Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 135

EINLEITUNG

Zitat
„Wer das Nibelungenlied aus seiner Zeit und aus der Seele seines Dichters
erklärt, der hat die Nibelungenfrage gelöst.“
Andreas Heusler1

In Diplomarbeit „Germanisches Heldenepos. Das Nibelungenlied - Analyse der


Hauptfiguren in den Schlüsselmomenten der Handlung.“ befasse ich mich mit dem
germanischen Epos des Mittelalters.
Zum Ziel meiner Diplomarbeit habe ich die Analyse der im Nibelungenlied
auftretenden Figuren aufgrund ihres Handelns gesetzt, sowie auch die Interpretation
und Motive ihres Handelns, die zu einem konsequenten Ende führten.
Die Interpretationen werden anhand des gelesenen Textes und Fragestellungen
durchgeführt und präsentiert.

Die Idee, mich mit dem Nibelungenlied zu befassen, entstand auf Grund meiner
Vorliebe in der Geschichte und Literatur. Die Einzigartigkeit der mittelalterlichen
Dichtung regte mich an, meine eigene Interpretation des Handels von Figuren zu
entwickeln und ihre Charaktere zu analysieren.

Da die Literaturgeschichte mit dem historischen Ursprung und der Entwicklung


eines Landes verbunden sind, wird in der Diplomarbeit u. a. auch die Geschichte der
deutschen Literatur, die mit der Entstehung des Nibelungenliedes im Zusammenhang
stehen, fokussiert.

Die vorgelegte Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. In dem ersten Kapitel befasse
ich mich kurz mit den Denkmälern der germanischen Zeit und knüpfe an das zweite
Kapitel, das die Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters darbietet. Es werden
hier die Erkenntnisse aus der Fachliteratur präsentiert, die auf die Entstehung des
Nibelungenliedes Einfluss hatten.

1
Badenhausen, R., 2005, S. 12

9
Das dritte Kapitel fokussiert das mittelalterliche Heldenepos, das als Grundlage
für die Figuren-Analyse präsentiert wird - „Das Nibelungenlied“. Als Bestandteile
dieses Kapitels werden sowohl die Entstehung, Sagenkreise (von denen der Verfasser
wahrscheinlich schöpfen konnte) und die erhaltenen Handschriften des Epos
dargeboten. Das Kapitel enthält sowohl die Beschreibung des Nibelungenliedes aus der
historischen Sicht, als auch Konzeption, Reimtechnik und Erzählersprache.
In dem Nibelungenlied spielen wichtige Rollen nicht nur die Protagonisten, die
ihren Ursprung in der germanischen Geschichte haben, sondern auch Symbole wie ein
Traum, ein Falke, ein Schwert, ein Hort und eine Tarnkappe. Aus diesem Grund wird
hier auch das Symbolische dargeboten. Als Ausgangspunkt für die Durchführung der
Figurenanalyse wird die Inhaltsangabe des Liedes vorgelegt.

Die Figuren im Nibelungenlied - Siegfried, Brünhild, Kriemhild, Gunter, Hagen


von Tronje und Etzel werden in dem vierten Kapitel der Arbeit vorgestellt und anhand
des vorliegenden Textes charakterisiert.

Das fünfte Kapitel enthält die Schlüsselmomente der Handlung einschließlich der
Analyse der Figuren aus der Erzähl- sowie auch Eigenperspektive. Die Charaktere der
Protagonisten und die Art ihres Handelns, sowie auch die Symbole, werden aufgrund
der ausgewählten Textpassagen (Aventiuren; Strophen) des Liedes analysiert und
interpretiert. Analysiert werden auch die Beziehungen zwischen den Figuren und
Zusammenhänge bis zu den konsequenten Folgen.

Die Diplomarbeit wird durch Zusammenfassung und Resümee, sowie auch durch
Quellenverzeichnis, Glossar und Textproben im Mittelhochdeutschen ergänzt.

10
I. DENKMÄLER DER GERMANISCHEN ZEIT

In folgenden Abschnitten wird ein Überblick der deutschen Literaturgeschichte


fokussiert, da sie nicht nur mit dem historischen Ursprung und der Entwicklung eines
Landes verbunden sind, sondern auch mit der Entstehung des Nibelungenliedes im
Zusammenhang stehen. Es werden hier die Erkenntnisse aus der Fachliteratur
präsentiert, die auf die Entstehung des Nibelungenliedes Einfluss hatten.

Die Geschichte der deutschen Literatur reichen in die germanische Zeit zurück.
Die Germanenstämme, die eine der bedeutendsten Rolle zur Zeit der Völkerwanderung
in der spätantike Welt spielten, besaßen eine eigene Literatur, die zunächst in der Form
der Versen und Sprüchen mündlich verbreitet und erst viele Jahre später aufgeschrieben
wurde. Die meisten Werke waren leider im Laufe der Zeit verloren gegangen.
Die Völkerwanderung im 4. Jahrhundert, die Züge der germanischen Stämme,
Entstehung der Klassengesellschaft und die ständige Machtbestrebungen des
Römischen Reiches verursachten, dass sich die reiche germanische Dichtung entwickeln
könnte.

Die deutsche Literatur bzw. die deutschsprachige Literatur gehört in den breiteren
Bereich der westeuropäischen Kultur, die auch als „Abendländische Kultur“ genannt
wird. Die Wurzeln dieser Kultur befinden sich in der griechisch-römischen und jüdisch-
christlichen Kultur. Der Einfluss dieser Kulturen ist bis heute ersichtlich.
Die Existenz der verbalen Kunst aus der germanischen Zeit beweisen nur Quellen,
da keine literarische Denkmäler erhalten wurden. Als Quellen werden die Zeugnisse wie
römische („Germania“ von Tacitus) oder spätere Werke betrachtet. In der germanischen
Zeit wurden häufig Sprichwörter, Rätsel, Zaubersprüche und Heldenlieder entwickelt.2

Die ersten germanischen Textzeugnisse stammen aus der Zeit der Überlieferung
aus. Es handelt sich um die volkssprachigen Dialektdenkmäler.
Die frühesten Texte weisen auf die heidnisch-germanischer Religiosität auf. Die
feierlich gesprochenen und gesungenen Worte waren als Begleiter der magischen

2
Vgl. Kovaříková, A., 1993, S. 10

11
Rituale betrachtet, bei denen um Gottesschutz gebeten wurde. Zu dieser Gruppe wurden
auch die Opferverse, Zauberformeln und Orakelsprüche gezählt.
Die bekanntesten Zeugnisse, die aus der heidnisch-germanischer Zeit stammen,
sind die Merseburger Zaubersprüche, die in der althochdeutschen Sprache erst im 10.
Jahrhundert (vor dem Jahr 750) im Kloster Fulda niedergeschrieben wurden. Die
Merseburger Zaubersprüche bzw. zwei Zauberformeln nehmen Bezug auf die
vorchristliche germanische Mythologie.3

Das magisch-natürliche Bewusstsein der germanischen Stämme wurde durch die


Völkerwanderung geändert. Die Entstehung von mehreren Sagenkreisen war eigentlich
eine neue Folge der hundert Jahre lang andauernden Stammeskämpfe.

Zu den bekanntesten Sagenkreisen, die während der Völkerwanderung entstanden


sind, zählen außer der Ältere Edda (Lieder-Edda - entstanden auf Island; präsentiert
wurden die beliebten Helden - Goten und Franken) sowie auch die Sagen: ostgotische
Sagen wie die Dietrichsage, die Hildebrandsage und Das Lied von der Rabeschlacht,
die alemannischen Sagen - Walther und Hildegund, die westgotischen Sagen -
Hunnenschlachtsage, die nordgermanischen Sagen wie Sagen von Beowulf, Wieland
der Schmied, Hilde und Gudrun, und die burgundischen Sagen mit dem alten
Sigurdlied, dem alten Atlilied und der Sage von den Nibelungen.4

Das Heldenepos aus der Zeit der Klosterkultur bewahrt eine südgermanische
Sage. Die Grundlage für die Sagenstoffe, die ergeben das 4. - 8. Jahrhundert als
Blütezeit der Heldenlieder, bildeten die geschichtlichen Ereignisse wie z. B. die Kämpfe
des Theoderichs des Großen für die Dietrichsagen, der Untergang des Burgundenreiches
für den burgundisch-fränkischen Nibelungenstoff.5

Zu den abgefassten Werken, die für die weiteren schöpferischen Aktivitäten von
Bedeutung sind, gehören folgende Werke.

3
Vgl. Beutin, W. u. a., 2008, S. 9
4
Vgl. Beutin, W., u. a., 2008, S. 9
5
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 2. „Die metrische Form des agermanischen Verses war
der Stabreim. Die rhythmisch hervorgehobenen Silben der Langzeile wurden durch Gleichklang
des Anlautes (Alliteration) miteinander verbunden.“ (Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 2)

12
Hildebrandslied aus dem Jahr 820 schildert den Kampf zwischen dem Vater und
dem Sohn, der für den wieder gefundenen Sohn tragisch endet.
Das Epos Beowulf, die südgermanische Sage des 6. Jahrhunderts (geschrieben um
700 in angelsächsischen Stabreimen), schildert den Kampf zwischen Beowulf und
Grendel; die Wert wird auf Ehre, Mut und Tapferkeit gelegt.
Ein drastischer Kampf des Propheten Elias mit dem Antichrist um die Seele des
verstorbenen Menschen bis zum Weltuntergang erzählt das Muspilli (um 880; einzige
erhaltene umfangreiche althochdeutsche Stabreimdichtung). Heliand (um 830), das
altsächsische Großepos, beinhaltet poetische Darstellung des Lebens Jesu Christi in der
Form der Evangelienharmonie.6

Das Nibelungenlied ist eine der bedeutendsten Dichtungen der germanischen


Literatur des 12.-13. Jahrhundert. Die Gestaltung des Liedes, das die Grundlage der
Heldenepik darstellt, ist bis heutiger Zeit immer noch von Laien und von
Wissenschaftler als faszinierend betrachtet, da sie eine ungewöhnliche Wirkung hat.
Das ganze Nibelungenthema und der Stoff geht auch in der Gegenwart seine
Attraktivität nach. Das Nibelungenlied gehört zu den Dichtungen, die in Deutschland im
späteren Mittelalter am meisten abgeschrieben wurde.

6
Vgl. Kovaříková, A., 1993, S. 11

13
II. DEUTSCHE LITERATUR IM MITTELALTER

Der Begriff Mittelalter bezeichnet die Epoche zwischen dem Ende der Antike und
dem Beginn der Neuzeit (ca. 6. bis 15. Jahrhundert) und zeichnet sich durch eine
massenhafte Zunahme der handschriftlichen Textüberlieferung aus. Diese Epoche wird
als Blütezeit der deutschen Dichtung bezeichnet.
Im Laufe dieser Zeit hat u. a. das Nibelungenlied entstanden. Aus diesem Grund
wird die Epoche in diesem Kapitel näher präsentiert, um die Entwicklung des
literarischen Schaffens, das mit der Entstehung des Nibelungenliedes zusammen hängt,
zu fokussieren.

Die Zeit des Mittelalters hat einen wesentlichen Einfluss auch auf die deutsche
mittelalterliche Entwicklung in der „neuen“ Welt gehabt. Es werden drei Epochen
bzw. Phasen unterschieden: die - früh-, hoch- und spätmittelalterliche Phase, die für
die Forschung der Geschichte von Bedeutung sind. Durch diese Phasen werden Wege in
das gesellschaftliche Geschehen gesucht, um das Leben, die menschlichen
Bestrebungen, Gedanken und schöpferische Tätigkeiten in der Literatur zu erhellen. Die
Phasen der Literaturgeschichte werden in dem Kapitel in der chronologischen Ordnung
präsentiert.

2.1 Frühmittelalterliche Literatur 750-1170

Die Anfänge der deutsch geschriebenen Literatur werden gewöhnlich nach den
politisch-kulturellen zeitgemäßen Ereignissen bezeichnet oder sie werden sich in der
Betätigung Karls des Großen (768-814) befunden. Deshalb wird von der
karolingischen Literatur gesprochen.

2.1.1 Karolinger Phase

Der Urbeginn der ersten geschriebenen Vermerke fällt in die Zeit der Regierung
Pippins III. und zu Beginn der Regierung Karls des Großen bis zu seinem Ende und
zum Anfang der sog. Lücke in der deutschen Literaturgeschichte, bis zum Aussterben
der Dynastie.

14
Im Zusammenhang mit der deutschen Literatur dieser Zeit werden die
Bestrebungen Karls des Großen in der Unterstützung der Bildung gefunden,
verbunden mit den Missionsaktivitäten der fränkischen Kirche und unter der Bewirkung
des Mönches Alkuin (um 776-856). Selbst Karl der Große regte das Bildungsprogramm
in den Klostern an und seine Nachfolger entfalteten es weiter.
Die karolingische Literatur, sowie auch die Literatur in der Nationalsprache
entwickelten sich auf dem Hintergrund der Koexistenz der mündlichen und
schriftlichen Tradition, der Nationalsprache und der hochlateinischen Sprache.
Die mündliche Überlieferung eines bestimmten Epos, vor allem der langen Epen
spielte sich in der Zeit vor der schriftlichen Verzeichnung nur auf Grund des
Gedächtnisses ab. In den erhaltenen epischen Texten aus der Zeit des Mittelalters
können die gemeinsamen stilistischen und kompositorischen Merkmale gefunden
werden, deren Funktion durch die mündliche Überlieferung erklärt werden kann. Diese
Merkmale zeugen davon, dass die epischen Stoffe, wie z. B. die Nibelungen, Gudrun,
Hildebrand, vor und nach der schriftlichen Verzeichnung parallel Überliefert worden
waren.

Zu den ersten und ältesten erhaltenen Denkmäler der karolingischen Zeit


gehören die Runeninschriften, die den religiösen Zwecken dienten, sowie auch die
Bibelverarbeitungen.
Seit dem 5. Jahrhundert wurden nicht nur in dem fränkischen Reich, sondern auch
im germanischen Raum die Werke im Latein (in der Sprache der Gebildeten)
geschrieben. Das erste schriftliche Denkmal der deutschen Sprache stellt das
lateinische Glossar Abrogans des Bischofs Arbeus aus Freising dar, das in 764-769
(noch unter der Regierung Pippin III.) ins Deutsche übersetzt wurde.7

Die Glossare, die Taufzusagen (sächsische und rhein-fränkische), der St. Gallener
Paternoster und das Kredo (Credo), Weißenburger Katechismus, Gebete, Glossen zu
Psalmen, Predikten, Ermahnung dem christlichen Volk (Exhortatio ad plebem
christianam), sowie auch bereits erwähntes Abrogans und Übersetzungen ins Deutsche -

7
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 17-29

15
alles Werke, die für die direkte Konsequenz der Karls Ermahnung sog. Admonitio
generalis vom 23. März 789 von Bedeutung sind.8

Unter der Regierung Karls des Großen (768-814) hat die Kirche an Bedeutung
gewonnen, zur Umerzieherin der germanischen Stämme wurde und die Sprache,
Formen und Stoffe der Dichtung bestimmte. Nach der Eingliederung in die römische
Kirche, der Übernahme spätantiker Bildung und der Lateinschrift wurden die
germanischen Stämme „literarisch“ produktiv.
Nach der Unterwerfung der Völker bemühte sich Karl der Große sie auf der Basis
antik-christlicher Bildung umzuformen, verlangte jedoch nicht, dass die Völker ihre
heimische Kultur im Ganzen aufgeben. Die Bildungsabsichten Karls des Großen
realisierte die geistliche Elite, z. B. der Angelsachse Alkuin, der Langobarde Petrus von
Pisa u. a. und das Zentrum der gelehrten Bildung wurde der Hof mit der Gründung von
Bibliotheken, Lektüre antiker Schriftsteller, Pflege der lateinischen Poesie.9

Die zentrale Rolle haben bei Karls Kulturmission die Klöster gespielt. Ihre
Aufgabe umfasste nicht nur die Verbreitung und Unterweisung des christlichen
Glaubens, sondern auch die Vermittlung des Lesens und Schreibens.10

Für das 8. Jahrhundert ist die erste glossarische Tätigkeit (Glossen, Glossare und
Interlinearübersetzung) typisch, die als antikes Erbe durch Übernahme von
Langobarden in Italien entstand. Anschließend entstand die Gebrauchsliteratur wie
katechetische Stücke (Weißenburger Katechismus) und Gebete. Im Allgemeinen
handelte es sich (bei den Glossaren) um religiöse Texte, Gebete oder Schilderungen
des Lebens Christi - die sog. Evangelienharmonien u. a. (Tatian, Heliand, Otfrieds
Evangelienbuch).

8
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 29
Admonitio generalis stellte eine Verordnung dar, die die Priester verpflichtete, die Jungenschulen zu
gründen, Psalme, die heiligen Bücher und Texte ins Deutsche zu übersetzen, damit viele Leute ihre
Gebete zum Gott verrichten wollen und durch die Nationalsprache den Inhalt der Gebete vermögen zu
verstehen (Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005: 29)
9
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 4-5
10
Die Dichtungsauffassung ordnete sich dem System „Sieben freien Künste“ unter und stellte
ein Bestandteil der Rhetorischen Ausbildung dar. (Vgl. Beutin, W., 2008, S. 12-14)

16
Den religiösen Werken entgegen standen Heldenepen wie Hildebrandslied, in
dem ein Kampf des Vaters mit seinem Sohn geschildert wurde. Das Heidentum als
vorchristliche Zeit mit zahlreichen Ritualen wurde z. B. durch Merseburger
Zaubersprüche und damit verbundene Gebete, wie Wessobrunner Gebet (bestehend
aus neun stabreimenden Langzeilen, das die Erde vor Erschaffung der Welt und die
Existenz Gottes schildert) dargestellt.

Zur Zeit Karls des Großen entwickelten sich Klöster Reichenau, St. Gallen, Fulda
(unter Einfluss von Rhein, Ostfranken, Alemannen und Bayern). Später, im 11.
Jahrhundert war es der alemannische Raum mit Kloster Hirsau. Im Südosten wurden
biblische Stoffe bearbeitet, wie Wiener Genesis, Wiener Exodus u. a.
Im rheinischen Raum befassten sich die Pflegestätte mit der Legendendichtung
und dem von Frankreich vorhöfischen Epos. Karls Verdienst auf dem Gebiet der
Literatur ist Schaffung einer deutschen Prosa.11

Nach dem Tod Karls wurden seine Bestrebungen vergessen. „Das mühsam
Errungene der ersten Anfänge versank ganz in Vergessenheit; den unter der Herrschaft
der Ottonen musste das deutsche als Literatursprache erneut dem Lateinischen
weichen.“12

2.1.2 Ottonische, salische und frühe staufische Zeit

Die ersten einhundertfünfzig Jahre der sächsisch-salischen Periode in der


Literaturgeschichte werden als „Lücke“ genannt. Aus dieser Zeit blieb keine Literatur,
die in der nationalen Sprache niedergeschrieben wurde, erhalten - außer der Gedichte
De Heinrico und Kleriker und die Nonne. Die Nationalsprache wurde bis dahin vor
allem bei Predikten benutzt.
Im Laufe des 9. Jahrhunderts nahm der Bedarf an althochdeutscher Literatur, die
zur Christianisierung bestimmt wurde, ab. Bevorzugt wurde die lateinische Sprache.
Die geschaffenen Werke fokussierten sich vor allem auf das gebildete Publikum. Als
Beispiel kann das lateinische Epos Waltharius von Ekkehard erwähnt werden.

11
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 2-9
12
Vgl. Wener, Hans-Georg und Koll., S. 12

17
„Im Zeitraum von dem 9. bis zum 11. Jahrhundert wurde die deutsche Sprache
vor allem in dem mündlichem Kontakt benutzt.“13

Die Abgrenzung dieser literarischen Epochen können nicht genau, sondern nur
relativ bestimmt werden. Das 11. Jahrhundert bedeutet eine gewisse Grenze und Wende
von zwei Zeitaltern. Später, um 1600 setzte eine kontinuierliche Dichtung deutscher
Sprache ein und die deutschsprachige Überlieferung wurde fast völlig verstummt. Der
Niedergang der karolingischen Errungenschaften im Feld einer volkssprachlichen
Kultur bleibt schwer verständlich, aber gleichzeitig beginnt eine neue geistliche
Literatur deutscher Sprache in verschiedenen Bereichen.
Es veränderte sich die Sprachgestalt, so wird von Frühmittelhochdeutsch
gesprochen. Die charakteristischen Merkmale wurden die fortschreitenden und
schließlich vollendeten Abschwächungen der vollen Endsilbenvokale.

Die Epoche des 12. Jahrhunderts kann auch als Zeit der Salier bezeichnet
werden. Die literarischen Denkmäler erschienen jedoch erst unter dem dritten Salier,
Heinrich IV. Dieser Epochenstil reicht bis in die Zeit Barbarossas, besonders im
welfischen Bereich. Die salische Dynastie bringt den neuen Geist und die neue Lage
(charakterisiert durch die endgültige Lösung der abendländischen Kirche von Byzanz),
wie sie in der deutschen Literatur fassbar ist. Seit der Zeit wird von dem eigentlichen
Mittelalter gesprochen.14

Vom Anfang des zehnten Jahrhunderts wurden zwei klösterliche


Reformrichtungen zur Geltung gebracht. Aus der Benediktinerabtei in Cluny (gegründet
in 910, Burgund) verbreitete sich die sog. Cluny-Reformbewegung in ganz
Westeuropa, die von wesentlicher Bedeutung in der Literaturgeschichte wurde.

Am Ende des 11. Jahrhunderts erweckte sich die nationale Literatur wieder zum
Leben. Die Literatur, die direkt mit dem Investiturstreit (1076-1122) im Zusammenhang
stand, wurde in lateinischer Sprache geschrieben. Durch die unterstützende Strategie
erstrebte die Kirche, die Gläubigen an ihre Seite zu gewinnen. Zu diesen Zwecken
machte sie sich die Angst der Gläubigen vor dem Tod und vor der Hölle zu Nutze.

13
Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 47-47
14
Vgl. Wehrli, M., 1980, S.117-118

18
Zu den geistlichen Werken dieser Zeit werden z. B. ein ostfränkischer Text aus
dem Bamberger Manuskript Himmel und Hölle (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts) und
das Gedicht Memento mori gezählt.
Die Handschrift, in der das Gedicht Memento mori erhalten wurde, beinhaltet
auch die sog. Straßburger Version Ezzolied (das Lied schildert die Feier der
Erschaffung von der Adams Sünde bis zur Auferstehung Christi).

Bemerkenswert wird auch das fragmentarisch erhaltene Annolied (um 1100)


betrachtet, in dem die erste Erwähnung von der mündlichen Volksliteratur in der
Nationalsprache und ihrer Thematik gefunden werden kann.15

2.2 Hochmittelalterliche Phase 1170 - 1250

Mit der Herrschaftsübernahme der Staufer (1125) hat die Zeit des
Hochmittelalters begonnen. Die damalige Gesellschaft erlebte einen umfassenden
Wandel in fast allen Lebensbereichen. Die Veränderungen brachten eine gewisse
Entspannung den Menschen, die bisher von der Kirche stark beeinflusst wurden. Die
gestiegene Anzahl der Menschen resultierte Verbesserung und Aufschwung der
landwirtschaftlichen Produktion, Handwerk- und Handel-Entwicklung. Die Kirche
errichtete eine geordnete Hierarchie, deren Oberhaupt ein Papst war. Die Präferenz der
kirchlichen Literatur wurde durch die neu entstandene sog. höfische Literatur
abgeschwächt.

Unter die meist bearbeiteten Themen gehörte die höfische Art des Lebens und
Liebe, wobei die kirchlichen Konventionen auch in dieser literarischen Form vorkamen.
Die meist geschaffenen Werke wurden sowohl als Minnelieder als auch die Hof- und
Heldenepen vorgetragen.16

15
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 53-60
16
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 64-66

19
2.2.1 Staufer Phase

Die staufische Literaturepoche ist mit der Regierungszeit Kaisers Friedrich


Barbarossa verbunden. „Zum Zeitpunkt der Thronbesteigung stand die Literatur noch
unter lateinisch-geistlicher Vorherrschaft, und selbst der frühhöfische Versroman war
noch fest in der Hand der katholischen Geistlichen.“17

Die wichtigste Epoche der mittelalterlichen deutschen Literatur bilden die


Jahre von 1170 bis 1250, da sich in der höfischen Gesellschaft nicht nur eine fränkisch-
alemannische Verkehrssprache, sondern auch eine Literatursprache entwickelte; sie
brach die bedeutendste Position der lateinischen Sprache. Die deutsche Sprache wurde
in ihren dialektalen Abwandlungen zu einer Literatursprache von Rang.18
Die Kirche wollte ihre Position in der Gesellschaft nicht aufgeben, sondern sie
aufrechtzuerhalten. Sie führte u. a. zahlreiche Kreuzzüge gegen die Ungläubigen in den
islamischen Ländern im Osten. Als ein anderes Mittel zur Machtbestätigung wurde die
Literatur genutzt. Zur kirchlichen Präsentation diente z. B. das dreiteilige Annolied (um
1100) als zweckgebundene Propaganda. In 1122 wurde der Investiturstreit durch
Wormser Konkordat beendet. Die Kirche erreichte die Bestätigung ihrer Position.19

Während der staufischen Epoche bleibt das Schreiben und Lesen nicht mehr dem
Klerus untergeordnet und die Herrschaftsinteressen werden als Feudal- und
Machtstrukturen in der literarischen Texte der vorklassischen Periode angewendet, z. B.
in den Werken wie Die Kaiserchronik, Rolandslied, Eneit, König Rother.

Um die Lyrik des Mittelalters zu überschauen, werden in der Dichtung vier


Gruppen - die religiöse und geistliche, volksliedhafte Dichtung und die ritterliche
Lyrik unterschieden. Die ritterliche Dichtung besteht vor allem aus einer großen
Gruppe - dem Minnesang.20

17
Beutin, W., 2008, S. 22
18
Vgl. Beutin, W., 2008, S. 23
19
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 61-67
Annolied: Die Benennung bezieht sich auf Anno II., Erzbischof von Köln, der sich in der Politik der
Kirche engagierte. Das idealisierende Werk Annolied (Vorgänger der Kaiserchronik) entstand auf den
Anlass seiner geplanten Heiligsprechung, die in 1183 tatsächlich stattgefunden war. (Vgl. Bahr, E./
Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 61-67)
20
Vgl. Wehrli, M., 1980, S. 240 - 349

20
2.2.2 Frühformen des höfischen Epos

Ein Durchbruch in der Dichtung ist erst mit Heinrich von Veldeke und seiner
Gattung Aeneis (Eneit) gekommen und eine neue ritterlich-höfische Dichtung
gebracht, die am antiken Vorbild des dynastischen Ahnvaters Aeneas entstand.21
Die Literatur der staufischen Epoche kann also auch als adelige
Standesdichtung bezeichnet werden. Gegenüber den o. g. Werken steht die klassische
Epik der Gestalter wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried
von Straßburg, die die Wertstrukturen verurteilt und ironisiert. 22

„Die tonangebenden Dichtungsformen sind seit dem das ritterliche Epos und die
Minnelyrik; die religiöse Dichtung tritt in ihrer Bedeutung zurück.“23

2.2.2.1 Ritterdichtung

In der staufischen Literatur wird die Bezeichnung Ritter beliebig verwendet und
mit jeder dichterischen Geschichte neu definiert und unkonventionell dargestellt, um
das Publikum (die adelige Oberschicht) zu überraschen. In der Lyrik des Mittelalters,
die auch Standeslyrik bezeichnet wir, treten drei dichtende Stände hervor - der
Geistliche, der Spielmann und der Ritter.24

In den ritterlichen Epen werden zahlreiche ritterlichen Tugenden verherrlicht,


wie maßvolles Leben, Zurückhaltung, Erziehung nach festen Regeln, ritterliches
Ansehen, Würde, Treue, seelische Hochstimmung, Freigiebigkeit, Beständigkeit,
Festigkeit, Freundlichkeit und Tapferkeit.
In dieser literarischen Epoche kämpften die Helden gegen die gelehrten
gesellschaftlichen Konventionen, um ihrem gegebenes Schicksal entgegen zu kommen
und es schließlich zu erfüllen. Sie unternahmen deswegen einen langen Weg, wie in den
Werken von Hartmann von Aue oder Wolfram von Eschenbach geschildert wird.

21
Vgl. Beutin, W., 2008, S. 22
22
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 66-121
Die Ritter, die in ihren Werken erscheinen, werden als dauernd suchende Individuen präsentiert, die
jederzeit und überall einen Feind begegnen können und die sich mit der Konventionen der
menschlichen Gesellschaft überwinden müssen.
23
Beutin, W., 2008, S. 23
24
Vgl. Beutin, W., 2008, S. 24

21
In den neu entstandenen Werken veränderte sich auch die Zeit. Im Vergleich zur
Bibel, wo die vergangenen Ereignisse reflektiert wurden, wird diese neue Literatur
stärker an der Gegenwart orientiert und durch das höfische Leben und die Kreuzzüge
präsentiert.
In dem Werk Hartmann von Aue - Erec25 (es handelt sich der erste deutsche
Artusroman; 1180-1185) verläuft die Handlung zunächst nach dem von Chrétien de
Troyes26 vorgezeichneten Aventiure-Schema. Die Liebesgeschichte behandelt die
Maßlosigkeit der Minne, es werden dort die ästhetischen Mittel des frühhöfischen
Versromans präsentiert und wird auch die Thematik der ideale Artus-Welt
geschildert.
Das weitere Hartmanns Werk scheint als direktes Gegenstück Irwein (entstanden
nach 1200) abgefasst zu sein. In diesem Werk wird eine Kette von Abenteuer d. h.
aventiure geschildert, in der viele Kämpfe beschrieben werden. Schließlich wird der
Kampf nicht entschieden, Irweins Ritterehre ist wieder gestellt und Irwein wird in die
Tafelrunde Königs Artus aufgenommen. Dieses Versepos Hartmanns von Aue ist das
letzte und das formvollendetste.
Der nächste Verfasser der ritterlichen Thematik, Wolfram von Eschenbach fußt
mit seinem Versepos Parzifal auch auf Chrétien de Troyes, dessen Parceval (in 1185)
als Fragment geblieben ist. In diesem Versepos schildert Wolfram den
Entwicklungsgang des ahnungslosen Knaben zum Artusritter - die Leitmotive sind
Artuskreis und Gralssage.27

Das latente religiöse Thema in der Artusdichtung wird von Hartmann mit einer
abenteuerlichen Kombination weltlich-ritterlicher und geistlich-legendarischer
Erzählform in zwei Artusromanen Gregorius und Armer Heinrich herausgestellt.
Im Gegenteil zum Wolfram hat Gottfried von Straßburg nur ein einziges Epos,
Tristan und Isolde hinterlassen. Dieses Epos entstand um 1200 und blieb unvollendet.
Seinem Werk diente eine anglo-normanische Vorlage des Romans von Thomas von
Britanje.

25
Vgl. Wehrli, M., 1980, S. 282-287
26
Chrétien de Troyes, französischer Dichter, Gründer des europäischen Romans, zusammen mit
François Villon bedeutungsvoller Autor des Mittelalters. (Vgl. http://www.la-litterature.com, Letzte
Abfrage am 4.7.2012)
27
Vgl. Beutin, W., 2008, S. 27-28

22
Von einem unbekannten Autor Der von Kürenberg stammt das Werk die
Großen Heidelberger Liederhandschrift mit fünfzehn unverwechselbar
zusammengehörigen und eigenartigen Strophen, das den Typ der vorhöfischen Lyrik
repräsentiert (die Datierung um 1200 ist sehr unsicher).28

Das nächste Werk - Falkenlied (von Kürenber) ist ein der ältesten erhaltenen
Beispielen des deutschen Minnensangs; es geht aus der Metaphorik der Falknerei aus
und kann als ein Bestandteil einer rituellen Funktion der Dichtung aufgefasst werden.
Diese Falken-Metaphorik mit ihrer erotischen Spannung, die durch die
Freiheit auf einer Seite und die Zähmung auf der anderen Seite präsentiert wurde, wird
auch z. B. in dem Nibelungenlied (im Traum Kriemhilds) gefunden.29

2.2.2.2 Die Kreuzzugslieder

Für eine besondere Form der ritterlichen Lyrik werden die Kreuzzugslieder
gehalten. Im Gegensatz zu den altfranzösischen, provenzalischen und lateinischen, sind
die ersten deutschen Kreuzzugslieder aus der Zeit unmittelbar vor dem dritten Kreuzzug
(unter Kaiser Friedrich Barbarossa, 1189 - 1192) überliefert.
Es wird hierbei von den Vorformen der Kreuzdeutung in geistlichen Liedern und
Pilgerliedern abgesehen, die Lieder sind von Hoffnung und Trauer in den
Rittergedanken geprägt. In der Epik sind die Anfänge schon früher, um die
Jahrhundertmitte greifbar, z. B. in der Kaiserchronik, im Rolandslied, im Graf
Rudolf, Herzog Ernst, König Rother etc.30

Die Kreuzzugslieder präsentieren in der Motivierung und in der Darstellung der


Kreuzzüge das christliche Ritterideal, das die Kreuzzüge darstellen, z. B. Walthers
Elegie (als eine Form der Kreuzzugspropaganda), Berichten aus dem Heiligen Land
(Neidhart) und Kritik der Kreuzzüge (Freidank).31

28
Vgl. Wehrli, M., 1980, S. 262-335
29
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 94-95
30
Vgl. Böhmer M., 1986, S. 13
31
Vgl. Wehrli, M., 1980, S.362-347
Die häufigsten Themen und Motive sind der Abschied von der Herrin und der Heimat (Friedrich von
Hausen), die Sorge um ein tugendhaftes Leben der zurückbleibenden Frauen oder die Hoffnung auf
Gottes Lohn (Hartmann von Aue).

23
Das französische Rolandslied ist ein nationales Epos in dem richtigen Wortsinn,
das in sieben vollständigen Handschriften und drei Fragmenten erhalten wurde. Der
Hintergrund des Liedes greift in das historische Ereignis zurück. Als Leitmotiv ist das
Bild Karls den Großen präsentiert und dessen Aufgabe, den christlichen Glauben im
heidnischen Spanien zu verbreiten und Ehre des Frankreichs zu verteidigen. Die
Vasallenverpflichtung und Loyalität wird die Hauptmotivation und treibende Kraft
allen Helden durch den Ritter Roland hervorgehoben.32

2.2.3 Minnensang

Die Minne, als Thema der Erzählung, wurde bereits in dem Veldekes Eneit
vorgestellt. Der Begriff Minne bezeichnet die höfische Liebe des Mittelalters. Das
Wort stammt aus dem althochdeutschen „minna“ = „Liebe“.
Die Liebe als Phänomen wurde Zentralbegriff der Gesellschaft, das Thema
einer ganz neuen unerhörten lyrischen Gattung - Minnensang. In der Literatur ist das
Wort Minnesang Bezeichnung für die höfische Liebeslyrik und gilt für die älteste,
schriftlich überlieferte und hoch ritualisierte Form der gesungenen Liebeslyrik im
westeuropäischen Sprachraum.33

Das Minnenlied erzählt von der mehr oder weniger problematischen Beziehung
zwischen einem Mann (Ritter), der zu den mittels einem ritterlich-ethisch geprägten
Sprach- und Musik-Ritual zu der Dame seines Herzens spricht. Die höfische Liebe
bezieht sich also auf einen edlen Ritter, der eine schöne Dame verehrt, die sich ihm
versagt.34
Der Grundstein der ritterlichen Hövescheit ist die Beziehung „minne“. Der Mann
ist ein Vasall seiner Frau und Herrin, der Ritter begibt sich in den Dienst der Frau dar,
so wie er in den Dienst seines Landesherrn tritt.

32
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 78
Das Rolandslied schildert eine vernichtende Niederlage in den Pyrenäen, in der der bretonische
Markgraf Roland umgekommen ist.
33
Vgl. DUDEN, 2006, S. 1147
34
Vgl. Ehrismann, O., 2007, S. 177-178
Das Wort Dame stammt aus dem Lateinischen und bedeutet domina d. h. Herrin und weist auf
geschichtlich bedingte beherrschende Stellung einer verheirateten adligen Frau hin.

24
Der Inhalt der Lyrik steht Huldigung einer meist verheirateten Frau, die für den
Ritter ein unerreichbar hohes Ideal darstellt, das er verherrlicht und dadurch fühlt er sich
erhöht und veredelt.35

2.2.3.1 Vor- und Frühformen des Minnensangs

Sowohl der höfische Roman ist auch der Minnensang primär eine romanische
Schöpfung, die etwa seit 1170 in Deutschland nachgebildet wurde. Diese sog.
Troubadourlyrik erschien schon um 1100 in Südfrankreich. In der modernen Zeit wird
die Sprache der Lieder oft als Provenzalisch bezeichnet. Die Lieder wurden durch die
ersten Minnesänger, die Troubadours, verbreitet. Die frühsten erhaltenen Gedichte
werden dem Herzog von Aquitanien - Wilhelm IX., der als erster Troubadour
bezeichnet wird, zugeschrieben.36

2.2.4 Heldendichtung

Das germanische Altertum hat Schöpfungen hinterlassen, die Heldendichtung


oder Heldensage, in denen als Zentralfigur ein Held steht, genannt wird.

Die Jahrhunderte der Völkerwanderung stellten eine schöpferische Zeit dar, in der
die Gattungen in der mündlichen Pflege lebten. Im Laufe der mündlichen Überlieferung
wurden sie frei weiterentwickelt, umgewandelt und neu gestaltet.
In den Denkmälern des Hochmittelalters wird die Heldendichtung aus dem
Altertum gefunden, in der Wikingisches, Spielmännisches und Ritterliches mit dem
alten germanischen Kern, dem Heroischen in Verbindung gesetzt wurde.

35
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 93
Die Liebe wird als menschliche Grenzerfahrung und höchste Bedrohung zugleich entdeckt. Die
charakteristische Form der Liebeserzählung zeigt sich schon in der Kaiserchronik in der Darstellung
der unschuldig verfolgten Frau, die zwar Leidenschaften erweckt und trotzdem treu und fromm bleibt
(Vgl. Wehrli, M., 1980, S. 252-253).
36
Vgl. Wehrli, M., 1980, S. 348;
In der zweiten Jahrhunderthälfte zeigte sich die Troubadourlyrik als geschlossene und reiche
literarische Kultur des südfranzösischen Adels wirkte direkt und über die nordfranzösischen Ableger
die Trouvères auf die deutsche ritterliche Dichtung.

25
Die Heldendichtung des frühen Mittelalters hatte in der Stoffwahl (Herkunft in
Norddeutschland, Skandinavien) und in der Stimmung ihren eigenen Still - den
heroischen Still. Von Bedeutung sind die germanischen Sagenkreise von Dietrich von
Bern, Siegfried und die Nibelungen, Attila, Wieland und in der romanischen
Tradition Roland. Als älteste Heldendichtung Europas gilt die homerische Epik Ilias
und Odyssee. Neben den geschichtlichen Wurzeln werden in der Heldendichtung
mythische und übernatürliche Elemente (Alben, Drachen usw.) gefunden.37

Ein der bedeutungsvollen Werke des Mittelalters, das aus der Volksliteratur
stammt und in der schriftlichen Form erhalten wurde, ist Das Nibelungenlied
(niedergeschrieben um 1200).38

2.3 Spätmittelalterliche Phase 1250 - 1500

Die spätmittelalterliche Phase dauerte etwa von der Hälfte des 13. Jahrhunderts
bis zum Ende des 15. Jahrhunderts.39
Von den wichtigsten Autoren dieser Zeitperiode können wenigsten einige
genannt werden, wie z. B. Meister Eckhart mit seinen Mystischen Schriften,
Predikten, und Legenden, Dietrich von Freiberg - mystische Schriften, alle
lateinisch, Reinke de Vos mit Tierepos („Reinke“), Volkssänger Neidhart mit der
dörperlichen Dichtung - Spielart des Minnensangs, Hans Folz und seinen Werken wie
Meistersang, Fastnachtspiele und Reimreden genannt werden.40
Zu den wichtigsten Prosadichtungen gehört das Werk Der Ackermann aus
Böhmen von Johannes von Tepl (auch Johannes von Saaz genannt).

Die spätmittelalterliche Phase kann als Übergang zur Neuzeit des Humanismus
und Renaissance betrachtet werden, deswegen hängt sie mit der Entstehung des
Nibelungenliedes nicht mehr zusammen.

37
Vgl. Hoops, J. (Hrsg.), 1913, S. 487-492
38
Vgl. Bahr, E./ Bäuml, H. F./ Gaede, F./ Hillen, G., 2005, S. 144
39
Vgl. Erishmann, O., 2007, S. 3
40
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 64-84

26
III. DAS NIBELUNGENLIED
HERKUNFT UND GESTALTUNG

3.1 Entstehung des Nibelungenliedes

„Die größte dichterische Überraschung der klassischen Zeit ist das machtvolle
Wiedererscheinen der heroischen Dichtung, deren subliterarische Existenz seit dem
Hildebrandslied nur erschlossen werden kann, und die eigentlich, nach
jahrhundertlanger Einübung in christliche, historische, höfisch-romanhafte Formen
längst als überwunden erscheinen könnte.“41

Das Nibelungenlied, ein mittelhochdeutsches Heldenepos, ist um 1200, in der


Blütezeit der höfischen Dichtung entstanden. Der Verfasser ist unbekannt. Dieses
bedeutendste Epos aus germanischen Zeiten existiert in zehn vollständigen und
zweiundzwanzig bruchstückhaften Handschriften.
Obwohl der Epiker nicht bekannt ist, spricht manches dafür, dass seine Herkunft
der Gegend um das Donauland zwischen Passau und Wien bzw. dem bischöflichen Hof
in Passau angehört.42
Die Jahreszahl der Entstehung des Nibelungenliedes um 1200 kann durch die die
Bezüge zur zeitgenössischen Dichtung ziemlich genau festgelegt werden. Im Vergleich
zu der westfränkischen heroischen Dichtung, die ihren ursprünglichen Charakter schnell
verloren hat, entwickelte sich die deutsche Dichtung zum Aventiure- und
Minnenroman.43

41
Wehrli, M., 1980, S. 392
Als Entstehungsort des Nibelungenliedes scheint das Gebiet zwischen Passau und Wien
wahrscheinlich. Es zeugen dafür genauere Ortskenntnisse des Verfassers, ein Übergewicht der frühen
Überlieferung im südostdeutsch-österreichischen Raum und die augenfällige Hervorhebung des
Bischofs von Passau als handelnde Figur. Der Bischof Wolfger von Erla, der von 1191 bis 1204 den
Bischofsstuhl von Passau innehatte, wird für den potentiellen Auftraggeber gehalten. Der Verfasser ist
uns nicht bekannt, wie für dieses literarische Genre üblich war. Manches spricht dafür, dass er dem
bischöflichen Hof in Passau angehört hat (Vgl. Brackert, H., 2011, S. 287.)
42
Vgl. Genzmer, F., 1965, S. 3
43
Vgl. Beutin, W, u. a., 2008, S. 34

27
Das Nibelungenlied ist eigentlich kein Lied, obwohl es althochdeutsche
Heldenlieder zu Vorläufern hat. Es kann gesagt werden, dass dieses Werk ein
Heldenbuch bzw. ein Epos ist.

Der Unterschied zwischen Heldenlied und Heldenbuch kann auf Grund der
Ausdrücke erklärt werden. Das erste Kriterium ist die Spannung, die aber jede dieser
Gattungstypen aufweist. Von den anderen Kriterien sind es liedhafte Kürze, epische
Länge, liedhafte Knappheit und epische Breite. Davon ergibt sich, dass während die
Heldenlieder mündlich geschaffen und weiter übertragen wurden, wurden die
Heldenbücher mit Tinte und Feder aufs Pergament oder Papier niedergeschrieben
und abschnittsweise vorgelesen.
Im Vergleich mit Homers Odyssee oder auch mit den meisten höfischen
Dichtungen liegt der Unterschied darin, dass das Nibelungenlied in Strophen
abgefasst ist.44

3.1.1 Überlieferung und Handschriften

Sagen und Mythen gehörten immer zu jeder Landschaft. Sie bereicherten die
Kultur, wurden gepflegt und von Generation zu Generation überliefert. Die Sagen, die
im Laufe einer gewissen Zeit mündlich überliefert worden waren, können nicht als
Geschichtschroniken betrachtet werden, da durch die Erzählmodifikationen zu vielen
Ungenauigkeiten in der Faktenüberlieferung kommen konnte.

Das Nibelungenlied, das für berühmtestes mittelhochdeutsches Heldenepos gilt,


wurde auf zweifache Weise überliefert. Zuerst ging es von einer breiten mündlichen
Tradition aus, erst danach entstanden die Handschriften des Werkes. Der Text ist in
35 vollständigen oder fragmentarischen Handschriften aus dem 13. bis 16. Jahrhundert
überliefert. Heutzutage geht man davon aus, dass aus der ersten Schriftfassung
selbstständige Versionen entstanden sind, oder dass mehrere Fassungen
niedergeschrieben wurden.45

44
Vgl. Genzmer, F., 1981, S. 5
45
Vgl. Brackert, H., 2011, S. 398

28
Das Nibelungenlied ist ein der wenigen mittelalterlichen Texten, von denen die
Originalvorlage erhalten wurde. Die ältesten Manuskripte werden ins 13. Jh. datiert.
Die Handschriftbezeichnungen wurden durch Karl Lachmann geschaffen und durch
die späteren Neufunde erweitert.46
Die drei wichtigsten erhaltenen und vollständigen Handschriften sind die St.
Gallener Handschrift B aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die man auch Vulgata
nennt; die älteste die Hohenems-Laßbergische Handschrift C aus der ersten Hälfte
des 13. Jahrhunderts (befindet sich heute in Donaueschingen) und die Hohenems-
Münchener Handschrift A aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts.47

3.2 Reim und Reimtechnik

Das auffälligste metrische Stilmittel, das in der mittelhochdeutschen Literatur zu


betrachten werden kann, ist der Reim, der hilft, die Texte zu strukturieren und im
Zusammenspiel mit der Versmetrik den Inhalt besonders zu fokussieren und
hervorzuheben. Er kommt häufig in mittelheudeutschen literarischen Gattungen, wie in
lyrischen und epischen Texten, Reimchroniken vor. Der Reim sichert vor allem in
Versdichtungen die Gleichklang oder die Klangähnlichkeit von Phonemen.48

3.3 Form und Metrik

Das Nibelungenlied besteht aus der Lyrik übernommenen Strophen, die über
vier Langzeilen verfügen. Diese Strophe wird heute als Nibelungenstrophe bezeichnet.
Die Nibelungenstrophe, die aus einem vierhebigen Anvers und einem dreihebigen
Abvers besteht, ist am bekanntesten aller epischen Strophen. Der letzte Abvers einer
jeden Strophe hat vier Hebungen (auf jede Hebung folgt eine Senkung). Jeder dieser
Langverse werden in Anvers und Abvers (aa, bb) - durch eine Zäsur in der Mitte

46
Vgl. Ehrismann, O., 2005, S. 112
47
Vgl. Genzmer, F., 1965, S. 3
48
Vgl. http://www.uni-muenster.de/MhdMetrikOnline/sites/metrik/3.5.0_reim.php, Letzte Abfrage am
3.12.2011

29
getrennt - gegliedert. Dies ist für die Heldenepik (z. B. das „Kudrun-Epos“ eines
unbekannten Dichters und die Dietrichepik) charakteristisch.49
Die achttaktigen Langzeilen mit klingender Zäsur sind paarweise gereimt und in
den ersten drei Zeilen der letzte Takt in die Pause fällt.50
Mit der Gesetzmäßigkeiten des Versbaus und den Versmaßen befasst sich Lehre,
die Metrik genannt wird. In der Musik stellt die Metrik eine Lehre vom Takt und von
der Taktbetonung dar.51

3.4 Erzählungsform und Sprache

Die gesungene Strophenepik unterscheidet sich aufs deutlichste von der


zeitgleichen höfischen Erzählliteratur, v. a. dem Antiken- und Artusroman, die fast
ohne Ausnahme in (gesprochenen) Reimpaarversen gehalten ist.

In dieser Hinsicht war das Nibelungenlied „archaischer“ als die „moderne“


Ritterliteratur Hartmanns von Aue, Gottfrieds von Straßburg und Wolframs von
Eschenbach. Die über 2000 vierversigen Strophen des Nibelungenlieds sind in 39
âventiuren (Aventiuren) gegliedert. Die kapitelartigen Erzähleinheiten weisen variable
Länge aus und tragen Überschriften in den meisten Handschriften.
Der Epiker des Nibelungenliedes hält sich im Hintergrund. Der Text ist von ihm
aufgrund der alten mæren zusammengefasst und erzählt, wobei hier Mündlichkeit in
Schriftlichkeit konvertiert. Von dem Epiker werden jedoch nicht die idealisierten
Menschen präsentiert, sondern eine Welt, die das Barbarische mit dem Höfischen
verbindet und zugleich die mythisch-heroische germanische Vorzeit in ein
christlich-hochadelig-höfisches Umfeld adaptiert.

In dem Epos lässt sich die Sensibilität des Inhaltes aus den Schlüsselwörtern
des Textes erkennen, wie z. B. küene (kühne), êre (Ehre), minne (Minne = Liebe),

49
Vgl. Beutin, W., u. a., 2008, S. 34
50
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 40
51
Vgl. DUDEN, 2006, S. 1140

30
übermuot (Übermut), hövesch (höfisch), edel (Adel), triuwe (Treue), râche (Rache)
und andere.

Die Handschriften C und A beginnen mit einer rhetorisch brilliant


eingeformten Vorschau, die an die Zuhörer gerichtet wird. Die heroische Zeit steht in
Vordergrund. Durch Benutzung der übertreibend klingelnden Ausdrücke, wie z. B.
wunders vil, grôze arebeit u. a. und Abwechslungen wie helt, recke oder rîtter, degen
u. a. weisen die Versen den rhetorischen Schmuck aus.52

3.5 Inhaltsangabe

Das Nibelungenlied besteht aus 39 Aventüren (= Kapitel). Inhaltlich ist das Epos
in zwei Teile gegliedert: der erste Teil - Siegfrieds Tod (Aventiuren 1-19) und der
zweite Teil - Kriemhilds Rache (Aventiuren 20-39).

3.5.1 Erster Teil - SIEGFRIEDS TOD

Aventiure 1 - 5
Das Epos beginnt am burgundischen Hof in Worms, wo Kriemhild unter
Vormundschaft ihrer Brüdern, den Königen Gunther, Gernot und Giselher lebt. Dort
leben und Dienste leisten die Gefährten der Könige - Hagen von Tronje, sein Bruder
Dankwart, Ortwin von Metz, Gere, Eckewart, Volker von Alzey, u. a.
Am Königshof in Xanten53 am Niederrhein lebt ein Sohn der Königin Sieglinde
und König Sigmund, Siegfried. Er hört von der Schönheit Kriemhild und reitet nach
Worms um die Hand der schönen Königin zu werben.

52
Vgl. Ehrismann, O., 2005, S. 11-13 und 60-61
53
Xanten (Im Nibelungenlied = Santen; NL, Genzmer, F. 1965, Strophe 20, Vers 4): Xanten liegt am
unteren Niederrhein im Nordwesten Nordrhein-Westfalens. Ihre Anfänge liegen in der Errichtung von
Vetera und der Colonia Ulpia Traiana im Römischen Reich und setzen sich fort mit der Gründung des
Stifts St. Viktor im 4. Jahrhundert. Viktor wurde wie der Sagenheld als Drachentöter gefeiert. Ein
Epiker, der von der „rȋchen bürge“ Xanten erzählte, durfte an das staufische Kaiserhaus denken und
dem Reich gepflegte mythische Legitimation geben. (Vgl. Ehrismann, O., 2005, S. 24-26).

31
In Worms54 kann er um Kriemhild nicht gleich werben, so erbringt er zuerst den
Nachweis seiner Königswürde und bleibt am Burgunder Hof. Siegfried verteidigt
Burgund gegen Sachsen und Dänen und feiert einen Triumph. Als Belohnung darf er
Kriemhild treffen und begrüßen. Siegfried und Kriemhild fühlen von Anfang an
intensive Zuneigung zueinander.

Aventiure 6 - 11
Gunther möchte um eine schöne Frau werben - es ist Brünhild, Königin von
Island. Sie ist stark und verfügt über außergewöhnliche Kraft. Jeder Bewerber muss
einen schweren Wettkampf bestehen, oder ums Leben kommen. Gunther, mit Siegfrieds
Hilfe, der Lüge und zauberhafter Tarnkappe gewinnt Brünhild. Er verspricht Siegfried
seine Schwester Kriemhild als Belohnung. Siegfried, der sich als man55 Königs Gunther
präsentierte, besiegt die Königin, die Gattin Gunthers wird.

Bald danach wird am Burgunderhof eine Doppelhochzeit gefeiert - Kriemhild mit


Siegfried und Brünhild mit Günther. In der Hochzeitsnacht verweigert Brünhild ihrem
Gemahl den Beischlaf. Der entwürdigte König Gunther benötigt nochmals die Hilfe von
Siegfried. Siegfried, an Gunthers Stelle, bricht den Widerstand der hochmütigen
Königin, entwendet ihr ihren Ring und Zaubergürtel - die Gegenstände ihrer
übermäßigen Kräfte und schenkt sie später seiner Gemahlin Kriemhild. Dann ziehen
Siegfried und Kriemhild nach Xanten. Dort tritt der König Siegmund seinem Sohn
Siegfried die Krone ab.

Zehn Jahren vergehen, die beiden Frauen bekommen Kinder. Kriemhild gebiert in
Xanten einen Sohn, der Gunther getauft ist und Brünhild gebiert in Worms auch einen
Sohn, der Siegfried heißt.

54
Worms: Es ist nicht bekannt, wie der Name der Stadt in das Nibelungenlied kam. Der Ursprung kann
dem altdeutschen Wort „wurm“ mit mittelduetschen „o“ nahe stehen und Drache/ Lindwurm
bedeutete. Die Stadt Worms nahm eine zentrale Stellung im Römischen Reich ein, war sie sogar ein
Zentrum der staufischen Herrschaft. Im Nibelungenlied ist Worms die Residenz der drei
burgundischen Könige Gunther, Gernot und Giselher. (Vgl. Ehrismann, O., 2005, S. 21-22).
55
Der Begriff man bedeutet die Bezeichnung des Lehnsmanns, der von seinem König ein Lehen
bekommen hat, ein Vasall. Der Lehnsmann zahlt seinem König Steuern und leistet Dienst. Freier in
der Gefolgschaft eines Herrn in dessen Schutz er sich begeben hat; Gefolgsmann des Königs.
(DUDEN, S. 1108, 1062, 1788)

32
Aventiure 12 - 16
Brünhild geht der man-Status von Siegfried nicht aus dem Kopf. Sie denkt
herum, warum Siegfried keine Steuern seinem Herrscher schickt und keine Dienst
leistet, wenn er ein Lehnsmann des Königs ist. Sie überredet Gunther, Siegfried und
Kriemhild nach Worms einzuladen. Sie will das Geheimnis Siegfrieds entschlüsseln.
Während dem Besuch geraten die beiden Königinnen, Brünhild und Kriemhild in
bösen Streit, in dem Kriemhild sagt, dass nicht Gunther, sondern Siegfried der Mann
war, der Jungfräulichkeit Kriemhilds entwendet. Hagen überzeugt Gunther, dass solche
Beleidigung des burgundischen Reichs gerächt werden muss. Siegfried muss büßen.
Inzwischen drohen Sachsen und Dänen den Frieden zu brechen und Krieg zu
erklären. Siegfried ist bereit Hilfe zu leisten. Hagen bereitet ein hinterlistiger Plan.

Aventiure 17 - 19
Hagen nutzt die Zeit vor dem angeblichen Kampf aus und besucht Kriemhild in
ihrem Zimmer. Sie macht sich Sorgen um Siegfried, will ihn beschützen und im besten
Glauben verrät sie Hagen das Geheimnis - Siegfrieds Unverwundbarkeit. Auf einer Jagt
ermordet der hinterlistige Hagen Siegfried mit seinem eigenen Speer.
Als Kriemhild ihren toten Gemahl sieht, beschuldigt sie Hagen des Mörders und
schwört Rache. Gunther nimmt Hagen in Schutz.
Nach der christlichen Beerdigung Siegfrieds bleibt Kriemhild in Worms. Formal
versöhnt sie sich mit Gunther und lebt mit ihrem Gesinde in Erinnerung an Siegfried.
Den Hort Siegfrieds, ihre Morgengabe56, lässt sie aus dem Nibelungenland holen und
benutzt sie zur Beschenkung von vielen Rittern.
Hagen befürchtet, dass Kriemhild mit ihrem Reichtum die Ritter und fremde
Recken heranzieht und mit deren Hilfe ihre Rache an ihm ausübt. Er stiehlt den Hort,
versenkt ihn im Rhein und hielt das Versteck geheim. Kriemhild muss weiter am Hof in
Leid und in Hoffnung auf Rache leben.

56
Morgengabe: In der Zeit, wo die meisten deutschen mittelalterlichen Rechte verfassen wurden,
bekam die Braut Geld von dem Bräutigam. Neben diesem Geld bekam die Braut auch sog.
Morgengabe d. h. den Preis für ihre Jungfräulichkeit. (Vgl. Otis - Cour, 2002, S. 30)

33
3.5.2 Zweiter Teil - KRIEMHILDS RACHE

Aventiure 20 - 23
Nach dreizehn Jahren tritt auf die Szene die Figur des Hunnenkönigs - Etzel
(=Attila) auf. Seine Frau ist gestorben und die Herren beraten ihn, die edle Witwe
Kriemhild zu heiraten. Im Auftrag Etzels wirbt Markgraf Rüdiger von Bechelâren um
Kriemhild. Etzel ist ein Heide und zweifelt daran, dass sie ihn heiraten wird. Kriemhild
ist eine Christin. Schließlich willigt sie ein und reist ihm entgegen. Unterwegs macht sie
einen kurzen Aufenthalt bei Bischof Pilgrim von Passau.
Hagen ahnt, dass Etzels Heirat mit Kriemhild eine Gefahr für ihn darstellt - sie
könnte mithilfe der Hunnen an den Burgundern Rache nehmen.
Die Hochzeit wurde in Wien gefeiert. Anschließend reist das Ehepaar nach
Hunnenkönigshof Etzelnburg.
Sieben Jahre verspinnt Kriemhild zielstrebig ihre Rache. Inzwischen bringt sie
einen Sohn Namens Ortlieb zur Welt. Sechs Jahre vergehen und Kriemhild bittet Etzel
um Erlaubnis, ihre Brüder zu einem Fest einzuladen. Etzel konnte nicht ahnen, dass
seine Gattin ihre Rache für Siegfried nehmen will.

Aventiure 24 - 28
Hagen rät die Könige von dem Besuch im Hunnenland ab, sie hören auf ihn
jedoch nicht zu. Er will sich nicht als Feigling vorführen, so fährt er mit den Königen
und einem großen bewaffneten Heer nach Etzelnburg.
Die Burgunder kommen zu Donau an, sie benötigen eine Fähre, da die Flut sehr
stark ist. Hagen sucht einen Fährmann. In der Quelle sieht er weissagende Meerfrauen,
die ihn eine Prophezeiung offenbaren. Die Nixen warnen Hagen vor der Reise und
prophezeien den Tod im Land Etzels. Es soll keiner der Burgunder diese Reise
überleben, außer dem Kaplan des Königs. Hagen versucht es, den Kaplan zu ermorden,
dies aber misslingt.
Bevor die Recken ins Land Rüdigers kommen, besuchen sie den Bischof
Pilgrim. An der Grenze zum Hunnenland begegnen sie Ritter Eckewart. Er warnt sie vor
dauernder Trauer Kriemhilds um Siegfried.
In der Residenz Rüdigers verlobt sich Giselher mit seiner jungen Tochter,
Markgräfin Dietlind. Dann reiten alle zur Etzelnburg. Dort sind sie von Kriemhild kalt

34
empfangen, sie begrüßt nur ihren Bruder Giselher, dadurch ist ihre feindselige
Gesinnung den anderen gegenüber deutlich gemacht. Kriemhild beobachtet die
Reaktion der Gäste. Dietrich von Bern, der Freund Hagens, will die Gastfreundschaft
nicht verletzen. Etzel erweist sich als ein wohlwollend Gastgeber.

Aventiure 29 - 36
Kriemhild hetzt Hagen und fordert das Geständnis des Mordes an Siegfried
heraus. Er gibt es zu. Als nächster Schritt plant Kriemhild, Hagen in der Nacht
anzugreifen, jedoch die Hunnenkrieger wagen es zu tun. Kriemhild überredet den Etzels
Bruder Bloedel sie verspricht ihm großzügige Geschenke und eine Braut.
Während dem Festgemahl lässt Bloedel neun Tausend Gesinde der Burgunder
ermorden. In dem Kampf fallen Tausende Mann zum Opfer, sterben alle Hunnen und
Burgunder, nur Hagens Bruder Dankwart überlebt und erschlägt Bloedel. Hagen tötet
Kriemhilds Kind und lässt es ihr hereinbringen. Dietrich hilft dem Königspaar den Saal
zu verlassen. Etzel ist bereit, gegen die Gäste kämpfen und den Tod seines Sohnes
rächen.
In dem Kampf werden auch dänische und thüringische Krieger getötet. Obwohl
die Burgunder wissen, dass dieser Kampf zur Rache an Hagen gerichtet wird, wollen sie
Hagen nicht ausliefern. In diesem Abschnitt des Nibelungenliedes ist die
Zusammenschließung der Burgunden, die Nibelungentreue57 (35. Aventiure, 2171f) zu
ersehen. Kriemhild hat vor, alle Burgunder zu töten, so lässt sie den Festsaal anzünden.
Sie halten jedoch dem Brand stand.

Aventiure 29 - 36
In den Kampf greifen nun Rüdiger und seine Krieger, Gernot, Giselher und
Dietrich ein. Gernot, Rüdiger und Giselher fallen. Dietrich besiegt die letzten
überlebenden Nibelungen und fesselt sie, sowie auch Gunther und Hagen und führt sie
als Geisel zu Kriemhild.
Kaltblütig fordert Kriemhild von Hagen den gestohlenen Hort, er weigert sich
jedoch das Versteck zu verraten. Kriemhild lässt Gunther enthaupten. Nicht einmal

57
Nibelungentreue: Ein mittelhochdeutscher Begriff triuwe, der die personale Bindung im
mittelalterlichen Lehnssystem bedeutet. Der Begriff beschreibt eine Form bedingungsloser,
emotionaler und potenziell verhängnisvoller Treue.
(Vgl. http://www.enzyklo.de/Begriff/nibelungentreue, Letzte Abfrage am 13.12.2012)

35
bewegt Hagen diese Tat, den Hort preiszugeben. Daraufhin nimmt Kriemhild Siegfrieds
Schwert Balmung58, das Hagen umgebunden hat und enthauptet ihn selbst. Hildebrand
ist entsetzt. Etzel ist erschüttert, dass sich eine Frau wagte, den großen Held zu töten.
Hildebrand zerschlägt Kriemhild.
Dietrich und Etzel klagen über ihre getöteten Verwandten. Die Menschen
weinen und klagen über die großartigen Helden, Rittern und Lehnsmänner. So leidvoll
endet das königliche Fest. Die blinde Rachesucht hat zur Folge den Untergang der
Nibelungen59.

3.6 Symbolisches im Nibelungenlied

Im Hochmittelalter wirkte neben der christlich-transzendenten die mythische


Denkform. Im Sinne des christlich-höfischen Weltbildes diente diese Denkform der
symbolischen Erschließung der Wahrheit.
Im Nibelungenlied tritt eine Reihe der mystischen Elemente mit ihrer Symbolik
hervor, die insbesondere mit Siegfried im Zusammenhang stehen.

3.6.1 Traum

Ein Traum ist eine besondere Form des Erlebens mit intensiven Gefühlen, das im
Schlaf verläuft. Aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen und Symbole wird
versucht, die Bedeutung der Träume zu entschlüsseln. Durch die Deutung der Träume
wird der Mensch zum Nachdenken gezwungen um ihren eigenen Lebensweg zu suchen
oder zu folgen. Die mittelalterliche Literatur ist reich an Beispielen für Visionen
und Träume.

58
Balmung: Ein magisches Schwert, Balmung, wurde von Wayland Smith gemacht. Odin erstach mit
Balmung den Branstock Baum, eine Eiche in dem Palast Volsung. Derjenige, der das Schwert aus
dem Baum ziehen konnte ist dazu bestimmt, im Kampf zu gewinnen. Es gelang Sigmund. Das
Schwert später von Siegfried gegen Fafnir verwendet.
(Vgl. http://www.pantheon.org/articles/b/balmung.html, Letzte Abfrage am 18.1.2013)
59
Nibelungen: Im Nibelungenlied werden als Nibelungen die Burgunden bezeichnet. Die Etymologie
führt auf ein germanisches *nebula-, nibhila-, dazu u. a. althochdeutsch nebul, altsächs. nebal,
altfries. nevil „Nebel“, altnord. njȏl „Nacht“, angelsächs. nifol „dunkel“, altnord. nifl-, in niflheim,
einer Bezeichnung für die Unterwelt.(Vgl. Ehrismann, O. 2002, S. 31).

36
Die Menschheit ist von den Träumen nicht erst seit der Veröffentlichung der
ersten Bücher mit Traumdeutungen fasziniert, sondern schon seit biblischen Zeiten.
Die biblischen Texte erzählen davon, dass die Menschen die Gottes Botschaft in
Träumen und Visionen erfahren. Der Mensch gewinnt durch die Visionen und
Andeutungen das Wissen, dass Gott gerade dann handelt, wenn es die Menschen nicht
mehr schaffen.

Die Träume bzw. Traumsymbole (auch Sinnbilder genannt), haben in der


Literatur verschiedene Funktionen, da die Traumepisoden verschiedene Aufgaben
übernehmen. Im Weiteren dienen die Träume in der Literatur als epische
Vorausdeutungen; die Handlung wird in ihnen schon vorweggenommen. Es muss
jedoch in Rücksicht genommen werden, dass nicht jeder Traum alle Fragen deuten und
beantworten kann.
Im Nibelungenlied steht im Mittelpunkt der Traum als Schlüsselsymbol, der zu
mehreren Interpretationen auffordert. Es werden hier jedoch nur Frauen mit den
Warnträumen konfrontiert. In ihren Träumen tritt wiederholt ein Falke auf.

„Realsymbol Falke, eingeformt in die traumsymbolische Vorwegnahme von


Siegfrieds Tod, bildet als erstes Handlungselement den eigentlichen Einsatz des
mittelalterlichen Nacherzählers der alten ´maeren´.“60

Dreimal träumt Kriemhild im Nibelungenlied den Tod ihres Mannes. In der ersten
Aventiure träumte Kriemhild, dass sie sich einen Falken aufgezogen hatte. Dann kamen
zwei Adler, die das edle Tier vor Kriemhilds Augen erkrallten. Ihre Mutter Ute deutete
die Erscheinung so, dass der Falke, den sie zog, ein edler Mann ist.61 Wenn ihn jedoch
Gott nicht vor seinen Feinden beschützt, wird ihn Kriemhild bald verlieren.

„Tierträume haben vorausweisende Funktion. Zukünftiges Geschehen wird in


einem Tiertraum offenbart. Den Traum kann derjenige entschlüsseln, der die
Verweisstruktur zwischen Tier und Mensch erkennt und die Hintergründigkeit des im
Traum Dargestellten richtig deuten kann.“62

60
Müller, G., 1968, S. 30-56
61
Vgl. Genzmer, F., 1965, 1. Aventiure, Strophe 13-14
62
Beck, H., 1965, S. 135

37
In der deutschen Literatur erwecken das Interesse vor allem Symbole der Macht
und Liebe. Unter die Machtsymbole gehören vor allem das Schwert und der Hort,
aber auch Tiere - wie Raubtiere bzw. Raubvögel (Falkenlied, Nibelungenlied).

3.6.2 Falkensymbol

Ein der Motive, die als die Ältesten in der mittelhochdeutschen Dichtung
betrachtet werden, ist der Falke. Dieses Symbol und seine Deutung findet man im
Falkentraum des Nibelungenliedes (und in den Falkenstrophen des Kürenbergers)
besonders betrachtenswert.
Außer dem Kürenbergers Falkenstrophen und dem Falkentraum Kriemhilds in
dem Nibelungenlied können in der deutschen Dichtung auch andere Falkenmotive und
Metaphern gefunden werden, z. B. Burkharts von Hohenvels Falkenlieder.63

„Die bildliche Verwendung des Falken und die Aussagekraft der Falkenmotive
hängen aufs engste zusammen mit den Eigenschaften des Vogels und der
charakteristischen Weise, in welcher Mensch und Falke zueinander in Beziehung
treten.“64

Die Eigenschaften, über die der Falke verfügt, zeigen Kraft, Ausdauer, Mut,
Angriffslust und Geschicklichkeit. Besonders auffallend wirken vor allem seine
Scharfsinnigkeit, Eigentümlichkeit, elegante und auffallende Flugweise, sein
majestätisches Aussehen und Jagdweise. So verkörpert sich in dem Raubvogel Stolz,
Adel und Schönheit mit Kraft und Freiheitsliebe.65

Die Falken zusammen mit Adler wurden seit frühester Zeit als Sonnenvögel
gesehen und für die religiös-mythische Weltanschauung galten sie als untrennbare
Bestandteile der Natur. Damit stellten sie die ursprünglich gegebene lebendige Einheit
dar. „Die Götter wurden als Tiere und die Tiere als Götter und Menschen erlebt.“66

63
Vgl. Reiser, I., 1963, S. 15
64
Reiser, I., 1963, S. 15
65
Vgl. Reiser, I., 1963, S. 17-19
66
Reiser, I., 1963, S. 45-48

38
In der ägyptischen Religion wurde der Falke, dessen dunkles Falkenauge alles
sieht, zum Symbol der Übermenschlichen. Er wurde als Symbol der Göttlichkeit
betrachtet - der falkenköpfige Gott Horus bewachte sein Land. Eine wesentliche Rolle,
die dem Falken als Sonnengott zugeschrieben wurde, war die Inkarnation.
Mit dem mystischen Symbol des Falken als Gottwesen verwebt sich aufs engste
die Symbolik, die den Falken zum Sinnbild des Helden macht.
Das Tier, der Gott und der Mensch waren in den frühen Heldensagen als
Verwandlungswesen (Falkengott und Heldenfalke) betrachtet. Zum Motiv des Falken
als Symbol für den Geliebten ist es nicht mehr soweit - ein geliebter Sohn oder ein
Gatte, der bewundert wird, ein junger geliebter Mann bzw. auch ein Mädchen
verkörpern das Bild des adeligen Raubvogel von China über die Mongolei, im ganzen
slawischen Raum bis zur Donau.

Der wilde Falke mit seinem majestätischen, freien, hochstrebenden Flug


symbolisiert das Sinnbild des Willens, des höchstes Ehrgeizes nach Ruhm oder des
ungestümen Liebesbegehrens.

Das Falkenmotiv nahm seine Stelle nicht nur in dem deutschen Minnesang ein -
als Gott, Held und Geliebter mit hoher Mut, sogar in der morgenländischen Dichtung
hat er eine beträchtliche Bedeutung, wobei er als Sinnbild für die „vereinte Kräfte zur
Erreichung hoher Ziele“ dargestellt wird. Diese Motive sind zwar in ihrem Ursprung
nicht an die bestimmten sozialen Schichten gebunden, später sind jedoch als
aristokratisch-höfische Falkenmotive gesehen.67

3.6.3 Hort, Ring und Schwert

Der Hort bzw. der Drachenhort gehört zu den symbolischen Deutungen des
altüberlieferten Stoffelements wie Drachenmythos. Am öftesten kann der Hort in den
mittelalterlichen nordeuropäischen und deutschen Heldenepen gefunden werden. Später
fand dieses Element in Volkssagen und Märchen der Neuzeit ihre Stelle. Der
Königsschatz stellt u. a. ein der Gegenstände des machtpolitischen Faktors dar, sowie
auch im Nibelungenlied.

67
Vgl. Reiser, I., 1963, S. 45-50

39
Der Ring wird zu den bekanntesten Schmuckformen gezählt und kann nicht nur
als ein Symbol der Liebe sein, sondern auch als Symbol der Macht und
Unendlichkeit.

Sowohl ein Schatz, als auch das Schwert gehört zu den symbolischen Deutungen
der Macht (sowie auch die anderen königlichen Insignien wie ein Ring, eine Krone, ein
Hort), und der höchsten gesellschaftlichen Position in dem Land des Herrschers. Im
Nibelungenlied vertritt das Schwert keine entscheidende Rolle.68

3.6.4 Linde

Einen besonderen Stellenwert hat für die Menschen die Linde. Der Baum mit
herzförmigen Blättern, süßem Blütenduft und ausladender Krone spendet ein Gefühl
von Geborgenheit. Die Linde gilt als Symbol für Gerechtigkeit, Liebe, Treue,
Frieden und Heimat sowie als Platz der Gemeinschaft; ein Blatt von der Linde ist ein
Symbol des freien Standes, der Grundbesitzer und Viehzüchter, sowie auch Symbol
für Tapferkeit und Sieg. 69

Im deutschsprachigen Raum hat die Linde eine ganz besondere Bedeutung als
Symbol für die Heimat. Der Baum bleibt als Symbol der Liebe und der Familie. Der
Lindenbaum erfüllte immer die Funktion des Schattens, deshalb wurden bzw. werden
von Linden häufig Begräbnisplätze und Denkmäler beschattet.

Im Nibelungenlied stellt die Linde bzw. das Lindenblatt ein Symbol des
Todes und Schicksals dar.

68
Vgl. Müller, G., 1968, S. 38
69
Vgl. http://www.uni-goettingen.de/de/41770.html, Letzte Abfrage am 14.7.2012

40
3.7 Historischer Hintergrund

Die Entstehung des Nibelungenliedes fällt historisch in die Zeit der germanischen
Staatenbildung am Ende des 4. Jahrhunderts und hängt mit der Völkerwanderungszeit
zusammen, an deren Ende das Weströmische Reich untergegangen war. Während dieser
Zeit sind zahlreiche Sagen entstanden, die nach einer gewissen Zeit vor allem mündlich
überliefert worden waren.
Die Sagen können jedoch nicht als Geschichtschroniken betrachtet werden. Auf
Grund des mehrfachen Umerzählens sind neue Geschichten entstanden, die
ursprünglichen Motive wurden vertauscht, umgeändert und anderen Personen
zugeordnet. Die Werke bzw. die ersten Sagen, lehnen sich vermutlich nah an die
wirklichen geschichtlichen Ereignisse an.

„Die verschiedenen germanischen Königshäuser und auch Sippen sich oft


dadurch auszeichneten, dass deren Mitglieder oft gleiche Namensbestandteile besaßen,
beziehungsweise deren Namen mit demselben Buchstaben begannen, was sie als
Mitglied der Familie kennzeichnete. Diese Namensähnlichkeiten förderten häufig den
Verschmelzungsprozess in der Sage. So kann Gunther als Verkörperung der
Burgunderkönige, Siegfried als Verkörperung der Frankenkönige und Dietrich von
Bern als Verkörperung der Ostgotenkönige angesehen werden.“70

In Bezug auf die historischen Grundlagen wird vermutet, dass der Siegfried-
Handlung die Einheirat eines Merowingers in das burgundische Königshaus entspricht.
Durch den Tod, durch die Eroberung der Stadt Worms im Jahre 407 und durch den Sieg
der hunnischen Truppen in 435, die das weströmische Heer unter Aetius verstärkten
über die Burgunden unter König Gundahar kam in 436 der Untergang des
Burgunderkönigsreiches. Gundahar bat zwar untertänig um Frieden, in 436 wurde das
Burgundenreich plötzlich von Hunnen angegriffen und vernichtet, so fand Gundahar mit
allen seinen Angehörigen den Tod. Die Vernichtung des Burgundenreiches wurde im
Jahre 538 durch die Franken vollendet.

70
Bauch, M., 2006, S. 2, Zugänglich online unter: http://www.nibelungen-forum.de/seite_1.htm,
Letzte Abfrage am 18.12.2011

41
In 451 findet die riesige Völkerschlacht auf den Katalaunischen Feldern statt.
Attila, der Hunnenkönig, wird schließlich durch die verbündeten weströmischen
Truppen unter Aetius geschlagen und muss sich zurückziehen. 453 heiratete Attila eine
Germanin, Ildico (=Hildiko). Attila stirbt in der Brautnacht an einem Blutsturz.71
Hinsichtlich des Nibelungenliedes konnte der Tod Attilas wohl als Motiv
betrachtet werden: Attila wurde zum Vernichter des Burgundenreiches und seiner
Königssippe und Ildico (= Hildiko) zur Rächerin ihrer Verwandten gemacht.72

Bei der Suche nach der Grundlage für das Nibelungenlied73 ist es notwendig, in
die nordischen Gattungen des 5. - 6. Jahrhunderts hereinzublicken, da gerade um die
Jahrhundertwende die burgundisch-fränkische Heldenlieder entstanden.
Die burgundisch-fränkischen Lieder wanderten im 8.-11. Jahrhundert aus dem
rheinischen in den bayrisch-österreichischen Raum und wurden zu größeren Liedern
ausgeweitet. Es werden jedoch mehrere Quellen als Grundlagen für die Entstehung des
Nibelungenliedes gefunden. Die dänischen Chroniken aus dem 12. Jahrhundert
beinhalten die Erwähnung von einem niedersächsischer Sänger, der ein Lied von dem
Verrat Kriemhilds vor Herzog Knut Lavard vorgetragen hat.74

In der Thidrekssaga (um 1250, Begren) wird die Gewinnung Brünhilds durch
Siegfried und Gunther, den Untergang der Burgunder und die Rache ihrer Schwester an
dem Mörder Attila geschildert: Nachdem die Burgunder Siegfried ermordet haben
brechen sie die Tür ins Schlafzimmer Kriemhilds auf und werfen den toten Siegfried in
Kriemhilds Arme, wovon sie erwacht. Die Saga ist in Prosa erzählt und schildert das
Leben eines Helden, der im deutschen Sprachraum als Dietrich von Bern bekannt
wurde.75

Aus den gefundenen Gattungen geht hervor, dass den Umfassungen des
Nibelungenstoffes die überlieferten Fassungen in der Älteren Edda aus dem 9.
Jahrhundert das alte Sigurdlied und das alte Atlilied am nächsten stehen.

71
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 40
72
Vgl. Grenzmer, F. 1965, S. 8
73
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 40
74
Vgl. Brackert, H., 2011, S. 285-286
75
Bauch, M., 2006, http://www.nibelungen-forum.de/seite_1.htm, Letzte Abfrage am 18.12.2011

42
Die burgundisch-fränkischen Lieder wanderten im 8.-11. Jahrhundert aus dem
rheinischen in den bayrisch-österreichischen Raum und wurden zu größeren Liedern
ausgeweitet. Als Grundlage für den Charakter Etzels wurde die Dietrich Saga.

In der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand in Österreich nur ein Epos, in dem
der Untergang geschildert wurde - die Ältere Not. Dieses Epos wurde in der sog.
Nibelungenstrophe geschrieben, blieb jedoch nicht erhalten.76

Seit dem 13. Jahrhundert sind neben den altnordischen Liedern bedeutende
Prosafassungen entstanden, die durch Snorri-Edda von dem isländischen Dichters
Snorri Sturluson präsentiert werden. Aus dem Nibelungensagenkreis kann weiter auch
die Völsungasaga, die auch Elemente des deutschen Nibelungenliedes enthält, erwähnt
werden - die Hauptfiguren sind u. a. Sigurd, Brynhild, Gunnar, Gudrun und Atli). Das
Hauptthema der Völsungasaga wird auf die Jugend Siegfrieds - Siegfried der
Drachentöter - und seine Herkunft fokussiert.77

In der nordischen Literatur können noch andere Lieder gefunden werden, die sich
mit den Figuren der Nibelungensage befassen.

3.8 Neuanerkennung des Nibelungenliedes

Der Stoff des Nibelungenliedes wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts vergessen.
Die Neuanerkennung des Nibelungenliedes kam erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts.
In 1782 veranstaltete Professor Christoph Heinrich Myller der erste Druck des
Gedichtes. Im Jahre 1812 erschien das Epos in den Vorlesungsverzeichnissen der
Universitäten und fand auch im Schulbereich seinen Platz.
In 1803 forderte der oft verkannte Literaturhistoriker, Übersetzer, Schriftsteller,
Indologe und Philosoph August Wilhelm Schlegel in seiner Vorlesung „Geschichte der
romantischen Literatur“ dazu auf, die Erneuerung der Nationalmythologie zu
entwickeln.

76
Vgl. Herbert, A. und Frenzel, E., 1953, S. 40
77
Vgl. Brackert, H., 2011, S. 285-286

43
Ein wesentliches Verdienst auf der Verbreitung des Nibelungenstoffes hat auch
Karl Simrock. Seine Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche
wurde in 1827 veröffentlicht. Seine vortreffliche Übersetzung gilt bis heutiger Zeit als
klassische.78

Das 19. Jahrhundert hat in den verschiedenen Stilrichtungen und Medien eine
Etablierung der beträchtlichen Nibelungenkunst gebracht, die eher als quantitativ als
qualitativ gekennzeichnet werden kann. Ein der bekanntesten Dichter, die das Thema
des Nibelungenliedes für die Literatur entdeckte, war Johann Wolfgang von Goethe,
obwohl sein Verhältnis in den jüngeren Jahren zur älteren deutschen (bzw.
althochdeutschen) Literatur erst relativ indifferent war.
Nachdem er in 1807 von Friedrich Heinrich von dem Hagen die modernisierende
Edition des Nibelungenliedes erhalten hatte, erweckte das Werk sein Interesse und
Patriotismus. Er begann sich der deutschen Literaturtradition widmen und in der
Zeitrahmen von November 1808 bis Januar 1809 hielt er „Mittwochsvorträge“ vor
Damen des Hofs und der Weimarer Gesellschaft. Seine Vorträge behandelten das
Thema des Nibelungenliedes, die von ihm vorgelesen und erörtert wurden.79
Unter die Künstler, die sich vor allem für den Text des Nibelungenliedes
interessierten, gehören auch z. B. Friedrich Hebel mit dem Drama Die Nibelungen
und Richard Wagner mit seinem Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen.

3.8.1 Die Gegenwart

Nach 1945 hat das Nibelungenlied als Nationalepos seine Stelle nicht nur in dem
dramatischen Bereich durch Texte von Wilhelm F. Schäfer (1948), Rheinhold
Schneider (1951) und Max Mell (1952) gefunden, sondern auch im Roman - durch
Texte von Martin Beheim-Schwarzbach (Der Stern von Burgund, 1961) und Joachim
Fernau (Disteln für Hagen (1966). Seit den sechziger Jahren wurde das Epos
allmählich aus den Schulen genommen (Erishmann/ Hardt 2003).

78
Vgl. Genzmer, F., 1965, S. 3-4.
79
Vgl.
http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/wissen/projektepool/rezeption_nibelungen/goethe_gri
mm.pdf, Letzte Abfrage am 13.12.2012

44
Die Nibelungenthematik kehrte in den siebziger Jahren im Rahmen der neuen
Mittelalterlichkeit aufzublühenden Fantasy-Kultur zurück.
Heutzutage gibt es viele, obwohl nicht auffällige Texte in verschiedenen Medien,
wie z. B. das Drama Die Nibelungen von Moritz Rinke (2002), den „historischen“
Roman Siegfried und Kriemhild von Jürgen Lodemann (2002) und den Roman Der
Ring der Nibelungen des deutschen Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein (2004) u. a.80

Das Epos hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sogar in Museen etabliert. Ein
der berühmtesten Museen befindet sich in Worms, wo die Nibelungenthematik
aufgrund verschiedenen Projekten der europäischen Umfang präsentiert werden.81

80
Vgl. Erishmann, 2005, S. 89-108
81
Mehr unter http://www.worms.de/deutsch/kultur/museen/nibelungenmuseum.php, Letzte Abfrage am
13.12.2012

45
IV. HAUPTFIGUREN IM NIBELUNGENLIED

In diesem Kapitel werden die Protagonisten des Nibelungenliedes vorgestellt und


charakterisiert. Um ihre Charaktere, die durch ihre Handlung dargestellt werden,
aufzufassen und ihre Handlung zu interpretieren, war es notwendig, nicht nur das Epos
ausführlich zu lesen, sondern auch weitere Literaturquellen nachzuschlagen.
Da das Epos im in der Schriftsprache Mittelhochdeutsch geschrieben wurde,
entschied ich mich, die übertragene Version des Nibelungenliedes von Felix Genzmer
(1965) und das Werk von Helmut Brackert (2011; Das Nibelungenlied.
Mittelhochdeutscher Text und Übertragung) als Primärliteratur zu verwenden.
Als Sekundärliteratur, die sich mit den ehelichen Beziehungen, der Stellung der
Männer, Frauen und Adeligen im Mittelalter beschäftigt, verwendete ich die Werke von
Georges Duby „Rytíř, žena a kněz. Manželství ve Francii v době feudalismu.“ (2001)
und Ennenová, Edith „Ženy ve středověku.“ (2001). Diese Werke haben mir u. a. auch
im Weiteren geholfen, die Schlüsselmomente des Epos wahrzunehmen und zu
interpretieren.

Die Figuren in dem Epos können als „handelnde“ bezeichnet werden. In dem
Epos ist es deutlich zu ersehen, was sie tun und wie sie handeln. Unter dem Einfluss des
Geschehens spielt sich eine Geschichte ab, die durch den Erzähler zum Leben erwacht.
Stolz, Hochmut und Emotionen sind Begleiter des Tuns der Figuren, die über die
Umstände nicht viel nachdenken, sondern sie einfach handeln.
Eine Basis für das Handeln der Figuren und gleichzeitig der Schwachpunkt stellen
die Verwandtschaft, die Beziehungen und die Treue dar. Das Tun der Figuren wird von
dem Epiker beschrienen und passend kommentiert, z. B. die Todesszene, als Siegfried
von Hagen ermordet wurde - unter großen Schmerzen, mit letzten Gedanken an
Kriemhild stirbt „der Kriemhilde Mann“ (Genzmer, F., 1965, Strophe 1003). Die
Tragik, die weitgreifende Folge haben wird, wurde von dem Erzähler genau bezeichnet
(Krimhilds Verrat).

Obwohl sich die Geschichte im Nibelungenlied im Laufe von vielen Jahren


entwickelt, werden die Protagnisten nicht alt. Am deutlichsten ist es bei dem Bruder
Kriemhilds - Giselher - zu ersehen, da er von Anfang an bis zu Ende als „Kind“
bezeichnet wird.

46
Die Kriemhild-Figur erweist jedoch die markanteste Entwicklung - von einer
schönen Mägdelein wird „minnigliches Weib“, später reiche hochmutige Königin, dann
tief unglückliche Witwe und schließlich kaltblütige Rächerin.

In dem Epos treten jedoch nicht nur die Hauptfiguren (Kriemhild, Siegfried,
Gunther und Hagen), sondern auch eine Menge der Nebenfiguren auf. In der Handlung
werden u.a. gesellschaftliche Sitten und höfische Zeremonien geschildert. So bietet das
Lied ein Bild der differenzierten Gesellschaft damaliger Zeit dar.

„Diese Komplexität des Figurenensembles lässt eine feudale epische Welt


entstehen. Damit werden die alten maeren zur Erzählung von feudaler Welt mit einigen
ihrer Konflikte umgeformt. Es wird nicht die Geschichte und die heroische Behauptung
einzelner herausragender Gestalten (wie im Heldenlied), sondern die Geschichte einer
zwar vergangenen, aber doch auch sehr zeitgenössischen Gesellschaft erzählt. Gerade
das ist wichtig, weil die alten maeren dadurch dem zeitgenössischen Publikum
beziehungsreiche Assoziationsmöglichkeiten eröffnen.“82

In den weiteren Kapiteln werden die Figuren des Nibelungenliedes näher


vorgestellt und charakterisiert. In den Klammern werden Verweise auf Aventiuren,
Strophen und Verse angeführt, die der Übersetzung des Nibelungenliedes von Felix
Genzmer (1965) entnommen wurden.

4.1 Siegfried

Siegfried ist eine der handelnden Figuren, tritt jedoch nur in dem ersten Teil des
Nibelungenliedes auf. Als Figur vertritt er eine entscheidende Rolle in dem ersten Teil
des Epos, vor allem in Bezug auf sein Verhältnis zu den Burgundern. Außerdem stellt
Siegfried einen Helden - Drachentöter - dar, wovon er schließlich stark profitiert hatte.83

Er gewann einen märchenhaften Hort und das Schwert Balmung (95-97) als
Symbole der Macht und königlicher Prestige, überdies auch eine Tarnkappe des

82
Göhler P., 1989. S. 119
83
Genzmer F., 1965, S. 16-17

47
Zwerges Alberich84, die ihn unsichtbar machte (101). Die zauberhafte Tarnkappe85
wird später bei der Werbung um Brunhild, Königin von Island und gleichzeitig bei der
Rettung des Lebens von König Gunther die entscheidende Rolle spielen (445; 468; 476;
481).
Siegfried, ein Held mit der mythischen Herkunft, wird in der zweiten Aventiure
als Adlige präsentiert - „eines reichen Königs Kind“ (20, 1), der Sohn des königlichen
Ehepaares Siegmund und Sigelind von Xanten (= Santen; 20, 4). Dort wurde er zum
Ritter erwachsen - „Ruhmreich und kräftig ward bald der kühne Mann…“ (21, 3).
Siegfried repräsentiert die höfische Welt und ritterliche Kultur, er ist „Zierde für seines
Vater Land.“ (25, 3).

Die Eigenschaften Siegfrieds wurden in dem Epos häufig und wiederholt


hervorgehoben - kräftig, kühn, schneller Degen, mit kraftbeherzten Mut, von ihm
möchte man viele Wunder sagen, durch sein eigenes Wesen gewann er viele Tugend,
die Leute sehen ihn gerne, die Frauen und Mädchen träumten von ihm. Manche Frau
und manche Maid wünschten, dass „sein Wille ihn immer zöge dahin“ (26, 2-3).
Siegfried war nicht nur ein Königssohn und Ritter, sondern auch ein Mann, mit
Ehrgeiz - „mochte er wohl erwerben beides: die Leute und das Land“ (27, 4) der auch
als Mann nach Liebe sehnte - „er dachte sein in Minne“ (24, 4) und wünschte, eine
schöne Ehefrau erwerben zu können - „manches ahnmutige Weib“ (24, 4).

In der dritten Aventiure schildert der Epiker einen neuen Weg Siegfrieds und
damit auch der Anfang des kommenden Schicksals.
Um Kriemhild zu gewinnen, kommt Siegfried nach Worms an. Dort erweist er
Gefälligkeit, Klugheit und strategisches Geschick. Hilfsbereitschaft und Tapferkeit
schafft er bravourös nicht nur beim Eintritt in Burgunder Hof. Er bestätigt sich den
Burgunder nebeneinander als tapferer triumphierter Kämpfer im Krieg mit Dänen und

84
Alberich ist ein Zwerg, der als Bewacher des Nibelungenschatzes auftritt.
85
Tarnkappe: Im Nibelungenlied errang Siegfried die Tarnkappe von Alberich, zusammen mit dem
Hort. Die Tarnkappe macht Siegfried unsichtbar. Das Motiv konnte der Epiker der griechischen
Mythologie entnehmen, da ihre Funktion dem klassischen Tarnmantel des Helden Perseus entspricht
(Perseus bekam den zauberhaften Tarnmantel von den Nymphen geschenkt - er konnte Medusa das
Haupt abschlagen. Vgl. Zamarovský, V., 1980, 287; 374-378)

48
Sachsen (4. Aventiure). Durch seine persönliche Strategie wurde er zweifacher Sieger,
da er auch Kriemhild, die schöne Burgunder Prinzessin erwirbt.

Siegfrieds durchaus heroisches Bild stört einen wesentlichen Makel in Form


seines listenreichen Benehmens zu Gunsten des Königs Gunther. Erstens hilft ihm
Siegfried beim Erwerb der Königin Brünhild auf Island (398; 400; 468; 476; 481) und
rettet dabei das Leben des Königs. Kurz danach greift er (anstelle des Königs Gunther)
beim Unterwerfen der mächtigen Königin während der Hochzeitsnacht (675-693) ein.
Obwohl Siegfried ein starker Mann ist, gerät er in Situation, wo die irdischen
Kräfte ungenügend sind. Deshalb benutzt er (445, Erwerb Brünhilds) die zauberhafte
Tarnkappe, die ihn unsichtbar macht und den Betrug ermöglicht.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine außergewöhnliche Eigenschaft


Siegfrieds, und zwar seine Unverwundbarkeit (104). Das Geheimnis steckt in dem
Drachens Blut. Nachdem er den Drachen erschlug, badete er in seinem Blut. Die Haut
des Helden wurde unverwundbar - „von solcher Härte, dass keine Waffe sie versehrt“
(104) - bis auf eine kleine Stelle auf dem Rücken, wo ein Lindenblatt landete. Dieses
Lindenstück wurde später die Folge der Erfüllung des Schicksals Siegfrieds.

Siegfrieds eindrucksvolle Stärke wird auch weiter hervorgehoben - in der


sechzehnten Aventiure auf der Jagd, da er eine Menge Großwild erjagt. Kurz danach
wird er heimtückisch ermordet (986, 1-2). Durch seinen Tod (1015) wird die Ehe mit
Kriemhild geschlossen, gleichzeitig bleibt er in den Erinnerungen seiner Gattin
lebendig: Kriemhild hat seinen Tod nicht verarbeitet, wie mehrmals in dem Epos
vorgelegt wird.

Die Siegfried-Figur bleibt bis zu Ende des Liedes im Fokus. Sein Tod wurde
ein der entscheidendsten Motive zur Vernichtung des Burgundenreiches.

49
4.2 Kriemhild

Kriemhild stellt das Idealbild einer edlen Prinzessin dar, die in der höfischen
Welt Verehrung genießt. Sie wächst am burgundischen Königshof in Worms, von ihrer
Eltern - König Dankrat und seine Gemahlin Ute geliebt, unter dem Vormund ihren
Königlichen Brüdern Gunther, Giselher und Gernot. Im Gegensatz zu den anderen
Figuren im Nibelungenlied ist Kriemhild die einzige Figur, bei der in dem Epos
deutliche Entwicklung vermerkt werden kann. Sie steht im Mittelpunkt des ganzen
Liedes. Als Figur verbindet sie dessen beiden Teile.

Kriemhilds Figur tritt in die Handlung in der dritten Aventiure ein. Sie ist nicht
gleich eine der Teilnehmer des Empfangs Siegfrieds, sie ist jedoch von ihm geahnt.

Die burgundische Prinzessin wird in dem Nibelungenlied als „schöne Maid“ (47,
2), „edele Jungfrau“ (48, 1) „mit ihrer stolzen Schönheit“ (48, 1) und „Hochgemüt“
(52, 1) geschildert. Die Schönheit Kriemhilds ist oft betont, besonders in der fünften
Aventiure, als sie Siegfried begegnet hatte. Der Erzähler sieht sie als „minnigliches
Wesen“, „Morgenrot“ (287, 1) mit „minniglichem Schein“ (288, 2), und betont, dass er
„auf dieser Erde etwas Schöneres nie gesehen hat“ (288, 4).
Kriemhilds Schönheit spiegelt ihre menschlichen Werte wider. Sie wirkt als
„Verkörperung der idealen inneren und äußeren Harmonie“ (287-291). Durch die
Eheschließung mit Siegfried gewinnt sie den Gattin-Status des Königssohnes.

Die Kriemhild-Figur nimmt in dem Epos mehrere Stellen ein. In dem ersten
Teil tritt sie als Siegfrieds Objekt der Minne auf, später als seine Gattin und in dem
zweiten Teil nicht nur als Frau und Witwe, die jahrelang in maßloser Trauer um ihren
verstorbenen Mann lebt, sondern auch als Etzels Gattin und Herrscherin des
Hunnenlandes (22. Aventiure) und schließlich Rächerin (37. - 38. Aventiure), die ihre
Macht nutzt, um Siegfrieds Mord zu rächen, ohne die blutigen Folgen ihrer Tat zu
bedenken (38. - 39. Aventiure).

50
4.1 Brünhild

Brünhild, Königin von Island, die auf dem Hof Isenstein lebt, ist eine der
wichtigsten Figuren des Nibelungenliedes. „Ihre mythischen Kräfte sind weit und breit
bekannt“ (333-335) - wie der Epiker hervorhebt. Sie ist schön, stark, stolz,
selbstbewusst und auch misstrauisch (6. Aventiure).

Die Brünhild-Figur tritt ins Geschehen in der sechsten Aventiure ein. Auch diese
Frau bzw. Königin schildert der Epiker als wunderschöne, herrliche Weib, welche
man nur schwer finden könnte: „… die ihr gliche, fände man wohl schwer: schön war
sie über die Maßen, gewaltig ihre Kraft;“ (333, 2-3).

Diese Figur scheint jedoch als eine kalte Herrscherin und stolze Frau, die ihre
Macht über alles vorzieht. Wer das Herz der Königin gewinnen möchte, muss sich
einem Wettbewerb unterziehen, drei Spiele gewinnen und sie besiegen. Der Verlierer
kommt jedoch ums Leben. Brünhild wünscht sich einen tatsächlich starken Mann -
einen Helden - heiraten (334-336).
Die mächtige Königin wird jedoch nicht von König Gunther, sondern von
Siegfried besiegt, da er seine zauberhafte Tarnkappe benutzt, sich unsichtbar macht und
durch diesen Betrug gewinnt er Brünhild für Gunther.

Brünhild ist jedoch keine leichtgläubige Frau, sie kann einfach nicht glauben,
dass Gunther so gut und stark ist und sie tatsächlich besiegte. Sie ist zornig, trotzig,
fühlt sich betrogen und gedemütigt. Sie verweigert Gunther in der Hochzeitsnacht den
Beischlaf; sie beabsichtigt, für immer Jungfrau zu bleiben und keinesfalls Gunthers
„minnigliches Weib zu werden“ (643-646). Ihre Würde und Stolz wurden verletzt. Ihre
mythischen Kräfte sind nämlich von ihrer Jungfräulichkeit abhängig.

Die Entwürdigung in der Hochzeitsmacht verletzt Brünhilds Stolz tatsächlich tief.


Es ist kein Wunder, dass Brünhild eine anständige Genugtuung erreichen wollte,
nachdem sie den Betrug Siegfrieds durchschaute. Solche Entwürdigung musste schwer
bestraft werden. Brünhild wünscht sich den Tod Siegfrieds (857; 859).

51
4.4 Gunther

Gunther, ein der drei Könige des Burgunderlandes herrscht in Worms.


Außerdem vertritt er auch die Rolle des Vormunds von seiner Schwester Kriemhild.
Seine Eltern, Dankrat und Ute, hinterließen ihrem Sohn Gunther das Erbe (5, 1-2). Im
Nibelungenlied ist er (sowie auch seine zwei Brüder Gernot und Giselher) als „edel und
reich“ (4, 1), „kühn an Kräften“ (6, 2) und „mit hohem Heldenmut“ (8, 2) geschildert.
Die Beziehung zwischen Gunther und seiner Schwester Kriemhild hat sich im
Laufe des Geschehens wesentlich verändert. Während am Anfang Hochachtung,
Gewogenheit und Treue unter Geschwistern spürbar ist, verursacht der Tod Siegfrieds
eine starke Veränderung des Verhaltens aller Akteure.
Aus der geschwisterlichen Liebe wird Hass, aus der Hochachtung wird
Verachtung und Respektlosigkeit, die Kriemhild mehr oder weniger bekundete, bis zur
offenbaren Feindschaft.
Charaktermäßig scheint Gunther wie eine schwache Figur, da er viel zu oft von
den anderen Protagonisten geleitet wird - nicht nur von seinen Brüdern Giselher und
Gernot, sondern vor allem von seinem Vasallen Hagen von Tronje. Gunther ist leicht
beeinflussbar, was sich in den wichtigen Situationen eindeutig zeigt: Gunther geht
Hagens Ratschläge nach, ohne sie mit seinen Brüdern zu besprechen oder Hagen zu
widersprechen.
Die Stellung Gunthers und der Ausweg bei der Werbung um Brünhild hebt seine
Schwäche hervor. Obwohl er von Siegfried gewarnt wird, um die isländische Prinzessin
nicht zu werben, hört Gunther nicht zu. Sein Stolz und seine Hochmütigkeit sind zu
groß. „Nie ward geboren ein Weib, so stark und so kühn auch, daß ich ihren Leib, im
Streit nicht bezwänge mit meiner eignen Hand.“ (339)
Seine Kräfte sind dagegen zu klein. Er überschätzt seine Fähigkeiten und ist dazu
gezwungen, Siegfried um Hilfe zu bitten. Statt sich als Mann und Kämpfer zu
bestätigen, beauftragt er Siegfried, den Erwerb zu erledigen und Leben einzusetzen.

Siegfried schließt mit Gunther einen geschäftlichen Vertrag ab: Er hilft dem
König Brünhild zu besiegen und als Entlohnung verspricht Gunther dem jungen Helden
seine Schwester Kriemhild als künftige Ehefrau. „So wie es steht mit mir, gibst du mir
deine Schwester, so will ich helfen dir.“ (Siegfried; 344,1-2).

52
„Das gelobe ich“, sprach Gunther, Siegfried, dir in die Hand. Kommt die schöne
Brünhild her in dieses Land, so will ich dir zum Weibe meine Schwester geben,…“
(Gunther; 345,1-3)

Gunthers Schwäche wird später nochmals in der Brautnacht gezeigt. Brünhild


ahnt, dass nicht Gunther selbst ihre Kräfte besiegte, so lehnt sie Gunther ab, fesselt ihn
und hängt an die Wand (648). Er ist zu schwach um sich zu wehren.
Gunther selbst war nicht in der Lage die mächtige Königin zu erobern, deshalb
musste er Siegfried um Hilfe bitten. Durch die listige Tat, an der Siegfried beteiligt war,
wurde Brünhild gezwungen, schließlich Gunthers Ehefrau zu werden (676-696).

Gunthers Manipulierbarkeit ist ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der


Mordplanung Siegfrieds (14. Aventiure). Zuerst will Gunther an Hagens Ratschläge
nicht hören, mehrmals lehnt er sie ab. Schließlich zeigt sich der König als ein
schwacher Herrscher, er ändert seine Meinung und bewilligt die grimme Ermordung
Siegfrieds. Gunther behandelt Siegfried undankbar. Er denkt nicht mehr daran, dass
Siegfried immer behilflich war und sich achtungsvoll zu ihm benahm.
Hagen von Tronje, als Vasall des Königs, profitiert von der Schwäche und
Säumigkeit Gunthers und gewinnt die führende Rolle.

4.5 Hagen von Tronje

Hagen von Tronje gehört zu den interessantesten Figuren, vor allem für seine
Umstrittenheit. Er wird im Nibelungenlied als mächtiger Vasall - „König Gunthers
Mann“ (421, 4.) präsentiert, der seine Treue zu den burgundischen Königen durch
die loyale Verpflichtung bestätigt. Seine körperlichen Eigenschaften und seine
Stärke bestimmen seine Rolle des hervorragenden Kämpfers voraus: „Das Held
war wohl gewachsen…“ (1782, 1), „…seine Brust war gewaltig (1782, 2),
„…herrenhaft war sein Gang.“ (1782, 4).
In dem Epos zeigen sich jedoch auch die dunklen Seiten Hagens Charakter - er
ist grimmig und verschlagen. Hagens Aussehen erregte Angstgefühle. „Furchtbare
Blicke er so viele tut. Er hat in seinem Wesen, glaub ich, grimmigen Mut.“ (427, 4). Als
einzige der Figuren im Epos wurde Hagen detaillierter beschrieben: „…sein Haar

53
mit grauer Farbe, die Beine waren lang und sein Gesicht gar nicht schrecklich…“
(1782, 3-4).

Hagen und Kriemhild vertreten in dem Epos die Gegenspieler. Hagen ist die
meist gehandelte Figur. Das Geschehen wird durch das Handeln Hagens differenziert
und vorwärts gerückt.
Im Unterschied zu Kriemhild steht Hagen mit Gunther gewissermaßen in dem
positiven Verhältnis; diese Figuren gehören zusammen. Er tritt nicht nur als Diener
und Vasall des Königshauses, sondern auch als nicht immer vorausschauender
Ratgeber.

In dem ersten Teil des Liedes (3. Aventiure) rät Hagen, Siegfried wie einen
Helden zu empfangen (105, 1-4); König Gunther stimmt völlig zu: „Du sprichst, mein
ich wahr.“ (106, 1). Vor dem drohenden Krieg mit Sachen und Dänen empfiehlt Hagen,
Siegfried als Kampfgefährte einzustellen (156, 4).

Bei der Werbung um Brünhild steht Hagen wieder als Ratgeber zur Dienst und
rät dem König Gunther, sich an Siegfried zu wenden: „So will ich Euch wohl raten“,
sprach da Hagen, „dass ihr Sigfrid bittet, mit Euch zu tragen die starke Beschwerde.
Mein Rat dahin geht, da es ihm so bekannt ist, wie es um Brünhilde steht.“ (342, 1-2).
Einen Fehler beging der gierige Hagen in dem Moment der Handlung, wo er das
Nibelungenhort (Kriemhilds Morgengabe) aus Xanten nach Worms liefern wollte
(1124) mit der Begründung, dass es Kriemhild zu Gunsten würde. König Gunther
bewilligt es, da er sich die Versöhnung mit seiner Schwester (nach dem Tod Siegfrieds)
wünschte (1125). Hagens Gier wird später blutige Folgen haben.

In dem zweiten Teil des Nibelungenliedes befindet sich Hagen in der Position
des weit blickenden Ratgebers, da er von der Vermählung Kriemhild und Etzel abrät
(1236, 4). Er ahnt Gefahr (Kriemhilds Rache wird kommen), trotzdem kommt er seine
Verpflichtungen in dem Glauben nach, dass er mit ausreichender Anzahl der Krieger
und mit voller Ausrüstung die Gefahr vermeiden werden kann (1510).
Ebenfalls wird Hagen durch das listenreiche und kaltherzige Handeln auch
dämonisiert (Siegfrieds Ermordung, Hortraub, Vereitelung der Prophezeiung, blutiger
Angriff der Hunnen während der Feier im Etzelshaus, Ortliebs Ermordung). Auf Grund
seines gewalttätigen Handelns erwartet ihn ein unheroischer Tod.

54
4.6 Etzel

Etzel wird im Nibelungenlied als sozusagen aufgeklärter Herrscher des


Hunnenlandes präsentiert. Er verfügt nicht nur über starke Autorität, sondern zeigt
auch Toleranz in den religiösen Fragen (seine Eheschließung mit Kriemhild, die eine
andere Religion angehörte; Christen und Heiden an dem Etzels Hof nebeneinander).
Trotz seiner guten Eigenschaften wird er als zögernde Figur dargestellt (33.-39.
Aventiure), da er die drohende Gefahr seitens Burgunden und Kriemhilds Absicht ihre
Rache zu begehen, unterschätzt. Sein Säumen führt zu einem unerträglichen Zustand,
wo er eine Menge seiner Krieger im blutigen Kampf mit den Burgundern verliert und
sein Land nicht mehr retten kann.

55
V. ANALYSE DER CHARAKTEURE
IN DEN SCHLÜSSELMOMENTEN
DER HANDLUNG

Die epische Dichtung beinhaltet verschiedene Elemente wie Erzähler, Motiven,


Figuren, Handlung, Symbole u. a. die als Strukturträger betrachtet werden können und
bei der Realisation der Dichtung von Bedeutung sind.

Im Vergleich zu dem eddischen Lied, in deren im Zentrum der Handlung nur


einzelne Figur steht, wird das Geschehen im Nibelungenlied von vielen Figuren
gekennzeichnet und beeinflusst. Obwohl das Epos Nibelungenlied nicht als ein
Geschichtsbuch betrachtet werden kann, bietet es ein bemerkenswertes Bild der
feudalen Welt dar.
Die Gründe zu einer bestimmten Handlungsart der Figuren werden nicht immer
offenbar gestellt, die Ereignisse werden mit mystischen oder märchenhaften Symbolen
verbunden. Die Szenenfolge hält die Rezipienten in Erwartung von einem neuen
Umschwung, lässt sie unterbewusst die Abfolge des Geschehens raten und in der
schlagartig gradierten Szene schließlich in sprachloses Erstaunen geraten.

Auf Grund des wechselnden und gradierenden Geschehens treten Fragen auf, die
durch Einblickversuche verschiedenartig und oft nur mit Schwierigkeiten eindeutig
beantwortet werden können. In diesem Kapitel werde ich mich bemühen, die passende
Interpretation des Handelns von einzelnen Figuren zu finden und aufgrund ihrer
Charakterzüge zu präsentieren.

Erzähler als Szenenführer

Der Erzähler des größten überlieferten mittelhochdeutschen Versepen, des


Nibelungenliedes beginnt mit Wörtern - „alten Mären Wunder“ (1, 1), die bei den
Rezipienten Erwartung und Spannung erwecken sollen.

„Uns sind in alten Mären Wunder viel gesagt


Von Helden, reich an Ehren von Kühnheit unverzagt,
von Freude und Festlichkeiten, von Weinen und von Klagen,
von Kühner Recken Streiten mögt ihr nun wunder hören sagen.“(1)

56
Die Rezipienten können die umfangreiche Erzählung von den Rittern und
heroische Taten erwarten - kühner Recken Streiten, die ein Drama schildern werden -
Freude und Festlichkeiten, Weinen und Klagen.
Der Epiker macht auf die ineinander verwobene Themenkreise, die den Inhalt
des Liedes bilden, aufmerksam: Burgunden, die Stadt Worms, schöne Frauen usw.,
beispielsweise „Kriemhild, die minnigliche Maid“ (2; 3; 7), „edle und reiche Könige,
Gunther, Gernot und Giselher“ (4; 5) mit ihrer hervorgehobenen Herkunft (sie seien
hochgeboren), „die besten Recken mit maßlosen Kräften, scharfe Kämpfe, späterer
Einfluss der Recken auf das Etzels Land“ (2; 3). Es wird auch der Schlüsselkonflikt
durch „zweier edler Frauen“ (7; 8) angedeutet.

Eine Menge der Protagonisten im Nibelungenlied - von den Königen und Rittern,
edlen Frauen bis zu den Nebenfiguren - versprechen eine spannungsvolle Erzählung
von bedeutenden Ereignissen, bei denen die Helden, Minne und Macht im
Mittelpunkt stehen.
Um die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu fesseln, verwendet der Epiker
mystische Elemente wie magische Tarnkappe, Unverwundbarkeit des Helden
Siegfried, Ring und Gürtel als Gegenstände der außergewöhnlichen Kraft, Nixe mit
ihrer Prophezeiung und Träume als hellseherische Fähigkeiten (Kriemhild).

5.1 Kriemhilds Träume

Die Träume, als psychische Aktivität während des Schlafens sind eigentlich
Bilder, die gewissermaßen Wünsche der träumenden Person widerspiegeln oder in
bestimmten allegorischen Verschlüsselungen Warnungen bringen.

Am Anfang des Liedes kann sich der Rezipient Fragen stellen, wie z. B. „Welche
Funktion hatte ein Traum im Mittelalter?“ und „Welche Bedeutung kann der Rezipient
ersehen?“, die im Laufe der Handlung teilweise von dem Epiker durch die epische
Gestaltung beantwortet werden.

Kriemhilds Träume stellen im Nibelungenlied die Schlüsselpfeiler dar, die in


der Interpretation den zukünftigen Ausgang ahnen lassen.

57
Drei Schlüsselträume Kriemhilds werden die Vorboten des Todes Siegfrieds.
Interessant finde ich, dass in dem Epos nur Frauen träumen (nicht nur Kriemhilde,
sondern auch Brünhild). Folgend werde ich versuchen, die Traumdeutungen vorzulegen
bzw. die Träume Kriemhilds zu interpretieren.
Die Entschlüsselung der Traumsymbole ist für die durchlaufende Handlung sehr
wichtig, da sie ermöglicht, die Protagonisten, das globale Geschehen und die Charaktere
der Figuren besser zu deuten und zu verstehen.

5.1.1 Der Falkentraum

Die erste Aventiure des Liedes bringt dem Rezipienten Erkenntnisse über
Prinzessin Kriemhild, über ihre Brüder und übermittelt die gegebenen Verhältnisse auf
dem Wormser Hof. Kriemhild träumt ihren ersten Traum.

Obwohl die Prinzessin eher als passive Figur wirkt, spielt sie in dem Traum
eine aktive Rolle - „…sie zöge einen Falken, einen starken schönen, wilden Falken…“
(13, 2). Der Falke kreist nicht irgendwo über den Kopf Kriemhilds - als eine Bedeutung
der Passivität, sondern sie zieht den Falken zu sich. Dies weist auf die Aktivität der
handelnden Figur.
Eine Weile danach kann Kriemhild sehen, wie zwei Aare (Adler) einen starken
schönen, wilden Falken erkrallten (13, 3). Diese Adler, die auch unter die königlichen
Tiere gezählt werden, stellen im Nibelungenlied die Täter dar; der Falke musste zum
Opfer fallen. Dieser Falke ist mit Siegfried identisch.

Im deutschen Mittelalter wird oft der Held oder insbesondere der Geliebte mit
einem Falken verglichen, so auch im Nibelungenlied.86

86
Vgl. Bächtold-Stäubli, H. u. a., 1978, S. 1156

58
Kriemhild ist ein zartes Wesen, die vor Minne (= Liebe) geschützt werden
möchte: „Ohne Reckenminne, so will ich immer sein.“ (15, 2). Sie hat „Angst vor
Mannesminne und vor der Not“ (15, 2-4), sie ahnt, dass die Liebe mit Leid verknüpft
wird. Je mehr sie sich weigert, desto größere Bedeutung hat für sie der Traum, in dem
der Falke einen Ritter darstellt.
Heimlich wünscht sich Kriemhild „einen kühnen Ritter gewinnen“ (18, 3-4).
Zugleich fürchtet sie den Tod des Mannes, wie das Sterben des Falken in ihrem Traum
andeutete. Kriemhilds Warnträumen stellen im Nibelungenlied das Vorzeichen einer
späteren Tragödie dar.

Kriemhild sucht einen Ausweg, um die Erfüllung der schrecklichen Prophezeiung


zu vermeiden, deshalb vertraut sie ihrer Mutter Ute zu, dass sie „nie einem Mann ihre
Liebe und ihr Herz schenken wird“ (15, 1-4). Als Kriemhild den Traum ihrer Mutter
Ute erzählte, reagierte die Königin eher positiv: „Der Falke, den du siehst, das ist ein
edler Mann. Ihn volle Gott behüten; sonst ist es bald um ihn getan.“ (14, 3-4).

Ich bin der Ansicht, dass die heutigen Rezipienten Kriemhilds Schwur - das
Leben „ohne Reckenminne“ (15, 2) zu verbringen - nicht ganz ernst nehmen würden.
Kriemhilds Mutter sorgt jedoch um ihre junge unerfahrene Tochter und versucht sie zu
ermutigen (15; 1). Kriemhilds einzige Behüterin und Beraterin ist also ihre Mutter Ute,
die zu ihr liebevoll spricht:

„Lehn es nicht so gänzlich“, die Mutter sprach also


„ sollst du je auf Erden von Herzen werden froh,
das ist von Mannesminne. Du wirst ein schönes Weib,
wenn Gott dir bescheret noch eines guten Ritters Leib.“ (16, 1)

Obwohl Ute ihre Tochter von der Entscheidung - ohne Recken-Minne bis zum
Tod bleiben (15; 2-3) - abbringt und die Einblicke in die Zukunft positiv schildert,
nimmt Kriemhild die Warnung ihres Traums ernst. Später versucht sie, aktiv zu
werden und Siegfried vor dem Tod zu schützen. Ihre Bemühungen scheitern jedoch an
Misstrauen, Habgier und Machtgier (s. weiter 5.8 Siegfrieds Ermordung).
Der Prophezeiung über den Tod und das Schicksal kann jedoch Siegfried
nicht entkommen.

59
Der Epiker äußert die Vorausdeutung durch den Tod des Ritters bzw. des Falken:
„…kam mancher Mutter Kind in Not…“ (19, 4) und macht deutlicher, dass der Ritter
„derselbe Falke“ ist, „den sie (Kriemhild) im Traume sah“ (19, 1), und dass der Ritter
Siegfried sein wird (s. weiter 5.8 Siegfrieds Ermordung).
Die von dem Erzähler geschilderte Szene der zerreißenden Adler musste bei der
zarten Kriemhild ein schreckliches blutiges Bild hervorrufen. Der Erzähler erhöhte
damit die Spannung beim Publikum. Spricht man von den Träumen, bleibt eine Frage
offen (wie folgt).

 Dürfte Siegfried am Leben sein, falls er Kriemhild nicht heiraten würde?

Diese Frage kann kaum eindeutig beantwortet werden. Erstens handelt es sich hier
um ein Epos, in dem die Handlung von dem Erzähler bestimmt wird. Zweitens muss es
sich nicht um eine Geschichte handeln, die auf der Basis der Tatsächlichkeit geschildert
wird. Deshalb bleibt die Antwort auf die o.a. Frage nur für Spekulationen offen gestellt.

In den meisten Kulturen spricht man von dem Schicksal als von einer
Bestimmung, die im Voraus gegeben ist. Das Schicksal, das von den Menschen
wahrgenommen wird, bedeutet nicht nur Glück, sondern auch Unglück.

Zu Siegfried war sein Schicksal hart. Sein Leben wurde von mehreren
menschlichen Schwächen deutlich beeinflusst und schließlich wurde ihm seine Kraft
und Leben entnommen. Ein einziger Streit zwischen zwei Frauen, Begierde und
Sehnsucht nach Rache, sowie auch nach unbegrenzter Macht vernichtete die langjährig
aufgebauten Beziehungen und schließlich auch das ganze Nibelungenland.

 Konnte in diesem Fall tatsächlich von dem Schicksal gesprochen werden?


Oder passierte die Vernichtung auf Grund der unkontrollierbaren niedrigen
Treiben der Menschen wie Gunther, Hagen, Kriemhild und Brünhild?

Unbestritten ist die Tatsache, dass der Epiker große Sorgen der königlichen Eltern
Sigmund und Sigelind um ihren Sohn wiederholt äußerte, als Siegfried seine Absicht
um Kriemhild zu werben, bekundete.

60
„Diese Märe hörte da König Sigmund. Davon sprachen die Leute.
Dadurch ward ihm kund der Willen seines Sohnes.
Das war ihm bitter leid, daß er werben sollte um diese herrliche Maid.“ (53).

 Existierten Gründe dafür, um Siegfried zu sorgen?

Offensichtlich wurde dem König Sigmund das Burgundenland, sowie auch seine
Herrscher Gunther und Gernot bekannt. Er versuchte seinen Sohn von der Werbung
abzuraten und vor Gunthers übermütigem Mann (= Hagen; 56, 4) zu warnen. Sigelind,
als Frau und Mutter, mit ihrem mütterlichen Instinkt ist die gleiche Meinung. Am
liebsten würde sie ihr Kind vor allen Bösen behüten; ihre bösen Ahnungen deuteten,
dass sie Siegfried verlieren wird.

„So vernahm es auch die Mutter, die edle Sigelind.


Sie mußte schwere Sorge haben um ihr Kind:
sie meint ihn zu verlieren durch Gunthers Heeresbann.
Die Werbung man dem Degen sehr zu widerraten begann.“ (54)

Zu Ende des Nibelungenliedes wird die Prophezeiung, die in Erfüllung kommt,


von dem Epiker geschildert. Hochmütigkeit, Neid und das Nibelungengold brachten
nicht nur viel Leid, sondern den Untergang des ganzen Burgunderlandes.

5.1.2 Der Ebertraum

Kriemhilds erster Wunsch - „ohne Reckenminne“ (15, 2) zu bleiben, kommt nicht


in Erfüllung. Sie begegnete Siegfried, der in ihrem Herzen Minne erweckte. Sie
heiratete ihn und wurde Königin (717; 726-727) bzw. die Ehefrau Königs Siegfried.

Zwölf87 Jahre vergingen. Kriemhild gebar einen Sohn, der nach ihrem Bruder
Gunther getauft wurde (729). Wie es von dem Epiker vorgelegt wurde, ist ihre Ehe

87
Zwölf: Im Nibelungenlied ist auffällig, wie oft die Zahl zwölf auftaucht.
„Die Zwölf gibt zum Ausdruck, dass alles Sein nach Durchlauf sämtlicher Stufen der Entwicklung
wieder in seinen Ursprung zurückkehrt. In der Zwölf, der Urzahl, der Mutter aller Zahlenmystik,
finden wir die Anleitung zum Glücklichsein. Da man schon in der Vorzeit in der Zwölf eine
kosmische Zahl sah, musste sie für die damals Lebenden als von Gott gegeben gelten.“ (Vgl. Gruss,
A. M., 2009; Mehr zu diesem Thema s. Anlage 2. - Glossar.)

61
anhand einer zweckmäßigen trügerischen Vereinbarung zwischen Gunther und
Siegfried zustande gekommen.
Kriemhilds Hochmut und jahrelang verborgener Hass zu Brünhild, der einen
starken Königinnenstreit erregte, brachte tödliche Folgen, an denen der Lehnsmann
Gunthers - hinterlistiger Hagen - einen grundlegenden Anteil hatte.

Hagen, der angeblich Brünhilds öffentliche Entehrung rächen will, bemüht sich,
über Siegfrieds verwundbare Stelle von Kriemhild zu erfahren, und zwar unter dem
Vorwand, dass er ihn besser schützen könne: „Wie ich Euch dienen könne an Siegfried,
Eurem Mann.“ (908, 2-3).

Kriemhild träumt in der Nacht vor der trügerischen Jagd, die Hagen mit
Gunthers Einwilligung geschmiedet haben (919). Ihre bösen Träume erzählt Kriemhild
ihrem Mann und äußert eindringliche Bitten um ihn heim zu halten.

Sie sprach zu dem Recken: „Laß Euer Jagt sein!


Mir träumte von Leide: wie Euch zwei wilde Schwein
jagten über die Heide. Da wurden die Blumen rot.
Drum muß so sehr ich weinen. Das schafft mir armen Weiben Not.“ (935)

Die „zwei wilde Schwein“ (935, 2) in dem Traum Kriemhilds können als zwei
gewaltige Gegner interpretiert werden. Kriemhild träumte schon früher einen Traum, in
dem ein wilder Falke als Siegfried interpretiert werden kann (13, 2).

Durch den zweiten Traum, in dem der Tod Siegfrieds dargeboten wird,
bestätigt die Überzeugung Kriemhilds, dass sie eine übernatürliche Eigenschaft besitzt
und die Zukunft hineinsehen kann. „…ich fürchte deinen Fall. Mir träumte nächtlich
Unheil, als ob hier zu Tal stürzten zwei Berge; ich sah dich nimmermehr.“ (938, 1-3).
Die Königin ist richtig verzweifelt und macht sich um Siegfried Sorgen.

Siegfried hält die Träume als belanglos, er fühlt sich sicher und unverwundbar:
„Ich weiß hier keine Feinde…“ (937, 2). Kein Argument konnte Siegfried von seiner
Absicht, an der Jagt teilzunehmen, abbringen. Sein Nichtbeachten der mächtigen Feinde
- „wilde Schweine“ (935, 2) - wurde für Siegfried schicksalhaft. Seinen Tod
symbolisiert die Schilderung des Erzählers: „…da wurden die Blumen rot.“ (935, 3).

62
5.1.2 Der Bergetraum

Kriemhild weiß, dass sich Siegfried in Gefahr befindet. Sie kann es besser
als Siegfried einschätzen. „Nein doch, Herr Siegfried, ich fürchte deinen Fall.“ (938,
1), deshalb versucht sie ihn zu überzeugen, bei ihr zu bleiben und auf die Jagt mit
Gunther und Hagen zu verzichten. Sie erzählt ihm ihren Traum: „Mir träumte nächtlich
Unheil, als ob hier zu Tal stürzten zwei Berge; ich sah dich nimmermehr.“ (938, 2-3).
Dieser Traum prophezeit den Tod Siegfrieds, sowie auch die zwei vorherigen
Träume. Kriemhilds verzweifelten Worte zu ihrem geliebten Siegfried - „Willst du nun
von mir scheiden, das schmerzt mich innerlich gar sehr.“ (938, 4) klingen, als ob sie
eine Prophezeiung selbst wären. Siegfried konnte jedoch nicht einschätzen, was damit
Kriemhild sagen will. Er weiß von der wirklichen Lage nicht Bescheid. Nach dem
„innigen Küssen“ (939, 2) verlässt er seine „tugendliche Weib“ (939, 1) ohne weiteres
Wort zu sagen.
Der Epiker bestätigt das Drama, das nach der Abreise Siegfrieds geschehen wird.
Die prophetischen Träume werden in Erfüllung gehen. Er macht den Rezipienten klar,
dass Kriemhild ihren Mann leider nimmermehr gesund sehen wird (939, 4). Mit diesen
Worten betonte der Erzähler das tragische Ende des geliebten Mannes.

Kriemhild vermutet, dass sie eine Fähigkeit besitzt, in die Zukunft


hineinzublicken. Durch das Verraten der verwundbaren Stelle Siegfrieds an Hagen
verstärkt sich bei ihr das Gefühl, dass sich das unvermeidbare Ende des Helden nähert.
Kriemhilds Träume zeigen zwei Mörder - zwei Adler, zwei Wildschweine und
zwei Berge. Nur in dem ersten Traum erscheint ein Tier, der wilde Falke, in dem das
Opfer (Siegfried) verschlüsselt wurde. In den nächsten zwei Träumen kann der
Rezipient deutlich erkennen, dass Siegfried zum Opfer eines Mordes wird. In diesen
Träumen wird Siegfried als Mensch dargestellt.
Merkwürdig finde ich, dass Kriemhild lieber schweigt, statt ihrem Gatten ihr
Versagen anzuvertrauen. Ihre Angst - aufgrund der Todesträume - zeigt sich später in
der Handlung als berechtigt zu sein. Sie ist die Einzige, die weiß, wer Siegfried
umbringen wird. Trotzdem unternimmt sie keinen kräftigen Schritt für eine Rettung.

Der Epiker deutet den Rezipienten an, dass Kriemhild den potentiellen Mörder
Siegfrieds (Hagen) sieht. Kriemhild weiß (von ihren Träumen), dass es zwei Mörder

63
gibt. Fraglich ist also, ob Kriemhild ihren eigenen Bruder (Gunther) als den zweiten
Mörder einschätzt.
Da Hagen von Tronje auf dem Hof des Königs Gunther offensichtlich eine
privilegierte Stellung einnimmt (er berät den König viel zu oft), ist es möglich, dass ihn
Kriemhild von Anfang an nicht richtig abschätzte. Sie konnte ihn für einen Vasallen88
halten, der von seinem Herrscher (Gunther) im Privaten nicht kontrolliert wird.
Gunther scheint jedoch als Mitschuldige Hagens. Schließlich griff er nicht ein, als
Hagen Kriemhilds Mann Siegfried ermorden wollte; nicht einmal bei der Ermordung.
Gunther wusste über die Pläne Hagens, trotzdem reagierte mit keinem einzigen Wort zu
seinem sterbenden Schwager.
Das gefühllose Verhalten stellt Gunther und Hagen auf gleiches Niveau, als ob die
Beiden ebenbürtig wären. Dies zeigten auch Kriemhilds Träume: zwei Feinde, die
gegenüber Siegfried standen, erschienen als ebenbürtig. Die Träume sind offensichtlich
prophetisch präsentiert, sie zeigen das wahre Verhältnis der Täter.

 Ist es möglich, dass diese Tatsache Kriemhild übersehen hatte?

Da Gunther Kriemhilds Bruder und Vormund war, bevor sie Siegfried heiratete,
konnte es passieren, dass Kriemhild zu ihm geschwisterliches Vertrauen hatte und
keinen Verrat bedachte.
Beim achtsamen Lesen der siebzehnten Aventiure, als Kriemhild bei der
Bestattung Siegfrieds mit ihrem Bruder spricht und er zwingt ihr die Schuld der
Schächer an der Ermordung Siegfrieds auf, äußert sie ganz deutlich, dass sie sich der
Mitschuld Gunters bewusst ist.

„Diese Schächer sind mir wohlbekannt. Gott lasse es noch rächen seiner
Freunde Hand! Gunther und Hagen, ihr habt es getan.“ (1064, 1-3).

88
Vasall - ein Herr, der sich freiwillig als Gefolgsmann in den Dienst eines anderen Herrn stellte
und sich diesem für bestimmte militärische oder diplomatische Dienstleistungen verpflichtete.
(Vgl. DUDEN, S. 1788)

64
5.1.3 Träume – Teilschlussfolgerung

Die Handlung des Nibelungenliedes umfasst eine Zeitspanne von mehreren


Jahrzehnten, in deren lässt sich nicht bestreiten, dass Kriemhild eine wesentliche
Charakterentwicklung durchmacht, die sich auch in ihren Träumen widerspiegelt.

Im Falkentraum spielt sie eine aktive Rolle, was ganz im Gegenteil zu dem
alltäglichen höfischen Leben steht. Im Laufe der Zeit bis zu den anderen Träumen kann
man beobachten, wie es zur Umkehrung der Verhältnisse kam.
Die passiv auftretende Prinzessin veränderte sich in ihrem Traum zu einer
aktiven Herrscherin. Aus der undurchsichtigen und passiven Kriemhild als einer der
Mitglieder des Hofes von Burgund, auf dem sie nur eine symbolische (obwohl auch
verehrte) Position vertritt, wird später mit Hilfe eines höfischen und idealen Partner
(Falke) bzw. eines Helden (Falke = Siegfried) und später ihres Ehemannes und Königs
eine aktive und selbstbewusste Frau. Davon lässt sich bei Kriemhild eine gewisse
Progression der Individualität erkennen.

Die Merkmale der Persönlichkeit Kriemhilds im Vergleich zu den ersten Strophen


und zu dem Ende des Liedes zeigen, wie sie sich von der unschuldigen, liebevollen
Jungfrau zur furchtbaren, erbarmungslos rächenden Teufelin verändert.

Die zwei anderen Träume, die unmittelbar vor dem Beginn der todbringenden
Jagd auftauchen, prophezeien den Tod des Haupthelden und akzentuieren das Ende des
ersten Teiles des Nibelungenliedes.

Nach diesen Träumen tritt Kriemhild als eine aktive Figur auf, als eine liebende
und sorgenvolle Ehefrau, die ihren Gatten überzeugen will, an der Jagt nicht
teilzunehmen. Kriemhilds Argument, um Siegfried zu überzeugen, war die doppelte
nachdrückliche Warnung, die sie in ihren Träumen entschlüsselt hatte.
Kriemhild nimmt alle Träume, die von prophetischer Natur waren, sehr ernsthaft.
Sie will diese Träume nicht wahr werden lassen, deshalb versucht sie, entsprechend zu
handeln. Interessanterweise berichtet sie Siegfried nicht, dass sie im Gespräch mit
Hagen das Geheimnis Siegfrieds (die verwundbare Stelle auf Siegfrieds Schulter)
verraten hatte. Stattdessen bemühte sie sich anhand der Traumbilder ihren Ehemann zu
überzeugen, dass am Hof die böse Feindschaft gegenüber ihm herrscht. Damit konnte

65
Kriemhild seine Gedanken auf Brunhild (aus meiner Sicht etwa betrügerisch) lenken
und ihre eigene Schuld verbergen.

Kriemhilds aktives Handeln und argumentativ belegte Überzeugung bleibt


erfolglos. Siegfried schließt die Szene mit einem Kuss ab, was von den Rezipienten als
ein Abschiedskuss vor dem Weg in den Tod betrachtet werden kann.

Kriemhild erkannte mit Befürchtung, dass ihre Bemühungen gescheitert sind und
die offenbarten Zukunftsbilder unaufhaltsam wahr werden. Die Traumbilder brachten
sie dazu, sich mit ihnen ernsthaft zu beschäftigen, Schlussfolgerungen zu ziehen und
entsprechend zu handeln bzw. versuchen zu handeln.

5.2 Siegfrieds und Kriemhilds Annäherung

Bevor Siegfried nach Worms gekommen war, vernahm er die Mär von „der
stolzen Schönheit“ (48; 1) und „Minne“ (49; 1) Kriemhilds. Er musste bedingungslos
zu den Burgunden fahren und das minnigliche Maid erwerben.

„Von ihrer stolzen Schönheit ging die Kunde weit;


und auch ihr Hochgemüte zu der gleichen Zeit
hatte bei der Jungfrau so mancher Held erkannt.
Das lockte viele Degen hin in König Gunthers Land.“ (48)

Siegfried hat Kriemhild nie gesehen, trotzdem hatte er das Gefühl, sie wäre die
richtige Braut für ihn. Er „sann auf hohe Minne“ (50; 1) und beschloss, die Prinzessin
zu heiraten: „Kriemhild alsdann ich nehme.“ (51, 4).

Interessant finde ich, dass Siegfried nach Worms gekommen ist, um nicht nur die
schöne Maid zu gewinnen. Primär scheint es so, dass er in Absicht hatte, die Herrschaft
über das Burgundenreich zu erlangen und erst dann um die burgundische Prinzessin zu
werben. In dieser Reihenfolge schildert der Epiker Siegfrieds kühne Pläne in der
jugendlichen Impulsivität des edlen Königsohnes: „…ich trau mich zu erzwingen
beides, Leute und Land…“ (58, 4).

66
Aus diesen Indizien ist es ersichtlich, dass die Motive des Handelns Siegfrieds
Macht und Liebe sind.
Nicht durch Liebe, sondern durch seine Taten will Siegfried Kriemhild verdienen
(49). Der Erzähler schildert Siegfrieds Absichten ganz deutlich: Als Siegfried in Worms
ankam, trat er als Aggressor auf, obwohl er kein Kriegsheer mitgebracht hat. Er wollte
um das Land und um die Herrschaft kämpfen (111-114). Dies bestätigen auch seine
Worte: „Ich will von Euch erzwingen, was Euch gehöret an; Land sowie Burgen, das
soll mir werden untertan.“ (114, 3-4).

Nachher brach ein Streit aus, der aber gemildert wurde. Siegfried erhielt ein
Angebot, und zwar, die Gastfreundschaft des burgundischen Königshofs anzunehmen
(124-125). Siegfried erinnerte sich an das wahre Ziel seines Besuches in Worms - die
herrliche Maid, Kriemhild (127, 4).

Obwohl in diesem Teilabschnitt des Nibelungenliedes nicht explizit gesagt wurde,


dass Kriemhild die Empfangsszene und auch den vorher drohenden Streit beobachtete,
ist es ganz gut möglich, dass sie es heimlich tat. Kriemhild musste jedoch eine längere
Zeit abwarten, bis sie dem schönen Helden Auge in Auge gegenüberstehen durfte.
Die erste Annäherung Siegfrieds und Kriemhilds (284, 287, 290-295) passierte
nach seinem Triumph in dem Krieg mit Sachsen und Dänen, während der Festlichkeit
(276, 1), die zu Ehren des Sieges veranstaltet wurde.

Kriemhilds zurückhaltendes Verhalten kann besser verstanden werden, nachdem


man die mittelalterlichen Sitten näher kennenlernt.
Nach Edith Ennenová (2001, S. 34-37) beteiligten sich Frauen im Mittelalter an
dem öffentlichen Leben nicht, nahmen an den „Männersachen“ oder an einem Kampf
bzw. einem Streit nicht teil und traten an der Öffentlichkeit nicht auf. Die Stellung der
Frauen im Mittelalter war gegenüber den Männern keinesfalls gleichwertig.

Kriemhild war noch Jungfrau und stand unter der Vormundschaft ihres Bruders
Gunther. Bevor sie Königin wurde, musste sie sich den mittelalterlichen und höfischen
Sitten und Gewohnheiten unterwerfen.

Das negative Bild der Frauen wurde vermutlich vor allem durch ihre schwächere
Körperkonstitution dargestellt. Diesem Bild entspricht auch Kriemhild. Sie stellt das

67
Bild der zärtlichen Naivität, mit fast ätherischem Aussehen dar. Wie das Morgenrot
scheint aus trüben Wolken“ (287, 1) schildert sie der Epiker.

Verschiedene (logisch nur schwer begründete) Vermutungen, dass die Männer


Recht haben, die Frauen zu beherrschen, sie sogar körperlich zu bestrafen, weil die
Männer den Frauen übergeordnet sind, beruhen auf einem Teil der Bibel bzw. auf
einigen falschen Interpretationen (Evas Ursünde als Ausgangspunkt für die
untergeordnete Rolle der Frau in der Gesellschaft).89
Kriemhild im Nibelungenlied ist keine Ausnahme. Der Erzähler nennt Kriemhild
mehrmals als „Königin“, sie konnte jedoch erst nach der Heirat mit einem passenden
edlen Mann - König - die „richtige“ Königin werden. Bisher lebte sie auf dem Hof als
Prinzessin, unter der Vormundschaft ihres Bruders Gunther. Ich bin der Ansicht, dass
der Epiker die Benennung „Königin“ (Kriemhild) aufgrund des prächtigen Aussehens,
der Erhabenheit, der reichen Gewand und Majestät dieser jungen Frau verwendete d. h.
er musste damit nicht explizit den Königstitel meinen.

Siegfrieds Vater Sigmund hat seinem Sohn die Krone angeboten, er wollte sie
aber nicht annehmen solange seine Eltern leben (45). Erst nach der Heirat mit Kriemhild
wurde Siegfried König und seine junge Frau Königin. Kriemhild verliebte sich in
Siegfried sozusagen auf den ersten Blick und liebte ihn als Mann und Herrscher,
obwohl die Ehe mehr oder weniger von ihrem Bruder Gunther erzwungen war.

Im Mittelalter war es nicht üblich, dass sich die Leute aufgrund der Liebe für die
Eheschließung entschieden haben. Die Ehe wurde als Geschäft betrachtet und unter
Herrscher und höheren Adeligen auch als ein politischer Vertrag akzeptiert. Die Frauen
durften an den Verhandlungen unter Männern nicht teilnehmen, sondern sie mussten
sich im Hintergrund halten.90 Das war auch Kriemhilds Fall.

Nach dem Ankommen Brunhilds auf den Wormser Hof erinnerte Siegfried König
Gunther an das Versprechen, dass Kriemhild seine Ehefrau werden soll. Siegfried
verdiente sie nämlich als „Belohnung“ von Gunther - nach der Werbung um Brünhild.

89
Vgl. Ennenová, E., 2001, S. 34-37
90
Vgl. Ennenová, E., 2001, S. 34-37

68
Kriemhild wusste nichts davon, dass sich ihr Bruder Gunther mit Siegfried auf der
Ehe einigte. Sie wurde von Gunther „angeboten“, Siegfried zu heiraten (623).

Da sprach der König Gunther: „Laß dirs nicht werden leid,


meine liebe Schwester, und löse meinen Eid!“
Ich gelobte dich einem Recken; und wird er dein Mann,
so hast nach meinem Willen gar getreulich du getan.“ (623)

Gunther demonstrierte vor dem Hof seine Macht und Autorität - sein Wille ist wie
Gesetz. Kriemhild, wie eine gut erzogene edle junge Frau, konnte sich einen Widerstand
nicht leisten. Sie willigte ein.

„Da sprach die edle Jungfrau: ´Viellieber Bruder mein,


du sollst darum nicht flehen. Denn ich will immer sein,
was ihr mir gebietet; das sei nun getan.
Ich will mich dem verloben, den Ihr, Herr, mir gebt zum Mann.´“ (624)

Siegfrieds und Kriemhilds Ehe hatte unbestreitbar nicht nur die politischen
Vorteile, sondern sicherte auch ein gewisses Ausmaß der steigernden Macht.
Gunther war sich dieser Tatsache bestimmt bewusst.
Für Kriemhild hatte jedoch diese Ehe eine ganz andere Bedeutung. Sie, als eine
typische mittelalterliche Frau, die keine übermäßige Wahl von potentiellen Ehemännern
hatte, konnte die Begegnung mit Siegfried tatsächlich als einen positiven
Schicksalsschlag betrachten. Der Held führte seine besten Eigenschaften vor: Mut,
Entschiedenheit, Hilfsbereitschaft, Offenherzigkeit, körperliche Kraft und Stärke, sowie
auch seine adelige Herkunft und Tapferkeit. Zusammen mit der Schönheit (wie der
Epiker oftmals betont) und seinem glänzenden ritterlichen Aussehen stellt Siegfried im
Nibelungenlied einen Idealmann dar, nach dem jedes Mädchen oder jede Frau sehnen
muss. Kriemhild war hier keine Ausnahme. Ihr Herz musste einfach die Liebe ausfüllen.

 Ist es möglich, dass Siegfried, Gunther und Kriemhild kalt kalkulierten und
die Heiratsabsicht den macht-politischen Zielen unterordneten?

Gunther ist im Nibelungenlied König eines mächtigen Landes (Burgundenland)


und seine Schwester sollte nach den adeligen Sitten einen mächtigen Mann heiraten.
Siegfrieds Herkunft wurde dem Ort Santen (= Xanten; 20, 4) in den Niederlanden

69
zugeschrieben (20, 1). Er ist ein Held, Drachentöter und Besitzer des Nibelungenhortes
aus dem märchenhaften Ort, der als Nibelungenland bekannt war (3. Aventiure).

In der Zeit des Mittelalters wurde eine königliche Ehe oft aus politischen
Gesichtspunkten geschlossen. Die Gefühle fanden in den adeligen Bündnissen keinen
großen Platz. Bevorzugt wurden die wirtschaftlichen und politischen Interessen.91

Der Rezipient des Nibelungenliedes kann annehmen, dass alle drei Protagonisten
(Siegfried, Gunther und Kriemhild) ihre eigenen Gründe hatten, ihre machtpolitischen
Ziele durch die Heirat (Siegfried mit Kriemhild) erreichen zu wollen. Aufgrund der
Andeutung des Epikers können jedoch bei Kriemhild die möglichen kaltblütigen
Kalküle in Zweifel gezogen werden - sie war nämlich in Siegfried verliebt. Dass die
Beiden gegenseitige Zuneigung fühlen mussten, kann der Rezipient einfach den Worten
des Epikers entnehmen: „Da schied von jeder Not, wer sie trug im Herze.“ (287, 2-3),
Siegfried gewann von Kriemhild den wonniglichen Anblick (297, 3), „in minniglicher
Tugend“ begrüßte sie Siegfried (297, 4) und „sie faßt ihn an der Hand. Wie minniglich
zu schauen, der Recke bei ihr stand! Mit liebevollen Blicken sah sie einander an“ (299,
2-4) „in herzlieber Minne“ (300, 2).

5.3 Brünhilds Niederlage

Brünhild stellt im Nibelungenlied eine unabhängige Herrscherin des nordischen


Landes (Island) dar.
Da der Erzähler die Geschichte ins 12. Jahrhundert situiert hat, ist diese Tatsache
mehr als beachtenswert. Die Mittelalterliche Geschichte nimmt keine einzige
Herrscherin eines gewissen Landes auf dem alten Kontinent auf. 92
Bezüglich dieser
Feststellung bietet sich folgende Frage dar.

91
Vgl. Otis-Cour, L., 2002, S. 54-59
92
Vgl. Ennenová, E., 2001, S. 30

70
 Warum Brünhild über das Privileg einer emanzipierten Frau verfügt? Worin
ist sie so einzigartig? Wie sie ihre faszinierende Kraft beherrscht?

Brünhilds vorheriges Leben und ihr Weg zur Macht und Herrschaft auf Island ist
im Nibelungenlied nicht bekannt gegeben. Der Epiker bietet nur die reine Tatsache, dass
Brünhild die Königin auf Island ist.

„Es war eine Königin gesessen überm Meer;


Eine, die ihr gliche, fände man wohl schwer:
Schön war sie über die Maßen, gewaltig ihre Kraft;
Sie warf mit schnellen Degen um die Minne den Schaft.“ (333)

Brünhild ist anscheinend die erste Wegbereiterin der Frauenemanzipation im


Mittelalter. Sie ist stark, selbstständig, entschlossen, verfügt über nordische Schönheit.
„Ihre Kraft war gewaltig (333, 3), sie benahm sich wie ein Ritter: „Da war gekommen
Brünhild, die man gewaffnet fand…“ (453); „...einen Waffenrock sie trug“ (453).

Diese Märe von Brünhild vernahm Gunther, dem diese außergewöhnliche Frau
kräftig imponieren musste und er wollte sie unbedingt haben. Brünhilds
außerordentliche Schönheit und Kraft war bestimmt eine gute Motivation für ihn, damit
er seinen Status des Herrschers erhöhen und verstärken könnte. Er missachtete jedoch
das Risiko, dass er ums Leben kommen könnte und dadurch sein Land gefährden
würde. „Um ihre Schönheit willen wage ich Leben und Leib. Die will ich gerne
verlieren; Brünhild werde denn mein Weib.“ (337, 3-4).
Gunthers Benehmen kann gut verstanden werden. Er ist der Herrscher eines der
reichen Länder, der in der Zukunft Nachfolger brauchen wird. Die Märe von einer
schönen Königin aus dem nordischen Land konnte unter anderem auch sein politisches
Interesse erwecken. Zwei großen Länder mit starker Herrschaft könnte doch das Ziel
vielen Könige sein, sodass ist Gunthers Ehrgeiz in diesem Sinne leicht begreifbar.

 Warum sollte gerade Gunther zögern und auf die lockende politische und
männliche Begierde zu verzichten?

Gleich oder ähnlich konnten Gunthers Gedanken bestürmen. Er dachte über das
Risiko nicht hinaus, sein Ehrgeiz überschritt die Grenze der vernünftigen Einschätzung,

71
er wollte das Risiko unbedingt eingehen und beides - das Land und die schöne kräftige
Frau zu erlangen.

 Warum ist aber Gunther so hartnäckig und hört nicht einmal an Siegfrieds
guten Rat? Spielen hier eine Rolle seine männlichen Charaktereigenschaften
wie Eitelkeit, Hochmutigkeit, Neid oder die Sehnsucht nach Brünhild? Will
er sich nicht nur als Herrscher, sondern auch als Mann behaupten?

Siegfried warnte Gunther vor der Königin, deren außergewöhnliche und sogar
magische Kräfte weit und breit bekannt waren. Er bat ihn, seine Sitte zu bedenken und
sich der Kraftprobe nicht zu unterziehen. Alles vergeblich. Gunthers Hochmut
überwältigte ihn selbst. „Nie ward geboren ein Weib, so stark und so kühn auch, dass
ich ihren Leib, im Streit nicht bezwänge, mit meiner eigenen Hand.“ (339, 1-3).

Gunther war nicht in der Lage, die guten Ratschläge Siegfrieds zu hören. Er sah
keine Gefahr vor sich.
Brünhild war mit mythischen Kräften ausgestattet, dagegen war Gunther im
Vergleich mit der isländischen Königin zu schwach. Möglicherweise, ist es genau das,
was ihn anziehen konnte und auch der Grund dafür, warum ihn die physische Kraft
Brünhilds so stark reizte. Er setzte alles aufs Spiel - seine Ehre und sein Leben.

An dieser Stelle sehe ich vor allem reine Hochmutigkeit des Königs. Sein
Selbstbewusstsein und überschätzte Meinung über eigene ritterliche und männliche
Eigenschaften stehen sehr hoch. Seine Eitelkeit verursachte, dass er für die Minne der
isländischen Königin das tödliche Risiko eingeht. Er wurde von seinem Vasall, dem
listigen Hagen von Tronje unterstützt, der Gunther riet, Siegfried um Hilfe zu bitten.

„So will ich Euch wohl raten,“ sprach da Hagen,


„dass Ihr Siegfried bittet, mit Euch zu tragen
die starke Beschwerde. Mein Rat dahin geht,
da es ihm so bekannt ist, wie es um Brünhilde steht.“ (342)

Der Epiker schildert die spannende Werbung um Kriemhild bis ins Detail. Im
Fokus steht die aktive Hilfe Siegfrieds, der seine magische Tarnkappe benutzt und
unsichtbar mit Brünhild kämpft. Während der drei tödlichen Spiele rettete Siegfried
Gunthers Leben (468; 476; 481).

72
Unbeantwortet bleibt jedoch eine Frage, die zwischen den folgenden Zeilen
versteckt bleibt: „Mein Rat dahin geht, da es ihm so bekannt ist, wie es um Brünhild
steht.“ (Hagen, 342, 3-4). Es scheint nämlich so, als ob Siegfried Brünhild gut kannte.

 Wie konnte Hagen wissen, dass Siegfried Erfahrungen mit Brünhild hat?

Im Nibelungenlied kann über die vorherige Begegnung Siegfrieds und Brünhilds


keine Erwähnung gefunden werden. Trotzdem muss diese Tatsache nicht
ausgeschlossen sein. Es ist ganz gut möglich, dass Siegfried der Königin von Island
einst begegnete.

Wenn man nur aus dem verfügbaren Text ausgehen sollte, sind Siegfried und
seine Heldentaten bereits bekannt. Deshalb konnte auch Hagen die Märe in Betracht
ziehen und denken, dass Siegfried in seinen jüngeren Jahren mit der isländischen
Königin etwas zu tun hatte. Der Epiker bringt davon jedoch keine Auskunft.

Die tödlichen Werbungsspiele Brünhilds bzw. der Dreikampf um ihre


Jungfräulichkeit kann als umstritten gesehen werden. Die spezifische Weise ihres
Handelns während den Werbungsspielen, die eigentlich als Kampf auf Leben und Tod
betrachtet werden können, regen einige Fragen an.

 Warum tritt Brünhild im Nibelungenlied so herrisch und unnahbar auf? Sehnt


sie sich nicht nach Liebe, genauso wie jede andere Frau?

Interessant finde ich, dass Brünhild mit vielen Männern den Dreikampf einging,
obwohl sie wissen musste, dass sie jedes Mal Siegerin sein wird. Wahrscheinlich wollte
sie doch einen (Ehe)Mann gewinnen, den sie doch lieben dürfte - einen starken Helden,
in dessen Armen sie sich sicher fühlen könnte, der ihr Land vor möglichen Aggressoren
verteidigen würde und den sie auf Grund seiner Kräfte, Mut und Furchtlosigkeit achten
und lieben könnte.

Meiner Vermutung nach, wartete Brünhild auf einen „richtigen“ Mann, den sie
irgendwann in der Vergangenheit, als sie noch ein junges Mädchen war, begegnete und
ihn immer noch in ihrem Herzen trug. Der Dreikampf war ein geschicktes Mittel, das
sie verwendete, um ihren ersehnten Helden zu sich anzulocken und damit auch den
würdigen Herrscher für ihr Land zu gewinnen.

73
 Durfte der Mann ihres Herzens Siegfried sein?

Obwohl diese Vermutung auf keinen Gründen stützt, könnten die Erinnerungen
Brünhilds an einen Geliebten der Wahrscheinlichkeit entsprechen, sodass sie ihn durch
die Wettbewerbe zurück gewinnen wollte. Sie musste wissen, dass „er“ (ein geliebter
Held) derjenige ist, der sie bewältigen dürfte.

Der gesamte Eindruck, den das Verhalten Brünhilds hervorruft, kann nur schwer
definiert werden, da der Nibelungenepiker über die Vergangenheit der isländischen
Königin kein Wort erwähnt. Ausgeschlossen ist es jedoch nicht.
Möglicherweise dachte sie eher an Siegfried, als sie ihn im Gefolge des Königs
Gunther sah. Sie konnte ihn (im Gegensatz zu Gunther) für einen würdigen Mann
betrachten, mit dem sie gerne ihre Kräfte messen würde und später mit ihm ihr Land
und Herz (falls sie einen hatte) verknüpfen könnte.

Die moderne Zeit, in der wir jetzt leben, kennt die sog. Körpersprache,
Gesichtsausdruck und Psychologie, die in dem täglichen Menschenkontakt häufig
verwendet werden. Vor hunderten und tausenden Jahren wurden an der ersten Stelle die
menschlichen Instinkte, die ermöglichten zu erkennen, in welcher Lage sich der Gegner
befindet. Diese Instinkte waren sehr gut entwickelt und spielten oft eine wesentliche
Rolle in dem menschlichen Leben, z. B. beim Überleben in einem fremden Land, im
Kampf usw.

Brünhild lebte in einem wilden nordischen Land, sie hatte eher ritterliches bzw.
männliches Verhalten, das sie auch bei der Brautwerbung rückhaltlos zeigte. Als sie
sich Gunther zum ersten Mal ansah, durfte Brünhild über seine Kräfte und Fähigkeiten
sogar misstrauisch werden.
Nach dem Triumph Gunthers (dank Siegfried) musste sie Verdacht schöpfen, dass
der Kampf ungleicher war; sie konnte jedoch keinen Beweis erbringen. Sie war sich
ihrer Machtposition und ihrer Pflichten, die sie als Königin verehrte, bewusst, deshalb
war sie gezwungen ihr Wort zu halten und Gunthers Triumph anzuerkennen.
In den Augen der Zuschauer (die Gefolgsleute Gunthers, Brünhilds Fürsten und
Gesinde) verlief der Dreikampf regelrecht. Übrigens nutzte auch Brünhild unverschämt
ihre außerirdischen Kräfte gegenüber den „normalen Sterblichen“.

74
 Sollte man sich wundern, dass die mutige Königin nach dem Kampf zornig
war?

Meiner Ansicht nach, verhielt sich Brünhild auf solche Weise wie es erforderlich
war. Sie verteidigte ihre Freiheit (bzw. auch ihre Jungfräulichkeit), Selbstständigkeit
und ihr Land. Kein Wunder, dass sie bis zum Tode kämpfen wollte. Außerdem
verfügte sie über solche außergewöhnliche Kräfte, dass sie Hagen für „die Teufels
Weib“ (452) und „Teufels Braut“ (466) hielt.
Brünhild musste jedoch während des Dreikampfs Verdacht schöpfen, dass sich
nur ein einziger Held mit magischen Kräften ihr gegenüber als ebenbürtiger Gegner
stellen durfte, und zwar Siegfried. Da sie keine Beweise bezüglich des unregelrechten
Kampfes erbringen konnte, wurde sie selbstverständlich zornig.

 Konnte Brünhild Siegfrieds Betrug erahnen? Sind Brünhilds Instinkte richtig


gewesen?

Zu Ende des dritten Werbungsspieles reagierte Brünhild zornig, sie legte alle ihre
Kräfte in das letzte Werbungsspiel ein. Ihre magischen Kräfte waren jedoch nicht stark
genug. Siegfried mit seiner Tarnkappe, zusammen mit seinen magischen Kräften (er
musste über sie verfügen, sonst hätte er bei Brünhild keine Chance gehabt) besiegte die
isländische Königin und gewann sie dadurch für den König Gunther.

Brünhild musste es später sehr schwer fallen, dass sie von einem - auf den ersten
Blick - „Schwächling“ (Gunther) öffentlich gedemütigt wurde.

5.4 Brünhilds Bewältigung in der Hochzeitsnacht

Die Werbung und Kampf um Brünhilds Hand wird von dem Epiker in
gravierenden Stufen präsentiert. Merkwürdig finde ich, dass sich Brünhild nach ihrer
Niederlage im Dreikampf (467; 472; 478) ohne weiteren Widerstand in ihr Schicksal
ergab und dem König Gunther ihre Hand reichte, ohne ein weiteres Wort zu sagen. „Er
grüßte sie in Minne; denn er war tugendsam. Die liebliche Jungfrau an der Hand ihm
nahm. Sie erlaubt ihm, dass er sollte haben die Gewalt.“ (484, 1-3).

75
 Welche Motive zum Erwerb der nordischen Herrscherin hatte der König
Gunther? War es tatsächlich die Minne, als das höchste menschliche Gefühl
oder einfach nur die sexuelle Begierde und Machtgier eines Mannes, diese
schöne Amazone nur für sich zu gewinnen und sie zu unterwerfen?

Gunthers Dickköpfigkeit hätte ihn ohne Siegfrieds Hilfe umbringen können. Nach
dem Kampf, wie es der Epiker erwähnt, begrüßte Gunther die edle Königin in Minne;
„denn er war tugendsam“ (484, 1).
Ich vertrete die Ansicht, dass Gunther seinen männlichen Selbstwert erhöhen und
bestätigen wollte. Die Minne musste dabei gar keine Rolle spielen.

Der Erzähler verwendete ein außergewöhnliches Element in der Handlung, das in


den historischen Quellen sehr selten gefunden werden kann - der Kampf zwischen
Mann und Frau.
Die Inspiration suchte er wahrscheinlich in der griechischen Mythologie, in dem
Werk „Ilias“ (8. Jahrhundert v. Ch.) von dem antiken Dichter Homer. Homer schildert
die Kämpfe zwischen den griechischen Helden (z. B. Bellerophon aus Lykien;
Herakles/ Hercules; Theseus, der mythische König von Athen) und Amazonen93 die ein
mythisches Frauenvolk darstellen.

Gunther konnte die mächtige isländische Königin für eine der Amazonen halten.
Man kann auch vermuten, dass er Brünhild brauchte, um seine eigenen
Unzulänglichkeiten zu vertuschen. Um sein Ziel zu erreichen, versprach er Siegfried
seine Schwester Kriemhild als Braut: „Kommt die schöne Brünhild hier in dieses Land,
so will ich dir zum Weibe meine Schwester geben.“ (345, 2-3).

Obwohl Siegfried den Sieg über Brünhild erreichte, musste er noch einmal dem
König vertrauliche Hilfe leisten - in der Hochzeitsnacht.
Meiner Meinung nach konnte sich bei Gunther um Angst des Mannes vor der
starken Frau, oder sogar vor dem intimen Versagen handeln, deshalb brauchte er
Siegfried, den starken Mann, um sich durch ihn und durch einen Betrug als Ehemann zu
bestätigen. Siegfried Hilfe kam rechtzeitig, so wurde Gunthers Unterlegenheit unter

93
Vgl. Zamarovský, V., 1980, S. 45

76
Brünhild nicht offenbart. Seitdem wurden Gunther und Siegfried mit einem gleichen
Geheimnis verbunden.

Das Geheimnis - Gunthers Versagung in der Hochzeitsnacht und schließlich auch


Gunthers Fehlverhalten bei dem Königinnenstreit verursachte, dass Hagen von Tronje
mit seinem Machtehrgeiz in Vordergrund eindrang.
Statt seinen Schwager und Helfer Siegfried zu schützen und den Mordvorschlag
Hagens abzulehnen, schwieg er und duldete es, dass Hagen seine Mordpläne in
Erfüllung bringen durfte. Gunthers Schwäche und Feigheit zeigte sich deutlich in der
Szene, wo Siegfried ermordet wurde. Er sprach kein Wort zu dem sterbenden Held und
seinem Freund Siegfried.

In dem Epos wird offenbar die sexuelle Lust der Helden hervorgehoben, und die
Empfindungen der männlichen Protagonisten werden betont. Die Gefühle und das
Innenleben der Frauen können die Leser jedoch kaum erfahren. Zur Minne gehört im
Nibelungenlied nicht nur die geschlechtliche Liebe, sondern auch die aggressive
männliche Besitzergreifung (z. B. Gunthers Brautnacht, die mit einem Kampfspiel
verglichen werden kann). Brünhilds Verweigerungshaltung führt dazu, dass sie
Siegfried zähmen muss und ihr den Gürtel und Ring als Gegenstücke ihrer mystischen
Kraft wegnimmt. Der Gürtel wird als Beweisstück, das Kriemhild im Streit vor dem
Domportal präsentiert. Dies führte zu Brünhilds Demütigung.

5.5 Kriemhild und Brünhild

Kriemhild stellt in dem Nibelungenlied eine Frau dar, die sich scheinbar in einer
„niedrigeren“ Position im Vergleich zu Brünhild befindet (631).
Brünhild ist die zweite Frau, die im Nibelungenlied eine der entscheidenden
Rolle hat. Sie beteiligte sich (sowie auch Kriemhild) an dem Untergang der Nibelungen.

Obwohl Brünhild als eine recht starke Herrscherin auftritt und gegenüber der
zarten Kriemhild, der zweiten „femme fatale“ mit distinguiertem Verhaltensweisen,
vorteilhaftere Position einnimmt, verfügt sie über die typischen weiblichen
Eigenschaften wie Streitsüchtigkeit, Neid und Eifersucht. Diese Eigenschaften und

77
ihren freien Lauf, den die Hauptheldinnen nicht meiden konnten, verursachte die
vernichtende Katastrophe des Burgundenreiches.

Das Bild von der isländischen Königin wurde bei der Hochzeit offensichtlich
irrtümlich vorgelegt, und zwar, als ob sie eine schwache, empfindliche und unsichere
Frau wäre, der Kriemhilds Wohl auf dem Herzen liegt: Es handelt sich um die Szene, in
der sie weinen begann und Gunther sie nach dem Grund fragte (629-630).

„Ich kann mit Recht wohl weinen,“ sprach die schöne Maid.
Um deine Schwester ist mir so grimmes Leid.
Ich seh sie sitzen nahe dem Eigenholden dein.
Ich muss mich immer grämen, soll sie so verstoßen sein.“ (631)

 Welches Ziel folgte die schöne Gunthers Braut? Warum sie so hartnäckig
alles über Siegfried wissen wollte?

Brünhild nutzte einfach ihre weiblichen Waffen aus, um festzustellen, wer


Siegfried ist und warum er sich der Hochachtung auf dem Hof freuen darf und wie es
möglich ist, dass er die Königstochter Kriemhild heiratet, wenn er als Vasall des Königs
Gunther präsentiert wurde (435).
Meiner Ansicht nach durchschaute Brünhild ihren Gatten, nutzte ihre weiblichen
Tricks und erfuhr von Gunther das, was sie bereits ahnte: Siegfried ist kein üblicher
Gefolgsmann. Gunther gestand die Wahrheit: „Ich gab Euch bekannt: er hat so vielen
Burgen wie ich und weites Land; er ist ein König reich.“ (634, 1-3).

 Was haben die beiden Frauen gemeinsam?

Ich vertrete die Ansicht, dass sich sowohl Brünhild als auch Kriemhild unter
einer großen leidenschaftlichen Liebe befindet, beide erfahren Machtverlust
(Brünhilds Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht (11. Aventiure); Kriemhild wird
durch den Tod Siegfrieds tiefst betroffen, durch den Hortraub verlor sie die Hoffnung
(16. Aventiure), beide sind liebende und leidende Wesen, deren Vergeltungssucht
eine irreversible Tragödie Verursacht. Der Kampf ist den beiden Frauen ebenso

78
gemeinsam. Die Kriemhild-Figur erinnert an eine Frauengestalt der griechischen
Antike - Elektra94, die an ihrem Stiefvater Rache beging. Dagegen Brünhild, die Liebe
mit Schwert erworben musste, sogar im ehelichen Bett um ihre Jungfräulichkeit
kämpfte, zeigte sich als eine Gestalt aus der germanischen Mythologie - die kriegerische
Walküre95. Sie wurde als das Böse, „die Teufels Braut“ (466, 4) gezeichnet.

Diese zwei minniglichen Frauen initiierten die Streitigkeiten und Kämpfe und
infolge ihrer Taten haben sie sich an dem Untergang der Nibelungen beteiligt. Ihr Hass
entsprang aus dem Gefühl, dass die eine die andere nicht genug schätzte.

Es gibt noch einen Charakterzug, der Kriemhild und Brünhild gemeinsam ist, und
zwar Eifersucht. Kriemhild dachte, dass Siegfried die Jungfräulichkeit Brünhild
abnahm (852) und fühlte sich betrogen zu sein. Brünhild fühlte sich erniedrigt, desto
mehr, weil sie einen Schwächling heiratete (Gunther), den sie, meiner Ansicht nach, nur
schwer aufrichtig lieben konnte.

Kriemhild und Brünhild traten in bestimmten Passagen der Handlung wie


aktive, energische und entscheidende und selbstständige Personen auf: Brünhild
als starke emanzipierte Frau und isländische Herrscherin, die (bevor sie Gunther
heiratete) für sich selbst entscheidet und Kriemhild als eine beharrliche Rächerin
(nach dem Tod Siegfrieds).

Brünhild, die isländische Königin weist keine wesentliche Progression ihres


Charakters auf. Auf ihrer königlichen Position auf Island erwies sich als eine
„Powerfrau“ - schön, stark, stolz, selbstbewusst aber auch misstrauisch, die ihre
gesellschaftliche und persönliche Stellung leidenschaftlich verteidigte. Nach dem
Machtverlust (erstens bei der Brautwerbung, zweitens in der Hochzeitsnacht, drittens
nach Kriemhilds Demütigung vor dem Dom) wurde Brünhild zwar Königin - jedoch im
Schatten ihres Gatten (Gunther).

94
Elektra ist in der griechischen Mythologie die Tochter des Königs von Mykene - Agamemnon. Sie
half ihrem Bruder Orest die Mörder ihres Vaters zu bestrafen und die Blutrache begehen. (Vgl.
Zamarovský, V., 1980, S.123)
95
Walküre: Die Walküren werden als Naturgeister oder Halbgöttinnen der germanischen Mythologie
beschrieben; auch jungfräuliche Kriegerinnen des Gotten Odins. (Vgl. DUDEN, 2007, S. 1886)

79
5.6 Der Königinnenstreit

Die beiden Frauen - Kriemhild und Brünhild sind erst nach zwölf Jahren, „zur
Zeit einer Vesper“ (829, 1) wieder zusammengekommen. Die Initiatorin war
Brünhild, die ständig überlegte, warum Siegfried als Gunthers Lehnsmann seinem
König „keinen Dienst leistet“ (737, 4) und „kein Zins“ (827, 4) zahlt. „Wie ihr der
Teufel riet“ (828, 1), spinnt Brünhild gezielt ihren Plan, um die Wahrheit
herauszufinden.

Da gedachte Brünhild: ich kanns nicht mehr ertragen,


wie ichs auch beginne, Kriemhild muß mir sagen,
warum uns solange den Zins vergessen hat
ihr Mann, der unser eigen. Ich weiß mir keinen andern Rat.“ (827)

 Was liegt der Königin tatsächlich am Herzen? Warum sie alle ihre weiblichen
Tricks benutzt, um Kriemhild mit Siegfried nach Burgundenland bringen zu
können? Ist sie so goldgierig oder stecken hinter ihrer Eigensinnigkeit andere
Gründe?

Der Epiker spricht über das Vermögen Gunthers nicht direkt. Dagegen wird im
Nibelungenlied über den Hort Siegfrieds mehrmals gesprochen. Dagegen kann vermutet
werden, dass Gunther auch ein mächtiger König reich ist und über ein weites Land
verfügt (47, 3). Brünhild durfte deswegen noch einen anderen Grund haben, um
Kriemhild zu treffen und ihre eigenen Interessen zu folgen. Nicht die Höhe der Zinsen
selbst, sondern der Grund - warum sich Siegfried nicht als ein typischer Vasall benimmt
- war für sie wichtig. Sie trug Verdacht in ihrem Herzen. Sie musste ahnen, dass
dahinter etwas Unreines stecken könnte, weil Siegfried und Kriemhild ranggleich seit
der Doppelhochzeit (10. Aventiure) zusammen mit den Königen an der Öffentlichkeit
auftreten. Es war jedoch „in Heimlichkeit“ (738, 1).
Brünhild bemühte sich erfolglos von Gunther eine Antwort zu bekommen,
trotzdem spielte sie eine nette Schwägerin, die Siegfried und der Schwester Gunthers
unheimlich gerne sehen möchte. „So könnte mir auf Erden nimmer Lieberes geschehn.“
(742, 4). Sie gab jedoch nicht auf und drängte so lange, bis Gunther einwilligte,
Kriemhild und Siegfried nach Worms einzuladen (746).

80
 Wer könnte den Wünschen der schönen Königin schon widerstehen?

Siegfried und Kriemhild wurden mit hohen Ehren im Burghof empfangen.


„Minnigliche Fraun“ (806, 1), „prächtige Gesinde“ (807, 1), „manches reiche
Kampfspiel“ (808, 4), „man diente ihnen fröhlich und ohne jeden Haß“ (815), später
die „Messe in Münster“ (825-826). Nichts wies darauf hin, dass das fröhliche Fest
dramatisch umstoßen wird.
Der Epiker deutet die angehende Handlung an: „Bald ward getrennt die Liebe; da
erhob sich grimmer Streit.“ (825,4).

 Wer hat den Streit begonnen und warum?

Der Epiker bietet den Rezipienten ein Bild der starken und emanzipierten Königin
auf Isenstein, die zwölf Jahre in Hass zu dem Eigenholt96 (631, 3) ihres Mannes lebte,
so könnten die Rezipienten annehmen, dass Brünhild der Gattin Siegfrieds ihre Hass
verspüren lässt. Brünhild tat es eben nicht.

Kriemhild musste jedoch ihren verborgenen Hass zum Ausdruck bringen - sie
entschied die Rangprobe: „Ich habe einen Mann, dem alle diese Reiche sollten
untertan.“ (830, 3-4). Sie rühmte sich ihres Mannes: „…wie er herrlich vor den Recken
geht, wie es der Monde, der lichte, vor den Sternen tut!“ (832, 2-3). Schonungslos
missachtete Kriemhild die Gattin Gunthers - Brünhild - und ihr verbaler Angriff
gradierte: „So wert ist mein Mann, dass ich über Gebühren ihn nimmer oben kann. An
so mancher Tugend ist seine Ehre groß. Glaube mir das Brünhild! Er ist wohl Gunthers
Genoß.“ (834, 3-4).
Obwohl sich Brünhild tapfer währte und ihre Meinung (Siegfried sei der
Eigenhold Gunthers) beharrlich verteidigte, behauptete Kriemhild, dass „Siegfried ein
edlerer Held als Gunther ist“ (839, 2) und Brünhild soll vergessen, dass „er jemals
einen Zins geben müsste“ (839, 3-4).

96
Eigenleute sind im Mittelalter die einem anderen gehörenden Menschen. Sie bilden keine in sich
einheitliche Gruppe. Teils schulden sie Abgaben, teils Dienste. Hörige.
(Vgl. http://koeblergerhard.de/zwerga-f.htm, Letzte Abfrage am 30.7.2012)

81
Brünhild wollte sich selbst und auch ihren Mann als edler behaupten und „selber
nicht bescholten sein“ (842, 3), so forderte sie Kriemhild auf, zu Münster zu gehen.
Dort sollte sich zeigen, welche von den beiden Königinnen den Vorrang hat (844-847).

 Wie stellte sich Brünhild vor, ihren Vorrang zu behaupten? Warum wagte sie
sich, an einem öffentlichen Ort den Streit zu entscheiden?

Bevor Brünhild Gunther heiratete, war sie eine selbstständige Königin, die
gewöhnt war, ihre Angelegenheiten eigenständig zu erledigen, Entscheidungen zu
treffen und mit einem Schwert wie ein Ritter um ihre Jungfräulichkeit zu kämpfen. Ihre
Gestalt ähnelt eher einer kämpferischen Amazone oder einer kriegerischen Walküre
als einer typischen mittelalterlichen und adeligen Frau.

Brünhild war nun in ihrem Land (Burgundenland) als Königin, ihr Mann war
König des Landes, sie war dort zu Hause. So wie sie einst um ihre Jungfräulichkeit
kämpfte, wollte sie jetzt um ihren Rang kämpfen. Sie trat emanzipiert auf, mit der
Überzeugung, dass sie Recht hat, sich vor den Augen ihrer Leute selbst zu verteidigen.
„Die edle Kriemhilde hieß sie da stillstehen; „Es soll vor Königs Gattin die Eigenholde
nimmer gehen.“ (852, 3-4).

Dann passierte etwas, was niemals passieren sollte. Die zornige Kriemhild
attackierte Brünhild: „Wie kann eine Kebse mit Recht werden Königs Weib?“ (853,
4)“…denn deinen schönen Leib minnte als erster Sigfried, mein viellieber Mann.“ (854,
2-3). Unmittelbar danach trat sie ins Münster als Siegerin ein.

 Warum sagte Kriemhild die bösen Worte? Welche Beweise hatte sie für ihre
Behauptung?

Die gute schöne Schwester Gunthers, die tugendreiche Frau, musste etwa voll von
Hass sein. Sie bekräftigte ihren grimmen Hass: „Zu traulicher Freundschaft bin ich dir
nimmermehr bereit.“ (856, 4). Als Beweis ihrer Behauptung zeigte Kriemhild der vor
dem Münster weinenden und sorgenschweren Königin (859,1) einen Goldring (861)
und einen Gürtel (863).

82
Diese Gegenstände gewann Siegfried von Brünhild in der Brautnacht, nachdem er
sie bezwungen hatte (694; 695, 1-2; 699). Später schenkte er die beiden Prachtstücke
seiner Gattin (695, 1-3).
Brünhild musste sich stark verhöhnt und erniedrigt fühlen. Es ist völlig
verständlich. Es wäre undenkbar, dass sie in ihrem Rang - als Königin und Frau des
mächtigsten Königs einen sexuellen Kontakt mit jemandem anderen hätte (Siegfried).

Im Mittelalter waren die sexuellen Abenteuer der verheirateten Adligen - eher der
Männer, nicht adliger Frauen - mit nichtadligen Frauen geduldet. Bei den adligen
Frauen war jedoch diese Art der Untreue undenkbar.97

Für eine stolze Frau wie Brünhild musste die Tatsache, dass sie (ihrer Ansicht
nach) von Siegfried bzw. von dem Eigenholt ihres Mannes „geminnt“ (871, 4) wurde,
die allerhöchste Demütigung sein.

Kriemhild fühlte sich ebenfalls gedemütigt, weil sie ihren Mann verdächtigte, dass
er einen sexuellen Kontakt mit ihrer Rivalin (Brünhild) hatte - überdies in der
Hochzeitsnacht. Sie hielt doch in ihren Händen die Beweisstücke.

Diese Schmuckstücke beweisen jedoch nicht, dass Siegfried die schöne Brünhild
„zuerst geminnet“ (871,4). Siegfried hat diese Tatsache (vor oder nach der
Hochzeitsnacht) nicht bestätigt aber auch nicht dementiert. Erst wenn Siegfried von
Gunther vor dem Münster aufgefordert wurde, die Wahrheit zu sagen, lehnte er die
Lüge seiner Frau wider.

Da sprach der Herr Sigfrid:„Hat sie das gesagt,


ich will nicht eher ruhen, bis sie es beklagt.
Ich will dirs widerlegen vor deinem ganzen Heer
mit meinem hohen Eide, daß ichs behauptet nimmermehr.“ (871)

97
Vgl. Otis-Cour, L., 2002, S. 47-60

83
 Warum hat Gunther dem Eid Siegfrieds vertraut und ihn danach
freigesprochen hat?

Die Antwort kann einfach beantwortet werden. Er war in der Hochzeitsnacht mit
Siegfried und Brünhild im Schlafzimmer, nutzte Siegfrieds magische Tarnkappe, die
ihn unsichtbar machte und konnte beobachten, wie Siegfried die zornige Königin
bezwang. Gunther durfte dieses Geheimnis keinesfalls öffentlich stellen, da er sich
einem Hohn und Verachtung aussetzen würde. Gunther wusste, dass Siegfried die
Jungfräulichkeit Brünhilds nicht geraubt hat.
Ein wichtiger Aspekt kann von den Rezipienten des Liedes nach dem
Königinnen Streit anerkannt werden: Kriemhild wurde von ihrem Mann gerügt. Gunther
sollte dasselbe tun.

„Mann soll Frauen ziehen,“ sprach Siegfried, der Degen,


dass sie so üppige Reden lassen allerwegen.
Gebiet es deinem Weibe! Dem meinen tu das ich.
Ihr großes Unrecht hat fürwahr beschämet mich.“ (876)

Aus dem Nibelungenlied geht hervor, dass Siegfried seine Ehefrau liebte.
Trotzdem war Siegfried derjenige, der sich ganz im Gegenteil zum Traum Kriemhilds
erwies; nicht Kriemhild wurde die Erzieherin ihres Ehemannes (im Traum wurde
Siegfried allegorisch durch einen Falke dargestellt), sondern sie befand sich in der
untergeordneten Position und stand der Gewalt bzw. der Züchtigung ihres Mannes
gegenüber.
Für Kriemhild, die Schwester des burgundischen Königs und gleichzeitig die
königliche Ehefrau konnte das Vorgehen ihres Mannes als zweite und demütigende
Entehrung betrachtet werden, da sie immer noch glauben musste, dass Siegfrieds Lüge
(keinen sexuellen Kontakt mit Brünhild zu haben) zweckmäßig war.

Meiner Ansicht nach existierte keinen Beweis, dass Siegfried seine Gattin je
betrogen hat. Obwohl Kriemhild keinen Beweis vorlegen konnte, wurde ihre Eifersucht
die entscheidende Triebkraft, die einen schweren Streit erregte. Um die Verhältnisse
Brünhilds vs. Siegfrieds darf noch eine Frage naheliegen wie folgt.

84
 Begegnete Siegfried Brünhild in seinen Jungenzeiten?

Der Epiker vermittelt diese Tatsache zwar nicht ausdrücklich, ist es aber möglich,
dass Siegfried die junge Brünhild in der Vergangenheit begegnen konnte. Er versuchte
es doch, Gunther vor Brünhild zu warnen: „Dem muss ich widerraten“, „Es macht ihre
Sitte gefährlich solchen Schritt.“ (338,1-2) als Gunther um die isländische Königin
werben wollte. Hagens Bemerkung dürfte bestätigen, dass Siegfried Brünhild kennen
musste: „…da es ihm so bekannt ist, wie es um Brünhilde steht.“ (342, 4).
Falls Siegfrieds Erfahrungen seiner Gattin bekannt wurden, ist es kein Wunder,
dass sie ihrer Eifersucht freien Lauf gegeben hat.

 Worin bestehen die schicksalhaften Fehler Siegfrieds?

Den ersten Fehler hat Siegfried damals beging, als er den Gürtel und den Ring
Brünhilds zu sich genommen hat. „Dann nahm er den Gürtel; der war aus Borten gut.
Ich weiß nicht, ob er dieses tat aus Übermut.“ (695, 1-2).
Der zweite Fehler Siegfrieds war, dass er die beiden Gegenstände seiner Gattin
schenkte. „Er nahm ihr ein Ringlein von Golde sodann. Wollte Gott im Himmel, er
hätte nimmer es getan!“ ( 694, 3-4).

Von dem Epiker wurde eine kurze Andeutung geäußert, dass der Raub der
Gegenstände Brünhilds nur Leid bringen wird. „Er gab ihn seinem Weibe. Das schuf
ihm später Leid.“ (695, 1-3). Seine Vorhersage ging später in Erfüllung.
Siegfried beging noch einen Fehler, nachdem er von Brünhild zu Kriemhild ins
Ehebett zurückkam. Er schwieg zu der Frage Kriemhilds nach seiner Verspätung.

 Konnte diese Episode den Anfangsverdacht und Eifersucht in Kriemhild


erregen?

Hätte Siegfried damals eine vernünftige Ausrede benutzen können, würde


Kriemhild beruhigt sein. Das Schweigen finde ich nämlich nicht als das richtigste Mittel
in der ehelichen Beziehung. Trotzdem ist Siegfrieds Verhalten begreiflich. Er versprach
Gunther, das Ereignis mit Brünhild geheim zu halten. Als mittelalterlicher Herrscher
und Ritter repräsentierte er die Macht, Unabhängigkeit und Stärke.

85
Dagegen muss in Betracht gezogen werden, dass die Frauen im Mittelalter in den
unausgeglichenen Beziehungen durch die Loyalität zu ihren Männern gebunden
wurden. Dies ist auch der Fall der Gattin Siegfrieds. In dieser Beziehung - Siegfried,
Gunther, Kriemhild - können die konkurrierenden Loyalitäten erkannt werden, da
Siegfried auch zu Gunther loyal bleiben musste.

 Hat auch Gunther Fehler begangen?

Ich vertrete die Meinung, dass auch Gunther seinen wesentlichen Anteil an dem
Königinnenstreit hatte. Um seine falschen Schritte zu entdecken, muss man in die
Handlungszeit der Brautwerbung zurückgehen.

Erstens hätte Gunther das Siegfrieds Angebot, für ihn Brünhild zu erwerben, nicht
annehmen sollen. Zweitens sollte er Siegfried nicht als Lehnsmann vorstellen. Von
diesen zwei ersten Fehlern wickelten sich die weiteren Fehler ab. Gunther gewann
Brünhild mit Hilfe Siegfrieds und in der Hochzeitsnacht musste er wieder Siegfried um
dasselbe bitten, da er selbst den magischen Kräfte Brünhilds nicht widerstehen konnte.
Es wäre unvorstellbar, diesen Betrug öffentlich zu präsentieren, deswegen war es
notwendig, Siegfrieds Eid zu fordern: Siegfried durfte keinen sexuellen Kontakt mit
Brünhild haben. Man kann vermuten, dass Gunthers Anforderung zum Eid verdächtigt
und falsch aussehen könnte.

Im Nibelungenlied gibt es keine Erwähnung über Siegfrieds auffallende


Zuneigung zu Brünhild, deshalb finde ich das Misstrauen Gunthers unbegründet.
Die Gewichtigkeit der unangenehmen Situation unterstrich Brünhild, die nicht
nach Wahrheit fragte, obwohl ihr Instinkt bestimmt sagen musste, es ist nicht alles so,
wie es aussieht.

 Warum sich Brünhild gegen die falsche Beschuldigung nicht energischer


verteidigt hat? Warum fragte sie nicht nach Wahrheit?

Den Königinnenstreit schürte eindeutig Kriemhild. Brünhild hat zwar lange


überlegt, wie und wenn sie nach Siegfrieds Vasallität fragen sollte, wurde sie jedoch
gegenüber Kriemhild nicht angriffslustig. Sie trat jedoch energisch auf und stand der
Gattin Siegfrieds entschlossen wider. Brünhild unterstützte ihre Machtposition durch

86
Gunther: „…der Vorrang steht doch an Gunther, dem Recken, dem edlen Bruder dein.“
(834, 2-3) und hob ihn als den höchsten Herrscher hervor: „Er muss vor allen Königen
fürwahr berühmt als erster sein.“ (834, 4).

Wie sich aus ihren Worten ergibt, ging Brünhild zuerst diplomatisch vor. Sie
vertrat nicht sich selbst, sondern ihren Ehemann Gunther, den sie rühmte. Sie erinnerte
Kriemhild daran, dass nach ihrem Wissen „Siegfried des Königs Mann ist“ (836, 2).

Der Streit gradiert, Kriemhild Zorn hat keine Grenzen mehr, sie verletzte
Brünhild durch scharfe Beschuldigungen: „Wie kann eine Kebse mit Recht werden
Königs Weib?“ (853, 4), „Wie ließest du ihn minnen, wenn er dein eigen ist?“ (855, 2;
hier ist Siegfried gemeint).
Die Weise, die Gunther wählte, um den Streit zu beenden, konnte Brünhild nicht
zufrieden machen. Gunther zeigte sich dabei keinesfalls als ein Ritter, sondern als ein
Verschwörer.
Es gab jedoch eine Person, die das Leid Brünhilds achtsam beobachtete und ihrer
Seite beistand - Hagen von Tronje.

5.7 Kriemhilds Verrat

Bestimmte Umstände verursachten, dass die Wachsamkeit Siegfrieds und


Kriemhilds abgeschwächt wurde. Die Beiden fühlten sich in der freundschaftlichen
Beziehung mit ihren Verwandten glücklich und stark. Siegfried musste sich gar keine
Sorgen machen, da er mit seinen Kräften und herrschaftlichen Strategien durch keine
Feindschaft bedroht wurde. Er war unbesiegbar. Außerdem ging er, nach seinem guten
Gewissen, in seinen Taten gegenüber Burgundern und vor allem Gunther redlich vor. Er
ahnte keine drohende Gefahr. Seine Überzeugung, ein wahrer Ritter und tapferer Mann
zu sein, war ernsthaft. Der Held lebte und handelte mit derzeitigen (mittelalterlichen)
Sitten und Moral im Einklang.

Siegfried hat nicht eingestanden, dass sein Handeln gegenüber Brünhild (hier ist
der Betrug bei dem Erwerb und die Gewalt in der Hochzeitsnacht gemeint)

87
ungeziemend war. Er war überzeugt, dass er immer alles in gutem Glauben tat und die
ritterlichen und freundschaftlichen Dienste für Gunther leistete.
Sein Gefühl der Außergewöhnlichkeit, Unverwundbarkeit aber auch eine
gewisse Portion Naivität schwächte seine Wachsamkeit in entscheidenden Momenten
wesentlich ab. Selbst in seinen Träumen hätte Siegfried nicht gedacht, dass unter der
Oberfläche seiner Nächsten und scheinbaren Freunden Eifersucht, Hass und
Rachegelüst schlummerte.

Brünhild fühlte sich nach der Beschuldigung „Siegfrieds Kebse zu sein“ (853, 4;
867, 3) gesellschaftlich stark gedemütigt und wünschte sich eine schwere Rache. „Da
trat Hagen von Tronje zu seiner Herrin heran“ (877, 4) und traf die Entscheidung, dass
„Kriemhildes Mann dafür büßen müsste“ (870, 3).
Hagen begann Siegfrieds Tod zu planen. Für das „Betrüben des schönen
Brünhilds Leib“ (875, 2) „muss der Kriemhildes Mann büßen“ (878, 3-4). Unter der
Berücksichtigung, dass Siegfried unbesiegbar ist, kann Hagens rasche Entscheidung,
den unverwundbaren Helden zu töten, als reine Torheit betrachtet werden.

 Wie kann das Handeln Hagens interpretiert werden? Ist Hagen tatsächlich ein
Tor oder tapferer Ritter, der die Ehre seiner Herrin (Brünhild) schützen und
rächen will?

Als Siegfried zum ersten Mal nach Worms gekommen war, riet Hagen seinem
Herrscher Gunther, den kühnen Siegfried zu empfangen (105, 1), „hold ihm nahm“
(105, 3) und warnte vor seinem starken Hass (105, 2). Es scheint so, als ob Hagen auf
Siegfrieds Ruhm, Reichtum und Mut eifersüchtig wäre.

Im Laufe der Handlung ließ Hagen keine einzige Angelegenheit aus, um


Siegfrieds Qualitäten zu prüfen und riet seinem König Gunther den Helden Siegfried
mit gefährlichen Aufgaben zu beauftragen, wie z. B. in dem Kampf mit Dänen den
Burgundern zur Hilfe zu stehen (156, 173) und bei Brünhilds Werbung aktiv zu helfen;
„Ich will Euch raten, daß Ihr Sigfrid bittet mit Euch zu tragen die starke Beschwerde.“
(342, 1-3).

88
Es ist möglich, dass Hagen die Fähigkeiten Siegfrieds gezielt prüfte, um die
Wirklichkeit über seine Unsterblichkeit herauszufinden und seine „Achillesferse“98 zu
entdecken.

Siegfried verfügt im Nibelungenlied über mythische Kräfte (seine


Unsterblichkeit war durch seine Hornhaut bestimmt, die er nach dem Baden im
Drachenblut gewann), wie die Rezipienten (3. Aventiure; 104) erfahren konnten.
Aber auch Hagen scheint aus einer anderen Welt zu sein: „Wie ein Wesen aus
der Hölle.“ (456, 2). Selbst ein Bote Kriemhilds betrachtete Hagen als einen bösen
Mann: „Er hat in seinem Wesen, glaub ich, grimmigen Mut…“ (427, 3-4). Überdies
wird Hagen im Nibelungenlied vielmals als „grimmig“ bezeichnet.

Hagens Gestalt wirkt so, als ob er ein Bote der Todesangst wäre. Davon zeugt
auch sein professionelles Umgehen mit dem Tod in den kämpferischen Szenen des
Liedes.
Hagen fürchtete vor Siegfrieds Unbesiegbarkeit nicht im Geringsten. Er wollte
Brünhilds Ehrverlust rächen, ohne zu wissen, wie er ihn töten würde. Er verlässt sich
darauf, dass er die „Achillesferse“ Siegfrieds von Kriemhild ablistet: „Wie man ihn
könne erschlagen, das verrät mir sein Weib.“ (889, 4).
Sein heimtückischer Plan basierte auf der Leichtgläubigkeit Kriemhilds. Hagen
musste wissen, wie sehr Kriemhild ihren Ehemann liebt und kalkulierte mit ihrer
ehelichen Ergebenheit. Hinterlistig benutzte er eine Lüge: „Gunther, dem reichen, sei
Krieg angesagt.“ (891, 3), die Gunther selbst vor Siegfried guthieß: „Lüdeger und
Lüdegast die fördern mich zum Streit.“ (898, 2). „Der kühne Ritter“ (898, 4) trug seine
Kräfte und Dienste an und stellte dem König „seinen Haupt zur Pfand“ (899, 4). Genau
das wollte Hagen erreichen.

„Da ging Hagen von Tronje, wo er Kriemhild fand.“ (904, 3). Kriemhild, nach
Treu und Glauben, legte ihr Vertrauen in die Hände Hagens: „Viellieber Freund
Hagen, nun bedenkt an das, dass ich hold Euch immer…“ (906, 1-2). Hagen reagierte

98
Achilleus (dt. Achill oder latinisiert Achilles) ist in der griechischen Mythologie ein beinahe
unverwundbarer Held der Griechen vor Troja und der Hauptheld der Ilias des Homer. Er ist der Sohn
der Meernymphe Thetis. Achilleus’ Mutter tauchte ihn in den Unterweltsfluss Styx, der unverwundbar
macht. Thetis hielt dabei seine Ferse fest, um ihn eintauchen zu können und er wurde daher
verwundbar. Die einzige verwundbare Stelle blieb die Ferse. (Vgl. Zamarovský, V., 1980, 23-27)

89
auf ihre Freundlichkeit prompt: „…wie Euch dienen können an Siegfried, Euerm
Mann…“ (908, 3) und sobald Kriemhild ihre Beunruhigungen über Siegfrieds mögliche
Verwundung im Kampf erwähnte, merkte der grimme Hagen seine Chance. „Frau, habt
Sorge Ihr, man könne ihn verletzen, so sagt dieses mir, mit welchen klugen Künsten ich
dem soll widerstehn!“ (910, 1-3).

Der entscheidende Augenblick kam kurz danach; aus liebender Kriemhild wurde
eine Verräterin: „Ich sage im Vertrauen, viellieber Freund, es dir, damit du deine
Treue bewährest an mir…“ (914, 1-2).

„Als aus des Drachen Wunden floß das heiße Blut


und sich darin badete der kühne Degen gut,
da haftete zwischen den Schultern ein breites Lindenblatt.
Dort kann man ihn verwunden. Viel Sorge mirs bereitet hat.“ (915)

 Warum hat Kriemhild Hagen zweimal als „viellieber Freund“ (906, 1)


genannt? Warum sprach sie über die Verwundbarkeit ihres Mannes gerade
mit Hagen und nicht mit ihrem Bruder Gunther?

Merkwürdig finde ich, dass Kriemhild Hagen „viellieber Freund“ (906, 1) nannte
und gleichzeitig betonte, wie sehr sie ihren Mann liebt. Unmittelbar danach sie (gar
nicht widerwillig und ohne Angst) Siegfrieds Geheimnis preisgab.

Kriemhild behauptete zwar, wie sehr sie ihren Mann liebt, es ist aber schwer zu
glauben. In dem Fall, dass sie unabsichtlich das Geheimnis verraten würde, kann man
verstehen, dass es passieren könnte. Hagen drängte an sie nicht, um das Geheimnis zu
erfahren. Kriemhild war eindeutig die Aktive, die Hagen im Gespräch leicht
manipulierte.

 Wünschte sich Kriemhild Siegfrieds Tod?

Diese Idee kann richtig absurd klingen, trotzdem aber nicht ausgeschlossen
werden. Kriemhilds Verhalten finde ich seltsam. Man konnte voraussetzen, dass sie
engere Beziehung zu ihrem Bruder Gunther hatte und mit ihm über ihre Sorgen
sprechen würde. Falls sie ein anderes Ziel folgen sollte, z. B. nach dem Tod Siegfrieds

90
eine unabhängige Herrscherin von Niederlanden zu werden und Brünhild zu
übertrumpfen, müsste sie ihre Machtkräfte mit dem Einfluss Hagens verbinden.
Übrigens ist doch Kriemhild von Anfang an als Herrscherfigur präsentiert. Hagens
Figur erweckt auch weitere Fragen wie folgt.

 Was hat solchen Hass gegenüber Siegfried gelöst? Warum bewilligte Gunther
die mörderische Tat Hagens?

Hagen von Tronje erzeigt sich im Nibelungenlied durchaus wie ein Chamäleon.
Sein Anfangsurteil gegenüber seiner Herrin Brünhild war am Anfang äußerst negativ.
Sie wurde von ihm als „Teufels Weib“ (452, 4) und „die üble Teufels Braut“ (466, 4)
benannt. Später, als sie Gunthers Gattin wurde, veränderte sich seine Beziehung zu
Brünhild.
Hagen nahm unter den Vasallen den ersten Platz ein und stand zum Dienst dem
König Gunther, sowie auch Brünhild (als Königin). Sie wurde dann von Hagen als
Gunthers Gattin und Königin geehrt und beschützt.

Das polarisierende Verhalten Hagens ist aus meiner Sicht erstaunlich und es
fordert zum Suchen nach Gründen und Zielen auf. Hagens Figur weist keine
unüberlegten Schritte auf, die sich in seinem sprunghaften Verhalten widerspiegeln.
Sein Handeln kann als ein dynamischer Prozess betrachtet werden, der im
Nibelungenlied ersichtlich ist. Die Motive seines Verhaltens müssen ebenfalls geklärt
werden um herauszufinden, ob Hagen die Interessen seiner Herrscher folgte oder ob es
sich um seine eigensüchtigen Machtinteressen handelte.

Meiner Ansicht nach ist Hagen kein typisch höfischer Held, der seine heroischen
Taten berühmt und geehrt macht. Er weist seine Tugenden nur selten vor, wenn sie ihm
vor allem zum Vorteil sind. Hagens Sorgen um Kriemhild, Brünhild und Gunther haben
kein heroisches Ziel d. h. jemanden der Herrscher zu schützen. Sein Ziel ist, Siegfried
zu töten. Er denkt über die Konsequenzen nicht nach. Seine Charakterzüge - Macht-
und Habgier sind so stark, dass er Siegfrieds Verdienste (z. B. in dem Krieg mit Dänen
und Sachsen) nicht schätzt. Er will ihn um jeden Preis aus der Welt schaffen.

Gunther behauptete zwar, dass Siegfried „nichts getan als getreue Dienste“ (882,
1-2), „treu war er immer und tat aus gutem Willen das“ (882, 4), trotzdem unternahm

91
nichts, um Hagens mörderische Bestrebung anzuhalten. Hagen folgte vor allem seine
Ziele, sodass er Gunther reizte: „Wenn Siegfried nicht lebte, so würden untertan ihm
viele Königslande…“ (885, 3-4).

 Wie konnte Gunther dieser Idee widerstehen?

Der König fragte ganz offen - „Wie sollte das wohl gehen?“ (888, 1), um sich zu
vergewissern, dass es doch möglich wäre, Siegfried zu töten; nachher still unterstützte
Hagens Mordabsicht. Die Aussicht, noch reicher und mächtiger zu werden (mit
Siegfrieds Hort) war für Gunther reizvoll. Seine Gier war zu groß, als dass er seine
Treue zu Siegfried einhalten würde.

Die Rezipienten, die das Nibelungenlied folgen konnten, wünschten sich


bestimmt, dass Gunther Gewissensbisse haben wird, weil sein Freund Siegfried für ihn
so viel Gutes getan hat. Leider versagten alle Siegfrieds Nächsten - nicht nur Kriemhild
beging Verrat an Siegfried, sondern auch ihr Bruder - König Gunther.

In der Nacht vor der trügerischen Jagd träumte Kriemhild über den Tod
Siegfrieds: „Mir träumte von Leide: wie Euch zwei wilde Schwein jagten über die
Heide. Da wurden die Blumen rot.“ (935, 2 - 3). Sie machte sich schwere Sorgen um
ihren Gatten und versuchte ihn von der Jagt abzuraten. „Laß Euer Jagt sein! (935, 1).

„Zwei wilden Schweine“ (935, 2) in dem Traum Kriemhilds können als zwei
gewaltigen Gegner interpretiert werden. Kriemhild träumte schon früher einen Traum,
in dem ein „wilde Falke“ (13, 2) als Siegfried interpretiert wurde. Durch den zweiten
Traum, in dem wieder Siegfrieds Tod dargeboten wurde, bestätigte ihre Überzeugung,
dass sie eine übernatürliche Eigenschaft besitzt und in die Zukunft hineinsehen kann.
„…ich fürchte deinen Fall. Mir träumte nächtlich Unheil, als ob hier zu Tal stürzten
zwei Berge; ich sah dich nimmermehr.“ (938, 1-3). Die Königin war richtig verzweifelt
und machte sich Sorgen um Siegfried.
Siegfried hielt die Träume als belanglos, er fühlte sich jung, stark, sicher und
unsterblich: „Ich weiß hier keine Feinde.“ (937, 2). Kein Argument konnte Siegfried
von seiner Absicht, an der Jagt teilzunehmen, abbringen. Er war doch ein Recke, der

92
sich vor Eifersucht nicht verzehrte und konnte nicht sehen, dass unter der
Seelenoberfläche Hagens grimmer Hass herrschte.

Siegfrieds Nichtbeachten der Warnung vor möglichen mächtigen Feinde - hier


Metaphorisch als „wilde Schweine“ (935, 2) ausgedrückt - wird später für ihn
schicksalhaft sein. Seinen Tod symbolisiert Blut auf den Blumen: „da wurden die
Blumen rot“ (935, 3).

Kriemhild war sich ihrer Mitschuld bewusst, da sie dem „viellieben Freund“
(906, 1) Hagen Siegfrieds Geheimnis verriet. Dieses Bewusstsein zwang sie, Siegfried
von der Jagd abzuraten: „Bleibet mein Gebieter! In Treuen rate ich Euch das.“ (936, 4).
Sie traute sich aber einfach nicht, ihrem Mann zu offenbaren, dass Hagen sein
Geheimnis von ihr erfuhr.

Meiner Ansicht nach ist es gut möglich, dass durch Siegfrieds Mord den niedrigen
Charakter Gunthers vertuscht werden sollte. Er hielt doch auch ein Geheimnis geheim
und nur Siegfried wusste es, wie Gunther seine Ehefrau gewonnen hat. Gunther wollte
offenbar nicht dulden, dass Siegfried dieses Geheimnis kennt und vielleicht irgendwann
in der Zukunft gegen ihn nutzen könnte. Der König musste sich grässlich davor
fürchten, da die „Hochzeitsepisode“ sein Ende als Herrscher und Ehemann sein durfte.

Hagen von Tronje durfte vermutlich auch eine Chance für sich selbst ersehen, und
zwar, die mächtigere Position auf dem Burgunderhof oder sogar in dem ganzen Land zu
erwerben. Durch die eifersüchtige Königin Kriemhild bzw. auch durch die hochmütige
Brünhild und den unbeständigen schwachen König Gunther hätte Hagen in der Zukunft
ein märchenhaftes Reichtum und gewaltige Macht gewinnen können. Als kristallsauber
sollten also seine Absichten nicht betrachtet werden.

Der Epiker äußert sein Erstaunen in dem sich seine Trauer widerspiegelt: „…als
schädlicher Verräter, wie Hagen sich erwies, als sich auf seine Treue Kriemhild, die
Königin, verließ.“ (920, 3-4; hier ist Hagen gemeint).

93
5.8 Siegfrieds Ermordung

Hagens Mordplan ruhte auf einer glaubhaften Lüge, an der sich auch Gunther
aktiv beteiligt hat. „Lüdeger und Lüdegast fordern mich zum Streit, sie drohen mir
offen, zu reiten in meinem Land.“ (898, 2).

Siegfried, der Narr und kühner Ritter mit dem großen Herzen beeilte sich, sowie
immer, mit seiner Hilfsbereitschaft dem König Gunther entgegen: „Dem soll führwahr
Siegfrieds Hand wohl zu Eurer Ehre nach Kräften widerstehn.“ (898, 4; 899, 1). Der
drohende Krieg war nur ein Vorwand, um Siegfried in den Wald herauszulocken. Hagen
wollte Siegfried zum Schein auf dem Feldzug begleiten und das von Kriemhild
gemachte Zeichen (die verwundbare Stelle an dem Siegfrieds Rücken) auf dem Gewann
Siegfrieds zu beobachten. Zufrieden mit dem Ergebnis schickte er seine Mannen um zu
bekunden, dass „Frieden haben sollte Gunthers Land“ (922, 3).

Inzwischen schmiedete Brünhild mit ihrem Mann und Hagen den Mordplan. Sie
riet: „Siegfrieds Leben an einem kühlen Brunnen zu nehmen“ (931, 3-4).

„Wie ungern da Siegfried zurück weiter ritt! Wider Gunthers Feinde keinen Sieg
er nun erstritt“ (923, 2). Als ob nichts passiert wäre, bedankte sich Gunther bei
Siegfried „Nun lohnt Euch Gott den Willen, Freund Siegfried…“ (924, 1) und lud ihn
zu einer Jagt ein „…will zur Jagt ich reiten von Worms übern Rhein und will Kurzweile
zum Odenwald hinan…“ (925, 3).

Zwei Personen aus dem höfischen Kreis hätten den Mord Siegfrieds vereiteln
können: Giselher, „der edeln Ute Kind“ (879, 4) und Gernot. Sie wussten, was
passieren sollte und sprachen sich dagegen aus. „Weh, Ihr guten Degen, warum tut ihr
das? Siegfried hat verdienet niemals solchen Haß.“ (880, 1-2).

Nicht nur die Rezipienten mussten sich bewusst werden, dass dieser Augenblick
entscheidend war. Durch einen rechtzeitigen Einsatz konnte Siegfrieds Leben gerettet
werden. Giselher und Gernot haben jedoch nicht entsprechend aktiv gehandelt, als ob
sie vor ihren Brüder (Gunther) und auch vor Hagen fürchteten.

94
„Warum verdiente Siegfried seinen Tod?“ stellt der Epiker den Rezipienten diese
offene Frage und knüpft an seine Erwägung an: „Ich weiß nicht, aus welchem Neid sie
Siegfried nicht warnten. Sie büßten es in späterer Zeit.“ (929, 3-4).
Aus seinen Worten geht hervor, dass er ein böses Ende der Beteiligten andeutet.
In der sechzehnten Aventiure schildert der Erzähler mit spannender Meisterschaft die
ganze Handlung bis zur Ermordung Siegfrieds.

Siegfried fasste einen Entschluss zusammen mit Gunther und Hagen, an der Jagt
teilzunehmen. „Mit ihnen ritt Siegfried in heiterem Sinn.“ (931, 1), der ahnungslose
Held. Vor der Jagt schaffte er, „von seiner trauten Liebsten“ (933, 1) sehr liebevoll
Abschied zu nehmen.

„Gott lasse mich, Fraue, dich wieder sehen gesund


und mich deine Augen. Mit den holden Magen dein
Magst du Kurzweil treiben. Ich kann hier dabei nicht sein.“ (933, 2-4)

In diesem Augenblick wurde Kriemhild vollkommen klar, welchen Fehler sie


beging, wenn sie dem grimmen Hagen das größte Geheimnis ihres Ehemannes
anvertraute und damit auch sein Leben aufs Spiel setzte. Diese grundsätzliche Tatsache
verschwieg sie jedoch. Sie sagte zu ihrem geliebten Mann kein Wort davon, was
zwischen ihr und Hagen passierte.
Kriemhilds Verhalten finde ich seltsam, da sie ihren Ehemann lieben musste.

Noch einmal versuchte Siegfrieds Gattin den Helden von der Jagt erfolglos
abzuhalten.
„Nein doch, Herr Siegfried, ich fürchte deinen Fall.
Mir träumte nächtlich Unheil, als ob hier zu Tal
stürzten zwei Berge; ich sah dich nimmermehr.
Willst du nun von mir scheiden, das schmerzt mich innerlich ganz sehr.“ (938)

 Die Frage ist, ob Siegfried irgendwelche Andeutungen im Laufe der Jagt


merken konnte. War das Verhalten seiner Mitjäger nicht auffällig?

Die Jagt war erfolgreich - Siegfried erlegte viel Wildes (948-953; 962 - 967) mit
erstaunlicher Geschicklichkeit und wurde als Jägermeister gerühmt. Der Epiker selbst

95
erwähnt die Anerkennung: „Das hätt ein anderer Jäger so leicht nicht getan.“ (953, 3).
Später zogen alle Jäger zu einer Raststätte, „wo sich ein Brunnen befand“ (959).
Siegfried wollte sich mit dem kühlen Wasser erfrischen (991). Nichts deutete daran,
dass Siegfried in wenigen Minuten seinen letzten Kampf führen wird, und dass er sein
Leben verliert.
Als der Erste kam zum Brunnen der König Gunther, dem Siegfried in der Tugend
den Vorzug gab. „Gunther trank aus dem Bach“ und dachte, „Siegfried würde dasselbe
tun.“ (994). Der Epiker deutet an: „Seine Zucht entgalt er.“ (995, 1).

„Der kühne Sigfrid aus der Quelle trank“ (996, 1). Hagen trug inzwischen
„Siegfrieds Schwert und Bogen beiseite.“ (995, 1-2). Der Held geriet in Lebensgefahr.
Hagen sah seine Chance. Er „warf er den Ger durch das Kreuzlein, daß aus der Wunde
sprang das Blut von seinem Herzen bis an Hagens Hemd.“ (996, 2-3). Kaltblütig
beobachtete Gunther die niederträchtige Tat Hagens.

„Solche schwere Untat ist jedem andern Degen fremd.“ (996, 4) - bestärkt der
Erzähler das Publikum in der Meinung, dass ein kaltblütiger Mord keinem Helden
angehört und keinesfalls einem Ritter, der sich an einer bedeutenden Position auf dem
Hof befindet.
Ich vertrete die Ansicht, dass die echten Ritter und Christen nie eine solche Tat
begehen würden.

Mit der höchsten Spannung konnten die Rezipienten Siegfrieds letzten Kampf
ums Leben folgen. Voller Zorn wollte der verwundete Held sein Schwert ergreifen,
konnte es jedoch nirgendwo finden; der einzige Gegenstand in seiner Nähe war nur sein
Schild (999). „Ob wund er war zu Tode, so kräftig er schlug … gerächt hätte gerne sich
der herrliche Degen.“ (1000, 1-3).

„Hätt er das Schwert in Händen, es wäre Hagens Tod.


Der Held ertann in Ängsten ihm nur mit genauer Not.“ (1001, 3-4)

„Seine Kraft war entwichen; er konnte nicht mehr stehn.


Seines Liebes Stärke, die musste nun vergehn… „(1002, 1-2)

„Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann.


Man sah, wie aus der Wunde das Blut strömend rann.“ (1003, 1-2)

96
Siegfried, schwer verwundet, verlangte von Hagen eine Erklärung, warum er den
Tod verdiente; er versuchte es, sich zu verteidigen: „Ich war getreu euch immer; den
Lohn ich spüren kann.“ (1004, 1-3). Als Todesflucht klangen seine letzten Worte zu
Hagen: „In Schanden sollt geschieden ihr von guten Recken sein.“ (1005, 4).
Der unverzagte Siegfried, der vielkühne Ritter wurde von allen, die hinzuliefen,
beklagt. Ebenfalls Gunther, der verräterische König beklagte Siegfrieds Tod (1007, 1).
Solche Niederträchtigkeit würde von ihm kaum erwartet, da ihm Siegfried jederzeit in
Getreu beistand. Der König opferte das Leben seines Freundes den Interessen Hagens
und Brünhilds. Desto weniger kann man Gunthers geäußertes Leid verstehen. Er musste
wissen, dass es nur einen der Wege gibt - entweder Siegfried zu retten oder an Hagens
und Brünhilds Hetzen zu hören. Seine Entscheidung finde sich äußerst falsch.

Hagen, der gefühllose Mörder kann jedoch nicht verstehen, warum Gunther
traurig ist. Auch er, der König, wollte doch den Tod des Helden. Aus dem Verhalten
Hagens kann reine Kaltblütigkeit erkannt werden: „Nun hat alles ein Ende, unsere
Sorge und unser Leid.“ (1008, 2). Er versichert den König, dass „diesen Mord keinen
bestehen kann.“ (1008, 3). Seine Zufriedenheit mit der mörderischen Tat äußert Hagen
ganz auf seine eigene grimme Art: „Wohl mir, dass seiner Herrschaft ich ein Ende nun
gewann!“ (1008, 4).

 Wie viele bittere Gedanken mussten durch Siegfrieds Kopf wirbeln? Konnte
er (in seinen letzten Minuten) hören, was Hagen zu Gunther sagte?

Siegfried musste, meiner Meinung nach, eine böse Überraschung erleben - seine
Freunde haben ihn ermordet. Er durfte an seine Ehefrau denken und sich selbst fragen,
was er tat, um dieses grausame Ende verdienen zu müssen. „Nun hat alles ein Ende,
unsere Sorge und unser Leid.“ (1008, 2) - waren Hagens einzige Worte. Wenn diese
Äußerung zu dem sterbenden Siegfried ankam, musste er tiefst leiden. Er musste
wissen, dass Hagen nicht der einzige war, der sich seinen Tod wünschte.

Ich finde es furchtbar, dass die Rede Hagens - „Wohl mir, dass seiner Herrschaft
ich ein Ende nun gewann!“ (1008, 4) - vor dem sterbenden Siegfried geführt wurde.
Siegfried musste die bösen Worte hören und seine eigene Gutgläubigkeit bedauern. Er
erinnerte Hagen daran, dass er doch einen Sohn gewann, der einen Vorwurf immer
machen kann und bittet den Gott mit ihm Erbarmen zu haben (1010, 1-2). Siegfried
97
wusste, dass sich auch Gunther an seinem Mord beteiligt hat. „Nimmer ward auf Erden
ein schlimmer Mord erdacht, als Ihr an mir vollbracht.“ (1011, 1-2). Ungeachtet dieser
Tatsache fordert er vom König, die „geliebte Traute“ (1012, 1), Kriemhild zu
beschützen und „sie in Fürstentugend alle Zeit getreu zu pflegen, wenn bei ihm noch
Treue gelten kann“ (1013, 2).

Siegfrieds letzter Augenblick näherte sich. Die letzten Worte des sich vor
Schmerz krümmenden Helden klangen wie eine schicksalhafte Prophezeiung und
Verfluchung. Er sprach da voll Kummer: „Der mörderische Tod mag euch wohl
gereuen noch nach diesen Tagen. Glaubt mir das in Treuen, dass ihr euch selber habt
erschlagen.“ (1014).
Das tragische Ende des Recken musste das Publikum zum stummen Entsetzen
und langen Schweigen bringen. Der Epiker beschrieb die letzten Augenblicke Siegfrieds
mit meisterhaftem Geschick.

„Die Blumen allenthalben vom Blute waren naß.


Da rang er mit dem Tode. Nicht lange tat er das,
da des Todes Waffe allzu sehr ihn schnitt.
Der kühne, wackre recke konnte lange reden nit.“ (1015)

Ich kann mir gut vorstellen, dass in dieser Passage des Liedes eine dramatische
Pause von dem Erzähler gemacht wurde (unter der Voraussetzung, dass das Lied
mündlich als Gedicht vorgetragen wurde).
Wer von Gunther gegenüber Siegfried oder seiner Gattin Mitleid erwarten würde,
der irrt sich. Als erster Schritt wurde eine Ausrede für den Tod Siegfrieds gesucht und
fiktive Täter, „die Schächer“99 vorgeführt (1017). Dem grimmen Hagen war es ganz
gleichgültig, ob der Täter bekannt wird oder nicht. Er hatte seine „Aufgabe“ nacherfüllt.
Schließlich war er bereit, die Leiche Siegfrieds ins Land zu bringen. Gegenüber
Kriemhild, die nun Witwe wurde, brachte er vor allem rückhaltlosen Hass zum
Ausdruck. „Ich achte es geringe, ob sie nun auch weinen tut.“ (1018, 4).

99
Schächer: Ein alter Ausdruck (mhd.) für Räuber, Mörder, biblische Bezeichnung für die beiden rechts
und links von Jesus gekreuzigten Räuber. (Vgl. DUDEN, 2006, S. 1440-1441)

98
5.9 Kriemhilds Klage

Nach dem dramatischen und schmerzhaften Tode Siegfrieds würden die


Rezipienten erwarten, dass der kühne Held mit Pietät behandelt wird. Es passierte
jedoch das Gegenteil.
Die grimme Rache war dem grimmen Hagen offensichtlich nicht genug. In
seinem Übermut gelang er bis zu einer grausamen Idee, den toten Siegfried vor die
„Kemenate Kriemhilds“ (1021, 4) zu legen, damit sie ihn „beim Gang zur Frühmesse“
(1022, 3) finden konnte.

 Warum überschritt Hagen in seinem Hass alle gesellschaftlichen Sitten?


Warum behandelte er den verstorbenen Siegfried schlechter als einen Bettler
und warum hinterließ er ihn vor der Kriemhilds Tür? Welcher Absicht konnte
er folgen?

Am Morgen fand der Kämmerer den erschlagenen Ritter vor der Tür und die
Trauernachricht erfuhr bald auch Kriemhild. Ohne zu wissen, dass es sich um Siegfried
handelt, „begann sie über jedes Maß zu klagen“ (1025, 4) und „an die Frage Hagens
zu denken.“ (1026, 2), wie er ihn schützen wollte.

Als sie dann ihren toten Ehemann erkannte, sank sie zu Boden nieder und sprach
kein Wort (1027, 1). Eine Weile später erklang aus ihrem Mund harte Beschuldigung
des Mordes: „Geraten hat es Brünhild, und Hagen hat es getan.“ (1028, 4) und brachte
sinnfällig ihre Gier nach Vergeltung zum Ausdruck: „Wüßte ich den Täter, den Tod ich
wirkt ihm fort und fort.“ (1030, 4).

Kriemhild wollte nicht akzeptieren, dass Gunther die Schächer als Täter nannte.
Voll von Leid beschuldigte sie öffentlich Hagen und Gunther des Todes Siegfrieds:
„Diese Schächer sind mir wohlbekannt.“ (1064, 1), „Gunther und Hagen, ihr habt es
getan.“ (1064, 3). Wieder erklang die Warnung Kriemhilds von Rache: „Gott lasse
es noch rächen seiner Freunde Hand!“ (1064, 3).

Der Epiker gibt in seinem Werk keine Andeutungen an, die den Rezipienten
helfen würden, die Absicht Hagens und/ oder Kriemhilds interpretieren zu können.

99
Meiner Ansicht nach, zeigte Hagen in seinem Handeln all blinden und jahrelang
unterdrückten Hass gegenüber Siegfried, vermutlich aus dem Grund, dass er sich in
seiner eigenen Position auf dem Burgunderhof bedroht fühlte. Hagens Aufgabe, wie er
sie aus seiner Sicht betrachtete, scheint rein staatspolitisch zu sein.

Wie es aus der geschilderten Handlung im Nibelungenlied hervorgeht, vertritt


Hagen die Position des politischen Beraters der Burgunderkönige. Er ist ein Vasall
der in den meisten Situationen aus Gefolgschaftstreue handelt. Sein Gefühl, dem
Königshaus treu zu bleiben ist maßlos. Hagens Charakter wird im Nibelungenlied
durch seine Tate der Burgunderkönige zugunsten als ruchlos und hinterlistig
geschildert. Deshalb kann nicht erwartet werden, dass er irgendeine Sitte (Siegfrieds
würdevolle Versorgung nach dem Tod) verehren würde.
Hagen kann sogar als ein Usurpator betrachtet werden, da Siegfrieds Tod der erste
Schritt auf seinem Weg zu einer höheren Position sein konnte - vermutlich die
Erhaltung seiner Herrschaft in Worms. Die Eifersucht gegen den Einfluss eines
Fremdlings (Siegfried) kann auch als ein der grimmen Motive Hagens wahrgenommen
werden.

Die Hagenfigur ist fragwürdig und zieht das heroische Krieger-Ethos in


Zweifel. Für den übermütigen Hagen gilt es, dass er seine Vergeltungssucht über seine
eigene Ehre stellt. Seine Macht und grimmer Charakter zeigt sich nicht nur bei der
Ermordung Siegfrieds und bei dem anschließenden Hortraub, sondern vor allem in dem
blutigen Kampf mit Hunnen (ab 33. Aventiure). Sein blinder Hass spiegelt sich in der
Rache an Hunnen wider und seine blutige Vergeltung ist maßlos.

 Warum rächte sich Kriemhild nicht unmittelbar nach dem Tod Siegfrieds?

Nicht nur Kriemhild, sondern auch König Sigmund, die Fürsten, die Nibelungen
und das ganze Burgunderland trauerten um Siegfried. „Der König Sigmund mit seinen
Mannen rief die Not zum Kampf.“ (1050, 1).
Obwohl sich die Nibelungen auf der Stelle rächen wollten und kampfbereit zur
Verfügung standen, lehnte sie Kriemhild ab. „Wenn bessere Zeit sich bietet, will ich den
Gatten mein immer mit Euch rächen.“ (1051, 2-3).

100
Ihre Worte - „Der ihn mir genommen, gewönn ich des Gewißheit, es sollte ihm
zum Schaden frommen.“ (1051, 3-4) zeugen davon, dass sie Zeit (vermutlich zum
Überlegen) gewinnen wollte. Zwei Gründe zur Verzögerung der Rache können jedoch
gefunden werden: Kriemhild wollte nicht, dass ihr Verrat herauskommt und/ oder sie
fokussierte ein anderes Ziel.

Kriemhilds Angst vor der Offenlegung und Beschuldigung musste tatsächlich


groß sein, falls sie vorhatte, die entstandene Situation ihr zugunsten auszunutzen und ihr
eigenes Ziel zu folgen - beispielsweise eine unabhängige Herrscherin zu werden, wie
vor Jahren Brünhild auf Island war. Sie musste wissen, dass sie genug reich wäre, um
ihre Machtziele (falls sie es gegeben haben) zu Verwirklichen. Sie verfügte über ihre
Morgengabe, so könnte sie eine reiche Herrscherin werden.

 War die Beerdigung Siegfrieds in Übereinstimmung mit den Sitten? Sind die
Burgunder im Nibelungenlied Heiden oder Christen gewesen?

Siegfrieds Leiche wurde in einem Sarg „aus edelm Marmelsteine“ (1056, 2) von
den Nibelungen zum Münster gebracht. „Der König Gunther mit seinen Mannen kam,
mit ihm der grimme Hagen, wo man den Klageruf vernahm.“ (1058, 3-4).

Im Nibelungenlied widmet sich der Epiker nicht explizit der Religionsfrage. In


seinem Werk erwähnt er jedoch Ereignisse, die auf christliches Milieu deuten.
Das christliche Totengedenken wurde durch aufwendige Zeremonien präsentiert,
wie Glockenläuten und Gesang der Geistlichen, Totenmesse (1058, 1068,1070,
1079).

Nach der christlichen Zeremonie im Münster blieb Kriemhild bei ihrem


Geliebten bloß mit einem Wunsch: „Der Gott bringt ihr das Ende ihrer Not.“ (1072).
Sie war dort nicht allein, „ohne Essen und Trinken blieb da mancher Mann.“ (1074, 1).
Alle „baten um die Seele des Recken so kühn und hehr.“ (1075, 4).

Kriemhild hielt die Totenwache drei Tage und Nächte lang, zusammen mit
Geistlichen und Mönchen. Aus der Schilderung der Trauer geht hervor, dass der
Kummer unheimlich sein musste. Ein außerordentlicher Held, König und Ehemann
verlor sein Leben durch niederträchtige Art „der grimmen Schächer“ - wie es von

101
Günther behauptet wurde (1063, 3-4). Unter großer Anteilnahme gingen die Trauernden
zur Totenmesse, wo sie Opfergaben für Siegfrieds Seelenheil spendeten (1070, 1078).
Die Zeit von drei Tagen verging. Kriemhild musste von ihrem viellieben Mann
für immer Abschied nehmen. „Mit dem Gottesdienste beendet der Gesang, mit
ungemeßnem Leide viel des Volkes rang. Man hieß ihn aus dem Münster zu dem Grabe
tragen.“ (1079, 1-3).

Das Jammern nahm kein Ende. „Als man den edeln Herren hatte nun begraben,
Leid ohne Maßen sah man die haben.“ (1086, 1-2). Sowie Kriemhild als auch König
Sigmund lagen „in denselben Nöten“ (1088). Während einer großen kirchlichen
Zeremonie wurde Siegfried vor dem Münster beerdigt (1079, 1086).

5.10 Kriemhilds Leben als Witwe

Wenn Eltern ihr Kind überleben, ist die Trauer noch viel schlimmer. Sigmund
verlor seinen Sohn, „seine Macht war gelähmt“ (1089, 2). Er war jedoch Herrscher,
deshalb musste er voll von Leid mit seinen Mannen „zurück ins Nibelungenland“ reiten
(1089, 4; 1090).
Kriemhild wurde Witwe. König Sigmund hat sie geboten, ins Nibelungenland zu
ziehen: „Das Land und auch die Krone sei euch untertan.“ (1092, 3) aber ihr Bruder
Giselher meinte, sie sollte bei ihrer Mutter bleiben (1095, 4). Ute, Kriemhilds Mutter
und auch Gernot baten sie im Burgunderland zu bleiben (1098, 2). Kriemhild musste
eine Entscheidung, die ihr sehr schwer fiel, treffen.

 Kann das Verhalten der Könige Kriemhild gegenüber als üblich gesehen
werden? Wo ist Kriemhilds Sohn geblieben?

In der mittelalterlichen Literatur wird das Leben der Frauen in drei Phasen
eingeteilt, die mit bestimmten, sehr klaren Rollen verbunden waren. Als junges
Mädchen (oder Jungfrau) lebte die Frau/ Mädchen unter Vormundschaft ihres Vaters
(im Nibelungenlied vertraten diese Vormund-Rolle Kriemhilds königliche Brüder),

102
welcher für ihr Benehmen und für ihre Taten verantwortlich war. Wenn das Mädchen
heiratete, übernahm sie die Rolle der Gattin und Mutter.
Nach dem Tod des Ehemannes lebte sie als Witwe. Unter diesen Bedingungen
gab es für eine Witwe zwei Möglichkeiten - entweder wieder zu heiraten oder
unverheiratet bleiben. Wenn die Witwe über genug Geld verfügte (im Nibelungenlied
erhielt Kriemhild ihre Morgengabe), konnte sie sich in ein Kloster oder in ein Stift
zurückziehen und dort ein frommes Leben führen.100

Sehr merkwürdig finde ich, dass Kriemhild nicht einmal an ihren kleinen Sohn
dachte. Sigmunds Zureden „Fahrt mit uns auch heimwärts um Eurer Kindelein!“
(1104, 1) war von keinem Nutzen. Kriemhild entschied sich endgültig - nicht mit
Sigmund zu fahren: „Ich muss hier verbleiben.“ (1105, 2).
Sigmund war enttäuscht, akzeptierte jedoch Kriemhilds Entscheidung - „Wenn Ihr
bleiben wollet bei unseren Feinden hie…“ (1106, 4), trennte sich aber mit rechtem
Kummer von ihr. „Da ward ihm Unfreude kund.“ (1108, 3). Er wollte in dem
Feindesland nicht mehr bleiben. „Nie soll man uns wieder bei den Burgunden sehn.“
(1109, 4).
Kriemhild blieb mit ihrem ungeheuren Leid allein. „Brünhild, die schöne, im
Übermut saß. Ob Kriemhild auch weinte, gleichgültig war ihr das.“ (1117, 1).

An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass Kriemhild eine seltsame Stellung zu
ihrer Zukunft einnahm. Sie wollte ohne ihren und Siegfrieds Sohn leben, sie wollte in
einem Land bleiben, wo sie von der Königin missachtet und/ oder sogar gehasst wurde.
Die übermutige Königin Brünhild duldete Kriemhild an ihrem Hof nur wegen ihren
Gatten Gunther.

Meiner Ansicht nach, musste diese unfreundliche Lage für alle Akteure - die
beiden Königinnen, König Gunther und vor allem für Hagen - unbedingt sehr schädlich
sein. Schließlich zeigte sich, dass die Einmündung des lebenslänglichen ungesunden
Zusammenlebens nach dem Tode Siegfrieds ihre giftigen Früchte brachte.

100
Vgl. http://www.deutschland-im-mittelalter.de/frauen.php#lebensalter, Letzte Abfrage am
10.1.2013

103
5.11 Kriemhild, Hagen und Hortraub

Kriemhild als Witwe wohnte in einem großen Haus bei Münster. Sie genoss keine
Ehren der unabhängigen Königin. Sie legte keinen Wert an ihrem Sohn, als ob er für sie
nicht mehr existierte. In ihrem Herzen pflegte sie vor allem ihre leidenschaftliche Liebe
zu ihrem gestorbenen Mann.

Da die Minnigliche als Witwe ward,


blieb in dem Lande der Graf Eckeward
bei ihr mit seinen Mannen. Die Treue ihm das gebot.
Er diente seiner Fraue freiwillig bis an seinen Tod. (1118)

 Wie ist Kriemhild mit ihrem Kummer zurechtgekommen? Hat sie ihre Ruhe
gefunden, nachdem ihr Verrat so viel Kummer brachte?

Kriemhilds Liebe scheint vermutlich nicht, als ob sie echt wäre. Ihre Leidenschaft
verblendete sie selbst und erlaubte nicht, eine gesunde Einsicht in das wirkliche Leben,
in dem sie ihr Sohn brauchen könnte, zu gewinnen.
Als Beweis ihres selbstsüchtigen Verhaltens ist die Tatsache zu merken, dass sie
den angebotenen Lebensweg, nach Heimat ihres gestorbenen Mannes zu ziehen, die
traditionelle Fortsetzung des königlichen Geschlechts zu folgen und zu pflegen, und vor
allem die liebende Königin-Mutter ihres Sohnes zu sein, abgelehnt hatte.

Wenn ich zu dem Königinnenstreit zurückkomme, sehnt Kriemhild nach Ehre und
Anerkennung als Königin in gleichem Maß wie Brünhild. In ihren Zukunftsplänen hatte
jedoch ihr und Siegfrieds Sohn keinen Platz. Nach dem Tode ihres Mannes hatte sie das
Nibelungengold, sie konnte mit ihrem Sohn in Behaglichkeit leben und ihn in einen
starken Nachfolger Siegrieds großziehen. Anscheinend nichts davon lag ihr an dem
Herzen.

 Warum verzichtete Kriemhild auf alles, was ihr Sigmund (Siegfrieds Vater)
angeboten hat? Wäre es möglich, dass sie durch ihre tiefe Trauer alles
Positive übersah? Oder war ihr Hass so riesig, dass sie bereit war, auf ihre
Gelegenheit zur Rache jahrelang zu warten?

104
Kriemhilds einziger Freund verblieb Graf Eckeward. Ihre täglichen Tätigkeiten
begrenzten sich auf die häufigen Besuche der Kirche. Ihre Mutter Ute bemitleidete sie,
trotzdem konnte Kriemhild keine Ruhe finden. Sie sprach mit ihrem Bruder Gunther
kein Wort und den verräterischen Hagen sah sie nicht mehr.

Es wird gesagt, dass der Teufel nie schläft. Das gilt auch für den heimtückischen
Hagen von Tronje. Er bemühte sich bei Gunther, eine Erlaubnis zu gewinnen, um das
Nibelungengold nach Burgund bringen zu dürfen (1124). Gunther willigte rasch ein und
bat ihm, seine Brüder und die besten Mannen zur Verfügung zu stellen um den Hort zu
holen. Hagen, der untreue Mann, ging so weit, dass er um die Versöhnung bei
Kriemhild bitten wollte (1132-1133). So groß war seine Gier. Kriemhild lehnte Hagen
jedoch ab und er wagte es nicht mehr, sie anzusprechen.
Kriemhilds Brüder, Gernot und „Giselher, das Kind“ (1127), überzeugten sie
jedoch, den von Alberich aufbewahrten Schatz zu holen. Mit zwölfhundert Mann
rieten sie hin (1136). Zwölf volle Lastwagen lieferten das Gold und Edelsteine vier
Tage lang 1141, 2-3), so groß war der Hort. Trotzdem wäre Kriemhild lieber arm
bleiben, nur wenn sie mit Siegfried leben dürfte (1146).
Der Hort brachte ins Land viele fremden Recken. Kriemhild beschenkte alle - die
Armen und die Reichen (1148). Kriemhilds Freigebigkeit erregte in Hagen (mit Recht)
Verdacht, dass sie „den Dienst von manchen Mann gewinnen will“, um sich rächen zu
können (1149).

5.12 Kriemhild und Etzel

Kriemhild hat von dem Schicksal eine neue Lebenschance bekommen. Markgraf
Rüdiger von Bechlaren brachte nach Worms eine Begrüßung aus Hunnenland und
erbat bei dem König Gunther Kriemhilds Hand für seinen Herrscher, den Hunnenkönig
Etzel.

Obwohl Kriemhild Zweifel über die Ehe mit einem Heiden hatte (sie war eine
Christin), ließ sie sich zum Heirat überzeugen, vor allem unter der Beteuerung
Rüdigers, dass der Hunnenkönig jeden bestrafen wird, der ihr Leid antun würde. Ein
anderer Grund dafür, Etzel zu heiraten, war auch Hagens niederträchtige Tat, die

105
Kriemhild beschädigen sollte. Er raubte den Nibelungenhort und versenkte ihn im
Rhein, damit Kriemhild nicht genug Gold hatte, um fremde Männer zu werben und sich
rächen zu können.
Als Kriemhild von dem Hortraub erfuhr, verständigte sie sofort Rüdiger, dass sie
Etzels Angebot annimmt und nach Hunnenland reisen wird.

Nach der Heirat mit Etzel am Pfingsttag101 in Wien lebte Kriemhild auf dem Hof
Etzels. Sie freute sich großer Anerkennung und Liebe in ihrer neuen Heimat. “Ihr war
nach vielem Leide so viel Ehre nun geschehen:“ (1404, 4). „Die Frau Kriemhild saß
bei Etzel mit der Krone.“ (1407, 4).

Der Dichter des Nibelungenliedes schildert glückliches Leben des Ehepaares:


„In dem Hunnenland sie lebten mit keiner Herrin so angenehm.“ (1015, 4). Etzel liebte
Kriemhild sehr (1419). Nichts deutete an die tragische Wende in der Handlung.

In hohen Ehren lebte Kriemhild mit Etzel bis zum siebten Jahr (1420). Sie brachte
einen Sohn zur Welt, der „nach christlichem Brauche Ortlieb getauft wurde.“ (1421).
„Hohes Lob erwarb sie erwarb sie bei den Hunnen bis zum zwölften Jahr“ (1423,4)
und „aller Zeiten sah sie zwölf Könige um sich.“ (1424,3) so konnte sie sich hier wohl
fühlen.

 Welche Frau wünschte sie nicht geliebt zu werden, reich und geehrt zu sein?
Konnte Kriemhild ihr Glück in dem heidnischen Land finden?

Trotz allen Gunsten, die Kriemhild genießen durfte, sehnte sie sich nach
Nibelungenland, wünschte ihre Mutter und ihren Bruder Giselher zu sehen. Kriemhild
„wegen Siegfrieds Tod immer schwere Herzenskummer fühlte“ (1427,2) und wollte
„ihres Mannes Tod rächen.“ (1430,3).

Ich vertrete die Ansicht, dass sie sich durch ihr eigenes Versagen und ihre Schuld
an dem Tod Siegfrieds tief unglücklich und bedrückt fühlte. Möglicherweise, dachte sie,
dass die Rache alle ihren schwarzen Gedanken mildern wird und seelische Ruhe bringt.

101
Pfingsten ist ein christliches Fest. Gefeiert wird von den Gläubigen die Entsendung des Heiligen
Geistes. (Vgl. DUDEN, 2006, S. 1278)

106
 Ist es möglich, dass Kriemhild ihre Rolle einer „armen“ Frau (Witwe)
konsequent spielte, um ihre Rache bis ins Detail kalkulieren zu können und
nicht nur ihre persönliche Genugtuung gegenüber Hagen zu erreichen,
sondern auch den verlorenen Nibelungenhort zusammen mit grenzloser
Macht über zwei großen Ländern (Burgundenland und Hunnenland) zu
gewinnen, um mächtiger als je eine Frau weit und breit werden zu können?

Dass Kriemhild eine skrupellose und kalt kalkulierte Rächerin ist, kann der
Rezipient nur schwer glauben. Ausgeschlossen ist diese Tatsache jedoch nicht.
Eine wahrscheinliche Abschätzung, dass sie mächtig und als unabhängige
Königin über ein großes Land herrschen wollte, dürfte der Wahrheit nähern. Sie war
immer noch jung und ihr Charakter konnte im Laufe der Zeit wesentliche
Veränderungen durchmachen. Sie konnte sich ihren Vorränge und Vorteilen mehr
bewusst werden, ihr Ehrgeiz durfte deswegen erhöht werden.
Es ist ganz gut möglich, dass ihr Vorbild vor allem Brünhild, die sie vor Jahren
als eine unverheiratete Königin auf Island herrschte, war.

Aus der schönen Mägdelein, zarten Prinzessin, die als „Morgenrot“ genannt
wurde, die anfangs passiv auftrat, wird „minnigliches Weib“, Siegfrieds Gattin und
Königin, die sich vor der Ermordung Siegfrieds in eine aktiv handelnde Figur
umwandelt. Ihre leidenschaftliche Liebe zeigt sich in voller Kraft als quellend und
ungestüm erst nach dem Tod Siegfrieds.
Ihre überdauernde Bindung an Siegfried stellt die treibende Kraft für ihre Rache
dar. Ihre anhaltende Feindschaft und Hass zu Hagen brachte sie in die neuen
Beziehungen - zu dem Hunnenkönig Etzel (als Ehemann) und später zu Rüdeger (als
getreuer Gefolgsmann).

Kriemhild wurde in Leid gestürzt, sie spürt das Unrecht, das nicht getilgt wurde,
da ihr Bruder Gunther in seiner Pflicht zur Gerechtigkeit versagt und den Siegfried-
Mörder nicht bestraft. Unter dem jahrelang bedrückenden Leid wird die schöne
Idealistin Kriemhild wird zur rächenden mörderischen Teufelin.

107
5.13 Kriemhilds Rache

Einem der bewegtesten und gewaltigsten Momente des Nibelungenliedes kam die
deutende Handlung zuvor, die das sich nähernde Drama vorausbestimmte.
Aus dem Epos geht hervor, dass sich Kriemhild bemüht hat, ihre Gefreundten
nach Nibelungenland einladen zu dürfen. „Die böse Absicht niemand an Kriemhild hat
erkannt.“ (1432, 4). König Etzel, „getreu in seinem Mut“ (1435, 1), willigte ein (1437).
Die Festlichkeit sollte zur Sonnenwende102 stattfinden (1446,3).

Kriemhild zielte ihre Einladung sehr geschickt, damit sie auch Hagen ins
Hunnenland bringen könnte: „Und saget auch Gernot, dem lieben Bruder mein, daß er
bringe unsere besten Freunde…“ (1451), „Und saget auch Giselher, daß ich durch sein
Verschulden nie ein Leid gewann…ihn sehe gerne hier“ (1452) „…sagt auch meiner
Mutter, welche Ehre man mir zollt; und wenn von Tronje Hagen zurückbleiben wollt,
wer wohl dann sie sollte führen durch das Land? Von Kind auf sind die Wege zu den
Hunnen ihn bekannt.“ (1453).

Nicht nur den Boten, die nach Burgundenland reiten sollten (um die Festlichkeit
zu verkünden), war Kriemhilds Wunsch „Hagen, der Kühne zurück an dem Rhein
nimmer bleiben sollte“ (1454, 2-3) verdächtig, sondern bestimmt auch den Rezipienten
des Liedes. „Durch ihn (Hagen) ward mancher Degen dem grimmen Tode geweiht“
(1454, 4) - erlaubte sich der Epiker zu bemerken.
Aus meiner Sicht kann Hagens Figur als Synonym des Todes wahrgenommen
werden.

 Konnten Gunther und seine Brüder eine gewisse Gefahr seitens Kriemhild
vorausahnen? Dürften sie die Einladung nach Hunnenland ablehnen? Hätten
sie eine Chance, dem Unglück vorzubeugen?

102
Die Sommersonnenwende wird seit jeher von den Menschen als mystischer Tag betrachtet oft
begleitet von religiösen Feierlichkeiten. Sonnenwendfeste hatten wohl vor allem in den
germanischen, nordischen, baltischen, slawischen und keltischen Religionen einen festen Platz.
(Vgl. http://www.heidenhemd.de/tag/sonnenwende/, Letzte Abfrage am 15.1.2013)

108
Als Gunther die von Etzel und Kriemhild gesandten minniglichen Grüße mit der
Einladung zur Festlichkeit im Land des Königs Etzel erhielt, nahm er sich sieben Tage
Zeit, bis er den Boten eine Antwort gab (1484).
Dem Rezipienten musste dieser Verzug wohl auffällig vorkommen, da er einen
Grund hatte: Der König brauchte einen Rat hören: „Gunter, der edle, fragte Mann für
Mann, wie sie darüber dächten.“ (1491).

Hagen von Tronje befürchtete Kriemhilds Rache und äußerte sich vor Gunther in
diesem Sinne: „Ihr wisset, was wir ihr getan. Drum zieht uns immer Sorge vor
Kriemhilds Plan.“ (1493, 1-2). Gunter war eine andere Ansicht, sowie auch Giselher
und Gernot. Die Beiden wollten zu Etzel hinreiten. Außerdem wäre es kaum denkbar,
dass Gunther die Ehre von Etzel ablehnen würde. Es gab keinen Grund dafür. Trotz in
diesem Moment unbegründete Befürchtung hatte der Herrscher keine Wahl. Solche
Ehre durfte nicht missachtet werden.
Hagen schloss sich die Helden ungern an, erreichte jedoch, dass der Heerbann
wohlgerüstet nach Hunnenland fahren wird (1510, 4). Beachtenswert finde ich die
Anzahl der Gefolge, die der Epiker erwähnt: „…tausendsechzig Mannen und
neuntausend Knechte mit reichem Gewand.“ (1546, 3-4) ritten vom Rheine ab.

 Ist Hagen ein hervorragender vorausblickender Stratege, kalt kalkulierte


Krieger oder Mörder, dessen schwarzes Gewissen nie schläft?

Die Anzahl der von Hagen ausgewählten und zum Krieg ausgerüsteten Recken
entspricht nicht der Gelegenheit der friedlichen Festlichkeit, sondern eher einem
schweren Kampf.
Die blutigen Ereignisse haben die Burgunder bereits während der Reise nach
Hunnenland betroffen. Hagen von Tronje beging einen Mord an einem Fährmann und
versuchte es, noch einen zweiten Mord (1627) an dem Kaplan des Königs zu begehen,
um die Prophezeiung der Meerfrauen (1579-1582) - „ihr sterben müsset in König
Etzels Land“ (1582, 3) - umzustoßen. Da die Meerweib Winelind nur dem Kaplan die
Lebenserhaltung prophezeite, versuchte es Hagen, ihm das Leben zu entnehmen (1616-
1625); dies aber misslang (1627-1629). Als „ungetreuer Mörder“ (1627, 3) wurde er
von dem Kaplan verfluchtet: „Gott lasse Euch nimmer zum Rheine wiederkommen!“
(1629,3). Sogar der Ritter Eckewart äußerte seine Sorgen und machte Hagen darauf

109
aufmerksam, dass man bei den Hunnen wider ihn Hass hegt (1682, 3). Dazu sprach
Hagen anscheinend ohne tiefes Interesse „Nun möge uns Gott behüten“ (1684, 1).
Diesem gewaltigen Handeln Hagens kann entnommen werden, dass er jederzeit
„über Leichen“ gehen würde, um seine Ziele zu erreichen. Er hatte nicht vor, sich durch
eine einzige Frau (Kriemhild) töten zu lassen, so versuchte er, durch seine Tate das
düstere Schicksal zu überlisten.
Hagens Verhalten ist oft äußerst grob und gefühllos, sogar grausam. Deshalb
finde ich Hagens Worte zu Gott - „Nun möge uns Gott behüten.“ (1684, 1) als
Schändung des Gottes.

 Mit welchen Gefühlen erwartete Kriemhild die Gäste, vor allem die Leute,
die ihr solches tiefen Leid verursachten (Hagen, Gunther u. a.)?

Kurz danach, als die Boten die Kunde nach Etzels Land gebracht haben (die
Burgunder können bald erwartet werden) erfuhr sie auch Kriemhild von Etzel. Ihr erster
Gedanke beschäftigte sich jedoch nicht mit dem Empfang der edlen Gäste. Kriemhilds
erwartender Rachemoment näherte sich. „Ich muss es also schaffen, daß meine Rache
ergeht bei diesen Festtagen...“ (1765, 1).

 Hat Kriemhild begonnen, die Rache erst jetzt zu planen? Oder hatte sie ihren
Mörderischen Plan bereit?

Aus der Handlung geht nicht hervor, ob Kriemhild über die Rache bis ins Detail
nachgedachte hat. Der Epiker erwähnt keinen Indizienbeweis dazu. Kriemhild dachte
zwar oft an die Rache, hier scheint es jedoch so aus, als ob sie sich gerade jetzt bewusst
wäre, dass die Genugtuung kommen muss.
Meiner Ansicht nach wurde sie sich unter dem Druck des nachstehenden
Treffpunktes mit den Tätern (Hagen und Gunther) bewusst, wie tief sie ihren Hass unter
damaligen Umständen unterdruckte und wie nun dieser Hass und die ungestillte
Sehnsucht nach Rache nach oben aufquellen. Sie musste sich sicher sein, dass sie ihre
Rache ohne Zögern begeht.

110
„Liebe und Leid“ (1771, 2) - so schätzte König Dietrich von Bern zum Empfang
kommende Königin Kriemhild ein. „Solange Kriemhild lebet, wird sie Euch (hier ist
Gunther gemeint) Schaden tun“ (1774, 2).
Nach kalter Begrüßung „Seid willkommen, wer euch gerne sieht“ (1787, 1) fragte
Kriemhild Hagen, ohne große Umstände zu machen, „woher er den Hort der
Nibelungen getan hat“ (1789).

 Wie konnte es passieren, dass sich Kriemhild nicht als eine richtige Königin
und wahre Gastgeberin höflicher verhielt? Warum behandelte sie ihre Gäste
so geringschätzig, obwohl sie aufgrund einer Einladung gekommen sind?

Kriemhilds Kälte und deutlicher Vorstoß „Um der Verwandtschaft Willen mein
Gruß nicht geschieht.“ (1787, 1-2) weisen auf eine Provokation hin. Sie selbst, als
Etzels Ehefrau, dürfte keinen offenen Kampf beginnen, deswegen wählte sie eine
bewährte Strategie - Provokation.
Ganz offen verlangte sie den Hort und erwartete Hagens Widerstand. Da ihre
Strategie erfolglos war, kam sie mit dem weiteren Schritt und verbot allen Recken, ihre
Waffen in den Saal zu tragen. Hagen lehnte es ab. Die begonnene Streitigkeit verhütete
„voll Zornes König“ Dietrich von Bern (1797, 1). Furchtlos nannte er die Königin
„Weib des Teufels“ (1797, 4). Kriemhild sprach danach kein Wort mehr.

 Wäre es möglich, dass Kriemhild eine tatsächlich große Macht besitzen


konnte, um einen offenen Streit beginnen zu dürfen?

Wie in meiner Diplomarbeit (s. 5.2 Siegfrieds und Kriemhilds Annäherung)


erwähnt wurde, besaßen die königlichen Frauen im Mittelalter keine Macht, wie in der
gleichen Sinne die Männer/ Könige, und waren nur als Gattinnen der Könige. Eine
andere Tatsache sind die Hintergrundpraktiken, die eben die Frauen meisterhaft
beherrschten (oft mit dem stillen Einverständnis ihrer Gatten).

Falls die Figur Etzels auf dem historischen Grund gebildet wurde (Etzel=Attila),
ist es wichtig zu erwähnen, dass Etzel ein starker, mächtiger, selbstbewusster, aber auch

111
grausamer Herrscher mit unermesslichem Ehrgeiz war (er wollte die ganze Europa
erobern).103

Etzel merkte zwar das ungeeignete Verhalten seiner Frau, trotzdem griff er nicht
ein. Wenn die Charakteristiken Etzels betrachtet werden können, ist es schwer zu
glauben, dass er ohne ein Wort zu sagen seiner Frau so viel Freiheit überlassen würde.
Trotzdem konnte seine (Nicht)Handlung triftige Gründe haben.

 Wie kann Etzels Verhalten interpretiert werden?

In diesem Fall können zwei Beweggründe erahnt werden, die den Hunnenkönig
dazu führten, sich zurück zu halten.
Etzel, wie es aus dem Epos hervorgeht, war ein hervorragender Gastgeber, seine
Gastfreundlichkeit war ein Ausdruck der Achtung gegenüber den kommenden Boten
und Fremden. Dies konnte der erste Grund dazu sein, warum Etzel auf das
unfreundliche Benehmen seiner Frau nicht reagierte. Der zweite Grund konnte
vermutlich sein strategisches Denken sein. Möglicherweise wartete er ab, bis die
Burgunden ihre Absichten zeigen, damit er in dem geeigneten Moment eingreifen
könnte.
Jedenfalls gab sich Etzel echte Mühe, seine Gäste, sogar auch Hagen, mit
freundlichen Worten zu begrüßen und herzlich willkommen zu heißen (1858-1859;
1863): „Nun will ich euch gestehn, mir konnte in diesen Zeiten nichts Lieberes
geschehen, als durch euch, ich Recken, daß ihr zu uns kommen.“ (1862, 1-3).

Das Nibelungenlied bringt keine Auskunft darüber, wie das Leben in den beiden
mächtigen Ländern (Burgunden- und Hunnenland) im Laufe von vergangenen Jahren
verlief. Wie der Rezipient annehmen kann, merkte Etzel keine Indizien, die auf die
Feindlichkeit der Burgunden gegenüber Hunnen hinweisen sollten. Seine Reaktion
finde ich deshalb diplomatisch, strategisch und menschlich angemessen.

103
Vgl. Bednaříková, J., 2007, S. 43-57

112
Die Aktion und Gegenaktion in der Handlung löste allmählich eine
Gewaltspirale aus, die sich in den Aventiuren 29 - 34 abspielt.
Nach dem Empfang der Gäste schien Kriemhild ausgeglichen und vornehm zu
sein aus. Im starken Kontrast war jedoch ihre Stimmung: Vor den Männern Etzels
äußerte sie ihre Absicht, an Hagen Rache zu begehen. Das Gerücht blieb jedoch Hagen
nicht fremd. Die Handlung der Bugrunden zeugte davon, dass sie sich zu einem Kampf
vorbereiten. Volker (Spielmann) und auch die anderen Männer schwören Hagen ihre
Treue und Hilfe (1826-1827).

Wie es aus der Handlung hervorgeht, war Hagen bereit, den Kampf
hervorzurufen. „Hagen, der starke, legte übers Bein eine lichte Waffe. Im Knauf
strahlte rein in viellichter Jaspis104, grüner als das Gras.“ (1832, 1-3), die Kriemhild
sofort erkannte - es war das Siegfrieds Schwert Balmung (1833).

 Was wollte Hagen mit dem Schwert vorführen? War er sich bewusst, was er
tut und wie Kriemhild reagieren wird?

Ich vertrete die Meinung, dass Hagen nichts (außer seinem Leben) zu verlieren
hatte. Auf die Provozierung Kriemhilds reagierte er gleichartig.
„Kriemhild ergriff in grimme Not“ (1833, 1). Sie attackierte Hagen mit Fragen:
„Wer hat Euch gesandt“, „warum Ihr es waget“(1836,1-2), „warum tatet ihr
das“(1838, 1) und mit Beschuldigungen des Todes Siegfrieds (1838).
Hagen bestritt es nicht, es schien sogar, endlich die für ihn geltende „Schnee von
gestern“ hinter sich bringen zu wollen und er gab auch ganz offen zu, dass er Siegfried
ermordet hat (1839-1840). Seiner Äußerung nach hat er alles wegen der Beleidigung
seiner Herrscherin Brünhild getan (1839).

104
Jaspis: Die Inspiration für ein Schwert mit Jaspis (im NL befand sich ein ähnlicher Stein auf dem
Schwert Siegfrieds - Balmung) konnte der Epiker in der griechischen Mythologie finden bzw. der
Jaspis auf dem Schwert Balmung könnte eine Entlehnung aus Vergils Äneas sein. Äneas (der letzte
Prinz aus Troja) „trug ein Schwert, von gelblichem Jaspis“. (Vgl. Zamarovský, V., 1980, S. 33-35).

113
 Ist es möglich, dass sich Hagen auf die Angst Kriemhilds vor dem Verrat
(ihre Schuld an dem Tod Siegfrieds) verließ, mit ihrem vorgeblich schwachen
Charakter rechnete und sie einschüchtern wollte?

Hagens Worte erklangen eindeutig: „Nun räche, wenn es wolle; es sein Weib oder
Mann!“ (1840, 3).
Hagen ist ein furchtloser Recke, wenn er noch so niederträchtig ist, er kämpfte
viele Jahre und erschlug seine Feinde in unbarmherzigen Schlachten, sodass er vor einer
Frau nicht vor Angst zittern musste. Er setzte alles aufs Spiel. Doch er unterschätzte die
Königin. Das öffentliche Geständnis Hagens wurde die imaginäre Sprengkapsel, die
langfristig verborgenen Hass Kriemhilds vervielfachte. Als ob Kriemhild auf diesen
Augenblick gewartet hätte, sprach sie die Recken an: „Nun hört, ihr Recken, wie er mir
dreist gesteht alle meine Leiden!“ (1841, 1-2).

Die Degen, die Hagen ihre Treue zugesagt haben wurden schnell Kampfbereit:
„Freund beim Freund getreulich steht - halten zusammen.“ (1850). Um den Treue-
Beweis zu erbringen, vereinbarten sich die Helden zwecks der Sicherheit Hagens die
Nachwache zu halten. „Volker und Hagen trennten sich nimmermehr.“ (1854, 2).

 Ist Hagen entschlossen gewesen, um jeden Preis zu kämpfen? Wird es Hagen


sein, der den Angriff später eröffnet?

Kriemhild bemühte sich zwar, den Anschein hervorzurufen, dass die Burgunden
nicht im Frieden gekommen sind. In der Tatsache gibt es nur eine einzige Person, die
ihr Feind und Gegner war - Hagen von Tronje. Es gab nur einen Grund für Kriemhilds
Hass - der Verlust ihres Ehemannes Siegfried. Damit dürfte jedoch die Königin keinen
offenen Kampf beginnen.

Hagen war scheinbar zur Offensive bereit. Erstens war er sich bewusst, welchem
Schicksal er standhalten muss (die Prophezeiung der Meerfrauen; 1579-1582), zweitens
sagte ihm sein Instinkt, dass die Rache Kriemhilds unabwendbar kommen muss.
Drittens nutzt er die Chance aus, das Schicksal abzuwenden.
Als erfahrener Krieger fürchtete er nicht, dem Tod ins Auge zu schauen.

114
 Gibt es doch noch einen anderen Grund für Hagens Kampftrieb?

Angenommen hat Hagen den Nibelungenhort nicht in den Rhein gesenkt, oder im
Gegenteil - er weiß wo der Hort versenkt wurde und nach dem langjährigen Warten
sieht er die Gelegenheit, ihn für sich selbst zu holen und zu nutzen. Nur ein „kleines“
Hindernis muss er überwinden: Kriemhild, eine Frau, die dasselbe Ziel folgt, und zwar,
den Hort zu gewinnen. Sie muss (nach Hagens Meinung) jedoch sterben.
Hagen musste sich bewusst sein, dass solange Kriemhild leben wird, darf er den
Hort nicht herausholen und der mächtigste Mann von zahlreichen Ländern werden. Er
sieht keinen Ausweg, bloß einen Kampf. Hagens klare Worte - „Wir müssen heute
kämpfen“ (1907, 1) und „…uns nahet der Tod“ (1908, 4) - deuten auf die Fortsetzung
der Gewalt in der Handlung.

 Ist Hagen derjenige Initiator, der die „Gewaltspirale“ von Gräueltaten in


Bewegung brachte?

Es gibt mehrere Indizien im Nibelungenlied, die auf Hagens offene Aggressivität


hinweisen. Hagen und Volker (ein Spielmann, der später ihre Fiedel mit dem Schwert
verwechseln wird), wollten ihre Waffen nicht ablegen, obwohl sie aufgefordert wurden,
sie nicht zu tragen. Sie provozierten durch diese vielsagende Geste die Hunnen und
Kriemhild. Sie machten der Königin vor dem Münster keinen Platz, damit sie sich
durchdrängen müsste (1912). Die Burgunder trugen ihre Waffen in die Kirche, obwohl
Etzel seinen Unwillen zeigte. Hagens Worte erklangen dazu kompromisslos „Es ist
meiner Herren Sitte...“ (1916, 2).

Hagen verhielt sich auch weiter, als ob er in einem Kriegszug wäre. Er ließ bei
den einschlafenden Burgunden die Nachtwachen halten, um zu vermeiden, dass sie von
Hunnen überfallen werden. Kriemhild hatte es zwar vor, ihre Rache vollzuziehen, sie
fokussierte jedoch explizit nur Hagen von Tronje: „Mir hat Hagen so viel angetan…“
(1955, 1), „Wer ihn von anderen schiede, dem wäre mein Gold bereit.“ (1955, 3) und
wollte gegen dem Entgelt Hagens Tod erreichen. Vielmehr bemühte sich Hagen, die
Hunnen zu einem Vergeltungsangriff zu provozieren.

115
Die Gewalt kam zum Ausbruch, meiner Meinung nach, etwa in der 33. Aventiure
und danach nahm immer mehr zu. Aus der friedlichen Festlichkeit, während der die
Christen und Heiden an gemeinsamen Tisch saßen, brach ein ernsthafter Kampf aus.

Nachdem die Ingesinde Etzels seinen Sohn Ortlieb in den Saal trugen und der
König seinen Schwägern ein Angebot vorfuhr, seinen Sohn im Burgunderland zum
Mann und Ritter großwachsen lassen zu können (1971-77), äußerte sich Hagen von
Tronje nicht gerade höflich zu Etzels Sohn, da er Ortlieb mit Bosheit ablehnte: „Doch
ist der junge König schwächlich anzusehen.“ (1977, 3).
Dadurch erzürnte er die Hunnen und beleidigte den König Etzel (1978-1979). Das
war der erste Funke des offenen Hasses. „Blödelins Recken, die waren allbereit…“,
„Da erhob sich unter den Degen Mord und feindlicher Haß.“ (1981, 1; 4).
Sehr merkwürdig finde ich, dass der König Gunther nicht einmal versuchte
einzugreifen, um die gewaltigen Attacke seines Vasallen zu verwehren. Nach meiner
Ansicht erwies sich Gunther wiederum wie ein Schwächling und Feigling. Andererseits
unternahm nicht einmal der König Etzel einen Schritt, um das attackierende Verhalten
Hagens abzulenken.

 Existierte die Möglichkeit, die kommende Gewalt in diesem Augenblick zu


stoppen und Frieden zu schließen?

Kriemhild hatte nicht in Absicht, ihre Rache aufzugeben. Sie versprach Blödel,
dem Bruder Etzels eine reiche Stiftung - eine schöne Frau, Gold, Burgen und eine
Grenzmark an, wenn er alle Knechten (die Burgunder) in ihrer Unterkunft erschlagen
würde. Ein schwerer Kampf löste in der Herberge aus (1981), in dem Blödel seinen Tod
fand (1987, 1-2). Dankwart, der Bruder Hagens, rächte an ihm. „Das sein deine
Morgengabe, für die Witwe Nudungs, die du zur Freude dir erwählt!“ (1987, 3-4). „Die
Hunnen rüsteten sich in ihrem Hass, zwei tausend oder mehr als das…“ (1994, 1-2),
„die Ungetreuen drangen in das Gemach und zwischen den Recken hob sich ein
ungeheuer Krach“ (1995, 1-2). Ein grauenvoller Kampf brach aus.

Der Epiker weist auf die Grausamkeit der Schlacht hin: „…neuntausend Knechte,
die lagen da erschlagen“ (1996, 2), als der kühne Dankwart gegen die Hunnen ging,
sein Weg ward von neuem benetzt von heißem Blut“ (2007, 1), „sein Gewand war mit
Blut beronnen.“ (2011, 3).
116
Die Gewalt gradiert in der 33. Aventiure, immer mehr Menschen umkommen, die
Zahl der erschlagenen kann nicht gesagt werden. Der schlimmste Augenblick sollte aber
erst kommen. Der blutüberströmte Bruder Hagens - der kühne Dankwart erreichten
zusammen mit Hagen die Festtafel im Königspalast (1920-1921).
Das kämpferische Handeln war eine Antwort Hagens auf Kriemhilds Anschlag (d.
h. Blödels Angriff; 1985). Er rächte sich für die in der Herberge ermordeten Knechte
wirklich grauenhaft. „Da schlug das Kind Ortlieb Hagen, der Recke gut, daß ihm von
der Schwerte zur Hand strömte das Blut und daß das Haupt des Kindes Kriemhild
sprang in den Schoß.“ (2022, 1-3).

In diesem Moment war es viel zu spät, die durch die rachgierige Absicht
Kriemhilds geschädigten Verhältnisse wieder gut zu machen und den Kampf unter
Freunden zu meiden und zu stoppen.

 Sind Kriemhilds Hass und Not tatsächlich so groß gewesen, dass sie ihren
Sohn Ortlieb der Rache opfern musste? Wie hätte eine Frau so schrecklich
handeln können?

Der Epiker deutete den Tod Ortliebs im Voraus an: „Alsbald vier da kamen von
Etzels Ingesinde, sie trugen den Ortlieb, das junge Königskind, zu dem Königstische, wo
auch Hagen saß. Das Kind musste sterben durch einen mörderischen Hass.“ (1972).

Kriemhilds Plan, ihre Rache direkt an Hagen auszuüben, scheiterte. Blödel und
seine Recken waren tot. Etzel griff bisher nicht ein. Hagen reagierte auf Kriemhilds
Absicht, ihn in den öffentlichen Kampf hereinzuziehen. Es bleibt jedoch offen, ob dies
tatsächlich der Plan Kriemhilds war und ob ihr Sohn sterben musste.

Da in dem Epos keine Erwägungen Kriemhilds zu finden sind, kann nur vermutet
werden, dass ihre überdauernde Not und gleichzeitig unurteilsfähige Liebe zu Siegfried
ihre Mutterliebe soweit überstieg, dass sie Ortlieb ihrer Rache opferte.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass dieses Verhalten Kriemhilds nicht ganz
richtig interpretiert werden kann. Ortlieb war doch der Nachfolge Etzels und konnte
später (als Mann und König eines weiten Landes) die Entehrung seiner Mutter im
Burgundenland rächen. Es musste jedoch kein Zufall sein, dass er als Kleinkind zum
Sterben verurteilt wurde.
117
 Wer entschied über das Tod Ortliebs? Kriemhild oder Hagen? Was konnte
der Tod des jungen Königs bringen?

Hagen musste wissen, dass er durch diese grausame Tat den Hunnenkönig
herausfordern wird, jedoch auch sein eigenes Todesurteil unterschreibt. Er war bereit,
das Risiko einzugehen und den jungen König zu töten, wie es sich aus seinen Worten
ergibt: „Nun trinken wir die Minne und zahlen Etzels Wein. Der jungen Hunnenkönig,
der muss hier der erste sein.“ (2021, 3-4).

Der Kindsmord zeigt deutlich den Hass Hagens gegenüber Kriemhild. Aus seiner
Strategie kann die Absicht ersehen werden, aus Kriemhild eine Rachefurie zu
machen. Er musste wissen, dass Kriemhild den Tod ihres Kindes nicht vertragen wird.
Nicht nur Kriemhild, sondern auch Etzel durfte solche Entehrung nicht ohne Vergeltung
übergehen lassen.

 Konnte jemand Hagen anhalten? Wie ist die Einstellung des Königs Gunther
und den anderen Fürsten und Recken zu der entstandenen Situation?

Die mörderischen Absichten Hagens nahmen kein Ende. „Er frönte in dem
Hause der grimmen Mordlust sehr“ (2026, 2). Seite an Seite standen ihm Dankwart,
Gunther und Giselher, auch Volker, „der kühne Spielmann“ (2026-2039).

Bloß der Hunnenkönig Etzel bleibt im Hintergrund und - im Gegensatz zu dem


historischen Vorbild (Attila) greift nicht zum Schwert. Etzels Verhalten kann tatsächlich
nur schwer verstanden werden. Er ist jedoch nicht allein, der in auffallender Neutralität
bleibt. Der nächste ist Dietrich von Bern: „Nun laßt mich aus dem Kampfe mit dem
Gefolge mein.“ (2053, 3). Gunther stimmte zu (2055).

Dietrich leistete wenigstens einen Dienst - er führte Kriemhild und Etzel aus dem
Saal hinaus. Die Hunnen blieben jedoch dort und alle kamen um. Maßen von Menschen
lagen da tot, die Leiche des Spielmanns Volker, der als ein wilder Eber für Hagen
kämpfte (2062, 4) lag dort auch. Der „Bodenstrich im Saal war rot von Blut“ (2063, 1)
von „zweitausend Toten“ (2076, 2), die auf Giselhers Rat aus dem Saal hinausgebracht
in den naheliegenden Tal geworfen wurden (2074-2076).

118
 Wie kommt es, dass Hagen und Volker die Hunnen bloß in die Position der
erbärmlichen Menschen stellten? Durften die Hunnen selbst einen
bestimmenden Grund finden, um die Vergeltung in ihre Hände greifen zu
können?

Aus der Sicht des damaligen Ritters musste es seltsam vorkommen, dass ein
Krieger und mächtiger König wie Etzel gegenüber den Angreifern nicht kämpfte,
sondern das blutige Geschehen nur von draußen beobachtete.
Im Nibelungenlied ist er nicht nur als ein gütiger, toleranter und freigebiger, als
auch ein passiver Herrscher geschildert. An seiner Stelle würde jeden seiner Krieger das
Schwert ergreifen um die Rache an Burgunden zu begehen.

Wie bereits erwähnt wurde kann der Hunnenkönig seine Anteilnahme an dem
Kampf - nach der Ermordung seines Sohnes Ortlieb (1980) - nicht versäumen. Etzel
wurde diesmal ungewollt in den Kampf verwickelt und fiel in schwere Not.
Nichtsdestoweniger reizte die Passivität Etzels Hagen und seinen Gesellen Volker
dazu, den Herrscher mit den Hunnen zu verspotten (2078, 2083).

Aufgrund der Fassung des Nibelungenliedes lässt sich nach meiner Ansicht eine
voraussichtliche Interpretation finden. Die Rache will Etzel nicht an sich nehmen. Er
durfte die Ansicht vertreten, dass es sich um die Angelegenheit von Hagen und
Kriemhild handelt, deshalb hatte er nicht vor, sich einzumischen und den Konflikt gar
nicht mit Waffengewalt zu lösen. Darüber gab es auch Gespräch (2082-2084) zwischen
Hagen, Gunther, Volker und Etzel. Sie baten dem Hunnenkönig um Frieden (2156), den
er erstaunlicherweise schließlich ablehnte. „Die erlittene Kriegsnot, Verluste und
Schande“ konnte er nicht mehr verzeihen (2156-2157).

 Warum war Kriemhild nicht bereit, die Ehre seines Gatten (und dadurch auch
die Ehre des ganzen Hunnenlandes) zu retten?

Aus der Handlung geht hervor, dass Kriemhild nicht einmal die blutigen Kämpfe
und starke Verluste an Kämpfern von ihrem Ziel abgeraten haben.
Kriemhilds geäußerte Not bewegte den Markgraf Iring von Dänemark allein
gegen Hagen anzutreten (2094).Verwundet in dem Kampf, sowie mit Hagen, als auch

119
mit Volker, Gunther, Gernot und Giselher (2095-2122), trat er zum zweiten Mal dem
von Tronje gegenüber, jedoch erfolglos. Nach dem schweren Kampf verlor er sein
Leben vor den Augen seiner Verwandten und der Gattin Etzels (2116-2136).
„Tausendvier Krieger“, die Dänen und Thüringer drangen zur Vergeltung in den Saal
ein (2137), „das Blut drang allenthalben durch die Löcher“ (2144, 2), viele Degen,
Dänen und Thüringer fanden dort ihren Tod (2146).

„Die Königin und auch der König klagten bitter“ (2146), jedoch nicht einmal die
überall liegenden Gefallenen brachte sie von der Vergeltung gegenüber den Burgunden
ab, „sie versuchten noch mehr, um den Gästen Leid zu bringen.“ (2149).

Es kann aus der Handlung erkannt werden, dass nun Kriemhild und Etzel einig
gewesen sind. Kriemhild musste es deshalb recht sein, dass „sie ihr Leid da rächte“
(2152, 2). Durch die Gräueltaten wurde der Kreis um die berühmten Krieger immer
kleiner, Kriemhild trat jedoch nicht mehr zurück. „Das schuf der üble Teufel, daß es
über alle brach herein“ (2053, 4).

 Bestätigt sich durch die Handlung Kriemhilds, dass ihre erlittene Not nach
vergangenen Jahren mit einer neuen Rasanz an die Oberfläche auftauchte? Ist
Hagens langjährig verborgener Hass stärker geworden?

Obwohl der Konflikt tatsächlich eine Angelegenheit von Kriemhild und Hagen
war, wurden aufgrund der neu aufgetauchten beiderseitigen Emotionen (vor allem Hass
der Protagonisten) alle Helden und Gesellen zusammen mit ihren Herrschern in den
Todeskampf hereingezogen. Der Hass ist das leitende Motiv zur Rache.

Eine Aussöhnung der Burgunden und Hunnen war in diesem Moment nicht mehr
möglich, wie es aus dem Text hervorgeht: „Da hier den Frieden versagen, es sei uns
beklagt.“ (Dankwart, 2174, 3). Die Königin da sagte: „Ihr Helden tatbereit, nun geht
der Treppe näher und rächet unser Leid!“ (Kriemhild, 2175, 1-2) und ließ den Saal an
allen vier Seiten anzünden (2178, 1).

120
 Gilt es vorbehaltlos, dass die Gewalt die Gegengewalt erzeugt?

Im Nibelungenlied wickelt sich die blutige Gewaltspirale sehr rasant. Die


Anzündung des Saals befindet sich nah dem Gipfel der mörderischen Taten. „Das
Feuer fiel gewaltig auf sie in den Saal.“ (2185, 1).Wegen dem entsetzlichen Durst
tranken die dort gesperrten Recken den fließenden Blut ihrer Toten (2182, 3). Mit
Furcht sprachen sie zum Gott: „Nun lohne Euch Gott im Himmel.“ (2183, 1).

Kriemhild glaubte kaum, dass jemand überlebte. „Zwölfhundert oder mehr


Streiter waren dort“ (2201, 2); „Da kühlten an den Feinden die Gäste ihren Mut. Sie
konnte niemand trennen. Drum sah man fließen das Blut.“ (2201, 3-4). Bis diesem
Moment griffen in die Kämpfe keine bedeutenden Fürste ein. Das sollte sich jedoch
bald ändern.
Zum Hof kam Rüdeger von Bechlaren105 und sah auf beiden Seiten gar schwere
Schmerzen. Er wünschte, das Leben vom Gott nicht zu bekommen (2203-2204).
Der getreue Recke entkam nicht den Vorwürfen des Königspaars: Er, als
vielgetreuer Mann geriet in eine ausweglose Situation, da ihn Etzel und Kriemhild an
seine Lehnsdienste erinnerte und die Erfüllung erforderte: „Ich mahne Euch zur Treue
und was Ihr geschworet habt.“ (Kriemhild, 2217, 1).

Rüdeger war jedoch auch Freund der Brüder Kriemhilds, seine Tochter wurde mit
Giselher verlobt, so fiel ihm schwer, gegenüber den Burgunden zu kämpfen. Aus
diesem Grund bat er Gunther, seine Lehnspflicht lösen zu dürfen, das Land und die
Burgen an Hunnenkönig zurückzugeben und „ohne all sein Eigen das Land zu
räumen.“ (2225-2226). Er war sich jedoch bewusst, dass er seinen Lehnsdiensten
nachkommen muss und dies wird seinen Tod bedeuten (2244-2246).

Mit schwerem Herzen löste Rüdeger die Verbindungen mit seinen Freunden
(2248-2250), trat in einen schweren Kampf. Die Not von Giselher, sogar auch Hagen
war tief. Der schwer verletzte Rüdeger schenkte Hagen seinen Schild (2266). „Wie
grimm auch Hagen wäre und wie hartgemut, doch erbarmt ihn die Gabe…“ (2267, 1-2)

105
Der Markgraf Rüdiger von Bechlaren gehört zu den Germanen, die in Etzels Lehnsdienst stehen. Im
Nibelungenlied tritt er in Erscheinung in der 20. Aventiure, als er Etzel berät, die Witwe Kriemhild zu
heiraten. (Vgl. Genzmer, 1965)

121
und stattete Dank dem Recken „Nun lohn Euch Gott im Himmel, vieledler Rüdeger!
Gott soll es gebieten, daß Eure Tugend immer lebe!“ (2268).

In mörderischer Absicht kämpften Gunther und Hagen gegenüber den Degen


Rüdegers weiter (2276, 1); der Tod des edlen Rüdegers näherte sich. Gernot attackierte
ihn gewaltig (2284-2287). Mit den scharfen Schwertern erschlugen sich die Beiden
gegenseitig zum Tode (2247).

 Wie könnte ein stetiger Kampf zu Ende kommen?

Hagens Trauer für Rüdeger hatte keine hemmende Wirkung an die kämpfenden
Recken. Die gegenseitige Vergeltung nahm kein Ende. Gunther und Giselher, Dankwart
und Volker schlugen die Recken jeden nach dem anderen (2294). Etzels Jammer für
Rüdeger war so stark, wie eines Löwen Stimme, „Kriemhild beklagte seinen Tod
ungestüm“ (2303). Es gab niemanden, der die blutige Schlacht beenden könnte.

In der 37. Aventiure verliefen Gespräche und die Handlung wurde durch den
Jammer der überlebenden unterbrochen - „bei den Leuten war so großer Jammer noch
nie gesehen“ (2310, 4), Rüdegers Tod wurde am tiefsten beklagt (2313-2015, 2323,
2330-2335); doch der Kampf setzte sich fort.

Bedenken wir, dass zusammen Christen und Heiden kämpfen. Bei den Heiden
war die Blutrache ein natürlicher Bestandteil ihrer Kultur. Dagegen Christentum
bemühte sich, diese Form der Gerechtigkeit-Durchsetzung (im Laufe von vielen Jahren
leider erfolglos) zu beseitigen. 106
Im Nibelungenlied stehen gegenüber nicht nur zwei verschiedene Kulturen,
sondern auch Freunde, denen es nicht gelingt, das blutige Toben unter Kontrolle zu
bringen.

106
Die Blutrache existierte in allen Kulturen der Welt. Die Blutrache hat den archaischen Ursprung - in
den Gesellschaften mussten der Familien-/ Sippenmitglieder und ihre Familien/Sippen das Recht
selbst in die Hände nehmen. Die Regel „Einer für alle“ ist hier charakteristisch. (Vgl. Otto, J., 1901,
829–830)

122
„Das kann nicht wollen Gott. Es wär eine schlimme Rache und auch des Teufels
Spott.“ deutete Dietrich von Bern (2314, 2). Hildebrand, der Waffenmeister Dietrichs
bat die Burgunden, ihm den Leichnam Rüdegers herauszugeben (2330); es wurde
jedoch von Volker abgelehnt (2335, 1). Wieder entstand ein Streit, wobei Volker und
Wolfhart (Hildebrands Neffe) zu hartem Kämpf bereitstanden (2340-2341). Hildebrand
griff Hagen an (2344). „Feuer aus den Ringen hieben sich genug, heftigen Haß jeder
wider den andren trug.“ (2347, 1-2).

Von dem Epiker werden die Kämpfe sehr anschaulich beschrieben, wie die
Kämpfe im Detail ablaufen. Der antreibende Hass von vielen kämpfenden Kriegern
kann deutlich gespürt werden (2347-2354). „Manche kühne Recken sterbend fallen in
das Blut. Den Rüdeger rächten diese Recken kühn und gut.“ (2351, 2-4).
Viele Recken fielen unter den grimmen Schläge des Spielmannes Volker. Erst
Hildebrand beendete Volkers Toben. Als Hagen den Tod seines Gesellen sah, begann er
grimmig zu rächen (2358). Wolfhart und Giselher kämpften voll von Kampfeszorn, da
aber das edle Ute Kind seinen Gegner durch die Brunnen schlug. Aus letzten
Leibeskräften schlug der kühne Wolfhart das edle Utes Kind (Giselher) zum Tode
(2362-2367); Die Beiden hatten sich den grimmen Tod angetan (2368, 1).

Die gräulichen Heldenkämpfe zwischen Burgunden und Hunnen beschreibt der


Epiker wiederholt mit den Adjektiven wie grimmig/ grimmen, hart. Die Worte wie
Blut und Not werden akzentuiert, um die Eindrücke der Rezipienten zu erhöhen und die
wahrnehmende Spannung zu spitzen.

Nachdem die Kämpfenden durch Tausende von Wunden den furchtbaren Tod
gefunden haben, standen da nur Gunther, Hagen und der verwundete Hildebrand
(2375) - die Einzigen, die überlebten. Da von Dietrich alle Kämpfe verboten wurden,
versuchte der Fürst die weitere Schande zu vermeiden (2379-2382). Er beklagte tief den
Verlust seiner Freunde, vor allem dachte er an Rüdeger: „Dieser Jammer muß mir
vermehren meine Not.“ (2384, 2). Dietrich fühlte sich vom Gott verlassen: „So hat
Gott mein vergessen“; „Nun muß wohl ich heißen der gar arme Dietrich.“ (2389, 3).
Der kräftige Mann klagte über die verlorenen Recken. (2394, 3). Gunther und Hagen
wagten sich jedoch noch weiter zu gehen und mit ihren Beschuldigungen gegenüber
Dietrich anzugreifen: Er sei an dem Blutvergießen mitschuldig (2403, 2405).

123
Obwohl Dietrich von Bern sein ganzes Heer im Kampf mit Burgunden verlor,
machte er einen mäßigen Vorschlag: Gunther und Hagen sollen sühnen und sich ihm als
Geisel ergeben (2406-2407). Hagen lehnte ab: „Das verhüte Gott im Himmel…“ (2408,
1), „Nicht ziemt es, daß zwei so kühne Degen mit Euch als Geisel gehen.“ (2411, 2-3).

Hagen beabsichtigte, keinesfalls aufzugeben und bemühte sich, mit allen ihren
Kräften zu schützen. „…ich will es hier versuchen, mit Stichen und mit Schlägen“
(Hagen; 2417, 2) und sprang rasch auf Dietrich (2418, 3-4), der sich den gefährlichen
Schlägen des Balmungs scheute (2420). Dietrichs Kraft war groß, sodass er mit seinen
Armer Hagen von Tronje umschloss und bezwang (2422). Den gefesselten Gunthers
Mann fuhr Dietrich vor Kriemhild vor (2423).

Kriemhild freute sich, da sie so nahe ihrem Ziel stand. König Dietrich bat jedoch,
den Vasallen Gunthers (d. h. Hagen) am Leben zu lassen (2425). Gunther, der bis dahin
als passive Figur wirkte, versuchte Hagens entwürdigende Position zu ändern - er trat
dem König Dietrich entgegen: „Wo bleibt der Herr von Berne? Er hat mir Leides
getan.“ (2426, 4) und tobte zornig in seinem Grimme. Doch der „von Berne zwang ihn,
wie es auch Hagen geschah“ (2430, 1). Gunther wurde von Dietrich „gefesselt, wie nie
Könige sollten erleiden solch ein Band“ (2431, 1-2) und vor die Königin vorgeführt.

 Wie konnte diese Szene auf die Rezipienten wirken? Wurden hier Höflichkeit
und höfische Umgangsform bis zu bitterem Ende aufrechtgehalten oder die
Macht gezeigt? Wie kann die letzte bzw. Finalszene verstanden werden?

Für Kriemhild konnte Hagen als Geisel vermutlich keine adäquate Genugtuung
leisten. Ihrem gefesselten Bruder Gunther zeigte sie jedoch, wie ihr durch seine Leide
der Schmerz ganz genommen war (2432, 3).

Mit kaltem Stolz begrüßte sie ihn nach höfischen Sitten: „König Gunther, seid
von Herzen mir willkommen!“ Gunther, der feige Mann durfte wissen, dass die
Abrechnung für Siegfrieds Tod bald kommen muss und begrüßte seine Schwester
entgegen: „Ich müßte danken, vieledle Schwester mein, wenn Euere Grüße möchten
gnädiger sein. Ich weiß Euch, edle Fürstin, also zornegemut, daß mir ihr und Hagen
einen schwachen Gruß nur tut.“ (2433).

124
Der Herr von Berne bemühte sich sozusagen diplomatisch, die drohende
Kriemhilds Rachelust wiederholt zu meiden und bat sie, „die guten Ritter als Geisel in
ihre Hut zu nehmen“ (2434). Mit weinenden Augen und dem Versprechen an den
Lippen rächte sich jedoch grimmig, „Königs Etzel Weibs“ (2435, 3-4). Voll grimmigen
Hassen trat sie zu Hagen und verlangte das versteckte Hort (2437), er antwortete da
hochmütig: „ ...ich habe es geschworen, daß ich den Hort nicht zeige, solange ich lebe,
meiner edlen Herrin, und ihn niemanden gebe.“ (2438, 3-4), da er wusste es - sie lässt
ihn nie mehr frei.

Der Epiker schildert den nächsten Schritt der Königin, die nicht mehr lange
überlegte, als Schritt eines Kriegers, der über Leichen gehen würde. Ohne lange
nachzudenken, ließ sie ihrem Bruder den Kopf abhauen (2440). Als Hagen, voll von
Unmut seines Herren Haupt ansah, sagte er zu Kriemhild, dass er ihr Verhalten und ihre
Absicht, die grimme Rache zu Ende zu führen, genau voraussetzte (2441).

„Nun ist von Burgunden der edle König tot,


Giselher und Volker, Dankwart und Gernot.
Den Hort, den weiß nun niemand als Gott und ich allein.
Dir Teufelin soll er immer wohl verborgen sein.“ (2442)

Meiner Meinung nach musste Kriemhild nun endgültig begreifen, dass sie ihr
„Spiel“ konsequent verloren hat. Sie verlangte von Hagen den Schwert Siegfrieds
(2443, 2): „…es trug mein treuer Friedel107, da Ihr ihn schluget tot mörderisch in
Untreu…“ (2443, 3-4) und zog es aus der Scheide.

Kriemhilds letzte Tat begrub danach ihre Chancen auf die Gottes
Vergebung. Kriemhild hob das Balmung mit ihren Armen und vor den Augen Etzels
schlug sie Hagen den Kopf ab (2444, 3).

107
Felix Genzmer (1965) erwähnt in der Strophe 2443 Kriemhilds toten Ehemann mit liebevollem
Kosenamen „Friedel“. Die Koseform von Namen, die mit 'Fried' gebildet sind, z.B. „Friedrich“ und
„Gottfried“ hat mehrere Bedeutungen, beispielsweise der Friedliche, der Beschützende, der Mächtige,
der Herrscher“. (Vgl. http://www.vorname.com/name,Friedel.html, Letzte Abfrage am 1.2.2013)

125
Der Epiker dürfte an dieser Stelle eine dramatische Pause machen, um den
Rezipienten, die (vermute ich) mit angehaltenem Atem die gräuliche Tat der zornigen
Frau folgten, die Zeit für die Verarbeitung der grausamen Szene zu lassen.

Wie es schon erwähnt wurde, galten die Prinzipien einer Blutrache nicht auch bei
der heidnischen Kultur (mehr s. Anlage 2. - Glossar), so konnte die Finalszene des
Nibelungenliedes nicht anders dargestellt werden.

Wie feindlich schon Hagen war, wurde er jedoch „der allerbeste Degen, der von
eines Weibes Hände tot gelegen ist“ (Etzel, 2445, 2). „Es kommt ihr nicht zugut, daß sie
ihn erschlagen durfte… so will ich dennoch rächen, des vielkühnen Helden Tod.“
(Meister Hildebrand, 2446).

Hildebrands Schwert beendete „die Kriemhilds Sorge höchste Todespein“


(2447) endgültig.

Das Ende des Nibelungenliedes begleiten die Worte des Erzählers:

„Da war gelegen aller der Todgeweihten Leib,


in Stücke lag zerhauen da das edle Weib.
Etzel sowie Dietrich zu weinen begann.
Jammervoll sie klagten um jeden Magen und Mann.“ (2448)

Die Christen und Heiden beweinten ihre Toten, sie trugen um ihre Freunde
das allergrößte Leid (2450). In dieser Szene, in der das Nibelungen Leid geschildert
wird, endet die Mär.

Der Erzähler muss als Schluss das bittere Ende feststellen - alle sind tot; außer
Dietrich und Etzel. Sie beweinen die gestorbenen Helden, Verwandten, Gefolgsleute
und Freunde. Zwei mächtige Länder, die früher befreundet waren, wurden zu Grunde
zerstört, sodass der Epiker nichts mehr weiter zu berichten hat.

126
5.14 Dietrich von Bern - Diplomat, Ritter und/oder Geistliche

Dietrich von Bern kann im Nibelungenlied als religiöse und leicht diplomatisch
angelegte Gestalt betrachtet werden. Folgt man aufmerksam die Handlung, scheint
Dietrichs Charakter ziemlich ambivalent; manche seiner Schritte scheinen edelmütig zu
sein (z. B. als Dietrich bat, Hagen am Leben zu lassen, Strophe 2425), die anderen Züge
in seinem Handeln können als negativ wahrgenommen werden (als er die Geiseln der
rachsüchtigen Königin Kriemhild in ihre Hut überlieferte; Strophe 2434).

Aus diesen zwei Beispielen kann jedoch die Folgerung, dass er im Nibelungenlied
eine negative Figur darstellt, gezogen werden. Im Ganzen kann man bei Dietrich
humane Gesinnung merken, da er wiederholt versucht, die gräulichen Kämpfe zu
verhindern. Er lehnt die Vergeltung Kriemhilds deutlich ab und versucht die Bedrängten
zu retten und schließlich auch das ihm angetanes Leid und der Tod seiner Mannen zu
verzeihen (2406).

Dietrich von Bern benimmt sich als ein Christ, der nach den christlichen
Sitten Vergebung und göttliche Begnadigung sucht und bekennt. Dietrich von
Bern scheint, einem christlichen Rittersideal des 12. Jahrhundert entsprechen zu
können.

Hildebrand, der Waffenmeister Dietrichs wollte jedoch - im Gegenteil zu Dietrich


- die verlorene Ehre wieder herzustellen, deshalb rächte er den Tod Hagens. Sein
Verhalten kann auch so interpretiert werden, dass er die Macht einer Frau, die selbst
entscheidet und die starken Kämpfer und Helden enthauptet, nicht akzeptieren kann.
Seine Einstellung kann durch die Worte „Es kommt ihr nicht zugut, daß sie ihn
erschlagen durfte…“ (2446, 2-3) begründet werden.

127
5.15 Nibelungentreue

In der mittelalterlichen Version des Nibelungenliedes wiederholt sich oft ein


Begriff - „triuwe“, der als eine moralische Verpflichtung interpretiert werden kann. Ins
Hochdeutsche wird das Wort als Treue108 übersetzt. Bezüglich des Epos und der dort
erwähnten Nibelungen109, wird über die „Nibelungentreue“ gesprochen, wobei sich
hier, Anhand einer Analyse der ausgewählten Textabschnitte um die personale Bindung
des mittelalterlichen Lehnssystems handelt könnte.

Im Nibelungenlied werden keine Definitionen des Begriffs „Treue“ bzw.


„triuwe“ (mhd.) präsentiert. Durch die Textanalyse werden mehrere Bindungen
gefunden, die diesem Begriff seinen spezifischen Inhalt geben und die der Treue
unterliegen. In der ersten Linie handelt es sich um die Verwandtschaftstreue,
weiterhin um die Vasallentreue und in der letzten Linie steht die personale Treue.

Eine der wichtigsten Rollen, die im Nibelungenlied zu erkennen sind, ist die Rolle
der Verwandtschaftstreue bzw. die Treue zwischen den Blutverwandten. An dieser
Stelle kann die Sippe Kriemhilds genannt werden. Kriemhild hat jedoch eine Person aus
dem Burgunderkreis bezüglich der Verwandtschaftstreue falsch abgeschätzt, und zwar
Hagen von Tronje, da sie ihm das Geheimnis Siegfrieds anvertraute. „Du bist mein
Mage, wie ich der deine bin, ich gebe dir in Treue, …damit du mir beschirmest meinen
lieben Mann.“ (911, 1-3). „Ich sage im Vertrauen, viellieber Freund, es dir, damit du
deine Treue bewährest an mir…“ (914).

108
Die Treue gilt als ein gesellschaftsordnendes Prinzip, nach dem sich treuer Mensch rechtfertigt. Um
die Treue zu halten, soll der Mensch Gut und Blut gern daransetzen. Nicht nur in Handlungen,
sondern auch in Worten und Gesinnungen soll der Mensch getreu werden. (Vgl. Kirchner, Friedrich,
Lic. Dr., 1890, S. 459)
109
Nibelungen (pl.): Germanisches Sagengeschlecht. (DUDEN, 2006, S. 1208)

128
Aus dem Inhalt der Worte Kriemhilds ergibt sich, dass sich die Königin auf die
Verwandtschaftstreue Hagens beruft. An dieser Stelle ist ersichtlich, dass sie
gleichlaufend an ihren Mann Verrat begeht (die verwundbare Stelle offenbart).

Nach dem Tod Siegfrieds bat Sigmund seine Schwiegertochter, ihn ins Land
Siegrieds zu folgen. Giselher beruft sich dagegen auf die verwandtschaftlichen
Bündnisse und fordert Kriemhild auf, am Rhein zu bleiben: „Vielliebe Schwester mein,
du sollst in Getreuen hier bei deiner Mutter sein.“ (1095, 3).
Kriemhild steht vor einer schwierigen Wahl. Sie ist mit der Tatsache konfrontiert,
dass ihr Ehemann tot ist und muss sich entscheiden, ob sie ihrem neuen
Familienverband d. h. Siegfrieds Familie gegenüber Treue halten wird.
Überraschend finde ich, dass sie die Entscheidung, die Verwandtschaftstreue zu
bevorzugen, getroffen hat: „Mir raten die Magen mein, die getreu mir bleiben, ich
sollte bei ihnen sein. Ich habe keine Magen im Nibelungenland.“ (1102, 1-3).

In dem Nibelungenlied wird deutlich die Vasalität der Protagonisten


hervorgehoben. Von den Vasallen wurde vor allem Schutz geleistet. Sie standen als
Gefolgsmänner in den Dienst einem Herrn zur Verfügung und waren mit bestimmten
militärischen oder diplomatischen Dienstleistungen verpflichtet. Diese Verpflichtungen
galten sowie rechtsverbindlich als auch gegenseitig, so kann in diesem Fall von der
Vasallen- bzw. Gefolgschaftstreue (mhd. triuwe) gesprochen werden.

Diese Form der Treue wird mittels mehrerer Textstellen des Nibelungenliedes
belegt, z. B. in der Szene, wo sich die Burgunder an die Reise nach Hunnenland
vorbereiten, versichert der Küchenmeister Rumolt (1499) über seine Treue: „…ich bin
Euch in Treuen dienstbeflissen hold.“ (1500, 2).

Die personalen Bündnisse, die dem Nibelungenlied zu entnehmen sind, können


als freiwillige und einmalige betrachtet werden. Sie haben unterschiedliche Herkunft,
verschiedene Motive und werden unter unterschiedlichen Geschlechtern geschlossen.
Eine besondere Art der personalen Verbindlichkeiten stellen die Bündnisse dar, die
durch Eid bekräftigt werden.

129
Über die personale Treue zeugt Siegfrieds Bindung zu Gunther, die er freiwillig
durch unterstützenden Eid dem König angeboten hat. „Empfanget meinen Eid! Ich will
Euch wenden helfen all Euer Leid. Wollt Ihr Freunde suchen, so will ich einer sein. Ich
denkt es zu vollbringen in Ehren bis zum Ende mein.“ (161).

Siegfried verspricht, seine treuen Dienste immer zu leisten. „Euch soll immer
dienen fortan in Treuen Siegfrieds Hand.“ (166, 4). Er ist kein Vasall Gunthers, obwohl
er eine Lüge seines Standes gebrauchte, als er um Brünhild warb (434, 4), so entspricht
seine Treue nicht der Gefolgschaftstreue.

Ein weiteres Beispiel der Treue findet man in der Szene, als sich Kriemhild
entscheiden sollte, Etzel zu heiraten. Sie bat Rüdeger, bei ihr zu stehen und in dem
fremden Land zu behüten: „So schwört mir Rüdeger, wer mir etwas tut, daß ihr mir seid
der nächste, der rächte mein Leid!“ (1285, 2-3).

Rüdeger schwor es: „Dazu bin ich Frau bereit.“ (1285, 4). Er äußerte unter vier
Augen seine Absicht, sie für alles, was ihr jemals angetan worden ist, zu entschädigen.
Mit allen seinen Gefolgsleuten schwor Rüdeger, ihr immer treu zu dienen und
versicherte sie, sich persönlich einzusetzen - „gelobte ihr Rüdegers Hand“ (1286).

Kriemhilds Wusch fokussierte eher die Freundschaft (d. h. personale Beziehung)


als das Vasalität-Verhältnis gezielt. Später erinnert sie Rüdeger an diesen Schwur - „Ich
mahne Euch zur Treue und was Ihr geschworen habt…“ (2217, 1).

Als Kriemhild von Rüdeger verlangte, seinen Schwur zu halten und ihr Leid zu
rächen - „Bedenke, Rüdeger, der hohen Eide dein, der Festigkeit und Treue, daß du den
Schaden mein immer wolltest rächen, sowie all mein Leid.“ (2219, 1-3), sollte der treue
Mann eine schwierige Entscheidung treffen. Er war sich jedoch bewusst, dass er für
seine eigene Entscheidung Verantwortung übernehmen muss. Seine Worte erklangen
fest: „Die Seele zu verlieren, das hab ich nicht geschworen…“ (2218, 3).

130
Im Sinne der freiwilligen Treuebindungen ist Rüdeger nämlich auch den
Verpflichtungen gegenüber Gunther und den anderen Burgunden (u. a. auch Hagen)
nachgegangen (z. B. die Verlobung seiner Tochter mit Giselher usw.), sodass er in
dieser Situation den Treuekonflikt ausgesetzt ist. Es fällt ihm schwer, eine Entscheidung
zu treffen, die der Vasallen- und Verwandtschaftstreue, sowie auch der personalen
Bündnisse und deren Treueverpflichtungen in einem Konflikt steht.

Die Problematik der „Treue“ schließt auch den Begriff „Nibelungentreue“ ein,
die sich ausschließlich auf die Vasallentreue bezieht.

Nachdem Kriemhilds Brüder in dem Kampf gefährdet wurden (2158) fordert sie,
dass Hagen als Geisel ausgeliefert wird (2171), damit ihre Verwandten den schweren
Kampf überleben können. In diesem Fall beruft sich die Königin nicht mehr auf die
Verwandtschaft zwischen ihr und Hagen, wie damals, als sie das Geheimnis Siegfrieds
verriet (914), sondern auf ihre Verwandtschaft zwischen ihr und ihren Brüdern:

„Doch wollt ihr mir als Geisel meinen Feind nun geben,
so will ich nicht verweigern, euch zu lassen am Leben;
denn ihr seid meine Brüder, derselben Mutter Kind;
so rede ich um die Sühne mit den Recken, die hier sind.“ (2171)

Obwohl Giselher den Verstoß Hagens kennt (Ermordung Siegfrieds), lehnte er in


Treue ab, Hagen als Geisel auszuliefern.

„Nicht wolle es Gott im Himmel, sprach da Gernot,


ob unser tausend wären, wir lägen alle tot,
unsrer Sippe Magen, eh wir einen Mann
hier als Geisel geben. Das wird nimmermehr getan.“ (2172).

Giselher weiß mit Sicherheit, dass niemand überlebt, in seiner Treue bleibt er aber
unerschütterlich - „Uns soll niemand scheiden von ritterlicher Wehr...“, „… an meinen
Freunden ließe von meiner Treue ich nimmermehr.“ (2173, 1, 3) - seine Freunde würde
er nie verlassen. Sein Gefolge schließt sich mit Giselher zusammen.

131
„Da wollten sich nicht trennen die Fürsten und ihr Heer.
Sie wollten in der Treue voneinander lassen nimmermehr.“ (2177)

Der mutige Giselher zieht die Treue über alles andere vor. Er ist bereit, für jeden
zu kämpfen und will niemals einen Freund durch einen Treuebruch verlieren.

Die Fürsten und ihre Männer bestehen darauf, sich nicht zu trennen, da sie die
zueinander haltende Treue nicht brechen wollen.

5.16 Untergang der Nibelungen

Das Nibelungenlied ist eine unerschöpfliche Quelle von Angaben, deren Sinn,
Hintergrund und Folgen nur aufgrund der exakt gezielten Fragen auseinander gesetzt
werden kann. Die allerwichtigsten Fragen fokussieren zwei Bereiche - die Urheber und
die Folgen.

 Wer hat die Schuld an dem Untergang der Nibelungen?

Der Untergang wurde durch die sich aufeinander anhäufenden Fehler, die die
Protagonisten begangen haben, verursacht. Diese Fehler entwickeln sich vor allem von
dem abgelegten Eid, der sowie Hagen als auch Kriemhild versprochen hat. Hagens
Treue zu seiner Königen und Kriemhilds Treue zu ihrem toten Ehemann stehen im
Nibelungenlied im Widerstreit. Die beiden Gegner gehen ihrem Ziel bewusst vor, bis in
den Untergang. Sie nehmen keine Rücksicht auf ihre Verwandten und Freunde. Das
höchste sittliche Gesetz - die Treue, die auch eine Blutrache einschließt - stellen sie
hoch über die christlichen Sitten.

Die verschiedenen Arten der Treuebindung können jederzeit je nach Figur


unterschiedlich gewertet werden, sowie auch die Motive, die zum Verstoß gegen das
Treue-Gesetz bzw. zur Verletzung des Gesetzes geführt haben.

132
Ein eindeutiges Beispiel für den sittlichen Vorstoß des o. g. Gesetzes ist hier
Hagen von Tronje. Er handelte in Treue zu seinen Königen - Gunther, Giselher,
Gernot), brach jedoch seine Treue gegenüber Kriemhild, die der Könige Schwester war
und die ihn für ihren Freund hielt, soweit, dass er ihren Gatten Siegfried ermordete. In
seinem Fall kann man beachten, dass Hagen die Treue eher zu seiner Königin Brünhild
hielt, wenn er ihr vor Kriemhild Vorzug gegeben hat und damit ihr Vertrauen schwer
erschütterte.

Man muss jedoch bedenken, dass die Treue und ihr Gegensatz d. h. die Untreue
immer unlöslich miteinander verflochten sind. Aus dem Inhalt des Nibelungenliedes
kann wahrgenommen werden, dass sich alle Protagonisten ihrer Handlung und ihres
Schicksals bis zu dem Untergang bewusst sind.

Die Burgunderkönige, sowie auch Kriemhild berufen sich auf die Treue, die als
höchstes Gesetz gültig ist. Die Treue, die sie auf der einen Seite hochhalten, verstoßen
gegen die Treue auf der anderen Seite.

Die wiederholten Fehler der Protagonisten und vor allem der Verstoß gegen das
Treue-Gesetz auf mehreren Seiten führten unzweifelhaft zum endgültigen Untergang
der mächtigen Nibelungen.

133
NACHWORT

Das Nibelungenlied ist eine Erzählung, die von dem Epiker mit märchenhaften
Elementen belebt ist, sodass er eigentlich einen Überblick von dem, was real und was
nur eine fiktive Geschichte ist, erschwert. Auch aus diesen Gründen, kann man das
Nibelungenlied nicht völlig für eine Geschichte halten, die sich genauso, wie sie erzählt
ist, passierte.

Dem Epiker kann es nicht übel nehmen, denn wir auch heute die Elemente der
Unwirklichkeit oder Märchen-Motive in den Geschichten bzw. Erzählungen finden
können, die auf Idealisierung der Charaktere, Orte und Handlungen basieren. Solche
Idealisierung ist verständlich. Der Erzähler versucht, die Handlungen und Ereignisse in
Vordergrund der Bedeutung hervorzuheben und die Bedeutung der Protagonisten oder
die Orte, die Schauplätze der Geschichte werden, zu betonen.

Die Kombination von Elementen der Wirklichkeit und Mythos ruft das Gefühl
hervor, in die Handlung hereingezogen zu werden. Der Rezipient wird nicht nur zur
Wahrnehmung der Geschichte mit allen Sinnen gezwungen, sondern auch zum
Nachdenken gebracht oder umgekehrt - das Publikum darf sich durch die Farbigkeit der
Geschichte unterhalten lassen.

Die Analogie der Nibelungenlied-Protagonisten mit Figuren aus der griechischen


Mythologie - Kriemhild als Electra, Brünhild als kriegerische Walküre, Siegfried als
Achilles - zeigt davon, dass der Schöpfer tatsächlich gelehrt und belesen sein musste.

Im Nibelungenlied spiegelt sich die Mentalität und Lebensweise der


feudalhöfischen Gesellschaft, die mit einigen ihrer Konflikte umgeformt wird. Es wird
eine Welt gezeigt, in der die christlichen Ideale nichts gelten. Für die christliche
Gesinnung und wahrhafte Treue kann hier kein Raum gefunden werden. Die Tugenden,
die die Herrscher auszeichnen sollen, werden vergessen.

134
ZUSAMMENFASSUNG

In meiner Diplomarbeit „Germanisches Heldenepos. Das Nibelungenlied -


Analyse der Hauptfiguren in den Schlüsselmomenten der Handlung.“ befasste ich mich
mit dem germanischen Epos des Mittelalters.

Zum Ziel der Arbeit setzte ich mir, die im Nibelungenlied auftretenden Figuren
auf Grund der Schüsselmomente der Handlung zu analysieren, ihr Handeln und ihre
Entwicklung zu folgen und Motive, die zu dem bitteren Ende führten, herauszufinden.

Anhand des Lesens der ins Deutsche übersetzten Fassung des Liedes (Genzmer,
1965) stellte ich mir Fragen bezüglich der Handelns, Figuren, Motiven und
Zusammenhänge, und versuchte es, sie aus der Personalperspektive zu beantworten.
Betrachtet wurden nicht nur die offensichtlichen Indizien der Handlung wie der
wörtliche Ausdruck der einzelnen Figuren, sondern auch die zusammenhängenden,
verhüllten und metaphorischen. Die Analyse unterstütze ich mit Zitierungen.

Eine schwierige Aufgabe für mich war festzusetzen, wer von den Protagonisten
als eine Hauptfigur gekennzeichnet werden kann. In dem ersten Teil des Liedes treten
Siegfried, Kriemhild und Gunther als drei der wichtigsten Figuren auf, dagegen in dem
zweiten Teil Kriemhild und Hagen. Brünhilds Figur kann als Bindeglied zwischen den
zwei Teilen gesehen werden, gleichzeitig jedoch auch als Ursache des Streits, dessen
Auswirkung zum konsequenten Ende - zu dem Untergang der Nibelungen stark beiträgt.

Das zentrale Motiv der Handlung ist die Treue bzw. Untreue. Obwohl die Treue
als höchstes Ideal gestellt wird, gehören die Protagonisten oft zu denen, die das
Treuegesetz mehrfach brechen. Schließlich stehen nur zwei stärksten Figuren sich
gegenüber - Hagen und Kriemhild. Hagen von Tronje als kein rechter Held mit seiner
Überheblichkeit, Unmoral, Gold- und Machtgier und Kriemhild, deren Rachesucht
maßlos ist. Die Folge ist das bittere Ende - der Untergang der Nibelungen.

Zum Ziel meiner Diplomarbeit habe ich die Analyse der Protagonisten gesetzt,
sowie auch die Interpretation ihrer Motive, von denen ihr Handeln beeinflusst wurde.
Durch die gezielten Fragen folgte ich das vorgenommene Ziel, das ich, meiner Ansicht
nach, zum größten Teil erreicht habe.

135
RESÜMEE

Die Diplomarbeit „Germanisches Heldenepos. Das Nibelungenlied - Analyse der


Hauptfiguren in den Schlüsselmomenten der Handlung.“ fokussiert das berühmteste
germanische Epos aus verschiedenen Perspektiven - als mittelalterliches Werk und
Heldenepos mit ritterlichen und märchenhaften Elementen, wo Liebe, Politik, Hass,
Verrat und Rache das menschliche Leben durchaus verändern.

Aus dem Spektrum der mittelalterlichen Werke habe ich zum Zwecke meiner
Diplomarbeit das Nibelungenlied aufgrund meiner Vorliebe in der Geschichte und
Literatur gewählt.

Das Nibelungenlied halte ich für ein meisterhaftes Werk, eine Erzählung mit
Kombination von Elementen der Wirklichkeit und Mythos, die auch gewisse Indizien
der Verbundenheit mit der wahren Geschichte, die sich über Jahrzehnten erstreckt,
aufweist. Die spezifischen Erscheinungsformen in dem Epos, sowohl das Barbarische
und das Höfische, als auch das Sozialverhalten und christliche Sitten weisen auf die
Entwicklung einer Kultur. Dem Epiker ist es gelungen, die Rezipienten des Liedes in
die Handlung hereinzuziehen und durch wechselhafte spannende Momente ihre Neugier
wecken, sowie auch zum Nachdenken anzuregen.

Meine Absicht war, nicht nur ein der Rezipienten zu bleiben, sondern sich
bemühen, die in dem Werk auftretenden Figuren zu verstehen, Zusammenhänge
herauszufinden und Antworten suchen. Das Ziel meiner Diplomarbeit habe ich, meiner
Ansicht nach, zum größten Teil erreicht.

Zum Schluss gestatte ich mir eine Bemerkung, und zwar, dass das Nibelungenlied
immer noch viele Interpretationsmöglichkeiten gewährt und bestimmt im Fokus des
Interesses von künftigen Generationen stehen wird. Außerdem bleibt das Thema der
Liebe, Treue und Verrat nach wie vor aktuell.

Das Nibelungenlied finde ich in jeder Hinsicht faszinierend. Die Arbeit brachte
mir viel Vergnügen und erweiterte Horizonte sowohl in der literarischen Welt, als auch
in der Geschichte.

136
RÉSUMÉ

The diploma thesis on „Germanic heroic epic The Song of the Nibelungs -
Analysis of the main characters in the key moments of the story.“ focuses on the best-
known Germanic epic of the Middle Ages and its conception viewed from different
perspectives. It is a classic heroic epic of the medieval literary epoch furnished with
knightly and fairytale elements, in which love, politics, hatred, betrayal and revenge
entirely change the lives of the characters.

I have chosen The Song of the Nibelungs for the purpose of my thesis out of the
spectrum of the medieval literary works pursuant to my fondness of history and
literature.

I consider The Song of the Nibelungs a masterpiece. It is a narration combining


reality and myth which contains some indicia suggesting the links with real historical
events throughout the centuries. The specific forms such as barbarian elements or
courtly manners, as well as the social behaviour and Christian traditions which appear
in the epic show the great level of development of the contemporary culture.

The narrator managed to draw the listener into the plot and raise curiosity through
a line of gripping and thought-provoking moments.

My intention was to be more than just a listener (reader) but try to immerse into
the characters and the context of the story and seek deeper understading. I believe I have
reached for the most part the tobjective of my thesis.

In conclusion I would like to acknowledge the complexity of the story of The


Song of the Nibelungs and its many possible interpretations which will certainly secure
its position in the focus of attention of the future generations. Besides, the theme of
love, faithfulness and betrayal will always be actual and topical.

I am finding The Song of the Nibelungs a fascinating work in all aspects. The
process of writing about the epic has supplied many enjoyable moments and has
enlarged my horizons in both areas of interest - literature and history.

137
RESUMÉ

Diplomová práce „Germánský hrdinský epos. Píseň o Nibelunzích - analýza


hlavních postav v klíčových momentech děje.“ se zaměřuje na nejznámější germánský
epos středověké epochy - Píseň Nibelungů a jeho pojetí z různých perspektiv - jako dílo
středověké literární epochy hrdinský epos s rytířskými a pohádkovými prvky, kde láska,
politika, nenávist, zrada a pomsta naprosto změní lidské životy.

Ze spektra středověké literární tvorby jsem si pro účely své práce vybrala Píseň
Nibelungů na základě mé záliby v historii a literatuře.

Píseň Nibelungů považuji za mistrovské dílo, vyprávění s kombinací skutečnosti a


mýtu, které vykazuje také indicie naznačující spojení se skutečnou historií, která se
prolíná stoletími. Specifické formy, jako jsou prvky barbarství a dvorských mravů,
jakož i sociální chování a křesťanské zvyky, které se v eposu objevují, ukazují na rozvoj
kultury.

Vypravěči se podařilo vtáhnout posluchače do děje a prostřednictvím napínavých


okamžiků v nich vzbudit zvědavost, jakož je i podnítit k přemýšlení.

Mým záměrem bylo nezůstat pouze posluchačem (čtenářem), nýbrž vynasnažit se


porozumět postavám, které v písni vystupují a nalézat souvislosti a hledat odpovědi. Dle
mého názoru jsem cíl své diplomové práce z větší části dosáhla.

Na závěr si dovolím ještě poznámku, a sice že Píseň Nibelungů poskytuje stále


ještě mnoho možností interpretace a jistě bude v centru pozornosti budoucích generací.
Kromě toho zůstává téma lásky, věrnosti a zrady stále aktuální.

Píseň Nibelungů shledávám po všech stránkách fascinujícím dílem. Práce s tímto


dílem mi přinesla mnoho potěšení a rozšířila obzory jak po stránce literární, tak i v
oblasti historie.

138
LITERATURVERZEICHNIS

Primärliteratur

Badenhausen, Rolf (2005): Die Nibelungen. Dichtung und Wahrheit. Verlagshaus


Monsenstein und Vannerdat OHG

Ehrismann, Otfrid (2007): Vom Hildebrandslied zum Eulenspiegel. Eine


Einführung in die Frühgeschichte der deutschen Literatur. Schneider Verlag
Hohengehrer GmbH

Genzmer, Felix (1999): Das Nibelungenlied., Philipp Reclam jun., Stuttgart

Göhler, Peter (1989): Das Nibelungenlied. Erzählweise, Figuren,


Weltanschauung, literaturgeschichtliches Umfeld. Berlin: Akademie-Verlag, 1989
Müller, Gernot (1968): Symbolisches im Nibelungenlied. Ruprecht-Karl-
Universität, Heidelberg.

Sekundärliteratur

Bahr, Ehrhard/ Bäuml, Franz H./ Gaede, Friedrich/ Hillen, Gerd (2005): Dějiny
německé literatury. Kontinuita a změna. Od středověku po současnost. Svazek 1:
Od středověku po baroko, Nakladatelství Karolinum: Univerzita Karlova v Praze,
Praha.

Beck, Heinrich (1965): Das Ebersignum im Germanischen. Ein Beitrag zur


germanischen Tiersymbolik. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und
Kulturgeschichte der germanischen Völker; N. F. 16), Berlin

139
Bednaříková, Jarmila (2007): Stěhování národů. Nakladatelství Vyšehrad, Praha

Beutin, Wolfgang, u. a. (2008): Deutsche Literaturgeschichte. Von der Anfängen


bis zur Gegenwart. Siebte erweiterte Auflage. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart –
Weimar

Böhmer, Maria (1968): Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Kreuzzugslyrik,


Bulzoni, Rom.

Brackert, Helmut. Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutscher Text und


Übertragung. I. Teil. 3. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag,
2011.

Brackert, Helmut. Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutscher Text und


Übertragung. II. Teil. 3. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch
Verlag, 2011.

Duby, Georges (2001): Rytíř, žena a kněz. Manželství ve Francii v době


feudalismu. Nakladatelství Garamond.

Ennenová, Edith (2001): Ženy ve středověku. Nakladatelství Argo, Praha

Herbert, A. und Frenzel, Elisabeth (1953): Von den Anfängen bis zum Jungen

München.

Hoops, Johannes (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band


2. K. J. Trübner, Straßburg, 1913.

140
Kirchner, Friedrich, Lic. Dr. (1890): Wörterbuch der Philosophischen
Grundbegriffe. Zweite durchgesehene und vermehrte Auflage.
Vierundzwanstigster Band. Georg Weiss Verlag. Heidelberg

Kovaříková, Alena, PhDr. (1993): Úvod do studia německé literatury.


Západočeská univerzita. Pedagogická fakulta, Katedra německého jazyka. Plzeň.

Kunkel-Razum, Kathrin, Dr./ Scholze-Stubenrecht, Werner, Dr. / Wermke,


Matthias, Dr. (2007): DUDEN - Deutsches Universalwörterbuch. Herausgegeben
vom Wissenschaftlichen rat der Dudenredaktion. 6. Auflage. Dudenverlag.
Mannheim. Deutschland.

Otto, J. (1901): Ottův slovník naučný. Sedmnáctý díl. Praha


Reiser, Irmgard (1963): Falkenmotive in der deutschen Lyrik und verwandten
Gattungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Augsburg.

Volný Zdeněk (2003): Toulky minulostí světa. Pátý díl. Via Facti. Praha

Werner, Hans-Georg / Freudel, Werner / Friedrich, Wolfgang / Hartung, Günter /


Sommer, Dietrich / Steinberg, Willi (1965): Deutsche Literatur im Überblick.
Reclams Universal-Bibliothek, Band 94. 1. Auflage. Verlag Philipp Reclam jun.
Leipzig

Wehrli, Max (1997): Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den
Anfängen bis zum Ende des 16.Jahrhunderts. 3.,bibliographisch erneuerte
Auflage. Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, Germany

Zamarovský, Vojtech (1980): Bohovia a hrdinovia antických bájí. Mladé letá.


Bratislava.

141
ELEKTRONISCHER QUELLENNACHWEIS

http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/nib/uebersicht.html
Letzte Abfrage am 9.9.2011

Bauch, Mario (2006): „Wer waren die Nibelungen wirklich?“ Vortrag.


Zugänglich online unter http://www.nibelungen-forum.de/seite_1.htm
Letzte Abfrage am 18.12.2011

http://www.nibelungen-forum.de/seite_1.htm,
Letzte Abfrage am 18.12.2011

http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/nibelungen/nibelungen-faksimile.html
Letzte Abfrage am 4.7.2012

http://www.literaturwelt.com/epochen/hochmittelalter.html
Letzte Abfrage am 4.7.2012

http://leccos.com/index.php/clanky/chretien-de-troyes
Letzte Abfrage am 4.7.2012

http://www.lightways.de/resources/Die+Zw$C3$B6lf+als+Lebenssymbol.pdf
Letzte Abfrage am 4.7.2012

http://www.uni-goettingen.de/de/41770.html
Letzte Abfrage am 14.7.2012

http://www.uni-muenster.de/MhdMetrikOnline/sites/glossar/glossar_a.php
Letzte Abfrage am 20.7.2013

142
http://koeblergerhard.de/zwerga-f.htm
Letzte Abfrage am 30.7.2012

http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_7871.html
Letzte Abfrage am 20.8.2012

http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/nibelungen/ni-flv-1r.html
Letzte Abfrage am 9.9.2012

http://www.symbolonline.de/index.php?title=Zwei
Letzte Abfrage am 13.9.2012

http://www.worms.de/downloads/Chronik.pdf
Letzte Abfrage am 13.12.2012

http://www.worms.de/deutsch/kultur/museen/nibelungenmuseum.php
Letzte Abfrage am 13.12.2012

http://www.worms.de/deutsch/kultur/museen/nibelungenmuseum.php?navid=86
Letzte Abfrage am 13.12.2013

http://www.vorname.com/name,Friedel.html
Letzte Abfrage am 1.2.2013

http://www.heidenhemd.de/tag/sonnenwende/
Letzte Abfrage am 15.1.2013

http://archive.org/stream/ottvslovnknauni40ottogoog#page/n911/mode/2up
Letzte Abfrage am 15.1.2013

143

Das könnte Ihnen auch gefallen