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Finanz- und Versicherungsmathematik

P ROF. D R . A XEL B ÜCHER


P ROF. D R . P ETER K ERN

Skriptum
zur Vorlesung an der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Sommersemester 2022
Inhaltsverzeichnis

1 Grundlagen der Finanzmathematik 3


1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Das Cox-Ross-Rubinstein Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.1 Das einperiodige Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.2 Das mehrperiodige Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.3 Die Black-Scholes-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.4 Fundamentalsätze der Preistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1.5 Bewertung von Zahlungsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1.6 Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

2 Lebensversicherungsmathematik 56
2.1 Verzinsung und Zahlungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.2 Modellierung von Lebensdauern und Sterblichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 61
2.3 Kapitalversicherungen und Leibrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2.4 Prämienkalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.5 Das Deckungskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

3 Schadenversicherungsmathematik 80
3.1 Das individuelle Risikomodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.2 Das kollektive Risikomodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3.3 Schadenanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.4 Gesamtschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
3.5 Ruinwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
3.6 Spätschadenreservierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Literaturverzeichnis 115
Einleitung

Ziel dieses Skriptes ist die Erarbeitung der Grundlagen der Finanz- und Versicherungs-
mathematik. Vorausgesetzt werden elementare Kenntnisse der Stochastik, wie man sie bei-
spielsweise in Dehling and Haupt (2004) nachlesen kann.
Im ersten Teil werden einige der zentralen Konzepte der Finanzmathematik am Beispiel
diskreter Finanzmarktmodelle behandelt. Wesentliche Inhalte betreffen die Optionspreis-
bewertung, das Cox-Ross-Rubinstein- und Black-Scholes-Modell, sowie die Charakterisie-
rung arbitragefreier (diskreter) Finanzmärkte. Zahlreiche einschlägige Lehrbücher empfeh-
len sich zum Vertiefen, etwa Bäuerle and Rieder (2017), Irle (2012); Korn and Korn (2001),
Föllmer and Schied (2011).
Der zweite Teil widmet sich der Lebensversicherungsmathematik. Zentrale Aspekte bilden
das Konzept der Verzinsung, die Modellierung von Sterblichkeiten, und die darauf beru-
hende Kalkulation von Prämien. Zum vertiefenden Studium können Gerber (1997) oder
Milbrodt and Helbig (2016); Koller (2010); Dickson et al. (2013) herangezogen werden.
Im dritten Teil der Vorlesung geht es um Schadenversicherungsmathematik. Behandelt
werden beispielsweise stochastische Modelle für Schadenanzahlen und -höhen, Ruinwahr-
scheinlichkeiten, und Methoden der Spätschadenreservierung. Einschlägige Lehrbücher um-
fassen Schmidt (2006); Goelden et al. (2016); Mikosch (2009).
Das Skript beruht in weiten Teilen auf einem uns dankenswerterweise zur Verfügung ge-
stellten Manuskript von Dr. Christian Müller zur gleichnamigen Vorlesung im Sommerse-
mester 2019. Etwaige Fehler gehen auf uns zurück.
Kapitel 1

Grundlagen der Finanzmathematik

Die Finanzmathematik beschäftigt sich mit der Lösung finanzwirtschaftlicher Probleme auf
Grundlage einer rigorosen mathematischen (üblicherweise stochastischen) Modellierung
von Finanzmärkten. Zu den behandelten Problemen gehört beispielsweise die Bewertung
von Optionen und allgemeinen Zahlungsansprüchen, die Portfoliooptimierung oder die
Einschätzung finanzwirtschaftlicher Risiken.
Der mathematische Anspruch ist dabei als hoch anzusehen und erfordert technisch aufwen-
dige Konzepte, etwa aus der stochastischen Analysis. Die grundlegenden Ideen lassen sich
jedoch sehr transparent in den in dieser Vorlesung behandelten diskreten Finanzmarktmo-
dellen in diskreter Zeit illustrieren. Die dabei entwickelten Intuitionen erweisen sich bei
einem vertieften Studium als nützlich für das Verständnis komplexerer Modelle.
Wir beginnen das Kapitel mit einem einleitenden Beispiel über die Optionsbepreisung in
einem sehr einfachen Modell, dem sogenannten Einperiodenmodell (welches auch als “Ele-
mentarteilchen der Finanzmathematik” bezeichnet werden könnte). Sämtliche auftretende
Begriffe werden später präzisiert.

Beispiel 1.1 (Optionspreisbestimmung in einem Einperiodenmodell).


Eine Option bezeichnet einen Vertrag zwischen einer Käuferin (Inhaberin der Option) und
einer Verkäuferin (Stillhalterin der Option), der der Inhaberin das Recht (aber nicht die
Pflicht) gibt, zu einem festgelegten Kaufpreis K innerhalb eines Zeitintervalls [0, T ] von der
Stillhalterin ein bestimmtes Wertpapier zu kaufen (Call-Option) oder es dieser zu verkaufen
(Put-Option). Wertpapiere können Aktien, Fonds, Staatsanleihen aber auch Devisen oder
börsennotierte Handelsgüter wie Gold, Öl oder Strom sein. Die Käuferin der Option ver-
spricht sich vom Kauf eine Absicherung gegenüber unvorhergesehenen Kursbewegungen
des Wertpapiers.
Wir betrachten im Folgenden eine europäische Call-Option auf eine Aktie, bei der das
Kaufrecht nur zum festgelegten Endzeitpunkt T ausgeübt werden kann. Als stochastisches
Modell verwenden wir folgendes Modell: es gibt zwei Zeitpunkte, den momentanen Zeit-
punkt t = 0 und den in der Zukunft liegenden Ausübungszeitpunkt t = T. Der Finanz-
markt setzt sich zusammen aus zwei Finanzprodukten: einer Aktie, deren Wert zum Zeit-
punkt t mit St bezeichnet wird, und ein festverzinsliches Wertpapier zum Zins r = 0, des-
sen Wert wir mit Bt bezeichnen. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit sei B0 = BT = 1
4 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Geldeinheit. Der Aktienkurs zum momentanen Zeitpunkt t = 0 sei bekannt mit S0 = 120,
während der zukünftige Preis zum Zeitpunkt T unbekannt und zufällig sei. Wir unterstel-
len als stochastisches Modell, dass nur zwei Wertentwicklungen von ST möglich sind: mit
Wahrscheinlichkeit p steigt der Kurs auf 150, während er mit Wahrscheinlichkeit 1 p auf
den Kurs 100 fällt. Mathematisch können wir das etwa realisieren, indem wir als Grund-
raum W = {u, d} (up und down) mit Wahrscheinlichkeitsmaß P ({u}) = p und P ({d}) =
1 p ansetzen, und dann die Zufallsvariable

ST : W ! R, w 7! ST (w ) = 150 · 1{w =u} + 100 · 1{w =d}

betrachten.
Der mit der Option vereinbarte Kaufpreis der Aktie zum Zeitpunkt T betrage K = 140
Geldeinheiten. Im Marktszenario w = u eines steigenden Aktienkurses wird die Inhabe-
rin der Option ihr Kaufrecht ausüben. Sie kann die erworbene Aktie dann umgehend zum
Kurs 150 verkaufen, und damit einen Gewinn von 10 = 150 140 = ST (u) K realisie-
ren. Diesen Gewinn bezeichnen wir auch als ‘Auszahlung der Option’. Im Szenario w = d
hingegen ergibt es keinen Sinn, die Option zu ziehen; der realisierbare Gewinn und damit
die Auszahlung der Option beträgt 0. Zusammengefasst können wir die Auszahlung H als
Zufallsvariable auffassen:

H (w ) = 10 · 1{w =u} = max(ST (w ) K, 0).

Zentrale Aufgabe der Optionsbepreisung ist nun die Angabe eines (aus Sicht von Käuferin
und Verkäuferin) fairen Preises, zu welchem die Option zum heutigen Zeitpunkt t = 0
ausgegeben werden sollte. Mit anderen Worten: auf welchen heutigen Preis P0 sollten sich
Käuferin und Verkäuferin einigen, ohne dass eine von beiden einen systematischen Nach-
teil hat?
Den Grundsatz der Fairness setzen wir anschaulich dadurch um, dass wir sogenannte
Arbitragemöglichkeiten ausschließen: es soll unmöglich sein, am Finanzmarkt einen risi-
kolosen Gewinn zu realisieren. Man spricht auch vom No-Arbitrage-Prinzip; dieses ist an-
schaulich (und empirisch) zumindest näherungsweise auf realen Finanzmärkten erfüllt.
Die Grundidee der Bepreisung besteht nun darin, im Finanzmarkt eine sogenannte repli-
zierende Handelsstrategie (hedging strategy) aufzustellen, welche bei einem gegebenen
Anfangskapital V0 zum Zeitpunkt t = T den zufälligen Wert VT = H besitzen soll (also
VT (w ) = H (w ) für alle w). Die Stillhalterin der Option könnte dann genau diese Strategie
nutzen, um zum Zeitpunkt T den Zahlungsansprüchen der Käuferin genau entsprechen zu
können. Im Anschluss werden wir zeigen, dass V0 der eindeutige Preis der Option ist, bei
dem Arbitragefreiheit besteht.
Genauer verstehen wir dabei unter einer Handelsstrategie eine zum Zeitpunkt t = 0 zu
tätigende Investition in a Stückzahlen der Aktie und in b Stückzahlen des Bondes, wo-
bei bei der Festlegung von (a, b) nicht auf (stochastische) Informationen aus der Zukunft
zurückgegriffen werden darf. Wir erhalten ein Portfolio, dessen Wert zum Zeitpunkt t = 0

V0 = V0 (a, b) = b + aS0
5

beträgt. Hierbei nehmen wir an, dass beliebige Anteile a, b 2 R realisierbar sind. Für b < 0
bedeutet dies die Aufnahme eines zinslosen Kredits der Höhe b, während a < 0 einem
Leerverkauf von Aktien entspricht (durch kostenloses Ausleihen der Aktie und des an-
schließenden Verkaufs). Der Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t = T ist offensichtlich
zufällig, und gegeben durch
VT (w ) = b + aST (w ).
Das Portfolio bzw. die Handelsstrategie wird dadurch zu einer replizierenden Handelsstra-
tegie für H, dass wir die Forderung VT (w ) = H (w ) für w 2 {u, d} ergänzen. Diese führt
zum linearen Gleichungssystem

b + 150a = 10
b + 100a = 0

mit der eindeutigen Lösung a = 15 und b = 20, so dass V0 = V0 15 , 20 = 20 +


1
5 · 120 = 4 ist. Die replizierende Strategie besteht also darin, zum heutigen Zeitpunkt bei
einem Kapitaleinsatz von 4 Währungseinheiten zusätzlich zinslos 20 Währungseinheiten
zu leihen und dann 15 Aktie zum Preis von 24 Währungseinheiten zu kaufen. Zur Zeit t = T
tritt eines der folgenden Szenarien ein:
(i) Szenario u: der Wert der Aktie zum Zeitpunkt t = T beträgt ST (u) = 150. Der Ver-
kauf des Aktienanteils ergibt 15 · 150 = 30. Nach Rückzahlung des Kredits von 20
Währungseinheiten verbleiben 10 Währungseinheiten.
(ii) Szenario d: der Wert der Aktie zum Zeitpunkt t = T beträgt ST (d) = 100. Der Verkauf
des Aktienanteils ergibt 15 · 100 = 20, womit der Kredit beglichen werden kann.
In beiden Szenarien entspricht das der Auszahlung H. Der faire Ausgabepreis der Call-
Option beträgt damit P( H ) = V0 15 , 20 = 4 Währungseinheiten. In der Tat ist bei jedem
anderen Preis das No-Arbitrage-Prinzip verletzt:
(i) Wäre P( H ) > 4, so nehme die Rolle der Stillhalterin ein und verkaufe eine Option
zum Preis P( H ). Mit der Aufnahme eines Kredits der Höhe 20 und dem Kauf einer
1
5 Aktie (dieses Portfolio kostet 4 Geldeinheiten) realisiert man zum Zeitpunkt T den
Portfoliowert VT = H, mit welchem man genau den Zahlungsanspruch der Inhaberin
der Option begleichen kann. Insgesamt hat die Stillhalterin einen risikofreien Profit
von P( H ) 4 > 0.
(ii) Wäre P( H ) < 4, so nehme die Rolle der Inhaberin ein und kaufe eine Option zum
Preis P( H ). Tätige eine Spareinlage der Höhe 20 und verkaufe 15 Aktie leer (dieses
Portfolio generiert 4 Geldeinheiten). Dieses Portfolio hat zum Zeitpunkt t = T den
Wert H, und das kann genau durch den Zahlungsanspruch H gegenüber der Still-
halterin der Option ausgeglichen werden. Insgesamt erzielt die Inhaberin einen risi-
kofreien Profit von 4 P( H ) > 0.
Es ist bemerkenswert, dass der faire Preis P nicht vom Wahrscheinlichkeitsmaß P abhängt,
sondern nur von den möglichen zukünftigen Szenarien des Aktienkurses (und dem verein-
barten Kaufpreis K). ⌅

Das einfache Modell aus Beispiel 1.1 wird in den folgenden Kapiteln in vielfacher Weise
verallgemeinert werden. Dabei werden jedoch stets die folgenden vereinfachenden (und
6 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

teils unrealistischen) Annahmen eines idealisierten Finanzmarkts getroffen:


(i) Es gibt weder Transaktionskosten noch Steuern auf Gewinne.
(ii) Leerverkäufe sind möglich und es können beliebige Anteile gekauft oder verkauft
werden.
(iii) Es gibt keine Dividendenzahlungen.
(iv) Soll- und Habenzinsen sind identisch.
(v) Marktaktivitäten beeinflussen die Preise nicht.
(vi) Alle Marktteilnehmerinnen verfügen über dieselbe Information und handeln rational
allein zur Maximierung ihres Nutzens.
Die Untersuchung mathematischer Finanzmarktmodelle, die ohne eine oder mehrere dieser
Annahmen auskommen, ist ebenfalls möglich, gestaltet sich jedoch deutlich komplexer.

1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit

Wir betrachten in diesem Kapitel ein allgemeines stochastisches Modell für einen Finanz-
markt, bei dem es endlich viele, äquidistante Handelszeitpunkte t 2 {0, . . . , T } gibt und
wir t = 0 als momentanen Zeitpunkt interpretieren. Zu diesen Zeitpunkten bestehen je-
weils d + 1 Anlagemöglichkeiten: zum Einen kann in ein risikoloses Wertpapier

( Bt )t=0,...,T = ( B0 , . . . , BT ),

einen sogenannten Bond, investiert werden, von welchem wir annehmen, dass die Preis-
entwicklung deterministisch mit B0 = 1 und Bt+1 Bt für t 2 {0, . . . , T 1} ist (häufig:
Bt = (1 + r )t mit einem Zinssatz r 0, die sogenannte einfache Verzinsung). Zum Ande-
ren kann in d risikobehaftete Wertpapiere (Aktien)

(Stk )t=0,...,T = (S0k , . . . , STk ), k 2 {1, . . . , d},

mit zufälliger Preisentwicklung investiert werden, wobei S0k > 0 der momentane, bekannte
Wert der kten Aktie ist, und wobei Stk > 0 für jedes t 2 {1, . . . , T } und k 2 {1, . . . , d}
eine Zufallsvariable auf einem gemeinsamen zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum
(W, P ) ist.
An den Grundraum stellen wir die vereinfachende Forderung, dass dieser höchstens abzähl-
bar ist. Jedes Elementarereignis w 2 W können wir als eine mögliche Marktentwicklung
des Finanzmarktes (über die gesamte Laufzeit t 2 {1, . . . , T }) interpretieren. An das Wahr-
scheinlichkeitsmaß stellen wir ohne Einschränkung der Allgemeinheit die Forderung, dass
P ({w }) > 0 für alle w 2 W gilt (andernfalls betrachte die Einschränkung von W auf alle
Elementarereignisse mit positiver Wahrscheinlichkeit).

Definition 1.2 (Handelsstrategie).


Eine Handelsstrategie oder ein Portfolio ist ein Tupel j = ( j0 , . . . , j T 1 ) aus R d+1 -
wertigen Zufallsvariablen jt = (a> > 1 d > d
t , b t ) mit at = ( at , . . . , at ) 2 R , b t 2 R und der
1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit 7

zusätzlichen Eigenschaft, dass

akt = akt (S0 , . . . , St ) und b t = b t ( S0 , . . . , S t ) (1.1)

für alle k 2 {1, . . . , d} und t 2 {0, . . . , T 1} gilt. Das Tupel a = (a0 , . . . , a T 1) bezeich-
nen wir auch als Aktien-Handelsstrategie.

Interpretation: akt gibt die Stückzahl der k-ten Aktie und b t die Anzahl Bonds an, die wäh-
rend der Zeitperiode [t, t + 1) gehalten werden. Gleichung (1.1) besagt, dass die Zusam-
mensetzung des Portfolios für die Zeitperiode [t, t + 1) zum Zeitpunkt t (also die Investi-
tion zu diesem Zeitpunkt) allein auf Basis der bis zu diesem Zeitpunkt am Finanzmarkt
verfügbaren Information erfolgen muss.

Definition 1.3 (Wert einer Handelsstrategie).


Für eine Handelsstrategie j = (a, b) definieren wir

d
j,!
Vt := b t Bt + hat , St i = b t Bt + Â akt Stk , t 2 {0, . . . , T 1},
k =1
d
 akt k
j,
Vt := b t 1 Bt + h a t 1 , St i = b t 1 Bt + 1 St , t 2 {1, . . . , T }.
k =1

j,!
Vt entspricht dem Kapitalbedarf zum Zeitpunkt t, um die Handelsstrategie ausführen
j,
zu können (also dem Wert nach einer eventuellen Portfolioumschichtung). Vt ist der
Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t, der sich auf Grundlage der Marktentwicklung aus
dem Portfolio zum Zeitpunkt t 1 ergibt (also dem Wert vor einer eventuellen Portfo-
lioumschichtung).
Eine Handelsstrategie heißt selbstfinanzierend, falls
j,! j,
Vt = Vt für alle t 2 {1, . . . , T 1}.

Für die Umschichtung des Portfolios wird also zu keinem Zeitpunkt Kapital hinzu- oder
abgeführt. Wir nennen vereinfachend
( j,!
j Vt t 2 {0, . . . , T 1},
Vt := j,
Vt t=T

auch Wert der Handelsstrategie zum Zeitpunkt t.

Für die zeitliche Änderung eines deterministischen oder zufälligen Tupels X = ( X0 , . . . , XT )


schreiben wir DX0 = X0 und DXt = Xt Xt 1 für t 2 {1, . . . , T }. Die Einträge des Tupels
dürfen dabei R d -wertig sein.
Das folgende Lemma zeigt, dass bei einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie j = (a, b)
j
zu jedem Zeitpunkt t die Kenntnis von (V0 , a0 , . . . , at ) gleichbedeutend mit der Kenntnis
von ( j0 , . . . , jt ) ist. Eine Aktien-Handelsstrategie a kann also bei vorgegebenem Anfangs-
kapital V0 immer zu einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie ergänzt werden.
8 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Lemma 1.4.
Sei j = (a, b) eine Handelsstrategie. j ist genau dann selbstfinanzierend, wenn für alle
t 2 {0, . . . , T 1} gilt
t D
Sn E
Â
j
b t = V0 Da n , . (1.2)
n =0 Bn

j
Beweis. Angenommen j ist selbstfinanzierend. Wegen B0 = 1 gilt nach Definition von V0
D S0 E
j
V0 = b 0 B0 + ha0 , S0 i = b 0 + Da0 , ,
B0

und das ist äquivalent zur Behauptung für t = 0. Für t 2 {1, . . . , T 1} ist die Selbstfi-
j,! j,
nanzierungseigenschaft Vt = Vt äquivalent zu ( b t b t 1 ) Bt = hat at 1 , St i, also
wegen Bt > 0 auch zu
D St E
Db t = Dat , .
Bt
Somit erhalten wir mit einem Teleskopsummenargument

t t D Sn E t D Sn E
 Dbn = b0  Â
j
bt = b0 + Dan , = V0 Dan ,
n =1 n =1
Bn n =0 Bn

wie behauptet.
Gilt umgekehrt (1.2), so folgt für t 2 {1, . . . , T 1}
D St E
bt bt 1 = Dat , () ( b t bt 1 ) Bt = hat at 1 , St i,
Bt
j,! j,
welches äquivalent zur Selbstfinanzierungseigenschaft Vt = Vt ist.

Definition 1.5 (Diskontierter Preis).


Die Größe Setk = Stk /Bt heißt diskontierter Preis (auch: abgezinster Preis) der kten Aktie
zur Zeit t, wobei k 2 {1, . . . , d} und t 2 {0, . . . , T }. Wir setzen Set := (Set1 , . . . , Setd ) und
schreiben auch Set = St /Bt .

Man beachte, dass die zum Zeitpunkt 0 getätigte Anlage eines Kapitals der Höhe K/Bs in
den risikolosen Bond (formal entspricht das der Handelsstrategie j mit at = 0, b t = K/Bs
j
für alle t) zum Zeitpunkt s gerade den Wert Vs = b s Bs = K besitzt.

Lemma 1.6.
e j := V j /Bt einer selbstfinanzierenden Handelsstrategie
Für den diskontierten Wert Vt t
j = (a, b) gilt
t
ej = Vj +
Vt 0 Â han e
1 , D Sn i (1.3)
n =1

für alle t 2 {0, . . . , T }.


1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit 9

Beweis. Für t = 0 folgt die Aussage aus B0 = 1 und der Definition einer leeren Summe als
j,! j,
Null. Für n 2 {1, . . . , t} gilt auf Grund von Vn = Vn
j j
Vn Vn 1 1 1
= ( b n Bn + han , Sn i) ( b n 1 Bn 1 + han 1 , Sn 1 i)
Bn Bn 1 Bn Bn 1
1 1
= ( b n 1 Bn + han 1 , Sn i) ( b n 1 Bn 1 + han 1 , Sn 1 i)
Bn Bn 1
Sn Sn 1
= han 1 , i
Bn Bn 1
= han 1 , DSen i (1.4)

und wegen B0 = 1 folgt mit einem Teleskopsummenargument


j t ⇣
j j j
Vn ⌘ t
e j = Vt = V0 + Â Vn
V 1 j
= V0 + Â han e
1 , D Sn i
t
Bt B0 n =1
Bn Bn 1 n =1

Definition 1.7 (Diskontierter Gewinn).


Der auf den heutigen Zeitpunkt diskontierte Gewinn der Aktien-Handelsstrategie a =
(a0 , . . . , aT 1 ) zur Zeit t ist definiert als G0a := 0 für t = 0 und
t
Gta := Â han e
1 , D Sn i
n =1

für t 2 {1, . . . , T }. Die Aussage von Lemma 1.6 lässt sich damit umschreiben zu

e j = V j + Gta
V (1.5)
t 0

für jede selbstfinanzierende Handelsstrategie j = (a, b)

Wir präzisieren nun den Arbitragebegriff aus Beispiel 1.1, also einem möglichen risikolosen
Gewinn.

Definition 1.8 (Arbitrage).


Eine selbstfinanzierende Handelsstrategie j heißt Arbitrage, wenn sie die folgenden Be-
dingungen erfüllt.
j
(i) V0 = 0, d.h. zum Zeitpunkt 0 wurde mit keinem Vermögen gestartet.
j
(ii) P (VT 0) = 1, d.h. zum Zeitpunkt T wird mit Sicherheit kein Verlust gemacht.
j
(iii) P (VT > 0) > 0, d.h. zum Zeitpunkt T wird mit positiver Wahrscheinlichkeit ein
Gewinn erzielt.
Die No-Arbitrage-Bedingung fordert, dass im Finanzmarkt keine Arbitrage existiert
und somit kein risikofreier Gewinn möglich ist.

Bemerkung 1.9.
(a) Die No-Arbitrage-Bedingung ist im Wesentlichen eine Bedingung an das zugrunde-
10 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

liegende Wahrscheinlichkeitsmaß P.
j
(b) Wegen P ({w }) > 0 für alle w 2 W gilt Bedingung (ii) genau dann, wenn VT (w ) 0
j
für alle w 2 W, und Bedingung (iii) gilt genau dann, wenn es ein w 2 W mit VT (w ) >
0 gibt.
j j
(c) Aus (1.5) folgt VT = BT (V0 + GTa ) = BT GTa mit BT > 0 und somit gilt Bedingung (ii)
genau dann, wenn P ( GTa 0) = 1 (und damit wenn GTa (w ) 0 für alle w 2 W), und
Bedingung (iii) gilt genau dann, wenn P ( GTa > 0) > 0 (und damit wenn GTa (w ) > 0
für ein w 2 W).

Satz 1.10.
Es existiert genau dann eine Arbitrage, wenn es ein t 2 {1, . . . , T } und eine R d -wertige
Zufallsvariable x = x t = x t (S0 , . . . , St 1 ) gibt, die nur von der Preisentwicklung bis zur
Zeit t 1 abhängt, sodass
⇣ ⌘ ⇣ ⌘
P hx, DSet i 0 = 1 und P hx, DSet i > 0 > 0. (1.6)

Für eine Arbitragemöglichkeit muss also bereits innerhalb mindestens einer Zeitperiode
ein risikofreier Gewinn möglich sein.

Beweis. “=)”: Sei j = (a, b) eine Arbitrage und sei


j j
t := min{m 2 N 1 | P (Vm 0) = 1 und P (Vm > 0) > 0}.

Dann ist t  T und auf Grund von Gleichung (1.4) aus dem Beweis von Lemma 1.6 gilt
j j
V Vt 1
hat 1 , DSet i = t . (1.7)
Bt Bt 1

j j j
Weiterhin gilt entweder P (Vt 1 = 0) = 1 oder P (Vt 1 < 0) > 0. Im Fall P (Vt 1 = 0) = 1
ergibt sich aus (1.7) mit Wahrscheinlichkeit 1
j
V
hat 1 , DSet i = t
Bt

und mit x := at 1 = at 1 ( S0 , . . . , S t 1 ) folgt


j
P (hx, DSet i 0) = P (hat 1 , D St i
e 0) = P (Vt 0) = 1,
j
P (hx, DSet i > 0) = P (hat 1 , D St i
e > 0) = P (Vt > 0) > 0.
j
Im Fall P (Vt 1 < 0) > 0 hängt x := at 1 1{V j <0} nur von S0 , . . . , St 1 ab. Eine erneute
t 1
Anwendung von Gleichung (1.7) liefert
⇣Vj Vt
j ⌘ Vt
j
t 1
hx, DSet i = 1 j
{Vt 1 <0} 1 j 0
Bt Bt 1 Bt {Vt 1 <0}
1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit 11

j
mit Wahrscheinlichkeit 1. Außerdem gilt für w 2 {Vt 1 < 0}
j j
Vt (w ) Vt 1 (w )
hx (w ), DSet (w )i = > 0,
Bt Bt 1

so dass P (hx, DSet i > 0) > 0.


“(=” Betrachte die Handelsstrategie j = (a, b) definiert durch an := x · 1{n=t 1} und b n
j
aus (1.2) mit V0 := 0, jeweils für n 2 {0, . . . , T 1}. Dann gilt mit (1.3)
j T T 1
VT
= V0 +  han  han , DSen+1 i = hx, DSet i.
j e
1 , D Sn i =
BT n =1 n =0

j j
Daraus folgt P (VT 0) = P (hx, DSet i 0) = 1 und P (VT > 0) = P (hx, DSet i > 0) > 0.
Wegen (1.2) ist j selbstfinanzierend und somit eine Arbitrage.

Beispiel 1.11.
Der Finanzmarkt bestehe aus T = 2 Zeitperioden, einem Bond mit B0 = B1 = B2 = 1 und
einer Aktie, deren Preis sich für p1 , p2 2 (0, 1) folgendermaßen entwickelt:

S9 2 = 8
p2

S9 1 = 6 / S2 = 5
1 p2
p1

S0 = 4 S9 2 = 4
p2
1 p1 %
S1 = 3 / S2 = 1
1 p2

Formal setzen wir dazu W = {w = (w1 , w2 ) | wi 2 {u, d}} = {u, d}2 ,

2
P ({w1 , w2 }) = ’ { p j 1{ w = u } + ( 1
j
p j ) 1{ w j = d } }
j =1

und S1 (w ) = 6 · 1{w1 =u} + 3 · 1{w1 =3} , sowie S2 (u, u) = 8, S2 (u, d) = 5, S2 (d, u) = 4, S2 (d, d) =
1. Wir erhalten für t = 1

2x für w1 = u
hx, DSe1 i = x (S1 S0 ) = .
x für w1 = d

Damit P (hx, DSe1 i 0) = 1 gilt, muss also x = 0 gewählt werden. Das gilt analog auch für
die zweite Zeitperiode, da hx, DSe2 i unterschiedliches Vorzeichen für w2 = u bzw. w2 = d
besitzt. Für x = 0 ist jedoch P (hx, DSet i > 0) = 0 und somit kann es auf Grund von Satz 1.10
in diesem Finanzmarkt keine Arbitrage geben. ⌅
12 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Definition 1.12 (Zahlungsanspruch und Vollständigkeit).


(a) Eine reellwertige Zufallsvariable H = H (S0 , . . . , ST ), die allein durch den Kursver-
lauf bestimmt ist, heißt Zahlungsanspruch (zum Zeitpunkt T).
(b) Ein Zahlungsanspruch H heißt erreichbar, wenn es eine selbstfinanzierende Han-
j
delsstrategie j mit VT = H gibt. j heißt in diesem Fall Hedgingstrategie oder
j
Hedge oder replizierendes Portfolio und P( H ) := V0 heißt (fairer) Preis von
H. Auf Grund des nachfolgenden Lemmas 1.14 ist P( H ) unter der No-Arbitrage-
Bedingung wohldefiniert.
(c) Ein Finanzmarkt heißt vollständig, wenn jeder Zahlungsanspruch erreichbar ist.

Beispiel 1.13 (Finanzderivate).


Finanzderivate sind Kontrakte zwischen zwei Parteien, die von der zukünftigen Kursent-
wicklung gewisser Basiswerte (Underlyings) wie Rohstoffe, Aktien, Anleihen oder Devisen
abgeleitet werden. Typischerweise kann einem Finanzderivat ein Zahlungsanspruch einer
Partei gegenüber der Gegenseite zugeordnet werden.
Ein wichtiges Finanzderivat ist eine Option: es handelt sich dabei um einen Kontrakt zwi-
schen einer Käuferin (Inhaberin der Option) und einer Verkäuferin (Stillhalterin der Opti-
on), der der Inhaberin das Recht (aber nicht die Pflicht) gibt, zu einem festgelegten Kauf-
preis K innerhalb eines Zeitintervalls [0, T ] von der Stillhalterin einen bestimmten Basiswert
zu kaufen (Call-Option) oder ihr diesen zu verkaufen (Put-Option). Man unterscheidet
verschiedene Typen von Optionen.
(a) Bei einer europäischen Option ist die Ausübung nur zum Ende der Laufzeit T möglich.
Der Zahlungsanspruch einer europäischen Call-Option bzw. einer europäischen Put-
Option ist
H = (ST K )+ bzw. H = (K ST )+ ,
wobei x+ = max( x, 0) für x 2 R.
(b) Bei einer amerikanischen Option ist die Ausübung während der gesamten Laufzeit
[0, T ] möglich.
(c) Bei einer asiatischen Option ist der Ausübungspreis der durchschnittliche Aktien-
kurs und damit zufällig. Der Zahlungsanspruch einer asiatischen Call-Option bzw.
asiatischen Put-Option ist

⇣ 1 T ⌘ ⇣1 T ⌘
H = ST
T Â St +
bzw. H=

St ST
+
.
t =1 t =1

Weitere Optionen werden unter dem Begriff exotische Optionen zusammengefasst.


Darüberhinaus existieren weitere Finanzderivate wie Futures, Wettscheine und modifizier-
te Optionen:
(d) Ein Future ist die Kaufpflicht eines Basiswertes zum Zeitpunkt T und zum Preis K.
Der Zahlungsanspruch eines Future ist

H = ST K

(e) Ein Digital-Call ist ein Wettschein, der die Auszahlung von 1 Währungseinheit liefert,
1.1 Diskrete Finanzmärkte in diskreter Zeit 13

falls der Kurs des Basiswerts zum Zeitpunkt T nicht unter dem Basispreis K liegt. Der
Zahlungsanspruch eines Digital-Call ist

H = 1{ S T K}

(f) Ein Down-and-Out-Call ist eine modifizierte europäische Call-Option, bei der die
Auszahlung nur dann stattfindet, wenn der Kursverlauf während der gesamten Lauf-
zeit oberhalb einer Barriere B > 0 lag. Der Zahlungsanspruch eines Down-and-Out-
Call ist
H = (ST K )+ · 1{min(S0 ,...,ST )> B} . ⌅

Lemma 1.14.
Unter der No-Arbitrage-Bedingung ist der Preis eines erreichbaren Zahlungsanspruchs
eindeutig und somit unabhängig von der gewählten Hedgingstrategie.

Beweis. Sei H ein erreichbarer Zahlungsanspruch und seien j = (a, b), j0 = (a0 , b0 ) zwei
Hedgingstrategien. Dann gilt nach Lemma 1.6

T T
H j0 j0
  ha0n 1 , DSen i.
j e e j e
V0 + h a n 1 , D S n i = VT = = VT = V0 +
n =1
B T n =1

j j0
Angenommen, es wäre nun V0 > V0 . Betrachte dann die selbstfinanzierende Handelsstra-
y
a, bb) definiert durch b
tegie y = (b a = a0 a und bb wie in (1.2) mit V0 = 0. Der diskontierte
Gewinn dieser Strategie erfüllt nach (1.5)

T
j0 j0 j0
GTba = Â ha0n 1 an e
1 , D Sn i
e
=VT V0 ej + Vj = Vj
VT 0 0 V0 > 0
n =1

und damit ist y nach Bemerkung 1.9(c) eine Arbitrage im Widerspruch zur No-Arbitrage-
Bedingung.

Beispiel 1.15.
Gegeben sei der arbitragefreie Finanzmarkt aus Beispiel 1.11. Wir konstruieren eine Hed-
gingstrategie und den eindeutigen Preis P( H ) für den Digital-Call

1 für w1 = u
H = 1 { S2 5} = .
0 für w1 = d
j
Für eine Hedgingstrategie j = (a, b) muss V2 = H gelten. Festzulegen sind die Konstanten
a0 , b 0 und die Zufallsvariablen a1 = a1 (S1 ), b 1 = b 1 (S1 ). Wir schreiben im folgenden auch
a1 (w1 ) = a1 (S1 (w1 , ·)) und b 1 (w1 ) = b 1 (S1 (w1 , ·)). Für t = 2 und w1 = u liefert die
j
Bedingung V2 = H das lineare Gleichungssystem
j
b 1 (u) + 8a1 (u) = b 1 (u) B2 + S2 (u, u)a1 (u) = V2 (u, u) = H (u, u) = 1
j
b 1 (u) + 5a1 (u) = b 1 (u) B2 + S2 (u, d)a1 (u) = V2 (u, d) = H (u, d) = 1
14 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

mit der eindeutigen Lösung a1 (u) = 0 und b 1 (u) = 1. Also ist


j
V1 (u) = b 1 (u) + S1 (u, ·)a1 (u) = b 1 (u) + 6a1 (u) = 1.

Für t = 2 und w1 = d folgt das lineare Gleichungssystem


j
b 1 (d) + 4a1 (d) = V2 (d, u) = H (d, u) = 0
j
b 1 (d) + 1a1 (d) = V2 (d, d) = H (d, d) = 0
j
mit der Lösung a1 (d) = b 1 (d) = 0. Also ist V1 (d) = b 1 (d) + 3a1 (d) = 0. Für t = 1 folgt das
lineare Gleichungssystem
j
b 0 + 6a0 = V1 (u) = 1
j
b 0 + 3a0 = V1 (d) = 0
1
mit der Lösung a0 = 3 und b 0 = 1. Der eindeutige Preis für den Digital-Call H ist somit

j 1 1
P( H ) = V0 = b 0 + a0 S0 = 1+ ·4 = . ⌅
3 3

1.2 Das Cox-Ross-Rubinstein Modell

Im Cox-Ross-Rubinstein-Modell (CRR-Modell) besteht der Finanzmarkt aus einem Bond


und einer Aktie, deren Preisentwicklung sich über Binomialverteilungen ausdrücken lässt.
Man unterscheidet zwischen dem einperiodigen und dem mehrperiodigen Modell.

1.2.1 Das einperiodige Modell

Im einperiodigen Cox-Ross-Rubinstein-Modell ist T = 1 und W = {u, d}. Der Zinssatz in


der betrachteten Handelsperiode sei r 0 und für den Bond gelte B0 = 1 und B1 = 1 + r.
Allgemeiner ist auch ein negativer Zinssatz r > 1 möglich, allerdings kann die Preisent-
wicklung des Bonds dann nicht mehr als monoton wachsend angenommen werden. Mit
p := P ({u}) 2 (0, 1) und 0 < d < u habe die Aktie die Preisentwicklung S1 (w ) = wS0 für
einen deterministischen Ausgangskurs S0 > 0.

S18 = uS0
p

S0 > 0

1 p &
S1 = dS0

Wir klären zunächst die wichtige Frage, unter welchen Bedingungen der Finanzmarkt im
einperiodigen Cox-Ross-Rubinstein-Modell arbitragefrei und vollständig ist.
1.2 Das Cox-Ross-Rubinstein Modell 15

Satz 1.16.
Der Finanzmarkt im einperiodigen Cox-Ross-Rubinstein-Modell ist genau dann arbitra-
gefrei, wenn
d < 1 + r < u.

Beweis. Mit simplen Termumformungen gilt

dS0 uS0
d < 1 + r < u () < S0 <
1+r 1+r
(1.8)
S1 ( d ) S0 S (u) S0
() <0< 1 () DSe1 (d) < 0 < DSe1 (u).
B1 B0 B1 B0

“=)”: angenommen, die Ungleichung d < 1 + r < u ist verletzt, und es gilt 1 + r  d < u
(der Fall d < u  1 + r geht analog). Dann gilt wie in (1.8) 0  DSe1 (d) < DSe1 (u) und damit
ist nach Satz 1.10 eine Arbitrage-Möglichkeit gefunden, etwa indem man x = x (S0 ) = 1
setzt.
“(=”: Die Aussage auf der rechten Seite von (1.8) impliziert dass, für jedes x 2 R \ {0} ein
w 2 W = {u, d} existiert mit xDSe1 (w ) < 0. Daher ist P xDSe1 (w ) 0 < 1. Für x = 0 ist
P (xDSe1 > 0) = 0. Insgesamt ist für jede deterministische Zufallsvariable x = x (S0 ) 2 R
die Bedingung in (1.6) für t = 1 verletzt, und daher existiert nach Satz 1.10 keine Arbitrage-
Möglichkeit.

Satz 1.17.
Unter der No-Arbitrage-Bedingung ist der Finanzmarkt im einperiodigen Cox-Ross-Ru-
binstein-Modell vollständig, d.h. zu jedem Zahlungsanspruch H gibt es eine (eindeutige)
j
Hedgingstrategie j = (a0 , b 0 ) mit V1 = H. Dabei sind

H (u) H (d) uH (d) dH (u)


a0 = und b0 = (1.9)
( u d ) S0 (u d)(1 + r )

und der nach Lemma 1.14 eindeutige Preis P( H ) von H ist

j uH (d) dH (u) H (u) H (d)


P( H ) = V0 = b 0 + a0 S0 = + . (1.10)
(u d)(1 + r ) u d

j
Beweis. Damit j eine Hedgingstrategie ist, muss H = V1 = b 0 B1 + a0 S1 = b 0 (1 + r ) + a0 S1
gelten. Daraus folgt das lineare Gleichungssystem
j
b 0 (1 + r ) + a0 uS0 = V1 (u) = H (u)
j
b 0 (1 + r ) + a0 dS0 = V1 (d) = H (d)

und dieses hat die eindeutige Lösung in (1.9). Gleichung (1.10) folgt direkt durch Einsetzen.
16 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Bemerkung 1.18.
Die Preisformel in Gleichung (1.10) können wir auch schreiben als

uH (d) dH (u) H ( u ) H ( d ) (1 + r )
P( H ) = +
(u d)(1 + r ) (u d)(1 + r )
H (u) 1 + r d H ( d ) u (1 + r )
= +
1+r u d 1+r ✓ u d ◆
H (u) 1 + r d H (d) 1+r d
= + 1 . (1.11)
1+r u d 1+r u d

Unter No-Arbitrage gilt d < 1 + r < u nach Satz 1.16, so dass

1+r d
q := 2 (0, 1).
u d

Durch Q ({u}) = q und Q ({d}) = 1 q wird daher ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf


W = {u, d} definiert. (1.11) lässt sich dann umschreiben zu

H (u) H (d) H
P( H ) = Q ({u}) + Q ({d}) = EQ ,
1+r 1+r 1+r

wobei EQ den Erwartungswert bezüglich des Wahrscheinlichkeitsmaßes Q bezeichnet. Für


den diskontierten Preis Se1 = S1 /B1 = S1 /(1 + r ) gilt

S1 ( u ) S1 ( d )
EQ [Se1 ] = Q ({u}) + Q ({d})
1+r 1+r
uS0 dS0
= q+ (1 q )
1 +✓r 1+r ◆
u 1+r d d u (1 + r )
= S0 +
1+r u d 1+r u d
u(1 + r ) ud + du d(1 + r )
= S0
(1 + r )(u d)
= S0 = Se0 . (1.12)

Außerdem ist Q das eindeutige Wahrscheinlichkeitsmaß auf W mit EQ [Se1 ] = Se0 , denn diese
Gleichung impliziert bereits

uS0 dS0
S0 = Q ({u}) + {1 Q ({u})}
1+r 1+r
1+r d
und Auflösen nach Q ({u}) liefert genau Q ({u}) = u d = q. Man nennt Q auch Martin-
galmaß oder risikoneutrales Maß. ⌅

1.2.2 Das mehrperiodige Modell

Im mehrperiodigen Cox-Ross-Rubinstein-Modell ist T 2 ganzzahlig und W = {u, d} T


für 0 < d < u. Der Zinssatz in jeder Handelsperiode sei r 0 und für den Bond gelte
1.2 Das Cox-Ross-Rubinstein Modell 17

Bt = (1 + r )t für t 2 {0, . . . , T }. Sei P ein beliebiges Produktmaß auf W mit P ({! }) > 0 für
alle ! 2 W, d.h. für ! = (w1 , . . . , wT ) 2 W mit wt 2 {u, d} gelte

T
P ({! }) = ’ p t 1{ w t = u } + ( 1 p t ) 1{ w t = d }
t =1

für gewisse p1 , . . . , p T 2 (0, 1). Die Zufallsvariablen Y1 , . . . , YT seien die Projektionen mit

Yt (! ) = wt . (1.13)

Aus der Stochastik ist bekannt, dass Y1 , . . . , YT unabhängig bezüglich P sind. Die Aktie
habe die Preisentwicklung
t
St = S0 ’ Yn . (1.14)
n =1

für t 2 {1, . . . , T }, wobei S0 > 0 deterministisch ist. Die folgende Grafik ist eine schemati-
sche Darstellung des Finanzmarkts für T = 3.

S37 = u3 S0
p3

S28 = u2 S0
p2
1 p3 '
S19 = uS0 S37 = u2 dS0
p1 p3
1 p2 &
S0 > 0 S28 = udS0
p2
1 p1 % 1 p3 '
S1 = dS0 S37 = ud2 S0
p3
1 p2 &
S2 = d 2 S0

1 p3 '
S3 = d 3 S0

Satz 1.19.
Der Finanzmarkt im mehrperiodigen Cox-Ross-Rubinstein-Modell ist genau dann arbi-
tragefrei, wenn
d < 1 + r < u.
18 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Beweis. Für jedes t 2 {1, . . . , T } und x = x (S0 , . . . , St 1) ist


8 9
✓ ◆ ✓ ◆< > =
St St 1 Yt St 1 St 1
xDSet = x =x = 0
Bt Bt 1 (1 + r ) Bt 1 Bt 1 : ;
<

äquivalent zu
8 9
✓ ◆< > =
Yt
x 1 = 0.
1+r : ;
<

“=)”: angenommen, die Ungleichung d < 1 + r < u ist verletzt, und es gilt 1 + r  d < u
(der Fall d < u  1 + r geht analog). Aus der Äquivalenz (1.8) folgt dann 0  DSe1 (d) <
DSe1 (u) und damit ist nach Satz 1.10 eine Arbitrage-Möglichkeit gefunden, etwa indem man
t = 1 und x = x (S0 ) = 1 setzt.
“(=”: Nach Satz 1.10 genügt es zu zeigen, dass für jedes t 2 {1, . . . , T } und für jede Zu-
fallsvariable x = x t = x t (S0 , . . . , St 1 ) entweder P (xDSet 0) < 1 oder P (xDSet > 0) = 0
gilt. Letztere Gleichheit gilt offensichtlich, falls x ⌘ 0; es genügt also, die Aussage für Zu-
fallsvariablen x 6⌘ 0 zu zeigen.
Sei also im Folgenden t 2 {1, . . . , T } und x 6⌘ 0 fest. Wegen (1.14) hängt

x ( ! ) = x ( S0 , S1 ( ! ) , . . . , S t 1 (! )) = x ( S0 , S0 w 1 , . . . , S0 w 1 · · · · · w t 1)

nur von den ersten t 1 Koordinaten des Produktraums ab. Wir können daher wegen x 6⌘ 0
Elemente w1 , . . . , wt 1 2 {u, d} dergestalt wählen, dass x (! ) 6= 0 für alle ! 2 W deren
erste t 1 Koordinaten mit w1 , . . . , wt 1 übereinstimmen. Die Bedingung d < 1 + r < u
impliziert nun, dass die Zufallsvariable Yt /(1 + r ) 1 für wt 2 {u, d} unterschiedliches
Vorzeichen annimmt. Wir können damit ! 2 W so wählen, dass x (! ) (Yt (! )/(1 + r ) 1) <
0 gilt. Die Äquivalenz am Eingang des Beweises impliziert dann x (! )DSet (! ) < 0, und
damit folgt P (xDSet 0) < 1.

Für die Preissetzung von Zahlungsansprüchen unter No-Arbitrage werden wir wie in Be-
merkung 1.18 ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q einführen. Für ! = (w1 , . . . , wT ) 2 W sei

T ⇢
q für wt = u 1+r d
Q ({! }) := ’ q ( wt ) mit q(wt ) :=
1 q für wt = d
, q :=
u d
2 (0, 1). (1.15)
t =1

Bezüglich Q sind die Zufallsvariablen Y1 , . . . , YT aus (1.13) sogar u.i.v. mit Q (Yt = u) = q
und Q (Yt = d) = 1 q. Für den diskontierten Aktienpreis Set gilt somit ähnlich wie in (1.12)
 t ✓ ◆t
St S 0 E [ Y1 ]
(1 + r )t n’
Q
EQ [Set ] = EQ = EQ [Y1 ] = S0 (1.16)
(1 + r ) t =1 1+r
✓ ◆ ✓ ◆
uq + d(1 q) t u 1+r d d u (1 + r ) t
= S0 = S0 + = S0 = Se0 .
1+r 1+r u d 1+r u d

Auch hier wird Q Martingalmaß oder risikoneutrales Maß genannt.


1.2 Das Cox-Ross-Rubinstein Modell 19

Satz 1.20.
Unter der No-Arbitrage-Bedingung ist der Finanzmarkt im mehrperiodigen Cox-Ross-
Rubinstein-Modell vollständig, d.h. zu jedem Zahlungsanspruch H gibt es eine (eindeu-
j
tige) Hedgingstrategie j = (a, b) mit VT = H. Der Preis P( H ) von H ist

H (! ) H
= b 0 + a0 S0 = Â Q ({! })
j
P( H ) = V0 = EQ (1.17)
! 2W
BT BT

mit dem Martingalmaß Q aus (1.15).

Beweis. Wir bestimmen die eindeutige Hedgingstrategie j und den Preis P( H ) rekursiv.
Für ! = (w1 , . . . , wT ) und t 2 {1, . . . , T 1} sei ! t := (w1 , . . . , wt ). Da j selbstfinanzierend
ist (Definition 1.3), gilt für jedes t 2 {1, . . . , T }
j j,
Vt = Vt = bt 1 Bt + at 1 St . (1.18)
j
Außerdem gilt per Definition von Vt 1

j j,!
Vt 1 = Vt = bt 1 Bt 1 + at 1 St 1 . (1.19)
j
Aus VT = H folgt mit Gleichung (1.18) das lineare Gleichungssystem
1 1 T 1 T 1 T 1
H (! T , u) = VT (! T , u) = b T 1 (! ) BT + a T 1 (! )uST 1 (! )
T 1 T 1 T 1 T 1 T 1
H (! , d) = VT (! , d) = b T 1 (! ) BT + a T 1 (! )dST 1 (! )

mit der eindeutigen Lösung

T 1 H (! T 1 , u ) H (! T 1 , d )
aT 1 (! )= ,
( u d ) S T 1 (! T 1 )
T 1 uH (! T 1 , d) dH (! T 1 , u)
bT 1 (! )= .
( u d ) BT

a T 1 und b T 1 hängen nur von ! T 1 ab und sind somit wegen wt = St (! )/St 1 (! ) (für
t 2 {1, . . . , T }) vollständig durch S0 , . . . , ST 1 bestimmt. Damit ist Bedingung (1.1) an j für
t = T 1 erfüllt. Einsetzen in (1.19) liefert wie in (1.11) mit q = (1 + r d)/(u d).
j T 1 T 1 T 1 T 1
VT 1 (! ) = bT 1 (! ) BT 1 + aT 1 (! )ST 1 (! )
uH (! T 1 , d) dH (! T 1 , u) H (! T 1 , u) H (! T 1 , d)
= +
(u d)(1 + r ) u d
H (! 1 , u )
T H (! T 1 , d )
= q+ (1 q )
1+r 1+r
H (! T 1 , w T )
= Â q ( w T ). (1.20)
w 2{u,d}
1+r
T
20 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Da j selbstfinanzierend ist, können wir (1.20) mithilfe von (1.18) auch schreiben als

H (! T 2, w
T 1 , wT )
 T 1
j
q(wT ) = VT 1 (! )
wT 2{u,d}
1+r
T 2 T 2 T 1
= bT 2 (! ) BT 1 + aT 2 (! )ST 1 (! )
T 2 T 2 T 2
= bT 2 (! ) BT 1 + aT 2 (! )wT 1 S T 2 (! ).

Variieren wir in dieser Gleichung wT 1 2 {u, d}, so erhalten wir ein Gleichungssystem in
a T 2 (! T 2 ), b T 2 (! T 2 ). Einsetzen der eindeutigen Lösung in (1.19) liefert wie im vorheri-
gen Schritt

1 ⇣ H (! T 2, w
T 1 , wT )

T 2
 Â
j
VT 2 (! )= q(wT ) q(wT 1)
2{u,d}
1+r w 1+r
wT 1 T 2{ u,d }

H (! T 2 , w T 1 , w T )
= Â (1 + r )2
q(wT 1 ) q ( w T ).
2
(wT 1 ,w T )2{ u,d }

Nochmalige ( T 2)-fache Anwendung dieses Iterationsschritts liefert die eindeutige Hed-


gingstrategie j = (a, b) und den Preis

H ( w1 , . . . , w T ) H (! )
 q ( w1 ) · . . . · q ( w T ) =  Q ( ! )
j
P( H ) = V0 = .
(w1 ,...,wT )2{u,d} T
(1 + r ) T ! 2W
BT

Bemerkung 1.21.
Der Beweis von Satz 1.20 liefert auch den Preis von H zu einem beliebigen Zeitpunkt t 2
{1, . . . , T 1} durch

H ( ! t , w t +1 , . . . , w T ) T
Vt (! t ) = Â ’ q ( w n ),
j

(wt+1 ,...,wT )2{u,d} T t (1 + r ) T t n = t +1

wobei ! t = (w1 , . . . , wt ) 2 {u, d}t . Der Preis zur Zeit t ist damit eine Zufallsvariable, die
von ! nur über ! t = (w1 , . . . , wt ) und somit der zufälligen Marktentwicklung bis zur Zeit
t abhängt. ⌅

Korollar 1.22.
Hängt der Zahlungsanspruch H = H (ST ) nur vom Aktienendkurs ST ab, so ist der ein-
deutige Preis P( H ) im mehrperiodigen CRR-Modell unter der No-Arbitrage-Bedingung
gegeben durch
✓ ◆
1 T T n
BT nÂ
P( H ) = q ( 1 q ) T n H ( u n d T n S0 ) . (1.21)
=0 n

Beweis. Für ! = (w1 , . . . , wT ) 2 W = {u, d} T sei N (! ) = |{t 2 {1, . . . , T } : wt = u}|. Nach


1.3 Die Black-Scholes-Formel 21

Definition von ST , Gleichungen (1.13) und (1.14), gilt

T T
ST (! ) = S0 ’ Yt (! ) = S0 ’ wt = S0 u N (! ) d T N (! )
.
t =1 t =1

Weiter gilt nach (1.15)

T
Q ({! }) = ’ q ( w t ) = q N (! ) ( 1 q)T N (! )
.
t =1

Daher folgt mit (1.17)



H (ST ) 1
P( H ) = EQ
BT
=
BT Â Q ({! }) H ST (! )
! 2W
1 ⇣ ⌘
=
BT Â q N (! ) ( 1 q)T N (! )
H S0 u N ( ! ) d T N (! )

! 2W
T ✓ ◆
1 T
=
BT Â n q n (1 q)T n
H (un d T n
S0 ) .
n =0

Bemerkung 1.23.
Mit einer Bin( T, q)-verteilten Zufallsvariablen N lässt sich (1.21) auch schreiben als

1
P( H ) = E [ H (u N dT N
S0 )].
BT

Aus diesem Grund wird das Cox-Ross-Rubinstein-Modell häufig auch als Binomialmodell
bezeichnet. ⌅

1.3 Die Black-Scholes-Formel

Das Black-Scholes-Modell ist wie das Cox-Ross-Rubinstein Modell ein Modell für einen
Finanzmarkt bestehend aus zwei Finanzgütern: einem risikolosen Bond und einem risiko-
behafteten Aktienkurs. Im Gegensatz zu letzterem Modell handelt es sich um ein zeitsteti-
ges Modell, bei dem die Indexmenge dem Intervall [0, T ] entspricht. Eine rigorose Analyse
zeitstetiger Finanzmärkte erfordert tiefliegende Resultate der Wahrscheinlichkeitstheorie
(insbesondere der stochastischen Analysis), so dass wir uns in diesem Kapitel gelegentlich
heuristischen Argumenten bedienen.

Bemerkung 1.24 (Heuristische Einführung des Black-Scholes-Modells).


Das Black-Scholes-Modell beschreibt einen Finanzmarkt bestehend aus einem Bond Bt und
einem Aktienkurs St , indiziert durch die Zeit t 2 [0, T ].
Für den Bond wird die Annahme stetiger Verzinsung getroffen: mit einer Zinsrate r 0
rt
wird Bt = B0 e angenommen. Die Annahme lässt sich rechtfertigen, indem man Kapi-
tal mit einem jährlichen Zinssatz der Höhe r nicht einmalig am Jahresende verzinst (also
B1 = B0 (1 + r )), sondern die Verzinsung auf m unterjährige Perioden verteilt und das
22 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Kapital mehrfach verzinst. Mit dem unterjährigen Zinssatz (1 + r/m) ergibt sich nach m
Verzinsungsperioden (also einem Jahr), dass B1 = B0 (1 + r/m)m . Für m ! • ergibt sich
gerade B1 = B0 er wie bei stetiger Verzinsung angenommen.
Zur Entwicklung des Modells für den Aktienkurs St betrachten wir zunächst dessen Ren-
dite, also den relativen Zuwachs des Aktienkurses vom Zeitpunkt t1 zum Zeitpunkt t2
(0  t1 < t2  T):
St2 St1
.
St1
Diese lässt sich nach dem Mittelwertsatz für kleine t2 t1 approximieren durch die soge-
nannte Log-Rendite
St St1
log(St2 ) log(St1 ) ⇡ 2 .
St1
Empirische Beobachtungen von Finanzmärkten legen nahe:
(i) Die Verteilung von log(St2 ) log(St1 ) ist nur abhängig von t2 t1 , und genauer nähe-
rungsweise normalverteilt mit Erwartungswert a(t2 t1 ) 2 R und Varianz s2 (t2 t1 )
(anschaulich: sowohl erwartete Rendite, als auch Varianz wächst linear in der Länge
des betrachteten Zeitabstands). Man nennt s auch Volatilität.
(ii) Für t1 < t2 < · · · < tk sind die Log-Renditen

log(St2 ) log(St1 ), log(St3 ) log(St2 ), . . . , log(Stk ) log(Stk 1 )

unkorreliert.
Wir werden nun (heuristisch) ein Modell aufstellen, welches diese beiden Eigenschaften
sicherstellt. Angenommen, wir könnten Zufallsvariablen (Wt )t2[0,T ] definieren, welche die
Eigenschaft besitzen, dass W0 = 0 und

Wt2 Wt1 , Wt3 Wt2 , . . . , Wtk Wtk 1

für alle 0  t1 < t2 < . . . tk  T unabhängig normalverteilt sind mit Erwartungswert 0 und
Varianz t2 t1 , . . . , tk tk 1 (das geht: unter weiteren Annahmen spricht man von einer
Brownschen Bewegung, siehe Abbildung 1.1 für vier simulierte Verläufe; die genaue Kon-
struktion und das weitere Studium ist anspruchsvoll und erfordert tiefliegende Kenntnisse
der Wahrscheinlichkeitstheorie). Setzt man dann

St = S0 esWt +at ,

so folgt log St = log S0 + sWt + at, und daher ergibt sich für die Log-Rendite nach den
Rechenregeln für Normalverteilungen
2
log St j log St j 1
= s(Wt j Wt j 1 ) + a(t j tj 1) ⇠ N ( a(t j tj 1 ), s (t j tj 1 )).

Es gilt also Eigenschaft (i), und aus der Unabhängigkeit der Wt j Wt j 1 ergibt sich auch (ii).
Das so definierte Modell heißt Black-Scholes-Modell (BS-Modell), und bildet seit seiner
Einführung 1973 ein Standardmodell der zeitstetigen Finanzmathematik. In Abbildung 1.1
finden sich vier simulierte Verläufe von (St )t2[0,1] .
1.3 Die Black-Scholes-Formel 23
2

6
5
1

4
Wt

St
0

3
2
−1

1
−2

0
0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0
Zeit Zeit

Abbildung 1.1: Links: vier realisierte Pfade der Brownschen Bewegung (Wt )t2[0,1] . Rechts:
zugehörige Pfade des Black-Scholes Aktienkurses (St )t2[0,1] mit S0 = 1, a = 1, s2 = 1.

Für den erwarteten Aktienkurs E [St ] ergibt sich unter Beachtung der Tatsache, dass die
momenterzeugende Funktion einer N (0, t 2 )-verteilten Zufallsvariable X durch m(t) =
2 2
E [etX ] = et t /2 gegeben ist,
2 /2) t
E [St ] = S0 e at E [esWt ] = S0 e(a+s = S0 eµt , (1.22)

falls wir µ = a + s2 /2 setzen. Der erwartete Aktienkurs weist also eine ähnliche Funktions-
gestalt wie der Bond Bt = B0 ert bei stetiger Verzinsung auf. ⌅

Die sogenannte Black-Scholes-Formel (1997 prämiert mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnis-


preis für Wirtschaftswissenschaften; sie müsste eigentlich Black-Merton-Scholes-Formel hei-
ßen, da auch M ERTON an der Ausarbeitung beteiligt war) stellt eine Formel für den Preis ei-
ner europäischen Call-Option mit Ausübungspreis K und Ausübungszeitpunkt T im Black-
Scholes-Modell dar. Wir werden sie in diesem Kapitel herleiten, in dem wir das Black-
Scholes-Modell durch eine Folge von Cox-Ross-Rubinstein-Modellen approximieren.
Ausgangspunkt ist der Handelszeitraum [0, T ], wobei zum Zeitpunkt t = 0 Bond B0 und
Aktienkurs S0 bekannt seien. Wir zerlegen nun für jedes n 2 N das Intervall [0, T ] in
n äquidistante Teilintervalle der Länge Dn = T/n. Wir betrachten dann ein Cox-Ross-
Rubinstein-Modell
(n) (n) (n) (n)
( B0Dn , S0Dn ), . . . , ( BnDn , SnDn ),
in dem zu den Zeitpunkten Dn , 2Dn , . . . , nDn gehandelt wird, wobei sich der Aktienkurs
(n)
SkDn jeweils um den Faktor un erhöhen kann (mit Wahrscheinlichkeit pn 2 (0, 1)) oder um
(n)
den Faktor dn = 1/un verringern kann (mit Wahrscheinlichkeit 1 pn ), und wobei S0Dn =
S0 unabhängig von n ist. Nach Definition des Cox-Ross-Rubinstein-Modell gilt also

k
(n) (n)
SkDn = S0 ’ Yi ,
i =1
24 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

(n) (n) (n)


wobei Y1 , . . . , Yn mit Yi (! ) = wi unabhängige Zufallsvariablen auf dem Wahrschein-
lichkeitsraum
n
Wn = {un , dn }n , P n (! ) = ’ p n 1{ w t = u n } + ( 1 p n ) 1{ w t = d n } ,
t =1

(n) (n)
bezeichnen, so dass gerade P n (Yi = un ) = pn und P n (Yi = dn ) = 1 pn für jedes
i 2 {1, . . . , n} gilt. Für den Bond setzen wir die Zinsrate rn dergestalt an, dass 1 + rn = erDn
gilt, also
(n)
BkDn = B0 (1 + rn )k = B0 erkDn . (1.23)

Es ergibt sich für jeden stetigen Zeitpunkt t 2 [0, T ], dass mit tn = bt/Dn cDn ! t gilt:
(n)
Bbt/Dn cDn = B0 erbt/Dn cDn ! B0 ert =: Bt .

Der Bond im nten CRR-Modell zum Handelszeitpunkt tn = bt/Dn cDn ! t konvergiert


also gerade gegen den Bond im BS-Modell zum Handelszeitpunkt t. Unser Ziel ist es zu
zeigen, dass sich auch der Aktienkurs St im Black-Scholes-Modell in geeigneter Weise als
Grenzwert des Cox-Ross-Rubinstein-Modells zum Zeitpunkt tn identifizieren lässt, wenn
die Parameter des CRR-Modells geeignet gewählt werden. Dabei beschränken wir uns
auf den Nachweis der Normalität der Log-Rendite log(St ) log(S0 ) = log(St /S0 ) mit
Erwartungswert at und Varianz s2 t (wir ignorieren also allgemeinere Renditen und den
Unabhängigkeitsaspekt aus (ii) in Bemerkung 1.24). Beachte zur Motivation, dass

⇣ bt/Dn c ⌘ bt/Dn c
(n) (n) (n)
log(Sbt/Dn cDn ) log(S0 ) = log ’ Yk = Â log(Yk ). (1.24)
k =1 k =1

Die Log-Rendite lässt sich also als eine Summe von unabhängigen und identisch verteilten
Zufallsvariablen umschreiben, und die Normalität folgt dann aus einem geeigneten zentra-
len Grenzwertsatz. Anders als in der klassischen ZGWS-Situation (vgl. Vorlesung Stocha-
stik) ist jedoch die Verteilung der einzelnen Summanden von n abhängig. Wir formulieren
daher zunächst eine entsprechende Erweiterung:

Satz 1.25 (Zentraler Grenzwertsatz für Dreiecksschemata).


Es sei (mn )n2N eine monoton wachsende Folge von natürlichen Zahlen, welche gegen
+• divergiert (oft: mn = n). Für jedes n 2 N seien ( Xk,n )1kmn u.i.v. Zufallsvariablen
mit Var( X1,n ) 2 (0, •) für alle n 2 N und es gelte

⇤ 3 ⇤ Xk,n E [ Xk,n ]
sup E [| X1,n | ]C<• mit Xk,n := p
n 2N Var( Xk,n )
1.3 Die Black-Scholes-Formel 25

Sei (Sn⇤ )n2N die Folge der standardisierten Summenvariablen definiert durch
mn
1
Sn⇤ := p
mn  Xk,n

k =1

mit zugehöriger Verteilungsfunktion FSn⇤ . Dann gilt für alle Folgen ( xn )n2N ✓ R mit
limn!• xn = x 2 R
lim FSn⇤ ( xn ) = F( x ),
n!•

wobei F die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung bezeichnet.

Für den Beweis benötigen wir zunächst ein technisches Lemma:

Lemma 1.26.
In der Situation aus Satz 1.25 gilt für jedes h 2 C 3 (R ) mit

K (h) = max{khk• , k h0 k• , k h00 k• , k h000 k• } < •,

dass
lim E [ h(Sn⇤ )] = E [ h( Z )],
n!•

wobei Z eine standardnormalverteilte Zufallsvariable bezeichnet.

Beweis von Lemma 1.26. Sei ( Zn )n2N eine Folge von unabhängig standardnormalverteilten
Zufallsvariablen, die unabhängig von ( Xk,n )1kmn ist. Für n 2 N sei Yn := mn 1/2 Âim=n1 Zi
und für i 2 {1, . . . , mn } sei

(n) 1 ⇤
Ui := p ( X1,n + . . . + Xi⇤ 1,n + Zi+1 + . . . + Zmn ).
mn

D (n)
Offensichtlich ist auch Yn standardnormalverteilt (also Z = Yn ), und weiter ist Ui un-
⇤ und Z . Ein Teleskopsummenargument liefert
abhängig von Xi,n i

! !
D 1 mn ⇤ 1 mn
mn i mn iÂ
h(Sn⇤ ) h( Z ) = h(Sn⇤ ) h(Yn ) = h p Xi,n h p Zi
=1 =1
mn ✓ ⇤ ◆
Xi,n
✓ ◆
(n) (n) Zi
= Â h Ui + p h Ui + p . (1.25)
i =1
mn mn

Eine Taylor-Entwicklung von h mit Peano-Restglied ergibt für jedes x, u 2 R:

h00 (u) 2 h00 (x ) h00 (u) 2


h(u + x ) = h(u) + h0 (u) x + x + x (1.26)
2 2
mit einer Zwischenstelle x zwischen u und u + x. Nun wenden wir (1.26) auf (1.25) an und
(n) (n) (n)
bilden Erwartungswerte. Mit zufälligen Zwischenstellen x i zwischen Ui und Ui +
(n) (n) (n)
mn 1/2 Xi,n
⇤ sowie z
i zwischen Ui und Ui + mn 1/2 Zi folgt dann zusammen mit der Un-
26 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

(n) ⇤ ,Z
abhängigkeit von Ui und Xi,n i

E [ h(Sn⇤ )] E [ h( Z )]
mn  ✓ ⇤ ◆ ✓ ◆
(n) Xi,n (n) Zi
= Â E h Ui + p h Ui + p
i =1
mn mn
 " #
mn ⇤ ⇤ 2 Zi2
(n) Xi,n Zi (n) ( Xi,n )
= Â E h (Ui ) p
0 00
+ E h (Ui )
i =1
mn 2mn
" #
⇤ )2
(n) (n) ( Xi,n (n) (n) Zi2
+ E h00 (x i ) h00 (Ui ) h00 (z i ) h 00
(Ui )
2mn 2mn
mn ⇤ ]
E [ Xi,n E [ Zi ] ⇤ )2 ]
E [( Xi,n E [ Zi2 ]
(n) (n) (n)
= Â E[h0 (Ui )] p
mn
+ E [h00 (Ui )]
2mn
+ E [ Ri ]
i =1
mn
(n)
= Â E [ Ri ]
i =1

mit
⇤ )2
(n) (n) (n) ( Xi,n (n) (n) Zi2
Ri := h00 (x i ) h00 (Ui ) h00 (z i ) h00 (Ui )
2mn 2mn
(man beachte, dass alle Erwartungswerte wegen K (h) < • existieren). Eine Anwendung
des Mittelwertsatzes auf h00 ergibt die Abschätzungen
⇤ |
| Xi,n
(n) (n) (n) (n)
|h00 (x i ) h00 (Ui )|  k h000 k• |x i Ui |  K (h) p , (1.27)
mn
(n) (n) (n) (n) | Zi|
|h00 (z i ) h00 (Ui )|  k h000 k• |z i Ui |  K (h) p (1.28)
mn

und aus (1.27) und (1.28) folgt dann


" #  ✓ ◆
⇤ | ( X ⇤ )2
(n) | Xi,n i,n | Z | Zi2 C E [| Z1 |3 ]
E [| Ri |]  E K (h) p + E K (h) p i  K (h) + .
mn 2mn mn 2mn 2m3/2
n 2m3/2
n

Insgesamt gilt also

mn mn ✓ ◆
(n) (n) C E [| Z |3 ] n!•
|E [h(Sn⇤ )] E [ h( Z )]| = Â E [ Ri ]  Â E [| Ri |]  K (h) p + p1 !0
i =1 i =1
2 mn 2 mn

und somit limn!• E [ h(Sn⇤ )] = E [ h( Z )].

Beweis von Satz 1.25. 1. Schritt: Sei zunächst xn = x 2 R für alle n 2 N und sei # > 0. Seien
h1 , h2 : R ! [0, 1] mit
✓ ◆4 !4
y x
h1 (y) := 1( •,x ] ( y ) 1 1[ x #,x ] ( y ),
#
1.3 Die Black-Scholes-Formel 27

✓ ◆4 !4
y # x
h2 (y) := 1( •,x +#] ( y ) 1 1[ x,x+#] (y).
#

Dann sind h1 , h2 2 C 3 (R ) mit K (h1 ), K (h2 ) < • und es gilt h1 (y)  1( •,x ] ( y )  h2 (y) für
alle y 2 R. Daraus folgt

E [ h1 (Sn⇤ )]  E [1( ⇤
•,x ] ( Sn )]  E [h2 (Sn⇤ )].

Wegen E [1( ⇤ = P (Sn⇤  x ) = FSn⇤ ( x ) erhalten wir mit Lemma 1.26


•,x ] ( Sn )]

F( x #) = P ( Z  x # ) = E [ 1( •,x #] ( Z )]  E [h1 ( Z )] = lim E [h1 (Sn⇤ )]


n!•
 lim inf FSn⇤ ( x )
n!•
 lim sup FSn⇤ ( x )
n!•
 lim E [h2 (Sn⇤ )] = E [h2 ( Z )]  E [1( •,x +#] ( Z )] = P ( Z  x + # ) = F ( x + # ).
n!•

Da F stetig ist, folgt daraus für # # 0 die Behauptung.


n!•
2. Schritt: Sei jetzt ( xn )n2N ✓ R mit xn ! x und sei # > 0. Da F in x stetig ist, gibt es ein
d > 0 mit F( x + d) F( x d) < #. Sei nun n0 2 N mit | xn x | < d für alle n n0 . Dann
gilt auf Grund von Schritt 1 und der Monotonie von FSn⇤

F( x ) #  F( x d) = lim FSn⇤ ( x d)  lim inf FSn⇤ ( xn )


n!• n!•
 lim sup FSn⇤ ( xn )  lim FSn⇤ ( x + d) = F( x + d)  F( x ) + #.
n!• n!•

Daraus folgt für # # 0 die Behauptung.

Ausgestattet mit dem zentralen Grenzwertsatz können wir nun den angestrebten Bezug
zwischen dem CRR- und dem BS-Modell formulieren.

Satz 1.27.
Es seien a 2 R und s > 0. Setzen wir in der Folge von CRR-Modellen
p p
Dn s Dn
un = es , dn = e , rn = erDn 1, (1.29)

und betrachten auf dem zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum Wn = {un , dn }n


ein Wahrscheinlichkeitsmaß P n = ’nt=1 pn 1{wt =un } + (1 pn )1{wt =dn } mit

1 a p p
pn = + Dn + o ( Dn ) (1.30)
2 2s
für n ! •, so gilt für jedes 0 < t  T
(n)
lim P n log(Sbt/Dn cDn ) log(S0 )  x = F at,s2 t ( x ), x 2 R,
n!•
28 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

wobei F at,s2 t die Verteilungsfunktion der N ( at, s2 t)-Verteilung bezeichnet. Unter dem
risikoneutralen Maß Q n definiert durch

1 + rn dn
pn = qn := ,
un dn

vgl. Gleichung (1.15), gilt (1.30) mit a = r s2 /2.

Vor dem Beweis des Satzes interpretieren wir dessen Annahmen und Ergebnisse.

Bemerkung 1.28.
(i) Mit den Parametern aus (1.29) sind in den approximierenden CRR-Modellen für große
n Arbitragemöglichkeiten ausgeschlossen. In der Tat gilt
p p
s Dn Dn
dn < 1 + rn < un () e < erDn < es
r r
p p n n
() s Dn < rDn < s Dn () s <r<s ,
T T

und letztere Ungleichung ist für hinreichend große n erfüllt. Damit folgt die Aussage
aus Satz 1.19.
(ii) Durch Einsetzen von a = r s2 /2 in (1.22) ergibt sich als erwarteter Aktienkurs im
BS-Modell S0 ert , so dass bei Verwendung risikoneutraler Maße im approximieren-
den CRR-Modell das (erwartete) Wachstumsverhalten von Aktie und Bond im BS-
Modell identisch sind. Für den diskontierten Aktienkurs gilt in diesem Fall E [S̃t ] =
E [St /Bt ] = S0 = S0 /B0 , falls B0 = 1 gesetzt wird; vgl. Gleichung (1.16).

Beweis von Satz 1.27. Wir zeigen zunächst, dass qn Gleichung (1.30) mit a = r s2 /2 erfüllt.
Unter Beachtung der Taylorentwicklungen

1 1 x
ex 1 = x + 12 x2 + O( x3 ), = + O ( x 2 ),
2s + x 2s 4s2
für x ! 0 ergibt sich wegen Dn ! 0
p
1 + rn dn erDn e s Dn
qn = = p p
un dn e s Dn e s Dn
p
erDn +s Dn 1
= p
e2s Dn 1
p p
(rDn + s Dn ) + 12 (rDn + s Dn )2 + O(D3/2
n )
= p 1
p 3/2
2s Dn + 2 (2s Dn )2 + O(Dn )
2 p
s + (r + s2 ) Dn + O(Dn )
= p
2s + 2s2 Dn + O(Dn )
n 2 p
on 1 1p o
= s + (r + s2 ) Dn + O(Dn ) Dn + O(Dn )
2s 2
1.3 Die Black-Scholes-Formel 29

2
1 r + s2 s p
= +( ) Dn + O(Dn )
2 2s 2
2
1 r s2 p
= + D n + O ( D n ),
2 2s
für n ! •.
Für den Beweis der asymptotischen Normalitätsaussage erinnern wir an (1.24):

⇣ bt/Dn c ⌘ bt/Dn c mn
(n) (n) (n)
log(Sbt/Dn cDn ) log(S0 ) = log ’ Yk = Â log(Yk ) =: Â Xk,n =: Sn ,
k =1 k =1 k =1

wobei mn = bt/Dn c ! •. Die Zufallsvariablen ( Xk,n )1kmn sind dabei bezüglich des
Wahrscheinlichkeitsmaßes P n u.i.v. mit
p
EPn [ X1,n ] = log(un ) pn + log(dn )(1 pn ) = s Dn (2pn 1) = aDn + o (Dn ),
p
EPn [| X1,n |] = | log(un )| pn + | log(dn )|(1 pn ) = s Dn ,
2 2 2
EPn [ X1,n ] = log(un ) pn + log(dn ) (1 pn ) = s2 Dn ,
3 3
EPn [| X1,n |3 ] = | log(un ) pn + log(dn ) (1 pn ) = s3 D3/2
n .

Insbesondere gilt wegen | x y|3  (| x | + |y|)3  4(| x |3 + |y|3 ), dass

⇤ 3 EPn [| X1,n EPn [ X1,n ]|3 ] EPn [| X1,n |3 ] + EPn [| X1,n |]3
EPn [| X1,n | ]=  4 · 2 ]
VarPn ( X1,n )3/2 (EPn [ X1,n E [ X1,n ]2 )3/2
s3 D3/2
n
= 8·  16,
(s2 Dn + O(D2n ))3/2

für n hinreichend groß, da s2 Dn + O(D2n ) s2 Dn /22/3 für n hinreichend groß.


Die Voraussetzungen von Satz 1.25 sind also erfüllt, und weiterhin gilt
⇣ t ⌘⇣ ⌘
EPn [Sn ] = mn E [ X1,n ] = + O(1) aDn + o (Dn ) = at + o (1).
Dn

Analog:

VarPn (Sn ) = mn VarPn ( X1,n )


2
= mn EPn [ X1,n ] EPn [ X1,n ]2
⇣ t ⌘⇣ ⌘
= + O(1) s2 Dn { aDn + o (Dn )}2 = s2 t + o (1).
Dn

Wir erhalten für jedes x 2 R, dass

x E P n [ Sn ] x at
zn = p = p + o (1).
VarPn [Sn ] s2 t
30 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

Aus dem zentralen Grenzwertsatz 1.25 folgt schließlich


⇣S E P n [ Sn ] ⌘ ⇣ x at ⌘
n
P n ( Sn  x ) = P p  zn ! F p = F at,s2 t ( x ),
VarPn [Sn ] s2 t

was zu zeigen war.

Wir schließen dieses Kapitel mit einer Herleitung der berühmten Black-Scholes-Formel,
welche den fairen Ausgabepreis einer europäischen Call-Option mit Ausübungspreis K
und Ausgabezeitpunkt T im BS-Modell angibt; also P( H ) mit H = (ST K )+ . Da wir
im Rahmen dieser Vorlesung die Optionsbepreisung in zeitstetigen Modellen nicht behan-
deln, begnügen wir uns damit, den Grenzwert der Folge der entsprechenden Optionspreise
in den approximierenden CRR-Modellen aus Satz 1.27 zu bestimmen. Vom sich ergebenden
Grenzwert lässt sich mit fortgeschritteneren Methoden zeigen, dass er genau dem gesuch-
ten fairen Preis im BS-Modell entspricht.
(n)
Im folgenden bezeichnen wir mit C0 = P( H (n) ) den fairen Ausgabepreis der europäischen
(n)
Call-Option H (n) = (SnDn K )+ im nten approxmierenden CRR-Modell mit Parametern
un , dn , rn aus (1.29), wobei wir im Folgenden B0 = 1 annehmen. Mit

an := min{k 2 {0, . . . , n} | ukn dnn k


S0 K > 0} (1.31)

bezeichnen wir den kleinsten Wert k, so dass sich in einem Marktentwicklungsszenario mit
k-fachem Auftreten von un und (n k )-fachem Auftreten von dn eine positive Auszahlung
(n)
ergibt. Nach Korollar 1.22 gilt für C0 im CRR-Modell mit Parametern un , dn , rn aus (1.29),
dass
✓ ◆
(n) 1 n n k
C0 = (n) Â qn (1 qn )n k (ukn dnn k S0 K )+
BnDn k=0 k
n ✓ ◆
1 n k
= (n) Â qn (1 qn )n k (ukn dnn k S0 K )
BnDn k=an k
n ✓ ◆✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆
n q n u n k (1 q n ) d n n k K n n k
= S0 Â rT Â
q n (1 q n ) n k , (1.32)
k= a
k 1 + r n 1 + r n e k= a
k
n n

(n)
wobei qn = 1+ rn dn n rT
un dn wie in (1.15) definiert ist und wir BnDn = (1 + rn ) = e , siehe (1.23),
verwendet haben.

Satz 1.29 (Black-Scholes-Formel).


(n)
Für den Ausgabepreis C0 aus (1.32) einer europäischen Call-Option im Cox-Ross-Rubin-
stein-Modell mit Parametern un , dn , rn aus (1.29) gilt
(n)
p
C0BS := lim C0 = S0 F ( a ) Ke rT
F( a s T ),
n!•
1.3 Die Black-Scholes-Formel 31

wobei ⇣ ⌘ ⇣ 2 ⌘
S0
log K + T s2 + r
a := p .
s T

qn un (1 q n ) d n
Beweis. Mit qen := 1+r n gilt 1 qen = 1+r n und wir können (1.32) umschreiben zu

(n) rT
C0 = S0 Bin(n, qen )( an ) Ke Bin(n, qn )( an ),

wobei Bin(n, p)( a) := Ânk=a (nk) pk (1 p)n k die Tailfunktion der Binomialverteilung be-
zeichnet. Es genügt daher zu zeigen, dass

lim Bin(n, qen )( an ) = F( a), (1.33)


n!•
p
lim Bin(n, qn )( an ) = F( a s T ). (1.34)
n!•

Wir beweisen hier nur (1.33), denn (1.34) lässt sich analog beweisen. Für jedes n 2 N sei-
en dazu ( Xk,n )1kn unabhängige Bin(1, qen )-verteilte Zufallsvariablen. Beachte, dass diese
die Voraussetzungen von Satz 1.25 erfüllen. Die Summenvariable Sn = Ânk=1 Xk,n ist dann
Bin(n, qen ) verteilt, so dass
Bin(n, qen )( an ) = P (Sn an )
Das Ereignis auf der rechten Seite schreiben wir im Folgenden um. Beachte dazu, dass
⇣ ⌘
✓ ◆k log K
n log(dn )
k n k un K S0
un dn S0 K > 0 () > () k > ⇣ ⌘ =: bn ,
dn S0 dnn log un dn

wobei wir bn umschreiben können zu


⇣ ⌘ p
log SK0 n log(e s Dn ) ✓ ✓ ◆ p ◆
1 K
bn = p = p log + ns Dn .
log(e2s Dn ) 2s Dn S0

n (a 1)
Nach Definition von an in (1.31) ist unan dnn an S0 K > 0 und unan 1 dn n S0 K  0, d.h.
an > bn und an 1  bn . Somit ist bn 2 [ an 1, an ), und das Ereignis {Sn an } ist identisch
mit dem Ereignis {Sn > bn }. Wir erhalten:

Bin(n, qen )( an ) = P (Sn a n ) = P ( S n > bn ) = 1 P ( S n  bn )


! !
b n ne
q n b n ne
q n
=1 P Sn⇤  p = 1 FSn⇤ p ,
ne qn (1 qen ) qn (1 qen )
ne

wobei Sn⇤ die standardisierte Summenvariable

Sn E [ Sn ] Sn ne
qn 1 n X qen 1 n ⇤
Sn⇤ = p =p = p  p k,n = p  Xk,n
Var(Sn ) qn (1 qen )
ne n k=1 qen (1 qen ) n k =1
32 Kapitel 1. Grundlagen der Finanzmathematik

bezeichnet. Es bleibt nun zu zeigen, dass

bn ne
qn n!•
lim p ! a, (1.35)
n!• qn (1 qen )
ne

denn dann gilt mit dem zentralen Grenzwertsatz 1.25


!
bnne
qn
lim Bin(n, qen )( an ) = 1 lim FSn⇤ p =1 F ( a ) = F ( a ).
n!• n!• qn (1 qen )
ne

Für den Nachweis von (1.35) schreiben wir zunächst


⇣ ⇣ ⌘ p ⌘
1 K
b ne
qn p
2s Dn
log S0 + ns Dn ne
qn
p n = p (1.36)
qn (1 qen )
ne qn (1 qen )
ne
⇣ ⌘ p p ⇣ ⌘ p
log SK0 + ns Dn 2ns Dn qen log SK0 + s · n(1 qn ) Dn
2e
= p p = p p .
2s Dn ne qn (1 qen ) 2s T qen (1 qen )

Auf Grund einer Taylorentwicklung der Exponentialfunktion gilt


p p p
Dn rDn
es = 1+s Dn + o ( Dn )

für n ! •. Damit ergibt sich wegen


p p
1 r s2 /2
qn = 2 + 2s Dn + o ( Dn )
p
Dn rDn , 1
nach Satz 1.27 und wegen qen = qn es dass qen (1 qen ) = 4 + o (1) und
p hp n p p on p p oi
s2 /2
n (1 2e
qn ) Dn = nDn 1 2 12 + r 2s Dn + o ( Dn ) 1 + s Dn + o ( Dn )
p h n p p oi
= n Dn 1 1 + sr s
2 + s Dn + o ( Dn )
r r
= nDn s + s
2 + o (nDn ) = T s + s
2 + o (1).

Einsetzen in (1.36) ergibt die Behauptung.

1.4 Fundamentalsätze der Preistheorie

Die ökonomisch motivierte Forderung nach Arbitragefreiheit hat weitreichende Konse-


quenzen für die Behandlung mathematischer Finanzmarktmodelle. Wir behandeln in die-
sem Kapitel die sogenannten Fundamentaltheoreme der Preistheorie, welche Bezüge zwi-
schen der Arbitragefreiheit und der Existenz äquivalenter risikoneutraler Maße/Martingal-
maße herstellt. Um letztere definieren zu können, benötigen wir den Begriff des bedingten
Erwartungswerts.

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