Management Basics FOM
Management Basics FOM
Management
Basics
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre –
dargestellt im Unternehmenslebenszyklus
FOM-Edition
Management Basics
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre –
dargestellt im Unternehmenslebenszyklus
Hrsg.
Clemens Jäger Thomas Heupel
FOM Hochschule für Oekonomie & FOM Hochschule für Oekonomie &
Management Management
Essen, Deutschland Essen, Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Geleitwort der Hochschulleitung
Seit der Gründung der FOM Hochschule für Oekonomie & Management im Jahr 1991
steht der Transfer von Theorie und Praxis im Vordergrund der akademischen Ausbildung.
Die Studiengänge der FOM überwinden die Trennung von beruflichen und akademi-
schen Ausbildungsangeboten. Durch eine praxisorientierte Lehre können die Studieren-
den arbeitsmarktkonform ausgebildet werden und erhalten Unterstützung beim Transfer
der erlernten akademischen Inhalte in die Berufspraxis. Die Studierenden schätzen
dabei den intensiven Austausch mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, die
unmittelbare Betreuung durch ihre Lehrenden sowie die stets praxisorientierte Lehr- und
Lernumgebung einer modernen und attraktiven Präsenzlehre, welche es erlaubt, den situ-
ativen und persönlichen Bedürfnissen der berufstätigen Studierenden gerecht zu werden.
Diese sogenannte FOM-Transferdidaktik ist inzwischen zu einem konstitutiven Konzept-
merkmal unserer Studiengänge geworden.
Viele Jahre erfolgreicher Lehre an der FOM Hochschule haben dabei gezeigt: Die
Herstellung von Synergien zwischen Beruf und Studium im Rahmen einer kompetenz-
orientierten Lehre ist aus Sicht des Arbeitsmarktes und auch aus motivationaler und lern-
psychologischer Perspektive ein klarer Vorteil. In Zeiten lebenslangen Lernens ist es
ein essenzieller Erfolgsfaktor, Wissen aus einem Kontext lösen, es mit Wissen aus einer
anderen Lernumgebung – z. B. dem Arbeitsplatz – zu vernetzen und es auf weitere, neue
Kontexte anwenden zu können.
Ende 2011 wurde – als wesentliche Ergänzung der bis dato bestehenden FOM-
Publikationsreihen – mit der FOM-Edition eine wissenschaftliche Schriftenreihe der
Hochschule im Springer Gabler Verlag begründet. Die Besonderheit der Titel in den
Rubriken Lehrbuch und Fallstudienbuch liegt darin, dass den Studierenden die Lehr-
inhalte von Modulen in der zuvor gekennzeichneten und speziell für das berufs-
begleitende Studium aufbereiteten Form/Didaktik angeboten werden. Die FOM ergreift
mit der Herausgabe eigener Studienbücher die Initiative, der Zielgruppe der ausbildungs-
oder berufsbegleitend Studierenden bislang nicht erhältliche, passgenaue Lehrmittel zur
Verfügung zu stellen. Die Bände der FOM-Edition haben sich schnell etablieren kön-
nen und werden auch von anderen Hochschulen genutzt. Wegen der guten Resonanz
der Lehr- und Fachbücher wurde die FOM-Edition um weitere Formate ergänzt. So
V
VI Geleitwort der Hochschulleitung
VII
VIII Vorwort
(Grundlagen Steuern), Gernot Keller und Prof. Dr. Thomas Kümpel (Aufbau der Kosten-
und Leistungsrechnung), Prof. Dr. Thomas Heupel und David Schrey (Wachstums-
finanzierung), Prof. Dr. Christian Hose (Risikomanagement), Prof. Dr. Volker Lombeck
(Liquiditäts- und Risikomanagement), Prof. Dr. Sebastian Krause (Insolvenzrecht),
sowie Prof. Dr. Frank Winnenbrock (Turnaround-Management) und Prof. Dr. Norbert
Lamar (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung). Nicht zu vergessen sind auch alle in
der Koordinierung dieses Werks sehr engagierten Personen. Besonders zu nennen ist
hier Prof. Dr. Alexander Florenz, der über eine Entstehungszeit von nunmehr fast vier
Jahren unermüdlich die Koordination mit übernommen hat. Sämtliche Grafiken wurden
FOM-intern durch Nico Dunczyk und Ann-Kristin Hensen überarbeitet, sodass sie „aus
einem Guss“ sind. Das Buch wurde bewusst als „Skriptum“ angelegt, damit die Stu-
dierenden es auch als eine umfassende Mitschrift zu ihrem Einstiegsfach Management
Basics begreifen. Herr Kai Enno Stumpp hat aufseiten des FOM Publikationswesens die
Fäden in der Hand gehalten und Frau Angela Meffert hat aufseiten des Springer Gabler
Verlags in Wiesbaden großartig das Lektorat koordiniert. Ihnen allen gilt unser herzlicher
Dank!
Wir wünschen Ihnen, liebe Studierende, viel Freude bei der Lektüre und Erfolg
bei der Anwendung. Freuen Sie sich auf einen spannenden Einstieg in Ihr Studium
und die grundlegende Auseinandersetzung mit den Themenfeldern Management und
Unternehmertum.
Teil I Grundlagen
1 Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . 3
Saša Petković und Thomas Heupel
2 Produkt-/Unternehmenslebenszyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Thomas Heupel
IX
X Inhaltsverzeichnis
Prof. Dr. Dr. habil. Clemens Jäger ist Professor und Dekan
an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in
Essen. Ferner doziert er langjährig an Hochschulen und Uni-
versitäten in Australien, Bosnien, den Niederlanden, Spanien
und Ungarn. In seinen Funktionen verantwortet er diverse
nationale und internationale Kooperationen zwischen Unter-
nehmen und Hochschulen. Speziell die Pflege und kontinuier-
liche Weiterentwicklung dieser Kooperationen ist eines seiner
primären Betätigungsfelder.
Im Rahmen seiner forschenden Tätigkeit beschäftigt sich
der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker
unter anderem mit Frühwarnindikatoren im Rahmen der
Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen.
XI
Teil I
Grundlagen
2 Teil I Grundlagen
Im ersten Teil von „Management Basics“ wollen wir Sie für Unternehmertum ganz all-
gemein begeistern. Um selbst (auch wenn dies hier nur gedanklich ist) leitend als Unter-
nehmer tätig zu werden, müssen Sie vom Unternehmergeist angesteckt und inspiriert
sein. Dies ist der „Entrepreneur“, der sich auf Grundlage seiner Idee selbstständig macht.
Ihm wollen wir folgen und seine Geschäftsidee „reif machen“. Im Rahmen von Kap. 1
sollen Sie als Studierende des Themenfeldes Ökonomie & Management ganz allgemein
an „unternehmerische Fragestellungen“ sowie „Entrepreneurship und Unternehmergeist“
mit all seiner Aufbruchsstimmung herangeführt werden.
Lassen Sie sich aktiv auf die Idee der Unternehmensgründung ein, so können
wir uns auf eine Reise der Unternehmensentwicklung machen. Dazu werden wir
Ihnen im Kap. 2 mit dem „Produkt- und Unternehmenslebenszyklus“ die Phasen der
Unternehmensentwicklung aufzeigen und Ihnen zugleich auch die Grundkonzeption des
Buches vorstellen. Im Rahmen des zweiten Kapitels werden Ihnen daher die Struktur
und der Aufbau des Buches noch einmal dezidiert beschrieben. Die Herausgeber lassen
Sie dann aber mit dem Lesestoff nicht allein. Wir melden uns zwischen den Teilen noch
mal zu Wort, um Ihnen auch weiter Geleit durch das Buch zu geben. Wir hoffen sehr,
dass Sie sich mit unseren Hinweisen und Orientierungshilfen einen guten Weg durch das
breite Themenspektrum bahnen können.
Alle Kapitel des Buches können auch direkt einzeln angesteuert werden, aus Sicht
der Herausgeber lohnt sich aber zuvor der strukturierte Einstieg. Sobald Sie einen
Gesamtüberblick gewonnen haben, sind natürlich auch Studium und Nachbereitung
ausgewählter Themenfelder sinnvoll. Literaturhinweise am Ende eines jeden Kapitels
machen Sie mit der vertiefend zu bearbeitenden Literatur vertraut.
Management Basics: Unternehmerische
Fragestellungen 1
Saša Petković und Thomas Heupel
S. Petković
University of Banja Luka, Banja Luka, Bosnia and Herzegovina
E-Mail: [email protected]
T. Heupel (*)
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 3
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_1
4 S. Petković und T. Heupel
Inhaltsverzeichnis
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Warum muss es Kapitäne und Steuerleute geben, die andere darin anleiten, ein
gemeinsames Ziel zu erreichen? So könnte man wohl die Fragestellung rund um Unter-
nehmertum und Gründung verdeutlichen. Es muss beide Gruppen geben: Die einen, die
risikobereit sind, Verantwortung übernehmen, Aufbruchsstimmung verbreiten und neue
Ideen schöpfen und auf der anderen Seite all jene, die ihre Arbeitskraft gerne in ein Unter-
nehmen einbringen, um Produkte oder Dienstleistungen zu erstellen. Es braucht beide!
Aber mit Management Basics und der Entwicklung eines Geschäftsmodells adressie-
ren wir zunächst die Gründer. All jene, die leistungsbereit und weniger risikoscheu sind.
Diese Personen wollen mit Innovationen in Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen
neue Wege gehen. Dies nicht zuletzt auch, um hiermit Geld zu verdienen und Gewinne
zu realisieren. Formalziel des Unternehmens ist schließlich die Gewinnerzielung und
-maximierung. Sie kennen eine ganze Menge an erfolgreichen, inspirierenden Menschen.
Denken Sie z. B. an Richard Branson (Gründer von Virgin Atlantic), Bill Gates (Gründer
von Microsoft), Marc Zuckerberg (Gründer von Facebook) oder auch Ingvar Kamprad
(Gründer von Ikea).
Sie alle haben eine Geschäftsidee auf ihre Möglichkeit zur Umsetzung geprüft,
anschließend ein Geschäftsmodell dazu konzipiert und dieses erfolgreich weiter-
entwickelt. Ziel ist es dabei oftmals, eine noch neues Themen- und Anwendungsfeld, in
dem neueste Erkenntnisse der Wissenschaft in die betriebliche Anwendung und Nutzung
überführt werden, zu erschließen. Und dies muss ein Gründer (Entrepreneur) erkennen
und gestalten.
Bevor wir uns ganz konkret der Gründung widmen, wenden wir uns noch dem Wesen
des Entrepreneurs und Entrepreneurships zu.
Der heutzutage gebräuchliche Begriff Entrepreneur impliziert grundsätzlich (Unter-
nehmer-)Geist, Fleiß und Ideen (vgl. Siropolis 1995). Im selben Maße wie die unter-
nehmerischen Tätigkeiten komplexer geworden sind, hat sich das Konzept des
Entrepreneurs über die Zeit weiterentwickelt. Zu Beginn der Industriellen Revolu-
tion galten Entrepreneure als eine Art Zwischenhändler, in den seltensten Fällen als
„Produzenten“ (vgl. Fayolle 2007). Der Begriff Entrepreneur wird gemeinhin für jede
Person verwendet, die ein bestimmtes Unternehmen leitet, unabhängig davon, wer des-
sen Eigentümer ist. In der Vergangenheit hatte der Begriff Entrepreneur eine engere
Bedeutung und bezeichnete in der Regel nur solche Personen, die ihr eigenes Unter-
nehmen gegründet hatten. Das bedeutet, dass der Entrepreneur eine Person ist, die das
Risiko von Geschäftsvorhaben steuert und übernimmt.
Der Begriff „Entrepreneur“ stammt vom Französischen „entreprendre“, was so
viel bedeutet wie „unternehmen, beginnen, einleiten“. In der einschlägigen Literatur
existieren verschiedene Definitionen: „According to Casson (1987) it is assumed that
the term entrepreneur was introduced into economy by Richard Cantillon in 1755“
1 Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen 5
(Bremer 2009, S. 12). An anderer Stelle heißt es: „An entrepreneur, by definition, shifts
resources from the sector of low productivity and income, into the sector of high producti-
vity and income“ (Drucker 1991, S. 4). Jedenfalls würden die meisten heute bestehenden
Unternehmen ohne Entrepreneure – also Menschen, die dazu neigen Risiken zu über-
nehmen und unternehmerische Tätigkeiten eigenhändig zu starten – nicht existieren.
Bereits im 19. Jahrhundert definierte Jean-Baptiste Say den Entrepreneur als eine Per-
son, die ökonomische Ressourcen aus einem Bereich niedriger Produktivität in einen
Bereich hoher Produktivität und höheren Ertrags verschiebt (vgl. Say 1855). Joseph
Schumpeter schrieb, dass die Funktion von Entrepreneuren die Reformation oder Revo-
lution von Produktionsweisen ist (vgl. Schumpeter 1934). Sie erreichen dies durch die
Ausschöpfung einer Erfindung (oder genereller gesprochen) eine bisher nicht genutzte
technologische Möglichkeit, neue Ware zu produzieren bzw. eine alte Ware auf eine neue
Art und Weise zu reproduzieren. Mithilfe einer Errichtung neuer Produktabsatzmög-
lichkeiten und die Reorganisation einer Industrie, generiert der Entrepreneur Wert durch
Innovation. Frank Hyneman Knight, einer der Gründer der sogenannten Chicagoer Schule
in der Wirtschaft (vgl. Knight 1921), versucht anhand der Lehre französischer Ökonomen
den Entrepreneur als eine Person zu definieren, die freiwillig Risiken übernimmt und Pro-
fit macht: als eine Belohnung für das Risiko (Fälle mit vorhersehbarer Wahrscheinlich-
keit und möglicher Versicherung) und als eine Belohnung für die Unsicherheit (Fälle mit
unvorhersehbarer Wahrscheinlichkeit und unmöglicher Versicherung).
Stam (2008) erklärt, dass in der gängigen Literatur zum Entrepreneurship die Rol-
len des Entrepreneurs in den ökonomischen Veränderungen mannigfaltig sind, sodass der
Entrepreneur folgendermaßen beschrieben werden kann:
• Eine Person, die immer mit Unsicherheit behaftet ist (vgl. Knight 1921);
• Innovator (vgl. Schumpeter 1934);
• der Branchenführer (vgl. Schumpeter 1934);
• Verteiler von Ressourcen auf unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten (vgl. Schultz
1975);
• Vermittler: eine Person, die die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten lenkt (vgl.
Kirzner 1973, 1997);
• Organisator und Koordinator von ökonomischen Ressourcen (vgl. Marshall 1890);
• Entscheidungsträger (vgl. Casson 2003).
Nach Shepherd und Wiklund (2005) glaubt Stevenson, dass die Verfolgung von Möglich-
keiten den wichtigsten Bestandteil von Entrepreneurship ausmacht. Obwohl sich die
Definition des Entrepreneurs über die Zeit veränderte, bleibt eine Konstante in allen
Definitionen bestehen: Das Verständnis eines Entrepreneurs und einer Person, die Risi-
ken trägt, sind sehr eng miteinander verbunden.
Der Begriff Entrepreneurship wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts „geformt“ und
beschreibt eine Aktivität, die von Entrepreneuren ausgeführt wird (vgl. Drucker 1991).
Innovation beinhaltet nicht ausschließlich neue technische und technologische Lösungen,
6 S. Petković und T. Heupel
sondern ebenso neue Wege, existierende Ressourcen zu verwenden. Damit wird diesen
Ressourcen ein „ökonomischer“ Wert zuteil, welcher darüber hinaus von den Abnehmern
dieser Produkte und Dienstleistungen wahrgenommen und akzeptiert wird. Entrepreneur-
ship lässt sich weiterhin in großen Unternehmen (Corporate Entrepreneurship oder Intra-
preneurship), Banken, Krankenhäuser, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen
in der Form des sogenannten Intrapreneurships wiederfinden.
Die kleine, unternehmerische Gesellschaft ist diejenige, welche (zusätzlich zur
Erfüllung von identifizierten Bedürfnissen bzw. Möglichkeiten und der Erstellung neuer
Werte) drastische Veränderungen in ihrem eigenen Wachstum und ihrer Entwicklung
erfährt. Gewöhnlich schlägt sich dies in exponentiellen Wachstums- und Entwicklungs-
raten nieder, die an der Zunahme von Investitionen, Arbeitsplatzschaffung und Profit-
wachstum gemessen werden. Viele Studien haben gezeigt, dass die Industrieländer,
welche Entrepreneurship und die Entwicklung des KMU-Sektors gefördert haben, ein
größeres wirtschaftliches Wachstum verzeichnen konnten (vgl. Schmitz 1989; Acs 1992;
Audretsch und Thurik 2000).
Schumpeter hinterließ durch seine Definition der Begriffe Entrepreneur und Entre-
preneurship (1934) deutliche Spuren. Er schrieb sehr umfangreich über die Beziehung
zwischen dem Entrepreneur und Innovationen, ebenso wie über die Rolle des Entre-
preneurs beim Erkennen von Chancen.
Entrepreneurship ist der Grundstein sozialen Fortschritts und Wohlbefindens jedes
Einzelnen. Als ein entscheidendes Kriterium für Kreativität repräsentiert Entrepreneur
ship, zusätzlich zu Land, Arbeit, Kapital und Technologie, die Kunst eben diese zu kom
binieren, um schließlich neue Produkte, Dienstleistungen und weitere ökonomische und
soziale Tätigkeiten herzustellen. Es lässt sich daher sagen, dass zusätzlich zu natürlichen
Faktoren, Arbeit, Kapital und Technologie, Entrepreneurship der wichtigste Erfolgs-
faktor im Unternehmen ist. Entrepreneurship kann daher als eine Reihe von mensch-
lichen Aktivitäten definiert werden, in deren Durchführung Ressourcen kombiniert
werden, um ein spezielles Geschäftsergebnis zu erzeugen.
Ein Zusammenhang von Entrepreneurship und sozialem Fortschritt, also wirtschaft-
liches Wachstum, wurde in einigen Studien abgebildet (vgl. Van Stel et al. 2005; Acs
1992; Audretsch und Thurik 2000; Wennekers und Thurik 1999). Entrepreneure unter-
scheiden sich von „üblichen“ Geschäftsinhabern bzw. Managern durch ihr visionäres
Denken. Immer ein Auge auf die Zukunft gerichtet, betrachten sie Innovationen syste-
misch als Instrument des Wandels und verändern zudem in vielen Fällen ihre bisherigen
Verhaltensmuster. Innovationskraft und die Bereitschaft Neuerungen (oder neue Wege
existierende Ressourcen zu kombinieren) zu akzeptieren, platzieren Entrepreneure unter
den sogenannten Vorreitern von Veränderungen.
Neben der Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum, welche durch die Nutzung des
Entrepreneurships verursacht wird, zeigen Risikogeschäfte, die von Entrepreneuren ein-
gegangen werden, häufig einen Vektor starker struktureller, politischer, technologischer
sowie sozialer Veränderungen an. „These profound changes generate uncertainty and insta-
bility, which in turn creates the opportunity of creation of new economic activities“ (Fayolle
2007, S. 19). Ausgehend von der Logik permanenter, struktureller Veränderungen wird das
1 Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen 7
Konzept Entrepreneurship zu einer Philosophie, die nicht nur für die neuen, gewöhnlich
kleinen Unternehmen, aber auch für große Unternehmen, Regierungseinrichtungen, Uni-
versitäten und Organisationen aller drei Sektoren gilt. Drucker (1991) war einer der ers-
ten Autoren, der diesen Trend verzeichnete und argumentierte, dass heutige Unternehmen,
insbesondere große Unternehmen, den Trend zu schnellem Wandel und Innovation schlicht
nicht überstehen werden, wenn sie selber nicht Entrepreneurkompetenz erwerben.
Literatur
Acs, Z. (1992). Small business economics: A global perspective. Challenge, 35(6), 38–44.
Audretsch, D., & Thurik, A. (2000). Capitalism and democracy in the 21st century: From the
managed to the entrepreneurial economy. Journal of Evolutionary Economics, 10(1), 17–34.
Baumol, W. (1993). Entrepreneurship, management and the structure of payoffs. Cambridge: MIT
Press.
Bremer, I. (2009). Common factors between Swedish and Chinese enterpreunerial leadership
styles. Business Intelligence Journal, 2(1), 9–41.
Casson, M. (2003). The entrepreneur. An economic theory (2. Aufl.). Cheltenham: Elgar.
Drucker, P. F. (1991). Innovation and entrepreneurship: Practice and principles (2. Aufl.).
Belgrade: Grmeč.
Fayolle, A. (2007). Entrepreneurship and new value creation. The dynamic of the entrepreneurial
process. Cambridge: Cambridge University Press.
Kirzner, I. M. (1973). Competition and entrepreneurship. Chicago: The University of Chicago
Press.
8 S. Petković und T. Heupel
Kirzner, I. M. (1997). Entrepreneurial discovery and the competitive market process: An austrian
approach. Journal of Economic Literature, 35(1), 60–85.
Knight, F. H. (1921). Risk, uncertainty and profit. Boston: Hart Schaffer & Mark.
Marshall, A. (1890). Principles of economics. London: The MacMillan Press.
Say, J. B. (1885). A treatise on political economy. Philadelphia: Lippincott.
Schmitz, J. A. (1989). Imitation, entrepreneurship, and long-run growth. Journal of Political
Economy, 97, 721–739.
Schultz, T. (1975). The value of the ability to deal with disequilibria. Journal of Economic Literature,
13(3), 827–846.
Schumpeter, J. (1934). The theory of economic development. Cambridge: Harvard University
Press.
Shepherd, D. A., & Wiklund, J. (2005). Entrepreneurial small businesses. A resource-based
perspective. Cheltenham: Elgar.
Siropolis, N. C. (1995). Small business management (4. Aufl.). Zagreb: Mate.
Stam, E. (2008): Entrepreneurship and Innovation Policy. In: Jena Economic Research
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Van Stel, A. J., Carree, M. A., & Thurik, A. R. (2005). The effect of entrepreneurial activity on
national economic growth. Small Business Economics, 24, 311–321.
Wennekers, A. R. M., & Thurik, A. R. (1999). Linking entrepreneurship and economic growth.
Small Business Economics, 13(1), 27–55.
Prof. Dr. Saša Petković ist assoziierter Professor an der Fakultät für
Wirtschaftswissenschaften der Universität Banja Luka (Bosnien und
Herzegowina). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den
Bereichen Entrepreneurship, Ökonomie und Management von KMU,
theoretische Ökonomie und Entrepreneurship im wissenschaftlichen
Bereich. Er hat 28 Beiträge in wissenschaftlichen Fachzeitschriften
und zu wissenschaftlichen Konferenzen sowie acht Monographien
(vier davon im Springer-Verlag) veröffentlicht. Forschungsaufent-
halte führten ihn u. a. in die USA und nach Großbritannien, China,
Brasilien, Spanien, Deutschland, Österreich, Holland, Bulgarien,
Slowenien, Serbien, Ungarn sowie Kroatien. Neben seiner Arbeit an
der Fakultät ist er seit 1999 als Projektmanager für die Ent-
wicklungsorganisation CARE International Balkans tätig.
T. Heupel (*)
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 9
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_2
10 T. Heupel
Inhaltsverzeichnis
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1Dieses Kapitel basiert auf einem Beitrag des Autors zum Thema „Zyklen in der Ökonomie –
folgen Konjunktur und Produktentwicklung zyklischen Gesetzmäßigkeiten?“ (vgl. Hoch und
Heupel 2010).
12 T. Heupel
„Digitale Transformation“ in aller Munde. Von diesen und dem „Internet of Things“ und
den sich bietenden Möglichkeiten wird wohl ein weiterer Kondratjew ausgehen.
Auch bei den auf einer Technologie basierenden Produkten lassen sich ähnliche
Trendentwicklungen sozusagen auf Mikroebene beobachten.
Dieser unterhalb einer Technologieentwicklung liegende Produktlebenszyklus mit
seinen vier Phasen soll nachfolgend verdeutlicht werden. Die hier zugrunde liegen-
den Theorien basieren auf den Arbeiten von Vernon (1966). Bei der Produktlebens-
zyklus-Analyse wird der komplette Zeitraum, in dem ein Produkt Auswirkungen auf ein
Unternehmen hat, betrachtet.
Die Entwicklung eines Produktes – von der Wiege bis zur Bahre – kann in vier
Schritte differenziert werden: Nach der Entwicklung des Produktes folgt zunächst die
Einführung (1), dann das Wachstum (2), die Reife/Sättigung (3) und schließlich die
Degeneration (4).
Je nachdem, in welcher Phase sich das Produkt dabei befindet, werden (Norm-)Stra-
tegien entwickelt (z. B. beim bekannten Vier-Felder-„Boston-Portfolio“ vgl. Müller-
Stevens und Lechner 2005, S. 255 f.). Der Verlauf der Kurve in Abb. 2.1 zeigt, dass der
Umsatz in der Einführungsphase relativ langsam ansteigt, in der Wachstumsphase und
der Reifephase jedoch erheblich zunimmt. Nach seinem Höhepunkt in der Sättigungs-
phase nimmt er in der Degenerationsphase wieder ab, bis das Produkt aus dem Markt
ausscheidet oder sich der Umsatz auf niedrigem Niveau einpendelt. In der Literatur
wird vor der Einführungsphase oft die vorgelagerte Entwicklungsphase des Produktes
14 T. Heupel
erwähnt, in welche Forschung und Entwicklung sowie Testläufe fallen, sodass schon
(teils erhebliche) Kosten anfallen, bevor es zu Erlösen kommt. Am Ende dieser Phase
wird das Produkt auf den Markt gebracht, wobei auch hier zunächst die Kosten die ersten
Umsätze übersteigen, da umfangreiche Verkaufspolitik betrieben wird. In der Wachstums-
phase wird dann meist der erste Gewinn erzielt. Diese Tatsache lockt die Konkurrenz auf
den Markt. In der Reifephase wird das höchste Absatzvolumen erreicht. Es kommt zum
Preisverfall, da immer mehr Wettbewerber gleichartige Produkte in den Markt bringen.
Die Sättigungsphase bildet den Wendepunkt des Produktlebenszyklus mit dem Umsatz-
maximum. Die Verkaufsmengen und Umsätze gehen zurück. In der Degenerations-
phase wird das Produkt aufgrund sinkender Umsätze bzw. negativer Deckungsbeiträge
(Brutto-Erfolge) aus dem Markt genommen (vgl. Pufahl 2006, S. 105).
Kommen wir nun aber zum Lebenszykluskonzept, dem das vorliegende Lehrbuch
Management Basics folgt. Auch bei einem Unternehmen können wir die vorbezeichneten
Phasen vorfinden:
der Märkte ein. Die Technologie wird durch eine neue abgelöst und das Produktions-
programm unseres Unternehmens hat kein Marktwachstum mehr und folglich gehen
Umsätze und Gewinne zurück. Durch verschiedene Modifikationen kann man nun
versuchen, mehr Kundschaft zu gewinnen. Beispiele dafür sind McDonald’s oder
Coca-Cola, die durch die stetige Modifikation und Erweiterung der Produkte das
Absatzniveau halten können. In aller Regel aber endet die Sättigungsphase, wenn
die Umsatzerlöse die Deckungsbeitragsgrenze wieder unterschreiten, wenn also
keine Erfolgsbeiträge mehr erzielt werden können. An diesen sehr negativen Moment
schließt dann unmittelbar die Degeneration an: Der Markt schrumpft und der Umsatz-
rückgang kann nicht selten auch durch gezielte Marketingmaßnahmen nicht mehr
abgefangen werden.
Eine Alternative zur Elimination des unprofitablen Geschäftsbereichs bietet sich allen-
falls durch den Relaunch (Rekonsolidierungsphase). Es kann erwogen werden, der
bestehenden Technologie durch eine Modifikation einen neuen Aufschwung zuzuführen.
Das würde das Unternehmen (oder den Geschäftsbereich) am Leben erhalten.
Die daraus abgeleitete Aufgabe des Marketings in unserem betrachteten Unternehmen
ist es daher, die eigenen Produkte im Lebenszyklus zu überwachen, Schwachstellen zu
entdecken und mit geeigneten Strategien gegenzusteuern. Des Weiteren muss ein aus-
gewogenes Produktprogramm hinsichtlich der Lebenszyklusphasen geschaffen werden,
sodass möglichst jedes strategische Segment besetzt ist (vgl. Vollmuth 2006, S. 75). Die
Produktentwicklung sollte rechtzeitig mit der Entwicklung neuer Produkte beginnen, die
als Ersatz für die ausscheidenden Produkte in den Markt gebracht werden. Ebenso sollten
auf dem Markt ausreichend Produkte in der Wachstums- oder Reifephase platziert sein,
um mit dem erwirtschafteten Cashflow Investitionen und Innovationen zu finanzieren.
Nachdem wir Ihnen die „Story-Line“ unseres Buches vorgestellt haben, haben Sie
hoffentlich Gefallen daran gefunden, nun ein Geschäftskonzept zu entwickeln. So wollen
wir mit dem „Business Plan einer neuen Geschäftsidee“ beginnen.
Viel Spaß und Erfolg!
Literatur
Eine erfolgreiche Gründung setzt eine bestechende Geschäftsidee voraus. In den fol-
genden Kap. 3 bis 8 werden Sie daher zunächst mit verschiedenen Kreativitätstechniken
vertraut gemacht. Diese können Sie (z. B. innerhalb einer Gruppe bzw. dem Gründungs-
team) einsetzen, um alternative Geschäftsideen zu entwickeln. Aus diesen kann dann
anschließend mithilfe eines Bewertungsverfahrens (z. B. Scoring-Verfahren) eine Selek-
tion der besten und konsensfähigen Geschäftsidee erfolgen. Mit dieser kann es dann wirk-
lich losgehen. Hierfür wird der Business Plan geschrieben und bei einem potenziellen
Kapitalgeber werden finanzielle Mittel eingeworben. Erst wenn diese Hürden genommen
wurden, kann die echte Gründungsphase starten.
Unmittelbar bei Markteintritt muss das Unternehmen dann durch Werbung und Pub-
lic Relations auf das neue Produkt aufmerksam machen. Wer als erster im Markt star-
tet, hat gute Chancen, „Vorzugsgewinne“ als „First Mover“ zu generieren. Es gibt
demgegenüber aber auch Beispiele im Wirtschaftsleben, wo die bessere Technologie
aufgrund einer nur stiefmütterlich geführten Werbekampagne bei Produktstart von der
technologisch unterlegenen Konkurrenz überholt wurde. So war beispielsweise bei den
Videorecordern das Videosystem 2000 technologisch ausgereifter als die VHS-Techno-
logie. Allerdings waren der machtvolle Markteintritt und geschickteres Agieren der
Anbieter der schwächeren Technologie marktbestimmend. In dieser ersten Phase treten
die Unternehmen mit hohem Aufwand (z. B. großem Werbebudget) in Vorlage, auch die
Umsätze steigen allmählich an. Aufgrund der aufgelaufenen Kosten für die Produktent-
wicklung und die Kommunikationspolitik werden aber noch keine Gewinne erzielt. Die
Gründungsphase ist beendet, wenn der Break-Even erreicht ist, die Erlöse also die Kos-
ten erstmals übersteigen.
Im Rahmen der folgenden Abschnitte lernen Sie die verschiedenen Aspekte eines
Business Plans kennen (Kap. 3), können verschiedene Formen der Finanzierung (Kap. 4)
differenzieren und werden dazu angeleitet, ein Marketingkonzept (Kap. 5) zu ent-
wickeln. Sind Sie erfolgreich mit Ihrem Produkt auf dem Markt angekommen, so treffen
dort Angebot und Nachfrage (Kap. 6) aufeinander und Sie müssen sich mit den Grund-
lagen HGB (Kap. 7) sowie den Grundlagen Steuern (Kap. 8) beschäftigen.
Geschäftsidee & Business Plan
3
Thomas Heupel
T. Heupel (*)
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 19
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_3
20 T. Heupel
Inhaltsverzeichnis
Nun geht es los! Wir benötigen eine Geschäftsidee, die wir im Rahmen dieses Kapi-
tels zu einem strukturierten Business Plan ausarbeiten wollen. Ein potenzieller Kapital-
geber möchte das „Business-Modell“ bzw. die „Geschäftsidee“ aussagekräftig dargestellt
bekommen. Wenn Sie dieses Kapitel bearbeitet haben, werden Sie die Struktur eines
Business Plans kennen. Sie werden dann wissen, welche Anforderungen an das grün-
dende Team gestellt werden und welche formalen Voraussetzungen Sie bei der Erstellung
des Business Plans beachten müssen. Wir wollen also den Grundstein legen für ein lan-
ges Geschäftsleben unserer Idee. Dies wird mit dem bereits erläuterten Lebenszyklus
deutlich. Hier stehen wir nun ganz am Anfang (Abb. 3.1)!
Nach Abschluss dieses Kapitels können Sie die folgenden Fragen beantworten
• Wie können Sie eine Geschäftsidee systematisch verfolgen und was kenn-
zeichnet erfolgreiche Geschäftsmodelle?
• Welches Vorhaben und welches Ziel verfolgt der Business Plan?
• In welche Unterpunkte lässt sich ein Business Plan fassen und warum sollten
Sie dieser Sachlogik im Aufbau folgen?
• An welchen Adressatenkreis richtet sich der Business Plan und welche
Anforderungen haben diese?
• Welcher Nutzen entsteht für das Unternehmen und bestehen besondere
Anforderungen organisatorischer, technischer oder rechtlicher Art?
Und noch ein wichtiger Hinweis: Auch als didaktisches Mittel sollten Sie für die-
ses Kapitel gerne eine Gruppe bilden und verschiedene Ideen mit Hilfe von Kreativi-
tätstechniken entwickeln. Dabei lernen Sie auch die neuen Kommilitoninnen und
3 Geschäftsidee & Business Plan 21
ommilitonen kennen, mit denen Sie das Modul „Management Basics“ besuchen. Sie
K
sind danach auch als Gruppe vertraut und können als Team Ihre Gründungsidee in den
weiteren Sitzungen gemeinsam entwickeln. Dabei beginnen wir mit drei oder vier Ideen-
skizzen, von denen Sie dann eine fokussieren und mittels der Nutzwertanalyse bewerten.
Und nun viel Spaß!
Wenn Sie sich mit Ihrer Gruppe aus vier bis sechs Personen vertraut gemacht haben
und gemeinsam erste Ideen für ein Geschäftsmodell entwickeln – und auch wieder ver-
werfen – dann wird Ihnen sicher auffallen, dass die verschiedenen Mitglieder der Gruppe
auch unterschiedliche Fähigkeiten aufweisen. Und das ist gut so! Wären alle im Team
gleich, so würde es keinen kritischen Diskurs geben und die verschiedenen Aufgaben
würden nicht von verschiedenen Personen mit individuellen Fähigkeiten auch gerne über-
nommen. Denken Sie dabei vielleicht an eine Segelcrew, die gemeinsam in See sticht. Es
muss einen Kapitän geben und andere Teammitglieder müssen auch eine „Halse“ oder
„Wende“ einleiten und Segel setzen bzw. Spaß daran haben, abends etwas gekocht zu
haben. Wir beschäftigen uns daher zunächst mit den Menschen – den Gründern. Erst
22 T. Heupel
dann wollen wir uns mit der Struktur des Business Plans und den verfügbaren Instrumen-
ten zur Erstellung eines solchen Schriftstücks beschäftigen.
„Unternehmensgründer bauen auf, schaffen Wert, fördern Wachstum sowie
Beschäftigung und treiben die technologische Entwicklung voran!“ (vgl. Konrad 2005,
S. 1). Als Grundlage für das unternehmerische Handeln im vorgenannten Sinn nennt
Braukmann drei Zielklassen (vgl. Braukmann und Schneider 2007, S. 157 ff.). Die erste
Zielklasse ist die Phase der Gründungssensibilisierung, in welcher eine erste ernsthafte
Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt. Hieran anschließend erfolgt die Gründungs-
mündigkeit (zweite Zielklasse). Diese ist erreicht, wenn der Entschluss zur Gründung
gefallen ist und die Person bereit ist, sich entsprechend weiter zu qualifizieren. Es folgt
die dritte Zielklasse: Das Erreichen der Gründungskompetenz im Sinne einer beruflichen
Handlungskompetenz. Dies bedeutet, dass die Umsetzung unmittelbar bevorsteht, ein
Konzept erstellt ist und der Gründer relevante Risiken einschätzen kann.
Was bedeutet dies nun konkret für uns als Gründerperson? In einem jungen Alter
von 18 bis 25 Jahren gründen nur wenige. Zumeist verfügen wir noch nicht über aus-
reichende Erfahrungen und haben auch noch keinen Kapitalstock gebildet. Erst mit
zunehmendem Alter fassen wir den Mut, selbst Unternehmerin oder Unternehmer zu
werden. Vielleicht sehen wir andere Menschen in unserem Lebensumfeld, die im Job
Karriere machen und fühlen uns benachteiligt. Wir haben doch auch große Fähigkeiten
und werden in unserem Unternehmen nicht „entdeckt“. Zudem verfügen wir über immer
mehr Wissen. Vielleicht haben wir uns durch ein Studium und ein paar Jahre Praxis-
erfahrung weiterqualifiziert. Wir haben Kenntnis über den Markt und haben auch schon
aus Misserfolgen gelernt. Vor diesem Hintergrund kann die Gründung in einer „Periode
der Wahlfreiheit“ zwischen 27 und 38 Sinn machen. Zudem sind wir in diesem Alter
zumeist noch ungebunden. Zu Beginn dieser Zeitspanne müssen wir noch nicht für eine
Familie und Kinder mitdenken. Sehr viel Energie kann auf die Existenzgründung gelenkt
werden und wir können von früh bis spät an unserer Geschäftsidee „schrauben“.
Lassen wir diesen Altersabschnitt jedoch vorbeiziehen, so lässt die „Gründungs-
energie“ auch wieder nach. Wir haben vielleicht selbst in der Zwischenzeit Karriere
gemacht und wir haben dabei ein Einkommensniveau erreicht, hinter welches wir in den
ersten Jahren nach Gründung wieder zurücktreten müssten. Vor diesem Hintergrund ist
für uns mit Gründung auch Risiko verbunden. Auch unsere zeitlichen Ressourcen sind
durch private Aktivitäten (nicht nur Familie) deutlich eingeschränkter. Vielleicht sind wir
mit Vereinsarbeit, Ehrenämtern oder auch der Pflege von Familienangehörigen zeitlich
beansprucht und können daher nicht mehr uneingeschränkt Zeit in eine „neue Zukunft“
investieren.
Vielleicht können Sie an diesen wenigen Ausführungen ersehen, dass es eine „gute
Zeit der Gründung“, die sogenannte „Periode der Wahlfreiheit“ gibt. Diese wird auch
von Abb. 3.2 grafisch dargestellt.
Der Gründer muss die Kraft des „Wollens“ und des „Könnens“ auch mit seinen
persönlichen Eigenschaften hinterlegen können. Damit wird deutlich, dass der Faktor
Persönlichkeit des Gründers besonders entscheidend für den Erfolg des Unternehmens
3 Geschäftsidee & Business Plan 23
Abb. 3.2 Die Periode der Wahlfreiheit – Wann ist der richtige Gründungszeitraum?
Was versteht man unter einem Business Plan und wozu dient er? Business Plan bedeutet
wörtlich übersetzt „Geschäftsplan“, was seiner großen Bedeutung im Geschäftsleben
kaum gerecht wird. Schwetje und Vaseghi fassen zusammen: „Im Prinzip kann ein Busi-
ness Plan als ein Dokument verstanden werden, das Ihr Geschäftsvorhaben als Ganzes
vermarktet, nämlich an potenzielle Kapitalgeber sowie an Ansprechpartner, auf deren
Unterstützung sie unternehmerisch angewiesen sind“ (Schwetje und Vaseghi 2005,
S. 1). „Wie der Name schon impliziert, wird ein Planungsdokument erstellt, das eine
bestimmte Geschäftsidee unter kommerziellen Gesichtspunkten analysiert und auf-
bereitet. Der Business Plan fokussiert den Autor auf die wesentlichen Komponenten,
die für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig sind. Der Business Plan stellt damit
ein Entscheidungsdokument dar, aufgrund dessen finanzielle Mittel bereitgestellt wer-
den“ (Paxmann und Fuchs 2005, S. 15 f.). Ottersbach definiert allgemein: „Ein Business
Plan ist die Niederschrift von Zielen und deren Umsetzungsstrategien eines bestehenden
oder zu gründenden Unternehmens. Er kann die Planung des Unternehmens als Ganzes
oder von Teilbereichen zum Gegenstand haben. Der Business Plan kann eingedeutscht
auch als Geschäfts- oder Projektplan bezeichnet werden“ (Ottersbach 2007, S. 1). Laut
3 Geschäftsidee & Business Plan 25
tutely gibt ein Business Plan „im Allgemeinen den aktuellen Stand einer Organisation
S
wieder und legt eine Gesamtstrategie des Unternehmens für etwa fünf Jahre mit einem
detaillierten Betriebsplan und -budget für ein Jahr im Voraus fest“ (Stutely 2007, S. 34).
Bei genauer Betrachtung der vorgenannten Definitionen lassen sich verschiedene
Zwecke von Businessplänen ableiten (vgl. Willer 2007, S. 7; Stutely 2007, S. 36):
• Planung, d. h. die gedankliche Vorwegnahme der Umsetzung z. B. eines Geschäfts-
konzepts.
• Entscheidungsunterstützung, d. h. die Beurteilung zum Zweck einer Umsetzungsent-
scheidung.
• Finanzierungsersuchen, d. h. die Akquise von Kapital oder Fördergeldern für ein
Vorhaben durch Vorstellung bei potenziellen Kapitalgebern.
• Kommunikation, d. h. die Bereitstellung von Informationen an potenzielle Unter-
stützer, z. B. Kapitalgeber.
• Kontrolle, d. h. die Abweichungsanalyse, die Erfolgskontrolle.
Zusammenfassend ergibt sich, dass Businesspläne sowohl externe als auch interne Zwe-
cke haben. Extern dient ein Business Plan als Visitenkarte des Unternehmens oder der
Geschäftsidee (vgl. Arnold 2006, S. 22). Der Business Plan soll beim Adressaten Inte-
resse wecken und diesen vom Erfolgspotenzial überzeugen (vgl. Ottersbach 2007,
S. 17). Intern stellt ein Business Plan ein Instrument der betrieblichen Unternehmens-
führung und -planung dar. Durch das Aufstellen eines Business Plans wird der Unter-
nehmer gezwungen, sich betriebswirtschaftlich detaillierter mit seiner Geschäftsidee
auseinanderzusetzen. Im Falle einer Existenzgründung stellt der Business Plan die
Entscheidungsgrundlage für den angehenden Unternehmer dar, ob sich eine Existenz-
gründung überhaupt lohnt. Zudem dient der Business Plan dem Unternehmer nach der
Unternehmensgründung weiterhin „als Planungsinstrument zur Erfolgskontrolle, als
Frühwarnsystem für unternehmensgefährdende Entwicklungen und als Entwicklungs-
hilfe für anstehende unternehmensbezogene Entscheidungen“ (Ottersbach 2007, S. 16).
Diese Aufgaben visualisiert auch die Abb. 3.4.
Der Business Plan wird demnach als zentrales Instrument zur Planung und Kapitalbe-
schaffung für Unternehmensgründungen verwendet (vgl. Nagl 2009, S. 13 f.; Schwetje
und Vaseghi 2005, S. 2; Streuck 1999, S. 12; Gillmann und White 2001, S. 11). Er eignet
sich als ein bedeutsames Instrument zur Planung und Strukturierung komplexer betriebs-
wirtschaftlicher Vorhaben. Darüber hinaus dient der Business Plan während und nach
der Realisierung als Controlling-Instrument, um die Erreichung der definierten Ziele
zu überprüfen und Gründe für mögliche Abweichungen zu ermitteln (vgl. Paxmann
und Fuchs 2005, S. 14–16; Nagl 2009, S. 13; Polichnei 2007, S. 172). Der Business
Plan hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen, und verhindert, dass wesentliche Aspekte für
die Realisierung übersehen werden. Der Business Plan dient als Planungsinstrument im
Sinne einer erweiterten Machbarkeitsanalyse und Entscheidungsgrundlage. Er führt alle
relevanten Informationen und Faktoren zusammen, beschreibt die nötigen Maßnahmen
26 T. Heupel
und gibt Auskunft über die Chancen und Risiken, Stärken und Schwächen sowie die
Kosten und den zu erwartenden Nutzen.
Angesichts der vielfältigen Aufgaben von Businessplänen und den damit verbundenen
unterschiedlichen Adressaten ist es wichtig, bei der Erstellung jedes Business Plans indi-
viduell zu überlegen: Wozu soll das Dokument dienen und welche Adressaten sollen
angesprochen werden? „Jede Zielgruppe hat gewisse Anforderungen, Bedürfnisse und
Kenntnisse, die in keiner anderen Situation exakt gleich ausfallen. Demnach sind diese
individuellen Faktoren von einem Business Plan zu berücksichtigen, wenn er vom Leser
auch richtig verstanden werden soll“ (Paxmann und Fuchs 2005, S. 53). Zwei wichtige
Informationen sind vor diesem Hintergrund konkret zu adressieren. So geht es einerseits
um die möglichst exakte Kennzeichnung einer (innovativen) Geschäftsidee. Andererseits
muss der Business Plan auch die Stufen zur Zielerreichung als unabdingbaren Weg der
Geschäftsentwicklung darstellen. Diese Darstellung von „Was“ und „Wie“ folgt einer
eigenen stringenten Logik. Diese immer gleiche und typische Struktur eines Business
Plans soll nachfolgend explizit dargestellt werden.
Aufbau eines Business Plans: Business Pläne sind vergleichbar mit Bewerbungs-
schreiben. Auch ein Business Plan soll beim Leser Interesse wecken und etwas
erreichen. In beiden Fällen kommt es auf die Form und den ersten Eindruck an. Allen
Businessplänen ist gemeinsam, dass sie die Erfolgsaussichten der Geschäftsidee im
Markt inhaltlich begründen und überzeugend präsentieren müssen.
3 Geschäftsidee & Business Plan 27
Paxmann und Fuchs argumentieren daher: „Auch wenn jeder Business Plan im Detail ein-
zigartig ist, so ist die Vorgehensweise zur Erstellung doch gewissen Regelmäßigkeiten
unterworfen. Genau aus diesem Grund muss man eine erprobte Anleitung mit Erfahrungs-
werten nicht immer wieder erneut erfinden“ (Paxmann und Fuchs 2005, S. 21).
Versetzen wir uns in die Lage eines Bankangestellten, der zu Beginn einer neuen
Woche gleich drei Businesspläne durcharbeiten soll, so ist diese Anforderung umso mehr
verständlich. Der Prüfende möchte Vertrautheit vorfinden und zügig in einer gewohnten
Struktur die Fakten aufarbeiten. Bezüglich des inhaltlichen Aufbaus und der Struk-
tur eines Business Plans gelten daher bestimmte Elemente als Standard, jedoch können
diese, wie bereits beschrieben, je nach Adressat und Zielsetzung variieren. Zu Beginn
steht in aller Regel eine Management Summary. In den weiteren Abschnitten folgt eine
Betrachtung des Unternehmens, der Organisation und des Personals, ein Überblick
über das Vorhaben, der Ziele und Strategien, des Leistungsangebots, des Zielmarktes,
des Einsatzes von Marketing und Vertrieb, der Chancen und Risiken sowie der Stärken
und Schwächen des Unternehmens. Den Abschluss bilden eine Zeitplanung und ein
umfassender Finanzteil (vgl. Nagl 2009, S. 16; Paxmann und Fuchs 2005, S. 105 ff.;
Struck 2001, S. 20–21; Berry 1999, S. 14). Diese einzelnen Abschnitte zeigt auch die
Abb. 3.5.
Mittels der Management Summary zeigt die Ausarbeitung dem potenziellen Fremd-
kapitalgeber, wie intensiv sich der Gründer mit der Planung des Vorhabens auseinander-
gesetzt hat. Im vorderen qualitativen Teil des Business Plans werden B ranchenanalysen,
der Marketingplan sowie die geplante Produktion und das Managementteam vorgestellt
und beschrieben. Die Bank prüft die Konsistenz der Angaben sowie die potenzielle
Umsetzbarkeit der Geschäftsidee im Markt. Während sich dieser Teil im externen
Bereich auf die Entwicklung der Konjunktur, der Branche, sowie auf andere relevante
Marktteilnehmer beschränkt, zeigt die sich anschließende interne Analyse die Ent-
wicklung des eigenen Unternehmens auf. Im zahlenmäßigen Teil des Business Plans
wird anhand von Hochrechnungen geprüft, ob die Annahmen des verbalen Teils plausi-
bel erscheinen.
Im Zahlenteil gibt es daher unterschiedliche Berechnungen mit den jeweils spezi-
fischen Betrachtungsweisen. So zeigt beispielsweise die Liquiditätsplanung an, ob das
Unternehmen jederzeit seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kam. Durch eine
Sensitivitätsanalyse können mittels Veränderungen der Parameter Einnahmen/Ausgaben
oder Erträge/Aufwendungen unterschiedliche Szenarien dargestellt werden. Es kann also
überprüft werden, wie stabil diese Planungen sind und somit auch eine Bewertung des
Risikos vorgenommen werden. Entscheidend ist hier auch, dass mit der ersten Prüfung
kein Ende der Risikobewertung vorliegt, sondern eine regelmäßige Überprüfung statt-
findet.
Im Rahmen dieser zahlenmäßigen Darstellung werden zudem die Rentabilität, die
Investitionen, die Finanzierung und der geplante Liquiditätsverlauf dargestellt. Der Busi-
ness Plan hat zum einen interne Funktionen, wie die Durchführung eines Soll-/Ist-Ver-
gleichs. Zum anderen soll er die Entscheidungsgrundlage für eine Geschäftsbeziehung
mit verschiedenen externen Interessengruppen bilden. In der Darstellung des „Zahlen-
teils“ geht es daher speziell um das Risiko des Investments aus Sicht der Bank als
Fremdkapitalgeber. Um das Risiko identifizierbar und bewertbar zu machen, nutzt das
Kreditinstitut als Basis die standardisierten Zahlen-Tabellen des Business Plans.
Wir folgen nun dem strukturellen Aufbau des Business Plans und führen die einzelnen
Abschnitte noch einmal explizit aus.
Denken wir noch einmal an den Bankangestellten, der am Montagmorgen nach einem
entspannenden Wochenende die Motivation finden muss, sich durch gleich mehrere
Businesspläne zu kämpfen. Wie gut würde es dann für einen Antragsteller aussehen,
wenn dieser gleich mit einer fulminanten Einleitung das Interesse weckt? Und genau
darum geht es. Die vorangestellte „Executive Summary“ oder auch „Management Sum-
mary“ soll eine positive Einstimmung für das gesamte Dokument bieten. Sie stellt damit
nicht alleine eine Einleitung dar, sondern soll zugleich auch eine kompakte Übersicht
über den gesamten Plan geben. Alle Informationen, die für den Adressatenkreis rele-
vant sind, werden komprimiert und prägnant auf einer Seite dargestellt. Im Mittelpunkt
stehen hierbei die Darstellung der Unternehmensziele, die Identifikation der kritischen
Erfolgsfaktoren und der mögliche Nutzen des Vorhabens für die potenziellen Käufer.
Alleinstellungsmerkmale sind hier genauso herauszustellen wie Lieferbeziehungen und
Marktzugänge. Dem Adressaten sollen in kurzer und prägnanter Form die Vorteile, die
Chancen und der Nutzen des gesamten Vorhabens verdeutlicht werden. Auch werden
3 Geschäftsidee & Business Plan 29
Aussagen über die benötigten Ressourcen und die verfolgten Ziele getroffen. Zudem
soll dem Adressatenkreis ein Überblick über die Struktur des Leistungs- und Produkt-
portfolios gegeben werden. Dies schließt die angebotenen Produkte oder Dienst-
leistungen in gleichen Maße wie den angebotenen Service mit ein (vgl. Nagl 2009,
S. 40 ff.; Schwetje und Vaseghi 2005, S. 67 ff.; Pruss et al. 2003, S. 57 ff.).
• Wer sind die Kunden und was ist das fokussierte Ziel des Business Plans?
• Mit welchen Alleinstellungsmerkmalen kann hier gepunktet werden?
• Worin liegt demnach die eigene Unique Selling Proposition (USP) im Hinblick
auf das Produkt und gegenüber den Wettbewerbern?
• Welche wesentlichen Entwicklungsschritte sind vor der Markteinführung noch
erforderlich?
• Wie ist die Marktsituation und welche Märkte und Segmente sollen konkret
bedient werden?
• Wie soll der Marktzugang erreicht werden und wie groß ist das Marktpotenzial?
• Wie sieht die Umsatz- und Gewinnplanung der Maßnahmen für die nächsten
drei bis fünf Jahre aus?
• Wie hoch ist der Investitionsbedarf?
• Welche Stärken/Schwächen sowie Chancen/Risiken birgt die geplante
Geschäftsidee?
3.2.2 Unternehmen
Nachdem die Geschäftsidee in ihrem Kern dargestellt wurde, muss die Struktur und Aus-
gestaltung des Unternehmens nun als hierfür passend dargestellt werden. So muss die
gewählte Rechtsform zu der Art der Leistungserstellung passen. Vergleichbar zu den ver-
schiedenen Anlässen, zu denen Sie eingeladen werden und zu welchen Sie Ihre Kleidung
passend wählen müssen, muss auch die Rechtsform als „Gewand des Unternehmens“ zu
der Struktur der Organisation und den betrieblichen Prozessen ausgestaltet sein. Neben
dem Unternehmensprofil, welches durch die Rechtsform und das Produktprogramm zu
kennzeichnen ist, müssen auch die Besitzverhältnisse geklärt sein. So kann es aus Gründen
des Marktzugangs durchaus infrage kommen, bereits von Anfang an ein bereits etabliertes
Unternehmen mit Anteilen zu beteiligen. Hierdurch kann einerseits die Aufbauphase deut-
lich reduziert werden und andererseits gelingt es dem neu gegründeten Unternehmen so
viel schneller, ein konstantes Absatzvolumen zu erreichen. Auch kann es sinnvoll sein, Lie-
feranten und Absatzhelfer oder Absatzmittler mit in den Herstellungs- und Absatzprozess
30 T. Heupel
einzubeziehen. Folgt man dem Leitsatz „Konzentriere dich auf deine Kernkompetenzen“,
so kann die komplette Übernahme einer sehr tiefen Wertschöpfungsstruktur in der
Gründungsphase extrem komplex und für das kleine Gründungsteam nicht koordinierbar
werden. Hier ist es wiederum wertvoll, mit bereits etablierten Partnern zu arbeiten. Neben
Beteiligungen sind auch vertragliche Vereinbarungen ein legitimes Mittel zur Bindung.
Gleich zu Beginn des Business Plans sollten auch die Ziele etwas konkreter gefasst
werden. Sind diese in der Executive Summary schon grob adressiert worden, so müssen
sie nun gemäß der SMART-Regel (Ziele sind S=spezifisch, M=messbar, A=achievable,
erreichbar, R=realistisch und T=time framed, zeitlich bestimmt zu fassen) operationa-
lisiert werden. Auch erwartet der Leser Aussagen dazu, wie die gesteckten Ziele stra-
tegisch erreicht werden sollen. Alle vorgenannten Aspekte fast die Abb. 3.6 auch noch
einmal zusammen.
Einen kleinen Exkurs muss man an dieser Stelle – zu Beginn – auch noch einbringen.
Der Festlegung der konkreten und operationalisierbaren Ziele geht noch eine größere
strategische Rahmensetzung voraus. So wird die Gründung eines eigenen Unternehmens
zumeist von einer umfassenden Leitidee – einer Vision – angetrieben. Der Gründer möchte
mit seinem neuen Geschäftsmodell etwas erreichen. Vergleichbar einem Fixstern, dem der
Gründer handlungsleitend folgt, ist eine Vision eine Projektion, dem das Handeln folgt.
Eine nähere verbale Fassung erhält dieser antreibende Charakter zumeist im „Leitbild des
Unternehmens“! In diesem werden in Schlagsätzen grundlegende Richtlinien des unter-
nehmerischen Handelns fixiert. Ähnlich den „Leitplanken“ einer Straße, auf denen sich ein
Fahrzeug seinem Ziel nähert, erhalten die Mitarbeiter hier auch einen Handlungsrahmen.
Ziele schließlich sind dann die erste operationalisierte Ebene des Führungskonzeptes.
Sie sind in Ausmaß, Zeit und Ort fixiert und sind intersubjektiv auch nachprüfbar. Dabei
können Unternehmensziele, von Bereichs- und Funktionalzielen unterschieden werden.
Dies visualisiert auch Abb. 3.7.
Abb. 3.7 Vision –
Unternehmensleitbild –
Unternehmensziele
Kern einer neuen Geschäftsidee ist zumeist ein völlig neues Produkt oder eine innova-
tive Dienstleistung. Es muss daher deutlich werden, welcher Nutzen durch das hier zu
finanzierende Geschäftskonzept, insbesondere aber durch das innovative Produkt gene-
riert wird und, falls es bereits vergleichbare Produkte auf dem Markt gibt, wie sich das
eigene Produkt von denen der Wettbewerber abhebt. Diese Alleinstellungsmerkmale
können in der Qualität, im Preis, in den technologischen Eigenschaften oder im Design
liegen. Neue Technologien oder gänzlich neue Verfahren stellen einen unternehmens-
spezifischen Wettbewerbsvorteil dar und sollten z. B. durch Patente und Schutzrechte
gesichert werden. Auch ist bei der Entwicklung von neuen Produkten die zeitliche Kom-
ponente und damit der Zeitpunkt des Markteintritts für den Leser des Business Plans
sehr bedeutsam. Nicht, dass es hier einen Wettstreit zwischen Konkurrenten gibt, den nur
einer gewinnen kann („the winner takes it all“). In den meisten Fällen kann der erste im
Markt „Vorzugsgewinne“ abschmelzen und erreicht durch größere Stückzahlen schneller
die „Economies of Scale“ als der Marktverfolger.
Basierend auf dem Ihnen schon bekannten Produktlebenszyklus können die wichti-
gen Stufen „Einführung“ bis „Degeneration“ explizit betrachtet werden. Die Einführung
eines Produktes ist in der Regel durch Neugier-Käufer und die frühen Erfolge durch das
32 T. Heupel
Marketing gekennzeichnet. Demgegenüber stehen jedoch auch hohe Investitionen für die
Entwicklung des Produktes und erste Werbekampagnen.
In der sich anschließenden Wachstumsphase treten dann zumeist auch Konkurrenten
in den Markt ein und der Wettbewerb setzt mit einem ersten Preiskampf ein. Der Umsatz
der Produkte kann zwar zunächst für alle Marktteilnehmer noch steigen, aber eine starke
Expansion im Markt ist oftmals mit dem Eintritt von weiteren Anbietern verbunden. Dies
führt sodann zu einem Preiskampf und einer geringeren Umsatzrendite bei steigenden
Absatzzahlen. In der sich anschließenden Reifephase eines Produktes fallen die Absatz-
zahlen und die Umsatzrentabilität sinkt. In dieser Phase sollte der Vertriebsweg des
Produktes optimiert werden und das Instrument der Differenzierung sollte geprüft wer-
den. In der nachfolgenden Sättigungsphase können preispolitische Maßnahmen erwogen
werden. Die Degenerationsphase schließt den Lebenszyklus des Produktes ab. Ursäch-
lich hierfür ist, dass neue technologisch bessere oder gar überlegene Produkte in den
Markt eintreten und die Bedürfnisse der Kunden durch Ersatzprodukte befriedigt werden
(vgl. Hoch und Heupel 2010, S. 63 ff.).
Neben der zuvor beschriebenen Kennzeichnung des Kundennutzens und der Positio-
nierung im Wettbewerb durch besondere Leistungsmerkmale muss dieser Abschnitt des
Business Plans auch Aussagen zur Forschung und Entwicklung des Produktes, zu seiner
Herstellung, der angestrebten Produktqualität sowie zum Angebotspreis treffen. Die zu
adressierenden Punkte werden von der Abb. 3.8 noch einmal zusammengefasst.
Die Zielmarktanalyse ist ein wesentliches Element eines Business Plans. Wer sind die
Käufer und was hat der Markt längerfristig zu bieten? Ist es ein Wachstumsmarkt oder
hat hier der Verdrängungswettbewerb bereits eingesetzt? In diesem Teil erfolgt zunächst
die Definition des relevanten Marktes und dessen Segmentierung in potenzielle Ziel-
gruppen sowie die Ableitung des Marktpotenzials. Die Marktanalyse dient als Aus-
gangsbasis für alle weiteren Überlegungen. Eine klare Definition des relevanten Marktes
ist der erste wichtige Schritt, um das Unternehmen zu positionieren. Auch müssen Aus-
sagen hinsichtlich der zukünftigen Marktentwicklung getroffen werden. Die Prognose der
Marktsituation sollte sich auch im Business Plan wiederfinden. Der hierbei betrachtete
Planungszeitraum sollte etwa drei bis fünf Jahre betragen. Dafür werden detaillierte Infor-
mationen hinsichtlich des künftigen Marktwachstums, aktuelle Entwicklungen, spezi-
fische Markteigenheiten, die Bedürfnisse potenzieller Kunden, die Wettbewerber und
deren Stellung im Markt sowie Informationen über weitere wichtige Marktteilnehmer
benötigt. Die vorstehenden Schritte werden in der Abb. 3.9 auch noch einmal adressiert.
Beruhend auf diesen Informationen sollte eine Analyse von Stärken (Strengths)
und Schwächen (Weaknesses), sowie Chancen (Opportunities) und Risiken
(Risks) = (SWOT-Analyse) des Vorhabens erfolgen, um kritische Erfolgsfaktoren zu
identifizieren. Weiter gilt es, Ziele und Strategien ausgehend von den Ergebnissen der
Markt- und SWOT-Analyse zu entwickeln. Übliche strategische Ziele können zum
Beispiel Umsatz, Gewinn, Wachstum, Marktanteile oder Absatzmengen sein.
34 T. Heupel
Neben der SWOT-Analyse ist aber auch ein weiteres Analyseinstrument sehr gut ein-
zusetzen. Dies ist das Fünf-Kräfte-Modell (Five-Forces-Modell) von Porter. Hier wird
explizit danach gefragt, von woher die aktuelle Wettbewerbssituation des Unternehmens
beeinträchtigt werden kann. So können mächtige Lieferanten oder auch Kunden einen
erheblichen Einfluss auf die Position unseres Unternehmens im Markt ausüben. Den-
ken Sie beispielsweise an die beiden Konkurrenten Boeing und Airbus. Beide Flug-
zeughersteller buhlen um die Gunst der großen Fluglinien und wollen hier Flugzeuge
absetzen. Zugleich aber sind sie von wichtigen Zulieferern abhängig, die nicht schnell
ersetzt werden können. Die Lieferanten der Flugzeugbranche müssen sehr spezielle
Zertifizierungen aufweisen, die nicht viele Unternehmen im Markt beibringen kön-
nen. Zudem ist die Branche einer sehr hohen Wettbewerbsintensität ausgesetzt. Diese
neuen Marktteilnehmer (neue Konkurrenten) oder neuen Produkte (Substitute) kön-
nen die Marktstellung des eigenen Unternehmens verändern. Um dies an dem bereits
begonnenen Beispiel des Flugzeugherstellers wiederum darzustellen, sei auf die bald
startende chinesische Flugzeugproduktion verwiesen. China wird mit einer eigenen Flug-
zeugherstellung in das Mittelstrecken-Segment einsteigen und hier zunächst Boeing und
Airbus im Heimatmarkt verdrängen.
Als fünfte Kraft kann zudem die „Rivalität“ in der Branche identifiziert werden. Ist
der Markt gesättigt, so werden die Mitwettbewerber alles daransetzen, um auch weiter-
hin ihr „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. Das Instrument der Five Forces wird von
der Abb. 3.10 noch einmal grafisch visualisiert.
3 Geschäftsidee & Business Plan 35
Auf Basis der letzten beiden Abschnitte bauen Sie nun Marketing- und Vertriebs-
pläne auf. Was ist aber zunächst unter Marketing und Vertrieb zu verstehen? Mef-
fert umschreibt Marketing „als die bewusste marktorientierte Führung des gesamten
36 T. Heupel
Diese oft auch als „4 Ps“ bezeichneten Aktionsfelder des Marketings (Product, Price,
Place und Promotion) sind in der Abb. 3.11 auch noch einmal grafisch dargestellt.
Betrachten wir neben dem Marketing auch das Wirkungsfeld „Sales“ so lässt sich dies
konkret vom Marketing abgrenzen. Nach Philip Kotler ist Vertrieb genau genommen eine
Unterfunktion der Distribution im Marketing Mix (vgl. Kotler et al. 2006, S. 68 ff.). Das
würden wir auch in der vorstehenden Grafik einfach wiederfinden. Man würde „Sales“
dann als eine der vier Säulen des Marketings definieren. Aber ist das so? Und war diese
Sichtweise immer schon so geprägt?
Vor einigen Jahren war Marketing noch eine relativ neue Disziplin in Deutsch-
land und der Vertrieb war die dominantere Disziplin. Schrieb Gutenberg noch über die
drei grundlegenden Disziplinen Produktion, Absatz und Finanzierung, wurde mit dem
„Sales-“ oder auch „Vertriebsgedanken“ die Kundenorientierung in den 1980er-Jahren
entdeckt. Aktives Verkaufen würde diese Grundhaltung gut kennzeichnen und das
Marketing war vor diesem Hintergrund in seinen Anfängen für „bunte Prospekte“ und
Werbematerialien zuständig. Es gibt auch heute noch Firmen, die diese Grundhaltung
weiter tradiert haben und so denken. In zunehmend komplexeren Märkten mit austausch-
baren Produkten wurde es für den Vertrieb aber immer schwieriger, den Absatz zu leis-
ten. Nun schlug die Stunde des Marketings: Dieses entwickelte wirksame Methoden und
Werkzeuge, um die Produkte und Dienstleistungen weit effektiver zu platzieren. In dieser
Zeit wechselte also der Lead zum Marketing, die für die Inszenierung des größeren Gan-
zen zuständig wurden. Vertrieb wird nunmehr stark auf die distributive Aufgabe redu-
ziert. Neben der Option mittels des direkten Vertriebs die Waren und Dienstleistungen
unmittelbar selbst an den Kunden zu distribuieren, können hier auch Absatzmittler und
Absatzhelfer eingesetzt werden. Beispielsweise kann der Großhandel eine Lager- und
Verteilfunktion in den Markt hinein übernehmen und Einzelhändler können sich bei
erklärungsbedürftigen Produkten um die Information des Kunden und das Service-
geschäft kümmern.
Aber neben dem indirekten Vertrieb über Partner haben sich in den letzten Jahren
zahlreiche weitere Optionen für den Hersteller ergeben, im Rahmen eines direkten Ver-
triebs selbst mit dem Endkunden in Verbindung zu treten. Insbesondere das Internet
macht hier den Marktzugang ohne große Barrieren und das kostspielige Aufbauen von
Handelsstrukturen möglich.
Eine solche Vertriebswege-Entscheidung wird auch durch die Abb. 3.12 illustriert.
Am besten wird man aber der Beziehung von Marketing und Sales gerecht, wenn
man die wechselseitige Zusammenarbeit als Zusammenspiel kennzeichnet. Marke-
ting und Vertrieb legen zusammen fest, mit welcher Marketingstrategie und mit wel-
chem Vertriebskonzept die strategischen Ziele umgesetzt und erreicht werden können.
Die benötigten Grundlageninformationen zur Erstellung des Marketing- und Vertriebs-
plans müssen zum größten Teil nicht neu recherchiert werden, sondern sind den voran-
gegangenen Abschnitten zum Business Plan zu entnehmen.
38 T. Heupel
Unter dem Punkt Organisation gilt es im Falle eines Business Planes zu klären, wie die
Aufbau- und Ablauforganisation im geplanten Unternehmen zu strukturieren sind. Hier
müssen Entscheidungen hinsichtlich des Personals getroffen werden. Insbesondere im
Kreise des Gründungsteams müssen hier die Verantwortungen geklärt und die Zuständig-
keiten festgelegt werden. Wer weist durch die entsprechende Vita die notwendigen
Kompetenzen für ein Arbeitsfeld auf und kann auch in einer Ausbaustufe der Unter-
nehmensentwicklung Mitarbeiter anleiten? Mit der Unterscheidung von Aufbau- und
Ablauforganisation ist es aus Studierendensicht oft nicht einfach. Ein Bild kann hier
den Zugang erleichtern: Wenn Sie sich eine Landkarte vorstellen und von oben (aus der
„Vogelperspektive“) auf die Straßen und Häuser einer Stadt herabblicken, so haben Sie
ein besseres Verständnis für die Aufbauorganisation. Hier wird die Struktur festgelegt.
Wenn Sie dann mit Ihrem Auto oder auch als Fußgänger durch die Stadt fahren oder
gehen wollen, so regeln Ampeln und Schilder den Verkehr und die Zuständigkeiten. Wer
hat Rot und wer darf gehen? Vergleichbar ist es auch mit der Ablauforganisation. In ihr
werden Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse der Stelleninhaber geregelt.
Neben der Struktur des Unternehmens wünscht sich der Adressatenkreis des Business
Plans auch Aussagen zum Management. Wer nimmt hier die Geschäftsführung war und
wie sind die Leitungspersonen qualifiziert?
3.2.7 Finanz-/Dreijahresplanung –
Wirtschaftlichkeitsberechnungen & Finanzübersicht
die Ausführungen, sondern auch die Darstellung von Kosten und Erlösen überzeugen.
Wesentlich ist daher, ob der nicht unbedeutende zeitliche und finanzielle Aufwand am
Ende auch „Früchte trägt“. „Die Finanzplanung, wie sie in einem Unternehmen gemacht
wird, ist für alle Unternehmen wesentlich. Der Prozess des Zusammentragens der Plan-
daten versetzt das Management in die Lage, Schwachstellen oder sich bietende Möglich-
keiten viel schneller zu erkennen, als es sonst geschehen würde“ (vgl. Schwetje und
Vaseghi 2005, S. 117). Zunächst stellt sich dabei die Frage, in welchem Maße finanzielle
Mittel zur Verfügung stehen und wie hoch der zu deckende Kapitalbedarf in Summe ist.
Hieraus lassen sich die Finanzierungslücke und die extern zu beschaffenden Finanz-
mittel ableiten. Zu deren Ermittlung müssen die im vorderen Teil des Business Plans
getroffenen Aussagen zu Umsatz, Kosten und Investitionen in konkrete Zahlen gefasst
werden. Diese münden dann in eine Umsatzplanung, eine Kostenplanung und schließlich
in eine Investitionsplanung ein.
• Umsatzplanung: Der Umsatz lässt sich aus dem Produkt von Menge und Preis
ermitteln. Hierzu müssen Annahmen zu den Absatzvolumina der nächsten Jahre
getroffen und zugrunde gelegt werden. Wichtig ist dabei, dass die Zahlenwerte auch
zu den verbalen Ausführungen passen. „Die Umsatzschätzungen müssen fundiert
und plausibel sein, um eine realistische Planung aufzustellen. Der Grundsatz des
‚vorsichtigen Kaufmanns‘ gilt hier besonders“ (Schwetje und Vaseghi 2005, S. 132).
Die zugrunde liegenden Zahlen, Daten und Fakten stehen dabei in einem unmittel-
baren Zusammenhang zu den Abschnitten „Produkte/Anwendung und Herstellung“
(Abschn. 3.2.3), „Markt und Wettbewerb“ (Abschn. 3.2.4) und „Marketing und Ver-
trieb“ (Abschn. 3.2.5).
• Kostenplanung: Auch der Kostenabschätzung kommt vor dem Hintergrund von
starken Wettbewerbsumfeldern, kurzen Lebenszyklen der Produkte und erheblichem
technologischen Fortschritt eine nicht unbedeutende Rolle zu. Durch eine profunde
Kostenabschätzung können im Zeitverlauf Soll-Ist-Vergleiche durchgeführt werden
und im Falle von Abweichungen können rechtzeitig auch Gegenmaßnahmen ein-
geläutet werden. Zudem ermöglicht die Kostenabschätzung die Ermittlung von kurz-
fristigen Preisuntergrenzen und die Angabe von erwünschten Zielpreisen.
• Investitionsplanung: Diese beschäftigt sich vor dem Hintergrund der geplanten
Mengenvolumina mit den notwendigen Sachinvestitionen. Diese müssen sehr sorg-
fältig geplant werden, da die Mittelbindung langfristig ist und in dieser Zeitspanne
auch Risiken zu tragen sind. Unter Beachtung all dieser Restriktionen muss eine
Investition dann vorteilhaft sein, damit man bei alternativen Anlageoptionen die freien
finanziellen Mittel in diese Investition lenkt. Im Business Plan müssen daher die
geplanten Investitionen, die zu erwartende Rendite, die Dauer des Armortisationszeit-
raums sowie die steuerlichen Auswirkungen dezidiert dargestellt werden. Hinzu treten
auch Aussagen zu technologischen und finanziellen Risiken, die mit dem Investitions-
objekt verbunden sind.
3 Geschäftsidee & Business Plan 41
In dem Abschn. 3.2.7 soll dem Adressaten ein Überblick über den zeitlichen Ablauf des
Vorhabens gegeben werden. Dazu kann das Vorhaben in einzelne Phasen unterteilt werden.
Weiter können für den Abschluss oder das Erreichen bestimmter Teilziele Meilensteine defi-
niert werden. Ein Meilenstein kann den Abschluss einer Phase darstellen, eine Phase kann
jedoch auch mehrere Meilensteine enthalten. Anhand dieser lassen sich im Realisierungs-
prozess Abweichungen frühzeitig erkennen und Korrekturmaßnahmen ableiten.
Die Finanzplanung stellt einen weiteren wesentlichen Teil des Business Plans dar.
Diese gibt dem Adressaten einen Überblick des zu erwartenden Investitionsumfangs
sowie der zu erwartenden laufenden Aufwendungen und Umsätze. Den Kern der Finanz-
planung bilden die Erfolgsplanung und die Liquiditätsplanung. Aus diesen vorstehenden
Teilplanungen können zudem wertvolle Kennzahlen abgeleitet und für eine weiter-
führende Kontrolle systematisch genutzt werden. Auch kann der Kapitalbedarf kon-
kretisiert werden. Für externe Adressaten sollte zudem eine Planbilanz Bestandteil der
Finanzplanung sein.
Jedes neue Geschäftsmodell bricht in eine unsichere Zukunft auf und ist daher zwin-
gend auch mit Risiken verbunden. Vor diesem Hintergrund sollten eine Risikoab-
schätzung und eine Prognose der zukünftigen Entwicklung unternommen werden. Hier
bietet sich insbesondere eine Szenario-Analyse an, da dies die Gegenüberstellung von
alternativen Szenarien ermöglicht. Treten in der Zukunft gleich mehrere korrelierte
negative Einflussfaktoren zutage, die sich negativ auf das Betriebsergebnis auswirken,
so ist dies als „Worst-Case-Szenario“ zu kennzeichnen. Treten hingegen mehrere posi-
tive Ereignisse ein, die einander verstärken und positive Effekte auslösen, so ist dies als
„Best-Case-Szenario“ zu kennzeichnen. Der normale mittlere Verlauf einer Investition
wird hingegen als „Middle-Case“ bezeichnet. Diese drei Szenarien werden auch von der
Abb. 3.13 dargestellt.
Risiken sind dabei nicht nur im Unternehmen selbst (endogene Risiken) zu finden.
Oftmals gehen Veränderungen und abgeleitete Konsequenzen auch von exogenen Fak-
toren außerhalb des Unternehmens aus. Aufgrund von veränderbaren Umfeldfaktoren
können sich Kostensteigerungen ergeben und eine Ressourcenverknappung oder
aber rechtliche Änderungen können zu zeitlichen Verzögerungen mit vertraglichen
Strafzahlungen (Pönalen) führen. Neben diesen Umfeldrisiken können auch operative
• Marktrisiken
• Personalrisiken
• Wirtschaftliche Risiken
• Technische Risiken
• Finanzrisiken
• Vermögensrisiken
• Umweltrisiken und
• Administrative Risiken
Chancen hingegen können sich durch positive Umfeldveränderungen wie z. B. recht-
liche Regelungen oder positive Zukunftserwartungen ergeben. Auch ein steigendes
Einkommensniveau oder positive Konjunkturzahlen können das Konsumverhalten von
Verbrauchern nachhaltig beeinflussen und die dem Business Plan zugrunde liegenden
Planungen und Absatzannahmen maßgeblich übersteigen.
3.2.9 Finanzbedarf
Konnten Sie Ihre Geschäftsidee umfassend und konsistent in den Abschn. 3.2.1 bis
Abschn. 3.2.8 darstellen, so müsste nun auch schlüssig der hierzu notwendige Finanz-
bedarf festzulegen sein. Das gesamte Vorhaben wird einen Investitionsbedarf mit sich
bringen und in den verschiedenen Plänen (Kosten-, Umsatz-, Investitionspläne etc.)
haben Sie sicher auch selbst eine detailliertere Vorstellung über die finanziellen Res-
sourcen gewonnen, die Sie einerseits als Eigenkapital selbst einbringen, die aber oft
auch zu größeren Teilen von Banken bereitgestellt werden müssen. Und zu dieser
Kapitalgewinnung dient auch der erarbeitete Business Plan. Die Bezifferung des exakt
benötigten Fremdkapitalbedarfs stellt damit ein zwingendes Ergebnis der gesamten Pla-
nung dar und sollte vom Ergebnis her hier keinen der Leser „überraschen“.
44 T. Heupel
Abschließend sind auch noch ein paar allgemeine Anforderungen an die Ausfertigung
eines Business Plans zu stellen:
• Formale Anforderungen: Er sollte vor allem knapp und einfach zu lesen sein, da die
Adressaten im heutigen Zeitalter der Informationsüberflutung in der Regel ohnehin zu
viel Material zu bewältigen haben. Hilfreich sind aussagekräftige Überschriften und
kurze Zusammenfassungen am Ende von größeren Teilen. Besonders der Einstieg in
einen Business Plan sollte fesselnd und schlüssig beschrieben werden. Kurze Sätze
sowie übersichtliche Bilder, Grafiken und Diagramme kennzeichnen ein aussage-
kräftiges Dokument. Hinsichtlich des Umfanges erscheinen rund 20 Textseiten für
den eigentlichen Text angemessen. Es kann und sollte auch im Bedarfsfall ein Anhang
genutzt werden.
• Erfolgskriterien von Businessplänen: Was macht einen Business Plan erfolg-
reich? Alle vorstehenden inhaltlichen, strukturellen und formalen Hinweise und ihre
Berücksichtigung zahlen auf den Erfolg des Business Plans ein. Ergänzt wird diese
Listung von Erfolgskriterien um das Schlagwort „Belastbarkeit“ der getroffenen Aus-
sagen und „Stringenz“ der Argumentation. Fundierte Analysen sind ebenso unabding-
lich wie eine plausible und realistische Darstellung und Bewertung. Nur durch die
Angabe von belastbaren Zahlen, Daten und Fakten wird ein Vertrauensverhältnis zum
Adressatenkreis aufgebaut. Gelingt es darüber hinaus, „Kausalketten“ in die Argu-
mentation und die „Storyline“ der Geschäftsidee hinein zu verankern, so kann das
Konzept überzeugen und begeistern.
Mit dem nun fertigen Business Plan wird die Bewerbung um finanzielle Mittel möglich.
Das nachfolgende Kap. 4 wendet sich den verschiedenen Formen der Finanzierung
konkret zu.
Literatur
E. Frère
Isf Institute for Strategic Finance, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
A. Zureck (*)
Isf Institute for Strategic Finance, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 47
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_4
48 E. Frère und A. Zureck
Inhaltsverzeichnis
Mit dem Begriff Finanzwirtschaft werden alle Maßnahmen zur Planung, Steuerung und
Kontrolle der Zahlungsströme umschrieben. Somit ist die Finanzierung eine Funktion
der Finanzwirtschaft und entspricht der Kapitalbeschaffung. Weitere Funktionen sind die
Investition und der Zahlungsverkehr. Die Investition ist die Kapitalverwendung. Jedes
Unternehmen muss das beschaffte Kapital sinnvoll im Unternehmen verwenden. Dieser
Zusammenhang wird auch in der Abb. 4.1 grafisch dargestellt.
4 Finanzierung 49
Grundsätzlich sollten die Erträge aus der Investition immer höher als die
Finanzierungskosten sein. Der Zahlungsverkehr ist die dritte Funktion der Finanz-
wirtschaft. Im Fokus des Zahlungsverkehrs steht die Kapitalverwaltung. Die
Kapitalverwaltung umfasst die Abwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Unter-
nehmens. Hierbei geht es vor allem um den Geldtransfer zwischen allen Stakeholdern
(= Interessensgruppen wie z. B. Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter etc.) des Unternehmens.
Ein Unternehmen sollte stets in der Lage sein, allen Zahlungsverpflichtungen termin-
gerecht und vollumfänglich nachkommen zu können. Sobald ein Unternehmen dies nicht
mehr kann, ist es illiquide. Illiquidität ist der häufigste Insolvenzgrund in Deutschland
(Staab 2015, S. 6–7). Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Unternehmen Gewinne oder
Verluste macht bzw. über mehr Vermögen als Schulden verfügt. Einzig und allein die
Zahlungsfähigkeit ist von Interesse. Hieraus lassen sich folgende Ziele der Finanzwirt-
schaft ableiten:
• Liquiditätssicherung,
• Rentabilitätssteigerung,
• Aufrechterhalten der finanziellen Sicherheit,
• Aufrechterhalten der finanziellen Unabhängigkeit.
Das Unternehmen muss darauf achten, dass es sämtliche Zahlungen an und von Sta-
keholdern beachtet. Zudem müssen Fremdkapitalzinsen und Gewinnerwartungen der
Fremd- bzw. Eigenkapitalgeber berücksichtigt werden.
50 E. Frère und A. Zureck
• Konzernentwicklung,
• Mergers & Acquisitions (M & A),
• Steuern,
• Controlling,
• Recht,
• Liegenschaften,
• Versicherung und
• Rechnungswesen.
Die Konzernentwicklung kann in der Praxis sowohl extern als auch intern erfolgen.
Durch den Zukauf oder Verkauf (M & A = Mergers & Acquisitions) von Unternehmen
bzw. Unternehmensteilen kann der Konzern strategisch relevante Geschäftsfelder
besetzen oder solche, die nicht mehr zur strategischen Ausrichtung passen, abstoßen.
Zudem kann das Unternehmen organisch durch Investitionen in die eigenen Ressourcen
wachsen. Hierzu zählen u. a. Investitionen in Maschinen oder in Humankapital, um z. B.
in der Produktion oder im Rechnungswesen effizienter zu arbeiten.
Unternehmen zahlen unterschiedliche Steuern. Entweder müssen die Steuern sofort
oder zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt werden. Im Rahmen des Finanzmanagements
muss stets darauf geachtet werden, dass ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen,
um die Steuerschulden zu begleichen.
Im Controlling werden für alle Unternehmensteile Erträge, Kosten und daraus resul-
tierende Gewinne geplant, gesteuert und kontrolliert. Dabei können nur tatsächlich zur
Verfügung stehende Ressourcen berücksichtigt werden. Das Finanzmanagement liefert
dabei Informationen zu in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen.
Zwischen den Themenbereichen Versicherung und Finanzmanagement gibt es eben-
falls einige Schnittstellen. Zum einen muss ein Unternehmen für seine Absicherung
Versicherungsprämien zahlen. Zum anderen kann das Unternehmen sich mit speziellen
Versicherungen z. B. gegen Zahlungsausfälle absichern. In gewissen Fällen zahlt die Ver-
sicherung, sobald ein Kunde seine Verbindlichkeiten nicht bedienen kann.
Das Finanzmanagement hängt vom EDV-gestützten Rechnungswesen ab. Ein effizien-
tes Rechnungswesen ist notwendig, um fundierte Finanzentscheidungen treffen zu können.
Das Rechnungswesen bereitet alle zahlungsrelevanten Daten auf. Die Analyse der auf-
bereiteten Daten ist die Basis für Finanzentscheidungen. Die Daten aus dem Rechnungs-
wesen sind vor allem für die strategische Finanz- und Investitionsplanung von Bedeutung.
Das Unternehmen beschafft sich Kapital, um es dann beispielsweise in Liegen-
schaften zu investieren. Liegenschaften sind bebaute und unbebaute Grundstücke. Nach
4 Finanzierung 51
der Investition hat das Unternehmen laufende Ausgaben für die Liegenschaften, z. B. für
Grundsteuern. Zeitgleich erzielt es aus der Investition Einnahmen, wenn das Grundstück
beispielsweise an eine andere Firma verpachtet wurde.
Ein Unternehmen kann sich in allen Bereichen nur dann weiterentwickeln und wach-
sen, wenn für die geplanten Vorhaben die finanziellen Ressourcen vorhanden sind.
Aus diesem Grund ist das Finanzmanagement in allen Bereichen eines Unternehmens
von Bedeutung. Das Unternehmen kann sich ohne ein solides Finanzmanagement nicht
weiterentwickeln.
Eine Finanzentscheidung hängt im Wesentlichen von mehreren Faktoren ab. Bei allen
Finanzentscheidungen sind die folgenden Aspekte zu beachten und abzuwägen:
• Rentabilität,
• Sicherheit,
• Liquidität und
• Unabhängigkeit.
Vor jeder Finanzentscheidung steht fest, dass nicht alle Faktoren in gleicher Art und
Weise berücksichtigt werden können. Dies führt zwangsläufig zu Zielkonflikten.
Vor allem Investoren sind an einer angemessenen Verzinsung ihrer Anlage interessiert.
Sie achten deshalb oftmals primär auf den Faktor Rentabilität. Die Rentabilität ist dabei
der Quotient einer Erfolgskennzahl im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Viele Unter-
nehmen nutzen die Rentabilität als Steuerungsgröße für die Messung ihres betrieblichen
Erfolgs.
Die Zielkonflikte bestehen dabei zwischen Rentabilität und Liquidität sowie Sicher-
heit (Entscheidungsdreieck). Eine Investition kann nicht zugleich rentierlich und liquide
sowie sicher sein. Umso liquider eine Investition ist, desto geringer ist tendenziell die
Rentabilität. Investitionen mit langer Überlassungsdauer, wie z. B. Investitionen in
Immobilien, bieten dem Unternehmen als Kapitalnehmer einen besseren Planungs-
horizont. Die längere Kapitalbindung ermöglicht es dem Unternehmen, das Kapital wie-
derum selbst rentierlicher zu investieren.
Aus Unternehmenssicht ist der Faktor Liquidität besonders wichtig. Das vorrangige
Ziel eines Unternehmens sollte es sein, dass es zu jeder Zeit seinen Zahlungsver-
pflichtungen fristgerecht und vollumfänglich, inklusive aller Zins- und Tilgungs-
leistungen, nachkommen kann. Das Unternehmen hat immer mit den Gefahren von
Unterliquidität bzw. Illiquidität zu kämpfen. Unterliquidität beschreibt dabei die Gefahr,
1Ein Annuitätendarlehen wird mit gleichbleibenden Zahlungen bedient. Die Zahlungen umfassen
Zins- und Tilgungsleistungen. Zu Laufzeitbeginn sind die Zinsleistungen für gewöhnlich größer als
die Tilgungsleistungen. Die Zinslast berechnet sich auf Basis der verbleibenden Restschuld. Diese
nimmt mit jeder Tilgungsleistung ab, sodass während der Darlehenslaufzeit die Tilgungsleistungen
im Vergleich zu den Zinsleistungen aufgrund der in Summe gleichbleibenden Zahlungen steigt.
4 Finanzierung 53
4.6 Finanzierungsalternativen
4.7 Eigenkapital
4.8 Fremdkapital
Neben dem Eigenkapital nimmt das Fremdkapital einen hohen Stellenwert im Kontext
der Unternehmensfinanzierung ein. Das Fremdkapital ist ein Außenfinanzierungsinstru-
ment. Fremdkapital wird dem Unternehmen von externen Dritten zur Verfügung gestellt.
Für die meisten Unternehmen sind Banken der wichtigste Fremdkapitalgeber. Im Ver-
gleich zum Eigenkapital steht dem Unternehmen das Fremdkapital nur befristet zur Ver-
fügung. Entsprechende Zins- und Tilgungsleistungen werden vertraglich festgehalten.
Fremdkapital begründet ein Schuldverhältnis. Aus diesem Grund verpflichtet sich der
Schuldner, sprich das Unternehmen, dem Gläubiger gegenüber die vertraglichen Zins-
und Tilgungsleistungen zu erbringen. Der Gläubiger verpflichtet sich ebenfalls, alle
vertraglich festgehalten Vereinbarungen einzuhalten. Der Gläubiger hat keine weiteren
Ansprüche, als den vereinbarten Zins, an etwaigen Gewinnen des Unternehmens.
Im Vergleich zum Eigenkapitalgeber haftet ein Fremdkapitalgeber im Insolvenzfall
nicht. Vielmehr wird der Fremdkapitalgeber im Insolvenzfall vorrangig behandelt. Im
Insolvenzfall werden zunächst die Fremdkapitalgeber aus der noch vorhandenen Masse
befriedigt. Fremdkapitalgeber verfügen im Vergleich zu Eigenkapitalgebern über Perso-
nal- und Realsicherheiten. Die vorhandenen Sicherheiten lassen die Fremdkapitalgeber
im Insolvenzfall besser dastehen, da sie die Sicherheiten bei ausbleibenden Zahlungen
für Zins und Tilgung verwerten können. Sofern eine Sicherheit einen höheren Wert
hat und bei der Verwertung ein die Restforderung übersteigender Erlös für die Sicher-
heit erzielt wird, darf der Fremdkapitalgeber den Überschuss nicht behalten. Er ist viel-
mehr verpflichtet, diesen dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Zusammengefasst
betrachtet, hat ein Fremdkapitalgeber keinen Anspruch an das Vermögen des Unter-
nehmens. Er hat immer nur Anspruch auf die Rückzahlung seiner Forderung und den
vertraglich vereinbarten Zins.
Anders als der Eigenkapitalgeber hat der Fremdkapitalgeber kein Recht auf Mit-
bestimmung. Allerdings lassen sich in der Praxis Fremdkapitalgeber in unterschied-
lichem Umfang Mitspracherechte einräumen. Hierfür gibt es unterschiedliche
Möglichkeiten, so kann der Fremdkapitalgeber über Covenants entsprechende Sanktio-
nen vereinbaren. Als mögliche Sanktionen kommen ein höherer Zinssatz oder die früh-
zeitige Fälligstellung der Forderung infrage. Sofern der Schuldner allen vertraglichen
Vereinbarungen nachkommt, hat der Gläubiger keine Möglichkeit, die Forderung früh-
zeitig fällig zu stellen. Aus diesem Grund ist Fremdkapital für Unternehmen, zeitlich
betrachtet, besonders gut planbar. Zinsen stellen steuerlich einen Aufwand dar. Des-
halb wirken sich Zinsen unmittelbar gewinnmindernd aus. Aus diesem Grund kann die
Fremdkapitalaufnahme bei Unternehmen auch aus steuerlichen Gründen erfolgen, um
die Steuerlast zu reduzieren.
Im Vergleich zum Eigenkapitalgeber hat der Fremdkapitalgeber kein unmittel-
bares Interesse am Unternehmen und dessen Dienstleistungen bzw. Produkten. Für den
Fremdkapitalgeber ist es ausschlaggebend, ob das Unternehmen in der Lage ist, seinen
4 Finanzierung 59
Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachzukommen. Aus diesem Grund ist der Umfang
für neues Fremdkapital begrenzt. Ein Unternehmen kann nur seiner Bonität und seinen
vorhandenen Sicherheiten entsprechendes Fremdkapital erhalten.
4.9 Außenfinanzierungsmöglichkeiten
Mit Blick auf den vorangegangenen Abschnitt ist ein rein fremdfinanziertes Unter-
nehmen per se ausgeschlossen, da dies ein zu großes Risiko für jegliche Fremdkapital-
geber darstellen würde. Es gibt keine genauen Vorgaben, wie das Verhältnis von
Eigenkapital zu Fremdkapital sein könnte. Allerdings gibt es verschiedene Regeln, die
die Relation versuchen zu optimieren. Die Eigenkapitalgeber fungieren demnach immer
als Risikokapitalgeber.
Allen voran stehen in diesem Zusammenhang die horizontalen Finanzierungsregeln.
Diese erfordern ein bestimmtes Verhältnis zwischen Vermögensstruktur und Kapital-
struktur. Demnach gibt es Empfehlungen, wie gewisse Vermögensgestände eines
Unternehmens finanziert sein sollten. Die sogenannte „Goldene Finanzierungsregel“
empfiehlt, dass Fremdkapital nur so lange zur Finanzierung von Vermögensgegenständen
verwendet werden sollte, wie diese Vermögensgegenstände dem Unternehmen zur Ver-
fügung stehen. Orientierungsgröße ist dabei immer die gewöhnliche Nutzungsdauer für
einen Vermögensgegenstand.
In der Praxis wird für die Kapitalstrukturierung oftmals auf die „Goldene Bilanz-
regel“ zurückgegriffen. Hierbei wird zwischen lang- und kurzfristigen Bindungen dif-
ferenziert. Demnach muss langfristig gebundenes Vermögen mit langfristigem Kapital
finanziert werden. Zum langfristig gebundenen Kapital zählt das gesamte Anlagever-
mögen. Hinzu kommen noch die langfristig gebundenen Teile des Umlaufvermögens.
Das langfristig gebundene Kapital soll möglichst mit Eigenkapital oder mit langfristigem
Fremdkapital finanziert werden. Ziel hierbei ist die Fristenkongruenz von Vermögens-
und Kapitalstruktur.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Außenfinanzierungsmöglichkei-
ten noch einmal konkret, so handelt es sich bei der Eigenfinanzierung immer um eine
Beteiligungsfinanzierung. Das Beteiligungskapital sollte vom Unternehmen immer für
die Finanzierung langfristig gebundenen Kapitals verwendet werden, d. h. zur Finan-
zierung von Anlagevermögen und langfristig gebundenem Umlaufvermögen (z. B. dem
sogenannten „eisernen Bestand“). Das Eigenkapital kann dann um langfristig zur Ver-
fügung stehendes Fremdkapital ergänzt werden. Hierfür kommen allen voran langfristige
Darlehen infrage oder beispielsweise Schuldscheindarlehen und Obligationen. Das nicht
langfristig gebundene Umlaufvermögen sollte mit kurzfristigem Fremdkapital finanziert
werden. Am Geld- und Kapitalmarkt können Unternehmen auf kurzfristige Bankkredite
zurückgreifen, welche sich gerade in Phasen niedriger Zinsen anbieten.
Zu diesen zählen u. a. Kontokorrentkredite, Diskontkredite, Lombardkredite,
Akzeptkredite oder Avalkredite. Unternehmen können im Bereich des kurzfristigen
60 E. Frère und A. Zureck
Fremdkapitals zudem auf Kredite aus dem Waren- und Leistungsverkehr zurückgreifen.
Beispiele hierfür sind Lieferantenkredite und Kundenkredite. Kundenkredite können
z. B. Anzahlungen oder Zahlungen in Vorkasse sein.
Generell können Unternehmen die Vermögens- und Kapitalstruktur optimieren, wenn
sie auf Sonderformen der Finanzierung zurückgreifen. Zu den Sonderformen der Finan-
zierung zählen u. a. das Leasing und Factoring. Beide Formen werden später detailliert
vorgestellt.
• Das erste Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Fristigkeit des Kapitals.
Es wird zwischen kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Fremdkapital unter-
schieden. Fremdkapital mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr ist kurzfristiges
Fremdkapital. Zum kurzfristigen Fremdkapital zählen beispielsweise Kontokorrent-
kredite, Kundenanzahlungen oder Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung. Für
Unternehmen, für die die Vorschriften des HGB gelten, ist die Fristigkeit für kurz-
fristiges Fremdkapital in § 268 Abs. 5 Satz 1 HGB festgehalten.
Die Fristigkeit für langfristiges Fremdkapital ist ebenfalls für die Unternehmen, für
die das HGB gilt, in § 285 Nr. 1 HGB geregelt. Demnach sind alle Verbindlichkeiten
mit einer Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren langfristiges Fremdkapital. Zum lang-
fristigen Fremdkapital zählen neben klassischen Bankdarlehen auch Rückstellungen.
Allen voran zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Pensionsrückstellungen,
die meist einen großen Anteil an den langfristigen Verbindlichkeiten eines Unter-
nehmens ausmachen. Neben den genannten Finanzierungsinstrumenten zählen auch
Schuldscheindarlehen und Anleihen zum langfristigen Fremdkapital.
Die Fristigkeit für mittelfristiges Fremdkapital ist im Gesetz nirgends explizit
genannt. Allerdings ergibt sich die Fristigkeit aus den zuvor genannten Fristigkeiten
für kurzfristiges und langfristiges Fremdkapital. Demnach hat mittelfristiges Fremd-
kapital eine Restlaufzeit zwischen einem und fünf Jahren.
• Das zweite Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Quelle des Kapitals.
Fremdkapital kann dem Unternehmen von unterschiedlichen Kapitalgebern zur Ver-
fügung gestellt werden. Der wichtigste Fremdkapitalgeber ist für die meisten Unter-
nehmen die Bank. Allerdings ist die Bank oft nicht der einzige Fremdkapitalgeber
eines Unternehmens. Viele Unternehmen nutzen zur Finanzierung auch von Liefe-
ranten eingeräumte Lieferantenkredite zur Finanzierung. Bezahlt ein Kunde im Vor-
aus oder leistet er eine Anzahlung für ein Produkt oder eine Dienstleistung erhält
das Unternehmen einen Kundenkredit. Ein Kundenkredit ist ebenfalls Fremdkapital.
Neben Banken können andere Unternehmen und auch Privatpersonen Darlehensgeber
sein. Insbesondere in Konzernen gewähren die einzelnen zum Konzern gehörenden
Tochterunternehmen sich oft untereinander Darlehen, da diese Art der Refinanzierung
meist günstiger ist, als eine entsprechende Refinanzierung über ausstehende
Dritte. In der Praxis kommt es zudem regelmäßig vor, dass das Unternehmen vom
Gesellschafter ein Darlehen gewährt bekommt. In diesem Fall stellt der Gesellschafter
als Privatperson dem Unternehmen einen Kredit zur Verfügung. Ein weiterer mög-
licher Finanzier für Unternehmen ist der Staat. Staatliche Kredite sind oft günstiger
als Kredite von Banken oder anderen Finanziers, da der Staat mit der Kreditvergabe
ein bestimmtes Ziel verfolgt. So kann es beispielsweise sein, dass der Staat eine
gewisse Branche oder Technologien vorantreiben oder gezielt Arbeitsplätze in einem
Unternehmen fördern möchte.
• Das dritte Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Verwendung des Kapi-
tals. Fremdkapital kann zur Beschaffung von Anlagevermögen, zur Beschaffung von
Umlaufvermögen oder zur Überbrückung mittel- oder langfristiger Finanzierun-
gen genutzt werden. Sofern das Fremdkapital der Beschaffung von Anlagevermögen
dient, handelt es sich um einen Investitionskredit. Investitionskredite sind meist lang-
fristige Verbindlichkeiten, die beispielsweise zur Maschinenfinanzierung genutzt wer-
den. Banken vergeben Investitionskredite nur, wenn ein Unternehmen entsprechende
Kreditsicherheiten zur Absicherung der Forderung stellen kann. Häufig ist das finan-
zierte Objekt selbst die entsprechende Sicherheit. Generell unterscheidet man bei
Kreditsicherheiten zwischen Personal- und Realsicherheiten. Zu den Personalsicher-
heiten zählen z. B. die Bürgschaft und Garantien. Zu den Realsicherheiten zählen der
Eigentumsvorbehalt, das Pfandrecht, die Sicherungsübereignung, die Sicherungs-
62 E. Frère und A. Zureck
Risiko bei allgemein steigenden Zinsen. Aus diesem Grund sollte ein Unternehmen
immer die allgemeinen Veränderungen des Zinsniveaus beachten, wenn neue Dar-
lehensverträge mit Kreditgebern geschlossen werden. Variable Zinssätze orientieren
sich an Leitzinssätzen, wie z. B. EURIBOR oder LIBOR.
• Das letzte Unterscheidungsmerkmal von Fremdkapital ist die Rückzahlung des
Fremdkapitals. Es gibt im Wesentlichen drei verschiedene Darlehensarten: End-
fälliges Darlehen, Tilgungsdarlehen und Annuitätendarlehen. Beim endfälligen Darle-
hen leistet der Kreditnehmer während der Laufzeit keine Tilgung. Die Zinslast bleibt
konstant, da sich die Restschuld während der Laufzeit nicht verändert. Die Zins-
zahlungen können dabei individuell vereinbart werden. Üblich sind monatliche oder
jährliche Zinszahlungen. Die Restschuld bildet generell die Basis für die Berechnung
des zu leistenden Zinses. Bei Tilgungsdarlehen bleiben während der Laufzeit die
Tilgungsleistungen konstant. Die Zinsbelastung sinkt über die Laufzeit, da mit jeder
Tilgungsleistung die Restschuld kleiner wird. Das Unternehmen hat zu Beginn des
Darlehens die größte Kapitallast zu tragen. Zum Ende des Darlehens ist die Belastung
gering, da die Restschulden immer kleiner werden und damit nur noch wenige Zin-
sen gezahlt werden müssen. In der Praxis werden am häufigsten Annuitätendarlehen
vergeben. Bei Annuitätendarlehen bleiben die zu zahlenden Raten über die Laufzeit
konstant. Man spricht hier von einer gleichbleibenden Annuität. Die Annuität umfasst
alle Zins- und Tilgungsleistungen für ein Jahr, sodass die Annuität also die Jahres-
rate bildet. Zu Beginn ist der Zinsanteil bei einem Annuitätendarlehen deutlich höher
als der Tilgungsanteil. Da die Zinsen bei einem Annuitätendarlehen ebenfalls auf der
noch verbleibenden Restschuld basieren, nimmt der Zinsanteil während der Laufzeit
ab, währenddessen der Tilgungsanteil immer größer wird.
4.11 Kreditfinanzierungsprozess
Kreditzinssatzes. Die Ratingnote ist eine Aussage über die zukünftige Fähigkeit eines
Unternehmens, seinen Zahlungsverpflichtungen für Zins und Tilgung vollständig und
termingerecht nachzukommen. Die ermittelte Ratingnote spiegelt die Ausfallwahrschein-
lichkeit wider.
Im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung werden kreditstrukturspezifische und
kreditnehmerspezifische Risikokomponenten genauer betrachtet. Die Kreditstruktur hat
direkten Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit. Im Rahmen der kreditstrukturspezi-
fischen Überprüfung werden vier verschiedene Parameter genauer betrachtet: Ausfall-
wahrscheinlichkeit des Kredits, Verlust bei Ausfall, ausstehende Forderung bei Ausfall
und die Laufzeit des Darlehens. Bei der kreditnehmerspezifischen Überprüfung werden
sowohl qualitative als auch quantitative Faktoren berücksichtigt. Qualitative Faktoren
sind im Wesentlichen Eigenschaften des Kreditnehmers, die nicht zählbar sind. Hierzu
zählen z. B. der Unternehmensstandort oder die Managementqualifikationen. Quantita-
tive Faktoren sind zählbare Faktoren, wie z. B. Umsätze oder Erträge.
Nach der Kreditwürdigkeitsprüfung erhält das Unternehmen, sofern durch das Rating
begründet, eine schriftliche Kreditzusage. Die Kreditzusage enthält meistens noch ein-
mal zusammenfassend die wesentlichen Rahmendaten. Nach der Kreditauszahlung
beginnt die Kreditkontrolle. In regelmäßigen Abständen überprüft die Bank, ob sich
wesentliche Rahmenbedingungen seit der Kreditvergabe verändert haben. Die Bank kann
so frühzeitig auf Veränderungen reagieren und im Rahmen der Kreditüberwachung auf
verschiedene Maßnahmen zur Rettung zurückgreifen. Zunächst kann die Bank mit dem
Unternehmen über die veränderte Situation sprechen. Die Ursachen können so identi-
fiziert und angegangen werden. Sofern die bei der Kreditgewährung hereingenommenen
Kreditsicherheiten an Wert verloren haben, kann die Bank eine Nachbesicherung des
Darlehens verlangen. In jedem Falle ist es jedoch ratsam für eine Bank, konstruktiv mit
dem Unternehmen an einer Lösung zu arbeiten. Weder die Bank noch das Unternehmen
haben etwas von einer Insolvenz des Unternehmens. Die Bank erhält oftmals im regulä-
ren Insolvenzverfahren nur einen Bruchteil des Kreditbetrags zurück.
4.12 Kreditzinssatz
Banken vergeben Kredite an Unternehmen und erhalten dafür Zinsleistungen. Der Zins-
satz hängt dabei von den Bedingungen am Geld- und Kapitalmarkt (Verhältnis von
Angebot und Nachfrage nach Kapital) ab. Weitere wesentliche Einflussfaktoren sind die
Kreditlaufzeit und das unternehmensspezifische Ausfallrisiko. Im Ergebnis entspricht der
Zinssatz dem Preis für das zu leihende Geld.
Der Kreditzinssatz hängt von diversen Faktoren ab. Die Basis der Zinssatzkalkulation
bildet dabei der risikolose Fremdkapitalkostensatz. Der risikolose Fremdkapitalkosten-
satz beinhaltet u. a. die Inflationsprämie und die Laufzeitrisikoprämie. Der risikolose
Zinssatz spiegelt die Rendite wider, die ein Investor ohne ein Risiko einzugehen erzielen
kann. Für die Zinskalkulation wird ein fristenkonformer Marktzinssatz verwendet. Die
Frist richtet sich nach der Kreditlaufzeit.
4 Finanzierung 65
Neben dem risikolosen Zins hat die Kundenbonität einen wesentlichen Einfluss auf
den Kreditzinssatz. Die Kundenbonität umfasst die Standardrisikokosten und die Eigen-
kapitalkosten. Die Kundenbonität hängt vor allem durch die zur Verfügung stehenden
Sicherheiten, vom Kreditnehmer akzeptierten Covenants und dem Rating eines Unter-
nehmens ab. Umso schlechter das Rating ist, desto höher sind die Standardrisikokosten.
Verschiedene quantitative und qualitative Faktoren wirken sich auf das Unter-
nehmensrating aus. Ein wichtiger Faktor im Bereich der quantitativen Faktoren ist der
Cashflow, der Auskunft über die Liquiditätslage des Unternehmens gibt. Der Cashflow
zeigt an, ob das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.
Ergänzend zu Liquiditätskennzahlen werden für das Rating Rentabilitätskennzahlen
herangezogen. Beispiele sind hier die Umsatzrentabilität, Eigenkapitalrentabilität oder
Gesamtkapitalrentabilität.
Ein weiterer das Unternehmensrating beeinflussender Faktor ist das Working Capi-
tal, welches eine wesentliche Kennzahl ist. Bei der Berechnung werden vom Umlauf-
vermögen die kurzfristigen Verbindlichkeiten abgezogen. Das Working Capital zeigt
somit an, wie viel vom Umlaufvermögen langfristig finanziert ist. Insbesondere kapital-
intensive Unternehmen sollten nicht ihr gesamtes Umlaufvermögen kurzfristig finanzie-
ren, da ihre Kapitalkosten in Krisenzeiten möglicherweise stark steigen können. Zudem
sollte das Unternehmen in Krisenzeiten über eine solide Eigenkapitalbasis verfügen.
Eine Kennziffer für die Eigenkapitalbasis ist die Eigenkapitalquote. Sie sollte im Durch-
schnitt vor allem bei kleineren Unternehmen bei mindestens 25 % liegen.
Neben den quantitativen Faktoren spielen qualitative Faktoren beim Rating eine wich-
tige Rolle. Hierunter fallen alle nicht oder nur eingeschränkt messbaren Kennzahlen.
Deren genauer Einfluss auf das Rating ist nur schwer im Detail zu beziffern. Der Ein-
fluss auf die Ratingnote hängt vom Unternehmen und der Bank selbst ab.
Sobald die Bank einen Kredit auszahlt, steht ihr der Betrag nicht liquide zur Verfügung.
Sie muss sich daher in der Regel selbst neues Kapital beschaffen. Dieses fließt ebenfalls in
Form der Liquiditätsrisikoprämie mit in die Kalkulation des Kreditzinssatzes ein.
Des Weiteren muss bei der Kalkulation des Zinssatzes die Bankeffizienz berück-
sichtigt werden. Die Bank muss entsprechende Deckungsbeiträge zur Finanzierung des
Bankbetriebs, wie z. B. Ausgaben für die Geschäftsräume, erwirtschaften.
Zuletzt möchte die Bank mit der Kreditvergabe einen Gewinn erwirtschaften. Aus
diesem Grund wird nun noch eine Gewinnmarge in den Kreditzinssatz einkalkuliert. Die
Gewinnmarge ist oftmals der einzige Bestandteil des Kreditzinssatzes, über den der Ban-
ker mit dem kreditsuchenden Unternehmen verhandeln kann. Alle anderen Faktoren die-
nen im Wesentlichen der Kostendeckung der Bank.
Unternehmen erhalten Fremdkapital nicht nur von Banken. Kunden und Lieferanten kön-
nen ebenfalls als Kreditgeber fungieren. Kundenkredite und Lieferantenkredite sind in
der Regel kurzfristige Kredite und zählen zu den Handelskrediten. Um welche Kreditart
66 E. Frère und A. Zureck
es sich handelt, hängt von der Lieferung und der Bezahlung ab. Sofern die Bezahlung
nach der Lieferung erfolgt, ist der Handelskredit ein Lieferantenkredit. Erfolgt die
Bezahlung der Ware oder Dienstleistung schon vor der Lieferung, so handelt es sich um
einen Kundenkredit.
Anzahlung, Teilzahlung, Vorkasse oder Vorauszahlung sind Beispiele für einen
Kundenkredit. Bei einem Kundenkredit erhält der Lieferant bereits vor der Liefe-
rung einen Teil des Kaufpreises. Kundenkredite kommen häufig bei Auftragsprodukten
und Großprojekten vor und sind für den Lieferanten eine Finanzierungshilfe. In man-
chen Fällen fordert ein Lieferant vom Kunden Vorkasse, da die Bonität des Kunden für
alternative Zahlarten zu schlecht ist. Die Vorkasse stellt eine gute Absicherung gegen-
über Zahlungsausfällen von Kunden mit schlechter Bonität dar. Prinzipiell sind Kunden-
kredite in der Praxis jedoch selten.
Der Kundenkredit hat mehrere Vorteile. Eine Zwischenfinanzierung kann entfallen,
sodass das Unternehmen weitere Einsparungen realisiert. In Abhängigkeit von der Ver-
handlungsmacht des Kreditnehmers, kann ein Kundenkredit sehr schnell gewährt
werden. Ein Grund hierfür ist die Formlosigkeit des Kundenkredits. Ein gewährter
Kundenkredit kann für gewöhnlich nicht gekündigt werden. Der Kundenkredit hat somit
eine Finanzierungsfunktion und vermindert das unternehmerische Risiko. Neben den
Vorteilen bestehen beim Kundenkredit auch gewisse Nachteile. Sofern ein Unternehmen
auf einen Kundenkredit zurückgreifen möchte, wird es für seine Produkte und Dienst-
leistungen möglicherweise nur einen geringeren Preis erzielen. Im Vergleich zu ande-
ren Finanzierungsmöglichkeiten sind die Kapitalkosten relativ hoch. Zudem besteht die
Gefahr, dass das Unternehmen abhängig von seinen Kunden wird.
Lieferung gegen Rechnung, Kauf auf Ziel oder Kaufpreisstundung sind Beispiele für
einen Lieferantenkredit. Bei einem Lieferantenkredit erhält der Kunde zunächst die Ware
oder Dienstleistung, bevor er sie bezahlen muss. In Deutschland und der europäischen
Union haben Kunden normalerweise 30 Tage Zeit die Rechnung zu bezahlen. Lieferan-
ten räumen Kunden, die die Rechnung schneller bezahlen, häufig Skonto ein. Kunden,
die ihre Rechnung binnen zehn oder 14 Tagen begleichen, erhalten vom Lieferanten
die Möglichkeit, Skonto vom Rechnungsbetrag abzuziehen. Das Skonto entspricht den
normalerweise anfallenden Zinsen. Lieferantenkredite sind im Vergleich zu anderen Kre-
diten teuer.
Folgendes Beispiel veranschaulicht die Kosten eines Lieferantenkredites.
„Ein Lieferant schreibt in seine Rechnungen: Zahlungsbedingungen: 10 Tage mit
2 % Skonto oder 30 Tage netto“. Ein Kunde hat Waren mit einem Rechnungsbetrag von
100.000 EUR erhalten und überlegt, wann er bezahlen soll. Wie hoch ist der Zinssatz
dieses Lieferantenkredites?“ Die Antwort finden Sie in Abb. 4.6.
Ähnlich wie beim Kundenkredit bestehen auch beim Lieferantenkredit gewisse
Vor- und Nachteile. Die Kreditgewährung beim Lieferantenkredit ist ebenfalls schnell.
Gründe hierfür sind die Bequemlichkeit, die Formlosigkeit und die einfache Kredit-
prüfung. Die meisten Lieferantenkredite sind durch einen Eigentumsvorbehalt
4 Finanzierung 67
Abb. 4.6 Beispielrechnung
für einen Lieferantenkredit
4.14 Kontokorrentkredit
4.15 Avalkredit
Der Avalkredit ist kein Kredit im klassischen Sinne. Im Gegensatz zu einem klassischen
Kredit erhält das Unternehmen bei einem Avalkredit keine Zahlungsmittel. Das Kredit-
institut verbürgt sich für das Unternehmen und somit werden Zahlungsansprüche Drit-
ter gegen das Unternehmen besichert. Das Kreditinstitut erhält für die Bürgschaft bzw.
Garantie eine Provision. Weitere Kosten entstehen für das Unternehmen nicht, sofern
das Unternehmen allen Verpflichtungen nachkommt. Demnach ist der Avalkredit eine
Kreditleihe und keine Geldleihe. Normalerweise erhalten nur Unternehmen mit einer
erstklassigen Bonität einen Avalkredit. Aus diesem Grund steigt das Vertrauen in Unter-
nehmen, die von ihrer Bank einen Avalkredit gestellt bekommen.
In der unternehmerischen Praxis sind Avalkredite insbesondere bei Importgeschäften
von Bedeutung. Die Bank verbürgt sich beispielsweise gegenüber den Zollbehörden,
damit das Unternehmen keinen direkten Liquiditätsabfluss für importbezogene Auf-
wendungen hat. Der Avalkredit offeriert dem Unternehmen somit die Möglichkeit, Zölle
oder Steuern für den Import später zu bezahlen.
Die Provision für den Avalkredit kann von der Bank individuell festgesetzt werden.
Im Allgemeinen liegt die Avalprovision zwischen einem Prozent und 3,5 % pro Jahr.
Im Gegensatz zu Zinsen ist die Avalprovision in der Regel bei Kreditzusage fällig. Die
Schnelligkeit der Kapitalbeschaffung ist beim Avalkredit sehr hoch, da keine direkte
4 Finanzierung 69
4.16 Factoring
Das Unternehmen erbringt eine Dienstleistung oder verkauft ein Produkt, sodass das
Unternehmen eine Forderung gegenüber seinem Kunden hat. Anstatt darauf zu war-
ten, dass der Kunde die Forderung begleicht, verkauft das Unternehmen die Forde-
rung an eine Factoring-Gesellschaft. Alle aus der Forderung resultierenden Rechte und
Pflichten gehen in der Regel mit dem Verkauf auf die Factoring-Gesellschaft über. Das
Unternehmen erhält einen Teil der Forderung direkt und verbessert dadurch die eigene
Liquiditätslage.
Es gibt verschiedene Arten des Factorings. Beim offenen Factoring informiert das
Unternehmen seinen Kunden, dass die Forderung an eine Factoring-Gesellschaft ver-
kauft wird. Beim stillen Factoring wird der Kunde nicht über den Verkauf der Forde-
rung informiert. Ein Unternehmen, z. B. ein Zahnarzt, hat eine offene Forderung
gegenüber seinem Patienten, dem Schuldner. Der Zahnarzt verkauft diese Forderung an
die Factoring-Gesellschaft. Diese wird zum neuen Gläubiger des Schuldners, also dem
Patienten des Zahnarztes. Beim offenen Factoring leistet der Patient seine Zahlungen
nicht an den Zahnarzt, sondern an die Factoring-Gesellschaft. Beim stillen Factoring
leistet der Patient seine Zahlungen an den Zahnarzt. Der Zahnarzt leitet die Zahlungen
wiederum an die Factoring-Gesellschaft weiter.
Es gibt im Wesentlichen drei Funktionen des Factorings: Delkrederefunktion, Dienst-
leistungsfunktion und Finanzierungsfunktion. Das Factoring ist eine umsatzkongruente
Finanzierung. Sobald ein Unternehmen eine offene Forderung gegenüber einem Kunden
hat, fließt dem Unternehmen Liquidität zu. Das Unternehmen muss nicht darauf warten,
dass eine Forderung später beglichen wird und es erst dann einen Umsatz verbuchen
kann. Nachdem die Factoring-Gesellschaft die Forderung des Unternehmens angekauft
hat, zahlt sie normalerweise binnen weniger Tage dem Unternehmen einen Teil der For-
derung aus. Für gewöhnlich behält die Factoring-Gesellschaft 5 bis 20 % der Forderung
als Sicherheitsabschlag ein. Der Sicherheitsabschlag verbleibt auf einem Sperrkonto und
wird dem Unternehmen nach Begleichung der Rechnung durch den Debitor oder dem
Eintritt des Delkrederefalles gutgeschrieben. Die Gutschrift erfolgt zwischen 90 und
120 Tagen nach Fälligkeit der Forderung. Dies umschreibt die Finanzierungsfunktion des
Factorings. Das Unternehmen erhält schnell Liquidität, die schnell wieder in den Unter-
nehmensprozess einfließen kann.
70 E. Frère und A. Zureck
Eine Factoring-Gesellschaft kauft für gewöhnlich nicht jede Forderung an. Die Bonität
des Schuldners sowie dessen Kunden werden bei jeder Forderung überprüft. Die Bonitäts-
prüfung ist hierbei vergleichbar mit der Bonitätsprüfung im Zuge einer normalen Kredit-
vergabe. In Summe spielt sowohl die Bonität des Unternehmens als auch die Bonität der
Kunden des Unternehmens eine Rolle, ob ein Forderungsverkauf möglich ist oder nicht.
Das Delkredererisiko ist das Forderungsausfallrisiko. Beim echten Factoring über-
nimmt das Delkredererisiko die Factoring-Gesellschaft. In jenem Fall, dass der Schuld-
ner seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, trägt nicht das Unternehmen
das Forderungsausfallrisiko, sondern die Factoring-Gesellschaft. Aufgrund des Risiko-
transfers ist das echte Factoring deutlich teurer als das unechte Factoring. Das unechte
Factoring ist somit eher ein normales Kreditgeschäft.
Das Unternehmen kann mit der Factoring-Gesellschaft vertraglich vereinbaren, dass
weitere Leistungen neben dem reinen Forderungsverkauf übernommen werden. Das
Unternehmen kann auf diese Art und Weise den Verwaltungsaufwand im eigenen Unter-
nehmen reduzieren. Factoring-Gesellschaften übernehmen in der Praxis beispielsweise
die Debitorenbuchhaltung inklusive der Rechnungsstellung, das Mahnwesen und das
Inkasso.
Das Unternehmen zahlt für das Factoring an die Factoring-Gesellschaft ein Entgelt.
Das Entgelt umfasst Sollzinsen, eine Risikoprämie und eine Factoring-Gebühr. Das Ent-
gelt hängt dabei von der Bonität des Unternehmens und dessen Kunden, der in Summe
verkauften Forderungen und den durch die Factoring-Gesellschaft übernommenen
zusätzlichen Dienstleistungen ab.
Zusammenfassend bietet das Factoring-Unternehmen mehrere Vorteile. Das Unter-
nehmen kann schneller arbeiten, da die Refinanzierung schneller erfolgt. Dies fördert
u. a. die Rentabilität, da das Unternehmen seine Kapazitäten besser ausschöpfen kann.
Ja nachdem welche zusätzlichen Dienstleistungen von der Factoring-Gesellschaft
übernommen werden, kann das Unternehmen im Verwaltungsbereich umfangreiche
Einsparungen erzielen. Zudem verbessert sich augenscheinlich die Bilanz des Unter-
nehmens, da der Forderungsbestand verringert und die Liquiditätsposten verbessert wer-
den. Den Vorteilen stehen wenige Nachteile gegenüber. Das Unternehmen gibt sich in
eine gewisse Abhängigkeit von der Factoring-Gesellschaft. Zudem sind viele Kunden mit
einem Forderungsverkauf nicht einverstanden, sodass die Kundenbeziehung durch Facto-
ring leiden kann. Viele Kunden schließen aus diesem Grund generell einen Forderungs-
verkauf in ihren AGBs aus.
4.17 Leasing
Leasing ist ein Fremdfinanzierungsinstrument. Das Leasing ist ein mietähnliches Ver-
hältnis, das die Nutzung von Investitionsgütern und Konsumgütern umfasst. Beim
Leasing erhält das Unternehmen direkt keine Zahlungsmittel in Form eines Kredits.
Allerdings werden dem Unternehmen die Leasingobjekte zur Nutzung überlassen. Aus
4 Finanzierung 71
Fall, wenn die Leasinggesellschaft eine große Menge eines Leasingobjekts erwirbt.
Zum anderen verfügen die meisten Leasinggesellschaften über einen guten Zugang zum
Kapitalmarkt, sodass die Finanzierungskosten für die Leasinggesellschaft oftmals niedri-
ger als für den Einzelkunden sind.
Eine Sonderform des Leasings ist Sale-and-lease-back. Sale-and-lease-back spielt im
Besonderen mit Blick auf Immobilien eine wichtige Rolle. Ein Unternehmen verkauft
hierbei seine Immobilie und erhält dafür Liquidität. Je nachdem wie lange die Immobilie
im Eigentum des Unternehmens ist, deckt das Unternehmen mit dem Verkaufserlös
gegebenenfalls stille Reserven auf. Für den über dem Buchwert liegenden Teil des Ver-
kaufserlöses muss das Unternehmen Steuern zahlen. Unmittelbar nach dem Verkauf der
Immobilie mietet das Unternehmen die Immobilie langfristig zurück. Somit wird das
Unternehmen beim Sale-and-lease-back Mieter der Immobilie, die es vorher als Eigen-
tümer besaß.
Das Leasing bietet dem Unternehmen generell den Vorteil, dass die Leasingrate als
Aufwand angesetzt werden kann. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das Leasing-
objekt beim Leasinggeber bilanziert wird (Operate Leasing). Das Unternehmen benötigt
allerdings insgesamt weniger Kredite und liquide Mittel. Aus diesem Grund erhöht es
in Summe optional seinen Finanzierungsspielraum und damit seine allgemeine Unter-
nehmensauslastung. In der Leasingrate sind oftmals noch Zusatzleistungen inkludiert.
Hierzu zählt u. a. die Wartung des Leasingobjekts.
Da die Leasinggesellschaft das Leasingobjekt bestmöglich gegen einen Wertverlust
schützen muss, sind oftmals die Zusatzkosten für das Leasing recht hoch. Das führt im
Wesentlichen dazu, dass die Ausgaben für Leasing oft höher als für eine Eigen- bzw.
Fremdfinanzierung sind. Zudem verringert sich der Handlungsspielraum für das Unter-
nehmen, da es an den Leasingvertrag gebunden ist.
Literatur
Weiterführende Literatur
Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère lehrt an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management seit 1998 insbesondere Finanzwirt-
schaft, Corporate Finance, International Entrepreneurship und Inter-
national Finance. Er ist Dekan im Fachbereich BWL II sowie
Direktor des isf Institute for Strategic Finance der FOM Hochschule.
Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Eric
Frère Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre an der Julius-
Maximilians-Universität in Würzburg und der Albertus-Mag-
nus-Universität zu Köln. Anschließend promovierte er an der
Ruhr-Universität Bochum am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik beim
seinerzeitigen Präsidenten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.
Nach Tätigkeiten beim Credit Commercial de France (CCF),
Bayer UK und Bankhaus Lampe KG ist er seit mehr als 20 Jah-
ren selbstständiger Unternehmensberater für Corporate Finance
und Asset Management. In dieser Funktion hat er u. a. mehrere
Börsengänge im geregelten Markt platziert und Venture-Capital-/
Private-Equity-Finanzierungen sowie strukturierte Finanzierungen
realisiert. Er ist Mitglied einiger Aufsichtsräte und Beiräte.
2001 wurde er zum Professor berufen und erhielt 2012 an der
University of West Hungary in Sopron seine Habilitation. 2016
erhielt er die Ehrendoktorwürde Dr. h.c. von der Universität Banja
Luka.
P. Kürble (*)
FOM Hochschule, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 75
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_5
76 P. Kürble
Inhaltsverzeichnis
5.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Marketingkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
5.2.1 Situationsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5.2.2 Erarbeitung der strategischen Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
5.2.2.1 Formulierung von Marketingzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
5.2.2.2 Entwicklung von Marketingstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
5.2.2.3 Kalkulation des Marketingbudgets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5.2.2.4 Festlegung und Umsetzung der Einzelmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.2.2.5 Produktpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.2.2.6 Kontrahierungspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5.2.2.7 Distributionspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.2.2.8 Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
5.2.3 Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
5.1 Einleitung
Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Marketingkonzept. Der Begriff-
lichkeit des Konzepts folgend handelt es sich hierbei um einen Entwurf, die Skizzierung
eines Vorhabens, mithin einen groben Plan. Dieser grobe Plan ist in Abb. 5.1 dargestellt.
In der ersten Phase, der Situationsanalyse, findet die Beschreibung des unter-
nehmerischen Umfeldes statt. Damit wird der Idee gefolgt, dass das Angebot eines Pro-
duktes oder einer Dienstleistung im Markt nur dann erfolgreich sein kann, wenn dem
Unternehmen dieser Markt und die dort vorherrschenden ökonomisch relevanten Fakto-
ren vorab bekannt sind und es sein Angebot daran entsprechend anpassen kann. Diese
Gedankenfolge wird auch als Market-based View bezeichnet und Michael E. Porter zählt
zu seinen prominentesten Vertretern.
Aufbauend auf diese Analyse, die eher einen kontinuierlichen denn einen diskreten
Verlauf haben soll, um zu überprüfen, ob sich die Rahmenbedingungen für das Unter-
nehmen vielleicht verändert haben, findet im Rahmen von Phase zwei die Erarbeitung
der strategischen Grundlagen statt. In diesem Zusammenhang geht es
In der dritten Phase, der Durchführungsphase, werden die für die Zielerreichung not-
wendigen Maßnahmen bestimmt, die im Marketing als marketingpolitische Instru-
5 Marketingkonzepte 77
aus, dass es sich um Verkäufermärkte handelte. Daher bestand die Problematik weni-
ger darin, sich im intensiven Wettbewerb der Produktinnovationen und des Information
Overloads zu bewegen, als vielmehr darin, möglichst optimale Lösungen für die Zur-
verfügungstellung von Waren finden zu können. Seit dieser Zeit hat sich die Situation
auf den Märkten insofern gewandelt, als fast ausschließlich internationale, fragmentierte
Käufermärkte vorzufinden sind, auf denen Unternehmen unter hohem Wettbewerbsdruck
kundenorientiert tätig sind. Darüber hinaus reagieren auch die Kunden selbst nicht mehr
so homogen, wie es in früheren Zeiten der Fall war. So wird heute oft vom sogenannten
hybriden Konsumenten gesprochen, der dann, wenn es ihm richtig und wichtig erscheint,
eine am Preis orientierte Kaufentscheidung fällt und eher der Maxime Geiz ist geil folgt.
In anderen Situationen richtet er sich gerade nicht nach dem Preis, sondern möglicher-
weise nach dem Image eines Produktes und ist bereit, dafür viel Geld auszugeben. Das
geflügelte Wort vom Porschefahrer, der bei Aldi einkauft, kann stellvertretend für die-
ses Phänomen angebracht werden. Wichtig ist an dieser Stelle aber, dass es auch der
Hartz-4-Empfänger sein kann, der sich eine Dauerkarte seines Lieblingsvereins kauft.
Hybride Konsumenten sind also nicht nur unter den wohlhabenden Kunden zu finden,
sondern auch unter denen, die am Existenzminimum leben.
Vor diesem Hintergrund hat sich auch das Betätigungsfeld des Marketings deutlich
ausgeweitet, sodass als eine mögliche aktuelle Definition des Marketings Folgendes fest-
gehalten werden kann: „Marketing is the activity, set of institutions, and processes for
creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for cus-
tomers, clients, partners, and society at large“ (American Marketing Association 2012).
Auf der Grundlage dieser Definition lassen sich folgende Merkmale des Marketings
ableiten:
gesetzt, sondern es deutlich ausgeweitet auf die Kundenbindung und mögliche -rück-
gewinnung.
Dementsprechend ist für das Unternehmen nicht mehr allein die Frage relevant, wel-
ches Preis-Leistungs-Verhältnis sinnvoll zu sein scheint, sondern auch, in welcher Form
eine Interaktion mit dem (potenziellen) Kunden stattfinden kann. Insbesondere in der
heutigen Zeit der mobilen Endgeräte wird davon ausgegangen, dass der Kunde über
mehrere Kommunikationskanäle angesprochen werden kann und seine Produkte über
mehrere Kanäle beziehen möchte. Dies fordert Unternehmen ein hohes Maß an Flexibili-
tät in der Interaktion ab. Insbesondere die sozialen Netzwerke im Rahmen des Internets
zeigen, dass Unternehmen mit den Kunden in Dialog treten müssen (siehe hierzu Kürble
und Lischka 2018). Während offline lediglich ein Monolog in eine Richtung möglich ist,
das Unternehmen also beispielsweise über einen TV-Werbespot Kontakt mit dem Kun-
den aufnimmt, kann der Kunde online und von sich aus Kontakt mit dem Unternehmen
aufnehmen. Damit ist das Unternehmen gefordert, eine entsprechende zeitliche und
inhaltliche Flexibilität aufrecht zu erhalten. Auch wenn die Bedeutung sogenannter Shit-
storms im Internet nicht überschätzt werden sollte, ist es doch angeraten, geäußerte nega-
tive Kritik ernst zu nehmen und darauf zu reagieren.
Schließlich wirkt sich diese Entwicklung auch auf die ökonomischen Erfolgs- und
Steuerungsgrößen aus: Wenn Kunden immer differenzierter betrachtet werden müssen,
dann muss sich dies in der Berechnung des Erfolgs deutlich machen: Ein hohes Maß
5 Marketingkonzepte 81
lassen sich neben den monetären Kosten, also im einfachsten Fall der auf dem Produkt
befindliche Kaufpreis, auch Kosten für die Zeit identifizieren, die ökonomisch gerne als
Opportunitätskosten bezeichnet und schließlich Kosten für den psychischen und physi-
schen Aufwand der Beschaffung. Damit sind zum einen die nervlichen Anstrengungen
gemeint, die der Kunde aufbringen muss, um das Produkt kaufen zu können und
andererseits die körperlichen Kosten, die bisweilen darin bestehen, ein Mobiltelefon zu
halten und die zum Kauf notwendigen Daten per Zeigefinger einzutippen. Das Bewusst-
machen insbesondere der letzten beiden Kosten kann dazu führen, dass das Unternehmen
über Möglichkeiten der Reduzierung dieses Beschaffungsaufwandes nachdenkt, die vor-
her so nicht diskutiert worden sind. Es zeigt sich heutzutage in hohem Maße, dass Unter-
nehmen versuchen, insbesondere den physischen und psychischen Aufwand des Kunden
zu reduzieren, mithin das Einkaufen dadurch angenehmer machen, dass beispielsweise
die Waren zugesandt werden. Dies ist ein Grund, warum der Einkauf über das Internet
boomt und Unternehmen wie Amazon in Deutschland einen Umsatz generieren, der noch
vor dem von Rossmann, Ikea, Karstadt oder Tchibo liegt (EHI 2012).
Diesen Kosten steht der Nutzen gegenüber, den der Kunde aus dem Gebrauch des
Produktes zieht.
Hier spielt zum einen das Produkt selbst eine Rolle, denn letztlich kauft ein Kunde ein
Produkt genau deswegen, weil es einen bestimmten Nutzen erfüllt. Die zuvor erwähnte
Banane würde beispielsweise den Hunger stillen und damit ein gewisses Niveau an Nut-
zen aus sich selbst heraus erfüllen. Über das eigentliche Produkt hinaus kann Nutzen
zum einen durch das Image des Produktes generiert werden, weswegen Unternehmen
sehr oft versuchten, einen Markennamen für ein Produkt zu etablieren. Zum anderen
können sowohl produktbegleitende Dienstleistungen als auch der damit verbundene Mit-
arbeiterkontakt im Verkauf den Nutzen eines Produktes deutlich steigern. Als Beispiel
für produktbegleitende Dienstleistungen seien Beratungen genannt, die durch das Per-
sonal vor, während oder nach dem Kauf stattfinden können. Andererseits stellt auch der
5 Marketingkonzepte 83
Mitarbeiter selbst ein Nutzenpotenzial dar, wenn er beispielsweise über das vom Kunden
benötigte Know-how und/oder Empathie verfügt und es dem Mitarbeiter damit gelingt,
eine persönliche Beziehung zum Kunden aufzubauen. Insbesondere bei Geschäftskunden
ist dies ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Die bereits angesprochene grundlegende Eigenschaft eines Produktes, die diesem
innewohnt und derentwegen ein Kunde ein Produkt kauft, erzeugt den Grundnutzen: Die
erwähnte Banane sättigt. Dies ist eine inhärente Eigenschaft, mit der sich das Bedürf-
nis des Hungers stillen lässt. Darüber hinaus gehende Eigenschaften, die andere Bedürf-
nisse erfüllen, werden als Zusatznutzen bezeichnet. So kann es für den Kunden wichtig
sein, eine bestimmte Banane einer bestimmten Firma kaufen zu wollen, weil er damit
möglicherweise eine bestimmte Qualität verbindet. Würde diese Banane zusätzlich noch
nachhaltig angebaut werden und unter fairen Arbeitsbedingungen geerntet werden, so
könnte es sogar sein, dass der Kunde nicht nur für sich selber einen Zusatznutzen daraus
zieht, weil er sein Gewissen beruhigt, sondern der Kauf eines solchen Obstes auch einen
sozialen Nutzen erzielt, der eine Symbolwirkung auf andere Kunden hat. Der Vertrieb
ökologisch nachhaltig angebauter oder fair gehandelter Produkte funktioniert genau nach
diesem Prinzip. Mitunter ist die Problemlösungseigenschaft des Produktes, also sein
Grundnutzen, geringer als bei anderen Produkten. Dieser Nachteil wird aber durch einen
Vorteil beim Zusatznutzen aufgewogen. Das Fairphone beispielsweise mag vielleicht
nicht so viele Basisfunktionen besitzen wie andere Smartphones. Dafür zeichnet es sich
aber dadurch aus, dass alle Bauteile durch den Kunden austauschbar sowie im Vergleich
mit Komponenten von Konkurrenzprodukten langlebig sind und den Mitarbeitern in den
Produktionsstätten eine faire Entlohnung zuteilwird (fairphone 2015).
Die Unterscheidung nach verschiedenen Nutzen, die von Produkten erfüllt werden
können, macht auch deutlich, dass es durchaus Situationen geben kann, in denen die
persönliche Einschätzung des Zusatznutzens wichtiger ist als die des Grundnutzens.
Das Kaufverhalten des zuvor bereits angesprochenen hybriden Konsumenten lässt sich
dadurch weitgehend erklären: Je nach Einschätzung des Produktes wird entweder der
Grundnutzen oder der Zusatznutzen für die Entscheidung relevant. Wer ein teures Auto
fahren möchte, achtet beim Autokauf eher auf den Zusatznutzen, wer ein preiswertes
Auto fahren möchte, eher auf den Grundnutzen. Aus Sicht des Marketings findet an die-
ser Stelle keine Bewertung der verschiedenen Kaufverhalten statt: Subjektives Nutzen-
empfinden entzieht sich einer objektiven Bewertung. Das Marketing kann Kenntnisse
über individuelle Einschätzungen aber für die zielgerechte Vermarktung des Produktes
nutzen. Nach der Darstellung der wesentlichen marketingtechnischen Grundlagen wird
nun das Marketingkonzept in Gänze vorgestellt.
5.2 Marketingkonzept
Das Marketingkonzept versteht sich, wie in Abschn. 5.1 bereits angedeutet, als ein skiz-
zierter Plan, also eine grundlegende Orientierung in Bezug auf das, was im weiteren Ver-
lauf detailliert festgelegt werden muss. Das Ziel eines Marketingkonzepts besteht darin,
84 P. Kürble
dem weiteren Vorgehen eine durchdachte Grundlage zu geben, einen roten Faden aufzu-
zeigen und durch die logische Ableitung der unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden
Schritte eine spätere Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur zu ermöglichen.
Im Folgenden werden nun die einzelnen Phasen des Marketingkonzepts vorgestellt.
Dabei muss das Ziel der Darstellung im Rahmen dieses Aufsatzes sein, einen Überblick
zu geben und die einzelnen Schritte grob vorzustellen, ohne dabei auf jeden Aspekt im
Einzelnen eingehen zu können. Die Komplexität der Thematik würde genügend Raum
lassen, um ganze Bibliotheken zu füllen. Für eine vertiefende Darstellung sei deshalb auf
die angegebene weiterführende Literatur verwiesen.
5.2.1 Situationsanalyse
Der Vorteil der Lebensstil-Konstrukte liegt aber nicht nur in ihrer Zusammenfassung
verschiedener Segmentierungskriterien und damit in einer tendenziell treffenderen
Beschreibung der Zielgruppe. Darüber hinaus bestechen die Lebensstil-Konstrukte durch
die daraus resultierenden exakteren Möglichkeiten der Beschreibung unternehmens-
interner strategischer Geschäftseinheiten (SGE), der Analyse der Marketingsituation und
der Definition der Marketingproblemstellung.
SGE zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie für einzelne Marktsegmente
gebildet werden und dort unabhängig von anderen organisatorischen Einheiten des
Unternehmens tätig sein können. Die Bertelsmann AG unterscheidet beispielsweise die
strategischen Geschäftseinheiten RTL Group, Random House und Gruner + Jahr, nach
den Märkten Fernsehen und Radio, Buchverlage, Zeitschriften und Zeitungen, die dort
als strategische Geschäftsfelder (SGF) geführt werden. Die Unterteilung und Benennung
von SGE in einem Unternehmen und unter der Führung eines Unternehmens kommt im
Grunde der Bildung einer Abteilung gleich und ergibt insgesamt nur dann Sinn, wenn
zwischen den unabhängigen SGE für das Unternehmen Synergieeffekte existieren. Dies
ist im Medienmarkt in hohem Maße der Fall: Dort kann eine einmal generierte Infor-
mation sowohl über Fernsehen und Radio als auch über Zeitungen und Zeitschriften
sowie bei längerer Relevanz auch über Buchverlage vertrieben werden. Die Erzielung
von Synergieeffekten (Economies of Scope) führt in dieser Branche zu der dort zu
beobachtenden Konzentration.
Die Analyse der Marketingsituation für das ausgewählte Segment besteht in der
Anwendung der üblichen Analyseinstrumente. Insbesondere ist an dieser Stelle die Aus-
arbeitung einer SWOT-Matrix angezeigt (s. Abb. 5.4).
Die SWOT-Matrix gehört zu den wichtigsten Instrumenten in der BWL. Sie vereint
die interne mit der externen Analyse, wie es Portfolioanalysen machen, ist dabei aber
deutlich differenzierter und in den aus ihr resultierenden Empfehlungen bei der richtigen
Anwendung wesentlich exakter.
Die interne Analyse, die mit den Begrifflichkeiten der Stärken und Schwächen
(Strengths and Weaknesses) erfasst wird, kann in Form eines Polaritätenprofils aufgebaut
sein und besteht im Vergleich mit dem stärksten Konkurrenten. In Abhängigkeit von der zu
bearbeitenden Problematik müssen die Kriterien identifiziert werden, die für die Ermittlung
der Stärken und Schwächen wichtig sind. Hier gibt es keine abschließende Liste oder Emp-
fehlung. Die Erfahrungen aus der praktischen Anwendung machen jedoch deutlich, dass
zum einen nur die Festlegung der Stärken und Schwächen durch Externe zielführend ist,
da es den eigenen Mitarbeitern an der notwendigen kritischen Distanz zum Unternehmen
fehlt, und dass zum anderen auch nur solche Faktoren aufgenommen werden sollten, die
extern überprüfbar sind. Neben den Vertriebsmitarbeitern, die die Sichtweise der Kunden
annehmen können und eine entsprechende Marktkenntnis haben sollten, ist es aus den
erwähnten Gründen oft sinnvoll, einen Berater und/oder Kunden bei der Ermittlung der
Faktoren und umso mehr bei der folgenden Bewertung der Faktoren einzubeziehen.
Die externe Analyse, die Ermittlung der Chancen und Risiken (Opportunities
and Risks), kann mithilfe der PEST(EL)-Analyse und den Five Forces erfolgen. Das
Ergebnis der internen und externen Analyse wird dann in der SWOT-Matrix zusammen-
getragen. Dabei werden die Stärken und Schwächen mit den Chancen und Risiken
kombiniert. Aus den sich daraus ergebenden vier Feldern lassen sich schließlich Hand-
lungsempfehlungen ablesen.1 So wird beispielsweise bei Handlungsalternativen in einem
ST-Feld tendenziell davon ausgegangen, dass ein Absichern der Stärken wichtig ist. Der
Bekanntheitsgrad eines etablierten Unternehmens in einem Markt ist gegenüber drohen-
den Newcomern normalerweise hoch. Der hohe Bekanntheitsgrad (Stärke) muss dann
genutzt werden, sich gegen das Eindringen von Newcomern (Risiko) zu behaupten, in
dem u. a. die kommunikationspolitischen Aktivitäten verstärkt werden.
Die Handlungsempfehlungen müssen nun eventuell gewichtet werden, da sich im
Normalfall eine Vielzahl von Empfehlungen ableiten lässt. Eine Gewichtung kann
beispielsweise anhand der zeitlichen Dringlichkeit erfolgen oder aber anhand der
notwendigen finanziellen oder organisatorischen Aufwendungen. Die ausgewählte Hand-
lungsempfehlung beschreibt schließlich die Marketingproblemstellung, die beispiels-
weise in einem Ausbau des Bekanntheitsgrades, einer Verbesserung des Images oder der
Erschließung einer neuen Zielgruppe bestehen kann. Die Umsetzung dieser Empfehlun-
gen erfolgt mithilfe der operativen Instrumente des Marketings, also den sogenannten Ps,
die kombiniert den Marketing-Mix ergeben.
Abb. 5.1 folgend schließt an die Analysephase die Planungsphase an. Diese besteht aus
drei Schritten:
Ziele bedeutet dies, dass beispielsweise der Bekanntheitsgrad in einem für die Mit-
arbeiter akzeptablen Veränderungsniveau und Veränderungszeitraum festgelegt wird, z. B.
eine Steigerung des Bekanntheitsgrades um zehn Prozent innerhalb der nächsten zwölf
Monate. Idealerweise ist mit der Steigerung des Bekanntheitsgrades auch eine Steigerung
des Absatzes verbunden, für den dann in gleicher Art Ziele formuliert werden.
Abb. 5.5 STP-Strategie
5 Marketingkonzepte 91
Marktpositionierung (Positioning)
Die Marktpositionierung ist eigentlich eine unabhängige Strategie, die sowohl das
Ergebnis als auch das Ziel aller anderen Überlegungen sein kann. Die Positionierung fin-
det immer im Kopf des (potenziellen) Kunden statt und wird in ihrem Ergebnis als Image
bezeichnet. Dies ist deutlich von der Identität zu unterscheiden: Die Identität des Unter-
nehmens (Corporate Identity) kann definiert werden als die Beschreibung des Unter-
nehmens davon, wie es sich selbst sieht und von anderen gerne gesehen werden möchte.
Das Image hingegen ist das Ergebnis dessen: Die (potenziellen) Kunden entwickeln auf-
grund der Aktivitäten des Unternehmens ein bestimmtes Bild von den Eigenarten und
Besonderheiten des Unternehmens. Es wurde bereits zuvor angesprochen, dass sich das
Image auch entwickelt, wenn das Unternehmen nicht aktiv versucht, es zu steuern. Der
Prozess von der Identität hin zum Image wird schließlich als Positionierung bezeichnet.
Die grafische Darstellung einer Positionierung findet in Form eines mehrachsigen Rau-
mes statt (der Einfachheit halber oft zweiachsig), wo auf den Achsen die aus Kunden-
sicht relevanten Eigenschaften der Leistung abgetragen werden, also beispielsweise
bei Fernsehsendern Unterhaltung und Information. Der Kunde wird dann aufgefordert,
die Unternehmen (oder Produkte eines Unternehmens) in dem Eigenschaftsraum abzu-
tragen, sodass beispielsweise Sendern wie der ARD und dem ZDF ein anderes Unter-
haltungs-Informations-Verhältnis zugeschrieben wird als ProSieben oder RTL.
In Abhängigkeit von der angestrebten Positionierung werden in der folgenden Phase 4
die geeigneten Marketingmaßnahmen festgelegt.
mehr Geld in das Marketing investiert werden, um die Kaufanreize bei den (potenziellen)
Kunden zu stärken. Zumindest das Kommunikationsbudget sollte immer antizyklisch
geplant werden.
5.2.2.5 Produktpolitik
Im Rahmen der Produktpolitik geht es um das Herz des Marketings: Ohne ein Produkt
gäbe es nichts, worüber zu berichten wäre. Entsprechend ist die Bedeutung der Produkt-
politik und damit der Entscheidung für das im Markt anzubietende Produkt existenziell.
Sie ist die erste Entscheidung, die im operativen Marketing getroffen werden muss. Je
nach Branche liegt die Misserfolgsquote bei der Einführung der Produkte im Markt bei
über 90 v. H. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ausgerechnet das eigene Produkt im
Markt langfristig durchsetzen kann, ist also relativ gering. Dennoch oder gerade des-
wegen lanciert allein die Lebensmittelindustrie in Deutschland pro Jahr etwa 30.000
neue Produkte (Klawitter 2009).
Marketingtechnisch betrachtet ist die Produktpolitik ein relativ komplexes Ins-
trument und kann beschrieben werden als alle Aktivitäten, die sich mit der Erstellung
einer marktgerechten Leistung beschäftigen. Sie kann, wie in Abb. 5.6 dargestellt, in
eine sachliche und eine zeitliche Struktur unterteilt werden. Produkte durchleben nach
der Einführung in den Markt einen Zyklus, an dessen Ende aus (meist) ökonomischen
Gründen die Elimination steht. Der Startpunkt und der Endpunkt sind bei jedem Pro-
dukt gegeben. Wie jedoch aus der Diskussion um den Produktlebenszyklus bekannt ist,
kann der Verlauf zwischen diesen beiden Fixpunkten sowohl in seiner Form als auch
in seiner Dauer extrem variieren. Im Rahmen der Produktpolitik bieten sich die Modi-
fikation und die Differenzierung als zwei Maßnahmen an, über die im weiteren Verlauf
noch diskutiert wird, die sich aber grundsätzlich dadurch auszeichnen, dass das Produkt
in irgendeiner Form verändert wird.
In der Waagerechten der Matrix aus Abb. 5.6 ist die sachliche Struktur der Produkt-
politik dargestellt, die ihrerseits die Elemente beschreibt, aus denen sich das Produkt
in seiner Summe zusammensetzt und die quasi als Stellschrauben entlang des Produkt-
lebenszyklus genutzt werden können. So kann sich beispielsweise eine Veränderung des
Produktes im Rahmen einer Modifikation auf das Design beziehen, das aktuellen Vor-
stellungen der Konsumenten angepasst wird, oder auf die Verpackung, die aus recht-
lichen Gründen verändert werden muss. Entsprechend ist die Matrix der Abb. 5.6 zu
lesen.
5 Marketingkonzepte 93
Zeitliche Struktur
Die zeitliche Struktur beginnt mit der Innovation. Als Innovation werden Inventionen
bezeichnet, die in einen Markt eingeführt werden und einen Neuheitsgrad aufweisen,
dessen Dimensionen vielfältig diskutiert werden können. Es lassen sich die Subjekt-
dimension, die Intensitätsdimension, die Zeitdimension und die Raumdimension unter-
scheiden (Koppelmann 2001, S. 145).
In Bezug auf die Subjektdimension stellt sich die Frage, für wen ein Produkt ein
neues Produkt darstellt. In Bezug auf den Nachfrager wird diese Fragestellung vor dem
Hintergrund einer andersartigen Bedürfnisbefriedigung wichtig. Ein Tablet-PC ist aus
Sicht eines PC-Herstellers keine wirkliche Innovation, da die Bestandteile denen eines
Home-PC gleichen. Allerdings ergeben sich für den Nutzer neue, weil flexiblere Ein-
satzmöglichkeiten beispielsweise in der Präsentation eigener Leistungen im Rahmen der
Kundenbesuche von Außendienstmitarbeitern.
Im Zusammenhang mit der Intensitätsdimension kann zwischen radikalen und inkre-
mentellen Innovationen unterschieden werden. Radikale Innovationen sind beispiels-
weise solche Leistungen, die bisher nicht existiert haben und Bedürfnisse auf eine neue
Art befriedigen. Meist entwickeln sich dadurch neue Märkte, wie dies beispielsweise bei
Personal-Computern der Fall ist. Auf der anderen Seite gibt es inkrementelle Innovatio-
nen, die auf ein bereits bestehendes Konzept aufbauen. In diesem Zusammenhang wer-
den zu einem späteren Zeitpunkt die Modifikation und die Differenzierung besprochen.
Neben der Intensität ist auch die Zeitdimension zu beachten. Hier stellt sich die Frage,
wie lange nach der Markteinführung ein Produkt noch als eine Innovation bezeichnet
werden kann. Je nach Markt können Wettbewerber das Produkt sehr schnell imitieren,
94 P. Kürble
es sei denn, es besteht gegebenenfalls ein rechtlicher Schutz vor Imitation. Entsprechend
unterschiedlich sind die Möglichkeiten des Unternehmens, Monopolgewinne zu erzielen
und damit die Möglichkeit zu haben, die Investitionen in Forschung und Entwicklung
wieder ausgleichen zu können. Zu geringe Zeiträume für Monopolgewinne lassen das
Forschungsbestreben der Unternehmen sinken, sodass es unter Umständen staatlicher-
seits gewollt sein kann, dass ein Schutz für eine Innovation aufgebaut wird, wie dies
beispielsweise im Pharmamarkt der Fall ist, wo patentrechtlicher Schutz die Möglich-
keit des Ausgleichs von Forschungskosten erlaubt. Die räumliche Dimension kann ins-
besondere mit der Wasserfallstrategie in Verbindung gebracht werden: Dabei handelt
es sich um die zeitlich verzögerte Einführung eines Produktes in mehr oder weniger
unabhängige (ausländische) Märkte. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens ist in
hohem Maße von den Eigenschaften des Produktes abhängig: Digitalisierte Produkte
sind in den meisten Fällen in sehr geringen Zeitspannen weltweit verbreitet, sodass hier
eine (künstliche) zeitlich verzögerte Einführung durch das Unternehmen keinen Sinn
ergeben würde.
Der grundlegende Prozess der Innovation beginnt in der Regel mit der Ideensuche und
-gewinnung, der die Wirtschaftlichkeitsanalyse, die Produktentwicklung, der Produkttest
und die Einführung folgen. Inzwischen wird in vielen Fällen versucht, den (potenziellen)
Kunden möglichst frühzeitig in den Prozess einzubinden. Insbesondere im B2B-Markt
kann dies bereits bei der Ideengenerierung geschehen, sodass die Wahrscheinlichkeit,
dass das Produkt nach der Einführung in den Markt erfolgreich ist, gesteigert werden
kann. Dieser Ansatz wird als Open Innovation bezeichnet und kann beispielsweise in
Form von Workshops oder Gewinnspielen stattfinden.
Sobald das Produkt im Markt ist, tritt es in Konkurrenz zu anderen Produkten und
wird in realer Umgebung vom Nutzer getestet. Mitunter werden die Erfahrungen, die
dabei gemacht werden, von Unternehmen genutzt, das Produkt den Bedürfnissen der
Kunden anzupassen. Diese Möglichkeit der Produktvariation wird als Modifikation
bezeichnet. Dabei kann es sich um funktionale Veränderungen handeln, um geschmack-
liche oder optische. An dieser Stelle wird von Up Grading, Side Grading oder Down
Grading gesprochen, wenn bei einem Produkt Eigenschaften hinzugefügt werden, es
sich lediglich um optische Veränderungen handelt oder das Produkt um sich in der Praxis
nicht bewährte Eigenschaften reduziert wird. Wichtig ist, dass bei der Modifikation das
neue Produkt an die Stelle des alten Produktes tritt.
Neben der Modifikation kann, zu einem etwas späteren Zeitpunkt im Produktlebens-
zyklus, darüber nachgedacht werden, neben dem eigentlichen Produkt weitere Produkt-
varianten anzubieten, die gegebenenfalls andere Zielgruppen ansprechen. Diese Variante
in der zeitlichen Struktur der Produktpolitik wird als Produktdifferenzierung bezeichnet.
Neben funktionalen Eigenschaften können auch ästhetische oder symbolische Eigen-
schaften dem Produkt hinzugefügt und dann parallel angeboten werden: Neben den
Fischstäbchen von Iglo gibt es Schlemmerfilets oder Feinschmecker. Auch innerhalb der
Produktlinie gibt es dann verschiedene Varianten; beispielsweise Vollkorn-Fischstäbchen
oder Omega-3-Fischstäbchen. In allen Fällen handelt es sich zwar um Fisch, der wird
5 Marketingkonzepte 95
den Kunden aber in verschiedenen Varianten für verschiedene Zielgruppen oder auch
verschiedene Bedürfnissituationen angeboten.
Am Ende des Produktlebenszyklus steht die Elimination. Dabei handelt es sich um
die Entfernung von Produkten aus dem Angebotsprogramm. Die Entscheidung zur Ent-
fernung sollte möglichst an objektiven Kriterien festgemacht werden; die subjektive Ein-
schätzung insbesondere eines Produktmanagers ist naturgemäß eher zu wohlwollend
und tatsächlich gehört die Entscheidung um eine Elimination auch aus diesen Gründen
mit zu den schwierigsten Entscheidungen in einem Unternehmen. Als Kriterien können
u. a. ökonomische Kriterien wie ein negativer Deckungsbeitrag relevant sein oder, im
Rahmen der psychologischen Kriterien, eine Imageschädigung. 2015 wurde beispiels-
weise aufgedeckt, dass VW in den USA bezüglich der Abgaswerte seiner Dieselkraft-
wagen getäuscht hat. Da Dieselfahrzeuge in den USA tendenziell eher einen schlechten
Ruf haben und gerade von VW versucht wurde, dieses negative Bild zu ändern, ist eine
solche Aufdeckung aus Sicht des Verbrauchers eine Bestätigung der bisherigen Ein-
schätzung von Dieselfahrzeugen und dürfte das völlige Ende der Dieselfahrzeuge (ins-
besondere von VW) in den USA bedeuten. Die Elimination von Produkten muss nicht
zwingend eine endgültige Entscheidung sein. Es finden sich zahlreiche Beispiele für
Produkte, die nach mehreren Jahren Pause wieder in den Markt eingeführt wurden und
durchaus erfolgreich sind: Der BMW Mini wäre eines dieser Beispiele.
Sachliche Struktur
Wie Abb. 5.6 zeigt, setzt sich die sachliche Struktur aus dem Produktkern, dem Design,
der Verpackung, der Markierung und den produktbegleitenden Dienstleistungen
zusammen.
Der Produktkern beschreibt den eigentlichen Nutzen des Produktes, also weswegen
der Kunde das Produkt kauft. Dies ist z. B. bei einem Auto der individuelle Transport
zwischen zwei Punkten, beim Smartphone die Möglichkeit der Kommunikation oder
bei Mineralwasser das Löschen des Durstes. Damit erfüllt der Produktkern den Grund-
nutzen eines Produktes und stellt die notwendige Bedingung für den Kauf und den
Konsum dar. Aus Sicht des Kunden ist die Qualität der Erfüllung des Grundnutzens aus-
schlaggebend für die Kaufüberlegung: So akzeptiert er in bestimmten Fällen eine eher
niedrige Qualität, beispielsweise scheint es den meisten Kunden egal zu sein, dass auf
einer Tiefkühlpizza Analogkäse und Kunstschinken sein können und der Geschmack von
Geschmacksverstärkern kommt. In anderen Fällen ist dem Kunden eine hohe Qualität
wichtig, beispielsweise dann, wenn es sich um Gesichtscreme handelt.
Neben dem Produktkern spielt das Design eine wichtige Rolle für die Nutzung
und den (Ver-)Kauf eines Produktes. Es lassen sich hinsichtlich der Kombination
aus Farbe, Form, Material, Klang und Geruch drei Dimensionen unterscheiden: die
produktumgangsbezogene Dimension, die wahrnehmungsbezogene Dimension und die
sozial-semantische Dimension. Während die beiden ersten Dimensionen den Erbauungs-
nutzen befriedigen und damit für den Kunden selbst wichtig sind, bezieht sich die letzte
Dimension auf den Geltungsnutzen und spielt auf die Bedeutung des Produktes in Bezug
96 P. Kürble
auf die Außenwirkung an. Die produktumgangsbezogene Dimension behandelt die Pro-
blematik der Nutzungssituation und versucht zu klären, ob der Kunde das Produkt ent-
sprechend seiner Gewohnheiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten möglichst einfach nutzen
kann. Die wahrnehmungsbezogene Dimension bezieht sich auf die persönlichen Empfin-
dungen des Kunden bei der Nutzung. Die Produkte von Apple bedienen in hohem Maße
diese Dimension, denn es geht weniger um die eigentliche Nutzung, also die produkt-
umgangsbezogene Dimension, die dem Apple-Nutzer mitunter aufgrund der fehlenden
Kompatibilität mit Office-Produkten eher erschwert wird, sondern es geht um die Haptik
und Optik der Produkte: Ein iMac ist optisch schöner als die Produkte der Wettbewerber
und ein iPhone haptisch besser.
Im Rahmen der Verpackung interessiert das Marketing insbesondere die absatz-
wirtschaftliche Funktion, die neben der technischen und ökologischen Funktion unter-
schieden werden kann. Dabei wird grundsätzlich zwischen der Verkaufsverpackung,
der Umverpackung und der Transportverpackung getrennt. Während die Verkaufs-
verpackung notwendig ist, um dem Kunden das Produkt in einer für ihn akzeptablen
Weise anzubieten (sowohl quantitativ als auch qualitativ), dient die Umverpackung
marketingtechnischen Aspekten. So kann beispielsweise eine Tiefkühlpizza nur in einer
durchsichtigen Plastikfolie angeboten werden. Um die Pizza aber möglichst ansprechend
darzustellen, umgeben die Unternehmen das Produkt mit einer stabilen Pappverpackung,
auf der zum einen Produktinformationen abgebildet werden können, zum anderen aber
auch das Produkt selbst in einer bevorzugten Art abgelichtet wird.
Hier wird die absatzwirtschaftliche Funktion angesprochen, die ihrerseits in eine
Informationsleistung, eine Verkaufsleistung und eine Verwendungsleistung unterschieden
werden kann. Die Informationsleistung besteht im Wesentlichen aus den Informatio-
nen, die gesetzlich vorgeschrieben auf einer Verpackung enthalten sein müssen, wie
beispielsweise bei Lebensmitteln das Mindesthaltbarkeits- oder Verfallsdatum. Die Ver-
kaufsleistung beschreibt u. a. die schon angesprochene Abbildung des Produktes auf der
Verpackung. Insbesondere bei Lebensmitteln wird die Abbildung häufig um zusätzliche
Produkte ergänzt, um dem Käufer ein Bild der Nutzungssituation zu vermitteln. Damit
der Käufer nicht annehmen darf, dass sich das Produkt genau so auch in der Verpackung
findet, wird der Hinweis Serviervorschlag hinzugefügt. Die Verwendungsleistung einer
Verpackung besteht schließlich darin, dass dem Kunden mitgeteilt wird, wie er das Pro-
dukt zubereiten muss, um es verwenden zu können, oder dass die Verpackung in der
Lage ist, dem Kunden bei der Verwendung zu helfen: So unterstützt die Konturenform
einer Verpackung den Kunden bei der Nutzung, sei es, weil Griffmulden helfen, die Ver-
packung zu greifen oder weil Sprühköpfe die Nutzung erleichtern.
Als Nächstes spielt die Markierung eine wichtige Rolle. Hierbei handelt es sich
um die Frage der Namensgebung für das Produkt. In manchen Fällen ist diese Ent-
scheidung sehr wichtig für den Erfolg des Produktes, in anderen Fällen spielt der Name
nur eine untergeordnete Rolle. Letzteres gilt insbesondere bei C-Gütern im B2B-Markt.
Heftklammern, Tackerklammern oder DIN-A4-Papier für Drucker brauchen keinen
besonderen Namen, da der Bezug des Kunden zu dem Produkt eher gering ist und der
5 Marketingkonzepte 97
Kunde auf den Grundnutzen fokussiert. Bei Pkw, Schmuck, Smartphones oder Klei-
dung kann die Bezeichnung grundlegend für den Erfolg sein, da andere Aspekte als der
Grundnutzen für den Kunden eine entscheidende Rolle spielen. Die Namensgebung ist
aber wenigstens für die unternehmensinterne Nutzung sinnvoll, da das Produkt im Unter-
nehmen erfasst werden muss. Letztlich kann im Rahmen der Namensgebung über die
Frage diskutiert werden, ob das Produkt einen Namen bekommen soll, der als Marken-
name schutzwürdig und wirksam ist; schutzwürdig in Bezug auf die Prüfung durch das
Patentamt, sodass der Name nicht von anderen Unternehmen genutzt werden darf, aber
insbesondere wirksam in Bezug auf die Differenzierung im Markt. So kann ein Auto
in Deutschland zwar Pajero genannt werden, in Spanien wäre das sicherlich weniger
erfolgreich. Dort ist der Begriff vulgärsprachlich in Gebrauch, die Akzeptanz durch die
Kunden wäre eher gering. Ob eine Marke tatsächlich die Funktion einer Marke erfüllt,
hängt aber weniger vom rechtlichen Schutz ab, als vielmehr von ihrer Akzeptanz: Kun-
den müssen den Produktnamen wenigstens kennen, ihn auf jeden Fall auch wertschätzen,
damit sie bereit sind, ihn als Markennamen zu akzeptieren und einen entsprechenden
Preis zu zahlen. Erst dann lohnt sich die Investition in eine Marke. Die Toilettenpapier-
marke Charmin lässt sich als sehr gutes Beispiel dafür anführen, dass die Kenntnis um
einen Produktnamen nicht zwingend zur umsatzsteigernden Wertschätzung führt. Mar-
ken lassen sich im Rahmen einer Markenarchitektur nach dem Umfang ihrer Bedeutung
unterteilen: Einzelmarken auf der untersten Ebene beziehen sich entsprechend ihres
Namens auf ein einzelnes Produkt. Häufig finden sich Einzelmarken bei der Neuein-
führung eines Produktes. Mitunter ziehen Unternehmen die Bildung von Einzelmarken
aber auch dauerhaft einer Zuordnung vor. So arbeitet beispielsweise das Unternehmen
Ferrero mit einer Vielzahl von Einzelmarken, wie u. a. Nutella. Der Vorteil einer sol-
chen Idee (und je nach Zuordnung einer Strategie) liegt oft darin begründet, dass die
Auswirkungen eines Misserfolges bei einer Einzelmarke nur auf die einzelne Marke zu
spüren sind, andere Marken des Unternehmens sind davon nicht betroffen. Die Nach-
teile einer Einzelmarke liegen im damit verbundenen hohen Kommunikationsauf-
wand, um die Marke bekannt zu machen. Einzelmarken lassen sich zu Familienmarken
zusammenfassen, so wie dies beispielsweise bei Apple mit dem iPhone, dem iMac,
dem iPad oder dem iPod geschehen ist, oder aber wie es Beiersdorf bei Nivea zeigt.
Der Vorteil für das Unternehmen liegt darin, dass die kommunikationspolitischen Auf-
wendungen deutlich niedriger sind als bei einer Einzelmarke, da die Kunden das Pro-
dukt leicht zuordnen können. Der Nachteil liegt darin, dass negative Ereignisse bei
einem Produkt einer Familienmarke negative Auswirkungen auf die anderen Produkte
der Markenfamilie haben könnten. Oberhalb der Familienmarke kann die Dachmarke
angesiedelt werden. Bei der Dachmarke handelt es sich immer um den Unternehmens-
namen, der als Orientierung für den Kunden dienen kann, so wie dies beispielsweise
bei Haribo, Henkel oder Dr. Oetker der Fall ist. Sofern die Dachmarke als Markierung
auf den Beschaffungsmarkt zielt, beispielsweise zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter,
wird von einer Unternehmensmarke gesprochen. Die Unternehmensmarke ist also in
Bezug auf den Namen identisch zur Dachmarke, hat aber eine andere Zielgruppe und
98 P. Kürble
wird damit auch unterschiedlich kommuniziert: Die Anzeigen der Firma Henkel für
neue Mitarbeiter hat einen völlig anderen Auftritt, als die Anzeige für ein Produkt der
gleichen Firma auf dem Absatzmarkt. Die Etablierung eines Markennamens ist nicht
immer sinnvoll. Zum einen gibt es Branchen, in denen die Einführung eines Marken-
produktes vom Verbraucher abgelehnt wird, weil das Produkt aus Sicht der Kunden nicht
dafür geeignet ist (Markenbereitschaft), zum anderen bedeutet die Etablierung von Mar-
ken einen enormen dauerhaften Kommunikationsaufwand. Dieser Aufwand lohnt sich
nur, wenn es dem Unternehmen gelingt, eine entsprechende Zahlungsbereitschaft beim
Kunden zu erzielen. Sonst stehen dem zusätzlichen Aufwand keine entsprechenden Ein-
nahmen gegenüber. Ideal ist die Erzielung einer Situation der monopolistischen Konkur-
renz, sodass die Preiselastizität der Nachfrage relativ gering ist und das Unternehmen
Monopolgewinne realisieren kann. Für den Kunden, der generell eher dazu neigt, Pro-
dukte zu kaufen, die er schon kennt, und den Suchaufwand möglichst gering zu halten,
bedeuten Markenprodukte eine bevorzugte Einkaufssituation.
Abschließend sind die produktbegleitenden Dienstleistungen zu diskutieren. Ihre
Bedeutung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und es findet sich heutzutage
kaum noch ein Produkt, welches ohne ein Mindestmaß an Dienstleistungen auskommt.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Dienstleistungen und ihre Eigenschaften zu
beschreiben. Um die besonderen Aspekte von Dienstleistungen im Rahmen der Produkt-
politik deutlich zu machen, seien drei Aspekte hervorgehoben: Die Immaterialität,
die Integration des externen Faktors und das Uno-actu-Prinzip. Da Dienstleistungen
immateriell sind, der Kunde sie also nicht sehen oder anfassen kann, ist die Einschätzung
über die Qualität von Dienstleistungen für ihn schwierig, es fehlt an Anhaltspunkten.
Darüber hinaus muss der Kunde in die Dienstleistung integriert werden, da sie nur in
Zusammenarbeit mit ihm erbracht werden kann. Der Haarschnitt funktioniert nur, wenn
der Kunde an dem Prozess beteiligt ist und auch die Autoreparatur funktioniert nur, wenn
der Kunde seinen Wagen vorab in die Werkstatt bringt. Schließlich findet der Konsum
der Dienstleistung zum Zeitpunkt der Erstellung statt. Da Dienstleistungen immateriell
und damit nicht lagerfähig sind, kann die Dienstleistung nur zu dem Zeitpunkt in
Anspruch genommen werden, da sie angeboten wird. Der Haarschnitt lässt sich nicht
verschieben, wenn der Kunde nicht da ist, findet er nicht statt. Die Blinddarmoperation
kann auch nur in dem Moment durchgeführt werden, da der Kunde auf dem Operations-
tisch liegt.
Die angesprochenen Eigenschaften bestimmen die Erweiterung des Marketing-Mix
um drei Instrumente (Prozesspolitik, Ausstattungspolitik und Personalpolitik) und zeigen
auf, warum die Überzeugung des Kunden bei einer Dienstleistung mitunter anders funk-
tionieren muss als bei Sachgütern. Produktbegleitende Dienstleistungen ergänzen das
eigentlich zu erwerbende Produkt beispielsweise im Rahmen des Kaufprozesses durch
Beratungsleistung. So kann der Kunde vor dem eigentlichen Kauf Beratung in Anspruch
nehmen, um fehlende Informationen zum Produkt zu bekommen und sich in seiner Ent-
scheidung sicherer zu werden. Dies findet heutzutage häufig über das Internet statt, wo
der Kunde sich die notwendige Information holt und diese gegebenenfalls zur Grundlage
5 Marketingkonzepte 99
seiner Verhandlungen im Rahmen des eigentlichen Kaufs nutzt. Die Dienstleistung wäre
in diesem Fall die Zurverfügungstellung der Information im Internet. Gleiches gilt für
die Phase nach dem Kauf. Auch hier kann Beratung beispielsweise im Rahmen von
Reklamationen oder Schulungen zur Nutzung des Produktes stattfinden.
Wie anfänglich beschrieben, besteht die Aufgabe der Produktpolitik nun darin, die
sachliche und zeitliche Struktur so zusammenzuführen, dass das einzelne Produkt mög-
lichst optimal betreut wird. Darüber hinaus wäre dann noch über das Produktprogramm
zu diskutieren, welches u. a. mit der BCG-Matrix analysiert werden kann, um mögliche
Schwachstellen über alle Produkte hinweg erkennen zu können.
5.2.2.6 Kontrahierungspolitik
Die Kontrahierungspolitik umfasst alle Vereinbarungen über das Entgelt des Leistungs-
angebotes (Meffert et al. 2015, S. 437). Die im Deutschen genutzte Begrifflichkeit der
Kontrahierungspolitik soll dabei deutlich machen, dass es sich hierbei nicht nur um
die Entscheidungen über den (Markt-)Preis handelt, sondern um alle Lieferungs-, Zah-
lungs- und Kreditierungsbestimmungen, wie Rabatte, Boni und Skonti, Zahlungsziele
oder Garantiebestimmungen. Auch wenn das Ergebnis der Überlegungen im Rahmen
der Kontrahierungspolitik monetäre Größen betrifft, so müssen dennoch auch die Ein-
flussfaktoren der nichtmonetären Größen in die Kalkulation einbezogen werden. Wird
doch die endgültige Entscheidung für den optimalen Preis auch davon beeinflusst, wel-
che Preise und Konditionen die Wettbewerber setzen und welche Zahlungsbereitschaft
bei den Kunden vorliegt. Aus diesem Zusammenspiel von Kosten für das Unternehmen,
Marktpreisen anderer Unternehmen und den Vorstellungen und Wahrnehmungen der
Kunden ergibt sich der preispolitische Spielraum. Aus Sicht eines Kunden wird schließ-
lich die Wahl für das Produkt getroffen, dessen Nutzen im Verhältnis zu den Kosten am
höchsten ist. Diese Nutzendifferenz wird als Nettonutzen bezeichnet. Da der Nettonutzen
für jedes relevante Angebot im Markt ermittelt werden muss und dann das günstigste
Angebot gewählt wird, wird auch vom relativen Nettonutzen gesprochen.
Entsprechend der Einteilung des preispolitischen Spielraums gibt es drei Heran-
gehensweisen an die Ermittlung des optimalen Preises: unter Berücksichtigung unter-
nehmerischer Ziele, der (möglichen) Reaktion der Konkurrenz und der Verhaltensweisen
der Kunden.
Werden die unternehmerischen Ziele berücksichtigt, so kann im klassischen Sinne
die mikroökonomische Sichtweise eingenommen werden, wonach Unternehmen ihren
Gewinn maximieren wollen. Unter Berücksichtigung der Produktions- und Kosten-
funktionen kann der Preis für das Produkt zwischen einem Betriebsminimum, also der
Deckung der durchschnittlichen variablen Kosten und einem Betriebsoptimum, also der
Deckung der gesamten Durchschnittskosten, gefunden werden. Die alleinige Orientie-
rung an der eigenen Kostenfunktion kann dazu führen, dass das Produkt teurer angeboten
werden muss als bei den Wettbewerbern, z. B. deswegen, weil beim eigenen Unter-
nehmen die Betriebsgrößenvorteile (Economies of Scale) nicht in gleichem Umfang aus-
genutzt werden können, wie bei den Wettbewerbern. Damit wäre das Unternehmen im
100 P. Kürble
Markt nicht wettbewerbsfähig. Aus diesem Grund muss die Sichtweise häufig umgekehrt
und gerade in wettbewerbsintensiven Märkten das Target Costing angewandt werden,
bei dem das Unternehmen vom Marktpreis ausgehend unter Berücksichtigung einer
eigenen Marge die zugehörigen Zielerlöse und Zielkosten ermittelt. Hierzu finden dann
produktionsseitig unternehmensinterne Anpassungsprozesse statt und die Aktivitäten
werden daraufhin überprüft, inwieweit es möglich ist, Kosten zu reduzieren. Dies kann
im Zusammenhang mit dem Supply Chain Management beispielsweise dazu führen, dass
Kosten auf die Lieferanten oder nachgelagerten Abnehmer abgewälzt werden, so wie
dies mit den Lagerkosten bei Just-in-time-Systemen der Fall ist.
Die Berücksichtigung der Konkurrenz führt zu den mikroökonomischen Markt-
modellen des Monopols, Oligopols oder Polypols, wobei in der Realität das Oligo-
pol am häufigsten zu beobachten ist, wie z. B. bei Lebensmitteldiscountern, Energie-,
Mineralöl- oder Medienunternehmen. Insbesondere im Oligopol muss von einer hohen
Reaktionsverbundenheit unter den Wettbewerbern ausgegangen werden, sodass eine
mögliche Preissenkung bei einem Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer
Preisreaktion der anderen Unternehmen führen wird. Daraus leiten sich zwei Prozesse
ab: Entweder führen die Unternehmen einen solchen Preiskampf weiter, bis eines der
Unternehmen aufgibt und aus dem Markt ausscheiden muss (ruinöse Konkurrenz) oder
die Unternehmen einigen sich stillschweigend auf einen für alle akzeptablen Preis (fried-
liches Oligopolverhalten). Auch wenn Letzteres offiziell nach § 1 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verboten ist, findet diese Vorgehensweise in der
Realität vergleichsweise häufig statt. Nicht umsonst deckte das Bundeskartellamt in den
letzten fünf Jahren 48 Verstöße gegen das Kartellverbot auf, u. a. bei Herstellern von Ins-
tant-Cappuccino (2011), Schienenherstellern (2012), Herstellern von Drogerieartikeln
(2013), deutschen Großbrauereien (2014) und Fertiggaragenherstellern (2015) (Bundes-
kartellamt o. J.).
Die Betrachtung der Kundenseite führt dazu, dass im Ergebnis eine Nachfrage-
funktion zu beobachten ist, welche die Reaktion der Kunden auf einen bestimmten
Preis zeigt. Allerdings gilt diese Reaktion nur unter Ausschluss aller anderen möglichen
Einflussfaktoren, wie beispielsweise dem gelernten Preisniveau oder kurzfristigen Ein-
flüssen durch Framing. Es muss mindestens darüber diskutiert werden, inwieweit neben
dem zu zahlenden Preis beim Kunden auch darüber Anreize zum Kauf zu schaffen sind,
dass verschiedene Zahlungsmöglichkeiten modelliert werden (z. B. in Form von Raten-
zahlungen oder Anzahlungen), Preisreduktionen durchgeführt werden (z. B. in Form von
Rabatten, Boni oder Skonti) oder nicht-monetäre Faktoren betrachtet werden, welche die
Kosten aus Kundensicht ebenfalls beeinflussen. Hierbei kann es sich z. B. um Opportuni-
tätskosten oder Informationskosten handeln: Wenn die Beschaffung eines Produktes mit
einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden ist, beispielsweise dadurch, dass der Kunde
erst zur Einkaufstätte fahren muss, dann ist der Erwerb des gleichen Produktes über das
Internet unter Umständen eine Alternative, weil es nicht so zeitintensiv ist und der Kunde
damit Kosten sparen kann. Dies ist insbesondere vor der subjektiv immer knapper wahr-
genommenen freien Zeit ein sehr wichtiges Argument für Kunden. Gleiches gilt für die
5 Marketingkonzepte 101
Beschaffung von Information: Die meisten (privaten) Kunden werden in einem ersten
(und oft einzigen) Schritt die benötigte Information über das Internet beziehen, indem
sie einen Suchdienst nutzen. Auch hier grenzen die Kunden ihren Informationsaufwand
dadurch ein, dass sie nur wenige der Meldungen tatsächlich durchlesen, weswegen es
für Unternehmen elementar wichtig ist, in den Suchergebnissen möglichst weit oben zu
erscheinen.
5.2.2.7 Distributionspolitik
Die Distributionspolitik, die in der Realität in etwa mit dem Begriff Vertrieb gleich-
zusetzen ist, beschäftigt sich mit der Frage, wie das fertige Produkt oder die Dienst-
leistung zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität und Quantität und am richtigen Ort
angeboten werden kann. Dabei sind zwei wesentliche Ausprägungen zu unterscheiden:
Einerseits befasst sich die Distributionspolitik mit der logistischen Komponente des Pro-
blems, also der Frage des Transports und des Aufbaus von gegebenenfalls notwendigen
Lagern. Andererseits befasst sie sich mit der akquisitorischen Komponente, der Frage der
Absatzkanalstruktur, die grundlegend in direkten und indirekten Absatz unterschieden
werden kann. Aufgrund des grundlegenden Charakters dieses Beitrags soll der Fokus
auf der akquisitorischen Komponente liegen, die im Weiteren vorgestellt wird. Hierzu
zählt neben der reinen organisatorischen Beschäftigung mit der Thematik auch die kom-
munikative Komponente: Einerseits muss die Frage beantwortet werden, welche Organe
sinnvollerweise zwischen produzierendem Unternehmen und Kunde stehen können, zum
anderen muss aber auch geklärt werden, in welcher Form diese Organe mit dem Kunden
kommunizieren dürfen und können: Kann sich das Unternehmen darauf verlassen, dass
der Handel das ihm überlassene Produkt auch wirklich adäquat bewirbt, oder müssen
Mitarbeiter aus dem eigenen Unternehmen das Produkt vertreiben, damit sichergestellt
werden kann, dass der Kunde die Information bekommt, die das Unternehmen für sinn-
voll erachtet? Diese Vertriebsform kann grundsätzlich in drei Varianten unterschieden
werden: Den persönlichen Verkauf, den distanzpersönlichen oder mediengestützten Ver-
kauf und den unpersönlichen bzw. mediengeführten Verkauf.
Im persönlichen Verkauf wird zwischen dem POS beim Kunden, dem POS beim
Anbieter oder dem wechselnden POS unterschieden. Bei Ersterem kann es sich z. B. um
den Besuchsverkauf handeln, wie er von Versicherungen mitunter angeboten wird, wenn
der Außendienstmitarbeiter des Unternehmens den Kunden zu Hause besucht, um ihn in
gewohnter Umgebung beraten zu können. Mit Letzterem ist beispielsweise der Laden-
verkauf gemeint, wie er im Lebensmitteleinzelhandel vorkommt. Die dritte Variante
beschreibt u. a. Varianten wie den Messeverkauf.
Der distanzpersönliche Verkauf kann in Telefonverkauf und Videokonferenzver-
kauf unterschieden werden. Während der Telefonverkauf sowohl im B2C- als auch im
B2B-Sektor angewandt wird, ist der klassische Videokonferenzverkauf nur im B2B-Sek-
tor zu finden. Der Telefonverkauf kann sowohl zur Vorbereitung auf den Besuch eines
Außendienstmitarbeiters, zur Generierung neuer Kunden oder aber nach dem Kauf als
Nachfassaktion dienen.
102 P. Kürble
die Nachteile des indirekten Vertriebs sind und umgekehrt, liegen insbesondere in der
Möglichkeit der Kundenbindung, dem Zugang zu Marktinformationen, der höhe-
ren Flexibilität in der Marktbearbeitung und der Unabhängigkeit von Händlern. Die
Nachteile sind die fehlende oder wenigstens zeitlich aufwendiger zu installierende
Marktpräsenz, die Kapitalbindung und die fehlenden Effizienzgewinne durch Bedarfs-
bündelung. Ein großer Vorteil des Handels hingegen liegt aus Sicht eines produzieren-
den Unternehmens darin, dass durch die vom Handel verursachte Bedarfsbündelung
Effizienzgewinne möglich sind. Es lassen sich grundsätzlich die Marktcharakteristika,
Herstellercharakteristika, Produktcharakteristika und Vertriebscharakteristika unter-
scheiden, die in der Summe eher für die Wahl eines direkten oder indirekten Vertriebs
stehen. So spricht eine geringe Nachfragerkonzentration eher für einen indirekten Ver-
trieb, weil die Ware dann an vielen verschiedenen Orten angeboten werden muss, was
in der Regel für die produzierenden Unternehmen effizienter über den Handel gelöst
werden kann. Handelt es sich andererseits um ein Unternehmen, welches einen starken
Markennamen hat, so kann es sich unter Umständen leisten, einen direkten Vertrieb auf-
zubauen, da die Kunden einerseits bereit sind, für den Erwerb des Produktes (zeitliche)
Kosten auf sich zu nehmen und andererseits die Marge bei starken Markennamen so
groß ist, dass ein direkter Vertrieb aufgebaut werden kann. Ähnliches gilt für die mög-
liche Komplexität des Produktes bzw. des damit verbundenen Services. Ist dieser sehr
hoch, das Produkt also beratungsintensiv, dann spricht dies eher für einen direkten Ver-
trieb, da die eigenen Mitarbeiter die notwendige Beratung tendenziell besser sicher-
stellen können als externe Personen. Wäre andererseits die Verfügbarkeit geeigneter
Vertriebspartner sehr hoch, so könnte der indirekte Vertrieb eine Alternative sein.
Auf der jeweiligen Stufe des Absatzkanals können dann noch einmal Breite und
Tiefe unterschieden werden. Mit der Breite des Absatzkanals wird die Art der Absatz-
mittler je Absatzstufe, die Betriebsform, beschrieben. Die Betriebsformen des Han-
dels beschreiben die Zusammenfassung von Unternehmen nach einem oder mehreren
Merkmalen, beispielsweise nach den Kundengruppen (Einzelhandel, Großhandel)
(Kenning 2013). Die Tiefe des Absatzkanals gibt den Betriebstyp und die Anzahl der
einzusetzenden Absatzmittler in der jeweiligen Betriebsform an. So kann im Rahmen
des Großhandels zwischen Sortimentsgroßhandel, Spezialgroßhandel, Streckengroß-
handel, Zustellgroßhandel, Cash & Carry-Großhandel und Rack-Jobber unterschieden
werden, während beim Einzelhandel in Nachbarschaftsmarkt, Fachgeschäft, Discounter,
SB-Warenhaus, klassisches Warenhaus, klassischen Versandhandel (auch Internet) und
ambulanten Handel getrennt wird (Becker 2012, S. 531 ff.).
Bei der Auswahl der Absatzmittler kann zwischen intensiver, exklusiver und selek-
tiver Distribution unterschieden werden. Im ersten Fall werden alle Absatzmittler ein-
geschaltet, die grundsätzlich in Betracht kommen. Insbesondere bei Massengütern, die
einer möglichst breiten Kundengruppe zugeführt werden sollen, ist die intensive Dis-
tribution sinnvoll, sodass eine Ubiquität möglich ist. Diese Variante findet sich z. B. bei
Gütern des täglichen Bedarfs. Die exklusive Distribution bezieht sich auf die bewusste
104 P. Kürble
anders strukturiert werden muss. Bereits bei der Befüllung des Trichters sollte darauf
geachtet werden, dass schon die erste Kontaktaufnahme nur mit Kunden durchgeführt
wird, bei denen eine Abschlusswahrscheinlichkeit möglichst hoch ist (qualifizierte
Leads) und die Kunden im weiteren Verlauf der einzelnen Schritte unter Zuhilfenahme
von entsprechenden Kennziffern ausgewählt werden (Hofbauer und Hellwig 2012,
S. 172).
In den letzten Jahren hat die Funktion des Key Account Managers (KAM) immer
weiter an Bedeutung gewonnen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass vielen Unter-
nehmen klar geworden ist, dass bestimmte Kunden eine bestimmte Form der Betreuung
benötigen. Dabei wird die Frage, welcher Kunde einer besonderen Betreuung bedarf,
im simpelsten Fall mithilfe der ABC-Analyse geklärt. Dabei unterteilt die ABC-Ana-
lyse ihre Untersuchungsobjekte, also z. B. Kunden, nach deren Wertigkeit, die wiederum
am Umsatzanteil festgemacht wird. Die wichtigsten Kunden sind entsprechend die mit
dem größten Umsatz und werden als A-Kunden bezeichnet. Die Abgrenzung zu ande-
ren Kunden orientiert sich am sogenannten Pareto-Prinzip. Grundsätzlich ähnelt die Idee
der Implementierung eines KAM der Idee des Kundenbindungsmanagements, bei dem
es um die explizite Ungleichbehandlung von Kunden entsprechend ihrer ökonomischen
Bedeutung für das Unternehmen geht. Der KAM wird bei denjenigen Kunden als
Betreuung installiert, die einen entsprechenden Ertrag versprechen, der den Kosten der
Betreuung zumindest entsprechen muss. KAM erfüllen im Ideal- oder Extremfall fol-
gende Funktionen:
Die Fülle der Funktionen zeigt, dass der KAM, sofern im Unternehmen wirklich als
solcher verstanden und von den Kunden akzeptiert, in hohem Maße die Sichtweise der
Kunden annehmen muss. Er ist als Wanderer „zwischen den Welten“ tätig und muss auf
der anderen Seite natürlich den Vorzug des eigenen Unternehmens stets im Hinterkopf
haben. Dies macht eine Tätigkeit als KAM extrem ambivalent und die Glaubwürdigkeit
aus Sicht des Kunden fragil. Als KAM können aufgrund der Vielfältigkeit der Aufgaben
auch nur solche Personen infrage kommen, die aufgrund einer langjährigen Berufs-
erfahrung die Kompetenzen und die Akzeptanz besitzen, welche die Durchsetzung der
angesprochenen Funktionen ermöglicht.
Unabhängig davon, welche Funktionen in Unternehmen etabliert werden und welche
Ausgestaltung dort vorliegt, lassen sich folgende Erfolgsfaktoren für einen exzellenten
Vertrieb identifizieren:
106 P. Kürble
Für einen erfolgreichen Distributionsmix sind somit die genaue Wahl der Vertriebskanäle
und die einwandfreie Strukturierung der Vertriebskanäle die entscheidenden Kriterien.
5.2.2.8 Kommunikationspolitik
Das letzte der vier operativen Instrumente des Marketings ist die Kommunikations-
politik. Hierbei handelt es sich um die Koordination aller Instrumente, die als Träger für
auf den Absatzmarkt gerichtete Informationen eines Unternehmens eingesetzt werden
können. Grundsätzlich gilt für die Kommunikationspolitik, dass sie auf die Einstellungen
der Abnehmer zielt und damit in erster Linie psychologische Ziele erfüllen kann. Zu
den Trägern der Kommunikationspolitik zählen neben der klassischen Werbung die
Öffentlichkeitsarbeit, die Verkaufsförderung, das Sponsoring, das Product Placement, die
Direktkommunikation, Messen und Ausstellungen sowie das Eventmarketing. Die Viel-
zahl der Instrumente, die ihrerseits wieder auf multiplen Ausprägungen basieren, macht
deutlich, welch hoher Koordinationsaufwand innerhalb der Kommunikationspolitik not-
wendig ist. Immer öfter ist daher von der Notwendigkeit einer Integrierten Kommuni-
kation (Bruhn 2009a, S. 10 f.) die Rede, deren Fokus auf eine formale, zeitliche und
inhaltliche Integration aller Kommunikationsmittel abzielt. Im Grunde ist dies mit dem
Begriff Kommunikationsmix aber schon hinreichend beschrieben. Zielführend kann
an dieser Stelle die sogenannten Lasswell-Formel beschrieben werden (Lasswell 1967,
S. 178):
• Wer (Unternehmen),
• sagt was (Kommunikationsbotschaft),
• unter welchen Bedingungen (Umwelt- und Wettbewerbssituation),
• über welche Kanäle (Kommunikationsinstrumente),
• auf welche Art und Weise (Gestaltung der Kommunikationsbotschaft),
• zu wem (Zielgruppe),
• mit welcher Wirkung (Kommunikationserfolg)?
Aus ihr ergeben sich die wesentlichen Punkte des Kommunikationsplans, der, wie fast
jeder Plan, Elemente beinhalten muss, die sich zum einen mit dem Wettbewerbsumfeld
und der Zielgruppe, zum anderen aber auch mit den finanziellen Mitteln auseinander-
setzt. Nicht zu vernachlässigen ist zudem, und dies ist aufgrund der Komplexität der
Kommunikationspolitik zu fokussieren, die Mediaplanung. Wenn die Aufgabe der
Kommunikationspolitik in der Beeinflussung der Einstellung der Abnehmer besteht,
so ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die vermittelte Botschaft unabhängig
5 Marketingkonzepte 107
vom Medium einheitlich und eindeutig zu verstehen ist. Egal also, ob es sich um eine
Zeitungsanzeige, einen Radio-Spot oder ein Werbebanner im Internet handelt: Die
Aussage muss in ihrem Kern identisch sein. Hierzu dient dem Werbetreibenden die
sogenannte Copy-Strategie, die Teil der Mediaplanung ist. Die Copy-Strategie setzt sich
aus dem Consumer-Benefit (Nutzenversprechen), dem Reason-Why (Nutzenbegründung)
und der Tonality (Anmutung) zusammen und stellt eine gedankliche und verbindliche
Vorstufe für die Verbalisierung und Visualisierung der Kommunikationsmittel dar. Das
Nutzenversprechen sollte eine möglichst einmalige Lösung eines Bedürfnisses ver-
mitteln und an die Techniken der Unique-Selling-Proposition (USP) bzw. Unique-Ad-
vertising-Proposition (UAP) angelehnt sein. Dies macht beispielsweise das Unternehmen
Bayer mit seinem Produkt Aspirin, welches schnelle Heilung von Schmerzen verspricht
und dies u. a. mit der sogenannten Mikroaktiv-Technologie begründet, der einen Zer-
fallsbeschleuniger darstellt und damit die Wirkstoffe schnell zur Verfügung stellt
(Nutzenbegründung). Die Tonality beschreibt die sprachlichen und farblichen Elemente,
die genutzt werden. Bei Aspirin ist dies beispielsweise das Aspirin-Grün mit einer an
eine Handschrift erinnernden Schriftart für begleitende Texte, um dem Ganzen etwas
Familiäres und Vertrautes zu geben.
Diese Copy-Strategie wird nun verwandt, um über alle Instrumente der
Kommunikationspolitik hinweg ein möglichst einheitliches Bild nach außen zu ver-
mitteln. Im Folgenden werden einige der zuvor angesprochenen Instrumente überblicks-
artig vorgestellt.
Zur klassischen Werbung zählen alle Medien, die der Massenkommunikation dienen,
wie Radio, TV, Zeitschriften, Zeitungen, Out-of-Home Media, Kino und Internet. Den
Werbeträgern sind Werbemittel zugeordnet, wie der Radio-Spot, der TV-Spot oder die
Zeitungsanzeige. Das Ergebnis dieser Prozesse der Inter- und Intramediaselektion ist
der Streuplan, der eine Jahresübersicht darstellt, auf der zeilenweise die Aktivitäten dar-
gestellt sind, sodass die Möglichkeit besteht, mit einem Blick notwendige oder unnötige
Überschneidungen und Lücken zu erkennen und den Streuplan möglichst zu optimieren.
Die Kombination der Werbeträger und ihrer Werbemittel sollte so funktionieren, dass mit
einem bestimmten Budget, welches meist durch das Unternehmen vorgegeben wird, eine
möglichst optimale Belegung im Hinblick auf die Werbewirkung stattfindet. Dabei wer-
den die Kosten, die u. a. in Form des Tausender-Kontakt-Preises beschrieben werden, mit
den Werbewirkungen, also z. B. der Verbesserung des Bekanntheitsgrades, des Images
oder der Kundenbindung, ins Verhältnis gesetzt. Die Problematik besteht hier darin,
dass der quantitativen Größe des monetären Einsatzes eine qualitative Größe im Ergeb-
nis gegenüber steht und die Beziehung zwischen den beiden Größen nicht zwingend
erkennbar ist: Ein hoher Werbeeinsatz führt nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung
des Images und selbst wenn das passiert, führt dies nicht notwendigerweise zu einem
gesteigerten Absatz. Hierbei ist weniger das Marketing das Problem als vielmehr die
Vielzahl äußerer Einflüsse auf das Kundenverhalten. Eine positive Einstellung zu einem
Produkt führt nicht unmittelbar zu einer Kaufabsicht und diese wiederum nicht zwingend
und auch nicht unmittelbar zum Kauf. Mitunter können zeitliche Diskrepanzen zwischen
108 P. Kürble
dem Werbeeinsatz, der Werbewirkung und dem Kauf auftreten, sodass eine eindeutige
Zuordnung schlicht nicht möglich ist.
Die Öffentlichkeitsarbeit (Zerfaß 2010) kann als Werbung für das Unternehmen ver-
standen werden, da es hier in erster Linie darum geht, das Unternehmen bekannter zu
machen und für ein positives Unternehmensimage bei den Stakeholdern zu sorgen.
Aus diesem Grund begleitet die Öffentlichkeitsarbeit die gesamten Kommunikations-
bemühungen und ist insbesondere bei Dienstleistungen, der Neueinführung von Pro-
dukten oder bei Unternehmenskrisen wichtig: Zunächst bei Dienstleistungen, da diese
selber unsichtbar sind und der Kunde als Orientierung das Unternehmen selber sehen
kann, so wie dies beispielsweise bei Hochschulen oder Fitnessstudios der Fall ist. Des
Weiteren begleitet die Öffentlichkeitsarbeit die Neueinführung von Produkten, da das
Vertrauen des Kunden, sofern es sich um eine wirkliche Innovation handelt, über den
Namen des Unternehmens existieren kann, wie beispielsweise bei der Henkel AG oder
bei Unternehmenskrisen. In letzterem Fall kann das Unternehmensimage leiden und
muss gegebenenfalls neu aufgebaut werden, so wie dies beispielhaft zurückliegend bei
der VW AG aufgrund des Diesel-Software-Skandals in den USA der Fall war.
Die Verkaufsförderung ist eine begleitende Maßnahme, die immer zeitlich befristet
sein muss und kurzfristiges Kaufinteresse generieren soll. Dabei gibt es die Verkaufs-
förderung in Bezug auf drei Zielgruppen: die Mitarbeiter, den Handel und die Kunden.
Bei den Mitarbeitern können monetäre und nicht-monetäre Anreizsysteme funktionieren,
wenn beispielsweise Provisionen gezahlt werden oder die Mitarbeiter als Gratifikation
elektronische Geräte erhalten. Beim Handel können Gewinnspiele initiiert werden, die
dem erfolgreichsten Absatzmittler eine Gratifikation bringen würden, während bei den
Kunden u. a. Preisersparnisse und/oder Produktbündelungen angeboten werden, sodass
der Kunde Produkte billiger bekommen kann. Diese Verkaufsförderung wurde in
Deutschland insbesondere bei dem Baumarkt Praktiker sichtbar, der sehr aggressiv mit
dem Hinweis, es gäbe 20 % Preisnachlass auf alles, warb. Die Problematik lag darin,
dass die Verkaufsförderung zu oft angewandt wurde und die Kunden im Rahmen eines
Lernprozesses verstanden haben, dass sie außerhalb dieser Zeiten einen höheren Preis
hätten zahlen müssen. Damit waren sie aber nicht einverstanden und blieben dem Unter-
nehmen in diesen Zeiten mehrheitlich fern.
Das Sponsoring (Bruhn 2009b) kann als die Übertragung einer (oft) monetären
Leistung durch den Sponsor an einen Gesponserten, der im Gegenzug durch das Sicht-
barmachen seines Sponsors für einen gesteigerten Bekanntheitsgrad und einen Image-
transfer sorgt, verstanden werden. Die Grundidee des Sponsorings beruht auf dem
Mäzenatentum früherer Tage, bei dem der Mäzen altruistisch orientiert (meist) eine Per-
son förderte. Eine Gegenleistung war zumindest im Sinne eines Imagetransfers nicht
Ziel der Förderung. Das Sponsoring, welches meist von Unternehmen oder öffentli-
chen Institutionen durchgeführt wird, kann als ökonomische Variante des Mäzenaten-
tums verstanden werden. Es erzielt seine Berechtigung über die erhoffte psychologische
Wirkung, die sowohl für die Stakeholder als auch unternehmensintern für die eigenen
Mitarbeiter erreicht werden kann. Um einen möglichst hohen Effekt zu erzielen, muss
5 Marketingkonzepte 109
darauf geachtet werden, dass die Zielgruppe des Gesponserten mit der Zielgruppe des
Sponsors möglichst identisch ist. Das Sponsoring tritt insbesondere als Sportsponsoring
in Erscheinung, es können allerdings noch das Programmsponsoring, das Sozio-
sponsoring und das Kultursponsoring unterschieden werden. In Deutschland machte
das Sportsponsoring 2015 ein Volumen von 3,3 Mrd. EUR aus, während das Sozio-
sponsoring und das Kultursponsoring insgesamt auf 0,9 Mrd. EUR kommen (Statista
2015). Der Vorteil des Sponsorings besteht im Gegensatz zur klassischen Werbung ins-
besondere darin, dass die Aktivitäten nicht als störend empfunden werden und den
Konsumenten zudem in einer positiven Grundstimmung erreichen. Der Nachteil besteht
insbesondere beim Sportsponsoring im nicht-planbaren Leistungsniveau des Sportlers
oder der Sportler. Darüber hinaus besteht die Gefahr des schädlichen Verhaltens, wie dies
beispielsweise beim Radsport in Form von Doping-Fällen zu beobachten war, oder aber
bei Einzelsportlern wie dem Golfer Tiger Woods, dessen private Aktivitäten zwischen-
zeitlich nicht zu dem Image seiner Sponsoren passte.
Das Product Placement bezeichnet die Platzierung der Produkte des Unternehmens in
verschiedenen Medien, wie beispielsweise Filmen oder Videospielen, im Gegenzug zu
einer Geldleistung. Der Vorteil dieser Art von Kommunikationspolitik liegt insbesondere
in ihrer Unterschwelligkeit und der positiven Grundeinstellung des Kunden im Moment
des Kontaktes mit dem Produkt oder der Dienstleistung. Ursprünglich war das Product
Placement nichts anderes als die Notwendigkeit der Theaterausstatter, Filmproduzenten
oder Showveranstalter ihre Szenerie so ausstatten zu wollen, dass eine möglichst lebens-
nahe Situation abgebildet werden kann. Aus diesem Grund ist das sogenannte On Set
Placement die am weitesten verbreitete Art des Product Placements und bezeichnet den
Einsatz solcher Produkte, die für den weiteren Handlungsablauf eher unwichtig sind,
also beispielsweise wenn für eine Polizeirecherche in einem Kriminalfilm Computer
einer bestimmten Marke genutzt werden. Das andere Extrem wäre das Corporate Pla-
cement, bei dem das Unternehmen direkt genannt wird und gegebenenfalls auch eine
längere Sequenz im Film zur Eigendarstellung erhält, so wie dies bei Cast Away mit
der Firma FedEx geschah. Im gleichen Spielfilm fand mit der Firma Wilson und dem
von ihr produzierten Volleyball ein sogenannten Creative Placement statt, bei dem um
das Produkt Geschichten entwickelt werden. Insbesondere die Unterschwelligkeit und
Schwierigkeit in der Abgrenzung zur Schleichwerbung veranlasste die Rechtsprechung
mit der 13. Änderung des Rundfunkstaatsvertrages das Thema Product Placement auf-
zunehmen und zu klären. Dabei gilt der Grundsatz, dass Product Placement grund-
sätzlich verboten ist, aber in bestimmten Formaten, wie u. a. Spielfilmen bei privaten
Rundfunkveranstaltern, erlaubt ist. Für die öffentlich-rechtlichen Programme ist Product
Placement nicht zulässig: Hier dürfen Unternehmen ihre Produkte aber kostenlos zur
Verfügung stellen.
Das Eventmarketing, dessen Instrument das Event darstellt, gehört zu den Instru-
menten, die eine Vielzahl von Überschneidungen zu anderen Instrumenten aufweisen.
Als Event wird ganz grundsätzlich ein Ereignis bezeichnet, welches im Rahmen von
Marketingaktivitäten das Ziel hat, zu informieren, Emotionen auszulösen und die
110 P. Kürble
eilnehmer zu motivieren. Dialog und Interaktion stehen deshalb auch im Zentrum des
T
Events. Zu Events gehören Messen, Konferenzen, Verkaufspräsentationen oder Sport-
und Kulturveranstaltungen, sofern sie von Unternehmen initiiert werden. Es kann ent-
sprechend der Zielgruppe zwischen offenen und geschlossenen, unternehmensinternen
und -externen Events unterschieden werden. Dies ist davon abhängig, ob eine Einladung
ausgesprochen wird oder die Teilnahme für jedermann möglich ist und ob die Zielgruppe
aus Mitarbeitern oder Stakeholdern besteht. Damit das Event emotionalisieren kann,
muss das Ereignis für die Teilnehmer möglichst herausragend sein. Die Teilnahme am
Event wird dann zu einem besonderen Erlebnis, mit dem die Zielgruppe emotional an
das Unternehmen gebunden werden kann. So kann die exklusive Einladung eines Künst-
lers oder die exklusive Teilnahme an einem Segeltörn oder einem Rafting dazu führen,
dass das Ereignis dem Teilnehmer lange haften bleibt und Mund-zu-Mund-Propaganda
einen Ausstrahlungseffekt auf andere oder potenzielle Kunden hat. Die Problematik
des Eventmarketings liegt in der zunehmenden Sättigung der Kunden begründet: Wäh-
rend es vor 50 Jahren noch möglich war, Mitarbeiter mit einer Wanderung durch den
Schwarzwald zu begeistern, müssen Unternehmen heute deutlich kreativere und aus-
gefallenere Angebote machen, um eine ähnliche Wirkung zu erzielen. In vielen Fällen
wirkt das gleiche Event auch nur ein einziges Mal und eine zweite Teilnahme kann keine
vergleichbaren Effekte erzielen.
Die kurze Übersicht hat deutlich gemacht, wie unterschiedlich die Instrumente
der Kommunikationspolitik sind. Entsprechend groß ist die Herausforderung, auf der
einen Seite einen Kommunikationsmix zu gestalten, der möglichst optimal das Ziel zu
erreichen hilft und auf der anderen Seite die Überprüfung jeder einzelnen Maßnahme
sicherzustellen. Schließlich muss der optimale Kommunikationsmix abschließend mit
den verbleibenden Ps des Marketing-Mix koordiniert werden, sodass am Ende alle Ins-
trumente aufeinander abgestimmt sind und dazu beitragen, das übergeordnete Unter-
nehmensziel zu erreichen (Nufer 2011).
5.2.3 Kontrolle
Literatur
2Eine weitaus detailliertere und im Ergebnis genauere Methode ist nachzulesen in Siebert (2009).
5 Marketingkonzepte 113
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Unternehmenskommunikation und Public Relations (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Prof. Dr. Dr. Peter Kürble ist seit 2001 hauptberuflicher Dozent
für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, und seit 2008
Gesamtstudienleiter des Hochschulzentrums Duisburg der FOM
Hochschule für Oekonomie & Management. Schwerpunkte seiner
Arbeit liegen in den Bereichen Markenbildung, Kundenverhalten,
Customer Experience Management und Storytelling.
Angebot und Nachfrage
Wie Märkte gesellschaftliche Knappheitsprobleme lösen
6
Michael Göke
M. Göke (*)
FOM Hochschule, Dortmund, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 115
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_6
116 M. Göke
Inhaltsverzeichnis
6.1 Einleitung
ist. Wird arbeitsteilig gewirtschaftet, kann die Befriedigung multipler Bedürfnisse nur
erfolgen, wenn man die selbst produzierten Güter gegen die von anderen erstellten Güter
tauscht, d. h. Handel treibt. Die volkswirtschaftliche Analyse des Handels und seine
Darstellung mithilfe von Angebots- und Nachfragefunktionen stehen daher im Zent-
rum von Abschn. 6.4. Dabei interessiert uns auch, welche Funktionen Märkte in einer
arbeitsteiligen Wirtschaft übernehmen und wie die Vorteile, die aus dem Handel für alle
Beteiligten resultieren, gemessen werden können.
6.2.1 Bedürfnisse
Können Beispiele für Grund- und Existenzbedürfnisse noch nahezu eindeutig, also
unabhängig vom einzelnen Menschen, benannt werden (etwa: Nahrung, Schlaf, Schutz
vor Witterung), so wird bei der Betrachtung von Kultur- und Luxusbedürfnissen die
geringe Eindeutigkeit der Unterteilung klar. Für den einen mag bereits das Essen mit
Messer und Gabel als Luxusbedürfnis gelten, während es für den anderen ein Kultur-
bedürfnis ist. Ein dritter wird behaupten, dass der Besitz von verschiedenen Porsche-Ty-
pen für ihn sogar ein Grundbedürfnis darstellt, während ein vierter gar kein Bedürfnis
danach hat. Der Grund für die sehr geringe Eindeutigkeit der Abgrenzung liegt natürlich
in einer wichtigen Eigenschaft von Bedürfnissen begründet: Sie sind nämlich stets indi-
viduell und subjektiv.
Eine weitere Art der Strukturierung von Bedürfnissen ist die auf dem amerikani-
schen Psychologen Abraham Maslow zurückgehende sogenannte Maslow’sche Bedürf-
nispyramide. Dabei werden typischerweise fünf Bedürfnishierarchiestufen voneinander
unterschieden. Auf der untersten Stufe stehen physiologische Bedürfnisse (also die
Grund- und Existenzbedürfnisse aus der zuvor genannten Unterscheidung, wie Essen,
Trinken, Schlafen). Darüber finden sich die Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürf-
nisse und Wertschätzungsbedürfnisse. Die oberste Gruppe bilden die Entwicklungs-
bedürfnisse. Damit sind vor allem Selbstverwirklichungsbedürfnisse gemeint. Maslow
118 M. Göke
Wie befriedigt man Bedürfnisse? Mit Gütern. Güter, das sind in der Ökonomik ganz all-
gemein Mittel zu Bedürfnisbefriedigung. Damit sind sowohl materielle Güter wie Autos,
Nahrungsmittel oder Wohnungen gemeint als auch immaterielle Dienstleistungen, wie
Taxifahrten oder Versicherungen. Güter zeichnen sich durch eine wichtige Eigenschaft
aus, die der Kern der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung ist: Knappheit. Unter
Knappheit versteht man die Begrenztheit der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Natür-
liche Ressourcen wie Öl, Gas oder Erze sind genauso wenig unbegrenzt vorhanden wie
die menschliche Zeit. Entsprechend können nicht unbegrenzt Güter produziert werden
und nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden. Knappheitsphänomene werden damit
allgegenwärtig.
1Zur Idee dieser Annahme und zur Frage der Notwendigkeit von (unrealistischen Annahmen) vgl.
Erlei et al. (2007, S. 2 ff.).
6 Angebot und Nachfrage 119
Knappheit manifestiert sich etwa in dem Umstand, dass nicht genügend Güter
vorhanden sind, um alle Bedürfnisse befriedigen zu können. Auch zeigt sie sich in dem
Problem, dass bei der Produktion von Gütern absolut begrenzte natürliche Ressourcen
eingesetzt werden müssen, die dann nicht mehr in andere Verwendungen gehen können.
Ist also etwa eine bestimmte Menge Rohöl benutzt worden, um damit Benzin zu pro-
duzieren, so ist dieselbe Menge naturgemäß nicht mehr für die Produktion von Kunst-
stoff oder anderen Dingen verfügbar. Damit ist jedes Gut, das unter Verwendung knapper
Ressourcen produziert wurde, ebenfalls knapp. Entsprechend wird Knappheit zu einem
universellen Phänomen, denn jedes Gut, das vor der durch es erzeugten Bedürfnis-
befriedigung einem Produktions-, Herstellungs- oder Weiterverarbeitungsprozess unter-
liegt, ist damit knapp.
Knappheit der Ressourcen ist das Kernproblem, mit dem sich die Wirtschaftswissen-
schaft beschäftigt. Wirtschaftswissenschaft ist somit, allgemein formuliert, die Wissen-
schaft vom sinnvollen Umgang mit knappen Ressourcen.
Menschen haben das Ziel, möglichst viele ihrer Bedürfnisse zu befriedigen. Die Mittel,
die sie dafür einsetzen, sind die Ressourcen bzw. die Güter, die allerdings knapp sind.
Den sinnvollen Umgang mit diesem Spannungsverhältnis nennt man: Wirtschaften. Wol-
len Menschen ein möglichst gutes Verhältnis zwischen ihren (unbegrenzten) Zielen und
ihren (begrenzten) Mitteln zur Zielerreichung herstellen, dann handeln sie wirtschaft-
lich, sie wirtschaften. Das ökonomische Prinzip, das Wirtschaftlichkeitsprinzip, ist dabei
die Leitmaxime des menschlichen Handelns. Dieses ökonomische Prinzip drückt sich
genauer aus im Minimal- und im Maximalprinzip. Nach dem Minimalprinzip verhält
man sich wirtschaftlich, wenn man versucht, eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung mit
möglichst wenig Einsatz an knappen Gütern zu erreichen. Die Aussage des Maximal-
prinzips ist: Ein Handeln ist wirtschaftlich, wenn man versucht, mit einem bestimmten
Einsatz an knappen Gütern eine möglichst hohe Bedürfnisbefriedigung zu erzeugen. Ein
Unternehmer, der versucht, mit den gegebenen Produktionstechnologien, Mitarbeitern,
Marktsituationen und bei gegebenen Nachfragerwünschen einen möglichst hohen
Gewinn zu erreichen, verhält sich also genauso wirtschaftlich wie ein Student, der ver-
sucht, eine bestimmte Klausurnote mit möglichst wenig Einsatz an Vorbereitungszeit
zu erzielen. In beiden Fällen versuchen die handelnden Personen nämlich ein möglichst
gutes Verhältnis von Zielen und Mitteln zu erzielen.
Eine Vermischung der beiden ökonomischen Prinzipien führt allerdings ins Leere.
Ein Unternehmer versucht eben nicht, mit möglichst billig eingekauftem Material mög-
lichst viel Gewinn zu machen. Wirtschaftliches Handeln bedeutet, dass der Unternehmer
eine bestimmte Qualität seiner Materialien möglichst billig einzukaufen sucht (Minimal-
prinzip) und dann die produzierten Güter einer bestimmten Qualität möglichst teuer
verkaufen möchte (Maximalprinzip).
120 M. Göke
Unter Wirtschaften versteht man also den planmäßigen Einsatz knapper Ressour-
cen gemäß der Leitmaxime des ökonomischen Prinzips. Statt Wirtschaftlichkeit spricht
man auch von Effizienz und von Rationalität. Streng abzugrenzen von der Effizienz
(Wirtschaftlichkeit) ist die Effektivität (Wirksamkeit). Zwar geht es bei beiden Begriffen
um das Verhältnis von Zielen und Mitteln. Bei der Effektivität allerdings ist die Frage,
ob ein Mittel überhaupt in der Lage ist, ein Ziel zu erreichen. Es geht also um Wirk-
samkeit von Mitteln zur Erreichung von Zielen. Etwa die Frage: kann mithilfe einer
Mietpreisbremse der Mieter geschützt werden? Oder das Problem: Sichert Aufrüstung
den Frieden in der Welt? Beide Fragen betreffen die Effektivität, d. h. die Wirksamkeit
bestimmter Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele. Bei der Wirtschaftlichkeit ist nicht
mehr nur die Frage, wirkt eine Maßnahme überhaupt? Stattdessen geht es darum, in wel-
chem Ausmaß sie wirkt, welche unerwünschten Nebenwirkungen sie zur Folge hat, wie-
viel sie kostet, kurzum um die Frage: Welche der verschiedenen möglichen effektiven
Maßnahmen das beste Verhältnis von positiven Wirkungen (also Vorteilen) und negativen
Wirkungen (also Nachteilen) hat. Für das Ziel des Mieterschutzes gilt es dann unter den
wirksamen Maßnahmen diejenige zu finden, die einen bestimmten Schutz mit geringst-
möglichen Kosten (finanziellen Kosten, aber auch negative Nebenwirkungen usw.)
erreicht.
6.2.4 Opportunitätskosten
Bei der Frage nach der Wirtschaftlichkeit eines Mitteleinsatzes zur Erreichung eines
Ziels ist es wichtig, alle Vorteile einer Maßnahme und alle Nachteile des Einsatzes der
Mittel bei den Überlegungen einzubeziehen. Zu den Nachteilen zählt auch, dass der
Einsatz von knappen Mitteln zur Erreichung eines Ziels den Einsatz dieser Mittel zur
Erreichung anderer Ziele ausschließt. Setzt man etwa eine bestimmte Menge Rohöl zur
Produktion von Benzin ein, kann mit dieser Menge Öl nicht gleichzeitig Kunststoff her-
gestellt werden. Für die Produktion von Benzin, muss also die Produktion von Kunststoff
aufgegeben werden. Soll also ein bestimmtes Bedürfnis 1 befriedigt werden, muss in
einer Welt der Knappheit dafür stets die Befriedigung eines Bedürfnisses 2 geopfert wer-
den. Man spricht von Opportunitätskosten. Entsprechend versteht man unter Opportuni-
tätskosten das, was man aufgeben muss, um ein Ziel zu erreichen.
Für ein korrektes Verständnis von ökonomischen Problemlösungen ist die Idee
der Opportunitätskosten von herausragender Bedeutung. Sie entstehen in einer Welt
der Knappheit bei jeder menschlichen Entscheidung. Entscheidet sich eine Studentin
zur Vorlesung zu gehen, so gibt sie andere, ebenfalls Bedürfnisse befriedigende Ver-
wendungen ihrer Zeit auf, denn in der gleichen knappen Zeit wäre auch ein Ausflug
mit Freunden oder ein Besuch bei den Eltern oder anderes möglich gewesen. Für die
Bedürfnisbefriedigung aus dem Vorlesungsbesuch muss die Studentin andere Bedürfnis-
befriedigungen opfern. Der Nobelpreisträger Milton Friedman (1912–2006) hat es auf
6 Angebot und Nachfrage 121
die einfache Formel gebracht: „There is no such thing as a free lunch“, ein freies Mittag-
essen gibt es nicht. In einer Welt der Knappheit ist nichts kostenlos, weil die Wahl einer
ersten Möglichkeit Alternativen unmöglich macht.
Für jedes einzelne Wirtschaftssubjekt ist Wirtschaften somit nichts anderes als das Ver-
halten nach Minimal- oder Maximalprinzip. Sofern man seine eigenen Bedürfnisse kennt
und die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung und deren Knappheit einschätzen kann, ist
ökonomisches Verhalten einfach, nämlich eben nach Minimal- oder Maximalprinzip.
Was genau diese Prinzipien für das Verhalten von Nachfragern und Anbietern im Markt bedeuten,
ist Thema einer Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre, nämlich der Mikroökonomik. Die Neue
Institutionenökonomik wiederum beschäftigt sich mit den Problemen, die auftreten, wenn zu
wenige Informationen über die Güter und ihre Knappheiten vorliegen oder diese Informationen
nicht gleich verteilt sind. Ob und inwieweit sich Menschen wirklich rational verhalten oder nicht,
versucht die Verhaltensökonomik mit Experimenten herauszufinden.
Sobald mehr als ein Mensch gemeinsam Wirtschaften wollen, wird das sinnvolle Umgehen
mit knappen Ressourcen zum einen einfacher, zum anderen aber auch schwieriger.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob die beiden Wirtschaftssubjekte weiterhin in
Selbstversorgung leben wollen oder ob es sich für sie lohnt, Arbeitsteilung durchzu-
führen. Unter Arbeitsteilung versteht man grundsätzlich die Aufteilung einer Arbeits-
leistung in Teilleistungen, die von unterschiedlichen Wirtschaftssubjekten verrichtet
werden. Im Rahmen der Volkswirtschaftslehre wiederum wird unter Arbeitsteilung ins-
besondere die Spezialisierung auf eine bestimmte Tätigkeit gesehen, d. h. die Abkehr
von einer Eigenversorgung (d. h. der Selbstproduktion aller von einem Wirtschafts-
subjekt gewünschten Produkte).
Robinson auf seiner einsamen Insel betreibt eine Subsistenzwirtschaft, d. h. eine
Selbstversorgung, bei der er alles, was er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse benötigt,
selbst produziert. Da er allein lebt, ist für ihn Arbeitsteilung überhaupt nicht nötig.
Sobald aber Freitag auf seine Insel kommt und mit Robinson dort lebt, haben beide die
Wahl zwischen Selbstversorgung (jeder produziert weiter, was er selbst benötigt) und
Arbeitsteilung (Robinson und Freitag spezialisieren sich auf die Produktion jeweils
ausgewählter Produkte). Entscheiden sie sich für die Spezialisierung, dann ist für die
Befriedigung aller Bedürfnisse zwangsläufig Handel notwendig, schließlich produzie-
ren beide nicht mehr alles, was sie brauchen, sondern nur noch ein ausgewähltes Gut.
Arbeitsteilung und Handel sind damit untrennbar miteinander verbunden. Handel setzt
Arbeitsteilung voraus und ohne Arbeitsteilung ist Handel nicht möglich.
122 M. Göke
Nachdem nun die Idee von Arbeitsteilung und seiner Verbindung zum Handel geklärt ist,
stellt sich als nächstes die Frage nach den ursächlichen Gründen für Arbeitsteilung, Spezia-
lisierung und Handel. Zu klären ist also: Unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen
findet die Spezialisierung statt? Robinson und Freitag werden sich ja nur dann für die
Arbeitsteilung entscheiden, wenn sie durch sie einen Vorteil erreichen können. Profitierte
nur Robinson durch den Handel, so würde Freitag einfach wieder nur für sich produzieren,
weil es ihm in der Selbstversorgung besser geht. Die erste, allgemeine Bedingung für den
Handel ist damit klar: Handel findet nur statt, wenn er zum beiderseitigen Vorteil ist.
Allerdings stellt sich nun die erneute Frage: Unter welchen Bedingungen ist Handel
denn zum beiderseitigen Vorteil? Um das zu beantworten lohnt es sich, ein Beispiel zu
betrachten (vgl. Abb. 6.1).
Angenommen, Robinson benötigt für die Produktion von Fleisch acht Stunden pro kg
und für die Produktion von Gemüse zwei Stunden pro kg. Freitag ist bei beiden Pro-
dukten produktiver und muss pro kg Fleisch lediglich zwei Stunden und pro kg Gemüse
nur eine Stunde aufwenden. Dabei sei angenommen, dass Zeit der einzige eingesetzte
Produktionsfaktor ist und die Qualität der produzierten Produkte bei Robinson und Frei-
tag identisch ist. Die Frage nach einem wechselseitigen Vorteil aus Arbeitsteilung und
Handel scheint in diesem Fall nicht so einfach beantwortbar zu sein. Intuitiv würde man
wahrscheinlich sagen, dass sich Arbeitsteilung wohl nicht lohnen kann, da Robinson in
beiden Produkten absolut gesehen unproduktiver ist als Freitag. Warum sollte Freitag
einen Teil seiner produktiven Produktion an den unproduktiven Robinson abgeben, so
könnte man fragen? Allerdings trügt in diesem Fall die Intuition. Wir zeigen in folgenden
Argumentationen beispielhaft, dass sich Arbeitsteilung selbst in diesem Fall lohnt.
Nehmen wir an, beide produzieren jeweils insgesamt 24 h und teilen diese
Produktionszeit auf beide Produkte hälftig auf (vgl. Abb. 6.2). Dann kann Robin-
son 1,5 kg Fleisch und 6 kg Gemüse produzieren. Freitag kommt auf 6 kg Fleisch und
12 kg Gemüse. Sollten beide nicht miteinander handeln und in Autarkie, d. h. Selbst-
versorgung, leben wollen, wären die genannten Mengen ceteris paribus ihre jeweiligen
maximal möglichen Konsummengen.
Abb. 6.1 Absolute
Produktivitäten
6 Angebot und Nachfrage 123
Abb. 6.3 Produktion in
Arbeitsteilung
Stellen wir uns nun vor, dass beide sich auf eine spezielle Arbeitsteilung geeinigt
haben und zwar darauf, dass sich Robinson auf die Produktion von Gemüse und Frei-
tag auf die Herstellung von Fleisch spezialisiert. Im Beispiel der Abb. 6.3 ist die kon-
krete Spezialisierung abgetragen. Robinson benutzt nun die gesamten 24 h, um Gemüse
zu produzieren und kommt damit auf 12 kg produzierte Menge. Freitag spezialisiert sich
auch, aber nicht komplett. Er stellt mehr Fleisch her als er selbst benötigt (9 kg) und
weniger Gemüse (6 kg).
Das Beispiel zeigt direkt, dass Arbeitsteilung ohne Handel keinen Sinn ergibt. Gerade
bei Robinson wird das direkt klar. Ohne Handel könnte er kein Fleisch konsumieren,
denn er hat sich komplett auf die Produktion von Gemüse eingestellt. Auch für Freitag
ist Handel notwendig, denn seine Produktion bringt ihm weniger Gemüse als er selbst
benötigt. Nehmen wir an, dass Freitag 6 kg Gemüse gegen 2 kg Fleisch tauscht. Frei-
tag verkauft also 2 kg Fleisch und kauft im Gegenzug 6 kg Gemüse (Robinson verkauft
somit 6 kg Gemüse und kauft 2 kg Fleisch). Der (reale) Preis von Fleisch ist also 3 kg
Gemüse pro kg Fleisch, während der (reale) Preis von Gemüse 1/3 kg Fleisch pro kg
Gemüse ist. Die Ergebnisse des Handels sind dann in Abb. 6.4 erkennbar.
Robinson ist durch den Handel nun in der Lage, 2 kg Fleisch zu konsumieren (er
hat nichts produziert, aber 2 kg gekauft) und 6 kg Gemüse (er hat 12 kg produziert
und 6 kg davon verkauft). Freitag wiederum kann 7 kg Fleisch (er hat 9 kg produziert
und 2 kg davon verkauft) und 12 kg Gemüse (er hat 6 kg produziert und 6 kg gekauft)
124 M. Göke
Abb. 6.4 Konsummöglichkeiten
in Arbeitsteilung
Bleibt also die Frage, warum genau in unserem Beispiel Arbeitsteilung vorteil-
haft war und damit auch, unter welchen Bedingungen generell Arbeitsteilung sinn-
voll ist? Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir die Abb. 6.5. Hier wurden aus
den absoluten Produktivitäten der Abb. 6.3 relative Produktivitäten berechnet. Wenn
Robinson acht Stunden pro kg produziertes Fleisch benötigt und zwei Stunden pro kg
Gemüse, dann muss er für ein zusätzliches kg Fleisch logischerweise 4 kg Gemüse auf-
geben, denn in den acht Stunden, die er für dieses kg Fleisch benötigen würde, könnte
er auch 4 kg Gemüse herstellen. Produziert er also Fleisch, kann er kein Gemüse her-
stellen. Es ist relativ schnell erkennbar, dass wir hier mit Opportunitätskosten rechnen.
Abb. 6.5 Relative
Produktivitäten.
(=Opportunitätskosten)
6 Angebot und Nachfrage 125
Wie zuvor bereits beschrieben, versteht man in der Ökonomik unter Opportunitätskosten
alles, was man aufgeben muss, um ein Ziel zu erreichen. Opportunitätskosten treten
auf, weil Knappheit herrscht. Knappheit existiert auch in unserem Beispiel, da die eine
Stunde dafür lediglich einmal zur Verfügung steht. Wird sie zur Produktion von Fleisch
verwendet, kann sie nicht mehr für die Gemüseherstellung benutzt werden. Für die
Produktion von Fleisch muss also die Produktion von Gemüse aufgegeben werden. Ent-
sprechend dieser Überlegungen zeigt Abb. 6.5 die Opportunitätskosten der Produktion.
Aus den Opportunitätskosten der Abb. 6.5 kann die Vorteilhaftigkeit von Arbeits-
teilung und Handel abgelesen werden. Bei der Produktion von Fleisch müsste bei Pro-
duktion durch Robinson 4 kg Gemüse geopfert werden, bei Produktion durch Freitag
aber nur 2 kg Gemüse. Im Fall der Gemüseproduktion müsste für jedes zusätzliche kg
bei Produktion durch Robinson nur 0,25 kg Fleisch eingesetzt werden, bei Produktion
durch Freitag aber 0,5 kg Fleisch. Arbeitsteilung ist damit in diesem Fall sinnvoll, wenn
Freitag das Fleisch produziert und Robinson das Gemüse.
Nicht die absoluten Produktivitätsunterschiede (die absoluten Kostenvorteile) sind
also für die Frage nach der Arbeitsteilung relevant, sondern die Opportunitätskosten-
unterschiede (die sogenannten komparativen Kostenvorteile). Dieses Argument wurde
1817 von David Ricardo mit seinem Werk „Principles of Political Economy and Taxa-
tion“ in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht (Ricardo 1817).2 Die Idee die-
ser komparativen Kostenvorteile ist bis heute eine der Grundpfeiler der ökonomischen
Wissenschaft. In unserem Beispiel hat also Freitag einen komparativen Kostenvorteil bei
der Produktion von Fleisch, während Robinson einen komparativen Kostenvorteil bei der
Produktion von Gemüse hat.
Betrachten wir unser Beispiel genauer, dann zeigt sich darin bereits eine erste Idee
davon, wie man die Vorteile, die sich aus dem Handel für die Beteiligten ergeben, mes-
sen könnte. In den Beispielen hatten wir einen (realen) Preis von 3 kg Gemüse pro kg
Fleisch, und dann logischerweise einen (realen) Preis von Gemüse in Höhe von 1/3 kg
Fleisch pro kg Gemüse angenommen. Reale Preise sind Preise, die in Gütern aus-
gedrückt werden, d. h. sie sagen wie viel Mengeneinheiten des Gutes B aufgegeben
werden müssen, um eine Mengeneinheit des Gutes A zu kaufen. Nehmen wir wiederum
Robinson. Er ist auf den Kauf von Fleisch angewiesen, weil er sich ja vollständig auf die
Produktion von Gemüse spezialisiert. Ein Kauf wird sich für ihn nur dann lohnen, wenn
er dann weniger bezahlen muss als bei Selbstproduktion des Fleisches. In der Selbst-
produktion kostet ihn 1 kg Fleisch immer 4 kg Gemüse (also seine Opportunitätskosten).
Entsprechend wird er nur dann der Arbeitsteilung zustimmen, wenn er für 1 kg Fleisch
weniger bezahlen muss als 4 kg Gemüse. Seine Zahlungsbereitschaft (das ist der maxi-
male Preis, den jemand bereit ist zu zahlen) beträgt also 4 kg Gemüse pro kg Fleisch.
Aus Sicht des Freitag ergibt sich eine ähnliche Rechnung. Er verkauft das Fleisch und ist
(unterstellt, er verhält sich nach dem ökonomischen Prinzip) nur dann bereit, sein Fleisch
2Einen kurzen Überblick zu Leben und Werk David Ricardos gibt Weitz (2008).
126 M. Göke
Neben diesem sehr grundsätzlichen Ansatz werden in der ökonomischen Literatur wei-
tere Theorien diskutiert, die versuchen, die Gründe für Handel zu finden.3 Sie argu-
mentieren etwa, dass die Ausstattung verschiedener Länder mit Produktionsfaktoren
(sogenannte Faktorproportionentheorie nach Eli Heckscher und Bertil Ohlin) Ursa-
che für Handel sein könnte. Ist etwa ein Land (relativ gesehen) reich an Arbeitskraft,
so würde es sich wahrscheinlich lohnen, dass dieses Land sich auf die Produktion von
Gütern spezialisiert, die mit viel Arbeit hergestellt werden müssen, während ein Land,
das relativ gesehen über viel Kapital verfügt, eher diejenigen Güter produziert, die
kapitalintensiv produziert werden müssen.
Andere Ansätze argumentieren, dass selbst wenn alle Menschen über identi-
sche Produktivitäten verfügten und auch Faktorausstattungen identisch wären, sich
Arbeitsteilung und damit Handel dennoch herausbilden würde. In vielen Produktions-
technologien sinken mit steigenden Produktionsmengen bis zu einem gewissen Grad die
effizienten Verwendungen. Jede Gesellschaft, die sich auf Arbeitsteilung und Handel auf-
bauen will, ist mit diesem Problem konfrontiert und muss ein Verfahren entwickeln, wie
das Problem möglichst gut gelöst werden soll. Der nächste Abschnitt stellt einen mög-
lichen Ansatz zur Lösung gesellschaftlicher Knappheitsprobleme vor, den Markt.
6.4.2 Nachfragekurve
Betrachten wir zunächst die Abb. 6.6. Hier ist zunächst das Koordinatensystem zu sehen,
in dem unsere grafischen Darstellungen des Marktes abgebildet werden. Ökonomen
Abb. 6.6 Nachfragekurve im
Preis-Mengen-Diagramm
6 Angebot und Nachfrage 129
Bereits intuitiv leuchtet ein, dass die nachgefragte Menge eines Gutes nicht nur vom Preis
des Gutes abhängig ist, sondern von vielen anderen Faktoren auch: vom Einkommen der
Nachfrager, von ihren Erwartungen über die zukünftige Entwicklung des Preises, von den
130 M. Göke
Preisen anderer Güter, vom Wetter, von Moden und von vielen weiteren Faktoren. Steigt
etwas das Einkommen der Nachfrager, dann fragen sie üblicherweise mehr Güter nach,
steigt der Preis für Autos, dann werden auch weniger Reifen nachgefragt, bei Regen-
wetter werden mehr Schirme nachgefragt, im Sommer mehr Badeutensilien usw. Alle
diese weiteren Faktoren sind in unserer Grafik der Nachfragekurve nicht direkt berück-
sichtigt. Die Zweidimensionalität unserer Betrachtung lässt das nicht zu.
Damit stellt sich die Frage, in welcher Art und Weise die genannten Faktoren denn
Eingang in die Betrachtung der Nachfrage finden. Sie gar nicht zu berücksichtigen,
wäre falsch, denn dann wäre ja unsere Darstellung der Nachfragekurve unvollständig.
Daher bedienen wir uns einer Methode, die typisch ist für eine wissenschaftliche Ana-
lyse, zumal in den Wirtschaftswissenschaften. Wir analysieren ceteris paribus (abgekürzt
c. p.), d. h. unter sonst gleichen Bedingungen. Ceteris paribus bedeutet, dass man
die Auswirkungen einer einzigen Größe A auf eine Größe B untersucht, hier die Aus-
wirkungen von Preisveränderungen auf die nachgefragte Menge. Alle anderen Variab-
len, die ebenfalls Einfluss auf die Größe B nehmen könnten, werden als konstant
angenommen. Das bedeutet also für die Nachfragekurve, dass wir annehmen, dass das
Einkommen der Nachfrager genauso konstant ist wie ihre Erwartungen, die Preise ande-
rer Güter, das Wetter und alle anderen möglichen weiteren Einflussfaktoren.
Eine Änderung dieser Größen, etwa des Einkommens der Nachfrager, muss dann Ver-
schiebungen der Kurve hervorrufen. Abb. 6.7 reflektiert diese Lageänderung. Eine Ein-
kommenserhöhung führt in der Regel dazu, dass bei jedem Preis mehr nachgefragt wird
(oder für eine bestimmte Menge eine höhere Zahlungsbereitschaft gilt). Jeder einzelne
Punkt der Nachfragekurve N2 liegt dann weiter rechts (oder weiter oben, je nach Argu-
mentation) als der entsprechende Punkt auf der Nachfragekurve N1. Eine Einkommens-
reduktion würde entsprechend zu einer Linksverschiebung der Nachfragekurve führen.
Das bedeutet also, dass eine Veränderung dieser Nicht-Preis-Einflussfaktoren eine
Abb. 6.7 Änderungen
der Lageparameter der
Nachfragekurve =
Verschiebung
6 Angebot und Nachfrage 131
Veränderung der Lage der Nachfragekurve im Diagramm nach sich ziehen wird, man
spricht daher auch von Lageparametern der Nachfragekurve.
Für die grafische Analyse der Nachfragekurve ist es sehr wichtig, zwischen Ände-
rungen des Preises und Änderung der Lageparameter zu unterscheiden. Die Nachfrage-
kurve selbst zeigt ja den Zusammenhang zwischen Preis und nachgefragter Menge. Sie
sagt damit auch aus, was mit der nachgefragten Menge passiert, wenn sich der Preis ver-
ändert. Abb. 6.6 zeigt dies. Bei Preisveränderungen, etwa von p1 auf p2, bewegen wir uns
von Punkt B zum Punkt C auf einer bestehenden Nachfragekurve (aber die Kurve selbst
ändert sich nicht). Verändert sich ein Lageparameter (also eine Größe, die nicht an den
Achsen des Koordinatensystems steht), dann muss sich die Kurve verschieben. In welche
Richtung sie sich genau verschiebt, hängt von der Größe ab, die sich ändert und von der
Art des Gutes. Bei normalen Gütern verschiebt sich die Nachfragekurve mit steigendem
Einkommen nach rechts, bei sogenannten absolut inferioren Gütern (Güter, die mit stei-
gendem Einkommen absolut weniger nachgefragt werden, z. B. häufig einfache Lebens-
mittel wie Reis oder Mehl) nach links. Steigt der Preis von Substitutionsprodukten des
betrachteten Gutes (also von Ersatzprodukten, z. B. Butter und Margarine), wird vom
betrachteten Gut typischerweise mehr nachgefragt und die Nachfragekurve verschiebt
sich nach rechts. Steigt der Preis von Komplementen (also ergänzenden Gütern, z. B.
Auto und Benzin), dann wird vom betrachteten Gut üblicherweise weniger nachgefragt
und die Nachfragekurve für das betrachtete Gut müsste sich nach links verschieben.
6.4.4 Elastizitäten
Für die richtige Interpretation der Nachfragekurve ist neben ihrer Lage auch und ins-
besondere ihre Steigung von hoher Bedeutung. Abb. 6.8 zeigt zwei mögliche extreme
Abb. 6.8 Steigung der Nachfragekurve zeigt Ausmaß der Reaktion auf Preisveränderungen
132 M. Göke
Steigungsverläufe der Nachfragekurve. Links ist eine steile, rechts eine flache Kurve
abgebildet. In beiden Fällen sind die Preise p1 abgetragen, die den Ausgangspunkt
unserer Überlegungen bilden. Angenommen in beiden Fällen steigt nun der Preis von
p1 um das gleiche Ausmaß auf p2. Unseren zuvor angestellten Überlegungen folgend,
müsste nun die nachgefragte Menge zurückgehen. Die Steigung der Nachfragekurve
sagt aus, um wie viel die nachgefragte Menge sinkt, wenn sich der Preis erhöht. In der
linken Grafik ist der Rückgang der nachgefragten Menge deutlich kleiner als in der
rechten Abbildung. Die Steigung misst also das absolute Ausmaß der Reaktion der nach-
gefragten Menge bei einer Preiserhöhung.
Allerdings greift eine Betrachtung der absoluten Steigung zu kurz. So ist die Steigung
einer linearen Nachfragefunktion an jedem Punkt gleich, das bedeutet, dass die zuvor
genannte Messung immer den gleichen Wert aufweisen muss, egal ob der Preis von
einem Euro auf zwei Euro steigt oder von zehn Euro auf elf Euro, schließlich steigt der
Preis in beiden Fällen um ein Euro. Im ersten Fall steigt der Preis allerdings um 100 %,
während er sich im zweiten Fall lediglich um 10 % erhöht. Diese relativen Änderungen
werden berücksichtigt in der Berechnung von Elastizitäten. Allgemein betrachtet drücken
Elastizitäten aus, um wie viel sich eine abhängige Variable relativ gesehen ändert, wenn
sich die unabhängige Variable relativ betrachtet ändert. Sie wird also berechnet als:
relatives � der abhängigen Variablen
ε= (6.1)
relatives � der unabhängigen Variablen
In hier betrachteten Fall geht es um eine spezielle Elastizität, nämlich die Preiselastizität
der Nachfrage εq,p. In Anwendung der zuvor genannten allgemeinen Berechnung kann
sie dargestellt werden als:
relatives � der nachgefragten Menge
εq,p = (6.2)
relatives � des Preises
Sie sagt aus: Steigt der Preis um ein Prozent, um wie viel geht dann die nachgefragte
Menge zurück. Da sie auf relativen Änderungen beruht, kann man einzelne Werte besser
miteinander vergleichen. Da die nachgefragte Menge mit steigendem Preis zurückgeht,
muss die Preiselastizität der Nachfrage einen negativen Wert aufweisen, weil Zähler und
Nenner des Bruchs unterschiedliche Vorzeichen haben. Ist ε kleiner als –1, spricht man
von einer elastischen Nachfrage, weil dann die nachgefragte Menge (z. B. bei Reis oder
Nudeln) mehr zurückgeht, als der Preis gestiegen ist. Liegt der Wert von ε genau bei –1,
so ist die Nachfrage proportional elastisch. Von einer unelastischen Nachfrage ist dann
die Rede, wenn ε größer als –1, aber kleiner als Null ist. Vollkommen unelastisch ist die
Nachfrage dann, wenn der Preis prozentual steigt und die nachgefragte Menge (z. B. bei
Tabak) gar nicht reagiert, ε also den Wert Null aufweist.4
4Wir haben hier etwas ungenau gerechnet. Zur genauen mathematischen Berechnung der Preis-
elastizität der Nachfrage vgl. Christiaans und Ross 2019.
6 Angebot und Nachfrage 133
Es ist schwer, allgemein gültige Beispiele von Gütern zu finden, die für alle Men-
schen gleichwertige Elastizitätswerte aufweisen. Das liegt daran, dass die Elastizität
wesentlich von den individuellen Wünschen und Bedürfnissen abhängig ist, die sich aber
eben nicht verallgemeinern lassen. Sehr unelastisch sind typischerweise Suchtgüter oder
lebensnotwendige Medikamente.
Elastizitäten sind für viele ökonomische Fragen in der Realität von großer Bedeutung.
Etwa ist die Frage, wer durch eine Steuer belastet wird, von den Preiselastizitäten von
Nachfrage und Angebot abhängig. Auch die Frage nach der richtigen unternehmerischen
Preisstrategie wird fundamental von den Preiselastizitäten von Angebot und Nachfrage
beeinflusst.
Dem Nachfrager und seinem Verhalten gegenüber steht der Unternehmer, der (wie
Freitag in unserem Arbeitsteilungsbeispiel) Güter verkaufen will. Abb. 6.9 zeigt seine
Angebotskurve, welche das Verhalten des Anbieters ausdrücken soll. Sie zeigt die posi-
tive Beziehung zwischen dem Preis und der angebotenen Menge des Gutes. Wie im Falle
von Robinson und Freitag, wird ein Gut nur dann von einem Unternehmen angeboten,
wenn er durch den Preis mindestens seine Produktionskosten wieder zurückbekommt.
In Punkt D der Abb. 6.9 ist der Preis p3, zu dem verkauft werden könnte, recht nied-
rig. Entsprechend werden hier nur wenige Anbieter in der Lage sein, überhaupt ihre
Produktionskosten zu decken und anzubieten. Demnach ist die angebotene Menge
q3 vergleichsweise gering. Mit steigendem Preis nimmt die angebotene Menge c. p. zu.
Beim Preis p4 im Punkt E werden mehr Unternehmen in der Lage sein, ihre Produktions-
kosten zu decken. Diejenigen Unternehmen, die auch beim niedrigen Preis bereit waren,
anzubieten, würden auch beim hohen Preis ihr Angebot aufrechterhalten. Die angebotene
Abb. 6.9 Angebotskurve
134 M. Göke
Menge ist also in q4 größer. Entsprechend ist die angebotene Menge mit steigendem
Preis ansteigend.
Wie bei der Nachfrage, erfolgt auch beim Angebot die Analyse ceteris paribus. Alle
anderen Faktoren, die neben dem Preis auf die angebotene Menge Einfluss nehmen,
werden als konstant angenommen. Dies könnte der technische Fortschritt sein oder
auch Erwartungen über zukünftige Entwicklungen des Preises. Alle Lageparameter
beeinflussen die Lage der Angebotskurve im Diagramm. Verändern sie sich, dann ver-
schiebt sich die Angebotskurve wie in Abb. 6.10. So würde ein technischer Fortschritt
zur Reduktion von Produktionskosten führen und zu einem bestimmten Preis könnte nun
eine höhere Menge produziert werden (oder eine bestimmte Menge zu einem geringeren
Preis angeboten). Die früheren Punkte D und E liegen damit weiter rechts, dies gilt für
alle Punkte der Angebotskurve. Somit würde die Kurve insgesamt weiter rechts (bzw.
weiter unten) liegen. Erwarten die Unternehmen höhere Preise in der Zukunft, dann wür-
den sie versuchen, ihr Angebot zurückzuhalten, um später zu höheren Preisen verkaufen
zu können. Entsprechend würde zu jedem Preis weniger angeboten, die Angebotskurve
verschiebt sich also nach links.
Die Steigung der Angebotskurve zeigt, wie flexibel Anbieter auf Preiserhöhungen mit
einer Erhöhung der angebotenen Menge reagieren könnten. Je flacher sie ist, umso weni-
ger ausgelastet werden wahrscheinlich die Produktionskapazitäten sein und bei einer
Preiserhöhung am Markt werden die Anbieter mehr produzieren, um mehr absetzen zu
können. Je steiler die Angebotskurve wird, umso weniger sind die Anbieter in der Lage,
bei einer Preiserhöhung mehr zu produzieren, etwa weil die Produktionskapazitäten
immer mehr ausgelastet sind. Der Extremfall einer senkrechten Angebotskurve würde
dann zeigen, dass die Anbieter gar keine mengenmäßige Flexibilität mehr haben und eine
Produktionsausweitung unmöglich ist.
Abb. 6.10 Änderungen
der Lageparameter der
Angebotskurve = Verschiebung.
(Quelle: Eigene Darstellung)
6 Angebot und Nachfrage 135
Soll nun diese Flexibilität genauer berechnet (und eventuell für verschiedene Situatio-
nen miteinander verglichen werden), so ist die reine Steigungsbetrachtung erneut zu ein-
fach. Stattdessen muss, wie auch bei der Nachfrage, auf die Elastizität zurückgegriffen
werden. Für das Angebot berechnet man die sogenannte Preiselastizität des Angebots.
Sie zeigt, um wie viel die angebotene Menge prozentual steigt, wenn sich der Preis, pro-
zentual gesehen, erhöht. Berechnet wird sie analog der Gl. 6.2.
relatives � der angebotenen Menge
εq,p = (6.3.)
relatives � des Preises
Typischerweise ist die Preiselastizität des Angebots positiv, da mit steigendem Preis
mehr Menge angeboten wird.
Bisher haben wir das Verhalten von Nachfragern und Anbietern in unseren grafischen
Darstellungen dieses Verhaltens getrennt voneinander diskutiert. Nun bringen wir beide
zusammen und besprechen, auf welche Art und Weise der Marktmechanismus das Ver-
halten koordiniert und aufeinander abstimmt. In Abb. 6.11 wurden Nachfrage- und
Angebotskurve zusammen abgetragen. Ein Marktgleichgewicht ist in unseren Fällen
immer dort erreicht, wo die angebotene Menge der nachgefragten Menge entspricht, der
Markt also geräumt wird. Diesen Ausgleich von angebotener und nachgefragter Menge
wird in der Gleichgewichtsmenge q* erreicht. Nur ein einziger Preis auf der Ordinate
bringt Nachfrager und Anbieter dazu, genau die gleiche Menge kaufen und verkaufen zu
wollen, das ist der sogenannte markträumende Gleichgewichtspreis p*. Das Marktgleich-
gewicht besteht also aus dem Gleichgewichtspreis p* und der Gleichgewichtsmenge
q*. Die Gleichgewichtsmenge ist zudem noch die höchstmögliche Menge, die auf dem
gegebenen Markt (also ceteris paribus) überhaupt gehandelt werden kann.
Bei jedem anderen Preis, etwa p1 oder p3 in Abb. 6.12, wird weniger gehandelt.
Angenommen, es gelte der Preis p1. Zu diesem geringen Preis wären mehr Nachfrager
bereit, das Gut zu erwerben, ihre gewünschte Nachfragemenge wäre q1N . Allerdings
würden die Anbieter wegen des vergleichsweise geringen Preises versuchen, eher eine
geringere Menge abzusetzen, die angebotene Menge bei p1 wäre q1A. Entsprechend würde
bei p1 nur die angebotene Menge auch abgesetzt, weniger als im Gleichgewicht.
Abb. 6.12 zeigt darüber hinaus weitere Eigenschaften des Marktgleichgewichts.
Betrachten wir erneut den Preis p1. Wie zuvor beschrieben, herrscht zu diesem Preis ein
Ungleichgewicht, die nachgefragte Menge ist größer als die angebotene Menge, man
spricht von einem Nachfrageüberhang. Vorausgesetzt Anbieter und Nachfrager handeln
wirtschaftlich, wird dieser Überhang nicht lange Bestand haben. Eine solche Situation
(p1 in Abb. 6.12) ist gekennzeichnet durch einen Preis unterhalb des Gleichgewichts-
preises. Entsprechend wird die nachgefragte Menge größer und die angebotene Menge
kleiner (als im Gleichgewicht). Die Reaktion eigennutzorientierter, rational handelnder
Nachfrager wird sein, zu versuchen, die anderen Nachfrager, die auch alle das Gut kau-
fen wollen, zu überbieten. Das können insbesondere diejenigen Nachfrager tun, deren
Zahlungsbereitschaft besonders hoch ist. Auch die Anbieter werden ihr Verhalten ändern:
Der Nachfrageüberhang wird ihnen einen Anreiz bieten, den Preis zu erhöhen. Beide
Verhaltensänderungen führen tatsächlich zu einem ansteigenden Preis, z. B. auf p3. Die
Preisveränderung wiederum lässt einige Nachfrager aus dem Markt aussteigen, weil der
nun geltende Preis ihre Zahlungsbereitschaft übersteigt, die nachgefragte Menge sinkt
von q1N auf q3N . Andererseits ist der gestiegene Preis für die Anbieter ein Anreiz, mehr
Menge anzubieten bzw. für einige Unternehmen, überhaupt erst anzubieten, weil der
nun geltende Preis ihre Produktionskosten deckt (und der alte Preis p1 das eben nicht
getan hat). Die angebotene Menge steigt damit von q1A auf q3A. Der Nachfrageüberhang
lässt also die Preise ansteigen. Zwar herrscht auch in p3 weiter ein Nachfrageüber-
hang, der aber kleiner ist als im Startpunkt. Die gerade beschriebenen Anreize für die
Nachfrager, sich gegenseitig zu überbieten und für die Anbieter, ihre Preise zu erhöhen,
Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage geschieht im Markt durch Änderungen
des Preises. Unter Preisen verstehen wir in der Ökonomik weniger den absoluten Preis
eines Gutes, also den Preis gemessen in Währungseinheiten pro Gut. Zwei Euro pro
kg Gemüse oder sechs Euro pro kg Fleisch sind typische absolute Preise. Relevant für
ökonomische Entscheidungen sind allerdings reale bzw. relative Preise. Bereits beim
Arbeitsteilungsbeispiel von Robinson und Freitag wurden relative Preise besprochen.
Freitag verkaufte dort das von ihm produzierte Fleisch für 3 kg Gemüse pro kg Fleisch.
Relative Preise sind also Preise, die in Gütereinheiten gemessen werden und aus-
drücken, wie viel andere Güter aufgegeben (=bezahlt) werden müssen, um eine Einheit
des betrachteten Gutes erwerben zu können. Angenommen die absoluten Preise wären
vier Euro pro kg Gemüse und zwölf Euro pro kg Fleisch. Dann würden sich die öko-
nomischen Entscheidungen nicht ändern, denn die relativen Preise blieben die gleichen.
Preise erfüllen eine besonders wichtige Funktion im Markt. Zum einen zeigt ihre
Höhe die Knappheit eines Gutes. Ist der Preis hoch, dann kann das daran liegen, dass
viele Nachfrager das Gut haben wollen, es also nachfrageseitig knapp ist, da viele
Menschen es zur Bedürfnisbefriedigung haben wollen. Ein hoher Preis kann aber auch
durch hohe Produktionskosten (also die Notwendigkeit des Einsatzes vieler knap-
per Ressourcen zur Produktion dieses Gutes) verursacht sein. Preise spiegeln also die
relative Knappheit eines Gutes. Damit zeigt sich zum anderen die Lenkungsfunktion
(nachfolgend werden wir von Allokation sprechen), die Preise innehaben. Preise len-
ken das Verhalten von Wirtschaftssubjekten, weil sie Informationen über Knappheiten
der Güter beinhalten, den Wirtschaftssubjekten damit verraten, welche Handlungen
für sie individuell vorteilhaft sind und welche nicht. Sie beeinflussen damit wesentlich
die Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten. Das zeigt auch, warum viele Ökonomen
sehr kritisch sind, wenn es um mögliche politische Einflussnahmen auf den Preis geht.
Sie sehen mit staatlich gesetzten Höchstpreisen, die nicht überschritten werden dürfen
oder Mindestpreisen, deren Unterschreitung staatlich verboten ist, die beschriebene
Lenkungsfunktion des Preises bedroht. Sie gehen davon aus, dass mit staatlichen Ein-
griffen in die Preise die gesamte Marktfunktion empfindlich gestört werden kann. Der
Grund dafür liegt im gerade Besprochenen.
größte Wertschöpfung erfolgt, arbeitet jeder einzelne notwendigerweise darauf hin, das jährliche
Volkseinkommen möglichst groß zu machen. In der Regel hat er freilich weder die Absicht, das
Gemeinwohl zu fördern, noch weiß er, wie sehr er es fördert. Wenn er die heimische Erwerbstätig-
keit so ausrichtet, dass die größte Wertschöpfung erfolgt, denkt er nur an seinen eigenen Vorteil,
und dabei wird er, wie in vielen anderen Fällen auch, von einer unsichtbaren Hand geleitet, einem
Zweck zu dienen, der nicht in seiner Absicht lag.“ (Smith 1776, S. 467)5
Die gerade besprochenen Zusammenhänge haben nun gezeigt, dass Märkte immer
dann in der Lage sind, für eine allgemein sinnvolle Koordination von Nachfrager- und
Anbieterwünschen zu sorgen, wenn das individuell eigennützige Verhalten beider durch
den Markt aufeinander abgestimmt wird. Dies gilt auch, wenn das Marktgleichgewicht
durch externe Schocks gestört wird. Unter externen Schocks verstehen wir in der Öko-
nomik von außen vorgegebene (d. h. nicht durch das Modell erklärte) Veränderungen,
die sich auf den Markt auswirken. Dies könnten etwa Einkommensveränderungen sein,
Änderungen der Preise anderer Güter, Erwartungsänderungen oder anderes. Zuvor wurde
bereits diskutiert, dass die genannten Einflussfaktoren als Lageparameter von Nachfrage-
und Angebotskurve zu sehen sind, weil ihre Schwankungen als Verschiebungen der Kur-
ven abzubilden sind. Wie die folgenden Beispiele zeigen werden, ist der Markt auch bei
solchen Veränderungen stabil, d. h. er findet ohne Eingriff von außen zu einem neuen
Gleichgewicht.
Betrachten wir Abb. 6.13. Hier findet sich im Punkt A das Ausgangsgleichgewicht,
das durch p*1 und q*1 bestimmt ist. Es soll nun davon ausgegangen werden, dass das Ein-
kommen der Nachfrager exogen (also von außen) vorgegeben ansteigt. Bereits zuvor
wurde gezeigt, dass eine solche Veränderung eines Lageparameters zu einer Rechtsver-
schiebung der Nachfragekurve führen wird. In Abb. 6.13 ist die Veränderung zu sehen, die
Nachfragekurve hat sich nach rechts verschoben, aus N wird N1. Eigentlich ist nun also die
ursprüngliche Nachfragekurve N nicht mehr da, es gilt vielmehr nur noch die neue Kurve
N1. Damit die sich nun ergebenden Veränderungen klar werden, betrachten wir den alten
Preis p*1. Zu diesem Preis, der neuen Nachfragekurve N1 und der alten Angebotskurve A
herrscht nun ein Nachfrageüberhang in Höhe der Differenz zwischen qN1 und q*1. Zuvor
wurde bereits beschrieben, auf welche Art und Weise Nachfrageüberhänge über steigende
Preise ausgeglichen werden. Auch hier geschehen die gleichen Verhaltensanpassungen
und daraus folgende Preisänderungen, die Schritt für Schritt für einen Ausgleich zwischen
Angebot und Nachfrage sorgen. Im Nachfrageüberhang versuchen sich die Nachfrager
nämlich in Konkurrenz um den Kauf des Gutes zu überbieten und die Anbieter können es
Abb. 6.13 Änderungen
der Lageparameter und
Marktgleichgewicht
sich erlauben, angesichts dieses Wettbewerbs mehr zu verlangen, sodass sich der Markt-
preis auf z. B. p2 erhöht. Bei p2 ist der Nachfrageüberhang bereits kleiner geworden,
denn schließlich treten mit steigendem Marktpreis einige Nachfrager aus dem Markt aus,
während einige Anbieter in den Markt eintreten bzw. die bereits im Markt befindlichen
Anbieter ihre Angebotsmengen erhöhen. Der kleiner gewordene Nachfrageüberhang in p2
wird dennoch zu weiter steigenden Preisen führen und zwar bis zu dem Punkt, an dem
angebotene und nachgefragte Menge wieder ausgeglichen sind. Die Anpassungen zum
neuen Gleichgewicht erfolgen also entlang der bestehenden Angebotskurve A und der
Nachfragekurve N1 (siehe Pfeile auf N1 und A in Abb. 6.13). Die Angebotskurve selbst
bleibt bestehen, sie wird nicht verschoben. Der Grund liegt in der wichtigen, bereits
beschriebenen Unterscheidung zwischen Änderungen der Lageparameter der Kurven (also
der Einflussfaktoren, die nicht an den Achsen abgetragen sind) und Änderungen des Prei-
ses (der auf der Ordinate abgetragen ist). Nur Lageparametervariationen führen zu Ver-
schiebungen der Kurven. Für die Anbieter ändert sich aber lediglich der Preis, und zwar
weil die Nachfrager nun mehr einkaufen durch ihr erhöhtes Einkommen. Da sich auf der
Angebotsseite nur der Preis ändert, verschiebt sich also die Kurve nicht. Stattdessen erfolgt
die Anpassung hin zum neuen Gleichgewicht entlang der bestehenden Angebotskurve.
Die Einkommenserhöhung hat also letztlich zu einer Erhöhung des Gleichgewichtspreises
geführt und die gehandelte Menge ansteigen lassen. Diese Änderung ist angesichts des
bereits beschriebenen Charakters des Preises als Knappheitsindikator auch nachvollzieh-
bar. Mehr Nachfrager wollen das Gut erwerben, es ist also von der Nachfragerseite her
knapper geworden, damit muss der Marktpreis ansteigen.
Eine Einkommensreduktion hätte den gegenteiligen Effekt, die Nachfragekurve
würde sich nach links verschieben, beim alten Preis entstünde ein Angebotsüberhang,
der (durch eine Anpassung entlang der dann bestehenden Kurven) zu sinkenden Prei-
sen und sinkenden gehandelten Mengen führte. Veränderungen der Lageparameter der
Angebotskurve wiederum verändern die Lage dieser Kurve im Diagramm. Etwa könn-
ten verschärfte Umweltauflagen der Regierung die Produktionskosten erhöhen, was
zu einer Linksverschiebung der Angebotskurve führen müsste. Beim alten Marktpreis
6 Angebot und Nachfrage 141
In den vorangegangenen Abschnitten haben wir diskutiert, auf welche Art und Weise
der Markt für eine Koordination der wirtschaftlichen Entscheidungen von Anbietern
und Nachfragern sorgt. Dabei kam heraus, dass der Marktmechanismus als Regelung
gesehen werden muss, die diese Abstimmung über den Preis eines Gutes vornimmt.
Der Preis ist dabei nicht zufällig hoch oder niedrig, sondern wegen der sich in den Ent-
scheidungen von Anbietern und Nachfragern ausdrückenden Knappheit des Gutes.
Jede Gesellschaft, die auf Arbeitsteilung beruht, sei es die Gesellschaft aus Robinson
und Freitag oder eine aus etwa 80 Mio. Personen wie in der Bundesrepublik Deutsch-
land, muss aufgrund der vorherrschenden Knappheit mehrere Entscheidungen treffen
bzw. Fragen der Organisation der Bedürfnisbefriedigung in Arbeitsteilung beantworten:
1. Was soll produziert werden? Wegen der Knappheit kann nicht jedes Gut produziert
werden, sondern die Gesellschaft muss entscheiden, welches Gut hergestellt werden
soll. Grundsätzlich kann man sich wahrscheinlich darauf einigen zu sagen, dass vor
allem diejenigen Güter produziert werden sollen, die von den Menschen gewollt wer-
den, die also zu einer hohen Bedürfnisbefriedigung der Nachfrager beitragen. Damit
stellt sich die weitergehende Frage: Wie schafft es die Gesellschaft, genau diejenigen
Güter zu produzieren, die die Menschen gerne hätten?
2. Wer soll die gewünschten Güter produzieren? Es muss entschieden werden, wel-
cher der Produzenten, die grundsätzlich in der Lage wären, die gewünschten Güter
zu produzieren, das nun tun soll. Auch hier kann man sich auf der Grundlage zuvor
genannter einfacher ökonomischer Prinzipien darauf einigen, dass am besten die-
jenigen Unternehmen ein Gut produzieren und anbieten, die das am billigsten, also
mit dem geringsten Einsatz an knappen Ressourcen, tun können. Damit stellt sich
aber die Frage: Wie schafft die Gesellschaft es, genau diejenigen Unternehmen ein
Gut produzieren zu lassen, die das am ressourcenschonendsten können?
3. Sind die Güter einmal produziert, stellt sich die Frage: Wer soll die Güter erhalten?
Da Knappheit herrscht, können nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden, damit kön-
nen also auch nicht alle Nachfrager ein Gut bekommen. Auch hier könnte man auf der
142 M. Göke
Ein Wirtschaftssystem ist letztlich nichts anderes als eine ganz spezielle Lösung für das
Allokations- und für das Motivationsproblem. In einer Zentralverwaltungswirtschaft
wird das Allokationsproblem durch eine zentrale Planung der Produktionsprozesse
gelöst, während das Motivationsproblem über gemeinschaftliches Eigentum an den
Produktionsmitteln einer Lösung zugeführt werden soll. Die ehemaligen sozialistischen
Staaten des Ostblocks waren solche Zentralverwaltungswirtschaften. Marktwirtschaften
wiederum zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Allokationsproblem mittels dezentral
organisierter Planungsprozesse und deren Koordination über den Markt zu lösen suchen.
Motivation soll in Marktwirtschaften mittels Privateigentum an den Produktionsmitteln
erreicht werden.
In einer Marktwirtschaft wird also die zuvor genannte erste Frage nach dem Was der
Produktion nur dezentral beantwortet. Jedes Wirtschaftssubjekt entscheidet für sich,
was es produziert, in welcher Qualität und in welcher Menge. Die zuvor beschriebenen
Marktprozesse sorgen dann dafür, dass von allen Gütern, die die Menschen gerne hät-
6 Angebot und Nachfrage 143
ten, auch genügend am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität und
Quantität vorhanden sind. Werden nämlich z. B. nur Tische produziert, weil alle Unter-
nehmen sich dezentral entschieden haben, dies zu tun, dann wird (wegen des hohen
Angebots) der Preis für Tische gering sein, sodass wahrscheinlich wenig Gewinn abfällt
und einige Unternehmen sich auf die Produktion anderer Gütern spezialisieren. Wahr-
scheinlich werden das zuerst diejenigen Unternehmen tun, die in der Tischproduktion
nicht so effizient produziert haben, deren Produktionskosten also vergleichsweise hoch
waren. Das bedeutet also, dass der Marktmechanismus die Ressourcen in die effizien-
ten Verwendungen lenkt, also auch die zuvor genannte zweite Frage der Allokation löst.
In einem funktionierenden Markt werden also über kurz oder lang diejenigen Anbieter
ein Gut verkaufen, deren Produktionskosten für das Gut am geringsten waren. Das ist
gesellschaftlich wünschenswert und effizient, denn ein Gut mit geringsten Produktions-
kosten zu produzieren bedeutet, möglichst wenig knappe Ressourcen bei seiner Pro-
duktion einzusetzen. Der Marktmechanismus sorgt also für die Erreichung einer Art
Minimalprinzips auf der Angebotsseite.
Auch die dritte Frage, die nach dem „Wer erhält das Gut?“ wird durch den Mechanis-
mus des Marktes beantwortet. Schließlich werden diejenigen Nachfrager das Gut im
Markt am wahrscheinlichsten bekommen, deren Zahlungsbereitschaft besonders hoch
ist, die also bereit sind, viel alternative Bedürfnisbefriedigungen aufzugeben, um das Gut
zu erhalten. Es kann davon ausgegangen werden, dass man nur dann viel von anderen
Gütern aufgibt, wenn einem das Gut, um das es geht, sehr wichtig ist, also eine hohe
individuelle Bedürfnisbefriedigung durch dieses Gut erwartet wird. In einem Markt-
system erhält also derjenige ein Gut, dessen Bedürfnisbefriedigung durch das Gut
besonders hoch ist. Der Marktmechanismus sorgt also für die Erreichung des Maximal-
prinzips auf der Nachfrageseite.
Die beschriebenen Prozesse sind genau die, welche Adam Smith mit „der unsicht-
baren Hand des Marktes“ bezeichnet. Ohne dass jemand zentral darüber wacht, welche
Güter wie produziert werden, erreicht das dezentrale eigennutzorientierte Verhalten jedes
Einzelnen und die Abstimmung dieses individuellen Verhaltens über den Markt doch
eine höchstmögliche Bedürfnisbefriedigung für alle. Die bereits beschriebenen Fragen,
die das Allokationsproblem aufwirft, werden also durch den Markt als Koordinations-
mechanismus gelöst.
Unter dem Motivationsproblem verstehen wir die Problematik, dass Leistungen in
Arbeitsteilung für andere erbracht werden müssen und dass daher ein System gefunden
werden muss, diese Motivation zu implementieren. Das Problem fußt auf einer durch die
Arbeitsteilung reduzierten Möglichkeit der individuellen Zurechnung von Handlungs-
folgen zu sie verursachenden Handlungen. Durch Arbeitsteilung können die negativen
Folgen der Nicht-Leistung (=reduzierte Bedürfnisbefriedigung) nicht genau auf den Ver
ursacher zurückgerechnet werden. Auch der Handelspartner des Nicht-Leisters hat die
negativen Folgen zu tragen, obwohl er sie nicht verursacht. In einer Marktwirtschaft wird
das Motivationsproblem gelöst, in dem man versucht, diese Zuordnung von Handlungs-
folgen und verursachenden Handlungen wiederherzustellen. Das Instrument dazu ist das
144 M. Göke
Je besser ein Markt funktioniert, umso besser werden Allokations- und Motivations-
problem gelöst. Um die Funktionsweise von Märkten richtig zu verstehen, bedienen
sich die Ökonomen der Idee des vollkommenen Marktes.7 Der vollkommene Markt
ist ein Modell, das dabei helfen soll, diese Funktionsweise zu verstehen, ohne dass die
Komplexität der Realität die Erkenntnis verschleiert. Der vollkommene Markt wird
charakterisiert durch mehrere Eigenschaften:
Wie man erkennt, ist ein solcher Markt so unrealistisch, dass man schon die Frage stellen
kann, wie man mit seiner Hilfe Aussagen über die Realität treffen können soll. Er hilft
aber dennoch sehr, eben weil er so unrealistisch ist. In der Realität kann eine beobachtete
Preisveränderung im Markt durch zahlreiche Ursachen verursacht worden sein. Die
hohe Komplexität der Realität macht damit klare Aussagen über Ursache-Wirkungs-Be-
ziehungen problematisch. Um also die Fragen zu beantworten, welche Größen generell
für eine Preisänderung verantwortlich sein könnten, müssen zunächst alle möglichen
Ursachen isoliert betrachtet werden, um dann die im Einzelfall richtige Ursache heraus-
filtern zu können.
Zuvor wurde besprochen, dass durch freiwilligen Tausch von Gütern zwischen privaten
Wirtschaftssubjekten die Wirtschaftlichkeit der Bedürfnisbefriedigung erhöht werden
kann. Märkte wurden als Institutionen beschrieben, die dafür sorgen sollen, die Allo-
kation von Ressourcen und die Motivation von privaten Wirtschaftssubjekten in einer
arbeitsteiligen Wirtschaft sicher zu stellen. Dabei stellt sich noch die Frage, wie die
Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, die sich durch den Markttausch ergibt, gemessen wer-
den kann. In der Ökonomik werden dafür die Konzepte Konsumenten- und Produzenten-
rente verwendet.
In Abb. 6.14 ist eine Marktsituation abgebildet. Betrachten wir zunächst die Nachfrage-
kurve. Hier ist der Punkt B eingezeichnet. Er steht für alle Nachfrager, die bereit wären,
für das Gut maximal den Preis p1 zu zahlen. Tatsächlich bezahlen diese Nachfrager aber
den Gleichgewichtspreis p*. Damit ist der Vorteil, den sie aus dem Markttausch erhalten,
die Differenz zwischen der maximalen Zahlungsbereitschaft und dem Marktpreis. Diese
Differenz wird als Konsumentenrente bezeichnet. Erinnern wir uns an Robinson und
Freitag. Robinson war dort bereit, maximal den relativen Preis von 4 kg Gemüse pro kg
Fleisch zu bezahlen. Tatsächlich lag der Marktpreis aber bei 3 kg Gemüse pro kg Fleisch.
Für jedes gehandelte kg Fleisch hatte Robinson also einen Vorteil von 1 kg Gemüse, weil
er selbst für die Produktion jedes kg Fleischs 4 kg Gemüse hätte einsetzen müssen, wäh-
rend er in Arbeitsteilung und Handel nur 3 kg Gemüse pro kg Fleisch bezahlt. Er erzielt
also eine Konsumentenrente. Für die Nachfrager, die sich im Punkt B befinden, ist die
Konsumentenrente also die vertikale Differenz zwischen dem Preis p1 und p*, abgelesen
auf der Ordinate. Der gleiche Abstand wäre auch im Koordinatensystem einzeichenbar,
dann wäre es die gestrichelte Linie zwischen dem Punkt B und dem Punkt C.
146 M. Göke
Auch im Punkt D gibt es eine bestimmte Anzahl an Nachfragern, die maximal bereit
wären, den Preis p2 zu zahlen, tatsächlich im Marktgleichgewicht aber lediglich p*
bezahlen müssen. Ihre Konsumentenrente ist damit als der senkrechte Abstand zwischen
dem Punkt D und dem Punkt E darstellbar. Führt man diese Beispiele weiter, so ist leicht
erkennbar, dass für alle Preise, die oberhalb von p* liegen, analoge senkrechte Linien
eingezeichnet werden könnten, die gesamte Konsumentenrente für alle Nachfrager mithin
das hellgrau markierte Dreieck zwischen p*, F und G sein muss. Grafisch ist die Konsu-
mentenrente also die Fläche unterhalb der Nachfragekurve, aber oberhalb des Preises.
Analog ist die Produzentenrente erklärbar. In Abb. 6.14 ist der Punkt H eingezeichnet.
Er stellt diejenigen Anbieter dar, die bereit wären, mindestens für den Preis p3 ihre Pro-
dukte zu verkaufen. Im genannten Beispiel wird aber tatsächlich zum Preis p* gehandelt,
sodass die Anbieter mehr erhalten als sie mindestens haben wollen. Sie erzielen damit
eine sogenannte Produzentenrente in Höhe der Differenz zwischen p3 und p*, in der
Grafik kann dies durch den Abstand zwischen dem Punkt H und dem Punkt K kennt-
lich gemacht werden. Erinnern wir uns erneut an Robinson und Freitag. Freitag wollte
mindestens 2 kg Gemüse pro kg Fleisch haben, denn das waren seine Produktionskosten.
Indem er seine Produkte am Markt tauscht, erhält er 3 kg Gemüse pro verkauftem kg
Fleisch. Er erreicht damit eine Produzentenrente in Höhe von 1 kg Gemüse pro ver-
kauftem kg Fleisch. Diese 1 kg ist der Vorteil, den der Produzent aus dem Handel erzielt,
somit also seine Produzentenrente. Nimmt man weitere Produzenten hinzu, dann ist die
gesamte Produzentenrente (analog der Herleitung der Konsumentenrente) die gesamte
dunkel markierte Fläche zwischen p*, L und G. Die Produzentenrente ist also die Fläche
oberhalb der Angebotskurve, aber unterhalb des Preises.
Am Ende stellt sich nun die Frage, welches der beiden Konzepte der Messung von
ökonomischer Wohlfahrt und Bedürfnisbefriedigung denn nun wichtiger ist. Stellen
wir uns vor, der Staat führt im Markt aus Gründen wohlbedachten Anbieterschutzes
einen Mindestpreis ein. Dadurch wird der Preis, zu dem die Anbieter verkaufen, natür-
lich steigen, die Produzentenrente also auch. Allerdings muss der Preis, den die Nach-
6 Angebot und Nachfrage 147
frager bezahlen, ebenfalls ansteigen, die Konsumentenrente fällt also. Wie wäre eine
solche Maßnahme aus ökonomischer Sicht zu bewerten? Bereits bei der Diskussion der
Bedeutung von Opportunitätskosten haben wir betont, dass eine ökonomische Analyse
stets alle Vorteile und alle Nachteile einer Maßnahme berücksichtigen muss. Demnach
sind Konsumenten- und Produzentenrente gleich wichtig, was zählt, ist die Summe
aus beiden, der sogenannte soziale Überschuss. Er fungiert also das ökonomische Ent-
scheidungskriterium. Wäre also durch die zuvor genannte Mindestpreiseinführung der
soziale Überschuss gestiegen (weil die Konsumentenrente weniger gefallen ist als die
Produzentenrente gestiegen), dann würden wir die Maßnahme aus unserer theoretischen
Sicht als sinnvoll erachten. Wäre umgekehrt die Konsumentenrente stark gefallen, wäh-
rend die Produzentenrente sich nur wenig erhöht, dann müsste der soziale Überschuss
folglich fallen und wir würden die staatliche Maßnahme als nicht sinnvoll klassifizieren.
Literatur
Christiaans, T., & Ross, M. (2019). Wirtschaftsmathematik für das Bachelor-Studium. Lehr- und
Arbeitsbuch (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Erlei, M., Leschke, M., & Sauerland, D. (2007). Neue Institutionenökonomik (2., überarbeitete und
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Wirtschaftswissenschaftler. Heidelberg: Physica-Verlag.
Krugman, P. R., Obstfeld, M., & Melitz, M. J. (2012). Internationale Wirtschaft: Theorie und Poli-
tik der Außenwirtschaft (9., aktualisierte Aufl.). München: Pearson.
Nietsch-Hach, C. (2014). Ethisches Verhalten in der modernen Wirtschaftswelt. Konstanz: UVK.
Ricardo, D. (1817). Principles of political economy and taxation. Reprint. New York: Prometheus
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Smith, A. (1776). Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker. Übersetzt
von Monika Streissler, 2 Bände, Düsseldorf 1999.
Weitz, B. O. (Hrsg.). (2008). Bedeutende Ökonomen. München: Oldenbourg.
Prof. Dr. Michael Göke ist seit 2004 Professor für Volkswirtschafts-
lehre an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Von
2006 bis 2018 war er Dekan des Fachbereichs Volkswirtschaftslehre.
Seine wissenschaftlichen Interessengebiete sind die Mikroökonomik
und die Wirtschaftspolitik.
Grundlagen HGB
7
Jens M. Schmittmann
J. M. Schmittmann (*)
Rechtsanwalt und Steuerberater, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 149
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_7
150 J. M. Schmittmann
Inhaltsverzeichnis
7.1 Einführung
7.1.1 Einordnung
Das Handelsrecht ist zwar überwiegend dem Privatrecht zuzuordnen. Gleichwohl ent-
hält das HGB auch öffentlich-rechtliche Vorschriften sowie Straftatbestände. Die §§ 8 ff.
HGB beschreiben das Handels- und Unternehmensregister, die §§ 238 ff. HGB regeln
die Buchführungspflicht und §§ 331 ff. HGB enthalten Straf- und Bußgeldvorschriften.
Gemäß Art. 2 Einführungsgesetz zum HGB (EGHGB) kommen in Handelssachen
die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur insoweit zur Anwendung,
als nicht im Handelsgesetzbuch (HGB) oder in diesem Gesetz (EGHGB) ein anderes
bestimmt ist.
Die Vorschriften des HGB können gegenüber dem BGB sowohl Ausnahme- als auch
Ergänzungscharakter haben. Zu den Ausnahmevorschriften zu den Regelungen im BGB
sind zu nennen:
• § 348 HGB: Keine Herabsetzung einer Vertragsstrafe gemäß § 343 BGB, die von
einem Kaufmann im Betrieb seines Handelsgewerbes versprochen ist;
• § 349 HGB: Einrede der Vorausklage nicht möglich, wenn die Bürgschaft für den
Bürgen ein Handelsgeschäft ist;
• § 350 HGB: Nichtanwendbarkeit von Formvorschriften des BGB für Bürgschaften,
Schuldversprechen und Schuldanerkenntnisse, sofern die Bürgschaft aufseiten des
Bürgen das Versprechen oder das Anerkenntnis aufseiten des Schuldners ein Handels-
geschäft ist.
152 J. M. Schmittmann
Beim Kaufrecht gilt grundsätzlich das Sachmängelrecht des BGB. Gemäß § 377 Abs. 1
HGB hat der Käufer die Ware allerdings unverzüglich nach der Ablieferung durch den
Verkäufer zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich
Anzeige zu machen, sofern es sich für beide Teile um ein Handelsgeschäft handelt.
7.1.2 Seehandelsrecht
Das HGB enthält darüber hinaus in §§ 476 ff. HGB das Seehandelsrecht, das hier nicht
behandelt wird.
7.1.3 Rechtsentwicklung
Bereits das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (ALR) enthielt
umfassende Regelungen des Handels- und Gewerberechts.
Die Bestimmung des § 475 II 8 ALR regelte: „Wer den Handel mit Waren oder Wech-
seln als sein Hauptgeschäft betreibt, wird ein Kaufmann genannt.“ Auch das ALR kannte
bereits eine Abgrenzung zu nicht kaufmännischer Tätigkeit; so regelte § 485 II 8 ALR:
„Bewohner des platten Landes, die nur mit selbst erzeugten, oder durch landwirtschaft-
liche Mittel veredelten Produkten, im gleichen Handwerker und Fabrikanten, welche mit
den von ihnen selbst verfertigten Arbeiten Verkehr treiben, sind für Kaufleute nicht zu
achten.“ Die Regelung des § 486 II 8 ALR bestimmte: „Krämer in Dörfern und Flecken,
Hausierer, Trödler und gemeine Victualienhändler, haben nicht die Rechte der Kauf-
leute.“ Vergleichbare Abgrenzungen enthält auch heute das HGB, z. B. § 104 HGB zum
„Krämermakler“.
Der französische Code de Commerce von 1807 galt insbesondere im westlichen Teil
Deutschlands (vgl. Canaris 2006, § 1 IV).
Auf der Grundlage eines preußischen und eines österreichischen Entwurfes wurde
ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) entwickelt, das im Jahre 1869
zum Gesetz des norddeutschen Bundes erhoben worden ist und seit 1871 als Reichsrecht
fortgalt (vgl. Canaris 2006, § 1 IV).
Aufgrund eines vom Reichsjustizamt ausgearbeiteten Entwurfes von 1895 wurde
das Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich (HGB) am 7. April 1897 vom Reichstag
angenommen und ist am 1. Januar 1900 zusammen mit dem BGB in Kraft getreten.
7 Grundlagen HGB 153
7.2 Kaufmann
Das deutsche Handelsrecht stellt sich als sogenanntes „subjektives System“ dar. Die
Anwendung handelsrechtlicher Vorschriften ist davon abhängig, dass zumindest einer
der Beteiligten die Kaufmannseigenschaft erfüllt. Die Folge ist, dass vorrangig zunächst
zu prüfen ist, ob einer oder mehrere Beteiligte des Rechtsgeschäfts Kaufleute sind (vgl.
Canaris 2006, § 1 I 1). Andere Systeme gehen nicht vom Kaufmann, sondern vom
„Unternehmen“ aus (so Gildeggen et al. 2013, S. 19).
154 J. M. Schmittmann
7.2.1 Kaufmannsbegriff
Das Handelsrecht geht vom Handelsstand aus. Kaufmann ist gemäß § 1 Abs. 1 HGB,
wer ein Handelsgewerbe betreibt. Handelsgewerbe ist gemäß § 1 Abs. 2 HGB jeder
Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in
kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.
7.2.1.1 Tätigkeitsbezogener Kaufmannsbegriff
7.2.1.1.1 Ist-Kaufmann
Der Kaufmannsbegriff aus § 1 Abs. 2 HGB ist tätigkeitsbezogen (s. Gildeggen et al.
2013, S. 19; Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.1.1, S. 179). Er setzt voraus, dass der Kauf-
mann selbstständig tätig ist. Seine Tätigkeit ist entgeltlich und auf den Abschluss
von Rechtsgeschäften gerichtet. Er bietet seine Leistungen am Markt an. Die Tätig-
keit ist planmäßig, d. h. auf eine gewisse Dauer angelegt bzw. auf eine grundsätzlich
unbestimmte Vielzahl von Geschäften gerichtet (vgl. Canaris 2006, § 2 I 1).
Neben diesen positiven Tatbestandsmerkmalen kommt das negative Tatbestands-
merkmal, dass es sich nicht um einen freien Beruf handeln darf, hinzu (so Führich 2014,
§ 3 I 1). Für die „artes liberales“ ist z. B. in § 2 Abs. 2 BRAO für Rechtsanwälte bzw. § 1
Abs. 2 Bundesärzteordnung für Ärzte geregelt, dass diese kein Gewerbe betreiben. Dies
gilt zugleich auch für Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Zahnärzte, Architekten,
Kunstmaler etc., nicht aber für Apotheker, die Kaufleute sind.
Ein Architekt übt per se kein Handelsgewerbe aus. Dies kann allerdings anders sein,
wenn sich der Schwerpunkt von klassischen Architekturaufträgen hin zu einem Han-
del mit Grundstücken oder der Bebauung von Grundstücken auf eigene Rechnung ent-
wickelt.
Der Begriff des Kaufmanns ist mit dem Unternehmerbegriff des BGB nicht identisch.
Unternehmer ist gemäß § 14 Abs. 1 HGB eine natürliche oder juristische Person oder
eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Aus-
übung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Somit ist
ein Rechtsanwalt, der für seine Kanzlei eine Gesetzessammlung erwirbt, Unternehmer,
aber nicht Kaufmann.
Auf ihn sind die Vorschriften des HGB nicht anwendbar. Kommt es allerdings auf den
Unternehmerbegriff an, z. B. bei der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen
gemäß § 310 BGB i. V. m. §§ 305 ff. BGB, ist die Eigenschaft als Unternehmer
maßgebend.
7 Grundlagen HGB 155
Der Kaufmannsbegriff im Sinne von § 1 Abs. 1 HGB setzt das „Betreiben“ eines
Handelsgewerbes voraus. Wesentlich ist die berufsmäßige Tätigkeit, die auf einen
wirtschaftlichen Zweck hinstrebt. Die Absicht muss nach der Rechtsprechung des BGH
nicht auf ein einzelnes oder mehrere einzelne Geschäfte gerichtet sein, sondern auf einen
dauernden Kreis von Geschäften als Ganzes, das als eine dauernde und berufsmäßig
fließende Einnahmequelle dienen soll. Mithin fällt unter den Begriff „Gewerbebetrieb“
grundsätzlich jede auf einen Kreis von Geschäften gerichtete, zum Zweck der Gewinn-
erzielung auf wirtschaftlichem Gebiet im weitesten Sinne ausgeübte Tätigkeit oder jeder
auf Erzielung dauernder Einnahmen gerichtete berufsmäßige Geschäftsbetrieb1.
Beispiel:
A betreibt einen kleinen Kiosk. Er kauft die Ware bei lediglich zwei Großhändlern
ein und verkauft diese an seine Kunden ausschließlich gegen Barzahlung. Arbeitnehmer
beschäftigt er nicht. Er bestreitet aus dieser Tätigkeit zwar seinen Lebensunterhalt; es
bedarf allerdings keines kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetriebs, sodass A nicht
Kaufmann i. S. d. § 1 HGB ist.
Ein Gewerbetrieb ist ein berufsmäßiger Geschäftsbetrieb, der von der Absicht dauern-
der Gewinnerzielung beherrscht wird. Darunter fällt jede auf wirtschaftlichem Gebiet im
weitesten Sinne ausgeübte geschäftliche Tätigkeit, die auf die Erzielung dauernder Ein-
nahmen gerichtet ist. Mit einer solchen Erwerbsabsicht kann auch eine öffentlich-recht-
liche Körperschaft handeln, und zwar unabhängig davon, ob sie daneben zugleich in
Erfüllung einer gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen Aufgabe tätig wird; Voraussetzung
ist nur das Betreiben eines wirtschaftlichen Unternehmens, also einer Tätigkeit, die nicht
allein und herkömmlich mit der Zielrichtung einer öffentlichen Aufgabe betrieben wird.
Wirtschaftliche Unternehmen von Körperschaften des öffentlichen Rechts sind danach
solche Einrichtungen und Anlagen, die auch von einem Privatunternehmen mit der
Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen betrieben werden können und gelegentlich
auch betrieben werden2.
7.2.1.1.2 Kann-Kaufmann
Um eine ebenfalls tätigkeitsbezogene Kaufmannseigenschaft handelt es sich bei dem
Kann-Kaufmann gemäß § 2 HGB. Handelt es sich um ein gewerbliches Unternehmen,
das nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäfts-
betrieb nicht erfordert, gilt dieses gemäß § 2 Satz 1 HGB als Handelsgewerbe, wenn
die Firma des Unternehmens in das Handelsregister eingetragen ist (so Führich 2014,
§ 3 I 2b). In diesem Falle handelt es sich um einen sogenannten „Kann-Kaufmann“,
1So BGH, Urt. v. 2. Dezember 1958 – VIII ZR 154/57, WM 1959, 161 ff.; BGH, Urt. v. 7. Juli
1960 – VIII ZR 215/59, NJW 1961, 725 ff.
2Vgl. BGH, Urt. v. 12. Februar 1970 – VII ZR 168/67, BGHZ 53, 222, 223; BGH, Urt. v. 28.
Oktober 1971 – VII ZR 15/70, BGHZ 57, 191, 199; BGH, Urt. v. 22. April 1982 – VII ZR 191/81,
BGHZ 83, 382, 386; BGH, Urt. v. 2. Juli 1985 – X ZR 77/84, BGHZ 95, 155, 160.
156 J. M. Schmittmann
während es sich bei § 1 HGB um einen sogenannten „Ist-Kaufmann“ handelt (vgl.
Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.1.2, S. 180). Der Kann-Kaufmann wird sich möglicher-
weise in das Handelsregister eintragen lassen, um nach außen den Anschein eines grö-
ßeren Geschäftsbetriebs zu erwecken oder gegenüber Banken und Warenkreditgebern an
Bonität zu gewinnen.
7.2.2 Rechtsfolgen
7.2.2.1 Übersicht
Ist ein Unternehmen Handelsgewerbe, gelten grundsätzlich die speziellen Vorschriften
des HGB. Beim „Ist-Kaufmann“ im Sinne von § 1 Abs. 1 HGB gilt dies unabhängig
davon, ob eine Eintragung in das Handelsregister erfolgt ist. Demgegenüber wird der
Kann-Kaufmann gemäß § 2 HGB nur als Kaufmann behandelt, wenn und solange er in
das Handelsregister eingetragen ist.
Betreibender im Sinne von § 1 Abs. 1 HGB ist, für und gegen den die im Rahmen des
Handelsgewerbes geschlossenen Geschäfte wirken, sodass es auf den Vertretenen und
nicht auf den Vertreter ankommt.
Gibt der Geschäftsführer einer GmbH für diese eine Erklärung ab, ist die Kaufmanns-
eigenschaft der GmbH, die sich aus § 6 Abs. 1 HGB i. V. m. § 13 Abs. 3 HGB ergibt,
maßgebend.
Der Kann-Kaufmann, der im Handelsregister eingetragen ist, kann die Kaufmanns-
eigenschaft (für die Zukunft) durch die Löschung im Handelsregister beseitigen.
Ist geklärt, dass es sich bei dem Unternehmen um ein Handelsgewerbe handelt, gelten
die Charakteristika des Handelsrechts (vgl. Klunzinger 2011, § 1 III).
7.2.2.4 Gerichtsstandsvereinbarungen
Kaufleute können darüber hinaus unter erleichterten Voraussetzungen eine Gerichts-
standvereinbarung treffen (vgl. Klunzinger 2011, § 1 III 2).
158 J. M. Schmittmann
7.2.2.6 Beschleunigungsprinzip
Schließlich hat das Handelsrecht auch einen Beschleunigungseffekt, der sich z. B. in
der kaufmännischen Rügeobliegenheit, Besonderheiten beim Fixhandelskauf sowie dem
Selbsthilfeverkauf bei Annahmeverzug sowie den Wirkungen des Schweigens im kauf-
männischen Geschäftsverkehr niederschlägt (vgl. Klunzinger 2011, § 1 III 6).
7.3 Handelsregister
7.3.1 Handelsregister
7.3.1.1 Übersicht
Das Handelsregister soll der Öffentlichkeit Gewissheit über Rechtsverhältnisse des han-
dels- und gesellschaftsrechtlichen Bereichs verschaffen. Gerade im kaufmännischen
Rechts- und Geschäftsverkehr ist es erforderlich, dass der Kaufmann sich zuverlässig
Informationen über seinen (potenziellen) Geschäftspartner verschaffen kann (so Klun-
zinger 2011, § 13).
Neben den Vorschriften der §§ 8 bis 16 HGB sind für die Führung des Handels-
registers die sogenannten „Handelsregisterverfügung“ vom 12. August 1937, sowie
das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FamFG) mit nachträglichen Änderungen
zu berücksichtigen.
Anders als das Grundbuch, das zur Einsicht nur bei berechtigtem Interesse offensteht,
ist das Einsichtsrecht in das Handelsregister jedermann, auch ohne berechtigtes Inte-
resse, möglich. Ein potenzieller Geschäftspartner kann sich im Handelsregister ebenso
informieren wie ein neugieriger Nachbar oder ein interessierter Student.
7 Grundlagen HGB 159
7.3.1.5 Registerpublizität
Neben diese sogenannte „formelle“ Registerpublizität tritt die sogenannte „materielle“
Registerpublizität gemäß § 15 HGB.
160 J. M. Schmittmann
7.3.1.5.1 Negative Publizität
Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und
bekannt gemacht ist, kann sie gemäß § 15 Abs. 1 HGB von demjenigen, in dessen
Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei
denn, dass sie diesem bekannt war (vgl. Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.2.2.1, S. 184).
Kurz gesagt: „Auf das Schweigen des Handelsregisters kann man sich verlassen.“
Wer noch als Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft im Register ein-
getragen ist, wird für den Rechtsverkehr auch als solcher angesehen. Dem entgeht der
ausgeschiedene Gesellschafter nur dadurch, dass die Tatsache seines Ausscheidens
so schnell wie möglich zur Eintragung und Bekanntmachung des Handelsregisters
angemeldet wird (vgl. Klunzinger 2011, § 13 IV 1). Ein Außenstehender kann sich jeder-
zeit auf die wirkliche Sachlage berufen, wenn ihm dies günstiger erscheint3.
Die Gegenseite kann sich die „Rosinen“ heraussuchen. Es ist einem Dritten somit
nicht verwehrt, sich gleichzeitig in anderer Hinsicht auf den von der wahren Sachlage
abweichenden Registerinhalt zu berufen. Die Regelung des § 15 Abs. 1 HGB schützt
zwar im Ausgangspunkt das Vertrauen auf die Richtigkeit der in Form des Handels-
registers geschaffenen öffentlichen Informationsgrundlage über die Verhältnisse einer
Handelsfirma. Dieser Vertrauensschutz setzt jedoch nicht voraus, dass derjenige, der sich
auf das Handelsregister beruft, es tatsächlich eingesehen hat. Das Gesetz lässt bereits
die Möglichkeit, sich anhand des Registers zu informieren, als Grundlage für den Ver-
trauensschutz ausreichen4.
7.3.1.5.2 Positive Publizität
Neben diese sogenannte „negative“ Publizität tritt die Wirkung eingetragener und
bekannt gemachter Tatsachen. Ist die Tatsache eingetragen und bekannt gemacht worden,
so muss ein Dritter sie gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB gegen sich geltend lassen (vgl.
Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.2.2.3, S. 185). Sofern der Dritte beweisen kann, dass er
die Tatsache weder kannte noch kennen musste, gilt dies gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB
nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von 15 Tagen nach der Bekanntmachung vor-
genommen werden.
Beispiel:
Kaufmann K entzieht dem Prokuristen P aufgrund von Fehlleistungen die Prokura.
Der Widerruf der Prokura wird ordnungsgemäß zum Handelsregister angemeldet und
bekannt gemacht. Nach drei Wochen verkauft P aus Enttäuschung über die Entziehung
der Prokura den Mercedes des K.
Ist der Kaufvertrag für K bindend?
3So BGH, Urt. v. 1. Dezember 1975 – II ZR 62/75, BGHZ 65, 309, 310; BGH, Urt. v. 21. Dezem-
ber 1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267, 273.
4So BGH, Urt. v. 1. Dezember 1975 – II ZR 62/75, BGHZ 65, 309, 311.
7 Grundlagen HGB 161
Nein, schon mit dem Widerruf der Prokura kann P den K nicht mehr wirksam ver-
treten. Auch ein Dritter kann sich nach drei Wochen nicht mehr auf die frühere Ein-
tragung im Handelsregister berufen.
Die sogenannte „positive“ Publizität ist Gegenstand von § 15 Abs. 3 HGB. Ist eine
einzutragende Tatsache unrichtig bekannt gemacht, so kann sich gemäß § 15 Abs. 3
HGB ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheit die Tatsache ein-
zutragen war, auf die bekannt gemachte Tatsache berufen, es sei denn, dass er die
Unrichtigkeit kannte (so Führich 2014, § 3 III 3).
7.3.1.6.1 Eintragungspflichtige Tatsachen
Eintragungspflichtige Tatsachen sind z. B. (so Führich 2014, § 3 III 2a):
7.3.1.6.2 Eintragungsfähige Tatsachen
Eintragungsfähige Tatsachen sind z. B. (so Führich 2014, § 3 III 2a):
5Das Registergericht hat einen beantragten Haftungsausschluss gemäß § 25 Abs. 2 HGB einzu-
tragen, wenn aus Sicht des maßgeblichen Verkehrs die ernsthafte Möglichkeit in Betracht kommt,
dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 HGB gegeben sein können, so OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 15. September 2015 – I-3 Wx 138/15, ZIP 2015, 2176 [Ls.].
162 J. M. Schmittmann
7.3.1.6.3 Eintragungsunfähige Tatsachen
Eintragungsunfähige Tatsachen sind z. B. (so Führich 2014, § 3 III 2a):
Eine konstitutive („rechtsbegründende“) Eintragung liegt vor, wenn durch sie die
betreffende Rechtstatsache zur Entstehung gelangt, z. B. beim Kann-Kaufmann gemäß
§ 2 HGB.
Eine deklaratorische („rechtsbezeugende“) Wirkung ist dann anzunehmen, wenn die
Tatsache, z. B. die Erteilung einer Prokura, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht von der
Eintragung im Handelsregister abhängig ist.
Dies ist von erheblicher Bedeutung insbesondere für die Kapitalgesellschaften,
da z. B. eine AG gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG und eine GmbH gemäß § 11 Abs. 1
GmbHG ihre Rechtsfähigkeit erst durch Eintragung in das Handelsregister erlangen (vgl.
Canaris 2006, § 4 | 3; Gildeggen et al. 2013, S. 271).
Beispiel: Gesellschafter und Geschäftsführer G kauft vor Eintragung der GmbH
in das Handelsregister für diese einen Schreibtisch. Die GmbH bleibt die Zahlung des
Kaufpreises schuldig. Eine Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen bleibt ohne Erfolg.
Der Lieferant des Schreibtischs kann unmittelbar G auf Zahlung in Anspruch nehmen.
6So BayObLG, Urt. v. 15. Februar 1971 – 2 Z 83/70, BayObLGZ 1971, 55 ff. = NJW 1971, 810 f.
7Vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 13. September 1993 – 4 W 123/93, ZIP 1993, 1500 ff.
7 Grundlagen HGB 163
7.3.2 Unternehmensregister
Das Bundesministerium der Justiz führt gemäß § 8b Abs. 1 HGB das Unternehmens-
register, über das die in § 8b Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 11 HGB genannten Daten zugänglich sind:
1. Eintragungen im Handelsregister und deren Bekanntmachung und zum Handels-
register eingereichte Dokumente;
2. Eintragungen im Genossenschaftsregister und deren Bekanntmachung und zum
Genossenschaftsregister eingereichte Dokumente;
3. Eintragungen im Partnerschaftsregister und deren Bekanntmachung und zum
Partnerschaftsregister eingereichte Dokumente;
4. Unterlagen der Rechnungslegung nach den §§ 325 und 339 HGB sowie Unterlagen
nach § 341w HGB, soweit sie bekannt gemacht wurden;
5. gesellschaftsrechtliche Bekanntmachungen im Bundesanzeiger;
6. im Aktionärsforum veröffentlichte Eintragungen nach § 127a des Aktiengesetzes;
7. Veröffentlichungen von Unternehmen nach dem Wertpapierhandelsgesetz oder dem
Vermögensanlagengesetz im Bundesanzeiger, von Bietern, Gesellschaften, Vor-
ständen und Aufsichtsräten nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im
Bundesanzeiger sowie Veröffentlichungen nach der Börsenzulassungsverordnung im
Bundesanzeiger;
8. Bekanntmachungen und Veröffentlichungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften
und extern verwalteten Investmentgesellschaften nach dem Kapitalanlagegesetz-
buch, dem Investmentgesetz und dem Investmentsteuergesetz im Bundesanzeiger;
9. Veröffentlichungen und sonstige der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellte Infor-
mationen nach den §§ 2b, 15 Abs. 1 und 2, § 15a Abs. 4, § 26 Abs. 1, §§ 26a, 29a
Abs. 2, §§ 30e, 30 f. Abs. 2, § 37v Abs. 1 bis § 37x Abs. 1, §§ 37y, 37z Abs. 4 und
§ 41 Abs. 4a des Wertpapierhandelsgesetzes, sofern die Veröffentlichung nicht bereits
über Nummer 4 oder Nummer 7 in das Unternehmensregister eingestellt wird;
10. Mitteilungen über kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungen an die Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht, sofern die Veröffentlichung selbst nicht bereits
über Nummer 7 oder Nummer 9 in das Unternehmensregister eingestellt wird;
11. Bekanntmachungen der Insolvenzgerichte nach § 9 der Insolvenzordnung, aus-
genommen Verfahren nach dem Neunten Teil der Insolvenzordnung.
Durch die Verordnungsermächtigung in § 9a Abs. 1 Satz 1 HGB kann die Führung
des Unternehmensregisters einer juristischen Person des Privatrechts übertragen wer-
den, die damit die Stellung einer Justizbehörde des Bundes als Beliehene erlangt. Die
Bundesanzeiger Verlag GmbH führt im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz das Unternehmensregister.
7.3.3 Firma
7.3.3.1 Übersicht
Das Handelsregister gibt auch Auskunft über die „Firma“. Die Firma eines Kaufmanns
ist gemäß § 17 Abs. 1 HGB der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die
Unterschrift abgibt (vgl. Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.3, S. 186). Ein Kaufmann kann
gemäß § 17 Abs. 2 HGB unter seiner Firma klagen und verklagt werden.
7.3.3.2 Firmengrundsätze
Handelsrechtlich sind die Personen-, Sach- und die Fantasiefirma sowie die gemischte
Firma zulässig. Erforderlich ist allerdings, dass sie zur Kennzeichnung des Kaufmanns
geeignet ist und Unterscheidungskraft besitzt, § 18 Abs. 1 HGB (so Führich 2014,
§ 3 II 2).
Mit Zustimmung des bisherigen Geschäftsinhabers kann gemäß § 22 Abs. 1 HGB
die Firma fortgeführt werden, wenn ein bestehendes Handelsgeschäft unter Lebenden
oder von Todes wegen erworben wird, selbst wenn die Firma den Namen des bisherigen
Geschäftsinhabers enthält. Auch im Falle von Änderungen im Gesellschafterbestand
kann gemäß § 24 Abs. 1 HGB die bisherige Firma fortgeführt werden, auch wenn sie den
Namen des bisherigen Geschäftsinhabers oder Namen von Gesellschaftern enthält.
7.3.3.2.1 Firmenunterscheidbarkeit
Nach dem Grundsatz der Firmenunterscheidbarkeit (§ 30 HGB) muss jede neue Firma
sich von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in
das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister eingetragenen Firmen deutlich
unterscheiden. Kollisionen werden durch das Prioritätsprinzip gelöst. Ein bestehender
Besitzstand wird geschützt (so Canaris 2006, § 11 I 3).
Beispiel: In X-Stadt ist eine Reifen Y GmbH in das Handelsregister eingetragen. Z
meldet eine weitere Reifen Y GmbH zum Handelsregister an. Das Handelsregister lehnt
die Handelsregisteranmeldung ab.
7.3.3.2.2 Firmenwahrheit
Nach dem Grundsatz der Firmenwahrheit (§ 18 Abs. 2 HGB) darf die Firma keine
Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die
angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen. Das Registergericht
berücksichtigt die Eignung zur Irreführung nur, wenn sie ersichtlich ist. Die Regelung
7 Grundlagen HGB 165
verbietet u. a. Zusätze, die geeignet sind, eine Täuschung über die Art und den Umfang
des Geschäfts oder die Verhältnisse des Geschäftsinhabers herbeizuführen (so Führich
2014, § 3 II 2a). So darf die Firma „Deutsche Kioskkette“ nicht geführt werden, wenn
sich das Tätigkeitsfeld des Unternehmens lediglich auf eine kleine Region beschränkt.
7.3.3.2.3 Firmenbeständigkeit
Der Grundsatz der Firmenbeständigkeit (§§ 21, 22 HGB) eröffnet die Möglichkeit, die
bisherige Firma fortzuführen, wenn ohne Änderung der Person der in der Firma ent-
haltene Name des Geschäftsinhabers oder eines Gesellschafters geändert wird. Dies
betrifft z. B. Fälle der Eheschließung (so Führich 2014, § 3 II 2b). Da die Firma einen
Wert verkörpert, soll die Firmenbeständigkeit dem Grundsatz der Firmenwahrheit vor-
gehen. Bestünde der Grundsatz der Firmenwahrheit nicht, so müsste ein am Markt
geschaffener Goodwill nach einer Namensänderung neu erarbeitet werden. Dies ist nicht
gewünscht (so Canaris 2006, § 11 II 2).
7.3.3.2.4 Firmenöffentlichkeit
Schließlich ist der Grundsatz der Firmenöffentlichkeit zu berücksichtigen (so Führich
2014, § 3 II 2e). Jeder Kaufmann ist gemäß § 29 HGB verpflichtet, seine Firma, den Ort
und die inländische Geschäftsanschrift seiner Handelsniederlassung bei dem Gericht,
in dessen Bezirk sich die Niederlassung befindet, zur Eintragung in das Handelsregister
anzumelden.
Darüber hinaus hat der Kaufmann auf allen Geschäftsbriefen, gleichviel welcher
Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, gemäß § 37a Abs. 1 HGB
seine Firma mit dem Zusatz „eingetragener Kaufmann“ bzw. eine zulässige Abkürzung,
den Ort seiner Handelsniederlassung, das Registergericht und die Nummer, unter der
die Firma in das Handelsregister eingetragen ist, anzugeben. Diese Grundsätze werden
durch den Grundsatz der Firmeneinheit abgerundet, die sich zwar nicht aus dem Gesetz
ergibt, aber von der herrschenden Lehre angenommen wird (so Canaris 2006, § 11 I 4).
Ein Kaufmann darf für ein Unternehmen nur eine Firma führen (so Klunzinger 2011,
§ 11 I 3). Betreibt der Kaufmann mehrere Unternehmen, so ist es ihm unbenommen,
mehrere Firmen zu führen.
Das Wirtschaftsleben ist ohne Arbeitsteilung nicht denkbar. Daher besteht – in weitaus
größerem Umfang als im bürgerlichen Recht – das Erfordernis, durch andere, seien es
selbstständige oder nicht selbstständige Hilfspersonen, wirtschaftlich handeln zu können.
Der Kaufmann kann sich dazu sowohl eigene Arbeitnehmer („unselbstständige Hilfs-
personen des Kaufmanns“) oder anderer Personen („nichtselbstständige Hilfspersonen
des Kaufmanns“), z. B. Handelsvertretern und Maklern, bedienen. Vor diesem Hinter-
grund sieht das HGB modifizierende und ergänzende Regelungen zu den Vorschriften
166 J. M. Schmittmann
der Stellvertretung im bürgerlichen Recht (§§ 164 ff. BGB) vor (so Jesgarzewski 2019,
Abschn. 6.5, S. 190 ff.).
Nachfolgend werden lediglich die Vollmachten, die der Kaufmann seinen Arbeit-
nehmern erteilen kann (Prokura, Ladenvollmacht und Handlungsvollmacht), behandelt,
während die Darstellung der selbstständigen Hilfspersonen des Kaufmanns der weiter-
führenden Literatur vorbehalten bleibt (vgl. Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.5.4, S. 193 ff.;
Canaris 2006, § 17 ff.; Klunzinger 2011, § 9).
7.4.1 Prokura
7.4.1.1 Übersicht
Gemäß § 48 Abs. 1 HGB kann eine Prokura nur von dem Inhaber des Handelsgeschäfts
oder seinem gesetzlichen Vertreter und nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt wer-
den. Es handelt sich bei der Prokura um die weitreichendste rechtsgeschäftliche Voll-
macht, die ein Kaufmann erteilen kann (vgl. Jesgarzewski 2019, Abschn. 6.5, S. 190).
Handelt es sich bei dem Kaufmann um einen Einzelkaufmann, so erfolgt die
Erteilung der Prokura ausschließlich durch ihn selbst. Sofern es sich bei dem Kaufmann
z. B. um eine GmbH oder eine AG handelt, handelt der gesetzliche Vertreter, also der
Geschäftsführer bzw. Vorstand, bei der Bestellung der Prokuristen.
ob das konkret in Rede stehende Rechtsgeschäft noch einen konkreten Bezug zu dem
Handelsgewerbe hat.
Demgegenüber ist der Prokurist nicht berechtigt, Rechtsgeschäfte zu tätigen, die der
Betrieb eines Handelsgewerbes nicht mit sich bringt. Er kann daher nicht wirksam einen
Ehe- oder Erbvertrag für den Inhaber des Handelsgeschäfts abschließen, zumal Stellver-
tretung bei dieser Art von Rechtsgeschäften ohnehin ausgeschlossen ist. Ebenso kann
er keine Rechtsgeschäfte abschließen, die sich auf die private Lebensführung des Kauf-
manns beziehen, z. B. die Renovierung dessen Jagdhauses in Auftrag geben.
Schließlich ist der Prokurist auch nicht berechtigt, seinerseits anderen Personen Pro-
kura zu erteilen.
nicht, kann der Dritte den Vertreter, der die Vertretungsmacht überschritten hat, gemäß
§ 179 BGB in Regress nehmen.
Im Handelsrecht ist das Rechtsgeschäft trotz Verstoß gegen die Beschränkung im
Innenverhältnis nach außen wirksam. Freilich kann der Kaufmann den Prokuristen, der
gegen die Beschränkung verstoßen hat, im Innenverhältnis regressieren (vgl. Klunzinger
2011, § 8 I 3).
Die Einstellung des Betriebes, die Veräußerung des Unternehmens, der Verlust der
Kaufmannseigenschaft des Inhabers sowie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen
zum Erlöschen der Prokura (so Klunzinger 2011, § 8 I 7).
7.4.2 Ladenvollmacht
Der Geschäftsverkehr ist davon geprägt, dass der (potenzielle) Vertragspartner ohne
umfangreiche Überprüfungen Rechtssicherheit haben soll. Daher sieht § 54 HGB eine
Sonderregelung für Ladenangestellte vor. Ist jemand ohne Erteilung der Prokura zum
Betrieb eines Handelsgewerbes oder zur Vornahme einer bestimmten zu einem Handels-
gewerbe gehörigen Art von Geschäften oder zur Vornahme einzelner zu einem Handels-
gewerbe gehöriger Geschäfte ermächtigt, so erstreckt sich die Vollmacht gemäß § 54
Abs. 1 HGB auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen
Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich brin-
gen. Demnach ist darauf abzustellen, ob der Ladenangestellte ersichtlich eine auf den
Kundenverkehr bezogene Funktion zugewiesen erhalten hat. Ist ersichtlich, dass die Per-
son Reinigungskraft oder Packer ist, greift § 56 HGB nicht ein.
Darüber hinaus scheidet gemäß § 54 Abs. 2 HGB eine Anwendung der Laden-
vollmacht aus, wenn es um die Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, die
Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, die Aufnahme von Darlehen und Prozess-
handlungen geht. Hierfür ist eine besondere Ermächtigung erforderlich (vgl. Jesgarzewski
2019, Abschn. 6.5.3, S. 193).
In der Praxis scheidet eine Anwendung von § 56 HGB aus, wenn z. B. durch den Zusatz
auf dem Namensschild „Auszubildende“ oder den Aushang „Zahlungen ausschließlich an
7 Grundlagen HGB 169
der Kasse“ deutlich gemacht worden ist, dass die Person nicht zu Veräußerungen berechtigt
bzw. nicht zur Empfangnahme von Zahlungen berechtigt sein soll (vgl. Klunzinger 2011,
§ 8 II 7).
7.4.3 Handlungsvollmacht
7.4.3.1 Übersicht
Ist jemand ohne Erteilung der Prokura zum Betrieb eines Handelsgewerbes oder zur Vor-
nahme einer bestimmten zu einem Handelsgewerbe gehörigen Art von Geschäften oder
zur Vornahme einzelner zu einem Handelsgewerbe gehöriger Geschäfte ermächtigt, so
erstreckt sich gemäß § 54 Abs. 1 HGB die Vollmacht (Handlungsvollmacht) auf alle
Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes
oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
7.4.3.3.1 Generalhandlungsvollmacht
Eine Generalhandlungsvollmacht liegt vor, wenn alle branchenüblichen Geschäfte
getätigt werden sollen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Abteilungsleiter
vom Prinzipal zu seinem „ständigen Vertreter“ ernannt wird.
7.4.3.3.2 Arthandlungsvollmacht
Eine Arthandlungsvollmacht ist gegeben, wenn dem Bevollmächtigten die Vornahme
aller Geschäfte einer bestimmten Art erlaubt ist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ein
Mitarbeiter bevollmächtigt wird, für das Unternehmen Einkäufe zu tätigen.
7.4.3.3.3 Spezialhandlungsvollmacht
Bei der Spezialhandlungsvollmacht wird die Vollmacht auf ein bestimmtes, einzelnes
Geschäft beschränkt, was z. B. dann der Fall ist, wenn ein Mitarbeiter bevollmächtigt
wird, die Ladeneinrichtung für eine konkret bezeichnete Filiale zu erwerben.
170 J. M. Schmittmann
hältnisses, also z. B. bei Kündigung des Anstellungsverhältnisses. Weiterhin ist die
Handlungsvollmacht jederzeit frei widerruflich. Der Widerruf kann gegenüber dem
Bevollmächtigten, dem Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen. Ins-
besondere bei einer nicht überschaubaren Anzahl von Geschäftspartnern kann eine
öffentliche Bekanntgabe zweckmäßig sein.
Das HGB regelt in §§ 1 bis 104 (erstes Buch) den Handelsstand. Darüber hinaus regelt
das zweite Buch des HGB (§§ 105 bis 236 HGB) die Handelsgesellschaften sowie die
Stille Gesellschaft.
Die Handelsbücher (§§ 238 bis 342e HGB) werden im dritten Buch des HGB
behandelt, bevor Gegenstand des vierten Buches des HGB (§§ 343 bis 475h HGB) die
Handelsgeschäfte sind. Der Seehandel (§§ 476 bis 619 HGB) wird im fünften Buch des
HGB behandelt.
Grundform der Gesellschaft nach HGB ist die Offene Handelsgesellschaft, §§ 105 ff.
HGB. Die Offene Handelsgesellschaft zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie
zu einer persönlichen Haftung aller Gesellschafter führt, die insoweit einem Einzelkauf-
mann haftungsrechtlich angenähert sind (s. Gildeggen et al. 2013, S. 266 f.).
7.5.2 Kommanditgesellschaft
Die Kommanditgesellschaft, §§ 161 ff. HGB, zeichnet sich dadurch aus, dass es zwei
unterschiedliche Formen von Gesellschaftern gibt. Es gibt mindestens einen persönlich
haftenden Gesellschafter, der Komplementär genannt wird und auch eine Kapitalgesell-
schaft sein kann sowie mindestens einen Kommanditisten, also einen Gesellschafter,
dessen Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten
Vermögenseinlage beschränkt ist (s. Gildeggen et al. 2013, S. 267 f.).
Schließlich regelt das HGB in §§ 230 ff. HGB die Stille Gesellschaft. Bei der Stillen
Gesellschaft beteiligt sich der stille Gesellschafter mit einer Einlage dergestalt, dass sie
in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäftes übergeht.
172 J. M. Schmittmann
Literatur
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Insolvenzrecht, 164–170.
Canaris, C.-W. (2006). Handelsrecht (24. Aufl.). München: Beck.
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(3. Aufl.). München: Vahlen.
Führich, E. (2014). Wirtschaftsprivatrecht: Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht
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FOM-Edition, 4., aktualisierte u. überarb. Aufl., Wiesbaden: Springer Gabler.
Klunzinger, E. (2011). Grundzüge des Handelsrechts (14. Aufl.). München: Vahlen.
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Weiterführende Literatur
A. Lühn (*)
FOM Hochschule, Hamburg, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 173
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_8
174 A. Lühn
Inhaltsverzeichnis
Zur Betriebswirtschaftslehre gehört als eine Teildisziplin das Fach Steuerlehre. Grund hier-
für ist, dass die Besteuerung von wesentlicher Bedeutung für Unternehmen und die Ent-
scheidungen ihres Managements sein können. Denn Steuern stellen Kosten dar, die dem
Ziel der Maximierung des Unternehmensgewinns und des Unternehmenswertes entgegen-
wirken. Insbesondere Ertragsteuern können für Unternehmen eine erhebliche Gewinn-
minderung bedeuten und stellen damit eine quantitativ gewichtige Kostengröße dar. Diese
Kostengröße ist gestaltungsabhängig, d. h. verschiedene betriebswirtschaftliche Ent-
scheidungsalternativen können zu unterschiedlichen Steuerbelastungen führen. Daher müs-
sen bei vielen Managemententscheidungen die steuerlichen Folgen berücksichtigt werden.
Dies gilt insbesondere für folgende fünf Entscheidungsfelder (siehe auch Abb. 8.1).
8 Grundlagen Steuern 175
Das Ziel der Erhebung von Steuern ist in erster Linie die Erzielung von Einnahmen.
Steuern sind jedoch nicht die einzige Einnahmequelle des Staates, wie Abb. 8.2 zeigt.
Neben den ordentlichen, d. h. regelmäßigen, Einnahmen, kann der Staat auch außer-
ordentliche, d. h. unregelmäßige Einnahmen erzielen. Hierzu zählen z. B. Erlöse aus dem
Verkauf von Staatseigentum (insbesondere Unternehmensbeteiligungen und Immobilien)
sowie Erlöse aus der Vergabe von Lizenzen (insbesondere Mobilfunklizenzen). Zu den
ordentlichen Einnahmen gehören neben den Abgaben auch Erwerbseinkünfte des Staates
(z. B. Gewinne staatlicher Unternehmen) sowie Einnahmen aus der Aufnahme von Kre-
diten und der Ausgabe von Anleihen.
Die wichtigste Form staatlicher Abgaben sind die Steuern. Gemäß § 3 Abgaben-
ordnung (AO) sind Steuern „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine
besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur
Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an
den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“. Eng mit den Steuern verknüpft sind steuer-
liche Nebenleistungen wie Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Säumniszuschläge (§ 240
AO), Zinsen auf Steuerschulden (§§ 233 ff. AO) und Zwangsgelder (§ 329 AO).
Während Steuern ohne konkrete Gegenleistung vom Steuerpflichtigen erhoben wer-
den, stellen Gebühren eine Gegenleistung für eine tatsächlich in Anspruch genommene
Einzelleistung der öffentlichen Hand dar (z. B. Benutzungsgebühren für ein öffentliches
Schwimmbad, Verwaltungsgebühr für einen neuen Ausweis). Beiträge sind Gegenleistungen
für Leistungen der öffentlichen Hand, die genutzt werden können, wobei die Beitragspflicht
und die Beitragshöhe unabhängig von der tatsächlichen Nutzung sind (z. B. GEZ-Beitrag,
Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung). Schließlich gibt es
noch einige wenige Sonderabgaben (z. B. die Schwerbehindertenabgabe für Unternehmen,
die keine, oder nur wenige, Arbeitnehmer mit Behinderungen beschäftigen).
In Deutschland gibt es über 30 verschiedene Steuerarten. Diese lassen sich nach
verschiedenen Kriterien wie z. B. Steuerobjekt, Steuersubjekt, Steuerhoheit oder
Erhebungsformen in Gruppen unterteilen. Entsprechend des Steuerobjekts, d. h. der Art
der Bemessungsgrundlage, lassen sich folgende fünf Gruppen unterscheiden (siehe auch
Abb. 8.3).
Gebräuchlich ist auch die Unterteilung in direkte und indirekte Steuern. Anders als bei
direkten Steuern sind bei indirekten Steuern die Person, die die Steuer schuldet (Steuer-
schuldner) und die Person, die die Steuer wirtschaftlich trägt (Steuerträger) nicht iden-
tisch. Die Steuer wird vom Steuerschuldner, der die Steuer an die Finanzbehörden zahlt,
auf andere Personen abgewälzt. Zu den indirekten Steuern zählen die Umsatzsteuer und
viele Verbrauchsteuern.
Die Tab. 8.1 gibt einen Überblick über die wesentlichen Merkmale wichtiger Steuer-
arten.
8.3 Besteuerungsverfahren
8.4 Umsatzsteuer
• Jeder Einzelumsatz wird besteuert, d. h. die Steuer wird auf jeder Stufe einer
Produktionskette erhoben, nicht nur beim Verkauf an Endverbraucher.
• Einem Unternehmen von einem anderen Unternehmen in Rechnung gestellte und
gezahlte Steuern (sogenannte Vorsteuern) können vom Finanzamt erstattet werden.
• Die vom Unternehmen den Kunden in Rechnung gestellten Steuern und die gezahlten
Vorsteuern werden verrechnet, sodass jeder Unternehmer im Endeffekt nur die Steu-
ern für die von ihm erzielte Wertschöpfung (seinen „Mehrwert“) an das Finanzamt
abführen muss.
• Im Endeffekt ist der Endverbraucher in der Regel wirtschaftlich mit der gesamten
Steuer auf alle Wertschöpfungsprozesse belastet, da er sich keine Vorsteuer erstatten
lassen kann.
8.4.2 Steuerpflicht
Bei der Feststellung, ob ein Vorgang der Umsatzsteuer unterliegt, ist zunächst zu prüfen,
ob ein steuerbarer Umsatz i. S. d. Umsatzsteuergesetzes (UStG) vorliegt. Der Umsatz-
steuer unterliegen insbesondere die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein
Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1
Abs. 1 Nr. 1 UStG). Außerdem sind der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen
Entgelt (z. B. Importe eines inländischen Unternehmens aus anderen EU-Staaten) und
die Einfuhr von Gegenständen aus Drittstaaten steuerbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 und 4 UStG).
Soweit ein steuerbarer Umsatz vorliegt, muss im zweiten Schritt geprüft werden, ob
dieser Umsatz auch steuerpflichtig ist, oder ob das Umsatzsteuergesetz für diese Art von
Umsätzen eine Steuerbefreiung vorsieht. § 4 UStG sieht z. B. für folgende Umsätze eine
Befreiung vor:
Soweit ein Unternehmen derartige Umsätze ausführt, muss es darauf keine Umsatzsteuer
berechnen. Allerdings kann es sich auch keine Vorsteuer für bezogene Vorleistungen
erstatten lassen, die mit den steuerfreien Umsätzen in Zusammenhang stehen. Deshalb
besteht bei einigen Leistungen die Möglichkeit, auf die Umsatzsteuerbefreiung freiwillig
zu verzichten (§ 9 Abs. 1 UStG). So wird z. B. in der Regel auf die Mieten für Gewerbe-
immobilien Umsatzsteuer berechnet.
Von der Umsatzsteuerpflicht weitgehend befreit sind sogenannte Kleinunternehmer.
Diese müssen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen im Inland keine Umsatzsteuer
erheben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (§ 19 Abs. 1 UStG):
Soweit ein Unternehmer unter diese Regelung fällt, muss er keine Umsatzsteuer auf
seine Leistungen berechnen. Allerdings kann er sich auch keine Vorsteuer für bezogene
Leistungen vom Finanzamt erstatten lassen. Deshalb besteht die Möglichkeit, auf die
Anwendung der Kleinunternehmerregelung zu verzichten (§ 19 Abs. 2 UStG).
8.4.3 Bemessungsgrundlage
Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer ist das Entgelt für die Lieferung oder sonstige
Leistung. Dazu zählt gemäß § 10 UStG alles, was der Leistungsempfänger (oder ein
anderer) aufwendet, um die Leistung zu erhalten, abzüglich der Umsatzsteuer selbst und
solcher Beträge, die im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und ver-
ausgabt werden (durchlaufende Posten). Bemessungsgrundlage ist somit der Nettobetrag.
Bei einem Verkaufspreis (Bruttopreis) von 100 EUR und einem Steuersatz von 19 %
ergibt sich somit ein Umsatzsteuerbetrag von 19/119 = 15,97 EUR und ein Nettobetrag
von 84,03 EUR.
8 Grundlagen Steuern 183
8.4.4 Steuersätze
Das UStG sieht einen Regelsteuersatz von 19 % vor (§ 12 Abs. 1 UStG). Für bestimmte
Lieferungen und sonstige Leistungen ist jedoch ein ermäßigter Steuersatz von 7 % vor-
gesehen. Dies betrifft alle Lieferungen und sonstigen Leistungen, die in § 12 Abs. 2
UStG, oder in der dazugehörigen Anlage 2 zum UStG, genannt sind. Dazu gehören z. B.:
• Lieferung der in Anlage 2 genannten Lebensmittel (nicht hingegen die Abgabe von
Speisen und Getränken zum Verzehr am Ort, z. B. im Restaurant)
• Lieferung von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften (Anlage 2 Nr. 49)
• Lieferung von Kunstgegenständen (Anlage 2 Nr. 53)
• zahntechnische Leistungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG)
• Eintrittskarten für Theater, Konzerte und Museen (Nr. 7)
• Eintrittskarten für Schwimm- und Heilbäder (Nr. 9)
• Personenbeförderung im Nahverkehr bis 50 km (Nr. 10)
• die Vermietung von Hotelzimmern und Ferienwohnungen (Nr. 11).
8.4.5 Vorsteuerabzug
Soweit ein Unternehmen Lieferungen und sonstige Leistungen von einem anderen
Unternehmen bezieht, kann die in Rechnung gestellte und gezahlte Umsatzsteuer als
sogenannte Vorsteuer vom Finanzamt erstattet werden. In der Regel erfolgt keine tat-
sächliche Erstattung, sondern die vom Unternehmen an das Finanzamt abzuführende
Umsatzsteuer wird um die erstattungsfähige Vorsteuer gemindert. Für den Vorsteuer-
abzug müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein (§ 15 UStG):
Abb. 8.5 zeigt ein Beispiel zum Vorsteuerabzug in einer Liefer- bzw. Leistungskette von
zwei Unternehmen (U1 und U2) und einem Endverbraucher (EV). In dem abgebildeten
Beispiel erhält Unternehmen U2 Vorleistungen von Unternehmen U1 zum Preis von
1000 EUR zzgl. 190 EUR Umsatzsteuer, sodass sich eine Vorsteuer von 190 EUR
ergibt. Das Unternehmen U2 erbringt seinerseits eine Leistung an den Endverbraucher
zum Preis von 3000 EUR zzgl. 570 EUR Umsatzsteuer. Diese Umsatzsteuer muss
Unternehmen U2 an das Finanzamt abführen. Jedoch erfolgt eine Verrechnung der
abzuführenden Umsatzsteuer mit der erstattungsfähigen Vorsteuer, sodass der an das
Finanzamt zu zahlende Betrag 570 − 190 = 380 EUR beträgt (sogenannte Zahllast). Das
Unternehmen U2 erhält somit 570 EUR Umsatzsteuer, die es zu 190 EUR an Unter-
nehmen U1 und zu 380 EUR an das Finanzamt zahlt. Somit stellt die Umsatzsteuer für
das Unternehmen keine Belastung dar, sondern nur einen durchlaufenden Posten. Da das
Unternehmen U1 190 EUR und das Unternehmen U2 380 EUR an sein Finanzamt zahlt,
ergeben sich aus der gesamten Liefer- bzw. Leistungskette Einnahmen für den Fiskus
von 570 EUR. Dies entspricht genau dem Betrag, den der Endverbraucher als Umsatz-
steuer in Rechnung gestellt bekommt. Da er keine Möglichkeit zur Erstattung durch das
Finanzamt hat, ist er wirtschaftlich mit der gesamten Umsatzsteuer auf die Liefer- bzw.
Leistungskette belastet.
8.5 Einkommensteuer
8.5.1 Steuerpflicht
die zum Wohnen geeignet ist und die er ab und zu nutzt.3 Ein gewöhnlicher Aufent-
halt liegt bei einem mindestens sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland vor, wobei
kurze Unterbrechungen unerheblich sind.4 Die sechs Monate können sich auch auf zwei
Kalenderjahre erstrecken. Unbeschränkt Steuerpflichtige müssen ihr Welteinkommen in
Deutschland versteuern (sogenannte Welteinkommensprinzip), soweit nicht ein Doppel-
besteuerungsabkommen zwischen Deutschland und einem anderen Staat bestimmte
Einkünfte von der Besteuerung in Deutschland freistellt.
Natürliche Personen, die nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, unter-
liegen der beschränkten Einkommensteuerpflicht, wenn sie inländische Einkünfte
erzielen (§ 1 Abs. 4 EStG). In diesem Fall werden nur die inländischen Einkünfte in
Deutschland besteuert (sogenanntes Territorialprinzip).
8.5.2 Einkunftsarten
1. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG): Einkünfte aus der planmä-
ßigen Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens zur Erzeugung und Verwertung von
Pflanzen und Tieren sowie der Verwertung der dadurch selbst gewonnenen Erzeug-
nisse.5 Dazu zählen neben der Landwirtschaft u. a. auch Forstwirtschaft, Weinbau,
Gartenbau und Fischerei (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG): Einkünfte aus der selbstständigen,
nachhaltigen und mit Gewinnerzielungsabsicht unternommenen Beteiligung am all-
gemeinen wirtschaftlichen Verkehr, wenn die Art der Tätigkeit weder als Land- und
Forstwirtschaft, noch als selbstständige Arbeit, noch als reine Vermögensverwaltung
einzustufen ist (§ 15 Abs. 2 EStG).
3. Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG): Einkünfte aus selbstständig
ausgeübten freiberuflichen und ähnlichen Tätigkeiten. Dazu zählen neben wissen-
schaftlichen, schriftstellerischen, künstlerischen, unterrichtenden und erzieherischen
Tätigkeiten insbesondere die Tätigkeiten von Freiberuflern wie z. B. Ärzte, Rechts-
anwälte, Steuerberater, Architekten sowie die Tätigkeit als Testamentsvollstrecker,
Aufsichtsratsmitglied und Vermögensverwalter (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG).
4. Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (§ 19 EStG): Einkünfte aus
bestehenden oder früheren Dienstverhältnissen. Dazu zählen neben dem Lohn und
Die sonstigen Einkünfte sind kein Auffangtatbestand für alle anderen Einkünfte, sondern
der Oberbegriff für die zuvor genannten fünf Untereinkunftsarten. Einkünfte, die unter
keine der sieben Einkunftsarten fallen, werden daher bei der Einkommensteuer nicht
erfasst. Dies gilt z. B. für Lottogewinne, Erbschaften, Schenkungen sowie Gewinne aus
der privaten Veräußerung von Immobilien, wenn diese mindestens zehn Jahre gehalten,
oder selbst zu Wohnzwecken genutzt wurden.
Zu den Einkunftsarten gehören nicht nur unmittelbar vom Steuerpflichtigen erzielte
Einkünfte, sondern auch Gewinn- bzw. Verlustanteile aus der Beteiligung an einer
Personengesellschaft, wenn die Personengesellschaft entsprechende Einkünfte erzielt. Denn
die Gewinne einer Personengesellschaft werden nicht bei dieser selbst besteuert, sondern den
Gesellschaftern zugerechnet und unterliegen bei diesen der Einkommensteuer.6
erstellen (z. B. OHG, KG, UG, GmbH, AG und größere gewerbliche Einzelunter-
nehmer) müssen der Einkünfteermittlung den Steuerbilanzgewinn zugrunde legen
(§ 5 Abs. 1 EStG). Dieser kann durch die Erstellung einer eigenständigen Steuer-
bilanz ermittelt werden, wobei aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips des § 5 Abs. 1
Satz 1 EStG die meisten Bilanzpositionen unverändert aus der Handelsbilanz in die
Steuerbilanz zu übernehmen sind. Nur soweit zwingende steuerrechtliche Bilan-
zierungs- oder Bewertungsvorschriften bestehen, die von den handelsrechtlichen
Regelungen abweichen (z. B. Verbot von Drohverlustrückstellungen gemäß § 5
Abs. 4a EStG), oder aufgrund ausdrücklicher steuerbilanzieller Wahlrechte (z. B.
Sonderabschreibungen gemäß § 7 g Abs. 5 EStG) muss bzw. darf in der Steuerbilanz
ein anderer Ansatz gewählt werden als in der Handelsbilanz. Der Steuerpflichtige
kann auch auf die Aufstellung einer eigenen Steuerbilanz verzichten und stattdessen
nur eine Handelsbilanz zusammen mit einer sogenannten Überleitungsrechnung
beim Finanzamt einreichen, vgl. § 60 Abs. 2 Einkommenssteuer-Durchführungsver-
ordnung (EStDV). In dieser Überleitungsrechnung sind die Abweichungen zwischen
handelsbilanziellen und steuerbilanziellen Ansätzen und deren Ergebnisauswirkung
aufzuführen, sodass aus dem Jahresüberschuss der Handelsbilanz und dem Ergeb-
nis der Überleitungsrechnung (steuerliches Mehr-/Minderergebnis) der Steuer-
bilanzgewinn abgeleitet werden kann. Der Steuerbilanzgewinn ist im Rahmen der
Ermittlung der Einkünfte regelmäßig noch um außerbilanzielle Kürzungen – ins-
besondere für steuerfreie Betriebseinnahmen, z. B. Investitionszulagen gemäß § 13
Investitionszulagengesetz (InvZulG) – und außerbilanzielle Hinzurechnungen – ins-
besondere für nicht abziehbare Betriebsausgaben, z. B. Ausgaben i. S. d. § 4 Abs. 5
EStG – zu korrigieren.
2. Einnahmen-Überschuss-Rechnung: Kleinere Land- und Forstwirte, kleine gewerb-
liche Einzelunternehmer, alle Freiberufler sowie Partnerschaftsgesellschaften
und Gesellschaften bürgerlichen Rechts müssen keine Steuerbilanz erstellen. Bei
ihnen reicht eine Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und -ausgaben eines
Kalenderjahres (§ 4 Abs. 3 EStG). Dabei sind steuerfreie Betriebseinnahmen (z. B.
Investitionszulagen, § 13 InvZulG) und steuerlich nicht abzugsfähige Betriebsaus-
gaben (z. B. Ausgaben i. S. d. § 4 Abs. 5 EStG) nicht zu berücksichtigen. Kosten
für abnutzbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens können allerdings nur
dann sofort in voller Höhe berücksichtigt werden, wenn die Anschaffungs- oder Her-
stellungskosten (ohne USt) höchstens 800 EUR betragen (Sofortabschreibung gemäß
§ 6 Abs. 2 EStG). Andernfalls sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten wie bei
der Erstellung einer Bilanz durch Abschreibungen anteilig auf die betriebsgewöhn-
liche Nutzungsdauer zu verteilen.
3. Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten: Die Einkünfte aus nicht
selbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und
die sonstigen Einkünfte werden durch Gegenüberstellung der Einnahmen und der
Werbungskosten ermittelt. Dabei sind steuerfreie Einnahmen (insbesondere solche
i. S. d. § 3 EStG) und steuerlich nicht abzugsfähige Ausgaben (z. B. Ausgaben i. S. d.
188 A. Lühn
Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer ist gemäß § 2 Abs. 5 EStG das zu ver-
steuernde Einkommen. Die Einkommensteuer ist gemäß § 2 Abs. 7 EStG eine Jahres-
steuer, d. h. der Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr. Daher wird das zu
versteuernde Einkommen jeweils für ein Kalenderjahr ermittelt und festgesetzt. Das fol-
gende Schema zeigt die wichtigsten Rechenschritte zur Ermittlung des zu versteuernden
Einkommens:7
Gemäß § 2 EStG werden die Einkünfte aus den sieben Einkunftsarten zunächst getrennt
ermittelt und anschließend zur Summe der Einkünfte aufaddiert. Dabei werden die
Einkünfte aus Kapitalvermögen in der Regel nicht in die Summe der Einkünfte ein-
bezogen, wenn eine Bank, oder eine andere auszahlende Stelle, auf die Kapitalerträge
Kapitalertragsteuer mit abgeltender Wirkung erhoben hat (§ 43 Abs. 5 EStG).
Die Summe der Einkünfte, vermindert insbesondere um den Altersentlastungsbetrag
(§ 24a EStG) und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG), ergibt den
Gesamtbetrag der Einkünfte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um einen Ver-
lustrücktrag bzw. -vortrag sowie um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen
Belastungen, ist das Einkommen. Das Einkommen vermindert um die Kinderfreibeträge
ergibt das zu versteuernde Einkommen.
Grundsätzlich gehen alle positiven und negativen Einkünfte eines Veranlagungszeit-
raums in die Summe der Einkünfte ein, sodass eine Verrechnung der Gewinne und Ver-
luste aus verschiedenen Einkunftsquellen erfolgt. Allerdings gibt es für die Einkünfte aus
Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 6 EStG), für einige spezielle Einkünfte aus Gewerbebetrieb
(§ 15 Abs. 4, § 15a EStG) sowie für einige sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 3 Satz 3 ff., § 23
Abs. 3 Satz 7 f. EStG) Verlustverrechnungsbeschränkungen. Hat ein Steuerpflichtiger in
einem Veranlagungszeitraum einen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte, so können die
negativen Einkünfte bis zu maximal einer Mio. Euro ins Vorjahr zurückgetragen werden
und dort vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (sogenannter Verlustrück-
trag, § 10d Abs. 1 EStG). Soweit bereits ein Steuerbescheid für das Vorjahr ergangen ist,
wird dieser entsprechend geändert und die zu viel gezahlte Steuer erstattet. Der Steuer-
pflichtige kann durch Antrag auf den Verlustrücktrag ganz oder teilweise verzichten
(§ 10d Abs. 1 Satz 5 EStG). Nicht im Wege des Rücktrags ausgeglichene negative Ein-
künfte werden durch Verlustvortrag auf die kommenden Veranlagungszeiträume vor-
getragen und dort abgezogen (§ 10d Abs. 2 EStG).
Das Einkommen kann auch durch Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen
gemindert werden. Sonderausgaben sind bestimmte bei der Ermittlung des Einkommens
abzugsfähige Ausgaben, die nicht mit einer der sieben Einkunftsarten in wirtschaftlichem
Zusammenhang stehen und somit nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten
abzugsfähig sind. Als Sonderausgaben sind ausschließlich die in § 10 bis § 10c genannten
Ausgaben bis zu den dort festgelegten Höchstgrenzen abzugsfähig. Dazu zählen Vor-
sorgeaufwendungen (insbesondere die Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken-
und Pflegeversicherung, § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 EStG), Beiträge zu Riesterverträgen (§ 10a
EStG), Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG), Schulgelder (§ 10 Abs. 1 Nr. 9
EStG), Berufsausbildungskosten (soweit nicht als Werbungskosten abzugsfähig, § 10
Abs. 1 Nr. 7 EStG), Spenden an gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Körperschaften
(§ 10b EStG) sowie die gezahlten Kirchensteuern (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG).
Außergewöhnliche Belastungen sind zwangsläufig erwachsene private Aufwendungen
eines Steuerpflichtigen, die bei der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen
gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands nicht
anfallen (§ 33 Abs. 1 EStG). Sie sind in der Regel nur abzugsfähig soweit eine zumut-
bare Belastung überschritten ist, deren Höhe gestaffelt ist nach dem Einkommen und
190 A. Lühn
der Zahl der Kinder (§ 33 Abs. 3 EStG). Zu den außergewöhnlichen Belastungen
gehören z. B. Krankheitskosten, die nicht von einer Krankenkasse übernommen wer-
den. Für einige außergewöhnliche Belastungen können unabhängig von der zumutbaren
Belastung Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 33a, 33b EStG).
Bei Eltern kann das Einkommen schließlich noch um Kinderfreibeträge gemindert
werden, wenn Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 31 EStG). Soweit ein Kinderfrei-
betrag gewährt wird, erhöht sich die Einkommensteuer um das ausgezahlte Kindergeld
(§ 31 Satz 4 EStG), d. h. faktisch muss das Kindergeld bei Gewährung eines Kinderfrei-
betrages zurückgezahlt werden. Der Abzug von Kinderfreibeträgen ist somit nur dann
vorteilhaft, wenn die dadurch bewirkte Minderung der Einkommensteuer größer ist als
das erhaltene Kindergeld. Das Finanzamt prüft von Amts wegen die Vorteilhaftigkeit und
zieht Kinderfreibeträge nur ab, soweit dies für den Steuerpflichtigen tatsächlich vorteil-
haft ist.
Der Grundtarif der Einkommensteuer ergibt sich aus der komplexen Tariffunktion
des § 32a Abs. 1 EStG. Bis zu einem Grundfreibetrag von 9168 EUR wird keine Ein-
kommensteuer erhoben (Werte für 2019). Für die darüber hinausgehenden Ein-
kommensteile steigt der Einkommensteuertarif von 14 % (bei 9169 EUR) bis auf
42 % (bei 55.960 EUR) an (sogenannte Progressionszone). Einkommensteile zwi-
schen 55.961 EUR und 265.326 EUR werden konstant mit 42 % besteuert, darüber
hinausgehende Einkommensteile werden mit 45 % belastet. Bei zusammenveranlagten
Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern wird ein gemeinsames Einkommen
berechnet, auf das der Splittingtarif angewendet wird. Dessen Grenzwerte sind genau
doppelt so hoch wie beim Grundtarif (0 % bis 18.336 EUR, 42 % ab 111.922 EUR).
Falls ausländische Einkünfte in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer
der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, und
aufgrund des Welteinkommensprinzips auch in Deutschland steuerpflichtig sind, ermä-
ßigt sich die deutsche Einkommensteuer unter bestimmten Voraussetzungen um die aus-
ländische Steuer (sogenannte Anrechnung ausländischer Steuern, § 34c Abs. 1 EStG).
Inhaber von Einzelunternehmen und Gesellschafter einer Personengesellschaft
können die Gewerbesteuer des Unternehmens bis zu bestimmten Höchstbeträgen in
pauschalierter Form von ihrer Einkommensteuer abziehen (sogenannte Gewerbe-
steueranrechnung, § 35 EStG). Daneben gibt es einige weitere Beträge, die von der
Einkommensteuer abgezogen werden können (Steuerermäßigungen gemäß §§ 34c,
34 f, 34 g, 35a EStG). Bei der Festsetzung der Einkommensteuer durch die Finanzver-
waltung wird schließlich noch das Kindergeld hinzugerechnet, soweit Kinderfreibeträge
abgezogen wurden (§ 31 Satz 4 EStG).
In der Regel sind vor der Festsetzung der Einkommensteuer bereits Vorauszahlungen
geleistet worden. Bei Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit stellt die vom Arbeit-
geber einbehaltene Lohnsteuer in der Regel eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer
dar (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 38 EStG). Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
stellt die Kapitalertragsteuer in den Fällen, in denen sie keine abgeltende Wirkung hat,
auch eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer dar (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 43
EStG). Bei den anderen Einkunftsarten kann die Finanzverwaltung vierteljährliche
Vorauszahlungen festlegen (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 37 EStG). Wenn die Summe aller
Vorauszahlungen geringer ist als die festzusetzende Einkommensteuer, muss der Steuer-
pflichtige nach Erhalt des Steuerbescheids eine Abschlusszahlung leisten. Andernfalls
erhält er eine Erstattung der zu viel gezahlten Steuern.
Als Zuschlag zur Einkommen-, Lohn- und Kapitalertragsteuer wird der Solidaritäts-
zuschlag erhoben. Dieser beträgt 5,5 % der zugrunde liegenden Steuer (§ 4 Solidari-
tätszuschlaggesetz). Außerdem wird bei Mitgliedern von kirchensteuererhebenden
Religionsgemeinschaften die Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommen-, Lohn- und
Kapitalertragsteuer erhoben. Diese beträgt je nach Bundesland zwischen 8 % und 9 %
der zugrunde liegenden Steuer.
8.6 Körperschaftsteuer
8.6.1 Steuerpflicht
den Körperschaften zählen insbesondere die juristischen Personen des Zivilrechts wie
Kapitalgesellschaften (SE, AG, KGaA, GmbH, UG), Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften (e. G.), Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG), Vereine und Stiftun-
gen sowie die entsprechenden ausländischen Rechtsformen.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts (z. B. Bund, Länder, Kommunen, öffent-
lich-rechtliche Hochschulen, öffentlich-rechtliche Innungen und Kammern) unter-
liegen grundsätzlich nicht der Körperschaftsteuer. Nur soweit eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts einen sogenannten Betrieb gewerblicher Art unterhält, kann dieser
unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sein (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG).
Das KStG unterscheidet zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht.
Der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen Körperschaften, Personen-
vereinigungen oder Vermögensmassen i. S. d. § 1 Abs. 1 KStG mit Ort der Geschäfts-
leitung oder Sitz im Inland. Der Ort der Geschäftsleitung ist gemäß § 10 AO der
Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, also der Ort, an dem die Geschäfts-
führungsentscheidungen getroffen werden (z. B. das Büro des Geschäftsführers). Der
Sitz ist gemäß § 11 AO der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungs-
geschäft oder dergleichen bestimmte Ort. Unbeschränkt steuerpflichtige Körperschafts-
steuersubjekte müssen ihr Welteinkommen in Deutschland versteuern (sogenanntes
Welteinkommensprinzip), soweit nicht ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen
Deutschland und einem anderen Staat bestimmte Einkünfte von der Besteuerung in
Deutschland freistellt.
Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen i. S. d. § 1 Abs. 1
KStG, die nicht unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, unterliegen der beschränkten
Körperschaftsteuerpflicht, wenn sie inländische Einkünfte erzielen (§ 2 Abs. 1 EStG). In
diesem Fall werden nur die inländischen Einkünfte in Deutschland besteuert (sogenanntes
Territorialprinzip).
§ 5 Abs. 1 KStG sieht für eine Reihe von Körperschaften, die gemäß § 1 Abs. 1
KStG grundsätzlich unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, eine Befreiung
von der Körperschaftsteuer vor. Unter anderem sind bestimmte Unternehmen des
Bundes und der Länder mit zum Teil hoheitlichen Aufgaben (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 2a
KStG), nicht öffentlich-rechtliche Berufsverbände wie Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften (Nr. 5) und politische Parteien (Nr. 7) von der Körperschaftsteuer
befreit. Außerdem sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG alle Körperschaften, Personenver-
einigungen und Vermögensmassen befreit, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft
oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließ-
lich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen. In
der Praxis sind insbesondere viele Vereine und Stiftungen von der Körperschaftsteuer
befreit. Es gibt jedoch auch Vereine und Stiftungen, die die Voraussetzungen nicht
erfüllen und daher körperschaftsteuerpflichtig sind. Auch Kapitalgesellschaften können
als gemeinnützig anerkannt werden und somit von der Körperschaftsteuer befreit sein
(z. B. sogenannte gGmbH). Die Befreiung von der Körperschaftsteuer kann sich auch
auf einen Teil der Aktivitäten einer Körperschaft beziehen. Denn eine grundsätzlich von
8 Grundlagen Steuern 193
Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ist gemäß § 7 Abs. 1 KStG das zu ver-
steuernde Einkommen. Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln
ist, bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 KStG grundsätzlich nach den Vorschriften des
EStG und des KStG. Nicht anwendbar sind die Vorschriften des EStG, die durch
eigene Vorschriften des KStG ersetzt werden (z. B. Spendenabzug: § 9 Abs. 1 Nr. 2
KStG ersetzt § 10b EStG) sowie Vorschriften, die ausschließlich auf natürliche Perso-
nen zugeschnitten sind (z. B. die Vorschriften zu Sonderausgaben und außergewöhn-
lichen Belastungen).10 Das folgende Schema zeigt die wichtigsten Rechenschritte zur
Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Kapitalgesellschaft:11
10R 8.1 KStR enthält eine Liste aller Vorschriften des Einkommensteuergesetzes, die auch bei der
Außerbilanzielle Kürzungen können sich zum einen aufgrund der Regelungen des
EStG oder anderer Gesetze über die Steuerfreiheit bestimmter Einnahmen ergeben (z. B.
steuerfreie Investitionszulagen, § 13 InvZulG). Zum anderen können auch die Regelun-
gen des KStG bezüglich der Freistellung von Beteiligungserträgen (§ 8b KStG) und der
Behandlung sogenannter verdeckter Einlagen (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG) zu außerbilanz-
iellen Kürzungen führen.
Außerbilanzielle Hinzurechnungen können sich insbesondere aufgrund der Regelun-
gen des EStG zu steuerlich nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben (insbesondere § 4
Abs. 5 ff. EStG) ergeben. Außerdem können auch die Regelungen des KStG bezüglich
nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben (§ 10 KStG, § 8b Abs. 3 und 5 KStG) und der
Behandlung sogenannter verdeckter Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) zu
außerbilanziellen Hinzurechnungen führen.
Für die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten aus verschiedenen Einkunfts-
quellen sowie für den Verlustrücktrag ins Vorjahr und den Verlustvortrag auf zukünftige
Jahre gelten bei der Körperschaftsteuer die Regelungen des EStG entsprechend (§ 10d
EStG) (siehe Abschn. 8.5.4).
Das KStG sieht gemäß § 24 Satz 2 KStG keinen Freibetrag für Kapitalgesellschaften
vor. Bei den meisten anderen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögens-
massen wird gemäß § 24 Satz 1 KStG das zu versteuernde Einkommen um einen Frei-
betrag in Höhe von 5000 EUR gemindert.
Zu versteuerndes Einkommen
x 15 %
= tarifliche Körperscha steuer
– anzurechnende ausländische Steuern (§ 26 KStG i. V. m. § 34c Abs. 1 EStG)
= festzusetzende Körperscha steuer
– anzurechnende Kapitalertragsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i. V. m. § 31 KStG)
– vierteljährliche Körperschasteuervorauszahlungen (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 31 KStG)
= Abschlusszahlung bzw. -erstaung
Anders als bei der Einkommensteuer gibt es bei der Körperschaftsteuer einen linearen
Tarif mit einem einheitlichen Steuersatz von zurzeit 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG), sodass
sich die tarifliche Körperschaftsteuer einfach aus der Multiplikation des zu versteuernden
Einkommens mit 15 % ergibt.
Falls ausländische Einkünfte in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer
der deutschen Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, und auf-
grund des Welteinkommensprinzips auch in Deutschland steuerpflichtig sind, ermäßigt
sich die deutsche Körperschaftsteuer unter bestimmten Voraussetzungen um die aus-
ländische Steuer (sogenannte Anrechnung ausländischer Steuern, § 26 KStG i. V. m.
§ 34c Abs. 1 EStG).
Bei der Ermittlung der nach Erhalt des Steuerbescheides noch zu leistenden
Abschlusszahlung bzw. des zustehenden Erstattungsguthabens sind außerdem die auf
die bezogenen Kapitalerträge einbehalte Kapitalertragsteuer und die vierteljährlich zu
leistenden Körperschaftsteuervorauszahlungen abzuziehen. Da bei Kapitalgesellschaften
gemäß § 8 Abs. 2 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten, hat
die Kapitalertragsteuer bei Kapitalgesellschaften nie eine abgeltende Wirkung, sondern
wird wie eine Vorauszahlung auf die Körperschaftsteuer behandelt. Wenn die Summe
aller Vorauszahlungen geringer ist als die festzusetzende Körperschaftsteuer, muss die
Körperschaft nach Erhalt des Steuerbescheids eine Abschlusszahlung leisten. Andern-
falls erhält sie eine Erstattung der zu viel gezahlten Steuern.
Zusätzlich zur Körperschaftsteuer müssen Körperschaften den Solidaritätszuschlag in
Höhe von 5,5 % der Körperschaftsteuer zahlen (§§ 2, 4 SolZG).
8.7 Gewerbesteuer
8.7.1 Steuerpflicht
14Bagatellgrenze gemäß Bundesfinanzhof (BFH) v. 27.8.2014, VIII R 16/11, BFHE 247, 499 ff.; BFH
v. 27.8.2014, VIII R 41/11, BFHE 247, 506 ff.; BFH v. 27.8.2014, VIII R 6/12, BFHE 247, 513 ff.
196 A. Lühn
a usübt, der Gewerbesteuer, wenn bei ihr ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesell-
schaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Personen, die nicht
Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung befugt sind (gewerbliche Prägung gemäß § 15
Abs. 3 Nr. 2 EStG). Dies trifft insbesondere auf die typische GmbH & Co. KG zu.
Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Dieser wird wie folgt
berechnet:
Ausgangsgröße der Berechnung des Gewerbeertrages ist der steuerliche Gewinn nach
EStG (bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften) bzw. nach KStG (bei Körper-
schaften). Soweit in diesem Gewinn bestimmte Veräußerungs- oder Aufgabegewinne
enthalten sind, sind diese gegebenenfalls rauszurechnen, da die Gewerbesteuer grund-
sätzlich nur laufende Gewinne erfasst. Dies gilt allerdings nach § 7 GewStG nur soweit
diese Gewinne auf natürliche Personen und nicht auf Körperschaften entfallen.
Des Weiteren ist der Gewerbeertrag um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu
erhöhen. Insbesondere ist ein Viertel der Finanzierungskosten des Unternehmens hin-
zuzurechnen, soweit die gesamten Finanzierungskosten 100.000 EUR übersteigen (§ 8
Nr. 1 GewStG). Als Finanzierungskosten gelten außer Zinsen u. a. auch ein Fünftel der
Leasingraten für bewegliche Wirtschaftsgüter, die Hälfte der Mieten für Immobilien und
ein Viertel der gezahlten Lizenzgebühren.
Außerdem ist der Gewerbeertrag um Kürzungen nach § 9 GewStG zu min-
dern. Herauszurechnen sind z. B. Gewinnanteile aus der Beteiligung an Personen-
gesellschaften (§ 9 Nr. 2 GewStG) und Dividenden aus Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften, soweit die Beteiligung mindestens 15 % beträgt (§ 9 Nr. 2a
GewStG). Diese Regelungen sollen eine Doppelbesteuerung auf Ebene der Gesellschaft
und des Gesellschafters vermeiden. Zu kürzen sind auch Gewinne aus ausländischen
Betriebsstätten (§ 9 Nr. 3 GewStG), da nur inländische Gewinne der Gewerbesteuer
unterliegen.
8 Grundlagen Steuern 197
Soweit sich nach Berücksichtigung der Hinzurechnungen und Kürzungen ein negati-
ver Gewerbeertrag ergibt, kann dieser zeitlich unbegrenzt auf zukünftige Erhebungszeit-
räume vorgetragen werden und mit positiven Gewerbeerträgen verrechnet werden (§ 10a
GewStG). Ein Verlustrücktrag ist bei der Gewerbesteuer nicht möglich.
Der Gewerbeertrag ist auf volle 100 EUR abzurunden (§ 11 Abs. 1 GewStG). Bei
Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist der Gewerbeertrag zudem um einen
Freibetrag von 24.500 EUR zu mindern. Kapitalgesellschaften steht hingegen kein Frei-
betrag zu.
Gewerbeertrag
x 3,5 % (Gewerbesteuer-Messzahl, § 11 Abs. 2 GewStG)
= Gewerbesteuer-Messbetrag (§ 11 Abs. 1 GewStG)
x Hebesatz der Gemeinde
= festzusetzende Gewerbesteuer
– vierteljährliche Gewerbesteuer-Vorauszahlungen (§ 19 GewStG)
= Abschlusszahlung oder Erstaung
Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer wird zunächst durch das Finanzamt ein Gewerbe-
steuermessbetrag festgesetzt. Dieser beträgt 3,5 % des Gewerbeertrags (§ 11 Abs. 1,
2 GewStG). Hat ein Unternehmen Betriebstätten in mehreren Gemeinden, so wird der
Gewerbesteuermessbetrag nach einem Verteilungsschlüssel auf die Gemeinden aufgeteilt
(sogenannte Zerlegung, § 28 ff. GewStG). In den meisten Fällen richtet sich der Ver-
teilungsschlüssel nach der Lohnsumme, die die Arbeitnehmer der Betriebstätten erhalten
(§ 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG).
Durch die Gemeinden, in denen das Unternehmen Betriebsstätten unterhält, wird
dann die Gewerbesteuer festgesetzt. Dazu wird der auf die Gemeinde entfallende
Gewerbesteuermessbetrag mit dem Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde multipliziert.
Der Gewerbesteuerhebesatz wird von der Gemeinde selbst festgelegt und muss mindes-
tens 200 % betragen (§ 16 Abs. 4 GewStG). In der Regel liegt der Hebesatz zwischen
300 und 500 %. Werden diese Sätze mit der Steuermesszahl von 3,5 % multipliziert, so
ergeben sich effektive Steuersätze zwischen 10,5 und 17,5 %.
Für die Gewerbesteuer müssen in der Regel vierteljährliche Vorauszahlungen geleistet
werden (§ 19 GewStG). Wenn die Summe der Vorauszahlungen geringer ist als die fest-
zusetzende Gewerbesteuer, muss das Unternehmen nach Erhalt des Steuerbescheids eine
Abschlusszahlung leisten. Andernfalls erhält es eine Erstattung der zu viel gezahlten
Steuern.
198 A. Lühn
Während Gewinne eines Einzelunternehmens dem Inhaber und Gewinne von Personen-
gesellschaften den Gesellschaftern zugerechnet und bei diesen versteuert wer-
den (sogenanntes Transparenzprinzip), werden Körperschaften getrennt von ihren
Mitgliedern bzw. Gesellschaftern besteuert (sogenanntes Trennungsprinzip). Für die
Mitglieder bzw. Gesellschafter einer Körperschaft ergeben sich grundsätzlich nur dann
steuerliche Konsequenzen aus ihrer Beteiligung, wenn sie Gewinnausschüttungen oder
vertragliche Zahlungen von der Körperschaft erhalten. Abb. 8.6 zeigt, bei welchen
Rechtsformen welches Besteuerungsprinzip zur Anwendung kommt.
8.8.2 Einzelunternehmen
Der Gewinn oder Verlust des Unternehmens geht unmittelbar im Jahr der Entstehung
in die Einkünfte des Inhabers ein, und unterliegt somit bei diesem der Einkommen-
steuer. Zur Anwendung kommt somit grundsätzlich der individuelle Einkommensteuer-
satz des Unternehmensinhabers. Jedoch kann für im Unternehmen belassene Gewinne
der Thesaurierungssteuersatz von 28,25 % beantragt werden (§ 34a Abs. 1 EStG). Bei
einer späteren Entnahme dieser Gewinne kommt es zu einer Nachversteuerung mit
einem Einkommensteuersatz von 25 % (§ 34a Abs. 2 EStG). Die Inanspruchnahme
des Thesaurierungssteuersatzes ist daher nur dann vorteilhaft, wenn die Gewinne lang-
fristig im Unternehmen verbleiben. Die Gewerbesteuer des Einzelunternehmens wird in
pauschalierter Form auf die Einkommensteuer des Inhabers angerechnet (§ 35 EStG).
Im Optimalfall stellt die Gewerbesteuer keine Belastung dar, da die Einkommensteuer
genau um den Betrag der Gewerbsteuer gemindert wird. Als Zuschlag auf die Ein-
kommensteuer werden der Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls die Kirchensteuer
erhoben.
8.8.3 Personengesellschaft
Abb. 8.8 Grundstruktur
der Ertragsbesteuerung
gewerblicher
Personengesellschaften
8.8.4 Kapitalgesellschaft
Abb. 8.9 Grundstruktur
der Ertragsbesteuerung von
Kapitalgesellschaften
202 A. Lühn
Weiterführende Literatur
Die Gründungsphase liegt nun hinter uns. Innerhalb der sich anschließenden Wachstums-
phase werden meist (erstmals) Gewinne erzielt, obwohl die Ausgaben für werbliche
Maßnahmen wie „Promotion“ und „Kommunikation“ anhaltend hoch sind. Diese Phase
ist durch starkes Wachstum gekennzeichnet und Wettbewerber werden auf die positive
Entwicklung unseres Unternehmens aufmerksam. Sie versuchen daraufhin, mit Alter-
nativprodukten ein „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. Aus diesem Grund wird stra-
tegisch die Preis- und Konditionenpolitik wichtiger. Im Rahmen der nächsten Kapitel
spielt daher die Kosten- und Leistungsrechnung (Kap. 9) eine entscheidende Rolle.
Gelingt bei kleineren Unternehmen noch die „Buchführung aus dem Schuhkarton“,
so muss mit zunehmender Unternehmensgröße auch Kostenmanagement betrieben wer-
den. Da für die Wachstumsphase auch weitere finanzielle Mittel (Second Stage) erforder-
lich sind, werden anschließend die Formen der Wachstumsfinanzierung thematisiert
(Kap. 10).
Aufbau der Kosten- und
Leistungsrechnung 9
Gernot Keller und Thomas Kümpel
G. Keller (*)
Hochschule Worms (FB Wiwi – SR HM/IM), Worms, Deutschland
E-Mail: [email protected]
T. Kümpel
Düsseldorf, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 205
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_9
206 G. Keller und T. Kümpel
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
€ Euro
% Prozent
AfA Absetzung für Abnutzung
Aufl. Auflage
BAB Betriebsabrechnungsbogen
bzw. beziehungsweise
d.h. das heißt
EDV Elektronische Datenverarbeitung
F&E Forschung und Entwicklung
ff. (fort)folgende
FGK Fertigungsgemeinkosten
GK Gemeinkosten
GKV Gesamtkostenverfahren
h Stunden
H Hauptkostenstelle Hosenfertigung
HaKS Hauptkostenstelle
HiKS Hilfskostenstelle
J Hauptkostenstelle Jackenfertigung
k Stückkosten
K Hilfskostenstelle Kraftwerk, Gesamtkosten, Kosten
K-art Kostenart
kalkulat. kalkulatorische
Kto. Konto
kWh Kilowattstunde(n)
MGK Materialgemeinkosten
PGK primäre Gemeinkosten
9 Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung 207
Unter dem Begriff „Wirtschaften“ versteht man das Entscheiden über begrenzte Güter.
Die Bestände dieser knappen Wirtschaftsgüter werden vom Rechnungswesen wertmä-
ßig überwacht, um eine wirtschaftliche Nutzung sicherstellen zu können. Als aussage-
fähiges Informationssystem ist das Rechnungswesen eine wesentliche Grundlage, um ein
Unternehmen entsprechend seiner wirtschaftlichen Zielsetzung zu führen. Das betrieb-
liche Rechnungswesen befasst sich mit Verfahren, die dazu dienen, alle im Betrieb vor-
kommenden Zahlungs- und Leistungsströme (mengen- bzw. wertmäßig) zu erfassen und zu
überwachen. Es erlaubt die Herkunft, die Struktur und den Verbleib von Vermögensgegen-
ständen und Kapital nachzuweisen, die Wirtschaftlichkeit und Zahlungsfähigkeit laufend zu
kontrollieren und den (ökonomischen) Erfolg der Geschäftstätigkeit zu ermitteln. Vor allem
das innerbetriebliche Rechnungswesen ist damit die primäre Basis des Controllings.
Eine vereinfachte Darstellung der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Beziehungen
zwischen einer Unternehmung und deren Umwelt, sowie die Positionierung des
Rechnungswesens in den Verwaltungsbereich der Unternehmung verdeutlicht die
Abb. 9.1.
208 G. Keller und T. Kümpel
Folgt man der adressatenbezogenen Systematisierung, lassen sich wie bereits auf-
gezeigt das interne und das externe Rechnungswesen einer Unternehmung differenzie-
ren. Originärer Bereich des internen Rechnungswesens (Management Accounting) ist die
kalkulatorische Erfolgsrechnung (Kosten- und Leistungsrechnung), die den Leistungs-
erstellungsprozess numerisch abbildet und der Steuerung und Kontrolle der Wirtschaft-
lichkeit dient. Als Entscheidungsmodell tritt (u. a.) die Investitionsrechnung hinzu.
Dabei handelt es sich um eine Planungsrechnung, mit deren Hilfe die voraussichtliche
Vorteilhaftigkeit investitionspolitischer Maßnahmen geprüft werden soll. Für ein ent-
scheidungsorientiertes Rechnungswesen ist gerade der mit Planungsrechnungen ver-
bundene Zukunftsbezug von zentraler Bedeutung.
Das externe Rechnungswesen (Financial Accounting) besteht im Wesentlichen aus
der Finanzbuchhaltung und deren Aufgang im Jahresabschluss. Das externe Rechnungs-
wesen basiert auf der kaufmännischen (doppelten) Buchhaltung. Aus ihr lassen sich
wesentliche Informationen für den Jahresabschluss ableiten. Im Gegensatz zum inter-
nen Teilsystem ist der externe Abrechnungsbereich weitgehend nach gesetzlichen
Bestimmungen, insbesondere nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB)
bzw. der International Financial Reporting Standards (IFRS), zu gestalten.
Die Kostenrechnung befasst sich als das Rechnungswesen des Managements mit
zentralen Zielen und Fragen unternehmerischen Handelns. Neben einer angemessenen
Kostenkenntnis und -transparenz gilt es, das Kostenbewusstsein in der Unternehmung
zu schärfen, sowie die erbrachten Leistungen nach außen und innen darzustellen. Ers-
teres bildet zudem die Grundlage für die Schaffung der Möglichkeit einer transparenten
Querverrechnung von Leistungen zwischen Fachbereichen bzw. zentralen Einrichtungen
und einer verbesserten Argumentation gegenüber Drittmittelgebern. Diese ist weiter not-
wendige Voraussetzung für eine sachgerechte (Verwaltungs-)gebühren- bzw. Kosten-
ermittlung und zur Durchführung aussagekräftiger Make-or-Buy-Entscheidungen.
Der Kostenrechnung kommt zusammenfassend insbesondere die zentrale Aufgabe
der Kostenerfassung und -überwachung sowie der Kalkulation der Preise zu. Die hierzu
relevanten Rechengrößen stellen die Kosten und Erlöse einer Unternehmung dar. Unter
den Kosten ist der bewertete, zur Erfüllung des Betriebszwecks anfallende Güterver-
zehr zu verstehen. Erlöse hingegen bezeichnen die bewerteten, dem Betriebszweck ent-
stammenden Güterentstehungen. Demnach ist das Erfassungsobjekt der Kostenrechnung
der einzelne Betriebsbereich, in dem der Prozess der betrieblichen Leistungserstellung
und -verwertung erfolgt (vgl. Jossé 2018, S. 5–6). Dabei hat sich, dem Abrechnungs-
gang folgend, in der betrieblichen Praxis und betriebswirtschaftlichen Literatur ein
dreistufiger Aufbau der Kostenrechnung etabliert: Kostenarten-, Kostenstellen- und
Kostenträgerrechnung. In der zu Beginn stehenden Kostenartenrechnung werden
zunächst alle in der Abrechnungsperiode anfallenden Kosten erfasst und entsprechend
gegliedert (zu beantwortende Frage: Welche Kosten sind in welcher Höhe angefallen?).
210 G. Keller und T. Kümpel
leichteres sowie verbessertes Verständnis der Aufgaben, Inhalte und Stellung der einzeln
analysierten Abrechnungsstufen des Systems der Kostenrechnung und sollte daher stets
begleitend beim Lesen der weiteren Abschnitte eingesetzt werden.
Nachfolgend werden zunächst die Grundbegriffe der Kostenrechnung abgegrenzt, um
eine begriffliche Basis für die sich anschließende Darstellung der Kostenartenrechnung
zu schaffen und dann im Weiteren die beiden anderen Stufen der Kostenrechnung zu
erörtern.
Für die vom Rechnungswesen erfassten Zahlungs- und Leistungsvorgänge hat die
Betriebswirtschaftslehre eine eigene Terminologie entwickelt. In Abhängigkeit von der
jeweiligen Rechenebene und der damit verbundenen Veränderung einer zugehörigen
Bestandsgröße, ist zwischen Auszahlungen und Einzahlungen (Veränderung des
Zahlungsmittelbestands), Ausgabe und Einnahme (Veränderung des Geldvermögens),
Aufwand und Ertrag (Veränderung des Gesamt- bzw. Reinvermögens) sowie Kosten und
Leistungen bzw. Erlöse (Veränderung des betriebsnotwendigen Vermögens) zu diffe-
renzieren. Den genannten Begriffen ist gemeinsam, dass es sich um Stromgrößen han-
delt; es sind Zahlungs- oder Leistungsvorgänge, die sich innerhalb eines bestimmten
Abrechnungszeitraumes ereignen.
Einzahlungen und Auszahlungen knüpfen direkt an Geldbewegungen (Zahlungsvor-
gänge) an. Während Einzahlungen einen Zugang liquider Mittel (Bar- und Buchgeld)
bezeichnen, handelt es sich bei Auszahlungen um deren Abgang. Beide wirken sich
unmittelbar auf den Zahlungsmittelbestand der Unternehmung aus und bilden die Grund-
lage für die Finanz- und Liquiditätsrechnung.
Einnahmen und Ausgaben betreffen das Geldvermögen der Unternehmung und
begründen die Basis der Finanzierungsrechnung. Das Geldvermögen ergibt sich als
Zahlungsmittelbestand zuzüglich der Forderungen und abzüglich der Verbindlichkeiten.
Einnahmen sind damit definiert als Einzahlungen und/oder Forderungszugang und/oder
Schuldenabgang (Wert veräußerter Güter) und Ausgaben als Auszahlungen und/oder
Forderungsabgang und/oder Schuldenzugang (Wert verzehrter Güter).
Aufwand und Ertrag sind Posten einer streng auf Zahlungen beruhenden Erfolgs-
rechnung. Unter Aufwand wird dabei der gesamte Wert aller verzehrten Güter ver-
standen. Aufwand ist mithin eine rechnungstechnische Größe, die Ausgaben nach
bestimmten, gesetzlich festgelegten Kriterien periodisiert. Obgleich Aufwendungen
an Auszahlungen geknüpft sind, brauchen Aufwendungen nicht zeitgleich mit die-
sen zusammenfallen. Vielmehr kann der Zahlungsvorgang vor- oder nachgelagert sein.
Bezahlt eine Unternehmung z. B. Material, ohne es in der Abrechnungsperiode zu ver-
brauchen, so handelt es sich lediglich um eine Auszahlung, nicht jedoch um Aufwand.
212 G. Keller und T. Kümpel
Der Ertrag wird entsprechend von nach gesetzlichen Vorgaben periodisierten Einnahmen
her bestimmt und bezeichnet den Wert aller entstandenen Güter.
Auch Kosten und Leistungen (Erlöse) sind Posten einer Erfolgsrechnung;
sie verändern das betriebsnotwendige Vermögen (immaterielles Anlage-
vermögen + Sachanlagevermögen + Vorräte(abzüglichAnzahlungen) + Kundenforderungen −
Lieferantenverbindlichkeiten). Im Gegensatz zu Aufwand und Ertrag, die sämtliche die
Unternehmung betreffenden Vorgänge erfassen, knüpfen Kosten und Leistungen allein
an die betriebliche Leistungserstellung an. Kosten und Leistungen bezeichnen den Wert-
verbrauch bei der Erstellung der Betriebsleistung und den durch diese Betriebsleistung
ausgedrückten Wertzuwachs. Eine gängige Definition der Leistungen lautet: Leistungen
sind eine bewertete leistungsbezogene Güterentstehung, Kosten hingegen ein bewerteter
leistungsbezogener Güterverzehr. Der Begriff der Kosten ist folglich ebenso wie der
Aufwandsbegriff durch einen Werteverzehr gekennzeichnet, der im Unterschied jedoch
leistungsbezogen sein muss und mithin lediglich dem betriebstypischen Bereich ent-
stammen kann.
9.2.2.1 Kostenartenrechnung
• Produktionsfaktororientierte Erfassung
Nach Art der verbrauchten Produktionsfaktoren lassen sich die Kosten beispielsweise
in Material-, Personal-, Dienstleistungskosten, Kosten für öffentliche Abgaben sowie
kalkulatorische Kosten unterteilen, wobei sich eine Anlehnung an den im Unter-
nehmen verwendeten Kontenrahmen anbietet.
• Funktionsbereichsspezifische Erfassung
In Anlehnung an die Funktionsbereichsstruktur lassen sich z. B. Kosten aus den
Bereichen Beschaffung, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb etc. zusammenfassen.
Eine funktionsbereichsspezifische Unterteilung bietet sich allerdings eher für die
Kostenstellen- als für die Kostenartenrechnung an.
• Art der Kostenerfassung
Der überwiegende Teil der Kosten entspricht – zumindest soweit diese wertmäßig an
tatsächlichen Zahlungsströmen bemessen werden (pagatorische Kosten) – g leichzeitig
dem Aufwand (Grundkosten bzw. Zweckaufwand, z. B. Rohstoffverbrauch oder Arbeits-
kosten). Jedoch gibt es auch Kosten, die wertmäßig nicht zwingend mit dem Aufwand
identisch sind (Anderskosten) oder keinen Aufwandscharakter (Zusatzkosten) besitzen.
Diese werden als kalkulatorische Kosten bezeichnet. Anderskosten sind dabei den Auf-
wand übersteigende Kosten, deren Bewertung gegenüber dem pagatorischen Auf-
wand abweicht (z. B. kalkulatorische Abschreibung, die nicht wie die bilanziellen
Abschreibungen von den historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten, sondern
vielmehr von den aktuellen Wiederbeschaffungswerten als Abschreibungsbasis aus-
gehen). Zusatzkosten stellen einen nicht-pagatorischen Güterverbrauch dar und sind
daher nicht mit Auszahlungen verbunden. Hierzu zählen insbesondere kalkulatori-
sche Unternehmerlöhne (unbezahlt mitarbeitende Familienmitglieder), kalkulatorische
Mieten (Mietwert für betrieblich genutzte Privaträume) und kalkulatorische Zin-
sen (Zinsen für in der Unternehmung eingesetztes Eigenkapital). Die gesamten in der
Kostenrechnung zu erfassenden Kosten setzen sich mithin aus den Grundkosten zuzüg-
lich der Anders- und Zusatzkosten zusammen. Soweit Aufwendungen den Kostenbegriff
nicht erfüllen oder diesen übersteigen, handelt es sich um sogenannte neutrale Auf-
wendungen (z. B. durch Verkauf realisierter Spekulationsverlust einer Brauerei mit Wert-
papieren, da bei einer Brauerei die Spekulation mit Wertpapieren nicht leistungsbezogen
bzw. betriebstypisch ist – anders sähe es hingegen bei einer Bank bzw. Versicherung aus,
was die Zweckbestimmung des Kostenbegriffs nochmals deutlich unterstreicht).
• Kostengüterursprung
Primäre Kosten beziehen sich auf Güter, die das Unternehmen direkt von außen (von
Beschaffungsmärkten) erhält (z. B. Lohnkosten).
Sekundäre Kosten sind vom Unternehmen selbst erstellt (z. B. selbst erzeugter Strom)
und werden meistens in der gleichen Periode im Unternehmen verbraucht („Kostenart
für derivative Einsatzgüter“). Sie begründen mithin das geldmäßige Äquivalent des
Verbrauchs an innerbetrieblichen Leistungen (z. B. Kosten für selbst erstellten Strom).
9 Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung 215
Warenkosten als Einstandskosten der zum Verkauf angebotenen Waren und zum ande-
ren in Handlungskosten, die bei der Durchführung der Leistungserstellungsfunktion im
Handelsbetrieb anfallen. Dabei sind unter die Handlungskosten z. B. die Personalkosten,
Mietkosten, Kosten für Werbung, Zinsen oder Abschreibungen zu subsumieren (vgl.
Joos-Sachse 2006, S. 108). Die Orientierung an dem der Finanzbuchhaltung zugrunde
liegenden Kontenrahmen hat für Industrieunternehmen zur Konsequenz, dass hier die
Kostenartengliederung der Kostenentstehung durch den Verbrauch unterschiedlicher
Arten von Kostengütern folgt. Danach lassen sich im Wesentlichen unterscheiden:
• Materialkosten
fallen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Handelswaren an und setzen sich
jeweils aus einer Mengen- und Preiskomponente zusammen.
• Personalkosten
umfassen Löhne und Gehälter, Sozialkosten (gesetzliche und freiwillige) sowie sons-
tigen Arbeitskosten (vgl. Jossé 2018, S. 46 ff.).
• Dienstleistungskosten
entstehen für die Nutzung von Dienstleistungen anderer Unternehmen. Dazu zäh-
len z. B. Fremdinstandhaltung, Werbung, Telefonkosten, Energiekosten oder Ver-
sicherungsschutz (vgl. Olfert 2016, S. 69).
• Kosten für öffentliche Abgaben
lassen sich in Gebühren, Beiträge und Steuern einteilen.
• Kalkulatorische Kosten
Kalkulatorische Kosten werden eigens für die Kostenrechnung berechnet, um die
Genauigkeit der Kosten- und Erlösrechnung zu erhöhen und ihre Vergleichbarkeit
zu verbessern. Ihnen steht in der Finanzbuchhaltung entweder ein Aufwand in ande-
rer Höhe (= Anderskosten) gegenüber, oder sie haben dort als Zusatzkosten gar kein
Äquivalent in Form eines Aufwands (vgl. Joos-Sachse 2006, S. 123), wie dies z. B.
beim kalkulatorischen Unternehmerlohn und der kalkulatorischen Miete der Fall ist.
Der kalkulatorische Unternehmerlohn findet bei Einzelunternehmen und Personen-
gesellschaften für mitarbeitende Inhaber bzw. Gesellschafter Ansatz, weil hier keine
Zahlung eines Geschäftsführer- oder Vorstandsgehalts erfolgt, sondern eine Ent-
lohnung aus dem Gewinn vorgesehen ist. Damit dieser Betrag auch verdient werden
kann, bedarf es in der Kostenrechnung einer Berücksichtigung als Zusatzkosten. Die
Höhe des kalkulatorischen Unternehmerlohns richtet sich häufig an dem Gehalt eines
leitenden Angestellten einer vergleichbaren Unternehmung in ähnlicher Position aus.
Der Ansatz einer kalkulatorischen Miete erfolgt dann, wenn dem Unternehmen durch
Einzelunternehmer oder Gesellschafter einer Personengesellschaft private Grund-
stücke, Gebäude oder Räume zur Verfügung gestellt werden. Entsprechend dem kal-
kulatorischen Unternehmerlohn erfolgt zwar kein Ansatz in der Finanzbuchhaltung,
aber aufgrund des Opportunitätsgedankens ein Ansatz in der Kostenrechnung. Die
Höhe der Zusatzkosten orientiert sich in der Regel an der ortsüblichen Miete.
218 G. Keller und T. Kümpel
9.2.2.2 Kostenstellenrechnung
9.2.2.2.2 Kostenstellenbildung
Als Kostenstellen bezeichnet man Betriebsabteilungen oder betriebliche Teilbereiche, die
als selbstständige Kontierungseinheiten abgerechnet werden. Die Einteilung der Unter-
nehmung in Kostenstellen erfolgt dabei im Wesentlichen nach drei Kriterien (vgl. Drosse
1998, S. 69):
1. Funktionsorientierte Kostenstellen
Gleichartige Tätigkeiten werden zu einer Kostenstelle zusammengefasst, z. B.
Materialkostenstelle.
2. Rechnungsorientierte Kostenstellen
Einheiten gleicher Kostenstruktur bilden eine Kostenstelle, z. B. Zusammenfassung
mehrerer Maschinen zu einer Kostenstelle, deren Kostensituation ähnlich ist.
3. Raumorientierte Kostenstellen
Räumlich abgegrenzte Betriebsteile werden zu Kostenstellen zusammengefasst, z. B.
Werksvertretung Ost und Werksvertretung Süd.
Bei der Einteilung des Unternehmens in Kostenstellen gilt es zu beachten, dass jede
Kostenstelle einen selbstständigen Verantwortungsbereich darstellt. Denn zur Erfüllung
der Kontrollaufgabe der Kostenstellenrechnung ist es notwendig, dass sich ein Kosten-
stellenleiter, z. B. Meister oder Abteilungsleiter, für die entstandenen Kosten verantwort-
lich zeichnet und demnach diese auch zu rechtfertigen hat. Als Hauptkriterium zur
Einteilung von Kostenstellen wird in erster Linie die Abgrenzung nach den betrieblichen
Funktionsbereichen herangezogen. Danach erfolgt eine Einteilung der Kostenstellen in
die vier Kostenbereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb (gegebenenfalls
erweitert um weitere allgemeine Kostenstellen sowie F&E-Kostenstellen). Diese Grob-
einteilung erfolgt entsprechend der individuellen Anforderungen des Unternehmens
in einer Weise, durch die insgesamt eine ganze Kostenstellenhierarchie entsteht, z. B.
Unterteilung der Fertigung in F1 (Fräsen und Bohren), F2 (Pulverbeschichten) und
F3 (Montage), wobei die F2 (Pulverbeschichten) noch weiter in F21 (Oberflächenvor-
behandlung), F22 (elektrostatische Beschichtung) und F23 (Trocknung) aufgeteilt wird.
Dabei sind bezüglich des Feinheitsgrads bei der Einteilung der Kostenstellen stets die
Kosten und der Nutzen gegeneinander abzuwägen (vgl. Drosse 1998, S. 68).
Neben der Einteilung der Kostenstellen nach funktionalen Gesichtspunkten ist für
die Durchführung der Kostenstellenrechnung eine abrechnungsorientierte Differenzie-
rung der Kostenstellen notwendig. Dabei reicht für praktische Belange eine nach der
Bedeutung für die Leistungserstellung erfolgende Differenzierung in Hauptkostenstellen
(HaKS) und Hilfskostenstellen (HiKS) aus, da diese die Art der Weiterverrechnung (nach
220 G. Keller und T. Kümpel
Tab. 9.2 Beispiel-BAB
Gemein- Zahlen der Kostenstellen
kostenart Buchhaltung I. Material II. Fertigung III. Verwaltung IV. Vertrieb
Gemein- 10.000,00 0,00 8.000,00 0,00 2.000,00
kosten
Material
Brennstoffe/ 5.000,00 0,00 5.000,00 0,00 0,00
Energie
Hilfslöhne 30.000,00 3.000,00 25.000,00 0,00 2.000,00
Sozialkosten 15.000,00 1.000,00 7.000,00 6.000,00 1.000,00
Ver- 45.000,00 3.000,00 26.000,00 9.000,00 7.000,00
schiedene
Kosten
Gehälter 50.000,00 3.000,00 12.000,00 30.000,00 5.000,00
Steuern 5.000,00 0,00 3.000,00 2.000,00 0,00
Kalkulatori- 20.000,00 0,00 14.000,00 5.000,00 1.000,00
sche AfA
Summe der 180.000,00 10.000,00 100.000,00 52.000,00 18.000,00
GK MGK FGK VwGK VtGK
Zuschlagsgrundlagen: Fertigungs- Fertigungs Herstellkosten Herstellkosten
material löhne des Umsatzes des Umsatzes
200.000,00 100.000,00 400.000,00 400.000,00
Zuschlagssätze: 5,00 % 100,00 % 13,00 % 4,50 %
222 G. Keller und T. Kümpel
Grundformen
Für die Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung im Rahmen des
BAB existieren mehrere Verfahren, wobei sich diese hinsichtlich des Komplexitäts-
grads und ihrer Bedeutung in der Praxis in zwei Grundformen einteilen lassen. Dies
ist zum einen die einseitige, mehrstufige Leistungsabgabe (Sukzessivverfahren), bei der
der Leistungsstrom nur in eine Richtung fließt, sich jedoch über mehrere Stufen der
Leistungserstellung erstreckt. Zu dieser Grundform zählen vor allem das Anbauverfahren
(Blockumlageverfahren) und das Stufenleiterverfahren (Treppenumlageverfahren). Zum
anderen verkörpert die gegenseitige Leistungsabgabe (Simultanverfahren) die andere
Grundform, bei der die gegenseitige Leistungsverflechtung zwischen zwei oder mehre-
ren Kostenstellen berücksichtigt wird. Hierunter fällt insbesondere das Gleichungsver-
fahren (mathematisches Verfahren).
Nachfolgend sollen die in Abb. 9.5 aufgeführten Verfahren anhand eines identischen
Ausgangsbeispiels dargestellt werden.
Eine Unternehmung besteht aus zwei Hilfskostenstellen, der Reparaturwerkstatt
(R) und dem Kraftwerk (K) und den zwei Hauptkostenstellen Hosenfertigung (H) und
Tab. 9.4 Leistungsaustauschmatrix (Beispielfall)
an
von K R H J
K [kWh] – 100.000 350.000 550.000
R [h] 200 – 100 400
Anbauverfahren (Blockumlageverfahren)
Das Anbauverfahren (Blockumlageverfahren) beruht auf einer Trennung der Kosten-
stellen in zwei Blöcke, nämlich einen Block der Hilfs- und einen der Hauptkostenstellen.
Ein gegenseitiger Leistungsaustausch zwischen den Hilfskostenstellen wird völlig ver-
nachlässigt, sodass die innerbetrieblichen L
eistungen nur auf die Hauptkostenstellen zu
Tab. 9.5 Anbauverfahren (Blockumlageverfahren)
K R H J
Primäre Gemeinkosten 100.000 14.000 150.000 300.000
Umlage K −100.000 – +38.889 +61.111
Umlage R −14.000 +2.800 +11.200
Summe der Gemeinkosten 0 0 191.689 372.311
„ − “ steht für eine Entlastung mit sekundären Gemeinkosten, „ + “ für eine entsprechende
Belastung
Das Anbauverfahren (Blockumlageverfahren) stellt das einfachste, aber, durch die Nicht-
berücksichtigung der Leistungsbeziehungen zwischen den Hilfskostenstellen, auch das
ungenauste Verfahren dar. Es kommt nur dann zum richtigen Ergebnis, wenn die Hilfs-
kostenstellen keine innerbetrieblichen Leistungen empfangen, was in der Praxis aber sel-
ten der Fall ist.
Stufenleiterverfahren (Treppenumlageverfahren)
Das Stufenleiterverfahren (Treppenumlageverfahren) findet in der betrieblichen Praxis
häufig seine Anwendung, da es vergleichsweise einfach und hinreichend genau ist. Hier
wird der Leistungsverbund zwischen den Hilfskostenstellen in der Form berücksichtigt,
in der nur die jeweils nachgelagerten Hilfskostenstellen in Höhe der Leistungsinanspruch-
nahme von vorgelagerten Hilfskostenstellen belastet werden. Demnach ist es zweck-
mäßig, die Hilfskostenstellen im BAB so anzuordnen, dass die vorderen Stellen wenige
9 Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung 225
Leistungen von den folgenden Stellen empfangen (vgl. Müllendorff und Karrenbauer
2000, S. 83). Das Verfahren führt dann zu einem exakten Ergebnis, wenn in der Praxis nur
jeweils ein einseitiger Leistungsaustausch zwischen den Hilfskostenstellen besteht.
In dem vorliegenden Beispiel ist K vor R anzuordnen, da K nur 4.000 EUR
([14.000 EUR : 700 Std.] × 200 Std.) von R an Leistungen in Anspruch nimmt, wäh-
rend R von K insgesamt 10.000 EUR ([100.000 EUR : 1.000.000 kWh] × 100.000 kWh)
an Leistungen bezieht. Folglich sind im ersten Schritt die Kosten der Kostenstelle K
umzulegen. Im zweiten Schritt werden die Kosten von R unter Berücksichtigung der
sekundären Kosten von K auf die beiden Hauptkostenstellen umgelegt (Tab. 9.6). Der
Verrechnungssatz pro Hilfskostenstelle (Verrechnungspreis) ermittelt sich mithilfe einer
Division der Summe ihrer primären Gemeinkosten und ihrer sekundären Gemeinkosten
von vorgelagerten Hilfskostenstellen durch die Summe der an nachgeordnete Kosten-
stellen abgegebenen Mengeneinheiten.
100.000 C
Umlage K: = 0, 10 C kWh
1.000.000 kWh
14.000 C + 10.000 C
Umlage R: = 48 C Std.
100 Std. + 400 Std.
Auf Ebene der empfangenden Hilfs- und Hauptkostenstellen gilt: Mittels Multiplikation
der von einer vorgelagerten Hilfskostenstelle empfangenen Leistungseinheiten mit dem
jeweils zugehörigen Verrechnungspreis erhält man die sekundären Gemeinkosten der
dieser nachgelagerten Hilfs- und Hauptkostenstellen:
Reparaturwerkstatt R: 10.000 C = 100.000 kWh × 0, 10 C kWh
Hosenfertigung H: 35.000 C = 350.000 kWh × 0, 10 C kWh; 4.800 C = 100 Std. × 48 C Std.
Jackenfertigung J: 55.000 C = 550.000 kWh × 0, 10 C kWh; 19.200 C = 400 Std. × 48 C Std.
Tab. 9.6 Stufenleiterverfahren (Treppenumlageverfahren)
K R H J
Primäre Gemeinkosten 100.000 14.000 150.000 300.000
Umlage K −100.000 +10.000 +35.000 +55.000
Umlage R −24.000 +4.800 +19.200
Summe der Gemeinkosten 0 0 189.800 374.200
„ − “ steht für eine Entlastung mit sekundären Gemeinkosten, „ + “ für eine entsprechende
Belastung
226 G. Keller und T. Kümpel
Gleichungsverfahren ist sicherlich das aufwendigste Verfahren, führt aber immer zum
korrekten Ergebnis (Tab. 9.7). Da hier eine simultane Leistungsverrechnung erfolgt,
bedarf es für die Anwendung dieses Verfahrens entsprechender EDV-Programme. Im
Beispiel ergeben sich folgende Gleichungen zur Bestimmung der Verrechnungssätze für
die Hilfskostenstellen Kraftwerk (PK) und Reparaturwerkstatt (PR):
K: 1.000.000 × PK = 100.000 C + 200 × PR
R: 700 × PR = 14.000 C + 100.000 × PK
Durch Umformen ergeben sich:
K: −200 × PR = −1.000.000 × PK + 100.000 C
R: 700 × PR = 100.000 × PK + 14.000 C
Die Gleichung für K wird mit 3,5 multipliziert:
K: −700 × PR = −3.500.000 × PK + 350.000 C
R: 700 × PR = 100.000 × PK + 14.000 C
Durch Addition von K und R wird PK ermittelt:
Umlage K: 3.400.000 × PK = 364.000 C ⇒ PK = 0, 107059 C
Umlage R: Einsatz von PK in R ⇒ PR = 35, 294142 C
Auf Ebene der empfangenden Hilfs- und Hauptkostenstellen gilt: Mittels Multiplikation
der (von einer Hilfskostenstelle) empfangenen Leistungseinheiten mit dem jeweils
zugehörigen Verrechnungspreis erhält man die sekundären Gemeinkosten sämtlicher
Hilfs- und Hauptkostenstellen:
Kraftwerk K: −107.059 C = −1.000.000 kWh × 0, 107059 C kWh; 7.059 = 200 Std. × 35, 294142 C Std.
Reparaturwerkstatt R: 10.706 C = 100.000 kWh × 0, 107059 C kWh;
−24.706 C = −700 Std. × 35, 294142 C Std.
Hosenfertigung H: 37.471 C = 350.000 kWh×0, 107059 C/kWh; 3.529 C = 100 Std.×35, 294142 C/Std.
Jackenfertigung J: 58.882 C = 550.000 kWh×0, 107059 C/kWh; 14.118 C = 400 Std.×35, 294142 C/Std.
9 Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung 227
9.2.2.3 Kostenträgerrechnung
• Ermittlung
– der Herstell- und Selbstkosten der Kostenträger (stück- und zeitbezogen),
– des Erfolgs der Kostenträger (stück- und zeitbezogen) sowie
• Bereitstellung von Informationen für
– die Preispolitik zum Zwecke der Feststellung von Angebotspreisen und Preisunter-
grenzen,
– die Programmpolitik,
– die Beschaffungspolitik, um Preisobergrenzen festzustellen und um über die
Eigenfertigung oder den Fremdbezug entscheiden zu können,
– die Bestandsbewertung der unfertigen und fertigen Erzeugnisse.
228 G. Keller und T. Kümpel
9.2.2.3.2 Kostenträgerstückrechnung (Kalkulation)
erforderlich. Durch die Nachkalkulation werden ex post die für einen Kostenträger
angefallenen Istkosten zu Kontrollzwecken bestimmt (vgl. Olfert 2016, S. 109).
Die entscheidende Aufgabe der Kostenträgerstückrechnung ist die Kalkulation der
Verkaufspreise. Weil es unterschiedliche Produktionsverfahren gibt, existieren differie-
rende Kalkulationsverfahren. Diese nachfolgend dargestellten Kalkulationsverfahren
(eingehend siehe Keller und Kümpel 2016, S. 460 ff.) lassen sich in Abhängigkeit
von deren Eignung für Zwecke der Kalkulation in Bezug auf das zugrunde liegende
Produktionsverfahren in drei Gruppen einteilen:
• Divisionskalkulation,
• Zuschlagskalkulation und
• Kuppelkalkulation.
Materialeinzelkosten
+ Materialgemeinkosten in %
= Materialkosten
+ Fergungseinzelkosten
+ Fergungsgemeinkosten in %
+ Sondereinzelkosten der Fergung
= Fergungskosten
= Herstellkosten
+ Verwaltungsgemeinkosten in %
+ Vertriebsgemeinkosten in %
+ Sondereinzelkosten des Vertriebs
= Selbstkosten
+ Gewinn in %
= Barverkaufspreis
+ Kundenskonto in %
= Zielverkaufspreis
+ Kundenraba in %
= Listenverkaufspreis neo
z. B. drei Prozent Kundenskonto, so ist bei der Vorwärtskalkulation zu beachten, dass der
Barverkaufspreis 97 % vom Zielverkaufspreis darstellt, da sich die Kunden von diesem
Preis den Kundenskonto ziehen. Analog erfolgt die Kalkulation des Kundenrabatts.
Neben der Zuschlagskalkulation lassen sich weitere Kalkulationsverfahren aus-
machen, die eine Sonderform der Zuschlagskalkulation (Maschinenstundensatz-
rechnung) darstellen oder sich grundsätzlich nur bei bestimmten Produktionsverfahren
bzw. starken Restriktionen anbieten (Divisionskalkulation, Äquivalenzziffernkalkulation
sowie Kuppelkalkulation). So weicht die Zuschlagskalkulation mit Maschinen-
stundensätzen vom Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation nur im Bereich der
Fertigungskosten durch eine Aufspaltung und differenzierte Verrechnung der Gemein-
kosten in maschinenabhängig bzw. maschinenunabhängig ab. Bei zunehmender
Automatisierung findet mit der Ermittlung eines Maschinenstundensatzes als
Kalkulationselement eine Verfeinerung der Zuschlagskalkulation in der Fertigung statt
(vgl. Drosse 1998, S. 91). Die Divisionskalkulation setzt eine Massenfertigung voraus
und ist nur für den Einproduktfall anzuwenden. Für Kostenträger mit einer ähnlichen
Kosten- und Fertigungsstruktur kommt die Äquivalenzziffernkalkulation infrage. Diese
stellt insofern eine besondere Variante der Divisionskalkulation dar, als dass sie nicht bei
Massen-, sondern bei Sortenfertigungen ihre Anwendung finden kann, z. B. Brauereien,
Bäckereien, Ziegeleien, Zigarettenfabriken oder Soft-Drink-Hersteller. Für den Spezial-
fall eines Produktionsverfahrens, bei dem aufgrund von technischen Gegebenheiten
zwangsläufig mehrere Produkte gemeinsam anfallen (z. B. in Kokereien Koks, Gas, Teer
und Benzol), erweist sich die Kuppelkalkulation als geeignet.
fixen K osten, auf die einzelnen Kostenträger. Damit verstößt die Vollkostenrechnung
als zentraler Kritikpunkt in doppelter Hinsicht gegen das Verursachungsprinzip. Zum
einen ist die Schlüsselung von Gemeinkosten stets willkürlich, da kein Gemeinkosten-
schlüssel existiert, der für sich in Anspruch nehmen kann, dass er der allein Richtige
ist. Gleichzeitig führt die Proportionalisierung von Fixkosten zum anderen zu fiktiven
Stückkosten und -gewinnen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Fixkosten bei wech-
selndem Output proportional verändern, was aber eine rechnerische Fiktion darstellt
(vgl. Joos-Sachse 2006, S. 197).
Die aufgezeigten Nachteile bzw. Probleme sowie die Nichtberücksichtigung wesent-
licher Faktoren, wie z. B. betriebliche Engpässe, freie Kapazitäten oder marktpolitische
Überlegungen, führen zu Einschränkungen hinsichtlich der Aussagefähigkeit und der
Verwendbarkeit der Vollkostenrechnung. Dies bedeutet keineswegs, dass die Vollkosten-
rechnung vernachlässigt werden kann. Vielmehr findet sich die Vollkostenrechnung in
der Unternehmenspraxis weit verbreitet (vgl. Horsch 2018, S. 42). Dies liegt zum einen
darin begründet, dass langfristig alle Kosten über den Verkaufserlös gedeckt sein müssen
und darüber hinaus ein angemessener Gewinn erzielt wird. Zudem kann zur Bestands-
bewertung eine Schlüsselung fixer Gemeinkosten notwendig sein (eingehend zur Voll-
kostenrechnung sowie zu weiteren modernen Kostenrechnungssystemen siehe Keller und
Kümpel 2013a, S. 37 ff., b, S. 71 ff., 2016, S. 441 ff; zur Eignung ausgewählter Kosten-
rechnungssysteme für Dienstleistungsunternehmen siehe Keller 2015, S. 177 ff.).
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Schweitzer, M., Küpper, H.-U., et al. (2015). Systeme der Kosten- und Erlösrechnung (11. Aufl.).
München: Vahlen.
Prof. Dr. Thomas Kümpel ist seit September 2000 Professor für
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensrechnung, an
der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Er hat zahl-
reiche Publikationen zur internationalen Rechnungslegung in
renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht und gibt sein Wissen
in diversen Seminaren und Beratungsprojekten weiter.
Thomas Kümpel studierte nach einer kaufmännischen Aus-
bildung Wirtschaftswissenschaften. Nach diversen internationalen
Tätigkeiten im Bereich Rechnungswesen arbeitete er bei einer gro-
ßen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Gleichzeitig promovierte er
auf dem Gebiet der Internationalen Rechnungslegung mit erfolg-
reichem Abschluss zum Dr. rer. oec.
Wachstumsfinanzierung
10
Thomas Heupel und David Schrey
T. Heupel (*)
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
D. Schrey
Sparkassenverband Westfalen-Lippe, Münster, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 237
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_10
238 T. Heupel und D. Schrey
Inhaltsverzeichnis
10.1 Einleitung
Das Unternehmen ist (gemäß der Ansoff-Matrix) durch die Phase der erfolgreichen
Marktdurchdringung gestartet und hat die bestehenden Märkte mit bestehenden Pro-
dukten umfassend versorgt. Nach diesem ersten Erfolgsschritt sollen nun mit der Markt-
entwicklung, oder auch Produktentwicklung, weitere Kundengruppen und Märkte
erschlossen werden. Dazu sind weitere Finanzmittel zwingend erforderlich. Da dies
aber nicht aus den bereits realisierten Gewinnen zu leisten ist, müssen für eine wei-
tere Expansion neue Finanzquellen erschlossen werden. In dieser ersten Expansions-
phase ist der Zugang zu (Fremd-)Kapital für Entrepreneure extrem schwierig.
Hauptursächlich sind fehlende Sicherheiten, schwierig zu kalkulierende Erfolgschancen
und Informationsasymmetrien, die eine weiterführende konventionelle Bank oder
auch Sparkasse fast ausschließen (vgl. Bendig et al. 2013, S. 49). Aufgrund des hohen
Insolvenzrisikos bei Start-up-Unternehmen bieten insbesondere Risikokapitalgeber wie
Business Angels oder Venture-Capital-Gesellschafter eine alternative Finanzierungs-
quelle. Die extensivere Beteiligung von konventionellen Finanzierungsformen an der
Ausbaustufe der Gründungsfinanzierung ist selten und wird oft erst in der konsequen-
ten Etablierung zu einer wiederkehrenden Alternative (vgl. Dorfleitner et al. 2013, S. 26).
Dies verdeutlicht auch Abb. 10.1.
Nach der ersten Finanzierungsrunde durch „Founder, Family, Friends and Fools“
(FFFF) oder öffentliche Förderprogramme entsteht eine Finanzierungslücke. Diese nennt
man auch „Equity Gap“/„Valley of Death“ (vgl. Bendig et al. 2013, S. 49–50). Vor allem
Business Angels überbrücken die Finanzierungslücke zwischen der Start-up- und der
Second-Stage-Phase. Schätzungen zufolge investieren Business Angels in Deutschland
jährlich rund 300–450 Mio. EUR. Die durchschnittliche Beteiligung der Privatinvestoren
10 Wachstumsfinanzierung 239
Abb. 10.1 Phasen der Start-up-Finanzierung. (Quelle: In Anlehnung an Bendig et al. 2013, S. 49)
10.2 Finanzierungsarten
Hier beteiligen sich Investoren von außen am Unternehmen, indem diese Eigenkapital
zur Verfügung stellen. Diese privaten Investoren kommen bei jungen Unternehmen – wie
eingangs schon für die Frühphase dargestellt – aus dem direkten Umfeld der Gründer.
Laut einer bundesweiten Erhebung von 65 Industrie- und Handelskammern (IHK) im
Jahr 2009, an der sich 1100 Existenzgründer beteiligten, wenden sich 42 % der befragten
Existenzgründer zunächst an Familienmitglieder oder Freunde, um finanzielle Unter-
stützung für ihr Gründungsvorhaben und die Finanzierung von weiterem Wachstum zu
erbeten (vgl. Deutscher Industrie- und Handelskammertag 2009).
Die Bezeichnung „Founder, Family, Friends and Fools“ oder kurz „FFFF“ stammt
aus dem angelsächsischen Raum und bezeichnet die erste Finanzierungsquelle
eines Gründers in der Pre-Seed- bzw. Seed-Unternehmensphase. In dieser frühen
240 T. Heupel und D. Schrey
Auch Bund, Länder und die Europäische Union unterstützen und fördern Unternehmen
in der weiteren Expansionsphase mithilfe von öffentlichen Förderprogrammen. Primä-
res Ziel der öffentlichen Förderinstitute ist die Stärkung der regionalen und nationalen
sowie internationalen Wirtschaftsstruktur (vgl. Werner und Kobabe 2007, S. 97). Fer-
ner schaffen die öffentlichen Förderprogramme Anreize, die zur Entwicklung weiterer
Arbeitsplätze führen oder die Investitionen von Kreditnehmern in bestimmten Bran-
chen/Bereichen (z. B. Umweltschutz) steigern (vgl. Werner und Kobabe 2007, S. 97).
In Deutschland übernimmt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (kurz: KfW) mit Sitz in
Frankfurt am Main diese Funktion. 2014 betrug das Gesamtfördervolumen der KfW
74,8 Mrd. EUR (vgl. KfW.de 2016). Ergänzt wird die öffentliche Förderlandschaft
in Deutschland durch Förderinstitute auf Länderebene. Für das Land Nordrhein-West-
falen ist das beispielsweise die NRW.BANK mit Sitz in Düsseldorf (vgl. NRWBANK.
de 2016). Auch die Europäische Union legt verschiedene Förderprogramme zur Unter-
stützung von strukturpolitischen Zielen auf. Hierzu zählen insbesondere Struktur-, For-
schungs-, Technologie-, Finanzierungs- und Informationsförderprogramme, die entweder
direkt an Unternehmen oder an spezialisierte Beteiligungsinvestoren zur Refinanzierung
vergeben werden (vgl. Werner und Kobabe 2007, S. 99).
Die Förderinstrumente der nationalen Förderbanken, KfW und Landesförderbanken
sowie der hier ebenfalls zu nennenden Landes-Bürgschaftsbanken reichen von (Investi-
tions-)Zuschüssen/Zulagen, über Beteiligungen und Bürgschaften, bis hin zu klassischen
zinsvergünstigten Förderdarlehen (vgl. Vogelsang et al. 2012, S. 107–110).
Tab. 10.1 verschafft einen kurzen Überblick über die gängigsten Förderprogramme
der Förderinstitute für NRW im Bereich der Existenzgründerfinanzierung. Die
Tab. 10.1 Übersicht ausgewählter Existenzgründer-Förderprogramme in NRW. (Quelle: In Anlehnung an NRW.BANK 2015, S. 24 ff.)
Förderprogramm Zielgruppe Darlehens-/Förderhöhe Besicherung
NRW.BANK-Gründungskredit Gründer/-innen, Freiberufler, 25 T EUR bis 10 Mio. EUR Bankübliche Besicherung; Optio-
10 Wachstumsfinanzierung
angegebenen Darlehenshöhen machen deutlich, dass es sich hier neben einer Gründungs-
finanzierung zumeist auch um eine mögliche Wachstumsfinanzierung handelt:
Komplettiert wird die Produktpalette der Förderinstitute durch eigenkapitalersetzende
Fördermittel (beispielsweise Mikromezzaninfonds; KBG Start; KBG Nachfolge; KBG
Wachstum und ERP-Startfonds), die für alle Existenzgründer unabhängig von der
Branchenzugehörigkeit zugänglich sind. Es handelt sich primär um stille Beteiligungen
mit einer programmabhängigen Laufzeit von jeweils drei bis zehn Jahren und einer eben-
falls programmabhängigen Beteiligungssumme von 50 T EUR bis zu 10 Mio. EUR (vgl.
NRW.BANK 2015, S. 28–29).
Ferner sind auch die deutschen Bürgschaftsbanken zu den öffentlichen Förder-
instituten zu zählen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung von
Existenzgründungen und Wachstum. 1950 wurden die rechtlich und wirtschaftlich
selbstständigen Bürgschaftsbanken der Länder als Förderinstitute gegründet. Jedes
Bundesland der Bundesrepublik Deutschland hat eine eigene Bürgschaftsbank, den-
noch stehen diese untereinander nicht im Wettbewerb. Zu den Gesellschaftern der Bürg-
schaftsbanken gehören Kammern, Wirtschaftsverbände aller Branchen, Kreditinstitute,
Versicherungen sowie die jeweiligen zugehörigen Landes-Förderinstitute. Ihre pri-
märe Aufgabe ist es, durch die Übernahme einer Bürgschaft fehlende Sicherheiten und
eine nicht ausreichende Selbstfinanzierungskraft der KMU zu ersetzen und somit eine
(Fremd-)Finanzierung der Unternehmen zu realisieren, die andernfalls nicht möglich
wäre. Bürgschaften und Garantien der deutschen Bürgschaftsbanken werden ausnahms-
los von allen Banken als vollständig werthaltige Ersatzsicherheit angesehen. Damit
schließen diese die eingangs angeführte Finanzierungslücke durch eine Abmilderung der
Sicherheitsproblematik. Banken assoziieren mit Existenzgründungen aufgrund des man-
gelnden Eigenkapitals und der fehlenden Sicherheiten ein erhöhtes Ausfallrisiko. Daher
sind die deutschen Bürgschaftsbanken ein wichtiger Partner der Jungunternehmer. 2014
wurden 46 % der Bürgschaften und Garantien der Bürgschaftsbank NRW zugunsten von
Existenzgründungsvorhaben ausgegeben. Die Bürgschaftsbanken verbürgen bis zu 80 %
des Darlehensbetrages bis zu einer maximalen Bürgschaftssumme von 1,25 Mio. EUR
und einer Laufzeit von höchstens 15 Jahren. Diese Regelgrenzen können in Verbindung
mit öffentlichen Förderprogrammen in Einzelfällen überschritten werden (vgl. Bürg-
schaftsbank Nordrhein-Westfalen GmbH 2014, S. 4).
10.2.3 Business-Angel-Finanzierungen
Die Beteiligung von Business Angels an der Finanzierung junger Unternehmen wird
schon seit über 100 Jahren praktiziert. Ein prominentes Beispiel ist Henry Ford. Er
wurde 1903 zur Herstellung von Automobilen durch fünf informelle Beteiligungsgeber
unterstützt (vgl. Gaston 1989, S. 2). Auch in Deutschland gehören die Business Angels
seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil der Finanzierungsquellen für Jungunternehmen.
10 Wachstumsfinanzierung 243
Die Brüder Mannesmann AG, 1931 gegründet, wurde in der Gründungsphase von
Werner von Siemens und dem Kölner Industriellen Eugen Langen finanziert und aktiv
beraten (vgl. Tschammer-Osten 1996, S. 718 f.).
Der Begriff „Business Angel“ stammt aus den USA. Gemeint sind damit informelle
vermögende Privatinvestoren, die sich an Start-up-Unternehmen finanziell beteiligen
und darüber hinaus in beratender Funktion aktiv den Jungunternehmern zur Seite ste-
hen. Business Angels sind bzw. waren selbst Unternehmer. Sie haben meist mehrere
Unternehmen erfolgreich gegründet, weiterentwickelt und schließlich erfolgreich ver-
kauft. Daher verfügen sie in der Regel über ein hohes kaufmännisches Know-how
sowie das notwendige Vermögen und konnten im Laufe ihrer Karriere ein wertvolles
Netzwerk mit wichtigen Geschäftskontakten zu branchenrelevanten Entscheidungs-
trägern aufbauen. Dazu zählen insbesondere Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer,
Banken und Sparkassen. Die Beteiligung durch einen Business Angel erfolgt in der
Frühphase des Unternehmens unmittelbar nach, oder in seltenen Fällen mit, der ersten
Finanzierungsrunde.
Der Business Angel stellt dem Start-up-Unternehmen Beteiligungs- bzw. Eigenkapital
zur Verfügung und erhält dafür Anteile am Unternehmen. Der Entrepreneur hat gegen-
über dem Business Angel keine Rückzahlungsverpflichtung. Eine Rückzahlung des ein-
gesetzten Kapitals kann dementsprechend nur erreicht werden, wenn die erworbenen
Anteile veräußert werden. Ziel des Business Angels ist die Wertsteigerung seiner Unter-
nehmensanteile. Um dies zu erreichen, investieren Business Angels vorwiegend in
Unternehmen, die technologieintensiven Wirtschaftszweigen angehören oder innovati-
ven neuen Branchen zuzuordnen sind, da sich diese Unternehmen bereits in einer star-
ken Wachstumsphase befinden oder dies zumindest erhoffen lassen. Gemäß einer Studie
von Brettel et al. (2000) beträgt die Beteiligungsdauer eines Business Angels meistens
drei bis zehn Jahre (Erwartungshorizont von 54 % der befragten Business Angels).
Danach streben die Investoren den Verkauf der Anteile an, um den sogenannten „capi-
tal gain“ zu realisieren. Als „capital gain“ bezeichnet man den Gewinn, der durch den
Verkauf von Unternehmensanteilen erzielt wird (vgl. Onpulson.de 2016). Der Ausstieg
des Business Angels aus dem Unternehmen, auch Exit genannt, kann auf verschiedenen
Wegen erfolgen. Die gängigsten Exit-Strategien sind der Verkauf des Unternehmens,
ein Börsengang oder ein Management-Buy-out. Gemäß einer Befragung von Business
Angels erwarten diese bei zehn getätigten Unternehmensbeteiligung zwei erfolgreiche
Investitionen, deren „capital gain“ so hoch ist, dass es die übrigen Fehlinvestitionen
kompensiert und somit insgesamt eine positive Gesamtrendite erzielt werden kann. Ist
die Finanzierung durch Banken oder institutionelle Anleger noch nicht möglich, da das
Risiko zu groß oder das Unternehmen (noch) nicht attraktiv genug ist, können Business
Angels in Verbindung mit öffentlichen Fördermitteln, die Lücke zwischen Private Place-
ment und der Finanzierung durch Banken oder Venture-Capital-Gesellschaften schließen.
So erhält das Jungunternehmen notwendiges Kapital zur Expansion, das es andernfalls
möglicherweise nicht bekommen würde.
244 T. Heupel und D. Schrey
Der Begriff Venture Capital (VC) stammt ursprünglich aus den USA und wird in
Deutschland seit den 1970er-Jahren verstärkt wissenschaftlich betrachtet. Da Venture
Capital grundsätzlich unter dem Begriff „Private Equity“ subsumiert wird, ist es ein-
gangs notwendig diese beiden Begriffe voneinander abzugrenzen. „Private Equity“ wird
als Oberbegriff für Kapitalbeteiligungen aller Art außerhalb der organisierten Kapital-
märkte verwendet. „Venture Capital“ wird auch als Risiko-, Chancen- oder Wagnis-
kapital (vgl. Schüppen und Ehlermann 2000, S. 2) bezeichnet und kommt hingegen
ausschließlich in der Frühphasenfinanzierung, oder zur Finanzierung von bestimmten
Wachstumssegmenten, zum Einsatz. Ein weiteres Abgrenzungsmerkmal stellt nach Bret-
tel (2002), Black und Gilson (2003) und von Hardenberg (1989) die aktive Beratungs-
leistung von VC-Gebern dar. Diese wird bei den übrigen Beteiligungsfinanzierungen
nicht geleistet. Venture Capital ist folglich eine eigenständige Unterform des Private
Equitys (Abb. 10.2).
Im Bereich der Venture-Capital-Finanzierung unterscheidet man drei Arten von
Beteiligungsgesellschaften am formellen Beteiligungsmarkt:
Kobabe 2007, S. 55). Zur Erreichung dieses Ziels investieren die VC-Geber vor allem in
Jungunternehmen mit einem hohen Wachstums- und Renditepotenzial. Der Fokus liegt
im Besonderen auf den folgenden Branchen: Telekommunikation und Informations-
technologie, Internet/Medien, Medizin- & Biotechnologie, Nano-/Mikro-Technologie,
New Materials, Elektronik, Sensoren sowie Optoelektronik. Als Ergänzung zu den
VC-Gesellschaften sind die öffentlich geförderten Beteiligungsgesellschaften zu nen-
nen. Ihre Hauptaufgabe ist nicht die Renditemaximierung, sondern die Bereitstellung
von eigenkapitalersetzenden Fördermitteln, die z. B. zur Schaffung von Arbeitsplätzen
bereitgestellt werden. Abweichend zu den zuvor genannten renditegetriebenen VC-Ge-
sellschaften gibt es keine Einschränkung auf einzelne Branchen (vgl. Brettel et al.
2005, S. 82). Im Folgenden gehen die Autoren nur noch auf die renditeorientierten
Beteiligungsgesellschaften, auch VC-Gesellschaften genannt, ein. Das, durch eine
VC-Gesellschaft zur Verfügung gestellte, Kapital wird in der Regel als haftendes Eigen-
kapital in das Jungunternehmen eingelegt – ergo erfolgt die Kapitalüberlassung stets
ohne die Stellung von Sicherheiten. Im Gegenzug erhält die investierte Beteiligungs-
gesellschaft Anteile am Unternehmen (im Regelfall <50 % der Gesamtanteile), die ent-
weder fest verzinst werden und/oder die VC-Gesellschaft am Jahresüberschuss des
Unternehmens beteiligt (vgl. Vogelsang et al. 2012, S. 95). Der Anteilserwerb bringt
zudem ein Kontroll-, Informations- sowie Mitspracherecht für die investierten VC-Ge-
sellschaften mit sich.
Das durchschnittliche Finanzierungsvolumen von VC-Gesellschaften liegt bei min-
destens 0,5 Mio. EUR pro Beteiligung und Unternehmen. Hier unterscheiden sich
VC-Geber grundlegend von den Business Angels, die selten mehr als 0,5 Mio. EUR in
die von ihnen ausgewählten Unternehmen investieren, sodass Business-Angel-Finanzie-
rungen häufig von VC-Gesellschaften abgelöst werden (vgl. Brettel et al. 2005, S. 81).
Eine VC-Beteiligung hat stets einen langfristigen Charakter. Obwohl ein ungefährer
Erwartungshorizont bezüglich der Beteiligungsdauer existiert, wird in der Regel keine
konkrete Vertragslaufzeit zwischen den beiden Parteien (VC-Gesellschaft und Jungunter-
nehmen) vereinbart.
Um die Wertsteigerung der Unternehmensbeteiligung realisieren zu können, ist der
Verkauf der Anteile notwendig. Zu den beliebtesten Exit-Strategien der VC-Gesell-
schaften zählen eine Börseneinführung des Unternehmens mit schrittweisem Anteils-
verkauf nach der Lock-up-Periode, der Verkauf der eigenen Anteile oder des gesamten
Unternehmens an einen Finanz- oder strategischen Investor sowie der Rückkauf der
Anteile des Venture Capitalists durch das Beteiligungsunternehmen. Letztere Exit-Stra-
tegie kommt eher selten zum Einsatz, da sich die damit verbundene notwendige Mittel-
beschaffung für Wachstumsunternehmen als äußerst schwierig erweist. Darüber hinaus
bestehen weitere Ausstiegsmöglichkeiten für die VC-Geber, die jedoch weniger lukrativ
sind und somit eher dem Zweck der beschleunigten Desinvestition bzw. Abstoßung der
Unternehmensanteile dienen.
246 T. Heupel und D. Schrey
Nur als Ergänzung der Wachstumsfinanzierung soll noch einmal auf das klassische
Finanzierungsinstrument für Existenzgründer hingewiesen werden. Dies ist die Fremd-
kapitalüberlassung durch Banken. Dabei handelt es sich um eine Form der Außenfinan-
zierung, bei der ein zivilrechtliches Schuldverhältnis (siehe BGB § 488 ff.) zwischen
Kapitalnehmer und -geber entsteht. Sie kommen auch in der Wachstumsphase additiv
zu den vorgenannten neuen Finanzierungsformen noch einmal ins Spiel, da sie z. B. für
die Zwischenfinanzierung von sehr großen Aufträgen (wie beispielsweise im Maschinen-
bau), oder zur Absicherung von Liefergeschäften ins Ausland, eine nicht überbrückbare
Rolle spielen. Es wäre daher sträflich, die Kreditinstitute – mit ihrer sehr wesentlichen
Rolle – in diesem Unterkapitel nicht anzuführen.
Die Fremdkapitalgeber übernehmen keinerlei Haftung für das kreditierte Unter-
nehmen. Im Gegenzug haben die Fremdkapitalgeber, anders als die Eigenkapitalgeber,
weder Kontroll- noch Mitspracherechte. Im Gros der Fälle stellen Banken/Sparkassen
den Unternehmen, gegen Stellung von entsprechenden Sicherheiten, das benötigte
Kapital für eine vertraglich festgelegte Dauer zur Verfügung. Nach Ablauf der Darle-
henslaufzeit muss das zur Verfügung gestellte Kapital vollständig vom Unternehmen
zum Nominalwert zurückgeführt worden sein. Die Rückführung des in Anspruch
genommenen Fremdkapitals wird auch als Tilgung bezeichnet und kann auf verschiedene
Wege erfolgen. Man unterscheidet dabei die Tilgung in einer (endfälliges Darlehen) oder
in mehreren Raten zu gleich hohen (Abzahlungs- bzw. Tilgungsdarlehen), oder in der
Höhe um den reduzierten Zinsanteil steigenden, Beträgen (Annuitätendarlehen).
Der Fremdkapitalgeber bzw. die Bank/Sparkasse erhält für den Zeitraum der Kapital-
überlassung eine für die Laufzeit festgelegte Verzinsung. Neben einer festen Verzinsung
über die gesamte Darlehenslaufzeit (Zinsbindung = Darlehenslaufzeit) ist jedoch auch
eine von der Laufzeit abweichende Zinsbindung sowie eine variable Verzinsung des
Darlehens denkbar. Letztlich hängt dies zum einen vom Kapitalverwendungszweck und
zum anderen von den persönlichen Wünschen des Kapitalnehmers ab. Unterschieden
werden kurz-, mittel- und langfristige Kredite. Kurzfristige Kredite haben eine Laufzeit
von bis zu einem Jahr. Von mittelfristigen Krediten spricht man bei einer Gesamtlauf-
zeit von ein bis vier Jahren, während langfristige Kredite eine Laufzeit von fünf oder
mehr Jahren aufweisen (vgl. Vogelsang et al. 2012, S. 98 ff.). Dabei ist die Laufzeit der
Kredite vor allem vom Verwendungszweck des Darlehens abhängig. Die Finanzierung
des Umlaufvermögens eines Unternehmens erfolgt kurz bzw. mittelfristig, während
langfristige Kredite zur Finanzierung des Anlagevermögens (Grundstücke, Maschi-
nen etc.) verwendet werden. Tab. 10.2 verschafft einen Überblick über die einzelnen
Finanzierungsinstrumente der Banken, ihren Verwendungszweck und ihre Laufzeit.
Kreditinstitute sind stets auf Minimierung ihres Kreditausfallrisikos bedacht. Daher
geht der Kreditvergabe an den Antragsteller eine sogenannte Kreditwürdigkeitsprüfung
voraus. Die Kreditwürdigkeitsprüfung wird in drei Bereiche unterteilt:
10 Wachstumsfinanzierung 247
10.2.6 Börsengang
Die erstmalige Ausgabe von Aktien, bei denen Aktionäre Anteile am Unternehmen
erwerben und hierfür dem Unternehmen neues Eigenkapital zur Verfügung stellen, wird
als Börsengang oder auch IPO bezeichnet. Die englische Bezeichnung IPO ist dabei eine
Abkürzung für „Initial Public Offering“ und bezeichnet das erstmalige Angebot von
Aktien eines Unternehmens auf dem organisierten Kapitalmarkt. Prominente Beispiele
248 T. Heupel und D. Schrey
hierfür lassen sich auch in jüngerer Vergangenheit finden. So betrat das chinesische Pen-
dant von eBay, das Unternehmen Alibaba, jüngst mit dem größten Börsengang aller Zei-
ten das Börsenparkett. Es folgten der IPO des Online-Versandhandels Zalando und der
Börsengang des Internetinkubators Rocket Internet der Samwer-Brüder. Doch wie funk-
tioniert ein Börsengang ganz konkret und welche Vorteile (oder auch Risiken) bieten sich
einem Unternehmen?
Die Gründe für einen Börsengang können vielfältig sein. Im Vordergrund steht jedoch
zumeist der Zugang zu erheblich größeren Finanzmitteln. Mithilfe des hier gewonnenen
Eigenkapitals sollen beispielsweise Produktportfolios erweitert und einem inter-
nationalen Markt angeboten werden.
Auch Investitionen in Forschung- und Entwicklung oder die Verbesserung der Boni-
tät durch eine Verringerung der Fremdkapitalkosten sind legitime Ziele. Ebenso bietet
der Börsengang eine Exit-Möglichkeit der Alteigner und hierdurch eine wertvolle Form
der Unternehmensnachfolge. Diese können eigene Anteile später im Handel zu einem
attraktiveren Preis veräußern, als dies bei nicht börsennotierten Unternehmen der Fall
wäre. Auch Unternehmensabsplitterungen (Spin-offs) oder Begleitmotive, wie beispiels-
weise die Steigerung des Bekanntheitsgrades, werden bei diesem Schritt in Erwägung
gezogen. Aber mit all diesen positiven Effekten sind auch Auflagen und die Einhaltung
von Reglements verbunden. So muss sich ein an der Börse notiertes Unternehmen einem
strengeren Regulierungsrahmen mit regelmäßigen Publizitätspflichten unterwerfen.
10 Wachstumsfinanzierung 249
Die Deutsche Börse fordert im Segment des Prime Standards den höchsten Trans-
parenzstandard. Zusammen mit dem etwas schwächer regulierten Segment General Stan-
dard stellen diese den regulierten Markt für Deutschland dar. Die nicht in diesen beiden
Segmenten zugelassenen Aktien werden demgegenüber im Freiverkehr gehandelt. Die-
sem Handel wurden aber nach der New-Economy-Blase zur Jahrtausendwende weit-
reichende zusätzliche Transparenzanforderungen auferlegt. Die Wahl des Unternehmens
zwischen den vorgenannten Regulierungsrahmen ist eine Abwägung zwischen den mit
einer Börsennotiz einhergehenden Compliance-Kosten und dem Nutzen des Kapital-
marktzugangs. Die positiven Aspekte des Börsengangs werden durch die Abb. 10.4 noch
einmal gesammelt dargestellt.
Einige ausgewählte Aspekte sollen nachfolgend noch einmal näher betrachtet werden.
• Stärkung der Finanzierungsbasis: Mit der Ausgabe von neuen Aktien stärken
Unternehmen ihre Eigenkapitalquote substanziell. Zugleich steigern sie hiermit die
Flexibilität und Unabhängigkeit des Unternehmens. Auch die Bonität gegenüber
Fremdkapitalgebern wie Banken und Lieferanten verbessert sich dadurch erheb-
lich. Dies bietet ihnen auch die Möglichkeit auf weitere konventionelle Finanzmittel
zuzugreifen. In aller Regel werden aber zunächst durch die Emission von Aktien
bestehende Altkredite abgelöst.
• Positive Effekte durch die Kapitalmarktöffentlichkeit: Mit dem Börsengang
geht man einen sichtbaren Schritt in die Öffentlichkeit. Die Unternehmen obliegen
der Publizitätspflicht und treten daher in ein öffentliches Umfeld, was höhere Auf-
merksamkeit, mehr Informationsweitergabe und eine umfassendere Präsenz bedeutet.
Tageszeitungen, Wirtschaftsjournale und andere Medien berichten regelmäßig über
die Unternehmensentwicklung und wirken als Multiplikatoren. Dies unterstützt und
erleichtert einerseits die Akquisition von Neukunden. Andererseits werden kleinere
Nachdem mit diesem Abschnitt der Börsengang als letzte Stufe der Wachstums-
finanzierung dargestellt wurde, müsste eigentlich das Kapitel als abgeschlossen gelten.
Allerdings hat sich in den letzten Jahren eine alternative Finanzierungsform heraus-
gebildet, durch die ebenfalls breite Massen an Investoren für die Finanzierung einer
Wachstumsidee mobilisiert werden können. Dieses Thema ist das Crowdfunding bzw.
Crowdinvesting. Mit einem abschließenden Exkurs wollen wir ihnen dieses potenzial-
reiche Instrument auch noch näherbringen.
Die kollektive Intelligenz bzw. Schwarmökonomie besagt, dass der einzelne sich
irren kann und dementsprechend Fehler macht. Diese Fehler werden jedoch von der
trefflichen Einschätzung der Masse wieder ausgeglichen, sodass das Gesamtergeb-
nis bzw. eine Prognose exakter werden, je mehr Menschen eine Einschätzung abgeben.
252 T. Heupel und D. Schrey
Im Jahr 2003, dem Geburtsjahr des Crowfundings, begann ArtistShare als erste Internet-
plattform mit der Vermittlung von Vorfinanzierungen für Musikprojekte (Kortleben und
10 Wachstumsfinanzierung 253
Vollmar 2012, S. 1). So konnten Künstler, die nicht mit einem Plattenvertrag ausgestattet
waren, mithilfe der Crowd (oftmals Fans des Artisten) die Produktion ihres Musikalbums
finanzieren. Als Gegenleistung erhielten die Unterstützer zumeist das produzierte Album
oder ähnliche „Gifts“. Heute, rund 16 Jahre später, ist Crowdfunding ein weltweiter
Trend und dient unlängst zur Finanzierung verschiedenster Projekte oder Unternehmen
(vgl. Bendig et al. 2013, S. 50).
• Crowdfunding ist ein Teilbereich des zuvor definierten Crowdsourcings. Auch beim
Crowdfunding dient die Crowd zur Generierung von Ressourcen. Bei der zu generie-
renden Ressource handelt es sich um Kapital, das zur Finanzierung einer Idee, eines
Projektes oder eines Unternehmens benötigt wird. Eine weitere anerkannte wissen-
schaftliche Definition von Crowdfunding stammt von Belleflamme et al.: „Crow-
dfunding involves an open call, essentially through the Internet, for the provision of
financial resources either in form of donation or in exchange for some form of reward
and/or voting rights“ (Belleflamme et al. 2010, S. 5).
• Das Grundprinzip des Crowdfundings ist simpel. Die Unterstützer eines Projektes
leisten einen monetären oder nicht-monetären (Verbreitung des Projektes unter Freun-
den, Verwandten u. a., mithilfe von sozialen Medien) Beitrag zur Realisierung des
Projektes. Die Unterstützer sind eine Gruppe von Personen mit gleicher Interessen-
lage und werden auch als Crowd bezeichnet (Kortleben und Vollmar 2012, S. 4).
• Das Crowdfunding-Prinzip ist kein neuartiges Phänomen. Seit langer Zeit finden
Spendensammelaktionen für meist karikative Institutionen, die in erster Linie dem
Allgemeinwohl und nicht einem einzelnen Investor dienen, statt. Dennoch kann
Crowdfunding als äußert innovativ bezeichnet werden. Festmachen kann man dies vor
allem an der Art und Weise, wie potenzielle Investoren mithilfe von Web 2.0-Techno-
logien gewonnen werden und miteinander kommunizieren können.
Tab. 10.3, entwickelt von Kortleben und Vollmar (2012), stellt einen schematischen
Vergleich zwischen ursprünglichem und modernem Crowdfunding an.
254 T. Heupel und D. Schrey
Der Vergleich macht deutlich, dass interaktive und kollaborative Elemente des Inter-
nets das moderne Crowdfunding ermöglichen. Die Entwicklung des Web 2.0 und der
Netzökonomie stellt demnach die Basis für das heutige webbasierte Crowdfunding dar.
Neben den nicht-finanziellen Crowdfunding-Arten gibt es auch Arten, bei denen die
Gegenleistung des Kapitalsuchenden in finanzieller Form erfolgt (financial returns). Da
der Investor einen finanziellen Ertrag aus seiner Investition erwartet, wird für die Arten
des Crowdfundings häufig auch der Begriff des Crowdinvestings verwendet. Man unter-
scheidet zwischen equity- und lendingbasierendem Crowdinvesting:
Im Rahmen einer empirischen Untersuchung von Dorfleitner et al. von der Universität
Regensburg wurde deutlich, dass insbesondere Crowdinvesting die Finanzierungslücke
(„Equity Gap“ oder „Valley of Death“) von risikoreichen Jungunternehmen schließen
kann. Dafür spricht zum einen das geringe Durchschnittsalter der crowdfinanzierten
Unternehmen von 2,79 Jahren und zum anderen der hohe Anteil an Start-up-Finanzie-
rungen, welche 72 % der Gesamtheit aller Crowdinvesting-Finanzierung innehaben
(vgl. Dorfleitner et al. 2013, S. 25). Nach Dorfleitner et al. erscheinen zunächst Unter-
nehmen, die kurz vor oder nach dem Markteintritt stehen, für ein Crowdinvesting am
geeignetsten. Dennoch lässt sich beobachten, dass mittlerweile auch Wachstumsunter-
nehmen die alternative Finanzierungsquelle Crowdinvesting in Anspruch nehmen.
Bisher waren dies zumeist Projekte, mit einer jeweils geringen Funding-Summe von
maximal 100.000 EUR (vgl. Dorfleitner et al. 2013, S. 25). Die Ergebnisse der Unter-
suchung festigen aber den Eindruck, dass Crowdfunding und speziell Crowdinvesting,
10 Wachstumsfinanzierung 257
eine Alternativfinanzierung für junge Unternehmen darstellen kann, die aufgrund ihrer
moderaten Renditeerwartungen nicht von Risikokapitalgebern unterstützt werden kön-
nen (Kortleben und Vollmar 2012, S. 7). Abb. 10.7 verdeutlicht grafisch, in welcher
Unternehmensphase Crowdfunding bzw. Crowdinvesting anzusiedeln ist.
Literatur
Belleflamme, P., Lambert, T., & Schwienbacher, A. (2010). Crowdfunding: An industrial organiza-
tion perspective. Paris.
Bendig, M., Evers, J., & Knirsch, S. (2013). Die Zukunft der Gründungsförderung – Neue Trends
und innovative Instrumente. Hamburg.
Black, B., & Gilson, R. (2003). The law and finance of corporate acquisitions. New York:
Foundation Press.
Brettel, M. (2002). Entscheidungskriterien von Venture Capitalists. Die Betriebswirtschaft (DBW),
62(3), 305–325.
Brettel, M., Jaugey, C., & Rost, C. (2000). Business Angels: Der informelle Beteiligungskapital-
markt in Deutschland. Wiesbaden: Springer Gabler.
Brettel, M., Rudolf, M., & Witt, P. (2005). Finanzierung von Wachstumsunternehmen – Grund-
lagen – Finanzierungsquellen – Praxisbeispiele. Wiesbaden: Gabler.
258 T. Heupel und D. Schrey
Mit den hinter uns liegenden Abschnitten haben wir die Wachstumsphase durch-
schritten und merken nun deutlich, dass der „Zug im Kamin“ ein wenig nachlässt. Die
nun bevorstehende Reifephase ist im Regelfall eine immer noch recht profitable Phase
im Produktlebenszyklus. Sie sollte vom Unternehmen durch geeignete Werbemaß-
nahmen (Erinnerungswerbung) und leichte Modifikationen des Produkts möglichst
lange konserviert werden. Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz wird aber auch der
Wettbewerbsdruck größer, sodass im Rahmen der nächsten Kapitel die Themen Risiko-
management (Kap. 11) und Liquiditätsmanagement (Kap. 12) behandelt werden müssen.
Nur wer in dieser Phase mit zunehmend geringer werdenden Margen „schwache Sig-
nale“ frühzeitig wahrnehmen kann und über entsprechende Risikoinstrumente verfügt,
kann einen größeren Schaden und das Thema Insolvenz abwenden.
Risikomanagement
11
Christian Hose
C. Hose (*)
Hose Consulting, Menden, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 263
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_11
264 C. Hose
Inhaltsverzeichnis
11.1 Einleitung
Seitdem es Menschen gibt, ist das Handeln und Managen von Risiken schon immer ein
Thema gewesen. Schon in der Steinzeit, als die Menschen noch in Höhlen lebten, galt es
jeden Tag neu zu entscheiden, ob man in der Höhle am warmen Feuer blieb, oder ob ein
Ausflug zum Jagen, oder auch Beerensammeln, in die teilweise gefährliche nähere und
weitere Umgebung außerhalb der Höhle unternommen werden musste, um das eigene
Überleben, oder auch die zukünftige Existenz der Gruppe von Menschen abzusichern.
Auch heute stellt sich den Menschen, je nach ihrer aktuellen Rolle entweder als
Privatperson oder auch in anderweitigen Rollen im Geschäftsleben die Frage, welchen
Herausforderungen sie sich stellen wollen oder auch stellen müssen, um im Leben weiter
voranzukommen.
So kann eine Fahrt mit dem Auto zur FOM, bei der weitere Studierende im Rahmen einer
Fahrgemeinschaft mitgenommen werden, sowohl für den Halter als auch für den Fahrer des
Fahrzeugs als Chance zu einer deutlichen Senkung der Kilometerkosten führen, sofern sich
die Mitfahrer an den Kosten beteiligen. Andererseits besteht bei einem nicht plangemäßen
Verlauf der Fahrt, die gegebenenfalls in einem Unfall und damit verbundenen körperlichen
oder psychischen Schäden endet, die Gefahr, dass der Fahrer von den Mitreisenden im Rah-
men einer Schadensersatzforderung juristisch zu Ausgleichszahlungen aufgefordert wird.
Eine ähnliche Situation ergibt sich für Unternehmen, die in Deutschland, bezogen
auf ihren Produktionsstandort, ohne größere Transportwege allein für ihre Produkt-
palette kein weiteres Wachstum mehr generieren können. Sie werden über den Export
ihrer Güter, oder sogar im Rahmen der Gründung einer neuen Produktionsstätte im Aus-
land, neben den Gefahren eines weiten Transportweges per Lkw oder mit der Bahn bzw.
11 Risikomanagement 265
sogar über Flugzeuge und Schiffe möglicherweise neue Risiken eingehen. Auch kul-
turelle Risiken oder die Abwägung der jeweiligen Sicherheitslage in den Zielländern
sowie steuerrechtliche Rahmenbedingungen sind weitere Fragestellungen, mit denen
sich Unternehmer in Zeiten zunehmender Globalisierung zu beschäftigen haben. Diese
sind jedoch aus der Sicht vieler Unternehmer im Vergleich zu den Chancen eines neu zu
erschließenden Marktpotenzials oft mehr als vertret- und handelbar.
Die chinesische Wirtschaft, die sich in den letzten Jahren mit bis zu zehn Prozent
jährlichem Wirtschaftswachstum sehr positiv entwickelt hatte, schwächelt seit Mitte
2015 immer wieder. Die Börse in Shanghai verlor bei ihrem Composite Index als Konse-
quenz daraus am 28.07.2015 ebenso vier Prozent wie der Component Index in Shenzhen.
Die Börse in Shanghai hatte bereits am Tag zuvor mit einem Minus von 8,5 % den größ-
ten Tagesverlust seit Februar 2007 ausgewiesen (WirtschaftsWoche 2015; n-tv 2015).
Auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft, die aktuell von der finanziellen Krise
Griechenlands einerseits und einem signifikant zunehmenden Flüchtlingsstrom anderer-
seits politisch und wirtschaftlich sehr gefordert wird, sind die Chancen und die Risiken
einer wirtschaftlich stabilen Entwicklung ebenfalls nicht über viele Jahre vorauszusehen.
Im wirtschaftlich stabilen Deutschland ist nach seinem politisch angekündigten Ausstieg
aus der Atomenergie für die Energieversorger ein Marktumfeld entstanden, welches auch
aufgrund einer immer preiskritischeren und wechselwilligeren Endkundschaft nicht mehr
über viele Jahre für diese Unternehmen hinsichtlich des Umsatz- und Ertragspotenzials
prognostizierbar ist. In diesem Markt mit seinen eher sicheren Rahmenbedingungen sind
bei großen Bauprojekten, wie der Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Berliner Flug-
hafen bzw. auch beim Militärtransporter Airbus A400M, signifikante Überschreitungen
der Budgets bzw. auch des Projektzeitrahmens zu beobachten. Hätte hier ein intensiveres
Projektcontrolling allein ausgereicht?
Die kurze Darstellung einiger Beispiele zeigt die Bedeutung des Aufbaus und der
konsequenten Weiterentwicklung eines Risikomanagements, welches nicht nur bei
Staaten oder internationalen Großkonzernen, sondern auch in individuellen Lebens-
situationen immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Nach herrschender Meinung ist die Zuständigkeit für das Risikomanagement in
den Unternehmen bei der Leitung von Finanzabteilungen angesiedelt, die neben der
Investitionsplanung und Aktivitäten im Bereich des Kreditmanagements auch für das
Risikomanagement als zuständig angesehen werden (Berk und DeMarzo 2011, S. 26).
Ob dieser Standpunkt dauerhaft aufrechterhalten werden kann, soll auch in diesem
Beitrag diskutiert werden.
Die Geschichte des Risikomanagements ist so alt wie die Menschheit. Aus dem alten China
ist die Kunst des Krieges überliefert. Hier wird Sun Tsu in drei unterschiedlichen Szenarien
mit folgenden Worten zitiert: „Wenn Du den Feind kennst und Dich selbst, musst Du auch
hundert Schlachten nicht fürchten. – Wenn Du Dich selbst kennst, aber den Feind nicht,
266 C. Hose
wirst Du für jeden Sieg auch eine Niederlage einstecken. – Wenn Du weder den Feind
kennst noch Dich selbst, wirst Du in jeder Schlacht unterliegen“ (Tsu 2005, S. 267). Diese
Worte, die wohl schon 500 vor Christus Gültigkeit hatten, hören sich zunächst einfach und
auch logisch an. Was aber macht das Risikomanagement dann so komplex und kompli-
ziert? Hier liegt gegebenenfalls eine erste Herausforderung in der Aufgabe sich umfassend
über den Gegner oder auch die zukünftig zu erwartenden Umweltbedingungen und deren
Eintrittswahrscheinlichkeiten, ein möglichst objektives Bild zu verschaffen.
Vielmehr stellt sich für viele Individuen die Frage – und diese Aufgabe ist auch in
den zuvor genannten Äußerungen implizit formuliert – was sie über sich selbst wissen,
was sie nicht wissen und welche blinden Flecke zu ihrer Person existieren, die sie nur
mithilfe Dritter für sich erkennbar machen können. Um dieses neue Wissen schaffen zu
können, bedarf es jedoch einer Persönlichkeit, die zuhören kann, die kritikfähig ist und
die dann die gewonnenen Erkenntnisse auch durch konsequentes Handeln in ihr täg-
liches Tun umsetzt und dadurch täglich aufs Neue bereit ist, einen ersten Teil eines lang-
wierigen Lernprozesses aktiv anzugehen.
Allein die Antwort auf die Fragestellung, ob sich Menschen individuell einerseits eher
als risikoscheu, d. h. risikoavers, bezeichnen würden oder aber andererseits von sich die
Meinung haben, mit Risiken offensiv und mutig umzugehen, hängt in vielen Bereichen
sowohl vom kulturellen Kontext ihrer bisherigen Lebenserfahrung ebenso ab, als auch
vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem sie aufgewachsen sind.
Was versteht man eigentlich unter Risiko? In Zeiten der Globalisierung mit seinen viel-
fältigen juristischen und interkulturellen Herausforderungen, aber auch aufgrund der
international zunehmenden Krisen und Wanderungsbewegungen, ist der vielfältig defi-
nierte Risikobegriff so umfassend und komplex wie selten zuvor.
Im wissenschaftlichen Bereich wird der Risikobegriff in die Teilbereiche des systema-
tischen und des unsystematischen Risikos unterteilt (vgl. Pape 2009, S. 354).
„Dabei wird der nicht zu diversifizierende Teil des Gesamtrisikos als Marktrisiko bzw.
systematisches Risiko bezeichnet. Das systematische Risiko entsteht durch die mit unter-
nehmerischer Tätigkeit verbundenen Risiken (z. B. Konjunkturabhängigkeit), denen
sämtliche Unternehmen ausgesetzt sind. Als unsystematisches Risiko werden unter-
nehmensindividuelle Risiken (z. B. Managementfehler) bezeichnet, die Investoren
durch Diversifikation ihres Portfolios vermeiden können. Für die Übernahme des
unsystematischen Risikos gewährt der Kapitalmarkt keine Prämie.“ (Pape 2009, S. 354)
• „Ein Risiko ist eine nach Häufigkeit (Eintrittserwartung) und Auswirkung bewertete
Bedrohung eines zielorientierten Systems. Das Risiko betrachtet dabei stets die nega-
tive, unerwünschte und ungeplante Abweichung von System-Zielen und deren Fol-
gen“ (Königs 2013, S. 9).
• „Risiko ist ein schwer fassbarer Begriff, der von Investoren mit der Wahrscheinlich-
keit von Enttäuschung in Verbindung gebracht wird, erwartete Gewinne nicht zu
erzielen“ (Malkiel 2000, S. 201).
• Eine zeitlich frühere Eingrenzung des Begriffs leitet das Risiko sprachlich her: „Das
Wort Risiko leitet sich aus dem Spanischen [risgo] bzw. dem Italienischen [risico] ab,
und bedeutet ‚Klippe‘, d. h. es kennzeichnet eine Gefahr für die Seefahrer“ (Callies
1991, S. 38).
• „Von Risiko spricht man, wenn die Folgen ungewiss sind. Ein sicherer Verlust ist kein
Risiko. Der Begriff Risiko leitet sich ursprünglich vom Lateinischen her und versteht
konkret ‚die Klippe, die zu umschiffen ist‘“ (Stöckel und Walter 2002, S. 202).
„Risiko ist die aus der Unvorhersehbarkeit der Zukunft resultierende, durch ‚zufällige‘ Stö-
rungen verursachte Möglichkeit, geplante Ziele zu verfehlen. Allerdings macht diese Defini-
tion keine Aussage über die Kenntnis oder Unkenntnis der Eintrittswahrscheinlichkeiten und
damit einhergehenden Schadensausmaßen von Risiken.“ (Knust 2005, S. 15 f.)
Der Begriff des Risikos ist oft unmittelbar mit dem Verständnis von Krisen verknüpft.
Das Wort „crisis“ (Ueding 2011), ist paradoxerweise nicht erst seit der Griechenland-
krise vom sprachlichen Ursprung her in der helenischen Welt verankert. Es ist u. a.
mit dem Begriff eines BETA-Faktors im Rahmen der Portfolio-Selection-Theorie von
Harry Markowitz (1952) verknüpft, der das systematische Risiko einer Wertpapier-
investition ausdrückt, welches auch durch eine effiziente Risikostreuung im Rahmen
268 C. Hose
einer Diversifikation nicht vermieden werden kann (vgl. Schierenbeck und Wöhle 2012,
S. 469). Neben dem Risikobegriff analysiert Markowitz in seiner Theorie gleichzeitig
auch noch den positiv belegten Begriff der „Chance oder Rendite“ als Summe dieser
Elemente.
Vielen dieser Krisen- und Risikodefinitionen liegt in ihrem Begriffsverständnis eher
eine negative, auf die Nichterreichung eines Zieles innewohnende, Haltung bei. Bei
den Definitionen mit der Umrundung einer Klippe gibt es jedoch auch Ansätze, die den
Begriff nicht nur mit dem negativ belegten Risikoverständnis in Verbindung bringen,
sondern nach Umrundung dieser Klippe auch den Weg zu neuen Ufern aufzeigen wollen.
Damit liegt dieser Begriffsdefinition die in Asien vorherrschende Sichtweise zugrunde,
die mit der Krise sowohl die negative Sichtweise der Nichterreichung eines Ziels als
auch die damit verbundenen Chancen, nämlich des Beginns eines neuen Weges, vereint.
Um den anscheinend je nach kulturellem bzw. gesellschaftlichem Hintergrund sehr
individuell bewerteten komplexen Krisenbegriff im Zusammenhang mit dem Manage-
ment von Risiken näher untersuchen und analysieren zu können, bedarf es einer näheren
Betrachtung der Entstehung von Risiken und der damit verknüpften elementaren Dynamik.
Die Schwierigkeit im Umgang mit Risiken liegt oft darin, dass es sich um eine Ex-post-Be-
trachtung einer konkreten Situation handelt, d. h. hier rückblickend auf ein Ereignis
reflektiert wird, bei dem sich negative Einflüsse als dominant und sich damit Risiken als
schlagend erwiesen haben oder ob „alles noch einmal gut gegangen“ ist. Die Bewertung
unterliegt in fast allen Fällen wenig überraschend subjektiven Wahrnehmungsverzerrungen.
Vielen der vorab genannten Definitionen des Risikobegriffs ist aber gemein, dass sie
sich auf einen zeitraumbezogenen Prozess beziehen und nicht „überraschend vom Him-
mel“ fallen. Hier könnte ein erster Lösungsansatz für ein wirksames, da zeitnahes und
rechtzeitiges, Risikomanagement bestehen.
Nach der Aufzählung einer Vielzahl von Risikobegriffen soll in diesem Zusammen-
hang die folgende Definition aus dem Gabler Wirtschaftslexikon weiterführend über-
nommen werden. Diese formuliert Risiko als:
„Kennzeichnung der Eventualität, dass mit einer (ggf. niedrigen, ggf. auch unbekannten)
Wahrscheinlichkeit ein (ggf. hoher, ggf. in seinem Ausmaß unbekannter) Schaden bei einer
(wirtschaftlichen) Entscheidung eintreten oder ein erwarteter Vorteil ausbleiben kann.“
(Gabler Wirtschaftslexikon o. J. a)
• Bereits über die handelsrechtlich mögliche Wahl von Rechtsformen wie Personen-
gesellschaften in Form der OHG oder der Kommanditgesellschaft, aber auch über
die Option Kapitalgesellschaften wie eine Gesellschaft mit beschränkter Haf-
tung (GmbH) oder auch eine Aktiengesellschaft (AG) zu gründen, bietet er bis hin
zu Kombinationen beider Gesellschaftsformen – wie einer GmbH & Co. KG –
Unternehmern die Möglichkeit, Risiken individuell gewichten und je nach ihrer
bestehenden Risikobereitschaft angemessen verteilen zu können. Als gesetzliche
Grundlagen sind hier u. a. das GmbH- und das Aktiengesetz zu nennen. Die Chance,
dass Banken einer „Mini GmbH“ als Unternehmergesellschaft (UG – haftungs-
beschränkt) – deren Gründung mit einem Stammkapital von einem Euro seit dem
01.11.2008 im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und
zur Bekämpfung von Missbräuchen möglich ist – Fremdkapital ohne weitere
Absicherungsgeschäfte leihen, ist eher gering. In der Praxis gilt der Grundsatz, je
weniger Haftungskapital unternehmerisch vorhanden ist, desto mehr wird der Kredit-
nehmer persönlich, z. B. über Bürgschaften oder die Stellung anderer Sicherheiten, in
die persönliche Haftungsverpflichtung genommen.
• Bei Personengesellschaften, bei denen die Eigentümer juristisch mit ihrem gesam-
ten Geschäfts- und Privatvermögen haften, können Risiken aus dem Tagesgeschäft,
z. B. im Rahmen von Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen oder auch
durch Berufshaftpflichtpolicen, gegen die Zahlung einer jährlichen Versicherungs-
prämie an Versicherungsgesellschaften übertragen werden. Diese Versicherungs-
verträge können grundsätzlich z. B. verhindern, dass durch eine Fehlberatung eines
Inhabers einer Beratungsgesellschaft bei einem Schadensfall durch diesen Fehler
sein Privatvermögen zur Haftung gegenüber Dritten herangezogen wird. Die Berufs-
haftpflichtpolice gewährleistet, dass das Versicherungsunternehmen auf eigene
Kosten Ansprüche Dritter prüft und gegebenenfalls auch abwehrt. Allein diese
Fallkonstellation zeigt, dass die GmbH (bei der gemäß § 5 GmbH-Gesetz allein
25.000 EUR als Stammkapital benötigt werden), die oft unter Haftungsaspekten als
die optimale Rechtsform genannt wird, gegebenenfalls noch einmal bei der Wahl der
Rechtsform, vor allem durch Existenzgründer, genauer betrachtet werden sollte.
• Im Kreditwesengesetz (KWG) kommt der Gesetzgeber seinen aufsichtsrechtlichen Ver-
pflichtungen u. a. im Rahmen der § 10 bzw. § 18 des KWG konkret aus der Sicht von
Banken und ihrem besonderen Verhältnis zu ihren Kreditnehmern nach. Während der
§ 10 des KWG den Banken ein Mindesteigenkapital vorschreibt, wird ihnen im § 18
des gleichen Gesetzes vorgeschrieben, in welchen zeitlichen Abständen sich die Insti-
tute die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Kreditnehmer durch Jahresabschlussunter-
lagen wie Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen offenlegen lassen müssen.
270 C. Hose
haftungsbeschränkt, die teilweise nur mit einem Euro Eigenkapital ausgestattet sind,
schnell bei verlustreicher operativer Tätigkeit zum Tatbestand der Überschuldung und
damit gegebenenfalls zur notwendigen Insolvenzanmeldung innerhalb von 21 Werk-
tagen führen, sofern eine private Haftung der agierenden Professionals vermieden
werden soll.
Risiken und ihr Management unterliegen nach den vorab aufgeführten Definitionen nicht
nur einer bedingt steuerbaren Dynamik, sondern sind auch von bestimmten Eintritts-
wahrscheinlichkeiten spezifischer Umweltzustände abhängig. Um diese Determinanten
konkreter bestimmen zu können, bedarf es einer konkreten Betrachtung der einzelnen
Elemente.
Das Risikomanagement eines Unternehmens gehört damit zu den zentralen Heraus-
forderungen im Rahmen des Managements von Risiken. Vor allem wird deutlich, dass
272 C. Hose
ein zeitnahes aktives Handling von Risiken wesentlich mehr Handlungsoptionen zur
Lösung dieser Risikokonstellationen ermöglicht, als es die erst in unbestimmter Zukunft
mit erheblichem Zeitversatz angestrebten Lösungsansätze bezüglich der Risikolagen
bieten. Mit zunehmender Zeitdauer nimmt die Komplexität durch die Unsicherheit, auf-
grund von Prognoseungenauigkeiten und einer damit korrespondierenden Vielzahl von
Eintrittswahrscheinlichkeiten von Umweltzuständen, zu. Diese Unsicherheit bedeutet
gleichzeitig eine Abnahme von Steuerungs- und Kontrollfähigkeiten des Managements
in Unternehmen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, gewinnt aber durch die zunehmende
Marktdynamik und Globalisierung gerade für Unternehmen aber immer mehr an
Bedeutung.
Eine wesentliche Aufgabe des Managements von Unternehmen liegt darin, den Fort-
bestand durch eine jederzeit ausreichende Liquidität und zusätzlich auch durch eine
nachweislich vorhandene Eigenkapitaldecke sicherzustellen. Dies ist u. a. gesetzlich
durch die Insolvenzordnung in Verbindung mit handelsrechtlich konkret definierten
Bilanzierungsvorschriften geregelt.
Besonders in der für den Fortbestand von Unternehmen wichtigen Finanz- und
Liquiditätsplanung ist die Sicherstellung zielgerichteter unternehmerischer Zahlungs-
ströme ebenso von grundsätzlicher Bedeutung wie die valide Prognose von Ein- und
Auszahlungen, die in Abstimmung von internen und externen Liquiditätsquellen dauer-
haft zu einer ausreichenden Liquidität in den Unternehmen führen sollte, sodass jederzeit
eine hinreichende Zahlungsbereitschaft gewährleistet ist.
Dieser, in der Theorie eher als Selbstverständlichkeit betrachtete Umweltzustand,
ist in der Praxis gerade bei Planungshorizonten zwischen 12 und 36 Monaten, die Ban-
ken oder andere externe Geldgeber oft fordern (vor allem aufgrund einer ständig nach-
lassenden Zahlungsmoral vieler Schuldner), nicht immer problemlos zu erreichen.
Die Realität zeigt, dass sowohl die Prognose zukünftiger Umweltsituationen, als
auch die Schätzung zukünftiger unternehmerischer Zahlungsströme, zunehmend mit
Unsicherheit behaftet ist, sodass oft keine präzise Zahlungsstromprognose ermittelt,
sondern ausschließlich eine Verteilung von Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Zahlungs-
konsequenzen angegeben werden kann. Um diese Unsicherheiten und damit verbundene
Schwierigkeiten durch Abweichungen von Zahlungszielen sowohl in der Verschuldung
aber auch zur geplanten Liquiditätsentwicklung in Unternehmen möglichst gering zu
halten, empfehlen Fachleute eine offene und zeitnahe, umfassende Kommunikation zwi-
schen Gläubigern und Schuldnern (vgl. Oberhuber 2015, S. 29).
Sind in unterschiedlichen Szenarien die unternehmerischen Zahlungskonsequenzen
bekannt, können unternehmerische Entscheidungen einer Form getroffen werden, in
der der Netto-Kapitalwert der einzelnen unternehmerischen Zahlungsströme maximal
ist. Dabei ist nicht nur die zu erwartende Höhe der Zahlungskonsequenzen zu berück-
sichtigen, sondern auch das mit den unsicheren Zahlungskonsequenzen einhergehende
Risiko zu betrachten. Dadurch wird deutlich, dass die Finanz- und Liquiditätsplanung
eine zentrale Aufgabe des Unternehmers ist.
11 Risikomanagement 273
Das Risikomanagement ist so komplex, weil es vor allem von der subjektiven Sichtweise
und der dieser zugrunde liegenden Einstellung menschlicher Individuen, in Verbindung
mit den von diesen gemachten Erfahrungen in ihrem privaten aber vor allem auch beruf-
lichen Lebenslauf, abhängt.
Es gibt risikoaverse Menschen, die das Risiko generell negativ beurteilen und sich
aus Angst vor Stürmen und hohen Wellen sowie aus Respekt vor den Unwägbarkeiten
auf hoher See nicht auf eine Seereise mit einem Schiff begeben. Risikofreudigere Men-
schen lassen diese Gefahrenhinweise auch nicht gänzlich außer Acht, halten sie aber
für beherrschbar und gehen Risiken im Hinblick auf die Chancen, die eine Seereise zur
Erholung aber auch zur Horizonterweiterung im Rahmen des Besuchs neuer Länder und
Kulturen bietet, bewusst ein. Menschen, die diese Abwägung von Risiken bei ihrer Ent-
scheidungsfindung nicht weiter berücksichtigen, werden als risikoneutral eingestuft. In
diesem Zusammenhang soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch personen-
unabhängige Risiken, technologische Risiken und Umweltrisiken geben kann, die bei der
individuellen Risikobetrachtung nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Im unternehmerischen Kontext gilt es stets die Aufgabe zu lösen, die Risiken mög-
lichst gering zu halten oder ganz auszuschließen und dabei gleichzeitig z. B. die Liquidi-
tätsströme oder auch die Ertragspotenziale simultan zu verbessern. Hierbei können
externe Berater aber auch große sowohl national als auch international agierende (Ver-
sicherungs-)Unternehmen bei der Übernahme, der Abwehr oder auch der konkreten Ver-
meidung von Risiken das Management dieser Unternehmen unterstützend begleiten oder
auch gegen Erhalt einer Prämie aktiv und bewusst übernehmen.
Ganze Wirtschafts- und Industriebereiche wie z. B. Security-Unternehmen, oder auch die
selbst im DAX-Bereich mehrfach vertretenen großen Bank- und Versicherungsunternehmen,
274 C. Hose
haben die Übernahme von Risiken gegen den Erhalt von Prämien zu einem ihrer Kern-
geschäftsmodelle entwickelt. Aber selbst diese Unternehmen können sich im Rahmen einer
Rückversicherung (z. B. bei der Münchener Rückversicherung als größtem Rückversicherer
der Welt) gegen schlagend werdende Risiken ihrerseits wirtschaftlich absichern. Diese
Risikoprämie „stellt einerseits, den im Unternehmergewinn neben dem Unternehmerlohn
und der Kapitalverzinsung enthaltenen Ausgleich für das übernommene Unternehmerrisiko
dar. Andererseits dient sie der Entschädigung von Kapitalgebern, Anlegern oder Kreditgebern
für das allgemeine Risiko der Kapitalüberlassung (vor allem bei Risikokapital) oder auch für
besondere Risiken (z. B. Bonitätsrisiken) und ist weitgehend in den Renditeforderungen ein-
kalkuliert“ (Gräber-Seißinger et al. 2004, S. 497).
Um die Höhe dieser Risikoprämie z. B. bei Bankkrediten korrekt ermitteln zu können,
bedarf es einer ganzheitlichen, komplexen Prüfung hinsichtlich der Fähigkeit aber auch
der persönlichen und materiellen Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern (vgl. Commerz-
bank 1999, S. 2 ff.). Diese Prüfungsvorgänge gestalten sich bei zunehmend globaleren
Märkten und damit vernetzt auftretenden Risiken schwieriger als in der Vergangenheit,
in der Unternehmen vor allem auf ihren übersichtlichen Heimatmärkten Erfolg hatten.
Die Prüfung von Kreditnehmern im Rahmen der Übernahme von Ausfallrisiken hat sich
in den letzten Jahren umfassend weiterentwickelt. Waren zuerst Kontoüberziehungen
oder bestehende Zins- und Tilgungsrückstände, oder eine stagnierende Umsatzent-
wicklung Ende des letzten Jahrhunderts oft als wesentliche Indikatoren zur Früh-
erkennung von Negativentwicklungen als wesentliche, vor allem quantitative, Kriterien
bei den Banken zu finden (vgl. Commerzbank 1999, S. 55), so rückt im Rahmen der
Kreditvergabe auf der Basis von Ratingverfahren immer stärker der Unternehmer und
seine nach qualitativen Kriterien zu beurteilende persönliche, unternehmerische Leistung
in den Vordergrund der Analyse (vgl. DSGV 1995, S. 28).
Legte im letzten Jahrhundert selbst der Staat zur Früherkennung von Risiken
noch weitgehend den Schwerpunkt seiner Empfehlungen auf ein aktiv betriebenes
Forderungsmanagement oder den transparenten Überblick über die Ein- und Aus-
zahlungen der Schuldner (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft 1998, S. 62), so sind
aktuell im Rahmen der modernen Ratingverfahren von Banken deutlich mehr Schwer-
punkte in der Persönlichkeit und in der damit verbundenen Flexibilität von Unter-
nehmern und ihren Unternehmen zu finden (vgl. Oliver et al. 2003, S. 61). Die damit
einhergehende subjektive Beurteilungskomponente des Firmenkundenberaters stellt
an diesen neue komplexere Anforderungen als bisher und beinhaltet wiederum neue
Risikopotenziale (vgl. Hose 2007, S. 105). Aber nicht nur bei den Banken, sondern
auch auf der Seite der Unternehmer, haben sich die aufgelisteten, teilweise gemeinsam
erarbeiteten, Frühindikatoren zur Erkennung von Risiken in den letzten Jahren
erheblich ausgeweitet (vgl. Blanke 2006, S. 39). Dabei fällt auf, dass dem Bereich der
11 Risikomanagement 275
Risiken werden sowohl von Unternehmen als auch von Individuen immer im Rahmen
einer möglichen Schadenshöhe und gleichzeitig unter der Gewichtung einer potenziellen
Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet und entsprechend in einem Risikoraster angesiedelt.
Bei einer zu erwartenden eher geringen Schadenshöhe und einer fast gegen Null
tendierenden Eintrittswahrscheinlichkeit, wird sich jeder Betroffene tendenziell eher
gegen den Abschluss einer risikoabschirmenden Versicherung, oder auch gegen eine
weiterführende kostspielige Analyse der Risikoauswirkungen für ein Unternehmen, ent-
scheiden. Mit zunehmender Eintrittswahrscheinlichkeit oder auch bei einer signifikant
276 C. Hose
1. Risikovermeidung: Diese ist möglich, indem ein Unternehmer auf ein Geschäftsfeld,
das Ausfallrisiken in sich bergen könnte, komplett verzichtet, oder z. B. eine Privat-
person eine Sportart, die statistisch ein hohes Verletzungsrisiko aufweist, nicht mehr
betreibt.
Auf eine derartige Vorgehensweise hat sich die Bundesregierung z. B. in ihrem
Regierungsentscheid zum Ausstieg aus der Atomenergie im Jahr 2014 nach der Atom-
katastrophe im japanischen Fukushima geeinigt, indem sie politisch den Ausstieg aus
der Atomenergie beschlossen hat.
Für eine Privatperson gibt es die Möglichkeit, sich komplett vom Skisport im ver-
letzungsrelevanten Extrembereich zu verabschieden und darauf zukünftig zu ver-
zichten. Damit würde sie dem „No-Risk-Motto“ folgen, müsste aber auch den
„No-Fun-Part“ akzeptieren.
2. Risikoverminderung: Dies wäre im politischen Bereich bezogen auf die Atom-
energie möglich gewesen, wenn die Bundesregierung Gesetze verabschiedet hätte, die
den Betreibern von Kernkraftwerken durch die Definition und Auferlegung höherer
Sicherheitsstandards weiterführende Pflichten beim Betrieb ihrer Kraftwerke vor-
geschrieben hätte. Die Förderung alternativer Energien kann ebenfalls zu diesem
Bereich gezählt werden, um die zeitweise fast vollständige Abhängigkeit Deutsch-
lands von der Atomenergie, oder auch von Kohlekraftwerken, zu verringern.
Als Privatperson haben Skifahrer z. B. die Möglichkeit, die in den letzten Jahren ent-
wickelten Helme, die von den Profis im Rennzirkus schon sehr lange genutzt werden,
auch als Freizeitsportler als Kopfschutz zu tragen (oder auch Rückenprotektoren zu
nutzen), um ihr physisches Verletzungsrisiko deutlich zu verringern.
3. Risikoüberwälzung: Mit dem Abschluss neuer, oder der Verbesserung bestehender,
Versicherungsverträge können Risiken überwälzt und auf Dritte, wie Versicherungs-
gesellschaften, gegen Übernahme einer Versicherungsprämie übertragen werden.
Mit dem Abschluss derartiger Verträge hätten z. B. die kommunalen Stadtwerke in
Deutschland die Möglichkeit, das Risiko teilweise unzureichender Strommengen
dadurch abzusichern, dass große Versicherungsgesellschaften, oder sogar deren Rück-
versicherer, den finanziell geltend gemachten Schaden durch Endverbraucher für
diese Energielieferanten übernehmen würden.
Der Freizeitsportler im Skibereich könnte mögliche finanzielle Schäden durch Ver-
letzungen im Rahmen einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitsversicherung
absichern. Die Risikoabsicherung ist heute sogar bis hin zu Versicherungsverträgen
möglich, die bei der Buchung eines Winterurlaubs dem Gast eine bestimmte Schnee-
niederschlagsmenge pro Tag zusichern. Sollten diese, vorher klar definierten, objektiv
bestimmbaren Reisebedingungen nicht eintreten, kann der Wintersportler je nach Ver-
tragsmodalitäten über die Versicherung einen Teil seines Reisepreises zurückfordern.
4. Risikoübernahme: Mit der bewussten Übernahme von Risiken entscheidet sich eine
Nation, ein Unternehmer oder auch ein Individuum selbstständig Risiken tragen zu
wollen.
So haben viele Energiekonzerne bewusst auf die „Karte“ der Atomenergie und nur
wenige auf alternative Energien gesetzt, weil sie die Wahrscheinlichkeit eines poli-
tisch determinierten Ausstiegs aus der Atomenergie als sehr gering eingeschätzt
haben.
Auch heute gibt es im Bereich der Skifahrer immer noch Wintersportler, die keinen
Helm tragen wollen, weil es ihrem Freiheitsgefühl, oder auch ihrem Selbstverständ-
nis, widerspricht. Eine gesetzlich vorgeschriebene Helmpflicht existiert auch im Jahr
2015 dazu nicht. Damit haben sich diese Menschen bewusst (oder auch unbewusst)
für die Übernahme von Verletzungsrisiken entschieden.
Der Gesetzgeber respektiert jedoch auch die Souveränität des Einzelnen, in dem er
bisher noch keine Helmpflicht vorschreibt und die Eigenverantwortlichkeit der einzel-
nen Menschen angemessen würdigt.
Das in der Vergangenheit vorzufindende Management von Risiken war stets bemüht,
diese auch hinsichtlich ihres Ausmaßes und der Konsequenzen möglichst konkret quanti-
fizieren zu wollen.
Bereits vor mehr als 100 Jahren haben große Unternehmen für sich eine Stringenz
von Kennzahlensystemen definiert, die es ihnen erlaubte, Daten aus der Bilanz und aus
der Gewinn- und Verlustrechnung nach einheitlichen Kriterien zu ermitteln und daraus
weiterführendes betriebswirtschaftliches Know-how nach einheitlichen Kriterien auf
quantitativer Basis zu generieren.
So führt das DuPont-Kennzahlensystem (vgl. Probst 2004) seine Anwender durch
einen konkreten Treiberbaum, oft auch als Rechenpyramide bezeichnet, welche auf der
Seite der Gewinn- und Verlustrechnung den Bruttoumsatz zugrunde legt und über Erlös-
schmälerungen, wie Boni und Skonti, nach Ermittlung des Nettoumsatzes sowie nach
Abzug der variablen Kosten, eine erste Kennzahl zum Deckungsbeitrag eines Unter-
nehmens ausweist. Nach Abzug der Fixkosten eines Unternehmens wird in diesem
Schema der Gewinn vor Steuern ausgewiesen, der im Verhältnis zum Nettoumsatz zu
einer Umsatzrendite führt, die eine Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen ermög-
licht.
Auf der Vermögensseite werden das eingesetzte Anlage- und Umlaufvermögen (Letz-
teres bestehend aus der Summe von Forderungen, Vorräten und liquiden Mitteln) zur
ersten Kennzahl des investierten Kapitals summiert. Diese Summe als Quotienten zum
Netto-Umsatz entspricht dem Kapitalumschlag. Dieser zeigt an, wie oft das investierte
Kapital im Netto-Umsatz umgeschlagen wurde. Aus dem Produkt zwischen der Umsatz-
rendite und dem Kapitalumschlag wird die Return-on-Investment-(RoI)-Kennzahl
berechnet, die Auskunft darüber gibt, wie viel Anteile des eingesetzten Kapitals in einem
Geschäftsjahr prozentual an die Kapitalgeber zurückgeflossen sind.
Dieses vom amerikanischen DuPont-Konzern bereits im Jahr 1919 entwickelte Sys-
tem hat auch heute noch seine grundsätzliche Gültigkeit in der Betriebswirtschaftslehre.
Inwieweit sich jedoch Kennzahlen zur Eigenkapitalrentabilität und damit auch die
auf ihnen basierende Beurteilung von betriebswirtschaftlichen Erfolgen durch die
Umschichtung von Fremdkapital in Eigenkapital modifizieren lassen, zeigt der Lever-
age-Effekt (Hebeleffekt).
Bei diesem Muster zur Ermittlung der Rentabilität der eingesetzten finanziellen
Mittel steigt die Eigenkapitalrentabilität eines Unternehmens bei zunehmendem Ver-
schuldungsgrad ohne endogene Veränderungen des Unternehmens, solange die Gesamt-
kapitalrendite höher ist als die exogen in Rechnung gestellten Fremdkapitalzinsen der
Gläubiger. Dabei darf dieser Zinssatz für das Fremdkapital grundsätzlich die Gesamt-
kapitalrendite aber nicht übersteigen, sonst geht der Hebeleffekt zunehmend in die
falsche Richtung.
11 Risikomanagement 279
Auf die Balanced Scorecard (BSC) von Kaplan und Norton (vgl. Weber 2015; vgl.
zudem Kaplan und Norton 1996), die in der Literatur oft vor allem als strategisches
Steuerungsinstrument für Unternehmen genannt wird, wird hier „last but not least“
Bezug genommen (Abb. 11.2).
Sie stellt mit ihrem zentralen Baustein einer unternehmerischen Vision und lang-
fristigen strategischen Ausrichtung ein bedeutendes Steuerungsinstrument für eine
überzeugende, vernetzte Perspektive für viele Unternehmensbereiche in einem Gesamt-
zusammenhang dar. So stehen die Kunden nicht ausschließlich im Fokus unter-
nehmerischer Tätigkeiten. Vielmehr wird dieser Bereich, der durch Ziele, Kennzahlen
und Vorgaben bzw. konkrete Maßnahmen quantifizierbar erfasst wird, im Rahmen eines
unternehmerischen Kreislaufs mit dem Finanzbereich, internen Geschäftsprozessen
sowie dem in der aktuellen Literatur für Unternehmer oft nur wenig beachteten Bereich
des Lernens und der Weiterentwicklung gesehen. Da all diesen Einzelbereichen
vergleichbare Kriterien wie Ziele, Kennzahlen, Vorgaben und Maßgaben zugeordnet
werden, entsteht trotz einer spezifischen Vielfalt dieser Teilbereiche eine gemeinsame
Identifizierungsmöglichkeit auf der Merkmalsebene.
Die Balanced Scorecard kann helfen, kritische Erfolgsfaktoren eines Unternehmens
über alle Ebenen strategiebezogen auszurichten und stellt damit für das Management ein
umfassendes Bild der aktuellen geschäftlichen Situation dar. Sie kann bei fachkundiger
Anwendung die Kommunikation und das Verständnis zu einzelnen definierten Business-
zielen sowie von Geschäftsstrategien auf unterschiedlichen Ebenen einer O rganisation
vereinfachen bzw. verbessern. Bei kompetenter Nutzung besteht mit der BSC die
Möglichkeit, das strategische Feedback innerhalb von Unternehmen zu unterstützen und
ein zielorientiertes Lernen auf allen Unternehmensebenen zu fördern. In den Möglich-
keiten ihres Erkenntnisgewinns geht sie über die quantitative Kennzahlenperspektive des
DuPont-Modells hinaus, ohne jedoch schon alle qualifizierbaren Elemente einer erfolg-
reichen Unternehmensführung abbilden zu können.
Die BSC benötigt als unabdingbare Voraussetzung, neben einem umfassenden Know-
how zur eigenen Marktposition, für eine erfolgreiche Anwendung eine spezifische
Unternehmenskultur, die es hoch motivierten, zukunftsorientierten und selbstständig
agierenden Mitarbeitern auch schon im unteren und mittleren Management ermög-
licht, Verantwortung zu übernehmen und eigenverantwortlich zu agieren. Als moder-
nes Management- und Führungsinstrument beinhaltet sie einen mehrdimensionalen
Kriterienkatalog, der einerseits die Planung und Kontrolle gesamtunternehmens-
bezogener Strategien ermöglicht und andererseits die Ableitung konkreter Aktivitäten
liefern kann. Diese Balance zwischen strategischem Denken und operationalem Han-
deln verhindert, dass „unbedingt zu beachtende Teilaspekte vernachlässigt und somit
gegebenenfalls kontraproduktive Schwerpunkte gelegt werden“ (Schierenbeck und
Wöhle 2012, S. 159).
Abb. 11.3 DuPont-Kennzahlensystem
d ieses System auch wegen seiner klaren Struktur und seiner Übersichtlichkeit grundsätz-
lich sicher geeignet. Abb. 11.3 stellt das DuPont-Kennzahlensystem dar.
Zum DuPont-Kennzahlensystem kritisch anzumerken ist jedoch die Tatsache, dass
sich der Anwender relativ strikt an die vorgegebenen Kennzahlen halten muss und
dadurch keine übergreifende, ganzheitliche, wertsystemorientierte Untersuchungs- und
Führungsperspektive geschaffen wird, die heute in vielen Unternehmen schon als „State
of the Art“ gilt.
Zu Kennzahlen wie der Eigenkapitalrentabilität lässt sich bei kritisch analytischer
Betrachtung zwar feststellen, dass sie rechnerisch korrekt ermittelt werden können und
dann unumstößlich für Erfolge, oder auch Misserfolge, eines Unternehmens stehen. Bei
der Fokussierung auf eine Kennzahl sind jedoch immer kritische Fragen zu stellen, wie
beispielsweise welche Rechtsform die Unternehmen nutzen und welche gesetzlichen
Rahmenbedingungen dieser Kennzahl zugrunde liegen oder auch, welche Eigen- und
Fremdkapitalanteile im Rahmen des Leverage-Effekts, vor allem bei den aktuell nied-
rigen Zinsen, tatsächlich zu diesen betriebswirtschaftlichen Ergebnissen geführt haben.
Die Frage, ob allein die Zusammensetzung der Verschuldung eines Unternehmens
alle endogen ungelösten Probleme eines Unternehmens im Rahmen einer modifizierten
Eigenkapitalrendite schon lösen kann, beantwortet sich wohl von selbst. Hinzu kommt
die zunehmende Gefahr bei der Nutzung des Leverage-Effekts, dass ein Unternehmen
mit einer geringen Eigenkapitalquote, wie sie oft im Rahmen einer haftungsbeschränkten
11 Risikomanagement 283
ist besser“ ist auch eine Lebensweisheit, die ihre Berechtigung in vielen Momenten des
täglichen Lebens beweisen konnte. So ist jede Lernfortschrittskontrolle oder z. B. auch
jede Klausur ein konkreter, objektiver und validierbarer Nachweis für den Lernerfolg von
Studierenden an der FOM, obwohl sich auch Dozenten während des Semesterverlaufs
eigene individuelle Sichtweisen zum Know-how-Zuwachs ihrer Studierenden machen
könnten. Über eine Klausur können sich alle Studierenden und damit auch die stilleren,
die im Unterricht eher weniger sagen, am gleichen Anforderungsprofil zeigen und ihren
„Stand des Lernfortschritts und Grad des Wissens“ in einmaliger, schriftlich dokumen-
tierter und datierter Form nachweisen.
Die bei Luhmann zu findende Eleganz des Vertrauens, in der er Vertrauen eine wirk-
samere Form der Reduktion von Komplexität beimisst, die Zukunft vorwegnehmen
kann (Luhmann 2005, S. 9), trifft nicht nur auf Zustimmung. Dass dem Vertrauen auch
Komplexität innewohnen kann und durch gewährtes Vertrauen, das in verschiedenen
sozialen Handlungsfeldern immer dann gern ins Spiel gebracht wird, wenn der Fak-
tor der Rationalität versagt, ist in der Praxis des menschlichen Umgangs miteinander
ebenso oft zu finden wie im Unternehmertum. Dann werden ersatzweise sichtbare
affektive Regungen eines Gegenüber der uns anlächelt schon als Vertrauensgrundlagen
interpretiert (vgl. Hartmann 2011, S. 10), denen es jedoch möglicherweise an jeglicher
rationalen Grundlage fehlt. Um den gesamten thematischen Umfang dieses Beitrages
nicht auch quantitativ zu sprengen, sei in diesem Zusammenhang auf die zunehmend an
Hochschulen zu diesem Thema angebotenen und verstärkt besuchten Studiengänge des
Bereichs der Wirtschaftspsychologie hingewiesen, die jedoch in weiten Teilen auch keine
tieferen Einblicke in die Seelenlagen und Handlungsmotive von Menschen ermöglichen,
sondern Verhaltensphänomene derselben oft durch die Erhebung, Analyse und Aus-
wertung quantitativer Daten zu ergründen und zu erklären versuchen. Alles andere wäre
im Bereich des seriösen Managements von Risiken auch in den Bereich der „Alchemie“
zu verweisen.
Diese Studiengänge schaffen für den Bereich des Vertrauens zukünftig vor allem in
Kombination mit wirtschaftlichen Sachverhalten die Möglichkeit akademische Teil-
bereiche, die in der Vergangenheit oft nur separat betrachtet wurden, in einer moderne-
ren Vernetzung von Sichtweisen und Blickwinkeln verzahnter als bisher zu betrachten
und dadurch neue Wissensfelder aufzutun. Dies ist auf jeden Fall nicht nur bezogen auf
praxisrelevante Fallgestaltungen zu begrüßen.
Die Vertiefung der vorab anhand theoretischer Grundlagen dargestellten Aspekte des
Risikomanagements soll im Folgenden, beginnend mit einer makroökonomischen Sicht-
weise, über die Darstellung von Global Playern, bis hin zur mikroökonomischen Situa-
tion von Unternehmen mit vorwiegend nationalem Bezug, kurz erörtert werden.
11 Risikomanagement 285
Bei näherer Betrachtung global agierender Unternehmensgruppen wie Google oder auch
Apple, wird in den Bilanzen dieser Konzerne deutlich, dass sich dort Mitte des Jahres
2015 Cash-Positionen von mehr als 200 Mrd. US-Dollar befanden (Geyer 2015). Dieser
Umstand wird zunächst jeden Unternehmer und Aktionär mehr als zufriedenstellen, da
diese freie Liquidität gute Verkäufe von Produkten vermuten lassen.
Diese hohen Cash-Bestände bergen jedoch aus der Sicht von Treasury und
Controlling-Abteilungen auch immense Risiken für die Unternehmen, sofern sie län-
gere Zeit ungenutzt und meistens auch ohne eine Verzinsung auf Tagesgeldkonten lie-
gen. Im Jahresverlauf ergibt sich bei einer bestehenden Inflationsrate, die höher als die
Guthabenzinsen für diese Gelder ist, ein Kaufkraftverlust. Sofern diese Liquidität nur
in einer Währung wie z. B. US-Dollar vorgehalten wird, wohnt ihr zusätzlich noch ein
Währungsrisiko inne, welches je nach Dollarentwicklung möglichst im Rahmen eines
Kurssicherungsgeschäfts durch diese Konzerne abgesichert werden sollte. Aktuell mana-
gen diese Konzerne ihre Währungsreserven, indem sie diverse Cash-Positionen in ver-
schiedenen Ländern und unterschiedlichen Währungen halten. Ein Grund für dieses
Verhalten ist jedoch auch im Steuerrecht zu sehen, welches bei der Verlagerung dieser
Gelder in die USA eine Steuerpflicht auslösen würde.
Welche vermeintliche Gefahr ein hoher Kassenbestand für ein Unternehmen dar-
stellen kann, wurde bei der Übernahme des Baukonzerns Hochtief vor einigen Jahren
deutlich. Am Markt waren Gerüchte zu hören, dass die spanischen Erwerber den Kon-
zern 2011 vor allem wegen seines umfangreichen Cash-Bestandes von 2,264 Mrd. Euro
(boerse.ARD.de o. J.) in das Visier ihrer Kaufbemühungen genommen hätten, ohne dass
dieses Gerücht jedoch offiziell abschließend jemals bestätigt wurde. Die Gelder wurden
nach der Übernahme der Hochtief Unternehmensgruppe auch nicht zeitnah in die spani-
sche Muttergesellschaft transferiert. Auch 2014 weist Hochtief eine Cash-Position von
2,585 Mrd. Euro aus (boerse.ARD.de o. J.). Ob diese Einschätzung damals zutreffend
war oder nicht, lässt die Reaktion des spanischen Baukonzerns ACS im Jahr 2015 noch
offen, nachdem sich das Emirat Katar bei Hochtief finanziell als Investor zurückgezogen
hatte. ACS stockte seine Beteiligung am Essener Unternehmen zwar um 312 Mio. Euro
auf und erwarb weitere 5,84 % an Hochtief bzw. erhöhte seine Anteile auf 66,54 %.
Skeptiker der Übernahme von damals erwarten jedoch, dass die Spanier auf Dauer die
Aktien von Hochtief vom Markt nehmen werden und die Bautochter aus Deutschland
unter das Dach der Dragados Beteiligung einbringen werden (vgl. Schumacher 2015).
Wer in dieser Risikodiskussion abschließend recht behält, wird sich frühestens 2018
zeigen, wenn die nach Meinung von Experten eingeschlagene Strategie der Spanier zu
einem Anteil zwischen 75–100 % der Aktienanteile vom 1873 gegründeten Hochtief
Baukonzern geführt hat und die Industrielegende außer ihrem Namen dann von der inter-
nationalen Wirtschaftsbühne verschwunden ist (vgl. Schumacher 2015).
288 C. Hose
Der beim VW Konzern im September 2015 aufgedeckte und in den Medien sehr schnell
weltweit diskutierte Manipulationsskandal von Abgaswerten hat für das Unternehmen
verschiedene zum Teil desaströse Auswirkungen. Allein der Aktienkurs stürzte Ende
September 2015 an wenigen Tagen um mehr als 40 % ab. Neben den starken finanziellen
Verlusten der Aktie an den Kapitalmärkten hat aber auch das Image des Konzerns und
sein Anspruch, dauerhaft der größte Autobauer der Welt werden zu wollen, erheblichen
Schaden genommen. Neben den singulären Schäden für das Unternehmen VW ist jedoch
auch der Qualitätsbegriff „Made in Germany“ gegebenenfalls mehr als nur „angekratzt“.
Die Bundesregierung war zeitnah bemüht, durch diverse Forderungen nach kompromiss-
loser Transparenz und Aufklärung einen weiterführenden Kollateralschaden für die deut-
sche Wirtschaft insgesamt zu verhindern. Durch personalpolitische Entscheidungen bei
der Neubesetzung der Konzernspitze sowie der Beurlaubung von Bereichsvorständen
und hochrangigen Führungskräften, hat der Konzern unverzüglich versucht, Zeichen für
einen Neuanfang zu setzen. Durch große ganzseitige Anzeigen in der überregionalen
Wirtschaftspresse versucht die Konzernleitung über „Entschuldigungskampagnen“
die vielen Millionen Autobesitzer emotional zu erreichen, um das gegebenenfalls ver-
loren gegangene Vertrauen dauerhaft wiederherzustellen. Damit sind sicher noch nicht
alle Herausforderungen in diesem Skandal gelöst und alle Fragen beantwortet. Es bleibt
abzuwarten, ob auch die Personalrochaden im VW Konzern vom Vorstand bis zum Auf-
sichtsrat einen Neuanfang ermöglichen werden, oder ob diese Maßnahmen auch nur
„alter Wein in neuen Schläuchen“ sind. Die weltweiten Reaktionen zeigen jedoch, dass
sich gerade in einem immer stärker umkämpften Automobilmarkt mit immer kürzeren
Produktlebenszyklen kein Player mehr ein derartiges Fehlverhalten ungestraft erlauben
kann.
Neben diesem Großkonzern sind jedoch auch viele Regionalbanken einer Studie der
Stuttgarter Beratungsgesellschaft 4P Consulting zufolge von kaum noch konkurrenz-
fähigen Ertragssituationen betroffen. Hiernach werden bei der in 2014 durchgeführten
Untersuchung bei unveränderten Rahmenbedingungen im Jahr 2018 fast zwei Drit-
tel aller Sparkassen und Volksbanken wegen steigender Kosten und sinkender Erträge
kaum noch konkurrenzfähig sein. Die Verbände sehen dieses Negativszenario jedoch
noch nicht so dramatisch wie die Experten von 4P. Hier zeigt sich, dass eine vorhandene
Risikosituation je nach Interessenlage und Sichtweise von Parteien, die mit dem Risiko
zu tun haben könnten, unterschiedlich gesehen und auch differenziert behandelt wird.
So werden kauf- und bauwillige Bürger die aktuelle Niedrigzinsphase eher mit Freude
sehen, während Kapitalanleger bei den aktuellen Zinssätzen eher den Spaß an einer
Geldanlage verloren haben dürften.
Dass gerade kreditsuchende Unternehmen verstärkt durch die wachsende Finanzie-
rung von Mittelständlern durch Nichtbanken im Rahmen sogenannter Crowdfinanzierun-
gen bzw. über spezielle Internetplattformen, wie das auf den Mittelstand spezialisierte
11 Risikomanagement 289
Portal Bankless 24, mit ausreichend Finanzierungsmitteln versorgt werden, stellt zwar
auf den ersten Blick ein komfortables Finanzierungsumfeld für Unternehmen aus die-
sem Marktsegment dar. Ob dadurch jedoch auch so unkompliziert eine später erforder-
liche Anschlussfinanzierung realisiert werden kann, die im Rahmen eines langfristig
gewachsenen Vertrauensverhältnisses gegenüber der Hausbank möglich war, bleibt abzu-
warten (vgl. Hoffman 2015, S. 42).
Die Banken sind jedoch zweifellos aktuell mehr denn je in einem zeitgemäßen
Risikomanagement aufgefordert, neben ihren kurzfristig geschmälerten Zinseinnahmen,
ihre aktuell bestehenden Geschäftsmodelle auch strategisch zu überdenken und wirk-
same Controlling-Mechanismen zu entwickeln, um drohenden existenzgefährdenden
Einnahmeverlusten rechtzeitig entgegenzuwirken. Hier gilt es eine Erfolgskrise recht-
zeitig durch neue, klug angelegte Strategien zu verhindern und in der Branche einen
Dominoeffekt zu verhindern. Dass die Kreditinstitute durch die niedrigen Zinsen
empfindlich an ihrem Nerv getroffen sind, zeigen die Bemühungen auch kleinerer Ban-
ken, die sich zunehmend verstärkt um vermögende Privatanleger kümmern, um bei
diesen im Provisionsgeschäft mehr als bisher aktiv werden zu können (vgl. Pohl 2015,
PWP1).
Dass die Banken nicht nur seitens der Bankenregulierung immer stärker unter Druck
geraten, sondern auch am Markt deutlich den Gegenwind durch sogenannte Priva-
te-Debt-Anbieter spüren, zeigen die enormen Zuwächse bei Private Debt Fonds (vgl.
Bernd 2015, S. 30 f.). Aber auch diese Kapitalanlagegesellschaften prüfen die Geschäfts-
modelle, das Management und die Produktstrategie ihrer Kreditnehmer nicht nur unter
Risikoaspekten genauer, sondern auch, um diesen maßgeschneiderte Finanzierungs-
modelle anbieten zu können (vgl. Bernd 2015, S. 31).
Risikomanagement ist mit all seinen modernen Kontrollmechanismen und Facetten heute
in allen Lebensbereichen und besonders im modernen Business wichtiger denn je.
So steht den professionellen Akteuren von Staaten international tätiger Großbanken
bis hin zu regional tätigen Unternehmen heute sicher deutlich mehr als nur die Balan-
ced Scorecard oder auch das DuPont-Kennzahlensystem zur Verfügung. Bei Ban-
ken in Deutschland wird dies formal schon durch zentrale Vorgaben der nationalen
Bankenaufsicht, wie den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)
durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin), gefordert (BAFin
2012). Ob diese Vorgaben eingehalten werden, wird im Rahmen von Jahresabschluss-
prüfungen oder auch durch unvermutete Prüfungen, z. B. gemäß § 44 KWG durch die
Aufsichtsbehörden in Zusammenarbeit mit den Prüfungsstellen der Banken oder auch
in Kooperation mit unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, überprüft und
gewährleistet.
290 C. Hose
Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) aber nicht für alle Banken im
Rahmen eines wirkungsvollen Risikomanagements das Nonplusultra darstellt, zeigen
die Reaktionen von kleineren, regional tätigen Instituten, die eine klare Kritik an die-
ser Systematik äußern (Mendener Nachrichten 2015). Die Kritik aus Vorstandssicht, dass
aus diesem Fonds, der nur zur Rettung systemrelevanter Banken installiert wurde, in
den aber alle Bankhäuser in Deutschland einzahlen müssen, ist verständlich und nach-
vollziehbar. Mit den Worten „Die Mendener Bank habe keine Staatshilfe gebraucht,
volkswirtschaftliche Aufgaben vorbildhaft erfüllt, keine Strafverfahren dafür ordentlich
Steuern gezahlt“ (Mendener Nachrichten 2015) liefert die Geschäftsleitung eine nach-
vollziehbare Argumentation warum sie als „Fahrradfahrer nicht die Maut für Autobahnen
bezahlen will“ (Mendener Nachrichten 2015) und sich aktuell „im Wettbewerb eher
benachteiligt und von der Regulatorik auch mehr erdrückt als geschützt fühlt.“ (Mende-
ner Nachrichten 2015).
Diese Art von Risikomanagement kann insbesondere bei den komplexen Heraus-
forderungen auf internationaler Ebene im gegenseitigen Agieren zwischen allen
Beteiligten nur dann funktionieren, wenn die betroffenen Menschen verstehen, dass sich
die Betrachtung und Analyse von Risiken nicht gegen sie richtet. Es gilt zu verhindern,
dass der Eindruck entsteht, dass ein Schutzmechanismus für die Großen aufgebaut wird,
den die Kleinen bezahlen müssen.
Auf der Risikomanagementebene international agierender Großkonzerne, aber auch
im Umgang mit Risiken durch national bedeutende Unternehmensgruppen, stellen die
agierenden Professionals als Bindeglied zwischen den diversen Hierarchieebenen mit
ihrem unterschiedlichen Know-how einen signifikanten Faktor für den Erfolg beim
Management von Risiken dar. Vor allem mit ihrem ethisch verankerten Denken, Handeln
und Tun, welches nicht nur auf die Gewinnmaximierung fokussiert ist, können sie einer-
seits ein Garant für eine präventive Risikofrüherkennung sein. Andererseits können sie
sich auch zu einem anerkannten „Händler und Manager“ von Risiken entwickeln, der
im Umgang mit Risikopositionen für alle Beteiligten ein faires und optimales Ergebnis
erzielen möchte.
Literatur
Prof. Dr. Christian Hose lehrt seit 2008 an der FOM Hochschule
für Oekonomie & Management vornehmlich in den Bereichen
Finanzierung und Investition sowie Turnaround Management.
Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer an der FOM, an der
er auch die Forschungsgruppe Rating und Risikomanagement im
isf Institute for Strategic Finance leitet, arbeitet er als Berater für
Unternehmer vor allem im Familienbereich.
Zuvor arbeitete Christian Hose mehr als 25 Jahre lang als
Führungskraft im Bankenbereich.
Liquiditätsmanagement
12
Volker Lombeck
V. Lombeck (*)
Witten, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 295
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_12
296 V. Lombeck
Inhaltsverzeichnis
12.1 Cash-Management
12.1.1.1 Cash
Primäre liquide Zahlungsmittel werden als Cash bezeichnet. Eine zentrale Aufgabe des
Cash-Managements ist die Disposition von liquiden Mitteln (vgl. Heesen 2014, S. 28).
Hierzu gehören Bargeld und Sichtguthaben. Diese können sofort flüssiggemacht wer-
den. Die Sekundärliquidität, in Form nicht ausgenutzter Kreditmöglichkeiten und
Zahlungsäquivalente („Near Money Assets“ = kurzfristig liquidierbare Finanzanlagen)
können kurzfristig zu flüssigen Mitteln führen. Termingelder können nach Ablauf
12 Liquiditätsmanagement 297
einer festgelegten Laufzeit in flüssige Mittel umgewandelt werden. Dies gilt auch
für Termingelder, bei denen eine Kündigungszeit vereinbart wurde. Ein Geldmarkt-
papier ist eine kurzfristige Schuldverschreibung mit einer Laufzeit von in der Regel
bis zu einem Jahr. In Deutschland zählen dazu auch Staatspapiere wie Schatzwechsel,
Schuldverschreibungen von Banken (Einlagezertifikate) und Unternehmen (Commercial
Paper). Wertpapiere, z. B. Aktien, die kurzfristig verkauft werden können, zählen eben-
falls zu den kurzfristig liquidierbaren Finanzanlagen.
Cash als solches beinhaltet im Rahmen des Cash-Managements allerdings nicht nur
zuvor genannte Bestandsgrößen, sondern auch Bewegungsgrößen in Form von Zahlungs-
strömen. Dabei werden die entsprechenden Zahlungshöhen und die Zahlungszeitpunkte
berücksichtigt.
12.1.1.2 Cash-Management
Das Cash- bzw. Liquidationsmanagement kann als unternehmensweites Finanz-
management bezeichnet werden, das jederzeit die optimale Menge an Liquidität im
Unternehmen bereitstellt. Es wird eingesetzt, um Finanzierungskosten und -risiken
zu verringern (vgl. Korts 2005, S. 3) und ist eng verknüpft mit dem Bereich „Trea-
sury“. Das ist der Teil des Unternehmens, der sich mit der Disposition und Anlage von
bestehenden und zufließenden finanziellen Mitteln befasst, also vorwiegend der Innen-
und Außenfinanzierung des Unternehmens (vgl. Heesen 2014, S. 27).
Cash-Management steht im betriebswirtschaftlichen Sinne für alle Maßnahmen der
kurzfristigen Finanzdisposition im Unternehmen. Es hat zur Aufgabe, die Liquidität
des Unternehmens, unter Berücksichtigung der Effizienz des Liquiditätsmanagements,
sicherzustellen. Eine aktive, zielorientierte Steuerung der Liquidität ist notwendig, um
Zahlungsausfälle und Zinsverluste zu vermeiden.
Dabei wird der Zeithorizont berücksichtigt. Die Planung kann täglich erfolgen, wenn die
Zahlungstermine feststehen.
Feste Termine können besser berücksichtigt werden. Mieten, Versicherungen, Steuer-
vorauszahlungen, Löhne, Gehälter und Lastschriften sind als regelmäßige Auszahlungen
einfach zu planen. Probleme treten häufig bei Steuernachzahlungen, z. B. nach Betriebs-
prüfungen, auf. Diese müssen häufig durch liquide Mittel oder Kreditaufnahme finanziert
werden.
Cash-Management ist vor allem bei Unternehmen mit Niederlassungen oder bei inter-
national tätigen Unternehmen notwendig. Bei internationalen Unternehmen erfolgt ein
Ausgleich von Zahlungsströmen in unterschiedlichen Währungen. Ziel des Cash-Ma-
nagements ist es dabei, die auftretenden Risiken und die anfallenden Kosten zu minimie-
ren.
Somit wird eine optimale Ausnutzung liquider Mittel durch das Cash-Management
ermöglicht. Bankbezogene Kosten werden reduziert und es erfolgt eine Verminderung
der Währungsrisiken. Außerdem wird eine höhere Transparenz und Flexibilität erreicht,
die eine einheitliche Finanzführung ermöglichen.
Auf der anderen Seite entstehen die Kosten der zentralen Abteilungen. Sie über-
wachen und verwalten die liquiden Mittel. Es entsteht die Gefahr, dass ein zu hoher
Fokus auf kurzfristige Gewinnerzielung gelegt wird. Cash-Management dient somit auch
als wichtiges Instrument des Bilanzstrukturmanagements.
Dadurch entsteht ein vorzeitiger Liquiditätsabgang. Häufig erfolgt auch eine Orien-
tierung der Zahlungsziele an den Wettbewerbern. In der Tourismusbranche und
der Möbelindustrie ist es üblich, dass der Kunde Anzahlungen tätigt. Einen ent-
scheidenden Einfluss hat auch die Unternehmensstruktur. Bei einer zentralen Struk-
tur können die Liquiditätsreserven geringer gehalten werden, als bei einer dezentralen
Struktur. Das Cash-Management ist dann wesentlich einfacher. Liegt eine dezentrale
Unternehmensstruktur vor, z. B. bei Niederlassungen, so muss in der Summe eine
höhere Liquidität vorhanden sein. Besonders ausgeprägt ist dies bei Unternehmen,
die täglich einen hohen Kassenzugang oder -abgang haben. Großunternehmen müs-
sen über ein komplexes Cash-Management verfügen. Ein weiterer Einfluss besteht im
Rahmen der Finanzierungsgrundsätze des Unternehmens. Hierzu zählt z. B. die Art
der Finanzierung. Manche Unternehmen werden nur durch Eigenkapital finanziert.
Die Abhängigkeit von Kreditgebern wird somit minimiert. Ein Wachstum ist aber nur
begrenzt möglich. Liegt der Fokus des Unternehmens auf einer hohen Rentabilität,
umso schwieriger wird das Cash-Management, da die überflüssigen Mittel verzinst
angelegt werden müssen.
• Externe Einflussfaktoren sind die Zinshöhe und Zinsschwankungen, die Steuer-
gesetzgebung und Bankensysteme sowie Schwankungen der Wechselkurse. Die
Geschäftsvorgänge in der heutigen Wirtschaft sind zunehmend Zinsänderungs- und
Währungsrisiken ausgesetzt. Bei der Anlage finanzieller Mittel und bei der Finanzie-
rung von Investitionen bedroht das Risiko der Zinsänderung stark die Finanzplanung
des Unternehmens. Veränderungen der variablen Zinssätze können erhöhte Kosten
und folglich eine schlechtere Rentabilität für das Unternehmen bedeuten. Probleme
bereiten auch fällige Darlehen, die mit einem höheren Zinssatz nachfinanziert wer-
den müssen. Geldanlagen sind besonders durch sinkende Zinsen bedroht, da dies zu
Ertragseinbußen für das Unternehmen führt. Tritt das Unternehmen als Kreditnehmer
auf, führen steigende Zinsen zu erhöhten Kosten.
Allgemein bedeutet der Wechselkurs den Preis einer Währung ausgedrückt mithilfe einer
anderen Währung. Diese Wechselkursschwankungen haben verschiedene Ursachen. Zu
diesen gehören die unterschiedlichen Entwicklungen von Produktivität und Preisniveau
in den verschiedenen Staaten. Dadurch, dass diese Einflussfaktoren sich auf die Handels-
ströme der einzelnen Länder auswirken, verändern sie gleichzeitig auch die Handels-
und Leistungsbilanzen.
Eine weitere Ursache wird in den Wechselkursen gesehen. Ein Großteil des Devisen-
handels entsteht aus kurzfristigen Geschäften zwischen Banken und Finanzhäusern. Als
weiteren Einflussfaktor gibt es die Zentralbanken, welche durch geplantes Handeln auch
auf die Entwicklung des Wechselkurses einwirken können. Es gibt keine genau definier-
ten Vorgaben, die einem Unternehmen bei der Entscheidung über die Höhe der verfüg-
baren liquiden Mittel helfen. Eines der Probleme dabei ist, dass Manager die zukünftigen
Risiken im Voraus beurteilen müssen. Je weiter der Zeitraum des Risikos ist, umso
12 Liquiditätsmanagement 303
12.1.3 Cashflow
Für ein erfolgreiches Cash-Management ist die Messung des Cashflows erforderlich. Der
Cashflow gibt damit die Möglichkeit, die dynamische Liquidität zu messen. Er wird auch
als partielle Bruttokapitalflussrechnung bezeichnet.
304 V. Lombeck
Jahresüberschuss
+ Abschreibungen
+ Veränderung Rückstellungen
= Cashflow
Der totale Cashflow berücksichtigt zusätzlich die Transaktionen auf dem Geld- und
Kapitalmarkt. Für die finanzielle Führung des Unternehmens ist dieser Cashflow primär
interessant. Im Falle des Cashflows als Kennziffer werden dem Bilanzgewinn die Posi-
tionen hinzurechnet, die den Gewinn beeinflusst haben, die flüssigen Mittel aber nicht.
Der Cashflow wirkt sich jedoch noch auf weitere Kennzahlen aus. Darunter fallen der
dynamische Verschuldungsgrad (Effektivverschuldung/Cashflow), die Entschuldungs-
dauer (FK/Cashflow), der dynamische Liquiditätsgrad (Cashflow/kurzfristiges FK) sowie
der Innenfinanzierungsgrad von Investitionen (Cashflow/Netto-Anlageinvestitionen).
12 Liquiditätsmanagement 305
12.1.4 Cash-Management-Systeme
Eine Möglichkeit des Cash-Managements ist die Verrechnung von Forderungen und Ver-
bindlichkeiten. Dadurch werden die Ein- und Auszahlungen minimiert.
12.1.4.1 Netting
„Die zunehmende Globalisierung der Finanzmärkte und die damit einhergehende Ver-
netzung gegenseitiger Verbindlichkeiten im Bankengeschäft lässt aufgrund der enor-
men Beträge Befürchtungen bezüglich Insolvenzen und der Gefährdung des gesamten
Bankensystems aufkommen“ (Müller-Möhl 1999, S. 226).
Als ein mögliches Modell zur Risikominimierung wurde das Netting eingeführt. Es
soll z. B. durch Netting-Vereinbarungen das Kreditrisiko gemindert werden. Derartige
Abkommen sind für Unternehmen ebenso bedeutsam wie Rahmenverträge. Diese stellen
eine Besonderheit der Beschaffung dar, da sie für eine bestimmte vertraglich festgelegte
Zeit Kauf- und Verkaufsbedingungen festlegen. Durch diese Verträge können für das
Unternehmen günstigere Konditionen, z. B. hohe Mengenrabatte, erreicht werden.
Netting kann man mit dem Begriff „Aufrechnung“ übersetzen. Das Netting ermög-
licht die Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten von verschiedenen Ver-
tragspartnern untereinander. Wenn ein Unternehmen aus unterschiedlichen Aufträgen
ausstehende Forderungen und Verbindlichkeiten hat, werden diese mithilfe des Mat-
chings aufgerechnet, sodass nur noch die Differenz in Form einer Forderung oder einer
Verbindlichkeit beim Clearing überwiesen werden muss.
Dadurch wird das Transfervolumen minimiert. Es werden nur Restbeträge über-
wiesen. Im Rahmen des Nettings beschreibt das „Matching“ die Aufrechnung. Die
beteiligten Unternehmen verrechnen Forderungen und Verbindlichkeiten, die zweifelsfrei
gegenseitig aufrechnungsfähig und fällig sind.
Durch die Verrechnung sinkt das Risiko, dass im Rahmen der Insolvenz ein Aus-
fall der Forderungen eintritt. Innerhalb des Nettings gibt es verschiedene rechtswirk-
same Vereinbarungen. Die gängigste Methode ist das Netting by Close-out. Bei dieser
Methode werden, kurz bevor die Insolvenz eintritt, die gegenseitigen Ansprüche nach
dem Marktwert verrechnet und die Insolvenzmasse besteht nur noch aus dem Nettosaldo.
Der Marktwert orientiert sich an dem Preis, der sich durch den Handel mit dem
bestimmten Gut ergibt. Dieser Wert kann sich täglich verändern, je nachdem um was
für ein Gut es sich handelt. Entscheidend ist immer der aktuelle Wert zum Zeitpunkt der
Transaktion, also direkt bevor die Verrechnung stattfinden soll.
Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass Banken durch das geringe Adressausfall-
risiko eine Verringerung der Eigenkapitalbelastung hervorrufen.
Nach der Feststellung des Differenzbetrages erfolgt das Clearing. Der Differenz-
betrag zwischen den verrechneten Forderungen und Verbindlichkeiten wird überwiesen.
Als Hilfe für das Netting-Verfahren gibt es Netting Center, die die Koordination der Ver-
rechnungsprozesse übernehmen. Die Verrechnungen der gegenseitigen Forderungen und
Verbindlichkeiten der Unternehmen können aber auch ohne Netting Center durchgeführt
werden. Verrechnen nur zwei Unternehmen, so handelt es sich um ein bilaterales Net-
ting. Sind mehr als zwei Unternehmen betroffen, so liegt ein multilaterales Netting vor.
12 Liquiditätsmanagement 307
Netting kann national oder international durchgeführt werden. Beim internationalen Net-
ting müssen die unterschiedlichen Währungen berücksichtigt werden. Für Unternehmen,
die im Import und Export tätig sind, sollte das Ziel sein, die Kontrahierungswährung an
die der Lieferanten anzupassen.
Der Vorteil dieser Strategie liegt in ihrer neutralisierenden Wirkung auf das Ergebnis.
Risiken aber auch Chancen werden, ohne Transaktionskosten zu verursachen, neutrali-
siert (vgl. Ertl 2004, S. 175).
Vorteile des Nettings sind sowohl Kosteneinsparungen der Bankprovision, Bank-
gebühren als auch Devisenkonvertierungskosten für die Währungsumrechnung. Außer-
dem verfügt man über einen genaueren Überblick über Volumen, Zeitpunkte und
Währungen der Zahlungen. Durch ein integriertes Netting Center erfolgt eine verein-
fachte Verwaltung der Forderungen und Verbindlichkeiten und deren Prüfung. Die Pla-
nung der kurzfristigen Finanzmittel kann dadurch erheblich verbessert werden. Das
Transaktionsrisiko wird durch das Netting eingeschränkt. Aufgrund der geringeren
Anzahl der Transaktionen fallen die Aufwendungen geringer aus.
Die Aufgabe des Nettings ist es, aufkommende Währungsrisiken und den Ver-
waltungsaufwand, der durch die Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten
entsteht, zu minimieren.
Am Meldetermin werden die aktuellen Forderungen und Verbindlichkeiten an das
Netting Center gemeldet. Anschließend werden die Nettopositionen ermittelt und der
Wechselkurs festgelegt. Die beteiligten Gesellschaften erhalten am Information Date die
Höhe der Salden, die zum Zahlungszeitpunkt überwiesen werden. Am Transaction Date
erfolgen die Überweisungen. Innerhalb des Konzerns erfolgt der Ausgleich der Forde-
rungen und der Verbindlichkeiten am Settlement Date.
Bei dieser Vorgehensweise wird vor dem Begleichen von Verbindlichkeiten bzw. dem
Verrechnen von Forderungen ein Gesamtsaldo gebildet. Demnach besteht am Ende nur
noch ein deutlich geringerer Betrag an Verbindlichkeiten oder Forderungen im Vergleich
zu den ursprünglichen Ansprüchen. Es wird ausschließlich der Restbetrag transferiert.
Dies führt dann zu den zuvor genannten Einsparungen bei den Transaktions- und Ver-
waltungskosten. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass bei Wechselkursschwankungen
weniger Geld übertragen werden muss.
Beispiel
Autozulieferer A hat an seinen Kunden B eine Forderung in Höhe von 100.000 EUR.
Der Kunde B hat an den Autozulieferer A eine Forderung in Höhe vom 120.000 EUR.
Beim Netting verrechnet A die Forderungen in Höhe von 100.000 EUR und überweist
den Nettosaldo in Höhe von 20.000 EUR.
12.1.4.2 Pooling
Pooling stellt eine Dienstleistung eines zentralen Finanzmanagements innerhalb
eines Konzerns dar, die einen konzerninternen Liquiditätsausgleich zur Erhaltung der
Zahlungsfähigkeit begünstigt. Es ist eine Möglichkeit der internen Konzernfinanzierung
308 V. Lombeck
(vgl. Große Vorholt und Binson 2007, S. 324). Bei einem zentral geführten Pool-Konto,
oftmals „Master-Account“ genannt, werden positive sowie negative Salden des Ver-
fahrens mit einbezogen und die Unterkonten valutarisch abgeglichen (vgl. Jetter 1988,
S. 42 f.) (siehe hierzu auch Abb. 12.4).
Cash-Pooling ermöglicht die Konzernfinanzierung unabhängig von Kapitalgebern und
wird von einer Vielzahl von Kreditinstituten mit entsprechenden Kontoführungsmodellen
unterstützt.
Bei diesem Verfahren wird die Liquidität des Unternehmens auf einem gemeinsamen
Konto zusammengefasst, welches über die Muttergesellschaft des Konzerns geführt wird.
Im Rahmen des Cash-Pools werden zuerst die aktuellen Buchsalden erfasst. Anschlie-
ßend wird der Wert des valutarischen Saldos ermittelt. Es erfolgt der Abgleich im
Rahmen des Cash-Pools der Ist- und Planumsätze, um die Liquiditätsplanung zu aktu-
alisieren. Am Schluss erfolgt der Kontenausgleich. Überflüssige Mittel können verzinst
angelegt werden.
Die Tochtergesellschaften zahlen in der Regel täglich die Salden ihrer Konten auf das
gemeinsame Konto, den sogenannten Cash-Pool, ein. Dadurch werden die Konten der
Tochtergesellschaften auf null gesetzt und der Cash-Pool bildet einen einheitlichen Saldo
für den gesamten Konzern.
Der Cash-Pool fungiert als internes Kreditinstitut, durch das die Tochtergesellschaften
für ihre Einzahlungen Zinsen erhalten und auf der anderen Seite Kredite mit einem
geringen Zinssatz als bei einer vergleichbaren Bank bekommen. Der Zinssatz, den der
Cash-Pool anbietet, muss dennoch dem Drittvergleich standhalten und dementsprechend
im Bereich der Zinssätze von externen Kreditinstituten liegen. Durch dieses Instrument
kann das Unternehmen zahlreiche Vorteile erzielen.
Die Optimierung des Zinsergebnisses kann durch die Vermeidung von gleichzeitigen
Soll- und Habensalden erreicht werden. Dies ermöglicht dem Unternehmen große
Abb. 12.4 Pooling
12 Liquiditätsmanagement 309
inseinsparungen, die extern gezahlt werden müssten. Intern gezahlte Zinsen verbleiben
Z
im Konzern und sind auf Konzernebene gewinnneutral.
Außerdem wird es den Tochtergesellschaften erleichtert interne Kredite aufzunehmen,
da die Möglichkeit besteht, höhere Kreditsummen unabhängig vom Rating und ohne
Zweckbindung vom Mutterkonzern zu erhalten. Die Muttergesellschaft kann durch das
bessere Rating zinsgünstige Kredite bei Banken aufnehmen. Sie verfügt in der Regel
über Vermögensposten, die als Sicherheiten verwendet werden können.
Das Pooling bietet, durch die zentrale Kompetenz, intern eine sehr hohe Transparenz.
Auf der anderen Seite verhindert es dadurch eine geringe externe Transparenz. Die Daten
gegenüber Kreditgebern müssen nicht unbedingt veröffentlicht werden.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Beschleunigung oder Verzögerung der
Zahlungen innerhalb des Konzerns. Hier werden Zahlungen vor dem ursprüng-
lichen Zahlungstermin getätigt. Es liegt Leading vor. Zahlungen können auch nach
dem ursprünglichen Termin erfolgen. Dabei handelt es sich um Lagging. Ein Ziel von
Leading und Lagging ist der schnellstmögliche Transfer von Liquidität vom Ort des
Zuschusses zum Ort des Bedarfs. Konzerninterne Währungskostenminimierung entsteht
ebenfalls durch die optimale Terminierung der Zahlungsvorgänge in Fremdwährung.
Der Cash-Pool eines Unternehmens wird am letzten Tag des Geschäftsjahres auf-
gelöst und am ersten Tag des nächsten Geschäftsjahres neu gegründet. Die Tochter-
gesellschaften, die einen Kredit bei dem Cash-Pool aufgenommen haben, nehmen einen
kurzfristigen Kredit bei Banken auf, um in der Lage zu sein, die Schulden beim Cash-
Pool zu begleichen. Die anderen Beteiligten des Cash-Pools erhalten ihre Einzahlungen
zurück.
Dies bietet den Vorteil, dass der Cash-Pool in der Bilanz nicht verrechnet werden
muss und somit ein großer Aufwand vermieden wird. Wechselkursschwankungen kön-
nen durch eine feste Konzernwährung minimiert werden.
Trotz der im Vorangegangenen beschriebenen wirtschaftlichen Vorteile bringt das
Pooling auch Risiken in rechtlicher Hinsicht mit sich. Die Gefahren für Mutter- und
Tochtergesellschaften bestehen in den Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken. Die regelmä-
ßigen Einzahlungen der Tochtergesellschaften in den Cash-Pool können sich im Hin-
blick auf die Richtlinien der Kapitalbeschaffung und der Kapitalerhaltung als kritisch
erweisen. Für die Muttergesellschaft kann das Risiko entstehen, dass der Cash-Pool als
Eigenkapitalersatz angesehen wird. Sollen an dem Pooling neben dem Euro auch andere
Währungen beteiligt werden, so gibt es zwei Verfahren. Entweder erhält jede Währung
ein eigenes Zentralkonto und das Pooling wird unabhängig voneinander durchgeführt
(sogenanntes „Single-Currency-Pooling“), oder es erfolgt eine fiktive Umrechnung
verschiedener Währungen in eine Basiswährung (sogenanntes „Cross-Currency-Poo-
ling“). Dabei ermittelt man die Salden pro Währung, rechnet sie anschließend in eine
Basiswährung um und der summierte Saldo ist letztlich ausschlaggebend für die Zins-
errechnung (vgl. Pentz und Sollanek 2005, S. 81).
Eine Sonderform des Cash-Poolings ist das „fiktive Cash-Pooling“. Hierbei erfolgt
die Verrechnung der Salden nur theoretisch. Hier findet kein tatsächlicher Geldtransfer
310 V. Lombeck
auf ein Zentralkonto statt. Die Salden der Unterkonten und somit die Vermögen der
Tochtergesellschaften bleiben unberührt und werden allein rechnerisch auf ein fiktives
Zentralkonto zusammengeführt. Auf Basis des von der Inhouse-Bank ermittelten valuta-
rischen Gesamtsaldos wird der Zinssatz ermittelt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der
günstigen Verzinsung; in der Praxis erfolgen keine Zahlungsströme und die Konzentra-
tion der Liquidität im Cash-Pool findet nicht statt. Das fiktive Pooling wird angewandt,
wenn ausländische Tochtergesellschaften daran beteiligt werden sollen und es nicht mög-
lich ist, physisches Pooling durchzuführen. Dies ist denkbar, sofern die Genehmigungen
zum Zahlungstransfer nicht gegeben sind, oder die Kosten für die Genehmigung den
Nutzen des Poolings übersteigen würden (vgl. Pentz und Sollanek 2005, S. 83).
Cash Concentration wird eingesetzt, um einen regelmäßigen Ablauf von Ein- und
Auszahlungen zu gewährleisten. Dabei ist das Ziel, die Konten der Tochtergesellschaften
innerhalb eines Wertrahmens zu halten. Dies geschieht, indem die Salden an ein Konto
der Muttergesellschaft übertragen werden.
Innerhalb dieses Systems werden verschiedene Hierarchien gebildet, die mindestens
zwei Stufen enthalten müssen. Die Fälligkeit der einzelnen Konten der Tochtergesell-
schaften wird vor jeder geplanten Verrechnung ermittelt. Man spricht vom sogenannten
Sweeping, wenn sich das Unterkonto im Haben befindet und seinen Saldo an das über-
geordnete Konto überträgt. Weist das Unterkonto hingegen einen Soll-Saldo auf, so
erhält es den erforderlichen Betrag zum Ausgleich von dem nächsthöheren Konto und
man spricht von Topping (vgl. Korts 2005, S. 6).
Die Voraussetzung für ein funktionierendes Cash-Concentration-System ist, dass die
Konten der Tochtergesellschaften einem Rahmenvertrag unterliegen.
Der Ablauf wird durch die Bestimmung der Kontenhierarchie definiert. Somit wird
festgelegt, welche Konten Cash in den Cash-Pool einzahlen müssen und welche Cash
aus dem Pool beziehen können. Der interne Finanzausgleich kann sehr schnell erfol-
gen, da keine Prüfung der Kreditfähigkeit notwendig ist. Dadurch besteht auch keine
Abhängigkeit von externen Geldgebern. Durch einen Cash-Pool besteht auch die
Möglichkeit, den Gewinn zu verschieben. Durch die Verbuchung des Zinsaufwandes
kann in einem Land mit einer hohen Steuerbelastung der Gewinn gesenkt werden und
der Erlös wird versteuert in einem Land mit einer geringen Steuerlast. Die Mitarbeiter
des Cash-Pools verfügen über Fachkompetenzen, da es sich um Personen mit Fach-
kenntnissen der Branche handelt. Dadurch entsteht im Mutterunternehmen ein zentrales
Kompetenzcenter. Ein Nachteil kann aber für die Tochtergesellschaften darin bestehen,
dass eine größere Kontrolle durch die Muttergesellschaft erfolgt.
12.1.5 Cash-Verwaltung
12.1.5.1 Treasury
Der Treasurer ist eine Position des Finanzvorstands, der die Steuerung der Zahlungsvor-
gänge, wie die tägliche Finanzdisposition und das Kontrollieren der Liquiditätsreserven,
12 Liquiditätsmanagement 311
als Aufgabe hat. Er vertritt die finanziellen Funktionen des Unternehmens nach außen.
Der Bereich Treasury setzt sich aus den Komponenten Cash-Management, Treasury-Ma-
nagement, Darlehensverwaltung und Marktrisiko-Management zusammen. Aufbauend
auf den aktuellen Liquiditäts- sowie Risikoanalysen trifft der Treasurer, unter Berück-
sichtigung der Konditionen an den Geld- und Kapitalmärkten, die Entscheidung über die
künftigen Finanzanlagen bzw. -aufnahmen des Unternehmens und konkretisiert diese als
Finanzgeschäfte im Treasury-Management. Ziel des Treasury-Managements ist es, die
Verwaltung von Finanzgeschäften und -beständen vom Handel über die Abwicklung bis
zur Überleitung in die Finanzbuchhaltung zu unterstützen.
12.1.5.2 Cash-Management-System
Die Zielsetzung des Systems ist der optimale Liquiditätsausgleich durch kosten-
günstige Sicherung der Zahlungsfähigkeit zu jedem Zeitpunkt des Planungszeitraums.
Voraussetzung für die Anwendung des CMS ist, dass alle Konten ausschließlich von
der dienstleistenden Bank unterhalten werden, alle Kreditinstitute, bei denen die Kon-
ten geführt werden, die Daten in das fremde Netz einspeisen, oder eine internationale
Unternehmung mehrere CMS gleichzeitig benutzt. Die Kosten für die Anwendung des
Systems sind die Abschreibung oder Leasingraten für Terminal und Software und die
Nutzungsgebühren für das Übertragungsnetz. Die Kosten sind relativ hoch und man
muss vor der Einführung prüfen, ob sich das System rentieren kann.
Wichtig bei den Cash-Management-Systemen ist die Datensicherheit. Es darf kein
Dritter Zugang zu den Kontoinformationen haben oder in der Lage sein, Transaktionen
durchzuführen.
Importe und Exporte können einen erheblichen Einfluss auf die Liquidität nehmen.
Bilanzansätze in Fremdwährung werden umgerechnet.
12.2 Währungsrisiko
Früher neigten Investoren dazu, Geschäfte nur in heimischer Währung zu tätigen. Auch
die Anlageinstrumente wurden nach diesem Prinzip gewählt. Dieses Verhalten wird als
12 Liquiditätsmanagement 313
Home Bias (Heimatmarktneigung) bezeichnet und kann auch heute noch besonders auf
dem Aktienmarkt beobachtet werden. Zur Risikostreuung wird zwar eine Verteilung
des Anlagekapitals im Portfolio auf unterschiedliche Anlageklassen empfohlen, jedoch
wird beobachtet, dass Anleger ihren Heimatmarkt überproportional bevorzugen (vgl.
Schierenbeck und Wöhle 2008, S. 455 ff.). Für Länder, deren Angebot- und Nachfrage-
verhältnis auf dem inländischen Kapitalmarkt zum Ausgleich gebracht wurden (z. B.
Deutschland und Frankreich), stellte dies kein Problem mehr dar. Durch die Unter-
stützung von Universalbanken und durch Einlagen der Bankkunden selbst, konnten
ansässige Unternehmen mit Krediten versorgt werden (vgl. Spremann 2008, S. 210).
Für andere Länder (z. B. Österreich) stellte diese Segmentierung der Kapitalmärkte
jedoch ein Problem dar, da es zum Ausbau der Infrastruktur des Landes ebenfalls Staats-
anleihen benötigte, diese jedoch nicht durch die Bevölkerung gedeckt werden konn-
ten. Das Land war daher gezwungen, Kapital in anderen Ländern aufzunehmen. Zwar
waren die Kapitalgeber bereit österreichische Anleihen zu zeichnen, jedoch nicht in
Schilling, sondern in der jeweiligen Referenzwährung der Gläubiger. Durch die Globali-
sierung und die Internationalisierung der Handelsgeschäfte und Kapitalmärkte sehen
sich Unternehmen heutzutage den Währungsrisiken ausgesetzt. Diese Risiken führen zu
zusätzlichen Kosten, deren Minimierung ein Ziel des Risiko- und Finanzmanagements
international tätiger Unternehmen ist (vgl. Spremann 1994, S. 3). In diesem Zusammen-
hang der Währungsrisiken und der Währungskostenminimierung kann zwischen drei
Risiken unterschieden werden: Das Translationsrisiko, das Transaktionsrisiko und öko-
nomische Risiken. Das Währungsrisiko ist insbesondere für Unternehmen mit einem
hohen Exportanteil und bei Devisenschwankungen von einer hohen Bedeutung. Durch
schwankende Währungen wird die Liquidität eines Unternehmens direkt beeinflusst. Es
gibt unterschiedliche Methoden, dieses Risiko zu minimieren.
Das Translationsrisiko ist eine Problematik, die durch die Umrechnung der in Fremd-
währung aufgestellten Bilanz der Tochtergesellschaft in die Referenzwährung des Mutter-
konzerns entstehen kann. Es stellt sich hierbei die Frage, welche Umrechnungsmethode
anzuwenden ist. Diese orientiert sich an der Festlegung der funktionalen Währung des
Tochterunternehmens. Meist ist die Heimatwährung des Tochterunternehmens auch des-
sen funktionale Währung. In diesem Fall wird die Stichtagsmethode angewendet, bei
der die Bilanzpositionen mit dem Kurs des Bilanzstichtages umgerechnet werden. Hier-
von ausgenommen ist nur das Eigenkapital der Tochter, das zu historischen Kursen der
Entstehungszeitpunkte umgerechnet wird. Durch die unterschiedlichen Wechselkurse
kann es zu einer Umrechnungsdifferenz kommen, die entweder Währungsverluste oder
Währungsgewinne darstellt (vgl. Jokisch 1987, S. 101). Die Umrechnung findet jedoch
nur auf dem Papier statt, wodurch es sich um ein latentes Risiko handelt, da es nicht
zwingend eine Veränderung der finanziellen Situation des Unternehmens erwirkt. Auch
ist zu beachten, dass es sich bei diesen Werten um Vergangenheitswerte handelt.
314 V. Lombeck
Das Transaktionsrisiko befasst sich mit zukünftigen sowie alltäglichen Ein- und Aus-
zahlungen in einer Fremdwährung und dem Risiko von Wechselkursschwankungen. Das
Transaktionsrisiko liegt häufig bei langfristigen Geschäften im Bereich der Großprojekte
vor. Durch die hohen Werte und besonders durch lange Lauf- und Finanzierungszeiten
entsteht das Risiko der Währungsschwankungen. Ist ein Vertrag über die Bezahlung in
einer Fremdwährung abgeschlossen, spricht man somit vom Transaktionsrisiko (vgl.
Stocker 2006, S. 328). Die künftige Einzahlung verändert den Cashflow des Unter-
nehmens. Das Risiko besteht in der Möglichkeit von Verlusten aufgrund von Wechsel-
kursschwankungen. Da die Einzahlung nach Termin und Höhe feststeht, ist der künftige
Wechselkurs die einzige Risikokomponente. Beispielsweise bietet ein deutscher Unter-
nehmer in Amerika seine Produkte für zehn Mio. US-Dollar an. Zum Zeitpunkt der
12 Liquiditätsmanagement 315
Bestellung lag der Wechselkurs so, dass der Unternehmer einen Gewinn von einer
Mio. Euro kalkuliert hat. Bis der Käufer jedoch das Produkt bezahlt, verändert sich
der Wechselkurs aufgrund eines schwachen Euros. Der Unternehmer erhält nur noch
7,5 Mio. Euro und erwirtschaftet einen Verlust.
Man erkennt, dass das Transaktionsrisiko im Gegensatz zu dem Translationsrisiko
zahlungswirksam ist, also Einfluss auf den Cashflow hat. Es kann zu einer Gewinn-
schmälerung führen.
Dieses Risiko tritt im operativen Geschäft des Unternehmens durch zeitliche Diffe-
renzen zwischen Auftragsannahme bzw. Bestellung und Bezahlung des Kunden auf.
Natürlich kann dieses Risiko sich auch positiv auswirken, wenn die Wechselkurse
sich vorteilhaft aus Sicht des Verkäufers entwickeln.
Jedoch wird das Transaktionsrisiko von den meisten Unternehmen durch Geschäfte
am Finanzmarkt abgesichert. Im Rahmen des Transaktionsrisikos ist es von wesentlicher
Bedeutung zu verstehen, dass das Risiko durch exogene Einflussfaktoren, z. B. Wechsel-
kurse, verursacht wird, die von einem Unternehmen nicht beeinflussbar sind. Daher ist
es wichtig, gegebenenfalls eine frühzeitige und umfassende Risikoabsicherung vorzu-
nehmen. Somit stellt sich die Frage, ob das Risiko abgesichert werden soll, inwieweit es
abgesichert wird und welche Instrumente sinnvoll sind, um den gewünschten Grad der
Absicherung zu erreichen. Hierzu ist eine Kosten-Nutzenanalyse erforderlich.
Unternehmen reagieren unterschiedlich auf das Transaktionsrisiko. Dies liegt an ver-
schiedenen Risikoeinstellungen. Ein Unternehmer kann risikoavers, das Risiko mei-
dend, oder risikofreudig eingestellt sein. Risikoavers bedeutet, dass das Risiko bei der
Planung nicht mitberücksichtigt und neutral behandelt wird. Risikomeidend bedeutet
daher, dass alle Risiken abgedeckt werden. Dies geschieht in der Regel durch Ver-
sicherungen. Risikofreudig sind Unternehmen, die das Risiko auf sich nehmen und nicht
absichern lassen. Strebt man eine absolute Risikovermeidung an, ist das Hauptanliegen
der Ausschluss von Wechselkursrisiken. Weitere Absicherungsmöglichkeiten bestehen
z. B. durch die vertragliche Vereinbarung eines festen Wechselkurses, oder in der Wäh-
rung des Landes, in dem der Lieferant seinen Sitz hat. Verträge sind dann in Heimat-
währung abzuschließen, Gegenforderungen vom Vertragspartner werden zugunsten der
Absicherung in Kauf genommen. Eine weitere Absicherungsmöglichkeit besteht in vor-
her vereinbarten Termingeschäften. Ein Forderungsverkauf durch Factoring würde eben-
falls das Risiko minimieren, führt aber zu höheren Kosten.
Meist erfolgt die Absicherung durch Devisentermingeschäfte und Zinsarbitrage, oder
es wird ein geringes Risiko offengelassen. Hauptanliegen ist hier der Verkauf der Pro-
dukte. Absicherung ist wichtig, aber zweitrangig. Ist man der Ansicht, dass sich Gewinne
und Verluste im Zeitverlauf ausgleichen, ist es nicht weiter nötig, sich mit dem Trans-
aktionsrisiko zu beschäftigen. Man pflegt eine sogenannte Laissez-faire-Einstellung.
Die Wechselkursschwankungen können aber auch ausgenutzt werden, um zusätzliche
Gewinne zu erzielen. Es handelt sich dann nicht mehr um eine Absicherung, sondern um
bewusste Spekulationen (vgl. Stocker 2006, S. 334 f.).
316 V. Lombeck
Im Gegensatz zum Translationsrisiko befasst sich das ökonomische Risiko mit der
gesamten Unternehmenssituation und Geschäftslage. Es beschreibt die langfristige Ver-
änderung des Cashflows unter Betrachtungen der Finanzströme bei unterschiedlichen
Währungskursszenarien. Es wird zur Langzeitbetrachtungen der finanziellen Unter-
nehmenssituation verwendet. Im Rahmen des ökonomischen Risikos liegen keine
Verträge vor, die eine genauere Planung der Finanzströme ermöglichen. Daher sind
Risikoanalysen und mögliche Risikoabsicherungen weitaus komplexer. Außerdem
betrachtet das ökonomische Risiko die Auswirkungen von Wechselkursschwankungen
auf andere wirtschaftliche Faktoren, wie Preis, Menge und Kosten. Erneut wird die
Vielschichtigkeit des Risikos deutlich (vgl. Totzauer 2006, S. 6 f.). Daher reicht eine
Umrechnung von Fremd- in Referenzwährung zur Betrachtung des Risikos nicht aus.
Vielmehr gewinnen Preis-, Mengen- und Kostenreaktionen auf die Veränderungen der
Wechselkurse an Bedeutung, um den Unternehmenswert, die Marktanteile und Wett-
bewerbsfähigkeit eines Unternehmens langfristig zu ermitteln, zu planen und zu steigern.
Hier zeigt sich auch die Hauptproblematik des ökonomischen Risikos. Die Ermittlung
der Risiken setzt eine umfassende, unternehmensweite Analyse voraus. Die Planbar-
keit der verschiedenen Einflussfaktoren wird als besondere Schwierigkeit angesehen.
Soll das Währungsrisiko erfolgreich ermittelt werden, müssen alle Bereiche des Unter-
nehmens, die Einfluss auf Preis, Menge, Beschaffung und Finanzierung der Güter haben,
mit einbezogen werden. Die, durch die Umrechnung von Fremd- in Referenzwährung,
erzielten Gewinne oder Verluste beschreiben den sogenannten Umrechnungseffekt. Bei
Abwertung der Fremdwährung entsteht ein Gewinnverlust für das exportierende Unter-
nehmen.
Das ökonomische Risiko betrachtet z. B. die Möglichkeit einer Preissteigerung auf
dem Exportmarkt. Es kann aus zwei Entwicklungen des Devisenmarktes entstehen. Zum
einen, wenn die inländische Währung aufwertet und zum anderen, wenn die Währung
eines Landes mit Sitz der Konkurrenz abwertet. Beides führt dazu, dass die Produkte des
inländischen Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz teurer sind. Die eigene Wett-
bewerbsfähigkeit wird gemindert.
Auswirkungen lassen sich eher mittel- bis langfristig feststellen. Eine direkte Sicht-
barkeit der Tendenz ist nicht vorhanden. Wenn das Unternehmen diesen Trend früh-
zeitig erkennt, kann ein aktives Risikomanagement betrieben und der Schaden begrenzt
werden.
Bedingt durch die Abwertung der Fremdwährung werden Umsatzverluste erzielt,
da man umgerechnet einen geringeren Betrag in der Referenzwährung erhält. Als Kon-
sequenz versucht man, die Preise im Exportland zu erhöhen. Dies ist nur dann durch-
setzbar, wenn der Wettbewerb eine Anhebung des Preises zulässt, sodass entweder die
Konkurrenz ebenfalls Anpassungen vornimmt oder eine ausreichend starke Markt-
position vorhanden ist. Setzt das Unternehmen eine Preisanpassung durch, so kann dies
12 Liquiditätsmanagement 317
eine sinkende Absatzmenge auf dem Exportmarkt zur Folge haben. Dieser sogenannte
Mengeneffekt hat eine negative Auswirkung auf Umsatz und Cashflow des Unter-
nehmens. Das Unternehmen hat jedoch die Möglichkeit, positive Ergebnisse aus der
Wechselkursschwankung zu erzielen, indem es Güter aus dem betreffenden Ausland
bezieht, oder eine Produktionsverlagerung dorthin vornimmt. Dann stellt sich ein posi-
tiver Kosteneffekt ein. Das Unternehmen kann somit je nach Strategiewahl die negativen
Kosten- und Mengeneffekte mit positiven Kosteneffekten ausgleichen. Die derivativen
Instrumente ermöglichen keine langfristige Absicherung des ökonomischen Risikos.
Dies ist darin begründet, dass derivative Instrumente kurz- bis mittelfristiger Natur sind
und sich meist auf einen abgeschlossenen Vertrag beziehen. Deshalb ist es kritisch, ein
noch nicht vertraglich fixiertes Exportgeschäft mit einem Termingeschäft oder Ähn-
lichem abzusichern. Bei Eintritt von Planrevisionen besteht der Terminvertrag wei-
ter, obwohl die Grundlage nicht mehr vorhanden ist. Folglich stellt sich die Frage, wie
ökonomische Risiken nachhaltig und effektiv gehandhabt werden können. Aus einer
detaillierten Unternehmens- und Wettbewerbsanalyse werden strategische Handlungs-
möglichkeiten bestimmt. Die Unternehmensanalyse befasst sich mit der Frage, ob das
Unternehmen in mehreren Währungszonen vertreten ist, um auf diese Weise das öko-
nomische Risiko zu streuen. Zusätzlich werden die Länder untersucht, in denen die
Beschaffung und Produktion stattfindet. Die Wettbewerberanalyse setzt sich mit den
Auswirkungen der Wechselkursschwankungen auf die Konkurrenten auseinander. Ein
positiver Wechselkurs für die Konkurrenz kann zu einem höheren Preiswettbewerb
führen und so auf Cashflow und Marktanteile Einfluss nehmen. Die Analyse dieser
Effekte bildet die Grundlage für Reaktionsoptionen, die dem ökonomischen Risiko ent-
gegenwirken können. Es geht um die Fragestellung, inwieweit sich das Unternehmen
den Gegebenheiten des Marktes anpassen kann und sollte. So wird beispielsweise die
Möglichkeit einer Produktionsverlagerung betrachtet, um Kosten und Umsatz in glei-
cher Währung zu erwirtschaften. Der Kosteneffekt tritt ein. Folglich gleichen sich die
Gewinne und Verluste aus und die Risiken werden minimiert. Zusätzlich besteht die
Möglichkeit neue Zielmärkte zu erschließen, um nicht nur von einem Markt und einer
Währung abhängig zu sein. Des Weiteren kann eine Währungskostenminimierung
durch die Erschließung neuer Bezugsquellen in verschiedenen Ländern erzielt werden.
Dadurch kann das Unternehmen flexibel auf Währungskursschwankungen reagieren und
den positiven Kosteneffekt optimal ausschöpfen (vgl. Stocker 2006, S. 57 f.).
12.2.5.1 Derivative Finanzinstrumente
Derivate sind Finanzinstrumente, deren Wertigkeit an Handelsgüter, Vermögensgegen-
stände oder marktbezogenen Referenzgrößen gebunden sind. Ein zusätzlicher Einfluss-
faktor ist die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Gegebenheit, z. B. die Insolvenz
318 V. Lombeck
eines Unternehmens. Es sind Verträge, die vor dem Hintergrund dieser Einflussgrößen
geschlossen werden und festgelegte Bedingungen beinhalten. Dies gilt schwerpunktmä-
ßig in Bezug auf zukünftigen Kauf, Verkauf, Tausch oder alternative Wertausgleichs-
zahlungen (vgl. Hull 2005, S. 23 ff.).
Swaps
Bei diesem Finanzinstrument werden terminierte Verträge über den Austausch von
Kapitalbeträgen abgeschlossen, z. B. in unterschiedlichen Währungen (Währungsswaps),
oder Zinsverpflichtungen (Zinsswaps), beispielsweise der Tausch variabler gegen fixe
Zinsverpflichtungen (vgl. Krämer 1999, S. 75 ff.). Beim Währungsswap werden für
unterschiedliche Währungen feste Wechselkurse vereinbart. Ein Swap lohnt sich, wenn
starke Währungsschwankungen erwartet werden. Wenn Fremdwährungen zu einem spä-
teren Termin zu einem vereinbarten Umrechnungskurs gekauft oder verkauft werden,
bezeichnet man es als Devisentermingeschäft. Bei Devisenoptionen hat der Unternehmer
gegen Zahlung einer Prämie innerhalb eines Zeitraums das Recht Fremdwährung zu kau-
fen oder zu verkaufen (vgl. Jokisch 1987, S. 106).
Termingeschäfte
Termingeschäfte sind weit verbreitete Sicherungsinstrumente. Sie bieten die Möglich-
keit, den Wechselkurs bereits bei Vertragsabschluss festzulegen. Dies ermöglicht
eine genaue Feststellung der Höhe der künftigen Zahlungseingänge in der Referenz-
währung. Die Kurse können frei vereinbart werden. In der Praxis wird häufig der
aktuell vorliegende Kassakurs verwendet (vgl. Stocker 2006, S. 294). Sie lassen
sich nochmals unterteilen in: Optionen und Futures. Optionen sind bedingte Termin-
geschäfte, bei denen der Käufer das Recht erhält, einen Basiswert (z. B. Aktien)
innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (Amerikanische Option), oder zu einem
bestimmten Zeitpunkt (Europäische Option) zu einem bei Vertragsabschluss fixierten
Basiswert zu verkaufen (Put), oder zu erwerben (Call) (vgl. Christians 1988, S. 779).
Der Käufer zahlt dem Verkäufer bei Vertragsabschluss eine Prämie. Im Gegensatz
zur Option ist ein Future ein verbindliches Termingeschäft, bei dem der Erwerb bei
Fälligkeit erfolgt. Hierbei wird keine Prämie bei Vertragsabschluss gezahlt. Laufzeit,
Basiswert und Kaufpreis werden ebenfalls vorher festgelegt (vgl. Perridon und Steiner
2007, S. 309).
Leading/Lagging
Leading Beide Begriffe beschreiben die Währungsabsicherung durch den Zahlungs-
termin. Im Fall des Leadings wird der Zahlungstermin so früh wie möglich gelegt, um
einen besonders günstigen Kurs auszunutzen.
12 Liquiditätsmanagement 319
Lagging Lagging hingegen bedeutet den Aufschub einer Zahlung auf den spätesten
Termin. Hier wird auf günstige Wechselkurse spekuliert, oder die Absicherung eines
besonders ungünstigen, aktuellen Wechselkurses vorgenommen (vgl. Christians 1988,
S. 777).
Hermes Kreditversicherung
Die Euler Hermes SA ist eine Tochtergesellschaft der Allianz Group mit der für Deutsch-
land zuständigen Filiale Euler Hermes Kreditversicherungs-AG. Sie übernimmt für die
deutsche Bundesregierung die Absicherung von Ausfuhrkreditrisiken (vgl. Schierenbeck
und Wöhle 2008, S. 504). Hierbei entstehen Eventualverbindlichkeiten für den deutschen
Staat, da dieser sich zur Zahlung verpflichtet, wenn der ausländische Exportgeschäfts-
partner seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt. Dadurch schützt der Staat deutsche Unter-
nehmen vor Verlusten durch Exportgeschäfte.
Forfaitierung
Forfaitierung ist der Aufkauf einer Exportforderung durch einen Forfaiteur. Dieser über-
nimmt sowohl das Ausfallrisiko als auch das Währungsrisiko der Forderung. Das Unter-
nehmen leistet jedoch einen hohen Zins- und Sicherheitsabschlag, sodass beide Parteien
von dem Geschäft profitieren.
Fremdwährungskredite
Eine Möglichkeit der Absicherung ist die Aufnahme eines Fremdwährungskredits.
Im Detail bedeutet diese Absicherungsart die Aufnahme eines Kredits in der Vertrags-
währung. Auf diesem Weg erhält das Unternehmen den gewünschten Betrag zu dem
aktuellen Wechselkurs. Allerdings ist bei dieser Form der Absicherung zu beachten, dass
die Kreditzinsen und Gebühren für den Fremdwährungskredit in den Absatzpreis ein-
kalkuliert werden sollten.
Hedging
Das Wort Hedging kann von dem amerikanischen Wort „to hedge“ (absichern) abgeleitet
werden. Es handelt sich um ein Absicherungsgeschäft, dass die Risiken von zukünftigen
Basiswertschwankungen (z. B. Währungen) eingrenzen soll. Hierbei wird durch die Auf-
nahme eines Gegengeschäftes (meist Termingeschäft) versucht, das eigentliche Haupt-
geschäft abzusichern. Der Wertverlust des einen Geschäftes wird idealerweise durch
den Wertzuwachs des anderen Geschäftes ausgeglichen. Als einfaches Beispiel kann
320 V. Lombeck
das Währungshedging bei dem Export von Fahrzeugen genannt werden. Die Fahrzeuge
des Exporteurs werden in US-Dollar bezahlt. Durch einen Kursverlust des Dollars und
die starke Position des Euros müssten die Verkaufspreise erhöht werden, um die Pari-
tät der Wechselkurse auszugleichen. Um jedoch die Käufer nicht abzuschrecken, kann
das Hedging angewendet werden, indem Termingeschäfte abschlossen werden, mit
denen man sich vor zukünftigen Kursschwankungen absichern kann. Besteht nun ein
Auftrag des Exporteurs, so kann ein Termingeschäft schon heute mit dem aktuellen Kurs
abgeschlossen werden. Eine Bank errechnet nun den durchschnittlichen fixen Termin-
kurs und garantiert diesen Kurs für das festgelegte Fälligkeitsdatum. Bei Lieferung der
Fahrzeuge erhält der Exporteur den Kaufpreis in US-Dollar. Dieser kann nun bei der
Bank zum fixierten Kurs eingetauscht werden.
Fakturierungen
Die Fakturierung der Währung bedeutet, dass ein Geschäft in der Referenzwährung
abgeschlossen wird. In der Eurozone wird der größte Teil der Exporte und der Importe
auf diese Weise abgesichert.
Gegenseitige Wechselkursgarantie
Zwei voneinander unabhängige Unternehmen in zwei verschiedenen Währungszonen
(z. B. in Deutschland und den USA) tätigen Geschäfte in der Währungszone des jeweils
anderen Unternehmens. Sie versichern sich gegenseitig bei einer Änderung des Wechsel-
kurses die dadurch entstehenden Verluste des einen mit den Gewinnen des anderen
Unternehmens auszugleichen (vgl. Wermuth und Ochynski 1987, S. 121).
Warenkredite
Es gibt Länder, in denen es für ausländische Firmen nur sehr schwer oder nicht mög-
lich ist, Kredite aufzunehmen (z. B. aufgrund von Gesetzen). Bestehen nun für Unter-
nehmen aufgrund von Exportgeschäften Forderungen in diesen Ländern, bietet es sich
an, dort Waren zu kaufen, die das eigene Unternehmen braucht, oder die ohne Wert-
verlust schnell wieder zu veräußern sind. Diese Waren werden auf Ziel gekauft, sodass
12 Liquiditätsmanagement 321
hierdurch ein Lieferantenkredit aufgenommen wird. Dieser wird später mit Forderungen
beglichen (vgl. Wermuth und Ochynski 1987, S. 122).
Kompensationsgeschäfte
Der Verkäufer lässt sich die Ware nicht mit Geld, sondern ebenfalls mit Waren ver-
güten. Durch diese Maßnahme entfällt das Problem der Wechselkursschwankungen. Die
erworbenen Waren müssen importiert und in einer einheimischen Währung verkauft oder
verarbeitet werden. Der Käufer braucht keine Liquidität (vgl. Wermuth und Ochynski
1987, S. 122).
Eine Insolvenz ist häufig die Folge von Krisen, die vorher vorhanden waren. Häufig
reagieren Unternehmen erst verspätet auf den Eintritt von Krisen. In der Betriebs-
wirtschaft reihen sich die strategische Krise, die Ergebniskrise sowie die Liquiditäts-
krise hintereinander. Das visualisiert auch Abb. 12.5. Gelingt es dem Unternehmen
nicht, im Rahmen eines Turnarounds vom Misserfolgspfad umzukehren, so folgt die
Insolvenz.
322 V. Lombeck
Die strategische Krise ist häufig die erste Stufe der Krisen. Die Gründe der Krise können
sehr unterschiedlich begründet sein. Die strategische Krise ist schwer zu erkennen, da
finanzielle Kennzahlen sich nur wenig verändern (vgl. Seefelder 2007, S. 80). Die Ver-
änderungen der Kennzahlen finden häufig erst in der Ergebniskrise statt.
Durch eine Veränderung des Marktes verändert sich die Nachfrage. Durch eine fal-
sche Produktpolitik werden Produkte angeboten, die der Markt nicht mehr abnimmt. Es
gibt keine Stars oder Cash-Cows mehr. Die Folge ist ein Verlust der Marktanteile und
der daraus folgende Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Durch die fehlenden Umsatz-
erlöse und der häufig vorhandenen speziellen Kundenwünsche, nehmen die durch-
schnittlichen Lagerbestände zu. Die Lagerumschlagshäufigkeit wird dadurch geringer.
Ein weiterer Indikator der Strategiekrise ist eine fehlende, oder nicht mehr aktuelle,
Unternehmensstrategie. Durch die Veränderungen der Märkte müssen die Strategien
angepasst werden. Gerade die Internationalisierung, der Kauf über das Internet, oder
eine Verstärkung der Logistik, führen zu einer Veränderung des Marktes. Somit muss
die Strategie den Marktveränderungen entsprechend angepasst werden. Strategische Kri-
sen entstehen auch durch eine schwache Position im Rahmen der Forschung und Ent-
wicklung. Neue Produkte werden nicht mehr auf dem Markt angeboten. Es sind nur
noch relativ alte Produkte auf dem Markt. Die Anzahl der Fehlentwicklungen steigt.
Neue Anbieter oder neue Produkte kommen auf den Markt. Fehlende Investitionen füh-
ren zu einem Verlust der Marktanteile, wenn die Konkurrenz die Forschung und Ent-
wicklung effektiver und erfolgreicher betreibt. Notwendige Investitionen werden nicht
mehr durchgeführt, da die vorhandenen Maschinen durch die Umsatzrückgänge nicht
ausgelastet sind. Das Nettoumlaufvermögen steigt. Die Kapitalumschlagshäufigkeit
sinkt, da mehr Kapital gebunden ist. Die Durchlaufzeiten der Aufträge erhöhen sich.
12 Liquiditätsmanagement 323
Die Kundenzufriedenheit sinkt und die Reklamationen der Kunden steigen. Wichtige
Kunden wechseln zur Konkurrenz, da dort die Produkte qualitativ besser oder preis-
werter sind. Gute Mitarbeiter wechseln ebenfalls zur Konkurrenz, um neue Produkte zu
entwickeln oder zu verkaufen. Um zu erkennen, ob es sich um eine strategische Krise
handelt, können Kundenbefragungen oder interne Mitarbeiterbefragungen stattfinden.
Durch die Befragungen kann festgestellt werden, ob am Markt vorbei produziert wird.
Da noch Liquidität und Marktanteile vorhanden sind, kann ein frühzeitiger Turnaround
erfolgen. Wichtig ist, dass in dieser Phase schon Banken mit einbezogen werden, damit
notwendige Kredite genehmigt werden. Um einer strategischen Krise zu entgehen, müs-
sen Kontrollmaßnahmen durchgeführt werden. Eine Möglichkeit wäre das Einrichten
einer BCG-Matrix. Dabei kann festgestellt werden, wie hoch der Marktanteil und das
Erfolgspotenzial der Produkte ist. Die Absatzkennzahlen der Produkte und der Markt-
segmente werden ebenfalls hinsichtlich der Veränderungen geprüft. Die Produktion wird
der Nachfrage angepasst. Produkte mit den höchsten Deckungsbeiträgen werden zeitnah
produziert. Die Kostenstruktur muss dahin gehend überprüft werden, ob Einsparungs-
potenziale vorhanden sind. Das Unternehmen muss marktorientiert aufgebaut wer-
den. Die Wertekette wird hinsichtlich produktiver und unproduktiver Prozesse geprüft.
In- oder Outsourcing-Prozesse sind durchzuführen. Die vorhandenen Ressourcen sind
anzupassen, damit marktgerecht produziert werden kann. Maßnahmen, die für Ver-
änderungen notwendig sind, müssen definiert werden und im Rahmen einer Einteilung
nach Wichtigkeit sortiert werden. Mit Fremd- und Eigenkapitalgebern wird über Finan-
zierungsmaßnahmen gesprochen.
12.3.2 Ergebniskrise
Durch die Strategiekrise sind die Umsätze gesunken. Die Gewinne sind rückläufig.
Dadurch verändert sich die Eigenkapitalrentabilität. Um investieren zu können, muss
Eigen- oder Fremdkapital aufgenommen werden.
Durch den Rückgang des Umsatzes sinkt die Umsatzrentabilität. Die gesamten Fix-
kosten verringern sich nicht so schnell wie der Umsatzrückgang. Fristenkongruenzen
werden nicht mehr eingehalten. Fristenkongruenz bedeutet, dass die Finanzierungs-
dauer identisch mit der Investitionsdauer sein soll. Der Deckungsbeitrag sinkt durch
eine Minderung des Stückpreises auf dem Markt. Im Rahmen der Erfolgskrise geht der
Gewinn zurück und Verluste entstehen. Durch Verluste sinkt die Eigenkapitalquote und
die Fremdkapitalquote steigt. Bei Kapitalgesellschaften werden Rücklagen aufgelöst.
Um die Verluste auszugleichen, werden kreative Bewertungsmethoden entwickelt.
Rückstellungen werden aufgelöst, um Verluste auszugleichen. Bei Bewertungsalter-
nativen durch Bewertungswahlrechte werden Verluste nicht, oder geringer, ausgewiesen.
Abschreibungen werden vermindert, oder die Nutzungsdauer wird erhöht. Häufig ist der
größte Teil des Anlagevermögens komplett abgeschrieben. Dies führt nicht zu einem
Liquiditätszugang, sondern nur zu einer Erhöhung des Gewinns, oder einer Reduzierung
324 V. Lombeck
12.3.3 Liquiditätskrise
nicht mehr klar definiert werden. Die Folge ist, dass die Fluktuation steigt. Gute Mit-
arbeiter und potenzielle Leistungsträger suchen sich bei anderen Unternehmen einen
neuen Job, damit die eigene Existenz gesichert ist. Potenzielle Mitarbeiter gehen zu
anderen Firmen, die solide im Wettbewerb stehen. Der Krankenstand erhöht sich durch
Verunsicherungen. Fehlende Arbeit führt zu Personalüberhängen. Die typischen Flur-
gespräche nehmen zu.
Es fehlt häufig eine integrierte Liquiditätsplanung. Im Rahmen der Liquiditäts-
planung werden die Ein- und Auszahlungen erfasst. Die Planung erfolgt rollierend,
indem Veränderungen sofort erfasst werden. Dabei können auch typische Schwankungen
berücksichtigt werden. Hierzu zählen auch saisonale Schwankungen der Erlöse. Dies gilt
z. B. bei Branchen wie der Land- und Forstwirtschaft, Skiindustrie und Tourismuswirt-
schaft. Wird Weihnachts- oder Urlaubsgeld bezahlt, so sind auch diese bei den saisonalen
Auszahlungen zu berücksichtigen.
Es gibt verschiedene Maßnahmen, um aus der Liquiditätskrise herauszukommen.
Auszahlungen werden nach hinten verschoben und Einzahlungen beschleunigt. Statt
Investitionen könnten Leasingverträge abgeschlossen werden. Dies führt zwar zu höhe-
ren Kosten, die Auszahlungen werden aber verschoben. Zahlungsziele werden geändert.
Kunden erhalten kürzere Zahlungsziele und mit Lieferanten werden längere Zahlungs-
ziele vereinbart. Wenn liquide Mittel vorhanden sind, kann von Eingangsrechnungen
Skonto abgezogen werden. Die Rechnungen müssen zwar schneller bezahlt werden, die
Auszahlungen werden dadurch allerdings geringer. Einkaufskonditionen können durch
Bündelungsmaßnahmen verbessert werden. Büromaterial könnte z. B. ausschließlich
über einen Anbieter bezogen werden, um Mengenrabatte zu erhalten. Mit den Banken
erfolgen Verhandlungen hinsichtlich der Kreditrückzahlung. Durch eine Verlängerung
der Laufzeiten der Kredite vermindert sich der Liquiditätsabgang. Dies ist mit einer
höheren Zinsbelastung für die gesamte Laufzeit des Kredits verbunden. Um Bankkosten
zu sparen, können Überweisungen an Lieferanten gebündelt werden. Durch die kurzen
Zahlungsziele mit Kunden erfolgt der Liquiditätszugang wesentlich früher. Nicht not-
wendiges Betriebsvermögen wird verkauft, um eine bessere Liquidität zu erhalten.
Forderungen können auch durch Factoring verkauft werden. Es erfolgt ein vorzeitiger
Cash-Zugang. Risiken durch den Devisenhandel können abgesichert werden, damit
der Liquiditätsabfluss im Rahmen der Liquiditätsplanung genau erfasst werden kann.
Anteilseigner können das Eigenkapital erhöhen, um liquide Mittel ins Unternehmen zu
bringen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Kreditaufnahme, die durch das Firmen-
vermögen gesichert ist. Bürgschaften der Anteilseigner, oder Grundbucheintragungen
im Privatvermögen, können zur Absicherung der Kredite dienen. Mezzanine-Kapi-
tal kann als Liquiditätszugang genutzt werden. Durch eine stille Beteiligung erfolgt
ein Liquiditätszugang. Die Eigentümer haben die Möglichkeit des Nachrangdarlehens.
Wandel-Optionsanleihen oder Genussscheine können ausgegeben werden, um liquide
Mittel zu erhalten.
Die Interessenlage der Stakeholder zur Unternehmenserhaltung ist sehr unter-
schiedlich. Kreditgeber möchten den Kredit und die Zinsen erhalten. Mitarbeiter haben
326 V. Lombeck
12.4 Fazit
Literatur
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328 V. Lombeck
Prof. Dr. Volker Lombeck ist seit 2006 als freiberuflicher Dozent
an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management tätig.
Hauptberuflich ist er bei der Siemens AG beschäftigt und hält Vor-
lesungen für Bachelor-Studierende im Kooperations-Studiengang
mit der FOM. Sein MBA-Studium und seine Promotion führte er an
der Leuphana Universität in Lüneburg durch. Die Schwerpunkte sei-
ner Lehr- und Interessengebiete liegen in den Bereichen Manage-
ment Basics, Sanierung und Restrukturierung.
Teil V
Sättigungsphase
des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus
330 Teil V Sättigungsphase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus
S. Krause (*)
KS Rechtsanwälte & Notare GbR, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 331
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_13
332 S. Krause
Inhaltsverzeichnis
13.1 Einleitung
Abb. 13.1 zeigt, dass die Zahl der Insolvenzen regelmäßig steigt und fällt. Es handelt
sich dabei um eine Wellenbewegung. Sie folgt den wirtschaftlichen Zyklen in der
erkennen. Seit dem Jahr 2009 hingegen gab es einen rasanten Anstieg der Gesamtschäden,
was im Wesentlichen mit den Insolvenzverfahren mehrerer Großunternehmen wie der
Arcandor AG und der TelDaFax AG etc. zu tun hat. Deshalb nahmen die Gesamtschäden
bei insgesamt abnehmenden Unternehmensinsolvenzen zu. Aus der Statistik „Schaden
je Insolvenzfall“ kann man ableiten, dass die Schäden trotz der Zu- und Abnahme der
Anzahl der Unternehmensinsolvenzen durchschnittlich betrachtet gleich bleiben. Eine
Ausnahme bildet das Jahr 2009, wo es aufgrund der Großinsolvenzverfahren zu deutlich
erhöhten Gesamtschäden und damit Schäden je Insolvenzfall gekommen ist.
Unter den privaten Schäden versteht man den Forderungsausfall, den ein Unter-
nehmen erleidet, weil z. B. sein Kunde die ausstehende Rechnung nicht mehr bezahlt.
Davon zu unterscheiden sind die öffentlichen Schäden, die in der Regel 50 % der pri-
vaten Schäden ausmachen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um den Ausfall von
Steuern und Sozialbeiträgen.
Abb. 13.3 belegt: Je mehr Beschäftigte in einem Unternehmen tätig sind, desto
geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Unternehmen in die Insolvenz gerät.
Der Grund hierfür liegt darin, dass personalintensive Unternehmen aufgrund ihrer
Größe regelmäßig über eine größere Eigenkapitalquote verfügen und deshalb bei dem
Eintritt der Krise mehr Substanz haben, um diese zu beseitigen. Darüber hinaus ver-
fügen größere Unternehmen über eigene Abteilungen der Risikofrüherkennung, sodass
Unternehmenskrisen frühzeitiger erkannt und die erforderlichen Maßnahmen ergriffen
werden können, um den Turnaround erfolgreich einzuleiten. Die Statistik zeigt, dass
insbesondere Kleinstunternehmen mit einem bis fünf Mitarbeitern gut 80 % der Unter-
nehmensinsolvenzen ausmachen, während Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern
statistisch gesehen ein Insolvenzrisiko bei drei Prozent aufweisen.
Auch eine Betrachtung der Insolvenzen nach Umsatzgrößenklassen entspricht dem
vorgenannten Schaubild. Je größer der Umsatz eines Unternehmens ist, desto geringer ist
die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen ein Insolvenzverfahren beantragen muss.
Abb. 13.4 belegt, dass gerade Start-ups besonders häufig von Unternehmens-
insolvenzen betroffen sind. Mit dem Betriebsalter nimmt die Insolvenzwahrschein-
lichkeit stetig ab. Die Besonderheit im Jahre 2017 lag darin begründet, dass mehr
Unternehmen mit einem Unternehmensalter von mehr als zehn Jahren das Insolvenzver-
fahren beantragen mussten.
Abb. 13.5 zeigt die Risikobranchen, in denen im Jahr 2017 die meisten Insolvenzver-
fahren beantragt wurden. Diese Statistik zeigt, dass im Wesentlichen die Bereiche Logis-
tik, Baugewerbe und Dienstleistungen sowie Handel von Insolvenzverfahren bedroht
Als Insolvenz bezeichnet man die Situation eines Unternehmens (Schuldner), wenn die-
ses seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht nachkommen
kann. Gründe für die Insolvenz sind die (drohende) Zahlungsunfähigkeit und die Über-
schuldung.
Das Insolvenzverfahren ist in der Insolvenzordnung (InsO) geregelt. Diese trat am
01.01.1999 in Kraft und löste damit die Konkursordnung ab. Der Gesetzgeber verfolgte mit
der Einführung der Insolvenzordnung verschiedene Ziele. Ein Ziel war die Verhinderung
der sogenannten Massearmut. Um ein Insolvenzverfahren eröffnen zu können, muss
13 Insolvenzrecht 337
sichergestellt sein, dass die Kosten, die durch ein solches Verfahren entstehen, von dem
insolventen Unternehmen aufgebracht werden können. Hierzu gehören die Gerichtskosten,
die Vergütung und Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und der Mitglieder des
Gläubigerausschusses.
Zu Zeiten der Konkursordnung versuchten viele Geschäftsführer bzw. Vorstände, die
letzten liquiden Mittel im Unternehmen zu beseitigen, z. B. durch Bezahlung offener
Rechnungen. Damit verhinderten sie, dass die Kosten des Konkursverfahrens gedeckt
waren und das Konkursverfahren wegen „Massearmut“ nicht eröffnet werden konnte.
Damit konnten auch keine Anfechtungsansprüche wegen Vermögensverschiebungen
(z. B. die Schenkung einer Immobilie an Familienangehörige) und Schadenersatzan-
sprüche gegenüber der Geschäftsleitung wegen Managementfehlern geprüft und vom
Konkursverwalter durchgesetzt werden. Deshalb setzte der Gesetzgeber die Gerichts-
kosten und die Mindestvergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters besonders
niedrig an, sodass ein Insolvenzverfahren in der Regel eröffnet werden kann, wenn das
Vermögen des insolventen Unternehmens (sogenannte Insolvenzmasse) mindestens
2000 EUR beträgt oder durch die Durchsetzung von Anfechtungs- und Schadenersatzan-
sprüchen erreicht werden kann. Es kann vorweggenommen werden, dass dieses Ziel des
Gesetzgebers erreicht wurde.
Vor dem 01.01.1999 gab es neben dem Konkursverfahren noch die Vergleichs-
ordnung. In diesem, dem Konkursverfahren vorgeschalteten Verfahren, sollte versucht
werden, eine Einigung unter den Gläubigern des insolventen Unternehmens durch einen
Vergleich, der in der Regel mit einem Forderungsverzicht verbunden war, zu erreichen.
Dies scheitert jedoch meistens daran, dass einige Gläubiger nicht einigungsbereit waren.
Danach blieb dem insolventen Unternehmen nur noch die Möglichkeit, das Konkursver-
fahren zu beantragen, was die zwangsweise Schließung, die sogenannte Liquidation zur
Folge hatte, obwohl in zahlreichen Fällen eine Sanierung des Unternehmens aussichts-
reich gewesen wäre.
Die Insolvenzordnung ersetzte beide Verfahrensarten. Das Ziel des Insolvenzver-
fahren ist es, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem
das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenz-
plan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen
wird (§ 1 InsO). Da die Sanierung des Unternehmens in der Regel zu den höchsten
Befriedigungsquoten bei den Gläubigern führt, ist es die primäre Aufgabe des Insolvenz-
verwalters zu prüfen, ob das Unternehmen mittels eines Insolvenzplans zu sanieren ist.
Sollte eine Sanierung des Unternehmens nicht möglich sein, wird der Insolvenzverwalter
prüfen, ob eine sogenannte übertragene Sanierung möglich ist. Dabei wird der erhaltens-
werte Teil des Unternehmens (z. B. ein Teilbetrieb mit erfolgreichen Produkten) oder
der gesamte Geschäftsbetrieb an einen Investor veräußert werden, um damit den Fort-
bestand des Unternehmens oder Teile dessen zu ermöglichen. Nur für den Fall, dass für
das gesamte Unternehmen keine Zukunftsaussichten bestehen, soll – wie zu Konkurs-
ordnungszeiten – das Unternehmen geschlossen und abgewickelt werden.
Die Insolvenzordnung sieht zudem die Stärkung der Gläubigerautonomie vor. Dies
bedeutet, dass nicht mehr das Insolvenzgericht gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter,
338 S. Krause
sondern nunmehr die Gläubiger über das Schicksal des insolventen Unternehmens ent-
scheiden sollen. Schließlich geht es um ihr Geld und die Gläubiger sind nach Ansicht
des Gesetzgebers eher in der Lage zu beurteilen, welche der vorgenannten Möglich-
keiten (Sanierung, übertragene Sanierung oder Liquidation) im Einzelfall zu einer best-
möglichen Befriedigung ihrer Ansprüche führen wird. Hierzu sollen die Gläubiger einen
Gläubigerausschuss einsetzen können, der den Insolvenzverwalter kontrolliert, aber auch
in seiner Arbeit unterstützt.
Ein weiteres Ziel der Insolvenzordnung ist die gerechtere Verteilung des Vermögens
des Unternehmens, die sogenannte Insolvenzmasse. Während zu Konkursordnungs-
zeiten noch Gläubigergruppen (z. B. Arbeitnehmer, Fiskus etc.) bevorzugt wurden, wer-
den nunmehr alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden. Dies bedeutet, dass nach
Abschluss des Insolvenzverfahrens die Insolvenzmasse nach Abzug der Verfahrens-
kosten gleichmäßig an die Gläubiger ausgezahlt wird. Beispiel: Beträgt die Insolvenz-
masse nach Abschluss des Verfahrens 225.000 EUR, werden hiervon zunächst die
Verfahrenskosten in Höhe von 25.000 EUR abgezogen, sodass für die Verteilung an die
Gläubiger 200.000 EUR verbleiben. Betragen die vom Insolvenzverwalter anerkannten
Forderungen der Gläubiger insgesamt 1.000.000 EUR, so würde jeder Gläubiger eine
Befriedigungsquote 20 % erhalten. Beträgt die Forderung eines Gläubigers 50.000 EUR,
so erhält er hierauf einen Betrag von 10.000 EUR.
Des Weiteren wurde ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeführt, wonach es natür-
lichen Personen (Menschen) erstmals in Deutschland möglich ist, sich nach Durch-
laufen eines geregelten Verfahrens von Verbindlichkeiten zu befreien, der sogenannten
Restschuldbefreiung. Die Insolvenzordnung sieht eine Restschuldbefreiung nur für
den redlichen Schuldner vor. Seine Redlichkeit hat der Schuldner zum einen durch
Abtretung des pfändbaren Teils seines Einkommens und zum anderen durch die Ein-
haltung bestimmter Obliegenheiten zu belegen. Die sogenannte Wohlverhaltensphase
beträgt regelmäßig sechs Jahre, sie verkürzt sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Schuld-
ner wenigstens die Verfahrenskosten aufbringt, die durchschnittlich bei 3000 EUR bis
5000 EUR liegen. Sie verkürzt sich auf drei Jahre, wenn die Verfahrenskosten voll-
ständig und die von den Gläubigern geltend gemachten Insolvenzforderungen zu 35 %
befriedigt werden. Mit Eintritt der Restschuldbefreiung ist der Schuldner somit wieder
schuldenfrei, es sei denn, es handelte sich um Forderungen aus einer unerlaubten Hand-
lung (wie Straftaten), die von einer Restschuldbefreiung ausgenommen sind.
13.3 Insolvenzgründe
Insolvenzgründe sind der Anlass zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Gründe sind
die Zahlungsunfähigkeit, die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung.
Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen
Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO). Fällig ist eine Verbindlichkeit
grundsätzlich mit Abschluss des Vertrages. Bei Lieferung auf Ziel wird die Verbindlich-
keit fällig mit Ablauf des Zahlungsziels.
13 Insolvenzrecht 339
13.4 Insolvenzantrag
über das Vermögen einer juristischen Person ist außer den Gläubigern jedes Mitglied des
Vertretungsorgans (z. B. Geschäftsführer, Vorstände etc.) berechtigt, einen Insolvenz-
antrag zu stellen (§ 15 InsO).
Ist eine juristische Person (z. B. GmbH, AG, SE) zahlungsunfähig oder überschuldet,
haben die Mitglieder des Vertretungsorgans (oder die Abwickler) ohne schuldhaftes
Verzögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der
Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen. Unverzüglich bedeutet dabei sofort.
Die Dreiwochenfrist darf nur dann ausgeschöpft werden, wenn ausreichende Anhalts-
punkte für die Geschäftsleitung bestehen, dass die Insolvenzgründe innerhalb dieser Frist
wieder beseitigt werden können, z. B. durch die Ankündigung einer Kapitalerhöhung
durch die Gesellschafter oder einen Forderungsverzicht der Gläubiger etc. Sollten keine
Geschäftsführer bzw. Vorstände mehr vorhanden sein, so sind die Gesellschafter bzw. die
Mitglieder des Aufsichtsrats verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 3
InsO). Diese Regelung trat mit der Einführung des Gesetzes zur Modernisierung des
GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) im Jahre 2008 in Kraft.
Mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe wird bestraft, wer ent-
gegen seiner Verpflichtung einen Insolvenzantrag nicht, nicht richtig oder nicht recht-
zeitig stellt (§ 15a Abs. 4 InsO). Diese Verpflichtung der Geschäftsleitung hat aber nicht
nur strafrechtliche Relevanz. Sie führt auch zu einer persönlichen Haftung der Geschäfts-
leitung wegen Insolvenzverschleppung. Schadenersatzansprüche können dabei sowohl
gegenüber dem insolventen Unternehmen als auch gegenüber den Gläubigern entstehen.
13.5 Insolvenzverfahren
wieder übernimmt. Diese ist beauftragt, den Insolvenzplan umzusetzen. Die Gläubiger
haben noch die Möglichkeit, den bisherigen Insolvenzverwalter zum Planüberwacher zu
bestimmen, der die Umsetzung des Insolvenzplans für die Gläubiger kontrollieren soll.
Sollte die Gläubigerversammlung den Insolvenzplan ablehnen, so besteht für den
Insolvenzverwalter nach wie vor die Möglichkeit, eine übertragene Sanierung oder eine
Liquidation des Unternehmens vorzunehmen.
Bei der übertragenen Sanierung lässt der Insolvenzverwalter zunächst das Anlage-
und Umlaufvermögen des Schuldners durch einen Sachverständigen bewerten. Sodann
sucht der Insolvenzverwalter einen Investor, der Teile des insolventen Unternehmens
oder den gesamten Geschäftsbetrieb erwerben möchte. Dieser Investor gründet hier-
nach regelmäßig eine Auffanggesellschaft (sogenannte NewCo). Die neu gegründete
Gesellschaft erwirbt anschließend das Anlage- und Umlaufvermögen (ohne Forderun-
gen) sowie den Geschäftsbetrieb oder Teile davon. Die Veräußerung von Unternehmens-
teilen oder des gesamten Geschäftsbetriebs erfolgt oft bereits bis zur Eröffnung des
Insolvenzverfahrens, sodass der Investor mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den
Geschäftsbetrieb unmittelbar übernimmt und fortführt. Für diesen Fall bedarf es noch
der Genehmigung der Gläubigerversammlung zur Veräußerung. Sollte der Insolvenzver-
walter bis zur Gläubigerversammlung noch keinen Investor gefunden haben, wird er dort
beauftragt, einen solchen zu finden, soweit dies sinnvoll erscheint.
Bei der übertragenen Sanierung handelt es sich somit um keine echte Sanierung des
insolventen Unternehmens, sondern vielmehr um eine Veräußerung von überlebens-
werten Betriebsteilen oder des gesamten Geschäftsbetriebes an einen Investor.
Bei der Liquidation des Unternehmens findet sich kein Investor, der auch nur geringe
Teil des insolventen Unternehmens übernehmen möchte. In diesem Fall wird der
Geschäftsbetrieb vollständig eingestellt. Dies erfolgt üblicherweise innerhalb einer Frist
von drei Monaten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Insoweit ist der Insolvenz-
verwalter mit Sonderkündigungsrechten bezüglich aller vertraglichen Beziehungen
ausgestattet, insbesondere auch der Arbeitsverhältnisse. Nach Einstellung des Geschäfts-
betriebes wird das Anlage- und Umlaufvermögen verwertet.
Das Insolvenzverfahren beginnt mit dem Insolvenzantrag, der durch die Gläubiger oder
den Schuldner gestellt werden kann (vgl. Abschn. 13.4). Der Insolvenzantrag wird
sodann durch den zuständigen Richter beim Insolvenzgericht geprüft. Dabei muss ein
Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung, drohende Zahlungsunfähigkeit)
hinreichend dargelegt werden (vgl. Abschn. 13.4). Des Weiteren muss noch so viel Ver-
mögen beim Schuldner vorhanden sein, dass daraus die Verfahrenskosten aufgebracht
werden können. Da das Gericht dies in der Regel nicht ohne Weiteres feststellen kann,
setzt es einen Sachverständigen ein, der dies in einem Gutachten zu überprüfen hat (vgl.
§ 5 Abs. 1 InsO).
13 Insolvenzrecht 343
Gläubiger über die nicht verwertbaren Gegenstände der Insolvenzmasse. Ist die Schluss-
verteilung vollzogen, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzver-
fahrens (§§ 200 ff. InsO).
Bei Verbraucherinsolvenzverfahren erfolgt sodann nach Ablauf der Wohlverhaltens-
periode die Erteilung der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO). Dem Schuldner wer-
den seine Verbindlichkeiten erlassen, soweit keine Gründe für eine Versagung vorliegen
(§ 290 InsO). Als Gründe kommen u. a. in Betracht: Die Verurteilung des Schuldners
wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c des Strafgesetzbuchs oder wenn der
Schuldner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig ver-
letzt hat.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in erster Linie nach dem Mittelpunkt der selbst-
ständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners. Dies ist regelmäßig der Sitz des
Unternehmens, bei dem auch die Verwaltung des Unternehmens angesiedelt ist. Sachlich
zuständig für das Insolvenzverfahren ist das Amtsgericht als Insolvenzgericht. Es gibt
derzeit 182 Insolvenzgerichte in Deutschland (www.insolvenzbekanntmachungen.de).
Das Insolvenzgericht beschließt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn ein
Insolvenzgrund (vgl. Abschn. 13.3) vorliegt und die Verfahrenskosten gedeckt sind. Der
Eröffnungsbeschluss wird veröffentlich und enthält die Angaben zum Schuldner wie
Firma, Registergericht und Registernummer des Handelsregisters sowie den Zeitpunkt
der Eröffnung (§ 27 InsO).
Das Gericht bestellt mit der Eröffnung den Insolvenzverwalter. Name und Anschrift
werden in den Eröffnungsbeschluss aufgenommen, damit die Gläubiger wissen, an wen
sie sich wenden können. Zum Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall
geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner
unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme
von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist (§ 56 InsO). Der Ver-
walter erhält eine Urkunde über seine Bestellung. Bei Beendigung seines Amtes hat er
die Urkunde dem Insolvenzgericht zurückzugeben. Der Insolvenzverwalter steht unter
der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder
einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung von ihm verlangen. Im
Insolvenzantragsverfahren ist es üblich, dass der vorläufige Insolvenzverwalter in Zeit-
räumen von vier bis sechs Wochen dem Insolvenzgericht berichtet, während nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens üblicherweise Zeiträume von sechs Monaten zur Vor-
lage eines neuen Berichts durch das Gericht vorgegeben werden. Erfüllt der Verwalter
seine Pflichten nicht, so kann das Gericht nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen
ihn festsetzen (§ 58 InsO).
Des Weiteren ist das Insolvenzgericht für die Einsetzung des Gläubigerausschusses
zuständig. Der Gläubigerausschuss ist ein Untergremium der Gläubigerversammlung.
346 S. Krause
13.8 Gläubigergruppen
Die Gläubiger werden zunächst in sogenannte Alt- und Neugläubiger aufgeteilt. Bei
den Altgläubigern unterscheidet man zunächst die persönlichen und dinglichen Alt-
gläubiger. Zu den persönlichen Altgläubigern gehören die Insolvenzgläubiger (§ 38
InsO). Hierunter versteht man die Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Dies
sind die sogenannten einfachen oder ungesicherten Gläubiger, die im Ergebnis nach der
Erfüllung der bevorzugten Ansprüche nur noch Aussicht auf eine quotale Befriedigung
ihrer Forderungen haben. Diese liegt häufig nur zwischen null Prozent und fünf Pro-
zent des Forderungsbetrages. Davon zu unterscheiden sind die nachrangigen Insolvenz-
gläubiger (§ 39 InsO). Sie erhalten üblicherweise keinerlei Befriedigungsquote, da es
sich um Ansprüche z. B. aus der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen handelt und
diese wie Eigenkapital behandelt werden.
Zu den dinglichen Altgläubigern gehört derjenige, der aufgrund eines persönlichen
oder dinglichen Rechts einwenden kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse
13 Insolvenzrecht 347
gehört, weil er Eigentümer dieses Wirtschaftsgutes ist. Hierzu gehören z. B. Vermieter
von Immobilien oder Leasinggeber. Die Vermögensgegenstände sind an die rechtmäßigen
Eigentümer herauszugeben. Man spricht deshalb auch von den aussonderungsberechtigten
Gläubigern, da der Vermögensgegenstand aus der Insolvenzmasse ausgesondert wird.
Neugläubiger sind u. a. die Massegläubiger. Massegläubiger sind die Gläubiger, deren
Ansprüche entweder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen oder die auf-
grund gesetzlicher Vorschriften als Masseforderungen behandelt werden. Diese Gläubi-
ger sind privilegiert, da sie aus der Insolvenzmasse neben den Kosten des Verfahrens als
Erste zu bezahlen sind (§ 53 InsO). Für die Erfüllung der Masseverbindlichkeiten haf-
tet der Insolvenzverwalter grundsätzlich persönlich. Von den aussonderungsberechtigten
Gläubigern sind die absonderungsberechtigten Gläubiger zu unterscheiden (§ 49 ff.
InsO). Zu den Absonderungsrechten gehören zunächst einmal die Hypothek und die
Grundschuld. Hierbei handelt es sich um Sicherungsrechte an Grundstücken. Kommt das
insolvente Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach, ist z. B. die mit der
Grundschuld gesicherte Bank berechtigt, das Darlehen zu kündigen und aus den Rechten
am Grundstück vorzugehen. Dies erfolgt durch die Zwangsverwaltung und Zwangsver-
steigerung der Immobilien (§ 47 InsO).
Zu den absonderungsberechtigten Gläubigern gehören aber auch solche, denen
der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs eine bewegliche Sache übereignet oder
ein Recht übertragen hat. Bei beweglichen Sachen spricht man von der sogenannten
Sicherungsübereignung. Dabei wird das Eigentum z. B. an einer Maschine an die Bank
übertragen zur Absicherung eines Finanzierungsdarlehens. Wird der sicherungsüber-
eignete Vermögensgegenstand durch den Insolvenzverwalter veräußert, so erhält er hier-
für eine Vergütung von neun Prozent des Verkaufserlöses zuzüglich Mehrwertsteuer. Den
Restbetrag erhält die gesicherte Bank.
Gleiches gilt für die Abtretung von Rechten, insbesondere Forderungen des
insolventen Unternehmens gegenüber Dritten, z. B. Kunden. Üblicherweise vereinbart
hier das insolvente Unternehmen mit der finanzierenden Bank eine sogenannte Global-
zession. Mit der Globalzession werden alle bestehenden und zukünftigen Ansprüche des
Unternehmens gegenüber Dritten an die Bank zu Sicherung abgetreten. Es können aber
auch Marken oder Marken- oder Patentrechte an die Bank zur Sicherheit abgetreten wer-
den. Auch hier erhält die Bank nach Abzug der Kosten für die Verwertung den Erlös.
Deshalb spricht man auch hier von einer abgesonderten Befriedigung.
13.9 Gläubigerversammlung
13.10 Sicherungsmaßnahmen
13.11 Beschlagnahmewirkung
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dies zu verfügen, auf den
Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO). Das Unternehmen wird damit unter staatliche Auf-
sicht gestellt und gilt als beschlagnahmt. Die Gesellschafter bzw. Aktionäre verlieren
ihren Einfluss auf das Unternehmen. Die bisherige Geschäftsleitung ist ohne jedwede
Befugnis.
Hat der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegen-
stand der Insolvenzmasse verfügt, so ist diese Verfügung unwirksam (§ 81 InsO).
Die Zwangsvollstreckung ist während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die
Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig (§ 89 InsO). Der
Insolvenzverwalter soll die Möglichkeit haben, das Unternehmen in seinem Bestand fort-
zuführen und damit den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, um eine mögliche Sanie-
rung einleiten zu können.
Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und der Geschäftsleitung
bestehen auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Geschäftsleitung hat den
Verwalter bei der Erfüllung von dessen Aufgaben zu unterstützen (§ 97 ff. InsO).
13 Insolvenzrecht 351
Ist der Schuldner eine natürliche Person, darf er einen Teil seines Einkommens behalten,
um davon seinen Lebensunterhalt und den der Familie aufzubringen. Der Gesetzgeber
hat dazu eine Pfändungstabelle erstellt, in der die Pfändungsgrenzen für das persönliche
monatliche Arbeits- oder Sozialeinkommen festgelegt sind.
Die Pfändungsfreigrenzen sind von der Anzahl der unterhaltsberechtigten Familien-
angehörigen, denen der Schuldner Unterhalt leistet, abhängig.
Der Pfändungsfreibetrag beträgt seit dem 1. Juli 2017 1139,99 EUR. Wenn das
Arbeitseinkommen über diesem Pfändungsfreibetrag liegt, wird dieser Teil bis zu einer
bestimmten Höhe zwischen Gläubiger und Schuldner geteilt. Das soll den Schuldner
motivieren, ein höheres Einkommen zu verdienen. Alles was der Schuldner über der
Einkommensobergrenze (3475,79 EUR) verdient, wird vollständig an die Gläubiger
abgeführt. Diese gesetzliche Pfändungstabelle gemäß § 850c ZPO wird alle zwei Jahre
an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst.
Die aktuellen Pfändungsfreigrenzen betragen:
Die Vergütung für Überstunden wird zu 50 % dem Schuldner überlassen, um Anreize
für eine Mehrtätigkeit zu schaffen. Urlaubsgeld ist insgesamt nicht pfändbar, da es dem
Erhalt der Leistungsfähigkeit des Schuldners dient. Weihnachtsgeld ist bis zur Hälfte des
monatlichen Arbeitseinkommens unpfändbar, maximal jedoch bis zu einem Betrag von
500 EUR. Das Kindergeld ist grundsätzlich unpfändbar, da es – wie die Bezeichnung
bereits vorgibt – nicht zum Einkommen des Schuldners gehört.
Seit dem 01.07.2010 gibt es ein sogenanntes P-Konto. Seit diesem Zeitpunkt kann jeder
Schuldner die Umwandlung seines Kontos in das sogenannte P-Konto verlangen. Auto-
matisch besteht auf dem P-Konto zunächst ein Pfändungsschutz für Guthaben in Höhe
des Grundfreibetrages. Der Kontopfändungsschutz für ein P-Konto dient der Sicherung
einer angemessenen Lebensführung des Schuldners und seiner Unterhaltsberechtigten.
Eine Auszahlung darf jedoch nur erfolgen, wenn die Beträge von der Arbeitsagentur, der
352 S. Krause
Schuldnerberater oder dem Roten Kreuz genehmigt sind. Sonderzahlungen der Agen-
tur, z. B. für Renovierungen müssen ebenfalls genehmigt werden, sonst erfolgt ebenfalls
keine Auszahlung. Der Vorteil liegt darin, dass die Verwaltung von Kontopfändungen bei
P-Konten weniger aufwendig ist für die Banken und die Gläubiger.
Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) ist am
01.03.2012 in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist die Herbeiführung eines Mentalitäts-
wechsels für eine andere Insolvenzkultur. Mit dem ESUG wollte man das negative Image
des Insolvenzverfahrens ablegen und die Sanierung von Unternehmen weiter unter-
stützen, insbesondere um Arbeitsplätze zu retten. Der Hauptaspekt des ESUG war die
Erweiterung der Eigenverwaltung u. a. mit einem sogenannten Schutzschirmverfahren.
Dabei sollte die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei dem in die Krise geratenen
Unternehmen verbleiben und lediglich ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden, der
die Vorbereitung und Durchführung der Sanierung mittels eines Insolvenzplanverfahrens
begleitet und kontrolliert, ohne jedoch Eingriffsrechte zu haben.
Des Weiteren sollten mit dem ESUG die Gläubigerrechte gestärkt werden. Ab einer
gewissen Unternehmensgröße muss mit Einleitung des Verfahrens ein vorläufiger
Gläubigerausschuss eingesetzt werden. Dieser soll frühzeitig die Rechte und Interes-
sen der Gläubiger im Rahmen der geplanten Sanierung verfolgen und Einfluss auf die
Insolvenzplanerstellung nehmen.
Die genannten Änderungen sollten so zu einer größeren Akzeptanz des Insolvenzplan-
verfahrens und der Sanierung von Unternehmen führen. Anhand der ersten Statistiken
zum ESUG kann man erkennen, dass zwar die Anzahl der Verfahren mit Eigenver-
waltung mit anschließendem Insolvenzplanverfahren zugenommen haben. Die Anzahl
der sanierten Unternehmen mittels Insolvenzplan liegt jedoch nach wie vor bei zwei Pro-
zent, während die Sanierungsquoten in den USA rund 33 % erreicht.
Zudem wurde mit dem ESUG der Debt-Equity-Swap im Insolvenzrecht verankert.
Danach können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen in eine Beteiligung am insolventen
Unternehmen umwandeln.
Literatur
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de.statista.com/statistik/daten/studie/75215/umfrage/unternehmensinsolvenzen-in-deutsch-
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Statista. (2018b). Höhe der finanziellen Schäden durch Unternehmensinsolvenzen in Deutschland
von 2000 bis 2017 (in Milliarden Euro) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166636/
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13 Insolvenzrecht 353
Statista. (2018c). Anzahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland im Jahr 2017 nach Mitarbeiterzahl.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/660686/umfrage/anzahl-der-firmeninsolvenzen-
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nehmensalter. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/660673/umfrage/anzahl-der-firmen-
insolvenzen-in-deutschland-nach-unternehmensalter/. Zugegriffen 01. Nov. 2018.
Statista. (2018e). Anzahl der Firmeninsolvenzen je 10.000 Unternehmen in Deutschland im Jahr
2017 nach Branchen. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6413/umfrage/insolvenzquoten-
in-den-hauptbranchen/. Zugegriffen: 01. Nov. 2018.
Weiterführende Literatur
Prof. Dr. Sebastian Krause ist seit 2005 Dozent an der FOM Hoch-
schule für Oekonomie & Management, 2008 erhielt er dort eine
Professur für Wirtschaftsrecht.
Er ist Gründungsgesellschafter der Sozietät krause schmitz rechts-
anwälte & notare GbR in Essen. Dort ist er als Notar in Bereichen
des Gesellschafts- und Immobilienrechts sowie der Unternehmens-
und Vermögensnachfolge tätig.
Turnaround-Management
14
Frank Winnenbrock
F. Winnenbrock (*)
FOM Hochschule, Essen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 355
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_14
356 F. Winnenbrock
Inhaltsverzeichnis
14.1 Einleitung
Wandel und Reaktion auf Wandel ist in der heutigen Zeit normaler Alltag. Eine Unter-
nehmenskrise entsteht typischerweise nur, wenn nicht rechtzeitig oder nicht rich-
tig gehandelt wird. Aktuelle Studien weisen nach, dass der überwiegende Teil der
Insolvenz- und damit Krisenursachen im Bereich Management, also im endogenen
Bereich des Unternehmens selbst angesiedelt ist. Exogene, also externe, Ursachen
spielen eine untergeordnete Rolle. Die Besonderheiten von KMU begünstigen diese
Entwicklungen. Die Restrukturierung ist die kontinuierliche Ausrichtung des Unter-
nehmens auf eine neues, geändertes Unternehmenskonzept mit nachhaltig profitab-
lem Geschäftsmodell auf der Basis sinnvoller, nachvollziehbarer Pläne, z. B. eines
integrierten Businessplans, mit Planbilanzen, Plan G+V und Liquiditätsplanung.
Diese bilden dann die Grundlage des Restrukturierungsprozesses und dienen auch als
Basis für die Kapitalbeschaffung. Die Kapitalbeschaffung ist ein typischer Engpass
in der Restrukturierung, da häufig das neue Geschäftsmodell nicht direkt von Anfang
an in der Lage ist, sich selbst aus dem Cashflow zu finanzieren. Dem rechtzeitigen
Erkennen von Krisensignalen (Controlling), dem zeitnahen Handeln und Gegen-
steuern (Strategisches Management), den beteiligten Akteuren (Krisenmanager) sowie
dem Aufbau von finanziellen Ressourcen (Eigenkapital) kommt damit existenzielle
Bedeutung zu. Den damit verbundenen Anforderungen müssen sich gerade KMU ver-
stärkt stellen.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist, wie auch im Kapitel Insolvenzrecht
angeführt, nach wie vor hoch (vgl. Statista 2018) und Unternehmenskrisen gehören in
unserer schnelllebigen, zunehmend digitalisierten Umwelt inzwischen zum Alltag.
Ausgangspunkt für eine Turnaround-Situation ist damit eine Unternehmenskrise, die
typischerweise wie folgt definiert ist (vgl. Krystek 1987):
14 Turnaround-Management 357
Wandel und Reaktion auf Wandel ist in der heutigen Zeit normaler Alltag. Unter-
nehmenskrisen entstehen häufig dann, wenn nicht oder nicht rechtzeitig gehandelt wird.
Krisen lassen sich gemäß Abb. 14.1 in ihrer Abhängigkeit von der verstrichenen
Reaktionszeit und der Menge an Handlungsalternativen sowie in der Art der Krisen-
signale und ihrer Stärke zur Existenzbedrohung unterscheiden (vgl. Pinkwart 2012; vgl.
Pinkwart et al. 2005):
Eine strategische Krise, oder selbst auch die Ergebniskrise, stellt, bei Vorhandensein aus-
reichender Ressourcen und rechtzeitigem Handeln, noch keine Unternehmenskrise dar,
da die Existenzbedrohung noch nicht gegeben ist. Erst die fortgeschrittene Ergebniskrise
oder Liquiditätskrise mit drohender Insolvenz und natürlich die Insolvenz selbst stellen
letztlich echte Unternehmenskrisen dar, da die Handlungsfreiheit deutlich eingeschränkt
ist und die Situation den Fortbestand des Unternehmens gefährdet. Dem rechtzeitigen
Erkennen von Krisensignalen (Controlling), dem zeitnahen Handeln und Gegensteuern
(Strategisches Management), den beteiligten Akteuren (Krisenmanager) sowie dem Auf-
bau von finanziellen Ressourcen (Eigenkapital) kommt damit existenzielle Bedeutung
zu. Den damit verbundenen Anforderungen müssen sich gerade KMU verstärkt stellen.
14.2 Krisen/Insolvenzursachen
Aktuelle Studien (vgl. Euler Hermes 2006; Heinemann 2007) weisen nach, dass der
überwiegende Teil der Insolvenz- und Krisenursachen im Bereich Eigenkapitalmangel
und Managementfehler, also im endogenen Bereich des Unternehmens angesiedelt sind.
Exogene Ursachen spielen eine untergeordnete Rolle. Abb. 14.2 führt beide Ursachen-
typen an. Im Rahmen dieses Abschnitts soll ein besonderes Augenmerk auf die endo-
genen, unternehmensinternen Ursachen gelegt werden. Typischerweise sind dies
14 Turnaround-Management 359
Ursachen, die durch Controlling aufgedeckt werden können. Insofern fällt dem Control-
ling hier eine Schlüsselrolle zu, da der Zeitpunkt der Krisenerkennung und Einleitung
des Turnarounds die Handlungsfreiräume und -alternativen maßgeblich bestimmen.
Bei den endogenen Ursachen kann man zwischen der betriebswirtschaftlichen Krise
und der finanzwirtschaftlichen Krise unterscheiden, wobei die betriebswirtschaftliche
Krise meist direkt eine finanzwirtschaftliche Krise mit auslöst, da der Bereich Finanz-
wirtschaft den leistungserstellenden, betriebswirtschaftlichen Bereich finanziell abbildet.
Führt man sich zudem typische Besonderheiten von KMU, meist mittelständischen
und eigentümergeführten Unternehmen, vor Augen (vgl. Hommel und Schneider 2004
oder Albach 1984), wie
• Größennachteile,
• hohe Innovations-, aber eher geringe Forschungsfähigkeit,
• geringere Ressourcenausstattung,
• geringere Diversifikation der Geschäftsbereiche,
• starke Innenfinanzierung, also wenig externe Eigenkapitalgeber,
• tendenzieller Eigenkapitalmangel,
• bevorzugte Finanzierungsform: Fremdkapital/Bankkredit (bei gleichzeitig schlech-
terer Sicherheitenlage) und negativer Auswirkung auf das Rating nach aktuellen
Basel-Kriterien,
• flache Hierarchien mit Funktionshäufung in der Führung (starke personale Führung),
• keine/wenige Stabsstellen mit Spezialistentum, insbesondere im Bereich Controlling
mit wenig formalen Planungs-, Kontroll- und Berichtsstrukturen,
360 F. Winnenbrock
wird deutlich, dass die Besonderheiten, von denen viele in normalen Zeiten durchaus als
Vorteile zu werten sind, in Krisenzeiten eher zu Schwächen bzw. Nachteilen werden, die
schwer auszugleichen sind. Beispielhaft sei hier der Bereich Finanzierung/Eigenkapital-
quote genannt. In normalen Zeiten sind KMU mit eigentümergeprägter Inhaberstruktur
häufig entscheidungsstark und schneller, in der Krise fehlt aber Managementexpertise
und Zugang zu weiteren Finanzierungsmöglichkeiten bzw. zu weiterem Eigenkapital.
Der Vorteil im normalen Tagesgeschäft schlägt dann in der Krise in einen Nachteil um.
Die Größennachteile von KMU werden gerne unter dem Begriff der Liability of
Smallness (vgl. Pinkwart 2002) subsumiert. Empirisch konnte nachgewiesen werden,
dass kleinere Unternehmen eine eher geringere Überlebenswahrscheinlichkeit aufweisen
als größere, bei gleichem Unternehmensalter.
Zu den wichtigsten Größennachteilen von KMU zählen schlechtere Möglichkeiten
der Kapitalbeschaffung sowie typischerweise Kostennachteile. Denkt man an die
Kernstrategien von Porter (vgl. Porter 1980) wird klar, dass KMU tendenziell weni-
ger im Bereich der Kostenführerschaft, sondern eher in einer Nischenstrategie, maxi-
mal in der Differenzierungsstrategie, positioniert sind. Durch diese eingeschränkten
Positionierungsmöglichkeiten verringert sich insbesondere die Möglichkeit zur Diversi-
fikation und das unternehmensspezifische Risiko erhöht sich. Ähnliches gilt im Übrigen
auch für das Unternehmensalter: Junge Unternehmen scheiden überproportional häufiger
aus dem Markt aus als etablierte Unternehmen (vgl. Deutsche Bundesbank 2014).
• finanzwirtschaftlicher,
• leistungswirtschaftlicher und
• gesellschaftlicher Maßnahmen, durch die das Leistungspotenzial wieder aufgebaut bzw.
optimal ausgeschöpft und eine existenzerhaltende Rentabilität erreicht werden soll.
Die Grenzen zwischen Restrukturierung und Sanierung sind dabei fließend. Sanierung
und Restrukturierung sind letztlich das Management des zeitlich begrenzten Turn-
around-Prozesses, wobei es einen eindeutigen Zwangscharakter aufweist, da der Fort-
bestand des Unternehmens kurz- oder mittelfristig gefährdet ist (vgl. Dürrfeld und
Macharzina 2001).
Sanierung kann dabei verkürzt als die notwendigen Sofortmaßnahmen zur Einleitung
des Turnarounds und gegebenenfalls kurzfristigen Abwendung/Beilegung der Insolvenz/
Zerschlagung beschrieben werden. Wobei auch innerhalb einer Insolvenz, durch die Ein-
führung des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen)
in 2012, neue rechtliche Möglichkeiten/Alternativen zur Fortführung des Unternehmens
bzw. eines Unternehmensteiles möglich sind. Auch dies soll hier unter Sanierung ver-
standen werden. Erst die bewusste Wahrnehmung der existenzbedrohenden Entwicklung
kann das Turnaround-Management, den Turnaround-Prozess, in Gang setzen (vgl. Kolb
2006). Das Erkennen der Entwicklung ist also eine zwingende Voraussetzung. Die Basis
eines Turnaround-Prozesses und der kurzfristigen Sanierung kann nur eine umfassende
Unternehmens- und Umweltanalyse sein. Häufig kann sie jedoch unter dem gegebenen
Zeitdruck nicht effizient durchgeführt werden (vgl. Krystek 1987).
Abb. 14.3 zeigt im Überblick die Stufen des Sanierungs- und Restrukturierungs-
prozesses. Die nachfolgenden Abschnitte wenden sich den einzelnen Phasen
differenziert zu.
14.3.1 Grobanalyse
Zunächst erstellt man eine Grobanalyse, die eine schnellstmögliche, aber zuverlässige
Bestandsaufnahme und Analyse der Turnaround-Optionen und Fortführungschancen
darstellt (vgl. Böckenförde 1996). Sie muss Aufschluss über den Grad der Existenz-
bedrohung geben, die Krisensituation und -ursachen darstellen und erste Prognosen
ermöglichen (vgl. Kolb 2006).
362 F. Winnenbrock
Ziel ist die Identifikation der Krisenursachen und des Krisenausmaßes. Hier findet
auch die Prüfung der Turnaround-Fähigkeit statt, also eine erste Abschätzung, ob über-
haupt in absehbarer Zeit durch den Turnaround die Krise überwunden werden kann.
Letztlich muss noch die Bewertung vorgenommen werden, ob eine Weiterführung
wirtschaftlich sinnvoller als eine Zerschlagung ist (vgl. Hesselmann und Stefan 1990).
Dieser eher objektivierten Einschätzung folgt dann die subjektive Bewertung der
beteiligten Akteure, ob eine Turnaround-Würdigkeit vorliegt. Konkret müssen die jewei-
ligen Akteure individuell ihrer aktuellen Situation entsprechend bewerten, ob sie ein
Interesse an der Fortführung haben bzw. unter welchen Prämissen (vgl. Böckenförde
1996). Wichtig hierbei ist auch eine Misserfolgsanalyse, also welche Entwicklungen und
Rahmenparameter letztlich die aktuelle Krise herbeigeführt oder begünstigt haben (vgl.
Arlinghaus 2007). Sind die Turnaround-Fähigkeitsprüfung und -Würdigkeitsprüfung
positiv ausgefallen, müssen die notwendigen Sofortmaßnahmen abgeleitet und initiiert
werden (vgl. Dürrfeld und Macharzina 2001). Sofortmaßnahmen sollen kurzfristig posi-
tiv insbesondere auf die Liquidität und gegebenenfalls das Ergebnis wirken. Gleichzeitig
muss mit den wichtigsten Sanierungsbemühungen schon begonnen werden und gleich-
zeitig mit Geldgebern und Schuldnern verhandelt werden, wie die Zeit der Sanierung
finanziert werden kann.
Der Zeitdruck ist hier häufig so hoch, dass der strategischen Komponente jedoch nicht
ausreichend Zeit gewidmet werden kann. Das heißt, es kann kurzfristig positive Effekte
geben, die keinen längerfristig strategischen Nutzen versprechen oder sogar die späteren
strategischen Überlegungen stören (vgl. Töpfer 1990).
14 Turnaround-Management 363
14.3.2 Detailanalyse
Restrukturierung ist damit die auf der Sanierung aufbauende, kontinuierliche Aus-
richtung des Unternehmens auf ein neues, geändertes Unternehmenskonzept mit nach-
haltig profitablem Geschäftsmodell. Daraus folgt zwingend, dass, wenn keine langfristig
nachhaltige Wettbewerbsposition mit entsprechend profitablem Geschäftsmodell erkenn-
bar ist, die Turnaround-Würdigkeit bzw. Turnaround-Fähigkeit als nicht gegeben anzu-
sehen ist. Eine Liquidation ist dann aus ökonomischer Sicht vorzuziehen (vgl. Kelber
2004).
Die Restrukturierung selbst kann man in drei Bereiche unterteilen:
• Operative Restrukturierung:
Hier gilt das Augenmerk den Kosten und der Leistungserstellung, die optimiert wer-
den müssen, um ein sinnvolles Ergebnis erwirtschaften zu können. Die Schlüssel-
prozesse müssten optimiert werden, um eine positive Ertragslage herzustellen.
Beispielsweise durch Kostenmanagement und Reduktion der Anzahl der Mitarbeiter,
Auslagerung von Prozessen (also Einkauf statt Herstellung) und Optimierung von
Abläufen.
• Finanzielle Restrukturierung:
Ziel ist die Sicherstellung der laufenden Liquidität im gesamten Prozess und Dar-
stellung der ausreichenden Kapitaldienstfähigkeit und Profitabilität. Hier ist auch die
Integration von Controlling-Funktionen in die neue Struktur vorzunehmen.
Die Liquiditätszufuhr erfolgt beispielsweise durch:
1. Liquiditätszufuhr durch Eigenkapital (Aufnahme neuer Gesellschafter oder Zufuhr
durch die Altgesellschafter)
2. Verkauf von Vermögensgegenständen/Anlagevermögen (nicht zwingend not-
wendiges Vermögen wird verkauft)
3. Liquiditätszufuhr durch Fremdkapital (Kredite, Anleihen)
4. Organisatorische Möglichkeiten/Working-Capital-Senkung (durch Optimierung in
der Prozesskette, im Rechnungswesen und Senkung der Durchlaufzeiten, lassen
sich üblicherweise die Vorratsbestände senken und gegebenenfalls die Zahlungs-
flüsse der Kunden beschleunigen)
5. Sale and Lease Back (Verkauf an ein Leasingunternehmen und Rückleasing)
• Strategische Restrukturierung:
Hier gilt es, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln und auf eine
adäquate Markt- bzw. Wettbewerbspositionierung zu achten, die auch nach-
haltig für ausreichende Profitabilität sorgt. Nachdem eine operative und finanzielle
Restrukturierung zunächst für kurzfristigen Erfolg sorgt, muss natürlich das Unter-
nehmen insgesamt langfristig eine nachhaltige erfolgreiche Positionierung im Markt
erlangen, um wirklich zu überleben. Häufig reicht eben die operative und finanzielle
Restrukturierung nicht aus. Erst die strategische Neupositionierung sorgt für ein
längerfristiges Überleben. Schaut man sich beispielsweise den alten Stahlkonzern
ThyssenKrupp an, gab es eine jahrzehntelange Unterkapitalisierung und Verschuldung
und eine fehlende Neuausrichtung auf andere ertragreiche Geschäftsbereiche als
14 Turnaround-Management 365
nur Stahl, die immer wieder für Krisen sorgte. Erst in den letzten Jahren gelang der
Befreiungsschlag mit einer augenscheinlich sinnvollen Neuausrichtung und Abbau
der Verschuldung.
Hier sind Fachleute gefragt, denn selbst ein bisher erfolgreicher Unternehmer und Mana-
ger kommt in der Krise schnell an seine Grenzen, wodurch der Fortbestand des Unter-
nehmens gefährdet werden kann. Insofern sind Eigentümer und Management gefordert,
in der Krisensituation umgehend Expertenrat in Anspruch zu nehmen, sofern die not-
wendigen Kenntnisse und Erfahrungen nicht vorliegen.
14.4 Fazit
Unternehmen sehen sich im Laufe ihrer Entwicklung häufig mit kritischen Situationen
konfrontiert, in denen ihre Wettbewerbsvorteile bedroht sind oder verschwinden, die
Rentabilität sinkt, oder sogar die Liquidität längerfristig gefährdet ist. Gerade kleine
und mittelständische, häufig eigentümergeführte Unternehmen (KMU) sind davon häu-
figer betroffen als größere Unternehmen, da es ihnen nicht gelingt, sich rechtzeitig an
veränderte Markt- und Umweltbedingungen anzupassen und vor allem ausreichendes
Eigenkapital aufzubauen, um Verluste, z. B. in Veränderungs- und Anpassungs-
situationen, längerfristig tragen zu können. In Krisensituationen steigt für Unternehmen
das Bedrohungspotenzial exponentiell an und die Zeiträume für Handlungsmöglich-
keiten reduzieren sich drastisch. Wichtig sind rechtzeitiges Erkennen von Krisensignalen
und zeitnahes, entschlossenes Gegensteuern.
Aktuelle Studien weisen nach, dass der überwiegende Teil der Insolvenz- und damit
Krisenursachen im Bereich Management, also im endogenen Bereich des Unternehmens
selbst angesiedelt ist. Exogene, also externe, Ursachen spielen eine untergeordnete Rolle.
Die Besonderheiten von KMU begünstigen diese Entwicklungen.
Die Restrukturierung ist die kontinuierliche Ausrichtung des Unternehmens auf eine
neues, geändertes Unternehmenskonzept mit nachhaltig profitablem Geschäftsmodell,
auf der Basis sinnvoller, nachvollziehbarer Pläne, z. B. eines integrierten Businessplans,
mit Planbilanzen, Plan G+V und Liquiditätsplanung. Diese bilden dann die Grundlage
des Restrukturierungsprozesses und dienen auch als Basis für die Kapitalbeschaffung.
Die Kapitalbeschaffung ist ein typischer Engpass in der Restrukturierung, da häufig das
neue Geschäftsmodell nicht direkt von Anfang an in der Lage ist, sich selbst aus dem
Cashflow zu finanzieren.
Dem rechtzeitigen Erkennen von Krisensignalen (Controlling), dem zeitnahen Han-
deln und Gegensteuern (Strategisches Management), den beteiligten Akteuren (Krisen-
manager) sowie dem Aufbau von finanziellen Ressourcen (Eigenkapital) kommt damit
existenzielle Bedeutung zu. Den damit verbundenen Anforderungen müssen sich gerade
KMU verstärkt stellen.
14 Turnaround-Management 367
Literatur
Albach, H. (1979). Der Kampf ums Überleben: Der Ernstfall als Normalfall für Unternehmen in
einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. In H. Albach, D. Hahn, & P. Mertens (Hrsg.), Früh-
warnsysteme (S. 9 ff.) Wiesbaden: Gabler.
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N. Lamar (*)
FOM Hochschule, Neuss, Deutschland
E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 371
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_15
372 N. Lamar
Inhaltsverzeichnis
15.1 Einleitung
ausgegangen, die Preisbildung von Waren und Dienstleistungen lasse sich für die
gesamte Volkswirtschaft mithilfe eines gesamtwirtschaftlichen Gütermarktes abbilden,
auf dem die Gesamtnachfrage als Nachfrage aller privaten Haushalte, aller privaten
Unternehmen, des Staates und des Auslands sowie das Gesamtangebot als Angebot aller
Unternehmen der Volkswirtschaft aufeinandertreffen. Der auf diesem gesamtwirtschaft-
lichen Gütermarkt gebildete Preis ist daher auch kein Einzelpreis eines bestimmten
Gutes, sondern ein gewogener Durchschnittspreis, das Preisniveau, aller auf den Märkten
der Volkswirtschaft gehandelten Waren und Dienstleistungen.
Als gesamtwirtschaftliche Erkenntnisobjekte der Wirtschaftswissenschaften ergeben
sich hieraus somit u. a. die Höhe der gesamtwirtschaftlichen Produktion, die Höhe des
gesamtwirtschaftlichen Einkommens aller am Produktionsprozess Beteiligten (Volksein-
kommen), die Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus, die Entwicklung
des gesamtwirtschaftlichen Arbeitseinsatzes (gemessen vor allem mithilfe der Arbeits-
losenquote), die Auslastung des vorhandenen Bestandes an Maschinen und Produktions-
anlagen (Produktionspotenzial), also des Realkapitalbestandes der Volkswirtschaft
(gemessen mithilfe des Auslastungsgrades des Produktionspotenzials). Weiterhin wird
die Versorgung der Volkswirtschaft mit Zahlungsmitteln (Geldangebot, Geldumlauf), die
Entwicklung des Austauschverhältnisses zwischen international gehandelten inländischen
Gütern und ausländischen Gütern (Terms of Trade) sowie zwischen inländischem Geld
und ausländischem Geld (Außenwert der Währung, Wechselkurs) betrachtet.
Im Folgenden konzentrieren sich die Betrachtungen auf die Messung der gesamt-
wirtschaftlichen (Produktions-)Leistung und die daraus resultierenden Einkommen der
Haushalte einer Volkswirtschaft im Ganzen und die kritische Betrachtung dieser Mess-
konzepte, was Aussagegehalt und Interpretationsmöglichkeiten angeht.
Die Inlandsprodukt- und Nationaleinkommensberechnung ist vor allem auf die zahlen-
mäßige Darstellung von Marktvorgängen ausgerichtet. Berechnet und veröffentlicht wer-
den die Angaben für Entstehung, Verwendung und Verteilung des Bruttoinlandsprodukts
(BIP). Dies wird in den nachfolgenden Abschnitten vertieft betrachtet. Die ermittelten
Größen – allen voran das Bruttoinlandsprodukt – sind zentrale Daten für die Beurteilung
und Gestaltung des wirtschaftspolitischen Handelns der Entscheidungsträger.
Die Tabellen der Input-Output-Rechnung geben einen detaillierten und strukturierten
Einblick in die Güterströme und Produktionsverflechtungen innerhalb einer Volkswirt-
schaft. Ebenso werden Produktionsverflechtungen mit dem Ausland – im Rahmen der
offiziellen Statistik als „Übrige Welt“ benannt – erfasst. Die ermittelten Daten dienen
15 Überblick und grundlegende Begrifflichkeiten 375
u. a. als Grundlage für Strukturuntersuchungen der Wirtschaft sowie für Analysen der
direkten und indirekten Auswirkungen von Nachfrage-, Preis- und Lohnänderungen auf
die Gesamtwirtschaft und die einzelnen Bereiche.
Die Vermögensrechnung stellt im Wesentlichen Angaben über Wert, Zusammen-
setzung und Veränderung von Vermögensbeständen (Sachvermögen und Geldvermögen)
bereit. Hierbei stellt das Statistische Bundesamt Informationen zu verschiedenen Ver-
mögensgütern – auch Sachvermögen genannt – zur Verfügung. Im Vordergrund stehen
dabei Daten zum volkswirtschaftlichen Anlagevermögen bzw. dem gesamtwirtschaft-
lichen Kapitalstock. Ebenso werden hier Abschreibungen auf das Anlagevermögen
erfasst. Das Geldvermögen als zweiter Bestandteil der Vermögensrechnung wird von der
Deutschen Bundesbank ermittelt und veröffentlicht.
Mit der Arbeitsvolumenrechnung soll die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller
Erwerbstätigen erfasst werden, die innerhalb der Landesgrenzen eine Tätigkeit ausüben,
die dem Erwerbszweck dient.
Die Erwerbstätigenrechnung im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamt-
rechnungen umfasst die Bereitstellung von durchschnittlichen Angaben zu Erwerbs-
tätigen und Erwerbspersonen nach dem Konzept der internationalen Arbeitsorganisation,
dem sogenannten ILO-Konzept. Die Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung dienen
schwerpunktmäßig als Bezugszahlen für die Ermittlung der Arbeitsproduktivität sowie
als Ausgangsgröße für die Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens.
Die Finanzierungsrechnung beinhaltet Angaben zu den Finanztransaktionen in einer
Volkswirtschaft. Sie zeigt auf, welcher Sektor (private Haushalte, Unternehmen oder
Staat) in welchem Umfang und in welcher Form finanzielle Mittel bereitstellt oder
beansprucht und wie die Finanzintermediäre (d. h. Banken, Versicherungen und Invest-
mentfonds) in den Finanzierungskreislauf eingeschaltet sind. Die Finanzierungsrechnung
wird in Deutschland von der Deutschen Bundesbank erstellt.
Die Außenwirtschaftsrechnung hat die Erfassung wirtschaftlicher Transaktionen
(Güter- und Kapitalströme) zwischen Inländern und Ausländern zum Ziel.
Es können natürlich je nach Untersuchungsziel auch andere Kriterien zur Bildung volks-
wirtschaftlicher Sektoren verwendet werden. So wird oft insbesondere die Struktur des
Unternehmenssektors noch tiefer gegliedert. Der sogenannte primäre Sektor erfasst
dabei alle Unternehmen der Urproduktion, in der Rohstoffe und Nahrungsmittel zum
Zwecke des direkten Verbrauchs oder der Weiterverarbeitung gewonnen werden. Zu
ihm zählen somit Bergbau, Landwirtschaft, Fischerei. Der sekundäre Sektor bezeichnet
dann das verarbeitende Gewerbe, in dem Rohstoffe und Vorleistungen anderer Unter-
nehmen hin zu Endprodukten verarbeitet werden. Hierzu gehören z. B. die großen roh-
stoffverarbeitenden Industrien der Chemie oder der Maschinenbau oder das Bauwesen.
Schließlich umfasst der tertiäre Sektor den Bereich des Handels und des Dienstleistungs-
gewerbes. Hierzu zählen Großhandel oder Einzelhandel ebenso wie Transport, Freizeit,
Banken und das Versicherungsgewerbe.
In der amtlichen Statistik gemäß des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher
Gesamtrechnungen (ESVG, Erläuterung siehe nachfolgend) werden die Wirtschaftseinheiten
zu folgenden Sektoren zusammengefasst:
15 Überblick und grundlegende Begrifflichkeiten 377
Die beiden Bestandsgrößen Anfangs- und Endbestand sind über die Stromgrößen
Zugänge und Abgänge miteinander verknüpft. Diese finden u. a. in Zusammenhang
mit Lagermanagement (Inventur) und Kassenverwaltung direkte Anwendung. Auch im
Kontext realpolitischer Diskussionen und Zielsetzungen wird manchmal eine irritie-
rende Vermischung beider Klassifizierungen vollzogen: So geht es oft um die höhere
Besteuerung der „reichen“ Haushalte, dann wird wieder von „besserverdienenden“
Haushalten gesprochen. Was ist denn nun gemeint? Reichtum stellt auf die Bestands-
größe „Vermögen“, Verdienst auf die Stromgröße „Einkommen“ ab. Im Sinne einer sach-
gerechten, rationalen Diskussion muss diese Differenzierung nachvollziehbar vollzogen
werden.
Wenn wir den Wirtschaftsprozess abbilden und uns ein strukturiertes Abbild vollzogener
wirtschaftlicher Aktivitäten verschaffen wollen, sind prinzipiell
378 N. Lamar
zu unterscheiden.
So ist der Erwerb eines Gutes eine typische zweiseitige Transaktion: Ein Gut wird
gegen Geld getauscht. Eine Schenkung ist hingegen eine typische einseitige Transaktion.
Stellt man auf die Akteure ab, die ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt im Inland haben
und bezüglich der Gesamtheit ihrer Aktivitäten erfasst werden sollen, so gelangt man
zum Inländerkonzept. Dabei wird die wirtschaftliche Betätigung aller Wirtschaftsein-
heiten erfasst, die ihren ständigen Sitz bzw. Wohnsitz im Wirtschaftsgebiet haben. Für
die Abgrenzung ist im Allgemeinen die Staatsangehörigkeit ohne Bedeutung; ebenso
ist es unerheblich, welche Rechtsform die Wirtschaftseinheiten haben. Ständig im
Inland befindliche Produktionsstätten, Verwaltungseinrichtungen etc. zählen deshalb
unabhängig von den Eigentumsverhältnissen zu den inländischen Wirtschaftseinheiten.
Ständig im Ausland gelegene Produktionsstätten, Verwaltungseinrichtungen etc. im
Eigentum von Inländern werden nicht zu den inländischen Wirtschaftseinheiten gezählt.
Diese werden konsequenterweise dem Ausland, der „Übrigen Welt“ zugerechnet. Aus-
nahmen von dieser Regel bilden u. a. diplomatische und konsularische Vertretungen
sowie Streitkräfte.
Y =C+I
Diese Einkommen werden als Faktoreinkommen für die Bereitstellung der Produktions-
faktoren Arbeit und Kapital in Form von Löhnen (L) und Gewinnen (R) an die privaten
Haushalte ausgezahlt:
15 Überblick und grundlegende Begrifflichkeiten 381
Y =L+R
Die Haushalte verwenden diese Einkommen für Konsumzwecke oder zur Ersparnis-
bildung (S):
Y =C+S
So folgt insgesamt als zentrale Ex-post-Identität für eine geschlossene Volkswirtschaft:
S=I
Die gesamtwirtschaftliche Ersparnis entspricht ex post somit immer der gesamtwirt-
schaftlichen Investition! Der nicht-konsumtiv verwendete Güterwert muss sich im Wert
der Investitionsgüter (zu beachten ist, dass auch Lagerbestandsveränderungen unter den
Investitionsbegriff der VGR fallen) der vergangenen (Berichts-)Periode widerspiegeln.
Dies gilt ebenfalls, wenn staatliche Aktivitäten Berücksichtigung finden.
Der Wirtschaftskreislauf einer Volkswirtschaft umfasst als Akteure neben den priva-
ten Haushalten und Unternehmen auch die öffentlichen Haushalte (Sektor Staat) und
das Ausland. Damit muss berücksichtigt werden, dass der Staat den Haushalten Ein-
kommensteile durch Steuern entzieht, somit das verfügbare Einkommen mindert. Die
Einkommensaufteilung durch die privaten Haushalte besteht nun mit Berücksichtigung
des Staates aus den Ausgaben für Konsumgüter, aus Steuerzahlungen und aus Erspar-
nisbildung. Andererseits erhält der Haushaltssektor vom Staat auch Faktoreinkommen
als Entlohnung für den Einsatz von Produktionsfaktoren in der Erstellung öffentlicher
Güter (Einkommen im öffentlichen Dienst). Zudem nimmt der Staat u. a. auch Trans-
ferzahlungen an solche Privathaushalte vor, die aufgrund sozialer Zielsetzungen
Unterstützung erhalten sollen. Es fließt also ein Einkommensstrom vom Staat an den
Haushaltssektor.
Im Verhältnis zwischen Staat und Unternehmen fließen indirekte Steuern (quantitativ
bedeutsam hier vor allem die Mehrwertsteuer) von den Unternehmen an den Staat, wäh-
rend der Staat den Unternehmen Subventionen gewährt. Der Staat fragt außerdem von
den Unternehmen Produkte nach und nimmt über die staatliche Kreditaufnahme auch
einen Teil der Ersparnis privater Haushalte in Anspruch. Die Berücksichtigung des Aus-
landes bedeutet, dass im Rahmen der Exporte Güterströme von den Unternehmen in den
Auslandssektor fließen und umgekehrt im Rahmen der Importe Güterströme vom Aus-
land (zumeist über den Unternehmenssektor) in den Haushaltssektor gelangen.
Ein solches Kreislaufschema stellt – wie bereits bezüglich der VGR im Allgemeinen
ausgesagt – keine wirtschaftswissenschaftliche Theorie dar, denn es enthält keine Hypo-
thesen, die Ursachen der betrachteten Entwicklungen erklären könnten. Es wird ledig-
lich festgestellt, in welchem Umfang z. B. das Volkseinkommen von den Haushalten
für Konsumzwecke, Steuern und Ersparnis verwendet wird. Die Ursachen werden nicht
betrachtet. Eine solche Betrachtungsweise wird als Ex-post-Darstellung (Beschreibung
im Nachhinein) bezeichnet. Sie gibt an, zu welchem Ergebnis die ökonomischen
Wirkungszusammenhänge in der Vergangenheit geführt haben. Sie beschreibt somit
382 N. Lamar
lediglich einen bereits eingetretenen Zustand. Dennoch ist es ein Modell, welches in
vereinfachter Form grundlegende Strukturen Transaktionen der Sektoren betreffend
erkennen lässt. Für die Prognose künftiger Wirtschaftsentwicklungen und für die
Beurteilung der Effizienz möglicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist es allerdings
notwendig, auch die Bestimmungsgrößen des Konsumverhaltens, des Sparverhaltens
und des Investitionsverhaltens zu kennen. Dies ist Gegenstand der makroökonomischen
Theorie.
Hauptnutzer der VGR-Daten auf internationaler Ebene sind das Statistische Amt
der Europäischen Gemeinschaft (Eurostat), die Europäische Zentralbank (EZB), die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie der
Internationale Währungsfonds (IWF) und die Vereinten Nationen (UN). Innerhalb der
Europäischen Union (EU) dienen die Angaben zum Bruttonationaleinkommen (BNE)
beispielsweise zur Berechnung der Mitgliedsbeiträge der einzelnen Staaten an die EU.
Die VGR-Daten werden weiterhin für die Überwachung und Steuerung der europäischen
Währungspolitik benötigt. So basieren die Konvergenzkriterien für die Europäische
Währungsunion auf Größen der VGR (insbesondere hier öffentliches Defizit, öffentlicher
Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt).
Literatur
Weiterführende Literatur
Prof. Dr. Norbert Lamar hält seit 2007 eine Professur für Volks-
wirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Oekonomie &
Management. Zudem ist er wissenschaftlicher Gesamtstudienleiter
am Hochschulzentrum Neuss. Parallel dazu arbeitet er weiterhin als
freiberuflicher Berater.
Norbert Lamar studierte Wirtschaftswissenschaften an der
Ruhr-Universität Bochum (RUB) und promovierte dort zum Thema
„Makroökonomische Konvergenz und Währungssystem“. Nach
seiner Promotion arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mit-
arbeiter und Assistent an der RUB und nachfolgend als freiberuf-
licher Berater und Dozent an privaten und öffentlichen Institutionen.
Bruttoinlandsprodukt (BIP) als
zentrale Größe gesamtwirtschaftlicher 16
Betrachtungen
Norbert Lamar
N. Lamar (*)
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386 N. Lamar
Inhaltsverzeichnis
Für die statistische Erfassung der vergangenen Entwicklung und damit auch für die
wirtschaftspolitische Kontrolle der abgelaufenen Prozesse ist die Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung als Ex-post-Analyse relevant. Dabei wird das Ergebnis der gesamt-
wirtschaftlichen Aktivität einer Periode (Produktion und Einkommen) zumeist unter
drei Blickwinkeln erfasst: bei seiner Entstehung, bei seiner Verteilung und Umverteilung
sowie bei seiner Verwendung.
Es gibt somit grundsätzlich drei Ansätze, die wirtschaftliche Leistung über das
Bruttoinlandsprodukt zu berechnen: Entstehungs-, Verwendungs- und Verteilungs-
rechnung (vgl. hierzu auch Abb. 16.1).1
Im Folgenden sollen diese Rechenwege und relevanten Begriffsinhalte näher erörtert
werden.
1Eine Übersicht über den Zusammenhang dieser drei Berechnungsansätze in strukturierter Form
mit Daten für Deutschland kann unter Statistisches Bundesamt (o. J.), S. 9, eingesehen werden.
16 Bruttoinlandsprodukt (BIP) als zentrale Größe … 387
16.3 Entstehungsrechnung
Aufgabe der Entstehungsrechnung ist es, die Beiträge der einzelnen Wirtschaftsbereiche
zur Entstehung der gesamten volkswirtschaftlichen Produktion zu erfassen und damit
zugleich auch die relative Bedeutung der einzelnen Sektoren für die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft abzubilden. Dazu wird der Unternehmenssektor
in der zuvor beschriebenen Weise in Einzelsektoren, wie beispielsweise Land- und
Forstwirtschaft, Fischerei, Waren produzierendes Gewerbe, Handel und Verkehr,
388 N. Lamar
Produktionswerte Die Produktionswerte der Unternehmen stellen den Wert der Ver-
käufe von Waren und Dienstleistungen aus eigener Produktion an andere (in- und aus-
ländische) Wirtschaftseinheiten ohne Gütersteuern dar, zuzüglich der produzierten und
noch nicht verkauften Waren sowie der selbst erstellten Anlagen.
Der Begriff Bruttowertschöpfung folgt aus der Tatsache, dass in diesem Umfang zusätz-
liche Güter (=wirtschaftliche Werte) geschaffen worden sind. Die Bruttowertschöpfung
ist bewertet zu Herstellungspreisen, d. h. ohne die auf die Güter zu zahlenden Steuern
(Gütersteuern), aber einschließlich der empfangenen Gütersubventionen (beispielsweise
Beihilfen im Agrarsektor). Beim Übergang von der Bruttowertschöpfung (zu Her-
stellungspreisen) zum Bruttoinlandsprodukt sind die Nettogütersteuern (Gütersteuern
abzüglich Gütersubventionen) hinzuzufügen, um zu einer Bewertung des Bruttoinlands-
produkts zu Marktpreisen zu gelangen.
Bruoinlandsprodukt
+ Primäreinkommen aus der übrigen Welt
– Primäreinkommen an die übrige Welt
= Bruonaonaleinkommen
2Das BIP nach Sektoren kann unter Statistisches Bundesamt (o. J.), S. 10, eingesehen werden.
390 N. Lamar
Das Inländerprodukt unterscheidet sich also vom Inlandsprodukt dadurch, dass z. B.
Erwerbseinkommen ausländischer Grenzgänger, die im Inland arbeiten, abgezogen
werden und die vom Ausland bezogenen Faktoreinkommen inländischer Bürger (etwa
Zinsen für im Ausland angelegtes Kapital) hinzugezählt werden. Dieses Bruttoinländer-
produkt ist gleichzusetzen mit dem Begriff Bruttonationaleinkommen (früher Brutto-
sozialprodukt zu Marktpreisen).
16.4 Verwendungsrechnung
der Produktion ins Ausland exportiert wird, d. h. von Ausländern nachgefragt und ver-
wendet wird (Exportgüternachfrage). Um die Verwendung des inländischen Inlands-
produkts exakt zu erfassen, ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Teil der inländischen
Konsumnachfrage sich auch auf importierte Güter richtet. Um also auf die Gesamtnach-
frage allein nach inländischen Produkten zu schließen, muss von den bisher genannten
Nachfragekomponenten die Importnachfrage abgezogen werden.
16.5 Verteilungsrechnung
• personelle Einkommensverteilung,
• funktionale Einkommensverteilung,
• sektorale Einkommensverteilung.
Gegenstand der der sektoralen Verteilungsrechnung ist die Betrachtung der einzelnen
Produktionssektoren als Einkommensquelle. Wie hoch sind die erzielten Einkommen
im Agrarsektor, wie hoch im Dienstleistungsbereich, welche Einkommen wurden im
Industriesektor erwirtschaftet?
Eine Berechnung des Bruttonationaleinkommens von der Einkommensseite kann
sowohl bei den geleisteten (entstandenen bzw. gezahlten) als auch bei den empfangenen
Einkommen ansetzen. Nicht berücksichtigt wurde bisher bei der Berechnung bis hin zum
Bruttonationaleinkommen, dass die im Produktionsprozess eingesetzten Maschinen und
Anlagen durch die Leistungserstellung (Produktion) abgenutzt werden und damit der
Wert des Produktionsapparates (Realkapital) sinkt. Hierfür werden in der Kalkulation der
Unternehmen die Abschreibungen berücksichtigt. Soll der Produktionsapparat der Volks-
wirtschaft nicht schrumpfen, so müssen zumindest im Umfang der Werte der jährlichen
Abschreibungen zusätzliche Investitionen vorliegen (Ersatzinvestitionen). Sie gleichen
die Abnutzung des Kapitalbestandes aus, ohne dessen Volumen zu erhöhen. Da in Höhe
der Abschreibungen also ein Verbrauch des Produktionsapparates besteht, verringert
sich hierdurch das letztendlich zur Verteilung verbleibende Produktionsergebnis. Denn
würden die Ersatzinvestitionen nicht vorgenommen und stattdessen der entsprechende
Gegenwert den Haushalten zum Konsum zur Verfügung gestellt werden, so würden diese
Teile des Substanzwertes der Volkswirtschaft verbrauchen. Wird also die Notwendigkeit
von Ersatzinvestitionen berücksichtigt, so muss man vom Bruttonationaleinkommen die
Abschreibungen abziehen, um zum effektiven Produktionszuwachs zu gelangen. Auf die-
sem Wege berechnet man die Nettowertschöpfung.
In den Marktpreisen sind aber auch die indirekten Steuern und weitere Produktions-
abgaben enthalten: Indirekte Steuern sind solche Belastungen, die der Steuerzahler über
den Markt auf andere Wirtschaftssubjekte überwälzen kann (Verbrauchsteuern). Die
indirekten Steuern erhöhen somit als Folge der (wenn auch eventuell nur teilweisen)
Überwälzung den Marktwert der Produktion über die Faktorkosten hinaus. Ebenso sind
weitere, sonstige Produktionsabgaben zu berücksichtigen (z. B. Gewerbesteuer, Grund-
steuer, Kfz-Steuer von Unternehmen). Entsprechend müssen die indirekten Steuern und
sonstige Produktionsabgaben abgezogen werden, da der Staat als Steuereinnehmer ja in
dieser Höhe eine Auszahlung der Marktpreise an die Faktoreigentümer (private Haus-
halte) unmöglich macht. Andererseits können Subventionen die Marktpreise unter den
Wert drücken, den die Unternehmen für den Einsatz der Produktionsfaktoren gezahlt
haben. Um den an die privaten Haushalte ausschüttbaren/auszahlbaren Produktionswert
zu erhalten, müssen deshalb die Subventionen zu den Marktpreisen addiert werden. Auf
diesem Wege gelangt man zum sogenannten Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten.
Das Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten umfasst das von Inländern empfangene
Arbeitnehmerentgelt sowie die Unternehmens- und Vermögenseinkommen.
16 Bruttoinlandsprodukt (BIP) als zentrale Größe … 393
Bruonaonaleinkommen
– Abschreibungen
= Neonaonaleinkommen zu Marktpreisen (Primäreinkommen)
– Produkons- und Importabgaben
+ Subvenonen
= Volkseinkommen
Damit liegt das den inländischen Haushalten aus dem Produktionsprozess der
betrachteten Periode zugeflossene Einkommen vor. Es wird folglich auch als Volksein-
kommen bezeichnet.
Da der Wert der Produktion nun genau über die zu seiner Erstellung aufgewendeten
Faktorkosten bestimmt ist und die Faktorkosten zugleich Einkommen der Produktions-
faktoren darstellen, entspricht diese Größe der Gesamtheit aller gezahlten Einkommen in
der Volkswirtschaft.
Setzt man bei den empfangenen Einkommen an, ergibt sich somit der folgende defi-
nitorische Zusammenhang zur Berechnung des Bruttonationaleinkommens (in der Pra-
xis ist dieser Weg allerdings aufgrund oftmals unzureichender Basisdaten bezüglich der
Unternehmens- und Vermögenseinkommen nicht gangbar):
Unternehmenseinkommen
+ Vermögenseinkommen
+ Arbeitnehmerentgelt der Inländer
+ Produkons- und Importabgaben an den Staat
– Subvenonen des Staates
= Neonaonaleinkommen
+ Abschreibungen
= Bruonaonaleinkommen
Des Weiteren interessiert, welcher Teil des verteilten Einkommens den Haushalten letzt-
endlich tatsächlich zur Verfügung steht bleibt. Hier werden dann auch (um-)verteilungs-
politische Wirkungen sichtbar.
Das verfügbare Einkommen der als Einkommen aller inländischen Sektoren berechnet
sich im Rahmen der VGR durch das Volkseinkommen erhöht um die Produktions- und
394 N. Lamar
Literatur
Weiterführende Literatur
Prof. Dr. Norbert Lamar hält seit 2007 eine Professur für Volks-
wirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Oekonomie &
Management. Zudem ist er wissenschaftlicher Gesamtstudienleiter
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freiberuflicher Berater.
Norbert Lamar studierte Wirtschaftswissenschaften an der
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„Makroökonomische Konvergenz und Währungssystem“. Nach
seiner Promotion arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mit-
arbeiter und Assistent an der RUB und nachfolgend als freiberuf-
licher Berater und Dozent an privaten und öffentlichen Institutionen.
Zur Aussagefähigkeit und Interpretation
des BIP 17
Norbert Lamar
N. Lamar (*)
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396 N. Lamar
Inhaltsverzeichnis
• Erfassungsprobleme/Beobachtungsprobleme,
• Abgrenzungsprobleme,
• Bewertungsprobleme,
• Schattenwirtschaft und Subsistenzwirtschaft.
Erfassungsprobleme/Beobachtungsprobleme
Ein Großteil Ungenauigkeiten bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes ist infolge
der Komplexität und des Umfangs des gesamten Rechenwerks unvermeidlich. Daten
können nicht immer primär erhoben werden, man muss teils auf Sekundärstatistiken
zurückgreifen. Manche Transaktionen können nur geschätzt werden, da keine Daten
vorliegen. Bei Primärerhebungen werden – bewusst oder unbewusst – von Wirtschafts-
einheiten falsche Angaben gemacht. Ebenso können aufgrund unterschiedlicher Daten-
quellen unterschiedliche Daten für die gleiche Größe vorliegen.
Abgrenzungsprobleme
Welche Aktivität ist dem Haushaltssektor zuzuordnen, welche dem Unternehmenssektor.
War eine Transaktion konsumtiv oder investiv? Im Fall von Freiberuflern ist hier z. B.
17 Zur Aussagefähigkeit und Interpretation des BIP 397
die Grenze nicht immer einfach zu ziehen. Oft üben Freiberufler ihre Tätigkeiten in den
von ihnen bewohnten (privaten) Räumen aus, in denen sie Büros errichtet haben. Diese
gelten dann als Betriebsstätte. Dann ist schwer abgrenzbar, welche Aufwendungen letzt-
lich privater Konsum, welche wiederum betriebliche Aufwendungen sind. So ordnet
das ESVG ja auch diverse Produzenten dem Haushaltssektor zu. Hier lässt sich über die
Konsistenz und Sinnhaftigkeit der Abgrenzung sicher streiten.
Bewertungsprobleme
Liegen keine Marktpreise oder genauen Angaben zu den geleisteten Aufwendungen
vor, müssen passende Wertansätze gefunden werden. Insbesondere das Ausmaß der
Abschreibungen für die VGR zu bewerten ist problematisch. Zwar geben Handels- und
Steuerrecht entsprechender Wertansätze vor, diese liefern aber nicht Angaben über
Wiederbeschaffungswerte der Berichtsperiode. Genau diese muss man aber abschätzen, da
im Rahmen der VGR der Aufwand zur Erhaltung des realen (Sach-)Kapitalstocks gesucht
ist. Ähnliche Probleme ergeben sich für die Bewertung von Lagerbestandsveränderungen.
lässt sich der sogenannte BIP-Deflator berechnen. Der BIP-Deflator gibt somit an, wel-
che Änderung des nominalen BIP auf Preisänderungen zurückzuführen ist.
Beispiel
Das BIP von Absurdistan setze sich aus vier Gütergruppen zusammen:
• Ernährung (30 %),
• Wohnung (30 %),
• Energie (10 %),
• Unterhaltung (30 %).
Der Gesamtwert im Basisjahr 2014 sei 3000 Absurdistan$ (A$). Dies ist dann das
nominale BIP des Jahres 2014.
Davon entfallen in absoluten Werten somit auf
• Ernährung: A$ 900
• Wohnung: A$ 900,
• Energie: A$ 300,
• Unterhaltung: A$ 900.
Die gleichen Mengen (wir nehmen also an, die Produktion stagnierte) an den einzel-
nen Gütergruppen kosten nun im Jahr 2015:
• Ernährung: A$ 990,
• Wohnung: A$ 990,
• Energie: A$ 200,
• Unterhaltung: A$ 900.
Das nominale BIP im Jahr 2015 hat also einen Wert von A$ 3080.
Der BIP-Deflator für 2015 beträgt 102,66, ermittelt aus dem Verhältnis der beiden
BIP-Werte wie folgt:
3080
∗ 100 = 102, 66
3000
17 Zur Aussagefähigkeit und Interpretation des BIP 399
Somit ist also bei den im BIP erfassten Gütern (Endprodukten) im Jahresvergleich eine
allgemeine Preissteigerung von 2,66 % zu beobachten. In allgemeiner Form ist der
BIP-Deflator zu berechnen durch folgende Formel:
BIPnominal
BIP - Deflator = ∗ 100
BIPreal
Internationale Vergleichbarkeit
Will man auf der Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, insbesondere
der Inlandsproduktberechnung, internationale Vergleiche anstellen, sind weitere Aspekte zu
berücksichtigen. So muss zunächst auf der Grundlage passender Wechselkurse (welches ist
der geeignete Wechselkurs?) eine Umrechnung auf eine einheitliche Währungsbasis (in der
Regel US-Dollar oder Euro) erfolgen. Die Kaufkraft in den einzelnen zu vergleichenden
Volkswirtschaften ist zu berücksichtigen und auf Kaufkraftindizes abzustellen. Absolute
Größen führen meist zu fehlerhaften Interpretationen, relative Größen (Verhältniszahlen)
sind hier der sinnvollere Ansatz.
Die Frage, wie man den Wohlstand und die Lebensqualität der Menschen in einem Land
adäquat statistisch messen kann, war in der Vergangenheit zumeist konzentriert auf rein
wirtschaftliche Größen wie das Bruttoinlandsprodukt und dessen Wachstumsrate. Dies
scheint eine zu einseitige Betrachtung zu sein, welche kritisch zu hinterfragen ist.
„Wir stehen vor großen Herausforderungen: Die Unsicherheiten über die weitere Ent-
wicklung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, der Finanzmärkte sowie der demo-
graphische Wandel und die steigende Staatsverschuldung beunruhigen die Menschen
ebenso wie die Gefahren des Klimawandels, der Verlust von biologischer Vielfalt, die
mangelnde Generationengerechtigkeit und die soziale Ungleichheit auf globaler wie
auf nationaler Ebene. All dies hat eine grundlegende Diskussion über gesellschaftlichen
Wohlstand, individuelles Wohlergehen und nachhaltige Entwicklung angestoßen …“
(Deutscher Bundestag 2010)
In nahezu allen Volkswirtschaften erfolgt eine mehr oder minder exakte Ermittlung des
Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum und die Höhe des Bruttoinlandsprodukts wer-
den üblicherweise als Maßstab für die Entwicklung der produktiven Leistungen einer
Volkswirtschaft und damit zumeist für seine Wohlfahrt angesehen. Hierbei sind einige
Restriktionen zu berücksichtigen und erweiterte Überlegungen, vor allem in folgender
Richtung, anzustellen:
400 N. Lamar
• Nicht das nominale, sondern das reale Inlandsprodukt ist zu betrachten, da nur dieses
die Ermittlung des Zuwachses an zur Verfügung stehenden Gütern ermöglicht.
• Das reale Inlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist entscheidend. Bei wachsender
Bevölkerung muss das reale Inlandsprodukt dann mindestens genauso wachsen, um
wenigstens den erreichten Wohlstand zu erhalten.
• Die Einkommensverteilung muss berücksichtigt werden.
• Weiterhin erfasst das Inlandsprodukt nicht die mit seiner Erzeugung verbundenen
Umweltbelastungen (negative externe Effekte in Form von Luftverschmutzung,
Wasserverschmutzung, Lärm usw.), die jedoch das Wohlbefinden der Bevölkerung,
die Wohlfahrt der Volkswirtschaft deutlich mindern können. Dasselbe gilt naturge-
mäß für Vorzüge der Landschaft oder klimatisch günstige oder ungünstige Umwelt-
bedingungen, die den Wohlstand der Bevölkerung deutlich erhöhen können. Hier ist
entscheidend, ob quantitatives Wachstum (mengenmäßiges Wachstum) auch mit qua-
litativem Wachstum verbunden ist.
• Die Entwicklung des Inlandsprodukts sagt auch nichts über das Verhältnis von Frei-
zeit zu Arbeitszeit aus. Je nachdem mit welcher Arbeitszeit pro Tag bzw. pro Monat
ein bestimmtes Inlandsprodukt erzeugt wird, ist die Wohlfahrt der Volkswirtschaft
höher oder geringer einzuschätzen.
• Auch die mangelnde Erfassung des Beitrages des Staates zum Inlandsprodukt – sei es
nun direkt oder indirekt – kann dessen Eignung als Maßstab für die Wohlfahrt beein-
trächtigen.
• In vielen Ländern werden zur Messung des Wohlstandes zusätzlich zum Inlands-
produkt noch sogenannte soziale Indikatoren, wie Infrastruktur, Ärzte pro Kopf der
Bevölkerung, Lehrer pro Kopf der Bevölkerung, Ausbildungsgrad der Bevölkerung,
Kalorienverbrauch pro Kopf der Bevölkerung, Einkommensverteilung, Arbeitslosen-
zahl oder durchschnittliche Arbeitszeit herangezogen.
Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission
Der im September 2009 vorgelegte Bericht der sogenannten „Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kom-
mission“ hat die Diskussion über eine umfassende Messung von Wohlstand, Lebens-
standard und sozialem Fortschritt noch einmal neu entfacht.
“Another key message, and unifying theme of the report, is that the time is ripe for our
measurement system to shift emphasis from measuring economic production to measuring
people’s well-being. And measures of well-being should be put in a context of sustainabi-
lity. Despite deficiencies in our measures of production, we know much more about them
than about well-being. Changing emphasis does not mean dismissing GDP and produc-
tion measures. They emerged from concerns about market production and employment;
they continue to provide answers to many important questions such as monitoring eco-
nomic activity. But emphasizing well-being is important because there appears to be an
increasing gap between the information contained in aggregate GDP data and what counts
for common people’s well-being. This means working towards the development of a sta-
tistical system that complements measures of market activity by measures centered on
people’s well-being and by measures that capture sustainability. Such a system must, of
necessity, be plural – because no single measure can summarize something as complex
as the well-being of the members of society, our system of measurement must encom-
pass a range of different measures. The issue of aggregation across dimensions (that is
to say, how we add up, for example, a measure of health with a measure of consumption
of conventional goods), while important, is subordinate to the establishment of a broad
statistical system that captures as many of the relevant dimensions as possible. Such a
system should not just measure average levels of wellbeing within a given community,
and how they change over time, but also document the diversity of peoples’ experiences
and the linkages across various dimensions of people’s life. There are several dimensions
to well-being but a good place to start is the measurement of material well-being or living
standards.” (Stiglitz et al. 2010)
Zahlreiche Aktivitäten und Initiativen sind in der Folge dieses Berichts entstanden. Sie
reichen von allumfassenden, in einer Zahl ausgedrückten Gesamtindikatoren bis zu breit
gefächerten Sets von Indikatoren, die unterschiedliche Dimensionen von Wohlstand und
Lebensqualität abbilden.
Trotz unterschiedlicher Ausgestaltung und Reichweite prägt diese Vorschläge eine
gemeinsame Intention: Die gerade im Rahmen praktischer Wirtschaftspolitik ver-
wendete Gleichsetzung von BIP-Wachstum mit Wohlfahrts-Wachstum muss kri-
tisch hinterfragt werden. Die Kritik ist nicht unbedingt neu, wird aber gerade in
Phasen wirtschaftlicher Stagnation (auch oder gerade auf hohem wirtschaftlichem Ent-
wicklungsniveau) zunehmend in den Vordergrund gerückt. Eine einfache Antwort wird
nicht zu finden sein.
402 N. Lamar
Auffällig ist eine zu beobachtende hohe positive Korrelation zwischen dem HDI und
dem Inlandsprodukt pro Kopf. Intuitiv findet dies eine Erklärung u. a. darin, dass sich
Länder mit hohem Einkommensniveau ebenfalls hohe Investitionen in Bildungs- und
Gesundheitsinfrastrukturen leisten können und dies in der Regel auch tun.
Umweltökonomische Gesamtrechnung
Eine Erfassung negativer externer Effekte wird durch die Umweltökonomische Gesamt-
rechnung des Statistischen Bundesamtes angestrebt, welche ergänzend bei der Wohl-
fahrtsbetrachtung herangezogen werden kann.
Literatur
Deutscher Bundestag. (2010). Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensquali-
tät – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen
Marktwirtschaft“, Drucksache 17/3853, 17. Wahlperiode 23.11.2010. http://dip21.bundestag.
de/dip21/btd/17/038/1703853.pdf. Zugegriffen: 04. Nov. 2018.
Deutscher Bundestag. (2013). Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand,
Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in
der Sozialen Marktwirtschaft“, Drucksache 17/13300, 2013. http://dip21.bundestag.de/dip21/
btd/17/133/1713300.pdf. Zugegriffen: 01. Okt. 2018.
Diefenbacher, H., & Zieschank, R. (2011). Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt. München:
Oekom.
Stiglitz, J., Sen, A., & Fitoussi, J. P. (2010). Mismeasuring our lives. New York: The New Press.
Weiterführende Literatur
Prof. Dr. Norbert Lamar hält seit 2007 eine Professur für Volks-
wirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Oekonomie &
Management. Zudem ist er wissenschaftlicher Gesamtstudienleiter
am Hochschulzentrum Neuss. Parallel dazu arbeitet er weiterhin als
freiberuflicher Berater.
Norbert Lamar studierte Wirtschaftswissenschaften an der
Ruhr-Universität Bochum (RUB) und promovierte dort zum Thema
„Makroökonomische Konvergenz und Währungssystem“. Nach
seiner Promotion arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mit-
arbeiter und Assistent an der RUB und nachfolgend als freiberuf-
licher Berater und Dozent an privaten und öffentlichen Institutionen.