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Stephan Schulmeister

Die „Gemeinwohlökonomie“ - ein wissenschaftliches


Konzept und (daher) ein geeigneter Gegenstand eines
Universitätslehrgangs?
Stellungnahme auf Ersuchen der Universität Salzburg, Mai 2014

Vorbemerkung

Ich kenne Christian Felber seit vielen Jahren, teile (s)eine kritische Haltung zur gegenwärtigen
(finanzkapitalistischen) Wirtschaftsordnung. Gleichzeitig bin ich in der – überwiegend
empirischen – Wirtschaftsforschung tätig und konzentriere mich daher auf die Analyse mir
wichtig erscheinender Teilbereiche wie etwa Preisdynamik und Transaktionsverhalten auf
Finanzmärkten. Christian Felber konzentriert sich auf das Normative, also auf die Frage, in
welcher Gesellschaft wollen/sollen „wir“ leben? Wie können neue Werte in einem neuen
Wirtschaftssystem verankert werden, wie lässt sich ein solches Konzept politisch durchsetzen?
Nach „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“ (2006) hat Felber weitere grundlegende
Konzepte zur Verbesserung von Wirtschaft und Gesellschaft vorgelegt wie „Neue Werte für
die Wirtschaft“ (2008), „Kooperation statt Konkurrenz“ (2009) sowie „Retten wir den Euro!“. Der
bei weitem umfassendste Erneuerungsplan ist die „Gemeinwohlökonomie“ von 2010,
erweitert in einer neuen Auflage 2012 (im Folgenden GWÖ, wenn das Buch gemeint ist
„GWÖ“).
Entwicklung und Propagierung solcher Reformkonzepte sind angesichts der gegenwärtigen
Krise nicht nur legitim, sondern können wichtige Diskussionen befördern. „Schnittstellen“ zum
„System Wissenschaft“ sind aber nur dann vorhanden, wenn sie folgenden Kriterien
entsprechen:
• Die neuen Konzepte basieren auf einer theoretischen Grundlage, die ihrerseits in den
Kontext der bisherigen Theoriebildung gestellt wird (im Fall der GWÖ: Behandlung der
unterschiedlichen Positionen zum Verhältnis Konkurrenz/Kooperation in den
Sozialwissenschaften, zumindest seit Adam Smith – darüber wurde schon viel
nachgedacht).
• Die neuen Konzepte berücksichtigen die empirischen Forschungsergebnisse zu ihren
wichtigsten Prämissen wie etwa der Annahme, dass das Prinzip der Konkurrenz jenem der
Kooperation fundamental widerspricht oder dass die Fokussierung auf das Gemeinwohl
an Stelle des Eigennutzes die Lebenszufriedenheit der Menschen nachhaltig erhöht.
– 2 –

Um zu prüfen, ob die GWÖ diesen Kriterien entspricht, möchte ich die wesentlichen Aussagen
der „GWÖ“ an Hand von Zitaten aus dem Buch zusammenfassen und mit Anmerkungen
versehe. Meist kann ich aber darauf verzichten, da die Zitate für sich selbst sprechen –
akademische Wissenschaftler, insbesondere Ökonomen, ignorieren die GWÖ und damit auch
den Originaltext. Das aber ist ein Fehler.

Die Hauptthesen der „Gemeinwohlökonomie“

Kapitel 1: Kurzanalyse

„Obwohl Werte die Grundorientierung, die ‚Leitsterne’ unseres Lebens sein sollten, gelten
heute in der Wirtschaft ganz andere Werte als in unseren alltäglichen zwischenmenschlichen
Beziehungen. In unseren Freundschafts- und Alltagsbeziehungen geht es uns gut, wenn wir
menschliche Werte leben: Vertrauensbildung, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Respekt, Zuhören,
Empathie, Kooperation, gegenseitige Hilfe und Teilen. Die ‚freie’ Marktwirtschaft beruht auf
den Systemregeln Gewinnstreben und Konkurrenz. Diese Anreizkoordinaten befördern
Egoismus, Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit.“ (S. 21).
Anmerkung: Warum sollen alle Bereiche des Zusammenlebens, von einer Liebesbeziehung bis
zur Weltwirtschaft durch einheitliche Werte und Verhaltensformen geprägt sein? Könnte es
nicht sein, dass es gute Gründe dafür gibt, dass etwa das „Subsystem Familie“ primär durch
Kooperation geprägt wird, das „Subsystem Markt“ aber durch Konkurrenz?
Die nach Lebensbereichen unterschiedlichen Verhaltensformen haben sich über lange Zeit
evolutionär herausgebildet, in diesem empirischen Sinn sollte man Konkurrenz und
Gewinnstreben nicht – implizit – als „unmenschliche Werte“ qualifizieren.
Marktprozesse sind Tauschprozesse. Motivierend ist die Befriedigung des Eigennutzes beider
Tauschenden zu ihrem gemeinsamen Vorteil. Dass dadurch Gier, Geiz und andere
„unmenschlichen Werte“ notwendig befördert werden, ist eine Behauptung ohne Beleg (dass
es durch ungleiche Verteilung von Vermögen und Macht oft dazu kommt, ist eine Folge
konkreter Ausprägungen, nicht der Marktwirtschaft an sich).
Unter der Überschrift „Aus Egoismen wird Gemeinwohl“ schreibt Felber: „Adam Smith hoffte,
dass eine ‚unsichtbare Hand’ die Egoismen der Einzelakteure zum größtmöglichen Wohl aller
lenken würde. Aus metaphysischer Sicht – Smith war Moraltheologe – mag er die Hand
Gottes gemeint haben, ökonomisch-nüchtern betrachtet, kann es sich aber nur um die
Konkurrenz handeln.“ (S. 23).
Anmerkung: Das alles hat Smith weder gehofft noch gemeint. Wie schon aus dem von Felber
eine Seite vorher wiedergegeben Zitat hervorgeht, meinte er: Metzger, Bäcker, Brauer
werden nicht aus Nächstenliebe tätig, sondern nehmen dabei ihre eigenen Interessen wahr.
Für Smith existiert freilich nicht jener unüberbrückbare Gegensatz zwischen Selbstliebe und
Nächstenliebe, zwischen Konkurrenz und Kooperation, zwischen individuellem Eigennutz und
dem Gemeinwohl, der die Weltanschauung von Felber prägt. Für Smith sind dies
– 3 –

Widersprüche, die unter richtigen (Anreiz)Bedingungen und bei einer klaren Wertordnung
integriert werden können.
So ermöglichen Märkte Tausch und damit Spezialisierung, diese ist die Quelle von steigender
Produktivität und damit von materiellem Wohlstand, und dieser kann allen zugute kommen,
wenn auch nicht in gleichem Ausmaß. Der Begriff „unsichtbare Hand“ kommt übrigens im
ökonomischen Hauptwerk von Smith nur einmal vor - Smith-Forscher sind sich unsicher, ob er
ihn nicht ironisch gemeint hat, um die Theologen ein wenig auf die Schaufel zu nehmen (der
Begriff war nämlich damals in Mode, er stammt nicht von Smith).
Smith war Aufklärer durch und durch (er hat weder Theologie studiert noch einen solchen
Lehrstuhl inne). Obwohl er Professor für Moralphilosophie war, hat er seine Einsichten primär
induktiv gewonnen, durch Sammeln von Beobachtungen über die Produktionsabläufe in
Fabriken, über das Transaktionsverhalten auf Märkten, und über die emotionellen und
rationalen Komponenten in der Interaktion von Menschen. Ihn haben auch Probleme
beschäftigt wie die Bedeutung von Mitgefühl als „Resonanz“ des Leidens anderer in einem
selbst, etc. Auch dahinter steckt der Gedanke, dass Menschen Individuen und soziale Wesen
sind, man also Eigennutz und Gemeinwohl nicht gegeneinander ausspielen, sondern
ausbalancieren muss.
Neoliberale „master minds“ wie Hayek und Friedman haben Smith zum obersten Theoretiker
des Primats der Marktkonkurrenz gemacht, eine intellektuelle „Leichenschändung“ der
Sonderklasse. Dass diese von Felber wiederholt wird, ist bedauerlich – schon ein Blick in
Wikipedia hätte das verhindert.
Unter der Überschrift „Freier Markt“ heißt es: „Der ‚freie Markt’ wäre dann ein freier Markt,
wenn alle TeilnehmerInnen dieses Treibens von jedem Tauschgeschäft völlig schadlos
zurücktreten könnten. Doch genau das trifft nur auf einen Teil der Transaktionen am Markt
zu....viele Menschen können es sich nicht aussuchen, ob sie heute Nahrungsmittel einkaufen
wollen oder nicht; ob sie eine Wohnung anmieten wollen oder nicht......“ (S. 25). Es folgen
einige Beispiele dafür, dass die Abhängigkeiten und die Macht der einzelnen
Marktteilnehmer ungleich sind.
Anmerkung: Das ist richtig, hat aber mit der Frage Markt oder Nicht-Markt wenig zu tun.
Unter „Vertrauen wichtiger als Effizienz“ liest man: „Solange Marktwirtschaft auf
Gewinnstreben und Konkurrenz und der sich daraus ergebenden wechselseitigen
Übervorteilung beruht, ist diese weder mit der Menschenwürde noch mit Freiheit vereinbar.
Sie zerstört systematisch das gesellschaftliche Vertrauen.........“ (S. 27).
Anmerkung: Die Logik, nach der die Notwendigkeit einer GWÖ abgeleitet wird, kristallisiert
sich immer deutlicher heraus.
Schritt 1:
Es gibt unüberbrückbare Gegensätze in der Wirtschaft:
• Eigennutz und Gewinnstreben versus Gemeinwohl
– 4 –

• Konkurrenz und Machtstreben versus Kooperation


• Effizienz versus Menschenwürde, Freiheit und Vertrauen
Schritt 2:
Eigennutz, Gewinnstreben, Konkurrenz, Effizienz und Machtstreben – die „Anreizkoordinaten“
einer „freien“ Marktwirtschaft – zerstören die „menschliche Werte“ wie Vertrauen und letztlich
Menschenwürde und Freiheit, gleichzeitig befördern sie Geiz, Gier, Neid, etc.
Daraus folgt Schritt 3:
Nur eine Marktwirtschaft ohne Gewinnstreben und Konkurrenz stellt ein menschenwürdiges
Wirtschaftssystem dar, also die Gemeinwohlökonomie.
Gut und böse, menschengerecht und menschenunwürdig sind klar (zu)geordnet, für das
Spannungsverhältnis des Widersprüchlichen („Ausbalancieren“ des Individuellen und des
Sozialen, etc.) ist kein Raum. Felber denkt geordnet und (daher) undialektisch.
Im Christentum reicht es, wenn man den Nächsten liebt wie sich selbst, bei Felber (und seinen
Vorläufern) steht Gemeinwohl über Eigennutz, Kooperation über Konkurrenz, etc. (in der
Tradition der manichäischen Weltanschauung).
Der Begriff „wechselseitige Übervorteilung“ deutet indes darauf hin, dass das Gewinnstreben
doch beiden Tauschpartnern etwas bringt, doch dürfte es sich um einen Freud’schen Fehler
handeln.

Kapitel 2: Die Gemeinwohlökonomie – der Kern


Unter „Umpolung des Anreizrahmens“ heißt es: „In Zukunft sollen auch in den
Wirtschaftsbeziehungen die humanen Grundwerte, die das menschliche und
gemeinschaftliche Leben gelingen lassen, gefördert und belohnt werden. Dafür müssten wir
dem falschen Leitstern – Gewinnstreben und Konkurrenz – den rechtlichen Anreizrahmen
‚abschnallen’ und diesen unserem mehrheitsfähigen Leitstern – Vertrauensbildung,
Kooperation, Solidarität, Teilen – umschnallen. Der Anreizrahmen für die individuellen
Wirtschaftsakteure muss umgepolt werden von Gewinnstreben und Konkurrenz auf
Gemeinwohlstreben und Kooperation.“ (S. 35)
Anmerkung: Welche Vorstellungen von der Dynamik gesellschaftlicher Prozesse hat jemand,
der einen neuen „Leitstern“ und einen dazu passenden neuen „Anreizrahmen“ für das
Wirtschaftssystem entwirft, den alten Leitstern samt Anreizrahmen „abschnallen“ und die
neuen der Gesellschaft „anschnallen“ möchte? Welche Erfolge hatten in der Geschichte die
Versuche, die Gesellschaft nach einem großen Plan zu verbessern?
Als Voraussetzung für die „Umpolung“ des Anreizrahmens muss wirtschaftlicher Erfolg neu
definiert werden, nämlich als jener Beitrag, den die Unternehmen zum Gemeinwohl leisten:
„Da das neue Ziel aller Unternehmen das Gemeinwohl ist, muss dieses konsequenterweise
auch in der unternehmerischen Hauptbilanz gemessen werden.“(S. 39). Dazu erstellt jedes
Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz. „Die fünf in der Bilanz „gemessenen“ Werte
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sind.....nichts Neues: Sie befinden sich schon heute alle in den meisten Verfassungen wie
auch im Grundgesetz: Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische
Nachhaltigkeit und Demokratie.“ (S. 39). Diese 5 Grundwerte markieren 5 Spalten der
„Gemeinwohl-Matrix“, in den Zeilen wird je eine Gruppe von „Stakeholder“ des
Unternehmens erfasst (Zulieferer, Geldgeber, Kunden, zukünftige Generationen). „In den
Schnittflächen messen wir derzeit achtzehn Gemeinwohl-Indikatoren“, zum Beispiel:
• Wie sinnvoll die Produkte/Dienstleistungen sind;
• Wie human die Arbeitsbedingungen sind;
• Wie ökologisch produziert wird;
• ........“ (S. 40).
„Das ‚Redaktionsteam Gemeinwohl-Bilanz’ hat achtzehn Indikatoren ermittelt, die in Punkten
klar messbar sind. Bei jedem Indikator sind vier Stufen erreichbar: erste Schritte,
fortgeschritten, erfahren, vorbildlich.“ (S. 41). Insgesamt kann ein Unternehmen maximal 1000
Gemeinwohl-Punkte erreichen.
Die Gemeinwohl-Bilanz „wird vom Unternehmen erstellt und erst intern geprüft (Gemeinwohl-
Beauftragte) und dann extern: von der Gemeinwohl-AuditorIn. Danach ist Schluss: Mit dem
Testat der Gemeinwohl-AuditorIn gilt die Bilanz.........(S. 48f).
Anmerkung: Es ist bekannt, dass der Nutzen, den zwei Personen durch den Konsum eines
Gutes erzielen, nicht messbar und daher auch nicht interpersonell vergleichbar ist. Die GWÖ
will nun den Nutzen unternehmerischer Aktivitäten für das Gemeinwohl in 18 Bereichen über
einige Millionen Unternehmen objektiv messen, genauer, von den Unternehmen selbst
messen/einschätzen lassen. Diese Werte werden dann lediglich von einem/einer AuditorIn
geprüft.
Eine objektive und zwischen Unternehmen vergleichbare Zuteilung von Gemeinwohl-Punkten
ist nicht möglich:
• Gerade die Einschätzung, in welchem Ausmaß ein Unternehmen so allgemein formulierte
Grundrechte wie „Menschenwürde“, „Solidarität“ oder „Soziale Gerechtigkeit“
berücksichtigt, muss in erheblichem Maß subjektiv bleiben, also vom Standpunkt der
AuditorIn abhängen. Wenn in einem Unternehmen A die Einkommensverteilung
ungleicher ist als in einem anderen Unternehmen B, gleichzeitig aber auch die
Qualifikationen der Beschäftigten in A stärker streuen als in B (aber weniger als die
Einkommen), so wird ein egalitär eingestellter Auditor dem Unternehmen B mehr Punkte
geben, jemand der Ausbildungskosten und Qualifikation stärker gewichtet, wird A besser
bewerten.
• Dieses Problem ist bei den meisten Indikatoren unlösbar wie schon deren vage Begriffe
zeigen: „Ethisches Verkaufen“, „Gesellschaftliche Wirkung/Bedeutung der Produkte und
Dienstleistungen“, deren „soziale Gestaltung“, deren „ökologische Gestaltung“,
„Gerechte Verteilung des Arbeitsvolumens“, etc. (siehe S. 42 f).
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• Die fünf Grundrechte von der „Menschenwürde“ bis „Demokratie, Mitbestimmung und
Transparenz“ sind nicht zuletzt deshalb auch in Verfassungen und
„Fundamentalverträgen“ wie dem Vertrag von Lissabon so beliebt, weil sie als
weitgehend „unbestimmte Rechtsbegriffe“ keine einklagbaren Konsequenzen haben.
• Der Auditor braucht ein so umfassendes ökonomisches und technologisches Wissen, das
eine Einzelperson nicht besitzen kann. Um etwa die ökologische Gestaltung eines
Elektrofahrzeugs im Vergleich zu einem erdgasbetriebenen Hybridauto bewerten zu
können, muss man mehr als nur die Verbrauchswerte betrachten, man muss
berücksichtigen, wo das Elektroauto verwendet werden wird, aus welchen Quellen dort
der Strom stammt, wie hoch die Umweltkosten der Produktion beider Fahrzeuge sind,
etc., etc.
Angesichts des enormen Spielraums bei der (Selbst)Zuteilung der Gemeinwohl-Punkte,
werden sich die Unternehmen großzügig bedienen und den Auditor von der Aussagekraft
ihrer Gemeinwohl-Bilanz zu überzeugen suchen. Das wird vielfach billiger sein als konkrete
Maßnahmen zu setzen.
Dieser Anreiz wird umso größer sein als die GWÖ vorsieht: „Je mehr Gemeinwohlpunkte ein
Unternehmen erzielt, desto mehr rechtliche Vorteile soll es genießen.“ (S. 47) – und nicht nur
rechtliche, sondern gewinnsteigernde, etwa in Gestalt eines niedrigeren MWSt-Satzes,
günstigeren Kreditbedingungen oder eines Vorrangs bei der öffentlichen Auftragsvergabe.
Anmerkung: Die Auditoren entscheiden indirekt über die Begünstigung oder Diskriminierung
einzelner Unternehmen. Wer AuditorIn wird, bleibt offen. Vermutlich werden es Personen sein,
die eine entsprechende Ausbildung absolviert haben (etwa einen „Universitätslehrgang“)
und – im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung – in einer Kammer der GWÖ-
AuditorInnen organisiert sind. Es dürften sich eher Menschen für diesen Beruf entscheiden,
welche die GWÖ unterstützen, ein moralischer „bias“ in der Bewertung scheint mir
unvermeidlich. Wenn diese AuditorInnen – wie derzeit Wirtschaftsprüfer oder Rating
Agenturen – von den Unternehmen selbst bezahlt werden, ist eine weitere Verzerrung der
Bewertung kaum zu vermeiden.
In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, dass Felber mit „Markt“ lediglich
„Konkurrenz und Gewinnstreben“ assoziiert, nicht aber die Preisbildung. Mit dieser werden die
relative Knappheit und die Präferenzen von Millionen Akteuren auf dezentrale Weise
gebündelt. „Im Prinzip“ kann dieser Prozess von einzelnen Akteuren nicht beeinflusst werden
(im Gegensatz zur notwendig auch subjektiven Zuweisung von Gemeinwohl-Punkten durch
die Auditoren).
Der Einfluss von Monopolen, Kartellen und Oligopolen ist gegeben, könnte aber durch
andere Regelungen als einer fundamentalen „Umpolung“ des gesamten Systems zumindest
eingedämmt werden. Ähnliches gilt für die Vernachlässigung externer Effekte wie der
Umweltkosten. Während in einer „normalen“ Marktwirtschaft die Produkte durch die
– 7 –

Transaktionsentscheidungen aller Nachfrager und Anbieter bewertet werden, machen das in


der GWÖ die Produzenten selbst, überprüft lediglich von Auditoren.
Unter der Überschrift „Gewinn als Mittel“ wird ausgeführt, dass zwar das Gewinnstreben
schädlich sei, nicht aber der – trotzdem auftretende – Gewinn. Daher gilt: „Da Gewinne
sowohl schädlich als auch nützlich sein können, werden sie je nach Verwendung differenziert
und in einigen Fällen begrenzt.....“ (S. 50). „Mit einem Küchenmesser darf ich Gemüse
schneiden, aber nicht einen Menschen erstechen.......Nicht anders sollte es sich mit
finanziellen Überschüssen von Unternehmen verhalten.......“ (S. 51).
Erlaubte Verwendungen wären Investitionen, allerdings „sollen in Zukunft nur noch solche
Investitionen getätigt werden, die einen sozialen und ökologischen Mehrwert schaffen“ (S.
51). Dafür braucht es eine „Gemeinwohl-Kalkulation für jede (größere) Investition“ (es gelten
dafür die obigen Anmerkungen zur Bewertung was „sozial“ und was „ökologisch“ ist –
vermutlich soll das auch den Auditoren überlassen werden.
Nicht erlaubte Verwendungen von Überschüssen sind (S. 53ff):
1. Ausschüttung von Gewinnen an EigentümerInnen, die nicht im Unternehmen arbeiten.
Begründung: „Es wäre verantwortungsvoller und leistungsgerechter, wenn nur Arbeit eine
Quelle von Einkommen ist und die Entscheidungsmacht überwiegend im Unternehmen
bleibt.....(S. 55).
Da es in der GWÖ auch keine Zinsen mehr gibt, werden Anleger den Unternehmen
Finanzierungsmittel aus anderen Gründen als jenem der Rendite geben, sofern die
Unternehmen neue Formen der Attraktivität entwickeln: „Da Geld nicht mehr Magnet sein
kann, muss es ein anderer werden: Sinn! Die sinnvollsten Unternehmen werden zu ausreichend
kapital kommen......“ (S. 57).
2. Firmenaufkäufe und –fusionen gegen den Willen der anderen Unternehmen: „Durch die
neue Orientierung der Unternehmen entfällt das häufigste Motiv dafür: Wenn Unternehmen
nicht mehr gewinnorientiert sind, verlieren sie fast von selbst.“ (S 58).
3. Finanzinvestments. Begründung: „Ein Frisör ist dazu da, Haare zu schneiden oder
Gesichtspflege vorzunehmen – und nicht aus Geld mehr Geld zu machen....“ (S. 59).
4. Parteispenden.
Durch alle diese Maßnahmen der „Umprogrammierung“ wird das „Ende des
Wachstumszwangs erreicht“. Begründung: „Wenn ‚Erfolg’ nicht mehr mit dem Finanzgewinn
gleichgesetzt wird und nicht mehr gefressen werden darf, können Unternehmen endlich
gelassen und angstfrei die für sie sinnvolle und ‚optimale’ Größe ermitteln und anstreben. Die
kapitalistische Systemdynamik erlischt: Alle sind vom allgemeinen Wachstums- und
wechselseitigem Fresszwang erlöst!“ (S. 60).
Das Fundament für diese Verheißung Felber’s wurde schon früh gelegt: „Die aus meiner Sicht
wertvollste Einsicht zum Thema Wachstum stammt von Leopold Kohr: Wachstum ist in der
Natur ein Mittel zur Erreichung der optimalen Größe.“ (S. 61). Daraus schließt Felber: „Schon
– 8 –

am menschlichen Organismus ist – wie bei jedem anderen Lebewesen auch – gut zu
erkennen, welche Rolle Wachstum sinnvollerweise spielen könnte: Bis zur Erreichung der
‚optimalen Größe’ wachsen wir materiell. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist dann Schluss. Dann
verlagert sich die Entwicklung auf nichtmaterielle Dimensionen: emotionale, geistige und
spirituelle Reifung.....“ (S. 61).
Anmerkung: Wie schon die Analogien zu Küchenmessern und Frisören scheint mir auch diese
etwas einfältig. Gesellschaft ist nicht Natur, deshalb hört ein kapitalistisches System nicht auf
zu wachsen wie ein Mensch, ein Esel oder ein Baum. Glaubt man aber an diese Analogie, so
folgt daraus: Es braucht verantwortungsbewusste Persönlichkeiten wie Felber, welche ein
Konzept zur „Umpolung“ des Wirtschaftssystems entwickeln, dieses mehrheitsfähig machen
durch Gründung einer Bewegung und damit die Gesellschaft von ihrem Wachstumszwang
befreien. Erst dadurch kann es zu einer „emotionalen, sozialen, geistigen und spirituellen
Reifung“ der Gesellschaft kommen.
Unter der Überschrift „Kooperative Marktsteuerung“ stellt Felber fest: „Die Gemeinwohl-
Ökonomie ist eine Markt- und keine Planwirtschaft. Deshalb wird es auch in Zukunft
Marktschwankungen geben.“ (S. 65). Dann empfiehlt sich folgendes Vorgehen: „In der
Gemeinwohl-Ökonomie könnten alle kooperationsbereiten Unternehmen einer betroffenen
Branche einen ‚Krisen- oder Kooperationsausschuss’ einberufen und gemeinsam erörtern“
welches Vorgehen „am besten für das Gemeinwohl ist“ (die Optionen reichen von
Arbeitszeitverkürzung bis zu freiwilligen Fusionen).
„Der entscheidende Unterschied zu heute wäre, dass die Unternehmen solidarisch vorgehen
und versuchen, alle im Boot zu halten – während es heute erlaubt ist, andere vom Bord zu
stoßen oder zu kannibalisieren.“ (S. 66).
Das Kapitel endet mit der Ankündigung, dass es in der GWÖ für jeden ein „Freijahr“ pro
Jahrzehnt geben würde, in dem „die Menschen den gesetzlichen Mindestlohn oder ein
Einkommen in anderer demokratisch festgesetzter Höhe“ erhalten (S. 66). Allein dadurch ließe
sich die Arbeitslosigkeit in der EU beseitigen. Weiters solle es ein garantiertes
Mindesteinkommen („Solidaritätseinkommen“) geben sowie eine sichere Pension/Rente
durch Stärkung des sozialstaatlichen Umlageverfahrens.
Anmerkung: Ich stimme inhaltlich überein, nur braucht es für diese drei Maßnahmen nicht die
„Umpolung“ des Gesamtsystems.

Kapitel 3: Die Demokratische Bank

In diesem Abschnitt stellt Felber das Design eines neuen Finanzsystems vor: „Geld als Kredit soll
zu einem öffentlichen Gut und die Finanzmärkte geschlossen werden.“ (S. 70) Statt
Investmentfonds, Börsen, Handel mit Staatsanleihen, Derivat- und Devisenmärkten agiert eine
Demokratische Bank. Zusätzlich gilt: „Die Rohstoffpreise werden demokratisch festgelegt,
durch einen Ausschuss, in dem ErzeugerInnen und KonsumentInnen einander auf Augenhöhe
begegnen......“ (S. 71).
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„Die Demokratische Bank ist dem Gemeinwohl verpflichtet, sie ist nicht gewinnorientiert. Ihre
Werte und Ziele sind die der Gemeinwohl-Ökonomie. Insbesondere sollen regionale
Wirtschaftskreisläufe und sozial wie ökologisch nachhaltige Investitionen gefördert werden.“
Zu ihren Kernleistungen gehören die „unbeschränkte Garantie der Spareinlagen“
(Anmerkung: aber wie?), „kostenloses Girokonto“, „kostengünstige Kredite“, ein
„flächendeckendes Filialnetz mit wertschätzender persönlicher Betreuung, in Synergie mit
Demokratischer Post, Demokratischer Bahn, öffentlichen Internet-Docks“ sowie
„kostengünstige Ergänzungskredite an den Staat......und Vermittlung von Staatsanleihen
(solange nötig)“.
„Die Demokratische Bank darf kein Geld schöpfen (siehe ‚Vollgeld’ nach Joseph Huber und
James Robertson), ihre Rolle ist auf Kreditvermittlung zwischen SparerInnen und
KreditnehmerInnen beschränkt.“
Anmerkung: Hier liegt ein Widerspruch vor, denn mit jeder Kreditvergabe wird Geld
geschöpft. Das „Vollgeldsystem“ gibt vor, dies dadurch vermeiden zu können, dass Geld als
Tauschmittel strikt von Geld als Wertaufbewahrungsmittel getrennt wird. Eine solche Trennung
ist illusorisch. Der gesamte Ansatz geht von einer falschen Prämisse aus: Die tiefste Ursache
von Finanzinstabilität und den mit ihr verbundenen Krise läge in der Fähigkeit der
Geschäftsbanken, Geld aus dem nichts zu schöpfen (durch Kreditvergabe).
Tatsächlich ist nicht diese Fähigkeit an sich das Problem, sondern die Kreditvergabe für
Zwecke der Finanzalchemie (in den 1950er und 1960er Jahren konnten die Banken auch
Geld schöpfen, wegen der Rahmenbedingungen aber im Wesentlichen nur zur Finanzierung
realwirtschaftlicher Transaktionen – es gilt also, die Anreizbedingungen für die
Kreditverwendung zu ändern, nicht aber die Möglichkeit der Kredit- und Geldschöpfung der
Banken an sich abzuschaffen).
Persönlich unterstütze ich übrigens das konkrete Projekt der Gründung einer Demokratischen
Bank. Denn in einer durch Krise und Umbrüche geprägten Zeit, soll Neues versucht werden,
aber in Einzelprojekten/Versuchen und nicht durch totale „Umpolung“ der gesamten
Wirtschafts- und Geldsystems nach einem großen Plan.
Das Kapitel schließt mit einem Konzept für eine „Demokratische Zentralbank“ und für eine
„Währungsunion und Globo“. Die Demokratische Zentralbank bekommt das Monopol zur
Geldschöpfung und finanziert aus den entsprechenden Gewinnen den Staat, einerseits durch
„unverzinste Kredite im Ausmaß bis zu fünfzig Prozent des BIP“ und andererseits „als Geschenk
an den Staatshaushalt (zum Beispiel zwei Prozent der Wirtschaftsleistung)“ – S. 78.
Auch das Konzept für eine neue Weltwährungsordnung samt supranationaler „Weltreserve-
oder Welthandelswährung (zum Beispiel ‚Globo’ oder ‚Terra’)“ wird auf einer knappen Seite
(79) skizziert. Diese sollte durch regionale „Komplementärwährungen“ ergänzt werden. „Die
demokratischen Banken können solche regionale Komplementärwährungen herausgeben.“
(S. 80).
– 10 –

Kapitel 4: Eigentum

„Die Absolutstellung des Eigentumsrechts ist heute zur größten Gefahr für die Demokratie
geworden.“ (S. 82). Deshalb braucht es eine Begrenzung durch „negative
Rückkoppelungen“, im konkreten Fall durch Begrenzungen der Einkommensungleichheit, des
Rechts auf Aneignung von Privatvermögen, der Größe von Unternehmensvermögen und des
Erbrechts. (S. 83).
Zum ersten Punkt schlägt die GWÖ vor: „Ein demokratischer Wirtschaftskonvent soll mehrere
mögliche Grenzen für die Ungleichheit bei den Einkommen ausarbeiten, zum Beispiel das
Sieben-, Zehn-, Zwölf- und Zwanzigfache.......Wenn die Ehrgeizigsten mehr verdienen wollen,
ist dies möglich, nur müsste dann der Mindestlohn mitsteigen: Arm und Reich wären
schicksalhaft aneinandergekettet.“ (S. 84).
Im Hinblick auf die Privatvermögen „soll in der Gemeinwohl-Ökonomie auch über eine
Obergrenze für Privateigentum diskutiert werden, zum Beispiel zehn Millionen Euro (hier wäre
wieder der Konvent gefragt)......Das Eigentumsrecht wäre ein liberaleres!“ (S. 86).
Unter „Demokratisierung von Großunternehmen“ wird vorgeschlagen: Unternehmen sollten
„in dem Maße, in dem sie größer werden, demokratisiert und die Mitbestimmung der
Gesellschaft ausgeweitet werden. Dies könnte zum Beispiel so aussehen: Ab 250
Beschäftigten erhalten die Belegschaft und die Gesellschaft 25 Prozent der
Stimmrechte;......ab 5000 Beschäftigten gehen die Stimmrechte zu je einem Fünftel an
EigentümerInnen, Beschäftigte, KundInnen, Gender-Beauftragte und Umwelt-AnwältInnen
über.“ (S. 87).
Ähnliches wird für die „Gewinnbindung an das Unternehmen“ vorgeschlagen: „Ab zehn
Beschäftigten sinkt der Anteil des Gewinns, den sich die GründerIn ausschütten kann, um ein
Prozent pro Jahr;......ab hundert Beschäftigten um fünf Prozent pro Jahr.“ (S. 90).
Für das Erbrecht soll gelten: „Das Erbrecht bleibt bis zu einer moderaten Höhe aufrecht,
darüber hinausgehende Erbvermögen gehen in einen öffentlichen ‚Generationenfonds’ und
werden aus diesem zu gleichen Teilen an die Nachkommen der nächsten Generation
(Anmerkung StS: gemeint ist die nächste Generation, nicht deren Nachkommen) als
‚demokratische Mitgift’ ........verteilt. Die Grenze könnte bei Finanz- und Immobilienvermögen
bei 500.000 oder 700.000 Euro pro Person liegen (Startwerte für den Konvent).“ (S.92). Würde
etwa der jährliche Erbanfall in Deutschland „auf alle neu in das Erwerbsleben Eintretenden
gleichmäßig verteilt, wären das bis zu 200.000 Euro pro Person – kein schlechtes Startkapital!“
(S. 93).
Schließlich soll es in der GWÖ auch öffentliches Gemeinschaftseigentum geben
(„demokratische Allmenden“), insbesondere in der Daseinsvorsorge (öffentlicher Verkehr,
Energie- und Wasserversorgung, etc.). An Stelle der (früheren) staatlichen
Versorgungsunternehmen sollten nach Felber „essentielle Wirtschaftszweige direkt von der
Bevölkerung kontrolliert und gesteuert werden.“ (S. 100). „Ein Daseinsvorsorge-Konvent könnte
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diejenigen Wirtschaftsbereiche definieren, welche diesem öffentlichen Gemeinwohl-Sektor


angehören, und die Spielregeln für ihre Organisation bestimmen.“ (S. 102).
Unter „Eigentum an Natur“ schlägt die GWÖ vor, „dass kein Mensch Eigentum an der Natur
besitzen darf, allem voran an Grund und Boden. Allerdings soll, wer Grund und Boden für
konkrete Nutzungszwecke benötigt oder bewirtschaftet, dafür eine begrenzte Fläche
kostenlos nutzen dürfen.“ (S. 102).

Kapitel 5: Motivation und Sinn


Da die „extrinsische“ Motivation des Geldverdienens in der GWÖ nicht mehr die treibende
Kraft wirtschaftlichen Handelns ist, bedarf es einer neuen Motivation: „Sinn stellt eine
mächtige Quelle von Motivation dar, wenn nicht die mächtigste überhaupt: Er motiviert
intrinsisch. Intrinsische Motive kommen von innen und wirken stärker als extrinsische
Motivation, die durch äußere Anreize, Belohnungen oder Strafen zum Handeln bewegt.“ (S.
110). Doch muss Felber feststellen: „Viele, wahrscheinlich die Mehrheit von uns, sind nicht
(oder schwach) intrinsisch motiviert, weil sie sich nicht gut kennen und in sich nichts Sinnvolles
erfahren, das sie zu Höchstleistungen ohne jede Konkurrenz treiben könnte.“ (S. 111).
Anmerkung: Dass Felber hier in der „Wir-Form“ spricht, erscheint als „understatement“, da er
doch offensichtlich durch „intrinsische“ Motive zu Höchstleistungen auf dem Gebiet der
Weltverbesserung angetrieben wird – man betrachte nur die Vielzahl seiner Publikationen, die
stetig neuere und umfassendere Verbesserungsvorschläge bringen. Dass ihre „wahre“
Motivation in einem Bedürfnis nach Anerkennung oder gar monetärem Gewinn besteht,
entspricht gewiss nicht seinem Selbstbild.
„Die Gretchenfrage lautet: Woher kommt die innerliche Leere? Wieso können so viele
Menschen ihrem Leben keinen eigenen Sinn geben und Glück finden? Der Schlüssel liegt
meines Erachtens in der Erziehung. Die meisten von uns wurden nicht unvoreingenommen
‚erkannt’ und bedingungslos geliebt.......“ (S. 111). Dazu trägt auch eine „fatale
Selektionswirkung unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems“.
Fazit: „Um diese Selektionswirkung umzupolen, braucht es nicht nur eine Verkehrung der
Marktanreize – die Anerkennung, Messung und Belohnung kooperativer, solidarischer,
empathischer, verantwortungsvoller und großzügiger Verhaltensweisen - , sondern schon eine
Grundvoraussetzung dafür: dass Eltern ihre Kinder bedingungslos lieben und sie so annehmen
und wertschätzen, wie sie sind. Das heißt mitnichten, ihnen alles zu erlauben.......“ (S. 113).
Anmerkung: Es fällt mir schwer, die nachfolgenden Passagen abzuschreiben, für mich nimmt
das Phrasenhafte im Gleichschritt mit dem Bemühen zu, als „Gesellschaftsingenieur“ dem
Leben anderer Sinn vermitteln zu wollen. Siehe die Seiten 110 bis 114.
Die GWÖ bzw. Felber schlagen daher eine grundlegende Erneuerung von „Erziehung und
Bildung“ vor: „Deshalb schlage ich sechs Basisinhalte für alle Schulstufen vor, die mir allesamt
wichtiger erscheinen als die meisten der gegenwärtigen Unterrichtsfächer. Gefühlskunde,
– 12 –

Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde, Naturerfahrenskunde und


Körpersensibilisierung.“ (S. 114). Diese neuen Lehrpläne werden in der Folge näher skizziert.

Kapitel 6: Weiterentwicklung der Demokratie

„Obwohl wir formal in Demokratien leben, empfinden immer weniger Menschen, dass sie das
gesellschaftliche Leben tatsächlich mitbestimmen können.“ (S. 119). Felber bringt eine Reihe
von Beispielen, die das plausibel machen. Dazu habe insbesondere die Macht der Eliten in
Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft beigetragen. „Die erste Grundvoraussetzung der
Renaissance der Demokratie ist die Entwicklung eines Souveränitätsbewusstseins.“ (S. 122).
Felber geht davon aus, dass „die allgemeine Bevölkerung“ einen „Gemeinwillen“ besitze,
also eine Art Gesamtwesen sei, ein Subjekt, das ein Bewusstsein ausbilden und einen Willen
äußern könne und ‚über allem stehen’ sollte.
Allerdings: „Das Souveränitätsbewusstsein ist jedoch so schwach ausgeprägt, dass die
meisten von uns nicht einmal bemerken, dass uns dieses Basiswerkzeug eines echten
Souveräns noch fehlt. In der Schule lernen wir das nicht“ (S. 123), diese Basiswerkzeuge
reichen vom Wählen und Abwählen von Regierung (?) und Parlament bis zur Kontrolle
wichtiger Grundversorgungsbetriebe. (S. 122).
Wieder bedient sich Felber der bescheidenen „Wir-Form“, deutet aber zugleich gewisse
Unterschiede im Bewusstsein an: „Ich frage bei Vorträgen oft, welches Instrument denn das
erste sein müsste, das ein ‚Souverän’, der ‚über allem steht’, in der Hand haben müsste, das
ein ‚Souverän’, der ‚über allem steht’ in die Hand nehmen müsste. Meist folgt breites und
anhaltendes Schweigen. Mitunter wird ‚wählen’ angeführt. Und nur selten kommt schüchtern:
‚Ein Gesetz beschließen?’“. (S. 123).
Dabei ist es doch so klar: „Wenn der Souverän wirklich ‚über allem steht’ und der einzige
Zweck der Demokratie die Umsetzung seines Willens – des Gemeinwillens – ist, dann müsste
der Souverän auch jederzeit aus eigener Kraft ein Gesetz initiieren und verabschieden
können!.......Die Ergänzung der indirekten (‚repräsentativen’) um eine direkte Demokratie
wäre eine konsequente Umsetzung des Prinzips der Gewaltentrennung.“ (S. 123). Denn diese
besteht laut Felber in einer „effizienteren Aufteilung der Macht zwischen Souverän und
Vertretung.“
Diese Form der Vertretung ergäbe sich, „weil in den meisten Nationalstaaten so viele
Menschen leben, dass sich nicht mehr alle an allen Abstimmungen sinnvoll beteiligen
können.......Hinter der Wahl von Regierung und Parlament steht somit Arbeitsteilung; es geht
nicht um die Schaffung eines neuen Organs per se, das dem Souverän übergeordnet ist.
Regierung und Parlament sind nur seine (repräsentative) Vertretung, deren ausschließlicher
Zweckdarin besteht, den Mehrheitswillen des Souveräns umzusetzen“ (S. 124).
Anmerkung: Diese Ausführungen haben mit dem Begriff der Gewaltenteilung wie er seit
Locke und Montesquieu weiter entwickelt wurde, nichts zu tun. Dieser Begriff bezieht sich nie
auf das Repräsentationsproblem, sondern auf die Teilung zwischen legislativer, exekutiver und
– 13 –

judikativer Gewalt („checks and balances“), ergänzend auch zwischen zentraler und
föderativer Gewalt. Was Felber hier vertritt ist die sogenannte „Identitätstheorie“. Um
Wikipedia zu zitieren: „Die Identitätstheorie geht im Wesentlichen auf die politische
Philosophie von Jean-Jacques Rousseau zurück. Nach Rousseau darf der gesellschaftliche
Wille kein anderer sein als der des natürlich freien Menschen; es muss eine Identität von
Einzelwillen und Gemeinwillen bestehen.“ Auch Felber unterstellt die Existenz eines
„Gemeinwillens“ und damit der Bevölkerung als Subjekt (in deren Dienst sich die GWÖ stellt).
In der Rubrik „Gewaltenteilung“ heißt es in Wikipedia: „In Staaten, deren Regierungssystem
die Identitätstheorie in dem Sinne interpretiert, dass eine Einheit des Willens der Führung und
der Bevölkerung propagiert wird (z. B. faschistische Staaten), gibt es keine Gewaltenteilung.
Dies wird damit begründet, dass alle Entscheidungen Entscheidungen des Volkes sind,
weshalb eine Aufteilung der Befugnisse unnötig ist. In der Regel degenerieren diese
‚Demokratien’ zu totalitären Staaten.“
Felber vertritt konsequent das Konzept einer totalen Demokratie: Es gäbe einen
„Gemeinwillen“ der Bevölkerung als „Souverän“ und damit als (gedachtes) Subjekt, dieser
solle „über allem“ stehen, die repräsentative Demokratie existiere (lediglich) aus Gründen der
Arbeitsteilung (und natürlich auch der Eigeninteressen der Eliten, die dadurch den
„Mehrheitswillen des Souveräns“ missachten können), und er zitiert wiederholt den Urheber
dieses Konzepts, Rousseau. In diesem Konzept wird Gewaltenteilung nicht weiter entwickelt
wie Felber meint, sondern abgeschafft.
Gewiss ist die Fähigkeit zu kritischer Reflexion von Menschen, die durch eine Mission
(intrinsisch) motiviert sind, wenig entwickelt. Das muss aber nicht so weit gehen, dass die
historische Erfahrung mit Systemen, deren Führer im Namen des Volkes die Gesellschaft nach
einem großen Plan verbessern wollen, gänzlich ignoriert wird. In diesen Systemen wurde
versucht, die Identität zwischen Regierenden und Volk durch eine möglichst direkte Form der
Vertretung des Souveräns herzustellen (vom „Nationalkonvent“ der Französischen Revolution
über die Sowjets/Räte auf mehreren Ebenen bis zum chinesischen Volkskongress).
Zur Umsetzung dieses Demokratiekonzepts schlägt Felber eine „dreistufige direkte
Demokratie“ vor:
• Erste Stufe: Jede BürgerIn oder Gruppe von BürgerInnen kann für ein gewünschtes Gesetz
Unterstützungserklärungen sammeln.
• Zweite Stufe: Findet dieser Gesetzesvorschlag eine ausreichende Zahl von
UnterstützerInnen, zum Beispiel ein halbes Prozent (Anmerkung: !) der wahlberechtigten
Bevölkerung, wird ein bundesweites Volksbegehren eigeleitet.
• Dritte Stufe: Überwindet dieses Volksbegehren....eine weitere und größere Hürde, wie
zum Beispiel drei Prozent (Anmerkung: !), kommt es zur verpflichtenden Volksabstimmung,
deren Ergebnis bindendes Gesetz ist.“ (S. 125).
Anmerkung: Ich weiß nicht, ob Felber sein Konzept bis zum Ende durchgedacht hat; so bleibt
offen, was bei ihm „Gesetz“ ist. Beispiel: Eine Verwaltungsbehörde genehmigt ein
– 14 –

Flusskraftwerk, Umweltschützer machen einen Gesetzesvorschlag, der diese Genehmigung


aufheben soll, sie starten das Drei-Stufen-Prozedere und bekommen die Mehrheit. Dann sollte
nach Felber die Genehmigung ungültig werden. Denn er schreibt: „Leuchtet es nicht ein,
dass der souveräne Auftraggeber seinen Auftragnehmer jederzeit korrigieren können muss,
wenn dieser nicht macht, was er will? Rousseau meinte, der Souverän müsse ‚die Macht, die
er in die Regierung gelegt hat, einschränken, abändern und zurücknehmen können, wann
immer es ihm beliebt.’“ (S. 124).
Das bedeutet: Auch individuelle Rechtsakte (einschließlich Gerichtsurteile) könnten vom
Souverän jederzeit geändert werden, er steht ja „über allem“. Damit wäre jede Art der
Gewaltenteilung aufgehoben, ein solches Drei-Stufen-Modell bedeutet eine Totaländerung
aller Verfassungen der westlichen Demokratien (so unterschiedlich sie im Einzelfall die
Gewaltenteilung regeln).
Gleichzeitung würde dieses Modell aber eine Ausbreitung des Konzepts der GWÖ fördern.
Denn dass diese „im ganzen“ auf dem „normalen“ Weg der repräsentativen Demokratie
durchgesetzt werden kann, dürfte auch dem durch „intrinsische“ Motivation grundsätzlich
optimistischen Christian Felber unwahrscheinlich erscheinen. Gelänge es aber, dem
„Gemeinwillen“ in Gestalt einzelner GWÖ-Projekte zum Durchbruch zu verhelfen, sieht die
Sache anders aus.
Besonders auf EU-Ebene brauche es eine fundamentale Erneuerung der Demokratie und als
Voraussetzung dafür ein „demokratisch entstandener Grundlagenvertrag“. Der Vorschlag
von Attac und Felber lautet: „Aus der Mitte der Bevölkerung soll eine demokratische
Versammlung gewählt werden, die sich aus VertreterInnen aller Mitgliedsstaaten und
mindestens fünfzig Prozent Frauen zusammensetzt und den neuen Grundlagenvertrag, heiße
er nun Verfassung oder nicht, schreibt.“ Denn: „Wenn jemand anderer ein Haus baut und die
Hausordnung festlegt, wird dieses Heim für viele nicht so gemütlich sein, wie wenn die
BewohnerInnen selbst gestalten dürfen, wie das Haus aussehen und welche Regeln darin
gelten sollen.“ (S. 132).
Neben diesem verfassungsgebenden Konvent sollen noch weitere, laufend tätige Konvente
geschaffen werden, wie „Wirtschaftskonvent, Bildungskonvent, Daseinsvorsorgekonvent,
Medienkonvent, Demokratiekonvent“ (S. 134 bis 138).
Felber fasst das GWÖ-Konzept zur Demokratie so zusammen: „In Summe würden die
vorgeschlagenen Maßnahmen das gegenwärtige eindimensionale Demokratie-Modell (nur
repräsentative Demokratie) zu einer dreidimensionalen Demokratie weiterentwickeln: indirekt
(repräsentative) Demokratie, direkte und partizipative Demokratie. Auch das wäre noch
keine ‚echte Demokratie’, lieber Jean-Jacques Rousseau, aber immerhin der nächste Schritt
dorthin.“ (S. 138).
Anmerkung: Gerade da Felber ganzheitlich denkt und der Liebe zu den Kindern und ihrer
Erziehung so großen Stellenwert einräumt, sei noch eine Frage zum „lieben Jean-Jacques
Rousseau“ gestellt: Was ist von den Weltverbesserungskonzepten eines Mannes zu halten, der
– 15 –

alle sein 5 Kinder im Waisenhaus deponierte, wohl um mehr Zeit für’s Schreiben der Konzepte
zu haben?

Kapitel 7: Beispiele und Vorbilder

Hier werden Beispiele von einzelnen Unternehmen skizziert, die einzelne Elemente der GWÖ
bereits realisiert haben – von der Genossenschaft Mondragon im Baskenland bis zur
Schokofabrik Zotter in der Steiermark.
Anmerkung: Der Schluss von der mikroökonomischen Erfahrung auf makroökonomische
Möglichkeiten gehört zu den am weitesten verbreiteten Trugschlüssen.

Kapitel 8: Umsetzungsstrategie
Felber umreißt jene 12 Gruppen, welche als Teil der „Gesamtbewegung“ das Projekt GWÖ
vorantrieben sollen, von den UnterstützerInnen, PionierInnen und AuditorInnen bis zu
WissenschafterInnen. Zur Rolle der letztgenannten Gruppe schreibt Felber: „Einer der größten
Widerstände gegen die Gemeinwohlökonomie ist der tiefsitzende Glaube an das
kapitalistische Menschenbild (Anmerkung: ein solches gibt es nicht, gemeint ist vermutlich
jenes von bestimmten Vertretern des Neoliberalismus).......Doch die Annahmen des
kapitalistischen Menschenbilds sind wissenschaftlich weitgehend widerlegt (Anmerkung:
wenn schon von der Rolle der Wissenschaftler die Rede ist, wären eine differenzierte
Darstellung und Beleg für die so apodiktische Behauptung angemessen). Vielmehr scheint
der Fall zu sein, dass Menschen von Natur aus (Anmerkung: laut Rousseau und Felber) zur
Kooperation und gegenseitiger Hilfe neigen..........Die empirischen sozial- und
naturwissenschaftlichen Studien sind jedoch allesamt nicht so bekannt (Anmerkung:
vermutlich auch nicht dem Autor) wie die sozialdarwinistischen Mythen........erst wenn diese
Glaubenssätze und Mythen durch wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzt werden, kann die
Saat der Gemeinwohl-Ökonomie aufgehen. Auch das ist eine Arbeit, die von vielen
Menschen ohne großen Aufwand umgesetzt werden kann. Es geht um die
Fruchtbarmachung des Bodens, in den die Sämchen der Gemeinwohl-Ökonomie eingesät
werden können.“ (S. 169).
Anmerkung: Seit fast 300 Jahren erforschen Wissenschaftler das Verhältnis von Konkurrenz und
Kooperation, Verstand und Emotion, etc., in den letzten Jahrzehnten verstärkt, insbesondere
im Bereich der Spieltheorie und der experimentellen Ökonomie. Die Ergebnisse entsprechen
nicht den apodiktischen Behauptungen von Felber. Eindeutig ist nur, dass das Konzept des
„homo oeconomicus“ empirisch nicht zu halten ist und dass Kooperation neben Konkurrenz
eine bedeutende Form der Interaktion ist. Dass AnhängerInnen der GWÖ „ohne großen
Aufwand“ die bisherige Forschung („Glaubenssätze und Mythen“) durch „wissenschaftliche
Erkenntnisse“ ersetzten können, kann nur jemand erwarten, der diese Forschung nicht kennt
und gleichzeitig über eine enorme (intrinsische) Motivationsenergie samt entsprechendem
Optimismus (oder Selbstgewissheit?) verfügt.
– 16 –

Kapitel 9: Häufig gestellte Fragen

Hier finden sich einige besonders markante Aussagen zu den Grundannahmen und
Schlussfolgerungen der GWÖ.
„Konkurrenz ist eine Möglichkeit, die uns unsere Gene erlauben, aber sie zwingen uns nicht
dazu. So wie das gegenseitige Umbringen eine Möglichkeit ist, aber keine
Notwendigkeit........Daraus folgt: So wie wir in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten
Konkurrenz und Eigennutz kollektiv kulturell ‚gelernt’ haben, könne wir in Zukunft systematisch
Empathie, Kooperation, Solidarität und Großzügigkeit lernen....Wenn wir uns schon die –
durchaus sinnvolle - Mühe machen, unser kollektives Verhalten mit Gesetzen zu steuern, dann
sollten wir genau darauf achten, dass uns die Gesetze in die richtige Richtung – menschlicher
Tugenden – lenken und nicht unsere Laster und Schwächen fördern.“
Anmerkung: Für solche Überlegungen steht nicht nur Rousseau, sondern wohl auch Abraham
a Santa Clara Pate – kein Wunder, in Zeiten der Krise müssen die Menschen geläutert
werden.......
Auch im Sport könne und solle das Element der Konkurrenz zurückgedrängt werden. Felber
selbst ist „vom Leistungssport zum Tanz gewechselt, weil die Wettkämpfe zu sehr von Ehrgeiz
und unguten Gefühlen begleitet waren.....Im Tanz funktioniert Wettbewerb gar nicht:
Versuchen Sie einmal, gegen Ihre PartnerIn zu tanzen. Noch weniger in der Liebe: Würde es
Sinn ergeben, gegeneinander zu schlafen ? Wer als Erster beim Orgasmus ist, kann die Zeit für
anderes nutzen.....“ (S. 175).
Anmerkung: Tanzpaare können aber schon in einem Wettbewerb mit anderen auftreten,
generell ist bei Teamsport „intern“ Kooperation und „extern“ Konkurrenz angesagt, und beide
Interaktionsformen verstärken einander auf dialektische Weise. Dies gilt insbesondere für
Unternehmen: Die wichtigste (interne) Verhaltensweise zur Organisation der
Gesamtproduktion und ihrer unzähligen Teilprozesse ist Kooperation, in der (externen)
Interaktion mit anderen Unternehmen ist Wettbewerb die treibende Kraft.
Diese Beispiele zeigen: Kooperation und Konkurrenz bedingen einander. Wenn man aber die
beiden Interaktionsformen moralisch „auflädt“ – das eine ist gut, das andere böse – entgeht
einem diese Dialektik (sie spielt gerade bei Adam Smith eine wichtige Rolle). Genau dies
charakterisiert das manichäische Ordnungsdenken von Felber. Warum müssen alle
Interaktionen – vom Liebesakt bis zum Welthandel – durch ein Prinzip gelenkt werden? Das ist
absurd.
Zur Frage: „Was passiert mit Unternehmen, die nicht mitmachen“ (beim „Gemeinwohl-
Verhalten“). Die Antwort ist klar: „Sie gehen in Konkurs.“ Denn wenn sie weiter ein schädliches
Verhalten setzten „verschlechtert sich ihre Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis so sehr, dass sie in die
höchste Steuer-, Zoll- und Zinsklassen ‚aufsteigen’ und ihre Produkte und Dienstleistungen
nicht mehr wettbewerbsfähig Sinn. Unter diesem Aspekt ist die Gemeinwohl-Ökonomie eine
echte Marktwirtschaft.“ (S. 179).
– 17 –

Anmerkung: Also doch Wettbewerb, aber durch die Politik zum Zweck des Gemeinwohl
gesteuert – ein echte Marktwirtschaft neuen Typs.......
Auch zu den Fundamentalfragen „Existieren nicht schon heute Kooperation und Konkurrenz
nebeneinander? Kommt es nicht auf ein ausgewogenes Verhältnis an?“ gibt es eine klare
Antwort: „Wie bereits erwähnt, beruht die gesamte Evolution auf dem Prinzip der
Kooperation, und die kapitalistische Wirtschaftsform beruht ebenfalls auf kooperativen
Strukturen: Familie, Eltern, Freunde und Frauen. Frauen verrichten siebzig Prozent der globalen
Arbeit, ohne die Manager und Milliardäre nicht großgezogen, geliebt, gepflegt, animiert,
inspiriert und wertgeschätzt würden.......“
Anmerkung: Von der neuen Evolutionstheorie hätten wir gerne mehr erfahren. Dass Felber im
Literaturverzeichnis das Hauptwerk von Darwin anführt (in dem dieser zum gegenteiligen
Befund kommt), deutet auf eine gewisse Beliebigkeit im Umgang mit der Literatur hin. Auch
scheint folgender Gedanke nicht schlüssig: Wer als Kind geliebt wurde, sollte auch später als
Manager den Leitlinien seiner Kindheit folgen, also dem Gewinnstreben und Wettbewerb
entsagen, und selbst wenn Kooperation im Unternehmen gefördert wird, so darf dies nicht
„dem höheren Ziel der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, der Kartellbildung oder des
Machterhalts“ dienen (S. 182). Es bleibt also beim unversöhnlichen Gegensatz zwischen
Konkurrenz und Kooperation, Eigennutz und Gemeinwohl. Eine menschengerechte Lösung
des Spannungsverhältnisses sehen Felber und die GWÖ daher nicht in einer Integration,
sondern in einer Hierarchie: Gemeinwohl geht vor Eigennutz, Kooperation vor Konkurrenz.

Das Konzept einer Gemeinwohlökonomie und Wissenschaftlichkeit

Ich habe mich bemüht, im maximalen Ausmaß den Urheber des Konzepts der Gemeinwohl-
Ökonomie selbst zu sprechen zu lassen. Dies ermöglicht es den Lesern des vorliegenden
Papiers, sich selbst ein Urteil über den (un)wissenschaftlichen Charakter des GWÖ-Konzepts zu
bilden.
Meine Einschätzung ist folgende: Noch nie in der Geschichte wurde auf knapp 200 Seiten ein
derart umfassendes Konzept der gesellschaftlichen Erneuerung präsentiert wie im Buch
„Gemeinwohl-Ökonomie“. Die Reformvorschläge inkludieren die Kindererziehung, das
Bildungswesen, die Unternehmensorganisation, das Buchhaltungssystem, die Finanzmärkte
und das Bankwesen (einschließlich der Zentralbank), das Weltwährungssystem,
Komplementärwährungen, das Eigentumsrecht und die Organisation der Demokratie.
Darüber hinaus werden Fundamentalfragen der Sozialwissenschaften andiskutiert wie das
unterschiedlichen Modellen zugrunde liegende „Menschenbild“, das Verhältnis von
Konkurrenz und Kooperation in der Steuerung ökonomischer, sozialer und politischer Prozesse,
etc.
Ein so breiter und normativer Ansatz kann nicht wissenschaftlich sein und ist es auch nicht:
• Das Konzept hat keine theoretischen Grundlagen. An deren Stelle treten apodiktische
Behauptungen zu Fundamentalproblemen, über die Wissenschaftler seit Jahrhunderten
– 18 –

forschen ohne eindeutige „Wahrheiten“ zu ermitteln. Für Felber ist die Sache aber
eindeutig, wenn er etwa schreibt: „Wie bereits erwähnt, beruht die gesamte Evolution
auf dem Prinzip der Kooperation.......“ (S. 181). Theoretische und empirische
Evolutionsforscher lässt ein so hingeworfener Satz die Haare zu Berge stehen.
• Die in der „GWÖ“ vorgebrachten Thesen und Vorschläge werden nicht in den Kontext
ihrer bisherigen wissenschaftlichen Behandlung gestellt (Heilslehrer neigen dazu, das Rad
neu zu erfinden, nur dass im vorliegenden Fall die Probleme komplexer sind als jene, die
das Rad überwand........). Und wo dies – in Ausnahmefällen - geschieht wie in Bezug auf
die Theorie von Adam Smith, ist die Interpretation falsch. Etwa: „Der von Adam Smith
behauptete Automatismus, dass für alle gesorgt sei, wenn jeder für sich selbst sorge,
existiert nicht.“ S. 38. Leider existiert die Behauptung selbst nicht.
• Lediglich auf Rousseau wird öfter Bezug genommen, doch war (auch) dieser mehr
Heilslehrer als Wissenschaftler.
• Das Konzept ignoriert auch die empirischen Forschungsergebnisse, etwa zum Verhältnis
Konkurrenz/Kooperation und Eigennutz/Reziprozität. Gerade die experimentelle
Ökonomie hat dazu neue Einsichten geschaffen, ihre Ergebnisse sind nur nicht so
eindeutig, dass sie in das vorgeformte Konzept der GWÖ passt.
• Auch die historische Erfahrung mit unterschiedlichen Gewichtungen von Konkurrenz und
Kooperation und ihren Folgen für die ökonomische und soziale Performance bleiben
ausgeblendet. Vielleicht war die hervorragende Performance in den 1950er und 1960er
Jahren auch Folge einer klaren Zuweisung (und Trennung) der beiden
„Steuerungsmechanismen“: Konkurrenz auf der Mikro-Ebene der (Güter)Märkte,
Kooperation auf der Makro-Ebene der Politik (Sozialstaatlichkeit, Sozialpartnerschaft,
etc.).
• Das Konzept der GWÖ wird vom Normativen geprägt („In welcher Gesellschaft sollen wir
leben?“), ein solcher Ansatz aber ist nicht die Domäne des „Systems Wissenschaft“ (hier
geht es um Analyse), sondern des „Systems Politik“.
• Felber geht (daher) von bestimmten Zielen aus, und entwickelt im „Retourgang“ einen
passenden Begründungszusammenhang. So ist ihm eine Erweiterung/Überwindung der
repräsentativen Demokratie um eine zweite und dritte Säule in Gestalt direkter und
partizipativer Demokratie ein großes Ziel. Gleichzeitig ist er bestrebt, seine Vorschläge
nicht als revolutionär, sondern als evolutionär erscheinen zu lassen. Die Kombination von
beidem dürfte ihn dazu geführt haben, die Gewaltenteilung als Kompetenzverteilung
zwischen der Bevölkerung als „Souverän“ und seinen Repräsentanten zu verstehen. Denn
dann kann er seinen Vorschlag als „Weiterentwicklung“ der Gewaltenteilung darstellen.
• Dem teleologischen Denken von Felber entspricht eine hohe moralische „Aufladung“ der
GWÖ mit manichäischen Tendenzen: Kooperation, Einfühlung, Solidarität,
Gemeinschaftssinn, etc. sind gut, Egoismus, Gewinnstreben, Geiz, Rücksichtslosigkeit, etc.
sind böse. In dieser Einteilung der Welt muss einem entgehen, dass etwa Solidarität ein
– 19 –

Egoismus sozialer Ordnung ist. So hat sich die Arbeiterbewegung ja nicht als
Wohltätigkeitsverein organisiert, sondern mit dem Zweck, ihre eigene Lage - als Klasse wie
auch jedes einzelnen – zu verbessern.
Abschließend eine persönliche Bemerkung: Ich glaube nicht, dass Christian Felber selbst sein
Konzept einer GWÖ als „wissenschaftlich“ bezeichnen würde. Denn in seiner – höchst
erfolgreichen – Kommunikation mit der Umwelt vermeidet er es, sich der Lächerlichkeit
preiszugeben. Auch sich selbst sieht er daher nicht als Wissenschaftler, sondern als einer, der
„Vorschläge für eine gerechtere Welt“ macht (um den Titel eines seiner Bücher zu
paraphrasieren).
Schließlich sollte man vielleicht noch in Erwägung ziehen, dass Universitätsstudien und –
lehrgänge üblicherweise durch ihren Gegenstand strukturiert werden, und nicht durch eine
bestimmte „Schule“. So studiert man Volks- oder Betriebswirtschaftslehre, und im Rahmen des
Studiums werden (hoffentlich) die verschiedenen Schulen bzw. Lehrmeinungen behandelt.
Selbst in der Blütezeit des Genossenschaftswesen im 19. Jahrhundert, gab es kein
einschlägiges Studium, sondern dieser Aspekt wurde im Rahmen eines VWL-Studiums (bzw.
damals „Staatswissenschaften“) behandelt. Es gab/gibt auch keine eigenen Studiengänge
für neo-klassische oder keynesianische Ökonomie.
Wenn die verantwortlichen Organe einer Universität zu jener Überzeugung gelangen, die in
den Vorbemerkungen des Entwurfs zu einem „Curriculum für den Universitätslehrgang
Gemeinwohl-Ökonomie“ zu lesen sind, dann sollen die Vorschläge der GWÖ in den
einschlägigen Lehrveranstaltungen der VWL-, Jus- und BWL-Studien behandelt werden. In
diesen „Vorbemerkungen“ heißt es: „Die Gesellschaft durchlebt eine Phase tief greifender
Veränderungen. Krisen in Wirtschaft, Politik und in der Umwelt sowie alte und neue Formen
gesellschaftlicher Ungleichheit fordern die Menschen, ihren Blick auf neue Lösungsansätze zu
richten. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist einer davon. Sie bietet eine zukunftsweisende
Alternative, die die Wirtschaft an die Gesellschaft und die Gesellschaft an die Umwelt
rückbindet. Ihr Ziel ist es, dass jedes wirtschaftliche Handeln dem Wohl aller dient.“
Persönlich muss ich gestehen, dass mir auch diese Formulierungen eher wie eine Verheißung
vorkommen, besonders den letzten Satz würde ich in gebotener Nüchternheit überdenken.

Zum „Curriculum für den Universitätslehrgang Gemeinwohlökonomie“

Dieses Konzept ist deshalb kaum zu beurteilen, weil die Studieninhalte nicht konkret genug
umrissen werden. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass es nur Quelle zur
„Gemeinwohlökonomie“ gibt, das Buch von Felber. Auch scheinen mir Formulierungen wie
„Gesellschaftstheorie der GWÖ“ zu ansprüchlich, da es eine solche Theorie nicht gibt (siehe
die obigen Ausführungen scheinen.
Auch die 12 Seiten Literatur helfen da nicht weiter, weil sie ein hohes Maß an Beliebigkeit
ausweisen (von Adorno, Altvater und Aristoteles über Hayek und Smith bis zu Zamagni – ich
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könnte sie nach 2 Stunden Google-Recherche leicht auf 20 Seiten ausweiten, z. B.: Rousseau
(fehlt !), John S. Mill, Marx, Keynes, etc.).
Es fällt auf, dass Literatur zu kooperativen Wirtschaftsmodellen fehlt, was leider den Eindruck
erweckt als sei Felber’s „Gemeinwohlökonomie“ eine fundamentale gesellschaftspolitische
Innovation. Tatsächlich ist allen seit dem 16. Jahrhundert entwickelten Konzepten
gemeinsam, dass sie das Gewinnstreben und die Konkurrenz durch Kooperation und Dienst
an der Gemeinschaft/Gesellschaft ersetzen wollen: Von Thomas More’s „Utopia“ in der
Theorie, dem Jesuitenstaat in Paraguay in der (versuchten) Praxis, zu den „Sozialutopisten“ in
Frankreich (Saint Simon, Fourier, Buchez, Blanc) und in England (King, Owen) bis zu den
„Pionieren von Rochdale“ als den Vorläufern der großen Genossenschaften (Raiffeisen,
Schultze-Delitzsch) und den Kibbutzim. All diese Ideen und Projekte fehlen auch im Buch von
Felber, es skizziert lediglich einige „Beispiele und Vorbilder“ aus der Gegenwart wie die
Genossenschaft „Mondragon“ im Baskenland.
In der Literaturliste fehlen auch Quellen zu nahezu allen Lehrveranstaltungen von Modul 2. Es
bleibt daher unklar, welche Literatur zu Bereichen wie „Unternehmensführung und
Unternehmenskultur“, „Personal- und Organisationsentwicklung“ oder „Beschaffungs-, Absatz-
und Produktmanagement“. Das betrifft Literatur sowohl zu den jeweiligen Konzepten der
GWÖ als auch zu den „üblichen“ Ansätzen in der BWL. Zumindest am Rande wird man sich ja
auch mit den bisher in den jeweiligen Disziplinen vorgelegten Ergebnissen und Konzepten
auseinanderzusetzen haben.

Wien, am 1. Mai 2014

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