kaffees zu erhöhen, mehr Kontrolle über die Wertschöpfungskette zu erlangen und im
Hinblick auf Wechselkursschwankungen kostengünstiger zu produzieren.
• Die Wahrnehmbarkeit des Unternehmens soll erhöht werden, auf Google beispiels-
weise mittels Suchmaschinenoptimierung („Search Engine Optimization“) und Such-
maschinenmarketing („Search Engine Advertising“).
Literatur 213

Fragen zur Fallstudie


Stellen Sie sich vor, Sie wären einer der zwei Jungunternehmer von Coffee Circle.
1. Produkt: Inwiefern erachten Sie es als zielführend, Kaffee aus Ländern einzukaufen,
die in erster Linie nicht mit Kaffeeanbau assoziiert werden?
2. Vertrieb: Würden Sie Ihre ganze Energie für den Vertrieb über das Internet und den
Einzelhandel aufwenden? Oder würden Sie weitere Vertriebswege aufbauen? Be-
gründen Sie Ihre Entscheidung und entwickeln Sie einen Aktionsplan.
3. Kooperationen: a.) Welche Partnerschaften sollen eingegangen werden (online und
offline), um die Umsätze zu erhöhen und dabei die derzeitige Positionierung beizu-
behalten? b.) Die Jungunternehmer planen den Aufbau einer Coffee-Circle-Com-
munity („myCircle“). Wie kann dies mit einem geringen Budget umgesetzt werden?
Wie weitreichend sollte ein solcher Coffee-Circle gehen (zum Beispiel direkte Ein-
beziehung der Kaffeebauern)?
4. Kommunikation: Welche weiteren Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, das
Jungunternehmen und seine Produkte zu inszenieren? Trotz vieler Bemühungen
verfügen die Jungunternehmer noch nicht über ein großes Werbebudget, beispiels-
weise für teure Fernsehwerbung.
5. Wertschöpfungskette: Wie kann die Wertschöpfungskette optimiert werden?

Diskussionsfragen
1. Weshalb bietet sich Entrepreneurial Marketing auch für KMU an?
2. Wie gestaltet sich das Zusammenspiel zwischen Entrepreneurial Marketing und
klassischen Marketinginstrumenten?
3. Welche Nachteile und Gefahren entstehen aus dem Entrepreneurial Marketing für
Gründerunternehmer?
4. Welche Schwierigkeiten können bei Kundenbefragungen mit den verschiedenen
Methoden auftreten?
5. Wie muss Ihrer Meinung nach ein Wachstumsunternehmen vorgehen, um eine inte-
grierte Marktorientierung im gesamten Unternehmen zu erreichen?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Eggers, F., Kraus, S., & Filser, M. (2009). Entrepreneurial Marketing – Zum Bedarf eines
modifizierten Marketingansatzes für junge wachstumsorientierte Unternehmen. Zeitschrift für
KMU und Entrepreneurship, 57(3–4), 187–219.
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untold story. In M. A. Hitt, R. E. Freeman, & J. S. Harrison (Hrsg.), Handbook of strategic
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214 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

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Literatur 215

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Multiplikatoren-Netzwerke, um Werbebotschaften gezielt im Social Web zu verbreiten Bd. 25.
München: Internet World Business.
42 Brieke, I. (2008). Community effects 2008: Studie zu Werbung und viralem Marketing in Social
Communities. München: Tomorrow Focus AG.
216 6  Entrepreneurial Marketing und Marktausrichtung

Weiterführende Literatur
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und Lösungsansätze für Gründungsunternehmen. Wiesbaden: Gabler Verlag.
Gruber, M. (2005). Marketingplanung von Unternehmensgründungen – Eine theoretische und em-
pirische Analyse. Wiesbaden: Gabler Verlag.
Tomczak, T., Kuss, A., & Reinecke, S. (2014). Marketingplanung – Einführung in die marktorien-
tierte Unternehmens- und Geschäftsfeldplanung (7. Aufl.). Wiesbaden: Gabler Verlag.
Moore, G. (1999). Crossing the chasm – marketing and selling technology products to mainstream
customers. New York: HarperCollins.
Stokes, D. (2000). Entrepreneurial marketing: A conceptualisation from qualitative research. Quali-
tative Market Research: An International Journal, 9(1), 47–54.
Gründungsfinanzierung
7

7
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Die Gründungsfinanzierungsproblematik zu lösen, ist für jeden Entrepreneur eine
zentrale Herausforderung. Die Wissenschaft bietet eine Reihe von Erklärungsansät-
zen, kann aber selbst kein Patentrezept zur Verfügung stellen. Dafür kann der Markt
mit seinen Kapitalformen, Friktionen, Akteuren und Prozessen hinsichtlich der indi-
viduellen Entscheidungssituation analysiert werden. Beim Schreiben des Finanzplans
sind dann Kerninhalte und -vorgehensweisen zu beachten, damit das „Abenteuer Grün-
dungsfinanzierung“ erfolgreich auf den Weg gebracht werden kann. In diesem Kapi-
tel werden zuerst die typischen Finanzierungsphasen und -quellen vorgestellt. Auf die
Finanzierungsbesonderheiten von Start-ups und KMU wird in Zusammenhang mit der
Neuen Institutionenökonomie eingegangen. Diese liefert konkrete Lösungsansätze für
Finanzierungsherausforderungen im Start-up und -KMU-Bereich. Anschließend wer-
den Institutionen und Akteure auf dem Finanzmarkt vorgestellt. Anhand des Fallbei-
spiels der Outtrade GmbH, des europäischen Marktführers im Faltboothandel, wird die
konkrete Umsetzung einer Finanzierungslösung vorgestellt. Der Finanzierungsprozess
und Fragen der Unternehmensbewertung von Start-ups werden nachfolgend themati-
siert. Darauf aufbauend werden die Werkzeuge der Gründungsfinanzierung vorgestellt.
Abschließend wird die neue Finanzierungsform des Crowdfundings und des demokra-
tisierten Venture Capitals anhand von drei Schweizer Akteuren erläutert.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_7 217
218 7 Gründungsfinanzierung

Lernziele
•• Sie können erläutern, welche Besonderheiten im Zusammenhang mit der Start-
up-/KMU-Finanzierung bestehen und welche Marktfriktionen und Marktineffizi-
enzen im Bereich der Start-up-Finanzierung auftauchen.
•• Sie können aufzeigen, welche Lösungsansätze zur Behebung der systematischen
Finanzierungsprobleme von Start-ups herangezogen werden können.
•• Sie können verschiedene Gründungstypen und deren Finanzierungs-Besonder-
heiten aufzeigen.
•• Sie können darstellen, welche Charakteristika das Finanzierungsumfeld für
Start-ups und die einzelnen „Spieler im Markt“ kennzeichnen.
•• Sie können erklären, welche Schritte der Finanzierungsprozess im Detail umfasst.
•• Sie können mit den verschiedenen Werkzeugen im Bereich der Gründungsfi-
nanzplanung umgehen und wissen, wie diese im praktischen Kontext eingesetzt
werden.
•• Sie können erläutern, wie die neuen Phänomene des Crowdfundings und des de-
mokratisierten Venture Capitals funktionieren und ob diese zu einer Effizienzstei-
gerung gegenüber den herkömmlichen Wegen der Gründungsfinanzierung führen.

7.1 Begriffserklärungen

77 Business Angels:  In Jungunternehmen investierende Privatpersonen, zumeist erfolg-


reiche (Mehrfach-)Unternehmer, die oft mitarbeiten und aktiv mitgestalten.

77 Crowdfunding:  Neue Finanzierungsalternative, v. a. in den angelsächsischen Ländern


und neu in den deutschsprachigen Ländern eingesetzt. die via Internet Privatinvestoren
motiviert, über standardisierte Prozesse und Verträge in Start-ups zu investieren.

77Mezzanine Finanzierungsinstrumente:  Kombination von Eigenkapital- und Fremd-


kapitalbestandteilen mit mittlerem Rendite- und Risikoprofil [1]1.

77 Neue Institutionenökonomik:  Drei Forschungsrichtungen, die sich mit Systemen for-

maler und informaler Regeln einschließlich Durchsetzungsmitteln und ihren Auswirkungen

1
Müller differenziert in Mezzanines Kapital i. e. S. und i. w. S.; „Mezzanine i. w. S. steht für interme-
diäre Formen der Finanzierung, die alle rechtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten zwischen Eigen-
kapital und Fremdkapital, vom besicherten nachrangigen Darlehen bis zu Vorzugsaktien, aufweisen
können und die eine mittlere Risiko-Ertrags-Relation aufweisen. Ist der Erwerb von Unternehmens-
anteilen im Rahmen der Finanzierung möglich, wird hybrides Fremdkapital (Hybrid Debt) und damit
Mezzanine i. e. S. angesprochen.“
7.3  Die Finanzierungsphasen und -quellen im Überblick 219

auf ökonomische Transaktionen und menschliches Verhalten befassen (Principal-Agent-


Theorie, Transaktionskostenansatz, Property-Rights-Theorie).

77 Venture Capital:  Durch spezialisierte Unternehmen zur Verfügung gestelltes Risikoka-


pital in Verbindung mit gewissen Unterstützungsleistungen, Mitsprache- und Kontrollrech-
ten. Dieses war bisher professionellen Investoren mit relativ hohem, siebenstelligem Kapi-
taleinsatz pro Investment vorbehalten. Mittlerweile erfolgt hier eine Demokratisierung, die
schon Investitionen im niederen fünfstelligen Bereich auch für Privatinvestoren ermöglicht.

7.2 Einführung

77 Die Sicherung der jederzeitigen Zahlungsfähigkeit ist eine Kernaufgabe für


das Gründerteam.

Eine der Kernherausforderungen für jedes Gründerteam besteht in der Sicherstellung der
jederzeitigen Zahlungsfähigkeit und in der Optimierung der Finanzierungsstruktur des Un-
ternehmens entsprechend der Phase des Unternehmenslebenszyklus. In diesem Kapitel sollen
deshalb ausgehend von diesem Lebenszyklus die Finanzierungsaspekte systematisiert und
die zur Verfügung stehenden Finanzierungsquellen zugeordnet werden. Danach werden die
Beiträge der Finanzierungstheorie für konkrete Problemstellungen kritisch hinterfragt. Dann
werden die spezifischen Einflussfaktoren der Finanzierung von Start-ups herausgearbeitet. Es
schließt sich eine Analyse der Institutionen des Finanzierungsmarktes auf Nachfrager- und
Anbieterseite an. Anschließend werden die Inhalte des Finanzierungsprozesses vorgestellt, um
als praktischer Leitfaden dienen zu können. Auf spezielle Fragen der Unternehmensbewertung
bei Start-ups wird kurz eingegangen. Den Abschluss bildet ein Hinweis auf die Werkzeuge
der Gründungsfinanzierung, die zur Erstellung eines Business- und Finanzplans erforderlich
sind. Das Kapitel schließt mit einem Fallbeispiel über ein innovatives Finanzierungs-Start-up.

7.3 Die Finanzierungsphasen und -quellen im Überblick

77 Es lassen sich drei Finanzierungsphasen unterscheiden: Early Stages, Expan-


sion Stages und Later Stages.

Die Start-up-Finanzierung lässt sich anhand des Modells eines Unternehmenslebenszyklus


darstellen.2 Etabliert hat sich eine Unterteilung in drei Hauptphasen: Early Stages: Idee
und Gründung; Expansion Stages: nationale und internationale Expansion; Later Stages:
Restrukturierung und Nachfolge. Diesen lassen sich dann typische Aufgabenstellungen

2
Vgl. hierzu die Phasendarstellung von [2–4]. Ausführliche Darstellungen zu den einzelnen Finan-
zierungsformen finden sich bei [[5], S. 37 ff.] sowie bei [[6], S. 317 ff.].
220 7 Gründungsfinanzierung

und Finanzierungstypen zuordnen (vgl. Abb. 7.1). Zwar können bei dieser vereinfachten
Darstellung gewisse Zuordnungs- und Bezeichnungsunschärfen auftreten, für eine erste
Orientierung ist sie jedoch geeignet.

77 Start-ups müssen die richtigen Finanzierungsquellen für ihren Unternehmens-


zweck auswählen, die auch ihren persönlichen Präferenzen entsprechen.

Die einzelnen Finanzierungsquellen lassen sich in einem weiteren Schritt differenzier-


ter aufführen. Grundsätzlich stehen dem Start-up folgende Kapitalquellen zur Verfügung,
die in diesem Kapitel näher betrachtet werden: Eigenkapital, mezzanines Kapital und
Fremdkapital (vgl. Abb. 7.2).
Zusammen stellen diese Finanzierungsinstrumente eine Art Werkzeugkasten für die Fi-
nanzierung dar, damit das Unternehmen eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Lösung

Abb. 7.1  Kernaufgaben der Finanzierungsphasen


7.3  Die Finanzierungsphasen und -quellen im Überblick 221

zusammenstellen kann. Dabei ist zu beachten, dass Eigenkapital [3, 7] als voll haftendes,
zins- und tilgungsfreies Kapital unbefristet zur Verfügung steht und frei verfügbar (sofern
veräußerbar) ist. Es steht für die eigentliche Gründungs-, Wachstums-, Restrukturierungs-,
Sanierungs- und Innovationsfinanzierung zur Verfügung. Das Fremdkapital sollte für die
Finanzierung von Investitionen, Betriebsmitteln (Bestände, Forderungen, Liquiditätssprit-
zen) und Projekten eingesetzt werden. Zu erwähnen ist hierbei auch die Mikrofinanzierung,
d. h. die Fremdkapitalbereitstellung von vergleichsweise kleinen Beträgen, die aber dem
Finanzierungsbedarf vieler Ein-Personen-Gründungen entsprechen.

77 Mezzanines Kapital hilft in Wachstums-, Zwischenfinanzierungs- und Um-


bruchsphasen, ohne die bestehende Anteilsstruktur zu verwässern.

Diese Kapitalformen können auch nach ihrer Herkunft sowie nach der Ertrags- und Wert-
steigerungsorientierung unterteilt werden. Da mezzanines Kapital teilweise noch weniger
bekannt ist, sind hier die drei Einsatzzwecke kurz herausgestellt: „… mit mezzaninem Ka-
pital sollen die Finanzierung anstehender Eigentümerwechsel und die Lösung bestehender
Nachfolgeprobleme sowie Wachstumsfinanzierungen ermöglicht werden, ohne dass es zu
einer Verwässerung der Anteile bestehender Eigentümer kommt. Gezielt kann mezzanines
Kapital auch für die zeitlich verzögerte Beschaffung von reinem Eigenkapital eingesetzt
werden“ [1]. Angeboten wird mezzanines Kapital von Banken, öffentlichen Förderinstitu-
tionen und privaten Anbietern.

Abb. 7.2  Systematik der Finanzierungsquellen


222 7 Gründungsfinanzierung

7.4 Die Grundlagen und Erkenntnisse der Finanzierungstheorie

7.4.1 Finanzierungsbesonderheiten von Start-ups

Unter Finanzierungspolitik wird in Anlehnung an Kley [8] die aktive Gestaltung und Be-
einflussung der Angebots- und Nachfrageseite von Finanzierungsmitteln verstanden. Dabei
gilt es, die im Folgenden genannten spezifischen Besonderheiten hinsichtlich der Finanzie-
rung von Start-ups zu beachten. Denn die Start-up-Finanzierung wird immer wieder durch
genau diese Punkte erschwert. Von daher kann deren frühzeitiges Aufgreifen und gezieltes
Anbieten von Lösungen den Finanzierungserfolg befördern.

77 Selbstbestimmung und Unabhängigkeit sind Unternehmern häufig wichtiger


als rein ökonomische Vorteile.

a) Selbstbestimmung und Unabhängigkeit: Aus den Forschungen zu den psychologischen


Grundlagen des ökonomischen Handelns ist bekannt, dass die Akteure nicht immer
rein rational, sondern durchaus auch emotional und damit beschränkt rational handeln.
Unternehmer erachten ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit als höher einzustu-
fendes Gut als eine Beteiligung von externen Kapitalgebern an ihrem Unternehmen,
auch wenn dies ökonomisch vorteilhaft sein könnte. Ebenfalls diesem Bereich zuzu-
ordnen sind ökonomisch nicht vertretbare Privatentnahmen seitens der Eigentümer.
Hinzu kommt eine reservierte Haltung der Unternehmer gegenüber Publizität, was zu
erschwerten externen Beurteilungen der tatsächlichen Finanzsituation führt. Ein weiteres
Problem stellt in diesem Zusammenhang die quantifizierbare Bewertung der Person des
Inhabers als häufig zentralem Erfolgsfaktor für das Unternehmen dar.

77 KMU weisen im Vergleich zu Großunternehmen ein erhöhtes Insolvenzrisiko


auf.

b) Charakteristischer Insolvenzrisiko-Verlauf: Die Start-up-Finanzierung muss mit der


Hypothek leben, dass landläufig von einem erhöhten Insolvenzrisiko der Start-ups aus-
gegangen wird. Es können Situationen auftreten, in denen die Kapitalgeber den „Geld-
hahn“ zudrehen, weil sie dadurch größeren Schaden für sich verhindern wollen. Dies
kann unter Umständen zu früh geschehen, wenn die Ursachenanalyse für den Liquidi-
tätsengpass zu unscharf war. Hinzu kommt, dass das Thema Insolvenzrisiko differenziert
betrachtet werden muss. Nach den Zahlen von Creditreform Deutschland für 2014 [9]
verursachen Unternehmen mit einem Alter von weniger als zehn Jahren 60,3 % aller
Insolvenzen, allerdings mit rückläufiger Tendenz. Hingegen weisen die Unternehmen
mit einem Alter von mehr als zehn Jahren einen Anteil bei den Insolvenzen von 39,8 %
auf. Die Insolvenzquote ist bei Unternehmen mit einem Alter drei bis vier Jahren am
höchsten! Sie steigt von den ganz jungen Unternehmen aus erst an und sinkt dann kon-
tinuierlich ab.
7.4  Die Grundlagen und Erkenntnisse der Finanzierungstheorie 223

77 Bei der Suche nach Finanzierungen werden Start-ups mit größenbedingten


Nachteilen konfrontiert.

c) Größenbedingte Finanzierungsnachteile: Der Aufwand für eine Start-up-Finanzierung


ist im Verhältnis zur Finanzierungssumme für die Kapitalgeber zumeist relativ hoch.
Da die Fixkosten bei der Prüfung einer Finanzierung, sei es durch Eigen- oder Fremd-
kapital, relativ fest vorgegeben sind, ist eine Beschäftigung mit einem Kleinbetrag rein
ökonomisch uninteressant. Dies schränkt zugleich die Verfügbarkeit von Finanzierungs-
alternativen aufgrund erhöhter Transaktionskosten ein.
d) Kapitalmarktfähigkeit selten vorhanden: Start-ups sind zumeist zu klein, um sich –
zumindest zu Beginn – Finanzierungsmittel am offenen Kapitalmarkt beschaffen zu
können. Dies verengt den Spielraum, neue Finanzierungspartner zu gewinnen. Eine
Alternative bieten hier die Konzepte des Crowdfundings (sieheAbschn. 7.8).
e) Asymmetrische Informationsverteilung: Ein zentrales Problem der Start-up-Finanzie-
rung stellt die asymmetrische Informationsverteilung vor und nach Vertragsabschluss
zwischen den Start-ups und den Finanziers dar (hierauf wird in Abschn. 7.4.2 vertieft
eingegangen und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht). Dabei können zwei entgegenge-
setzte Fälle auftreten: einerseits der gegenüber dem Kapitalgeber aufgrund von Insider-
wissen besser informierte Kapitelnehmer, andererseits der aufgrund seiner langjährigen
Marktkenntnisse, z. B. in der Frage der Unternehmensbewertung, besser informierte
Kapitelgeber.

7.4.2 Auftreten von Marktfriktionen und Marktineffizienzen

77 Asymmetrische Informationsverteilung und eine ungünstige Transaktions­


kostenstruktur führen zu Ineffizienzen bei der Finanzierung.

Die Ursachen für im Bereich der Start-up-Finanzierung auftretende Marktfriktionen und


-ineffizienzen liegen im Bereich der asymmetrischen Informationsverteilung und der un-
günstigen Transaktionskostenstruktur. Diese Phänomene lassen sich mit den Erklärungsan-
sätzen der Neuen Institutionenökonomie verstehen und darauf aufbauend mit spezifischen
Maßnahmen abmildern.
Die finanzierungstheoretischen Grundlagen der Start-up-Finanzierung lassen sich zu
drei Annahmen verdichten [4]. Erstens sind die entsprechenden Markttransaktionen als
intertemporaler Tausch von Geldmitteln anzusehen. Zweitens dienen Finanzierungstitel
zur Gestaltung und Aufteilung (Transformation und Allokation) der gerade im Start-up-
Finanzierungsbereich auftretenden Investitionsrisiken. Drittens sind die Transaktionen
unter dem Gesichtspunkt der ungleich verteilten (asymmetrischen) Informationen bei den
Vertragspartnern zu analysieren, die zudem ihren individuellen Nutzen in den Vordergrund
stellen. Temporäre Übertreibungen wie ein Bewertungshype oder eine „Kreditklemme“
bleiben bei dieser Betrachtung außen vor.
224 7 Gründungsfinanzierung

77 Die neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie weist einen höheren Reali-


tätsbezug als die neoklassische Theorie auf.

Diese Argumente bewegen sich zum Teil außerhalb der Ansätze der neoklassischen Finan-
zierungstheorie mit ihren vollkommenen Märkten, vollständig kostenlosen Informationen
und allokationsneutralen Institutionen. Die neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie
mit der Hervorhebung der Rolle von Institutionen und der Analyse von spezifischen Trans-
aktionssituationen weist einen stärkeren Realitätsbezug auf. Dies geschieht zwar auf Kosten
der Allgemeingültigkeit der Aussagen und damit der Aufgabe einer homogenen Theorie,
dafür lassen sich reale Finanzierungsprobleme zutreffend analysieren und Lösungsansätze
ableiten. Allerdings werden die eingangs erwähnten emotionalen Faktoren weiterhin außer
Acht gelassen und der Homo oeconomicus bleibt als Leitfigur bestehen. Versteht man die
Finanzbranche hingegen als Ansammlung beschränkt rationaler Akteure, kommt man wie-
derum zu anderen Schlussfolgerungen und müsste diese theoretischen Grundlagen infrage
stellen. Diesen Überlegungen widmet sich Joseph Vogl in seinem Essay „Das Gespenst
des Kapitals“ [10].

77 Die Neue Institutionenökonomik hat drei Forschungsrichtungen hervorge-


bracht.

Drei Forschungsrichtungen sind im Bereich der (engen) Neuen Institutionenökonomik mit


ihren Systemen formaler und informaler Regeln einschließlich Durchsetzungsmitteln und
ihren Auswirkungen auf Transaktionen bzw. menschliches Verhalten zu unterscheiden:
Principal-Agent-Theorie, Transaktionskostenansatz und Property-Rights-Theorie [3, 11].
Denn es gilt: Bei jeder realen wirtschaftlichen Transaktion sind mindestens zwei Vertrags-
partner involviert, die jeweils eigene Interessen verfolgen, treten Transaktionskosten auf
und werden Verfügungsrechtspositionen berührt [12]3. Auf den konkreten Fall der Start-
up-Finanzierung bezogen, lassen sich diese drei Forschungsrichtungen in Kurzform wie
in Tab. 7.1 dargestellt interpretieren:
Aus diesen drei Forschungsrichtungen wurden die für den Fall der Start-up-Finanzierung
besonders interessanten Informationsasymmetrien abgeleitet. Diese lassen sich nach Art
der Informationsasymmetrie bezüglich vorhandener Werte, Erfolgsmöglichkeiten in der
Zukunft, zugrunde liegender Problemtypen und ihrem zeitlichen Auftreten im Rahmen des
Finanzierungsprozesses differenzieren (siehe Tab. 7.2; [4]).

7.4.3 Neue Institutionenökonomik mit Milderungsmechanismen

77 Die Neue Institutionenökonomik bietet Lösungsansätze für die Informationsa-


symmetrie.

3
Mit weiteren Zitaten zu den einzelnen Einflussfaktoren.
7.4  Die Grundlagen und Erkenntnisse der Finanzierungstheorie 225

Tab. 7.1  Ansätze der Neuen Institutionenökonomik

Leitidee Start-up-Finanzierung

Principal-Agent-Theorie Im Zentrum steht die Eigenkapitalgeber (Princi-


Modell zur Analyse von Bewältigung von Vertrags- pal) versucht, die Qualität
Kooperations- und Abhän- problemen zwischen einem und das Verhalten des
gigkeitsproblemen zwischen Auftraggeber (Principal) Gründer-(Teams)/des Start-
Wirtschaftssubjekten und einem Auftragnehmer ups (Agent) vor und nach
(Agent), die vor allem auf Vertragsabschluss einzu-
Messprobleme zurückzufüh- schätzen und mit seinem
ren sind. Rendite- und Risikoprofil zu
verbinden.
Transaktionskostenan- Bestimmten Transaktions- Beide Vertragsparteien
satz Ansatz zur Erklärung typen werden die passenden versuchen, ihre Anbah-
wirtschaftlicher Organisati- Beherrschungs- und Über- nungs-, Vereinbarungs-,
onsformen wachungsstrukturen (Markt, Abwicklungs-, Kontroll- und
Hierarchie oder Mischfor- Anpassungskosten über den
men) zugeordnet. Partner entweder via Markt-
oder Vertragslösung zu
minimieren.
Property-Rights-Theorie Individuelles Verhalten wird Bei der Fixierung der
(Verfügungsrechtstheorie) durch die Art der Vertei- Finanzierungsbeziehung in
Weiterentwicklung der neo- lung der Verfügungsrechte Vertragsform werden die Ge-
klassischen Mikroökonomie kanalisiert, da durch sie ein winnziehungsrechte sowie
unter Einbeziehung von Gefüge von Gratifikationen die Einfluss-, Kontroll- und
unvollkommener Informa- und Sanktionen festgelegt Vetorechte des Kapitalgebers
tion sowie des Rechts- und wird. gegenüber dem Start-up
Institutionenrahmens definiert.

Quelle: Kley, C. R., Mittelstands-Rating, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2003, mit weiteren
Zitaten zu den einzelnen Einflussfaktoren, angewandt auf Start-up-Finanzierung.

Tab. 7.2  Typen von Informationsasymmetrien

Informationsa­ Hidden Information Hidden Action Hidden Intention


symmetrie

Problemtyp Adverse Selection Moral Hazard (Ver- Hold-up (opportu-


(Marktversagen auf- haltensrisiken führen nistisches Ausnutzen
grund von Qualitäts- zu Agencykosten in von Vertragslücken)
unsicherheit) Bezug auf die Eigen-
und Fremdkapital­
beschaffung)
Zeitliches Vor Vertrags­ Nach Vertrags­ Nach Vertrags­
Auftreten abschluss abschluss abschluss

Quelle: Engel, R., Seed-Finanzierung wachstumsorientierter Unternehmensgründungen,


Wissenschaft & Praxis, Sternenfels, 2003.
226 7 Gründungsfinanzierung

Die Neue Institutionenökonomik belässt es jedoch nicht bei der Problemanalyse, sondern
entwickelt passende Milderungsmechanismen. In Tab. 7.3 werden die drei aufgezeigten
Problemtypen der Informationsasymmetrie konkretisiert und zugleich denkbare Milde-
rungsmechanismen speziell für den Bereich der Start-up-Finanzierung aufgezeigt [4]. Diese
Milderungsmechanismen beziehen sich auf den gesamten Finanzierungsprozess. Ihre Be-
achtung erleichtert für Start-up-Unternehmen die Verhandlung mit Kapitalgebern.

7.4.4 Beiträge der Finanzierungstheorien

77 Es existieren unterschiedliche Erklärungen für Finanzmarktfriktionen.

Die Forschungen zur Finanzierungs- und Finanzmarkttheorie liefern jeweils (isolierte)


Erklärungsansätze für das Auftreten von Finanzmarktfriktionen und die Entscheidungen
für eine bestimmte Kapitalstruktur der Unternehmen. Angesichts der umfangreichen the-
oretischen Herleitungen und der teilweise (stark) eingeschränkten Verwendbarkeit in der
Praxis wird an dieser Stelle auf eine Ausarbeitung verzichtet. Für eine vertiefte Auseinan-
dersetzung sei auf die einschlägige Literatur verwiesen.4

77 Unsichere Annahmen begrenzen die Aussagekraft der Theorien.

Als „kleines“ Fazit lässt sich festhalten, dass die Finanzierungs- und Finanzmarkttheorie
aufschlussreiche Erkenntnisse vermittelt, allerdings die Grenzen der Aussagekraft aufgrund
zu beschränkender Annahmen jeweils kritisch berücksichtigt werden müssen. Ein Rück-
griff auf empirische Ergebnisse der Kapitalstrukturforschung zeigt mehrheitlich folgende
Gesetzmäßigkeiten auf [4]:

• Erstens implizieren hohe Wachstumsraten von Unternehmen einen niedrigen Ver-


schuldungsgrad. Im Falle von wachstumsorientierten Gründungen mit weit in der
Zukunft liegenden und unsicheren positiven Rückflüssen sind die fremdkapitalindu-
zierten Agencykosten so hoch, dass Eigenkapital bevorzugt wird.
• Zweitens lassen sich die Kapitalstrukturunterschiede von Unternehmen verschiedener
Branchen auf deren Risikodifferenzen zurückführen.
• Drittens konnten überraschenderweise keine weiteren einheitlichen Ergebnisse zu
exogenen und endogenen Unternehmensrisiken ermittelt werden. Die Korrelation
zwischen den Kapitalstrukturen ist den empirischen Ergebnissen nach widersprüch-
lich (positiv, negativ, unkorreliert differenzierend).

4
Vgl. zu den Finanzierungstheorien [1, 4, 12]. Zu [1] in der Folge auch zu den Theorien für mezza-
nine Finanzierungen.
7.4  Die Grundlagen und Erkenntnisse der Finanzierungstheorie 227

Tab. 7.3  Problemtypen der Informationsasymmetrie

Problemtyp Einzelprobleme Milderungsmechanismus

Hidden Information Qualitätsunsicherheit Signalling: Eigeninvestitio-


a) bezüglich Gründer/­ nen der Gründer (bis an die
Unternehmer: Fähigkei- Grenze ihrer persönlichen
ten, Leistungsmotivation, Möglichkeiten), externe
Ausdauer, Risikopräferenz, Ratingurteile, Fakten und
emotionale Stabilität, Kre- Beurteilungen
ativität Screening: selbst definierter
b) bezüglich des Projekts/ Auswahlprozess, Unterstüt-
Unternehmens: Erfolgs- zung durch Spezialisten aus
höhe, -wahrscheinlichkeit, dem eigenen Netzwerk
Ressourcenbedarf, Koopera-
tionsmöglichkeiten
Hidden Action Niveau des Arbeitseinsatzes Monitoring: Durchführung
EK-induziert Versteckter Konsum eigener und/oder externer
Kapital- oder Gewinn­ Due Diligence, gestaf-
entnahmen felte Kapitalzufuhr gemäß
Beurteilung der Investiti- erreichter Meilensteine,
onsentscheidungen: Höhe, Vergütung der Gründer,
Risiko, Zeit Betreuungsleistungen und
Mitarbeit im Team
Bonding: Eigeninvestitionen
der Gründer, selbstbindende
Vertragsklauseln
Hidden Action Ausschüttungspolitik Monitoring: Rating/­
FK-induziert Nachfolgende Finanzierun- Kreditwürdigkeitsprüfung,
gen mit Verwässerungseffekt gestaffelte Valutaauszahlung
Investitionspolitik: Höhe, Bonding: Bereitstellung von
Risiko, Zeithorizont Sicherheiten
Insolvenzbedingte Probleme
Arbeitseinsatz und versteck-
ter Konsum
Hidden Intention Ausnutzen von Vertragslü- Personalpolitische Maß­
cken bezüglich zusätzlicher nahmen
Finanzmittel, verbesserter Interessenangleichung:
Vertragskonditionen und Kontroll-, Entscheidungs-
stärkerer operativer Unter- und Vetorechte, Aufbau
stützung gegenseitiger Abhängigkei-
ten, Eigeninvestitionen der
Gründer/Pfandhingabe
Vertrauen/Reputation im
Markt

Quelle: in Anlehnung an Engel, R., Seed-Finanzierung wachstumsorientierter Unterneh-


mensgründungen, Wissenschaft & Praxis, Sternenfels, 2003.
228 7 Gründungsfinanzierung

Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass die Forschungen zur Finanzierungs- und Fi-
nanzmarkttheorie noch im Fluss sind. Gesicherter sind die Erkenntnisse im Fall der nun
folgenden Darstellung der Institutionen des Finanzierungsmarktes.

7.5 Die Institutionen des Finanzierungsmarktes

7.5.1 Grundmuster: Direktbeziehungen und Intermediäre

Die Beziehungen der Partner am Finanzmarkt lassen sich nach der Direktheit ihrer Bezie-
hungen und nach dem Prozess ihres Zueinanderkommens unterscheiden. Den einfachsten
Fall stellt die direkte und unmittelbare Beziehung zwischen Kapitalgeber (Investor) und
Kapitalnehmer (Start-up) dar. Beide Parteien nehmen direkt miteinander Kontakt auf und
regeln ihre Vertragsbeziehung. Zum Beispiel investiert ein Unternehmer direkt in der Ide-
enphase in ein ihm aus dem persönlichen Netzwerk heraus bekanntes Gründerteam. Dieser
Fall lässt sich durch die Einschaltung einer Marktorganisation wie einer Internetbörse für
die Zusammenführung sich anfangs unbekannter Kapitalgeber und -nehmer erweitern. Für
innovative Technologie-Start-ups kommen auch gezielte Angebote wie die Dienstleistun-
gen von Business-Angel-Netzwerken wie zum Beispiel dem Business Angel Forum Region
Stuttgart oder dem Cyberforum Karlsruhe in Betracht.

77 Intermediäre übernehmen eine Mittlerrolle zwischen Kapitalgeber und Kapi-


talnehmer.

Die Mittlerrolle können auch Intermediäre einnehmen, die eine vertragliche Rolle zwi-
schen beiden Parteien ausüben. Auf der einen Seite refinanzieren sie sich bei den Inves-
toren, auf der anderen Seite gehen sie eine Finanzierungsbeziehung zu den Start-ups ein.
Hierzu zählen als Intermediäre im engeren Sinne vor allem direkt investierende Venture-
Capital-Gesellschaften. Im weiteren Sinne zählen auch solche Institutionen dazu, die den
Vertragsabschluss als Makler oder Berater lediglich herbeiführen und unterstützende Be-
treuungsleistungen moderieren. Diese Intermediäre sind sowohl in den Bereichen der Grün-
dungs- als auch der Nachfolgefinanzierung aktiv. Allerdings ist aus Start-up-Sicht dringend
vorrangig, ihre Seriosität zu prüfen, da sich in diesem Markt auch nicht vertrauenswürdige
Firmen bewegen.

7.5.2 Nachfrager: Unternehmenstypen

77 Die verschiedenen Gründungsarten erfordern spezifische Finanzierungslösun-


gen.

Die Finanzierungsstrukturen, die beteiligten Institutionen und die verbundenen Dienst-


leistungen lassen sich nach der Art der Gründung und des damit verbundenen Grün-
7.5  Die Institutionen des Finanzierungsmarktes 229

dungs- und Unternehmenstyps unterteilen. Dies ist für eine differenzierte Zuordnung
der geeigneten Finanzierungsmittel und -institutionen erforderlich. Grundsätzlich las-
sen sich sechs verschiedene Gründungsarten unterscheiden: 1. Imitierende Existenz-
gründung, 2. Innovative Unternehmensgründung, 3. Management-Buy-out (MBO) oder
Management-Buy-in (MBI), 4. Familieninterne Nachfolge, 5. Spin-off/Ausgründung,
6. Franchise. Für jede dieser Gründungsarten muss eine spezifische Finanzierungslösung
aufgestellt werden, um den Anforderungen und Zielsetzungen aller beteiligten Partner
gerecht zu werden. Tabelle 7.4 stellt die damit verbundenen Einzelaspekte im Überblick
dar [2].

7.5.3 Anbieter: Kapitalgeber

Die Marktgegenseite für die Kapital suchenden (Gründungs-)Unternehmen kann ebenfalls


in verschiedene Kategorien unterteilt werden: Freunde und Familie, Business Angels, In-
kubatoren, Venture Capitalists, Corporate Venture Capitalists, Leasinggeber und Factoring-
Anbieter, öffentliche Fördermittel, Kunden und Lieferanten, Banken und Kapitalmarkt. In
der Folge werden diese Anbieter jeweils kurz anhand von Kriterien charakterisiert. Diese
umfassen zum einen finanzwirtschaftliche Kriterien wie Finanzierungsvolumen, zeitliche
Verfügbarkeit, Finanzierungsdauer, Kosten der Kapitalbeschaffung und Kündigungsrechte,
zum anderen betriebswirtschaftliche Kriterien wie die Unterstützung bei der Gründung,
Führungsunterstützung und Zusatznutzen wie Kontakte und Referenzen. Weitere Kriterien
sind der Grad der Unabhängigkeit des Unternehmers und die Trennschärfe zwischen beiden
Parteien.

77 Freunde und Familie stellen (rasch) Mittel zu günstigen Konditionen bereit. Im


Falle des Scheiterns drohen aber emotionale Konflikte.

• Freunde und Familie: Gründer können neben ihren eigenen Mitteln auch diejenigen
von Freunden oder Familienangehörigen in das Unternehmen investieren, vorausge-
setzt, die emotionale Bereitschaft dazu besteht und die Mittel sind kurzfristig ver-
fügbar. Zudem muss der Eigen- oder Fremdkapitalcharakter der Mittel geprüft und
entsprechend verbucht werden. Die Finanzierungskosten sind frei verhandelbar und
daher tendenziell günstig. Die Finanzierungshöhe hängt entsprechend vom familiären
Hintergrund ab. Aus Start-up-Sicht sind vor allem die emotionalen Aspekte dieser
Finanzierungsquelle kritisch zu beachten.

77 Business Angels bieten einigermaßen unbürokratisch Eigenkapital und zu-


meist praktische Erfahrungen und Mitwirkungen.

• Business Angels: Privatperson, die direkt in Jungunternehmen in der Ideen- und


Frühphase investiert und informelle, aber auch praktische Unterstützung bietet. Busi-
ness Angels finden sich entweder im privaten Netzwerk oder über speziell eingerich-
230 7 Gründungsfinanzierung

tete Foren [13]5. Gemäß empirischen Untersuchungen [[6], S. 321; [15]] lässt sich
ein typischer Business Angel anhand einiger Eckpunkte charakterisieren: Es handelt
sich fast immer um Männer, die im Schnitt um die 50 Jahre alt sind und in der Regel
eigene unternehmerische Erfahrungen mitbringen. Sie investieren vorzugsweise in
der Seed- und Start-up-Phase und stellen ca. 20 % ihres Vermögens zur Verfügung. Im
Schnitt investieren sie zwischen 150.000 und 500.000 EUR in ein bis fünf Projekte
pro Jahr. In etwa einem Drittel der Unternehmen arbeiten sie aktiv mit und in gut der
Hälfte der Fälle stehen sie zumindest zeitweise („hands-on“) zur Verfügung. Nach En-
gel [4] können Business Angels anhand der Bereitstellung von Kapital, Sachmitteln,
Betreuung und Netzwerk unterschieden werden. Dabei reicht die Bezeichnungsbreite
von Big Boys (Kapital) über Landlords (Sachmittel), Co-Founder (aktive Betreuung,
Netzwerk, auch Kapital) und Godfathers (vor allem Netzwerk/Betreuung) bis hin zu
Cowboys (bis auf Sachmittel alle Dienste). Die Verfügbarkeit der Mittel ist relativ
kurzfristig (bis ca. zwei Monate) und im Vergleich zu Venture Capitalists trotz der
Professionalität eher unbürokratisch. Die Renditeerwartungen liegen grob um die
20 %. Für Start-ups sind Business Angels in der Regel eine interessante Option, da sie
unkomplizierter und tatkräftiger agieren als Venture Capitalists. Allerdings ist auch
hier eine Seriositätsprüfung unbedingt erforderlich.

77 Inkubatoren steigern die Überlebensfähigkeit junger Unternehmen.

• Inkubatoren: Diese Institutionen kümmern sich um das „Ausbrüten und die


Aufzucht“ junger Unternehmen. Dies geschieht vielfach im Umfeld von Hoch-
schulen, Großunternehmen, Internetkonzernen oder industriellen Clustern. Die
damit verfolgten Ziele liegen in der Steigerung der Überlebensfähigkeit der jungen
Unternehmen, der Verkürzung des Zeitraumes bis zum Markteintritt sowie in der
Bereitstellung oder Vergünstigung von Ressourcen. Inkubatoren unterstützen ihre
Start-ups auch im Zuge der Vermittlung von Fördermitteln. Mittlerweile verfügen
viele Hochschulen, Städte/Gemeinden und gerade auch Internet-Firmen über solche
Inkubatoren-Angebote. Als Beispiel kann hier das STARTFELD in St. Gallen mit
einem Verein für Beratung & Coaching, einer Stiftung für Erstfinanzierungen und
einem Immobilienprojekt für günstige Räumlichkeiten angeführt werden. START-
FELD wurde 2009 als Kooperation zwischen drei Hochschulen und Forschungsein-
richtungen sowie der Stadt St. Gallen und drei Ostschweizer Kantonen gegründet
(www.startfeld.ch).

77 Venture Capitalists investieren in schnell wachsende Unternehmen und erhal-


ten dafür Anteile und Rechte am neuen Unternehmen.

Mit einer Reihe von Business-Angels-Netzwerken auf nationaler, regionaler und privater Ebene.
5

Einblicke in das VC-Geschäft gewährt ebenfalls [14].


7.5  Die Institutionen des Finanzierungsmarktes 231

• Venture Capitalists (VC):6 Venture Capitalists sind auf befristete Risikokapitalbe-


reitstellung spezialisierte Unternehmen oder Fonds, die in rasch wachsende (junge)
Unternehmen investieren und dafür Informations-, Kontroll- und Mitspracherechte
vertraglich vereinbaren sowie zumindest passive Führungsunterstützung anbieten.
Venture Capital wird entweder direkt von Unternehmen (Corporate Venture Capital)
oder institutionellen Captive Fonds (mit Banken, Versicherungen, Pensionsfonds oder
Privatpersonen als Investoren) zur Verfügung gestellt oder aber indirekt von unab-
hängigen Finanzintermediären (projektweise) bereitgestellt. Dies erfolgt zumeist in
gestaffelter (schrittweiser) Form, um die Principal-Agent-Problematik in den Griff zu
bekommen. Die Prüfung eines Investments erfolgt über etwa sechs Monate hinweg,
die Renditeerwartung liegt bei 20 % und mehr. Die Herkunft der meisten Venture
Capitalists aus der Finanzbranche macht das Hinzuziehen von Fachexperten zur Beur-
teilung der Start-ups erforderlich. Baumgärtner leitet aus seiner empirischen Untersu-
chung der (zumeist fehlenden) Portfoliosteuerung von Venture-Capital-Gesellschaften
folgende Handlungsempfehlungen ab: Steigerung der Effizienz des Deal Flows, hohe
Gewichtung von markt- und portfoliobezogenen Kriterien bei der Beteiligungsprü-
fung, Einsatz von externen Dritten zur Prüfung des Managementteams, Intensivierung
des Einsatzes von mezzaninen Finanzinstrumenten, Verbesserung des laufenden Mo-
nitorings und verbesserte Exit-Planung [16]. Aus Sicht des Start-ups ist der Vorteil der
Akquirierung eines vergleichsweise hohen Kapitalbedarfs dem Nachteil der Abgabe
von Anteilen und Macht am Unternehmen gegenüberzustellen. Zudem ist auf die Seri-
osität und Verhandlungstaktik zu eigenen Gunsten des Venture Capitalists und dessen
nicht nur rein opportunistischen Interesses zu achten. VC ziehen sich immer stärker
aus der Gründungsfinanzierung zurück und konzentrieren sich auf spätere Unterneh-
mensphasen und Buy-outs. Für Start-ups haben sie damit (außer für wenige Technolo-
gie- und Internetgründungen) nicht die Bedeutung, die ihnen die Literatur beimisst.
• Corporate Venture Capital (CVC): Von einem Unternehmen direkt oder indirekt in
interne oder externe (Technologie-)Unternehmen investiertes Risikokapital. Es ver-
folgt damit strategische und finanzielle Zielsetzungen (vgl. Kap. 12 „Corporate Entre-
preneurship“). CVC wird zumeist von börsenkotierten Konzernen oder größeren mit-
telständischen Unternehmen eingeführt. Aus Sicht des Start-ups bieten sich hier mit
einem strategisch passenden und seriösen Partner interessante Wachstumsoptionen,
die allerdings mit der Preisgabe der strategischen und finanziellen Selbstbestimmung
erkauft werden müssen. Erfolgreiche Beispiele für CVC-Unternehmen sind T-Venture
der Deutschen Telekom, Swisscom Ventures, Robert Bosch Venture Capital, Novartis
Venture Fund oder die CVC-Arme der Medienhäuser und Verlage Axel Springer AG,
Ringier AG und Tamedia AG.
• Leasinggeber und Factoring-Anbieter: Beide sind als Finanzierungsalternativen
anzusehen, die es besonders Unternehmen mit geringer Eigenkapitalbasis und man-

6
Eine Liste registrierter VCs findet sich bei den jeweiligen nationalen sowie der europäischen Ven-
ture Capital Association(s).
232 7 Gründungsfinanzierung

gelnden Sicherheiten ermöglichen, ihre Liquiditätsbestände zu schonen. Im Einzelfall


müssen jedoch die Konditionen und Kosten genau geprüft werden. Für Start-ups sind
diese Konditionen einerseits verlockend, da hohe Anschaffungskosten vermieden
werden können. Jedoch besteht die Gefahr, sich einen Fixkostenblock aus betrieblich
(zumindest in diesem Ausmaß) nicht notwendigen Gütern anzuschaffen

77 Deutschland und Österreich stellen öffentliche Fördermittel in hohem Umfang


zur Verfügung. In der Schweiz gibt es hingegen wenig öffentliche Mittel für
private Unternehmen einzuwerben.

• Öffentliche Fördermittel: Diese stellen vor allem in Deutschland und Österreich


gemäß dem Global Entrepreneurship Monitor-Report (GEM-Report) eine wichtige
Rolle bei der Start-up-Finanzierung dar. Einen Angebotsüberblick bietet das Internet.
In der wirtschaftspolitisch freieren Schweiz spielt die Finanzierung durch Zuschüsse,
Subventionen oder Fördermittel zumindest für den dem Wettbewerb ausgesetzten Teil
der Wirtschaft eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wird seitens der Wirtschaftspoli-
tik stärker auf die Gestaltung weniger regulierter Rahmenbedingungen bei attraktivem
Steuersatzniveau gesetzt. Für Details sei auf die einschlägigen Internetauftritte der
Förderinstitutionen und -banken verwiesen (in Deutschland z. B. die Kreditanstalt
für Wiederaufbau (KfW-Bankengruppe) und die jeweiligen Landesbanken, in der
Schweiz die Initiative CTI-Start-Up und in Österreich die Austria Wirtschaftsservice
GmbH). Gerade in Deutschland und Österreich bieten die vielfältigen Angebote häu-
fig genutzte Startfinanzierungen. In der Schweiz gibt es hingegen kein derart ausge-
bautes Angebot, dafür sind die unternehmerischen Rahmenbedingungen vorteilhafter.
Die KTI (Kommission für Technologie und Innovation)-Finanzierung stellt hier eine
Ausnahme dar. Zu ihrer Gewinnung muss das Start-up jedoch technologieorientierte
Forschungen mit Hochschulen durchführen.
• Kunden und Lieferanten: Die Finanzierung über das Austarieren der Debitoren- und
Kreditorenströme ist grundsätzlich eine Möglichkeit, die aber je nach Geschäftsmo-
dell und Geschäftspartnern an gewisse Durchsetzbarkeitsgrenzen stoßen kann. Für
Start-ups interessant sein kann eine Finanzierungs-Partnerschaft mit einem zukünf-
tigen Kunden, sofern es noch gemeinsamen Forschungsbedarf gibt, der vorfinanziert
werden muss. Lieferanten sind in der Regel weniger für solche Sonderregelungen zu
gewinnen.

77 Die Start-up-Finanzierung ist für viele Banken ein wichtiges Geschäftsfeld,


allerdings mit Schwerpunkt im gewerblichen Bereich. In der Schweiz hingegen
ist die Zürcher Kantonalbank mit der größte Start-up-Eigenkapital-Financier.

• Banken: Aufgrund der teilweise niedrigen Eigenkapitalquoten und der Auswirkun-


gen von Basel II steht die Finanzierung über Banken in Deutschland in der Diskus-
sion. Die Start-up-Finanzierung stellt für viele Banken einen wichtigen Pfeiler ihres
Geschäftes dar, ist aber gleichzeitig den genannten Anforderungen an die Eigen-
7.5  Die Institutionen des Finanzierungsmarktes 233

kapitalunterlegung der Banken selbst unterworfen und kann deshalb im Einzelfall


bzw. für gewisse Branchen zu Kreditfinanzierungsengpässen führen. In Deutschland
übernehmen die Banken die Rolle des Finanzierungspartners der KfW-Bankengruppe
mit ihren öffentlichen Förderprogrammen. Die Konditionen sind je nach Programm
unterschiedlich, liegen aber zumeist ab 1–2 % effektiver Jahreszins bei mittleren bis
längeren Laufzeiten (Stand April 2015). Konkrete Unterstützung ist allerdings weni-
ger zu erwarten, dafür über den KfW-Programmfinder eine hilfreiche Suchfunktion
nach geeigneten Programmen.

77 Wachstumsunternehmen können in „geöffneten Börsenfenstern“ Eigenkapital


an der Börse erhalten.

• Kapitalmarkt: Der offizielle Kapitalmarkt steht über das Instrument der Börsengänge
(IPOs) in den verschiedenen Börsensegmenten in den einzelnen Ländern auch jungen
Wachstumsunternehmen zur Verfügung. Hingegen bietet auch der graue Kapitalmarkt
gewisse Finanzierungsmöglichkeiten, die allerdings einer kritischen Seriositätsprü-
fung unterzogen werden sollten. Für die Start-up-Finanzierung kommt dies vor allem
für schnelles Wachstum zeigende und anstrebende Internet-Unternehmen (in den USA
oder China) in Betracht.
• Stiftungsmittel: Eine zusätzliche Variante stellen Stiftungsmittel dar. So stehen in
der Schweiz hinter den Gründungsfinanzierungs-Angeboten des IfJ (Institut für
Jungunternehmen) in St. Gallen mit VentureKick und VentureLab schweizweit tätige
Stiftungen. Neu am Markt ist die Stiftung STARTFELD, welche in der Ostschweiz
Gründungsprojekte des Vereins STARTFELD finanziert und hinter der finanziell die
St. Galler Kantonalbank steht.

Tabelle 7.4 gibt einen Überblick, welche Finanzierungsquellen sich je nach Art der Grün-
dung eignen, um deren typischer Finanzierungsstruktur und den damit verbundenen Dienst-
leistungen gerecht zu werden.

Tab. 7.4  Arten der Gründung

Charakteristika/ Finanzierungs­ Finanzierungs­ Verbundene Dienst­


Zweck struktur institution leistungen

Imitierende Existenzgründung
> 90 % der Fälle, Eine Finanzierungs- Banken, öffent- Passive Bereitstel-
Sicherung des runde, Eigenkapi- liche Hand in lung von Formularen/
Lebensunterhalts, tal des Gründers, Kombination mit Software-Tools
kurze Zeit bis öffentliche Förde- Hausbank
zum Betrieb, vor rung, Bankkredit bei
allem Handwerk, Sicherheiten
Dienstleistungen,
Einzelhandel
234 7 Gründungsfinanzierung

Tab. 7.4  (Fortsetzung)

Charakteristika/ Finanzierungs­ Finanzierungs­ Verbundene Dienst­


Zweck struktur institution leistungen

Innovative Unternehmensgründung
Komplexe/tech- Mehrere Finanzie- Business Angels Verknüpfung von Tech-
nisch innovative rungsrunden, Start (-Konsortien), nologie-, Marketing-,
Geschäftsidee, mit 100 % Eigenka- Venture Capi- Controlling- und Perso-
Teamgründung, pital, schrittweise talists aller Art, nalführungs- / Teament-
lange Anlaufphase, Beteiligung von Anleger wicklungsprozessen,
unsichere Kun- Business Angels, strategische Beratung,
denbedürfnisse, dann Venture Capita- Aufbau von Geschäfts-
Time-to-Market lists sowie mezza- partnerschaften
entscheidend nine Instrumente,
evtl. mit Börsengang
MBO oder MBI
Geschäftsführung/ Beispielfinanzierung: Venture Capi- Aufstellen eines
Management über- ca. 15–25 % Eigen- talists / Private- Finanzierungskonzepts
nimmt Unterneh- kapital, ca. 40–60 % Equity-Fonds, unter Berücksichtigung
men von abtreten- Fremdkapital, ca. Banken, stille der generierbaren Free
dem Unternehmer 20–30 % mezzanine Beteiligungsge- Cashflows sowie der
oder kauft es aus Mittel, i. d. R. ein- sellschaften (auch persönlichen Voraus-
Konzern heraus, bei malige Fixierung für öffentliche) setzungen, strategische
MBI kommt Käufer 5–8 Jahre Begleitung
von außen
Familieninterne Nachfolge
Junior(en) über- Eigenkapital, selbst Banken Konzipierung einer
nimmt (überneh- erwirtschaftete Mit- integrierten Nachfol-
men) Geschäfts- tel, Schließung der gelösung mit Berück-
führung und Lücke durch Bank- sichtigung der Bereiche
Kapitalanteile von kredite oder private Unternehmen, Recht,
Senior(en) mezzanine Mittel Steuer, Psychologie,
Vermögenslagen
Spin-off/Ausgründung
Unternehmen / Eigenkapital, Lizenz- Beteiligtes Unter- Begleitung des Spin-
Hochschule gliedert einnahmen, teilweise nehmen, teilweise offs in den Markt durch
Teil seiner / ihrer Mittel des ausgrün- öffentliche För- Bereitstellung von
Aktivitäten / For- denden Unterneh- dermittel Kunden / Netzwerkkon-
schungen in neu ge- mens als Startkapital takten oder Ressour-
gründetes / teilweise cenunterstützung
noch verbundenes
Unternehmen aus
Franchise
Übernahme/Angebot Franchisegebühr und Private Konstruk- Markenaufbau
fertige Geschäfts­ Lizenzregelungen tion
idee und -modell
7.5  Die Institutionen des Finanzierungsmarktes 235

Unternehmerprofil: Tobias Kamm und Steffen Sator – Die Out-Trade GmbH


Die Out-Trade GmbH entwickelte sich seit ihrer Gründung im Jahre 2002 vom Impor-
teur von Faltbooten eines bis dato in Deutschland nahezu unbekannten russischen Her-
stellers (Triton) zum „Faltbootzentrum“, das mittlerweile über das größte Sortiment an
Faltkajaks, Faltkanadier und Luftbooten sowie dem dazugehörigen Equipment in Europa
verfügt und heute neben dem Endkundengeschäft hauptsächlich den Handel europaweit
beliefert. Die rasche Sortimentsdiversifizierung und das damit einhergehende Wachstum
des Unternehmens erfordern unter anderem eine solide Finanzplanung, die kontinuier-
lich neuen Anforderungen gerecht werden muss und somit den Erfolg der Out-Trade
GmbH sichert. Entscheidend ist, dass dieses Finanzierungskonzept den Werten und Ein-
stellungen der Gründer – und damit dem Unternehmerprofil – entspricht.
Die beiden Gründer, Tobias Kamm und Steffen Sator, haben von Anfang an darauf
Wert gelegt, dass ihr Unternehmen aus eigener Kraft wachsen kann. Unterstützt wird
dieses Wachstum „nur“ durch einen Bankkredit, nicht aber durch mitbestimmende Ri-
sikokapitalgeber.

77 Für Out-Trade kam nur eine Finanzierung ohne Abgabe von Vermögensantei-
len infrage.

Deshalb kam für die Out-Trade GmbH von Anfang an – abgesehen von diesem initialen
Kreditbedarf – nur eine Finanzierung ohne Beteiligung Dritter infrage. Die Gründe waren
damals wie auch heute dieselben. Man will sich die Unabhängigkeit so weit wie möglich
bewahren und sämtliche Entscheidungen ohne die Mitsprache von Fremdkapitalgebern
treffen können. Diese Vorgehensweise hat sich im Fall der Out-Trade GmbH bis heute
bewährt. Die Voraussetzungen dafür waren einerseits der relativ geringe Kapitalaufwand
in der Gründungsperiode und andererseits ein detaillierter Business- und Finanzplan.
Der Kapitalbedarf für die Gründung sollte ursprünglich durch das ERP-Existenz-
gründungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gedeckt werden. Al-
lerdings stellte sich schnell heraus, dass die Finanzierung über die Hausbank schneller
und unbürokratischer zu realisieren war. Aufgrund der ausführlichen Planung des Fi-
nanzbedarfs und eines überzeugenden Businessplans konnten mit der Hausbank pas-
sende Konditionen ausgehandelt werden. Analog zur positiv abweichenden Geschäfts-
entwicklung im Vergleich zum Businessplan musste auch die Finanzplanung laufend
angepasst werden.
Dem ursprünglichen Businessplan lag eine relativ konservative Einschätzung in
Bezug auf Umsatz, Gewinn und die Geschäftsentwicklung im Allgemeinen zugrunde.
Diese vorsichtige Planung führte dazu, dass die Planzahlen deutlich übertroffen wur-
den (der Umsatz im ersten Geschäftsjahr war beispielsweise mehr als dreimal so hoch
wie ursprünglich angenommen), und dieses rasche Wachstum musste auch finanzseitig
sichergestellt werden.

77 Out-Trade nutzt ein Planungs- und Steuerungssystem, das die dynamische


Entwicklung des Unternehmens berücksichtigt.
236 7 Gründungsfinanzierung

Als Konsequenz ergab sich der Aufbau eines Planungs- und Steuerungssystems, wel-
ches die dynamische Entwicklung berücksichtigt und somit die Liquidität des Unter-
nehmens langfristig sichert. Eine realistische Planung und ein gesundes Wachstum
ohne Überschuldung und Fremdfinanzierung stehen auch hierbei nach wie vor im Vor-
dergrund. Die längerfristige Planung beinhaltet die Anpassung des Businessplans in
strategischer und finanzieller Hinsicht alle ein bis zwei Jahre, ausgehend von einem
Planungshorizont von drei bis vier Jahren. Daneben sorgen die Jahresbudgetierung und
eine monatliche Finanzplanung für die kurzfristige Sicherung der Liquidität. Mithilfe
der eingesetzten ERP-Software ist ein tagesaktuelles Reporting bezüglich der GuV,
Bilanz, Liquidität und der dazugehörigen Kennziffern möglich.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die verlässliche Planung und Steuerung der fi-
nanziellen Ressourcen einen der wichtigsten Grundpfeiler des Unternehmens darstellt.
Kapitalintensive Investitionen, wie beispielsweise der Um- und Ausbau von Ausstel-
lungsräumen oder die internationale Marktbearbeitung, erfordern eine genaue Planung,
Steuerung und Kontrolle der finanziellen Ströme. So wird sichergestellt, dass dem Un-
ternehmen auch in Zukunft der Slogan „… Faltboote erleben“ im wahrsten Sinne des
Wortes als Maxime dient. Mittlerweile sind die beiden Gründer unter einer eigenen
Marke „nortik“ auch in die Eigenentwicklung von Faltbooten eingestiegen, sogar in
Booten aus Holzskelett kann mittlerweile, mit entsprechender Zuladung, gefaltet und
gepaddelt werden.
In den letzten Jahren konnte der Wachstumspfad weiter beschritten werden, und
auch der Jahresüberschuss steigt gemäß beim Bundesanzeiger hinterlegten Bilanzen
2010–13 stetig an.
Quelle: Sator, Steffen, Gründer und Geschäftsführer der Out-Trade GmbH.

7.6 Die Inhalte des (Risiko-)Finanzierungsprozesses

Nach der Analyse des Finanzierungsmarktes werden im Folgenden die einzelnen Finan-
zierungsschritte sowie die erforderlichen Vertragsinhalte aufgezeigt.

7.6.1 Finanzierungsschritte und Vertragsinhalte


bei Risikokapitalfinanzierungen

Im Falle einer grundsätzlichen Einigung zwischen einem Start-up und einem Risikokapital-
finanzierungspartner werden entsprechend den eingangs aufgezeigten Finanzierungsphasen
die einzelnen Schritte mit entsprechenden Inhalten vertraglich fixiert. Dieser Prozess kann
zum einen nach den Phasen Early, Expansion, Later Stages unterteilt werden, zum anderen
nach den bis zu acht Schritten des Verhandlungs- und Zusammenarbeitsprozesses [2].

77 Der Ablauf der Gründungsfinanzierung reicht von der Partnersuche bis zur
Exit-Planung.
7.6  Die Inhalte des (Risiko-)Finanzierungsprozesses 237

Der Ablauf einer Gründungs-Finanzierung verläuft quasi analog einem partnerschaftlichen


Beziehungsaufbau im Privatleben, zumindest wenn neben den emotionalen auch finanzielle
Faktoren eine Rolle spielen. Der Prozess beginnt mit der aktiven Suche nach Beteiligungs-
projekten bzw. -partnern. Danach erfolgt die erste Kontaktaufnahme. Diese kann direkt oder
via Vermittler („Matching“) erfolgen. Anschließend wird eine Grobanalyse durchgeführt, bei
der die persönlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse geprüft werden („Scree-
ning“). Abgeschlossen wird dieser Schritt mit einer Absichtserklärung („Letter of Intent“),
die allerdings mehr symbolische denn rechtsverbindliche Bedeutung hat. Es folgt auf der
Grundlage der Grobanalyse eine detaillierte Prüfung der wirtschaftlichen und rechtlichen
Verhältnisse („Due Diligence“). Damit verbunden ist eine Unternehmensbewertung, um
eine Grundlage für das Verhältnis von einzuzahlendem Betrag und Aktiengegenwert zu
erhalten. Ein verfeinerter Investmentvorschlag legt dann die angestrebte Strukturierung
der Beteiligung offen. Weitere Verhandlungsrunden schließen sich an, die zu einer Beteili-
gungsentscheidung führen.
Anschließend wird das Investment vollzogen, und es folgt die Betreuungs- und Kon-
trollphase. In dieser arbeiten Gründer und Investoren je nach Vereinbarung mehr oder
weniger eng zusammen. Den eigentlichen Abschluss der Zusammenarbeit stellt der Aus-
stieg („Exit“) dar. Hierfür stehen im Wesentlichen fünf Alternativen offen: Die Anteile
des Investors können an die Gründer wieder zurückverkauft werden („Buy Back“), was
allerdings nur bei einer ausreichenden Kapitalstärke, kleineren Aktienpaketen und einer
entsprechenden Ertragskraft des Unternehmens gelingen dürfte. Die Anteile können an
weitere Investoren verkauft werden („Secondary Purchase“), die an einer finanziellen oder
strategischen Beteiligung interessiert sind. Der Verkauf kann aber auch an ein anderes Un-
ternehmen erfolgen, beispielsweise an einen komplementären Anbieter derselben Branche,
der neben strategischem auch operatives Interesse an einer engen Partnerschaft hat. Dieser
sogenannte „Trade Sale“ hat sich zu einem wichtigen Exit-Kanal im Falle der Fortführung
des Unternehmens entwickelt. Aussicht auf den höchsten Verkaufserfolg hat ein Investor
bei einem Börsengang (IPO) an den dafür spezialisierten Börsensegmenten in den einzel-
nen Ländern. Nicht vergessen werden darf eine durchaus häufige Exit-Variante, über die
aber verständlicherweise nur ungern gesprochen wird, die Liquidation bzw. Insolvenz des
Investments.

77 Bei einer Risikokapitalfinanzierung müssen sich Kapitalgeber und -nehmer


in einem Beteiligungsvertrag einigen.

Der Abschluss einer solchen Risikokapitalfinanzierung ist durch branchentypische Spe-


zialitäten gekennzeichnet. Hierzu muss in der Regel eine Einigung über folgende Punkte
erzielt werden: wirtschaftliche und rechtliche Position des Kapitalgebers, Auflösungsmög-
lichkeiten seitens des Kapitalgebers ohne allzu große Benachteiligung der Unternehmer,
Bindung der Gründer an das Unternehmen und die verabredeten Meilensteine sowie klare
Verteilung der Entscheidungsrechte im Falle von erforderlichen Vertragsanpassungen. Im
Mittelpunkt steht der Beteiligungsvertrag, der die zentralen Aspekte regelt: Finanzierungs-
instrumente, Kopplung der Auszahlungen an das Erreichen von Meilensteinen, Mitwir-
238 7 Gründungsfinanzierung

kungs-, Informations-, Kontroll- und Vetorechte. Dazu kommen das Vorgehen bei einer
Kapitalerhöhung, die Aufnahme weiterer (Finanzierungs-)Partner sowie die Bindung der
Gründer und ihrer vollen Arbeitskraft an das Unternehmen. Zusätzlich gehören noch Ver-
wässerungsschutzklauseln, Exit-Regelungen auch bei Insolvenz, Vorerwerbs-/Mitveräuße-
rungsregelungen, Patente und Schutzrechte, Optionspläne der Gründer und Optionsrechte
der Kapitalgeber, Aktionärsbindungsverträge, Stimmrechte, Bewertungsregeln, Besetzung
des Aufsichts- oder Verwaltungsrats, Gewinnverwendungen und Nachschusspflichten bei
Kapital-/Liquiditätsengpässen zu den relevanten Aspekten.

77 Risikokapital ist die teuerste Finanzierungsquelle, verhältnismäßig kompliziert


zu beschaffen, mit Mitsprache- und Kontrollrechten versehen, aber auch das
Instrument zur Umsetzung ambitionierter Wachstumspläne.

Die Regelung all dieser Punkte führt dazu, dass Risikokapitalbeteiligungen in der Regel
drei bis sechs Monate Verhandlungszeit benötigen. Dies kann im Falle eines nur kurzfris-
tig offenen strategischen Fensters im Markt (Timing des Markteintritts) unter Umständen
schon zu lange dauern, zumal durch die Verhandlungen die Arbeitskraft der Gründer in
weniger produktive und kreative Bereiche gelenkt wird. Von daher muss festgehalten wer-
den, dass Risikokapital die vergleichsweise teuerste und zumeist auch zeit- und ressour-
cenaufwendigste Finanzierungsform darstellt. Alternativen dazu bieten in jüngster Zeit
aufgekommene Crowdfunding-Ansätze sowie demokratisierte Venture-Capital-Formen,
die versuchen, kleinere Kapitalbeträge zu standardisierten Konditionen für die Gründungs-
finanzierung praktikabel zu machen. Hierzu dann auch das abschließende Fallbeispiel
(Abschn. 7.8).

7.6.2 Unternehmensbewertungen bei Start-ups

Im Zuge der Verhandlungen zwischen Investoren und Gründern muss die Frage der Unter-
nehmensbewertung – und damit des Wertes der einzelnen Anteile – gelöst werden. In der
Praxis ähnelt die Bestimmung eines Unternehmenswertes teilweise mehr einer Veranstal-
tung auf einem Jahrmarkt als einer seriösen Wissenschaft, da eine Reihe von Einfluss- und
Manipulationsfaktoren zu beachten sind. Von daher empfiehlt es sich, mehrere Bewertungs-
methoden durchzuspielen, um eine einigermaßen objektive Größenordnung des Wertes
zu erhalten, um danach, mit dem Wissen über die entscheidenden Manipulationsfaktoren,
in die Verhandlungen zu gehen. Gemäß Wipfli lassen sich sechs Einflussfaktoren auf den
Unternehmenswert identifizieren [17]:

1. Management/Gründerteam (vor allem Qualität und Erfahrung);


2. Absatzprognosen;
3. Risiken (vor allem systematische und unsystematische Risiken, Diskontierungssätze vs.
Zuschläge beim WACC [Weighted Average Cost of Capital]);
7.6  Die Inhalte des (Risiko-)Finanzierungsprozesses 239

4. Finanzmarktumfeld (vor allem Angebot vs. Nachfrage, Preisniveau, Trends und Exit-
Möglichkeiten);
5. Zeit (vor allem Zeitwert des Geldes, Prognosehorizonte, Time-to-Market/Break-even/
Exit);
6. Bewertungsmethoden (Substanzwert, Ertragswert, Mittelwertmethoden, Discounted
Cashflow [DCF], Economic Value Added, Realoptionen, Venture-Capital-Methode,
Traded Multiples, verzögerte Kaufpreisbestimmung).

Die empirische Analyse dieser sechs Einflussfaktoren durch Wipfli [17]7 hat neben ande-
ren die unten stehenden Faktoren als größte Unternehmenswertschaffer bzw. -vernichter
identifiziert. Das Wissen um diese „Manipulationsmöglichkeiten“ ist entscheidend für das
Ergebnis der Bewertungsverhandlungen. Der Unternehmenswert lässt sich am stärksten
steigern durch:

• Verzicht auf alle Zuschläge zur Diskontierungsrate bei der DCF-Methode;


• Erhöhung des Preisniveaus der verkauften Produkte oder Dienste um 10 %;
• Verzicht auf Cashflow-Adjustierungs-Zuschläge bei der DCF-Methode.

Der Unternehmenswert sinkt am stärksten durch:

• Verzögerung der Einnahmen um ein Jahr bei unveränderten Ausgaben;


• Anwendung der Substanzwertmethode;
• Verzicht auf den Endwert/Terminal Value bei der DCF-Methode;
• Senkung des Preisniveaus der abgesetzten Marktleistungen um 10 %.

Diese Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Bedeutung der Marketingfragen im Rahmen


eines Businessplans sowie die Relativität einer genauen Unternehmenswertberechnung bei
Start-ups, da die Prognoseunsicherheiten zu groß sind. Anstelle einer zu langen Auseinan-
dersetzung mit ausgefeilten Bewertungsmethoden sollte sich das Gründerteam vor allem
intensiv mit seinen Produkten, den Wettbewerbern, den Kunden und den festgesetzten
Preisen befassen.

77 Wahrscheinlichkeits- und simulationsorientierte Unternehmensbewertungen


tragen der Tatsache Rechnung, dass mit Annahmen gerechnet werden muss.
Eine Alternative bieten fixe Relationen, wie 10 % der Aktien gegen 0,5 Mio.
EUR Investitionsmittel.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es eine große Herausforderung darstellt, den Wert
eines Start-ups exakt und zutreffend zu ermitteln, da die Berechnungen meist auf mehr oder

7
Auf weitere Bewertungsmodelle wie Kundenwertmodelle gehen Brettel, M./Rudolf, M./Witt, P.
ein [[5], S. 5 ff.].
240 7 Gründungsfinanzierung

weniger begründeten Annahmen für die Zukunft fußen. Deshalb kommen der Entwicklung
und dem Einsatz von Methoden wie der wahrscheinlichkeits- und simulationsorientier-
ten Unternehmensbewertung auf der Basis einer detaillierten Unternehmensplanung wie
von Doertenbach & Co. [18] große Bedeutung zu. Grundlagen dieser Methode sind die
Umsatzplanung unter Unsicherheit (Ermittlung von Konfidenzintervallen) und die Model-
lierung des Risikos zukünftiger Cash In- und -Out-Flows (niedrigste/höchste/wahrschein-
lichste Preise/Mengen). Als Ergebnis fließen die Verteilungen der so ermittelten einzelnen
Cashflow-Profile in die Berechnung des Unternehmenswertes ein. Daraus resultiert eine
Häufigkeitsverteilung der Unternehmenswerte mit entsprechendem Mittelwert und z. B.
75 %-Konfidenzintervall. Ebenso lassen sich die einzelnen Werttreiber des Unternehmens-
werts, wie auch oben bei Wipfli beschrieben, ermitteln. Auf dieser Basis kann dann in die
Kaufpreisargumentation eingestiegen werden.
Alternativ dazu wird in der Praxis, insbesondere bei Inkubatoren und Acceleratoren,
auch mit fixen Relationen gearbeitet. Für einen bestimmten Betrag (0,5 Mio. EUR) wird
dann ein fixer Anteil an den Aktien (10 %) erworben, da jeweils in dieselbe Größenordnung
und Branchenausrichtung von Unternehmen investiert wird.

7.7 Die Werkzeuge der Gründungsfinanzplanung

7.7.1 Grundsätzliche Erfordernisse

77 Die Liquiditätsplanung ist eines der wichtigsten Instrumente für Start-ups.

Damit Start-ups ihre Finanzen und ihre Finanzplanung aussagekräftig gestalten und damit
als Führungsinstrument nutzen können, ist es erforderlich, ein Grundinstrumentarium aufzu-
stellen. Diese Werkzeuge der Gründungsfinanzierung lassen sich entweder individuell, z. B.
in Zusammenarbeit mit einem Treuhänder oder Buchhalter, oder aber durch die Verwendung
von Vorlagen, die auf das eigene Unternehmen angepasst werden, aufstellen8. Folgende
Werkzeuge dürfen auf keinen Fall fehlen: Planbilanz, Planerfolgsrechnung, Planmittelfluss-
rechnung, Break-even-Rechnung sowie eine kurz- und mittelfristige Liquiditätsplanung.
Gerade der kurz- und mittelfristigen Liquiditätsplanung kommt eine entscheidende Bedeu-
tung zu, da das Scheitern von Start-ups/KMU letzten Endes auf fehlende Liquidität und
damit Zahlungsunfähigkeit am Tag X zurückzuführen ist.9 Deshalb muss die kurzfristige
Liquiditätsplanung auf zehn Tage bzw. einen Monat genau Auskunft geben können.

8
Beispielsweise die CD-ROM „Softwarepaket 9.0 für Gründer und junge Unternehmen“ des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Weitere Vorlagen sind bei den regionalen Existenz-
gründungsberatungen, Kammern, Banken oder bei Businessplan-Wettbewerben erhältlich.
9
Dies bestätigt auch die Studie des Beobachtungsnetzes der europäischen KMU, ebenda: „In den
meisten Ländern ist die Bedeutung der kurzfristigen Finanzierung für KMU im Allgemeinen höher als
für große Unternehmen; eine Besonderheit, die mit dem (relativ) höheren Bedarf an Betriebsmitteln
von KMU zusammenhängt.“
7.7  Die Werkzeuge der Gründungsfinanzplanung 241

7.7.2 Gestaltung des Finanzplans

77 Annahmen über Preise, Mengen, Anzahl Kunden etc. sind die entscheidenden
Größen bei der Finanzplanung.

Einen entscheidenden Teil des Businessplans stellt die Finanzplanung dar. Sie befindet sich
für gewöhnlich am Ende des Businessplans, da sie auf den zuvor getroffenen strategischen
und operativen Entscheidungen zum Geschäftsmodell aufbaut [19]. Die Entscheidungen
werden dazu in quantitativ messbare (Finanz-)Größen übertragen und stellen die Grundlage
für die einzelnen Elemente des Finanzplans dar. Diese sind entsprechend den „Gesetzmä-
ßigkeiten“ des Finanz- und Rechnungswesen miteinander verknüpft. Bei einer Prüfung
kommen deshalb neben den ausgewiesenen Werten in der Finanzplanung den Annahmen
über Preise, Mengen, Anzahl Kunden, Zahlungsverhalten, Finanzierungskonditionen etc.
eine entscheidende Rolle zu, da diese als Ausgangsbasis der Zahlen in der Finanzplanung
direkt beeinflusst werden können.

77 Das Gründungsunternehmen muss so rasch als möglich einen positiven Cash-


flow erwirtschaften.

Der Finanzplan lässt sich in lang- und kurzfristige Instrumente gliedern. Zu den langfris-
tigen Instrumenten zählen die Planbilanz über die gegenwärtige und zukünftige Vermö-
genssituation, die Planerfolgsrechnung über die gegenwärtige und zukünftige Ertrags-
situation und die Plankapital- oder Geldflussrechnung über die Finanzflüsse innerhalb
des Unternehmens. Diese werden nach den internationalen Standards in Finanzströme
aus dem operativen Geschäft (operativer Cashflow), dem Investitionsverhalten (investiver
Cashflow) und dem Finanzierungsgeschehen (finanzieller Cashflow) unterschieden. Ver-
einfacht gesagt sollte das Gründungsunternehmen so rasch wie möglich in der Lage sein,
mit seinem Kerngeschäft positive operative Cashflow-Ströme auszulösen, die wiederum
für Investitionen eingesetzt werden können. Da zu Beginn beide Ströme negativ sein wer-
den, muss durch einen Eigen- oder Fremdkapitalstrom die Lücke geschlossen werden.
Verrechnet werden diese drei Ströme über die Bilanzposition „Flüssige Mittel“. Im wei-
teren Verlauf der Gründung sollten die eingesetzten finanziellen Cashflows mit den selbst
erwirtschafteten Cashflows zurückgezahlt werden können, sonst droht früher oder später
die Illiquidität. Deshalb kommt der kurzfristigen Finanzplanung eine unverzichtbare Auf-
gabe zu. Mit einer kurzfristigen Liquiditätsplanung auf 10-, 30-, 90- oder 360-Tages-Basis
wird die jederzeitige Zahlungsbereitschaft unter Kontrolle gehalten und der kurzfristige
Finanzierungsbedarf ermittelt.
Bezüglich der einzelnen Instrumente des Finanzplans sind gerade im Gründungsprozess
einige Besonderheiten beachtenswert. Bei der Planbilanz ist darauf zu achten, dass das
Eigenkapital vom Verlust eines Jahres nach Schweizer Obligationenrecht um nicht mehr
als 50 % verzehrt wird. Gerade in der Gründungsphase besteht diese Gefahr, dann sind un-
verzüglich Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Im schlimmsten Fall muss die Bilanz beim
242 7 Gründungsfinanzierung

Handelsregisteramt hinterlegt und damit die Insolvenz angezeigt werden. Die Sanierung
besteht vor allem in einem Kapitalnachschuss und einer strikten Ausgabenbeschränkung.

77 Rechnet sich das Geschäftsmodell auch dann noch, wenn sich die geplan-
ten Aufwendungen verdoppeln, die geplanten Erträge halbieren und die
Markteinführung sich um z. B. ein Jahr verzögert, sind Investoren eher bereit
einzusteigen.

Die Planerfolgsrechnung stellt zukünftige Aufwendungen und Erträge einander gegenüber.


Als Vergleichsmöglichkeit bieten sich, falls verfügbar, durchschnittliche Branchenkenn-
zahlen an. Um die Unsicherheit bei den Zukunftsprognosen abfedern zu können, empfiehlt
es sich, mit drei Szenarien zu arbeiten. Das realistische Szenario basiert auf den Annah-
men, die aufgrund einer seriösen und repräsentativen Marktforschung zu den erzielbaren
Umsätzen abgeleitet werden können. Das pessimistische Szenario sollte eine Entwicklung
abbilden, die hinter den Erwartungen bleibt und das zum Überleben des Unternehmens
erforderliche Minimum an Umsätzen bei niedrigst möglichen Kosten darstellt. Das op-
timistische Szenario wird für den Fall entwickelt, dass die Verkaufszahlen plötzlich über
den Erwartungen liegen und entsprechende Vorfinanzierungen und Personalaufstockungen
erforderlich werden. Die Szenarien sollten dann periodisch der tatsächlichen Entwicklung
angepasst werden, um als Arbeitsinstrument dienen zu können. Ein Praxistest seitens der
Investoren besteht darin, in der vorgelegten Erfolgsrechnung die Aufwendungen zu ver-
doppeln und die Erträge zu halbieren. Hinzu kommt das Einrechnen einer Verzögerung bei
der Markteinführung. Geht das Geschäfts- und Ertragsmodell dann immer noch auf, sind
sie bereit, über eine Investition in das Unternehmen weiterzudiskutieren.
Die zeitraumbezogene Kapitalflussrechnung erklärt die Ursachen und den Umfang von
Mittelzu- und -abflüssen einer Periode. Üblicherweise wird die Kapitalflussrechnung als
Fondsrechnung aufgebaut, bei der die liquiden Mittel zu Periodenbeginn und -ende als Aus-
gangspunkt für die Rechnung dienen. Der Aussagewert liegt in der Aufdeckung der wahren
Herkunft der Finanzmittel: Werden diese mit dem eigentlichen Geschäft erwirtschaftet oder
kann der Betrieb nur durch wiederkehrende Eigen- oder Fremdkapitalnachschüsse aufrecht-
erhalten werden? Führen die getätigten Investitionen in den folgenden Perioden zu gestei-
gerten operativen Mittelzuflüssen? Kann sich das Unternehmen selbst finanzieren? Hierzu
wird der freie Cashflow berechnet, der die selbst erarbeiteten Mittel darstellt, die nach Verän-
derungen im Umlauf- und Anlagevermögen, nach Zahlung der Fremdkapitalverpflichtungen
und Tätigung der erforderlichen Investitionen den Eignern zur freien Verfügung stehen.

77 Verzögerungen des Zahlungseingangs können bei Start-ups zu ernsthaften


Liquiditätsengpässen führen.

Die Liquiditätsplanung dient zur Budgetierung der kommenden Zahlungsverpflichtungen,


die durch entsprechende vorausgehende Zuflüsse gesichert sein müssen. Gerade in einer
Expansionsphase sowie bei einer knappen Kapitalausstattung kommt der Qualität der Li-
quiditätsplanung eine überlebenswichtige Rolle zu. Deshalb ist es erforderlich in einem
7.8  Fallstudie: Crowdfunding – Suche nach alternativen Finanzierungsquellen 243

10- oder 30-Tages-Rhythmus zu planen. Start-ups sind vor allem durch das Eingehen von
laufenden Zahlungsverpflichtungen wie Personalfixkosten, Leasing- oder Mietraten sowie
unregelmäßigen Zahlungseingängen von Kunden gefährdet. Dem Debitorenmanagement
sollte deshalb eine zentrale Bedeutung zukommen. Gleichwohl sind dabei Grenzen gesetzt.
Gerade Großunternehmen benötigen teilweise Monate, bis sie eine Rechnung begleichen.
Hierfür sind komplizierte interne Genehmigungsvorgänge, vorgeschobene technische
Probleme, aber vor allem Überlegungen seitens deren Cash Management verantwortlich.
Für das weniger marktmächtige Start-up kann eine nicht geplante Verzögerung des Zah-
lungseingangs jedoch einen ernsthaften Liquiditätsengpass bewirken.

77 Je nach Geschäftsmodell können weitere Planungsinstrumente zum Einsatz


kommen.

Die aufgeführten Instrumente bilden das Standardsortiment der Finanzplanung. Je nach Ge-
schäftsmodell können darüber hinaus weitere Instrumente zum Einsatz kommen. Mit einer
Break-even-Analyse wird die Gewinnschwelle, der Zeitpunkt, ab dem das Unternehmen
in die Gewinnzone vorstößt, ermittelt. Für Investoren ist dies – gerade bei forschungsin-
tensiven Gründungsprojekten – ein wichtiger Indikator für die Dauer des vorzufinanzie-
renden Zeitraumes. Investitionsrechnungen kommen bei Gründungen mit bedeutenden
Investitionen in Anlage- und Umlaufvermögen zum Einsatz, um den Projektverlauf mit
den entsprechenden Investitions- und Rückflussströmen zu planen. Die daraus berechnete
interne Rendite (IRR – Internal Rate of Return) gibt Aufschluss über die Sinnhaftigkeit der
Investition. Make-or-buy-Analysen werden vorgenommen, wenn unklar ist, ob Eigenferti-
gungen oder Fremdvergaben die wirtschaftlichere Lösung sind.

7.8 Fallstudie: Crowdfunding – Suche nach alternativen


Finanzierungsquellen

77 Crowdfunding oder demokratisiertes Venture Capital können passende Finan-


zierungsformen für das Jungunternehmen darstellen.

Die Ausgangssituation: Das Gründerteam Jürg Meier und Beat Frey (Namen wurden ge-
ändert) sucht einen Betrag von 750.000 CHF für seine innovative Gründungidee. Die
beiden möchten ein Unternehmen gründen, das den Aufbau eines Online-Fitnessportals
zum Ziel hat. Dabei soll das individuell strukturierte und kontrollierte Training mit maß-
geschneiderten Videoclips und Community-Aspekten verbunden werden. Die klassischen
Finanzierungsalternativen sind allgemein bekannt: von den Freunden und der Familie über
öffentliche Fördermittel, Finanzierungs-Stiftungen, Business Angels (Clubs) oder Venture
Capitalists bis hin zu Bankkrediten oder Kundenanzahlungen. Diese Finanzierungsformen
weisen typische Vor- und Nachteilsprofile auf und werden vom Gründerteam erst einmal
ausgeschlossen. Während einiger Nächte, die sie im Internet verbracht haben, sind sie auf
eine spannendere Alternative gestoßen: Crowdfunding. Diese Finanzierungsart kann von
244 7 Gründungsfinanzierung

Jungunternehmen einzeln oder komplementär genutzt werden. Zumal die Gründer ohnehin
den Aufbau einer Community planen, finden sie diese Finanzierungsmöglichkeit passend.
Doch auch hier gibt es verschiedene Varianten. Deshalb beschließt das Gründerteam, sich
einen Marktüberblick, vor allem in der Schweiz, zu verschaffen.

• Bei Crowdfunding tritt das kapitalsuchende Unternehmen in Kontakt und Vertrags-


beziehung mit einer Reihe von Kleininvestoren. Dabei besteht die Herausforderung
darin, diese Vertragsbeziehungen zu standardisieren und gleichzeitig die Unterneh-
men-Investoren-Beziehung zu personalisieren, um die Transaktionskosten niedrig zu
halten. Crowdfunding nimmt damit bezogen auf den Kontrollanspruch des Kapitalge-
bers und den Beitrag zum Gesamt-Kapitalbedarf eine Position zwischen Freunden &
Familien und Business Angels & Venture Capitalists ein. Crowdfunding lässt sich als
Teil von Crowdsourcing ansehen, welches gerade im Mikrofinanzierungs- und Social-
Entrepreneurship-Finanzierungsbereich eingesetzt wird und mit Kleinstbeträgen
operiert. Die Anforderungen an eine Start-up-Investition sind demgegenüber auf-
grund der rechtlichen Anforderungen und höheren Beträge anspruchsvoller. Dies hat
wiederum Auswirkungen auf die Effektivität und Effizienz dieser Investitionsform.
Mittlerweile wird geschätzt, dass per Ende 2010 bereits mehr als eine Milliarde USD
über Crowdfunding investiert werden konnten [20]. Gemäß Koren sind die meisten
Crowdfunding-Plattformen in den USA registriert. Investiert werden kann demnach in
fünf Kategorien: Projektunterstützung (klar am stärksten), Darlehen von Privaten an
Private, Spenden, Investitionen in Start-ups und Mikrokredite. Gemäß Statista wurden
2011 bereits 1,5 Mrd., 2012: 2,7 Mrd. und 2013: 5,1 Mrd. USD investiert [21].
• Die Kategorie der Venture-Capital-Investitionen in Start-ups in Tranchen ab ca.
10.000 CHF wird in der Szene auch als demokratisiertes Venture Capital oder
Business-Angel-Kapital bezeichnet.

77 Am Markt existieren verschiedene Anbieter von Crowdfunding-, demokratisier-


tem Venture Capital- oder Business Angel-Kapital mit unterschiedlichen Ge-
schäftsmodellen. Hier werden exemplarisch drei Schweizer Anbieter vorgestellt.

Aktuelle Beispiele für Crowdfunding-Ansätze in der Schweiz sind zum Beispiel die Firmen
c-crowd, Cofundit, cashare oder investiere. Ein kleiner „Homepage-Test“ des Gründer-
teams zeigt die Unterschiede zwischen deren Geschäftsmodellen und deren Transparenz
nach außen auf.

• c-crowd (www.c-crowd.com) wurde im April 2011 von Marc P. Bernegger (Seri-


enunternehmer), Philipp Steinberger und Oliver Rappold gegründet. c-crowd steht
als Plattform für das Matching von Investoren und Start-ups zur Verfügung, die ein
Geschäftsmodell besitzen, mehr als 50.000 CHF Kapital suchen und eine Beteiligung
anbieten. Der mehrstufige Finanzierungsprozess und die Zeichnungsscheine und
Aktionärsbindungsverträge hierzu sind standardisiert. Alle klassischen Vermittler sind
ausgeschlossen, es werden nur private Investoren mit privaten Gründern zusammen-
7.8  Fallstudie: Crowdfunding – Suche nach alternativen Finanzierungsquellen 245

gebracht. Damit die Seriosität sichergestellt wird, haben Interessenten bestimmte,


publizierte Zulassungskriterien zu erfüllen. Der Eintrag auf dem Marktplatz zur Prä-
sentation eines Start-ups ist kostenpflichtig. Es finden eine Prüfung des Businessplans
und des Gründerteams statt. c-crowd wurde von der Zulassungsbehörde FINMA als
legale Plattform akzeptiert. Die Plattform finanziert sich über eine Gebühr von 10 %
der Investitionssumme bei Unternehmens-Projekten und ist rein als Vermittler tätig.
Stand Ende April 2015 weist c-crowd vier Unternehmen auf dem Marktplatz und
eines unter Crowdfunding aus.

77 Auf der Plattform investiere.ch können Privatpersonen Direktinvestitionen


in innovative Schweizer Start-ups tätigen. Stand April 2015 wurden über
investiere.ch 31 Finanzierungsrunden für 22 Start-ups mit einem Volumen von
gesamt 12,8 Mio. CHF durchgeführt.

• cashare (www.cashare.ch) tritt als Anbieter von Crowdlending (Vermittlung von Dar-
lehen unter Privatpersonen) und Crowdsupporting (Finanzierung von Projekten gegen
Sachleistungen) auf. Die Community wurde bereits 2008 im Kanton Zug von Michael
Borter und Roger Müller gegründet. Im Kern geht es um die sechsstufige Vermittlung
von privaten Darlehen unter Privatpersonen in einem von cashare „gesicherten“ Um-
feld, ohne dass persönliche Kontakte erforderlich sind. Angestrebt wird eine Zinsopti-
mierung im Vergleich zum Kapitalmarkt sowohl für den Darlehensnehmer als auch für
den Darlehensgeber durch das Ausblenden des „Margenproduzierers“ Bank. Entschei-
dungen können auch aufgrund sozialer Kriterien getroffen werden. Cashare finanziert
sich durch eine Plattformgebühr von 0,75 % der erhaltenen Darlehenssumme pro Jahr
und einer Einstellgebühr von 19 CHF. Bei den Crowdsupporting-Projekten fallen 5 %
Gebühr bei erfolgreicher Finanzierung an. Stand Ende April 2015 wurden auf cashare.
ch acht Kreditprojekte und sieben Projekte für Crowdsupporting angeboten.
• investiere (www.investiere.ch) ist ein Start-up-Finanzierer, welcher Privatpersonen
Direktinvestitionen im Sinne von demokratisiertem Venture Capital in innovative, v. a.
Schweizer Start-ups ermöglicht. Das Projekt investiere wurde 2010 von Steffen Wagner
und Lukas Weber lanciert und wird von der Verve Capital Partners AG in Zug betrie-
ben. Es verfolgt das Ziel, auch weniger vermögenden Privatinvestoren (im Vergleich
zu traditionellen Business Angels) einen Zugang zu Direktinvestitionen zu geben und
somit die Zeit für die Kapitalbeschaffung für einen Unternehmer zu halbieren. Die Pri-
vatinvestoren können dabei an der Seite von institutionellen Investoren über die Platt-
form mit einsteigen. Investiere hat Stand 04/2015 bereits 22 Start-ups erfolgreich mitfi-
nanziert und 12,8 Mio. CHF über seine Plattform investieren können. Zudem wurde das
eigene Geschäftsmodell auch auf investiere.ch auf sich selbst angewendet und damit
die eigene Finanzierung sichergestellt. Diese neue Form der Eigenkapital- oder mezza-
ninen Finanzierung (es werden auch Pflichtwandeldarlehen unterstützt) verspricht nach
eigener Aussage fünf Vorteile. Erstens die Erweiterung der „Bezugsbasis“, indem auch
weniger vermögende Investoren einbezogen werden. Zweitens der im Vergleich zu
246 7 Gründungsfinanzierung

Venture Capitalists geringere Machtanspruch seitens der Einzelaktionäre. Drittens die


Schaffung einer objektiven und transparenten Investitionsbeziehung ohne emotionale
Verpflichtungen, wie sie bei „friends und family“ üblich sind. Viertens der Anspruch
einer mittel- bis langfristigen Kapitalbeziehung, die nicht zugunsten einer kurzfristi-
gen Opportunität aufgegeben wird. Fünftens die Option der aktiven Mitwirkung durch
die Kleininvestoren mittels deren breiten Know-hows und Netzwerk. Mittlerweile
sind auf investiere.ch über 5000 Mitglieder und über 1000 Investoren registriert. Die
eingesammelte Summe an Kapital liegt derzeit im Schnitt zwischen 400.000 CHF und
700.000 CHF. Der Einstiegsbetrag für Investoren liegt bei 10.000 CHF. Der Austausch
zwischen den Nutzern der Plattform erfolgt aufgrund des Ausbaus des „investiere
ecosystems“ in „alle Richtungen“, also entweder untereinander oder zum investiere-
Team. Funktionieren kann dieses Geschäftsmodell allerdings nur, wenn es gelingt, die
Geschäftsprozesse und Vertragsbeziehungen so zu standardisieren und zu professionali-
sieren, dass für Kapitalsucher und -geber sowie für die Koordinationsplattform inves-
tiere ein Mehrwert geschaffen wird. Dabei übernimmt investiere die Vorauswahl der
kapitalsuchenden Unternehmen sowie deren Präsentationstauglichkeit. Dies bedeutet
auch die Unterstützung in der Vorbereitung des Investitionsangebotes und der Video-
präsentation. Anschließend erfolgt über die Internetplattform das schrittweise Matching
der Vertragspartner, bevor über standardisierte Verträge die Beziehung verbindlich
geschlossen wird. Dabei sollen Ko-Investments von professionellen Kapitalgebern und
weitere Finanzierungsrunden bewusst offen gehalten werden. Die Gebührenseite ist wie
folgt gestaltet: Für Unternehmen fallen im Erfolgsfall 6,5 % Cash-Kommission auf den
eingesammelten Betrag an, wobei umgehend die von den Investoren zu bezahlenden
4,5 % Kommission in das Unternehmen re-investiert werden.

Bei den verschiedenen Geschäftsmodellen des Crowdfundings ist jeweils zu hinterfragen,


ob Effektivität und Effizienz dieser Finanzierungsform den traditionellen Business-Angel-
Investments überlegen sind. Erste empirische Untersuchungen anhand von Fallbeispie-
len von Walther [22] zeigen, dass dies nicht automatisch der Fall ist. Zwar muss für ein
Business-Angel-Investment mehr Zeit aufgewendet werden als für ein Crowdfunding-
Investment, jedoch ist der akquirierte Geldbetrag um ein Vielfaches höher.

77 Jürg und Beat wollen sich für eine der Plattformen entscheiden. Zuvor wollen
sie noch die Anbieter in Deutschland, Österreich und weltweit prüfen.

Jürg und Beat haben nun einen ersten Einblick in den Markt bekommen, haben sich aber
noch nicht für einen Anbieter entschieden. Sie überlegen zudem, ob sie nicht auch noch
weitere Plattformen in Deutschland und Österreich testen sollen. Die Aufzählung erhebt
aufgrund des raschen Neueintritts von weiteren Anbietern keinen Anspruch auf Vollstän-
digkeit. Unter www.crowdfunding.de/plattformen/, Zugriff 01.05.2015, finden sich u. a.
folgende Anbieter: seedmatch, innovestment, companisto, fundsters, conda, fundernation,
DUB, lightfin, deutsche mikroinvest, bergfuerst, crowdnine, startkapital-online, rm-crowd-
Literatur 247

funding, lendico u. v. m. Dazu kommen als internationale Anbieter wie kickstarter, indie-
gogo, sellaband, ulule, fundedbyme, seedrs, crowdcube u. v. m.

Fragen zur Fallstudie


1. Wenn Sie anstelle von Jürg und Beat wären, nach welchen Kriterien würden Sie
einen Crowdfunding-Anbieter auswählen? Für welche der genannten Plattformen
würden Sie sich entscheiden?
2. Stellen Sie die Besonderheiten der drei genannten Crowdfunding-Start-ups syste-
matisch einander gegenüber und beurteilen Sie die Zukunftsfähigkeit von deren Ge-
schäftsmodellen.
3. Welche Voraussetzungen müssen bei Start-ups gegeben sein, damit diese Finanzie-
rungsalternative genutzt werden kann?
4. Welche vergleichbaren Crowdfunding-Ansätze existieren in anderen, v. a. angel-
sächsischen Ländern?

Diskussionsfragen
1. Welche Aufgaben fallen für das Gründer-/Unternehmerteam in den einzelnen Pha-
sen des Finanzierungszyklus an, und welche Finanzierungsquellen stehen zur Ver-
fügung?
2. Worin unterscheidet sich eine Start-up-/KMU-Finanzierung von einer Finanzierung
eines managergeführten und börsennotierten Großunternehmens?
3. Welche Marktfriktionen und Marktineffizienzen kennen Sie im Bereich der KMU-
Finanzierung und welche Milderungsmechanismen lassen sich dagegen einsetzen?
4. Wie gehen Sie bei der Auswahl Ihres Finanzierungspartners vor und welche Kriteri-
en sind für Sie wichtig? Welche Rolle kann für Sie das Crowdfunding spielen?
5. Welche Werkzeuge sollten Sie für Ihre Finanzplanung einsetzen?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Müller, O. (2003). Mezzanine Finance – Neue Perspektiven der Unternehmensfinanzierung.
Bern: Haupt Verlag.
2 Nathusius, K. (2002). Gründungsfinanzierung. Wie Sie mit dem geeigneten Finanzierungsmodell
Ihren Kapitalbedarf decken. Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch.
3 Bernet, B., & Denk, C. L. (2000). Finanzierungsmodelle für KMU. Bern: Paul Haupt Verlag.
4 Engel, R. (2003). Seed-Finanzierung wachstumsorientierter Unternehmensgründungen. Ster-
nenfels: Wissenschaft & Praxis.
5 Brettel, M., Rudolf, M., & Witt, P. (2005). Finanzierung von Wachstumsunternehmen. Wiesba-
den: Gabler Verlag.
248 7 Gründungsfinanzierung

6 Volkmann, C. K., & Tokarski, K. O. (2006). Entrepreneurship, Gründung und Wachstum von
jungen Unternehmen. Stuttgart: UTB.
7 Nathusius, K. (2003). Gründungsfinanzierung. Frankfurt am Main: FAZ-Verlag.
8 Kley, C. R. (2003). Mittelstands-Rating. Wiesbaden: Gabler Verlag.*1
9 Creditreform, Insolvenzen, Neugründungen und Löschungen, Jahr 2014, www.creditreform.
de, Zugriff am 30.04.2015.
10 Vogl, J. (2010) Das Gespenst des Kapitals, Diaphanes, 2. Auflage, Zürich.
11 Göbel, E. (2002). Neue Institutionenökonomik. Stuttgart: UTB.
12 Kley, C. R. (2003). Mittelstands-Rating. Wiesbaden: Gabler.
13 Beaud, C. (2004). Angel Investment Vortragsunterlagen EMBA 25. „Entrepreneurship“, St.
Gallen.
14 Heine, D. (2004). Venture Capital Business EMBA 25 „Entrepreneurship“, St. Gallen.
15 Stedler, H. R., & Peters, H. H. (2002). Business Angel in Deutschland. Bonn: tbg/Deutsche
Ausgleichsbank.
16 Baumgärtner, C., & Müller, C. (2005). Portfoliosteuerung von Venture-Capital-Gesellschaften
(S. 263). Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.
17 Wipfli, C. (2001). Unternehmensbewertung im Venture-Capital-Geschäft. Bern, Stuttgart: Paul
Haupt Verlag.
18 Doertenbach & Co., Corporate Finance/Mergers & Acquisitions, Valuation & Wine, Vortrags-
unterlagen, Frankfurt am Main, 2007.
19 Credit Suisse (1997). Der Business-Plan – eine praxisorientierte Wegleitung. Zürich: Credit
Suisse.
20 http://www.smartermoney.nl/?p=671, Zugriff am 08.07.2011: Gijsbert Koren: More than 1
billion dollar crowdfunded!
21 www.statista.com/statistik/daten/studie/258199/umfrage/weltweit-durch-crowdfunding-einge-
sammeltes-Kapital, Zugriff: 01.05.2015.
22 Walther, T. (2011). Cost effectiveness and efficiency of crowdfunding in Switzerland, Master
Thesis. St. Gallen: Universität St. Gallen.

Weiterführende Literatur
Börner, C., & Grichnik, D. (Hrsg.). (2005). Entrepreneurial Finance. Kompendium der Gründungs-
und Wachstumsfinanzierung. Berlin Heidelberg: Physica-Verlag.
Breuer, W., & Brettel, M. (Hrsg.). (2010). ZfB: Entrepreneurial Finance. Wiesbaden: Springer Gabler.
Nathusius, K. (2001). Grundlagen der Gründungsfinanzierung: Instrumente – Prozesse – Beispiele.
Wiesbaden: Gabler Verlag.

*
mit weiteren Zitaten zu den einzelnen Einflussfaktoren
Rechtliche Grundlagen
8

8
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Auf zwei der wichtigsten rechtlichen Fragestellungen bei einer Unternehmensgrün-
dung wird im Rahmen dieses Kapitels eingegangen. Als Erstes soll aufgezeigt wer-
den, welche grundsätzlichen Fragen sich bei der Wahl einer Rechtsform stellen und
wie die wichtigsten drei Rechtsformen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
charakterisiert werden können. Rechte und Pflichten des Gesellschafters hängen von
dieser Entscheidung ab, aber auch Haftung und steuerliche Belastungen. Außerdem de-
finiert sich ein Unternehmen durch die Wahl seiner Rechtsform auch nach außen. Eine
grundsätzliche Unterscheidungsmöglichkeit und damit Entscheidungshilfe zwischen
einzelnen Gesellschaftsformen besteht zwischen Einzelunternehmen und Kapitalge-
sellschaften (z. B. AG und GmbH). Kapitalgesellschaften sind juristische Personen und
sind, unabhängig vom Eigentümer, Träger von Rechten und Pflichten. Ein wichtiges
Entscheidungselement ist die unterschiedliche Haftung in Personen- bzw. Kapitalge-
sellschaften: Der Einzelunternehmer haftet persönlich, während die Anteilseigner ei-
ner Kapitalgesellschaft in der Regel lediglich bis zur Höhe ihrer Einlage haften. Als
Zweites wird die Frage nach dem optimalen Schutz von Innovationen, Ideen und Er-
findungen diskutiert. Ideen können sowohl im Rahmen der gesetzlichen Schutznormen
von geistigem Eigentum als auch im Rahmen strategischer Maßnahmen, die auf jedes
Unternehmen angepasst werden müssen und daher höchst unterschiedlich ausfallen
können, geschützt werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_8 249
250 8  Rechtliche Grundlagen

Lernziele
•• Sie können erklären, welche rechtlichen Fragestellungen bei einer Unterneh-
mensgründung eine Rolle spielen.
•• Sie können die Eigenschaften der drei wichtigsten Rechtsformen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz erläutern.
•• Sie können beurteilen, welche Rechtsform in einer bestimmten Situation am
besten geeignet ist.
•• Sie können erläutern, welche Formen des geistigen Eigentums unterschieden
werden können.
•• Sie können erläutern, welche grundsätzlichen Möglichkeiten es gibt, um geisti-
ges Eigentum zu schützen, und Sie können beurteilen, in welcher Situation die
einzelnen Maßnahmen angebracht sind.

8.1 Begriffserklärungen

77 Juristische Person:  Vereinigung von einer oder mehreren Personen zu einer Organisa-
tion, die als solche Inhaber von Rechten und Pflichten (rechtsfähig) ist.

77 Einzelunternehmen:  Gesellschaftsform, bei welcher der Eigentümer gleichzeitig Lei-

ter des Unternehmens ist und persönlich mit seinem Vermögen für die Verbindlichkeiten
des Unternehmens haftet.

77 Kapitalgesellschaft:  Juristische Personen mit eigener Rechtsfähigkeit und einem festen

Nominalkapital. Häufigste Rechtsformen von Kapitalgesellschaften sind die Aktiengesell-


schaft und die GmbH.

77 Geistiges Eigentum:  Rechtlich geschütztes Wissen, das sich aus gewerblichem Rechts-

schutz (Patent, Marke, Design, Sorten, Topografie) und Urheberrecht zusammensetzt.

77 Marke:  Rechtlich geschützte Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen durch


ein Unternehmen. Unterschieden werden unter anderem Wortmarken, Bildmarken oder
Hörmarken.

77 Patent:  Ausschließliches Recht, das eine Erfindung nach erfolgreicher Eintragung des
Patentes vor dem Missbrauch Dritter schützt.
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 251

8.2 Einführung

77 Unternehmer müssen sich in ein bestehendes Rechtssystem mit einer Vielzahl


von Akteuren einfügen.

Eine gerne verwendete Metapher in der Auseinandersetzung mit Rechtsfragen ist die-
jenige des gestrandeten Robinsons auf einer Insel [1]. Alleine und auf sich gestellt, be-
nötigt er keine Rechtsregeln, um seinen Alltag zu meistern. Sobald aber eine weitere
Person, in diesem Falle Freitag, ebenfalls auf der Insel lebt, werden Regeln des Zusam-
menlebens notwendig. Rechtliche Fragen wie z. B. die Regelung der Arbeitszeiten von
Freitag oder die Frage, ob Robinson überhaupt dazu befugt ist, Freitag einen Namen
zu geben, ohne ihn zu fragen, tauchen auf. Unternehmer und insbesondere Unterneh-
mensgründer befinden sich in der Regel nicht alleine auf einer einsamen Insel, sondern
müssen sich in ein bestehendes Rechtssystem mit einer Vielzahl von Akteuren einfügen.
Vor allem bei der Unternehmensgründung kommen etliche rechtliche Fragen auf, etwa
in welcher Form ein Unternehmen gegründet werden kann, welche Vorschriften in die-
sem Fall maßgeblich sind, welche steuerlichen Aspekte eine Rolle spielen, wie man den
ersten Mitarbeitenden einstellt oder wie sich die eigene unternehmerische Idee am besten
schützen lässt.
Auf zwei der wichtigsten rechtlichen Fragestellungen bei einer Unternehmensgründung
wird im Rahmen dieses Kapitels eingegangen. Als Erstes soll aufgezeigt werden, welche
grundsätzlichen Fragen sich bei der Wahl einer Rechtsform stellen und wie die wichtigsten
drei Rechtsformen in Deutschland, Österreich und der Schweiz charakterisiert werden
können. Als Zweites wird die Frage nach dem optimalen Schutz von Innovationen, Ideen
und Erfindungen diskutiert. Ideen können sowohl im Rahmen der gesetzlichen Schutz-
normen von geistigem Eigentum als auch im Rahmen strategischer Maßnahmen, die auf
jedes Unternehmen angepasst werden müssen und daher höchst unterschiedlich ausfallen
können, geschützt werden.

8.3 Wahl der geeigneten Rechtsform

77 Die Wahl der Rechtsform und der Schutz geistigen Eigentums sind wesent­
liche rechtliche Fragestellungen im Gründungsprozess.

Am Anfang einer jeden unternehmerischen Tätigkeit steht die unternehmerische Idee. Sie
bildet zusammen mit der Persönlichkeit des Unternehmensgründers und dessen Zukunfts-
visionen die Basis für alle weiteren betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und steuerlichen
Überlegungen. Eine der ersten wichtigen Entscheidungen bei der Umsetzung einer solchen
Idee ist die Wahl der geeigneten Rechtsform. Rechte und Pflichten des Gesellschafters
hängen von dieser Entscheidung ab, aber auch Haftung und steuerliche Belastungen. Außer-
252 8  Rechtliche Grundlagen

dem definiert sich ein Unternehmen durch die Wahl seiner Rechtsform auch nach außen.1
Im Folgenden werden grundsätzliche Begriffe geklärt, die mit der Wahl der Rechtsform
in Zusammenhang stehen. Zudem werden die wichtigsten und am häufigsten gewählten
Rechtsformen übersichtlich dargestellt. Dabei werden die Einzelfirma, die Gesellschaft mit
beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaft (AG) jeweils für Deutschland,
Österreich und die Schweiz erläutert.
Dieser Abschnitt soll die wichtigsten Vor- und Nachteile der einzelnen Rechtsformen
aufzeigen und damit die Möglichkeit für eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema
der Rechtsformwahl geben. Die Übersicht ersetzt jedoch nicht eine intensive und indivi-
duelle Beratung durch einen Fachmann, wie beispielsweise einen Steuerberater oder einen
Anwalt, der sich auf diese Fragen spezialisiert hat.

8.3.1 Grundsätzliche Fragen und Begriffe

77 Grundsätzlich kann zwischen Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften


unterschieden werden.

Eine grundsätzliche Unterscheidungsmöglichkeit zwischen einzelnen Gesellschaftsfor-


men besteht zwischen einer Einzelunternehmung und einer Kapitalgesellschaft. Am
häufigsten anzutreffen sind Einzelunternehmen, wobei der Eigentümer gleichzeitig Leiter
des Unternehmens ist. Er haftet persönlich mit seinem Vermögen für die Verbindlichkeiten
des Unternehmens. Bei Kapitalgesellschaften wie der AG oder der GmbH haften die Ge-
sellschafter mit wenigen Ausnahmen2 nur bis zur Höhe ihrer Einlage. Zusätzlich spielt vor
allem die (erleichterte) Kapitalbeschaffung eine Rolle. Im Gegenzug müssen jedoch mehr
oder minder große Mindesteinlagen in Kauf genommen werden. Vorteilhaft ist auch, dass
nicht alle Gesellschafter respektive Aktionäre zwangsweise an der Unternehmensführung
beteiligt sein müssen. Einige grundsätzliche Fragen zur Gesellschaftsform kann man sich
bereits im Vorfeld stellen:

• Will man alleine oder mit anderen zusammen gründen?


• Wie viel Gründungskapital kann aufgebracht werden?
• Wie umfangreich dürfen die Formalitäten bei der Gründung sein?
• Wie umfangreich soll die Haftung sein?
• Welche Steuerbelastung muss in Kauf genommen werden?
• Welchen Aufwand möchte man für die Verwaltung betreiben?
• Wie hoch sind die Gründungskosten?

1
Man denke hier an die Kunden einer psychologischen Praxisgemeinschaft, denen diese in Form
einer Aktiengesellschaft entgegentritt, was bei Erstgenannten doch einiges Befremden auslösen
dürfte.
2
Z. B. im Schweizer Recht die Möglichkeit des Durchgriffs bei Einpersonen-Aktiengesellschaften.
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 253

77 Ein Wechsel der Rechtsform ist immer mit Aufwand und Kosten verbunden.

Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Rechtsform dem Wachstum
und dem Lauf der Entwicklung des Unternehmens angepasst werden muss. Dies ist jedoch
immer mit Aufwand und Kosten verbunden. Es lohnt sich daher, beim Unternehmensstart
gründlich zu überlegen, welche Rechtsform die richtige Wahl für das betreffende Unter-
nehmen darstellt. Die perfekte Rechtsform gibt es allerdings nicht; jede Rechtsform weist
spezifische Vor- und Nachteile auf, die sorgfältig abgewogen werden müssen.

8.3.2 Darstellung deutscher Rechtsformen

Im deutschen Gesellschaftsrecht spielt der Begriff des Kaufmanns eine zentrale Rolle.
Die ändernden oder zusätzlichen Regelungen des Handelsgesetzbuches (HGB) kommen
immer dann zur Anwendung, wenn mindestens eine der am Geschäft beteiligten Personen
die Kaufmannseigenschaft hat. Unter den Begriff des Kaufmanns fällt jedoch nicht nur der
Einzelkaufmann3, der eine Handelsfirma betreibt, sondern auch die Kapitalgesellschaften4
wie die GmbH oder die AG.

8.3.2.1 Deutscher Einzelkaufmann

77 In Deutschland wird zwischen dem Ist- und dem Kannkaufmann unterschie-


den.

Kaufmann im Sinne des HGB ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 HGB)5. Dazu be-
darf es weder spezieller Gründungsformalitäten noch ist ein bestimmtes Gründungskapital
erforderlich. Man unterscheidet zwischen dem Istkaufmann und dem Kannkaufmann. Der
Istkaufmann betreibt ein Handelsgewerbe, das nach Art oder Umfang einen in kaufmänni-
scher Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert [2], eine Eintragung ins Handelsre-
gister ist verpflichtend und im Gegensatz zum österreichischen und schweizerischen Recht
an keine Umsatzgrenze gebunden. Beim Kannkaufmann handelt es sich um Personen, die
nicht allein durch ihre Tätigkeit die Kaufmannseigenschaft erlangen. Darunter fallen z. B.
Kleingewerbetreibende, Land- oder Forstwirte. Diese haben ein Recht auf Eintragung
im Handelsregister und erlangen erst mit der Eintragung die Kaufmannseigenschaft. Die
Firma als Name, unter dem der Kaufmann seine Geschäfte führt, ist geschützt. Weiter als
im österreichischen und schweizerischen Recht geht auch die Buchführungspflicht, die

3
§ 1 HGB Istkaufmann, § 2 HGB Kannkaufmann.
4
§ 6 HGB Formkaufmann.
5
Unter einem Handelsgewerbe ist eine selbstständige, planmäßige Tätigkeit zu verstehen, die auf
Dauer und Gewinn ausgerichtet ist.
254 8  Rechtliche Grundlagen

Tab. 8.1  Bewertung der deutschen Handelsfirma

Vorteile Einzelkaufmann/Handelsfirma Nachteile Einzelkaufmann/Handelsfirma

Kein Mindestkapital erforderlich Unbeschränkte Haftung mit Privat- und


Gesellschaftsvermögen
Geringe Gründungskosten Keine Übertragung möglich
Großer Gestaltungsspielraum und hohe Kapitalbeschaffung meist schwieriger:
Flexibilität: alleinige Entscheidungsgewalt Erweiterung der Kapitalbasis richtet sich
des Inhabers nach eigenen Mitteln bzw. der Bonität des
Unternehmers

für den Ist- und Kannkaufmann gleichermaßen und unabhängig vom Umsatzvolumen des
Unternehmens gilt.
Neben der ordentlichen Buchführung kommen die Pflicht zur jährlichen Durchführung
einer Inventur und die Pflicht zur Aufstellung eines Jahresabschlusses hinzu. Die Belege
sind ebenfalls über einen Zeitraum von zehn bzw. sechs Jahren aufzubewahren. Für Ver-
bindlichkeiten haftet der Firmeninhaber vollumfänglich, d. h. auch mit seinem Privatver-
mögen. Die Vor- und Nachteile des Einzelkaufmanns bzw. der Handelsfirma werden in
Tab. 8.1 dargestellt.

8.3.2.2 Deutsche GmbH und Unternehmergesellschaft (UG)

77 Die GmbH ist Kaufmann im Sinne des HGB.

Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfügt als Kapitalgesellschaft über eine eigene
Rechtspersönlichkeit und ist somit eine juristische Person. Als Handelsgesellschaft ist
sie Kaufmann im Sinne des HGB (§ 13 III GmbHG) und verfügt über eine eigene Firma,
also einen eigenen Unternehmensnamen. Die Gesellschafter beteiligen sich durch Ein-
lage an dem in Stammanteile zerlegten Stammkapital. Das Mindeststammkapital muss
bei der GmbH mindestens 25.000 EUR betragen und kann als Bar- oder Sacheinlage oder
als gemischte Einlage erbracht werden. Die Nennbeträge der Geschäftsanteile der einzel-
nen Gesellschafter können unterschiedlich hoch sein, müssen aber auf volle Euro lauten
(§ 5 GmbHG). Eine Beschränkung des Stammkapitals nach oben kennt das GmbH-Gesetz
nicht.

77 Die GmbH entsteht mit der Eintragung ins Handelsregister.

Die Gründung erfolgt durch einen notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag. GmbH


und UG (haftungsbeschränkt) können zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine
oder mehrere Personen errichtet werden. Die Gründung einer Einmann-Gesellschaft ist in
Deutschland möglich, ebenso in Österreich und der Schweiz. Zur Eintragung in das Han-
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 255

delsregister müssen für die GmbH mindestens 50 % des Mindestkapitals, also 12.500 EUR
(Geldeinlagen und ggf. Sacheinlagen), erbracht worden sein. Dabei sind Sacheinlagen
immer in voller Höhe zu erbringen. Die Gründung durch Sacheinlage unterliegt beson-
deren Vorschriften (§ 5 IV GmbHG). Bareinlagen müssen nicht in voller Höhe, jedoch
mindestens zu einem Viertel eingezahlt worden sein. Da die Anmeldung zur Eintragung ins
Handelsregister nur durch den Geschäftsführer vorgenommen werden kann, ist dieser im
Rahmen des Gesellschaftsvertrages oder durch einen späteren Beschluss der Gesellschafter
zu benennen. Die Pflichten der Gesellschaft in Bezug auf Buchführung, Inventar und Jah-
resabschluss ergeben sich aus den jeweiligen Bestimmungen des HGB. Ist die Eintragung
ins Handelsregister erfolgt, so haftet die GmbH nur noch mit ihrem Gesellschaftsvermögen
(§ 13 II GmbHG). Eine zusätzliche Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen
gibt es grundsätzlich nicht. Ausnahmen stellen Verbindlichkeiten dar, die noch vor Eintra-
gung der GmbH entstanden sind und rechtswidriges Handeln der Gesellschafter, das zur
Vermögenslosigkeit der Gesellschaft geführt hat.
Für den Zeitraum zwischen der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages
und der Eintragung ins Handelsregister, mit der die GmbH eigentlich erst entsteht und
Rechtspersönlichkeit erlangt, spricht man von einer Vorgesellschaft oder Vor-GmbH. In
diesem Zeitraum haften die Handelnden, d. h. der Geschäftsführer oder die Gesellschafter,
persönlich und solidarisch (§ 11 II GmbHG).

77 Oberstes Organ der GmbH ist die Gesellschafterversammlung.

Oberstes Organ der GmbH ist die Gesellschafterversammlung. Das GmbH-Gesetz sieht
einige unübertragbare Kompetenzen vor, die durch den Gesellschaftsvertrag zusätzlich
erweitert werden können. Außerdem ist die Gesellschafterversammlung gegenüber der
Geschäftsführung weisungsbefugt. Die Gesellschafterversammlung kann die GmbH je-
doch, wie auch in Österreich, nicht nach außen vertreten. Anders in der Schweiz, in der die
Gesellschafterversammlung ein Vertretungsrecht innehat. Das Stimmrecht der einzelnen
Gesellschafter bemisst sich nach ihrem Anteil (§ 47 II GmbHG).6 Ein Gesellschafter kann
jedoch von der Abstimmung ausgeschlossen werden, wenn er durch die Beschlussfassung
entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll (§ 47 IV GmbHG).
Die Gesellschafter sind sich gegenseitig und der Gesellschaft gegenüber zur Treue ver-
pflichtet, d. h., sie haben die Interessen der Mitgesellschafter und der GmbH zu wahren und
schädigendes Verhalten zu unterlassen. Die Gesellschafterversammlung hat zwingend einen
Geschäftsführer zu bestimmen.7 Dieser kann Gesellschafter der GmbH sein. Er vertritt die
Gesellschaft und führt ihre Geschäfte.

77 Ab 500 Mitarbeitenden muss auch die GmbH einen Aufsichtsrat einrichten.

6
Ist durch Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt worden, so entsprechen 50 EUR einer
Stimme.
7
Gemäß Gesellschaftsvertrag können auch mehrere Geschäftsführer vorgesehen sein.
256 8  Rechtliche Grundlagen

Sofern die GmbH nicht mehr als 500 Mitarbeitende beschäftigt, kann sie frei entschei-
den, ob die Implementierung eines Aufsichtsrats durch den Gesellschaftsvertrag vorge-
sehen werden soll oder nicht (§ 52 GmbHG). Ab 500 Mitarbeitenden ist ein Aufsichtsrat
zwingend vorgeschrieben, wobei für ihn die Bestimmungen des Aktiengesetzes (§ 95 ff.
Aktiengesetz) gelten. Ab 2000 Mitarbeitenden ist ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat
nach dem Mitbestimmungsgesetz (MBG) vorgeschrieben. Die Veräußerung bzw. der Er-
werb von Gesellschaftsanteilen erfolgt durch einen notariell beurkundeten Vertrag. Durch
den Gesellschaftsvertrag kann die Übertragung von Anteilen an weitere Voraussetzun-
gen, insbesondere die Genehmigung durch die übrigen Gesellschafter, geknüpft werden
(§ 15 GmbHG).

77 Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ist die gründerfreundliche


Variante der GmbH.

Seit einigen Jahren gibt es zudem eine gründerfreundliche Variante der GmbH, die Unter-
nehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) oder kurz die UG (haftungsbeschränkt). Sie
wurde am 1. November 2008 im Zusammenhang mit der Reform des deutschen GmbH-
Rechts das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Miss-
bräuchen“ (MoMiG) verabschiedet. Die UG (haftungsbeschränkt), umgangssprachlich
vor allem als „Mini-GmbH“ oder „1-Euro-GmbH“ bekannt, ist keine neue Rechtsform,
sondern eine Variante der GmbH mit geringerem Mindestkapital. Das Stammkapital der
UG (haftungsbeschränkt) beträgt mindestens 1 EUR. Sobald das Eigenkapital eine Summe
von mindestens 25.000 EUR aufweist, kann eine Anmeldung zur traditionellen GmbH
erfolgen (§ 5a I/II GmbHG), eine Vorschrift hierfür existiert jedoch nicht. Da der Gesetz-

Tab. 8.2  Bewertung der deutschen GmbH und der UG (haftungsbeschränkt)

Vorteile Nachteile

GmbH
Keine persönliche Haftung der Gesellschaf- Aufwendigere Gründungsformalitäten im
ter Vergleich zum Einzelkaufmann/Handels-
firma
Eigene Rechtsfähigkeit der GmbH (eine Eintragung ins Handelsregister zwingend
GmbH kann z. B. Anteile an einem anderen
Unternehmen halten)
Gründungskapital geringer als bei einer AG Mindestkapital (25.000 EUR)
UG (haftungsbeschränkt)
Vereinfachtes und beschleunigtes Grün- Außenwirkung schlechter, da geringere
dungsverfahren, geringe Gründungskosten Kapitalisierung
Stammkapital von lediglich 1 EUR notwen- Ein Viertel des erwirtschafteten Gewinns
dig muss als Rücklage verwendet werden
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 257

geber diese Entwicklung jedoch für wünschenswert hält, wurde im Gesetz die Pflicht zur
Thesaurierung des Gewinns verankert. Ein Viertel des Unternehmensgewinns muss als
Rücklage einbehalten werden (§ 5a IV GmbHG). So soll die UG (haftungsbeschränkt)
innerhalb weniger Jahre mit einem ausreichenden Eigenkapital ausgestattet werden, um
das Stammkapital auf 25.000 EUR zu erhöhen und eine traditionelle GmbH anzumelden.
Die Vor- und Nachteile der deutschen GmbH sowie der UG (haftungsbeschränkt) finden
sich in Tab. 8.2.

8.3.2.3 Deutsche Aktiengesellschaft

77 Die AG ist eine Kapitalgesellschaft. Die Beteiligung der Aktionäre richtet sich
nach deren Anteilen am Grundkapital.

Die Aktiengesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft mit juristischer Persönlichkeit. Sie führt
eine eigene Firma und ist Formkaufmann (§ 6 HGB) im Sinne des HGB. Wie im schwei-
zerischen und im österreichischen Recht beurteilt sich die Beteiligung der Aktionäre nach
ihrem Anteil am in Aktien zerlegten Grundkapital (§ 1 AktG) [3]. Der Mindestbetrag des
Grundkapitals beträgt 50.000 EUR (§ 7 AktG), wobei die Aktien entweder als Nennbe-
trags- oder Stückaktien ausgegeben werden können (§ 8 AktG).8 Nennbetragsaktien lauten
auf einen bestimmten Nennbetrag, der mindestens 1 EUR betragen muss. Stückaktien
haben hingegen keinen nominalen Nennwert. Es handelt sich vielmehr um einen Anteil
am Grundkapital, der durch die Zerlegung entsteht [4]. Zusätzlich werden Inhaber- und
Namensaktien unterschieden. Durch die Satzung der Gesellschaft kann die Übertragbarkeit
der Namensaktien von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig gemacht werden. Vom
Grundkapital muss mindestens der sogenannte eingeforderte Betrag, d. h. ein Viertel des
geleisteten Ausgabebetrags, geleistet werden. Bei der Ausgabe von Aktien zu einem höhe-
ren Betrag ist auch der Mehrbetrag zu leisten (§§ 9, 36, 36a AktG) [5]. Bei einer Bargrün-
dung muss die Einlage zur freien Verfügung des Vorstandes geleistet werden. Dazu genügt
eine Einzahlung auf ein Konto der Gesellschaft (§ 54 AktG); anders bei der Gründung
der schweizerischen AG, bei der die Zahlung auf ein Sperrkonto zu erfolgen hat, das erst
nach der Beendigung der Gründungsphase freigegeben wird. In Österreich ist durch den
bestellten Vorstand ein Gesellschaftskonto bei einer inländischen Bank zu eröffnen, auf das
die Gründer ihre Einzahlungen zu leisten haben. Die Sachgründung folgt eigenen Bestim-
mungen (§§ 27, 36 II, 36a II AktG). Analog zur Gründung einer Einmann-GmbH ist auch
bei der Einmann-AG für den ausstehenden Betrag eine Sicherheit zu leisten (§ 36 I AktG).

77 Eine persönliche Haftung der Aktionäre besteht nicht.

Die Gründung erfolgt durch eine oder mehrere Personen und vollzieht sich in mehreren
Stufen. Zur Errichtung der AG bedarf es zuerst eines notariell beglaubigten Gesellschafts-

8
Eine Mischung beider Formen ist nicht zulässig.
258 8  Rechtliche Grundlagen

vertrages, man spricht auch von der Satzung, wobei sämtliche Aktien übernommen werden
müssen. In der Folge bestimmen die Gründer den Aufsichtsrat und den Abschlussprüfer
für das erste Geschäftsjahr. Der Aufsichtsrat seinerseits bestimmt den Vorstand. Es wird
ein Gründungsbericht erstellt und die Einlage ist zu leisten. Ist dies alles korrekt erfolgt, so
wird die Anmeldung vom Registergericht gutgeheißen und es kommt zur Eintragung der
AG. Damit ist sie nun voll rechtsfähig. Die Haftung beschränkt sich ab diesem Zeitpunkt
auf das Gesellschaftsvermögen der AG, es besteht keine persönliche Haftung der Aktionäre.

77 Die unterschiedlichen Kompetenzen sind zwischen den Organen der AG klar


verteilt.

In einer deutschen AG gibt es drei Organe: den Vorstand, den Aufsichtsrat und die Haupt-
versammlung. Anders als im schweizerischen Recht gibt es zwischen den Organen der
deutschen AG keine hierarchische Ordnung, vielmehr handelt es sich, wie in Österreich,
um eine zwingende Verteilung der Kompetenzen, womit ein Ausgleich bewirkt werden
soll. Der Vorstand, der sich normalerweise aus mehreren Personen zusammensetzt, ist
das Leitungsorgan der AG und führt die Geschäfte. Dazu gehören die Ausführung der
Beschlüsse der Hauptversammlung, die Berichterstattung an den Aufsichtsrat, die Führung
der Handelsbücher und die Erstellung des Jahresabschlusses und des Geschäftsberichts.
Der Vorstand wird durch den Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre bestellt. Der Vorstand
einer AG ist nicht weisungsgebunden, die grundsätzliche Ausrichtung seiner Arbeit wird
aber durch den Aufsichtsrat kontrolliert. Als Kontrollorgan bestellt der Aufsichtsrat den
Vorstand oder ruft diesen ab, überwacht die Geschäftsführung und überprüft den Jahres-
abschluss sowie den Lagebericht. Die Satzung kann außerdem einen Zustimmungsvorbe-
halt des Aufsichtsrates für bestimmte Geschäfte vorsehen (§ 111 AktG). Der Aufsichtsrat
setzt sich in der Regel zur Hälfte aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer
zusammen. Die Vertreter der Anteilseigner werden von der Hauptversammlung gewählt,
die Vertreter der Arbeitnehmer werden nach dem MBG gewählt oder entsandt. Aufsichts-
ratsmitglieder dürfen weder dem Vorstand angehören noch leitende Angestellte der AG
sein (§ 105 AktG).

77 Auf der Hauptversammlung üben die Aktionäre ihre Rechte aus.

Im Rahmen der Hauptversammlung üben letztlich die Aktionäre ihre Rechte aus. Anders
als im schweizerischen Recht ist diese nicht oberstes Organ. Zu ihren Aufgaben gehört die
Wahl der Aktionärsvertreter in den Aufsichtsrat, die Bestellung des Abschlussprüfers, die
Verwendung des Bilanzgewinns, Satzungsänderungen usw. Ein wesentlicher Unterschied
im Gegensatz zur schweizerischen AG besteht in den Mitbestimmungsrechten der Arbeit-
nehmer, die je nach Betriebsgröße, Branche usw. einzeln zu prüfen sind. So muss vor Kün-
digungen der Betriebsrat als Arbeitnehmervertretung angehört werden. Die Übertragung
von Aktien ist frei möglich. In Tab. 8.3 werden die Vor- und Nachteile einer deutschen
Aktiengesellschaft gegenübergestellt.
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 259

Tab. 8.3  Bewertung der deutschen Aktiengesellschaft

Vorteile Aktiengesellschaft Nachteile Aktiengesellschaft

Haftung nur mit Gesellschaftsvermögen Notarielle Beurkundung, Kosten


Kapitalbeschaffung durch Ausgabe neuer Eintragung ins Handelsregister
Aktien
Kreditwürdigkeit Notwendiges Grundkapital 50.000 EUR

8.3.2.4 Zusammenfassende Darstellung für Deutschland

Tab. 8.4  Zusammenfassende Darstellung für Deutschland

Einzelkaufmann/ GmbH/UG AG
Handelsfirma (haftungsbeschränkt)

Gründer Nur eine Person Ab einer Person Ab einer Person


Stamm- bzw. Keines 25.000 EUR/1 EUR 50.000 EUR
Grundkapital
HR-Eintrag Istkaufmann ja/ Ja Ja
Kannkaufmann
freiwillig
Rechtspersönlich- Nein Ja Ja
keit
Firma Vor- und Zuname Personen- oder Frei wählbar, jedoch
des Inhabers Sachfirma, Familien- mit dem Zusatz
name oder Gegen- „Aktiengesellschaft“
stand des Betriebes
mit Zusatz GmbH/
Zusatz UG (haf-
tungsbeschränkt)
Geschäftsführung Kaufmann Geschäftsführung Vorstand
Haftung Persönlich Nach Eintragung ins Gesellschafts­
HR: Gesellschafts- vermögen
vermögen
Buchführungs- Ja Ja Ja
pflicht
Übertragung Nicht möglich Möglich, notariell Möglich
beurkundeter Vertrag
notwendig
Gesetzliche HGB GmbHG AktG
Grundlagen
260 8  Rechtliche Grundlagen

8.3.3 Darstellung österreichischer Rechtsformen

Am 1. Januar 2007 trat die bisher umfassendste Reform des Unternehmerrechts in Kraft.


Mit dem Handelsrechtsänderungsgesetz (HaRÄG) wurde das bisherige Handelsgesetzbuch
(HGB) vom Unternehmergesetzbuch (UGB) abgelöst. Anders als im HGB ist dort nicht
mehr vom Kaufmann, sondern nur noch vom Unternehmer die Rede. Unternehmer sind
die Personen, die ein Unternehmen betreiben (§ 1 UGB). Als Unternehmen wiederum wird
jede auf Dauer angelegte Organisation bezeichnet, die selbstständig wirtschaftlich tätig
ist, unabhängig davon, ob eine Gewinnerzielungsabsicht existiert oder nicht (§ 1 UGB).
Wichtig ist nur, dass die Organisation wirtschaftlich werthaltige Leistungen gegen Entgelt
auf dem Markt anbietet. Unternehmer im Sinne des UGB sind auch Kapitalgesellschaf-
ten, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitig-
keit, Sparkassen, Europäische Wirtschaftsvereinigungen, Europäische Gesellschaften oder
Europäische Genossenschaften.

8.3.3.1 Österreichisches Einzelunternehmen


Im Vordergrund des Einzelunternehmens steht die Unternehmerperson. Diese repräsentiert
das Unternehmen nach außen und haftet für sämtliche Verbindlichkeiten des Unternehmens
mit dem betrieblichen und privaten Vermögen. Demzufolge eignet sich die Rechtsform vor
allem für Personen, die ohne Partner gründen möchten. Für Teamgründungen kommen
alternativ Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften (insbesondere Offene Gesell-
schaft, Kommanditgesellschaft) als Rechtsformen in Betracht.
Generell muss man zwischen dem protokollierten (d. h. im Firmenbuch eingetragenen)
und dem nicht protokollierten Einzelunternehmer unterscheiden. Der protokollierte Einzel-
unternehmer ist ab Überschreiten eines Jahresumsatzes von 700.000 EUR in zwei aufeinan-
derfolgenden Jahren bzw. einem Jahresumsatz von 1.000.000 EUR zur Rechnungslegung
und somit zur Gewinnermittlung nach den Vorschriften des Unternehmensgesetzbuchs
verpflichtet. In diesem Falle sind eine Eintragung ins Firmenbuch und der Rechtsformzu-
satz „eingetragener Unternehmer“ (e. U.) obligatorisch. Lediglich bei Nichterreichen der
genannten Umsatzhöhe gelten die Buchführungspflichten nicht, und die Eintragung ins
Firmenbuch erfolgt auf freiwilliger Basis. Damit ist es auch möglich, dass ein Unterneh-
mer zwar im Firmenbuch eingetragen, aber dennoch nicht rechnungslegungspflichtig ist.

77 Als Firma kommen sowohl Personen- als auch Sach- oder Fantasienamen
infrage.

Als Firma kommen sowohl Personennamen als auch Sach- oder Fantasienamen infrage,
wobei das Kürzel „e. U.“ dem Firmennamen beizufügen ist. Wichtig ist jedoch, dass die
Firma zur Kennzeichnung des Unternehmens geeignet ist, keine irreführenden Angaben
erhält und zur Unterscheidung gegenüber existierenden Firmen geeignet ist. Es besteht
keine Verpflichtung, den Namen des Unternehmers in der Firmenbezeichnung anzuführen.
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 261

Tab. 8.5  Bewertung des österreichischen Einzelunternehmens

Vorteile des Einzelunternehmens Nachteile des Einzelunternehmens

Kein Mindestkapital erforderlich Gesamtverantwortung liegt beim Unterneh-


mer
Großer Gestaltungsspielraum Haftung mit Privatvermögen
Geringer Gründungsaufwand und geringe Erweiterung der Kapitalbasis richtet sich
Gründungskosten nach eigenen Mitteln
Rechnungslegung und Gewinnermittlung Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung
erst ab einem Umsatz von 700.000 bzw.
1.000.000 EUR erforderlich

Existiert bereits ein Unternehmen mit dem gewünschten Namen, muss der Zweitanmelder
einen Zusatz beifügen, der die eindeutige Unterscheidung beider Unternehmen ermöglicht.
Grundsätzlich entsteht ein Einzelunternehmen mit Aufnahme der Tätigkeit ohne einen
formalen Gründungsakt. Es existieren jedoch einige administrative Verpflichtungen, wie
beispielsweise die Anzeige der unternehmerischen Tätigkeiten beim Finanzamt und der
Sozialversicherung. Im Vergleich mit Kapitalgesellschaften ist der Aufwand jedoch ge-
ring. Die Vor- und Nachteile des österreichischen Einzelunternehmens werden in Tab. 8.5
dargestellt.

8.3.3.2 Österreichische GmbH


Die GmbH hat seit der Einführung der Einmann-GmbH deutlich an Popularität zugenom-
men und ist als Kapitalgesellschaft eine Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit.
Die Gesellschafter erbringen Vermögenseinlagen, die zusammen das Stammkapital der
Gesellschaft bilden. Darüber hinaus bestehen in der Regel keine vermögensrechtlichen
Verpflichtungen. Für die Verbindlichkeiten haftet die GmbH als juristische Person allein.
Eine persönliche Haftung der Gesellschafter existiert also in der Regel nicht.
Die GmbH tritt im rechtsgeschäftlichen Verkehr auf und ist Trägerin von Rechten und
Pflichten. Die Anzahl der Gesellschafter kann frei gewählt werden, wobei die Gründung
auch durch eine Einzelperson erfolgen kann („Einmann-GmbH“). Das Mindeststammkapi-
tal beträgt 35.000 EUR, wobei mindestens die Hälfte davon, also 17.500 EUR, in bar auf-
gebracht werden muss. Die Gesellschafter einer GmbH können natürliche oder juristische
Personen sein. Geschäftsanteile sind nicht für den freien Handel bestimmt. Sollen Anteile
übertragen werden, ist ein notariell beglaubigter Vertrag notwendig.
Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 wurde nach kurzem Bestehen die sogenannte
„GmbH-Light“ wieder abgeschafft. Durch die Schaffung einer „Gründungsprivilegierung“
für neu gegründete GmbHs besteht aber seither die Möglichkeit, eine „gründungsprivile-
gierte GmbH“ bereits mit einem reduzierten Stammkapital von 10.000 EUR (davon sind
zumindest 5000 EUR einzuzahlen) zu gründen. In einer Zeitspanne von zehn Jahren muss
262 8  Rechtliche Grundlagen

das Stammkapital auf 35.000 EUR aufgestockt werden. Sacheinlagen sind bei der „grün-
dungsprivilegierten GmbH“ ausgeschlossen.
Um einer gewerblichen Tätigkeit nachgehen zu können, muss die GmbH über eine
Gewerbeberechtigung verfügen. Um diese zu erhalten, muss ein gewerberechtlicher Ge-
schäftsführer ernannt werden. Häufig stammt der Geschäftsführer aus dem Kreis der Ge-
sellschafter.

77 Die GmbH kann grundsätzlich für jeden gesetzlich zulässigen Zweck gegrün-
det werden.

Grundsätzlich kann die GmbH für jeden gesetzlich zulässigen Zweck gegründet werden.
Der Gründungsvorgang besteht im Wesentlichen aus dem Abschluss des Gesellschafts-
vertrages, der notariell beglaubigt werden muss, und der Eintragung im Firmenbuch. Um
handeln zu können, benötigt die GmbH, wie alle juristischen Personen, Organe. Bei der
österreichischen GmbH sind dies die Generalversammlung, der Aufsichtsrat und die Ge-
schäftsführung. Die Generalversammlung besteht aus allen Gesellschaftern. Sie wird min-
destens einmal pro Jahr vom Geschäftsführer einberufen. Die Stimmrechte der einzelnen
Gesellschafter hängen von der Höhe der jeweiligen Geschäftsanteile ab. Die Generalver-
sammlung wählt gegebenenfalls den Aufsichtsrat und bestimmt die Geschäftsführung.
Der Aufsichtsrat fungiert als Kontrollorgan der österreichischen GmbH. Ein Aufsichtsrat
muss jedoch nur dann gebildet werden, wenn das Stammkapital 70.000 EUR überschrei-
tet, mehr als 50 Gesellschafter an der GmbH beteiligt sind, die Anzahl der Arbeitnehmer
im Durchschnitt 300 übersteigt oder der Gesellschaftsvertrag einen Aufsichtsrat vorsieht.
Ein vorgeschriebenes Organ ist die Geschäftsführung, die aus einem oder mehreren
Geschäftsführern besteht. Die Bestellung der Geschäftsführer erfolgt auf Beschluss der
Gesellschafter. Sie kann auf unbestimmte Zeit erfolgen. Eine Abberufung ist ohne Vorlie-
gen wichtiger Gründe möglich.
Gesellschafter können jedoch auch durch den Gesellschaftsvertrag zu Geschäftsführern
bestellt werden. In diesem Fall könnte die Abberufung der Geschäftsführer auf wichtige
Gründe beschränkt werden. Hinsichtlich seiner Tätigkeiten ist der Geschäftsführer an Wei-
sungen der Generalversammlung gebunden. Die Vertretung nach außen erfolgt durch die
Geschäftsführung, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns für die ordnungsge-
mäße Geschäftsführung verantwortlich ist.
Hauptgrund für die Popularität der GmbH ist die begrenzte Haftung, die sich auf das
Gesellschaftsvermögen beschränkt. Die Rechtsform der GmbH eignet sich vor allem für
Zusammenschlüsse von Partnern, die das Risiko auf die Kapitaleinlage reduzieren möchten.
Anders als in Deutschland und der Schweiz ist der Geschäftsführer der GmbH jedoch von
der Haftungsbeschränkung ausgeschlossen. Verletzt er die Sorgfaltspflicht, haftet er auch
mit seinem Privatvermögen. Sofern ein Gewinn erwirtschaftet wird, hat jeder Gesellschaf-
ter einen anteiligen Anspruch auf den Reingewinn. Tabelle 8.6 zeigt die Vor- und Nachteile
der österreichischen GmbH auf.
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 263

Tab. 8.6  Bewertung der österreichischen GmbH

Vorteile der GmbH Nachteile der GmbH

Keine persönliche Haftung der Gesellschaf- Erhöhter Verwaltungsaufwand (im Vergleich


ter, eine Ausnahme stellt der Geschäftsfüh- zum Einzelunternehmen)
rer dar, der bei Verletzung der Sorgfalts-
pflicht mit seinem Privatvermögen haftet
Gründungskapital geringer als bei einer AG Aufwendigere Gründungsformalitäten
Eigene Rechtsfähigkeit der GmbH (eine Beschränkte Übertragbarkeit der Anteile
GmbH kann z. B. Anteile an einem anderen
Unternehmen halten)

8.3.3.3 Österreichische Aktiengesellschaft

77 Das Grundkapital der österreichischen AG beträgt mindestens 70.000 EUR.

Die Rechtsform der AG wird häufig von größeren Unternehmungen und sehr selten von
Start-ups gewählt. Das Grundkapital der AG wird in Aktien zerlegt (mindestens 70 EUR),
die von den Gesellschaftern gegen Einlagen übernommen werden. Das Grundkapital der
österreichischen AG beträgt mindestens 70.000 EUR. Eine persönliche Haftung für die
Verbindlichkeiten der AG besteht nicht. Wie die GmbH, besitzt die AG eine eigene Rechts-
persönlichkeit und benötigt daher natürliche Personen, die sie vertreten und die für sie
handeln. Die AG entsteht mit der Eintragung in das Firmenbuch.
Die Hauptversammlung repräsentiert die Gesamtheit aller Aktionäre. Jede Aktie re-
präsentiert eine Stimme. Die Hauptversammlung muss mindestens einmal im Jahr durch
den Vorstand oder den Aufsichtsrat einberufen werden. Unter anderem beschließt sie über
Kapitalveränderungen oder die Auflösung der Gesellschaft. Zudem ist sie verpflichtet, über
die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat
zu entscheiden.
Der Aufsichtsrat ist das Kontrollorgan der Gesellschaft. Er beruft den Vorstand
(§ 75 AktG) und überwacht seine Geschäftsführung (§ 95 AktG). Die Amtsdauer von
Aufsichtsratsmitgliedern ist in § 87 AktG geregelt und nicht kalendermäßig festgelegt. Je
nach Abweichung zwischen Geschäfts- und Kalenderjahr liegt die maximale Dauer zwi-
schen 4,25 und 5,75 Jahren. Aufsichtsratsmitglieder können nicht gleichzeitig Mitglied des
Vorstands sein. So sind die Führung der Geschäfte und die Kontrolle streng voneinander
getrennt.

77 Die Geschäftsführung der AG obliegt dem Vorstand.

Die Geschäftsführung der AG obliegt dem Vorstand, der die Gesellschaft auch nach au-
ßen vertritt. Gegenüber dem Aufsichtsrat hat der Vorstand eine Informationspflicht. Der
264 8  Rechtliche Grundlagen

Tab. 8.7  Bewertung der österreichischen Aktiengesellschaft

Vorteile Aktiengesellschaft Nachteile Aktiengesellschaft

Haftung nur mit Gesellschaftsvermögen Notarielle Beurkundung, Kosten


Kapitalbeschaffung durch Ausgabe neuer Eintragung ins Firmenbuch
Aktien
Kreditwürdigkeit Notwendiges Grundkapital 70.000 EUR

Vorstand ist jedoch an keine Weisungen des Aufsichtsrates gebunden. Die Aufstellung des
Jahresabschlusses obliegt ebenfalls dem Vorstand.
In Bezug auf die Haftungsregelungen ist die AG mit der GmbH durchaus vergleichbar.
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in der Ausstattung mit Eigenkapital sowie der
Aufbringung von Eigenkapital über die Börse. Hier weist die AG eindeutig Vorteile auf.
Die Gründung einer AG wird daher häufig in eigenkapitalintensiven Situationen (Wachs-
tumsphase etc.) erwogen, zwingend natürlich bei einem gewünschten Gang an die Börse.
Die Vor- und Nachteile der österreichischen AG werden in Tab. 8.7 dargestellt.

8.3.3.4 Zusammenfassende Darstellung für Österreich

Unternehmensprofil: Bets4all
Im Berliner Olympiastadion fand am 6. Juni 2015 das Champions-League Finale statt.
Wer auf Juventus Turin setzte und damit richtig lag, erhielt das 5,5-Fache seines Wett-
einsatzes. Wer stattdessen auf den Favoriten – den FC Barcelona – setzte und Recht
behielt, bekam lediglich das 1,65-Fache. Wer falsch lag, verlor den kompletten Wett-
einsatz.
Wetten hat seinen Reiz. Das war schon früher so, als man noch persönlich zum
Buchmacher gehen musste, um seinen Einsatz zu bezahlen. Und das hat sich bis heute
nicht geändert. Nur, dass es heute einfacher ist. Wetten kann man schnell und unkom-
pliziert im Internet abschließen.
Die Großen der Szene sind die traditionellen englischen Buchmacher William Hill
(gegründet 1934), Ladbrokes (gegründet 1925) und bwin (gegründet 1999). Online
gingen diese Unternehmen bereits Mitte bzw. Ende der 1990er-Jahre. Seit 2002 gibt es
auch einen österreichischen Anbieter im Internet. War da noch Platz für einen Neuen?
Es war Platz! Bets4all hat inzwischen Tausende registrierte Nutzer aus Dutzenden ver-
schiedener Länder, die die nutzerfreundliche Webseite und den hervorragenden Kun-
denservice zu schätzen wissen. Sie tippen auf den Ausgang aktueller Fußball-, Tennis-
oder Baseballspiele.
Gegründet wurde das Unternehmen von Attila Gergely, der einige Jahre neben sei-
nem Betriebswirtschaftsstudium bei einem Internet-Wettanbieter gearbeitet hatte, be-
vor er sich im gleichen Metier selbstständig machte. Er hatte beschlossen, es anders zu
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 265

machen als die bisherigen Marktteilnehmer: Der Kundenservice sollte besser sein als
bei allen anderen. Das hat er geschafft. Das fängt bei der Mitarbeiterqualifikation an
und hört beim Live-Chat auf, der es Kunden ermöglicht, mit den Mitarbeitenden des
Supportteams direkt in Kontakt zu treten. Kundenorientierung alleine reicht natürlich
nicht aus und so sorgen attraktive Quoten und hohe Sicherheitsstandards dafür, dass
Kunden das Angebot von Bets4all nutzen.
Gegründet hat Attila Gergely das Unternehmen gemeinsam mit Martina Ganglber-
ger sowie mit den beiden Gesellschaftern des Softwareunternehmens Digital Concepts,
Wolfgang Winkler und Clemens Novak. Geschäftsführender Gesellschafter wurde At-
tila Gergely selbst.

Tab. 8.8  Zusammenfassende Darstellung für Österreich

Einzelunternehmen GmbH AG

Gründer Nur eine Person Ab einer Person Ab einer Person


Stamm- bzw. Keines 35.000 EUR 70.000 EUR
Grundkapital
Eintrag im Fir- Ab 700.000 EUR Ja Ja
menbuch Jahresumsatz
Rechtspersönlich- Nein Ja Ja
keit
Firma Personenname, Personenname, Personenname,
Sach- oder Fantasie- Sach- oder Fanta- Sach- oder Fantasie-
name, Zusatz „e. U.“ siename, Zusatz name, Zusatz „AG“
erforderlich „GmbH“ erforder- erforderlich
lich
Geschäftsführung Unternehmer Geschäftsführer Vorstand
Haftung Persönlich Gesellschaftsver- Gesellschaftsver-
mögen mögen
Buchführungs- Ab 700.000 EUR Ja Ja
pflicht Jahresumsatz in
zwei aufeinanderfol-
genden Jahren bzw.
einem Jahresumsatz
von 1.000.000 EUR
in einem Jahr
Übertragung Nicht möglich Möglich, notariell Möglich
beurkundeter Vertrag
notwendig
Gesetzliche UGB (früher HGB) GmbHG AktG
Grundlagen
266 8  Rechtliche Grundlagen

Als Gesellschaftsform kamen lediglich eine GmbH oder eine AG infrage, da Wett-
lizenzen in Österreich nicht an Personengesellschaften vergeben werden. Die GmbH
schien den Gründern aus mehreren Gründen sympathischer: Die Haftung ist, wie bei
einer AG, auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt sowie eine Bankgarantie für die
Wettlizenz in Höhe von 72.000 EUR. Darüber hinaus erschienen allen Beteiligten die
notwendigen Buchführungspflichten einer AG als zu kompliziert für ein kleines Unter-
nehmen.
Attila Gergely ist ausgebildeter Ingenieur für Nachrichtentechnik. 1997 hat er zu-
dem mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium an der Universität in Linz be-
gonnen – Vertiefungsrichtung Unternehmensgründung. Offensichtlich das richtige Stu-
dienfach, und auch wenn die eigene Unternehmensgründung den Abschluss noch etwas
verzögern wird, machen möchte er ihn auf jeden Fall!
Mehr Informationen unter: www.bets4all.com

8.3.4 Darstellung Schweizer Rechtsformen

8.3.4.1 Schweizerischer Einzelkaufmann/Einzelfirma

77 Eine Einzelfirma entsteht, wenn eine Person eine auf Dauer ausgerichtete
wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt.

Unter einer Einzelfirma ist eine natürliche Person zu verstehen, die allein, in eigenem Na-
men und auf eigenes Risiko ein kaufmännisches Unternehmen betreibt [6]. Die Einzelfirma
eignet sich vor allem für Beschäftigungen, die stark mit dem Inhaber in Verbindung stehen.
So entscheiden sich beispielsweise häufig Architekten, Handwerker, Ärzte, Anwälte oder
lokale Handelsfirmen für diese Rechtsform [7]. Einer eigentlichen Gründung bedarf die
Einzelfirma nicht. Sie besteht von dem Moment an, in dem durch den Inhaber eine auf
Dauer ausgerichtete wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen wird.9 Gesetzlich ist weder
ein bestimmtes Gründungskapital noch ein bestimmtes Eigenkapital vorgeschrieben. Wer
ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt, ist verpflichtet, dieses ab einem
Jahresumsatz von 100.000 CHF im Handelsregister eintragen zu lassen. Die Handelsregis-
terverordnung statuiert von der Eintragungspflicht einige Ausnahmen,10 es besteht jedoch
immer ein Recht auf Eintragung (934 II OR). Mit dem Eintrag ins Handelsregister ist der
Firmenname11 am Ort geschützt (94 OR).

9
Als Faustregel gilt eine Zeitspanne ab etwa drei Monaten.
10
Einzelfirmen, die einen jährlichen Umsatz von 100.000 CHF nicht erreichen, sind zumeist von
der Eintragungspflicht ausgenommen. Ebenso Handwerksbetriebe, die keiner Buchführungspflicht
unterliegen, oder die freien Berufe (Arzt, Anwalt, Architekt usw.), sofern deren Betrieb nicht eine
gewisse Größe erreicht.
11
Die Firma bezeichnet diesen Namen bzw. Bezeichnung des Unternehmens, daran ist erkenntlich,
welche Rechtsform das Unternehmen hat (z. B. AG, GmbH o. Ä.).
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 267

Tab. 8.9  Bewertung der schweizerischen Einzelunternehmung

Vorteile der Einzelunternehmung Nachteile der Einzelunternehmung

Keine Einschränkungen durch andere Starke Abhängigkeit von der Person des
Teilhaber Inhabers
Praktisch keine Gründungsformalitäten Inhaber haftet mit dem gesamten Privat- und
Geschäftsvermögen
Keine steuerliche Doppelbelastung wie bei Progressionsnachteile bei der Steuer
Kapitalgesellschaften
Kein Gründungs- oder Eigenkapital notwen- Kapitalbeschaffung kann sich schwierig
dig, aber Betriebskapital gestalten
Geringer Verwaltungsaufwand Wachstum nur aus persönlichen Mitteln
(Bankkredite oder Darlehen von Privat­
personen)

77 Jedes Einzelunternehmen muss einen Nachweis über Einnahmen und Ausga-


ben führen.

Die zur Eintragung verpflichteten Firmen sind gehalten, die Bücher ordentlich zu führen
und die Betriebsrechnung sowie die Bilanz unterzeichnet aufzubewahren (957 ff. OR). Au-
ßerdem besteht eine zehnjährige Aufbewahrungspflicht für Geschäftsbücher, Buchungsbe-
lege und die Geschäftskorrespondenz (962 OR). Aber auch die nicht eintragungspflichtigen
Einzelunternehmen müssen Belege aufbewahren und einen Nachweis über Einnahmen und
Ausgaben für die Steuerbehörden führen können. Vor- und Nachteile der schweizerischen
Einzelunternehmung werden in Tab. 8.9 gegenübergestellt.

8.3.4.2 Schweizerische GmbH

77 Die schweizerische GmbH eignet sich für kleinere Unternehmen mit einer
begrenzten Anzahl an Mitarbeitenden.

Die schweizerische GmbH (Art. 772–827 OR) kann durch eine oder mehrere natürliche
oder juristische Personen oder andere Handelsgesellschaften gegründet werden (775 OR).
Als Kapitalgesellschaft verfügt die GmbH über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie ist
besonders geeignet für kleinere Unternehmen mit einer begrenzten Anzahl von Mitarbei-
tenden. Das Stammkapital darf nicht weniger als 20.000 CHF (773 OR) betragen und muss
vollständig, in Form von Sach- oder Bareinlagen, eingebracht werden. Der Nennwert der
Stammanteile muss mindestens 100 CHF betragen und darf im Falle einer Sanierung bis
auf einen Franken heruntergesetzt werden. Die Stammanteile müssen mindestens zum
Nennwert ausgegeben werden (774 OR).
Die Gründung erfolgt durch eine öffentliche Beurkundung der Gründung und die Fest-
setzung der Statuten durch mindestens einen Gesellschafter. Gesellschafter können natürli-
268 8  Rechtliche Grundlagen

che oder juristische Personen, In- oder Ausländer sein. Die Gesellschaft muss jedoch durch
eine Person vertreten werden können, die einen Wohnsitz in der Schweiz hat. Zu beachten
ist zudem der Bundesbeschluss über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Aus-
land, die sogenannte Lex Friedrich. Die Gesellschaft muss ins Handelsregister eingetragen
werden. Die GmbH erhält ihre Rechtspersönlichkeit als juristische Person erst mit dieser
Eintragung und kann damit in eigenem Namen Rechtsgeschäfte tätigen. Die Gesellschaft
haftet für ihre Verbindlichkeiten bis zur Höhe des Stammkapitals.

77 Die Gesellschafterversammlung ist das oberste Organ der GmbH.

Die Gesellschafterversammlung ist das oberste Organ der GmbH. Sie hat die wichtigsten
und unübertragbaren Kompetenzen inne und kann auch direkten Einfluss auf die Geschäfts-
leitung ausüben. Das Stimmrecht eines Gesellschafters kann nicht entzogen werden und be-
misst sich nach der Höhe der Stammeinlage, es ist jedoch möglich, einzelnen Gesellschaf-
tern ein persönliches Vetorecht einzuräumen (807 I OR). Die Gesellschafter sind zu einer
gemeinsamen Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet. Für die Gesellschafter besteht
ein Konkurrenzverbot. Gesellschafter dürfen nur Tätigkeiten gegen die Treuepflicht oder
ein Konkurrenzverbot ausüben, sofern alle übrigen Gesellschafter schriftlich zustimmen
(803 OR). Die Geschäftsführung kann durch die Statuten oder einen Gesellschaftsbeschluss
einzelnen Gesellschaftern oder auch Dritten übertragen werden.

77 Die Abtretung eines Gesellschaftsanteils unterliegt bestimmten Bedingungen.

Die Abtretung eines Gesellschaftsanteils ist, im Gegensatz zur AG, nicht frei möglich. Die
Abtretung von Stammanteilen bedarf der Zustimmung der Gesellschaftsversammlung, sofern
die Statuten nichts anderes vorsehen (786 OR). Bei besonderen Erwerbsarten der Stamman-
teile durch Erbschaft, Erbteilung, eheliches Güterrecht oder Zwangsvollstreckung gehen alle
Rechte und Pflichten ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung auf die erwerbende
Person über. Vor- und Nachteile der schweizerischen GmbH finden sich in Tab. 8.10.

Tab. 8.10  Bewertung der schweizerischen GmbH

Vorteile der GmbH Nachteile der GmbH

Relativ niedriges Grundkapital notwendig Erhöhter Verwaltungsaufwand im Vergleich


zum Einzelunternehmen
Nur eine Gründungsperson notwendig Steuerliche Doppelbelastung (Gewinn- und
Kapitalsteuer plus Vermögenssteuer)
Keine persönliche Haftung der Gesellschaf- Transparenz durch HR-Eintrag
ter. Die Haftung ist beschränkt auf das (voll (keine Anonymität wie bei der AG)
einbezahlte) Stammkapital
Umfangreiche, durch Statuten festlegbare Beschränkte Übertragbarkeit der Anteile
Treuepflichten (im Gegensatz zur AG)
8.3  Wahl der geeigneten Rechtsform 269

8.3.4.3 Schweizerische Aktiengesellschaft

77 Das Aktienkapital beträgt mindestens 100.000 CHF.

Gemeinsam mit der Einzelfirma ist die Aktiengesellschaft (620–763 OR) in der Schweiz
die häufigste Rechtsform, da sie bei Haftung, Kapitalvorschriften etc. auch für Kleinunter-
nehmen vorteilhaft ist [8]. Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Firma,
deren im Voraus bestimmtes Kapital (Aktienkapital) in Teilsummen (Aktien) zerlegt ist
(620 I OR). Im Vordergrund stehen nicht die Persönlichkeit der Gesellschafter und ihre
besonderen Fähigkeiten, sondern ihre Kapitaleinlage [[6], § 16 N 20]. Ihre Beteiligung
beurteilt sich nach der Anzahl der durch sie gehaltenen Aktien. Das Aktienkapital muss
mindestens 100.000 CHF betragen (621 OR), dabei sind mindesten 20 % des Nennwertes
jeder Aktie einzuzahlen, in jedem Fall aber mindestens 50.000 CHF (632 OR). Bei der
Bargründung erfolgt dies durch Einzahlung des Kapitals auf ein Sperrkonto (633 I OR), es
ist aber auch eine qualifizierte Gründung durch Sacheinlage/-übernahme möglich, die aber
gesonderten Bestimmungen in Bezug auf die Bewertung folgt (628 OR). Man unterscheidet
zwischen Inhaber- und Namensaktien, der Nennwert einer Aktie muss mindestens einen
Rappen betragen.

77 Die AG kann durch eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen
gegründet werden.

Eine Aktiengesellschaft kann durch eine oder mehrere juristische oder natürliche Personen
oder Handelsgesellschaften gegründet werden (625 OR). Die Errichtung der AG erfolgt
durch öffentliche Urkunde, in der die Gründung der AG erklärt wird, die Statuten festge-
legt und die Organe bestellt werden. Außerdem werden die Aktien gezeichnet. Die AG
erlangt ihren Status als juristische Person mit ihrer Eintragung ins Handelsregister. Bis zur
Eintragung der AG haften die Gesellschafter für im Namen der AG getätigte Handlungen
persönlich und solidarisch. Erst mit der Eintragung ins Handelsregister beschränkt sich
die Haftung auf das Aktienkapital. Dazu kommen die besonderen Vorschriften der Grün-
derhaftung (752 OR).
Oberstes Organ der AG ist die Generalversammlung (GV) der Aktionäre. Ihr stehen
zahlreiche nicht übertragbare Befugnisse zu, so auch die Festsetzung und Änderung der
Statuten, die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Revisionsstelle, die Ge-
nehmigung der Jahresrechnung und die Festsetzung der Verwendung des Bilanzgewinns
(Dividenden, Tantiemen) sowie die Entlastung des Verwaltungsrates. Die Aktionäre müssen
an der Unternehmensführung nicht teilnehmen, ihr Engagement kann ein rein finanzielles
sein. Die Übertragung von Aktien ist, sofern nichts anderes in den Statuten bestimmt ist,
frei. Zu den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Organen der AG, die bereits bei der
Gründung bestellt werden müssen, gehören der Verwaltungsrat und die Revisionsstelle.
Letztere prüft als unabhängiges und fachlich befähigtes Kontrollorgan, ob die Buchführung
und die Jahresrechnung den gesetzlichen und statutarischen Vorschriften entsprechen, und
legt der Generalversammlung ihren Bericht vor.
270 8  Rechtliche Grundlagen

Tab. 8.11  Bewertung der schweizerischen Aktiengesellschaft

Vorteile der Aktiengesellschaft Nachteile der Aktiengesellschaft

Aktionäre haften nur mit ihrem Anteil am Steuerliche Doppelbelastung


Aktienkapital
Einfache und steuerfreie Übertragbarkeit Hohe Gründungskosten und erhöhter Verwal-
von Aktien tungsaufwand
Kapitalbeschaffung und Kreditwürdigkeit Strenge Buchführungs- und Bilanzierungs-
(nicht automatisch) vorschriften
Kapitelgewinne sind steuerfrei Domizil- und Nationalitätsvorschriften für
den Verwaltungsrat

77 Die Geschäfte der schweizerischen AG werden durch den Verwaltungsrat


geführt.

Der Verwaltungsrat wird durch die Generalversammlung gewählt und führt die Geschäfte
der AG. Soweit die Statuten dies gestatten, kann die Geschäftsleitung ganz oder auch nur
teilweise einzelnen Mitgliedern oder Dritten übertragen werden. Der Verwaltungsrat hat
zahlreiche Aufgaben, die nicht übertragbar sind (OR 716a). Für die Mitglieder des Verwal-
tungsrates gelten spezielle Nationalitäts- und Domizilvorschriften.12

77 Aktien können grundsätzlich frei übertragen werden.

Die Übertragung von Aktien ist grundsätzlich frei möglich. Bei den Inhaberaktien genügt
neben einem gültigen obligatorischen Grundgeschäft, z. B. einem Kaufvertrag, die Übergabe
der Aktie. Bei der gewöhnlichen Namensaktie kommt dazu noch der Übertragungsvermerk
auf der Aktie hinzu, das sogenannte Indossament. Erst mit der Eintragung ins Aktienbuch der
Gesellschaft kann der Aktionär dann seine Rechte wahrnehmen. Es besteht ein Anspruch auf
Eintragung. Bei der vinkulierten Namensaktie besteht dieser Anspruch auf Eintragung nur un-
ter bestimmten Voraussetzungen, die in den Statuten bestimmt sein müssen. Damit kann die
Anerkennung von Aktionären von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht werden. Vor-
und Nachteil der schweizerischen Aktiengesellschaft werden in Tab. 8.11 gegenübergestellt.

8.3.4.4 Zusammenfassende Darstellung für die Schweiz


Eine vergleichende Darstellung hinsichtlich der wichtigsten Merkmale der Einzelfirma,
GmbH und AG kann Tab. 8.12 entnommen werden.

Die Mehrzahl der Verwaltungsräte muss das schweizerische Bürgerrecht und einen Wohnsitz in
12

der Schweiz haben (708 OR), bei EU-Bürgern genügt neu der Wohnsitz in der Schweiz.
8.4  Geistiges Eigentum 271

Tab. 8.12  Zusammenfassende Darstellung für die Schweiz

Einzelfirma GmbH AG

Gründer Eine Person Mind. eine Person Mind. eine Person


Stamm- bzw. Keines Mind. 20.000 CHF, Mind. 100.000 CHF,
Grundkapital voll eingezahlt wobei 50.000 CHF
zu Anfang einge-
zahlt sein müssen
HR-Eintrag Ab 100.000 CHF Vorgeschrieben, Vorgeschrieben,
p. a. konstitutiv konstitutiv
Rechtspersönlich- Nein Ja, ab Eintragung ins Ja, ab Eintragung ins
keit Handelsregister Handelsregister
Firma Familienname des Personen-, Sach- Personen-, Sach-
Inhabers, falls ge- oder Fantasiename, oder Fantasiename,
wünscht Zusatz der Rechtsform muss Rechtsform muss
Tätigkeit oder eines angegeben werden angegeben werden
Fantasienamens
Geschäftsführung Einzelunternehmer Per Gesetz alle, Gesamtverwal-
Statuten können aber tungsrat, falls keine
GF Einzelnen oder Übertragung erfolgt
Dritten übertragen
Haftung Persönlich Gesellschafts­ Gesellschaftsver-
vermögen mögen
Buchführungs- Nein, erst Pflicht mit Ja Ja
pflicht HR-Eintrag
Übertragung Nicht möglich Erschwert Einfach
Gesetzliche Im OR nicht separat Obligationenrecht Obligationenrecht
Grundlagen geregelt (OR), Artikel 772 (OR), Artikel 620
bis 827 bis 763

8.4 Geistiges Eigentum

77 Patente und andere Schutzrechte des geistigen Eigentums bieten für eine
bestimmte Zeit Schutz vor Nachahmern.

Der Erfolg einer Unternehmensgründung oder eines Unternehmens allgemein hängt, neben
den Fähigkeiten der Gründer, davon ab, ob es gelingt, ihre Produkte und Dienstleistungen
am Markt durchzusetzen und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Die Nach-
ahmung einer Geschäftsidee ist nach unserem Wirtschafts- und Rechtsverständnis grund-
sätzlich möglich und erlaubt. Es stellt sich damit die Frage nach einem effektiven Schutz
272 8  Rechtliche Grundlagen

vor Nachahmern, um eine einmal erlangte Wettbewerbssituation erfolgreich verteidigen


bzw. überhaupt erst aufbauen zu können. Patente und andere Schutzrechte des geistigen
Eigentums bieten hier die Möglichkeit, anderen die unerlaubte Nutzung bestimmter Ele-
mente zu verbieten und im Fall der Patente im Idealfall eine quasi monopolartige Stellung
im Wettbewerb zu erlangen. Zusätzlich kann das Recht z. B. an einem Patent bei Verhand-
lungen mit Risikokapitalgebern oder Bankenvertretern eine wichtige Argumentationsbasis
zugunsten einer Kapitalbeteiligung liefern.

77 Geistiges Eigentum ist rechtlich geschütztes Wissen.

Unter dem Begriff des geistigen Eigentums kann rechtlich geschütztes Wissen verstan-
den werden. In der juristischen Fachsprache werden alle Rechtsgebiete, die das geistige
Eigentum umfassen, unter dem Begriff „Immaterialgüterrecht“ zusammengefasst, inklusive
des Urheberrechts. Unter dem gewerblichen Rechtsschutz als Teilgebiet des Immaterial-
güterrechts werden alle damit verbundenen Rechte (Patent, Marke, Design, Topografie
oder Sorte) außer dem Urheberrecht zusammengefasst. Ein solches Recht ist anders als
bei Rechten, die sich aus Verträgen ergeben, gegenüber jedem Wettbewerber wirksam und
kann vom Auskunftsanspruch über die Untersagung bis hin zum Schadensersatz führen.
Schutzrechte stellen damit oftmals eine effiziente Methode zum Schutz der eigenen Wettbe-
werbsstellung dar. Diese Rechte entstehen aber mit Ausnahme des Urheberrechts nicht von
selbst, sondern müssen bei nationalen oder internationalen Stellen angemeldet werden. Bei
einer Anmeldung von Schutzrechten stehen diesen Vorteilen auch etliche Nachteile in Form
von Kosten und Offenlegungsvorschriften entgegen. Schutzrechte sollen in den Augen des
Gesetzgebers nicht nur Anreize für Erfinder schaffen, sondern durch Offenlegungspflich-
ten auch die Diffusion von Innovationen fördern. So schätzt das Europäische Patentamt,
dass etwa 80 % des technischen Wissens weltweit in Patentschriften niedergelegt sind. Ein
Unternehmen muss daher individuell entscheiden, welche Schutzrechtsstrategie sich am
besten für seine spezifische Situation eignet. In diesem Abschnitt wird ein kurzer Überblick
über die verschiedenen Arten geistigen Eigentums und dessen Einsatzmöglichkeiten im
Rahmen von Entrepreneurship gegeben.

8.4.1 Was ist geistiges Eigentum?

77 Das berühmte „Schweizer Taschenmesser“ wird durch eine ganze Reihe von
Schutzrechten vor Nachahmern geschützt.

Ein sehr beliebtes Souvenir aus der Schweiz sind die Schweizer Offiziersmesser des
Unternehmens Victorinox in roter Farbe mit obligatorischem Kreuz. Hinter diesem Mes-
ser verbirgt sich eine ganze Reihe von Schutzrechten, die es Victorinox ermöglichen,
gegen Imitate vorzugehen. So ist neben dem Markenschutz des Namens Victorinox z. B.
auch das Messer mit den dazugehörigen Werkzeugen patentiert. Es wird damit Dritten
8.4  Geistiges Eigentum 273

untersagt, dieses Messer unberechtigt zu kopieren/imitieren und in den Verkehr zu brin-


gen. Es befindet sich also ein ganzes Paket von Schutzrechten hinter diesem Messer,
die es vor unerlaubten Kopien schützen und auch die Nachahmung in Form sehr ähnli-
cher Messer erschweren sollen. Sogenannte intangible assets13 machen inzwischen bei
vielen Unternehmen einen Großteil des Unternehmenswertes aus. Auch die Anzahl der
Schutzrechtsanmeldungen in den letzten Jahren belegt mit einer hohen Zuwachsrate im
Bereich der internationalen Patentanmeldungen die Wichtigkeit des Schutzes von geisti-
gem Eigentum. Es wurde aber nicht mehr erfunden, sondern vermehrt von den Hinterle-
gungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, was auch unter dem Schlagwort „strategisches
Patentieren“ zusammengefasst wird. Der Schutz innovativer Geschäftsmodelle, wie dies
in den USA unter dem Namen „business model patent“ geschieht, ist jedoch hierzulande
für Unternehmensgründer nicht möglich. Die „Anordnungen an den menschlichen Geist“
wie z. B. Buchhaltungsmethoden und Ähnliches sowie Software sind an sich ebenfalls
nicht patentierbar.14 Das Rechtsgebiet des geistigen Eigentums muss immer auch in einem
internationalen Zusammenhang gesehen werden und weist eine große Vielschichtigkeit
auf (nationales, EU-Recht, internationales und supranationales Recht). Nach einer vor-
herrschenden Stellung Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands im Bereich des
geistigen Eigentums ist vor allem in den letzten Jahren ein zunehmender Einfluss des
US-amerikanischen Rechtsverständnisses spürbar, was in Europa zu einigen Streitfragen
in Bezug auf das Ausmaß patentierbaren Eigentums führte [9]. So stellt sich die Frage,
wie und in welchem Ausmaß Software patentierbar ist, eine Frage, die immer noch kon-
trovers diskutiert wird.
Nicht immer gehört eine Erfindung jedoch dem Erfinder im Sinne eines Eigentums-
rechts. Das Recht an einer Erfindung, die ein Arbeitnehmer während der Erfüllung sei-
ner Arbeitspflicht erarbeitet hat, gehört grundsätzlich dem Arbeitgeber. Dieser hat in
Deutschland und in Österreich vier Monate Zeit (sechs Monate in der Schweiz), sich
zu entscheiden, ob er diese nutzen will oder nicht. Nach Ablauf dieser Frist kann sie
der Arbeitnehmer-Erfinder nutzen. Deutschland und die Schweiz kennen eine Arbeit-
nehmervergütung, die anfällt, sobald ein Arbeitgeber eine Erfindung in Anspruch nimmt.
Das früher in Deutschland geltende Hochschullehrerprivileg, das den dort angestellten
Wissenschaftlern die Rechte an einer Erfindung zusicherte, gilt heute nicht mehr. Wie
in der Privatwirtschaft gehört eine Erfindung dem Arbeitgeber, sprich der Universität.
In Österreich müssen Erfindungen dem Rektorat vorgelegt werden, dieses wiederum hat
eine dreimonatige Entscheidungsfrist über eine eigene Verwertung der Erfindung. Ist eine
Verwertung nicht beabsichtigt, fällt das Recht an den Erfinder zurück. In der Schweiz gibt
es keine einheitliche Regelung, hier liegt das Erfindungsrecht beim Kanton, der Universität
oder vereinzelt auch beim Erfinder [10].

13
Dazu gehören Goodwill (zukünftige Erfolge), Intellectual Property (geistiges Eigentum) und In-
tellectual Capital (Humankapital, Geschäftsbeziehungen und -modelle).
14
De facto sind, obwohl gesetzlich nicht zulässig, Softwarepatente in Deutschland möglich, müssen
aber mit einer „technischen Anwendung“ zusammen patentiert werden.
274 8  Rechtliche Grundlagen

8.4.2 Einzelne Schutzrechte im Überblick

77 Die Rechte des geistigen Eigentums müssen angemeldet werden.

Der Schutz geistigen Eigentums spielt in der heutigen Geschäftswelt, in der Tausende
unterschiedlicher Marken um die Gunst des Kunden buhlen, eine immer größere Rolle.
Grundsätzlich lassen sich folgende Schutzrechte unterscheiden:

• Das Patentrecht schützt Erfindungen.


• Das Markenrecht schützt Wortmarken, Bildmarken, Tonfolgen etc.
• Das Designrecht schützt Formen und Muster.
• Das Urheberrecht schützt Werke aus Kunst und Literatur.

Alle Rechte des geistigen Eigentums mit Ausnahme des Urheberrechts müssen angemeldet
werden. In Deutschland erfolgt die Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt,
in der Schweiz beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum und in Österreich
beim Österreichischen Patentamt. In allen drei Ländern kann die Anmeldung zudem über
das Europäische Patentamt erfolgen.
Als Ausnahme entsteht das Urheberrecht gleichzeitig mit dem Werk, es liegt dann
aber auch am Urheber zu beweisen, dass das Werk von ihm stammt. Die Anmeldung eines
Schutzrechtes, insbesondere eines Patentes, ist eine sehr komplexe Angelegenheit, vor
allem was Recherche und Ausformulierung der Patentschrift anbelangt, für die oftmals
professionelle Hilfe in Form eines Patentanwalts benötigt wird. Patentanwälte sind Spezi-
alisten, die nach einem technischen oder naturwissenschaftlichen Studium eine mehr als
zweijährige Ausbildung zum Patentassessor durchlaufen haben [11].

77 Patentierbarkeit ist eng an die Voraussetzung der Neuheit gebunden.

Die wichtigsten Schutzrechte werden im Folgenden kurz erläutert. Auf die Strategie eines
Unternehmens im Zusammenhang mit Patenten wird gesondert im nächsten Abschnitt
eingegangen. Neben den unten erwähnten Schutzrechten gehören die Topografie (z. B. drei-
dimensionale Struktur von Halbleitern), die Sorten (auch Biodiversität, d. h. Züchtungen
von neuen Pflanzenarten) und die Herkunftsbezeichnung15 zu den weiteren Schutzrechten
im Bereich des Immaterialgüterrechts. Eine wichtige Bemerkung vorweg: Die Patentier-
barkeit bzw. die generelle Hinterlegbarkeit eines Rechts ist im europäischen Verständnis
eng an die Voraussetzung der Neuheit gebunden. Eine Erfindung darf zum Zeitpunkt ihrer
Anmeldung noch nicht durch Veröffentlichung (mündlich oder schriftlich) bekannt sein,

15
Ein Spezialfall und eigenes Recht ist die Verwendung von Namen als Herkunftsbezeichnung, so
muss Feta-Käse aus Griechenland kommen und nicht von der Schwäbischen Alb, ebenso darf mé-
thode champagnoise nur von Winzern aus der Champagne benutzt werden. Diese Regelung wird von
der EU sehr streng gehandhabt.
8.4  Geistiges Eigentum 275

dazu gehören auch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften oder der Auftritt auf Messen.
Diese Regelung wird insbesondere im Patentrecht streng gehandhabt: Die Bekanntgabe der
Resultate der neuesten Forschungsergebnisse im Rahmen einer Vorlesung an der Heimuni-
versität des Forschers kann deren Patentierbarkeit bereits zunichtemachen. Daher gilt bei
einer Erfindung zunächst äußerste Verschwiegenheit, um die Möglichkeit zur Anmeldung
nicht zu gefährden. Dennoch sollte mit einer Anmeldung nicht zu lange gewartet werden,
um nicht von einem Konkurrenten mit einer ähnlichen Erfindung überholt zu werden und
damit sowohl Zeit als auch Geld in eine Doppelentwicklung investiert zu haben. Wichtig
sind zudem Recherchen nach bereits vorhandenen Patenten, deren Schutzbereich ggf. die
eigene Erfindung umfassen kann und damit eine eigene Anmeldung unmöglich macht.

8.4.2.1 Patent

77 Neuheit, Erfindungshöhe, technischer Charakter und die gewerbliche An-


wendbarkeit sind notwendige Voraussetzungen für ein Patent.

Das Patent ist ein technisches Schutzrecht. Patentiert werden können bestimmte Sachen
wie Maschinen, Vorrichtungen oder Werkzeuge, aber auch chemische Stoffe, Arzneimittel
oder Herstellungsmethoden. Die Erteilung eines Patentes ist an die folgenden vier Voraus-
setzungen gebunden:

• Neuheit,
• Erfindungshöhe/Erfinderische Tätigkeit,
• Technischer Charakter,
• Gewerbliche Anwendbarkeit.

Methoden, Ideen und Konzepte sind nach gängiger europäischer Rechtsauffassung nicht
patentierbar, deren technische Umsetzung hingegen schon. Eine ausreichende Erfindungs-
höhe liegt vor, wenn sich die Erfindung für einen Fachmann, der den gesamten Stand der
Technik kennt, nicht in naheliegender Weise daraus ergibt. Mit dem Patent wird ein Schutz
gegen die unerlaubte Nutzung der Erfindung durch Dritte aufgestellt. Das Patentrecht wird
mit der Eintragung bei einer offiziellen Stelle erlangt. Im Patentgesuch muss die Erfindung
so dargelegt werden, dass sie von einem Fachmann nachvollziehbar ist.
Deutschland und auch Österreich kennen im Unterschied zur Schweiz zusätzlich zum
Patent noch das Gebrauchsmuster als eine Art kleines Patent. Die Schutzdauer ist mit zehn
Jahren kürzer als beim Patent mit 20 Jahren. Damit können technische Erfindungen (keine
Verfahren) angemeldet werden, denen z. B. der ausgeprägte erfinderische Schritt zum Patent
fehlt oder die bereits veröffentlicht wurden.16 Die Schutzfähigkeit wird durch das Patent-

Das Gebrauchsmuster kennt ebenso wie das Geschmacksmuster eine sechsmonatige Schonfrist,
16

während derer die Erfindung bereits bekannt gegeben werden durfte.


276 8  Rechtliche Grundlagen

amt nicht geprüft, sondern die Prüfung muss durch den Antragsteller selbst vorgenommen
werden oder wird im Rahmen eines Löschungsverfahrens geprüft.

8.4.2.2 Marke

77 Logos, Tonfolgen, Hörmarken etc. können als Marke geschützt werden.

Mit der Marke werden diejenigen Elemente geschützt, die dazu geeignet sind, ein Produkt
oder eine Dienstleistung von denjenigen einer anderen Marke zu unterscheiden. Als Marke
können nicht nur Wörter (z. B. Novartis) geschützt werden, sondern auch Logos (z. B. der
angebissene Apfel von Apple), Farben (z. B. die Magenta-Farbe der Deutsche Telekom
AG), Hörmarken (z. B. Intel-Jingle) oder dreidimensionale Marken wie das Maskottchen
Hugo des Schweizer Einzelhändlers Migros. Anders als beim Patent gibt es hier keine
zeitliche Begrenzung. Eine Marke kann auch Jahre nach dem Gebrauch noch eingetragen
werden. Marken werden in verschiedene Klassen eingeteilt (z. B. Bekleidung oder Nah-
rungsmittel), wobei die Eintragung nur für die gewählten Klassen gilt. Bei starken Marken
wie Coca-Cola gilt dies allerdings nicht. Die Eintragung einer Firma im Handelsregister
ersetzt eine Markenanmeldung nicht, auch wenn die Firma identisch ist mit der Marke. Wie
beim Patent gilt hier die Regel der ersten Hinterlegung. Ist eine Marke mit einer älteren
verwechselbar, so gilt das Recht der älteren Marke.

77 Eine Marke kann über ein vereinfachtes Verfahren für die gesamte Europäische
Union angemeldet werden.

Anders als beim Patent herrscht ein Zwang zum Gebrauch der Marke, wird diese nicht
genutzt, kann dieses Recht zu Fall gebracht werden. Meistens gilt eine Frist von fünf Jah-
ren, in denen eine Nutzung erfolgen muss. Die Schutzdauer beträgt sowohl in der Schweiz
als auch in Deutschland und Österreich zehn Jahre und ist bei Verwendung unbeschränkt
erneuerbar. Eine Prüfung erfolgt auf absolute Ausschlussgründe, z. B., ob diese Marke zum
Allgemeingut gehört, irreführend ist und gegen die guten Sitten, die öffentliche Ordnung
oder geltendes Recht verstößt. Es findet aber keine Prüfung auf ältere Rechte Dritter von
Amtes wegen statt, sondern diese muss vom Antragsteller selbst durchgeführt werden.
Aber auch die Überwachung der Rechte erfolgt wie beim Patent nicht von Amtes wegen,
sondern ist Aufgabe des Schutzrechtsinhabers. Die Hinterlegung kann über das Madrider
Abkommen oder über die EU-Gemeinschaftsmarke auch für die gesamte EU gebündelt in
einem vereinfachten Verfahren erfolgen.
Die Marke kann eine wichtige Rolle für den Erfolg eines Produktes spielen. Sie sollte
daher sorgfältig ausgewählt werden und möglichst unterscheidungskräftig sein.
8.4  Geistiges Eigentum 277

8.4.2.3 Design

77 Auch Designs, also bestimmte Anordnungen von Farben, Linien oder Flächen,
können geschützt werden.

Mit dem Ausdruck Design werden in der Schweiz Gestaltungen von Erzeugnissen ge-
schützt, die namentlich durch die Anordnung von Linien, Konturen, Farben oder Flächen
oder durch das verwendete Material charakterisiert sind, wie Stoffmuster oder die Form
von Getränkeflaschen. In der Schweiz beträgt die Schutzdauer maximal 25 Jahre. Die
Registrierung ist mit geringen formalen Anforderungen verbunden. Voraussetzung ist, dass
dieses Schutzobjekt eine Eigenart aufweist, neu ist und eine schöpferische Eigenleistung
erkennbar sein sollte. In Deutschland und Österreich werden diese Gestaltungen unter dem
Namen Geschmacksmuster für maximal 20 Jahre geschützt, die Voraussetzungen sind ähn-
lich wie in der Schweiz. Ein solches Recht muss ebenfalls wie ein Patent oder eine Marke
eingetragen werden. Wie bei der Marke besteht die Möglichkeit, das Design beim Harmo-
nisierungsamt für den Binnenmarkt als eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster
zu hinterlegen oder über das Haager Musterschutzabkommen bei der World Intellectual
Property Organization (WIPO) international anzumelden.

8.4.2.4 Urheberrecht

77 Das Urheberrecht entsteht bereits durch die Schaffung eines Werkes.

Das Urheberrecht ist das einzige Schutzrecht, das durch die Schaffung selbst entsteht und
nicht eingetragen werden muss. Unter das Urheberrecht fallen künstlerische, literarische
und fotografische Werke, solange diese eine originäre Schöpfung darstellen. Das Schutz-
recht endet 70 Jahre nach dem Ableben des Autors. In der Schweiz und auch in Deutschland
und Österreich ist Software durch das Urheberrecht geschützt. In der Schweiz wird mit dem
Urheberrecht nicht die Idee, sondern die Form geschützt, sprich die Software als Verfah-
ren zum Lösen von Aufgaben wird schützbar. Voraussetzung ist, dass diese nicht banal ist
und individuellen Charakter aufweist. Die Frist ist mit 50 Jahren bei der Software kürzer,
bietet aber, wenn man die sehr kurzen Technologiezyklen bei Software mit berücksichtigt,
trotzdem noch Anlass zu Diskussionen.

8.4.3 Patentstrategie

Das sogenannte IP-Management (Intellectual Property Management) gewinnt auch in Eu-


ropa immer mehr an Bedeutung. Patente und andere Schutzrechte werden in der Wissens-
gesellschaft zum strategisch wichtigen Potenzial. Insbesondere für Unternehmensgründer
stellt sich die Frage, wie sie strategisch geschickt mit ihrem geistigen Eigentum umgehen
278 8  Rechtliche Grundlagen

können. Einige der wesentlichen Fragen im Rahmen dieser Auseinandersetzung werden


nachfolgend am Beispiel des Patents diskutiert. Für Gründer ist neben der Frage nach der
Hinterlegung der eigenen Rechte vor allem die Vermeidung von Schutzrechtsschwierig-
keiten durch die Verletzung bestehender Rechte von Relevanz.

8.4.3.1 Grundlegende Möglichkeiten des Schutzes

77 Die Patentierung einer Erfindung ist nicht die einzige Möglichkeit des Schutzes.

Die Patentierung einer Erfindung stellt nicht die einzige Möglichkeit des Schutzes dar.
Vielmehr können neben der Patentierung auch noch die Geheimhaltung, die offensichtliche
Publikation oder die Beibehaltung von Wissensvorsprüngen in Betracht gezogen werden.
Je nach Industrie und Art des Wettbewerbs sind unterschiedliche Strategien geeignet, einen
Wettbewerbsvorteil aufzubauen und zu verteidigen. Ein wichtiges Kriterium, ausgehend
von der Offenlegungspflicht, ist die Abwägung, ob eine Erfindung danach ohne Weiteres
kopiert werden kann. Die Formel für Coca-Cola ist z. B. nicht patentiert, und es sind zahl-
reiche Versuche gescheitert, das Getränk zu analysieren und zu kopieren. Ein weiteres
Element, das für oder gegen eine Patentierung spricht, ist die Investitionssumme. Bei einer
äußerst teuren Entwicklung eines Medikaments ist die Patentierbarkeit schon fast eine
Voraussetzung. Hingegen dürfte bei eher kleinen Summen und sehr kurzen Lebenszyklen
der Fokus auf anderen Möglichkeiten des Schutzes von geistigem Eigentum und nicht auf
der Patentierung liegen.

8.4.3.2 Patentfähigkeit

77 Neuheit, erfinderische Tätigkeit, technischer Charakter und gewerbliche An-


wendbarkeit sind die Voraussetzungen für ein Patent.

Wie bereits in Abschn. 8.4.2.1 erwähnt, ist die Erteilung eines Patentes ist an vier Voraus-
setzungen gebunden: Neuheit, erfinderische Tätigkeit, technischer Charakter und die ge-
werbliche Anwendbarkeit.17 Die Neuheit wird, wie bereits geschildert, streng gehandhabt.
Vor der Anmeldung darf die Erfindung weder schriftlich noch mündlich bekannt geworden
sein. Eine Schonfrist („grace period“) bei Erfindungen wie im US-amerikanischen und
kanadischen Recht ist in Europa nicht bekannt.18 Mit der erfinderischen Tätigkeit wird
darauf abgestellt, dass sich die Idee, für die das Patent angemeldet werden soll, für einen
Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Eine Erfindung
ist dann technisch, wenn ein „technisches Problem mit Mitteln der Technik“ gelöst wird.

17
Gesetzlich festgelegt sind die Neuheit, erfinderische Tätigkeit und die gewerbliche Anwendbarkeit.
Implizit wird in Europa aber auch auf die Technizität einer Erfindung abgestellt.
18
Dort gilt eine einjährige Frist, während derer die Publikation als nicht neuheitsschädlich gilt und
die Erfindung noch angemeldet werden kann.
8.4  Geistiges Eigentum 279

Der Begriff „Technik“ ist aber z. B. im deutschen Patentgesetz nicht genau geregelt, sodass
die Beurteilung in Grenzfällen, wie etwa von Software in Verbindung mit einer techni-
schen Anwendung, schwierig wird. Gewerblich anwendbar heißt, dass diese Erfindung
im Gewerbe nutzbringend anwendbar ist und wiederholt werden kann. Die reine, nicht
wiederholbare Entdeckung ist damit nicht patentierbar. Ein Beispiel: Die Supraleitung an
sich ist nicht patentierbar, hingegen deren technische Anwendung schon. Nicht patentiert
werden können Erfindungen, deren Verwendung gegen die öffentliche Ordnung oder die
guten Sitten verstoßen würde.

8.4.3.3 Patentschutz

77 Der Inhaber eines Patents kann andere von der gewerblichen Nutzung aus-
schließen.

Ein Patent stellt eine Befugnis für den Inhaber dar, andere von der gewerblichen Nutzung
auszuschließen. Dritte können ohne die Erlaubnis des Inhabers ein solches Produkt weder
herstellen, kommerziell verwenden, verkaufen, importieren noch exportieren. Das Recht
kann allerdings verkauft oder Lizenzen für die Nutzung erteilt werden. Es besteht aber ein
sogenanntes Forschungsprivileg, das es erlaubt, ein Patent zu Forschungszwecken zu nut-
zen. Der Patentschutz ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit der Nutzungsbewilligung der
Erfindung, was insbesondere für den Bereich der Pharmazeutika und der Biotechnologie
zutrifft, wo neben dem Patent noch eine ganze Reihe weiterer Schritte und Genehmigungen
notwendig sind, um ein Produkt auf den Markt bringen zu können. Der Patentschutz beträgt
mit wenigen Ausnahmen 20 Jahre, die Nutzung der vollen Laufzeit lohnt sich aber nur,
wenn das damit verbundene Produkt so lange wirtschaftlich ertragreich ist.

8.4.3.4 Patentanmeldung

77 In Deutschland, Österreich und der Schweiz erhält derjenige das Patent, der es
zuerst anmeldet.

In fast allen Ländern (auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz) gilt das Anmelder-
prinzip („First to File“), wenn es um das Recht der Anmeldung geht. Anders in den USA,
dort gilt das Prinzip der Ersterfindung („First to Invent“), wobei vor allem im Bereich
der Biotechnologie der Nachweis nicht immer ganz einfach ist und auf Laboraufzeich-
nungen abgestellt werden muss. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Prüfung der
Patentfähigkeit zwischen der Schweiz und z. B. Deutschland und Österreich. In letzteren
Ländern erfolgt, wie in vielen anderen Ländern, von Amtes wegen eine technische Prüfung
hinsichtlich des Neuigkeitsgehaltes der Erfindung, die in Deutschland spätestens innerhalb
von sieben Jahren abgeschlossen wird. Erst dann wird rückwirkend auf den Zeitpunkt der
Anmeldung das Patent erteilt. In der Schweiz hingegen werden die Neuheit und die erfin-
derische Tätigkeit im Rahmen einer Patentanmeldung nicht geprüft.
280 8  Rechtliche Grundlagen

8.4.3.5 Patentkosten

77 Die Kosten für Inlandspatente sind überschaubar.

Eine Erstanmeldung im Inland ist mit überschaubaren Kosten verbunden. So rechnet man
im Durchschnitt für die ersten drei Jahre mit ca. 3500 EUR für die Anmeldung eines inlän-
dischen Patents in Deutschland (inkl. Patentanwalt), für ein weltweites Patent mit ca. 4000
bis 6000 EUR für die Grundanmeldung plus 500 bis 1000 EUR pro angemeldetes Land.
Ein Patent wird mit wenigen Ausnahmen für maximal 20 Jahre erteilt, es muss aber eine
jährliche Gebühr entrichtet werden, damit das Patent aufrechterhalten werden kann. Diese
Gebühr erfährt bis zum Auslaufen des Patents eine jährliche Steigerung.

8.4.3.6 Patentanmeldung im Ausland

77 Soll eine Erfindung in mehreren Ländern patentiert werden, empfiehlt sich die
gleichzeitige Anmeldung in mehreren Ländern.

Ein Patentrecht und damit die Ausübung dieses Rechtes ist nur in jenen Ländern möglich,
in denen es angemeldet ist. Die Information (Offenlegungspflicht) ist hingegen weltweit
verfügbar, z. B. über internetbasierte Recherchetools. Es stellt sich damit für den Hinter-
leger die Frage, ob und in welchen Ländern zusätzlich ein Patent hinterlegt werden soll.
Dabei müssen die Schutzmöglichkeiten in verschiedenen Ländern nicht zwangsweise zum
gleichen Zeitpunkt ausgeübt werden. Ein Patent kann zunächst im Heimatland und später
in anderen Ländern angemeldet werden. Eine Anmeldung sollte zunächst in den wirt-
schaftlich wichtigsten Ländern erfolgen. Die Kosten für eine internationale Anmeldung
werden vor allem von den regionalen Anteilen der Anmeldung bestimmt (Übersetzungs-
und Anwaltskosten). Eine Möglichkeit, diese Kosten zu senken, besteht darin, die Anmel-
dung für mehrere Länder gleichzeitig vorzunehmen. In der Regel hat der Anmelder eine
mehrmonatige Zeitspanne, in der er sich entscheiden kann, ob und in wie vielen Ländern
er sein Patent anmelden will, und genießt gleichzeitig einen Vorschutz des Patents. Nach
der Pariser Verbandsübereinkunft gilt bei der Anmeldung im Ausland eine sogenannte
einjährige Prioritätsfrist, bei der eine Nachanmeldung im Ausland rückwirkend auf den-
selben Tag wie die der ursprünglichen nationalen Anmeldung erfolgt. Eine gesonderte
Anmeldung in jedem Land einzeln lohnt sich nur in Ausnahmefällen.
Eine internationale Anmeldung kann entweder beim nationalen Patentamt oder bei
der World Intellectual Property Organization (WIPO) im Rahmen des Patent Cooporation
Treaty (PCT, mit derzeit 144 Vertragsstaaten) für mehrere Vertragsstaaten gleichzeitig ange-
meldet werden. Die PCT-Anmeldung bietet den Vorteil, dass hier nicht eine zwölfmonatige,
sondern eine mindestens 19-monatige Zeitdauer für die Prioritätsfrist bei den Anmeldungen
in weiteren Ländern gilt. Die Anmeldung und Verwaltung erfolgen zentralisiert über die
WIPO, die Prüfung und Erteilung des Patents hingegen durch die nationalen Patentäm-
8.4  Geistiges Eigentum 281

ter, für die ein Schutz beantragt wird. Eine Anmeldung für den europäischen Raum kann
entweder beim nationalen Patentamt oder beim Europäischen Patentamt in München als
Europäisches Patent vorgenommen werden.

8.4.3.7 Patente von Konkurrenten

77 Der Patentanmeldung geht in der Regel die Patentrecherche voran.

Das eigene Patent schützt ein Unternehmen vor unerlaubter Nutzung seines geistigen Ei-
gentums durch Dritte, aber ebenso muss ein Unternehmen sich vor der Verletzung anderer
Schutzrechte in Acht nehmen. Zudem wird sehr vielen Patenten die Anmeldung aufgrund
fehlender Neuheit verweigert, da bereits (zu) ähnliche Patente existieren, die den Schutz-
bereich des neuen Patents tangieren. Insbesondere das US-amerikanische Recht kennt
sehr strenge Regeln bei Patentverletzungen. Im Extremfall kann ein Richter die dreifache
Schadensersatzsumme („triple damage“) als Strafe verhängen, wenn ein Versäumnis hin-
sichtlich der Nachforschung über bereits bestehende Patente nachgewiesen werden kann.
Eine Recherche über bereits bestehende Patente ist zum einen über das Internet möglich,
zum anderen können Spezialisten im Vorfeld einer Anmeldung bzw. einer Weiterentwick-
lung der Erfindung beauftragt werden. Diese können eine Abklärung vornehmen, ob es
sich lohnt, an einer Patentierung bzw. sogar Weiterentwicklung festzuhalten. Die Patent-
recherche wird in der Regel einer der ersten Schritte im Rahmen einer Patentanmeldung
sein. Die Patentrecherche hat als Nebeneffekt, dass man durch die Offenlegungspflicht bei
Patentanmeldungen einen Einblick in die Patentierungstätigkeit von Konkurrenten erhält
und so Forschungsrichtungen/-tendenzen erkennen kann.

8.4.3.8 Patentverletzung

77 Bei Patentverletzungen können gerichtliche Schritte eingeleitet werden.

Bei Patentverletzungen können gegen den Verursacher gerichtliche Schritte angestrebt


werden. Dabei kann neben der Klage auf Unterlassung und gegebenenfalls auf Schadens-
ersatz auch ein Auskunftsrecht geltend gemacht werden, womit auch die Kunden des Ver-
ursachers offengelegt werden müssen. Die Gerichtskosten sind aber nicht unerheblich
und müssen in der Regel von der unterlegenen Partei übernommen werden. Internationale
Patentabkommen harmonisieren zwar die Anmeldung von Patenten, die Verwaltung und
Aufrechterhaltung erfolgen aber durch die einzelnen Länder, für die das Patent angemeldet
ist. Patentrechtsverletzungen müssen daher auf nationaler Ebene überwacht und gegebe-
nenfalls vor Gericht durchgesetzt werden, was mit nicht unerheblichen Kosten verbunden
sein kann. Ein ausländisches Patent ist unter diesen Gesichtspunkten nur für diejenigen
Länder sinnvoll, in denen ein Patentschutz durch das Unternehmen auch effektiv durch-
gesetzt werden kann.
282 8  Rechtliche Grundlagen

8.4.3.9 Lizenzierung

77 Erfindungen können nicht nur durch das eigene Unternehmen, sondern auch
durch Lizenzvergabe kommerziell genutzt werden.

Eine Erfindung muss nicht immer zwingend zu einer Unternehmensgründung führen.


Ebenso muss eine Erfindung nicht unbedingt durch das eigene Unternehmen auf den Markt
gebracht werden. Häufig geschieht die Verwertung einer immaterialgüterrechtlich geschütz-
ten Idee über die Lizenzvergabe durch einen Dritten. Generell kann von allen Schutzrechten
eine Lizenz erteilt werden, das Patent ist jedoch der Regelfall. Für Unternehmen stellen die
Erlöse aus Lizenzen eine wichtige Einnahmequelle dar. IBM konnte die Lizenzeinnahmen
von 30 Mio. EUR im Jahr 1990 auf 1,5 Mrd. EUR im Jahr 2000 steigern [12]. Aber auch
bei Erfindungen im Rahmen von Hochschulforschungen können Lizenzen ein geeignetes
Mittel zur Verwertung darstellen, da z. B. im Bereich der Biotechnologie ohne den Einsatz
von Risikokapital oftmals die Mittel zur weiteren Entwicklung der Erfindung fehlen. Ein
erfolgreich hinterlegtes Schutzrecht stellt aber die Voraussetzung für eine solche Lizenz dar.

8.5 Fallstudie: Austrianova

77 Mikroverkapselte Zellen können in den verschiedensten Einsatzgebieten


genutzt werden.

Oktober 2007, Thomas Fischer, CFO von Austrianova, ist zufrieden: Er ist davon überzeugt,
dass Austrianova mit der Mikroverkapselung lebender Zellen eine Technologie entwickelt
hat, die in den verschiedensten Einsatzgebieten angewendet werden kann. Demonstriert
werden soll die Wirksamkeit der Technologie mit dem Lead-Product NovaCaps®, das
die Therapieeffizienz bei der Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs steigern soll.
Da NovaCaps® bei der Europäischen Zulassungsbehörde als „Orphan Drug“ registriert
wurde, ist der Zulassungsweg deutlich kürzer als bei normalen Medikamenten, und eine
Marktzulassung in der EU wird für 2009 oder 2010 erwartet.
Zeit auszuruhen gönnt sich Thomas Fischer dennoch nicht. Ihn beschäftigt die Frage,
wie Austrianova die Technologieführerschaft für den Aufbau einer Marktführerschaft nut-
zen kann. Schließlich nutzen Technologien und Arzneimittel den Patienten und dem Her-
steller nur dann, wenn sie in Form von Produkten auf den Markt gelangen.

Das Unternehmen und die Gründer


Thomas Fischer ist bereits seit 1986 unternehmerisch tätig. Bei seinem ersten Unternehmen
handelte es sich um ein österreichisch-slowakisches Joint Venture, das hochwertige Glas-
Aquarien für Baumärkte in ganz Europa produzierte. 1992 verkaufte Thomas Fischer seine
Anteile, um bei der Gusta-Food-Gruppe als kaufmännischer Leiter tätig zu werden. An-
schließend arbeitete er in der Pharmabranche, die ihn bis heute nicht mehr losgelassen hat.
8.5  Fallstudie: Austrianova 283

77 Ende 2001 wurde Austrianova gegründet. Bereits fünf Jahres später wurde die
erste Produktionsanlage für verkapselte Zellen in Betrieb genommen.

Im Dezember 2001 gründete er gemeinsam mit Prof. Dr. Walter Günzburg und Dr. Brian
Salmons das Unternehmen Austrianova. Walter Günzburg leitet das Forschungsinstitut für
Virologie und Biomedizin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Mit seinem
Forschungsteam führt er die Grundlagenforschungen durch, die die Basis für zukünftige
Produkte der Austrianova darstellen. Für die Produktentwicklung und die anschließende
Vermarktung der Produkte sind Brian Salmons und Thomas Fischer verantwortlich. Die
notwendige Erfahrung hierfür haben sie: Zusammen verfügen sie über knapp 30 Jahre
Erfahrung in der Pharmabranche.
Nach der Gründung ging alles sehr schnell, und bereits 2006 wurde die weltweit erste,
in ihrer Art einzige industrielle Produktionsanlage für verkapselte Zellen in Frankfurt am
Main in Betrieb genommen. Mittlerweile wird dort nach den sogenannten Good Manu-
facturing Practices (GMP) produziert. GMP kommen bei der Produktion von Medizinpro-
dukten und Arzneimitteln zum Tragen und stellen sicher, dass die Produktqualität jedes
einzelnen Medikamentes den Vorgaben entspricht und sämtliche Vorschriften der Gesund-
heitsbehörden beachtet werden. Der erste Punkt ist alles andere als einfach. Letztlich muss
sichergestellt werden, dass das Produkt 100-prozentig reproduzierbar ist, da selbst kleine
Abweichungen in den festgelegten Produktspezifikationen negative Folgen für den Pati-
enten haben können.
Heute hat das Unternehmen 35 Vollzeitbeschäftigte. Weitere 30 Personen sind über eine
Kooperation des Instituts für Virologie und Biomedizin mit Austrianova verbunden. Als
Unternehmensstandort dienen Räumlichkeiten auf dem Campus der Veterinär-medizini-
schen Universität in Wien sowie Labors in Biopolis, Singapur.

Die Technologie
Bei der Behandlung solider Tumore werden häufig Chemotherapeutika eingesetzt. Diese
werden injiziert, beginnen jedoch erst zu wirken, wenn sie über die Blutbahn des Patien-
ten in die Leber transportiert und dort von bestimmten Enzymen aktiviert werden. Diese
Methode bringt zwei wesentliche, schwerwiegende Nachteile mit sich: Zum einen schadet
das Therapeutikum auf dem Weg von der Leber bis zum Tumor auch gesunden Zellen, was
zu Nebenwirkungen wie Haarausfall, Übelkeit oder Erbrechen führt. Zum anderen verliert
das Therapeutikum auf dem Weg zum Tumor massiv an Wirkung.

77 Die Effizienz chemotherapeutischer Behandlungen kann durch die von Austri-


anova entwickelten Produkte erhöht werden.

Austrianova hat eine Technologie entwickelt, die die Effizienz einer solchen chemothe-
rapeutischen Behandlung wesentlich verbessern kann. Dabei werden patientenfremde
menschliche Zellen gentechnisch so verändert, dass sie das Enzym für die Aktivierung des
Chemotherapeutikums produzieren können. Zehntausend dieser Zellen werden anschlie-
284 8  Rechtliche Grundlagen

ßend mit einer Kapsel aus Zellulosesulfat umgeben, einer porösen Hülle, die die Abstoßung
der patientenfremden Zellen durch das Immunsystem verhindert. Die „Kommunikation“
zwischen dem Organismus und den Fremdzellen kann aufgrund der durchlässigen Hülle
jedoch stattfinden (Austausch von Nähr- und Botenstoffen). Die Kapsel wird nun in der
Nähe des Tumors platziert, um dort die entsprechenden Enzyme über einen Zeitraum von
mehreren Monaten zu produzieren. Dabei nutzt man minimalinvasive endoskopische Ver-
fahren, die es ermöglichen, die Kapseln in die Blutgefäße zu applizieren, die sich in der
Nähe des Tumors befinden. Aufgrund ihrer Größe bleiben die Kapseln in den Verästelun-
gen, den sogenannten Kapillaren, der Blutgefäße hängen. Das Chemotherapeutikum wird
nun wie bisher injiziert, beginnt jedoch erst am Tumor zu wirken, was die Effizienz des
Medikamentes erheblich steigert und gleichzeitig die Nebenwirkungen drastisch verringert.
Austrianova hat sich diese Form der Zelltherapie für die Behandlung von Bauchspei-
cheldrüsenkrebs unter dem Namen „NovaCaps®“ patent- und markenrechtlich schützen
lassen. Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine Krankheit, für die momentan keine effektive
Behandlungsmethode zur Verfügung steht. Nach der Diagnose, die aufgrund der unspezi-
fischen Symptome meistens sehr spät erfolgt, haben die Patienten eine Lebenserwartung
von lediglich 25 Wochen. NovaCaps konnte diesen Wert in klinischen Tests auf bis zu
46 Wochen erhöhen.

Zukunftschancen

77 Die Anwendung der Technologie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs dient als


Referenz für eine Vielzahl weiterer Anwendungen.

Die Anwendung der Technologie bei Bauspeicheldrüsenkrebs dient jedoch nur als erste
Referenz für die vielfältig denkbaren Anwendungen der Verkapselungstechnologie.
So könnte die Technologie beispielsweise bei Diabetes genutzt werden, um Insulin
direkt im Körper produzieren zu lassen. Momentan müssen Patienten ihren Insulinspiegel
täglich regulieren. Sie müssen den Insulinspiegel zunächst messen, um sich anschließend
die entsprechende Dosis Insulin zu spritzen. Mikroverkapselte Zellen könnten die Therapie
erheblich vereinfachen. Anstelle einer täglichen Behandlung mit Insulinpräparaten würden
lebende mikroverkapselte Zellen über einen Zeitraum von etwa neun Monaten dafür sorgen,
dass der Insulinspiegel reguliert wird. Tägliche Kontrollen des Insulinspiegels und Injek-
tionen würden entfallen. Zudem würde die Dosierung erheblich genauer erfolgen, da die
Zellen, die für die Produktion von Insulin eingesetzt werden, den aktuellen Insulinspiegel
selbstständig erkennen und die Insulinproduktion entsprechend anpassen. Es würde also
nur so viel Insulin produziert, wie auch tatsächlich verbraucht wird.
Ganz generell: Verkapselte lebende Zellen können überall dort eingesetzt werden, wo es
medizinisch notwendig bzw. sinnvoll erscheint, therapeutische Wirkstoffe direkt im Körper
des Patienten in Abhängigkeit seiner Konstitution oder in spezifischen Körperregionen
herstellen zu lassen. Fazit: Die Verkapselung lebender Zellen ist damit eine Plattformtech-
nologie mit großem Potenzial.
8.5  Fallstudie: Austrianova 285

Die Strategie

77 Von der Entwicklung bis zur Zulassung eines Medikamentes dauert es mitun-
ter zwölf bis 15 Jahre.

Von der ersten Idee über die Entdeckung oder Entwicklung eines Wirkstoffs bis zur Zu-
lassung eines daraus resultierenden Medikamentes ist es ein weiter Weg. Während der
präklinischen Entwicklung wird ein potenzieller Wirkstoff bzw. eine Technologie im Rea-
genzglas des Labors erforscht. Danach werden Versuchsreihen gestartet, die meist an Tieren
vorgenommen werden. Diese Phase kann drei bis vier Jahre dauern.
Während der klinischen Studie wird die Wirkung des Arzneimittels am Menschen ge-
prüft: In Phase I wird die Sicherheit des Arzneistoffs an einem kleinen Kreis von etwa
zehn bis 20 meist gesunden Probanden geprüft. Es findet eine erste qualitative Prüfung der
Nebenwirkungen statt. In Phase II wird in erster Linie die Wirksamkeit des Arzneistoffs
qualitativ und quantitativ an etwa 100 bis 300 Patienten überprüft. Zudem werden in die-
ser Phase die optimale Dosis ermittelt und Neben- und Wechselwirkungen beobachtet. In
Phase III wird der statistisch ermittelte Nachweis über die Wirksamkeit eines Arzneimittels
gegenüber einem Placebo oder der aktuell anerkannten Standardbehandlung erbracht. In
dieser Phase werden oft mehrere Hundert, unter Umständen sogar Tausende von Patienten
einbezogen. Wurden diese Phasen erfolgreich abgeschlossen, kann die Marktzulassung
beantragt werden. Die Durchführung der klinischen Studien sowie die Marktzulassung
nehmen etwa zehn bis zwölf Jahre in Anspruch.
Da Arzneimittel die Gesundheit der Bevölkerung unmittelbar betreffen, werden die drei
Phasen von den zuständigen Arzneimittelbehörden überwacht. Erst wenn alle Wirksam-
keits- und Verträglichkeitsprüfungen erfolgreich durchgeführt wurden, kann das Medika-
ment verkauft werden. Mitunter dauert es von der Entwicklung bis zur Zulassung eines
Medikaments rund 12 bis 15 Jahre. Die Kosten, die in dieser Zeit anfallen, werden von
den Pharmaunternehmen mit 500 bis 800 Mio. USD angegeben. Damit sich diese Investi-
tion für das Pharmaunternehmen lohnen kann, erhält das forschende Unternehmen einen
Patentschutz, der dem Unternehmen ein zeitlich begrenztes Monopol zusichert. Während
dieser Zeit darf das Medikament nur von dem betreffenden Unternehmen verkauft werden.
Erst nach Ablauf dieser Phase können auch andere Firmen sogenannte Generika auf den
Markt bringen, die den gleichen Wirkstoff enthalten.

77 Der Status als „Orphan Drug“ verkürzt die Zulassungswege für ein Medika-
ment enorm.

Der Zulassungsweg kann wesentlich verkürzt werden, wenn das Medikament von der
Europäischen Zulassungsbehörde als „Medikament für seltene Erkrankungen“ (Orphan
Drug) eingestuft wird. In diesem Fall erfolgt die Zulassung innerhalb der EU über ein
zentralisiertes Verfahren, das im Vergleich zum normalen Zulassungsverfahren deutlich
weniger Zeit in Anspruch nimmt. Zudem erhält das forschende Unternehmen Unterstüt-
286 8  Rechtliche Grundlagen

zung bei der Durchführung der klinischen Studien, Vergünstigungen bei Zulassungs- und
Inspektionsgebühren sowie eine Marktexklusivität über zehn Jahre.
Aus diesem Grund hat sich Austrianova dafür entschieden, die Wirkungsweise der „Bio-
encapsulation“ anhand der Referenzindikation Bauchspeicheldrüsenkrebs zu demonstrie-
ren. Für diese Indikation gibt es derzeit keine effektive Therapie, was die Klassifizierung
als „Orphan-Arzneimittel“ durch die Europäische Arzneimittelagentur im Jahr 2003 er-
möglichte. Damit wurde NovaCaps® sozusagen auf einen „fast track“ gesetzt, der dafür
sorgen soll, dass möglichst schnell gezeigt werden kann, dass die Technologie verkapselter,
lebender Zellen funktioniert. In Europa ist NovaCaps® in der entscheidenden klinischen
Phase III, in den USA in der klinischen Phase II. Die Marktzulassung für Europa wird für
2009 oder 2010 erwartet. Eine ähnliche Orphan-Drug-Strategie wurde beispielsweise von
Novartis bei der Zulassung von Glivec verfolgt, einem Medikament zur Behandlung von
Leukämie.

77 Das Referenzprodukt soll die „Key Opinion Leaders“ von der Technologie der
Zellverkapselung überzeugen.

Mit dem Referenzprodukt möchte Austrianova bekannt werden und die Technologie der
Zellverkapselung „gesellschaftsfähig“ machen. Dazu muss man wissen, dass neue Medi-
kamente und Technologien in Fach- und Industriekreisen oftmals durch Mund-zu-Mund-
Propaganda bekannt werden. Es gilt, den Kreis der „Key Opinion Leaders“ zu überzeugen,
der mitunter recht klein sein kann. NovaCaps® würde beispielsweise ausschließlich von
Krankenhausärzten eingesetzt werden, und der Kreis der Ärzte, die Bauchspeicheldrü-
senkrebs in Österreich behandeln, ist recht klein: Insgesamt gibt es in Österreich jährlich
etwa 900 Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, von denen 80 % in nur vier Kliniken
behandelt werden.
Neben NovaCaps® sollen weitere Medikamente im Bereich der Onkologie entwickelt
werden. Dabei möchte Austrianova durchaus mit anderen Pharmaunternehmen kooperie-
ren. Des Weiteren sollen Partner gefunden werden, die die Zellverkapselung außerhalb
der Onkologie einsetzen. Da Austrianova eine gänzlich neue Technologie entwickelt hat,
sind Lizenzvergaben und Partnerschaften mit großen Pharmaunternehmen auch schon vor
Abschluss der dritten klinischen Phase denkbar. Entwickeln Unternehmen dagegen Wirk-
stoffe, die bereits in ähnlicher Form bekannt sind, warten Pharmaunternehmen meist den
positiven Verlauf der dritten klinischen Phase ab.

Und wie geht es weiter?


Austrianova konzentriert sich zwar momentan auf Anwendungsfälle in der Krebstherapie.
Das erklärte langfristige Ziel besteht jedoch darin, Technologieführer im Bereich „Bioen-
capsulation“ zu werden, auch außerhalb der Onkologie. Dabei sollen Kooperationen mit
Partnern aus der biotechnologischen oder pharmazeutischen Industrie sowie die Vergabe
von Produkt- oder Technologielizenzen eine Rolle spielen.
Literatur 287

Fragen zur Fallstudie


1. Welche Rechtsmittel schützen derzeit die von Austrianova entwickelte Technologie
der Zellverkapselung?
2. Es gibt einen Markt für Impfstoffe und Antibiotika. Einen Markt für „verkapselte
lebende Zellen“ gibt es nach Aussage von Thomas Fischer derzeit noch nicht. Dafür
ist die Technologie schlichtweg zu neu. Entwickeln Sie eine Markteintrittsstrategie
für Austrianova.
3. Wenn Sie Thomas Fischer wären, welche Strategien würden Sie verfolgen, um Aus-
trianovas Technologieführerschaft für den Aufbau einer Marktführerschaft zu nut-
zen?
4. Welche Rolle könnten Lizenzvergaben und Kooperationen beim Aufbau der Markt-
präsenz spielen?

Diskussionsfragen
1. Welche Kriterien sind bei der Entscheidung für die Rechtsform eines Biotechnolo-
gieunternehmens besonders relevant? Welche bei einem kleinen Dienstleistungsun-
ternehmen?
2. Welche Entscheidungskriterien sind für die Patentierungsstrategie im Ausland rele-
vant?
3. Warum kann es für kleine Softwareunternehmen mitunter sehr schwer sein, ein Pa-
tent gegen die Großen der Branche durchzusetzen?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Aden, M. (2001). BGB – leicht: Einführung in das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches.
München: Oldenburg.
2 Brox, H. (2004). Handels- und Wertpapierrecht (17. Aufl.). § 2 N 35. München,: Beck.
3 Eisenhardt, U. (2003). Gesellschaftsrecht (11. Aufl.). N 482. München: Beck.
4 Schwanna, A. (2002). Die Gründung von Gesellschaften in Deutschland, Frankreich und Groß-
britannien: gemeineuropäische Prinzipien des Gesellschaftsrechts (S. 116). Frankfurt am Main:
Lang.
5 Grunewald, B. (2000). Gesellschaftsrecht (4. Aufl.). S. 230). Tübingen: Mohr Siebeck.
6 Meier-Hayoz, A., & Forstmoser, P. (2003). Schweizerisches Gesellschaftsrecht (9. Aufl.). Bern:
Stämpfli.
7 http://www.kmu.admin.ch/kmu-gruenden/03476/03513/03514/index.html?lang=de, Zugriff am
17.05.2015.
288 8  Rechtliche Grundlagen

8 http://www.kmu.admin.ch/kmu-gruenden/03476/03513/03527/index.html?lang=de, Zugriff am
17.05.2015.
9 Staub, L., & Hilti, C. (1998). Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht. St. Gallen: Dike Verlag.
10 Vock, P., & Jola, C. (2002). Patent- und Lizenzaktivitäten 2001 Umfrage bei Hochschulen und
anderen öffentlich unterstützten Forschungsorganisationen. Bern: CEST.
11 Lexikon/Stichwortverzeichnis unter www.copat.de, Begriff Patentanwalt (Zugriff am
23.05.2015).
12 M. Gneuss in „Die Welt“ vom 26.08.2003 Beitrag zu ungeschützten Patenten unter http://www.
fh-k.com/wp-content/uploads/2014/09/8.pdf (Zugriff am 17.05.2015).

Weiterführende Literatur
Frey, J. (2008). OR und ZGB für den Alltag (7./8.. Aufl.). Zürich: Beobachter-Buchverlag.
Fritz, C. (2007). Gesellschafts- und Unternehmensformen in Österreich (3. Aufl.). Wien: Linde Ver-
lag.
Jaschinski, C., Hey, A., & Kaesler, C. (2006). Wirtschaftsrecht (3. Aufl.). Rinteln: Merkur Verlag.
Businessplanning
9

9
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Das Kapitel gibt einen Überblick über Nutzen und Inhalte des Standardinstruments
„Businessplan“, erwähnt aber auch die Gefahren und Grenzen des Instruments. Der
Businessplan wird im geschäftlichen Alltag häufig verwendet. Er stellt ein unverzicht-
bares Instrument zur Unterstützung der Gründungs- und Strategieaktivitäten, zur Ge-
winnung von Finanzierungsmitteln, zur Festlegung von projektbezogenen Meilenstei-
nen sowie zur internen und externen Kommunikation dar. Jeder Businessplan sollte in
sich schlüssig und konsistent sein sowie an den jeweiligen Adressaten (Businessplan-
Jury, Kapitalgeber etc.) angepasst werden. So kann der Aufbau eines Businessplans je
nach Verwendungszweck variieren. Folgende Bereiche werden jedoch üblicherweise
in einem Businessplan behandelt: 1. Zusammenfassung (Executive Summary), 2. Idee
und Produkt/Dienstleistung, 3. Personen und Team, 4. Kunden und Konkurrenz, Märk-
te und Marketing, 5. Organisation und Vertrieb, 6. Umsetzungsplan, 7. Risiken und
Gegenmaßnahmen, 8. Finanzplanung und Finanzierung. Das Kapitel bietet Einblicke
in all diese Themen. Für Gründer spielt der Businessplan eine besondere Rolle, da er
den Gründer zwingt, seine Idee vollständig zu durchdenken. Der Businessplan ersetzt
jedoch nicht das Testen und Ausprobieren der wichtigsten Annahmen, die einer unter-
nehmerischen Idee zugrunde liegen. Hier können Ansätze wie das Discovery-driven
Planning helfen – eine Planungsmethode, die speziell für Start-up-Unternehmen kon-
zipiert wurde.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_9 289
290 9 Businessplanning

Lernziele
•• Sie können erläutern, welche Funktionen ein Businessplan erfüllt.
•• Sie kennen die infrage kommenden Adressaten eines Geschäftsplans.
•• Sie sind in der Lage, einen aussagekräftigen Businessplan zu erstellen.
•• Sie können die Qualität eines vorhandenen Businessplans einschätzen.
•• Sie sind in der Lage, einen Businessplan als kontinuierliches „Working Docu-
ment“ (Arbeitsdokument) für die Weiterentwicklung eines Start-up-Unterneh-
mens einzusetzen.
•• Sie wissen, was man unter Discovery-driven Planning versteht.

9.1 Begriffserklärungen

77 Businessplan:  Ein Geschäfts- oder Unternehmensplan, der klar und prägnant Auskunft
über alle relevanten Aspekte eines neuen Unternehmens oder Geschäftsfeldes gibt.

77 Executive Summary:  Zusammenfassung aller wesentlichen Elemente des Business-

plans auf ein bis zwei Seiten.

77 Elevator Pitch:  Prägnante und kurze Präsentation einer Geschäftsidee, um potenzielle


Partner oder Geldgeber von der Idee zu überzeugen. Dahinter steckt der Gedanke, dass
man eine Geschäftsidee im Laufe einer Aufzugsfahrt (Elevator) erklären können muss.

77 Discovery-driven Planning (DDP):  Planungsmethode für Start-up-Unternehmen, die

anerkennt, dass man sich als Gründer in unbekanntem Terrain bewegt, Schätzungen nicht
aufgrund von Erfahrungen vornehmen kann und Berechnungen auf einer ganzen Reihe von
Annahmen basieren. Die wichtigsten Annahmen werden daher systematisch identifiziert,
um mögliche Schwächen des Businessplans aufzudecken.

9.2 Einführung

77 Der Businessplan hat sich zu einem Standardinstrument entwickelt.

Im Zuge der Kreditanfrage bei einer Bank wird er verlangt, vor einer Verhandlung mit ei-
nem Venture Capitalist muss er vorgelegt werden, bei der Unternehmensnachfolge wird er
als Gesprächsbasis zwischen Senior und Junior eingesetzt. Die Rede ist vom Businessplan
oder Geschäftsplan. Zwar vertreten erfolgreiche und prominente Unternehmerpersönlich-
keiten teilweise die Auffassung, dass ein Businessplan eine neuzeitliche Erfindung sei und
sie auch ohne ihn Erfolg gehabt hätten, doch wird er mehr und mehr zum Standardinstru-
ment im geschäftlichen Alltag.
9.3  Bedeutung und Einsatzbereich 291

Die Erstellung eines Businessplans zwingt den Gründer, sich intensiv und detailliert mit
dem Gründungsprojekt auseinanderzusetzen. Der Gründer muss das geplante Produkt oder
die geplante Dienstleistung nicht nur in technischer Hinsicht beschreiben, sondern sich ins-
besondere auch mit der betriebswirtschaftlichen Seite des neuen Unternehmens befassen.
Das Schreiben eines Businessplans sollte allerdings nicht als notwendige Pflichtübung ab-
getan werden. Gerade Gründer aus dem technischen Bereich gehen häufig davon aus, dass
es vor allem darauf ankäme, ein möglichst gutes Produkt herzustellen. Bei entsprechender
Qualität würden sich dann „quasi automatisch“ Kunden hierfür finden, was jedoch oftmals
weit an der Realität vorbeigeht. Der Markt für ein neues Produkt muss in der Regel mühsam
erschlossen werden. Häufig genug werden auch Produkte entwickelt, für die es gar keinen
Markt gibt. Gründer ohne betriebswirtschaftliche Vorkenntnisse müssen sich diesbezüglich
in viele neue Bereiche einarbeiten.

9.3 Bedeutung und Einsatzbereich

77 Der Businessplan ist ein strategisches Instrument, das Entwicklungsmöglich-


keiten aufzeigt.

Was genau ist ein Businessplan? Primär stellt er einen Geschäfts- oder Unternehmensplan
dar, der die Zukunftsmöglichkeiten einer Gründung oder eines bereits bestehenden Unter-
nehmens beschreibt. Damit ist er im Bereich des strategischen Managements anzusiedeln.
Darüber hinaus stellt er ein integriertes Planungs- und Arbeitsinstrument dar, das firmenspe-
zifisch angepasst und für die kontinuierliche Strategiearbeit eingesetzt werden kann. Die
Ziele des Businessplans liegen in der wirkungsvollen Präsentation der Geschäftsidee, in der
Schaffung einer fundierten Entscheidungsgrundlage sowie in der Darstellung der konkreten
Maßnahmen zur Umsetzung der Ideen.

77 Ein Businessplan lässt sich in vielen Situationen einsetzen.

Der Businessplan wird in den verschiedensten Situationen eingesetzt und gefordert. Im


Mittelpunkt steht die Gründung eines neuen Unternehmens. In diesem Fall dient der
Businessplan der gründlichen und systematischen Auseinandersetzung des Gründers mit
seinem Projekt. Darüber hinaus eignet sich der Businessplan aber auch als Instrument
für die regelmäßige Strategiefestlegung von Unternehmen, für die Gründung eines neuen
Geschäftsfelds, für die Regelung von Nachfolgeproblemen, für das Prüfen und Eingehen
von Kooperationen und für Finanzierungsanfragen bei diversen Eigen- und Fremdkapital-
gebern. Er stellt damit ein unverzichtbares Instrument zur Unterstützung der Gründungs-
und Strategieaktivitäten, zur Gewinnung von Finanzierungsmitteln, zur Festlegung von
projektbezogenen Meilensteinen sowie zur internen und externen Kommunikation dar. Je
nach Verwendungszweck sollten im Businessplan unterschiedliche Aspekte betont werden.
Die Formulierung eines Businessplans bei einer Neugründung ist vermutlich der anspruchs-
vollste Fall, da eine ganze Reihe von Annahmen getroffen werden müssen und alle Teile
292 9 Businessplanning

des Businessplans von entscheidender Bedeutung sind. Besonders wichtig ist hierbei eine
ausführliche Auseinandersetzung mit dem Produkt bzw. der angebotenen Dienstleistung
und dem damit verbundenen Kundennutzen sowie mit dem eigentlichen Markt und dem
Marketing für die Geschäftsidee [1]. Bei einem bereits existierenden Unternehmen, für das
ein Eigentümerwechsel geplant ist, können im Businessplan Schwerpunkte gesetzt werden;
hier sind vor allem die eventuell geplanten strategischen Veränderungen sowie die Qualität
des Managements von Interesse [2].

77 Jeder Businessplan muss selbst verfasst und an die spezifischen Bedürfnisse


angepasst werden.

Jeder Businessplan sollte in sich schlüssig und konsistent sein sowie an die spezifische
Situation angepasst werden, um die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit des Geschäfts-
konzeptes zu demonstrieren. Der Plan dient auch als Ausgangspunkt für die erforderliche
Szenarienbildung (bestes, realistisches, schlechtestes Szenario). Zudem werden im Busi-
nessplan die zeitliche Abfolge der Gründungsschritte und die personelle Aufgabenteilung
und Abstimmung festgehalten. Der Vergleich des eigenen Businessplans mit einem Muster-
Businessplan kann helfen, mögliche Lücken des Geschäftskonzepts aufzudecken. Ein sol-
ches Muster kann allerdings nur als erste Orientierungshilfe dienen und muss in jedem Fall
an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden. Ist ein Businessplan erstellt, dient
er der Kommunikation nach innen und außen zu den verschiedenen Anspruchsgruppen des
Gründers, seien es Partnerunternehmen, Kapitalgeber oder Mitunternehmer.
Das Niederschreiben einer Geschäftsidee kann helfen, die Komplexität eines Grün-
dungsvorhabens angemessen zu bewältigen und eine Struktur in die Gründungsvorbe-
reitung und -durchführung zu bringen. Der berühmte Venture Capitalist Eugene Kleiner
(Mitbegründer der Venture-Capital-Firma Kleiner Perkins) beschrieb den Nutzen eines
Businessplans mit den folgenden Worten:
„Writing a business plan forces you into disciplined thinking if you do an intellectually ho-
nest job. An idea may sound great in your own mind, but when you put down the details and
numbers it may fall apart.“ [3]

77 Der Businessplan nützt bei der intensiven Auseinandersetzung mit der Ge-
schäftsidee.

Die Unternehmensberatung McKinsey fasst den Nutzen eines Businessplans folgender-


maßen zusammen: Der Businessplan zwingt die Firmengründer, ihre Geschäftsidee syste-
matisch zu durchdenken, und verleiht ihr damit die nötige Schlagkraft. Er zeigt Wissens-
lücken auf und hilft, diese effizient und strukturiert zu füllen. Er zwingt die Gründer zu
Entscheidungen und damit zu fokussiertem Vorgehen. Zudem dient ein Businessplan als
zentrales Kommunikationsinstrument zwischen den verschiedenen Partnern und gibt einen
Überblick über die benötigten Ressourcen und deckt dadurch Lücken auf. Alles in allem ist
er die Trockenübung für den Ernstfall: Es kostet nichts, wenn eine absehbare Bruchlandung
9.3  Bedeutung und Einsatzbereich 293

während der Businessplanung erkannt wird – später können die Folgen für die Unterneh-
mer, Investoren und Mitarbeitenden deutlich schwerwiegender sein [4].

77 Empirische Studien zeigen, dass es sinnvoll ist, einen Businessplan zu erstellen.

Auch wenn einige Start-ups den Businessplan als Arbeitsinstrument oder als Kommunikati-
onsinstrument gegenüber Kapitalgebern etc. einsetzen – nützt ein Businessplan tatsächlich?
Sind Start-ups, die einen Businessplan erstellt haben, erfolgreicher als solche, die das nicht
tun? In einer Metaanalyse über 46 Businessplanning-Studien mit einer Fallzahl von über
11.000 Unternehmen kamen Brinckmann et al. bezüglich dieser Fragen zu folgendem Er-
gebnis: Die Ergebnisse zeigen, dass Businessplanning-Aktivitäten den Erfolg von neuen
und etablierten Unternehmen steigerten. Die Stärke des Zusammenhangs war jedoch unter-
schiedlich. In Stichproben mit etablierteren, kleinen Firmen hatte Businessplanning einen
stärkeren positiven Effekt als in Stichproben mit neuen Unternehmen. Die Autoren gehen
daher davon aus, dass Unsicherheiten, begrenzte Informationen und fehlende Strukturen
und Prozesse für Businessplanning-Aktivitäten den positiven Einfluss von Businessplan-
ning einschränken. Sie empfehlen daher einen begleitenden und dynamischen Ansatz von
Planen, Lernen und Tun. Zunächst sollten Businessplanning-Aktivitäten unternommen
werden, um zu entscheiden, ob das geplante Vorhaben überhaupt Sinn ergibt. Während dann
der Plan umgesetzt wird und Erfahrungen in der Praxis gesammelt werden, findet Lernen
statt und die Businessplan-Aktivitäten sollten intensiviert werden. Anstatt Entrepreneurship
als einen sequenziellen Prozess zu sehen, bei dem die Reihenfolge lautet „erst planen, dann
ausführen“, sollten „Planning“ und „Doing“ parallel stattfinden, die Planungsaktivitäten
aber mit dem Fortschreiben des Start-ups zunehmen [5].

Unternehmerprofil Napshell: Erfolg kommt nicht von heute auf morgen


Dass man für ein Gründungsvorhaben mitunter einen langen Atem braucht, stellten
auch Nicolas Reber und Markus Abele fest. Die beiden verfolgen mit Ausdauer und
stetigen Neuerungen ihre Idee vom Unternehmen „Napshell“. Bei der Entwicklung der
Napshell standen der Mensch, sein Bedürfnis nach rascher Entspannung und optimaler
Regeneration im Fokus sowie sein Sinn für anspruchsvolles ergonomisches Design.

77 Eine Konzeptstudie ist der Ausgangspunkt für ein marktreifes Produkt.

2004 betraten die Architekturstudenten in einem siebenköpfigen Team mit dem Institut
für Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart (Fakultät Architektur und Stadt-
planung) absolutes Neuland. Sie sollten ein Konzept zum Thema Power Napping (von
engl. nap = Nickerchen) entwickeln. Nach gründlicher Recherche und ersten Konzept-
studien entstand während eines Workshops in Rotterdam die erste Idee von Markus
Abele. Nachdem die Gruppe innerhalb der ersten Wochen Sponsoren gefunden hatte,
konnten sie ein erstes Modell verwirklichen, das sie an der Universität im Septem-
ber 2004 präsentierten. Das Resultat des Hochschulprojekts war eine ergonomische
294 9 Businessplanning

und zugleich stilvolle „Regenerationsquelle“ für das Power Napping in ansprechendem


und zukunftsweisendem Design. Die erste Internetpräsenz wurde aufgebaut. Als das
Team das erste Modell im Oktober 2004 auf der Büromöbelmesse Orgatec in Köln
präsentierte, erntete es viel Lob. Hierauf wurde in den folgenden Wochen und Monaten
viel in Funk und Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften und im Internet publiziert.

77 Potenzielle Kunden mussten zunächst vertröstet werden, bis geeignete


Hersteller und Lieferanten gefunden waren.

Es meldeten sich schon die ersten Abnehmer. Noch war die Napshell jedoch nur ein
Modell und nicht für die Produktion beschaffen. Die potenzielle Kundschaft musste
vertröstet werden, wurde aber immer auf dem Laufenden gehalten. Der Auftrag für
zwei Napshells für die Ausstellung „Working World“ des Museums für Arbeitswel-
ten in Steyr/Österreich veranlasste die Gruppe, das Modell weiterzuentwickeln. Doch
nun mussten erst geeignete Hersteller und Lieferanten gefunden werden, mit denen
die Napshells produziert werden konnten. Auch hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt das
ursprüngliche Team verändert. Aufgrund von Auslandsaufenthalten und Praktika war
klar, dass nicht alle ursprünglichen Teammitglieder die Idee weiterverfolgen würden.
Für sie kam die Selbstständigkeit als Alternative nicht infrage.
Da ihre Produktidee nach wie vor regen Anklang fand, entschlossen sich die Grün-
der im Juni 2005 zur Eingliederung als Transfer- und Gründungsunternehmen bei der
Technologie Transfer Initiative (TTI) der Universität Stuttgart. Zu diesem Zeitpunkt
ging auch die neue Internetpräsenz (www.napshell.com) online. Im Oktober 2005 hatten
die Gründer nun die passenden Lieferanten für den Bau ihres Objekts gefunden. Um
die Napshell nun weiter voranzubringen, mussten die Gründer um Nicolas Reber und
Markus Abele das nötige Kapital einwerben. Um diesen entscheidenden Meilenstein zu
erreichen, bewarb sich das Team für das EXIST-Seed-Programm. Im Mai 2006 startete
die Förderung. Während des Förderjahres stand nun im Vordergrund, die Marktreife der
Napshell sicherzustellen. In Kooperation mit dem Stiftungslehrstuhl für Entrepreneur-
ship der Universität Hohenheim wurden die Marktanalyse und der Vertrieb strategisch
verfeinert. Die Marktanalyse ergab weitere Mitbewerber. Nicolas Reber und Markus
Abele wollten aber auch wissen, wer ihre potenziellen Kunden waren. Daher grenzten
sie den für sie relevanten Markt ab und konnten folgende Marktsegmente identifizieren:
den Geschäftsbereich (Bürogebäude), Tagungs- und Konferenzstätten, Messen, Well-
nessbereiche von Hotels, Fitnessclubs und Spas, Sanatorien sowie Airline-Lounges und
Bildungseinrichtungen. Aber genauso kamen anspruchsvolle Privatpersonen, die extra-
vagante Möbel bevorzugen, infrage. Um sein Konzept zu testen, nahm das Team 2006
auch beim Ideenwettbewerb „Test your Ideas!“ der Universität Hohenheim teil und be-
kam prompt den „Sonderpreis für eine herausragende Produktinnovation“. Im Jahr 2007
wurde das Team mit seiner Innovation als Finalist des Zukunftsawards 2007 sowie des
internationalen ISPO BrandNew Awards 2007 ausgezeichnet.
9.4  Aufbau des Businessplans 295

77 2008 wurde Napshell auf der IMM in Köln vorgestellt.

Die Gründer Nicolas Reber und Markus Abele entwickelten die ursprüngliche Studie
kontinuierlich bis zum marktreifen Produkt weiter, um die Thematik des Power Nap-
pings mehr ins Blickfeld der Menschen zu rücken und sich einen neuen Absatzmarkt
mit großem Potenzial zu erschließen. 2008 wurde die Napshell mit allen technischen
Neuheiten erstmalig auf der IMM in Köln vorgestellt. Nach einem weltweiten Me-
dienecho wurden die ersten Napshells im deutschsprachigen Raum, in den USA und
den Vereinigten Emiraten verkauft. Schnell schlossen sich diesen Kunden 2009 Fünf-
Sterne-Hotels und -Resorts sowie namhafte internationale Firmen für die Ausstattung
ihrer Firmensitze an.
Mit der Ausstellung „Interior – Exterior – Wohnen in der Kunst“ des Kunstmuse-
ums Wolfsburg gelang der Sprung in die internationale Kunstszene und bewies damit
den prägenden und skulptural ästhetischen Charakter der Napshell für unsere heutige
Zeit. Im Jahr 2010 wurde mit weiteren Vertriebspartnern im In- und Ausland der Ab-
satz von Napshells vorangetrieben. Seit Anfang 2011 hat eine breite Öffentlichkeit die
Möglichkeit, die eigenen „Batterien“ in einer „Energy Lounge“ in München in den
Napshells aufzuladen. Ende 2013 wurde ein neuer Napshell Showroom am Flughafen
Zürich eingerichtet.
Die beiden Gründer halten weiterhin an ihrer Vision fest: „Wir schaffen die best-
möglichen Produkte und Orte für Menschen, damit diese ihre körperlichen, mentalen
und psychischen Kräfte wieder voll und ganz aufladen können.“
Der Businessplan diente den Gründern als Arbeitsinstrument, wurde immer wie-
der angepasst und hat den beiden Gründern damit bei der strategischen Ausrichtung
und der Weiterentwicklung ihres Start-ups sehr geholfen. Es gab jedoch auch externe
Adressaten, die den Businessplan im Laufe der Gründungsaktivitäten erhalten haben.
Unter anderem wurde der Businessplan an Banken, Business Angels, Venture-Capital-
Firmen und an Kooperationspartner geschickt. Hierbei musste er jeweils auf die Be-
dürfnisse der Empfänger zugeschnitten werden.

9.4 Aufbau des Businessplans

Welche Inhalte umfasst ein Businessplan, wie sollte man bei der Erstellung idealtypisch
vorgehen? Im Kern stehen immer die Idee, das Neuartige und Nutzbringende, die Darstel-
lung der Produkte, Dienstleistungen und Zielgruppen sowie der monetäre Ertragsmecha-
nismus. Dazu zählt die Verbindung zwischen dem Gründer und seiner Idee. Passen diese
beiden Seiten zusammen? Traut man es dem Gründer zu, die Idee erfolgreich umzusetzen?
Idealerweise geht man bei der Erstellung des Plans von der Idee aus, prüft deren Markt-
fähigkeit, evaluiert und testet die tatsächlichen Kundenbedürfnisse, plant die Produkther-
stellung und die Erfolgsaussichten im Markt und entwickelt darauf aufbauend im Rahmen
des Businessplans die Gesamtstrategie.
296 9 Businessplanning

77 Businessplanvorlagen weichen in bestimmten Punkten voneinander ab. Einige


Themen sind jedoch Bestandteil jedes Businessplans.

Es gibt viele verschiedene Businessplanvorlagen, die von Gründungsberatungen, Banken


und auf Internetportalen angeboten werden. Dabei kann der Aufbau der Businesspläne
durchaus in bestimmten Punkten voneinander abweichen. Folgende Bereiche werden je-
doch üblicherweise in einem Businessplan behandelt:

1. Zusammenfassung/Executive Summary,
2. Idee und Produkt/Dienstleistung,
3. Personen und Team,
4. Kunden und Konkurrenz, Märkte und Marketing,
5. Organisation und Vertrieb,
6. Umsetzungsplan,
7. Risiken und Gegenmaßnahmen,
8. Finanzplanung und Finanzierung.

Je nachdem, an welchen Adressaten (z. B. Banken, Venture-Capital-Geber, potenzielle


Mitarbeitende) sich der Businessplan richtet, kann er im Einzelnen von dem oben beschrie-
benen Aufbau abweichen.
In den folgenden Unterkapiteln werden die zentralen Inhalte der einzelnen Business-
plankapitel erläutert. Am Ende jedes Unterkapitels findet sich eine Checkliste mit wichtigen
Punkten, die es zu beachten gilt. Es gibt eine breite Literatur zum Thema Businessplan,
die hier nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden kann. Zum Teil finden sich dort leicht
abweichende Vorschläge zur Gliederung.

9.4.1 Executive Summary

77 Die Executive Summary enthält alle Schlüsselaussagen.

Die Zusammenfassung, die sogenannte Executive Summary, präsentiert auf ein bis zwei
Seiten die Schlüsselaussagen zu Beginn des Businessplans. Diese muss für jeden, d. h. auch
für „Fachfremde“, verständlich und motivierend geschehen. Große Venture Capitalists oder
Banken erhalten täglich Dutzende von Businessplänen, weswegen oft nur wenig Zeit zur
Begutachtung eines Businessplans bleibt. Nicht selten wird der Plan nach der Lektüre einer
nicht aussagekräftigen Zusammenfassung beiseitegelegt und nicht weiterverfolgt. Auch
wenn der Satz, dass es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck gibt, abgedroschen
klingen mag, so hat dieser in Bezug auf die Executive Summary durchaus seine Berechti-
gung. Geschrieben wird dieser Teil erst zum Schluss.
Es gibt einige Punkte, die auf keinen Fall in diesem Kapitel fehlen dürfen. Es muss auf
die Geschäftsidee und die Marktleistungen eingegangen werden. Dabei ist auch darauf zu
9.4  Aufbau des Businessplans 297

verweisen, wie diese am Markt abgesetzt werden (Ertragsmechanismus) und über welches
Wachstumspotenzial der Markt verfügt. Ferner müssen die Erfahrungen und Kompetenzen
der Gründer beschrieben werden und warum sie der Meinung sind, Erfolg zu haben. Zuletzt
ist der benötigte Finanzbedarf zu benennen und zu erläutern [6].

77 Der Elevator Pitch ist ein Test für den Businessplan.

Ob die Anforderungen an eine gute Zusammenfassung erfüllt sind, lässt sich mit dem
sogenannten „Elevator Pitch“ prüfen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Aufzug
und haben genau 60 Sekunden Zeit, dem eben noch zugestiegenen Finanzier ihre Idee
vorzustellen und zu verkaufen. Sie überzeugen, wenn Sie nach 60 Sekunden die Inhalte der
Executive Summary allgemein verständlich berichtet haben. Sie überzeugen nicht, wenn
Sie nach 60 Sekunden immer noch dabei sind, mit komplizierten Fachwörtern bestimmte
Begrifflichkeiten oder Rahmenbedingungen zu schildern.

Checkliste
•• Die Executive Summary ist kurz und prägnant und maximal zwei Seiten lang.
•• Die Executive Summary ist auch für „Fachfremde“ verständlich.
•• Die Geschäftsidee wird kurz und prägnant dargestellt: Worin besteht der Kun-
dennutzen? Wie wird die Leistung erstellt? Wie verdient Ihr Unternehmen Geld?
•• Es wird deutlich, dass Sie sich einen Überblick über den Markt und das Markt-
potenzial verschafft haben.
•• Die Erfahrungen und Kompetenzen des Gründerteams werden überzeugend
dargestellt.

9.4.2 Idee und Produkt/Dienstleistung

77 Die Geschäftsidee wird im Kapitel „Idee und Produkt“ beschrieben.

Der Teil „Idee und Produkt“ enthält die Kernaussagen zur Geschäftsidee und zum geplanten
Leistungssystem. Die Darstellung der Kundenbedürfnisse und des durch die Lösung gene-
rierten Nutzens stehen im Zentrum. Hier muss die Besonderheit oder sogar Einzigartigkeit
des Geschäftskonzepts aufgezeigt werden. Ebenfalls muss die Ertragsmechanik erläutert
werden, d. h, es muss klar werden, ob die operativen Cashflows über Verkauf, Provisionen,
Gebühren, Werbung oder andere Ertragsarten erzielt werden. Falls das Ertragsmodell auf
verschiedenen Ertragsarten basiert, sollte dargestellt werden, welchen Anteil die einzelnen
Ertragsarten am Umsatz voraussichtlich haben werden. Zudem sind Aussagen zum etwa-
igen Schutz der Geschäftsidee erforderlich, wie Markenrechte oder Patente. Vielfach sind
die Ideen nicht wie biotechnologische Verfahren schutzwürdig, sondern stellen Imitationen
298 9 Businessplanning

oder Dienstleistungen dar. In diesem Fall lässt sich die Idee nur durch Vertraulichkeit bis
zur Markteinführung schützen. Zudem besteht ein gewisser Widerspruch zwischen dem ver-
ständlichen Schutzbedürfnis und der Notwendigkeit, konstruktive Rückmeldungen von Per-
sonen zu bekommen, denen man erste Fassungen des Businessplans zur Durchsicht vorlegt.
Die Geschäftsidee selbst muss gar nicht so außergewöhnlich und innovativ sein, wie
häufig dargestellt wird. Auch ein bewährtes Geschäftskonzept, professionell an einem
neuen Ort umgesetzt, kann eine gute Grundlage für ein Unternehmen bilden.

Checkliste
•• Der Leser erfährt, welchen Nutzen Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung für die
zukünftigen Kunden bringt.
•• Es wird deutlich, was das Besondere an Ihrer Idee ist und wie sie sich von der
Konkurrenz abhebt.
•• Die Ertragsmechanik, also die Art und Weise, wie das Unternehmen Geld ver-
dient, wird erläutert.
•• Es wird deutlich, wie die Idee geschützt werden soll bzw., falls die Idee nicht
schutzwürdig ist, wie der Wettbewerbsvorteil trotz möglicher Nachahmer be-
wahrt werden soll.

9.4.3 Personen und Team

77 Das Team ist entscheidend für die Umsetzung der Idee.

Die Verbindung von der Idee zu den Gründern wird im Bereich „Personen und Team“
hergestellt. „We invest in people not in ideas“ oder „Always consider investing in a great
A man with a great B idea – never invest in a great B man with a great A idea“ sind die
hierzu passenden Aussagen von Venture Capitalists. Denn ein erstklassiges Team kann
mit Unterstützung auch eine noch nicht ganz ausgereifte Idee zur Vollendung und damit
zum Erfolg führen, mit einem nur mäßig motivierten und befähigten Team wird es aber
in der Regel nicht gelingen, selbst eine erstklassige Idee umzusetzen. Dieses Kapitel soll
Aufschluss geben, ob und wie das Team bisher zusammengearbeitet hat, welche relevan-
ten Erfahrungen und Kompetenzen die einzelnen Teammitglieder mitbringen, wie sich
die einzelnen Personen ergänzen, welche Rollen eingenommen werden, ob sich alle ihrer
Stärken und Schwächen bewusst sind, wie offene Positionen besetzt werden sollen, welche
Entscheidungsregeln eingeführt worden sind und auch, ob jetzt und in Zukunft alle Geld-
fragen (Nachschussregelungen, Rolle von Ehe- und Erbverträgen) geklärt sind.
Die Lebensläufe der einzelnen Gründungsmitglieder können im Anhang des Business-
plans untergebracht werden. Dabei sollten vor allem die Stationen betont werden, die für
die Gründung des Unternehmens relevant sind.
9.4  Aufbau des Businessplans 299

Checkliste
•• Die Teamzusammensetzung ist schlüssig: Es wird klar, welche Erfahrungen und
Kompetenzen die einzelnen Teammitglieder einbringen und ob das Team bereits
zusammengearbeitet hat.
•• Falls Kompetenzen fehlen, wird deutlich, wie Sie diese durch externe Partner,
Experten oder Dienstleister kompensieren wollen.
•• Sie haben klare Regelungen bezüglich der Aufgabenzuteilung getroffen.
•• Dem Leser wird deutlich, warum genau Ihr Team in der Lage ist, die Geschäfts-
idee erfolgreich umzusetzen.
•• Sie erläutern, wie das Unternehmen die besten Personen für sich gewinnen
möchte.
•• Sie erläutern Ihre Talent-/Personalstrategie für den Fall eines raschen Wachs-
tums.

9.4.4 Kunden und Konkurrenz, Märkte und Marketing

77 Die Betrachtung des Marktes, der Kunden und der Konkurrenz ist von beson-
derer Bedeutung.

In diesem Kapitel wird auf den Zielmarkt, die Zielkundensegmente und die konkreten
Zielkunden eingegangen. Dabei sollte die Marketingkonzeption zu Beginn erfolgen. Hierin
liegt vielfach ein Problem: Es wird schon der Webauftritt geplant und die Unternehmens-
broschüre gedruckt, bevor die Kundensegmentierung abgeschlossen ist. Hier besteht die
Gefahr großer Streuverluste: Die Maßnahmen erreichen nicht die Personen, für die das
Produkt wirklich interessant ist.
Des Weiteren sollte man sich mit den Fragen des Marktpotenzials, -volumens und -an-
teils auseinandersetzen, wenngleich in dieser frühen Phase und in jungen Branchen ledig-
lich Annahmen getroffen werden können. Außerdem dürfen bekannte und möglicherweise
hinzutretende Mitbewerber nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Konkurrenzanalyse
sind die potenziellen aktuellen und zukünftigen Konkurrenten und deren Produkte bzw.
Geschäftskonzepte zu betrachten. Um die Konkurrenzlandschaft übersichtlich darzustellen,
kann beispielsweise eine Tabelle erstellt werden, die die wichtigsten Mitbewerber sowie
das eigene Unternehmen aufführt und das jeweilige Angebot in Bezug auf die wichtigsten,
kundenrelevanten Eigenschaften einschätzt.
Das Thema Markteintritt ist von enormer Bedeutung. Großunternehmen können in man-
chen Fällen rascher in den eigenen Markt vorstoßen, als man selbst dies mit den eigenen,
zu Anfang meist beschränkten Ressourcen leisten kann. Gerade Gründer aus dem techni-
schen Bereich schenken dem Thema Marketing oft viel zu wenig Aufmerksamkeit. Eine
ausführliche Darstellung dieses Themas findet sich in Kap. 6.
300 9 Businessplanning

Checkliste
•• Es wird deutlich, welche Zielkunden Sie mit Ihrem Angebot überzeugen wollen.
•• Sie zeigen, dass Sie sich mit den Zielkunden beschäftigt haben (Kaufgewohnhei-
ten, Kaufmotive, Erreichbarkeit der Zielkunden).
•• Sie zeigen, dass Sie den Markt verstanden haben, in dem Sie sich bewegen
möchten (Marktvolumen, Marktpotenzial, Teilmärkte, Wachstumsraten, Erfolgs-
faktoren im Markt, Markteintrittsbarrieren).
•• Sie haben die wesentlichen Konkurrenzunternehmen und -produkte dargestellt.
Vergessen Sie nicht, dass es häufig auch Substitutionsprodukte geben kann, bei
denen es sich zwar um ein anderes Produkt handelt, die aber den gleichen Kun-
dennutzen erfüllen (z. B. Car-Sharing-Angebote anstatt Autos).
•• Ihre Marktpositionierung wird deutlich und ist, vor dem Hintergrund Ihrer
Markt- und Konkurrenzanalyse, plausibel.
•• Berücksichtigen Sie in Ihrer Planung denkbare Reaktionen von Konkurrenten
auf Ihren Markteintritt?

9.4.5 Organisation und Vertrieb

77 Die Analyse der Wertschöpfungskette ist ein zentrales Element, um die eige-
nen Ressourcen richtig einzusetzen.

Wie sieht die Wertschöpfungskette der Branche aus, welche Rolle nimmt das Projekt ein,
wie soll das Produkt/die Dienstleistung (Leistungssystem) vertrieben werden? Um diese
Fragen zu beantworten, kann eine Wertkettenanalyse, z. B. nach den Grundsätzen von
Porter, erstellt werden. Dabei werden die Aktivitäten des eigenen Unternehmens gekenn-
zeichnet und die Rolle zu vor-, nach- oder quergelagerten Partnern definiert. Damit einher
geht die Klärung der Frage, worin die eigenen Kernkompetenzen und Fähigkeiten bestehen.
Entsprechend werden dann die einzelnen Produktionsschritte beschrieben, die für die
Produkt- oder Dienstleistungserstellung notwendig sind. Hier sollte jeweils vermerkt wer-
den, welche Schritte vom eigenen Unternehmen bzw. von externen Kooperationspartnern
durchgeführt werden und wie die Schnittstellen gestaltet werden. Gerade für Jungunter-
nehmer kann es sinnvoll sein, Prozessschritte, die nicht zu den eigenen Kernkompeten-
zen gehören, von externen Dienstleistern durchführen zu lassen. Dies kann nicht nur Zeit
sparen, die die Gründer benötigen, um an der eigenen Idee zu arbeiten, sondern vor allem
auch die finanziellen Ressourcen schonen, die ansonsten für etwaige Investitionen in Ma-
schinen oder Ähnliches notwendig wären. Die Idee, dass der Gründer vor allem für das
Ideenkonzept zuständig ist, er oder sie sich nicht um alle Aspekte eines Unternehmens
kümmern muss und viele Dinge von spezialisierten Dienstleistern weit besser erledigt
werden können, beschreibt der Hochschulprofessor und Gründer der Teekampagne Günter
Faltin anschaulich in seinem Buch „Kopf schlägt Kapitel“ [7].
9.4  Aufbau des Businessplans 301

Der Aufbau eines funktionierenden Vertriebs ist erfolgsentscheidend für jedes Unter-
nehmen. Gerade Start-up-Unternehmen sind häufig sehr optimistisch, was die geplanten
Verkaufszahlen angeht. Es ist daher wichtig, sich frühzeitig darüber Gedanken zu machen,
über welche Vertriebskanäle (Fachgeschäfte, Internet, Großhandel, Business-to-Business
versus Endkundengeschäft) das eigene Produkt vertrieben werden kann. Jeder Vertriebs-
kanal weist zudem Besonderheiten hinsichtlich des Zugangs, der Kostenstruktur, der Zah-
lungsziele etc. auf, die berücksichtigt werden müssen.
Etwa fünf von sechs Gründungen erfolgen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
im Dienstleistungsbereich. Aber auch bei produktbezogenen Gründungen werden beglei-
tende Dienstleistungen immer wichtiger, was auf die zentrale Bedeutung der Dienstleis-
tungskompetenz für den Erfolg neuer Unternehmen hinweist. Diesem Bereich sollte in
einem Businessplan daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Für die Führung des neu gegründeten Unternehmens ist es zudem wichtig, sich die Frage
nach einer sinnvollen Anzahl an Hierarchieebenen, der Art der Entscheidungsfindungspro-
zesse (z. B. in Form eines Organigramms) Gedanken zu machen sowie zur Entwicklung
und Gestaltung der Unternehmenskultur.

Checkliste
•• Es wird deutlich, welchen Wertschöpfungsbeitrag Ihr Unternehmen leisten
möchte.
•• Sie führen aus, wie Ihr Produkt/Ihre Dienstleistung erstellt werden soll und
welche Schritte Sie dabei selbst übernehmen bzw. welche Schritte von externen
Partnern übernommen werden.
•• Die geplante Vertriebsstruktur wird übersichtlich dargestellt und plausibel be-
gründet.
•• Sie zeigen die Organisationsstruktur (z. B. anhand eines Organigramms) auf.
•• Sie führen aus, wie Sie Dienstleistungskompetenz aufbauen möchten.
•• Welche Rolle wird Ihr Unternehmen im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk der
Branche einnehmen?

9.4.6 Umsetzungsplan

77 Die Umsetzung des Businessplans sollte an Meilensteine gekoppelt werden.

Der Umsetzungsplan gibt den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen für die Aktivitäten
der folgenden Monate bis Jahre vor. Mit ihm wird der Businessplan zum dauerhaften
Strategieinstrument. Die Realisierung wird dazu mit Meilensteinen für den erfolgskri-
tischen Verlauf geplant. Dadurch können die einzelnen Umsetzungsschritte aufeinan-
der abgestimmt, die Ressourcen und Kapazitäten zugeordnet und die Feedback-Runden
eingeplant werden. Denn vielfach werden Venture Capitalists ihre weitere Zustimmung
302 9 Businessplanning

und Auszahlung von Finanzmitteln an das Erreichen der oft gemeinsam definierten Mei-
lensteine knüpfen. Aber auch für das eigene kritische Hinterfragen sind die Meilensteine
erforderlich. Sie sind wichtige, definierbare Ereignisse im Verlauf der Gründung, die es
dem Unternehmer ermöglichen, aus dem bisherigen Verlauf zu lernen und die weiteren
Schritte darauf aufbauend zu planen. Als Meilensteine kommen unter anderem der Ab-
schluss des Markttests, die Fertigstellung eines Prototyps, der erste Produktionslauf oder
der erste zahlende Kunde infrage.

Checkliste
•• Sie haben die wesentlichen, erfolgsentscheidenden Meilensteine aufgeführt.
•• Das Erreichen der Meilensteine erscheint machbar, und Sie haben einen ausrei-
chenden Puffer für unvorhergesehene Ereignisse eingeplant.
•• Sie haben die Meilensteinplanung und die Finanzplanung aufeinander abge-
stimmt. Sprich, für das Erreichen der Meilensteine stehen Ihnen die notwendigen
finanziellen Mittel auch zur Verfügung.

9.4.7 Risiken und Gegenmaßnahmen

77 Die möglichen Risiken des Vorhabens dürfen nicht außer Acht gelassen wer-
den.

Zum Schreiben des Kapitels „Risiken und Gegenmaßnahmen“ sind Selbstkritik und eine
realistische Einschätzung der Lage unbedingt erforderlich. Gelegentlich wird dieses Ka-
pitel einfach vergessen, dann wieder werden die Hauptrisiken in der Weltkonjunktur oder
-politik gesehen. Dabei wird verkannt, dass die nachweislich bedeutendsten Gründe für das
Scheitern ganz woanders liegen, und zwar beim Unternehmen selbst. Fehler im Finanz-
plan führen zu Liquiditätsengpässen oder Überschuldungen, Fehler im Marketingkonzept
führen zum Ausbleiben der Kunden, und Fehler in der kritischen Selbsteinschätzung des
Teams führen zu Führungsschwächen oder dem Auseinanderfallen des Teams. Hier müssen
somit die internen und externen Risiken des Gründungsprojekts objektiv und umfassend
aufgeführt werden. Dazu kommt die konkrete Darstellung von Gegenmaßnahmen und Re-
aktionsplänen für den Fall des Eintreffens der entsprechenden Fälle. Dadurch wird dieses
Kapitel zu einer weiteren Schlüsselstelle und zu einem entscheidenden Prüfstein für den
gesamten Businessplan.
Die Darstellung der Risiken kann beispielsweise in Form einer SWOT-Analyse (Strengths,
Weaknesses, Opportunities und Threats) geschehen. Hierbei werden die unternehmensin-
ternen Faktoren – Stärken und Schwächen – den externen Umfeldfaktoren – Chancen und
Risiken des Marktes – gegenübergestellt und Handlungsstrategien aufgezeigt [7].
9.4  Aufbau des Businessplans 303

Checkliste
•• Sie haben die wesentlichen internen Risiken erkannt und Gegenmaßnahmen
beschrieben, z. B.:
•• Liquiditätsengpässe,
•• Schwächen im Team,
•• Mögliches Ausscheiden von Teammitgliedern,
•• Gefährdung der Patentierbarkeit.
•• Sie haben die wesentlichen externen Risiken erkannt und Gegenmaßnahmen
beschrieben, z. B.:
•• Veränderung relevanter rechtlicher Rahmenbedingungen,
•• Steigende Rohstoffpreise,
•• Wechselkursrisiken.

9.4.8 Finanzplanung und Finanzierung

77 Die Finanzplanung bildet für potenzielle Kapitalgeber die Entscheidungs-


grundlage.

Das letzte Kapitel befasst sich mit der Finanzplanung und der Finanzierung. In jedem
Fall sollten ein Liquiditätsplan, eine Gewinn-und-Verlustrechnung sowie eine Planbilanz
erstellt werden. Es empfiehlt sich, für die einzelnen Berechnungen verschiedene Szenarien
zu berechnen und zu begründen. Üblicherweise wird zwischen einem besten, einem rea-
listischen und einem schlechtesten Szenario unterschieden (best case, realistic case, worst
case). Je nach Produkt und Geschäftsmodell sollten weitere spezifische Rechnungen wie
Investitionsrechnungen, Deckungsbeitragsrechnungen oder Make-or-buy-Berechnungen
vorgenommen werden. Für die Beurteilung dieser Planungen sind realistische Annahmen
aufzuzeigen, auf denen die Berechnungen beruhen. Entsprechende Vorlagen bieten eine
Reihe von Softwarelösungen oder Businessplan-Tools, z. B. von Banken, Verbänden oder
Ministerien (z. B. das Existenzgründungsportal des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie BMWi: www.existenzgruender.de). Sie müssen dann individuell angepasst
werden.
In diesem Kapitel hat zudem eine Beurteilung der zur Verfügung stehenden Finan-
zierungsquellen mit anschließender Zusammenstellung des geplanten Finanzierungs-Mix
stattzufinden. Grundsätzlich kommen Familiendarlehen, Fördermittel, Bankkredite sowie
Kapital von Business Angels und Venture Capitalists infrage. Diese müssen anhand fol-
gender Kriterien, bezogen auf das eigene Projekt, beurteilt werden: Lebenszyklusphase,
Finanzierungsvolumen, zeitliche Verfügbarkeit, Finanzierungsphase, Finanzierungskosten,
Gründungsberatung, Führungsunterstützung, Einfluss auf die unternehmerische Unabhän-
304 9 Businessplanning

gigkeit sowie die Trennung zwischen kommerzieller und emotionaler Beziehung. Das
Thema Finanzierung hat eine große Bedeutung für die Realisierung einer Geschäftsidee
und wird daher ausführlich in Kap. 7 dargestellt.

Checkliste
•• Da Sie noch nicht über alle Informationen verfügen, werden Sie viele Annahmen
treffen müssen. Legen Sie die Annahmen dar und erläutern Sie kurz, wie Sie zu
den Annahmen/Schätzungen gekommen sind.
•• Mittelfristig müssen aus den Unternehmensüberschüssen Ihre privaten Lebens-
haltungskosten, die Steuern sowie die Kapitalkosten gedeckt werden können.
•• Die geplanten Finanzzahlen werden sich in der Realität nicht 1:1 umsetzen
lassen. Durch einen Soll-Ist-Abgleich können Sie jedoch frühzeitig auf Verände-
rungen reagieren. Sehen Sie Ihren Businessplan als Arbeitsdokument an.

9.5 Die Erstellung eines Businessplans

9.5.1 Zentrale Anforderungen an einen Businessplan

Es gibt zwar keine Patentrezepte für die Erstellung eines guten Businessplans, allerdings
lassen sich bestimmte Merkmale nennen, die ein guter Businessplan aufweisen sollte und
die daher bei der Erstellung zu berücksichtigen sind. Die zentralen Anforderungen an einen
überzeugenden Businessplan lauten:

• Die eigene Handschrift muss deutlich werden,


• Ehrlichkeit und Objektivität der Darstellung,
• Saubere Form und verständliche Sprache,
• Klare Zielgruppen- und Leserausrichtung,
• Widerspruchsfreiheit sollte gegeben sein,
• Aufzeigen verschiedener Szenarien.

77 Der Businessplan soll ständig kritisch hinterfragt werden.

Entsprechend liegen in Businessplänen die am häufigsten anzutreffenden Fehler in einer


mangelnden Bedürfnis- und Kundenfokussierung, in einer fehlenden Empfängerorientie-
rung, in der Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit des Inhalts, in der Vermischung
von Hoffnung und Realität, der Nichtbeachtung von Risiken und in Fehleinschätzungen
von Zeit und Geld. Dies führt dann zu dem nicht selten anzutreffenden Phänomen einer
Überschuldung bereits in der Planbilanz. Zudem werden immer wieder dieselben Phrasen
und allgemein plakativen Aussagen wie „Wir haben keine Konkurrenten“, „Wir stehen
9.5  Die Erstellung eines Businessplans 305

vor dem Kooperationsabschluss mit Microsoft für den US-Markt“ oder „Wir haben nur
noch minimale Probleme vor der Produkteinführung zu klären“ verwendet, womit deutlich
wird, dass die Gründer die Realität verkennen. Um diese typischen Fehler zu vermeiden,
ist es lohnend, sich die kritischen Fragen, die sich jeder Adressat stellt, selbst immer wie-
der vor Augen zu führen. Mit den Schlüsselfragen, die man beispielsweise Businessplan-
Vorlagen entnehmen kann, ist eine gezielte Vorbereitung auf den Ernstfall einer Präsenta-
tion vor Entscheidungsträgern möglich. Zudem besteht laufend die Möglichkeit, sich an
Businessplan-Wettbewerben zu beteiligen. Dadurch eröffnet sich neben dem Gewinn von
Förderpreisen die Chance, mit Experten den eigenen Businessplan kritisch zu reflektieren
und zu verbessern.

77 Die Einbeziehung von externen Beratern hilft, Schwachstellen aufzuzeigen.

Generell gilt, dass man immer versuchen sollte, qualifizierten Rat für das eigene Geschäfts-
konzept zu erhalten. Es ist in diesem Zusammenhang falsch, zu viel Geheimniskrämerei
um die eigene Geschäftsidee zu machen. Viele auf den ersten Blick genial erscheinende
Geschäftsideen sind auch schon Dutzenden anderen Leuten in den Sinn gekommen und
wurden dennoch nicht realisiert, weil sie sich bei näherer Betrachtung als nicht praktikabel
oder wenig lukrativ erwiesen haben. Die Tatsache, dass eine bestimmte Leistung auf dem
Markt nicht angeboten wird, muss nicht unbedingt heißen, dass bisher noch niemand auf
die Idee gekommen ist, hier tätig zu werden. Hierfür können auch eine nicht ausreichende
Nachfrage oder sonstige Schwachpunkte verantwortlich sein. Durch die Diskussion mit
anderen lassen sich Realisierbarkeit und Erfolgsaussichten eines Gründungsprojektes in
aller Regel besser einschätzen, als wenn man alleine über seinen Plänen brütet.
Zum Schreiben eines Businessplans werden oft Vorlagen von Banken oder Gründungs-
beratern eingesetzt. Diese fördern das Schreiben eines in sich stimmigen Plans, weil sie
gezielt die entscheidenden Fragen stellen und Themengebiete aufzeigen, dürfen aber nicht
unkritisch übernommen werden. Fertige Businesspläne für verschiedene Branchen sind
inzwischen sogar käuflich im Internet zu erwerben. Auch hier gilt, dass diese Anregungen
geben können, in keinem Fall aber einfach kopiert werden sollten. Welcher Investor stellt
schon gerne jemandem Kapital zur Verfügung, wenn er bemerkt, dass der Businessplan
nicht selbst erarbeitet, sondern lediglich kopiert wurde?

77 In der Regel umfasst ein Businessplan 25 bis 30 Seiten.

Über den optimalen Umfang eines Businessplans gibt es unterschiedliche Aussagen. Für
die meisten Gründungsvorhaben sollten 25 bis 30 Seiten ein angemessener Umfang sein.
Bei kleinen, einfach strukturierten Gründungsvorhaben, bei denen keine Bankdarlehen in
Anspruch genommen werden sollen, können auch bereits zehn Seiten oder eine aussage-
kräftige Präsentation ihren Zweck erfüllen. Beim Vorstoß von Großunternehmen in neue
Geschäftsbereiche oder bei großen Investitionen umfassen Businesspläne schnell mehrere
Hundert Seiten.
306 9 Businessplanning

9.5.2 Vorgehen bei der Erstellung eines Businessplans

77 Der Businessplan ist das Resultat eines langen Entstehungsprozesses.

Ein Businessplan wird selten auf einmal erstellt. Üblicherweise ist der Businessplan das
Resultat eines mehr oder weniger langen Entstehungsprozesses. Es empfiehlt sich auch
nicht, den Businessplan überstürzt herunterzuschreiben, sondern die eigene Planung zu
überdenken und auch Rat von anderen Unternehmern und Beratern einzuholen. Schaper
und Volery empfehlen folgendes Vorgehen bei der Erstellung eines Businessplans [8]:

• Vorläufige Ziele formulieren: Alle angehenden Unternehmer haben eine Vorstellung


von dem, was sie verkaufen und mit ihrem Unternehmen erreichen wollen. Ein erster
Schritt bei der Erstellung eines Businessplans kann daher darin besehen, diese – wenn
auch nur vorläufigen Ziele – zu Papier zu bringen.
• Marktanalyse auf der Basis von Sekundärdaten: Nach der Festlegung der groben Ziele
gilt es, Informationen über die anvisierte Branche, das Produkt und mögliche Mitbe-
werber einzuholen. Anstatt aufwendige Primärstudien durchzuführen, sollte man sich
in dieser Phase zunächst auf bereits erhobene Daten und Analysen stützen, um die
Größe des Marktes und mögliche zukünftige Marktentwicklungen abzuschätzen.
• Überprüfen der gesetzten Ziele: Die ersten durchgeführten Marktbeobachtungen
sollten dazu genutzt werden, die formulierten Ziele zu bestätigen oder aber auch zu
revidieren. Gibt es tatsächlich eine gute „Market Opportunity“ für das Produkt oder
die Dienstleistung, die angeboten werden soll?
• Durchführung detaillierter Recherchen und Schreiben des Businessplans: Als nächs-
ter Schritt muss deutlich gemacht werden, wie das unternehmerische Ziel erreicht
werden soll: Wie wird das Produkt hergestellt, wie soll die Vermarktung gestaltet wer-
den, wie sieht das Management-Team aus? In dieser Phase sollten detailliertere In-
formationen aus möglichst vielen verschiedenen Quellen zusammengetragen werden,
um die verschiedenen Kapitel des Businessplans mit Inhalten zu füllen. Eine genaue
Analyse des Marktes und der Konkurrenz sind wichtig, da diese Informationen auch
für die Planung des Vertriebs und die Finanzplanung von Bedeutung sind. Als Ergeb-
nis der detaillierten Bearbeitung liegt dann eine erste Version des Businessplans vor.

77 Nachdem eine erste Version des Businessplans erstellt wurde, sollte unbedingt
eine unabhängige Meinung eingeholt werden.

• Kritische Prüfung und Überarbeitung des Plans: Nach Fertigstellung einer ersten
Version sollte der Plan erneut auf seine Wirklichkeitsnähe, Konsistenz, Aussagekraft
und Verständlichkeit geprüft werden. Es ist an dieser Stelle oft sinnvoll, den Plan von
einer nicht involvierten, qualifizierten Person beurteilen zu lassen, um eine unbefan-
gene Rückmeldung zu erhalten. Der Prozess der Bewertung und Überarbeitung kann
9.6  Discovery-driven Planning 307

bei einem guten Konzept schnell beendet sein. Er kann sich aber auch über einen
längeren Zeitraum hinziehen, wenn mehrere Überarbeitungsrunden erforderlich sind.
Auch wenn der Prozess langwierig und umständlich erscheinen mag, sollte man be-
denken, dass es besser ist, Fehler bereits in der Planung zu erkennen, anstatt Zeit und
Geld bei der Umsetzung zu verlieren. Am Ende des beschriebenen Prozesses sollte
der Businessplan soweit ausgereift sein, dass mit der Umsetzung begonnen werden
kann. An dieser Stelle kann der Plan auch potenziellen Investoren vorgelegt werden.
Gerade in der Anfangsphase dient der Businessplan vor allem als eine Art Verkaufs-
prospekt für das eigene Geschäftskonzept.
• Implementierung des Businessplans: Nach der Ausarbeitung sollte der Businessplan
natürlich auch umgesetzt werden. Die Gründer sollten sich so weit wie möglich an die
Planungen des Businessplans halten, sofern es keine Gründe gibt, hiervon abzuwei-
chen. Wenn sich schnell herausstellt, dass ein Businessplan völlig unrealistisch oder
gar nicht umsetzbar ist, muss man die Genauigkeit der Recherchen und damit den
Wert des gesamten Plans infrage stellen.
• Evaluierung des Businessplans: Der Businessplan sollte regelmäßig evaluiert und
überarbeitet werden. Die geschäftlichen Planungen sollten für die weiteren Zeitperi-
oden fortgeschrieben werden. Zudem sollten auch Abweichungen von den ursprüng-
lichen Planungen analysiert und hieraus Schlüsse für die weitere Planung gezogen
werden. Hierdurch wird deutlich, dass ein Businessplan letztendlich nie komplett
vollständig oder fertig ist, da das geschäftliche Umfeld einem kontinuierlichen Wan-
del unterworfen ist und ständig auf neue Herausforderungen reagiert werden muss.
Man sollte einen Businessplan daher nicht als einen einmaligen Akt, sondern als einen
andauernden Prozess betrachten.

9.6 Discovery-driven Planning

77 Konventionelle Finanzwerkzeuge eignen sich nur bedingt für Start-up-Berech-


nungen.

Berechnungen über die vermutete zukünftige Finanzlage gehören in jeden Businessplan.


Die dort genutzten Instrumente wie Liquiditätsplanung, Gewinn-und-Verlustrechnung und
Planbilanz werden von den Empfängern eines Businessplans häufig als Standardanforde-
rung angesehen. Die genannten Instrumente werden jedoch normalerweise von existie-
renden Unternehmen genutzt und sind daher auch nicht auf die Bedürfnisse von jungen
Start-up-Unternehmen abgestimmt. Aus folgenden Gründen sind sie als Planungstool für
Unternehmensgründungen oder den Aufbau neuer Geschäftsfelder nur bedingt geeignet:

• Unternehmensneugründungen bewegen sich per se in einem unbekannten Terrain.


• Schätzungen basieren nicht auf vorherigen Erfahrungen.
308 9 Businessplanning

• Berechnungen basieren auf einer Vielzahl ungeprüfter Annahmen.


• Häufig liegen den Berechnungen unrealistische Annahmen zugrunde, die jedoch nicht
systematisch überprüft werden [9].

Die amerikanischen Professoren Rita Gunther McGrath und Ian C. MacMillan [10] ha-
ben deshalb die Methode des Discovery-driven Plannings (DDP) entwickelt. Mithilfe
des DDP können die wichtigsten Annahmen systematisch identifiziert werden, um dann
zu überlegen, wie die Annahmen schrittweise in Gewissheiten umgewandelt werden
können; mitunter ohne dafür ins Risiko zu gehen. Damit kann das DDP zur Prüfung
der Wirtschaftlichkeit von Gründungsvorhaben oder bei der Einführung neuer Produkte
verwendet werden. Anhand von einfachen Überlegungen und Berechnungen können
schnell erste Planungsergebnisse erzielt werden, anhand derer ein Vorhaben beurteilt
werden kann [10]. McGrath und MacMillan beschreiben die Vorgehensweise des DDP
wie folgt:

1. Umgekehrte Erfolgsrechnung: Anstatt zunächst die möglichen Umsätze eines Start-ups


zu schätzen, um davon mögliche Profite abzuleiten, wird ein „Reverse Income State-
ment“ für das Projekt angefertigt. Dabei wird zunächst der Gewinn festgelegt, den man
erwirtschaften möchte, damit man selbst das Projekt überhaupt als lohnenswert beur-
teilen würde und es weiterverfolgen würde (die Umsatzrendite sollte dabei mindestens
10 % betragen). Erst dann berechnet man die Umsätze, die notwendig sind, um bei der
geschätzten Umsatzrendite das Vorhaben weiterzuverfolgen. Dieses Vorgehen schützt
vor unrealistischen Annahmen, die häufig darin bestehen, dass Jungunternehmer davon
ausgehen, in kürzester Zeit einen bestimmten Prozentsatz des gesamten Marktvolumens
abzudecken. Nach dem Motto „innerhalb von fünf Jahren wird unser Unternehmen 5 %
des Gesamtmarktes erobert haben“. Natürlich kann es dazu kommen, selten entsprechen
diese Schätzungen jedoch der Wirklichkeit.
2. Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: In einem zweiten Schritt werden alle wichtigen
Aktivitäten aufgelistet, die für die Leistungserstellung notwendig sind (z. B. Herstellung
des Produktes, Marketing, Vertrieb, Administration), sowie die Kosten geschätzt, die
bei der Durchführung dieser Aktivitäten entstehen. Zieht man nun die Gesamtkosten
der Aktivitäten von den benötigten Umsätzen ab, sieht man sofort, ob das Vorhaben den
gewünschten Gewinn abwerfen würde oder nicht.

77 Ein wesentlicher Vorteil des DDP besteht in der systematischen Identifizierung


von Annahmen.

3. Identifizierung impliziter Annahmen: Hier werden alle wesentlichen Annahmen aufge-


führt, die im Zusammenhang mit den Umsatz-, Gewinn- und Kostenschätzungen in den
ersten beiden Schritten zugrunde gelegt wurden. Es ist wichtig, die Annahmen explizit
aufzuführen, um sie dann mit dem Gründerteam oder mit Experten zu testen. Viele An-
nahmen können auch im Markt getestet oder überprüft werden, ohne dass man große
9.6  Discovery-driven Planning 309

Risiken eingeht. Wer einen Partyservice ins Leben ruft, kann beispielsweise zunächst
mit der Organisation einer Party für einen Bekannten beginnen, um so Arbeitsaufwand,
Kosten und Zahlungsbereitschaft besser abschätzen zu können. Sobald neue Erkennt-
nisse bezüglich der Annahmen vorliegen, können diese angepasst werden.
4. Anpassung der umgekehrten Erfolgsrechnung: Mit den geänderten Annahmen verändert
sich auch die umgekehrte Erfolgsrechnung. Man sollte sich dann fragen, ob der not-
wendige Gewinn angesichts der aktualisierten Umsatz- und Kostenannahmen weiterhin
realisierbar erscheint.
5. Meilensteinplanung zur Überprüfung der Annahmen: Wenn man sich nach der Durch-
führung der ersten vier Schritte dafür entscheidet, die Idee umzusetzen, sollte man
sich Meilensteine setzen, an denen die Annahmen erneut überprüft und ggf. angepasst
werden. Wichtige Entscheidungen, die größere Ausgaben zur Folge hätten, sollten erst
getätigt werden, wenn die Überprüfung der Annahmen am jeweils vorigen Meilenstein
vermuten lässt, dass die Investition gerechtfertigt ist.

9.6.1 Umgekehrte Erfolgsrechnung

77 Um zu prüfen, ob die Geschäftsidee „Best Drive“ umgesetzt werden soll, wird


die Methode des Discovery-driven Plannings angewandt.

Im Folgenden werden die fünf Schritte des DDP anhand eines Beispiels durchgeführt. Bei
dem zu gründenden Start-up handelt es sich um eine Fahrschule in Berlin, die den Kunden
eine solide Ausbildung zu geringen Preisen ermöglichen soll. Es sollen gute Fahrlehrer
ausgewählt werden, die Fahrzeuge sollen jedoch eher einfacher Natur sein. Die Idee soll
zunächst getestet und dann bundesweit im Franchising-System angeboten werden. Die
Fahrschule heißt „Best Drive“.
Wir gehen davon aus, dass es sich um eine Person handelt, die das Unternehmen star-
ten möchte. Nehmen wir weiter an, dass die zukünftige Jungunternehmerin derzeit als
Angestellte arbeitet. Selbstverständlich möchte sie nicht schlechtergestellt sein als jetzt:
Sie möchte genauso viel Geld verdienen und möchte dazu einen Risikozuschlag erhal-
ten. Derzeit verdient die Gründerin 40.000 EUR, zudem möchte sie einen Risikozuschlag
von 25 % erwirtschaften. Mittel- und langfristig sollte das Unternehmen daher mindestens
50.000 EUR für die Gründerin abwerfen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die
50.000 EUR Gehalt gleichzusetzen sind mit dem Gewinn des Unternehmens.
Liegt die Umsatzrentabilität bei 10 %, müsste die Jungunternehmerin einen Umsatz von
500.000 EUR erwirtschaften, damit am Ende 50.000 EUR übrig blieben. Die erlaubten
Kosten für das Unternehmen liegen demnach bei 450.000 EUR. Liegen die Kosten höher,
würde dies zulasten des angestrebten Gewinns gehen. Steuerliche Aspekte sollen an dieser
Stelle nicht berücksichtigt werden.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel Fahrstunden verkauft und wie viele Fahr-
schüler pro Jahr betreut werden müssen, damit der gewünschte Umsatz erzielt werden
310 9 Businessplanning

kann, werden weitere Annahmen getroffen. Wir gehen davon aus, dass eine Fahrstunde
25 EUR kostet und „Best Drive“ damit zu den günstigeren Fahrschulen gehört. Weiterhin
wird davon ausgegangen, dass ein Fahrschüler durchschnittlich 25 Stunden benötigt, bis
er die Prüfung ablegen kann.
Um den notwendigen Umsatz von 500.000 EUR zu erreichen, müssten insgesamt
20.000 Fahrstunden verkauft werden. Bei einer durchschnittlichen Dauer von 25 Stun-
den bis zur Fahrprüfung müssten 800 Fahrschüler pro Jahr den Führerschein bei „Best
Drive“ absolvieren. Geht man weiterhin davon aus, dass ein Fahrlehrer, der Vollzeit arbei-
tet, 1500 Fahrstunden pro Jahr durchführen kann, müssten insgesamt 13,3 Fahrlehrer zu
100 % ausgelastet werden, um den Umsatz erwirtschaften zu können. Einnahmen durch
Theorieschulungen sowie Prüfungsgebühren werden bei der exemplarischen Rechnung
nicht berücksichtigt.

77 Unter den getroffenen Annahmen dürfen die Kosten nicht über 450.000 EUR
liegen.

Wie oben beschrieben, liegt die oberste Kostengrenze bei 450.000 EUR. Pro Stunde dürfen
daher nicht mehr als 22,50 EUR an Kosten anfallen, um die notwendige Gewinnmarge
nicht zu gefährden (450.000 EUR ÷ 20.000 Stunden). Die Berechnungen beruhen allesamt
auf Annahmen, ermöglichen es jedoch, ein Gefühl für die Größenordnung des zukünfti-
gen Unternehmens zu bekommen. Die oben beschriebenen Berechnungen sind in Tab. 9.1
dargestellt.

9.6.2 Vorläufige Aktivitätenbeschreibung

Im zweiten Schritt werden sämtliche Aktivitäten dargelegt, die notwendig sind, um


die geplante Dienstleistung zu erbringen und sie zu bewerben. Zusammen verursachen
diese Aktivitäten die Gesamtkosten des Unternehmens, die in unserem Fall nicht über
450.000 EUR liegen dürfen. Im ersten Schritt können die Aktivitäten in einer einfachen
Tabelle aufgeführt und erste Schätzungen vorgenommen werden. Selbst wenn diese Zah-
len zunächst nur grobe Schätzungen darstellen, erhält man doch eine Vorstellung davon, ob
die Einhaltung der zulässigen Kosten realistisch erscheint. Zudem werden die Annahmen
im Weiteren überprüft und ggf. angepasst, um so einer realistischen Schätzung immer
näher zu kommen.
Wir nehmen vereinfachend an, dass es lediglich drei große Aktivitäten-/Kostenblöcke
gibt: (1) Durchführung der Fahrstunden, (2) Marketing & Vertrieb sowie (3) Verwaltung
und Organisation.
In Bezug auf die Durchführung der Fahrstunden gehen wir davon aus, dass die Arbeitge-
berkosten pro Fahrstunde bei 15 EUR liegen. Da die Anzahl der notwendigen Fahrstunden
bei 20.000 liegt (Wert aus Tab. 9.1), fallen damit pro Jahr 300.000 EUR an Personalkos-
ten für die Durchführung der Fahrstunden an. Hinzu kommen die Fahrzeugkosten mit
9.6  Discovery-driven Planning 311

Tab. 9.1  Umgekehrte Erfolgsrechnung

Betrag Einheit

Notwendiger Gewinn 50.000 EUR


(bisheriges Gehalt plus
Risikozuschlag)
Notwendiger Umsatz bei 500.000 EUR
einer angenommenen
Umsatzrentabilität von 10 %
Erlaubte Kosten 450.000 EUR
Berechnungen pro Einheit
Notwendige verkaufte Fahr- 20.000 h/Jahr
stunden bei einem Stunden-
satz von 25 EUR
Anzahl von Fahrschülern 800 Schüler/Jahr
bei einer durchschnittlichen
Dauer von 25 h zum Führer-
schein
Anzahl Fahrlehrer bei einer 13,3 Fahrlehrer
Jahreskapazität von 1500 h
pro Fahrlehrer
Anzahl benötigter Autos 8 Autos
bei geschätzten 8 h Fahrzeit
pro Auto und Tag und
geschätzten 330 Tagen Ein-
satzzeit pro Auto und Jahr
(20.000 Fahrstunden ÷ 8 h ÷
330 Tage)
Maximal zulässige 22,50 EUR
Kosten pro Fahrstunde
(450.000 erlaubte Kos-
ten ÷ 20.000 Fahrstunden)

geschätzten 5 EUR pro Fahrzeugstunde (Abschreibung, Versicherung, Benzin, Wartung).


Bei 20.000 Fahrstunden macht dies insgesamt 100.000 EUR aus. Dazu kommen noch
Parkplatzgebühren von geschätzten 35 EUR pro Auto und Monat. Bei 8 Fahrzeugen macht
dies pro Jahr weitere 3360 EUR aus (8 Fahrzeuge × 35 EUR Miete × 12 Monate). Die
Berechnungen sind in Tab. 9.2 nochmals dargestellt.
Als Nächstes werden die Aktivitäten im Bereich Vertrieb und Marketing aufgeführt. Die
Schätzungen können Tab. 9.3 entnommen werden.
Im Bereich Verwaltung und Organisation wird ein Verwaltungsaufwand von 2 Stunden
pro Fahrschüler geschätzt (Informationsgespräche, Anmeldung, sonstige Gespräche, Rech-
312 9 Businessplanning

Tab. 9.2  Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Durchführung Fahrstunden

Betrag Einheit

Personalkosten für die 300.000 EUR


Durchführung der Fahrstun-
den (15 EUR Arbeitgeber-
kosten × 20.000 verkaufte
Fahrstunden)
Fahrzeugkosten (20.000 100.000 EUR
Fahrstunden × 5 EUR)
Parkplatzgebühren für 3360 EUR
8 Fahrzeuge bei geschätzten
35 EUR Miete pro Monat
Geschätzte Kosten pro 403.360 EUR
Jahr

Tab. 9.3  Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Vertrieb und Marketing

Betrag Einheit

Anzeigen, Flyer 20.000 EUR


Internetauftritt mit Anmel- 20.000 EUR
demöglichkeiten
Geschätzte Kosten pro 40.000 EUR
Jahr

nungsstellung, ggf. Mahnung etc.). Bei 800 Teilnehmern sind das immerhin 1600 Stunden
pro Jahr. Für Tätigkeiten im Bereich Controlling, Finanzbuchhaltung und Steuererklärung
fallen geschätzte 200 Stunden pro Jahr an. Insgesamt werden damit 1800 Verwaltungs-
stunden pro Jahr benötigt. Unter der Annahme, dass eine Vollzeitkraft 1500 Stunden zur
Verfügung steht, werden damit 1.2 Vollzeitstellen benötigt. Kostet eine Verwaltungskraft
pro Jahr 30.000 EUR (Arbeitgeberkosten), fallen also insgesamt 36.000 EUR pro Jahr an
Personalkosten im Bereich Verwaltung an. Zudem wird ein kleines Büro für die Durchfüh-
rung der Verwaltungsaufgaben und die Geschäftsführerin benötigt. Insgesamt fallen damit
für den Bereich Verwaltung und Organisation 45.000 EUR an. Die einzelnen Posten sind
in Tab. 9.4 nochmals aufgeführt.
Die geschätzten Kosten belaufen sich damit insgesamt auf 488.360 EUR (siehe
Tab. 9.5). Damit würden sie über den erlaubten Kosten von 450.000 EUR liegen. Unter
diesen Annahmen könnten die 50.000 EUR, die für die Gründerin eingeplant wurden, nicht
erwirtschaftet werden. In einem nächsten Schritt müssen aber ohnehin die Annahmen, die
den Berechnungen zugrunde liegen, geprüft und ggf. angepasst werden. Die Methode des
Discovery-driven Plannings ist damit als iterativer Prozess zu verstehen.
9.6  Discovery-driven Planning 313

Tab. 9.4  Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Verwaltung und Organisation

Verwaltung und Organisa- Betrag Einheit


tion

Verwaltungsaufwand pro 1600 h/Jahr


Teilnehmer 2 h × 800 Teil-
nehmer
Controlling, Finanzbuchhal- 200 h/Jahr
tung, Steuererklärung
Summe benötigte Verwal- 1800
tungsstunden pro Jahr
Benötigte Anzahl Ver- 1,2 Vollzeitstellen
waltungsmitarbeiter bei
geschätzten 1500 h, die eine
Verwaltungskraft pro Jahr
zur Verfügung steht
Arbeitgeberkosten für 36.000 EUR
1,2 Vollzeitstellen im
Bereich Verwaltung bei ge-
schätzten 30.000 EUR pro
Jahr und Vollzeitstelle
Jahresmiete für das Büro 9000 EUR
bei geschätzten 750 EUR
pro Monat
Geschätzte Kosten pro 45.000 EUR
Jahr

Tab. 9.5  Vorläufige Aktivitätenbeschreibung: Geschätzte Gesamtkosten

Durchführung Fahrstunden 403.360 EUR


Vertrieb und Marketing 40.000 EUR
Verwaltung und Organisa- 45.000 EUR
tion
Geschätzte Gesamtkosten 488.360 EUR

9.6.3 Identifizierung impliziter Annahmen

Im dritten Schritt wird eine Checkliste erstellt, in der sämtliche Annahmen aufgeführt wer-
den, die für den ersten und zweiten Schritt angenommen wurden. So wird sichergestellt, dass
jede einzelne Annahme aufgeführt wird, um sie dann mit geeigneten Maßnahmen überprüfen
zu können. Das Verfahren wird beispielhaft für einige Annahmen aufgeführt (siehe Tab. 9.6).
314 9 Businessplanning

Tab. 9.6  Liste mit impliziten Annahmen und Maßnahmen zur Überprüfung

Annahme Maßnahme zur Überprüfung

Umsatzrendite 10 % Gespräche mit Branchenkennern, um die


Schätzung zu überprüfen
Preis pro Fahrstunde 25 EUR Recherche bei zehn Fahrschulen, die in der
Umgebung angesiedelt sind, um ein Gefühl
für das Preisgefüge zu erhalten und zu ent-
scheiden, ob 25 EUR realistisch sind
25 Stunden bis zum Führerschein Nachfrage bei Fahrschulen, wie viele
Fahrstunden Fahrschüler im Durchschnitt
benötigen
Arbeitgeberkosten für eine Verwaltungskraft Nachfrage bei Berufsverbänden, Nachfrage
bei Bekannten, die in vergleichbaren Positi-
onen arbeiten

Die Beispiele zeigen, dass viele Annahmen überprüft werden können, ohne dass das
Unternehmen bereits gegründet werden muss. Oftmals genügen einige Telefonate bei zu-
künftigen Mitbewerbern oder Gespräche mit Experten.

9.6.4 Anpassung der umgekehrten Erfolgsrechnung

77 Die umgekehrte Erfolgsrechnung wird angepasst, sobald Annahmen über-


prüft und verändert wurden.

Wurden die Annahmen verändert – weil man nun eine realistischere Einschätzung hinsicht-
lich bestimmter Annahmen gewonnen hat –, muss auch die umgekehrte Erfolgsrechnung
angepasst werden. Nun kann man sich fragen, ob die geplanten Umsätze, die maximalen
Aufwendungen und damit dann auch der notwendige Gewinn noch realistisch erscheinen.
Mithilfe der DDP wird so nach und nach eine immer realistischere Beurteilung des Vor-
habens möglich. Mitunter kann eine solche Berechnung auch dafür sorgen, dass von der
Umsetzung einer Idee abgesehen wird, weil die ursprünglich geplanten Gewinne einfach
nicht realistisch erscheinen. Ein Vorhaben abzubrechen, bevor man ins Risiko gegangen
ist, ist jedoch allemal besser, als viel Geld zu verlieren.

9.6.5 Meilensteinplanung zur Überprüfung der Annahmen

Die Annahmen sollten im weiteren Verlauf immer wieder überprüft und aktualisiert werden.
Je mehr Markterfahrung die Gründer sammeln, desto realistischere Annahmen können
getroffen werden. Damit die Überprüfung der Annahmen nicht in Vergessenheit gerät,
9.7  Fallstudie: BistroBox 315

sollte sie an die Erreichung von Meilensteinen gekoppelt werden. Zudem sollte es einen
Verantwortlichen aus dem Start-up-Team geben, der für die Überprüfung der Annahmen
zuständig ist.
Die Grundidee besteht dabei darin, dass aufwendigeren Verpflichtungen erst dann
nachgekommen wird, wenn vom vorherigen Planungsschritt klar ist, dass das Risiko, den
nächsten Schritt zu gehen, gerechtfertigt ist. Bevor man beispielsweise viel Geld in eine
Werbekampagne investiert, kann diese Idee im Kleinen getestet werden.
Der große Vorteil des DDP besteht darin, dass es die entscheidenden Annahmen und
damit Unsicherheiten sichtbar macht, die über Erfolg oder Misserfolg des neuen Unter-
nehmens entscheiden können.
Nutzt man konventionelle Planungstools, liegt der Fokus auf der Erreichung des Plans.
Einen Plan zu erfüllen, der voller Annahmen steckt, ist jedoch ein nahezu unlösbares Vor-
haben.

9.7 Fallstudie: BistroBox

Es ist April 2008. Klaus Haberl, David Kieslinger und Jürgen Traxler hatten gerade einen
Vortrag zum Thema Unternehmensgründung an der Fachhochschule Wels gehört. Dabei tra-
fen sie durch Zufall Mag. Franz Vilsecker. Er war zu diesem Zeitpunkt im Management bei
der PSG-Technology Group tätig, die gerade auf der Suche nach innovativen Start-ups war.

77 Die Idee: ein Pizzaautomat, der innerhalb von zwei Minuten ein frisches Stück
Pizza liefert.

Die drei kannten Mag. Franz Vilsecker bereits von früheren Vorträgen. Nach dem Vortrag
sprachen sie kurz mit ihm und erzählten von ihrer Idee, einen Pizzaautomaten zu entwi-
ckeln, der in der Lage sein würde, Kunden innerhalb von maximal zwei Minuten mit einem
frisch gebackenen Stück Pizza zu versorgen.
Mag. Franz Vilsecker fand die Idee interessant. Er war auf der Suche nach innovativen,
technologiebasierten Ideen, die im Hochschulumfeld entstanden waren und die er in seinen
Verbund würde integrieren können. Er wollte sich daher die ersten Entwicklungsschritte des
Teams gleich vor Ort im Labor der Fachhochschule Wels anschauen. Einen ausgereiften
Prototyp gab es noch nicht; stattdessen ein Blechgerüst mit zwei Heizstrahlern, die den
Ofen simulierten. Die drei mussten also überzeugend sein, wenn sie Mag. Franz Vilsecker
von ihrer Idee begeistern wollten.

Die Idee
Die Idee zur BistroBox entstand während einer Marketing-Vorlesung im Dezember 2006.
Zu der Vorlesung war ein Gastredner eingeladen, ein Marketingleiter eines bekannten
Backwarenvertriebsunternehmens. Er machte seinen Zuhörern, allesamt Studierende der
Automatisierungstechnik mit Schwerpunkt Wirtschaftsingenieurswesen an der FH Wels,
316 9 Businessplanning

auf ein bisher ungenutztes Potenzial aufmerksam: Aus seiner Sicht hatten Mitarbeitende
an ihrem Arbeitsplatz kaum die Möglichkeit, sich mit frischen Brötchen zu versorgen. Bei
der Vielzahl an Unternehmen würde hier ein enormes Marktpotenzial liegen, das bisher
ungenutzt blieb. Aus Sicht der Technikstudenten lag die Lösung auf der Hand: ein vollau-
tomatischer Brötchenautomat.
Eine Gruppe von ursprünglich fünf Studierenden (Martin Schauer, René Prösser, Jürgen
Traxler, David Kieslinger und Klaus Haberl) dachte weiter über diese Idee nach. Von der
Wirtschaftlichkeit der Idee waren sie jedoch von Anfang an nicht überzeugt. Waren die
Deckungsbeiträge von Brötchen nicht viel zu gering?

77 Die Idee entstand während eines Skiausflugs.

Kurz nach Weihnachten 2006 waren die fünf gemeinsam mit Kommilitonen auf einem
Skiausflug in Schladming unterwegs. Als sie sich mit dem Auto wieder auf die Rück-
fahrt machten, philosophierten sie weiter über die Brötchenautomatenidee. Es überwog
wiederum die Skepsis. Wer wollte denn einfach nur ein Brötchen kaufen? War das nicht
langweilig? Wie wäre es stattdessen mit Pizza? Jeder kennt Pizza. Die meisten mögen
Pizza. Für ein heißes Stück Pizza würden Kunden einen guten Preis bezahlen.

Marktstudie
Die fünf verfolgten die Idee weiter und nahmen die Möglichkeit wahr, im Jahr 2007 im
Rahmen eines fächerübergreifenden Projektes eine Marktstudie durchzuführen. Sie waren
ohnehin dazu verpflichtet, jedes Semester ein praktisches Projekt durchzuführen. Warum
dann nicht gleich für die mögliche eigene Gründung recherchieren? Insgesamt waren in
dem Team sieben Studierende tätig, die das Projekt über ein Semester lang verfolgten.
Ziel des Vorhabens: die Durchführung einer Marktstudie zum Thema „Pizza-Vending-
Machine“.
Am Anfang der Markstudie wurden Essverhalten und Marktpotenzial untersucht. So
wurde z. B. eine Online-Befragung durchgeführt, auf die das Team über den Verteiler aller
Fachhochschulen in Oberösterreich aufmerksam machen konnte. Die Rücklaufquote war
mit 30 % hervorragend. Insgesamt wurden ca. 1350 Fragebögen ausgefüllt. Ungefähr wei-
tere 150 Personen wurden persönlich befragt. Dazu positionierten sich die Studenten auf
dem Bahnhof und in der Fußgängerzone, um Menschen zu fragen, ob sie gerne Pizza aus
einem Automaten essen würden, wie lange sie darauf warten würden, welchen Preis sie
akzeptieren würden und welche Pizzagröße sie bevorzugen würden.

77 Die Ergebnisse der Marktstudie bestärkten die Studenten darin, ihre Idee
weiterzuverfolgen.

Die zentralen Ergebnisse ließen die Idee eines Pizzaautomaten in einem positiven Licht
erscheinen:
9.7  Fallstudie: BistroBox 317

• Die Essenszeiten werden zunehmend in die Vormittags- und Nachmittagsstunden ver-


legt, sodass der Konsum von Zwischenmahlzeiten zunimmt. Auch die schnelllebige
Berufswelt sorgt dafür, dass der Bedarf an Snacks und Fast Food steigt. Die Antwor-
ten auf die Frage „Wie oft täglich konsumieren Sie eine Zwischenmahlzeit“ bestätig-
ten diesen Trend: nie = 5 %; 1–2-mal = 64 %; 3–4-mal = 28 %; öfter als 4-mal = 4 %;
• Bei der Frage „Welchen Imbiss bevorzugen Sie?“ belegte die Pizza den ersten Platz:
Leberkäsesemmel = 16 % ; Burger = 20 %; Kebab = 22 %; Pizza = 35 %; Würs-
tel = 8 %;
• Studenten, die eine wichtige Zielgruppe darstellen konnten, würden durchschnittlich
1,92-mal pro Monat eine Pizza aus dem Pizzaautomaten kaufen;
• Hauptzielgruppe sind Schüler, Studenten und Arbeiter im Altersbereich der 10- bis
35-Jährigen;
• Bevorzugte Aufstellorte sind Schulen, Universitäten, Bahnhöfe sowie größere Unter-
nehmen;
• Es würde jedoch schnell gehen müssen mit dem Backen der Pizza. Laut der Markt-
studie waren viele Kunden bereit, höchstens zwei Minuten auf die fertige Pizza zu
warten. Zugrunde liegende Frage: „Wie lange würden Sie auf eine Pizza aus einem
Automaten warten?“ Mehr als 4 Minuten = 8 %; 3–4 Minuten = 20 %; 2–3 Minu-
ten = 37 %; Max 2 Minuten = 35 %.

Das Team konnte sich viele Einsatzmöglichkeiten für den Pizzaautomaten vorstellen. Der
Automat könnte an Hochschulen, Bahnhöfen oder Flughäfen positioniert werden. Vielver-
sprechend erschienen zudem Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und Schicht-
betrieb.

Erste Erfolge

77 Beim Businessplanwettbewerb i2B schaffte es BistroBox unter die besten fünf


Ideen in der Kategorie „Technologie“.

Im Oktober 2007 nahmen drei der ursprünglich fünf Gründer an einer Veranstaltung der
Wirtschaftskammer Oberösterreich teil. Nach dem Vortrag erzählten sie einem der Veran-
stalter von ihrer Idee. Der fand die Idee gut und empfahl ihnen, unbedingt am österreichi-
schen Businessplanwettbewerb i2B teilzunehmen. Der Einsendeschluss für den Business-
planwettbewerb war jedoch bereits in zwei Wochen! Und in diesen zwei Wochen machten
alle drei zudem ein Berufspraktikum. Sie versuchten es trotzdem. Sie arbeiteten abends,
nachts und am Wochenende an ihrem Businessplan und wenn es sein musste auch schon
mal während des Praktikums. Bei dem Wettbewerb wurden über 250 Projekte eingereicht,
die in die Bereiche „Technologie“, „StudentInnen“ und „Dienstleistung, Gewerbe und Han-
del“ aufgeteilt waren. BistroBox konnte trotz der Konkurrenz punkten. Nach der Vorent-
scheidungsrunde stand fest, dass BistroBox es unter die besten fünf Ideen in der Kategorie
318 9 Businessplanning

„Technologie“ geschafft hatte. Nach einer Präsentation vor insgesamt 20 Investoren und
Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft konnte das Team schließlich den vierten Platz
erreichen.
Nach den positiven Ergebnissen der Marktstudie und dem guten Abschneiden im Busi-
nessplanwettbewerb stand für die drei Gründer fest, dass sie ihre Idee weiterverfolgen
würden.

Einzug ins Gründerzentrum


Im Jahr 2008 ging es dann wiederum einen Schritt weiter. Im Februar 2008 fand an der
Fachhochschule Wels eine Veranstaltung zum Thema „Sprungbrett in die Selbstständigkeit“
statt. Auf der Veranstaltung wurde unter anderem von der Möglichkeit berichtet, sich als
Hightech-Unternehmen aus dem akademischen Umfeld im Hightech-Inkubator tech2B in
Linz anzusiedeln. Das hörte sich gut an, vielleicht wäre das eine gute Umgebung, um ihre
Idee zur Marktreife zu bringen?
Aber: Würden sie mit ihrer Idee dort aufgenommen werden? Nach der Veranstaltung
erzählten sie dem Vortragenden von tech2b, der ursprünglich aus Italien kam, von der Idee
des Pizzaautomaten. Man kann sich vorstellen, dass ein echter Italiener von der Idee nicht
notwendigerweise begeistert ist. Eine Pizza aus dem Automaten konnte ja wohl kaum mit
einer guten, frischen Pizza mithalten. Und überhaupt: Handelte es sich überhaupt um eine
technisch anspruchsvolle Idee? Konnte nicht jeder einen Automaten entwickeln, der eine
Pizza aufbacken konnte?

77 Im Juli 2008 konnte das Team im Hightech-Inkubator tech2b einziehen.

Die drei (David Kieslinger, Jürgen Traxler und Klaus Haberl) ließen jedoch nicht locker.
Sie erzählten ihm, welches Potenzial der Zielmarkt umfasste, machten ihm deutlich, dass
es technisch äußerst anspruchsvoll war, einen Automaten zu entwickeln, der eine gute
Pizza backen würde. Letztlich konnten sie ihn so weit überzeugen, dass sie einen Ter-
min bekamen, um sich beim Gründerzentrum vorzustellen. Um dort aufgenommen zu
werden, mussten die drei ihr Konzept vor dem verantwortlichen Entscheidungsgremium
präsentieren, dem sogenannten Vergabebeirat. Der Beirat setzt sich aus externen Fachleuten
zusammen, die aus verschiedenen Hightech-Branchen kommen. Für die Präsentation des
Gesamtkonzepts hatten die drei etwa 20 Minuten Zeit. Die Präsentation war erfolgreich.
Und das Team konnte im Juli 2008 im Hightech-Inkubator tech2b einziehen.

Entwicklung des Pizzaautomaten


Die Entwicklung eines Ofen-Prototyps, der es schafft, die Pizza in kürzester Zeit aufzuba-
cken, war einer der wichtigsten Meilensteine, den es zu erreichen galt. Die drei machten
sich daher mit Hochdruck an die Arbeit. Sie wollten einen Pizzaautomaten entwickeln,
der in der Lage war, rechteckige Pizzastücke vollautomatisch und hygienisch aus einer
Verpackung zu entnehmen, durch einen Ofen zu schicken und anschließend durch ein
9.7  Fallstudie: BistroBox 319

Ausgabefenster auf einem Kartonteller zu servieren. Der Prozess hierfür sollte nicht mehr
als ca. zwei Minuten dauern.

77 Das Vorhaben konnte mit fachübergreifenden Projekten und Diplomarbeiten


vorangetrieben werden.

Die Entwicklung des Pizzaautomaten konnte zunächst über Projekte, die an der Fachhoch-
schule durchgeführt wurden, vorangetrieben werden. So konnten z. B. weitere fächerüber-
greifende Projekte initiiert werden. Ein Projekt, das von Studierenden des Studienzweiges
„Biologie und Umwelttechnik“ durchgeführt wurde, hatte es sich zum Ziel gesetzt, alle le-
bensmitteltechnischen Gesetze und Auflagen für die Zubereitung und Lagerung der Pizzen
zu identifizieren. Ein weiteres Projekt konnte im Rahmen der Übungsveranstaltung „Tech-
nische Produkt- und Wertanalyse“ durchgeführt werden. Ziel war hier die Bestimmung ei-
ner geeigneten Pizzaverpackung, die ebenfalls für die Entwicklung des Ofens relevant war.
Darüber hinaus konnten die Mitglieder der BistroBox teilweise ihre Diplomarbeitsthe-
men so wählen, dass die Ergebnisse die Weiterentwicklung des Prototyps voranbringen
würden. So schrieb beispielsweise Klaus Haberl eine Diplomarbeit zum Thema „Entwick-
lung eines Hochleistungsbackofens unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaft-
lichen Rahmenbedingungen“.
Bis zum fertigen Prototyp war noch einiges zu tun, durch die Unterstützung an der
Fachhochschule und die Möglichkeit, Semesterprojekte über das Thema zu schreiben,
war es den Gründern jedoch möglich, ihre Idee parallel zum Studium ein gutes Stück
voranzubringen.

Finanzen
Der Prototyp steckt noch in der Entwicklungsphase und es müssen daher noch einige
Annahmen getroffen werden. Momentan existieren folgende Überlegungen, die in den
Finanzteil des Businessplans einfließen.

• Verkaufspreis Automat: Nach Recherchen der Gründer schwanken die Verkaufspreise


von Kaltsnackautomaten zwischen 3500 EUR für einfache Modelle und 8000 EUR
für kompliziertere High-End-Geräte mit integriertem Roboter. Sie vermuten, dass die
Herstellkosten der BistroBox bei über 15.000 EUR liegen würden. Der Verkaufspreis
würde vermutlich bei 17.000 bis 23.000 EUR liegen, ein Preis, an den die Automaten-
branche bisher nicht gewöhnt war. Das Team von BistroBox kann sich daher zwei Va-
rianten vorstellen. Entweder würden die Automaten zu einem von BistroBox gestütz-
ten Verkaufspreis von unter 15.000 EUR angeboten werden. Als Ausgleich könnten
sich BistroBox und der Automatenaufsteller in der Folge den Pizzadeckungsbeitrag
teilen, damit wäre das Risiko auf zwei Schultern verteilt. Oder die aufgestellten Auto-
maten würden komplett von BistroBox vorfinanziert und den Betreibern kostenlos zur
Verfügung gestellt.
320 9 Businessplanning

• Einnahmen pro Automat: Momentan war geplant, dass in einem Automaten 250 Piz-
zen bei +5 °C gekühlt gelagert werden. Die Preisempfehlung für ein Pizzastück würde
vermutlich bei ca. 2,80 EUR liegen. Selbstverständlich musste der genaue Preis dann
den Gegebenheiten der Aufstellungsumgebung angepasst werden. Würde der Automat
beispielsweise an einer Autobahnraststätte aufgestellt werden, würden dort sicherlich
höhere Preise verlangt werden können, als wenn der Automat an einer Hochschule
aufgestellt werden würde.
• Angebot: Weiter gingen sie davon aus, dass drei bis vier verschiedene Pizzasorten an-
geboten werden würden, darunter die Sorten „Margherita“, „Salami“ und „Schinken“
und vielleicht noch eine individuell gestaltbare Pizza.
• Positionierung: Die Gründer der BistroBox haben nicht vor, als Automatenhersteller
oder -betreiber zu agieren. Nach Fertigstellung des Prototyps sollen die Fertigung und
die Montage der Automaten an Fremdfirmen vergeben werden. Dann sollen etablierte
Automatenbetreiber die Automaten bestücken und betreiben. Die Pizzen wird Bistro-
Box von Pizza Presto, einem großen Pizzahersteller aus Österreich beziehen, um sie
dann mit einem entsprechenden Aufschlag an den Automatenbetreiber weiterzuver-
kaufen.

Nächste Schritte

77 Die Automaten könnten zukünftig auch für andere Produkte eingesetzt wer-
den.

Die Gründer konnten sich zudem gut vorstellen, dass die Technologie, wenn sie erst ein-
mal ausgereift sein würde, auch für andere Automaten mit Tiefkühlprodukten verwendet
werden könnte. Aber so weit waren sie noch nicht. Zunächst musste ein funktionsfähiger
Prototyp entwickelt und getestet werden. Dafür konnten sie einen finanzstarken Partner
mit Erfahrungen im Bereich der Steuerungsentwicklung sehr gut gebrauchen. Sie hofften
daher, einen guten Eindruck bei Mag. Franz Vilsecker zu machen.

Fragestellung
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich an der Stelle von Klaus Haberl, David Kies-
linger und Jürgen Traxler.
1. Sie wissen, dass sie noch keinen ausgereiften Prototyp haben, den Sie Mag. Franz
Vilsecker von der PSG-Technology vorstellen können. Aber Sie sind von der Idee
und der Machbarkeit Ihres Vorhabens überzeugt. Bereiten Sie einen fünfminütigen
Vortrag vor, um den potenziellen Investor von Ihrer Idee zu überzeugen.
2. Sie konnten Mag. Franz Vilsecker überzeugen. Er kann sich vorstellen, in Ihr Unter-
nehmen zu investieren. Er hat Sie deshalb für August 2008 eingeladen, nach Burg-
hausen in Deutschland zu kommen, und Ihre Idee vorzustellen. Bereiten Sie eine
Präsentation vor, die alle wesentlichen Elemente Ihres Businessplans enthält.
Literatur 321

Literatur

Verwendete Literatur
1 Gruber, M., Elsenmüller, B., Fischer, F., & Grampp, M. (2002). Business-Planning in Start-
Ups: Wissenschaftliche Erkenntnisse und Praktische Erfahrungen. Zeitschrift für Klein- und
Mittelunternehmen und Entrepreneurship (ZfKE), 50(4), 217–237.
2 PriceWaterhouseCoopers, Business Plan: Damit aus Ideen Wirklichkeit wird, Aarau et al., ohne
Jahr.
3 Kleiner, E. (2002). Venture Capitalist. In Heucher, M., Ilar, D., Kubr, T., Marchesi, H. (Hrsg.),
Planen, gründen, wachsen, Mit dem professionellen Businessplan zum Erfolg 3. Aufl. Zürich:
McKinsey & Company.
4 Heucher, M., Ilar, D., Kubr, T., Marchesi, H. (Hrsg.). (2002). Planen, gründen, wachsen, Mit
dem professionellen Businessplan zum Erfolg (3. Aufl.). Zürich: McKinsey & Company.
5 Brinckmann, J., Grichnik, D., Kapsa, D. (2010). Should entrepreneurs plan or just storm the
castle? A meta-analysis on contextual factors impacting the business planning–performance
relationship in small firms, Journal of Business Venturing, Jg. 25, S. 24–40.
6 Credit Suisse (2006). Der Business-Plan – Eine praxisorientierte Wegleitung. Zürich: Books
on Demand GmbH.
7 Faltin, G. (2012). Kopf schlägt Kapital: Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen Von
der Lust, ein Entrepreneur zu sein. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
8 Klandt, H. (2006). Gründungsmanagement: Der integrierte Unternehmensplan (2. Aufl.). Ber-
lin: Oldenbourg Verlag.
9 Schaper, M., Volery, T., Weber, P., & Gibson, B. (2014). Entrepreneurship and Small Business
– A Pacific Rim Perspective (4. Aufl.). S. 189–191). Milton: John Wiley & Sons Australia, Ltd.
10 McGrath, R., & MacMillan, I. (1995). Discovery-driven planning. Harvard Business Review,
73(4)(July-August), 44–54.

Weiterführende Literatur
Bygrave, W. D., & Zacharakis, A. (Hrsg.). (2003). The portable MBA in entrepreneurship (3. Aufl.).
New York: John Wiley & Sons.
Heucher, M., Ilar, D., & Kubr, T. (2002). Planen, gründen, wachsen – Mit dem professionellen Busi-
nessplan zum Erfolg (2. Aufl.). Zürich: McKinsey & Company. aktualisierte und erweiterte
Auflage
Good small business guide – How to start and grow your own business, A&C Black, London, 5. Auf-
lage, 2005.
Williams, S. (2006). The financial times guide to business start-up (19. Aufl.). Upper Saddle River,
New Jersey:Financial Times/Prentice Hall.
Winistörfer, N. (2008). Ich mache mich selbständig – Von der Idee zur erfolgreichen Firmengründung
(11. Aufl.). Zürich: Beobachter-Buchverlag.
Wachstum und Exit
10

10
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Das Wachstum eines Unternehmens kann aus verschiedenen Perspektiven heraus be-
trachtet werden. Dazu gehören finanzielles (Einkommen, Ausgaben und Gewinne),
strategisches (Marktanteile und komparative Vorteile) und organisatorisches (Form,
Prozess und Struktur) Wachstum. Diese drei Dimensionen beeinflussen sich gegensei-
tig. Marktkräfte können einen Druck hinsichtlich eines quantitativen Wachstums aus-
üben, was aber nicht unbedingt mit den persönlichen Zielsetzungen des Unternehmers
übereinstimmen muss. Die Führung eines schnell wachsenden Unternehmens stellt
eine besondere Herausforderung dar, da sich die fundamentalen Annahmen für eine
Führungstätigkeit mit dem Wachstum rapide wandeln. Der Managementstil muss sich
dabei von einem eher persönlich orientierten, zentralisierten Stil mit absoluter Informa-
tionskontrolle hin zu einem professionellen Managementstil mit Entscheidungsdelega-
tion und dem Gebrauch formaler Kontrollmechanismen wandeln. Ein Unternehmen zu
gründen und in einen stabilen Wachstumsprozess zu überführen, sind die ersten Schrit-
te ins Unternehmertum, der Ausstieg aus dem Unternehmen der (vorerst) letzte Schritt.
Es können vier verschiedene Exit-Möglichkeiten unterschieden werden: Verkauf an
einen strategischen Partner oder Finanzinvestor, Management-Buy-out, strategische
Allianz bzw. Fusion und Börsengang. Das Fallbeispiel des Einstiegs des norwegischen
Unternehmens Vizrt beim Zürcher Start-up LiberoVision schließt dieses Kapitel ab.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_10 323
324 10  Wachstum und Exit

Lernziele
•• Sie können aufzeigen, welche verschiedenen Dimensionen von Wachstum es in
einem Unternehmen gibt.
•• Sie können unterschiedliche Wachstumsstrategien unterscheiden.
•• Sie können erläutern, welche Wachstumstheorien es gibt und wie sie den organi-
satorischen Wandel erklären.
•• Sie kennen die wichtigsten Phasen des typischen Unternehmenswachstums.
•• Sie können analysieren, welche verschiedenen Rollen der Unternehmer während
des Wachstumsprozesses ausübt.
•• Sie kennen verschiedene Exit-Strategien, die ein Unternehmen wählen kann.

10.1 Begriffserklärungen

77 Schnellwachsendes Unternehmen:  Unternehmen mit einem weit über dem Branchen-


durchschnitt liegenden Wachstum bzw. mit zweistelligen Wachstumsraten.

77 Lebenszyklustheorie:  Theoretischer Ansatz, der Unternehmen im Zeitablauf in ver-


schiedene (Lebens-)Phasen einteilt, ähnlich und trotzdem unterschiedlich zu einem leben-
den Organismus.

77 Exit-Strategie:  Strategie für den Ausstieg des Unternehmers oder eines Investors aus
dem Unternehmen mit dem Ziel der Gewinnrealisierung und (fallweise) gleichzeitigem
Erhalt der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.

10.2 Einführung

Viele Unternehmen haben nach ihrer Startphase eines der folgenden, eher breit gefassten
Ziele: überleben, sich konsolidieren, entwickeln und wachsen sowie weiterhin erfolgreich
bleiben. Wachstum ist ein dynamischer Prozess, der aber nicht nur auf ein reines Wachstum
der Unternehmensgröße reduziert werden kann. Ebenso sind Entwicklungs- und Ände-
rungsprozesse innerhalb einer Organisation und die wechselseitige Einflussnahme mit der
Umwelt Aspekte von Wachstum. Ein Unternehmer muss daher Wachstum, Veränderung
und Entwicklung seines Unternehmens aus den verschiedensten Perspektiven heraus be-
trachten, um die Vielzahl von Facetten, die eine Organisation aufweist, überhaupt erfassen
zu können.

77 Viele Gründer sehen Entrepreneurship eher als Weg denn als Ziel.
10.3  Die Dimensionen von Wachstum 325

Entrepreneurship wird von vielen eher als Weg denn als Ziel wahrgenommen. Etliche er-
folgreiche Unternehmer erachten die Gründung und den Aufbau eines neuen Unternehmens
als die größte Herausforderung. Wenn ein Unternehmen erst einmal aufgebaut und etabliert
ist, wollen einige Gründer sich aus ihrem Unternehmen zurückziehen, da ihnen dort der
Nervenkitzel des Unternehmensstarts fehlt. Es sind dabei unterschiedliche Exit-Strategien
denkbar wie z. B. der Verkauf an Angestellte oder Manager, Fusionen, Börsengang, Verkauf
oder klassische Weitergabe des Unternehmens an Familiennachkommen.
In diesem Kapitel werden zunächst die verschiedenen Dimensionen von Wachstum
dargestellt. Es wird aber auch aufgezeigt, wieso sich einige Gründer gegen ein Wachstum
ihres Unternehmens entscheiden. Anhand von theoretischen Ansätzen wird gezeigt, wie
sich Organisationen verändern können. Dabei wird insbesondere auf den Lebenszyklus-
ansatz eines Unternehmens eingegangen. Am Ende des Kapitels werden einige Strategien
für den erfolgreichen Ausstieg aus dem Unternehmen dargestellt.

10.3 Die Dimensionen von Wachstum

Das Wachstum eines Unternehmens kann aus verschiedenen Dimensionen heraus betrachtet
werden. Schlüsseldimensionen sind Finanzen (Einkommens-, Ausgaben- und Gewinn-
wachstum), Eigentum (wachsende Anzahl an Aktionären, steigender Wert der Aktie, zu-
nehmende Streuung des Aktienkapitals), Strategie (Marktanteile und komparative Vor-
teile), Organisation (Wachstum der Organisationsform, Prozess und Struktur, Anzahl der
Mitarbeitenden, Anzahl der Ebenen der Hierarchie, Professionalität im Bereich Corporate
Governance und Compliance, aber auch Mehrgenerationsfähigkeit bei Familiendynastien)
und Wissen & Netzwerk (Markt-, Kunden- und Technologieorientierung, Kompetenzen und
Wachstum des Netzwerks) eines Unternehmens [1]. Die verschiedenen Dimensionen des
Unternehmenswachstums müssen immer auch in der gegenseitigen Abhängigkeit gesehen
werden, wie dies auch in Abb. 10.1 für drei ausgewählte Dimensionen dargestellt ist.
Diese gegenseitige Abhängigkeit kann exemplarisch anhand des finanziellen Wachs-
tums aufgezeigt werden. Finanzielles Wachstum ist ein Maßstab zum einen für die Fähig-
keit eines Unternehmens, die Bedürfnisse eines Marktes abzudecken, und zum anderen
für die effiziente Ressourcenallokation innerhalb des Unternehmens. Diese Ressourcen
müssen wiederum durch das Unternehmen in Vermögenswerte umgewandelt werden.
Die Ausgestaltung der Ressourcen wird durch die Organisationsstruktur übernommen.
Durch finanzielles Wachstum werden Geldmittel geschaffen, die es erst ermöglichen,
zusätzliche Organisationsmittel (Mitarbeitende, Ausrüstung, Informationen) zu erhalten,
um strategisches Wachstum zu fördern und zusätzliche Vermögenswerte zu akquirieren,
die wiederum das Unternehmen beeinflussen. Im Gegenzug wird finanzielles Wachstum
zum einen durch die Verwirklichung der gewählten strategischen Optionen und zum
anderen durch die Zunahme an Vermögenswerten innerhalb einer erweiterten Organisa-
tionsstruktur gefördert.
326 10  Wachstum und Exit

Abb. 10.1  Ausgewählte Wachstumsdimensionen [[2], S. 428]

10.3.1 Finanzielles Wachstum

Finanzielles Wachstum ist eng mit der Entwicklung eines Unternehmens als wirtschaft-
liche Einheit verbunden. Kernelemente sind sowohl ein Ansteigen der Verkäufe und die
für dieses Wachstum notwendigen Investitionen als auch daraus resultierende Gewinne.
Eine wesentliche Rolle spielt aber auch die Zunahme der Vermögenswerte. Der Wert eines
Unternehmens kann mithilfe dieser Finanzelemente ermittelt werden und stellt einen Preis
dar, den ein Käufer bereit wäre, für das Unternehmen zu bezahlen.
Einen ersten Einblick in die generelle Gesundheit eines Unternehmens können Unter-
nehmer, Führungskräfte, Investoren, Steuerbehörden sowie andere Stakeholder und Inte-
ressierte durch eine Analyse der verschiedenen Dokumente im Bereich Finanzen gewin-
nen wie z. B. Bilanz, Erfolgsrechnung oder Cashflow-Statement. Eine absolute Messung
der Leistung eines Unternehmens ist hingegen nicht möglich. Vielmehr ist die Leistung
abhängig von der zugehörigen Branche und muss über eine längere Zeitperiode hinweg
betrachtet werden.

77 Wachstum bringt einen erhöhten Kapitalbedarf mit sich.

Wachstum bringt aber auch einige finanzielle Herausforderungen mit sich. Bestimmte
Wachstumskonfigurationen können mit einem erhöhten Kapitalbedarf verbunden sein.
So bedeutet die Aufnahme einer Auslandstätigkeit einen zusätzlichen Kostenblock zu den
allgemeinen Wachstumskosten, z. B. in Form von Aufwendungen für örtliche Vertreter bis
hin zu Aufbaukosten für Auslandsvertretungen und Produktionsstätten. Allgemein muss
während des Wachstums zusätzliches Kapital für erhöhte Lagerbestände, größere Betriebs-
räume oder weitere Mitarbeitende gefunden werden. Neue Kredite für die Anschaffung
langfristiger Betriebsmittel oder zusätzliches Betriebskapital für kurzfristige Bedürfnisse
werden notwendig. Einige Unternehmen können auf selbst erwirtschaftete Mittel zurück-
greifen, andere wiederum sind auf die Aufnahme von Krediten angewiesen, um ein weiteres
Wachstum generieren zu können. Hingegen kann ein Unternehmen mit zu geringem oder
10.3  Die Dimensionen von Wachstum 327

zu langsamem Wachstum für die Kapitalgeber uninteressant sein, da diese ihre Renditeer-
wartungen bei solchen Unternehmen nicht erfüllt sehen.

10.3.2 Strategisches Wachstum

77 Strategisches Wachstum verändert die Interaktion mit der Umwelt.

Strategisches Wachstum ist eng mit Veränderungen im Wachstumsprozess verbunden,


welche die Art der Interaktion des Unternehmens in seiner Gesamtheit mit der Umwelt
betreffen. Zunächst geht es vor allem um die Art und Weise, in der ein Unternehmen seine
Fähigkeiten entwickelt, um seine Stellung auf dem Markt zu verbessern. Aus einer stra-
tegischen Perspektive heraus sind diejenigen Unternehmen erfolgreicher im Wettbewerb,
denen es gelingt, einen oder mehrere komparative Vorteile zu entwickeln und zu vertei-
digen. Wachstum verdeutlicht die Fähigkeit eines Unternehmens, Ressourcen aus seiner
Umwelt zu akquirieren und sich dadurch erfolgreich am Markt durchsetzen zu können. Ein
komparativer Vorteil ist aber nicht statisch, sondern wird mit seiner Aufrechterhaltung wei-
terentwickelt und angereichert. Wachstum beeinflusst damit die zwei Porterschen Quellen
[3] komparativer Vorteile, nämlich Preis (Kostenvorteil) und Differenzierung (Leistungs-
vorteil).

77 Erfahrungen und Wissensvorsprünge sind verantwortlich für Kosten- und


Leistungsvorteile.

Eine Hauptquelle für Kostenvorteile sind die Auswirkungen von Erfahrungen. Ein Ergebnis
des Lernprozesses ist das tendenzielle Sinken der Kosten in einem exponentiellen Verlauf,
wohingegen der Output linear ansteigt. Kostenführerschaft bedeutet, dass dem Kunden
ein Angebot zu einem niedrigeren Preis gemacht werden kann, was zu einer Zunahme
der Nachfrage und einem Anstieg des Outputs führt. Leistungsvorteile können vor allem
auf Wissensvorsprünge gegenüber der Konkurrenz zurückgeführt werden. Ein solcher
Vorsprung kann bei Kunden, im Markt oder dem angebotenen Produkt bestehen. Dies
ermöglicht es dem Unternehmen aus Sicht des Kunden, etwas Wertvolles anzubieten und
ein Bedürfnis besser zu befriedigen als die Konkurrenz. Der Kunde ist bereit, für eine sol-
che Leistung mehr auszugeben. Die Entwicklung eines solchen Wissensvorsprungs hängt
von der Bedeutung und von der Nachhaltigkeit ab. Diese beiden Faktoren sind allerdings
einander entgegensetzte Ziele: Je wertvoller ein Wissensvorsprung ist, desto eher werden
Konkurrenten ermutigt, sich dieses Wissen ebenfalls anzueignen. Der Schutz von Wissen
ist zudem äußerst schwierig. Eine vereinzelte Innovation bietet daher in der Regel nur einen
vorübergehenden Vorsprung. Ein Unternehmen, dessen Zielsetzung nicht nur das Über-
leben umfasst, sondern auch die Entscheidung, aufgrund einer Differenzierungsstrategie
zu wachsen, muss das Marktangebot und die -nachfrage aktiv und konstant überwachen.
328 10  Wachstum und Exit

10.3.3 Organisatorisches Wachstum

77 Die Organisationsstruktur ist eine Reaktion auf die aktuelle Situation und sich
bietende Gelegenheiten.

Organisatorisches Wachstum bezieht sich auf diejenigen Änderungen, die in der Organisa-
tionsstruktur, im Prozess und in der Kultur während des Wachstums- und Entwicklungspro-
zesses eines Unternehmens stattfinden. Im Wesentlichen wird dabei die Abhängigkeit der
Struktur einer Organisation von Eventualitäten oder Ausprägungen von Faktoren [4] wie
z. B. Größe der Organisation, Betriebstechnologie, Strategie, Geschäftsumfeld und Rolle
des Unternehmers beschrieben.

Unternehmerprofil: Dietrich Mateschitz, Gründer von Red Bull


„Red Bull verleiht Flügel“. Das stimmt – vor allem für das Unternehmen Red Bull
selbst. Knapp 5,4 Milliarden Dosen hat Gründer Dietrich Mateschitz im Jahr 2013 ver-
kauft und ein Ende des Höhenfluges ist nicht abzusehen. Der Umsatz erreichte erst-
mals 5 Mrd. EUR in 167 Ländermärkten, die Beschäftigtenzahl erreichte knapp 10.000.
Seinen Anfang nahm das Geschäft mit der Energie zum Trinken 1982 während einer
Geschäftsreise in Asien. Dietrich Mateschitz wurde auf die dortigen Energydrinks auf-
merksam und erwarb die Lizenzrechte an der thailändischen Marke Krating Daeng, die
auch heute noch unter dem bekannten Logo mit den zwei roten Bullen verkauft wird.
1984 gründete Mateschitz dann die Red Bull GmbH in Österreich. Drei Jahre nahm
sich Mateschitz Zeit, um die Rezeptur zu verfeinern und das Produkt zu positionieren.
1987 ging er dann an den Markt, mit einem Erfolg, den wohl niemand einem bislang
im Westen unbekannten Getränk zugetraut hätte. Nachdem sich die Verkaufszahlen in
Österreich in den Anfangsjahren jedes Jahr verdoppelten, begann 1994 die Internati-
onalisierung mit der Zulassung des Energydrinks in Deutschland. Es folgten Markt-
eintritte in Nord- und Südamerika, Australien und 2006 in Japan. Nachahmerprodukte
gibt es genug. Was aber macht Red Bull besonders? Was ist verantwortlich für einen
Marktanteil von über 70 %? Wie gelang das erfolgreiche Wachstum in heimischen und
internationalen Märkten?
Eine wesentliche Rolle spielt mit Sicherheit das zielgerichtete Marketing, für das
Red Bull jedes Jahr einen hohen dreistelligen Millionenbetrag ausgibt. Gefördert wer-
den vor allem Extremsportarten, sei es durch die Unterstützung und Ausrichtung eige-
ner Veranstaltungen oder die Förderung von Einzelsportlern, weltweit Hunderte Sport-
arten, die zu Red Bull passen. Und laufend werden neue „erfunden“. Solche, bei denen
ein zusätzlicher Energieschub „helfen“ kann.
Der Internationalisierung hilft auch, dass das Produkt für alle geeignet ist: Die syn-
thetischen Inhaltsstoffe sind für Veganer und Vegetarier geeignet, der Drink ist als ko-
scher anerkannt und selbst Allergiker müssen nichts befürchten: Red Bull ist gluten-,
weizen-, milch- und laktosefrei. Bedenklich ist jedoch ein übermäßiger Konsum: Wer
10.4  Die Entscheidung, nicht zu wachsen 329

mehr als zwei Dosen an einem Tag zu sich nimmt, muss mit Unwohlsein oder Übelkeit
rechnen. Neben Koffein beinhaltet Red Bull die Aminosäure Taurin. In einigen Ländern
wurde Red Bull daher als Medikament eingestuft und kann nicht als normales Getränk
verkauft werden. Aus Marketinggesichtspunkten haben die Diskussionen über mögliche
Gesundheitsgefahren Red Bull offensichtlich jedoch eher genutzt als geschadet. Letzt-
endlich waren sie mitverantwortlich für den Hype um das Getränk aus Österreich.

10.4 Die Entscheidung, nicht zu wachsen

77 Quantitatives Wachstum liegt nicht immer im Interesse des Unternehmers.

Neben den drei grundlegenden Dimensionen von Wachstum – finanzielles, strategisches


und organisatorisches Wachstum – gibt es implizit noch eine weitere Möglichkeit: die
Entscheidung, nicht zu wachsen. Ein quantitatives Wachstum z. B. in Form einer Um-
satzsteigerung stimmt nicht notwendigerweise mit den persönlichen Interessen eines Un-
ternehmers überein. In kleinen, dynamischen Firmen überlappen sich häufig persönliche
und organisatorische Ziele. Deshalb ist es wichtig, deren Verhältnis zueinander genau zu
verstehen. Für die Mehrheit der Unternehmer, die sowohl Inhaber als auch Geschäftsführer
sind, ist das Bedürfnis nach einer Maximierung des Wachstums nicht selbstverständlich,
geschweige denn das Bedürfnis, überhaupt zu wachsen. So kann ein Handwerker sich als
rentables Ein- bis Drei-Personen-Unternehmen für das gehobene Privatkundensegment
positionieren und bewusst auf Wachstum verzichten, das nur durch die Teilnahme an nicht
lukrativen öffentlichen Ausschreibungen möglich wäre. Dies aus folgenden Gründen:

• Die Welt der KMU entspricht nicht derjenigen in der Standardmanagementliteratur,


da dort Manager im Sinne eines Shareholder oder Stakeholder Values sehr wohl
Wachstumsziele verfolgen (müssen) und daher
• für den KMU-Kontext keine solche Wachstumsmaximierung angenommen werden
kann; der Zwang zum Wachstum existiert nicht oder wird oftmals nicht als solcher
wahrgenommen.

77 Die Gründerperson ist nicht unbedingt dafür geeignet, ein Unternehmen


erfolgreich weiterzuentwickeln.

Eine Wachstumsstrategie kann durch zwei große Barrieren behindert werden. Die erste
Wachstumsbarriere hängt eng mit den vom Unternehmer getroffenen Entscheidungen zu-
sammen. Um das volle Wachstumspotenzial ausschöpfen zu können, ist ein aktives Enga-
gement des Unternehmers notwendig. Neben einem grundlegenden Widerwillen gegenüber
Wachstum sind zum einen die Angst vor dem Wachstum und zum anderen die Nutzung der
Erträge des Unternehmens, um einen bestimmten Lebensstil zu finanzieren und nicht im
Unternehmen zu belassen, die Ursachen für diese erste Wachstumsbarriere. Die Maximie-
330 10  Wachstum und Exit

rung der Kapitalerträge für die Finanzierung eines Wachstums steht damit im Hintergrund
der Zielsetzungen. Zusätzlich kommt hinzu, dass der Gründer eines Unternehmens, der
es erfolgreich durch die schwierige Startphase gebracht hat, nicht notwendigerweise der
beste Kandidat ist, um ein Unternehmen weiter voranzubringen. Oftmals besteht daher das
Bedürfnis, professionelle Manager mit Erfahrung für die anstehenden Herausforderungen
anzustellen und den Aufsichtsrat neu zu bestellen.

77 Unabhängigkeit ist Unternehmern häufig wichtiger als Wachstum.

Eine zweite Wachstumsbarriere ist auf die Annahme einiger Unternehmer zurückzuführen,
dass ein anhaltendes Wachstum ihren persönlichen Einfluss zunehmend abbaue – sei es
durch die Aufnahme von externen Kapitalgebern oder durch die Ausweitung der Geschäfts-
führung auf mehrere Personen. Der Bereitschaft, Wachstum und nicht die finanzielle oder
führungstechnische Unabhängigkeit als oberste Zielsetzung zu bevorzugen, werden damit
Grenzen gesetzt.

10.5 Wachstumsstrategien

Entscheidet sich ein Unternehmen für eine Wachstumsstrategie, bietet die Produkt-Markt-
Matrix von Ansoff (Abb. 10.2) eine erste Orientierungsmöglichkeit, um Strategien für neue
Produkte und Märkte zu entwickeln [5].
Ansoff unterscheidet zwischen der Orientierung auf neue oder bestehende Märkte bzw.
auf neue oder bestehende Produkte. Werden diese vier Dimensionen kombiniert, ergeben
sich vier mögliche Wachstumsstrategien:

77 Die Produkt-Markt-Matrix bietet eine Übersicht über die verschiedenen


Wachstumsstrategien.

Abb. 10.2  Produkt-Markt-Matrix von Ansoff [5]


10.5 Wachstumsstrategien 331

• Marktdurchdringung: Die Umsätze sollen mit bestehenden Produkten in bestehenden


Märkten intensiviert werden, sprich das Marktpotenzial von vorhandenen Produkten
soll besser ausgeschöpft werden. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen
kann das Unternehmen versuchen, die Umsätze pro Kunde zu erhöhen, zum anderen
können neue Kunden im gleichen Markt hinzugewonnen werden. Als Maßnahmen
kommen beispielsweise die Intensivierung des Marketings, eine aggressive Preisstra-
tegie oder die Verbesserung des Vertriebs infrage.
• Produktentwicklung: Bestehende Märkte werden mit neuen Produkten beliefert.
Dabei kann es sich um einen Relaunch alter Produkte, um Produktinnovationen oder
um Sortimentserweiterungen handeln. Wird diese Strategie verfolgt, muss den Berei-
chen Forschung und Entwicklung sowie Innovationsmanagement eine entsprechende
Bedeutung beigemessen werden. Die Entwicklung neuer Produkte bringt größere
Risiken als die oben beschriebene Marktdurchdringung mit sich, bietet jedoch auch
Wachstumspotenzial.
• Marktentwicklung: Für bestehende Produkte sollen neue Märkte erschlossen werden.
Eine Möglichkeit liegt im Verkauf der Produkte in anderen Ländern (Internationalisie-
rung). Diese Strategie verfolgt z. B. das Unternehmen Red Bull (siehe Unternehmer-
profil in diesem Kapitel). Eine andere Möglichkeit wäre die Erschließung neuer Markt-
segmente, indem nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für das Produkt gesucht wird.
Diese Strategie kommt beispielsweise für Unternehmen infrage, die sich eher auf ein
bestimmtes Produkt denn auf eine bestimmte Zielgruppe spezialisiert haben.
• Diversifikation: Das Unternehmen investiert in die Entwicklung und den Verkauf
neuer Produkte, mit denen neue Märkte erobert werden sollen. Von den vier aufge-
führten Strategien ist diese die risikoreichste. Handelt es sich um attraktive Branchen,
kann diese Strategie jedoch äußerst lukrativ sein. Zudem kann diese Strategie zum
Tragen kommen, wenn ein Unternehmen sein Portfolio sinnvoll erweitern möchte,
z. B., um das Gesamtrisiko des Unternehmens zu reduzieren.

77 Unternehmen stehen verschiedene Wachstumsstrategien offen.

Abbildungen 10.3 und 10.4 aus der Broschüre „UBS Outlook“ zeigen auf, welche Wachs-
tumsstrategien Unternehmen grundsätzlich offenstehen. In Abb. 10.3 wird aufgezeigt, wie
sich Unternehmen aus einem funktionierenden und starken Kerngeschäft heraus in vier
Produkt-/Markt-Richtungen entwickeln können. Der erste Weg führt über die Akquisition
von Wachstum versprechenden Unternehmen. Der zweite Weg beschreibt die Verselbst-
ständigung zukünftiger Kerngeschäfte und steht damit wie Weg eins eng mit Corporate
Entrepreneurship in Verbindung. Mit Weg drei und vier entwickeln sich Unternehmen in
entgegengesetzte Richtungen. Hier sollen nicht zum Kerngeschäft gehörende Bereiche
entweder geschlossen oder verkauft werden, um das eigentliche Geschäft wieder fokussiert
nach vorne bringen zu können.
Abbildung 10.4 zeigt ebenfalls vier alternative strategische Wachstumsoptionen auf.
Option eins besteht in der Entwicklung und Einführung von neuen Geschäftsmodellen, um
332 10  Wachstum und Exit

Abb. 10.3  Aus einem starken Kernbereich heraus expandieren [[6], S. 36]

damit die Regeln des Wettbewerbs und der Branchenzusammenarbeit neu zu definieren.
Option zwei zielt auf die Schaffung und Erschließung neuer Geschäftsfelder, vor allem
durch neue Produkt-/Markt-Kombinationen. Option drei stellt die klassische Expansion
des Kerngeschäfts dar. Option vier ist eine Grundvoraussetzung für weiteres Wachstum;
hier geht es um die Optimierung des eigenen Kerngeschäfts, um dieses wieder fähig für
weiteres Wachstum zu machen.

10.6 Wachstumstheorien

77 Lebenszyklus, Teleologie, Evolution und Dialektik sind wichtige Ansätze, um


Wandel in Organisationen zu verstehen.

In einer Übersicht zum Thema Entwicklung und Wandel in Organisationen, konnten Van
de Ven und Poole [4] vier grundlegende Ansätze differenzieren, die erklären, warum und
wie Wandel in Organisationen stattfindet. Die Basis sind der Lebenszyklus, die Teleologie
(Lehre von der Zweckmäßigkeit), die Evolution und die Dialektik (Erforschung der Wahr-
heit durch Aufweisen und Überwinden von Widersprüchen). An dieser Stelle werden die
für Start-ups direkt anwendbaren Theorien erläutert. Dies sind die Lebenszyklus- und die
Evolutionstheorie.
10.6 Wachstumstheorien

Abb. 10.4  Strategische Wachstumsoptionen [[6], S. 23]


333
334 10  Wachstum und Exit

10.6.1 Lebenszyklustheorie

77 Eines der bekanntesten Lebenszyklusmodelle im deutschsprachigen Raum


hat Knut Bleicher entwickelt.

Der Ansatz der Lebenszyklustheorie beschreibt die Entwicklung eines Unternehmens als
einen Prozess, bestehend aus Wachstum und Entwicklung, ähnlich wie bei einem lebenden
Organismus. Ein Lebenszyklusmodell beschreibt den Wandel innerhalb einer Organisation
als das Durchlaufen einer notwendigen Abfolge von Entwicklungsschritten. Eine große
Zahl von Autoren hat solche Abfolgen und Lebenszyklusmodelle entwickelt [7]. Eines der
bekanntesten Modelle im deutschsprachigen Raum ist das Modell von Knut Bleicher, in
dem sich das soziale System „Unternehmen“ in idealtypischen Phasen im Spannungsfeld
von Forderungen und Möglichkeiten der In- und Umwelt entwickelt und Bezug auf die
eigenen strategischen Erfolgspotenziale nimmt [8]. Die Anzahl dieser Schritte und deren
Benennung unterscheiden sich von Autor zu Autor, die grundlegenden Themen sind aber
gleich. Oftmals folgen diese Entwicklungsschritte einem Muster, bestehend aus Gründung,
Wachstum, Formalisierung usw. Einem unbegrenzten Wachstum werden aber aufgrund ma-
thematischer und ökonomischer Gesetze Grenzen gesetzt. Typischerweise wird Wachstum
hier zwischen einer anfänglichen Unsicherheit und der darauf folgenden relativen Stabilität
angesiedelt.

10.6.1.1 Vorgründungsphase
77 In der Vorgründungsphase richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit auf die
Erreichung eines bestimmten Ziels.

In dieser ersten Phase spielen vor allem Aktivitäten im Zusammenhang mit der erstmaligen
Formulierung der Geschäftsidee eine Rolle. Der Wille, ein Unternehmen zu gründen, ist
zu diesem Zeitpunkt beim Unternehmer sehr groß. Mit diesem Willen wird ein Bewusst-
seinszustand beschrieben, bei dem die gesamte Aufmerksamkeit (und damit auch Erfahrung
und konkrete Handlungen) ganz auf die Erreichung eines bestimmten Ziels oder einen Weg
(Mittel) gerichtet ist [9]. Dieses Konzept geht über jenes der Gründungsneigung hinaus.
Eine Vielzahl der Individuen, welche die Absicht haben, ein Unternehmen zu starten, besitzt
nicht nur eine Neigung, sondern verfügt auch über das rationale Verhalten, die eigenen Ziele
zu erreichen. Einige Maßnahmen zur Zielerreichung haben sie deshalb bereits vorgenom-
men wie z. B: die Entwicklung eines Prototyps, Informationsbeschaffung, Marktforschung
oder das Aufbringen von Kapital.

10.6.1.2 Gründungsphase
Die zweite Phase umfasst sämtliche Aktivitäten, die notwendig sind, um ein Unternehmen
formell zu gründen. Während der Gründungsphase wird ein erster Entwurf des Business-
plans erstellt und potenziellen Stakeholdern (Investoren, Lieferanten oder Angestellten)
vorgelegt. Der Unternehmer stellt die verschiedenen benötigten Ressourcen zusammen,
wie Finanzen, Humankapital und Informationen. Es können verschiedene Maßnahmen
10.6 Wachstumstheorien 335

getroffen werden, um das vorhandene geistige Eigentum zu schützen. Der Unternehmer


muss sich auch Gedanken über den Namen (Firma) des Unternehmens machen und sich
für eine Rechtsform entscheiden (siehe Kap. 8).

77 In der Gründungsphase liegt der Fokus häufig auf der Herstellung und dem Ver-
kauf eines Produktes, während Managementaktivitäten häufig zu kurz kommen.

In dieser Phase des Unternehmens sind die Gründer oftmals technisch und/oder unterneh-
merisch orientiert. Ihre physische und mentale Energie wird durch die Herstellung und
den Verkauf des Produktes absorbiert und sie vernachlässigen dadurch oft die Manage-
mentaktivitäten. Ebenso gehören sowohl die häufige und zugleich informelle Kommuni-
kation zwischen den Angestellten als auch lange Arbeitszeiten, die mit lediglich moderaten
Löhnen und der Aussicht auf eine vorteilhafte Miteigentümerschaft entschädigt werden,
zu den Charakteristika der Gründungsphase. Am wichtigsten für die Motivation und die
Entscheidungen der Gründer sind die Reaktionen der Kunden.

10.6.1.3 Wachstum
77 In der Wachstumsphase konzentrieren sich die Unternehmer häufig auf tech-
nische Probleme statt auf den Markt.

Die meisten Unternehmensgründungen weisen nicht von Anfang an ein starkes Wachstum
auf. Vielmehr wird zu Beginn eine lebhafte Startphase der Entwicklung durchlaufen [10].
Diese Entwicklungsphase tritt nach dem Unternehmensstart auf und endet mit dem Beginn
eines nachhaltigen Wachstums. Typischerweise beginnt diese Phase zwischen dem zweiten
und fünften Geschäftsjahr und ist geprägt durch Anstrengungen, technisch effizient und
mit wettbewerbsintensiven Märkten fertig zu werden. Die Unternehmer konzentrieren sich
in dieser Phase auch stark auf technische Probleme und tendieren dazu, die Suche nach
Märkten zu vernachlässigen.
Eine solche Wachstumsphase ist im Gegensatz zur Vorgründungs- und Gründungsphase
dadurch gekennzeichnet, dass ein starkes Wachstum sowohl bei der Nachfrage als auch
beim Verkauf auftritt und dadurch auch zu einer größeren Zahl von Angestellten führt.
Diese Phase kann durch technologische Durchbrüche, aggressives oder innovatives Mar-
keting, großes Marktbedürfnis, unaufmerksame Konkurrenten oder eine Kombination da-
raus zusätzlich beschleunigt werden, ein schnell wachsendes Unternehmen ist die Folge.
Solche Unternehmen sind mit drei fundamentalen Herausforderungen [11] konfrontiert:
1. Größe: Die Verdoppelung oder Verdreifachung der Größe eines Unternehmens in kur-
zer Zeit kann zu Problemen wie beispielsweise Entfremdungsgefühlen, ungenügenden
Fähigkeiten und ungenügenden Systemen führen.
2. Gefühl der Unfehlbarkeit: In Anbetracht des bisherigen Erfolges sind wachsende Unter-
nehmen von der Unfehlbarkeit ihrer Strategien überzeugt und lassen auch keine Kritik
daran gelten.
3. Innerer Aufruhr: Durch das Wachstum kommen viele neue Mitarbeitende in das Unter-
nehmen, die weder die anderen Arbeitnehmer noch das Unternehmen kennen. Die Grün-
336 10  Wachstum und Exit

der selbst sehen sich mit ungewollten Managementverantwortlichkeiten und Macht-


kämpfen konfrontiert. Die Vergangenheit wird glorifiziert und die Handlungsweisen
orientieren sich am Unternehmensstart.

10.6.1.4 Reife
In der Reifephase funktionieren zwar Prozesse oft reibungslos, aber die Begeisterung bei
den Mitarbeitenden lässt häufig nach. Das Unternehmen tritt in der Folge über in eine
Phase der Reife oder Stabilisierung, was sozusagen den Höhepunkt der Unternehmensent-
wicklung darstellt. Das Unternehmen arbeitet nun reibungslos. Die sich ständig ändern-
den Kundenwünsche können befriedigt werden, interne Disziplin und Organisationskultur
greifen und die Produktion arbeitet mit größter Effizienz. Diese vorteilhafte Situation kann
aber schnell verloren gehen. Eine Reifephase wird charakterisiert durch einen gesteigerten
Wettbewerb, Indifferenz der Kunden gegenüber den Leistungen des Unternehmens und eine
Sättigung des Marktes. Die Mitarbeitenden sind neuen Ideen gegenüber zwar aufgeschlos-
sen, eine Begeisterung, die noch in den Anfangsphasen vorhanden war, ist aber nicht mehr
in gleichem Maße vorhanden. Finanzverantwortliche verlegen ihre Kontrolltätigkeit auf
das Erreichen kurzfristiger Resultate. Die Schwerpunktsetzung sowohl auf Marketing als
auch auf Forschung und Entwicklung schwindet.

77 Die Suche nach einem fähigen neuen Unternehmer für den Neustart und der
Übergabeprozess stellen oft eine kritische Umbruchphase dar.

Dieser Zustand der Reife ist in einem gewissen Sinn auch eine Umbruchphase, da sich
im darauf folgenden Zeitraum entscheiden wird, ob das Unternehmen durch Innovationen
wieder zurück zum Wachstum findet oder es zu einer Stagnation oder einem Niedergang
kommt. An diesem Punkt tritt häufig eine Führungskrise auf, eine starke Führungsper-
sönlichkeit wird benötigt. Diese Person sollte über die Fähigkeit und die notwendigen
Kenntnisse verfügen, neue Geschäftstechniken einführen zu können. Die Suche nach einer
solchen Führungskraft gestaltet sich mitunter aber als schwieriges Unterfangen. Zusätzlich
widerstrebt es den Gründern, einfach beiseitezutreten, obwohl sie aufgrund ihrer Tempera-
mentslage für die neuen Aufgaben weniger geeignet sind. Diejenigen Unternehmen, denen
es aber gelingt, diese Führungskrise zu überwinden, indem ein fähiger Manager engagiert
wird, stehen am Beginn einer Periode nachhaltigen Wachstums [12].

10.6.1.5 Schließung oder Turnaround


77 Neue Produkte und Dienstleistungen, die Erschließung neuer Märkte oder
Diversifizierung können für einen Turnaround sorgen.

Verschiedene Lebenszyklustheorien sehen den Niedergang eines Unternehmens mit


dem Erreichen eines gewissen Reifegrades nicht als unabwendbares Schicksal an. Eine
„Wiedergeburt“ kann vor dem eventuellen Niedergang stehen. So kann ein „anhalten-
des Unternehmertum“ als vorausgehender Indikator für die Wachstumsrate etablierter
10.6 Wachstumstheorien 337

Unternehmen angesehen werden [13]. Ein erneutes Zunehmen des Wachstums kann mit
einer Expansion der Geschäftstätigkeit gemäß den oben aufgezeigten Strategieoptionen
erreicht werden.
Wenn ein Unternehmen bei der Implementierung einer dieser Strategien oder bei der
Innovation versagt, wird es Einbußen bei seinen Aktivitäten in Kauf nehmen müssen. Bei
Fehlern wird eher nach den Verantwortlichen denn nach Ursachen geforscht. Ein aus-
geprägter Bürokratismus ist für Unternehmen dieser Phase typisch. Es gibt für alles ein
System und Mitarbeitende arbeiten nach Vorschrift. Kostenreduktionen werden wichtiger
als Bemühungen zur Steigerung der Erträge.
In allen Lebenszyklusmodellen zeigen die verschiedenen Phasen die Wichtigkeit unter-
schiedlicher Managementaufgaben und Führungsstile auf. Die empirischen Arbeiten, die
sich mit diesem Gebiet befassten, fokussieren sich vor allem auf die Unterschiede in der
internen Organisation wie z. B. Leadership, Struktur oder Strategie. In Tab. 10.1 wird eine
kurze Zusammenfassung dieser Charakteristika vorgenommen.

Tab. 10.1  Charakteristika der einzelnen Lebensphasen

Mess­ vor Gründung Wachstum Reife Wiederge-


kriterien Gründung burt oder
Niedergang

Größe Ein oder Klein Mittel bis Groß Wachsend


mehrere groß oder abneh-
Individuen mend
in Teilzeit
Verkaufs- Nicht Inkonsistent Schnell Langsam Revitalisie-
rate existent positiv rung oder
Rückgang
Aufgaben/ Evaluieren Formelle Kapazitäts- Kosten- Revitalisie-
Aktivitäten von Gele- Gründung, steigerung, kontrolle, rung oder
genheiten, Produktstart Aufbau von Aufbau von Schuldzu-
Bau eines operativen Manage- weisungen
Prototyps Systemen mentsyste-
men
Organisa- Im Ent­ Individua- Weisungen Delegation Partizipativ
tionsstruk- stehen listisch und oder auto-
tur unternehme- kratisch
risch
Kontroll- Im Ent­ Markt­ Standards Berichte und Gemeinsame
systeme stehen resultate und Cost Profitcenter Zielsetzung
Center oder Büro-
kratismus

Quelle: Schaper, M./Volery, T., Entrepreneurship, John Wiley, Milton, 2007.


338 10  Wachstum und Exit

10.6.2 Evolutionstheoretischer Ansatz

77 Evolutionstheoretische Ansätze erklären Veränderungen hinsichtlich der


Strukturen von Organisationspopulationen.

Die Evolution ist ein Ansatz, mit dem Veränderungen hinsichtlich der Strukturen von Or-
ganisationspopulationen in Gemeinschaften, aber auch Industrien erklärt werden. Wie in
der biologischen Evolution wird organisatorischer Wandel durch einen kontinuierlichen
Kreislauf von Variation, Selektion, Retention und Emergenz vorangetrieben. Variationen
werden oftmals als plötzlich auftretende, nicht vorhersehbare Neuentwicklungen von Orga-
nisationen angesehen. Die Selektion von Organisationen erfolgt aufgrund des Wettbewerbs
um knappe Ressourcen. Die Umwelt wählt solche Organisationen aus, die am besten die
Ressourcen einer Nische ausfüllen können. Retention beinhaltet Kräfte wie eine gewisse
relative Trägheit und Beharrlichkeit, auch Inertia [14]1 genannt, die gewisse Organisati-
onsformen aufrechterhalten.
Obwohl mithilfe dieser Theorie nicht vorhergesagt werden kann, welches Unternehmen
überleben wird und welches nicht, entwickelt sich die gesamte Population im Zeitverlauf
aufgrund einer spezifischen Dynamik. Dieser Prozess wird zudem vom Wettbewerb und
von Legitimationsbestrebungen der Unternehmen vorangetrieben. Die Evolution erinnert
Unternehmer im Sinne einer Metapher daran, dass sie um knappe Ressourcen in einem Wett-
bewerbsumfeld konkurrieren müssen und dass ihr Unternehmen in seiner Aufgabenerfüllung
effizient sein muss. Durch eine zuverlässige und nachprüfbare Leistung im Zeitverlauf zeigt
ein Unternehmen seine unternehmerische Stärke und gewinnt damit an Legitimität.

10.7 Wachstumsbewältigung

77 Das Projekt High-Tech Business Dynamics soll helfen, die Wachstumsdynamik


von Technologieunternehmen zu verstetigen.

Die hier aufgezeigten Wachstumsherausforderungen führen zu einem aktuellen Forschungs-


projekt, welches hier kurz vorgestellt werden soll. Dabei geht es im Kern um die Frage,
wie junge Wachstumsunternehmen ihre Wachstumsbarrieren zum Beispiel in Kooperation
mit einem Unternehmenscoach oder Business Angel erkennen und überwinden können.
Das Projekt lautet High-Tech Business Dynamics, in dessen Mittelpunkt Technologieun-
ternehmen stehen, die ihre Wachstumsdynamik verstetigen und „im Griff“ haben wollen.2

1
Modell der Inertia: Es besagt, dass die Dauer eines Zustands seine Veränderungsrate negativ be-
einflusst.
2
Das Projektteam setzt sich aus Vertretern des CyberForums Karlsruhe, des Ostschweizer Inkubators
STARTFELD, der Universität St. Gallen und der UEC gGmbH zusammen.
10.7 Wachstumsbewältigung 339

10.7.1 Herausforderung

Von einer Vielzahl von gestarteten Start-ups aus Hochschulen oder Spin-offs von Unter-
nehmen schaffen es erfahrungsgemäß nur sehr wenige, einen Wachstumspfad zur Beschäf-
tigung von mehr als 100 Mitarbeitenden zu bewältigen.
Zahlen aus den USA belegen dies auch für das weitere Wachstum: „Only about 0,1 %
of U.S. firms ever achieve revenues of more than 250 Million Dollar sales. A tiny 0.036 %
will grow to reach 1 Mrd. Dollar“ [15].
Die Ursachen hierfür sind vielfältiger Natur. Sie reichen von persönlicher Einstellung
oder Überforderung über unzureichende Finanzierung bis hin zu technischen Systemprob-
lemen. Deshalb soll ein wissenschaftlich fundiertes und zugleich praktisch erprobtes Wei-
terbildungs- und Begleitungskonzept entwickelt werden, mithilfe dessen die Zahl schnell
wachsender Unternehmen erhöht und qualitativ auf eine solide Basis gestellt werden kann.
Denn es zeigt sich in der Begleitung und aktiven Mitwirkung von Wachstumsunternehmen,
dass immer wieder vergleichbare Herausforderungen zu bewältigen sind. Auf diese bietet
die bisherige Coachingpraxis von Wachstumsunternehmen aber selten systematische Ant-
worten, da vielfach individuelle Lösungen vorherrschen.

10.7.2 Kunden/Zielgruppe

Eine erste Zielgruppe dieses Forschungsprojekts stellen Start-ups aus Hochschulen und
Forschungseinrichtungen mit technologie- oder wissensbasierten Geschäftsmodellen dar,
welche die verschiedenen Phasen des klassischen Inkubator-Prozesses durchlaufen und
„geordnet“ wachsen wollen. Die zweite Zielgruppe stellen Spin-offs aus mittelständischen
oder großen Unternehmen dar, die häufig noch ein größeres Wachstumspotenzial zu Beginn
aufweisen, weil sie bereits im Markt aktiv sind. Damit sind Hightech-Unternehmen von
der Gründung bis über die ersten zehn bis 15 Jahre adressiert.

77 Schnell wachsende Unternehmen stoßen systematisch auf vergleichbare


Herausforderungen.

Schnell wachsende Unternehmen stoßen systematisch auf die gleichen Herausforderungen,


die allerdings nur von den wenigsten Gründern selbst oder nur nach mühsamen Lern-
prozessen gelöst werden können: Neudefinition der Rolle des Gründungsunternehmers,
Aufbau von Prozessen und Strukturen, Gestaltung der Unternehmenskultur, frühe Ansätze
des Corporate Entrepreneurships, Talent Management und Employer Branding, tragfähige
Finanzierung oder schlagkräftiger Vertrieb. Die Orientierung an einem Lebenszyklusmo-
dell bietet die Chance, sich gezielt und rechtzeitig auf die kommenden Herausforderungen
einzustellen. Dazu soll ein spezifisches Lösungsangebot entwickelt und eingesetzt werden.
Hierzu wurden sechs „Zwillinge des Erfolgs (Twins of Success)“ definiert, die als Aus-
340 10  Wachstum und Exit

Abb. 10.5  Die „sechs


Markt & Kundenbedürfnisse Zwillinge“ erfolgreichen
Wachstums

Team & Unternehmenskultur

Unternehmensstrategie & Geschäftsmodell

Finanzen & Vertrieb

Unternehmensprozesse & Ausführung

Wachstum & Innovation

gangshypothese zu verstehen sind (siehe Abb. 10.5). Diese basieren auf einer einschlägigen
Literaturanalyse (wie Jim Collins „Good to Great“, Keith McFarlands „The Breakthrough
Company“ oder Joe Abrahams „Entrepreneurial DNA“) und eigenen Erfahrungen mit der
Führung bzw. dem Coaching von Wachstumsunternehmen.

77 Hypothese: „Sechs Zwillinge“ sind für den langfristigen Unternehmenserfolg


maßgebend.

Die Ordnung in diesen sechs Zwillingen ist für den langfristigen Unternehmenserfolg
maßgebend. Kommt es zu Schwierigkeiten in einem oder mehreren Zwillingen, so kann
der Wachstumsprozess unterbrochen oder gar negiert werden. Zu jedem Zwilling wurden
dazu drei Leitfragen mit jeweils drei bis fünf konkretisierenden Unterfragen formuliert.
Die Quellen hierfür waren die eigenen Erfahrungen der Teammitglieder als Unternehmer
oder Coach sowie vergleichbare Fragen aus der Literatur.
Die beiden in Tab. 10.2 und 10.3 aufgeführten Bespiele zeigen, in welche Richtung die
Fragen zielen. Es geht darum, die für das weitere Wachstum relevanten Faktoren heraus-
zufiltern und soweit wie möglich zu konkretisieren und zu quantifizieren.
Durch ein, von zwei Interviewern geführtes, strukturiertes Interview sollen dadurch
mögliche Schwachstellen in den sechs Zwillingen aufgedeckt werden. In einem engpass-
orientierten Vorgehen sollen anschließend die zwei bis drei entscheidenden Hebel für das
weitere Wachstum identifiziert und umgesetzt werden. Dabei sollen das Selbstbild und das
Fremdbild abgeglichen und zu einem Zielbild ausformuliert werden.
10.7 Wachstumsbewältigung 341

Tab. 10.2  Twin 2: Team & Unternehmenskultur

Talent Strategie

Selbsteinschätzung Bewertung von trifft voll


zu (1) bis trifft nicht zu (6)
Unser Team ist sich bewusst, dass weiteres Wachstum nur
über die bewiesene Attraktivität des Unternehmens für
unternehmerische Talente gelingen wird.
Detailfragen Ja Nein
Wird aus der Unternehmensstrategie gezielt eine Strategie
für Gewinnung und Entwicklung von Talenten abgeleitet,
z. B. in Form von speziellen Marketingkampagnen?
Besitzt das Unternehmen nachgewiesenermaßen eine
attraktive Arbeitgeber-Marke, z. B. Eingang regelmäßiger
Initiativbewerbungen?
Gehen Sie bei der Auswahl neuer Mitarbeitenden ohne
Kompromisse vor, d. h., lehnen Sie z. B. bei Nichterfüllung
von nur einem Kriterium ab?
Arbeitet das Unternehmen eng mit Hochschulen und ande-
ren Unternehmen zusammen, um frühzeitig in Kontakt mit
zukünftigen Kollegen zu kommen?
Verzeichnet das Unternehmen eine geringe Fluktuation bei
den Mitarbeitenden, d. h. eine Kündigungsquote von max.
5 % p. a.?

Tab. 10.3  Twin 5: Unternehmensprozesse & Ausführung

Prozessstabilität

Selbsteinschätzung Bewertung von trifft voll


zu (1) bis trifft nicht zu (6)
Die Stabilität der Unternehmensprozesse ist durch entspre-
chende persönliche und technische Maßnahmen ausreichend
gesichert, sodass damit auch ein rasches weiteres Wachstum
bewältigt werden kann.
Detailfragen Ja Nein
Wird mindestens einmal im Jahr die Prozessstruktur von
einer explizit dafür beauftragten Person analysiert und ggf.
angepasst?
Gibt es mindestens einmal pro Monat ein Treffen der Ent-
scheidungsträger der einzelnen Unternehmensbereiche?
342 10  Wachstum und Exit

Tab. 10.3 (Fortsetzung)

Prozessstabilität

Werden die Mitarbeitenden mindestens einmal pro Jahr


explizit befragt, ob sie mit den aktuellen Abläufen im Unter-
nehmen zufrieden sind?
Wird Software wie z. B. ERP, CRM zur Sicherung der
Prozesse eingesetzt?
Wird die Einhaltung definierter Prozesse kontinuierlich
überprüft, z. B. durch Stichproben?

10.8 Exit

77 Auch ein Ausstieg aus dem Unternehmen ist eine Möglichkeit.

Ein Unternehmen zu gründen und in einen stabilen Wachstumsprozess zu überführen,


können als die ersten beiden Schritte der Wertgenerierung angesehen werden. Ein dritter
Schritt kann der Ausstieg aus dem Unternehmen (engl. „Harvesting“) sein. Verschiedene
Exit-Strategien kommen für den Ausstieg infrage, wobei der Ausstieg eines der signifikan-
testen Ereignisse für ein Unternehmen und seine(n) Eigentümer darstellt. Die Gründung
und der Aufbau eines Unternehmens sind für einen Unternehmer nicht nur sehr zeitraubend,
sondern fordern auch persönliche Kräfte. Manch ein Unternehmer möchte diesen persön-
lichen Einsatz durch eine materielle Honorierung belohnt sehen. In diesem Abschnitt soll
vor allem der Exit des Unternehmers betrachtet werden und weniger die Übergabe eines
Unternehmens als Nachfolgeprozess.

77 Serienunternehmer gründen, bauen auf und verkaufen, um gleich anschlie-


ßend wieder zu gründen.

Viele Unternehmer sehen Entrepreneurship eher als Weg denn als Ziel. Vielfach verlieren
Unternehmer das Interesse an einem Unternehmen, sobald es am Markt gut eingeführt ist,
und sehnen sich nach neuen Herausforderungen. Serienunternehmer gründen und bauen
Unternehmen auf und wenden sich anschließend dem nächsten (Unternehmens-)Projekt
zu. Richard Branson mit den verschiedenen Virgin-Gründungen (Musikverlag, Flugge-
sellschaft etc.) ist nur ein prominentes Beispiel. In diesem Abschnitt werden zunächst
die wesentlichen Schlüsselfragen bei der Planung eines Ausstiegs erörtert. Anschließend
werden die vier wesentlichen Exit-Möglichkeiten dargestellt:

• Verkauf an einen strategischen Partner oder an einen Firmeninvestor;


• Management-Buy-out (MBO);
• Strategische Allianz oder Fusion;
• Börsengang.
10.8 Exit 343

10.8.1 Einflussfaktoren und Ausstiegsstragien

Wenn ein Unternehmer das volle Gewinnpotenzial seiner Investition in das Unternehmen
ausschöpfen will, sollte er auch Optionen für den Austritt aus dem Unternehmen in Betracht
ziehen. Diese Strategie ist allerdings in jenen Fällen irrelevant, in denen das Unternehmen
lediglich den Lebensunterhalt des Unternehmers garantieren soll, wozu auch die Anstellung
im Unternehmen gehören kann. Wenn aber das Ziel die Wertgenerierung für den Unter-
nehmer und andere Stakeholder des Unternehmens ist, dann sollte eine solche Strategie
des Ausstiegs unbedingt in Betracht gezogen werden. Der Ausstieg aus dem Unternehmen
ist mehr als das simple Verlassen des Unternehmens. Letztlich soll der Ausstieg aus dem
Unternehmen eine Gewinnmaximierung für alle Beteiligten darstellen, insbesondere für
die Eigentümer und Manager [16].

77 Der Ausstieg sollte auf jeden Fall rechtzeitig vorbereitet werden – auch wenn
kein Verkauf geplant ist.

Eine Nachfolge- bzw. Ausstiegsplanung sollte auch dann erfolgen, wenn nicht an einen
Verkauf des Unternehmens gedacht ist. Ein solcher Plan kann auch notwendig werden,
weil sich der Gründer aus Alters- oder Krankheitsgründen zurückziehen muss oder unvor-
hergesehen stirbt. Die Planung des Ausstiegs aus dem Unternehmen sollte also in jedem
Fall ein aktiver Prozess sein und nicht passiv von außen betrieben sein. Wie aus Abb. 10.6
ersichtlich ist, müssen beim Ausstieg aus dem Unternehmen drei Elemente berücksichtigt
werden:

• Geschäftsstrategie: Ein Ausstieg ist für einen Unternehmer nur dann attraktiv, wenn
sich potenzielle Käufer für das Objekt interessieren. Das Unternehmen muss ständig
über ein gutes Portfolio an Produkten verfügen, die gut auf dem Markt eingeführt
sind. Der Unternehmer muss letztlich nachweisen, dass sein Unternehmen erfolgreich
ist und Potenzial für Wachstum aufweist, auch wenn er selbst sich aus dem Geschäft
zurückzieht.
• Bestrebungen der Stakeholder: Bei den meisten Unternehmern spielt die eigene Firma
eine wesentliche Rolle in ihrem Leben. Die Entscheidung, den eigenen Anteil am
Unternehmen zu verkaufen, kann daher nur in Übereinstimmung mit den persönli-
chen Zielen des Unternehmers erfolgen. Jedoch kann ein Unternehmer, schon alleine
aufgrund der großen Verbundenheit mit der Firma, zu Fehleinschätzungen bezüglich
seines Ausstiegs neigen. Aus diesem Grund sollten die Meinungen anderer Stakehol-
der, wie außenstehender Investoren oder Angestellter, auf jeden Fall berücksichtigt
werden. Außenstehende Investoren haben typischerweise eine Erwartung, was ihr
Investment betrifft, wozu auch der Börsengang oder der Aufkauf des Unternehmens
durch andere Investoren gehört.
• Corporate Finance: Die Vermögenslage des Unternehmens ist ein weiteres, wichtiges
Schlüsselelement, das berücksichtigt werden sollte. Für ein Unternehmen mit einem
hohen Verschuldungsgrad wird es schwieriger sein, an die Börse zu gehen. In diesem
344 10  Wachstum und Exit

Abb. 10.6  Strategische und finanzielle Optionen [[2], S. 444]

Fall bietet sich eher der Verkauf an einen Investor an, der längerfristig die finanzielle
Struktur des Unternehmens an seine Bedürfnisse anpassen kann. Bei den verschiede-
nen Exit-Strategien bestehen unterschiedliche Möglichkeiten hinsichtlich der Finan-
zierungsoptionen für Wachstumsunternehmen. Ein Börsengang wird beispielsweise
von vielen Unternehmen primär als Möglichkeit gesehen, an Kapital für weiteres
Wachstum zu kommen, und nur in zweiter Linie als Erleichterung des Ausstiegs der
Gründer.

77 Nicht nur die Art des Ausstiegs, sondern auch der Ausstiegszeitpunkt muss bei
einem Exit berücksichtigt werden.

Unabhängig von der endgültigen Entscheidung, die vom Unternehmer und anderen Betei-
ligten hinsichtlich der Ausstiegsstrategie getroffen wird, sind die Möglichkeiten, ein Un-
ternehmen zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, nicht immer gleich gut und hängen
vom Zustand der Gesamtwirtschaft und der Industrie ab. Unternehmer müssen nicht nur
eine Ausstiegsstrategie wählen, sondern sich auch Gedanken über den Ausstiegszeitpunkt
machen. Ein Großteil der Unternehmer sah sich nach dem Niedergang der New Economy
außerstande, ihr Unternehmen an die Börse zu bringen. Die zeitliche Terminierung ist au-
10.8 Exit 345

ßerordentlich wichtig, da sich Zeitfenster sehr schnell öffnen, aber auch wieder schließen
können, was vom Unternehmer ein feines Gespür erfordert.
Timmons [17] schlägt für die Entwicklung einer Ausstiegsstrategie folgende Richtlinien
und Vorsichtsmaßnahmen vor:

• Geduld: Die Gründung und der Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens erfordern
eine mehrjährige Zeitspanne. Eine Ausstiegsstrategie gewinnt an Substanz, wenn sie
einem langfristigen Horizont von mindestens drei bis fünf Jahren, aber maximal von
sieben bis zehn Jahren einplant.
• Vision: Beim Eintreten unerwarteter Ereignisse sollte keine Panik auftreten. Ein
Zwangsverkauf stellt die schlechteste Variante dar.
• Realistische Schätzung: Der Unternehmer sollte den Wert eines Unternehmens aus
verschiedenen Blickwinkeln heraus schätzen. Mit dem Einbezug des Buch- und
Wiederbeschaffungswertes und des ermittelten Discounted Cashflows sollte es mög-
lich sein, einen fairen Marktpreis zu schätzen, wenn parallel dazu ein Abgleich mit
marktüblichen Umsatz- oder EBIT(DA)-Multiplikatoren erfolgt.
• Externe Beratung: Das Hinzuziehen eines externen Beraters kann sinnvoll sein, um
eine Ausstiegsstrategie noch während des Unternehmenswachstums festzulegen und
den Wert des Unternehmens zu ermitteln. Das Gespräch mit einem Unternehmer, der
bereits Erfahrungen mit einem Unternehmensausstieg gemacht hat, kann ebenfalls
hilfreich sein.

10.8.2 Verkauf an Investoren

77 Der Verkauf des Unternehmens an einen Investor ist eine häufig genutzte Exit-
Strategie.

Der Verkauf an einen Investor ist eine häufig genutzte Exit-Strategie. Es gibt verschiedene
Kategorien, die sich je nach Art des Käufers unterscheiden. Dazu gehört der Verkauf an
Finanzinvestoren, strategische Investoren oder an das Management bzw. Angestellte. Die-
ser Abschnitt fokussiert sich auf den Verkauf an Finanz- und strategische Investoren. Der
Verkauf an das Management (MBO) wird gesondert im nächsten Abschnitt beschrieben.
Bei Finanzinvestoren kann es sich sowohl um Konkurrenten handeln, die in der gleichen
Industrie tätig sind, als auch um Unternehmen, die eine Diversifikation mit der Ergänzung
des eigenen Portfolios vorantreiben möchten. Bei finanziell motivierten Käufern steht das
Wertsteigerungspotenzial des Unternehmens im Vordergrund. Oftmals ist dieses an die
Stimulierung von zukünftigen Verkäufen und/oder Kostenreduktionen gebunden. Die neuen
Eigentümer werden daher häufig Änderungen in der Firmentätigkeit vornehmen oder das
Unternehmen zerschlagen, um Einzelteile daraus verkaufen zu können. Das Tagesgeschäft
wird hingegen in der Regel ohne Änderungen beibehalten. Diese Käufer kaufen ein Unter-
346 10  Wachstum und Exit

nehmen, jedoch mit dem Hintergedanken des Wiederverkaufs, sodass das Geschäftsleben
zu einem späteren Zeitpunkt wieder gestört wird.

77 Strategische Käufer sind an Synergien zu bestehenden Anlagen interessiert.

Strategische Käufer sind im Gegensatz zu Finanzinvestoren an Synergien mit ihren beste-


henden Anlagen interessiert, die durch den Kauf entstehen sollen. Im Allgemeinen sind
dies Firmenkäufer, die eine Konsolidierungsstrategie ausführen oder weiter vorantreiben
wollen. Diese Art von Käufern möchte mit einer Reihe von Unternehmen versuchen, Kos-
ten so weit abzubauen, dass damit Skaleneffekte erreicht werden können und eine höhere
Profitabilität generiert werden kann. Strategische Käufe führen nicht selten zu einem ver-
gleichsweise attraktiven Preis für den Verkäufer.
Ein vollständiger Verkauf wird häufig als Idealversion angesehen, da ein Bargeschäft
oftmals der Übertragung von Aktien vorgezogen wird. Aber auch bei dieser Variante gibt
es einige Minuspunkte zu verzeichnen: Unternehmer empfinden es häufig als schwierig
und wenig interessant, lediglich Geld zu verwalten. Die Enttäuschung über den Verkauf
eines Unternehmens ist in jenem Moment am größten, wenn der Unternehmer weiterhin
als Angestellter in dieser Firma verbleibt und unter der Beaufsichtigung der neuen Eigen-
tümer steht.

10.8.3 Management-Buy-out (MBO)

77 Beim MBO wird das Unternehmen an Manager oder Partner des Unterneh-
mens verkauft.

Eine andere Austrittsmöglichkeit ist der sogenannte MBO, bei dem der Unternehmer seine
Firma gewinnbringend entweder an Manager oder Partner des Unternehmens verkauft. Ein
MBO zieht üblicherweise ein hohes Ausmaß an Schulden nach sich. Dies bedingt, dass die
neuen Eigentümer sich klar auf die Gesamtleistung des Unternehmens konzentrieren, um
Rückzahlungen leisten zu können und die vorhandenen Aktivposten am effektivsten ein-
zusetzen. Bei ausreichend vorhandenen Aktivposten und einem guten Cashflow kann eine
Finanzierung auch über eine Bank oder eine andere Finanzinstitution arrangiert werden.
Bei einem gesunden Cashflow besteht selbst bei einer dünnen Lage der Aktivposten eine
Chance, Kapitalgeber von der Finanzierung eines MBO zu überzeugen.
Drei Faktoren werden als essenziell angesehen, um einen erfolgreichen MBO durch-
führen zu können:

• eine signifikante Kreditaufnahme gegen Hinterlegung von Sicherheiten aus dem Ge-
sellschaftsvermögen,
• ein starkes Managementteam zu rekrutieren und im Unternehmen behalten zu können
und
10.8 Exit 347

• das Potenzial einer substanziellen Wertsteigerung für alle Beteiligten (inklusive Ma-
nagement).

Die Begleichung eines hohen Kredites erfordert es jedoch, dass ein Unternehmen über
einen längeren Zeitraum fähig ist, größere Cashflows zu generieren, bzw. Vermögenswerte
besitzt, die verkauft werden können. Das Vertrauen der Investoren und Kreditgeber in
die Fähigkeit des Managementteams, das Unternehmen profitabel zu führen, ermöglicht
mitunter den MBO. Das verkaufte Unternehmen bzw. der verkaufte Unternehmensteil
verfügt daher meistens über ein nahezu komplettes Managementteam, in dem nur wenige
bis gar keine Änderungen erfolgen müssen. Um ein gutes Managementteam aufzubauen,
zu motivieren und auch im Unternehmen behalten zu können, sind Anreize in Form von
Unternehmensbeteiligungen wichtig.

10.8.4 Strategische Allianzen und Fusionen

77 Der Verkauf von Unternehmensteilen kann eine sinnvolle Alternative dar­


stellen.

Der Unternehmer kann im Rahmen einer strategischen Allianz einen Teil des Unternehmens
an einen Investor verkaufen. Zusätzlich zum erzielten Kapital können größere Synergien
aus dieser Kooperation gezogen werden. Ein Investor kann z. B. Skaleneffekte erzielen,
indem Ressourcen zusammengelegt werden oder eine Zusammenarbeit in angrenzenden
Bereichen stattfindet. In einer strategischen Allianz sind die beiden Partner rechtlich selbst-
ständig, obwohl ein beträchtlicher Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten von ihrer Allianz
abhängt. Eine strategische Allianz zwischen zwei Konkurrenten kann zu einem späteren
Zeitpunkt zu einer Fusion im Rahmen einer neuen rechtlichen Einheit führen. Dieses neue
Unternehmen wird über eine größere kritische Masse für ein weiteres Wachstum verfügen
und kann zu einem späteren Zeitpunkt an die Börse gebracht oder verkauft werden.

10.8.5 Börsengang

77 Hauptgrund für einen Börsengang ist die Aufnahme von zusätzlichem Kapital
für die weiteren Wachstumspläne.

Der Gang an die Börse (Initial Public Offering, IPO) war nach dem Platzen der Dotcom-
Blase eher selten. Mittlerweile hat sich die Lage in Teilsegmenten des Marktes wieder
entspannt. Dennoch kommen Börsengänge nur für eine begrenzte Zahl von Unternehmen
in Betracht. Die Größe des Unternehmens, die Industriezugehörigkeit oder der Mangel
an benötigten Managementfähigkeiten machen den Börsengang für viele Unternehmen
unmöglich. Der Hauptgrund für einen IPO ist nur selten der Ausstieg des Unternehmers
348 10  Wachstum und Exit

oder der Risikokapitalgeber aus dem Unternehmen, sondern vielmehr die Aufnahme von
weiterem Kapital für das geplante Unternehmenswachstum.
Die Platzierung der Anteile eines Unternehmens an einer Börse ändert die Art der Fi-
nanzierung des Unternehmens grundlegend und sollte daher sorgfältig abgewogen werden.
Die Vorteile eines IPO gegenüber einem Verkauf werden damit begründet, dass dadurch
eine höhere Bewertung und in der Folge auch höhere Gewinne erzielt werden können.
Weiter werden die Handelbarkeit der Anteile, der Aufkauf anderer Unternehmen durch
eine Kapitalerhöhung und die Verbesserung des Unternehmensstatus als Vorteil gesehen.
Diesen Vorteilen stehen aber auch Nachteile gegenüber. Als Erstes kann der Verlust einer
gewissen Privatsphäre des Unternehmens geltend gemacht werden. Ein Börsengang und die
Kotierung an der Börse stellen einige Herausforderungen dar, auch in Bezug auf Publikati-
onspflichten oder Corporate Governance. Ein zweiter Problempunkt sind die bedeutsamen
Kosten einer Kotierung an der Börse. Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Börsengang,
sondern auch die laufenden Kosten einer Kotierung wie die vorschriftsmäßige Bereitstel-
lung von Informationen.

10.9 Fallstudie: LiberoVision und Vizrt

77 Ausgangslage: Die beiden Gründer haben im Laufe der letzten Monate zwei
konkrete Kaufangebote für ihr Unternehmen erhalten.

Es ist Mitte Mai 2010. Dr. Stephan Würmlin Stadler und Dr. Christoph Niederberger,
Gründer und Hauptanteilseigener der LiberoVision AG, diskutieren bis spät in die Nacht.
Im Laufe der letzten Monate wurden ihnen zwei konkrete Kaufangebote für ihr Unterneh-
men unterbreitet. Bei einem der Interessenten handelt es sich um ein großes, internatio-
nales Medienunternehmen, das seit 2009 Kunde von LiberoVision ist. Bei dem zweiten
Interessenten handelt es sich um einen norwegischen Softwarekonzern, der Software zur
Erstellung von 3D-Grafiken vertreibt.
Noch ist keines der Angebote so gut, als dass sich die beiden Gründer darauf einlassen
würden. Stephan und Christoph sind jedoch davon überzeugt, dass die potenziellen Käufer
bereit sein würden, ihre Angebote im Laufe der Verhandlungen weiter zu erhöhen. Seit der
Gründung im Jahr 2006 waren die Umsätze von LiberoVision kontinuierlich gestiegen und
die beiden Gründer wussten, dass es im Markt einige Interessenten gab. Sie waren daher
in einer guten Verhandlungsposition. Aber, wie viel musste der Käufer mindestens bereit
sein zu bezahlen, damit sie zu einem Verkauf bereit sein würden? Und welche weiteren
Bedingungen sollten erfüllt sein, bevor sie einen Vertrag unterzeichnen würden?

Historie

77 LiberoVision wurde 2006 als Spin-off der ETH Zürich gegründet.


10.9  Fallstudie: LiberoVision und Vizrt 349

Dr. Stephan Würmlin Stadler und Dr. Christoph Niederberger gründeten das Unternehmen
LiberoVision im Juni 2006 als Spin-off der ETH Zürich. Mitgründer war ihr Professor
und Doktorvater Prof. Dr. Markus Gross. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit am „Computer
Graphics Laboratory“ der ETH hatten die beiden eine Software entwickelt, mit deren Hilfe
aus mehreren 2D-Bildern, die mit normalen Fernsehkameras aufgenommen wurden, 3D-
Bilder erstellt werden konnten. Ausgefeilte Algorithmen sorgten dafür, dass die dafür not-
wendigen Berechnungen in kürzester Zeit durchgeführt werden können. Die Patente hatten
die Gründer der ETH Zürich abgekauft. Schon früh machten sich Stephan und Christoph
Gedanken über mögliche Anwendungsgebiete solcher Multikameraanalysen. Und da beide
selbst sportbegeistert sind, kamen sie auf die Idee, ihre Technologie bei Sportübertragungen
anzuwenden.
Gründungswissen eigneten sich die Jungunternehmer in venturelab-Kursen an, dem
Start-up-Training der Kommission für Technologie und Innovation (KTI). Stephan hat
zusätzlich das Weiterbildungsdiplom-Programm „Wachstum von Management in Tech-
nologieunternehmen“ der Henri B. Meier Unternehmerschule der Universität St. Gallen
absolviert. Feedback und erste Start-up-Gelder erhielten die Jungunternehmer durch die
Teilnahme an Businessplanwettbewerben. So hat das Team unter anderem bei den Wett-
bewerben „Venture Leaders“, dem „Heuberger Jungunternehmerpreis“ und bei „Ven-
ture 2006“ Preise gewonnen.

77 Der Markteinstieg gelang im Mai 2007 mit dem Teleclub Schweiz.

In den nächsten Jahren entwickelte sich das Unternehmen gut. Der Markteinstieg gelang
den Gründern mit dem Teleclub Schweiz im Mai 2007. Später wurden die Produkte von
LiberoVision bei der Europameisterschaft 2008 beim ZDF in Deutschland eingesetzt. In-
zwischen gehören auch Sender aus Deutschland, Italien, Großbritannien und Spanien zu
den Kunden. Eingesetzt wird die Software unter anderem für Fußball, Rugby, American
Football und Basketball-Übertragungen. Mit dem Sender ESPN hat man auch den Eintritt
in den amerikanischen Markt geschafft. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt derzeit auf
Europa und den USA, während man im lateinamerikanischen Markt kaum und in Asien
noch gar nicht vertreten ist. Stephan und Christoph haben sich über einen weiteren Ausbau
in den USA und Lateinamerika bereits Gedanken gemacht und möchten mit einem Büro
in New York City aus eigener Kraft den US-amerikanischen Markt verstärken und den
Eintritt in den lateinamerikanischen Markt wagen. Asien hat in der momentanen Strategie
noch keine Priorität.
In der Anfangsphase wuchs das Unternehmen schnell. Bereits in 2007 gab es neben den
beiden Gründern noch drei weitere Mitarbeitende (ein CEO, vier Mitarbeitende im Bereich
„Research & Development“). Um den Verkauf des Produktes kümmerte sich bis 2009 aus-
schließlich Stephan. Im Mai 2010 arbeiteten bereits zwölf Mitarbeitende bei LiberoVision
(ein CEO, acht Mitarbeitende im Bereich „Research & Development“, zwei im Bereich
„Marketing & Sales“ sowie eine Assistenz mit 40 %-Anstellung).
350 10  Wachstum und Exit

77 „Libero Highlight“ kann jede Position auf dem Spielfeld berechnen und in 3D-
Bilder umsetzen.

LiberoVision bietet seinen Kunden derzeit ein Produkt an: Mit dem Produkt „Libero High-
light“ können Zuschauern realistische 3D-Wiederholungen gezeigt werden, die von den
Bildern der Fernsehkameras nicht zu unterscheiden sind. Besonders schöne Spielzüge
können so hervorgehoben und erläutert werden. Die Software ist in der Lage, jede Position
auf dem Spielfeld zu berechnen, sodass der Zuschauer Spielzüge aus ganz neuen Blick-
winkeln betrachten kann.
Stephan ist von dem Nutzen seines Produkts überzeugt: „Ich bin selbst ein Fan. Ich
sitze selbst vor dem Fernseher, und ich möchte genau das haben, was wir mit LiberoVision
dem Zuschauer geben können. Immer die richtige Perspektive auf das Spielgeschehen zu
jedem Zeitpunkt.“
Ein zweites Produkt, „Libero Offside“, wird zurzeit entwickelt, der Markteintritt wird
im Winter 2010 erwartet. Libero Offside bietet die Möglichkeit, fragwürdige Abseitsent-
scheidungen in einer 3D-Wiederholung zu klären. Während Schiedsrichter und häufig auch
der Linienrichter aus einer ungünstigen Position heraus entscheiden müssen, ob es sich um
ein Abseits handelt, kann der Fernsehzuschauer die Situation nun in 3D-Animation und in
Zeitlupe nachvollziehen.

77 Die Software von LiberoVision kann Perspektiven analysieren, die nicht von
den Kameras erfasst werden.

Die Produkte von LiberoVision haben den Vorteil, dass die Bilder relativ schnell berechnet
werden können und eine einzigartige Qualität aufweisen. Die 3D-Ansichten sind dabei in
der Qualität nicht von den existierenden Kamerabildern zu unterscheiden. Die benötigten
Informationen zur Berechnung werden aus den vorhandenen 2D-Fernsehkameras gewon-
nen, die anschließend in 3D-Daten umgesetzt werden. So können den Fernsehzuschauern
von Fußball-, Rugby- oder anderen Sportübertragungen in der Pause oder direkt nach dem
Spiel besonders gute Spielzüge oder umstrittene Situationen wie Abseits oder Fouls aus
völlig neuen Blickwinkeln gezeigt werden. Dabei ist es möglich, die Geschehnisse aus
Perspektiven zu analysieren, die nicht von den Kameras erfasst wurden. Überzeugend ist
neben der Geschwindigkeit und der Qualität der berechneten Bilder die Tatsache, dass
die 3D-Umgebungen aus 2D-Aufnahmen berechnet werden können, die von normalen
Fernsehkameras produziert wurden. Die Stadien müssen also nicht mit zusätzlichen Aus-
stattungen versehen werden.

77 LiberoVision erzeugt 3D-Darstellungen, die dem Zuschauer das Gefühl geben,


er sei selbst auf dem Spielfeld.
10.9  Fallstudie: LiberoVision und Vizrt 351

Stephan Würmlin fasst die Vorteile seines Produktes wie folgt zusammen:
„Wir haben eine Technologie, die sich stark von denen der anderen Anbieter unterscheidet.
Andere Systeme erzeugen häufig Ergebnisse, die wie Avatare oder virtuelle Animationen aus-
sehen. Mit unserer virtuellen Wiederholung, welche wir gerne auch Rundum-Zeitlupe nennen,
erkennt man zum Beispiel, dass der Spieler Lionel Messi ist, und für den Zuschauer fühlt es
sich so an, als wäre er selbst auf dem Platz. Dieser Realismus kommt durch LiberoVision’s
patentierte Bildverarbeitungstechnologie, welche die Kameraaufnahmen in 3D-Darstellungen
umwandeln kann. Es gibt einige aufwendige Technologien, die in der Lage sind, so etwas auf
den Pixel genau umzusetzen. Dafür werden jedoch zwei Tage Rechenzeit benötigt und daran
ist in unserem Markt niemand interessiert. Wir können es praktisch sofort.“

Der Computer, der für die Berechnungen notwendig ist, ist in einer kleinen Box unterge-
bracht und kann von einem Regie-Wagen aus gesteuert werden.

Kennzahlen
Seit seiner Gründung im Jahr 2006 konnte LiberoVision jedes Jahr seine Umsätze steigern.
Der Break-even wurde im Jahr 2009 erreicht. Die Kennzahlen der Jahre 2008 und 2009
sowie die Planzahlen für 2010 sind in Tab. 10.4 abgebildet.

Kaufinteressenten

77 Im Jahr 2009 wurden erste Gespräche mit potenziellen Käufern geführt.

LiberoVision ging bereits früh Partnerschaften mit lokalen Fernsehgesellschaften und


TV-Produktionsmittelherstellern ein. So wurden erste Partnerschaften schon zur Zeit des
Markteintritts Ende 2007 geschlossen. Im Laufe des Jahres 2009 wurden dann zum ersten
Mal informelle Gespräche mit potenziellen Käufern geführt, bevor es gegen Jahresende
dann konkreter wurde.

Medienunternehmen
Ein großes Medienunternehmen, das bisher Kunde von LiberoVision war, gab Stephan und
Christoph Ende 2009 zu verstehen, dass Interesse an einer Übernahme bestehe.

77 Ein externer Berater sollte die verschiedenen Wachstums- und Exit-Optionen


beleuchten und die weiteren Schritte begleiten.

Daraufhin wurde im Verwaltungsrat diskutiert, ob man bereits in Verkaufsgespräche


einsteigen wolle oder ob man lieber die nächsten zwei oder drei Jahre in das Wachstum
des Unternehmens investieren solle, um dann einen größeren Exit anzustreben. Die Mit-
glieder des Verwaltungsrats einigten sich schließlich darauf, einen externen Berater hinzu-
zuziehen, der die verschiedenen Wachstums- und Exit-Optionen mit den Führungskräften
von LiberoVision beleuchten und die weiteren Schritte begleiten sollte. Anfang 2010
führte das Unternehmen dann einen Workshop mit dem Berater durch, um verschie-
352 10  Wachstum und Exit

Tab. 10.4  Kennzahlen LiberoVision (in CHF)

2008 2009 2010 (geplant)

Gewinn- und Ver-


lustrechnung
Umsatzerlöse 655.584 1.423.485 2.892.896
Aufwendungen 708.536 1.107.586 1.775.902
Gewinn vor Zinsen −52.952 315.899 1.116.994
und Steuern (EBIT)
Nettogewinn/ −73.152 207.682 746.909
-verlust
Cashflow
Cashflow aus be- −104.359 157.715 773.406
trieblicher Tätigkeit
Liquide Mittel am 212.703 164.138 841.238
Jahresende
Vermögen
Umlaufvermögen 317.434 525.483 1.493.984
Anlagevermögen 206.751 247.003 245.713
Bilanzsumme 524.185 772.485 1.739.697
Verbindlichkeiten
Kurzfristige Ver- 53.269 138.113 393.663
bindlichkeiten
Langfristige Ver- 446.469 402.243 466.996
bindlichkeiten
Eigenkapital 24.448 232.130 879.039

dene Optionen zu besprechen, wie man aus eigener Kraft oder mit Partnern wachsen
konnte bzw. wie ein mögliches Exit-Szenario aussehen konnte. In den darauffolgenden
Wochen wurde klar, dass sich die Gründer und die Mehrheit des Verwaltungsrats einen
Unternehmensverkauf gut vorstellen konnten, sofern die Bedingungen akzeptabel waren:
Zum einen musste natürlich der Verkaufspreis stimmen, jedoch waren für Stephan und
Christoph auch noch andere Kriterien wichtig: Der Käufer musste ein echtes Interesse
an der Technologie von LiberoVision haben und die Vision der LiberoVision sowie de-
ren kommerzielle Ziele mittragen und beschleunigen können. Des Weiteren musste ein
kultureller „Fit“ bestehen und der Käufer die Übernahme aller Mitarbeitenden und den
Sitz der Firma in Zürich garantieren. Zu schlechten Bedingungen würden Stephan und
Christoph ihr Unternehmen nicht verkaufen.
10.9  Fallstudie: LiberoVision und Vizrt 353

Vizrt
Bei dem zweiten Interessenten handelt es sich um Vizrt (sprich: „Wizard T“), einem Medi-
enkonzern aus Norwegen mit weltweiten Niederlassungen, der an der Osloer Börse notiert
war. Der Konzern erwirtschaftete im Jahr 2009 mit circa 500 Mitarbeitenden einen Umsatz
von 85,6 Millionen USD. Im Jahr 2014 erzielte Vizrt mit ca. 600 Mitarbeitenden einen
Umsatz von 141,5 Millionen USD.
Zu den Kunden von Vizrt gehören Sender aus Europa, den USA, Asien und Südamerika
(z. B. BBC, CNN, ZDF), die Vizrt mit Software für die Videobearbeitung oder mit 3D-
Animationen für den Fernsehbereich beliefert. Mit dem Kauf von LiberoVision würde Vizrt
sein Produktportfolio weiter abrunden können und den Bereich Sport verstärken.
Stephan und Christoph hatten das Unternehmen Vizrt bereits im 2008 auf einer Messe
kennengelernt und erste Kontakte geknüpft. Im April 2010 kam der CEO des Unternehmens
dann zum ersten Mal zu LiberoVision nach Zürich, um sich ein eigenes Bild von dem Un-
ternehmen zu machen. Neben den beiden konkreten Interessenten gab es eine ganz Reihe
weiterer potenzieller Kandidaten, die als strategische Partner oder Käufer infrage kamen.
Der Start-up-Blog startwerk.ch berichtete über den Abschluss des Einstiegs von Vizrt
wie folgt: „Grund zur Feier im Technopark: Das vierjährige Startup LiberoVision ist unter
die Haube gekommen. Wie das Zürcher ETH-Spinoff und der Mediendienstleister Vizrt
bekannt gegeben haben, übernimmt dieser LiberoVision für eine Summe von 10 Mio.
Franken.“ „Laut dem skandinavischen Unternehmen soll die Übernahme in drei Schritten
vor sich gehen: 60 Prozent der Anteile (Wert 6 Mio. Franken) werden per sofort übernom-
men. Dazu gehört auch ein möglicher Bonus: Dieser Betrag wird nämlich um ein weitere
Million erhöht, sofern es LiberoVision gelingt, ein EBIT von über einer Million Franken
für 2010 auszuweisen. Die verbleibenden 40 Prozent des Übernahmepreises werden in
zwei weiteren Tranchen geleistet, jeweils bei Einreichung der Gewinnrechnung für 2011
und 2012. Die Übernahmesumme wird zu 80 Prozent in Cash und zu 20 Prozent in Akti-
enanteilen von Vizrt geleistet. Für die Gründer ist es kein Exit, sie wollen bis auf weiteres
beim Unternehmen bleiben“ [18].
Stephan und Christoph sind denn auch tatsächlich bis heute im Unternehmen verblieben.
Stephan ist seit Januar 2013 der „Executive Vice President Sports“ bei Vizrt und Christoph
der „Head of R&D Switzerland“ von Vizrt (Stand: 01.05.2015).

Fragen zur Fallstudie


Stellen Sie sich vor, Sie sind in Stephans und Christophs Situation:
1. Welche Bewertungsansätze kommen grundsätzlich infrage, um den Wert von Li-
beroVision zu bestimmen? Für welches Verfahren würden Sie sich entscheiden? Zu
welchem Mindestpreis würden Sie Ihr Unternehmen verkaufen? Mit welcher Me-
thode wurde der tatsächliche Verkaufspreis ermittelt?
2. Was müsste der Käufer Ihnen und Ihren Mitarbeitenden über die Verkaufssumme
hinaus noch anbieten, damit Sie Interesse hätten zu verkaufen?
354 10  Wachstum und Exit

3. Formulieren Sie ein „Termsheet“, in dem die wesentlichen Punkte für die Übernah-
me von LiberoVision enthalten sind.
4. Nehmen Sie an, dass Sie sich gegen den Verkauf von LiberoVision an einen stra-
tegischen Partner entscheiden. Dennoch wollen Sie das Unternehmen verkaufen.
Welche weiteren Exit-Optionen würden Sie in Betracht ziehen?
5. Nehmen Sie an, dass Sie sich nun doch gegen einen Unternehmensverkauf entschei-
den: Welche Wachstumsoptionen kommen infrage?

Diskussionsfragen
1. Warum sind einige Unternehmer nicht daran interessiert, dass ihr Unternehmen
wächst?
2. Was unterscheidet die zwei näher beschriebenen Theorien des Wandels (Lebens-
zyklus, Evolution) hinsichtlich der betrachteten Subjekte und der eingenommenen
Perspektive?
3. Was sind die Schwachstellen der Lebenszyklustheorie?
4. Wieso stellen das Wachstum und die damit verbundenen Anpassungen einen Grün-
der als Geschäftsführer des Unternehmens vor besondere Herausforderungen?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Wickham, P. (1998). Strategic entrepreneurship – A decision making approach to new venture
creation and management. London: Pitman Publishing.
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18 http://www.startwerk.ch/2010/11/24/liberovision-uebernahme-fuer-10-millionen-perfekt/, Zu-
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Weiterführende Literatur
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W. Kohlhammer.
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professionally managed firm. San Francisco: Jossey-Bass.
Social Entrepreneurship
11

11
Susan Müller, Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Sozialunternehmer gründen Organisationen, um ein soziales oder ökologisches Pro-
blem zu mildern oder zu lösen. Typische Problemstellungen, die von den sogenannten
Social Entrepreneurs bearbeitet werden, sind die Bekämpfung von Armut oder Ar-
beitslosigkeit, die medizinische Grundversorgung oder die Integration marginalisierter
Gruppen. Das Kapitel gibt einen Überblick darüber, was man unter „Social Entrepre-
neurship“ versteht und wie sich Social Entrepreneurship von anderen Konzepten wie
Corporate Social Responsibility oder Non-Profit-Organisationen abgrenzen lässt. Das
Konzept „Social Business“, das stark von Muhammad Yunus – Gründer der Mikro-
kreditbank Grameen und Friedensnobelpreisträger – geprägt wurde, wird ausführlich
vorgestellt. Zudem wird die Rolle des Social Entrepreneurs in der Gesellschaft dis-
kutiert. Potenzielle Social Entrepreneurs, aber auch kommerzielle Unternehmen und
Non-Profit-Organisationen finden Hinweise auf mögliche sozialunternehmerische Ge-
legenheiten sowie Unterstützungsmöglichkeiten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_11 357
358 11  Social Entrepreneurship

Lernziele
•• Sie können erklären, inwiefern sich „Social Entrepreneurship“ von „traditionel-
lem“ oder „kommerziellem“ Unternehmertum unterscheidet.
•• Sie können erklären, weshalb in unserem derzeitigen ökonomischen System
grundlegende soziale und ökologische Probleme ungelöst bleiben.
•• Sie sind in der Lage, das Potenzial von Social Entrepreneurship für die Lösung
gesellschaftlicher Probleme einzuschätzen.
•• Sie sind in der Lage, Betätigungsfelder und Geschäftschancen für Social Entre-
preneurs zu nennen.
•• Sie kennen verschiedene Schlüsselprinzipien, die Social Entrepreneurs für die
Lösung gesellschaftlicher Probleme einsetzen.

11.1 Begriffserklärungen

77 Social Entrepreneurship:  Ansatz zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen auf un-

ternehmerische Art und Weise. Im Unterschied zu „kommerziellem“ oder „traditionellem“


Unternehmertum, das primär finanzielle Ziele wie die Steigerung des Profits und des Unter-
nehmenswertes verfolgt, gründen Social Entrepreneurs Organisationen mit dem primären Ziel,
gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Unbenommen ist jedoch, dass auch viele KMU und
Großunternehmen soziale Aspekte beachten und gesellschaftlichen Mehrwert stiften. Soziale
Unternehmen setzen jedoch die Schaffung gesellschaftlichen Nutzens an die erste Stelle.

77 Social Entrepreneur:  Unternehmer, der eine Organisation gründet, um ein soziales oder

ökologisches Problem zu adressieren. Social Entrepreneurs arbeiten u. a. daran, menschli-


che Grundbedürfnisse, die von den bestehenden ökonomischen oder sozialen Institutionen
in dem jeweiligen Kontext nicht (ausreichend) beachtet werden [1], zu mildern oder zu
lösen. Typische Problemstellungen, die von Social Entrepreneurs bearbeitet werden, sind
die Bekämpfung von Armut, die medizinische Grundversorgung, die Bekämpfung von
Arbeitslosigkeit, die Erhöhung von Bildungschancen und die Bedürfnisbefriedigung von
marginalisierten Gruppen.

77 Social Business:  „Social Business“ kann als eine besondere Form des Social Entre-

preneurships betrachtet werden. Genau wie im Bereich Social Entrepreneurship arbeiten


Gründer eines Social Business an der Milderung gesellschaftlicher Probleme. Ein wichtiger
Unterschied zum Modell des Social Entrepreneurships ist jedoch, dass sie sehr bewusst auf
die Verwendung von Spenden verzichten. Sie entwickeln Ertragsmodelle, die es dem Unter-
nehmen ermöglichen, eigenständig zu wirtschaften. Werden Gewinne erwirtschaftet, wer-
den diese nicht ausgeschüttet, sondern in das Unternehmen reinvestiert. Laut Muhammad
11.2 Einführung 359

Yunus – dem wohl bekanntesten Social Entrepreneur und Verfechter des Social-Business-
Gedankens – zeichnen sich Social Businesses durch die folgenden drei Kennzeichen aus:
Sie erwirtschaften Gewinne („non-loss“), sie schütten keine Gewinne an Anteilseigner aus
(„non-dividend“), und das Verfolgen eines sozialen Ziels steht an oberster Stelle („social
objective“) [2].

11.2 Einführung

77 Laut Milton Friedman besteht die soziale Verantwortung eines Unternehmers


darin, seinen Profit zu erhöhen.

Im September 1970 schrieb Milton Friedman, Ökonom und späterer Träger des Nobelprei-
ses für Wirtschaftswissenschaften im „New York Times Magazine“: „Die soziale Verant-
wortung eines Unternehmens besteht darin, seinen Profit zu erhöhen“ [3]. Die Idee: Wenn
alle Marktteilnehmer ihr Eigeninteresse verfolgen und nach Wohlstand streben, sorgt die
unsichtbare Hand des Marktes, die bereits von Adam Smith erwähnt wird, dafür, dass der
Wohlstand der Gesellschaft maximiert wird. Obwohl nur jeder seinen eigenen Güterbedarf
decken möchte, trägt das eigennützige Streben der Marktteilnehmer dazu bei, langfristig
das Wohl der gesamten Gesellschaft zu erhöhen.
In der Tat, in freien Marktwirtschaften konnten viele Probleme gelöst und Millionen
Menschen aus der Armut befreit werden. Wirtschaftswachstum führte für viele zu Wohl-
stand. Wer sich aber die Lebens- und Einkommenssituation der Weltbevölkerung ansieht,
muss zu dem Schluss kommen, dass längst nicht alle Probleme gelöst sind und viele Pro-
bleme gerade durch die Maximierung von persönlichen Interessen und Interessen von
Unternehmen und deren Anteilseignern geschaffen wurden. So kann ein „traditioneller“
Entrepreneur seinen Firmenwert steigern, gleichzeitig aber der Umwelt schaden. Er kann
seinen Umsatz mit dem Abbau von Rohstoffen erhöhen, die unwiederbringlich verbraucht
wurden und zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen werden.
Die Konzentration der Unternehmen auf Gewinnmaximierung und die Steigerung des
Shareholder Values gehen häufig auf Kosten von Mensch und Natur. Die Gründe hierfür:
Externe Effekte wie Umweltverschmutzung fließen nur bedingt in die Aufwände der Un-
ternehmen mit ein. Und da, laut Milton Friedmann und anderen Vertretern neoliberaler
Strömungen, jeder Marktakteur zum Wohle aller beiträgt, wenn er denn nur im Eigeninte-
resse handelt, können Entscheidungen scheinbar ohne die Berücksichtigung moralischer
und ethischer Überlegungen getroffen werden.
Das ökonomische System hat damit sein Versprechen, dem Wohle aller zu dienen,
nur bedingt erfüllt. Die Schäden für Umwelt (z. B. Klimawandel, verseuchte Böden) und
Mensch (Ausnutzung von Arbeitnehmern) sind unübersehbar. Noch immer leben viele
Menschen in Armut, und das derzeitige ökonomische System sorgt zunehmend dafür, dass
sich der Wohlstand der Welt auf einige wenige konzentriert.
360 11  Social Entrepreneurship

77 Der Glaube an den globalen Markt, der allen nutzt, ist für Peter Ulrich die letzte
Großideologie unserer Zeit.

Dennoch, der Glaube an den globalen Markt, der irgendwie und zu guter Letzt allen Markt-
teilnehmern nützt, scheint noch immer zu überwiegen. Für Peter Ulrich, Professor Emeritus
für Unternehmensethik an der Universität St. Gallen, ist dies die letzte Großideologie unse-
rer Zeit. Mit der „Sachlogik des Marktes“ rechtfertigen wir das, was angeblich notwendig
ist, um z. B. angesichts der Konkurrenz aus dem Ausland mithalten zu können, auch wenn
es unserem intuitiven Verständnis von Anständigkeit und einem guten Leben zuwiderläuft
[4]. Social Entrepreneurship macht deutlich, dass es auch eine andere Art von Wirtschaft
geben kann; eine, die den Menschen nützt.

11.3 Was versteht man unter Social Entrepreneurship?

Auch wenn es unterschiedliche Definitionen von Social Entrepreneurship gibt, die meisten
Definitionen gehen davon aus, dass an erster Stelle die Lösung eines gesellschaftlichen
Problems mit unternehmerischen Mitteln steht. Social Entrepreneurs versuchen, mithilfe
von innovativen Geschäftsmodellen gesellschaftliche Probleme zu mildern oder zu lösen.
Sie schaffen „social wealth“, also gesellschaftlichen Wohlstand.
Der Begriff „social wealth“ wird auch von Zahra et al. in den Vordergrund gestellt.
Die Wissenschaftler haben in einer Studie 20 unterschiedliche Definitionen und Beschrei­
bungen von „Social Entrepreneurship“ und „Social Entrepreneurs“ zusammengetragen,
um zu einer einheitlichen Definition zu gelangen, und definieren nach Auswertung der
Definitionen „Social Entrepreneurship“ wie folgt:

77 „Social entrepreneurship encompasses the activities and processes undertaken to dis-


cover, define, and exploit opportunities in order to enhance social wealth by creating new
ventures or managing existing organizations in an innovative manner.“ [5]

Was ist nun aber der Unterschied zu traditionellen Unternehmern? Engagieren diese sich
nicht auch häufig zum Wohle der Gesellschaft und schaffen sozialen Nutzen? In der Tat:
Viele Unternehmen, sowohl KMU als auch Großunternehmen, engagieren sich in der Ge-
sellschaft. Manche von ihnen machen ihr Engagement in der Öffentlichkeit und gegenüber
ihren Kunden und Partnern publik, andere nicht.

77 Für Social Entrepreneurs hat die Schaffung gesellschaftlichen Nutzens oberste


Priorität.

Der Unterschied liegt jedoch darin, ob gesellschaftliche oder finanzielle Ziele im Vorder-
grund stehen. Für Social Entrepreneurs stehen klar gesellschaftliche Ziele im Vordergrund,
die Generierung von Einnahmen ist für sie Mittel zum Zweck, um dauerhaft und selbst-
11.3  Was versteht man unter Social Entrepreneurship? 361

Wirtschaftsunternehmen

Gesellschaftliche Ziele
Finanzielle Ziele

Social Entrepreneurship

Wirtschafts-
Profit- Wirtschafts- unternehmen Social Social Non-Profit-
maximierendes unternehmen mit sozialuntern. Business Enterprise Organisation
Unternehmen mit CSR Geschäfts-
modell

Beispiele: Ford Deutsche The Body Grameen Dialog im Caritas


Post Shop Danone Dunkeln
Joghurt

Abb. 11.1  Unterscheidung von Organisationen aufgrund ihrer Zielsetzung

ständig agieren zu können. Bei kommerziell orientierten Unternehmen stehen finanzielle


Ziele im Vordergrund.
Betrachtet man die Social-Entrepreneurship-Landschaft und die Landschaft an Wirt-
schaftsunternehmen genauer, wird deutlich, dass es viele Abstufungen und Kombinationen
geben kann, um gesellschaftliche und finanzielle Ziele in unterschiedlichen Abstufungen
zu verfolgen (siehe Abb. 11.1).
Im Folgenden werden die Elemente von Abb. 11.1 von links nach rechts erläutert: Bei
den Wirtschaftsunternehmen lassen sich die folgenden drei Typen von Unternehmen un-
terscheiden.

• Profit-maximierende Unternehmen: Hierbei handelt es sich um „traditionelle“ oder


„kommerzielle“ Unternehmen, deren Fokus auf der Profit-Maximierung für ihre
Anteilseigner liegt. Handelt es sich um Aktiengesellschaften im Streubesitz, ist häufig
eine besonders ausgeprägte Fokussierung auf finanzielle Ziele zu beobachten. Eigen-
tümergeführte Unternehmen sind dagegen freier in der Entscheidung, in welchem
Maße sie auf Gewinn verzichten, um dafür ökologische oder soziale Aspekte zu
beachten.
• Wirtschaftsunternehmen mit CSR: Hiermit sind Unternehmen gemeint, die gesell-
schaftliche Verantwortung übernehmen und sich z. B. im Rahmen von „Corporate
Social Responsibility“ (CSR)-Aktivitäten mit Spenden, Sponsoring-Aktivitäten oder
Volunteering-Programmen für ökologische oder soziale Zwecke engagieren. So ist
beispielsweise die Deutsche Post eine strategische Partnerschaft mit den Vereinten
Nationen eingegangen. Bei Katastrophen stellt die Deutsche Post im Rahmen ihres
GoHelp-Programms die logistischen Kompetenzen der Organisation und seiner Mitar-
362 11  Social Entrepreneurship

beitenden zur Verfügung und sorgt z. B. dafür, dass Hilfsgüter auch tatsächlich ihren
Bestimmungsort erreichen.
• Wirtschaftsunternehmen mit sozialunternehmerischem Geschäftsmodell: Diese
Unternehmen gehen einen Schritt weiter. Sie integrieren gesellschaftliche Aspekte in
ihr Kerngeschäft. So wurde beispielsweise The Body Shop gegründet, um Kosmetika
umweltfreundlich und ohne Tierversuche herzustellen. Bioläden wie Alnatura ver-
treiben ausschließlich Biolebensmittel. Diese Konzepte überschneiden sich teilweise
bereits mit der Idee des „Social Entrepreneurships“.

Bei den Organisationen, die unter dem Begriff „Social Entrepreneurship“ zusammengefasst
werden, können wiederum drei Typen unterschieden werden.

• Social Business: Der Begriff des „Social Business“ wurde stark von Muhammad
Yunus geprägt, dem Friedensnobelpreisträger und Begründer der Mikrofinanzbe-
wegung. Ihm ist es wichtig, dass ein Social Business die Lösung eines gesellschaft-
lichen Problems als oberste Priorität ansieht. Die finanzielle Unabhängigkeit eines
Social Business stellt für Muhammad Yunus eine wichtige Komponente dar. Die
Erwirtschaftung von Gewinnen ist wichtig, um von Spenden unabhängig zu sein,
um Liquiditätsengpässe ausgleichen zu können und zu expandieren, es soll aber nie
auf finanzielle Ziele hin maximiert werden. Stattdessen soll sich das Unternehmen
ausschließlich auf die Bewältigung des sozialen Problems konzentrieren. Zusam-
menfassend muss ein „Social Business“ nach Yunus drei Kriterien erfüllen: Es
erwirtschaftet Gewinne („non-loss“), es schüttet keine Gewinne an Anteilseigner
aus („non-dividend“) und das Verfolgen eines sozialen Ziels steht an oberster Stelle
(„social objective“) [2].
• Social Enterprise: Auch ein Social Enterprise wird mit dem Ziel gegründet, gesell-
schaftlichen Nutzen zu stiften. Die Bezeichnung Social Enterprise wird jedoch häufig
großzügiger verwendet als der Begriff „Social Business“ – gerade in Bezug auf das
Ertragsmodell. Als Social Enterprise gelten auch Unternehmen, die sich teilweise aus
Spenden oder staatlichen Zuwendungen finanzieren. Ein „Finanzierungsmix“ aus am
Markt erwirtschafteten Erträgen und Spenden, staatlichen Zuwendungen, Stiftungs-
geldern oder Ähnlichem ist – zumindest in Deutschland – auch eher die Regel als die
Ausnahme. Zudem gelten Social Enterprises als innovative Organisationen.
• Non-Profit-Organisationen (NPO): Non-Profit-Organisationen verfolgen ebenfalls
keine wirtschaftlichen Gewinnziele. Stattdessen verfolgen sie soziale, ökologische,
kulturelle oder wissenschaftliche Ziele. Sie sind im Bereich der Sozialen Arbeit, in
der Politik, der Entwicklungszusammenarbeit, der Katastrophenhilfe und vielen an-
deren Bereichen tätig. Dabei unterscheidet man zwischen NPOs, die Dienstleistungen
für Dritte erbringen (Fremdleistungs-NPO), und Mitgliedervereinigungen, die Leis-
tungen für die jeweiligen Mitglieder erbringen (Mitgliedervereinigung). Die Finan-
zierung besteht häufig aus verschiedenen Einnahmequellen und kann z. B. Mitglieder-
beiträge, Spenden, am Markt erwirtschaftete Gelder oder öffentliche Gelder enthalten.
11.4  Entstehung von Social Entrepreneurship 363

Öffentliche Gelder erhalten NPOs, wenn sie Aufgaben für den Staat übernehmen.
Beispiele hierfür sind die großen Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie oder das
Deutsche Rote Kreuz. Sie unterhalten beispielsweise Kindergärten, Rettungsdienste,
Krankenhäuser oder Behindertentransporte und bekommen staatliche Gelder, um
diesen Aufgaben nachzukommen. Im Unterschied zu Social Enterprises oder Social
Businesses werden klassische NPOs oft als weniger marktnah und innovativ angese-
hen – was jedoch mitnichten der Fall sein muss.

11.4 Entstehung von Social Entrepreneurship

11.4.1 Bedeutung und Verbreitung von Social Entrepreneurship

Auch wenn die Idee „Social Entrepreneurship“ nicht neu ist: Einer größeren Öffentlichkeit
wurde das Konzept erst bekannt, als mit Muhammad Yunus 2006 ein Sozialunternehmer
den Friedensnobelpreis erhielt. Die Grameen Bank, die Muhammad Yunus 1976 gegründet
hat, konnte seit ihrer Gründung Millionen Menschen, zumeist Frauen, Kleinkredite gewäh-
ren. Menschen, die bis dato als Kreditnehmer nicht in Erscheinung treten konnten aus dem
einfachen Grund, weil sie keine Sicherheiten zu bieten haben. Muhammad Yunus machte
jedoch die Erfahrung, dass Menschen, die sich aus den Zwängen von Geldverleihern, die
horrende Zinsen verleihen, befreien konnten, damit in die Lage versetzt wurden, einen
neuen Anfang zu wagen und durchaus in der Lage waren, die Kredite wieder zurückzu-
zahlen. Die Grammen Bank hat eine Rückzahlungsquote von über 97 %. Mit seiner Idee
hat Muhammad Yunus weltweit zur Verbreitung der Mikrokreditbewegung beigetragen.
Ganz unproblematisch ist jedoch auch dieser Ansatz nicht. Wer Frauen in Bangladesch
einen Kredit gibt, verändert die Machtstruktur in den Familien, was zu Konflikten führen
kann. Zudem gibt es Frauen, die mit ihren Schulden nicht zurechtkommen und unter Druck
geraten, wenn sie ihren Tilgungen nicht nachkommen können. Die Grameen Bank nimmt
explizit Rücksicht darauf, wenn Kreditnehmer beispielsweise aufgrund einer Überschwem-
mung ihre Raten nicht bezahlen können. Viele andere Banken tun dies jedoch nicht. Trotz
aller Kritik: Im Kampf gegen die Armut und im Vergleich zu anderen Alternativen scheint
die Vergabe von Mikrokrediten eine gute Lösung zu sein, um Menschen auf Augenhöhe
die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu helfen.
Das Beispiel der Grameen Bank zeigt, dass Unternehmen, die nicht profitorientiert
sind, sehr effizient arbeiten können und eine große Wirkung haben können. Sie verändern
Lebenswirklichkeiten von Menschen und zeigen, dass unternehmerisches Denken nicht
im Widerspruch zur Lösung sozialer Missstände steht. Ist Social Entrepreneurship jedoch
nur eine Ausnahmeerscheinung? Mitnichten. Zwar ist das Konzept noch weit davon ent-
fernt, zum „Mainstream“ zu gehören, aber Social Entrepreneurs, die ihre unternehmerische
Energie in Unternehmen stecken, die gesellschaftlichen Nutzen stiften, gibt es immer mehr.
Sie kämpfen gegen Armut und für Chancengleichheit. Sie versorgen Menschen mit not-
wenigen Medikamenten. Sie produzieren Produkte umweltfreundlicher als „traditionelle“
364 11  Social Entrepreneurship

Unternehmen. Sie „wildern“ in den (bisherigen) Hoheitsgebieten traditioneller NGOs,


Hilfsorganisationen oder Regierungen.
In Großbritannien sind gemäß dem Global Entrepreneurship Monitor derzeit 1,2 Mil-
lionen Menschen in einer Organisation involviert, die jünger als 42 Monate ist und eine
soziale Orientierung innehat. Das sind 3,2 % der arbeitenden Bevölkerung. Die Gesamtzahl
der Unternehmen, die sich in der Gründungsphase befindet (< 42 Monate) ist doppelt so
hoch. Damit wäre das Phänomen „Social Entrepreneurship“, zumindest in Großbritannien,
bereits ebenso bedeutsam wie traditionelles Unternehmertum. Auch wenn die Definition,
die bei der zugrunde liegenden Studie genutzt wurde, nicht nur lupenreine „Social Entre-
preneurs“ umfasst, sondern auch kleinere soziale und ehrenamtliche Projekte und Initia-
tiven einschließt, gibt die Zahl doch einen Hinweis darauf, wie bedeutend dieser Sektor
geworden ist [6].

77 Die Art und Weise, wie „Wirtschaft“ funktioniert, lässt sich gestalten.

Aber vielleicht ist die Frage, wie groß der Anteil von Sozialunternehmen momentan ist,
nicht entscheidend. Vielleicht ist es viel wichtiger zu fragen, ob es Sozialunternehmen
braucht und falls ja, welche gesellschaftlichen Probleme sich damit lösen ließen. Die
Frage ist, was sein könnte. Die Frage ist, ob Sozialunternehmen eine sinnvolle Ergän-
zung des derzeitigen ökonomischen Systems darstellen. Wir sollten nicht vergessen, dass
Wirtschaft etwas ist, das sich gestalten lässt. Das scheint mitunter in Vergessenheit zu
geraten.
Soziales Unternehmertum ist kein Allheilmittel und Social Entrepreneurs alleine werden
die Probleme unserer Zeit nicht lösen können. Dazu braucht es ein sinnvolles Zusammen-
spiel aller gesellschaftlichen und ökonomischen Akteure wie traditionelle Unternehmer,
NGOs, Regierungen und staatenübergreifender Organisationen. Dennoch können Social
Entrepreneurs in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer humaneren Wirt-
schaft spielen.
Wirft man einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Themas Social Entrepre-
neurship, so fällt auf, dass der Begriff bereits in den 1980er-Jahren aufgetaucht ist. In das
Bewusstsein und die öffentliche Diskussion gerückt ist die Diskussion jedoch erst in den
letzten Jahren. Woran liegt das zunehmende Interesse an dem Konzept? Zu nennen sind
unter anderem die folgenden Gründe:

• Kapitalismuskritik: Die zunehmende Skepsis gegenüber einem Kapitalismus, der als


Leitbild einer Nutzenmaximierung folgt und in großem Stil die Zerstörung unserer ei-
genen Lebensgrundlage in Kauf nimmt, ist sicherlich ein Grund, sich nach Alternati-
ven bzw. Ergänzungen zum derzeitigen ökonomischen System umzuschauen. Wenn es
um das Abwägen von Arbeitsplätzen und Umwelt (wobei der Begriff „Arbeitsplätze“
wahlweise durch „Wettbewerbsfähigkeit“ ersetzt werden kann) geht, gewinnen immer
die Arbeitsplätze. Die Entlastung energieintensiver Betriebe von der Ökosteuer, wie
dies in Deutschland durchgesetzt wurde, zeigt dies einmal mehr.
11.4  Entstehung von Social Entrepreneurship 365

• Kritik an „klassischer Entwicklungshilfe“: Die Kritik an der klassischen Entwick-


lungshilfe nimmt zu. So mahnt die aus Afrika stammende afrikanische Ökonomin
Dambisa Moyo in ihrem Buch „Dead Aid“ [7], dass die finanziellen Hilfen des
reichen Nordens, die von Regierung zu Regierung transferiert werden (Government-
to-Government-Aid), die afrikanische Bevölkerungen letztlich nur arm und abhängig
machen sowie die Korruption verstärken. Stattdessen sollte Hilfe über Investitionen
oder die Förderung von KMU stattfinden (z. B. über Mikrokredite). In die gleiche
Richtung geht auch der „Bonner Aufruf“, eine Initiative deutscher Entwicklungsfach-
leute, die von einem Versagen der bisherigen Entwicklungspolitik sprechen und eine
radikale Neuorientierung fordern. Sowohl Dambisa Moyo als auch der Bonner Aufruf
haben jedoch Gegenstimmen hervorgerufen.
• Finanzkrise: Die Finanzkrise hat gezeigt, dass eine einseitige Ausrichtung der Wirt-
schaft auf finanzielle Ziele dazu führt, dass Marktakteure bereit sind, unüberschau-
bare Risiken einzugehen, für die im Zweifelsfall nicht die betreffenden Unternehmen
einstehen wollen (oder können), sondern die Allgemeinheit.

77 Eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Social


Entrepreneurship erfolgt auch im deutschsprachigen Raum.

Das Interesse an Social Entrepreneurship hat in den letzten Jahren auch in Lehre und
Forschung an Bedeutung gewonnen. Damit einhergehend wurden auch entsprechende For-
schungs- und Förderinstitutionen sowie Kursangebote und Kongresse, gerade an amerika-
nischen Universitäten, für Social Entrepreneurship gegründet [8].

11.4.2 Unterstützungsmöglichkeiten

Eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Sozialunternehmen spielen die Organisati-
onen Ashoka sowie die Schwab Foundation for Social Entrepreneurs.

77 Ashoka fördert Social Entrepreneure mit einem umfassenden Unterstützungs-


angebot.

Ashoka wurde 1980 von Bill Drayton, einem ehemaligen McKinsey-Berater, in den USA
gegründet. Die Organisation gilt als die erste und größte internationale Non-Profit-Orga-
nisation zur Förderung von Social Entrepreneurship. Ashoka ist inzwischen in mehr als
70 Ländern vertreten. Zentraler Gedanke von Ashoka ist nicht die Förderung der Projekte,
sondern der Köpfe, die dahinterstecken. „Wir investieren nicht […] in Organisationen,
sondern in Menschen, […] in Changemaker, die beseelt sind von einer Idee und diese – wie
richtige Unternehmer – mit aller Macht in die Praxis umsetzen“, so das Credo des Grün-
ders Bill Drayton [9]. Felix Oldenburg, Hauptgeschäftsführer von Ashoka Deutschland,
formuliert das so: „Wir suchen Weltverbesserer mit einem Businessplan.“ Dies geschieht
366 11  Social Entrepreneurship

über das Prinzip der gezielten Unterstützung innerhalb eines umfassenden Netzwerks von
sorgfältig ausgewählten Kandidaten, den sogenannten Fellows. Ashoka hat bislang weltweit
über 3000 Fellows in 70 verschiedenen Ländern unterstützt [10]; und das mit nachhaltigem
Erfolg: 94 % der Fellows arbeiten auch nach der dreijährigen Förderungsphase noch aktiv
an der Verbreitung ihrer Idee, 93 % verbreiten ihren Ansatz national oder international,
manchen von ihnen gelang es, ihre Idee unabhängig von ihrer Person zu etablieren, 56 %
beeinflussen mit ihren Lösungen den Inhalt von Politik oder Gesetzgebung [11].

77 Die Schwab Foundation for Social Entrepreneurs zeichnet jedes Jahr 20 bis
25 Social Entrepreneurs aus.

Die Schwab Foundation for Social Entrepreneurs fördert ebenfalls gezielt Social Entre-
preneurship. Jedes Jahr werden 20 bis 25 Social Entrepreneurs ausgewählt und ausge-
zeichnet. Mit der Auszeichnung erhalten sie Zugang zum internationalen Netzwerk der
Schwab Foundation. Unter anderem erhalten ausgewählte Social Entrepreneurs Zugang
zum Weltwirtschaftsforum im Davos, um so den Gedanken des Social Entrepreneurships
auch in der traditionellen Wirtschaft sowie bei politischen Entscheidungsträgern bekannt
zu machen. Bisher wurden weltweit mehr als 260 Sozialunternehmer aus allen Kontinenten
ausgezeichnet [12].
Neben Organisationen, die Social Entrepreneurs unterstützen, verbessert sich auch der
Zugang zu Kapital. Gerade in den USA unterstützen private Spender und Philanthropen in-
novative Social-Entrepreneurship-Projekte. In den letzten Jahren sind zudem entsprechend
ausgerichtete Venture-Capital-Fonds eingerichtet worden.

11.4.3 Chancen für „traditionelle“ Unternehmen

Die Zusammenarbeit von Social Entrepreneurs und traditionellen Unternehmen kann


äußerst wirkungsvolle Partnerschaften hervorbringen. Social Entrepreneurs sind häufig
gut darin, Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken und zu entwickeln sowie sogenannte
„Grassroot-Aktivitäten“ ins Leben zu rufen [13]. Etablierte Unternehmen haben dagegen
Ressourcen und Infrastrukturen, um die Ideen zu verbreiten und in die Fläche zu bringen.
Folgende Beispiele zeigen exemplarisch, wie solche Partnerschaften aussehen können:

• Specialisterne und SAP: Thorkil Sonne gründete 2004 das Informatikunternehmen


Specialisterne, das für seine Kunden unter anderem IT-Aufgaben wie Software-Tests,
Datenerfassung, Qualitätssicherungen oder Dokumentationen durchführt. Das dänische
Unternehmen beschäftigt Menschen mit Autismus und nutzt deren charakteristische
Fähigkeiten als Wettbewerbsvorteil. Häufig verfügen Menschen mit Autismus über
eine sehr hohe Konzentrationsfähigkeit sowie über eine Vorliebe für Detailtreue und
eine strukturierte Arbeitsweise. Diese Fähigkeiten können die Mitarbeiter bei Specia-
listerne einsetzen. Im „normalen“ Arbeitsmarkt finden Menschen mit Autismus häufig
11.4  Entstehung von Social Entrepreneurship 367

keine Anstellung, weil dort Fähigkeiten wie Teamfähigkeit, Empathie und Flexibilität
gefordert werden – also Eigenschaften, über die Menschen mit Autismus gerade nicht
verfügen. Specialisterne achtet darauf, dass die Arbeitsumgebung so gestaltet ist,
dass sie dem Ruhebedürfnis und den besonderen Kommunikationsbedürfnissen der
Mitarbeiter entgegenkommt. Das Softwareunternehmen SAP kooperiert mit Specia-
listerne. Bis 2020 sollen ein Prozent der rund 65.000 SAP-Mitarbeiter Menschen mit
autistischer Störung sein, die dann zu Softwaretestern und Programmierern ausgebildet
werden [14]. SAP möchte damit sicherlich auch einen Beitrag zur Integration leisten,
vor allem aber möchte das Softwareunternehmen talentierte Menschen einstellen, die
dem Unternehmen dabei helfen, auch weiterhin erfolgreich zu sein.
• Ana Bella Foundation und Danone: Ana Bella Estévez Jiménez de los Galanes war
zehn Jahre lange Opfer von häuslicher Gewalt, bevor sie es geschafft hat, mit ihren
Kindern ein neues Leben zu beginnen. Inzwischen hilft sie anderen Betroffenen. Im
Jahr 2006 gründete sie eine Stiftung mit dem Ziel, das sehr einseitige Bild der betrof-
fenen Frauen in Medien und Öffentlichkeit zu verändern. Anstatt Opfer zu zeigen,
zeigt sie starke Frauen; Überlebende, die nun einen neuen Abschnitt in ihrem Leben
beginnen. In der „Ana Bella Social School for Women Empowerment“ erhalten die
Frauen eine Ausbildung und können in Kooperation mit Danone in Spanien zu Mitar-
beiterinnen ausgebildet werden, die dann im Vertrieb und Verkauf für ein halbes Jahr
tätig sein können [15]. Das gibt den Frauen Selbstbewusstsein, sichert ihr Einkommen
in den ersten Monaten nach der Trennung und hilft ihnen, im Anschluss eine weitere
Anstellung zu finden.

11.4.4 Chancen für „traditionelle“ Non-Profit-Organisationen

Auch für traditionelle Non-Profit-Unternehmen (z. B. Wohlfahrtsverbände wie Caritas,


Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz) bietet Social Entrepreneurship vielversprechende Chan-
cen. Social Entrepreneurship gibt NPOs die Möglichkeit, den selbst erwirtschafteten Anteil
von Mitteln auszuweiten und neue Einkommensstrategien zu entwickeln, um ihre sozialen
Ziele zu verwirklichen. Dadurch werden die Organisationen unabhängiger von Spenden
und staatlicher Unterstützung und können so staatliche Kürzungen besser kompensieren.
Der Nutzen für Non-Profit-Institutionen wird somit durch den Einsatz unternehmerischer
Methoden und Instrumente sowie durch die Generierung neuer Einnahmequellen erzielt.
Ihre Existenzfähigkeit wird dadurch langfristig gesichert.
NPOs können jedoch auch mit Sozialunternehmern kooperieren und beispielsweise
mithelfen, Ideen, die von Sozialunternehmern entwickelt und bereits erfolgreich getes-
tet wurden, zu verbreiten. Die folgenden beiden Beispiele beschreiben, wie eine solche
Kooperation aussehen kann:

• Irrsinnig Menschlich: Mit dem Programm „Verrückt? Na und!“ setzt sich der Verein
Irrsinnig Menschlich bereits seit dem Jahr 2000 gegen Stigmatisierung, Ausgrenzung
368 11  Social Entrepreneurship

und Diskriminierung von Menschen mit seelischen Gesundheitsproblemen ein. Teams


aus Psychologen/Sozialarbeitern und (ehemaligen) Betroffenen führen eintägige
Workshops zum Thema seelische Gesundheit an Schulen durch. Sie geben damit dem
komplexen Thema ein Gesicht und Impulse zur Veränderung von Einstellungen und
Verhalten bei Schülern und Lehrkräften. Entwickelt wurde das Programm von dem
Verein Irrsinnig Menschlich, der seinen Sitz in Leipzig hat. In die Fläche gebracht
wird die Idee jedoch durch einen Social-Franchising-Ansatz: Soziale Einrichtungen –
und diese können auch zu existierenden großen oder kleinen Non-Profit-Unternehmen
gehören –, die sich mit psychischer Gesundheit beschäftigen und vor Ort aktiv sind,
werden als Kooperationspartner gewonnen. Es gibt bereits über 40 Regionalgruppen,
die in Deutschland, Tschechien, der Slowakei und demnächst auch in Österreich aktiv
sind [[16], S. 32].
• Wellcome: Ein weiteres Beispiel ist die wellcome gGmbH, die im Jahr 2002 ge-
gründet wurde. Sie unterstützt junge Familien in den ersten Wochen nach der Geburt
eines Kindes mit praktischer Hilfe. Dabei gehen Ehrenamtliche ein- bis zweimal pro
Woche zu den Familien und unterstützen diese für jeweils zwei bis drei Stunden.
Die Initiative wird ebenfalls als Social Franchise verbreitet. Insgesamt gibt es über
250 Wellcome-Teams, die meisten davon in Deutschland. Kooperationspartner sind
u. a. Gliederungen der Diakonie oder Bildungswerke [17]. Es sind jedoch immer Or-
ganisationen, die bereits Erfahrungen mit der Zielgruppe Familie haben.

11.5 Die Rolle des Social Entrepreneurs

„Social entrepreneurs are not content just to give a fish or teach how to fish. They will not rest
until they have revolutionized the fishing industry.“

Bill Drayton, CEO und Gründer von Ashoka

Zwar wird der „Homo oeconomicus“, der nutzenmaximierende Kunde, nach wie vor in den
Studien der Ökonomen herangezogen, in seiner Reinform wird man ihn in Wirklichkeit
aber selten oder nie antreffen.

77 Der „Homo oeconomicus“ in Reinform existiert nur in der Literatur.

Was motiviert Menschen, wenn nicht Geld? Studien haben gezeigt, dass Geld durchaus ein
motivierender Faktor sein kann. Vor allem dann, wenn es darum geht, Menschen bei der
Erledigung von Aufgaben anzutreiben, bei denen es um physische Leistungen geht (z. B.
Akkordarbeit), hilft Geld tatsächlich. Sobald jedoch geistige Leistungen oder Kreativität
gefragt sind, stellt Geld eher einen Hygienefaktor dar: Der Mitarbeitende muss sich fair
behandelt fühlen, sie oder er muss das Gefühl haben, dass die Vergütung angemessen
ist. Darüber hinaus motivieren vor allem drei Faktoren: Autonomie, Sinnhaftigkeit und
11.5  Die Rolle des Social Entrepreneurs 369

„Mastery“, also das Beherrschen einer Aufgabe oder eines Themas. Sind diese Faktoren
gewährleistet, sind Menschen motiviert und bereit, ihre Kreativität und ihre Ideen einzu-
bringen [18].
Es wird sich auch kaum ein eigentümergeführtes Unternehmen finden lassen, dessen
Besitzer Entscheidungen einzig und allein aufgrund von profitmaximierenden Überle-
gungen trifft. Da werden Mitarbeitende im Unternehmen gehalten, weil sie schon lange
bei der Firma sind, obwohl es vielleicht bessere auf dem Arbeitsmarkt gäbe. Da werden
Löhne über Tarif bezahlt und gesetzliche Standards nicht nur eingehalten, sondern überbo-
ten. Sicher, manchmal mag auch dieses Verhalten lediglich taktische Gründe haben (z. B.
Rechtfertigung eines Preispremiums); wir können uns aber sicher sein, dass immer wieder
die Überzeugungen und Wertvorstellungen des Gründers die Ursache für dieses Verhalten
darstellen. Homo oeconomicus? Weit gefehlt.
Auch für Social Entrepreneurs sind Werte und Sinnhaftigkeit von Bedeutung. Im Un-
terschied zu traditionellen Unternehmen stehen sie aber im Kern ihrer wirtschaftlichen
Tätigkeit. Kommen wir noch einmal auf die zentrale Figur in diesem Kontext zurück: Was
zeichnet nun einen Social Entrepreneur im Gegensatz zu einem klassischen Entrepreneur
aus? Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wo grenzt sich der Social Entrepreneur vom
Initiator eines sozialen Projektes ab?

77 Der Social Entrepreneur lässt sich als Change Agent charakterisieren.

Der Social Entrepreneur, hier herrscht Einigkeit, lässt sich in erster Linie als Change Agent
charakterisieren – als critical catalyst oder auch als „neue Spezies im Ökosystem“ [19].

77 Ein Social Entrepreneur ist innovativ, kreativ, unternehmerisch und integer.

Welche Eigenschaften muss nun ein Social Entrepreneur mitbringen, um ein solch ambiti-
oniertes Vorhaben wie sozialen Wandel anzustoßen und auch umzusetzen? Ashoka bringt
dies auf die Formel „innovativ, kreativ, unternehmerisch, integer“ und setzt bei der Auswahl
seiner Fellows auf folgende Kriterien (siehe Abb. 11.2).
Dees nennt in seiner Definition, die zu den meistzitierten zählt, fünf Kriterien, die einen
Social Entrepreneur auszeichnen [20]:

• Ein Social Entrepreneur richtet sein Handeln voll und ganz an der Schaffung sozialen
Mehrwerts aus: Der finanzielle Mehrwert rückt dabei in den Hintergrund. Zudem
sind Social Entrepreneurs an einer nachhaltig wirksamen und daher eher langsamen
Entwicklung interessiert.
• Ein Social Entrepreneur ist ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und
verfolgt die Umsetzung neuer Konzepte hartnäckig: Wo andere Probleme sehen, sieht
er Chancen. Seine besondere Leistung besteht darin, den blinden Fleck eingespielter
Normalität ausfindig zu machen und genau an den Stellen Chancen zu entdecken, die
andere bislang nicht wahrgenommen haben.
370 11  Social Entrepreneurship

Abb. 11.2  Auswahlkriterien von Ashoka (http://germany.ashoka.org.)

• Ein Social Entrepreneur etabliert einen Prozess der kontinuierlichen Innovation und
des Lernens: Konstitutive Merkmale des Social Entrepreneurs sind seine Kreativität
und Innovationskraft sowie die Unermüdlichkeit, Neuland zu betreten und Pionierar-
beit zu leisten. Die Innovation muss dabei nicht in der Idee selbst bestehen, sondern
kann auch darin liegen, eine bereits existierende Idee in einem neuen Kontext zur
Entfaltung zu bringen.
• Social Entrepreneurs handeln mutig und lassen sich nicht durch mangelnde Ressour-
cen von der Umsetzung ihrer Ideen abhalten: Sie sind darin geübt, ihr Vorhaben mit
wenigen Mitteln zu beginnen, und besonders talentiert darin, die notwendigen Res-
sourcen von anderen (Stiftungen, staatlichen Institutionen und Privatpersonen etc.) zu
akquirieren.
• Social Entrepreneurs haben ein stark ausgeprägtes Gefühl der Verantwortlichkeit
für die Gesellschaft und die sozialen Folgen ihres Handelns: Sie überprüfen ständig,
inwieweit durch ihr Handeln wirklich sozialer Mehrwert entsteht, und versuchen, die
Nöte und Werte derer zu verstehen, denen sie helfen wollen.

Unternehmerprofil: Dr. Frank Hoffmann von discovering hands®


Dr. Frank Hoffmann, praktizierender Frauenarzt aus Dortmund, fand die Brustkrebs-
vorsorge in Deutschland unzureichend. Für die Tastuntersuchung bleibt im Praxisalltag
oft wenig Zeit. Dabei ist die Früherkennung entscheidend: Je früher ein Knoten ent-
deckt wird, desto besser sind die Heilungschancen.
11.6 Geschäftschancen 371

Frank Hoffmann hatte die Idee, den hervorragend ausgeprägten Tastsinn von seh-
behinderten oder blinden Frauen zu nutzen, um Brustkrebs möglichst früh zu entde-
cken und Patientinnen mehr Sicherheit zu geben. Die Idee ist inzwischen Wirklichkeit
geworden: In 23 teilnehmenden Praxen (Stand Mai 2015) können sich Frauen einer
ca. 30-minütigen, strukturierten Tastuntersuchung unterziehen. Die Untersuchungen
werden von sehbehinderten oder blinden Frauen durchgeführt, die eine neunmonatige
Qualifikationsmaßnahme zur Medizinischen Tastuntersucherin (MTU) abgeschlossen
haben. Die Ausbildungsmaßnahme wurde ebenfalls von Frank Hoffmann initiiert und
gemeinsam mit Partnern entwickelt. Die Tastuntersucherinnen führen eine ärztliche
Hilfstätigkeit aus; die Verantwortung für das Ergebnis der Untersuchung wie auch die
Entscheidung, wie ein etwaiger Tastbefund im Folgenden abgeklärt werden soll, liegen
weiterhin beim Arzt. Im direkten Vergleich hat sich gezeigt, dass MTU mehr und deut-
lich kleinere Gewebeveränderungen ertasten können als Ärzte – ein entscheidender
Vorteil für die Patientinnen. discovering hands® stiftet aber auch Nutzen für sehbehin-
derte oder blinde Frauen, die nun im ersten Arbeitsmarkt tätig sein können [21, 22].

11.6 Geschäftschancen

Kinder, deren Bildungschancen von ihrer sozialen Herkunft abhängen. CO2-Werte, die
unsere Atmosphäre aufheizen und ganze Landstriche unter Wasser setzen. Vermeidbare und
heilbare Krankheiten, die Millionen von Menschen das Leben kosten. 805 Millionen Men-
schen, die nicht genug zu essen haben [23]. Fehlende Bildung, Klimawandel, mangelnde
medizinische Grundversorgung, Unterernährung, Armut – die Fakten sind erschreckend
und beschämend. Angesichts professioneller Entwicklungshilfe, engagierten Non-Profit-
Unternehmen und internationalen Organisationen, die sich der Probleme seit Jahrzehnten
annehmen, könnte man wahlweise ohnmächtig oder zynisch werden.

77 Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen für Social Entrepre-


neurs Geschäftschancen dar.

Für Social Entrepreneurs, die sich durch einen lösungsorientierten Pragmatismus auszeich-
nen, stellen jedoch genau diese Probleme unternehmerische Möglichkeiten dar. Sie haben
keine Scheu, die großen sozialen Probleme unserer Zeit anzugehen, um auf diese Weise
einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen, sei es im Bereich Bildung, Familie, Um-
weltschutz, Armutsbekämpfung, Integration oder Menschenrechte. Dabei beschränken sie
sich nicht auf lokales Engagement, sondern schaffen mit ihrer Weitsicht und ihrem unter-
nehmerischen Denken echte soziale Innovationen, die nicht selten weltweit aufgegriffen
und kopiert werden.
„Die Welt im Ungleichgewicht“ ist Ausgangspunkt vieler sozialer Projekte. Was an der
einen Stelle im Überfluss vorhanden ist, fehlt an der anderen. Das dachte sich 1963 auch
John van Hengel in Arizona: bedürftige Menschen flächenübergreifend und regelmäßig
mit übrig gebliebenen, aber dennoch tadellosen Nahrungsmitteln zu versorgen, die an-
372 11  Social Entrepreneurship

dernfalls im Abfall landen würden. Die Idee wurde in Deutschland durch die Organisation
„Die Tafeln“ bekannt. Die Deutschen Tafeln unterstützen regelmäßig ca. 1,5 Millionen
bedürftige Personen, eine Zahl, die in den letzten Jahren stetig gestiegen ist [24]. Weitere
Probleme und Lösungsansätze von Social Entrepreneurs werden in Tab. 11.1 exemplarisch
dargestellt.
Die Geschäftsmöglichkeiten von Social Entrepreneurs weisen Besonderheiten auf, weil
sie sich meistens im sozialen Sektor, auch bekannt unter dem Begriff „Dritter Sektor“,
befinden. Das Besondere am sozialen Sektor ist zum einen, dass der Kontext des Marktes

Tab. 11.1  Beispiele von Geschäftschancen von Social Entrepreneurs

Problem Social Enterprise, Lösungsansatz und Wirkung

Armut: Weltweit leben Grameen Bank


über eine Milliarde Mission: Die Welt von Armut befreien
Menschen in extremer Kurzbeschreibung der Lösung: Es werden Mikrokredite an
Armut. Arme – hauptsächlich Frauen – vergeben, die keine Sicherheiten
aufweisen können. Die Zinsen sind im Vergleich zu den Wucher-
zinsen, die in Entwicklungsländern häufig von Geldverleihern
angeboten werden, vergleichsweise niedriger. Die Kredite sollen
helfen, dass sich die Frauen eine eigene unternehmerische Exis-
tenz aufbauen können und mithelfen können, ihre Familien aus
der Armut zu befreien.
Wirkung: Die Grameen Bank hat derzeit (Stand Mai 2015) über
6,5 Millionen Mikrokredite vergeben [25].
Es gibt jedoch auch Kritik an der Vergabe von Mikrokredi-
ten: Zwar scheinen Mikrokredite dazu zu führen, dass es den
Menschen etwas besser geht, der Armut gänzlich zu entfliehen,
schaffen die meisten jedoch nicht. Zudem gibt es Fälle, bei denen
die Kredite eben nicht für den Aufbau einer unternehmerischen
Existenz genutzt wurden, sondern die Frauen das Geld stattdes-
sen an ihre Ehemänner abgeben mussten oder das Geld für die
Bezahlung einer Mitgift verwendet wurde [26].
Medizinische Child and Family Wellness Clinics, CFWclinics
Grundversorgung Mission: Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten und
nicht gewährleistet: medizinischer Grundversorgung für Kinder und Familien in Ent-
17.000 Kinder sterben wicklungsländern gewährleisten.
jeden Tag, weil sie kei- Kurzbeschreibung der Lösung: Ein Mikro-Franchise-Modell
nen Zugang zu Medizin wird genutzt, um kleine Apotheken und kleine Kliniken zu eröff-
haben, die weniger nen, die die wichtigsten Medikamente gegen die großen „Killer-
als eine Tasse Kaffee krankheiten“ wie Malaria oder Durchfallerkrankungen vorhalten.
kosten würde [27]. Die Kliniken bieten zudem eine primäre Gesundheitsversorgung
an. Franchisenehmer sind Community Health Workers bzw. aus-
gebildete Krankenschwestern.
Wirkung: 2014 konnte das Netzwerk einer halbe Million Patien-
ten, Kunden und Schulkindern – hauptsächlich in Kenia – helfen
[27].
11.6 Geschäftschancen 373

Tab. 11.1 (Fortsetzung)

Problem Social Enterprise, Lösungsansatz und Wirkung

Ungleiche Bildungs- START-Stiftung


chancen: Auch in Mission: Die Entwicklungschancen engagierter und leistungs-
entwickelten Län- starker Schüler mit Migrationshintergrund verbessern und damit
dern herrscht keine die Chance für eine Integration und Teilhabe an der Gesellschaft
Chancengleichheit im erhöhen.
Bereich Bildung. So Kurzbeschreibung der Lösung: Das Schülerstipendienpro-
hängt z. B. in Deutsch- gramm START unterstützt engagierte Jugendliche mit Migra-
land der Bildungserfolg tionshintergrund, durch ein Schülerstipendium eine höhere Schul-
im hohen Maße von der bildung zu erlangen. Das Stipendium beinhaltet eine monetäre
sozialen Herkunft ab. Förderung sowie eine ideelle Förderung durch Seminar, Work-
shops und Netzwerktreffen [[16], S. 19].
Wirkung: Ca. 1300 START-Stipendiaten haben bereits erfolg-
reich Abitur gemacht. Die Durchschnittsnote liegt bei 1,7 [28].
Energie: Ein Großteil Elektrizitätswerke Schönau (EWS)
der von uns verbrauch- Mission: Eine atomstromlose, klimafreundliche und bürgerei-
ten Energie wird nach gene Energieversorgung schaffen.
wie vor aus nicht Kurzbeschreibung der Lösung: Die EWS betreiben das Strom-
erneuerbaren Energien netz in Schönau und versorgen Stromkunden in ganz Deutschland
oder Atomstrom ge- mit atomstromlosem und klimafreundlichem Strom.
wonnen. Wirkung: Bundesweit erhalten ca. 150.000 Privathaushalte,
Gewerbebetriebe und Industrieunternehmen Strom von den EWS
Schönau [29].

einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Zum anderen ist der Markt beeinflusst von
formellen und informellen, sozialen und institutionellen Faktoren. Oftmals handelt es sich
um geografische Regionen, die im Fokus des Social Entrepreneurs stehen (z. B. Nach-
barschaften, Communities, Regionen, Staaten) und in denen es ein bestimmtes soziales
Problem zu lösen gilt [[30], S. 99].
Informelle Märkte zeichnen sich dadurch aus, dass sie häufig wenig reguliert sind und
persönliche Partnerschaften eine hohe Rolle spielen. Ein Social Entrepreneur, der in der
Community, der er helfen möchte, nicht verankert ist (oder dies durch entsprechende Part-
nerschaften kompensieren kann), wird keinen Erfolg haben, seine Zielgruppe zu erreichen,
auch wenn er für die Zielgruppe potenziell sehr viel tun könnte [30].

77 Oftmals sind persönliche Erfahrungen Ausgangspunkt für Geschäftsideen.

Was beeinflusst aber nun das Erkennen unternehmerischer Möglichkeiten? Was braucht es,
um die Probleme bzw. Lösungsmöglichkeiten zu erkennen? Häufig spielen persönliche Erfah-
rungen bei der Wahrnehmung eines bestimmten gesellschaftlichen Problems eine große Rolle.
Dies war auch beim ChancenWerk (siehe Fallstudie in Abschn. 11.8) der Fall. Murat Vural
war selbst betroffen von Vorurteilen und Benachteiligungen, mit denen Kinder und Jugend-
liche mit Migrationshintergrund zu kämpfen haben. Daher lag ihm das Problem selbst nahe.
374 11  Social Entrepreneurship

Wer bestimmte Erfahrungen gemacht hat, entwickelt eher eine Sensibilität für ein be-
stimmtes Problem und verspürt folglich auch eher ein Bedürfnis, dieses zu lösen. Dies gilt
jedoch nicht uneingeschränkt. Man kann auch Erfolg haben, wenn man sich als „Branchen-
fremder“ eines Problems annimmt.
Im Zusammenhang mit der Entdeckung und Entwicklung unternehmerischer Gelegen-
heiten im Bereich Social Entrepreneurship können laut Robinson die folgenden drei wie-
derkehrenden Themen aufgeführt werden [30]:

77 Erfolgreiche Social Entrepreneurs berücksichtigen soziale und institutionelle


Kontexte.

• Erfolgreiche Sozialunternehmer identifizieren unternehmerische Gelegenheiten, die in


sozialen und institutionellen Kontexten stattfinden, von denen sie glauben, dass sie sie
verstehen.
• Erfolgreiche Social Entrepreneurs berücksichtigen die sozialen und institutionellen
Faktoren, wenn sie eine Geschäftsmöglichkeit beurteilen, um ein Social Venture zu
starten.
• Social Entrepreneurs gehen die sozialen und institutionellen Probleme direkt an. So
umfassen die Organisationsziele häufig auch gewünschte Veränderungen in der Gesell-
schaft wie beispielsweise Veränderungen von Einstellungen oder Branchenstandards.

11.7 Geschäftsmodell-Prinzipien

Im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern ist Social Entrepreneurship ein noch sehr jun-
ges Forschungsfeld. Vor allem das Thema „Social Entrepreneurship und Geschäftsmodelle“
steckt noch in den Kinderschuhen. Genau wie bei traditionellen Unternehmen lassen sich
auch die Geschäftsmodelle von Social Ventures anhand des geschaffenen Kundennutzens,
der Architektur der Leistungserstellung und des Ertragsmodells unterscheiden. Dennoch
weisen Sozialunternehmen Unterschiede in der Art und Weise auf, wie sie diese Elemente
verwirklichen. Dabei tauchen einige Prinzipien immer wieder im Kontext von Social En-
trepreneurship auf. Einige ausgewählte Prinzipien werden im Folgenden anhand von Bei-
spielen erklärt.

11.7.1 Co-Creation

77 Co-Creation, die Einbindung der Zielgruppe in die Erstellung und Verbreitung


des Produktes, wird von Social Entrepreneurs häufig angewandt.

Das Co-Creation-Prinzip, also die Einbindung der Zielgruppe in die Erstellung und Ver-
breitung des Produktes oder der Dienstleistung, wird sehr häufig von Social Entrepreneurs
11.7 Geschäftsmodell-Prinzipien 375

angewandt. Damit verbunden sind gleich zwei Vorteile: Zum einen kann der Social Entre-
preneur seine oftmals ohnehin knappen Ressourcen schonen. Zum anderen kann auf diese
Art und Weise die Zielgruppe mit einbezogen werden, was häufig erst die Dauerhaftigkeit
des Nutzens gewährleistet.
Als Beispiel sei hier die Organisation „Agua Par La Vida“ genannt. Die Organisation ist
in Nicaragua tätig, wo sie den Bau von Trinkwasseranlagen in entlegenen Dörfern voran-
treibt. Die Anlagen werden jedoch erst gebaut, wenn sich alle Bewohner und Familien des
Dorfes dazu verpflichtet haben, beim Bau der Anlagen mitzuhelfen. Mitunter kann es bis
zu vier Jahre dauern, bis ein Konsens in der Dorfgemeinschaft erreicht ist. „Agua Par La
Vida“ stellt das Material für den Bau der Anlagen und übernimmt die Projektleitung. Bei
dem Bau selbst müssen dann jedoch die Dorfbewohner mithelfen. Das stärkt die Akzeptanz
der Intervention, was wichtig ist, weil es nicht nur um eine technische Anlage geht, sondern
die Wasseranlage erst dann ihren Sinn und Zweck voll erfüllen kann, wenn auch Verhaltens-
änderungen bewirkt werden können. Wenn das Wasser nicht zur Erhöhung der persönlichen
Hygiene eingesetzt wird, ist der Effekt beschränkt. Ein zweiter Effekt besteht darin, dass
die Dorfgemeinschaft, die beim Bau eines solchen Projektes geholfen hat, sieht, welche
Veränderung sie mit ihrer eigenen Arbeit erreichen konnte. Das stärkt das Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten und sorgt oft dafür, dass die Dorfgemeinschaft auch weitere Projekte
wie den Bau von Straßen oder die Ausbesserung von Schulgebäuden in Angriff nimmt.1

11.7.2 Bekämpfung der Problemursache

77 Social Entrepreneurs wollen die Ursache eines Problems angehen, anstatt


Symptome zu kurieren.

Social Entrepreneurs möchten nicht Symptome kurieren, sie möchten die Ursache des
Problems bekämpfen. Dies lässt sich z. B. an der bereits erwähnten Organisation „Agua Par
La Vida“ verdeutlichen. Verschmutztes Trinkwasser ist die Ursache vieler Gesundheitspro-
bleme. Durchfall-Erkrankungen, die durch verschmutztes Trinkwasser verursacht werden,
sind eine der Haupttodesursachen in Entwicklungsländern. Ein weiteres Problem besteht
darin, dass gerade Frauen oftmals mehrere Stunden am Tag damit verbringen, sauberes
Trinkwasser von einem Brunnen zu holen, der kilometerweit entfernt liegt. Häufig ist das
einer der Gründe, weshalb gerade Mädchen nicht zur Schule gehen dürfen. Indem ein Dorf
nun mit Trinkwasser versorgt wird, bekämpft die Organisation also die Ursache für ein
grundlegendes Problem. Würde sie stattdessen Medikamente für Durchfall-Erkrankungen
verteilen, würde dies den betroffenen Menschen zwar auch helfen, die Problemursache
wäre aber weiterhin vorhanden.

Diese und weitere Prinzipien wurden im Rahmen der folgenden Studie identifziert: Mueller, S./
1

Chambers, L./Neck, H., The distinctive skills of social entrepreneurs [31].


376 11  Social Entrepreneurship

11.7.3 Ertragsmodelle, die die Unternehmensvision unterstützen

Wie ein Ertragsmodell der Erreichung einer Vision dienen kann, zeigt das Beispiel der Ara-
vind Augenkliniken. Das Problem: Zwölf Millionen Inder erblinden jedes Jahr an grauem
Star, obwohl die Krankheit mit geringem Aufwand heilbar ist. Man könnte es auch anders
formulieren: Sie verlieren ihr Augenlicht unnötigerweise. Die Linse trübt sich mit der
Zeit, bis man völlig erblindet. Dabei handelt sich um einen zehnminütigen Eingriff, eine
Standard-OP. Ein kleiner Schnitt und die alte Linse kann entfernt und eine neue, künstliche
Linse eingesetzt werden.

77 Ein Artikel über das Fließbandprinzip von McDonald’s brachte Dr. V. auf die
Idee für die Aravind Augenkliniken.

Im Jahr 1976 fiel dem indischen Augenarzt Dr. Govindappa Venkataswamy, genannt Dr. V.,
ein Artikel des „Economist“ in die Hand. In dem Artikel ging es um das Fließbandprinzip von
McDonald’s. Es ging also um die Arbeitsweise, die es dem Unternehmen ermöglicht, überall
auf der Welt Hamburger in gleichbleibender Qualität herzustellen und zu verkaufen. Dr. V.
war einer der renommiertesten Ärzte für die Behandlung von grauem Star (Katarakt) und –
im Ruhestand. Ihm gefiel die Idee der Standardisierung und er fragte sich, ob sich diese Idee
nicht auf Operationen zur Behandlung des grauen Stars übertragen ließe, um so vermeidbare
Blindheit zu verhindern. Er gründete das Unternehmen „Aravind“ mit folgender Vision: „The
Eradication of Needless Blindness.“ Vermeidbare Blindheit soll ausgerottet werden.
Die Idee setzte er konsequent um. Im Operationssaal steht ein Operationstisch neben
dem anderen. Während der eine Patient noch behandelt wird, wird der nächste von geschul-
tem Fachpersonal bereits auf die anstehende Operation vorbereitet. Ein Arzt führt jährlich
über 2000 Katarakt-Operationen durch, Ärzte in anderen Praxen oder Kliniken führen
lediglich um die 200 vergleichbare Operationen pro Jahr durch. Die Patienten werden,
sobald sie in die Klinik kommen, von geschultem Fachpersonal betreut. Der Arzt wird
erst hinzugezogen, wenn es um die letztliche Entscheidung für oder gegen eine Operation
geht und natürlich für die Operation selbst. So kann er seine Fähigkeiten gezielt einsetzen.
Das Personal ist hervorragend ausgebildet. Jedes Jahr stellen die Aravind Augenklini-
ken circa 100 junge Frauen ein, die speziell auf die Arbeit in der Augenklinik vorbereitet
werden. Damit Patienten, die auf dem Land wohnen – und bei dieser Gruppe ist die Not-
wendigkeit, behandelt zu werden, am größten – überhaupt eine Chance haben, operiert zu
werden, fahren Mitarbeitende der Klinik durch die Dörfer und führen Augen-Screenings
durch. Die Menschen, die eine OP benötigen, werden zu den Aravind Klinken und nach
der Operation auch wieder nach Hause gebracht. Ein Großteil von ihnen hat keine Kran-
kenversicherung und nicht genug Geld für die Operation.
Die Aravind Augenkliniken finanzieren sich selbst. Ein Drittel der Patienten kann es
sich leisten, für die Dienstleistung zu bezahlen. Das Unternehmen arbeitet so effizient, dass
damit die kompletten Kosten der Organisation gedeckt werden.
11.8  Fallstudie: ChancenWerk 377

Das Schöne an dem Geschäftsmodell: Jeder Patient nutzt der Klinik, unabhängig davon,
ob er bezahlen kann oder nicht. Mit jedem Patienten verfügt die Klinik über mehr Erfahrung
und wird besser in dem, was sie tut. Mit jedem Patienten steigt die Qualität. Das wissen
auch diejenigen, die bezahlen können. Die Aravind Augenkliniken gehören zu den besten
Augenkliniken in Indien.

77 Jeder Patient nützt den Aravind Augenkliniken, auch die, die nicht bezahlen
können.

In jeder Klinik sorgen also die Patienten, die nicht bezahlen können, dafür, dass diejeni-
gen kommen, die es sich leisten können. Das ist nachhaltiger, als es eine durch Spenden
finanzierte Organisation je sein könnte. Spendenfinanzierung bedeutet immer auch sich
abhängig machen von Spendern. Die Akquise von Spenden ist sehr zeitaufwendig. Damit
unterscheiden sich die Aravind Augenkliniken von traditionellen Non-Profit-Unternehmen.
Wie oben geschrieben, besteht der Unternehmenszweck darin, vermeidbare Blindheit
auszurotten. Der Zweck besteht also nicht im Erwirtschaften von Gewinnen, sondern einzig
und allein darin, Menschen vor unnötiger Blindheit zu bewahren. Folgerichtig werden Ge-
winne nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert. Es gibt keine Investoren, die eine Rendite
erwirtschaften möchten, keine Aktionäre, die auf die nächsten Quartalsergebnisse schielen.
So wächst das Unternehmen aus eigener Kraft. Die Mitarbeitenden erhalten Gehälter, die
mit Gehältern anderer Kliniken mithalten können oder darüber liegen. Es gibt aber kein
Bonussystem – weder für das Führungspersonal noch für die Angestellten.
Ein Unternehmen, das Investoren befriedigen müsste, sei es auch nur mit einer kleinen
Rendite, würde bei jedem Patienten, der nicht bezahlen kann, überlegen: Soll der Patient
behandelt werden oder nicht? Jeder Patient, der nicht bezahlen kann, würde schließlich
den Gewinn schmälern. Ein ständiger Zielkonflikt wäre die Folge. Ist jedoch von vorn-
herein festgelegt, dass ein Gewinn zwar für das Unternehmen notwendig ist (jedes Un-
ternehmen, das keine Gewinne erwirtschaftet, ist gefährdet oder abhängig von externen
Mitteln), dieser jedoch im Unternehmen verbleibt, ist allen Mitarbeitenden klar, worum
es geht.

11.8 Fallstudie: ChancenWerk

Es ist Mai 2010. Murat Vural, Mitgründer des ChancenWerks, und Erkan Budak, Leiter der
Regionalstelle Köln, sitzen in ihrem Büro in Köln und diskutieren über die aktuelle Situ-
ation von ChancenWerk. Die Teilnehmerzahlen waren in den letzten Monaten gewachsen
und mit der Wirkung des Programms waren die beiden zufrieden. Durch die Teilnahme
am Programm konnte den Schülern gezeigt werden, wie sie im deutschen Schulsystem
erfolgreich sein konnten, und bei mehr als der Hälfte der teilnehmenden Schüler hatte das
Programm bereits positive Auswirkungen auf die Schulnoten gezeigt.
378 11  Social Entrepreneurship

77 Das ChancenWerk hat den Praxistest bestanden. Aber wie soll die Idee verbrei-
tet werden?

Murats Idee funktioniert. Sie funktioniert so gut, dass Murat und Erkan ihr Modell gerne an
viel mehr Schulen in Deutschland etablieren würden. Sie sind sich aber noch nicht sicher,
wie die Expansion vonstattengehen soll. Sie verfügen über begrenzte Ressourcen, und die
Ertrags- und Organisationsstruktur des ChancenWerks muss erst verändert werden, bevor
das Modell flächendeckend umgesetzt werden kann.
Es wird noch viel Arbeit auf die beiden zukommen. Aber die Chance, die sie jedem ein-
zelnen teilnehmenden Schüler geben, die eigene Lebenssituation zu verbessern, motiviert
die beiden, an der Verbreitung ihres Konzepts zu arbeiten.

Wie alles anfing


Die Chance, in Deutschland Abitur zu machen, ist für Kinder, deren Eltern Akademiker
sind, um ein Vielfaches höher als für Kinder, deren Eltern aus einem bildungsferneren
Milieu kommen. Damit entscheidet die soziale Herkunft zu einem wesentlichen Teil über
den schulischen Erfolg. Die Pisa-Studie führt uns dies alle drei Jahre erneut schmerzlich
vor Augen.
Der Migrationsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2010 zeichnet ein ähnliches
Bild: 13,3 % der 15- bis unter 19-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat-
ten im Jahr 2008 keinen Schulabschluss. Für 43 % der Kinder mit Migrationshintergrund
bleibt der Hauptschulabschluss der höchste Bildungsabschluss. Bildungsgerechtigkeit sieht
anders aus.
Murat Vural hat die ungleichen Startchancen am eigenen Leib erlebt. Er besuchte zu-
nächst eine Grundschule in Deutschland und wechselte dann aufs Gymnasium. Ein Jahr
später zog er mit seinen Eltern in die Türkei, auch dort besuchte er ein Gymnasium. Mit
16 Jahren kam er zurück nach Deutschland. Seine Deutschkenntnisse waren inzwischen
jedoch schlechter geworden und so kam er zunächst auf eine Hauptschule. Die dortige
Rektorin gab ihm gleich zu Beginn zu verstehen, dass sie nicht an ihn glaubte: Er solle
froh sein, wenn er den Hauptschulabschluss schaffen würde, schließlich beherrsche er
nicht einmal die deutsche Sprache. Es ist schwer, sich davon nicht beeindrucken zu lassen.
Murat hat es trotzdem geschafft. Er machte Abitur, studierte Elektro- und Informations-
technik an der Ruhr-Universität Bochum und promoviert nun am dortigen Lehrstuhl für
Theoretische Elektrotechnik.

77 Murats persönliche Erfahrungen haben ihn zur Gründung des ChancenWerks


veranlasst.

Seine Erlebnisse haben ihn jedoch für die Situation von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund sensibilisiert. Dass deren Bildungschancen im Vergleich zu denen
von Kindern ohne Migrationshintergrund überdurchschnittlich schlecht sind, war für ihn
nicht akzeptabel. Er begann zu überlegen, wie er die Situation verändern konnte.
11.8  Fallstudie: ChancenWerk 379

Die Idee
Am 15. Juni 2004 gründet Murat mit weiteren zehn Studenten in Castrop-Rauxel den
Interkulturellen Bildungs- & Förderverein für Schüler & Studenten e. V. (IBFS), der An-
fang 2010 in IBFS ChancenWerk umbenannt wurde. Die Organisation hat es sich zum
Ziel gesetzt, die Bildungschancen für Jugendliche zu erhöhen, die in schwierigen Fami-
lienverhältnissen aufwachsen (z. B. Kinder aus ärmeren oder bildungsfernen Familien,
Kinder mit Migrationshintergrund). Im Zentrum der Idee stehen: positive Rollenmodelle,
Nachmittagsbetreuung und voneinander lernen.

77 Das SHS2-Modell ist das Kernstück der Idee.

Die Bildungskette SHS2 bildet den Kern des Geschäftsmodells (siehe Abb. 11.3). Dabei
steht SHS2 für „Studenten Helfen Schülern; Schüler Helfen Schülern“. Die SHS2-Bildungs-
kette funktioniert folgendermaßen:

• Ein ehrenamtlicher Schulkoordinator betreut das Projekt an einer Schule und zeichnet
für Koordination, Mitgliederbetreuung und Teamführung verantwortlich.
• Ein Studierender unterstützt einmal pro Woche für 90 Minuten acht ältere Schüler bei
der Abiturvorbereitung in sogenannten „Intensivkursen“. Die Kosten für den Studie-
renden übernimmt das ChancenWerk.
• Die älteren Schüler müssen für die Betreuung nichts bezahlen. Sie müssen jedoch im
Gegenzug jüngere Schüler bei ihren schulischen Aufgaben betreuen. Hierbei be-
treuen zwei Teams, die sich jeweils aus vier älteren Schülern und einem Studierenden
zusammensetzen, insgesamt 16 jüngere Schüler. Jedes Team kommt dabei einmal pro
Woche zum Einsatz. Die jüngeren Schüler müssen hierfür einen Monatsbeitrag von
10 EUR bezahlen. Damit ist das ChancenWerk für viele Schüler die einzige Anlauf-
stelle für Nachhilfe, da kommerzielle Nachhilfeanbieter deutlich höhere Preise verlan-
gen. Die Bilanz des Modells: Obwohl nur drei Studierende bezahlt werden, profitieren
24 Schüler vom SHS2 (16 jüngere Schüler und acht ältere Schüler).

77 Rollenmodelle spielen eine wichtige Rolle beim ChancenWerk.

Bei dem Modell profitieren die älteren Schüler nicht nur davon, dass sie betreut werden;
sie lernen auch, wenn sie die jüngeren Schüler betreuen. Wer anderen etwas beibringen
möchte, muss den Lehrstoff gut verstanden haben. Zudem tut es gut zu wissen, dass man
anderen mit seinem Wissen dabei helfen kann, die Schulleistungen zu verbessern. Das
stärkt das Selbstbewusstsein.
Ein wichtiger Faktor bei dem beschriebenen Lösungsmodell sind Rollenmodelle. So
werden zum Teil Studierende als Betreuer ausgewählt, die selbst aus schwierigen Familien­
verhältnissen kommen und gezeigt haben, dass man auch unter schwierigen Startvoraus-
setzungen in Deutschland einen erfolgreichen Schulabschluss erreichen kann. Das wirkt.
Wer sich mit jemandem identifizieren kann, schreibt sich eher dessen Eigenschaften zu:
380 11  Social Entrepreneurship

Abb. 11.3 SHS2-Bildungskette. (IBFS ChancenWerk)

„Wenn der das geschafft hat, kann ich das auch!“ Schwierige Lebensverhältnisse alleine
sind damit keine Ausrede mehr für schlechte Leistungen.
An einer Schule können bis zu sechs SHS2-Modelle durchgeführt werden. Werden vier
SHS2-Modelle angeboten, können damit bereits 32 ältere und 64 jüngere Schüler erreicht
werden. Die Projektorganisation und Durchführung erfolgen dabei durch einen Schulko-
ordinator. Der wiederum wird bei seiner Arbeit durch den Stadtkoordinator unterstützt.
Jeweils ein Stadtkoordinator ist für den Aufbau, die Pflege und die Optimierung des Mo-
dells an sechs Schulen verantwortlich. Er betreut die Schulkoordinatoren, wählt geeignete
Studierende aus und pflegt den Kontakt zu lokalen Vereinen und Institutionen.

Die Umsetzung

77 Die erste Kooperation wurde im August 2004 gestartet.

Die erste Kooperation mit einer Schule wurde im August 2004 mit der Janusz-Korczak-
Gesamtschule in Castrop-Rauxel initiiert. Mittlerweile ist das ChancenWerk an acht Schu-
len aktiv. Insgesamt werden mit drei festangestellten ChancenWerk-Mitarbeitern und ca.
50 Studenten etwa 400 Schüler erreicht.
11.8  Fallstudie: ChancenWerk 381

Bevor das Konzept an einer Schule umgesetzt wird, werden folgende Stufen durchlau-
fen: Zunächst findet ein Treffen mit den Lehrern der betreffenden Schule statt. Möchte die
Schule das Konzept einführen, findet eine Informationsveranstaltung für die Schüler statt.
Die Schüler können sich zum SHS2 anmelden. Zunächst beginnen dann die Kurse für die
älteren Schüler, später dann die Kurse für die jüngeren Schüler.
Die Wirkung des Angebots ist dem ChancenWerk sehr wichtig. Es werden daher ver-
schiedene Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zur Verbesserung des Leistungsange-
botes durchgeführt:

• Um die Qualität der Betreuung sicherzustellen, ist es zunächst wichtig, sorgfältig


einen Studierenden auszuwählen, der sich als Nachhilfelehrer eignet. Da er an der
Spitze des SHS2-Systems steht, nimmt er eine zentrale Rolle ein. Die Studierenden
sollen als Vorbilder wirken, was z. B. bedeuten kann, dass sie ebenfalls aus schwieri-
gen familiären Verhältnissen kommen. Es werden aber auch exzellente Studierende
eingestellt, die gute Startbedingungen hatten, einfach, um sie für die Situation von
anderen, die weniger gute Voraussetzungen hatten, zu sensibilisieren.
• Die Schüler können, neben der Abitur- bzw. Hausaufgabenbetreuung, an Freizeitange-
boten, vor allem an sportlichen Aktivitäten, teilnehmen. Die gemeinsamen Aktivitäten
sind ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, das Gemeinschaftsgefühl der Gruppen
zu stärken und einen Ausgleich zum Schulalltag zu bieten.
• Das ChancenWerk kümmert sich aber nicht nur um die Schüler. Die Zusammenarbeit
mit den Eltern ist ein wichtiger Faktor für das ChancenWerk. Einigen Eltern ist die
Bedeutung der Bildung für die Zukunft ihrer Kinder nicht bewusst, auch deshalb, weil
die Kommunikation zwischen Lehrerschaft und Eltern häufig mangelhaft ist. Oftmals
kommen die Eltern nicht einmal zu den Elternabenden. Um diese Situation zu verbes-
sern, rufen die Mitarbeitenden des ChancenWerks mitunter die Eltern einzeln an, um ih-
nen deutlich zu machen, wie wichtig Elternabende und der ständige Kontakt zur Schule
sind. Das kostet natürlich Zeit, ein Gespräch kann durchaus zehn bis 15 Minuten dau-
ern. Aber die persönliche Einladung wirkt, und die Elternabende sind besser besucht.
• Ein Hindernis bei der Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern ist häufig die
Sprache. Da ist es ein Vorteil, wenn Murat oder seine Mitarbeitenden während der El-
ternabende oder in Telefonaten mit den Eltern in deren Muttersprache kommunizieren
können. Hauptsache, die Eltern verstehen, dass die Teilnahme ihrer Kinder am SHS2
eine echte Chance darstellt. Selbstverständlich haben auch Eltern mit Migrationshin-
tergrund ein Interesse daran, ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen.
• Wichtig ist auch ein regelmäßiger Austausch mit Lehrern. Die meisten Lehrer begrü-
ßen die Initiative, viele empfinden sie aber auch als Einmischung in ihre Arbeit. Ist es
nicht eigentlich ihre Aufgabe, allen Kindern eine gute Bildung zukommen zu lassen?

Ertragsmodell
Die gegenwärtige Kosten- und Ertragsstruktur des ChancenWerks ist problematisch. Der
Verein ist auf Spenden und die Unterstützung von Stiftungen angewiesen. Problematisch
382 11  Social Entrepreneurship

Tab. 11.2  Aufwände und Erträge pro SHS2

Leistungs- Leistungs- Erhaltene Vergütung Student Aufwand Ertrag


geber empfänger Leistung pro pro 90-Minuten-
Monat einheit

1 Studieren- 8 ältere 4 × 90  Minu- 30 EUR 120 EUR1


der Schüler ten Intensiv-
kurs
2 verschie- 16 jüngere Jeweils 15 EUR 120 EUR2 160 EUR3
dene Teams Schüler 8 × 90  Minu-
bestehend ten Haus-
aus jeweils aufgaben-
1 Student betreuung
und 4 älteren (jedes Team
Schülern kommt 4 ×
im Monat
zum Einsatz)
1
30 EUR pro 90-Minuten-Einheit Intensivkurs × 4 Kurse = 120 EUR
2
15 EUR pro 90-Minuten-Einheit × 8 Hausaufgabenbetreuungen pro Monat = 120 EUR
3
10 EUR × 16 Schüler = 160 EUR

ist vor allem die Tatsache, dass das Kerngeschäft des Vereins, also jede einzelne Durch-
führung des SHS2, derzeit die variablen Kosten nicht vollständig deckt. Tabelle 11.2 zeigt
die Aufwände und Erträge pro SHS2.
Momentan ergeben sich bei jeder Durchführung des SHS2 Aufwände von 240 EUR und
Einnahmen von 160 EUR pro Monat. Daraus berechnet sich zunächst ein negativer De-
ckungsbeitrag von 80 EUR pro Monat und SHS2-Modell. Bei der Berechnung muss jedoch
berücksichtigt werden, dass Aufwände nur während der Schulzeiten entstehen (ca. neun
Monate im Jahr), während die Erträge ganzjährig fließen. Es gibt keine Einnahmeausfälle
aufgrund von Schulferien. Die Mitgliedsbeiträge werden das ganze Jahr über bezahlt. Zu-
dem ist die Nachfrage an den Schulen sehr hoch. In fast allen Gruppen wird die maximale
Anzahl an Schülern erreicht. Damit können die Einnahmen pro SHS2 relativ zuverlässig
mit der folgenden Formel berechnet werden:

Anzahl der SHS2-Modelle × 16 Schüler × 10 EUR × 12 Monate

ChancenWerk ist ein gemeinnütziger Verein und damit von der Zahlung von Steuern be-
freit. Derzeit beschäftigt der Verein drei bezahlte und 19 ehrenamtliche Mitarbeitende. Der
derzeitige und der für 2015 geplante Finanzierungsmix lassen sich Tab. 11.3 entnehmen.
Dabei ist zu erkennen, dass der Anteil an eigenem Einkommen deutlich gesteigert werden
soll, vor allem um unabhängiger von Spenden und Stiftungsgeldern zu werden.
11.8  Fallstudie: ChancenWerk 383

Tab. 11.3  Einkommenssituation ChancenWerk

2011 Geplant 2015


Stiftungen 30 % 20 %
Fremdkapital/Wachstum 30 %
Eigenes Einkommen 20 % 50 %
Großspenden (> 10.000 EUR) 10 % 5 %
Kleinspenden (< 10.000 EUR) 5 % 5 %
CSR / Unternehmensspenden 5 % 10 %
Staatliche Unterstützung 10 %

Neben den oben erwähnten variablen Kosten pro SHS2 fallen eine Reihe von Kosten unab-
hängig von den implementierten SHS2-Modellen an. Dazu gehören zum Beispiel die Kosten
für den Stadtkoordinator, die Kosten für die Administration des Vereins, die Reisekosten
sowie Gruppen-Coachings für die Studierenden. Hinzu kommen noch einige kleinere Posten.
Die Einnahmen lagen im Jahr 2009 bei 48.000 EUR, im Jahr 2010 bereits bei 208.000 EUR.

Nächste Schritte

77 Die Idee des ChancenWerks soll deutschlandweit umgesetzt werden.

Die Wirkung des ChancenWerks kann sich sehen lassen: Die meisten Schüler, die am SHS2
teilnehmen, können ihre Leistungen merklich verbessern. Murat und seine Organisation
haben in den letzten Jahren viel Anerkennung erhalten. So wurde die Organisation unter
anderem von der „Aktion Mensch“, der Organisation „Ashoka“ und von der Initiative
„Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Nun soll das Modell an vielen weiteren Schulen implementiert werden. Dabei ist es
Murat und Erkan wichtig, dass das Angebot allen Kindern aus sozial schwachen Verhält-
nissen zugutekommt. Sie möchten, dass sozial benachteiligte Kinder in ganz Deutschland
die Möglichkeit haben, vom ChancenWerk zu profitieren. Dafür soll die Ertrags- und Or-
ganisationsstruktur des Vereins so umgestaltet werden, dass dies auch möglich ist. Dabei
werden derzeit verschiedene Varianten angedacht. Es werden folgende Ansätze diskutiert,
um das Ertragsmodell zu verändern:

• Der Beitrag pro Schüler wird auf 15 EUR pro Monat erhöht.
• Das Betreuungsverhältnis zwischen älteren und jüngeren Schülern wird verändert.
• Veränderung beider Stellschrauben.

77 Es werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie die Idee an weiteren


Schulen etabliert werden kann.
384 11  Social Entrepreneurship

Sowohl eine Beitragserhöhung als auch eine Veränderung des Betreuungsverhältnisses


haben jedoch Nachteile: Da das ChancenWerk sich hauptsächlich an Kinder aus schwieri-
gen Lebensverhältnissen richtet, könnte die Erhöhung des Beitrags dazu führen, dass sich
manche Eltern die Teilnahme nicht mehr leisten können. Dies will Murat auf jeden Fall
vermeiden. Eventuell könnte man aber dafür werben, dass Eltern, falls möglich, freiwillig
mehr bezahlen. Wie viele Eltern dann tatsächlich dazu bereit wären, müssten letztlich
Testversuche in einzelnen Schulen zeigen. Auch bei der Organisationsstruktur diskutieren
Murat und Erkan derzeit mehrere Möglichkeiten:

• Ausbau des Filialsystems: Die Schulen werden wie bisher als „Filialen“ geführt und
von einem zentralen Punkt aus koordiniert. Gibt es in einer Stadt mehrere teilneh-
mende Schulen, wird ein Stadtkoordinator eingesetzt. In den jeweiligen Schulen vor
Ort soll es einen Schulkoordinator geben. Diese Funktion könnte von einem Lehrer an
der jeweiligen Schule übernommen werden.
• Social Franchising: ChancenWerk würde vergleichbare Strukturen aufweisen wie
ein kommerzielles Franchise, der Unternehmenszweck würde jedoch weiter in der
Verfolgung des gesellschaftlichen Ziels liegen, die Bildungschancen von Kindern
aus bildungsfernen Schichten zu erhöhen. Andere Social Entrepreneurs hatten bereits
gezeigt, dass dies möglich ist. So hat beispielsweise Andreas Heinecke sein Unter-
nehmen „Dialog im Dunkeln“ erfolgreich zu einem Social Franchise aufgebaut. Seine
Ausstellung, in der sehende Menschen durch vollständig abgedunkelte Räume geführt
werden, wurde inzwischen von sechs Millionen Menschen weltweit besucht. Als
Franchise-Nehmer kommen z. B. die Schulen selbst infrage, die dann die Implemen-
tierung des Systems vor Ort übernehmen.
• Kooperationen: Des Weiteren könnte das Unternehmen verstärkt auf Kooperationen
setzen. So könnten beispielsweise Stiftungen, ehrenamtliche Mitarbeitende, Lehrer im
Ruhestand etc. eingesetzt werden, die dann in bestimmten Regionen für die Umset-
zung zuständig wären.

Fragen zur Fallstudie


1. Was würden Sie anstelle von Murat und Erkan tun, um die Expansion des Chancen-
Werks in Deutschland voranzutreiben?
2. Wie würden Sie das Ertragsmodell auf SHS2-Ebene ändern? Welche Vor- und Nach-
teile bringt Ihr Vorschlag mit sich?
3. Wie würden Sie die Organisationsstruktur des ChancenWerks verändern? Berück-
sichtigen Sie dabei auch Modelle, die momentan noch nicht von ChancenWerk an-
gedacht werden. Wie begründen Sie Ihren Vorschlag?

Diskussionsfragen
1. Diskutieren Sie kritisch die Absichten und den angestrebten Nutzen von Social-
Entrepreneurship-Aktivitäten.
Literatur 385

2. Welches soziale oder ökologische Problem interessiert Sie? Entwickeln Sie ein Ge-
schäftsmodell für ein Social Venture, das dieses Problem mildert.
3. Welche Chancen sehen Sie in Zukunft für die Entwicklung des Social-Entrepreneur-
ship-Konzepts? Welche Gefahren sehen Sie?
4. Social Entrepreneurs werden häufig als neue „Helden“ dargestellt. Welche Gefahr
ist mit diesem Bild verbunden?

Literatur

Verwendete Literatur
1 Mair, J., & Seelos, C. (2005). Social Entrepreneurship: Creating new business models to serve
the poor, Business Horizons, 48(3), 241–246.
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4 Ulrich, P. (2007). Integrative Wirtschaftsethik: Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie
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9 Ramthun, C. (2007). Das Vermächtnis des Klaus Schwab. Der Gründer des Weltwirtschafts-
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Wirtschaftswoche, (5), 29.01.2007.
10 Ashoka, Ashoka Impact Study: How do you know when you’ve revolutionized an industry?
Ashoka’s Approach to Assessing Impact. https://www.ashoka.org/files/2013-Impact-Study-
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11 Ashoka Deutschland gGmbH, Everyone a Changemaker, Social Entrepreneurs und die Macht
der Menschen, die Welt zu verbessern, Organisationsbroschüre, 2007.
12 Schwab Foundation for Social Entrepreneurship, http://www.schwabfound.org/content/about-
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13 Seelos, C., & Mair, J. (2005). Social entrepreneurship: Creating new business models to serve
the poor. Business Horizons, 48(3), 241–246.
386 11  Social Entrepreneurship

14 FAZ: SAP stellt bis 2020 Hunderte Autisten ein, 21.05.2013. http://www.faz.net/aktuell/wirt-
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15 Vision Award: Wie die Ana Bella Foundation Frauen stark macht, http://germany.ashoka.org/
vision-award-wie-die-ana-bella-foundation-frauen-stark-macht, Zugriff am 26.05.2015.
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18 RSA Animate, Drive: The surprising truth about what motivates us, www.youtube.com/
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19 Martin, M. The promise of social entrepreneurship, Vortragsfolien der Schwab Foundation for
Social Entrepreneurship, 2004.
20 Dees 1998, zitiert nach: Gergs, H.-J. „Vom Sozialmanagement zum Social Entrepreneurship
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23 UN World Food Programme (WFP). http://de.wfp.org/hunger/hunger-statistik, Zugriff am
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26 Seven Pillars Institute. http://sevenpillarsinstitute.org/news/economics/what-should-we-charge-
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27 Child and Family Wellness Clinics. CFWclinics, http://www.cfwshops.org/overview.html, Zu-
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31 Mueller, S., Chambers, L., & Neck, H. (2013). The distinctive skills of social entrepreneurs.
Journal of Enterprising Culture, 21(3), 301–334.
Literatur 387

Weiterführende Literatur
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Bornstein, D. (2005). Die Welt verändern. Social Entrepreneurs und die Kraft neuer Ideen. Stuttgart:
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Dees, J. G., Emerson, J., & Economy, P. (2001). Enterprising non-profits: A toolkit for social entre-
preneurs. New York: John Wiley & Sons.
Dees, J. G., Emerson, J., & Economy, P. (2002). Strategic tools for social entrepreneurs: Enhancing
the performance of your enterprising non-profit. New York: John Wiley & Sons.
Drucker, P. F. (1995). Managing the non-profit-organisation. Oxford: Elsevier Books.
Weitere Informationen zu Social Entrepreneurship finden sich unter www.ashoka.org, www.change-
makers.net, www.schwabfound.org, www.skollfoundation.org, den Homepages der führenden
Organisationen zur Förderung von Social Entrepreneurship.
Corporate Entrepreneurship
12

12
Christoph Müller, Urs Fueglistaller, Susan Müller, Thierry Volery

Zusammenfassung
Corporate Entrepreneurship – ein Sammelbegriff und immer eine Herausforderung:
Wie schaffen es Unternehmen, den Gründergeist am Leben zu halten und sich durch
unternehmerisches Handeln laufend zu erneuern? Dazu müssen bestimmte Grundvo-
raussetzungen für Corporate Entrepreneurship vorhanden sein: eine klare, langfristig
ausgerichtete Strategie des Mutterunternehmens sowie eine Konstellation zur Nut-
zung der Vorteile des etablierten wie des jungen Unternehmens/Projekts. Anschlie-
ßend werden jeweils mit dem Entwicklungsprozess für Corporate Entrepreneurship
allgemeingültige Instrumente zur unternehmerischen Erneuerung vorgestellt. Anhand
des Unternehmerprofils der Festo AG & Co. KG sowie der beiden Telekom-Venture-
Einheiten T-Ventures und Swisscom Ventures wird verdeutlicht, wie die Grundvor-
aussetzungen von Corporate Entrepreneurship konkret verankert und welche Formen
des internen und externen Venturings entsprechend kombiniert werden können. Wie
die Pharma- und Biotechnologiebranche hat auch die Telekommunikationsindustrie
frühzeitig begonnen, sich für innovative Jungunternehmen zu interessieren. Denn Cor-
porate Entrepreneurship gilt als der Schlüsselweg, um die leere Innovationspipeline
der etablierten Unternehmen wieder aufzufüllen. Initiativen wie „Action Jam“ in der
Schweiz stellen neue Formen der Kooperation von etablierten Unternehmen dar, um
auf dem Gebiet des Corporate Entrepreneurships voneinander zu lernen und gemein-
sam aktiv zu werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3_12 389
390 12  Corporate Entrepreneurship

Lernziele
•• Sie können aufzeigen, welche Ansätze und Formen von Corporate Entrepreneur-
ship von Unternehmen eingesetzt werden können.
•• Sie können die Hintergründe erklären, wie Unternehmen dauerhaft Ideen und
Innovationen hervorbringen können, wie der unternehmerische Geist am Leben
erhalten und wie der damit verbundene Wandel bewältigt werden kann.
•• Sie können die Wege aufzeigen, wie in der Praxis Corporate-Entrepreneurship-
Ansätze etabliert werden und welche allgemeinen Schlussfolgerungen daraus
gezogen werden können.
•• Sie können unterscheiden, welche vergleichbaren, aber doch differenzierten
Wege zur Förderung von Corporate Entrepreneurship zwei Unternehmen dersel-
ben Branche (Telekommunikation) einschlagen.

12.1 Begriffserklärungen

77 Corporate Entrepreneurship:  Überbegriff für alle unternehmerischen Aktivitäten von

bestehenden Unternehmen auf individueller und Team- oder Organisationseinheitsebene.


Dazu zählen die Bereiche Corporate Venture Capital und Corporate Venturing sowie all-
gemeine Innovationen und strategische Erneuerungsansätze.

77 Corporate Venturing:  Führungskonzepte und Organisationsformen zur Förderung von


risikobewussten Projekten und unternehmerisch ausgerichteten Einheiten oder Teams, auch
als Venture Management bezeichnet.

77 Corporate Venture Capital (CVC):  Von Unternehmen direkt oder indirekt in interne oder
externe Technologieunternehmen oder Start-ups investiertes Risikokapital.

77 Inkubator:  Institution von Trägern unterschiedlicher Art zur Förderung, Betreuung

und in der Regel auch physischen Aufnahme von jungen Unternehmen vor allem in der
Seed- und Start-up-Phase.1

77 Open Innovation:  Prozess der Förderung von Innovationen durch den gezielten Aus-
tausch von Ideen und Projekten zwischen Unternehmen und Hochschul-/Forschungsein-
richtungen sowie Kunden. Das Unternehmen öffnet dazu seine Grenzen, um neue Impulse
„hereinzulassen“ oder „hinauszutragen“. Hierzu zählen auch neuartige Kooperationsformen

1
Weitere Definitionen: Business Accelerator: unternehmensinterne, auch virtuelle, Einheit zur Gene-
rierung und Wachstumsförderung von innovativen Geschäftsmodellen, und: Technology Accelerator:
unternehmensinterne Einheit zur Förderung von innovativen Technologieprojekten.
12.2 Einführung 391

zwischen Großunternehmen und Start-ups, bei denen „die Jungen“ die kreativen Lösungen
und „die Etablierten“ den Marktzugang einbringen, ohne dass eine Kapitalbeteiligung
erfolgen muss.

12.2 Einführung

Entrepreneurship steht als umfassender Begriff für die bisher behandelten von bestehenden
Unternehmen „unabhängigen“ Aktivitäten, aber auch für die „abhängigen“ Varianten des
Corporate Entrepreneurships. Da es eine Fülle von Begriffen gibt, die sich mit dem
Thema Corporate Entrepreneurship beschäftigen, werden die Begrifflichkeiten zunächst
geordnet. Zudem werden die Herausforderungen von Corporate Entrepreneurship in der
Praxis vorgestellt. Es folgt ein Vorgehensmodell zur Konzipierung und Umsetzung von
Corporate-Entrepreneurship-Projekten. Eine vergleichende Analyse von zwei auf dem
Gebiet des Corporate Entrepreneurships sehr aktiven Unternehmen der Telekom-Industrie
rundet das Kapitel ab.

12.2.1 Corporate Entrepreneurship – Ein umfassender Begriff

77 Corporate Entrepreneurship steht als Sammelbegriff für alle Formen von


Unternehmertum innerhalb einer etablierten Firma oder ausgehend von ihr in
Form von Kooperationen und Investitionen v. a. in Start-ups.

Der Begriff Corporate Entrepreneurship wird in der Literatur vielfältig und teilweise miss-
verständlich verwendet. Einig ist sich die Literatur darüber, dass sich Corporate Entrepre-
neurship auf unternehmerische Aktivitäten für eine bzw. innerhalb einer Firma bezieht. Hier
wird Corporate Entrepreneurship (CE) wie folgt verstanden [1]: CE ist „ein organisatio-
nales Phänomen, in dessen Mittelpunkt ein proaktives Innovationsverhalten steht, welches
in der Kultur und Strategie verankert ist und durch personelle und finanzielle Ressourcen
gestützt wird, wobei die Entwicklung der organisationalen Kompetenzbasen die Wahrneh-
mung von Geschäftschancen und die damit verbundene Veränderungsbereitschaft fördert
und die Bereitschaft zu Innovation und Veränderung durch verfügbare Ressourcen und
Kompetenzen nicht massiv beschränkt“. Hierzu zählen vor allem die Bereiche Corporate
Venturing einschließlich Corporate Venture Capital sowie die Themen Innovation und
strategische Erneuerung.2 Das Gebiet der strategischen Erneuerung ist als verwandt zu

2
Cooper et al. [2] definieren diese Begriffe wie folgt: „Corporate Venturing’ means. At a high level,
it is any activity that helps expand the scope of the firm. … Corporate Venture Capital (CVC) is an
internal „fund“ or money set aside to invest externally in private companies in a similar fashion to
independent Venture Capital firms. New Venture formation … refers to taking internally generated
intellectual property or new business idea in nurturing them into full-fledged businesses. Both of
these types of groups have many variations, …“
392 12  Corporate Entrepreneurship

bezeichnen, da es aber aus dem strategischen Management kommt, wird hier nicht näher
darauf eingegangen.

77 Es lassen sich zwei Formen von Corporate Venturing unterscheiden: internes


und externes Venture Management.

Die Aktivitäten im Bereich des Corporate Venturings schließen Führungskonzepte und Or-
ganisationsformen zur Förderung von risikobewussten Projekten und unternehmerisch aus-
gerichteten Einheiten/Teams, am Rande von und zwischen Unternehmen, ein und werden
auch als Venture Management bezeichnet. Corporate Venturing kann nach seiner Herkunft
in interne und externe Formen unterteilt werden [3]. Im Bereich des internen Venture Ma-
nagements lassen sich der Product Champion (einzelner genialer Tüftler) und das zumeist
produktnahe, interdisziplinäre Venture Team bzw. der Technology Accelerator (unterneh-
mensinterne Einheit zur Förderung von innovativen Technologieprojekten) aufführen. Zum
externen Venture Management zählen die Business Accelerators (unternehmensinterne
– auch virtuelle – Einheit zur Generierung und Wachstumsförderung von innovativen Ge-
schäftsmodellen) bzw. Corporate Venture Capital (CVC, industrielles Risikokapital), das
Venture Nurturing (Mehrheit verbleibt bei der Muttergesellschaft), Spin-offs (komplette
Ausgründung) und Joint Ventures (Partnerunternehmen z. B. mit Hochschul- oder Indus-
triepartnern). Abbildung 12.1 verdeutlicht die Klassifizierung. Corporate Venturing hat
damit die Identifikation, Förderung, aber auch Integration von innovativen, dynamischen
und wachstumsorientierten Organisationseinheiten zum Ziel [4].

12.2.2 Systematisierung von Corporate-Venture-Capital-Aktivitäten

Sobald Unternehmen mit Aktivitäten und Projekten im Bereich Venture Capital (VC) be-
ginnen, spricht man von CVC [6]. CVC ist dabei charakterisiert als „zeitlich begrenzte
Kapitalbeteiligung mittels Bereitstellung von Eigenkapital oder diesem ähnlichen Mitteln
und Managementwissen oder sonstiger Unterstützung an junge, technologisch innovative
nicht börsennotierte KMU durch etablierte Industrieunternehmen, die neben finanziellen
auch strategische Motive für das Engagement haben“ [5]. Dabei haben die Unterneh-
men grundsätzlich zwei Möglichkeiten, ihre VC-Aktivitäten durchzuführen. Sie können
entweder direkt in Start-ups investieren oder indirekt über unabhängige Investmentfonds
(CVC-Gesellschaft) oder andere Finanzintermediäre. Bei der direkten Variante können die
Investments wiederum alleine, als Mehrheits- oder Minderheitsinvestor oder mit anderen
Unternehmen (Co-Investoren) erfolgen. Die zweite Variante bringt zwar Koordinations-
bedarf, aber auch finanzielle Entlastung und eine Einsichtnahme in strategische Pläne mit
sich. Weiterhin kann nach dem Fokus der unternehmerischen Aktivität unterschieden wer-
den (intern oder extern). Aus der Kombination beider Dimensionen ergeben sich vier ide-
altypische CVC-Formen [7]: direkt intern (entwickelt durch Unternehmensangehörige wie
Product Champions oder -Teams), direkt extern („Equity“-Investition in externes Start-up),
12.2 Einführung 393

Abb. 12.1  Systematisierung von Corporate Entrepreneurship [5]

indirekt intern (Investition in intern oder extern geführten VC-Fonds, der Unternehmens-
angehörige zu internen Ventures ermutigt) oder indirekt extern (Investition in intern oder
extern geführten VC-Fonds, der in externe Start-ups investiert).

77 Welcher Investitionstyp gewählt wird, hängt von den strategischen und finan-
ziellen Zielen des Unternehmens ab.

Unternehmen verfolgen mit ihren CVC-Aktivitäten unterschiedliche Ziele,3 die von Ches-
brough [8] zu vier Investitionstypen verdichtet worden sind. Antreiberinvestitionen sollen
strategische Ziele verwirklichen helfen, die Geschäftsstrategie des Unternehmens damit
vorantreiben und werden entsprechend eng angebunden. Auslöserinvestitionen (strate-
gisch motiviert) dienen mehr zum Ergänzen der Palette und werden entsprechend locker

3
Zu den sechs Kernzielen von CVC (Innovatoren, Verkäufer, Beobachter, Erneuerer, Entrepreneure,
Investoren) vgl. auch [5].
394 12  Corporate Entrepreneurship

geführt. Aufsteigerinvestitionen verfolgen finanzielle Ziele und sollen neue Geschäftsfelder


erschließen, weswegen eine enge Anbindung erforderlich ist. Passivinvestitionen entsprin-
gen finanziellen Interessen, sollen entsprechende Rückflüsse generieren und werden wie
Auslöserinvestitionen geführt. Entsprechend diesen vier Investitionstypen lässt sich das
Festhalten und das Verwerfen von Investitionen in Start-ups durch etablierte Unternehmen
erklären. Denn der lang- oder kurzfristige Investitionshorizont und die Bereitschaft, die
erforderlichen Finanzressourcen einzusetzen, hängen von der entsprechenden Einstufung
ab. Der Weiterentwicklung des Kerngeschäfts wird gerade in kritischen Situationen eine
höhere Bedeutung beigemessen als der experimentellen Erschließung neuer Zukunftsfelder.

77 Strategische und finanzielle Ziele sollten aus Sicht der Gesamtstrategie des
Unternehmens aufeinander abgestimmt sein.

Etablierte Unternehmen sollten differenziertere Überlegungen anstellen, bevor sie sich


in das Abenteuer CVC stürzen. Die Ziele des Corporate Venturings – hier vor allem die
Gewinnung strategischer Vorteile und die Gewinnung neuer Produkte oder Geschäftsmo-
delle, das Erreichen eines Organisations- und Kulturwandels oder die Erzielung schneller
finanzieller Returns – sollten dabei mit den Bedürfnissen des investierenden Unterneh-
mens (Kontrolle des Ventures, die Fähigkeit und der Wille, entsprechende Ressourcen
einzusetzen, sowie die Bereitschaft, unternehmerische Risiken zu akzeptieren) verbunden
werden. Entscheidend für den Erfolg von CVC ist somit die Kombination strategischer
und finanzieller Ziele. Cooper et al. erkennen dabei eine Pendelbewegung von einer reinen
Strategieausrichtung über eine starke Finanzorientierung hin zu einer Betrachtung beider
„Value Creation“-Dimensionen: „Today, companies have realized that simply focusing
on strategic gains can lead to investments that are not financially feasible. On the other
hand, they have realized that a purely financial focus ignores the strong synergies that can
be created through strategic investments. Learning and earning have thus converged and
become CVC’s ultimate goal“ [9].

12.2.3 Herausforderungen für bestehende Unternehmen

77 Mitunternehmertum führt zu Wettbewerbsvorteilen und Mitarbeiterbindung.

Für bestehende Unternehmen stellt die Aufrechterhaltung und Umsetzung von unterneh-
merischen Grundprinzipien eine zentrale Herausforderung dar. Kürzer werdende Inno-
vationszyklen, das Erfordernis, auch Massenprodukte für spezifische Kundensegmente
anzupassen, sowie die Verbindung von Innovations- mit Marketingprozessen führen dazu,
dass Mitarbeitende oder Firmenangehörige zu Mitunternehmern entwickelt werden müssen.
Ist diese Stufe erreicht, gilt es, die Mitunternehmer an das Unternehmen zu binden. Ziel
ist es dabei, einerseits die unternehmerischen Freiheiten zu entwickeln und andererseits
die Mitunternehmer im bestehenden Unternehmen zu halten. Denn je unternehmerischer
12.3  Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung 395

jemand denkt und handelt, desto größer wird die Gefahr einer Abwanderung in die Selbst-
ständigkeit, wenn die Rahmenbedingungen im Angestelltenverhältnis nicht mehr stimmen.
Die generelle Bedeutung dieses Themas verdeutlichen die Kernergebnisse einer Studie zu
„Mitunternehmern im Unternehmen“ [10]: Erstens: Vom Mitunternehmertum erwarten die
Führungskräfte dauerhaft wirksame Wettbewerbsvorteile. Zweitens: Unklar ist in vielen
Fällen, wer im Unternehmen überhaupt das Zeug zum Mitunternehmer hat – obwohl es er-
probte Instrumente gibt, das aufzudecken. Drittens: Dezentralisierung und Spezialisierung,
autonome Einheiten wie Geschäftsbereiche und Servicecenter sind Schritte in Richtung
Mitunternehmertum. Der erwartete Nutzen liegt bei mehr Eigeninitiative, stärkerer Identi-
fikation, mehr Selbststeuerung, schnelleren Abläufen und höherer Innovation.

77 Corporate Venturing soll die Vorteile etablierter und junger Unternehmen


verbinden.

Größere, etablierte Unternehmen laufen deshalb Gefahr, sich mit ihren unternehmeri-
schen Aktivitäten und Impulsen in einem Netz von unternehmensinterner Bürokratie und
stabilisierend wirkenden Hierarchieebenen zu verfangen. Demgegenüber weisen junge
Unternehmen zwar keine stabilen Strukturen und keinen großen Ressourcenvorrat auf,
können jedoch kreativer, kundennäher und flexibler in ihren Marktnischen handeln, haben
den Vorteil der direkten Kommunikation und die Möglichkeit, rasch Entscheidungen zu
treffen. Zudem wirkt meist als treibende Kraft eine unternehmerische Persönlichkeit, die
auch Identifikation schafft. Die Unternehmenskultur in jungen Unternehmen ist stärker auf
Chancenentdeckung und Innovationen ausgerichtet. Hingegen profitieren die etablierten
Unternehmen gerade von ihrer Ressourcenstärke, ihren Erfahrungen und ihrem Bezie-
hungsnetzwerk. Durch Corporate Venturing sollen die Vorteile beider Unternehmenstypen
miteinander verbunden werden. Für große Unternehmen empfiehlt es sich daher, die aus
dem strategischen Management abgeleiteten drei Messkriterien zur unternehmerischen
Intensität – Opportunity Recognition, Organizational Flexibility, Locus of Planning – zu
nutzen, um die eigenen Schwächen zu identifizieren [4].

12.3 Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-


Umsetzung

Nach der vorgenommenen Systematisierung von Corporate Entrepreneurship wird in einem


nächsten Schritt die Umsetzung behandelt. Ausgehend von den Grundvoraussetzungen
für erfolgreiches Corporate Entrepreneurship folgt ein exemplarischer Entwicklungspro-
zess für neue Geschäfte. Diese Vorgehensweise bietet sich somit als Leitfaden für die
Umsetzung im eigenen Unternehmen an: Klärung der angestrebten Form des internen
und externen Venturings, Sicherstellung der unternehmerischen Grundvoraussetzungen
im Unternehmen, Durchführung des Venture-Prozesses, parallel dazu das Lernen anhand
von Praxisbeispielen.
396 12  Corporate Entrepreneurship

Grundvoraussetzungen für Corporate Entrepreneurship

77 Erfolgreiches Corporate Entrepreneurship benötigt bestimmte Grundvoraus-


setzungen.

Die folgenden aus Theorie und Praxis selbst abgeleiteten Grundvoraussetzungen für erfolg-
reiche Corporate-Entrepreneurship-Projekte sollten vor dem Start derselben sichergestellt
werden. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr, dass sie als Stolpersteine des gesamten
Corporate-Entrepreneurship-Prozesses wirken und damit ein Scheitern des entsprechenden
Projektes bewirken.

• Entwicklung einer unternehmerischen Vision, Mission und Strategie sowie eines


Bezugsrahmens zur Ideenverwirklichung, aktive Förderung neuer Ideen und kreativer
Projekte im Unternehmen (Schaffen einer Kreativitäts-, Innovations- und Lernkultur),
Schaffen von Rahmenbedingungen zum Eingehen von risikobehafteten (und damit
chancenreichen) Initiativen und Sicherstellung der Corporate-Venture-Capital-Res-
sourcen, Klärung allfälliger Schnittstellen zu externen Partnern;
• Definition einer klaren Venture-Strategie für Kompetenzzentren und Technologiefel-
der;
• Die bewusste Risikobereitschaft und die unternehmerische Freiheit dürfen nicht durch
Abteilungs- und Beamtendenken begrenzt werden, sondern müssen durch struktu-
relle Autonomie garantiert werden. Diese Autonomie sollte zu einer eigenständigen
Bewertbarkeit führen, um Investoren klare Einstiegsszenarien zu bieten;
• Förderung und Unterstützung und nicht Behinderung von interdisziplinären Kombi-
nationen von Kompetenzen in Venture-Teams (Promotoren-/Mentorenkonzepte);
• Abrufbereite und gezielte Einbringung von Unterstützung durch professionelle in-
terne/externe Dienstleister zumindest in den Frühphasen, Sicherstellung von Dauer-
haftigkeit und Nachhaltigkeit durch die Unternehmensleitung;
• Die Projekte sollten die besten Talente anziehen, die ihre Ideen in diesem Umfeld ver-
wirklichen möchten. Einführung von erfolgs-/ergebnisorientierten Entlohnungs- und
Belohnungssystemen4;
• Die Erfolgserwartungen und die entsprechenden Beurteilungszeiträume sind mittel-
bis langfristig, d. h. von ca. 18 Monaten an aufwärts, anzusetzen;
• Diese Erfolgsrezepte müssen konsequent verstanden und umgesetzt werden.

Nach der Sicherstellung dieser Grundvoraussetzungen kann mit dem eigentlichen Entwick-
lungsprozess begonnen werden.

4
Es ist zu beachten, dass monetäre/extrinsische Motivation die jedem Entrepreneurship-Handeln
zugrunde liegende intrinsische Motivation verdrängt und somit in diesem Zusammenhang kritisch
zu sehen ist. Vgl. [11].
12.3  Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung 397

12.3.1 Entwicklungsprozess des Corporate Entrepreneurships

77 Ideen können systematisch weiterentwickelt und in marktfähige Produkte und


Dienstleistungen umgesetzt werden.

Der Prozess des Findens und Umsetzens von Innovationen lässt sich anhand eines Phasen-
schemas wie in Tab. 12.1 aufgezeigt darstellen [6]. Dieser wird als Entwicklungsprozess
für neue Geschäfte (New Venture Development Process) [12] oder alternativ als Innovati-
onskanal oder als Venture Life Cycle [13] bezeichnet.
Das Grundprinzip sieht vor, aus den in der Umwelt existierenden Trends eine Fülle
von Ideen abzuleiten und diese schrittweise zu konkretisieren. Dies wird oft durch den
erwähnten kreativen Product Champion erfolgen. So müssen zunächst die genialen, aber
bisher versteckt gebliebenen Product Champions identifiziert werden. Es lassen sich aber

Tab. 12.1  Entwicklungsprozess für neue Geschäfte

Phase Idee Konzept/ Business- Implemen- Value


Machbarkeit plan tierung/ Capture
Kommerzia-
lisierung

Ziele und Kreativitäts- Überprüfung Geschäfts- Verfeine- Wertgenerie-


Aktivitäten förderung, der Idee, Re- modell-Ent- rung des rung, Exit-
Anzahl der alisierbarkeit wicklung, Geschäfts- planung für
Ideen stei- prüfen Planung, modells, Investoren,
gern – sys- Meilenstein- Teament- Marketing
tematische, definition wicklung, und Kom-
kollektive, Prototypen- munikation
individuelle einsatz, Res-
Verfahren sourcenak-
quisition
Zeit­ Laufend, 1 Woche 3 Wochen 3 Monate bis 1 bis 4 oder
horizont Formulie- bis 3 Monate 2 Jahre oder 5 Jahre
rung der mehr
Idee: Tage
Kriterien Ideen­ Realisier­ Schlüssig- Markt­ Wert­
bewertung barkeit keit akzeptanz steigerung
Entschei- Qualität der Idee rea- Einstieg in Fertig- Ausbau, Exit
dung Idee lisierbar, Umsetzung stellung,
Ressourcen- Start-up
einsatz

Quelle: in Anlehnung an Albrinck, J./Hornery, J./Klatter, D./Neilson, G., Adventures in


Corporate Venturing, strategy + business – The Zealot’s Guide to Growth: A Special Double
Issue, Issue 21, first quarter 2001, S. 119–129.
398 12  Corporate Entrepreneurship

auch systematische Ideensuchverfahren wie Brainstorming, morphologischer Kasten, Del-


phi-Analysen oder Analogieschlussmethoden einsetzen. Die Praxis gerade in KMU zeigt
allerdings, dass vielfach Kollektivverfahren, die auf der Zusammenarbeit mit (Schlüssel-)
Kunden oder Marktuntersuchungen via Konkurrenzanalysen, Messebesuchen oder Infor-
mationen von Kundenkontaktpersonal basieren, zielführender und ertragreicher sind.

77 Ideen müssen begleitet und unterstützt werden, erst dann kann aus ihnen ein
Geschäft entstehen und Nutzen gezogen werden.

Der Product Champion ist allerdings meist durch sein technologisches Know-how geprägt,
er sollte deshalb in der Konzeptphase mit markterfahrenen Partnern zusammengeführt
werden. Das gezielt zusammengestellte und geförderte Venture-Team aus verschiedenen
Disziplinen (Technologie, Marketing, Controlling) kann als nächsten Schritt eine Machbar-
keitsstudie zur Realisierbarkeit der Idee durchführen. Dazu sind systematisch begleitende
Dienstleistungen anzubieten, die verstärkt im Bereich der Unternehmensentwicklung und
Mitarbeiter-/Technologieförderung anzusiedeln sind. Ist auch hiernach ein Weiterführen des
Projektes gegeben, wird ein Businessplan erstellt (siehe Kap. 9). Der fertige Businessplan
sollte alle offenen Fragen klären. Dazu ist die Einbeziehung weiterer Experten erforderlich.
Dies kann durch unternehmensinterne Spezialisten innerhalb eines Business oder Techno-
logy Accelerators geschehen oder unter Einbeziehung externer Partner, die entsprechende
Dienstleistungen anbieten. Hier bieten sich auch die Inkubatormodelle an. Unter Um-
ständen muss das Ergebnis der Machbarkeitsstudie sogar revidiert werden. Bei positivem
Befund setzt sich der Prozess mit der Implementierung und Kommerzialisierung fort.
Wie in Abb. 12.2 dargestellt, lassen sich im Rahmen des Corporate Entrepreneurships
nun zwei Pfade aufzeigen. Nach der Verfeinerung des Geschäftsmodells wird die entspre-
chende unternehmerische Einheit des Unternehmens oder ein neues Unternehmen gegrün-
det. Dies kann in Form eines Spin-offs, eines Venture-Nurturing-Modells oder eines Joint
Ventures erfolgen. Handelt es sich um ein Projekt, das relativ rasch Routinestatus innerhalb
der bestehenden Strukturen erreichen wird, weil es zu wenig Wachstumspotenzial und zu
enge Verbindung zum Kerngeschäft aufweist, dann genügt das Weiterbetreiben innerhalb
der bestehenden Strukturen mit weiterer Projektverfolgung und unterstützender Begleitung.
Die Finanzierung erfolgt in der Regel im Rahmen der laufenden Budgetierungsprozesse.

77 Der Verlauf von Corporate-Entrepreneurship-Prozessen hängt von deren Qua-


lität, Komplexität und Wachstumspotenzial ab.

Weist das Gründungsprojekt jedoch eine höhere Qualität/Komplexität/ein höheres Wachs-


tumspotenzial auf, kann eine Ausgründung in Betracht gezogen werden. Diese wird
im Rahmen eines Accelerators eng begleitet und mit den entsprechenden internen und
externen Ressourcen (CVC) versorgt. Insbesondere ist auf qualifizierten und das Grün-
dungsteam komplementär ergänzenden Zugang zu Spezialisten sowie die adäquate Kapi-
talausstattung zu achten. Den Schlusspunkt dieses Prozesses stellen marktfähige Produkte
bzw. Dienstleistungen dar. Mit diesen sollen entsprechende Werte geschaffen werden, die
12.3  Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung 399

Abb. 12.2 Corporate-Entrepreneurship-Pfade

nach geplantem Exit-Modell (Verkauf, Börsengang [IPO] etc.) dann nach drei bis fünf
Jahren konkret realisiert werden. Dieser letzte Schritt hängt jedoch von den Wachstums-
erfolgen des Gründungsprojektes ab. Es kommen daher auch Lösungen wie Rückintegra-
tion in die Kernstrukturen, Verkauf, Fusion, Schließung sowie weiteres Wachstum durch
externe Eigenkapitalaufnahmen mit Co-Investoren infrage. Jede dieser Phasen lässt sich
durch spezifische Ziele und Aktivitäten, den zur Verfügung stehenden Zeithorizont sowie
Kriterien für die Fortführung dieses Projektes kennzeichnen. Im Sinne von „Quality Ga-
tes“ muss nach jeder Phase eine konkrete Entscheidung getroffen werden.

77 Nutzen und Risiken von Innovationen und Investments müssen gegeneinan-


der abgewogen werden.

Im Prinzip vergleichbare Innovationsprozessmodelle finden sich in verschiedenen Vari-


anten in Unternehmen. Beispielsweise lässt sich der Innovationsprozess auch als Invest-
mentprozess auffassen [14], um damit die strategische und finanzielle Dimension dieses
Entwicklungsprozesses zu verknüpfen. Dies ist deshalb von großer Bedeutung für Unter-
400 12  Corporate Entrepreneurship

nehmen, da diese Innovationsprojekte naturgemäß mit Risiken verbunden sind, gleichzei-


tig aber Geldmittel investiert werden, die später einen Rückfluss an neu erwirtschafteten
Mitteln bewirken sollten. Die Ausblendung der finanziellen Dimension von Innovations-
projekten ist deshalb nicht zu verantworten. Idealerweise wird deshalb der Zeitablauf von
der Ideenphase bis zur Ausbeutungsphase anhand einer Discounted-Cash-Flow-(DCF-)
Kurve in eine Investment- (Periode mit negativem DCF) und eine Ertragsphase (Periode
mit positivem DCF) unterteilt. Gerade der Umgang mit der Investmentphase stellt dabei
die entscheidende Herausforderung dar, denn durch den oben beschriebenen Filter- und
Auswahlprozess – bezogen auf die Innovationsprojekte – muss sichergestellt werden, dass
frühzeitig Projekte selektiert werden, die später mit hoher Wahrscheinlichkeit einen insge-
samt positiven Return on Investment versprechen. 3M verfolgt beispielsweise diese klare
Linie: „I think most companies that have done venture investing realize that you have both
strategic and financial goals. We are primarily strategic investors but at the same time we
are expected to produce returns in excess of our cost of capital“ [15]. Das ist eigentlich
eine Selbstverständlichkeit, doch die Analyse einer Vielzahl von Investmentprojekten eines
deutschen Großkonzerns hat gezeigt, dass trotz des Wissens um zu hohe Technologie- und
Kapitalkosten weiter auf Projekte gesetzt wird, deren Ertragsphase wahrscheinlich nie
erreicht werden kann. Damit kommen machtpolitische und visionäre Aspekte des oben
aufgezeigten Prozesses mit ins Spiel. Eine konsequente Einhaltung selbst definierter Fil-
ter/Quality Gates kann hier Abhilfe schaffen, könnte aber unter Umständen das „genial-
unternehmerische Moment“ außer Acht lassen, das erst nach langjähriger Forschung und
Entwicklung doch plötzlich den Durchbruch am Markt schafft. Bei diesem Prozess sind
weiter die Zeit bis zum Markteintritt sowie die Informationsbeschaffungskosten zum Abbau
der Unsicherheiten in Betracht zu ziehen.
Die hier vorgestellten Ansätze sind den stärker planerisch-gestalterischen Ansätzen
zuzuordnen. Dabei werden die Unternehmenszukunft und die Umwelt grundsätzlich als
gestaltbar angesehen. Aus den eigenen Kernkompetenzen heraus wird die Innovations-
strategie entwickelt und umgesetzt. Die Realität von Unternehmen zeigt jedoch auch die
Begrenztheit dieses Grundgedankens auf. Die Gestaltungskraft und -macht von Unterneh-
men, gerade von Start-ups und KMU, sind vielfach zu gering. Deshalb müssen diese Unter-
nehmen das Potenzial von offenen Innovationsprozessen sowie des Effectuation-Ansatzes
(siehe Kap. 5) stärker nutzen.

12.3.2 Offene Innovationsprozesse

77 Externe Partner können für die Entwicklung von Innovationen eine wichtige
Rolle einnehmen.

Die vorgängig dargestellten Prozesse laufen alle vornehmlich bis ausschließlich innerhalb
des Unternehmens ab. Im Gegensatz hierzu hat sich in den letzten zehn Jahren das Konzept
der offenen Innovationsprozesse – Open Innovation – verbreitet. Allerdings muss man
12.3  Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung 401

hinzufügen, dass Unternehmen schon immer mit Hochschulen und weiteren Forschungs-
einrichtungen auch auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung tätig waren, ohne dies
als neues Paradigma, wie in der Literatur getan, zu verkünden. Die Abhandlung von Putsch
zeigt auf, wie sich das Open-Innovation-Denken mit der Zeit entwickelt hat [16].
Das Aufkommen von Open-Innovation-Lösungen fällt mit dem Entstehen von Open-
Source-Softwarelösungen zusammen, bei denen sich um eine zentrale Firma herum ver-
schiedene Community-Partner gruppieren und programmieren, die allerdings keine fi-
nanziellen Entschädigungen hierfür verlangen [17]. Chesbrough formuliert in der Folge,
dass bei Open-Innovation-Prozessen sowohl interne wie auch externe Ideen und damit
bestehende wie auch neue Marktzugänge vom Unternehmen genutzt werden können:
„Open innovation combines internal and external ideas into architectures and systems
whose requirements are defined by a business model“ [18]. Dadurch wird der Bogen zum
Geschäftsmodell geschlagen, das als Kern der Strategie in Kap. 5 ausführlich dargestellt
wurde. Von Gassmann/Enkel wurden dann drei Varianten von Open-Innovation-Prozessen
empirisch bestätigt, die bereits in den Varianten von Corporate Entrepreneurship enthalten
sind: Inside-Out-Prozesse (Kommerzialisierung internen Wissens durch Patent- und Li-
zenzvergabe), Outside-In-Prozesse durch Internalisierung externen Wissens von Kunden,
Lieferanten oder anderen Unternehmen und der Coupled-Prozess, bei dem eine gemein-
schaftliche Zielerreichung vorliegt [19].
Zusammenfassend können laut Putsch die vier Dimensionen des Open-Innovation-
Ansatzes wie folgt dargestellt werden [20]:

• Prozesse: Inside-Out, Outside-In, Coupled;


• Aufgaben: Technologie- und Ressourcenzugang, Synergieeffekte, Wissenstransfer und
-akquisition;
• Akteure: Universitäten/Hochschulen/Forschungseinrichtungen, Kunden/Lieferanten,
Mitbewerber, Freelancer, Netzwerke/Communities;
• Strukturen: IT-Systeme, Kommunikationsgefäße, Motivation, Unternehmenskultur.

Ein Unternehmen, welches alle Ansätze von Corporate Entrepreneurship beherrscht, ist
der „schwäbische Hidden Champion“ Festo, welcher im nachfolgenden Unternehmerprofil
vorgestellt wird [21].

Unternehmerprofil: Festo AG & Co. KG (www.festo.com)


Festo ist ein hoch innovatives mittelständisches Unternehmen der Automationstechno­
logie und industriellen Didaktik mit Stammsitz in Esslingen-Berkheim, das 1925 von
Albert Fezer und Gottlieb Stoll gegründet wurde. Heute ist Festo weltweit führend
im Bereich Automatisierung mit pneumatischen und elektrischen Komponenten und
Systemen sowie Weltmarktführer im Bereich der technischen Aus- und Weiterbildung
der Industrieautomatisierung. Bereits ein Jahr vor der Übergabe an die Söhne Kurt und
Wilfried Stoll wurde 1970 die Festo Didactic als logischer Schritt aus dem bereits in
402 12  Corporate Entrepreneurship

den 1960er-Jahren entwickelten globalen Wissensnetzwerk und dem ständigen Trans-


fer des Anwendungswissens gegründet. Mit dieser unternehmerischen Vorgehensweise
nahm Festo eine Vorreiterrolle in Deutschland ein und legte den Grundstein für den
heutigen Erfolg der Festo Didactic. Festo gilt auch heute noch als ein selbstlernendes
Unternehmen, da in Aus- und Weiterbildung 1,5 % des Umsatzes investiert wird. 1999
wurde in ein neues Technologiezentrum in Berkheim investiert. Mittlerweile werden
zum Beispiel mit dem „Bionic Learning Network“ mithilfe von offenen Innovations-
prozessen „Erfindungen“ der Natur auf technologische Anwendungen wie das „Smart-
Bird Model“ oder den „Bionic Handling Assistant“ übertragen.
Festo ist heute mit 61 Landesgesellschaften und über 250 Niederlassungen in
176 Ländern vertreten und erwirtschaftet mit 17.800 Mitarbeitenden an 250 Standor-
ten einen Konzernumsatz von 2,45 Mrd. EUR. In den letzten Jahren hat Festo seine
Organisation an die veränderten Bedingungen des globalen Marktes angepasst und in
den Ausbau eines notwendig gewordenen weltumspannenden Entwicklungs-, Produk-
tions- und Logistikverbundes mit „engineering & production on demand“ sowie in
neue Geschäftsfelder investiert. Damit konnte Festo flexibel und schnell auf wechseln-
de Marktgegebenheiten und individuelle Kundenbedürfnisse reagieren und brachte der
Firma die logistische Marktführerschaft ein. Weltweit werden innerhalb Zentraleuropas
über 75 % der Aufträge innerhalb von 24 Stunden an über 300.000 Kunden weltweit
ausgeliefert.
Die Grundlage für die Innovationskraft von Festo liegt in der HR-Strategie und
im Open-Innovation-Denken: „Festo: Als führender globaler Partner von Unterneh-
men und Bildungsinstitutionen und als familiengeführte Firma setzt sich Festo nach-
drücklich für die Entwicklung von Lehr- und Lernumgebungen und den weltweiten
Wissenstransfer ein. Mit der Initiative Corporate Educational Responsibility (CER)
bietet Festo mehr als 16.000 Mitarbeitern Zugang zu Weiterbildung in Ingenieurwis-
senschaften und Technik und lebenslangem Lernen. Festo betrachtet die Kenntnisse
und Fähigkeiten der Mitarbeiter des Unternehmens als wichtigste Elemente seiner In-
novationsfähigkeit und Nachhaltigkeit“ [22].

77 Eine konsequente und ausgewogene Forschungs-, Innovations- und HR-Politik


ist der Grundstein des Erfolges.

Das Unternehmen weist eine F&E-Quote von 7,5 % auf, ist im Besitz von ca.
2900 Patenten und bringt jedes Jahr rund 100 Produktneuheiten hervor. Seit einigen
Jahren finden eine systematische Aufbereitung von Patentdaten und eine Erkundung
von Zukunftsmärkten statt. Seither wird gezielter in Innovationen investiert. Das Un-
ternehmen hat keine Schulden, sondern betreibt die Finanzierung von Investitionen
aus dem Cashflow. Außer der eigenen Forschung investiert das Unternehmen auch
in innovative Firmen oder bildet kooperative Partnerschaften und entwickelt den un-
ternehmerischen Geist der Mitarbeitenden. Vorteilhaft wirkt sich der Gegensatz der
Stoll-Geschwister, ein Visionär und ein kühler Pragmatiker, aus. Festos Erfolg und
12.3  Vorgehensweise bei der Corporate-Entrepreneurship-Umsetzung 403

das Wachstum beruhen auf einer konsequenten Umsetzung von Innovationen und
Erkenntnissen.

77 Festos Erfolg ist auf Wachstum in vier Dimensionen und auf drei strukturierte
Methoden zurückzuführen.

Notwendige angepasste strategische und strukturelle Veränderungen in der Organisati-


on wurden konsequent und rechtzeitig umgesetzt. Das Zusammenspiel all dieser Fak-
toren führte dazu, dass das Unternehmen in vier Dimensionen wachsen konnte: 1. in-
novative Produkte und Services, 2. in Regionen, 3. durch neue Branchen und 4. durch
das Anbieten von Wissen für das gesamte Spektrum der Fertigungs- und Prozessauto-
matisierung.
Die Aktivitäten von Festo zur Innovationsförderung [23]5 lassen sich zu drei Kern-
ansätzen verdichten: der Festo Future Radar (FFR), der Neuheitenentstehungsprozess
(NEP) und der Designprozess (DP). Der FFR ist ein Instrument zur Früherkennung von
Trends für die Geschäftsbereiche auf den Gebieten Gesetzgebung, Wirtschaft & Poli-
tik, Technologie, Gesellschaft, Energie & Umwelt. Dabei werden vom Future Scanning
über das Business Development bis zum konkreten Businessplan für den Markt die
Innovationen schrittweise verfeinert und marktreifer gemacht. Der NEP ist in sechs
Phasen untergliedert und hat ebenfalls eine schrittweise Konkretisierung der Ideen aus
dem Produktmanagement zum Ziel. Dabei fließen technologie- und marktseitige Quel-
len ein, die dann von einem interdisziplinären Team bis zur Marktreife fortentwickelt
werden. Der ebenfalls sechsstufige DP wiederum ist teilweise in den NEP integriert und
verfolgt das Ziel, bei Festo-Produkten ein klares, ergonomisches und funktionsgerech-
tes Design mit hohem Wiedererkennungswert durchzusetzen.
Damit weist Festo insgesamt durchdachte und strukturierte Corporate-Entrepreneur-
ship-Lösungen auf, welche zu verschiedenen Venture-Management-Aktivitäten führen,
die aber zugleich zielgerichtet und koordiniert sind und von der Leitung sowie den
Mitarbeitenden gelebt werden.

Als Fazit dieser Überlegungen kann festgehalten werden, dass für das Gelingen von Cor-
porate Entrepreneurship einerseits ein klar definierter Innovationsprozess erforderlich ist,
dieser andererseits aber die realen – nicht rein visionären – Marktchancen und die Betrach-
tung der finanziellen Seite nicht außer Acht lassen kann. Weiterhin müssen strukturelle und
organisatorische Veränderungen den jeweiligen Marktentwicklungen Rechnung tragen.

5
Unter Verwendung folgender Quellen: Post, P./Köpschall, M., Mit Future Radar Trends auf der
Spur, VDMA-Nachrichten, Dezember 2010, S. 18 f. sowie Berner, P./Köpschal, M./Schmid, S. In-
terviewfragen mit Antworten FESTO AG & Co. KG, 11. Mai 2011.
404 12  Corporate Entrepreneurship

12.4 Fallstudie: Vergleich T-Ventures mit Swisscom Ventures

Die Telekommunikationsbranche gehört seit Jahren zu den beliebtesten Branchen für VC-
und CVC-Investments, da sie seit ihrer teilweisen Entmonopolisierung erheblich an Inno-
vationskraft gewonnen hat und durch neue Geräte, Applikationen und Dienstleistungen die
Kundenbedürfnisse zu befriedigen versucht. Doch woher kommen diese Innovationen?
Deshalb ist es interessant zu sehen, wie sich zwei maßgebliche Partner in diesem Markt,
die deutsche Telekom und die schweizerische Swisscom, entwickelt und welche unter-
schiedlichen Wege sie dabei eingeschlagen haben.
Konkrete Entscheidungen des investitionsbereiten Unternehmens setzen klare Richtli-
nien und Rahmenbedingungen voraus. Deshalb wird in dieser Fallstudie ausnahmsweise
keine einzelne Entscheidungssituation betrachtet, sondern die jeweiligen Rahmenbedingun-
gen für die konkreten Einzelentscheidungen. Denn die Orientierung an diesen getroffenen
Grundsatzentscheidungen bestimmt maßgeblich die Einzelfallentscheidung und fließt in
die Beurteilung des Investitionsfalles mit ein. Zu diesem Zweck haben Christian Zulliger,
Dariush Daftarian, Elias Tochalla und Julian Hillebrand im Kurs Corporate Entrepreneur-
ship von Christoph Müller an der Universität St. Gallen 2011 eine Vergleichsstudie durch-
geführt, deren Ergebnisse hier präsentiert werden [24]. Es wurden zu diesem Zweck zwei
Interviews geführt: mit Frau Marie Dowling von T-Ventures und mit Herrn Dominique
Mégret von Swisscom Ventures.

77 T-Ventures hat als Pionier des CVC in Deutschland aufgezeigt, wie dieses Ge-
schäft nachhaltig erfolgreich zu betreiben ist.

T-Ventures wurde bereits 1997 (in der ehemaligen Schweizer Botschaft) gegründet. Von
Anfang an wurde in direkte und indirekte Beteiligungen, national wie international, in-
vestiert. Die Gründung erfolgte als GmbH in Kombination mit einem Fonds, der bereits
zwei Jahre später verdoppelt wurde. Anschließend wurde alle ein bis eineinhalb Jahre das
Fondsvolumen aus hauseigenen Mitteln verdoppelt. 2001 wurden dann entsprechend der
strategischen Ausrichtung in vier Divisionen (T-Online, T-Mobile, T-Com, T-Systems) vier
Fonds geschaffen, um den strategischen Bezug sicherzustellen. 2004/05 folgte die nächste
Umstrukturierung. Stand Anfang Mai 2015 ist T-Ventures in 69 Portfolio-Unternehmen
investiert. Insgesamt wurde in bereits 190 Unternehmen investiert. Das Investitionsvolu-
men beträgt 0,5 bis 10 Mio. EUR bei einem Anlagehorizont von fünf bis sieben Jahren.
Zusätzlich wurde eine Inkubationsabteilung „Products and Innovation“ geschaffen, die
intern nicht weiter verfolgte Projekte bei ihrer Ausgründung aus dem Konzern unterstüt-
zen soll. Die Telekom bietet dafür Coaching, eine Anschubfinanzierung und Assets für
die Gründung. Eine Rückholung ist möglich. Die Telekom investiert auch in ausgewählte
Projekte in der Seed-Phase bis zu 0,3 Mio. EUR. Die Deutsche Telekom gehört zudem zu
den tragenden Investoren des deutschen High-Tech-Gründerfonds (www.htgf.de).

77 Swisscom Ventures ist später gestartet, weist aber ebenfalls eine klare CVC-
Strategie auf.
12.4  Fallstudie: Vergleich T-Ventures mit Swisscom Ventures 405

Die Swisscom Venture wurde erst 2007 als Corporate Venturing Unit innerhalb der Group
Strategy and Business Development Division von Swisscom gestartet. Als Startkapital
standen für den Evergreen-Fonds immerhin 70 Mio. CHF zur Verfügung. Die aktuelle Ent-
wicklung kommentiert Swisscom Ventures wie folgt: „Seit ihrer Gründung hat Swisscom
Ventures Minderheitsbeteiligungen an mehr als 35 Unternehmen erworben, die überwie-
gend in den Bereichen digitale Medien, IT und Telekommunikation tätig sind. Swisscom
Ventures ist in den Innovationszentren der Schweiz (Zürich und Lausanne) sowie in den
USA (Silicon Valley) (Stichwort: Swisscom StartUp Challenge 2015 im Silicon Valley)
vertreten. Als strategischer Investor investieren wir in Unternehmen, die für unser Ge-
schäft von strategischer Bedeutung sind. Den Unternehmern bieten wir neben finanzieller
Unterstützung Zugang zu Telekommunikations-Know-how, technischer Infrastruktur und
Vertriebskanälen. Das Venture Investment Committee ermöglicht Swisscom Ventures eine
schlanke Verwaltung und schnelle Entscheidungsprozesse. Das Kern-Investmentteam ar-
beitet eng mit einem Netzwerk von Venture Associates zusammen, die von der Swisscom
Konzernleitung ernannt wurden, um ihre jeweiligen Geschäftsbereiche bei Venture-Capi-
tal-Aktivitäten zu repräsentieren. Die Venture Associates sind auf Teilzeitbasis zuständig
für das Dealflow-Screening, für Einführungen in den Geschäftseinheiten sowie für die
Durchführung der Due-Diligence-Prüfungen. Sie fungieren als Vermittler zwischen Swiss-
com und den Portfolio-Unternehmen.“ Das Portfolio besteht mittlerweile aus drei Fonds:
Strategic Fund, Swiss Early Stage Fund und Swiss SME Fund. Für nähere Informationen
siehe [25]:
Der Vergleich der Erfolgsfaktoren von T-Ventures und Swisscom-Ventures wird im
Folgenden dargestellt.
Die Erfolgsfaktoren von T-Ventures umfassen nach eigener Aussage neun Aspekte:

1. Breiter geografischer Fokus: Das Büro im Silicon Valley führt alle weltweiten IT-Fälle
und arbeitet mit US-VC-Partnern zusammen, der Hauptfokus ist damit auf Deutschland
und die USA gerichtet.
2. Commitment der obersten Führungsebene: Der Telekom-Vorstand setzt sich persönlich
für die Förderung von Unternehmertum und Innovationen ein. Dazu soll eine Innovati-
onskultur geschaffen und ausgebaut werden, die flexibel, schnell und mutig ist.
3. Anpassungsfähigkeit der Venture-Einheit: Die strategische Ausrichtung der Corporate-
Venture-Aktivitäten war immer auf die Konzernstrategie ausgerichtet, in Fragen der
formellen Umsetzung wurde hingegen Pragmatismus an den Tag gelegt.
4. Rasche Achtungserfolge: Durch den frühen Start (vergleichbar Novartis Venture Fonds)
konnten bereits rasch profitable Exits und Technologiegewinne realisiert werden.
5. Mittelfristige Implementierung eines „Start-up-Spirits“ im ganzen T-Konzern: Durch
die Erfolgsbeispiele und das kontinuierliche Engagement der Leitung konnte unterneh-
merisches Denken und Handeln nachhaltig verankert werden.
6. Passende Co-Investoren für Syndikate in der Anfangsphase: Hier konnten früh Part-
nerschaften mit US-VCs eingegangen und Erfahrungen mit direkten und indirekten
Investments gesammelt werden, was für eine Professionalisierung des Geschäfts för-
derlich war.
406 12  Corporate Entrepreneurship

7. Langfristige Orientierung bei den Exit-Strategien: Das Venture-Geschäft wird als lang-
fristige Investition verstanden, entsprechend wird die Zeit zur Entwicklung gewährt,
es werden auch nichtmonetäre Unterstützungen geleistet und die Vertriebsstruktur der
Telekom wird direkt mit einbezogen.
8. Standardisierter Finanzprozess zur Bewältigung eines hohen Dealflows: Das hohe Deal-
volumen wird mittels eines strukturierten Investitionsprozesses und durch temporäre in-
direkte Investments handhabbar gehalten. Die Investmentkriterien lauten: Invest Fokus,
Invest per round, Region, Synergien, ROI und Exit.
9. Agiles und unabhängiges unternehmerisches Handeln: Die Venture-Einheit besitzt die
Freiheit, unabhängig von der Konzernleitung Entscheidungen treffen zu können. In
Kombination mit schlanken Prozessen und direkten Wegen in den Konzern hinein kann
so schnell und im Sinne der Sache gehandelt werden.

Swisscom Ventures besitzt nach eigener Aussage acht Erfolgsfaktoren:

1. Schlanke Organisation: Die Venture-Einheit wird mit einem fünfköpfigen VC-Team


und einem zweiköpfigen Venture Investment Committee geführt.
2. Internationalität: Ein Teammitglied arbeitet direkt im Silicon Valley, um nah an den
entstehenden disruptiven Technologien zu sein.
3. Commitment der obersten Führungskräfte: Der Leiter Strategy & Business Develop-
ment fördert direkt die Venture-Einheit und der CFO sitzt im Investment Committee.
Gleichwohl gab es im Zuge von CEO-Wechseln in der Vergangenheit auch eine wech-
selnde Einstellung zur Bedeutung und Rolle der Venture-Einheit.
4. Die Person Dominique Mégret: Mit seiner Erfahrung aus über 70 Deals bringt er die
Swisscom Ventures zielgerichtet voran.
5. Langfristige Orientierung bezüglich Exit: Der Investment-Horizont beträgt zehn bis
15 Jahre, dadurch kann man als verlässlicher und berechenbarer Partner am Markt auf-
treten, wenngleich dadurch auch die Finanzierungsrunden „komplexer“ werden können.
6. „Observer Seat“: In das operative Geschäft der Start-ups wird wenig eingegriffen, die
Steuerung erfolgt über Board-/Verwaltungsratssitz. Oft haben Syndikats-VCs den Lead.
Das Prinzip des CEO-Austauschs wird als Steuerungsinstrument bewusst eingesetzt.
7. Events: Alle zwei Jahre findet in Engelberg der Corporate Venturing Round Table statt,
der die Heads der europäischen VCs an einem malerischen und VC-adäquaten Ort zu-
sammenbringt. Die Portfolio-Unternehmen präsentieren sich jeweils am Swisscom Ven-
tures Breakfast. Das Swisscom Venturing Network dient dem Austausch von Intra- und
Entrepreneurs über Best Practices und findet halbjährlich mit 40 Teilnehmern statt.
8. Spin-off-Unterstützung: Die CEOs der Portfolio-Unternehmen werden gezielt mit den
internen Spin-offs zusammengebracht. Dabei finden auch Vorträge über allgemeine
Entrepreneurshipthemen statt.

Der Vergleich der beiden Telekommunikation-Ventures zeigt eine Reihe von Parallelen,
aber auch bewusste individuelle Ausprägungen und Schwerpunktsetzungen. Beide Venture-
Einheiten sind strategisch klar positioniert und genießen eine starke Unterstützung durch
12.4  Fallstudie: Vergleich T-Ventures mit Swisscom Ventures 407

ihren Konzern. Beide sind international aufgestellt und unterstützen die Start-ups nicht nur
mit Finanzen, sondern mit konkreten Dienstleistungen und ihrem Netzwerk. Beide haben
die Geschäftsleitung der Einheiten wie auch das Syndikatsmanagement professionalisiert.
Beide Venture-Einheiten agieren strukturiert und sind agil unterwegs. Das ist erforderlich,
um den neuen Herausforderungen und Mitbewerbern des Cloud-Zeitalters und alternativer
Kommunikationsmethoden entsprechen zu können.
Erkennbare Unterschiede bestehen in der Zeitdauer des Investitionshorizonts, bei der
gezielten Durchführung von Veranstaltungen, bei den Auswirkungen von CEO-Wechseln
und bei der Due-Diligence-Politik. Des Weiteren führen die unterschiedlichen Gründungs-
zeitpunkte zu verschiedenen „historischen Erfahrungen“ und die eingesetzten Volumina
sind unterschiedlich. Interessanterweise arbeiten beide Venture-Einheiten oft zusammen,
kennen sich persönlich gut und sehen sich nicht in Konkurrenz zueinander.

Fragen zur Fallstudie


1. Stellen Sie diese Erfolgsfaktoren in den Kontext der grundlegenden Veränderung
des mobilen Kommunikationsverhaltens der Konsumenten und beurteilen Sie die
Gestaltungsmacht der beiden Unternehmen. Woher kommen ursprünglich die Ideen
für neue Produkte und Dienstleistungen?
2. Analysieren Sie das jeweilige Portfolio der investierten Unternehmen über den In-
ternetauftritt der beiden Unternehmen und versuchen Sie, daraus die zugrunde lie-
genden Portfolio-Strategien abzuleiten.
3. Welche weiteren Akteure mit welchen Leistungsangeboten kennen Sie, die in den
Telekommunikationsmarkt eintreten und auf die etablierte Unternehmen, wie die
Deutsche Telekom und die Swisscom, reagieren müssen.

Diskussionsfragen
1. Warum ist die Beschäftigung mit Corporate Entrepreneurship für Unternehmen von
entscheidender Bedeutung?
2. Für welche Art von Geschäftsstrategie ist welche Corporate-Venturing-Aktivität
passend? Welche Gründe erkennen Sie für das selbst verantwortete Scheitern von
Corporate-Entrepreneurship-Projekten?
3. Welche Kernfragen stellen sich in den einzelnen Phasen des Entwicklungsprozesses
für Corporate Entrepreneurship?
4. Welche Parallelen zwischen der Theorie und den Praxisfällen können Sie ableiten?
5. Wodurch zeichnen sich die Lösungen von auf dem Gebiet Corporate Entrepreneur-
ship tätigen Unternehmen aus verschiedenen Branchen im Vergleich aus? Gehen Sie
hierzu insbesondere auf die Medienbranche mit Akteuren wie Axel Springer, Burda
Media, Tamedia und Ringier im Vergleich zur Pharma- und Biotechnologiebranche
mit Roche und Novartis sowie die Internetbranche mit Google, Amazon und Rocket
Internet ein.
408 12  Corporate Entrepreneurship

6. Analysieren und bewerten Sie den kooperativen Ansatz, der hinter der neuen In-
itiative „Action Jam“ in der Schweiz steht (www.actionjam.com).

Literatur

Verwendete Literatur
1 Sharma, P., & Chrisman, J. (1996). Defining corporate entrepreneurship: A review and recon-
ciliation. Proceedings of United States Association for Small Business and Entrepreneurship.
(S. 137–146).
2 Cooper, A., Gadson, J., Nielsen, K., & Philips, C. (2001). Corporate venturing – Gold mining
or fool’s gold. Kellogg TechVenture 2001 Anthology.
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4 Phillipi, F. (2011). Corporate Entrepreneurship – Eine strategische Betrachtung, online un-
ter: www.vend-consulting.de/upload/pdf/CorporateEntrepreneurship.pdf, S. 13, Zugriff am
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5 Frank, H. (2009). Corporate entrepreneurship (2. Aufl.). Wien: WUV.
6 Müller, C., & Fuge, H.-F. (2004). Systematisierung innovativer Ansätze des Gründungsmanage-
ment in Unternehmen auf Basis explorativer Studien. In A.-K. Achleitner, H. Klandt, L. T. Koch,
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mon form and their organizational implications. Entrepreneurship Theory & Practice, Spring,
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9 Cooper, A., Gadson, J., Nielsen, K., & Phillips, C. (2001). Corporate venturing – gold mining
or fool’s gold. Kellogg TechVenture 2001 Anthology.
10 Glaser-Gallion, J., & Schneider, K. (2004). Mitunternehmer im Unternehmen – Zukunft oder
Illusion? Management Partner Brief, Bd. 1, S. 26–29). Stuttgart: Management Partner.
11 Frey, B. S., & Osterloh, M. (2000). Motivation – Der zwiespältige Produktionsfaktor. In B.
Frey, & M. Osterloh (Hrsg.), Managing Motivation (S. 19–42). Wiesbaden: Gabler Verlag.
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strategy + business – The zealot’s guide to growth: A special double issue, (21, first quarter),
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15 Okerman, G., Managing Director, Corporate Enterprise Group, 3M Company, in: Working
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im mittelständischen Maschinenbau, Dissertation, Stuttgart, 2011, S. 133.
Literatur 409

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19 Gassmann, O., & Enkel, E. (2006). Open Innovation. Die Öffnung des Innovationsprozesses
erhöht das Innovationspotential. Zeitschrift Führung + Organisation, 3, 132–138.
20 Putsch, D. Theoretische Fundierung und praktische Umsetzung des Open Innovation Ansatzes
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22 http://www.festo.com/cms/de_corp/9460.htm, Zugriff am 01.05.2015.
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Weiterführende Literatur
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Kuratko, D., & Morris, M. (2002). Corporate entrepreneurship: Entrepreneurial development within
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Haid, D. (2004). Corporate Entrepreneurship im strategischen Management. Ansatz zur Implemen-
tierung des Unternehmertums im Unternehmen. Bayreuth: Deutscher Universitätsverlag.
Wright, M., Clarysse, B., Mustar, P., & Lockett, A. (2007). Academic entrepreneurship in Europe.
Cheltenham: Edward Elgar Publishing Ltd.
Laukkanen, M. (2003). Exploring academic entrepreneurship: Drivers and tensions of university-
based business. Journal of Small Business and Enterprise Development, 10(4), 372–382.
Sachverzeichnis

A Corporate Entrepreneurship,  390, 391


Accelerator,  398 Corporate Venture Capital,  229, 231, 390, 392
Aktivitäten von Entrepreneuren,  80 Corporate Venturing,  390
Aravind,  376, 377 COSTAR,  154
Arbitrage/Arbitrageur,  66 Cross-functional Teams,  125
Arbitrageur,  73 Crowdfunding,  218, 238, 243
Ashoka,  365, 369 Crowd Sourcing,  105
Asymmetrische Informationen,  223, 225, 227
Hidden Action,  225, 227
Hidden Information,  225, 227 D
Hidden Intention,  225, 227 DCF (Discounted-Cash-Flow),  239
Asymmetrische Informationsverteilung,  223 Design Thinking,  109
Auftreten des Unternehmers,  190 Deutsches Patent- und Markenamt,  274
Ausgründung,  398 Dienstleistungsinnovationen,  99
Austrianova,  282 Differenzierung,  146, 327
Diffusion,  98, 119
Discounted-Cash-Flow,  400
B Discovery-driven Planning,  290, 308
Banken,  232 Diversifikation,  331, 345
BetterPlace,  46 Doodle,  168
Beyond Surface Technologies,  19
BistroBox,  315, 320
Blaue Ozeane,  163 E
Brainstorming,  111 Effectuation,  138
Brainwriting,  111 Effectuation-Ansatz,  147
Break-even Rechnung,  240, 243 Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigen-
Business Angel,  218, 228, 229 tum,  274
Business Model Canvas,  157 Eigenkapital,  220
Businessplan,  241, 290, 398 Einzelunternehmen,  250, 252
Elektrizitätswerke Schönau,  373
Elevator Pitch,  290, 297
C Entdeckungsansatz (discovery theory),  38, 39,
ChancenWerk,  377, 384 40
Charakteristika von Unternehmern,  74 Entrepreneur,  2, 28, 66
Child and Family Wellness Clinics (CFW),  372 Entrepreneurial Marketing,  180, 181, 187
Clean Insulating Technologies,  57 Entrepreneurship,  2, 4
Co-Creation,  374 Entstehungsansatz (creation theory),  38, 39

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016


U. Fueglistaller et al., Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-8349-4770-3 411
412 Sachverzeichnis

Erfindung,  98 I
Erfolgsmessgrößen,  87 Idee,  98
Europäisches Patentamt,  274 Imitierende Existenzgründung,  229, 233
Evaluation der Ideen,  115 Immaterialgüterrecht,  272
Evolutionstheoretischer Ansatz,  338 Inkubator,  229, 230, 390
Executive Summary,  290, 296 Innovation,  98, 150, 151, 162, 164, 327, 331,
Exit-Strategie,  237, 323, 324, 325, 342, 399 336, 397, 399
Innovationsbarrieren,  126
Innovationskooperationen,  102
F Innovationsmanagement,  101
Factoring,  229, 231 Innovationsnetzwerke,  108
Familieninterne Nachfolge,  229, 234 Innovationsprozess,  102
Familienunternehmen,  189 Innovative Unternehmensgründung,  229, 234
Festo,  401, 403 Innovator,  73
Finanzielle Risiken,  85 Insolvenzrisiko,  222
Finanzierung,  219, 222 Inszenierung,  180
Finanzierungsnachteil,  223 Intermediäre,  228
Finanzierungsprozess,  236 Invention,  98
Finanzplan,  241 Investition,  393
Finanzplanung,  240, 303 IPO (Initial Public Offering),  347
Franchise,  229, 234 IRR (Internal Rate of Return),  243
Free Cashflow,  242
Fremdkapital,  220
Freunde und Familie,  229 J
Fusion,  347 Joint Venture,  398
Juristische Person,  250

G
Geistiges Eigentum,  250, 271 K
Geschäftsmodell,  139, 155 Kaizen,  125
Geschäftsmodell-Innovation,  99, 139 Kapitalflussrechnung,  241, 242
Geschmacksmuster,  277 Kapitalgeber,  228
Gesundheitliche Risiken,  86 Kapitalgesellschaft,  250, 252
Global Entrepreneurship Monitor,  22 Kapitalismuskritik,  364
GrameenBank,  372 Kapitalmarkt,  233
Großunternehmen,  189 Kapitalmarktfähigkeit,  223
Gründung,  229, 233 Kapitalstruktur,  226, 228
Gründungsaktivitäten,  22 Karriererisiken,  86
Gründungsphase,  334 Kirznersche Gelegenheiten,  38
Gründungsteam,  298 KISKA,  131
Guerilla-Marketing,  181 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU),  2,
25, 26
Kleinstunternehmen,  26
H Kleinunternehmen,  26
Heuristik,  66 Mittelunternehmen,  26
High-Tech Business Dynamics,  338 Wirtschaftliche Bedeutung,  25
Hilti,  165 KMU,  189
KMU-Manager,  28
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess,  125
Konzept-kreative Gründung,  139, 166
Sachverzeichnis 413

Kostenführerschaft,  146 N
Kostenvorteile,  327 Napshell,  293
Kreativität,  98 Necessity Entrepreneurship,  23
Kreativitätstechniken,  110 Netnographie,  106
Kundenanalyse,  181 Neue Institutionenökonomik,  218, 224
Nischenstrategie,  146
Noventa,  123
L Nutzenkurve,  164
Lead User,  104
Lean Startup,  106
Leasing,  229, 231 O
Lebenszyklustheorie,  324, 334 Öffentliche Fördermittel,  232
LiberoVision,  348 Open Innovation,  390, 400
Liquiditätsplanung,  240, 242 Operative Unternehmensziele,  144
Lizenz,  18 Opportunitätskosten,  66, 68
Lizenzierung,  282 Opportunity Entrepreneurship,  23
Organisation,  12
Österreichisches Patentamt,  274
M
Management-Buy-in,  18
Management-Buy-out,  18 P
Marke,  250, 276 Patent,  18, 49, 275
Markenanmeldung,  118 Patentanmeldung,  279
Marketing,  180, 182, 183 Patentfähigkeit,  278
Marketing-Aktivitäten,  185 Patentierung,  118
Marketingkonzept,  180, 196 Patentkosten,  280
Marketing-Mix,  205, 206 Patentschutz,  279
4 P,  206 Patentstrategie,  277
Elemente,  206 Patentverletzung,  281
Kommunikationspolitik,  206 Pfadabhängigkeit,  66
Preispolitik,  206 Planbilanz,  240
Produktgestaltung,  206 Planerfolgsrechnung,  240, 242
Markt,  180, 183 Planmittelflussrechnung,  240
Marktanalyse,  181 Principal-Agent-Theorie,  224
Marktdurchdringung,  331 Product Champion,  392, 397, 398
Markteinführung,  119 Produktentwicklung,  331
Marktentwicklung,  331 Produktinnovationen,  99
Marktineffizienz,  223 Property-Rights-Theorie,  224
Marktorientierung,  180, 195 Prozessinnovation,  99
Marktstrategie,  181, 184, 197
MBI (Management-Buy-in),  234
MBO (Management-Buy-out),  234, 346 R
Mezzanines Kapital,  218, 220 Rechtsform,  251
Mintzberg,  80 Red Bull,  328, 331
Mintzberg 5 Ps,  141 Reifephase,  336
Mission,  138, 143, 396 Ressourcen,  11, 38, 51, 71, 73, 327, 338, 347
Mitunternehmer,  394 Risiko,  72, 75, 85, 302
Risikokapitalfinanzierung,  236, 237
Rollen von Entrepreneuren,  82
Rote Ozeane,  163
414 Sachverzeichnis

S U
Saustark Design,  89 Umsetzungsplan,  301
Schließung,  336 Umwelt- und Rahmenbedingungen,  13
Schnellwachsendes Unternehmen,  324 Ungewissheit,  75
Schöpferische Zerstörung,  2, 19 Unsicherheit,  72
Schumpeter,  73 Unternehmensverkauf,  345
Schumpetersche Gelegenheiten,  38 Unternehmenswert,  238, 240
Schwab Foundation for Social Entrepre- Unternehmer,  2, 8, 66
neurs,  366 Unternehmergesellschaft (haftungsbe-
SMART,  144 schränkt),  256
Social Business,  358 Unternehmerische Gelegenheit,  2, 10, 38, 67
Social Entrepreneur,  358, 368 Unternehmerische Wachsamkeit,  9
Social Entrepreneurship,  358 Urheberrecht,  277
Soziale Risiken,  86 User Entrepreneurship,  105
Sozialinnovationen,  99
Spin-off,  229, 234, 398
START-Stiftung,  373 V
Start-ups,  150 Value Creation,  394
Stiftungsmittel,  233 Venture Capital,  219, 228, 229, 231
Strategie,  138, 141, 396 Verfahrensinnovation,  99
Strategische Allianz,  347 Verschuldungsgrad,  226
Strategische Unternehmensziele,  143 Victorinox,  272
Strategy Map,  150 Vier-Aktionen-Format,  165
Struktur,  338 Vision,  138, 143, 396
Swisscom Venture,  405, 407 Vorgründungsphase,  334
SWOT-Analyse,  145
Synergien,  346, 347
W
Wachstum,  323, 325, 335
T Finanzielles Wachstum,  323
Team,  298 Organisatorisches Wachstum,  323
Teamgründung,  17, 77 Strategisches Wachstum,  323
Teekampagne,  160 Wachstumsbarriere,  329
Transaktionskosten,  223 Wachstumsstrategien,  330
Transaktionskostenansatz,  224 Wachstumstheorien,  332
Turnaround,  336 Wandel,  332, 334, 338
T-Ventures,  404, 407 Wettbewerbsvorteil,  139, 142, 327, 395
Twins of Success,  339

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