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Der Bodhisattva-Weg

&

Der InterSein-Orden

Bodhisattva Avalokiteshvara, (Chenrezig, Kuan-Yin);


siehe auch:
Vessantara, zum wohl aller Wesen.

Version 1.04: ©opyright 2002-2022, M.B. Schiekel, D-89073 Ulm.

Der Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publika
tionen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Geneh-
migung des Autors.

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https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 2
Inhaltsverzeichnis

Der Bodhisattva-Weg - eine kleine Einführung.......................................................5

Vielen Wesen zum Wohle (Mahâvagga des Vinaya-Pitaka 1,11,1)..........................7

Schutz durch Rechte Achtsamkeit (Samyutta Nikâya 47,19)..................................8

Die Bodhisattva-Gelübde im Chan / Zen.................................................................9

Bodhisattva-Vows in Chan / Zen..............................................................................9

Die Bodhisattva-Gelübde im Mahâyâna................................................................10

Die Vierzehn Übungswege der Achtsamkeit des Ordens InterSein.......................11

Die Gelöbnisse der Bodhisattvas (Brahmajala-Sutra)............................................16

Die 10 grundlegenden Gelübde der Bodhisattvas..................................................19

Die 48 geringeren, ergänzenden Gelübde der Bodhisattvas..................................25

Japanisches Kinderlied...........................................................................................30

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https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 4
Der Bodhisattva-Weg - eine kleine Einführung

Der Buddha hat in vielen seiner Lehrreden darauf hingewiesen, daß unser
Leiden seine Wurzeln in unseren Gewohnheiten von Verlangen (Gier),
Aversion (Hass) und Unwissenheit hat. Hierbei meint Unwissenheit das
Nicht-Verstehen der Verbundenheit allen Lebens und aller Dinge - und
tatsächlich scheint diese Unwissenheit die tiefste Quelle allen Leidens zu
sein, denn nur, wenn wir uns unverbunden sehen und isoliert fühlen, sind
wir fähig zu jenem blinden Egoismus, der anderen Lebewesen Schmerz und
Leiden zufügt und die Ökosysteme dieser Erde rücksichtslos zerstört.
Ob es sich um die Destruktivität in unseren Familien, in unserer Gesell-
schaft, des internationalen Kapitalismus, oder um jene ungezählten Kriege
handelt - all dies hat ja implizit die hartnäckige Illusion eines isolierten
"Ich" oder "Wir" zur Voraussetzung.
Traditionell gilt im Buddhismus die Vipassanâ-Meditation, häufig auch
Einsichts-Meditation genannt, als der geeignete Weg, um zu einer wirk-
lichen und befreienden Einsicht in das "Nicht-Ich" zu gelangen.
Insbesondere im Mahâyâna-Buddhismus wird aber auch der Weg des
Dienens, des Mitgefühls und der "Selbst-losen" Liebe als ein Weg des Er-
wachens zur Wirklichkeit unserer innigen Verbundenheit betont:
im Üben von selbstlosem Denken, Reden und Handeln, überschreiten wir
manchmal viel müheloser die Grenzen unserer egoistischen Selbst-Be-
zogenheit als in so manch langem Rückzug zur Meditation. Auch kann uns
der Weg des mitfühlenden und weisen Handelns auf eine sehr schöne und
konstruktive Weise mit Menschen auf anderen geistigen und religiösen We-
gen verbinden und so zum Frieden in dieser Welt beitragen.

Lama Anagarika Govinda beschreibt in seinem Buch: Lebendiger


Buddhismus im Abendland, O.W. Barth Verlag, München 1986, (S. 137 ff.)
sehr schön das Ideal und die Praxis des Bodhisattva-Weges:
"Dann mag eines Tages spontan in ihm Bodhicitta (der erwachte Herz-
Geist) aufleuchten: Es bricht plötzlich in einem Menschen, der offensteht,
als ein ganzheitliches, totales Ergriffensein vom Leid und der Not aller
Wesen durch. Unbedeutend erscheint ihm dann alles persönliche Miß-
geschick, alle Qual, aller Schmerz. Nur ein Wunsch erfüllt blitzartig sein
Bewußtsein: alle diese Wesen frei und glücklich zu machen.
.....
Wenn etwas in dieser Welt Bodhicitta den Weg bahnen kann, dann ist es
allein ein liebevolles, verstehendes Sich-Öffnen und Mitfühlen mit anderen
Wesen, das nicht Besitz ergreift noch einen Lohn für sich erstrebt (und sei
dieser noch so subtil) oder sich gar einbildet, 'Verdienste zu erwerben': Ich-
freies Handeln mit wachem Bewusstsein aus Liebe, Mitleiden, Mitfreuen
mit allen fühlenden Wesen ist allein der Schlüssel dazu. Und wem es
gelingt, auch nur ein einziges Wesen selbstlos zu lieben, ohne zu verlangen

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und das Seine zu suchen, der wird durch diese Liebe zu einem Wesen
befähigt, alle Wesen zu lieben und Bodhicitta in sich zu erzeugen, be-
ziehungsweise es durchbrechen zu lassen. Dann werden seine Lippen
vielleicht ähnliche Worte finden, wie sie einst Shântideva fand:

Ich nehme auf mich die Last aller Leiden.


Ich bin entschlossen, sie zu ertragen.
Ich kehre nicht um.
Ich fliehe nicht, noch zittre ich.
Ich gebe nicht nach, noch zögere ich.
Und warum?
Weil die Befreiung aller Wesen mein Gelöbnis ist. "

Es gibt im Buddhismus eine alte Tradition der Ethik-Regeln und Gelübde -


dabei werden diese Ethik-Regeln nicht als "gottgegebene Gebote" gesehen,
sondern als menschengemachte und menschliche Übungs-Richtlinien auf
dem Weg der Befreiung.
Der Mahâyâna-Buddhismus und seine Bodhisattva-Gelübde entstanden
auch als Antwort auf eine gewisse Überbetonung der formalen Aspekte der
buddhistischen 227 Mönchs- und 311 Nonnen-Gelübde durch konservative
Kreise im Theravâda-Buddhismus.
Demgegenüber betont der Mahâyâna-Buddhismus sehr deutlich die Ver-
gänglichkeit (anicca) aller Dinge und daraus resultierend die Notwendigkeit
einer dauernden Wandlung und Anpassung von spirituellen Methoden an
sich wandelnde gesellschaftliche Gegebenheiten. Daher entstanden im
Mahâyâna-Buddhismus auch immer wieder neue Formulierungen der
Bodhisattva-Gelübde oder -Richtlinien und dieser Prozeß einer ständigen
Reflektion und innovativen Anpassung ist auch heute, da der Buddhismus
im Westen in einem neuen gesellschaftlichen Umfeld erblüht, in vollem
Gange.

Als ein Beispiel seien weiter unten die Vierzehn Übungswege der
Achtsamkeit des buddhistischen Ordens InterSein (InterBeing, Tiêp
Hiên) widergegeben. Dieser Orden wurde 1964 während des Vietnam-
krieges von dem vietnamesischen Mönch, Dichter und Friedensaktivisten
Thich Nhat Hanh in Vietnam gegründet.

Andererseits ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß auch im heutigen


Theravâda-Buddhismus sich viele Menschen dem Bodhisatta-Weg und dem
Großen Mitgefühl zutiefst verpflichtet fühlen, wie dies der folgende schöne
Text des kambodschanischen Mönchs Mahâ Ghosananda zeigt - siehe:
Wenn der Buddha lächelt, Mahâ Ghosananda, Herder Verlag, 1997,
Freiburg.

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"Wenn ich gut zu jemandem bin, dann wird er oder sie Güte erlernen und
daraufhin auch gut zu anderen sein. Wenn ich nicht gut zu jemandem bin,
dann wird er oder sie Hass und Ärger in sich nähren und dies auch an an -
dere weitergeben. Wenn die Welt nicht gut ist, dann muss ich meine Be-
mühungen verstärken, selbst gut zu sein.
Sich um andere zu kümmern ist dasselbe, wie sich um sich selbst zu küm-
mern. Wenn ich andere respektiere und ihnen diene, diene ich allen
Buddhas überall auf der Welt. Dies wird Großes Mitgefühl genannt.
Mitgefühl ist ein glücklicher Zustand des Geistes.
Wenn wir uns selbst durch Achtsamkeit schützen, dann schützen wir auch
andere. Wenn wir andere Lebewesen durch mitfühlendes Handeln schützen,
dann schützen wir auch uns selbst."

Vielen Wesen zum Wohle (Mahâvagga des Vinaya-Pitaka 1,11,1)

Der Erhabene sprach zu den Mönchen: "Befreit bin ich, ihr Mönche, von
allen Fesseln, sowohl göttlichen als auch menschlichen.
Befreit seid ihr, ihr Mönche, von allen Fesseln, sowohl göttlichen als auch
menschlichen.
Geht, ihr Mönche, in die Welt, vielen Wesen zum Wohle, vielen Wesen zum
Glücke, aus Mitgefühl mit der Welt, zum Nutzen, Wohl und Glück von
Göttern und Menschen.
Mögen nicht zwei den selben Weg gehen. Verkündet, ihr Mönche, die
Lehre, die am Anfang gute, in der Mitte gute, am Ende gute, die sinnvolle,
die wortgetreue, predigt den vollständigen, völlig geläuterten Reinheitswan-
del.
Es gibt Wesen mit wenig Staub auf den Augen, die werden die Lehre ver-
stehen; würden sie die Lehre nicht hören, gingen sie wieder abwärts."

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Schutz durch Rechte Achtsamkeit (Samyutta Nikâya 47,19)

Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande der Sumbher in einem


Städtchen der Sumbher namens Sedakam. Dort nun wandte sich der Erha-
bene an die Mönche:
"Einstmals, ihr Mönche, gab es einen Bambusakrobaten. Der richtete den
Bambus auf und sprach zu seiner Gehilfin Medakathalikâ: 'Komm, liebe
Medakathalikâ, erklimme den Bambus und stelle dich auf meine Schultern'.
'Ja, Meister', erwiderte die Gehilfin Medakathalikâ, erklomm den Bambus
und stellte sich auf die Schultern des Meisters.
Da sprach, ihr Mönche, der Bambusakrobat zu seiner Gehilfin Medakatha-
likâ: 'Du, liebe Methakathalikâ, achte auf mich, und ich werde auf dich
achten. Wenn so jeweils einer den anderen bewacht, einer auf den anderen
achtet, dann werden wir unsere Kunst zeigen, etwas verdienen und
wohlbehalten vom Bambus heruntersteigen.
Auf diese Worte erwiderte Medakathalikâ, die Gehilfin, dem Meister:
'So wird nichts daraus, Meister! Achte du auf dich selber, Meister, und ich
werde auf mich achten. So werden wir, wenn jeder sich selber bewacht,
jeder auf sich selber achtet, unsere Kunst zeigen, etwas verdienen und
wohlbehalten vom Bambus heruntersteigen'. "
Die rechte Vorgehensweise dabei, sprach der Erhabene, ist folgende: "Wie
Medakathalikâ, die Gehilfin, dem Meister gesagt hat: 'Ich werde auf mich
achten', so sind die Pfeiler der Achtsamkeit (satipatthâna), ihr Mönche, zu
pflegen: 'Auf den anderen werde ich achten, so sind die Pfeiler der Acht-
samkeit zu pflegen. Auf sich selber achtend, ihr Mönche, achtet man auf die
anderen. Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber.
Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf sich selber achtend, auf den anderen?
Durch Pflege, durch Entfaltung, durch häufiges Tun. So, ihr Mönche, achtet
man, auf sich selber achtend, auf den anderen.
Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf den anderen achtend, auf sich selber?
Durch Geduld, durch Gewaltlosigkeit, durch Liebe, durch Teilnahme. So,
ihr Mönche, achtet man, auf den anderen achtend, auf sich selber.
'Ich werde auf mich achten', so sind, ihr Mönche, die Pfeiler der Acht-
samkeit zu pflegen.
'Ich werde auf die andern achten', so sind die Pfeiler der Achtsamkeit zu
pflegen.

Auf sich selber achtend, achtet man auf die anderen,


auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber."

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Die Bodhisattva-Gelübde im Chan / Zen

Die fühlenden Wesen sind zahllos,


Wir geloben, sie zu befreien.
Die Illusionen sind unerschöpflich,
Wir geloben, sie zu transzendieren.
Die Dharmas sind unermesslich,
Wir geloben, sie zu meistern.
Buddhas Weg des Erwachens ist überaus erhaben,
Wir geloben, ihn zu verwirklichen.

______________________________

Bodhisattva-Vows in Chan / Zen

Sentient beings are numberless,


We vow to liberate them.
Delusions are inexhaustible,
We vow to transcend them.
Dharmas are boundless,
We vow to master them.
The Buddhas awakened way is exceedingly sublime,
We vow to embody it.

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Die Bodhisattva-Gelübde im Mahâyâna
(Shântideva: Bodhicaryâvatâra, aus Kapitel III )

Möge ich den Schutzlosen ein Beschützer sein, ein Führer den Reisenden,
denen die zum anderen Ufer wollen, ein Boot, ein Damm, eine Brücke,
eine Lampe für die, die eine Lampe brauchen, ein Bett für die, die ein Bett
brauchen, ein Diener für alle Lebewesen, die einen Diener brauchen.
Möge ich den Lebewesen ein Wunschjuwel sein, ein Glückskrug, eine
Zauberformel, ein Wunderheilkraut, ein Wunschbaum und eine Wunschkuh.
So wie die Erde und die drei anderen Elemente, zusammen mit dem Raum, alle
Wesen beständig nähren und stützen, möge auch ich zu einer solchen Quelle der
Nahrung und Stütze für alle Wesen werden, die den Raum ausfüllen, solange noch
nicht alle Wesen den Frieden erlangt haben.
Wenn die Buddhas der früheren Zeiten sich dem Bodhicitta, dem Herz-Geist der
Erleuchtung, verpflichteten, beschritten sie stufenweise den Pfad der Bodhisattva-
Praxis.
So verpflichte auch ich mich dem Bodhicitta zum Wohle aller Wesen
und werde stufenweise den Pfad der Bodhisattva-Praxis beschreiten.
Heute ist meine Geburt fruchtbar geworden; meine Geburt als Mensch hat eine
Berechtigung erhalten. Heute wurde ich in Buddhas Familie geboren.
Jetzt bin ich ein Kind Buddhas. Jetzt bin ich entschlossen, Handlungen
auszuführen, die meiner Familie würdig sind. Ich werde die Reinheit dieser
fehlerlosen, edlen Familie nicht beschmutzen.

So wie ein blinder Wanderer ein Juwel in einem Kehrrichthaufen findet,


so entstand, scheinbar durch einen Glücksfall, Bodhicitta in mir,
Dieser überragende Nektar, der den Tod zerstört; der unerschöpfliche verborgene
Schatz, der alle Armut beseitigt;
Die überragende Medizin, die sämtliche Krankheiten heilt; der Baum, der allen
Wesen Schutz gewährt, die es müde sind, die Pfade des Samsara zu wandern;
Das Fahrzeug für alle Reisenden, die die Sorgen hinter sich lassen;
der Mond des Geistes, der die Hitze der Begierde kühlt;
Die große Sonne, welche die Dunkelheit der Unwissenheit zerstreut;
die aus der Milch des Dharma geschlagene reine Butter;
Die große Glückseligkeit für Wanderer auf den Pfaden des Samsara,
die nach Freude Ausschau halten.
In Anwesenheit aller Buddhas lade ich alle Wesen ein, meine Gäste zu sein.
Mögen die Götter und alle anderen Wesen sich freuen.

Möge das kostbare Juwel des Bodhicitta entstehen,


Wo es noch nicht entstanden ist.
Und wo es bereits entstanden ist,
Dort möge es nicht abnehmen,
Zunehmen möge es von Gipfel zu Gipfel.

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Die Vierzehn Übungswege der Achtsamkeit des Ordens InterSein

In seinem Bemühen, die Not der leidenden Menschen im Vietnamkrieg zu


lindern, initiierte der vietnamesischen Mönch, Dichter und Friedensaktivist
Thich Nhat Hanh zum Vesak-Fest (Vollmond im Mai) des Jahres 1964 die
Gründung des buddhistischen Ordens Tiêp Hiên (InterSein, InterBeing).
'Tiêp' heißt 'in Berührung sein' und 'Hiên' bedeutet 'verwirklichen' und 'hier
und jetzt handeln'. Die Ordensmitglieder bemühen sich um einen 'enga-
gierten Buddhismus' im Sinne des Bodhisattva-Ideals.

So heißt es in der Ordens-Satzung:


"Das Ziel des InterSein-Ordens ist es, den Buddhismus zu studieren, mit
ihm zu experimentieren und ihn auf eine intelligente und wirksame Weise
auf das moderne individuelle wie auch gesellschaftliche Leben anzuwen-
den."
Die im folgenden aufgeführten 'Vierzehn Übungswege der Achtsamkeit' des
InterSein-Ordens kreisen um die folgenden vier Grundsätze:
• Nicht-Anhaften an Ansichten,
• Verwirklichung in direkter Übung,
• Angemessenheit (bzgl. der Bedürfnisse der Menschen und ihres
sozio-kulturellen Umfeldes),
• Anwendung geeigneter (gewaltloser) Mittel.

Der InterSein-Orden betrachtet den Geist von Weisheit und Mitgefühl für
wichtiger als irgendeine spezifische buddhistische Institution oder Tradi-
tion. Im Jahr 2001 gehörten dem InterSein-Orden weltweit etwa 500 Mit-
glieder an, die in 12 Ländern lebten und das Buddha-Dharma praktizierten,
davon etwa 50 im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich,
Schweiz). Bis ins Jahr 2020 hat sich die Zahl der deutschsprachigen
Ordens-Mitglieder etwa verdreifacht, einige davon Mönche und Nonnen, in
der Mehrzahl aber Laien.

Alle Mitglieder des Ordens haben sich verpflichtet, die 'Vierzehn Übungs-
wege der Achtsamkeit' in ihrem Alltag beständig zu praktizieren und so bei
sich selbst, in der Familie und der Gesellschaft den Wandel hin zu mehr
Verständnis und Mitgefühl zu fördern.
Für eine weiterführende Lektüre siehe:
EinsSein, Thich Nhat Hanh, Theseus Verlag, 1991, Berlin.
______________________________

1. Im Bewußtsein des Leides, das durch Fanatismus und Intoleranz


entsteht, sind wir entschlossen, keine Lehrmeinungen, Theorien oder
Ideologien, einschließlich der buddhistischen, zu vergöttern und
diesen nicht anzuhaften. Buddhistische Lehren sind Hilfsmittel, die

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es uns ermöglichen, durch tiefes Schauen Verstehen und Mitgefühl
zu entwickeln. Sie sind keine Dogmen, für die gekämpft, getötet oder
gestorben werden sollte.
2. Im Bewußtsein des Leides, das durch Anhaften an Ansichten und
falschen Wahrnehmungen entsteht, sind wir entschlossen, Engstir-
nigkeit zu vermeiden und uns nicht an unsere gegenwärtigen An-
sichten zu binden. Wir wollen das Nicht-Anhaften an Ansichten
üben, um für die Einsichten und Erfahrungen anderer offen zu sein.
Wir sind uns bewußt, daß unser derzeitiges Wissen keine unver-
änderliche, absolute Wahrheit ist. Da sich Wahrheit nur im Leben
selbst findet, wollen wir in jedem Augenblick das Leben in uns und
um uns herum achtsam wahrnehmen und bereit sein, ein Leben lang
zu lernen.

3. Im Bewußtsein des Leides, das durch das Aufzwingen von Meinun-


gen entsteht, sind wir entschlossen, niemandem - auch nicht Kindern
- unsere Meinungen aufzunötigen, weder durch Autorität, Drohung,
Geld, Propaganda noch Indoktrination. Wir wollen das Recht anderer
respektieren, anders zu sein und selbst zu wählen, an was sie glauben
und wofür sie sich entscheiden. Wir wollen jedoch anderen in anteil-
nehmendem Gespräch helfen, Fanatismus und Engstirnigkeit zu
überwinden.

4. Im Bewußtsein, daß es uns helfen kann, Mitgefühl zu entwickeln und


Wege zur Überwindung des Leidens zu finden, wenn wir tief in die
Natur des Leidens schauen, sind wir entschlossen, dem Leiden nicht
aus dem Weg zu gehen oder die Augen davor zu verschließen. Wir
verpflichten uns, Kontakt mit denen zu suchen, die leiden. Auf diese
Weise erlangen wir tiefes Verständnis für ihre Situation und
verhelfen ihnen dazu, ihr Leiden in Mitgefühl, Frieden und Freude
zu verwandeln.

5. Im Bewußtsein, daß wahres Glück in Frieden, Festigkeit, Freiheit


und Mitgefühl wurzelt, nicht aber in Reichtum und Ruhm, sind wir
entschlossen, unser Leben nicht auf Ruhm, Profit, Reichtum oder
sinnliches Vergnügen auszurichten und auch keine Reichtümer
anzuhäufen, solange Millionen hungern und sterben. Wir ver-
pflichten uns, ein einfaches Leben zu führen und unsere Zeit, Energie
und materiellen Mittel mit denen zu teilen, die in Not sind. Wir üben
uns, achtsam zu essen, zu trinken und zu konsumieren und auf
Alkohol, Drogen und andere Mittel zu verzichten, die uns und unse-
rer Gesellschaft körperlich und geistig schaden können.

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6. Im Bewußtsein des Leides, das durch Hass und Ärger entsteht, sind
wir entschlossen, die Energie des aufsteigenden Ärgers achtsam
wahrzunehmen, um seine in den Tiefen unseres Bewußtseins liegen-
den Samen zu erkennen und zu verwandeln. Wenn Ärger in uns auf-
kommt, wollen wir nichts tun oder sagen, sondern achtsames Atmen
und achtsames Gehen praktizieren und ihn annehmen, ihn mit unse-
rer Achtsamkeit umarmen und tief in ihn hineinschauen. Wir wollen
lernen, diejenigen, die wir für die Verursacher unseres Ärgers halten,
mit mitfühlenden Augen zu sehen.

7. Im Bewußtsein, daß Leben nur im gegenwärtigen Augenblick statt-


findet und daß es nur im Hier und Jetzt möglich ist, glücklich zu le-
ben, verpflichten wir uns zu der Übung, jeden Augenblick des täg-
lichen Lebens in tiefer Bewußtheit zu leben. Wir wollen versuchen,
uns nicht in Zerstreuungen oder im Bedauern über die Vergangenheit
oder in Sorgen über die Zukunft zu verlieren. Wir wollen uns in der
Gegenwart nicht von Begehrlichkeiten, Ärger oder Eifersucht gefan-
gennehmen lassen. Wir wollen achtsames Atmen üben, um zu dem
zurückzukommen, was im gegenwärtigen Augenblick geschieht. Wir
sind entschlossen, die Kunst des achtsamen Lebens zu erlernen,
indem wir die wunderbaren, erfrischenden und heilenden Kräfte be-
rühren, die wir in und um uns herumvorfinden. Indem wir den Sa-
men der Freude, des Friedens, der Liebe und des Verstehens in uns
Nahrung geben, fördern wir den Prozeß der Transformation und Hei-
lung in unserem Bewußtsein.

8. Im Bewußtsein, daß ein Mangel an Kommunikation stets Trennung


bewirkt und Leiden schafft, verpflichten wir uns, mitfühlendes Zu-
hören und liebevolle Rede zu üben. Wir wollen lernen, tief zuzu-
hören, ohne zu bewerten oder zu reagieren, und wir wollen es unter-
lassen, Worte zu äußern, die Zwietracht säen oder zu einem Bruch in
der Gemeinschaft führen können. Wir wollen keine Anstrengung
scheuen, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten, zu versöhnen
und Konflikte zu lösen, so klein sie auch sein mögen.

9. Im Bewußtsein, daß Worte sowohl Leid als auch Glück hervorrufen


können, wollen wir wahrhaftig und aufbauend reden lernen und nur
so sprechen, daß Hoffnung und Vertrauen geweckt werden. Wir sind
entschlossen, nichts Unwahres zu sagen, weder aus Eigeninteresse,
noch um andere zu beeindrucken. Wir wollen keine Nachrichten ver-
breiten, für deren Wahrheitsgehalt wir uns nicht verbürgen können
und wir wollen nichts kritisieren oder mißbilligen, worüber wir
selber nichts Genaues wissen. Wir wollen unser Bestes tun, Unrecht

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beim Namen zu nennen, selbst dann, wenn wir dadurch unsere
eigene Sicherheit gefährden.

10.Im Bewußtsein, daß die Übung des Verstehens und Mitfühlens Sinn
und Ziel einer Sangha ist, sind wir entschlossen, die Gemeinschaft
weder zum Zwecke persönlichen Vorteils oder Gewinns zu benutzen,
noch sie in ein politisches Instrument zu verwandeln. Eine spirituelle
Gemeinschaft sollte jedoch deutlich Stellung beziehen gegen Unter-
drückung und Unrecht und sollte bemüht sein, entsprechende Zu-
stände zu verändern, ohne sich in parteiliche Konflikte verstricken zu
lassen.

11.Im Bewußtsein, daß unserer Umwelt und Gesellschaft Gewalt und


großes Unrecht angetan worden ist, sind wir entschlossen, in unse-
rem Lebenserwerb den Menschen und der Natur nicht zu schaden.
Wir wollen unser Bestes tun und eine Lebensweise wählen, die dazu
beiträgt, unser Ideal von Verstehen und Mitgefühl zu verwirklichen.
In Kenntnis der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wirklich-
keiten unserer Welt wollen wir uns als Konsumentinnen und Konsu-
menten und Bürgerinnen und Bürger verantwortungsbewußt ver-
halten und nicht in Unternehmen investieren, die andere ihrer Le-
bensmöglichkeiten berauben.

12.Im Bewußtsein, daß Kriege und Konflikte großes Leid verursachen,


sind wir entschlossen, in unserem täglichen Leben Gewaltlosigkeit,
Verstehen und Mitgefühl zu entwickeln. Wir wollen innerhalb von
Familie, Gesellschaft und Staat und in der Welt zur Erziehung zum
Frieden beitragen, bei Streitigkeiten in Achtsamkeit vermittelnd ein-
greifen und Versöhnung fördern. Wir sind entschlossen, nicht zu tö-
ten und es nicht zuzulassen, daß andere töten. Zusammen mit unserer
Sangha wollen wir uns in tiefem Schauen üben, um bessere Wege
zum Schutz des Lebens und zur Verhinderung von Kriegen zu fin-
den.

13.Im Bewußtsein, daß durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit,


Diebstahl und Unterdrückung Leiden entsteht, verpflichten wir uns,
liebende Güte zu pflegen und Wege zu beschreiten, die zum Wohl-
ergehen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Ökosystemen bei-
tragen. Wir wollen Freigebigkeit praktizieren, indem wir unsere Zeit,
Energie und materiellen Mittel mit denen teilen, die in Not sind. Wir
sind entschlossen, nicht zu stehlen und nichts zu besitzen, was ande-
ren zusteht. Wir wollen das Eigentum anderer achten und werden an-
dere davon abhalten, sich am menschlichen Leiden und am Leiden
anderer Wesen zu bereichern.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 14
14.(Für Männer und Frauen im Weltleben):
Im Bewußtsein, daß sexuelle Beziehungen, die durch Begierde
ausgelöst werden, das Gefühl der Einsamkeit nicht zum Schwinden
bringen können, sondern noch mehr Leiden, Frustration und Ein-
samkeit hervorrufen, sind wir entschlossen, ohne gegenseitiges Ver-
stehen, ohne Liebe und ohne eine langfristige und verpflichtende
Bindung keine sexuelle Beziehung einzugehen. Wir sind uns bewußt,
daß sexuelle Beziehungen die Ursache für zukünftiges Leid sein kön-
nen. Wir wissen, daß wir unsere eigenen und die Rechte und Ver-
pflichtungen anderer respektieren müssen, wenn wir unser eigenes
und das Glück anderer bewahren wollen. Wir wollen alles tun, was in
unserer Macht steht, um Kinder vor sexuellem Mißbrauch zu schüt-
zen und um zu verhindern, daß Paare und Familien durch sexuelles
Fehlverhalten entzweit werden. Wir wollen unseren Körper rück-
sichtsvoll behandeln und unsere Lebensenergien (die sexuelle, den
Atem, den Geist) der Verwirklichung unseres Bodhisattva-Ideals
widmen. Wir wollen uns der Verantwortung voll bewußt sein, neues
Leben in die Welt zu setzen, und wir wollen die Welt, in die wir neue
Wesen setzen, zum Gegenstand unserer Meditation machen.

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Die Gelöbnisse der Bodhisattvas (Brahmajala-Sutra)

Das Brahmajala-Sutra (skrt.) ist auch unter den Namen The Sutra of
Brahma's Net, Fan-wang-jing (chin.), Bommô-kyô (jap.) bekannt.
Der folgende Textauszug ist entnommen aus Grosser Weg - Texte des Zen,
Dieter Bünker, Deutsche Buddhistische Union, München, 1989.
______________________________

An diesem Tag der Ordination will ich Euch den großen Schatz der
Gelöbnisse des Bodhisattva geben. Hier im wesentlichen, was das
einleitende Gedicht des Brahmajala-Sutra (skrt.) sagt:

Die Gelöbnisse bewahren bedeutet, Körper und Rede zu läutern und sich
den Geist der rechten Konzentration anzueignen. Viel zuhören erschafft die
wahre Weisheit. Aus diesem Grund sind die Gelöbnisse die tiefe Wurzel.

Die Gelöbnisse sind die Schatzkammer des wunderbaren Dharma und der
die Welt übersteigende Schatz. Sie sind der große Lastkahn oder die be-
scheidene Barke, mit denen man den Ozean des Lebens und des Todes
überquert.

Die Gelöbnisse sind der See der Reinheit und der Frische, der die bren-
nenden Schmerzen wäscht und badet. Sie sind das Schwert der Verwegen-
heit, das die verderblichen Gifte der Boshaftigkeit neutralisiert.

Die Gelöbnisse sind der letzte Begleiter am Ende, der hilft, die heim-
tückischen Fallen auf dem Weg zu überwinden. Sie sind das Tor zum wohl-
schmeckenden Nektar, woran alle Weisen sich frei vergnügen.

Die Gelöbnisse zu bewahren, bedeutet nicht, sich selbst zu verherrlichen,


sondern die Feinheit zu besitzen und die Gemeinheit zurückzuweisen. Die
Gelöbnisse nicht in einer Sichtweise gefangenzuhalten, bedeutet den Geist
des Irrtums zu vermeiden.
Dies wird die Reinheit und Klarheit der Gelöbnisse genannt, über die alle
Buddhas eine Lobrede halten. Indem man sie bewahrt, bleibt der Geist ohne
Reue und alle Wünsche werden vollkommen erfüllt.

Die Gelöbnisse sind die Wassergräben der Dharmafestung, die beim Auf-
stand der Illusionen den Zugang versperren. Sie sind ein starker und tapfe-
rer General, der die Armeen der Dämonen vernichtet.

Die Gelöbnisse sind das Kleinod der Freiheit, das den Menschen mit dem
unschätzbaren Schatz versieht. Sie sind die Höhen der Warte, von wo aus
man vergnügt in allen Samadhis spielt.

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Die Gelöbnisse zu bewahren bedeutet, die Erde zu ebnen, auf der sich die
Bleibe des Zen Samadhi erheben soll, und das Licht der grenzenlosen Weis-
heit erzeugen zu können und davon das strahlende Leuchten zu erhalten.
Die erhabene Macht der Samadhi Weisheit zu erlangen, die Myriaden
Handlungen in ihrer Fülle zu vollbringen, und den Weg des Buddha zu
vollenden, die Wurzel von alledem sind die Gelöbnisse.

Daher weiser Mensch, behüte die Gelöbnisse mit einem festen und
beständigen Geist. Höre auf, dein Leben zu vergeuden und gib acht, sie
nicht zu brechen.

Lege beide Handflächen zusammen und erweise dem Buddha Shakyamuni


und allen Meistern Ehrerbietung. Höre dem, was ich dir sagen werde, mit
ganzem Geist aufmerksam zu.

Trägst du auch nur das winzigst kleine Vergehen in dir, so muss dein Geist
darauf mit Schrecken und Furcht antworten. Wenn du einen Fehler begehst,
so bereue ihn aufrichtig und fasse den Entschluss, ihn nie mehr zu begehen.
Wird der Geist wie ein gallopierendes Pferd auf den schlechten Weg ge-
führt, wird er, wild gemacht, für immer unbezähmbar bleiben. Wenn du je-
doch nicht von den vom Buddha gegebenen Gelöbnissen abläßt, kannst du
die Zügel souverän unter Kontrolle halten.

Buddha selbst hat die Gelöbnisse gelehrt. Der tugendhafte Mensch kann da-
ran glauben und sie nehmen. Ein solcher Mensch besteigt ein folgsames
Pferd, und erkann die Armeen der Illusionen vernichten.

Der Mensch muss die Gelöbnisse achten und schützen, so wie die Kuh ih-
ren Schwanz sehr schätzt. Man muss seinen Geist verankern und ihn nicht
irreleiten, wie den Affen, der fest angekettet ist.

Ohne diese unabweisliche Lehre des Buddha anzunehmen und ohne die
Gelöbnisse zu schätzen und sich an ihnen zu freuen, kann man sein
Reitpferd nicht lenken und wird im Kampf von Leben und Tod scheitern.
Wer sich unablässig Tag und Nacht mit Sorgfalt bemüht, und sich inbrünstig
nach der ursprünglichen Weisheit sehnt, der befindet sich im Dharma des
Buddha und kann das ewige Leben der Lauterkeit und Klarheit erlangen.

______________________________

Die folgenden 10 grundlegenden und 48 geringeren, ergänzenden Gelübde


der Bodhisattvas wurden von Rev. H. Nearman aus dem Fan-wang-jing, der
chinesischen Textversion (von Kumârajîva) des Brahmajala-Sutra, ins

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 17
Englische übertragen und veröffentlicht in Buddhist Writings, Rev. H.
Nearman, Shasta Abbey Press, 1994/1998, Mt. Shasta, California, USA.
Die deutsche Übertragung, die Kommentare und die Interpretationen (insb.
der 48 geringeren, ergänzenden Gelübde) stammt von M.B. Schiekel (Ulm,
2002).

Einige Bemerkungen vorab mögen vielleicht hilfreich sein:

• Das, was hier als Richtlinien oder Gelübde wiedergegeben wird,


heißt im Sanskrit pratimoksha, 'das was losgelassen werden sollte',
und dies bezeichnet einfach unheilsames Verhalten.
Zugleich heißt pratimoksha aber auch 'das was befreit', denn ein
Leben nach diesen Übungs-Richtlinien ist eine unabdingbare Vor-
aussetzung auf dem Weg zur Befreiung und zum Frieden (nirvana).

• Generell liegt im Mahâyâna bei Richtlinien oder Gelübden die


Betonung auf unserer inneren Einstellung, und nicht etwa auf einer
rein formalen, buchstabengetreuen und vielleicht sogar sinnentleer-
ten Befolgung der Regeln. Aus dieser Betonung unserer geistigen
Einstellung im Umgang mit den Richtlinien folgt auch, daß die 48
geringeren, ergänzenden Gelübde eher den Charakter von Hand-
lungs-Beispielen eines Lebens auf dem Bodhisattva-Weg haben, und
nicht etwa als (womöglich vollständige) Kodifizierung eines 'erlaub-
ten' Verhaltens verstanden werden sollten.

• Die Formulierung 'eine schwerwiegende Verfehlung, die den


Ausschluß verdient', bezieht sich auf Laien ebenso wie auf Mönche
und Nonnen - sie alle verlieren in der Regel ihre Bodhisattva-
Ordination und Mönche und Nonnen werden darüberhinaus norma-
lerweise von ihrem Orden ausgeschlossen.
Da andererseits Mitgefühl einer der zentralen Punkte im Mahâyâna
ist, bleibt bei klarer Einsicht in fehlerhafte Handlungen, aufrichtigem
Bedauern und dem ehrlichen Vorsatz, diese Fehler in Zukunft unter
keinen Umständen zu wiederholen, die Tür offen für eine (ggf.
spätere) Erneuerung der Ordination.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 18
Die 10 grundlegenden Gelübde der Bodhisattvas

1. Nicht töten, sondern das Leben schützen.


Der Buddha (Vairochana) sagt:
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr selbst töten,
vorsätzlich jemand anderen zum Töten veranlassen, jemanden zum
Töten ermutigen, das Töten preisen, mit Freude dem Töten zusehen,
absichtlich jemandem den Tod wünschen, absichtlich einen Tod
verursachen, Gegenstände oder Hilfsmittel zum Töten zur Verfügung
stellen, ein Leben auslöschen, auch wenn dies vom Gesetz her
sanktinoniert ist, wenn ihr also auf irgendeine Weise am Töten
teilnehmt, so begeht ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den
Ausschluß verdient.
Bitte tötet niemals absichtlich irgendein lebendes Wesen.
Als Bodhisattvas erweckt in euch ein Herz voll unendlichem
Erbarmen, Mitgefühl, Respekt und Hilfsbereitschaft und benutzt die
euch zur Verfügung stehenden Rechten Hilfsmittel (upaya), um allen
fühlenden Wesen zu helfen und sie zu beschützen.
Wenn du daher aus einem egoistischen und rücksichtslosen Herzen
und also absichtlich und vorsätzlich ein Leben auslöschst, so bist du
ein Bodhisattva, der eine schwerwiegende Verfehlung begeht, die
den Ausschluß verdient.

2. Nicht stehlen, sondern Großzügigkeit üben.


Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr selbst stehlen,
vorsätzlich jemand anderen zum Stehlen veranlassen, jemanden zum
Stehlen ermutigen, an einem Diebstahl, einer Erpressung oder einem
Betrug teilnehmen oder einen solchen unterstützen, oder euch auf
irgendeine Weise an einem solchen Verhalten beteiligen, so begeht
ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.
Bitte nehmt nichts an euch, was Abwesenden gehört, oder was be-
reits von Dieben gestohlen wurde. Bitte nehmt nicht absichtlich ir-
gendetwas, das irgendjemand anderem gehört, und sei es nur eine
Nadel oder ein Grasblatt.
Als Bodhisattvas erweckt aus eurer Buddhanatur heraus ein Herz
voller Respekt, Hingabe, Barmherzigkeit und Wohlwollen. Helft
immer allen Wesen Glück und Freude zu entwickeln. Wenn du im
Gegensatz dazu Eigentum und Besitz von anderen stiehlst, so bist du
ein Bodhisattva, der eine schwerwiegende Verfehlung begeht, die
den Ausschluß verdient.

3. Kein Leid erzeugen in sexuellen Aktivitäten, sondern Aufrichtig-


keit, Liebe und Verständnis praktizieren. (Für Laien)

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 19
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr sexuellen Miß-
brauch begehen, vorsätzlich jemand anderen dazu bewegen, andere
dazu ermutigen, oder euch auf irgendeine Weise an einem solchen
Verhalten beteiligen, so begeht ihr eine schwerwiegende Verfehlung,
die den Ausschluß verdient.
Bitte begebt euch nicht willentlich und wissentlich in unheilsame
sexuelle Aktivitäten. Solltet ihr gierig und lüstern solch unheilsame
Aktivitäten mit einem Menschen, einem Tier, einem Deva, einem
Toten oder einem Geist ausüben, so begeht ihr eine schwerwiegende
Verfehlung, die den Ausschluß verdient.
Als Bodhisattvas kultiviert ein Herz voller Respekt und Hingabe, um
alle fühlenden Wesen zu retten, sie an das Andere Ufer zu geleiten
und um die Menschheit zu läutern.
Wenn du im Gegensatz dazu absichtlich jemanden zu sexuellem
Mißbrauch bewegst oder anstiftest - einschließlich deiner Mutter,
Tochter, Schwester, oder einer anderen engen Verwandten, oder gar
einem Tier - und auf eine zügellose Weise handelst, die deinen
Mangel an Wohlwollen und Mitgefühl offenbart, so bist du ein
Bodhisattva, der eine schwerwiegende Verfehlung begeht, die den
Ausschluß verdient.

Kommentar:
◦ dieses Gelübde richtet sich an Laien, da buddhistische Mönche
und Nonnen ja gemäß den Vinaya-Regeln auf jegliche Sexualität
verzichten;
◦ was hier mit den Begriffen 'sexueller Mißbrauch' oder
'unheilsame sexuelle Aktivitäten' übertragen wurde, heißt in den
alten buddhistischen Schriften oft 'zügellose Gier in Sinnes-
dingen'; gemeint sind Aktivitäten, die ein anderes Lebewesen zu
einem Objekt der Lust herabwürdigen, anstatt diesem Wesen mit
Aufrichtigkeit, Liebe und Verständnis zu begegnen).

4. Nicht lügen, sondern wahrhaftig und konstruktiv reden.


Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr im Widerspruch
zur Wahrheit reden, vorsätzlich andere zum Lügen bewegen, andere
zum Lügen oder zur Prahlerei ermutigen, oder euch auf irgendeine
Weise an Lügen oder Prahlereien beteiligen, solltet ihr vorgeben, et-
was gesehen zu haben, was ihr nicht gesehen habt, oder etwas nicht
gesehen zu haben, was ihr gesehen habt, oder solltet ihr durch ir-
gendein Zeichen eures Körpers oder eures Geist irgendetwas aus-
drücken, das im Widerspruch zur Wahrheit steht, so begeht ihr eine
schwerwiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient. Als Bodhi-
sattvas bemüht euch ständig um wahre Worte und wahre Sicht-
weisen, sowohl in euch selbst, als auch in allen fühlenden Wesen.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 20
Wenn du im Gegensatz dazu falsche Worte, falsche Gedanken, oder
falsche Handlungen in anderen aufwühlst, so bist du ein Bodhisattva,
der eine schwerwiegende Verfehlung begeht, die den Ausschluß ver-
dient.

5. Keine Rauschmittel (und Illusionen) in Verkehr bringen,


sondern sich um die Verbreitung von Weisheit bemühen.
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr selbst Rausch-
mittel in den Verkehr bringen, andere dazu ermutigen oder zwingen,
solchen Handel unterstützen, oder euch auf irgendeine Weise an
einem solchen Verhalten beteiligen, so begeht ihr eine schwerwie-
gende Verfehlung, die den Ausschluß verdient. Bitte bringt niemals
absichtlich irgendwelche Rauschmittel in den Verkehr, denn
tatsächlich führen Rauschmittel zu unangemessenen und beschmut-
zenden Handlungen.
Als Bodhisattvas erweckt das klare Licht der Weisheit in allen fühl-
enden Wesen. Wenn du im Gegensatz dazu in anderen den Geist der
Verdorbenheit ermutigst oder erweckst, so bist du ein Bodhisattva,
der eine schwerwiegende Verfehlung begeht, die den Ausschluß
verdient.

Kommentar:
◦ dies beinhaltet auch den 'Wein der Illusion', aber nicht den
legitimen medizinischen Gebrauch von Drogen;
◦ zum persönlichen Gebrauch von Rauschmitteln siehe das zweite
der 48 geringeren, ergänzenden Gelübde.

6. Nicht abschätzig über andere Buddhisten reden oder über ihr


evtl. anstößiges ethisches Verhalten klatschen, sondern Mitgefühl
entwickeln.
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr über die Hand-
lungen eines Bodhisattvas, seien es die eines Mönchs, einer Nonne
oder eines Laien, abschätzig reden oder euch diesbezüglich an bösem
Klatsch beteiligen, jemand anderen zu solchem Tun ermutigen, sol-
che Verleumdungen oder bösen Klatsch unterstützen, oder euch auf
irgendeine Weise an einem solchen Verhalten beteiligen, so begeht
ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.
Wenn ihr als Bodhisattvas einer boshaften Person begegnet, die kein
Buddhist ist oder ein Anhänger des Kleinen Fahrzeuges (hinayâna),
und wenn ihr hört, wie jene Person andere Menschen im Buddha-
dharma beschuldigt, nicht den Sutren oder dem Vinaya zu folgen, so
solltet ihr ein mitfühlendes Herz entwickeln, um jene Person zu
belehren, zu bekehren und in ihr das Vertrauen und die Tugenden des
Mahâyâna zu erwecken.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 21
Wenn du im Gegensatz dazu als ein Bodhisattva selbst bösen Klatsch
verbreitest und abschätzig über Handlungen von Menschen im
Buddhadharma redest, die im Gegensatz zu den Gelübden zu stehen
scheinen, so begehst du eine schwerwiegende Verfehlung, die den
Ausschluß verdient.

Kommentar:
◦ die Intention dieses Gelübdes ist es, unheilsame Sprache,
Disharmonie in der Sangha und den Verlust von Vertrauen in
Buddha, Dharma und Sangha zu vermeiden;
◦ keinesfalls sollte dieses Gelübde als Vorwand benutzt werden, um
destruktive Verhaltensweisen, wie sexuellen Mißbrauch,
Mißbrauch von Macht und Geld oder kriminelle Handlungen zu
ignorieren oder zuzudecken. Der Schaden und Vertrauensverlust
durch das Fortwirken solch unheilsamer Handlungen im Ver-
borgenen ist ja regelmäßig weitaus gravierender, als eine kurz-
fristige Irritation der Sangha beim Bemühen um Wahrhaftigkeit
und Reinigung;
◦ es ist also bei der Anwendung dieses Gelübdes stets auch das
Gelübde Nr. 4 "Nicht lügen, sondern wahrhaftig und konstruktiv
reden" zu berücksichtigen.

7. Nicht sich selbst erhöhen und andere herabsetzen, sondern Ge-


duld entwickeln bei Kritik und Feindseligkeiten durch andere.
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr euch selbst
rühmen und andere herabsetzen, jemand anderen zu solchem Han-
deln ermutigen, mithelfen andere abzuwerten oder zu verunglimpfen,
oder euch auf irgendeine Weise an einem solchen Verhalten beteili-
gen, so begeht ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den Aus-
schluß verdient.
Als Bodhisattvas nehmt stattdessen zum Wohl aller fühlenden Wesen
voller Geduld Beleidigungen und Kritik durch andere an; seht, was
schlecht ist an eurem eigenen Handeln und was gut ist am Handeln
der anderen.
Wenn du im Gegensatz dazu dich deiner eigenen Tugenden rühmst
und die guten Qualitäten anderer ignorierst, so daß jene Wesen letzt-
lich verunglimpft und herabgesetzt werden, so begeht du eine
schwerwiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.

8. Nicht geizig sein mit materiellen Mitteln oder mit dem Dharma,
sondern Großzügigkeit üben.
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr habgierig und
geizig sein, Habgier und Geiz bei anderen Menschen ermutigen oder
fördern, oder euch auf irgendeine Weise an einem solchen Verhalten

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 22
beteiligen, so begeht ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den
Ausschluß verdient.
Wenn ihr als Bodhisattvas einem armen und mittellosen Menschen
begegnet, der zum Betteln gezwungen ist, so findet bitte in Über-
einstimmung mit unseren spirituellen Vorfahren weise und ange-
messene Wege, um diesen Menschen mit dem zu versorgen, was er
oder sie benötigt.
Wenn du im Gegensatz dazu als ein Bodhisattva und aufgrund deines
Geizes und deiner Geringschätzung eines bedürftigen Menschen
nicht bereit bist, selbst eine kleine Münze, eine Nadel oder einen
Grashalm zu geben, so begehst du eine schwerwiegende Verfehlung,
die den Ausschluß verdient.
Auch wenn du nicht bereit bist, einem Menschen, der das Dharma
sucht, einen Satz einer Lehrrede (sutra), einen Vers, oder ein win-
ziges Stück des Dharma anzubieten, sondern stattdessen diese Person
schmähst, beleidigst oder beschimpfst, so begehst du eine schwer-
wiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.

9. Nicht Ärger und Hartherzigkeit kultivieren, sondern sich um


Mitgefühl, um Beilegung aller Konflikte und um Harmonie be-
mühen.
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr Ärger gegen
jemanden hegen, eine andere Person ermutigen, ihren Hass zu näh-
ren, absichtlich Ärger provozieren, oder euch auf irgendeine Weise
an einem solchen Verhalten beteiligen, so begeht ihr eine schwer-
wiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.
Als Bodhisattvas fördert bitte in allen Wesen die Wurzeln des Guten
und die Befriedung von Kontroversen und Streitigkeiten. Erweckt
beständig in euch ein mitfühlendes Herz, ebenso wie Respekt und
Hingabe.
Wenn du im Gegensatz dazu beginnst, irgendjemand anderen zu
schmähen, zu beleidigen oder zu beschimpfen, selbst wenn dies
wirklich ein äußerst boshafter Mensch sein sollte - oder schlimmer
noch, solltest du in deinem Ärger jemanden mit deiner Hand, einem
Stock oder einem Schwert schlagen, so begehst du eine schwer-
wiegende Verfehlung, die den Ausschluß verdient.
Auch wenn du deinen Ärger nicht losläßt, nachdem sich eine Person
bei dir entschuldigt und mit sanften Worten ihr Bedauern ausge-
drückt hat, so begehst du eine schwerwiegende Verfehlung, die den
Ausschluß verdient.

10.Nicht schlecht von den Drei Juwelen sprechen, sondern sich um


Verständnis, Vertrauen und Hingabe bemühen.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 23
Ihr Schüler und Schülerinnen des Buddha, solltet ihr schlecht von
den Drei Juwelen sprechen oder diese verleumden, andere dazu er-
mutigen, vorsätzlich solch niederträchtiger Rede zuhören oder euch
auf irgendeine Weise an einem solchen Verhalten beteiligen, so
begeht ihr eine schwerwiegende Verfehlung, die den Ausschluß
verdient.
Wenn Bodhisattvas hören, wie ein Nicht-Buddhist aus Unwissenheit,
oder irgendeine beliebige Person aus Bosheit, auch nur ein einziges
Wort gegen die Buddhas äußert, so schneidet dies in ihr Herz, als sei
es dreihundert Mal von einem Schwert durchbohrt worden.Wieviel
schlimmer ist es da, wenn du selbst, anstatt Vertrauen, Respekt und
Hingabe zu entwickeln, bösartige Worte aus deinem Mund kommen
läßt, oder dich gemein machst mit Menschen, die böse handeln oder
aus ihrer spirituell verdrehten Sichtweisen heraus boshaft reden.
Soch ein Bodhisattva begeht eine schwerwiegende Verfehlung, die
den Ausschluß verdient.

Ihr, die ihr euch in der günstigen Situation befindet, euch in den verschiedensten
Arten von Güte üben zu können, bitte folgt diesen zehn Gelübden und handelt
auch nicht auf die allergeringste Weise gegen ein einziges dieser Gelübde,
wodurch ihr auch alle anderen Gelübde aufgeben würdet!
Wenn ihr im Widerspruch zu diesen Gelübden handelt, so werdet ihr nicht in der
Lage sein, in euch den Erleuchtungsgeist (bodhicitta) zu kultivieren; ihr werdet
euren Rang als ein Weltenherrscher (cakravartin), als ein universeller spiritueller
Lehrer, der das Rad der Lehre (dharma) in Bewegung setzt, als ein Mönch oder
eine Nonne, verlieren. Ihr wandert hinweg von den Zehn Entscheidungen, den
Zehn Nährenden Geisteshaltungen, den Zehn Versprechen und den Zehn Stufen
der Bodhisattvas. In Kürze, ihr verliert die fortwährend wunderbaren Früchte
eurer Buddha-Natur und fallt mit der Wiedergeburt in die drei niedrigen
Daseinszustände, wo ihr für zwei bis drei Kalpas nicht in der Lage seid, die
Namen von Vater und Mutter zu hören, ganz zu schweigen von den Drei Juwelen
(Buddha, Dharma, Sangha).
Seid daher bitte sehr achtsam, nicht ein einziges Gelübde zu verletzen.
Übt und praktiziert die Zehn Gelübde, welche alle Bodhisattvas der Ver-
gangenheit, Gegenwart und Zukunft praktiziert haben, praktizieren und prak-
tizieren werden. Haltet mit einem respektvollen Herzen an diesen Gelübden fest,
da dann die achtzigtausend Formen eines ehrwürdigen Verhaltens im Gehen,
Stehen, Sitzen und Liegen strahlend in eurem Leben aufscheinen werden.
Der Buddha (Vairochana) sagte dann zu den Bodhisattvas: "Jetzt, nachdem die
Zehn Gelübde, die zur Befreiung führen, erklärt wurden, werde ich noch die
achtundvierzig geringeren, ergänzenden Gelübde darlegen."

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https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 24
Die 48 geringeren, ergänzenden Gelübde der Bodhisattvas

1. Nicht Stolz und Arroganz kultivieren, sondern Respekt und Dankbarkeit,


insbesondere unseren Lehrern, spirituellen Freunden und Gefährten gegen-
über.

2. Keine Rauschmittel benutzen oder weitergeben, sondern im weitesten


Sinne ´nüchtern´ bleiben.
(Ausnahme: ein angemessener Gebrauch von Drogen im medizinischen
Bereich).

3. Kein Fleisch essen - und zwar aus Mitgefühl mit den lebenden Wesen.
(Ausnahme: aus medizinischen Gründen, oder in Situationen, in denen
andere Nahrung nicht zur Verfügung steht).

4. Keine der fünf scharfen Wurzeln oder Gemüse essen.


(Der chinesische Text bezieht sich auf sehr spezielle scharfe indische Wur-
zeln - die Japaner übertragen diese für ihre Kultur als:
Knoblauch, Lauch, große Zwiebeln, Schalotte, Meerrettich).

5. Nicht versäumen, andere Menschen darin zu ermutigen, eine innere


Umkehr und Herzensöffnung zu vollziehen.

6. Nicht versäumen, jene Menschen zu unterstützen, die das Dharma leben


und lehren.

7. Nicht nachlässig sein in Bezug auf das Hören von Dharmavorträgen und
Meditationsanleitungen.

8. Nicht sich innerlich abwenden von den Bodhisattva-Schriften und Gelüb-


den.

9. Nicht die Pflege und Fürsorge für Kranke und Hilfsbedürftige ver-
nachlässigen. Unter den 8 Feldern des Verdienstes gilt in diesem Sutra die
Pflege von Kranken als die bedeutendste Handlung.
(Die 8 Felder des Verdienstes (puññakkhetta) sind es, einem Buddha, einem
Arahant, einem Dharma-Meister, einem Vinaya-Meister, einem Mönch /
einer Nonne, Vater, Mutter, einem kranken Menschen zu dienen.)

10. Keine Waffen tragen, sammeln oder besitzen.

11. Nicht als militärischer Berater oder Abgesandter dienen, oder sich gar in
Revolten verstricken.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 25
12. Nicht vom Leiden anderer Lebewesen profitieren, oder andere Men-
schen in solchem Tun unterstützen.
13. Nicht andere Menschen beschimpfen, verleumden oder in peinliche Si-
tuationen bringen.

14. Nicht aus Unachtsamkeit oder Feindseligkeit ein Feuer auslösen.

15. Keine Lehren darlegen, die mit dem Mitgefühl und der Weisheit des
Bodhisattva-Weges in Widerspruch stehen.

16. Nicht beim Lehren den Bodhisattva-Weg verkürzt darstellen, sondern


einerseits auf das hohe Ziel und die hohen Herausforderungen dieses Weges
und die Notwendigkeit einer völligen Hingabe an die Übung hinweisen und
andererseits beim Lehren die korrekte Folge des Stufenweges einhalten.

17. Nicht Macht, Position und Einfluß mißbrauchen.

18. Nicht das Dharma lehren oder Gelübde übertragen, ohne diese tief zu
verstehen.

19. Nicht aus Ärger oder Streitsucht heraus reden und kritisieren.

20.a. Keine Bemühungen unterlassen, um gefangenen Menschen oder Tie-


ren zur Freiheit zu verhelfen.
Betrachte alle Wesen voller Fürsorge als Deine Väter und Mütter!
20.b. Wenn enge Verwandte gestorben sind, so können wir sie unterstützen,
indem wir einen Dharma-Meister herbeirufen, der die Bodhisattva-Schriften
und Gelübde vorliest und erklärt.

21. Keine Vergeltung, Rache oder Gewalt ausüben.

22. Nicht aus Arroganz oder Stolz versäumen, um Dharma-Belehrungen


und die Übertragung der Gelübde zu bitten.

23.a. Nicht die Bodhisattva-Gelübde auf eine unpassende Weise aufneh-


men:
die Gelübde sollten vor einem Dharma-Meister abgelegt werden, und nur
wenn ein solcher in weitem Umkreis nicht verfügbar ist, können sie auch
vor einem Bild oder einer Statue des Buddha oder eines Bodhisattva in
einer speziellen Zeremonie abgelegt werden.
23.b. Nicht sich aufrichtigen Fragen zum Bodhisattva-Weg verschliessen.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 26
24. Nicht versäumen, sich voller Hingabe um die Einsicht und Verwirk-
lichung der Buddha-Natur zu bemühen, anstatt sich in weltlichen Dingen zu
verlieren.

25. Nicht die Sangha auf ungeeignete Weise, d.h. ohne Mitgefühl und
Weisheit leiten, so daß nicht Streit und Disharmonie entstehen und sich
ausbreiten, oder mit dem Eigentum der Sangha unachtsam umgegangen
wird.

26. Nicht versäumen, wandernde buddhistische Mönche, Nonnen und Pilger


zu unterstützen. Nicht einzelne Sangha-Mitglieder (z.B. die Wandermön-
che) von Gaben für die Gemeinschaft ausschliessen.

27. (Für klösterlich lebende Mönche und Nonnen)


Nicht Gaben und Einladungen individuell annehmen, wenn diese eigentlich
für die ganze klösterliche Sangha bestimmt sind.

28. Keine individuellen Einladungen an einzelne klösterlich lebende Mön-


che und Nonnen aussprechen, sondern die klösterliche Sangha um den Be-
such eines Mönches oder einer Nonne bitten.

29. Nicht auf ungeeignete Weise den Lebensunterhalt verdienen, z.B. durch
Prostitution, Verführung, Bestechung, Überredung, Druck, Wahrsagerei,
Magie, Falknerei, Giftmischerei.

30. Keinen schlechten Einfluß auf die Laien ausüben, z.B. indem unethi-
sches Verhalten mit Leerheit entschuldigt wird.

31. Nicht versäumen, Dinge, die den Drei Juwelen entwendet wurden, (z.B.
gestohlene Schriften, Bilder, Statuen, etc.) diesen wieder zuzuführen und al-
les zu versuchen, um in Unfreiheit oder Sklaverei lebende buddhistische
Praktizierende zu befreien - natürlich nur mit gewaltlosen und geeigneten
Mitteln im Einklang mit den buddhistischen Lehren.

32. Keine fühlenden Wesen verletzten - auch nicht auf indirekte Weisen,
wie z.B. durch Waffenhandel, Tierhaltung, Tierhandel, wirtschaftlichen Be-
trug und Machtmißbrauch.

33. Nicht in weltlichen Vergnügungen und Faszinationen verloren gehen,


z.B. sich nicht aktiv oder passiv an Wettkämpfen beteiligen.

34. Nicht vom Weg der Weisheit abirren, sondern achtsam Bodhicitta (den
Herz-Geist der Erleuchtung) und die Gelübde kultivieren.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 27
35. Nicht versäumen, ernsthafte Entschlüsse zum Praktizieren des Weges zu
fassen und durchzuführen.

36. Nicht die inneren Verpflichtungen vernachlässigen, die Bodhisattva-


Gelübde wirklich zu üben und einzuhalten.

37. (Für wandernde Mönche und Nonnen)


Nicht versäumen, auf Reisen die traditionellen Gebrauchsgegenstände der
Mönche und Nonnen mitzuführen und achtsam mit etwaigen Gefahren
umgehen (d.h. z.B. als gefährlich bekannte Wege und Situationen zu mei-
den).

38. Nicht versäumen, das buddhistische Prinzip der Seniorität angemessen


zu beachten.

39. Nicht versäumen, sich für das eigene Wohl und das Wohl der Anderen
zu engagieren, z.B. durch die Gründung und Unterstützung von Klöstern
und Meditationszentren, durch Rezitationen, Vorträge und Erklärungen der
Mâhâyana-Schriften, etc.

40. Keine persönlichen Diskriminierungen und Vorurteile beim Erteilen von


Ordinationen vornehmen.
Alle Lebewesen dürfen die Mâhâyana-Ordination empfangen - mit Aus-
nahme jener, die in diesem Leben eine der sieben verwerflichsten
Handlungen begangen haben.
(Die sieben verwerflichsten Handlungen sind:
das Blut eines Buddha vergießen, den eigenen Vater, die eigene Mutter, den
eigenen Dharma-Meister oder Vinaya-Meister oder einenArahant ermorden,
die Sangha böswillig spalten).

41. Keine Ordination leichtfertig oder um persönlicher Vorteile willen


geben, sondern der Reinigungspraxis der Anwärter und den notwendigen
Dharmabelehrungen große Achtsamkeit schenken.

42. Nicht die Bodhisattva-Gelübde unwilligen oder unbelehrbaren Men-


schen darlegen.

43. (Für Mönche und Nonnen)


Nicht einerseits Almosen und Gaben von Spendern annehmen und ande-
rerseits die Drei Juwelen verleumden.

44. Nicht den Sutren und Gelübden des Bodhisattva-Weges die Dankbarkeit
und den Respekt versagen, sondern diese Schriften erhalten, lesen, rezi-
tieren, verwirklichen und weitergeben.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 28
45. Nicht versäumen Bodhicitta (den Herz-Geist der Erleuchtung) zu kulti-
vieren, jene Geisteshaltung, die allen Wesen, denen wir begegnen, Mitge-
fühl und Verständnis entgegenbringt und bereit ist, ihnen zu helfen, ihre
Buddha-Natur zu entdecken und sich vom Leiden zu befreien.

46. Nicht das kostbare Dharma in einer respektlosen Umgebung oder auf
eine respektlose Weise (z.B. in Widerspruch zu den Gelübden) darlegen.
47. Keine Gesetze fördern oder erlassen, die die freie Ausübung des Dhar-
ma behindern.

48. Keine Handlungen begehen, die versuchen die befreienden Lehren der
Buddhas und den Bodhisattva-Weg herabzusetzen oder zu zerstören.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 29
Japanisches Kinderlied

Der folgende Textauszug ist entnommen dem Heft zum Gedenken an Taisen
Deshimaru Rôshi (1914-1982) mit dem Titel Bodhidharma, S. 4, zusam-
mengestellt von Dieter Bünker, Internationale Zen Assoziation, Paris, 1982.

Gerne würde ich


in einer kleinen strohgedeckten Einsiedelei leben,
gebaut im Schatten des Pinienwaldes im Flachland.
Lebe ich in diesem Haus,
wenn dann ein Kind krank ist im Osten,
werde ich es in meinen Armen wiegen.
Wenn eine Mutter im Westen müde ist,
werde ich ihr helfen
und ihr die Schultern massieren.
Wenn im Süden einer im Sterben liegt,
werde ich ihn bitten,
kein Aufheben darum zu machen
und keine Angst zu haben.
Aber wenn er stirbt,
werde ich mit tiefem Mitgefühl
um ihn und seine Familie weinen.
Wenn es im Norden einen Streit gibt,
werde ich ihn unterbinden
und sagen: Streitet Euch nicht,
denn das ist für Euch überhaupt nicht nützlich.
Selbst wenn andere mich kritisieren
und behandeln wie ein dummes Kind,
werde ich davon nicht traurig.
Selbst wenn andere mich als gutes Kind bewundern,
werde ich mich daran nicht ergözen.
So ein Kind, hoffe ich zu werden.

https://www.mb-schiekel.de/bodhi.pdf 30

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