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Aberglauben – Aberwissen

Welt ohne Zufall

Volkskundemuseum
Aberglauben – Aberwissen
Welt ohne Zufall

Aberglaube definiert sich nicht selbst. Der Begriff bezeichnet Die Ausstellung Aberglauben – Aberwissen widmet sich einem
Überzeugungen und Praktiken, die jenen widersprechen, die Weltbild, das keinen Zufall kennt. Sie kann nur fragmentarisch
sich als allgemein gültige Lehre mit gesellschaftlicher Macht einige Gebiete anreißen und muss auf viele weitere Aspekte ver-
durchgesetzt haben. Seit Ausgang des Mittelalters unterschied zichten. Sie soll anregen, skeptisch mit Kategorien von „wahr“
die christliche Lehre zwischen Recht- und Falschgläubigen und „falsch“ umzugehen und für möglich zu halten, dass unsere
und prägte somit die Bezeichnung. Mit der Aufklärung des 17./ moderne Wissensgesellschaft vieles (noch) nicht weiß.
18. Jahrhunderts übernahmen die Wissenschaften den Terminus
für alle Anschauungen, die nicht mit rationalen Methoden be-
gründbar waren. Doch bereits in der Antike, allen voran von
Cicero, wurde der Aberglaube (Superstitio) heftig bekämpft.

Als Aberglaube wird oft bezeichnet, was zuvor gängiges Wissen


im Umgang mit der Welt war. Einiges davon findet man in alten,
einst anerkannten Lehrbüchern, doch der Großteil dieses Wis-
sens wurde nicht niedergeschrieben, sondern mündlich tradiert.
Hinzu kommt die stete Durchdringung mit religiösen Inhalten,
die von der Kirche nicht verhindert werden konnte oder teilweise
von ihr gefördert wurde. Der Aberglaube wurde so zu einem
nicht eingrenzbaren und nicht festschreibbaren Kompendium
des Weltwissens.

Grundlegend ist im Aberglauben zwischen der magia naturalis


und der magia daemonica zu unterscheiden, auch wenn beide
einander überschneiden. Die magia naturalis deutet Zeichen in
der Natur als Hinweis auf zukünftige Ereignisse oder sucht nach
ihnen durch Künste wie die, in den Sternen, in den Händen oder
in der Erde zu lesen. Sie überschreitet die Grenze zur Zauberei,
wenn sie Praktiken zur Beeinflussung des zukünftigen Schick-
sals anwendet. Die magia daemonica geht davon aus, dass gute
und böse Geistwesen das Leben der Menschen beeinflussen und
ist damit im Grunde den Religionen recht verwandt.

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Die Ordnung der Dinge und ihre Syntax Ähnlichkeit der Form
Johannishand
Farnwurzel, beschnitten
Aberglaube ist keine krude Spinnerei. Sonst hätte er sich nicht Wahrscheinlich Ausseer Land, Anfang 20. Jahrhundert
halten und in den verschiedensten Ländern der Erde und über Handamulette stehen immer für menschliches Tun. Die hand-
Jahrhunderte hinweg ähnliche Züge entwickeln können. Das förmig zurechtgeschnittene Wurzel, auch Glückshändchen
soll nicht heißen, dass abergläubische Anschauungen „wahr“ genannt, soll – in der Johannisnacht ausgegraben – Erfolg im
sind – sondern nur, dass sie nicht verrückt sind. Abergläubisches Spiel und in der Liebe bringen. Kleinere Varianten wurden in
Denken und Handeln unterliegt einem System und das hat Re- der Geldbörse getragen, damit das Geld nicht ausgehe. Wie alle
geln wie eine Grammatik. Diese beruht auf Beobachtung und Handamulette sollte auch die Johannishand Hexerei, Zauber und
Erfahrung, wurde im Alltag definiert, tradiert, umgewandelt und Zugriffe des Teufels abwehren.
nur in Bruchstücken festgeschrieben. Dadurch ergaben sich über
die Jahrhunderte und Regionen hinweg unzählige Auslegungen Fraisenbeinchen – Froasboanl
derselben Regeln, wie „Ein Teil steht für das Ganze“, „Wie oben, Gehörknochen des Schweins
Weststeirisch, 19. Jahrhundert, Benediktinerstift St. Lambrecht
so unten“, „Wie einmal, so immer“.
Das Felsenbein (Labyrinthus osseus) umgibt das Innenohr von Säu-
Das abergläubische Regelwerk ist verworren, unsystematisch getieren, auch Labyrinth genannt. Dieses verschlungene Knöchel-
und durchaus auch widersprüchlich. In ihm hat der Grundsatz chen wurde Kindern als Amulett gegen die „Fraisen“ umgehängt,
„Gleich und Gleich gesellt sich gern“ durchaus Platz neben der damit sind Krankheiten gemeint, die mit schwindelnden Bewegun-
Regel „Gegensätze ziehen einander an“. Die Gegenstände des gen und Krämpfen einhergehen. In der Tasche getragen diente es
Aberglaubens stellen nur den formgewordenen Bruchteil dieser auch als Wegwoaserla, damit man sich nicht verirren möge.
Gedankenwelt dar, die überkommen scheint, doch bis heute auf-
geklärtes Denken begleitet. Die Dinge sind das, was aufbewahrt Hochvater-Amulett
6 Deckel von Turboschnecken, in Silber gefasst
wurde, die Wirkprinzipien dahinter werden zunehmend verges- 18. Jahrhundert, Schlossmuseum Linz
sen. Kaum ein Gegenstand entspricht nur einer Regel oder nur
Die Deckel von Turboschnecken waren gesuchte Amulette mit
einem kulturellen Kontext.
verschiedenen Aufgaben. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer
Ohrmuschel wurden sie zum Schutz vor Schwerhörigkeit und
Erkrankungen des Ohrs getragen. Wichtiger noch war die Asso-
ziation zur Vulva, weswegen Hochvater-Amulette von Frauen
getragen wurden, die sich eine Schwangerschaft und eine rei-
bungslose Geburt wünschten. Als obszönes Zeichen sollte es
aber auch den Bösen Blick abwehren.

Allermannsharnisch
2 Wurzeln von Siegwurz (Allium Victorialis L.)
Ende des 19. Jahrhunderts

Die Wurzel dieses Lauchgewächses ist von einem Fasernetz –


wie von einem Harnisch – ummantelt. Als Amulett getragen
oder über Stall- oder Haustür genagelt sollte sie unverwundbar
machen und vor Dieben schützen. Daneben wurde der Aller-
mannsharnisch vor allem von Soldaten oder von Bergleuten als
blutstillendes Mittel verwendet. Wegen ihres starken Geruchs
galt die Siegwurz auch als Schutz bei Angst vor Dämonen. Im
Ausseerland wurde sie gegen das Verschreien mit sich getragen.

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Dreipass mit Krebsaugen Frauenmantel
Kalkkonkremente, in Silber gefasst Farbdruck,
18. Jahrhundert, Schlossmuseum Linz 1930er-Jahre

Diese Kalkablagerungen (Lapides cancrorum) aus dem Verdau- Die dekorativen Blätter der Pflanze erinnern an einen gefältelten
ungstrakt von Flusskrebsen dienen als Kalkdepot für die Häu- Umhang und tragen in Hinblick auf die Gottesmutter den Namen
tung der Tiere. Auf der flachen Seite besitzen sie einen Wulst, Frauenmantel. Dieser Name hat zu einer umfassenden Skala an
der an ein Auge erinnert, ebenso wie die konvexe Seite einem zugeschriebenen Wirkungen der Pflanze geführt, vom Liebes-
Augapfel ähnelt. Sie wurden als Amulett gegen Augenerkran- trank (bei Dioskurides) bis zur Linderung von Frauenkrankheiten.
kungen getragen, dienten wie alles Augenähnliche aber auch als Ihren lateinischen Namen Alchimilia verdankt sie den Tautrop-
Schutz vor Schadenszauber wie dem Bösen Blick. Da sie aus dem fen, die sich in der Blattachse oft den ganzen Tag über halten
Inneren des Tieres stammen, sollten sie auch bei Leibschmerzen und zur wichtigen Substanz in der Alchemie wurden. Heute wird
helfen. die Pflanze nur noch in der Alternativmedizin zur Linderung von
Beschwerden in den Wechseljahren und bei zu starken Blutun-
Heilige Länge Christi gen verwendet.
Holzschnitt
Steiermark,19. Jahrhundert

Heilige Längen sollten einen sinnlich fassbaren Bezug zu Chris-


tus, Maria oder manchen Heiligen herstellen, indem sie vorge- Ähnlichkeit der Farbe
ben, deren reale Körpergröße oder die einzelner Körperteile wie
des Arms oder Fußes abzubilden. Im 18. und 19. Jahrhundert
Schöllkraut
waren sie ein beliebtes Schutzmittel gegen alle Gefährdungen Farbdruck, 1930er-Jahre
des Lebens. Diese Heilige Länge Christi misst 153 cm.
Das am Wegesrand wachsende Schöllkraut (Chelidonium majus)
Die Amulette waren mit Zeichnungen, Gebeten und Wünschen
sondert bei Verletzung von Spross oder Wurzel einen intensiv
bedruckt wie:
gelben Milchsaft aus, der gegen Sommersprossen und Warzen
„H[ei]l[ige] Länge Christi bewahre mich vor allem Unglück, vor
helfen sollte. Allerdings musste die Flüssigkeit im Schein des
Gefängnis, schädlichen Wunden, Lästerungen, Feuer, Wasser,
abnehmenden Monds aufgebracht werden, wie alle Therapien,
Straßenräubern, vor Vergift- und Vergebungen, vor Zauber- und
bei denen etwas schwinden sollte.
Zauberinnen, vor Hagel, Schauer und Donnerwetter, beschirme
Die gelbe Farbe ließ das Kraut auch zum vielfach verwendeten
mich und meinen Feldbau, mein Getreid, meine Wiesen, Gärten und
Mittel gegen Leber- und Gallenleiden werden, die sich durch
auch alle meine Früchte, wie auch mein Vieh und alles Hab und
eine gelbliche Färbung der Haut äußern. Die krampflösende und
Gut, und gib allen schwangeren Frauen eine fröhliche Geburt.“
schmerzlindernde Wirkung des Schöllkrauts wird auch heute
Herbstzeitlose noch medizinisch eingesetzt, doch ist die Pflanze schwach gif-
Farbdruck, tig und kann bei Überdosierung und langfristigem Gebrauch zu
1930er-Jahre Kreislaufversagen oder ernsten Leberschäden führen.
Die Zwiebel der giftigen Herbstzeitlose (Colchicum autumnale)
weist Ähnlichkeit mit einer gichtkranken Zehe auf. Sie war ein Blutwurz
Farbdruck, 1930er-Jahre
beliebtes Therapeutikum zur äußerlichen Anwendung und im
getrockneten Zustand ein verbreitetes Amulett. Als Medikament Die Wurzel dieser niedrig wachsenden Pflanze (Potentilla erecta)
wird die Herbstzeitlose auch in der Homöopathie bei akuten ist von roter Farbe und wird bis heute als Therapeutikum mit
Gichtanfällen genutzt. Ein entsprechender Wirkungsmecha- blutstillenden und wundheilenden Eigenschaften eingesetzt.
nismus des Inhaltsstoffs Colchicin aus den Samen der Pflanze In der modernen Pflanzenheilkunde gelten Tee und Tinktur aus
wurde wissenschaftlich bestätigt. Blutwurz wegen ihres hohen Gehalts an Gerbstoffen vor allem
als wirksames Mittel bei Durchfällen und gegen Entzündungen
im Mund- und Rachenraum.

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Lungenkraut Bernstein
Farbdruck, 1930er-Jahre Anhänger mit Messingfassung
Mitte des 20. Jahrhunderts
Da die Signaturenlehre in den gefleckten Blättern des Lungen-
krauts (Pulmonaria officinalis) Ähnlichkeiten mit Lungenflügeln Das fossile Harz der Bernsteinkiefer (Pinus succinifera) wurde in
erkannte, wurde es in der Volksmedizin bei Husten, Heiserkeit der griechischen Mythologie als Tränen der Töchter des Sonnen­
und Halsweh eingesetzt. Seine Inhaltsstoffe wirken allerdings gottes Helios, der Heliaden, gedeutet, die sie über den Tod ihres
nur schwach schleimlösend, weswegen es heute nur noch selten Bruders Phaeton vergossen. Die Assoziation der goldgelben
verwendet wird. Farbe mit der Sonne machte den Bernstein auch bei Plinius
zum Amulett für gute Stimmung sowie gegen Melancholie und
Rotlaufring Wahnsinn. Durch Reiben lädt sich Bernstein elektrostatisch auf
Kupfer, 18. Jahrhundert und wurde daher allgemein als Zauberstein angesehen und zur
Bereits Hippokrates behandelte Geschwüre der Haut mit Kupfer. Vorbeugung gegen alle Übel und Gefahren getragen.
In der Signaturenlehre wurde Kupfer der Venus zugeordnet, und
nach dem Gesetz der Entsprechung regierte die Venus unter „Blutsteine“ und „Drachenblut“
Arsenglas (Arsensulfit)
anderem die Haut. Übertragen auf das Amulettwesen wurden Toneisenstein, Bauxit
Ringe aus Kupfer aufgrund ihrer Farbe als Schutz vor dem ver- Was in der popularmagischen Praxis als Blutstein bezeichnet
breiteten Rotlauf getragen, dessen Symptom stark gerötete wurde, darf nicht mit dem Hämatit verwechselt werden. Im
Hautstellen sind. Grunde wurden alle rot gefärbten harten Materialien zur Blut-
stillung verwendet und Blutstein oder Drachenblut genannt.
Beißstein
Karneol in Silberfassung Letzteres war eigentlich das kostbare rotfarbige Harz verschie-
18. Jahrhundert, Schlossmuseum Linz dener asiatischer und nordafrikanischer Bäume.
Karneol war bereits in den alten Kulturen Ägyptens und Grie- Wichtiger als die mineralogische Beschaffenheit der „Blutsteine“
chenlands ein beliebter Amulett-Stein. Seit dem Mittelalter gilt war die magische Praxis bei der Verwendung, z. B. musste man
er als wirksamer Schutz gegen Fieber und Blitz. Wegen seiner den Stein an die blutende Stelle halten und darüber mit ihm das
roten Farbe soll er auch die Macht besitzen, Blut zu stillen. Kreuzzeichen machen, wobei man in einem Atemzug das Vater-
In der Signaturenlehre ist Rot die Signatur des Mars, dem das unser, jedoch ohne das Wort „Amen“ sprechen sollte.
Eisen zugeordnet wird und der im Menschen über das Blut
regiert. Nach dem Lapidareo von Alfons X. aus dem 13. Jahrhun-
dert soll Karneol mutig machen.
Ähnlichkeit im Wesen
Korallenast
Anhänger, in Silber gefasst
19. Jahrhundert
Mistel
Farbdruck, 1930er-Jahre
Die Koralle (Corallim rubrum) war aufgrund ihrer natürlichen Die Mistel (Viscum album) ist ein Halbschmarotzer. Sie wächst
Wuchsform und ihrer Farbe ein weit verbreitetes Amulett. Die wie eine Geschwulst an ihrer Wirtspflanze und entzieht ihr
Ästchen sollten Kinder vor Misswuchs schützen, die rote Fär- hauptsächlich Wasser und Nährsalze. Nach der Signaturenlehre
bung hingegen wies auf seine Verwandtschaft mit dem Blut hin gilt sie bis heute als wirksame Therapie gegen Geschwüre und
und galt im übertragenen Sinn als Symbol für das Leben. Daher Krebs, da sie wie ein Krebsgeschwür Energie und Nährstoffe vom
wurden Korallen zur Blutstillung eingesetzt, als Schutz gegen umgebenden Gewebe abzapfen soll. Heute wird der Einsatz der
alle Arten von Verletzungen getragen, und sie sollten ganz all- Mistel in der Krebstherapie kontrovers diskutiert.
gemein das Leben vor jeglichem Unglück und dem Bösem Blick
schützen.

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Gamskugel (Bezoar) Malachitkreuz
Apatit, Obersteiermark, 19. Jahrhundert Silber, graviert, Malachit, mit blauem Glasstein, 6 Granate, unregelmäßige Perle
Süddeutsch, um 1570, Kulturhistorische Sammlung, UMJ
Der Begriff Bezoar bedeutet auf Farsi Gegengift. Vor allem im
Verdauungstrakt der persischen Bezoar-Ziege bilden sich solche Der Malachit ist ein recht weiches Mineral, das sich leicht be-
kugeligen Gebilde aus Verdauungsrückständen wie Pflanzenres- arbeiten lässt. Sein Name leitet sich vom lateinischen malacus
ten und Fellhaaren, die mit der Zeit versteinern. Auch bei vielen (weich) ab. Da alle Bestrebungen zur Erleichterung einer Geburt
weiteren Tieren, besonders bei Wiederkäuern, ist er zu finden. darauf abzielten, Bauch und Genitalien der Frau für die Passage
Dieses Exemplar stammt aus dem Darm einer Gämse. des Kindes weich zu machen, erlangte der Malachit den Rang
Als Versinnbildlichung eines störenden Fremdkörpers, der das eines Schutzamuletts und wurde vorwiegend Hebammenstein
Tier vergiftet haben soll, galt der Bezoar als Schutzmittel gegen genannt. Schwangere banden sich Malachite um den Bauch oder
Vergiftungen aller Art, seien sie mutwillig, versehentlich oder trugen ihn als Wehenkreuz bei der Geburt.
durch psychische Einflüsse hervorgerufen.
Zwei Schergraberln
Gelöst in Flüssigkeiten verwendete man abgeschabte Partikel Maulwurfspfoten, Silber
des Bezoars als Heilmittel und Gegengift bei Kopf-, Herz- und 18. Jahrhundert, Schlossmuseum Linz
Magenbeschwerden, auch gegen die Pest, Fraisen, Gelbsucht Der Maulwurf („Scher“) galt als etwas unheimliches Tier, da er im
und Ruhr, ebenso bei Frauenkrankheiten und zur Erleichterung Inneren des Bodens lebt und ein schwarzes Fell hat. Lange nahm
schwerer Geburten. man an, dass er Pflanzen schädige und blind sei. Daher galten
Körperteile dieses vermeintlichen Unholds als Schutz vor dem
Fraisenkette Bösen Blick und seine Krallen als glücksbringend im Spiel und in
Natternwirbel, Natternschädel, Wieselkiefer
Wahrscheinlich Obersteiermark, 19. Jahrhundert der Liebe. Warum sich die Maulwurfskralle letztendlich vor allem
Fraisenketten aus Natternwirbeln waren in den Alpenländern als Amulett gegen Zahnweh und zur Erleichterung des kindlichen
weit verbreitet und wurden vornehmlich in Klöstern hergestellt. Zahnens durchgesetzt hat, ist nicht geklärt. Die Verbindung
Sie wurden Kindern ans Bett oder umgehängt und sollten vor entstand entweder über die Verwendung als allgemeines Glücks-
den Fraisen schützten. Damit wurden vor allem bei Kindern ver- symbol oder durch die Schärfe der Krallen als Allegorie auf den
schiedene Krankheiten, bezeichnet, die sich in heftigen Krampf- Zahnschmerz. Für die Verwendung als Zahn­amulett war es wich-
anfällen und schwindeligen Bewegungen – ähnlich denen einer tig, dass dem Tier die Vorderpfote abgebissen werden musste.
Schlange – äußern.
Die tote Schlange wurde in einer durchlöcherten Schachtel in
einen Ameisenhaufen gelegt. Nach wenigen Wochen war das
Skelett von den Tieren säuberlich abgefressen und konnte wie-
Allegorie
der entnommen und verarbeitet werden.
Kreuzschlüssel
Eisen, Feldbach, 17. Jahrhundert

Rosenkranz – Gichtbeten Schlüssel mit einer kreuzförmigen Einfräsung im Bart wurden als
Rosenkranz aus Holzperlen und Beinschnitzereien magische Hilfsmittel bei Kiefersperre verwendet. Über der ver-
Steiermark, 18. Jahrhundert
krampften Mundpartie des Erkrankten wurde eine aufsperrende
Bei diesen Rosenkränzen sind die Paternoster-Perlen als jene Bewegung mit dem Schlüssel ausgeführt. Hier treffen das Sym-
Gliedmaßen ausgebildet, an denen Jesus Christus bei der Kreu- bol des Schlüssels und des Kreuzes als Heilzeichen aufeinander.
zigung Schmerz zugefügt wurde. Beim Beten verbindet sich das
Gedenken an Christi Leiden mit der Bitte, eigene Schmerzen bei Rose von Jericho
neuralgisch-arthritischen Erkrankungen zu lindern. Anastatica hierochuntica

Die Pflanze wächst in den Wüsten Südwestasiens und Nordafri-


kas, von wo sie im Mittelalter auf Handelswegen und durch Pilger
nach Europa kam. Sie lässt sich trocknen und durch Zugabe von
Wasser selbst nach Jahren wieder zum Grünen bringen. Die Rose

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von Jericho wurde in einem mit Wasser gefüllten Gefäß neben verbreiteten Amuletten und werden bereits in Plinius’ Naturge-
das Lager von Gebärenden gestellt und galt durch ihr Öffnen schichte mit der gleichen Anwendung wie im 20. Jahrhundert
und Ergrünen als hoffnungsfrohes Symbol für das neu entste- beschrieben.
hende Leben. In vielen Familien wurde sie als Schutzamulett Die im Stein verborgenen Mineralien wurden mit dem keimenden
über Generationen bei allen Geburten weitergegeben. Heute Leben im Leib einer Schwangeren assoziiert. Klappersteine soll-
wird in der Weihnachtszeit im Handel ein anderes tropisches ten bei schweren Entbindungen helfen oder die Gebärende davor
Gewächs, Selaginella lepidophylla, mit ähnlichen Eigenschaften schützen. Sie galten auch als Schutz vor Frühgeburten, sodass
als Rose von Jericho angeboten. sie während der gesamten Schwangerschaft getragen wurden.

Nepomukzungen Hufeisen
Silberblech, geprägt Eisen, geschmiedet, 19. Jahrhundert
18./19. Jahrhundert, Kulturhistorische Sammlung, UMJ
Hufeisen wenden Schaden ab und bringen ebenso wie Nägel
Bronze, gegossen
Süddeutsch, Ende des 18. Jahrhunderts, Klosterarbeit Glück – weil sie aus Eisen sind. Eisen galt wegen seiner Stärke
Nach der (historisch nicht belegten) Legende hütete der Prager als Mittel gegen Zauber und seine magnetischen Eigenschaf-
Bischof Johann von Nepomuk (ca. 1350–1393) das Beichtge- ten umgaben das Metall mit einer geheimnisvollen Aura. Doch
heimnis der böhmischen Königin selbst unter der Folter und man kann Eisen nicht einfach irgendwo finden – es sei denn im
starb den Märtyrertod durch Ertränken in der Moldau. Er wurde verarbeiteten Zustand als Nagel oder eben als Hufeisen. Beide
zum Brückenheiligen und seine Statue ist heute noch an vielen bringen eigentlich nur Glück, wenn man sie zufällig findet.
Flussübergängen zu finden. In vielen Kulturen gilt das Hufeisen als Schadenabwehr und wird
Als das Grab des Märtyrers 1719 geöffnet wurde, war seine in manchen Regionen mit der Öffnung nach oben aufgehängt,
Zunge unversehrt. 1729 wurde Johann Nepomuk heiliggespro- damit das Glück nicht herausfalle; in anderen muss sie nach
chen. Seitdem gehören Zungennachbildungen als Sinnbild der unten weisen, damit das Glück herausgleiten kann. In frommen
Verschwiegenheit zu den gebräuchlichsten christlichen Amulet- christlichen Häusern wird das Hufeisen mit der Öffnung nach
ten – und widerspiegeln eine sehr verbreitete Angst: Nepomuk- rechts aufgehängt, sodass es wie ein C für Christus erscheint.
zungen sollen vor Verrat und Verleumdung, später dann auch
vor Zungenleiden schützen.

Votivkröte
Mandlkalender
Holz, gefasst
Oststeiermark, 19. Jahrhundert
Neuer Bauernkalender auf das Gemein Jahr 1821
Zwei Gedanken machen die Kröte zu einer Allegorie für die Holzschnitt, 1820, Andreas Leykam
Gebärmutter: Dieses Organ wurde zum einen in der Antike als Alter Bauernkalender für das Gemeinjahr 2007
Offset-Druck, 2006, Leykam-Alpina Ges.m.b.H
eigenständiges Wesen im Leib der Frau betrachtet (Platon), zum
Alter Bauernkalender für das Gemeinjahr 2014
anderen bot sich auch das versteckte Leben der Kröte für eine Offset-Druck, 2013, Leykam-Alpina Ges.m.b.H
Versinnbildlichung an. Krötenvotive wurden bei Frauenleiden
Der steirische Mandlkalender diente seit dem 18. Jahrhundert vor
und in Geburtsnöten dargebracht.
allem dem analphabetischen Teil der Bevölkerung zur zeitlichen
Orientierung und Wettervorhersage. Er zeigt die enge Verbindung
Klappersteine
Toneisenstein, 19. Jahrhundert des ländlichen Lebens und Arbeitens mit dem Heiligenjahr. Man
Benediktinerstift St. Lambrecht benannte die Tage nicht nach dem Datum, sondern nach den
Sandstein, in Silber gefasst, 18. Jahrhundert Gedenktagen der Heiligen, die als Mandln für jeden Tag abgebil-
Schlossmuseum Linz
det wurden. Die Kenntnis ihrer symbolischen und in oft derber
Klappersteine sind durch Ton verunreinigte Brauneisensteine Manier gezeichneten Attribute gehörte zum Allgemeinwissen.
oder andere Sedimentgesteine, in denen Konkretionen lose ein- An die meisten Tage im Heiligenkalender knüpfte sich ein Erfah-
geschlossen sind und daher ein klapperndes Geräusch machen, rungswissen des alltäglichen Lebens, das sich zu abergläubi-
wenn man den Stein schüttelt. Sie gehören zu den am meisten schen Vorstellungen verdichtet hatte.

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Böses gegen Böses starke Abwehrkräfte besitzen. Die Regung, beim Anblick des
Geschlechtlichen – das durch die öffentliche Präsentation zur
Obszönität wird – den Blick abzuwenden, wird auf die Ablenkung
Feigenhand – Fica des Bösen Blicks übertragen.
Bein, Mitte des 20. Jahrhunderts
Die starke Verbreitung dieser Schneckengehäuse, die man als
Sammlung Mader
Elfenbein, Silber gefasst, 19. Jahrhundert
Grabbeigaben vieler Kulturen von der Hallstattzeit bis ins Mit-
Blei gegossen, Graz, 1870 telalter gefunden hat, lassen Rückschlüsse auf die globalen
Die Geste der Faust, bei welcher der Daumen zwischen Zeige- und Handelswege zu. In Europa waren Exemplare der Kaurischnecke
Mittelfinger geklemmt ist, findet sich bereits unter altägypti- aus exotischen Gewässern besonders gefragt. Sie wurden vor
schen Amuletten und in der griechischen und römischen Antike. allem von Frauen getragen, aber auch Pferden und Zugtieren als
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war sie auch bei uns als Abwehramulett an das Zaumzeug gehängt.
vulgäres Zeichen verbreitet, wie heute noch in mediterranen Kul-
Zwei Feigenhände
turen. Die Feigenhand (mano fica) ist Sinnbild der Vulva, bezeich- Holz, geschnitzt, 20. Jahrhundert
net aber auch den Geschlechtsverkehr und gilt als derber Spott- Sammlung Mader
gestus und grobe Beleidigung. Man machte diese Geste heimlich, Große Feigenhände werden zum Schutz des gesamten Lebens-
wenn etwa die eigenen Kinder, das Vieh oder Haus und Hof gelobt bereichs aufgestellt.
wurden, um den Bösen Blick von dem Gelobten abzuwehren.
Die Fica, auch Neidfeige genannt, war auf vielen Gegenständen Schnupftabakflasche als Neidfeige
des Alltags abgebildet und als Amulett äußerst beliebt. Sie sollte Glas, Silber, 18./19. Jahrhundert
Schlossmuseum Linz
alles Böse durch die obszöne Beschimpfung abschrecken. Im
Verbalen haben Flüche oder auch der Wunsch Toi, Toi,Toi, der so- An die Feigenhand als abwehrendes Symbol sind zusätzlich
wohl lautmalerisch das Ausspucken andeuten soll als auch eine 13 österreichisch-süddeutsche Kleinmünzen von geringem Wert
Vermeidungsformel für den Namen des Teufels darstellt, eine als Glücksbringer angehängt.
ähnliche Funktion: Die Kraft des Obszönen soll Böses vertreiben.
Neidlöffel
Holz, geschnitzt, 19. Jahrhundert
Hörnerhand – Cornuta Benediktinerstift St. Lambrecht
Silber, 20. Jahrhundert
Sammlung Mader In den einfachen bäuerlichen Haushalten der Steiermark besaß
Die Hörnergeste hat verschiedene Bedeutungen. Zum einen ist jeder seinen eigenen Löffel, mit dem noch bis ins 20. Jahrhun-
sie ein seit dem Mittelalter gebräuchliches Fluch- und Abwehr- dert oft aus der gemeinsamen Schüssel gegessen wurde. Die
zeichen, das ein Attribut des Teufels darstellen soll, dessen Neidfeige am Löffelstiel bekommt hier eine sehr konkrete Be-
Name nicht ausgesprochen werden durfte. Als gestischer Verweis deutung: als Schutz vor Neid und Gier der anderen.
auf ein gehörntes Tier diente sie zur Verspottung eines betroge-
nen Mannes, dem „Hörner aufgesetzt“ wurden, und wird heute Wehrstock mit Feige
Holz, geschnitzt, Anfang des 20. Jahrhunderts
vor allem in Italien noch als allgemeine Spotgestik verstanden.
Die Cornuta schützt ebenso wie die Fica mit Bösem vor Bösem. Dieser Wanderstock war zugleich eine Waffe. Er konnte zur Ver-
teidigung eingesetzt werden, schützte jedoch zugleich vor Be-
Schneckenamulett drohungen oder Überfällen während der Wanderschaft.
Kaurischnecke in Silberfassung, 18. Jahrhundert
Schlossmuseum Linz

Alle Arten der Kaurischnecke (Cypraeidae) waren beliebte Spalt­


amulette, da ihre organische Form als Abbild der Vulva gesehen
werden kann. Sie wurde bei Kinderwunsch und zur Beschwörung
von Liebesglück getragen. Doch sie sollte durch die Mischung
aus Scham und Gier, mit der sie betrachtet wird, vor allem

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Einverleibung Krankheiten zu schützen, mischte man sie unter das Futter.
Vor allem aber galten sie als Therapeutikum bei Halsweh. Das
Weiche des Palmkätzchens sollte das Raue der Krankheit durch
Loretopulver Verschlucken heilen.
Kalkpulver in Papier mit Holzschnitt, 19. Jahrhundert

Nachdem die Kreuzfahrer das Heilige Land verloren hatten, über-


trugen der Legende zufolge Engel das Haus der Heiligen Familie,
die Casa Santa, von Nazareth nach Loreto bei Ancona. Das Klos- Übertragung
ter Loreto wurde zu einem bedeutenden Wallfahrtsort.
Der mit einem Holzschnitt des Heiligen Hauses bedruckte Um- Loretohemdchen
schlag enthält ein feines Pulver von dessen Mauern. Dieser Leinen, Kupferstich, 19. Jahrhundert
Kalkstaub galt Gläubigen als Übermittler besonderer Heil- und Loreto- oder Fraisenhemdchen wurden im Kloster Maria Loreto
Schutzkräfte. Er wurde in Flüssigkeit gelöst, oftmals in Loreto- zu Salzburg hergestellt und Kindern unter das Kopfkissen ge-
schälchen gegeben und Kranken verabreicht. legt, die an den Fraisen litten. Der Begriff stellt einen volks­
medizinischen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten dar,
Loretoschälchen die vornehmlich Kinder befielen und sich in heftigen Anfällen
Fayence glasiert, um 1800
und Krämpfen äußerten. Als Ursache nahm man meistens
Schreck oder Kummer während der Schwangerschaft oder während
Schluckbilder
Kupferstich, 18./19. Jahrhundert des Stillens an. Die Miniaturhemden aus dünnem Stoff zeigen das
Bild des Christuskindes aus Loreto, dessen Heilkraft auf das er-
Schluckbilder wurden früher in Klöstern hergestellt und von
krankte Kind übergehen sollte.
Devotionalienhändlern in Wallfahrtsorten vertrieben. Von den
großen Bögen wurden einzelne Bildchen abgeschnitten, in
Ulrichskreuz
Wasser eingeweicht und Speisen für kranke Menschen oder Tie- Silber, graviert
ren beigegeben bzw. in Brot eingebacken. Dargestellt sind der Ende des 17. Jahrhunderts, Kulturgeschichtliche Sammlung, UMJ
hl. Erhard als Viehpatron und das Gnadenbild aus Mariazell. Der Das Ulrichskreuz zeigt auf einer Seite eine Szene aus der
Schutz der abgebildeten Heiligen sollte durch das Schlucken auf Schlacht auf dem Lechfeld (955), in der durch den angeblich
die kranke Person oder das Tier übergehen und wie eine Medi- waffenlosen Einsatz des hl. Bischofs Ulrich aus Augsburg die
zin heilend oder prophylaktisch wirken– vor Reisen oder vor dem Ungarn endgültig besiegt wurden. Die ungarischen Reiter hatten
Almauftrieb. mehr als ein halbes Jahrhundert lang mit ihren Plünderzügen
weite Teile Mitteleuropas verheert und wurden allgemein als
Fraisensteine Plage angesehen. Daher sollte der hl. Ulrich auch andere Plagen
Ton, bemalt, Mariazell, 19. Jahrhundert
Ton gebrannt, Sonntagberg, 19. Jahrhundert bekämpfen können. Ulrichsmünzen wurden gegen Mäusefraß in
Diese Wallfahrtsandenken sind in Farbe oder als Relief mit Gna- Vorratskammern oder gegen Ratten in den Boden von Gärten,
denbildern versehen und wurden als Heilmittel verwendet. Bei Feldern und Weinbergen gesteckt.
Krankheiten, vor allem den Fraisen, wurde etwas Tonstaub ab-
Ulrichserde
geschabt, in Wasser gelöst und der kranken Person zum Trinken Stoffsäckchen mit Erde vom Grab des hl. Ulrich in Augsburg
gereicht. 19. Jahrhundert, Benediktinerstift St. Lambrecht

Der hl. Ulrich wurde in einem Sarkophag in der Afrakirche in


Palmkätzchen Augsburg begraben. Dennoch kursierte für lange Zeit Erde,
Blütenstände der Weide
die angeblich von seinem Grab stammte, zur Bekämpfung von
Gesegnete Palmkätzchen sollten vor Unwetter, besonders vor Mäuse- und Rattenplagen. Sie sollte wirkmächtig sein, da sie
Blitzschlag, schützen und wurden dazu bei Gewitter in den Ofen mit den sterblichen Resten des Heiligen in Berührung gekom-
geworfen oder auf das Feld gesteckt. Zur Abwehr des Bösen men war.
wurden sie an die Stall- oder Haustür gehängt. Um Tiere vor

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Dachszähne Das Paradoxe wird hier zur magischen Kraft: Die Anomalie und
In Silber gefasst, 19. Jahrhundert Schwäche des Tieres soll beim Träger des Amuletts die eigene
Diese Trophäen waren beliebte Amulette an der Uhrkette oder (Mannes-)Kraft stärken.
wurden in die Westentasche eingenäht. Die dem Dachs in der
Fabel zugeschriebene Ruhe und Bedächtigkeit sollte auf den Anstecknadel
Grandel in Silberfassung, 20. Jahrhundert
Träger seines Zahnamuletts übergehen und ihm Besonnenheit
und Glück im Spiel verleihen. Die Eckzähne des Hirsches sind eine Ausnahme bei Wiederkäu-
ern und seit der Jungsteinzeit eine beliebte Trophäe. Seit dieser
Marderboanl Zeit werden beide Eckzähne eines Hirschen in der Regel paar-
Penisknochen des Marders, 19. Jahrhundert weise als Schmuckstücke und Amulette verwendet und weisen
Benediktinerstift St. Lambrecht
ikonografisch eine frappierende Ähnlichkeit mit zwei Hoden auf.
Marder gelten als vermehrungsfreudig, Tiere und den männli- Was in doppelter Verwendung die männliche Potenz fördern sollte
chen Tieren wird große sexuelle Potenz zugeschrieben. Wurde – der Hirsch steht generell als Symbol für Manneskraft –, gilt in
ein Marder gefangen, galt der Knochen seines Penis als beliebte Einzelverwendung als einfaches Glückssymbol. Heute tragen
Trophäe vor allem bei jüngeren Männern, die den Knochen zur auch Frauen Grandelschmuck in paarweiser Fassung, was auf
Erhöhung ihrer Manneskraft entweder als Amulett bei sich tru- das Vergessen seiner ursprünglichen Bedeutung hinweist.
gen oder pulverisiert schluckten.
Die Zahl 13
Adlerkralle Email auf Kupfer, Anfang 20. Jahrhundert
Vermutlich Kralle eines Steinadlers, in Silber gefasst
19. Jahrhundert In Kulturen mit Duodezimalsystem gilt die Zwölf als die vollkom-
mene Zahl, die aus der heiligen Zahl Drei (Dreifaltigkeit) und der
Wie alle Klauen und Krallen von Raubtieren oder Greifvögeln
kosmisch bedeutsamen Vier (Himmelsrichtungen, Jahreszeiten,
sollten auch die des Adlers als Amulett die Kraft des mächtigen
Temperamente) multipliziert wird. Das Zuviel der Dreizehn wird
Tieres auf den Menschen übertragen und im weiteren Sinne für
in manchen Regionen als Zeichen für Glück, häufiger aber als
Reichtum und Macht sorgen.
eines für Unglück angesehen. Judas, der Christus verraten hatte,
Eberzahn war die dreizehnte Person am Tisch des Abendmahls. Im Mär-
In Silber gefasst, 19. Jahrhundert chen Dornröschen war es die dreizehnte, überzählige Fee, die
Die Kraft des Ebers machte seine Zähne zum Übertragungsamu- die Prinzessin verzauberte. Wenn dreizehn Personen am Tisch
lett, das von Männern als Trophäe getragen wurde. sitzen, soll eine davon bald sterben. Manche Flugzeuge haben
keine Sitzreihe 13, viele Hotels kein Zimmer mit der Nr. 13 und
in zahlreichen amerikanischen Hochhäusern folgt das 14. gleich
auf das 12. Stockwerk.
Die Kraft von Ausnahme
Vier Glücksklee-Anhänger
und Gegenteil Email auf Silber, Münze mit Metall-Applikation
20. Jahrhundert

Das vierblättrige Kleeblatt ist ein altes Glückszeichen, da


Drei „Rehzapfln“
Kümmerer des Rehgehörns, in Silber gefasst, 19. Jahrhundert es eine Ausnahme von der Regel darstellt und die Form eines
Kreuzes hat, das alles Böse abwehrt. Ursprünglich musste es
Ein verkümmertes Rehgehörn weist darauf hin, dass der Bock
ein ungesucht gefundenes, natürliches Blatt sein, bevor es zum
nicht gesund ist. Während das normal ausgebildete Geweih
allgemeinen Symbol wurde. An den Vierklee knüpften sich einst
gerne als Wandschmuck verwendet wird, ist der Kümmerer ein
zahlreiche Rituale im Liebeszauber und in der Zukunftsdeutung.
beliebtes Amulett, das mit sich getragen wird. Mit dem gleichen
Begriff bezeichnet man auch schwach oder unregelmäßig aus-
gebildete Hoden (Brunftkugeln) des Rehbocks, die oft mit einem
verkümmerten Gehörn einhergehen.

18 19
Was heilt, das schützt Sebastianipfeil
Silber, 18. Jahrhundert

Die (historisch nicht belegte) Legende des hl. Sebastian berich-


Herzkreuzl eines Hirschen tet, dass er sein erstes Martyrium, bei dem er an einen Pfahl
20. Jahrhundert gebunden mit Pfeilen beschossen wurde, lebend überstanden
Jagdkundliche Sammlung, UMJ
haben soll. Dies führte bereits im frühen Mittelalter – also zu
Beim älteren Steinwild oder Rothirsch kommt es zur Verknöche- einer Zeit, in der man generell annahm, dass Krankheiten von
rung einer Sehne im Inneren des Herzmuskels. Die flache Sehne außen eindringende Bedrohungen des Menschen seien – zur
hat oft die Form eines Kreuzes und wird daher Herzkreuzl ge- Assoziation mit der Pest – der „anfliegenden Krankheit“. pfeile
nannt. Als Amulett getragen soll es das Herz stärken und Herz- trug man als Schutz dagegen, und bald auch gegen alle anderen
beschwerden lindern. In der Obersteiermark wurde es als Medizin Seuchen, bis hin zu Aids in der heutigen Zeit. War es bereits zu
gegen zu starkes Herzklopfen 48 Stunden lang in Wasser liegen einer Ansteckung mit sichtbaren Zeichen auf der Haut gekom-
gelassen. Das Wasser musste dann vom Patienten in einem Zug men, legte man den Sebastianpfeil auf die Geschwüre.
ausgetrunken und das Herzkreuz gleichzeitig um den Hals ge-
hängt werden. Für Frauen verwendete man das Herzkreuzl eines Walburgisöl
männlichen Tieres, beim Mann das eines weiblichen. Wasser in Glasfläschchen
Kloster Eichstätt, 2013

Mehrteiliges Amulett Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts und der Umbettung der Ge-
Scheyrer Kreuz beine der hl. Walburga in einen Steinsarkophag im bayrischen
Silber, 18. Jahrhundert
Kloster Eichstätt sondert diese Grabstätte in der kühlen Jahres-
Die kleine Nachbildung des Kreuzes aus dem bayrischen Klos- zeit ein Kondensat ab, das als Öl aus dem Brustbein der Heiligen
ter Scheyern, in dem sich ein Partikel des Kreuzes Jesu Christi gedeutet wurde.
befinden soll, wurde als Mittel gegen Fieber den Kranken auf In kleine Flakons abgefüllt, gilt das Walburgisöl bis heute als
Stirn oder Brust gelegt und Frauen in Geburtsnöten umgehängt. heilkräftig. Es wird tropfenweise bei allen Schäden des Leibes
Um das originale Scheyrer Kreuz ranken sich viele Mirakelge- eingenommen oder zur Wundheilung verwendet. Große Bedeu-
schichten von wundersamen Heilungen und Rettung aus Not tung hatte es früher als Amulett, zumal der Wöchnerinnen, und
und Gefahren. Berühmt wurden vor allem Erzählungen von der wurde entweder im Flakon um den Hals getragen oder in oft sehr
Verhütung von Hagel- und Unwetterschäden. So wurde das kostbaren Schatullen aufbewahrt.
Scheyrer Kreuz zum Amulett gegen Krankheit, Unfälle, Gewitter
und Hagel. Anweisung zum Gebrauch des Walburgisöls
Kupferstich,
Reiner Schlüssel Kloster Eichstätt, 18. Jahrhundert
Silber, 1642
Die Schrift verweist vor allem auf die Reinheit im Gebrauch dieser
Zum Kirchweihtag am Weißen Sonntag im Jahr 1451 wurde „himmlischen Medicin“. Man sollte vor der Anwendung gebeich-
die Kirche des Zisterzienserstiftes Rein zum ersten Mal für die tet haben, die Kommunion empfangen haben und die Tropfen pur
Bevölkerung der Umgebung geöffnet. Als Andenken erhielten oder in Wasser – und nicht etwa in „Suppen-Brühe, keinem Wein,
die Besucher einen kleinen Gnadenschlüssel aus Blech oder noch Bier“ – zu sich nehmen. Bei äußerlichen Schäden sollte es
Silber. Seitdem wird jährlich das Schlüsselfest gefeiert und ein lediglich anwesend sein, während man mit einer sauberen Feder
kleiner Schlüssel mit den Initialen des jeweiligen Abtes aus- über die Wunde streicht und diese nachher verbrennt.
gegeben. Bald wurde den Schlüsseln eine heilkräftige Wirkung
gegen die Fraisen zugeschrieben und Kindern bei Anfällen in die
Hand gegeben. Bei schweren Geburten oder Krankheiten wurde
der Schlüssel in Wasser getaucht und dieses dann getrunken.
Gleichzeitig galt der Reiner Schlüssel als Amulett gegen Fieber
und Anfallsleiden.

20 21
Birkenporling Das Verschreiherz aus Serpentin schützte vor Unglück, das ein
Piptoporus betulinus ausgesprochenes Lob nach sich ziehen konnte. Die Phiole aus
Botanische Sammlung, UMJ
geschliffenem Bergkristall enthielt wahrscheinlich Walburgisöl,
Der Pilz ist auf alten, absterbenden oder bereits toten Birken zu das besonders Wöchnerinnen vor allen Gefahren des Leibes und
finden. In dünne Scheiben geschnitten dient er als blutstillende der Seele schützen soll. Der Korallenzweig und die Korallen-
und antiseptische Wundauflage. Zwei bearbeitete Stücke eines kugel galten als Mittel gegen den Bösen Blick, schützten aber
Birkenporlings wurden in der Ausrüstung der mehr als 5.000 Jahre auch vor Misswuchs und Krankheiten, vor allem solchen des
alten Gletschermumie vom Tisenjoch („Ötzi“) gefunden. Der Mann Blutes. Der Wolfszahn wurde Kindern zum Lutschen oder Beißen
trug sie durchlocht an einem Lederband mit sich, was der alten gegeben, um das Zahnen zu erleichtern und als Amulett für ein
Gleichsetzung von Amulett und Therapeutikum entspricht. starkes Gebiss. Das kissenförmige verschlossene Stoffbreverl
enthält vermutlich eine weitere Anzahl verschiedener Schutzob-
Fieberkette
Eukalyptusfrüchte, wahrscheinlich aus Jerusalem jekte und Segenszettel. Das Medaillon beinhaltete vielleicht ein
19. Jahrhundert persönliches Erinnerungsstück oder eine Heiligendarstellung.
Die ätherischen Öle der Blätter und Früchte des Eukalyptus- Die Bedeutung der Eggenberger Silbermünze aus dem Jahr 1658
baums wirken als Einreibung oder Tee gegen Infektionen der ist unklar.
Atemorgane und Atemwege. Aufgefädelt auf einer Kette wurden Wahrscheinlich gehörte diese Kette ursprünglich einer Frau.
die Früchte Fieberkranken als begleitende Therapie umgehängt.
Tschatschkette
Amulettkette mit 8 verschiedenen Amuletten an einer Schnur
Verschiedene Materialien, 18./19. Jahrhundert

Kumulativer Schutz Das kleine Seidenpolster beinhaltet wahrscheinlich einen der


verbreiteten mehrteiligen Schutzbriefe, die man nicht öffnen
durfte. Der in Silber gefasste Wolfszahn sollte die Zahngesund-
Tschatschkette heit stärken und die Luchskralle verlieh Kraft und Glück im Spiel.
Amulettkette mit 13 verschiedenen Amuletten an einer roten Schnur
Verschiedene Materialien, 18./19. Jahrhundert Der schwarze, in Messing gefasste Bocksbart diente der Stärke
der Manneskraft. Der Reiner Schlüssel aus dem Jahr 1610 galt
Etymologisch bedeutet Tschatsch Anhängsel, Kleinigkeit, Tand.
als Schutz bei Fieber und Krankheiten. Der Verschreistein aus
Solche Amulettketten waren im süddeutschen und österreichi-
Bergkristall schützte vor dem Bösen Blick und sollte das Augen-
schen Raum allgemein verbreitet. An ihnen lässt sich ablesen,
licht bewahren, auch der Schreckstein aus Sternkoralle schützte
welchen umfassenden Gefahren ein Mensch sich ausgesetzt sah
vor dem Bösen Blick, wegen seiner Zeichnung zugleich auch vor
und welche gedanklichen Strategien gegen Ängste entwickelt
Ausschlägen und Krankheiten der Haut. In dem Messingring war
wurden. Dem popularmagischen Verständnis entsprach auch der
vermutlich ein Stein gefasst.
Wunsch nach potenziertem Schutz in allen Lebenslagen, wobei
Wahrscheinlich gehörte diese Kette ursprünglich einem Mann.
die Zuschreibungen der Amulette einander überlappen und ver-
stärken konnten.
Anna-Hand
Reliquiennachbildung aus Wachs
Eine aus Holz geschnitzte Feige diente als Abwehrmittel gegen Klosterarbeit, 18. Jahrhundert
den Bösen Blick und das Verschreien. Die Kugel aus Bernstein Die hl. Anna wurde seit dem 14. Jahrhundert als mächtige Patro-
galt als Mittel gegen Gicht, welche in der Temperamentenlehre nin der Schwangeren und Gebärenden verehrt. Da sie selbst erst
als eine melancholische Störung im Gleichgewicht der Säfte spät ihr Kind, die spätere Gottesmutter Maria, zur Welt brachte,
galt. Bernstein half aber auch gegen Zahnschmerz und den wird sie auch bei Kinderwünschen angefleht. Weiterführend galt
Bösen Blick. Die zwei in Silber gefassten Malachite sorgten für sie auch als Beschützerin der Eheleute und sollte unverheirate-
eine gesunde Schwangerschaft und sichere Geburt, während der ten Frauen helfen, einen guten Mann zu finden. Nachbildungen
Serpentin werdende und stillende Mütter als „Schreckstein“ vor der Hand der hl. Anna aus Wachs waren verbreitete Reliquien,
dem Erschrecken schützen sollte, welches zu Missbildungen die im Herrgottswinkel oder am Wochenbett aufgestellt wurden.
beim Kind oder zum Versagen der Muttermilch führen sollte.

22 23
Verschmelzung mit der Religion Religiöse Amulette
Wolfgangsbeil, Sebastianspfeil, Nepomukszunge, Walburgisöl, Handamulett
Zinnguss, Silber, Messing, Koralle, 20. Jahrhundert
Sammlung Mader

Diese Zusammenstellung vereint fünf der bekanntesten Amu-


Es gibt keine kontinuierliche Entwicklung der Kultur durch die lette, die im süddeutsch-österreichischen Raum verwendet und
Jahrhunderte hinweg. Viele Elemente, die einst von Bedeutung von der römisch-katholischen Kirche gefördert wurden. Das
waren, verschwanden und kehrten viele Jahrzehnte später wie- Handamulett mit der Koralle ist allerdings eher als Liebesgabe
der, wurden verwandelt, neu interpretiert und in rezente Pro- zu deuten, die Frauen ihrem Verlobten schenkten, wenn sie des-
zesse und Denkweisen integriert. Das gilt besonders für den sen Antrag angenommen hatten.
Aberglauben, der zwar viele Traditionen, doch im Grunde keine Wolfgangsbeil (s. u.), Sebastianspfeil (S. 21), Nepomukszunge (S. 12),
eigene Geschichte hat. Er gedeiht immer dann, wenn die aner- Walburgisöl (S. 21)
kannten Glaubens- und Denksysteme in eine Krise geraten.
Wolfgangsbeil – Wolfgangihackl
Nur Religionen mit Ausschließlichkeitsanspruch produzieren Bronze, 19. Jahrhundert
Benediktinerstift St. Lambrecht
Aberglauben. Da Glaube jedoch nicht widerlegbar ist, sind sie
besonders anfällig für Einflüsse von Praktiken und Haltungen, Die Legende erzählt, dass der hl. Wolfgang, Bischof in Regens-
die sie eigentlich verbieten. Die katholische Kirche, die auf die burg, einige Jahre als Eremit am Abersee im Salzkammergut
Anschaulichkeit ihrer Lehre Wert legt, benutzt bis heute viele lebte. Nachdem der Teufel ihn in seiner Klause am Falkenstein
ähnliche Rituale und Elemente der Glaubensvermittlung, die immer wieder versuchte, wollte Wolfgang eine neue Unterkunft
auch im Aberglauben vorherrschen. Die populare Frömmigkeit, errichten. Um eine gute Stelle dafür zu finden, warf er sein Beil
die gerade in Österreich sehr stark war, konnte oft den Unter- weit von sich ins Tal hinab und zog an die Stelle, in die das Beil
schied zwischen falschem und rechtem Glauben nicht erkennen. eingeschlagen war. An dem Ort, von wo Wolfgang das Beil warf,
steht heute die Beilwurfkapelle, an dem Ort, wo das Beil ein-
schlug, die Wallfahrtskirche St. Wolfgang.
Dort werden seit Jahrhunderten Wolfgangihackln als Wallfahrts­
andenken verkauft, die als Amulette allgemein vor Krankheiten
des Leibes und der Seele schützen und besonders wirksam sein
sollen, wenn sie mit dem in St. Wolfgang aufbewahrten Mess-
kelch des Heiligen berührt wurden.

Antonius-Kapsel
Eisen, versilbert, 20. Jahrhundert
Mariazell, 1955 erworben

Antonius, Sohn reicher Eltern in Portugal, trat 1220 unter dem


Eindruck der Reliquienübertragung von 5 Märtyrern aus Marokko
in den Franziskanerorden ein. Eine schwere Krankheit beendete
seinen eigenen Einsatz in Marokko und ein Sturm auf der Heim-
reise verschlug ihn nach Sizilien. Zwischen 1227 und 1230 war
er als Bußprediger in Oberitalien tätig. Er starb 1231 in der Nähe
von Padua.
Er ist der Patron der Liebenden und der Ehe, der Frauen und
Kinder, sein populärstes Patronat gilt aber verlorenen Gegen-
ständen, die man sucht. Dies beruht auf der Geschichte, dass ein
Mönch Antonius’ Textbuch der Psalmen entwendete, es jedoch
zurückbrachte, nachdem er von Erscheinungen geplagt wurde.

24 25
In der Schraubkapsel steckt eine Figur des hl. Antonius mit dem Benediktussegen
Jesuskind. Die Antoniuskapsel, einst in allen Wallfahrtsorten Bei den sehr verbreiteten Benediktuskreuzen und -medaillen,
erhältlich, ist ein Reiseamulett, das vor allen Krankheiten und auch Benediktuspfennige genannt, ist jeweils auf einer Seite die
Gefährdungen unterwegs schützen und für eine wohlbehaltene Figur des hl. Benedikt von Nursia (ca. 480–547) und auf der
Rückkehr sorgen soll. anderen in Kürzeln der Benediktussegen dargestellt. Die
erhoffte Wirkung war nicht von der Form abhängig, sondern von
Tobiassegen den Segenskürzeln. Diese konnten in den Umschriften der
Tinte auf Papier
19. Jahrhundert, Sammlung Mader Medaillen variieren, wichtig jedoch waren die Kreuzaufschriften:
Doppelseitige Abschrift des Tobiassegens. Solche Segenszettel C S S M L „Crux Sacra Sit Mihi Lux“
wurden häufig von gedruckten oder anderen handschriftlichen (Das heilige Kreuz sei mir das Licht)
Exemplaren abgeschrieben. Dabei ergaben sich immer wieder N D S M D „Non Draco Sit Mihi Dux“
geringfügige Abweichungen, es wurden auch bereits fehlerhafte (Nicht sei der Drache mir der Führer)
Vorlagen auf diese Weise kopiert. Der Wirkung des Segens tat Sie beziehen sich auf eine spätmittelalterliche spirituelle Text-
dies aber keinen Abbruch. vorlage aus dem Kloster Metten und wurden seit den 1660er-
Jahren auf Münzen geprägt. Mit der massenhaften Verbreitung
„Das ist der rechte und wahrhafte Tobiassegen“ wandelte sich der Segen vom religiösen Andachtszeichen zum
Tinte und Wasserfarbe auf Papier abergläubisch verwendeten Amulett.
Leibnitz, frühes 19. Jahrhundert

Der handgeschriebene Text entspricht in Gestaltung und Inhalt Benedikt, Begründer des Benediktinerordens und Erneuerer des
weitgehend der Ordnung gedruckter Tobiassegen. Auf der Rück- abendländischen Mönchtums, wurde als Sohn einer vornehmen
seite ist vermerkt: „Aus Leibnitz im Hause des Frey stets ge- Familie in Italien geboren. Mit 20 Jahren zog er sich für drei
braucht“. Diese mehrteiligen Amulettzettel verbinden mehrere Jahre in eine Höhle zurück und führte ein strenges Büßerleben.
Segen zum Schutz in verschiedenen Lebenslagen und wurden Doch die Mönche von Vicovaro bei Tivoli wählten ihn zu ihrem
daher meist mit auf Reisen genommen, doch sollten sie auch für Vorsteher. Als er ihren Lebenswandel kritisierte, versuchten Mit-
eine glückliche Geburt sorgen. mönche ihn zu vergiften, doch das Gift entwich als Schlange aus
Der Tobiassegen wirkt gegen alles Böse, gegen Hagel, Donner, dem Kelch. In einem anderen von ihm gegründeten Kloster soll
Blitz, Feuer und Wassernot. Er bewahrt vor jähem Tod, schützt ein Rabe das vergiftete Brot gestohlen haben, um Benedikt zu
vor Dieben und hilft bei Geschäften – bei Kauf und Verkauf. retten.

Die Attribute des hl. Benedikt sind Hirtenstab und Regelbuch,


Giftbecher, Schlange und Rabe. Er wurde als Beschützer vor
Vergiftung und Pest angesehen. An Peststeinen aus gepress-
ten Kräutern angebracht, wurden Benediktusmedaillen auf Pest­
beulen, Geschwüre und offene Wunden gelegt, um diese zu heilen.
Der Benediktussegen sollte in weiterer Folge auch als Wetter-
segen und zum Schutz vor Zauberei und Teufelsnachstellungen
wirken. Die Kreuze und Medaillen wurden unter der Türschwelle
oder der Dachtraufe vergraben, Kindern an die Wiege gehängt
und Kühen an den Glockenriemen gebunden. Am Butterfass an-
gebracht galten sie als Hilfe, damit der Rahm leichter zu Butter
wurde.
Benediktusmedaillen, in gleicher Form wie die 1880 im benedik-
tinischen Zentrum Monte Casino ausgegebenen, werden nach
wie vor produziert und als Schutzmittel verwendet.

26 27
Benediktuskreuz Segensbüchlein – Der Geistliche Schild
Bronze, Weststeiermark,19. Jahrhundert Mainz, 1647

Dieses kleine Segensbüchlein enthält die deutsche, leicht abge-


Seckauer Benediktusmedaille
Kupfer, Spätes 19. Jahrhundert wandelte Übersetzung des Enchiridion Leonis Papae, das ver-
schiedenen Päpsten zugeschrieben wurde, jedoch wohl auf eine
Peststein mit Benediktusmedaille und Kreuz Schrift von Leo dem Großen zurückgeht, der von 440 bis 461
Organische Pressmasse, Messingblech und ein in Metall gefasstes Steinkreuz Papst war. Es enthält Segen, Schutzgebete, Ablassregeln und
Heiligenstadt bei Murau, 18. Jahrhundert
Benediktinerstift St. Lambrecht Exorzismen. Es wurde vor allem als Reisesegen verwendet und
wirkte bereits bei sich getragen als Amulett gegen Gespenster,
Benediktusmedaille Zauberei und half bei Gefahren aller Art.
Weißmetall, 21. Jahrhundert, Privatbesitz
Gebetsheft – Sieben heilige Himmelsriegel
Länge Mariens Holzschnitt, 1854
Druck auf Papier, gedruckt in Köln, 19. Jahrhundert
Auf der ersten Seite befindet sich eine bildliche Darstellung der
Heilige Längen sind mit Gebeten und verschiedenen Darstel- 7 Himmelsriegel. Es folgt die Erzählung seiner wundersamen
lungen bedruckte, schmale Papierstreifen oder Seidenbänder, Herkunft, bei der einem Einsiedler ein Engel erschienen sei. Von
die den Maßen heiliger Personen, Stätten oder Gnadenbildern diesem erhielt er ein Gebet, mit dem jeder frommen Seele die
entsprechen und dadurch ihre besondere Wirksamkeit erhalten. Himmelspforte aufgeschlossen werden könne.
Sie haben Amulettfunktion und bringen den Trägern Glück, ver- Ursprünglich waren apokryphe Motive mit detailreichen Schil-
hindern Zauber und Krankheiten. Frauen wurden sie zur Erleich- derungen des Leidens Christi in dem Büchlein abgedruckt, die
terung der Geburt um den Leib gebunden oder aufgelegt. in jüngeren Ausgaben zunehmend abgeschwächt wurden, da die
Längen wurden in Form von Bögen gedruckt, in Streifen ge- Kirche diese Drucke unter Verbot gestellt hatte.
schnitten und in der Folge aneinandergeheftet oder -geklebt. Als Amulettbüchlein sollte es demjenigen, der es bei sich trägt,
die Todesstunde anzeigen sowie arme Seelen aus dem Fege-
Amulett-Gürtel Mariens
Baumwollband, Foto des Reliqienschreins, Griechenland, 21. Jahrhundert feuer retten. Wo es aufbewahrt wird, könne außerdem keine
Sammlung Mader „pestilenzische Krankheit“ ausbrechen. Es fand Anwendung in
Der angebliche Gürtel Mariens wird in der orthodoxen Chris- Geburtsnöten, bei Besessenheit, in der Todesstunde und sollte
tenheit besonders verehrt. Im 14. Jahrhundert schenkte der vor Blitz und Feuer schützen.
byzantinische Kaiser Johannes Kantakuzenos eine Gürtelreliquie
dem Vatopedi-Kloster auf dem Berg Athos. Heute erhält man bei Zachariassegen
den Mönchen des Klosters Baumwollbändchen in der Länge des Der Segen geht zurück auf den hl. Zacharias, Patriarch von
Mariengürtels, gesegnet an der Reliquie, als Amulett gegen Un- Jerusalem, der den Segen gegen eine Seuche im 7. Jahrhundert
fruchtbarkeit, Krankheit und andere körperliche Gebrechen. Im angewendet haben soll. Kirchlich approbiert und empfohlen
Anleitungstext zur Verwendung des Gürtels ist zu lesen, dass wurde er im 16 Jahrhundert, danach verbreitete er sich rasch
Kranke das Band eine Weile umgebunden tragen sollen, ebenso in gedruckter Form oder als geschmiedetes Kreuz und auf Me-
der Mann bei Kinderlosigkeit in der Ehe. Zusätzlich seien Buße, daillen. Das dargestellte Caravacakreuz trägt die Buchstaben
Gebet und Kommunionempfang bei Kranken sowie Fasten und +Z+DIA+BIZ+SAB+Z+HGF+BFRS. Jeder Buchstabe ist Anfangs-
enthaltsames Leben bei Eheleuten erforderlich. buchstabe des ersten Wortes eines ganzen Satzes (sowohl im
Lateinischen als auch in der deutschen Übersetzung), das Kreuz-
zeichen steht für einen Satz, der mit „Crux“ (Kreuz) beginnt.
Den Zachariassegen trägt man bei sich. Er schützt vor Seuchen,
vor allem vor der Pest.

Zachariaskreuz
Messing
Benediktinerstift St. Lambrecht

28 29
Zwei Gebetszettel – Zachariassegen Antlassei
Kupferstiche Hühnerei
19. Jahrhundert Weststeiermark, 2003

Eier, die am Gründonnerstag oder Karfreitag gelegt werden, gel-


Fieberzettel – Salvatorzettel ten als von Natur aus heilkräftig und bedürfen keiner zusätz-
Kupferstich
18. Jahrhundert lichen Segnung. Sie sollen nicht schlecht werden, sondern nur
Der selige Salvator von Horta, ein franziskanischer Laienbruder, eintrocknen und schützen vor Verletzungen, Blitz, Feuer und
wurde wegen seiner Gabe, Kranke heilen zu können, um die Wasser sowie überhaupt vor Naturkatastrophen. Noch heute
Mitte des 16. Jahrhunderts in seiner spanischen Heimat gerne werden sie vereinzelt bei Neubauten im Dachstuhl bzw. unter
aufgesucht. Da er unter anderen auch ein fieberkrankes Mäd- der Schwelle eingezimmert.
chen durch Anrufung der Gottesmutter mit dem Rosenkranz Ihr Name kommt vom mittelhochdeutschen Antlaz (= Entlassung,
geheilt haben soll, galt er bald als Fieberpatron. Erlass, Ablass). Am Gründonnerstag wurden die öffentlichen
Ein Zettel ist mit einer lateinischen Segensformel gegen Fieber Büßer wieder in die Kirche aufgenommen und losgesprochen.
und alles Böse versehen, der zweite mit der Darstellung einer In manchen Gegenden des Ennstales unterscheidet man die Eier
Dämonenaustreibung durch den Ordensmann und der Bildunter- der Kartage nach ihrer Wirkkraft: Gründonnerstag – gegen Ver-
schrift: „Salvator durch des Segens kraft Den krank u. besessene letzungen, Karfreitag – gegen Feuersgefahr und Blitz, Karsams-
heyl verschaft“. tag – gegen Wasserschäden.
Von der Berührung solcher Zettel versprachen sich Kranke Hei- Vereinzelt werden Antlasseier gefärbt: Gründonnerstageier grün,
lung und Schutz. Karfreitageier rot (analog zur Schutzfunktion gegen Feuer) und
Karsamstageier blau.
Skapulier
Kupferstich auf Seide Gebetsheft – Schloß=Gebether
18. Jahrhundert … darin sich einee gottsfürchtige Seel sicher verschliessen kann.
Holzschnitt
Dargestellt sind die Übergabe des Skapuliers an den Ordens­ 19. Jahrhundert
general der Karmeliter, den hl. Simon Stock, durch die Himmels-
Auf der ersten Seite sind sieben Schlösser abgebildet, für jedes
königin Maria, eine überlieferte Begebenheit vom 16. 7. 1251
folgt ein Gebet. Die abgedruckte Legende berichtet: „Es lag ein
sowie das Haupt des hl. Anastasius, Patron gegen Kopfschmerz
großer Sünder tödtlich krank; zu dem kam täglich ein frommer
und Besessenheit.
Mensch und bethet mit ihm die sieben Schloß; als er nun ster-
Skapuliere sind flache Stoffpolster mit unterschiedlichen Dar-
ben sollte, sah ein Einsiedler viel Teufel vorüber fahren, welche
stellungen in verschiedensten Techniken, die, mit 2 Bändern
sagten, sie fahren hin, eine Seele, so ihrer wäre, zu holen; und
verbunden, auf Brust und Rücken getragen werden. Sie sind
als solche ohne der Seele zurück kamen, und von ihm befragt
Bekenntniszeichen der Skapulierbruderschaft. Der Träger weiht
wurden, wo sie dieselbe hätten, antworteten solche ganz erzür-
seine Person der Gottesmutter Maria.
net, sie lieget mit sieben Schlössern wohl verschlossen, eines
Skapuliere, die in ihrem Inneren gefaltete Segen, Reliquien-
allein wäre dazu genug gewesen.“
stückchen u. ä. enthalten, lassen diesen religiösen Hintergrund
Die Schlossgebete wurden als Amulette gegen jede Art von Ge-
vermissen und werden als Amulette verwendet. Man trägt sie
fahr sowie in der Todesstunde eingesetzt.
in besonderen Gefahrensituationen. Frauen steckte man sie zur
Erleichterung der Geburt unter das Kopfkissen. Außerdem sollen
sie Dämonen abwehren, vor Blitz und Hagel schützen und vor
dem plötzlichen Tod bewahren.

30 31
Breve – Schutzbriefe Dreikönigssegen
Druck mit kleinem koloriertem Holzschnitt
Breve sind gefaltete Segens- und Gebetszettel mit Heiligen-
18. Jahrhundert
darstellungen, die aufgeklappt weitere Segenszettel (Agathen-
Dargestellt sind die Heiligen Drei Könige beim Besuch der Heili-
segen, Dreikönigssegen, Pestsegen etc.) sowie meist weitere
gen Familie – in der Stadt Köln. Der Text auf der Rückseite des
Kleinstamulette enthalten. Sie vermittelten einen mehrfachen
Zettels nennt in lateinischer Sprache die Verwendung dieses
Schutz. Man trug die „Breverl“ am Körper, am Gürtel, an Fraisen-
weit verbreiteten Schutzmittels gegen Reisegefahren, Kopfweh,
ketten oder legte sie Kindern in die Wiege. Sie galten als Schutz
Fallsucht, Fieber, Zauberei und alle andere Übel sowie gegen
gegen sämtliche Gefahren für Leib und Seele, gegen Gefahren
jähen Tod.
aus der Natur, gegen Hexen und Dämonen. Die Kirche kämpfte
1164 schenkte Friedrich Barbarossa die (angeblichen) Reliquien
zeitweise stark, aber vergeblich gegen ihre Verwendung an.
der drei Magier aus dem Morgenland, die den neugeborenen
Noch im 20. Jahrhundert erfreuten sie sich großer Beliebtheit
Christus in Bethlehem aufgesucht haben sollen, dem Bischof
und wurden im Ersten Weltkrieg Soldaten mitgegeben, wenn sie
von Köln. Der Kaiser hatte Mailand erobert, wo sie bis dahin im
ins Feld zogen.
Dom aufbewahrt worden waren. Mit diesem wertvollen Geschenk
Schutzbrief – Breverl direkt an einen Bischof wollte er den Papst in dessen Schranken
Holzschnitte, Papier, Wachs, Weißmetall, pflanzliches Material weisen. Für diese Kriegsbeute wurde begonnen, den Kölner Dom
19. Jahrhundert
zu bauen, eines der größten Kirchengebäude der Welt.
Der neunteilige Schutzbrief, der in einem roten Pappschäch-
telchen aufbewahrt wurde, ist an der Außenseite mit einem Reliquiar
Silberfiligranarbeit, süddeutsch, Anfang des 18. Jahrhunderts
Holzschnitt „S. Maria“ beklebt. Innen befinden sich 8 weitere
Holzschnitte mit Heiligendarstellungen: 1. Franz Xaver, 2. Bene- Kapsel mit kleinsten Reliquienpartikeln der hl. Angela von Merici
dikt, 3. Anton von Padua, 4. Johann v. Nepomuk, 5. St. Ignatius, (Gründerin der Gesellschaft der heiligen Ursula), des hl. Karl
6. Markus Evangelist, 7. Jakobus, 8. Matthäus Evangelist. Jeder Borromäus (Patron der Seelsorger), von dessen Freund, dem
von ihnen war für einen speziellen Schutz zuständig. Innen ist engagierten Gegenreformator Johannes Bonomi sowie des Or-
ein Zettel aufgeklebt, der mit dem Anfang des Johannes-Evan- densgründers und Mystikers Franz von Sales, des Gründers der
geliums bedruckt ist. Theatiner-Kongregation Kajetan von Thiene, des „lachenden
Das Kernstück bildet ein Agglomerat aus kleinsten Amuletten Heiligen” Philipp Neri und mit Partikeln vom Grab Mariens.
wie Palmkätzchen, Wachsstempel, Benediktuskreuz, Reliquien Reliquien stellen eigentlich nur Stellvertreter für die Heiligen
sowie verschiedenen Samen. dar, aus deren Körper sie (angeblich) stammen oder mit denen
sie als Lebende in Berührung gekommen waren. Ihrem Besitz
Schutzbrief – Breverl wird im katholischen und orthodoxen Verständnis die Fürbitte der
Kupferstich auf Pappe kaschiert
Heiligen bei Gott um eine bestimmte Hilfe zugeschrieben. In der
5 Kupferstiche sind in Kreuzform aneinandergefügt. Der Schutz- Praxis wurden sie jedoch wie Amulette behandelt und von ihnen
brief lässt sich auf die Größe eines Einzelbildchens zusammen- eine direkte Einflussnahme auf das eigene Schicksal erwartet.
falten. Dargestellt sind: Christus am Kreuz, Gnadenbild von
Maria Landshut in Bayern (Maria mit dem geneigten Haupt), der
hl. Anton von Padua, der Heilige Geist und der hl. Aloisius von
Gonzaga. Die Außenseite ist mit rötlich gemustertem Papier
überzogen.

32 33
Segen – Das Glückselige Haus Creutz Haus
Kupferstich mit Radierungen Schmiedeeisen
Köflach, 18. Jahrhundert Kirche Maria Schnee, Hochalm bei Seckau,
19. Jahrhundert
Auf der oberen Hälfte ist ein Caravacakreuz abgebildet. Im
Schnittpunkt des unteren Querbalkens befinden sich die fünf
Rosenkranz – Fraisbeten
Wunden Christi (Herz, Hände und Füße). Seitlich befindet sich je Natternwirbel, Draht, Kreuz in Metallguss
ein Oval mit Darstellungen des Ecce homo und der Mater dolo- Steiermark, 19. Jahrhundert
rosa. Unterhalb des Kreuzes beginnt ein „Kräftiges Gebeth und Diese Rosenkränze wurden vorwiegend in Klöstern aus Nat-
Segen“. ternwirbeln gefertigt und Kindern und Kranken zum Schutz vor
Die Einblattdrucke des Glückseligen Hauskreuzes waren vor Anfallskrankheiten ins Bett gelegt. Erst in zweiter Linie dienten
allem im 18. Jahrhundert begehrte Schutzzettel und dienten sie als Gebetsschnüre. Sie zeigen die enge Verquickung von reli-
als Gespenster-, Pest-, Wetter- und Feuersegen für das Haus giösen Vorstellungen mit denen der Signaturenlehre. „Beten“ ist
und seine Bewohner/innen. Bei diesem Beispiel fehlen im Kreuz ein Mundartausdruck für Rosenkranz.
die sonst üblichen Buchstaben des Franziskus-, Zacharias-,
Antonius- und Agathensegens. Fraisbrief
Holzschnitt
Köln, 18. Jahrhundert

Votivgaben Neben mehreren Gebeten enthält das Blatt folgende Anleitung


Votive sind Opfergaben, die als Bekräftigung eines Gelübdes zur Verwendung:
(lat. votum) oder zur Unterstützung von Gebeten in Kirchen hin- „Diesen Brief soll man also über den Kranken, der die Fraiß hat,
terlegt wurden. Ihre Gestalt weist auf die Gebetsanliegen hin. dreymal lesen, und nennt denselben bey seinen Namen, wo die
Menschliche Körperteile stehen für die Bitte um Heilung von N. N. stehen, hernach soll man ihn diesen Brief auf die Brust
Gebrechen am entsprechenden Organ, Tiere deuten auf Vieh- legen, bis es sich ändert, zum leben, oder zum sterben; die um-
krankheiten hin oder auf den Wunsch nach Gesundheit und stehenden Leute sollen niederknien, und 7 Vater unser, 7 Ave-
Ertrag im Viehbestand. Häuser unterstreichen die Bitte um maria, und 1 Glauben betten, zu Ehren des bittern Leyden und
Schutz für Haus und Hof. Sterben Jesu Christi, auf daß ihm Gott von seiner Peyn erledigen
möchte.“
Augenpaar
Gefasste Laubsägearbeit
Obersteiermark,
Mitte des 20. Jahrhunderts

Augenpaar
Zinnguss, Mariazell, 2000 erworben
Sammlung Mader

Kuh
Schmiedeeisen
19. Jahrhundert

Schweine
Schmiedeeisen
St. Erhard/Breitenau,19. Jahrhundert

34 35
Schnittfelder mit der Medizin Räuchern – magisches
Heilen und Vorsorgen
In der Gegenwart erleben wir, wie die noch vor wenigen Jahren
In der Steiermark war das Räuchern eine sehr verbreitete The-
strikten Grenzen zwischen Schulmedizin und Methoden der
rapieform bei verschiedensten Krankheiten. Kultisches Ritual
Volksmedizin verschwimmen. Die auf Wirkstoffen beruhende
mit geweihten Kräutern, Desinfizierung und ein angenommener
Medizin erkennt heute an, dass auch seelische Zustände einen
Einfluss bestimmter Räuchermittel auf einzelne Symptome
wesentlichen Einfluss auf die Heilung haben und dass Metho-
verbanden sich zu einer volksmedizinischen Praxis, die günstig
den, die nach wissenschaftlichen Kriterien unwirksam sein
war und von vielen beherrscht wurde. Heute wird das Räuchern
müssten, dennoch zur Genesung führen können.
durch Einflüsse der Ethnomedizin wiederentdeckt, obwohl seine
Wirkung nach wie vor umstritten ist.
Einst anerkannte Heilmethoden wurden als Praktiken magischen
Heilens angesehen, sobald sie durch neue Erkenntnisse überholt Hausapotheke für Räucherwerk
wurden, wie etwa die Lehre von den vier Säften oder Tempera- Fluss-Rauch, Zwang-Rauch, Rotlauf-Rauch, Wald-Rauch, Wind-Rauch
menten, die Sympathielehre oder Signaturenlehre. Sie vermisch- Holzkistchen mit Räucherwerk
Graz, 19. Jahrhundert
ten sich mit der historischen Alltagspraxis, nach der ein Leiden
durch Umgrenzung oder Besprechung geheilt werden kann, dass Zur Abwehr und Heilung von Krankheiten wurde jeweils spezi-
Krankheiten an Tiere, Menschen, Pflanzen abgegeben oder über elles Räucherwerk verwendet. Zwang ist die alte Bezeichnung
Wasser, Luft und Erde an das Universum zurückgegeben werden für Durchfall, mit Fluss wurde die Sekretion bei Katarrhen be-
können. zeichnet, Wind steht wahrscheinlich für Harnwind, also Blasen-
entzündung.

Mariazeller Rauch
Pech und verschiedene Kräuter
Mariazell, 19./20. Jahrhundert

Im Mariazeller Rauch sind Ingredienzien für unterschiedliche


Wirkung gemischt. Die Grundlage ist Pech oder Harz, dazu kom-
men Kräuter und Samen. Beliebt waren die Früchte des Stein-
samens (Lithospermum officinale), die beim Erhitzen mit einem
Knall zerplatzen. Die Räucherstangen wurden von Devotiona-
lienhändlern verkauft und zur Heilung von Rotlauf, aber auch
Grippe, Gicht, Bauchschmerzen, Steinleiden oder zur Erleichte-
rung der Geburt verwendet.

Zwei Früchte des Schneckenklees


Samenkapsel von Medicago arborea

Diese Samen wurden als Beschreikraut zum Schutz der Kinder


vor Krankheiten geräuchert.

Zahnräucherbecher
Fayence, grün glasiert
Kitzeck, Ende des 19. Jahrhunderts

Mit diesem Zahnräucherbecher kurierte Valentin Fischer aus


Kitzeck im südsteirischen Weinland bis in die Mitte des vorigen
Jahrhunderts Zahnweh. Das Zahnräuchern, das bereits Hildegard

36 37
von Bingen im 12. Jahrhundert beschreibt, war in der Steier­ Therapie mischen sich die alten Vorstellungen des Umgürtens
mark sehr verbreitet und wurde mit verschiedenen Kräutern, einer Krankheit mit den im 19. Jahrhundert aktuellen Erwartun-
u. a. auch mit Bilsenkraut praktiziert. Der Patient hielt den ge- gen an die Heilkraft der Elektrizität.
öffneten Mund über die obere Öffnung, um die ein sauberes Tuch
gebunden war. Auf einem Löffel wurde das Rauchwerk erhitzt Mariazeller Glückskugel
Kreidehaltiges Mineral
und in die untere Öffnung geschoben, sodass der Patient den Mariazell, 19. Jahrhundert
aufsteigenden Rauch einatmete. Valentin Fischer verwendete
Diese Steine, auch Elisabethiner Kugel genannt, wurden vor
dazu eine Mischung aus Bienenwachs, Zwiebelsamen, Schlan-
der Basilika in Mariazell verkauft. Abschabungen des Steines
genbalg und spanischem Wurmsamen. Alsbald fielen länglich
streute man auf Flanell und legte sie gegen Entzündungen, vor
geformte Substanzen aus dem Mund des Patienten heraus, die
allem gegen die Gesichtsrose, auf.
als Zahnwürmer gedeutet wurden, die den Zahnschmerz verur-
sacht haben sollten. Wahrscheinlich handelte es sich um Eiter.

Zwei Heilerinnen
Magische Heilpraktiken Segenszettel der Hebamme Paula Schupfer
Fotokopien auf Papier
Opferring Ennstal, 1980er-Jahre
Ring aus gedrehtem Eisen
St. Wolfgang ob Hollenegg/Weststeiermark, 19. Jahrhundert
Paula Schupfer (1924–2010) war eine ausgebildete Hebamme
aus Haus im Ennstal, die sich auch auf das Abbeten, mund-
Mit Eisenringen wie diesem wurden Kopfschmerzen geheilt. Pa-
artlich Z’guattoan verstand. Sie stillte Blut, heilte Brüche und
tienten setzten sie auf, umrundeten damit mehrmals den Altar
Schwund, behandelte Warzen, Entzündungen, Nabelbrüche oder
und opferten den Ring anschließend als Votiv. Dahinter steht die
auch hinkende Kühe – kurierte also jene Leiden, bei denen etwas
Vorstellung, eine Krankheit müsse umfasst werden, um durch
weggehen oder aufhören soll. Dies geschah immer an einem
Eingrenzung gebannt werden zu können. Das Umgürten wurde
Freitag bei abnehmendem Mond, am besten am Karfreitag.
auch bei anderen erkrankten Körperteilen, zur Erleichterung der
Sie strich mit dem Knöchelchen eines Wildtiers, das eines natür-
Geburt und zum Vertreiben von Warzen angewandt. Eisen galt
lichen Todes gestorben sein musste, über die erkrankte Stelle,
als kräftigend und sollte Dämonen abwehren.
sprach dabei lautlos spezielle Gebete und betete auch abends
im Bett für die behandelten Patienten. Sie war für ihre Heilkunst
Boanschwundstein
Quarzkieselstein im ganzen Ennstal bekannt und konnte vielen Menschen helfen –
Gußwerk/Obersteiermark, 19./20. Jahrhundert auch solchen, die von den Ärzten bereits aufgegeben waren oder
Dieser Stein wird in die Hand genommen und damit über jener Ärzten selbst.
Stelle des Körpers ein Kreuz gemacht, wo sich der Schwund des Als Hebamme hatte sie immer Segenszettel für eine gute Geburt
Knochens bemerkbar macht. Die Beschaffenheit des Steines ist bei sich. Das waren einfache, mit der Schreibmaschine abge-
dabei irrelevant. Die Signatur der Härte sollte die Linderung her- schriebene oder fotokopierte Zettel, die sie unter das Kopfpols-
beiführen. ter der Gebärenden legte. Die Texte hatte sie von einer älteren
Nachbarin erhalten, als diese die Fähigkeit des Z’guattoans an
Rheumatismus-Kette sie weitergegeben hatte.
Galvanisierter Draht, Glas
Ende des 19. Jahrhunderts, Sammlung Mader

An Rheumatismus Erkrankte sollten diese „galvano-electrische“


Kette um den Hals legen, sodass das Glasstück in der Herzgrube
oder zwischen den Schulterblättern zu liegen kam. Man konnte
sie auch um schmerzende Gliedmaßen winden. Alsbald sollte
man an dieser Stelle zu schwitzen beginnen und die Kette so
lange tragen, bis man von dem Leiden befreit war. Bei dieser

38 39
Hinterlassenschaft der Abbeterin Katharina Trigler
Holzkistchen mit diversen Amuletten und Heilmitteln:
Adlerstein (Toneisensteinkonkretion), Schröpftiegel aus Metall, Skapulier mit
Darstellung der Schutzmantelmadonna, Klinge aus Feuerstein, 2 Rotglas-Steine,
3 Stücke Kolophonium, gipshaltiger Stein, Dolomit-Stein, 3 Stücke Auripigment,
Calcit, 2 Palmzweige und verschnürtes Päckchen mit Harzen.
Weststeiermark, Mitte des 19. Jahrhunderts
Benediktinerstift St. Lambrecht

Katharina Trigler – „Abbeter-Kathl“ genannt – wurde am 7. April


1833 als Tochter des Johann Trigler, vulgo Lukmüller, in der
Pfarre Lorenzen geboren. Nachdem sie lesen, schreiben und
rechnen gelernt hatte, kam sie als Magd in Dienst und wurde
später Wirtschafterin ihres Vaters, den sie bis zu dessen Tode
pflegte. Von ihm erlernte sie das Abbeten und erbte sein altes
Medizinbuch, das nach astrologischen Kriterien Krankheiten be-
stimmte und Anleitungen für Destillationen und Ölzubereitun-
gen enthielt. Mit etwa 56 Jahren bezog sie eine finstere Stube
im Haus des Rauchfangkehrers von St. Lambrecht und arbeitete
als Tagelöhnerin in Stall und Garten des Rentmeisters. Sie war
eine stark gebaute Frau, die hinkte, einen Höcker hatte und ärm-
lich gekleidet war. Oft wurde sie gehänselt, worauf sie derb und
schlagfertig reagiert haben muss. Am 21. Mai 1896 starb sie an
einem Herzschlag.
Abends nach der Arbeit widmete sie sich ihrer zahlreichen Kund-
schaft, die aus der ganzen Umgebung mit kleinen Urinflaschen
zu ihr kam. Mit dem Wasser diagnostizierte sie die Krankheit
und heilte mit der Methode des Kacherlabbetens, indem sie bei
Vollmond den Urin zwischen zwei Gefäßen hin und her schüt-
tete und dabei betete. Sie verordnete Heilmittel und destillierte
diese zum Teil selbst oder behandelte die Patienten mit ihren
Mineralien.
Sichtbare Wunden und Leiden hat sie mit einem Luchszahn oder
einem Sauzahn umrissen und dadurch zum Verschwinden ge-
bracht. Dabei umfuhr sie mehrmals die leidende Stelle und drückt
die Kralle schließlich fest darauf mit den Worten: „Fleisch und
Blut +, March und Bein + schwindet so wenig als ein Stein +.“
Gegen Zahnweh umriss sie mit dem Luchszahn in der Richtung
des Uhrzeigers auf der Wange drei Kreise und fuhr zum Schluss
mit ihm den Arm entlang bis zu den Fingerspitzen. Bei Kreuzlei-
den fuhr sie mit dem Luchszahn dreimal in einem größeren Kreis
auf dem entblößten Rücken herum, machte jedes Mal ein Kreuz
dazu und fuhr dann mit dem Luchszahn über den bekleideten
Fuß hinab bis zu den Zehenspitzen.

40 41
Zauberische Einflussnahme Für die Liebe und das Schießen
Die Volksmagie kennt zahlreiche Beschwörungen und Praktiken,
Jemandem die Daumen zu halten, ist bereits eine zauberische um die Liebe eines anderen Menschen zu erwecken, sie versie-
Handlung. Diese kleine Geste soll schlechte Einflüsse gefangen gen zu lassen oder von anderen auf sich zu lenken. Verbreitet
nehmen wie in einer geschlossenen Faust. Zauberei ist der Ver- waren aber auch solche, die vor diesen Liebeszaubern schützen.
such, die Zufälle des Schicksals zu lenken oder die magisch in- Zu allen werden oft recht unappetitliche Rezepte auf der Basis
terpretierten Gesetze der Natur zu ihrer Überwindung zu nutzen. von Schweiß, Haaren oder anderen Bestandteilen „aus der
Natur“ des zu beschwörenden Menschen empfohlen.
Zauberei ist der Technik verwandt: Beide versuchen, die Ohn-
macht gegenüber Übermächtigem durch ihre Form der Welt- „Egyptische Geheimnisse“
beherrschung zu brechen. Und beide zeigen die Tendenz, sich „Albertus Magnus bewährte und aprobirte sympathetische und
aufzublähen und den Menschen zum Instrument ihrer Regeln zu natürliche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh. Für
machen. Skepsis ist angesagt. Städter und Landleute. Vierter Theil“
Volksbuch, ohne Jahrgang, Ende des 18. Jahrhunderts

Zauberei befasst sich selten mit Nebensächlichkeiten. Ihr Regel- Diese weit verbreitete Schrift enthält eine Sammlung von magi-
werk zeigt deutlich, welche existenziellen Ängste und Wünsche schen Rezepten gegen Krankheit, für Reichtum, zum Schutz vor
die Menschen bewegen. Historische Zeugnisse der Zauberei Feinden und um Liebe zu gewinnen.
müssen allerdings vorsichtig gedeutet werden. Sie zeigen nur,
„Goldenes Schatzkästlein“
was als möglich erachtet wurde, aber nicht, in welcher Intensität
Eine Sammlung sehr interessanter Sympathie-Mittel
und Verbreitung ihr vertraut wurde. Altötting, ohne Jahrgang, 19. Jahrhundert
St. Lambrecht

Darin das Rezept: „Frauenzimmer, sich bei ihnen beliebt zu ma-


chen“: Trage Gilgenwurzel (Calendula officinalis) in einem vio-
lettseidenen Tüchlein bei dir, so bist du allen lieb und angenehm.

Stillens marinus – Meerstinz


Lacerta Stincus, mumifiziert

Georg Friedrich Most schreibt in seiner Enzyklopädie der gesam-


ten Volksmedizin im Jahre 1843:
„Dieses kleine sog. Erdkrokodill im steinigen Arabien, Ägypten
etc. kam früher todt und getrocknet über Marseille oder aus
Italien über Venedig als ein wirksames Arzneimittel zu unsern
Apotheken, und man findet noch jetzt hie und da Exemplare
derselben. Die besten sind groß, dick und lang, weiß, schwer
und unverletzt. Sie sind ein bedeutendes Aphrodisiakum, regen
besonders die Geschlechtslust bei jungen Frauenzimmern an
und werden daher von liederlichen Bauerknechten zuweilen auf
den Apotheken unter dem Namen Stinke-Marie gefordert, um sie
heimlich anzuwenden.“

42 43
Freikugel und Schuß fest mache, auch wohl vor gefährlichem Sturz mit
Bleikugel in einem Lederbeutel, 19. Jahrhundert
dem Pferde sicher stelle. Von dieser Zeit an wollte jeder Officier
Benediktinerstift St. Lambrecht
damit versehen seyn und ein Georg war ein wesentliches Stück
Eine Freikugel war ein sagenumwobenes Zaubermittel und be- seiner Equipage. Durch die häufige Nachfrage wurden die Thaler
liebtes Amulett der Wilderer. Sie trifft immer ihr Ziel und kehrt so selten, daß man das Stück mit 20 bis 30 Reichstalern bezah-
danach zu ihrem Besitzer zurück. In einem hirschledernen Säck- len mußte.“
chen umgehängt, schützt sie vor allen feindlichen Anschlägen.
Die dargestellte Kugel stammt vom Vater des Vinzenz Sabin aus
der Gegend um St. Lambrecht.
Alle Arten, eine Freikugel herzustellen, sind frevelhaft. Entwe- Für und gegen das Wetter
der feuert man am Karfreitag auf ein Kruzifix – so viele Treffer
erzielt werden, so viele Kugeln werden am kommenden Tag ihr
Das Wetter hat eine elementare Bedeutung für Menschen, die
Ziel treffen, selbst dann, wenn der Jäger sein Ziel gar nicht sieht.
von der Landwirtschaft leben. Früher suchte man Hof, Felder,
Oder man wirft eine geweihte Hostie beim Gießen der Kugel in
Äcker und Gärten durch Segenshandlungen zu schützen und
das flüssige Metall. Das benötigte Blei sollte aus den Kreuzen
Notwehrmittel bei eintretendem Unwetter zu mobilisieren. Be-
von Kirchenfenstern oder Gräbern gewonnen werden.
sonders gefürchtet war früher wie heute der Hagel, der die ge-
Auf jeden Fall stellen Freikugeln einen Pakt mit dem Teufel dar.
samte Ernte vernichten kann. Unwettern wurde entweder durch
Sie stehen oft in Verbindung mit Liebesabenteuern der Wilderer,
Gegenzauber oder durch Opfergaben begegnet.
wie dies auch die Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber
schildert.
Wetterkreuze
Kugelsegen Diese schlichten Kreuze wurden entweder aus gehobeltem Holz
Aus einem handschriftlichen Segensbüchlein, Tinte auf Papier oder aus am Palmsonntag geweihten Weidenzweigen herge-
18. Jahrhundert, Sammlung Mader stellt. Man hängte sie an Türen oder steckte sie in den Ackerrain.
Sein Ziel treffen und selbst nicht getroffen werden ist die Devise Sie stellten eine verbreitete Prophylaxe gegen Unwetter dar.
von Kugelsegen. Sie wurden von Soldaten, Jägern und Wilderern
benützt. Dieser Segen ist ein passiver: „Der dieses Zaichen bey 3 Wetterglöckchen
Elfenbein und Silber
Ihn trögt, ist guet und sicher vor allen Schüssen…“. 18. Jahrhundert, Oberösterreichische Museen, Schlossmuseum Linz
Wachs
Georgstaler 19. Jahrhundert, Stift Sankt Lambrecht
Messing
Ende des 19. Jahrhunderts Der wirksamste Schutz gegen plötzliche Unwetter und Hagel
Auf der Vorderseite ist der hl. Georg als Ritter hoch zu Ross und war das Wetterläuten der Kirchturmglocken. Der Lärm sollte die
mit dem Drachen kämpfend dargestellt. Die Umschrift lautet: von bösen Mächten geleiteten Gewitterwolken vertreiben. Als
„S. GEORGIVS EQVITVM PATRONVS“ (Der heilige Georg, Patron dies im Zuge der Aufklärung verboten wurde, fertigte man aus
der Pferde). Die Rückseite zeigt ein Segelschiff mit dem schla- verschiedenen Materialien zum Ersatz kleine Schutzglöckchen
fenden Christus im Sturm und der Umschrift „IN TEMPESTATE an, die man in Gewitternächten zum Gebet neben die Wetter-
SECURITAS“ (Sicherheit im Sturm). kerze legte.
Das Münzlexikon von Karl Christoph Schmieder berichtet:
„Der Zufall wollte, daß einmal ein Officier im Treffen von einer Wetterkerze
Wachs, schwarz eingefärbt, mit Applikationen der Gnadenmutter
Kugel getroffen, aber nicht verwundet wurde, weil sie sich von Mariazell, 21. Jahrhundert
einem solchen Georgenthaler, den er als Nothpfennig eingenä- Schwarze Wetterkerzen erfreuen sich nach wie vor reger Beliebt-
het bei sich trug, abprallte. Die Sache ward ruchbar und, wie heit in den Devotionalienläden rund um die Basilika Mariazell. Sie
billig, schrieb man den Erfolg dem Patrono Comitum et Domi- werden während des Schutzgebetes bei Unwettern angezündet.
norum (dem Patron der Grafschaft und ihrer Herren) zu. Man
glaubte zuversichtlich, daß ein Georgsthaler gegen Hieb, Stoß

44 45
Wetterrauch „Illustrierter Traumauslegungs-Bogen
Kräuter und Harz Zusammengestellt aus Stocks großem Illustrierten Persisch-
19. Jahrhundert
Benediktinerstift St. Lambrecht Aegyptischen Traumbuch“
Bilderbogen
Bei Unwettern wurde auch mit speziellem Wetter-Rauch ge- Wien, ohne Jahrgang
räuchert. Die Inhaltsstoffe des Rauchwerks sind bis auf das
getrocknete Johanniskraut nicht bekannt. „Das älteste, echte, große Aegyptische Traumbuch vom
Jahre 1204“
Blitzkugeln Wien, ohne Jahrgang
Flusskiesel
Gefunden im 19. Jahrhundert
Die Auslegung von Träumen musste offensichtlich nach alten
orientalischen Weisheiten benannt sein, um glaubhaft zu wir-
Einen wirksamen Schutz gegen Unwetter boten Blitzkugeln.
ken. Die Deutungen der Traumbilder fallen in den verschiedenen
Dies waren gerundete Kieselsteine, wie sie üblicherweise in
Büchern, Broschüren und Bilderbögen recht unterschiedlich aus,
einem Bachbett gefunden werden. Traf man jedoch inmitten
daher variiert auch die Angabe der vermeintlichen Herkunft nach
eines Feldes oder eine Wiese auf sie, mussten sie auf außerge-
verschiedenen Ländern des Morgenlands.
wöhnliche Weise dorthin gekommen sein. Man hielt die Steine
für Materialisationen des Blitzes, die wie Kugelgeschosse vom „Ganz neu aufgelegtes Traumbüchlein
Himmel gesaust kamen. Am Boden wurden sie aufgelesen und Daraus ein jeder Lottospielender Liebhaber seine Träume unter-
als Blitzschutz mit ins Haus genommen. Bei Unwettern sollten suchen und darauf in der Lotterie sich glücklich machen kann“
sie über das Dach geworfen werden, um das Haus vor Blitzein- Wien, ohne Jahrgang
schlägen zu schützen. Erstdruck 1752
Benediktinerstift St. Lambrecht

Palmkätzchen
Lotterie-Scheine
Geweihte Palmkätzchen und -zweige galten als Schutz gegen Papier, bedruckt
Unwetter und wurden an den Fenstern aufgehängt. Während Angeblich Venedig, 1876
Benediktinerstift St. Lambrecht
eines Unwetters jedoch warf man sie als Opfergabe ins Feuer,
um vor den Folgen von Hagel, Sturm und Blitz geschützt zu Die Lottoscheine fanden sich im Lotteriebuch aus St. Lambrecht.
sein.
„Wunderbares Glücksrad
Durch welches man nach astrologischer Art auf verschiedene
Fragen, welche nach den zwölf Himmelszeichen abgetheilt sind,
Träume lesen und eine Antwort finden kann, was einem darauf Glückliches oder

das große Glück machen Widerwärtiges begegnet“


Znaim, ohne Jahrgang

Das Büchlein eröffnet nach einem umständlichen Verfahren aus


Träume sind rätselhaft. Ihr Wesen und ihre Funktionen für den Fragen und Zahlenkombinationen Blicke in die Zukunft und gibt
Menschen sind wissenschaftlich letztlich nicht geklärt. Geht Ratschläge, wie die kommende Lebenslage zu meistern sei.
man heute davon aus, dass in ihnen Tageserlebnisse welcher Art
auch immer verarbeitet werden, sah man in ihnen bis ins Mit- Geheime Würfelkunst
Anfang des 20. Jahrhunderts
telalter göttliche oder dämonische Botschaften. Daraus entwi-
ckelte sich ihre Bedeutung als Prognose für die Zukunft. Bevor Diese Würfelkunst kombiniert eine astrologische Systematisie-
die Psychoanalyse das Phänomen wissenschaftlich analysierte, rung und die Augenzahl zweier Würfe zur Voraussage zukünfti-
grassierte im Alltag und in den populären Medien des 19. Jahr- ger Ereignisse.
hunderts eine große Anzahl an Anleitungen zur Traumdeutung.
Auffallend ist die häufige Verbindung von Traumdeutung und
Voraussage in Lotteriespielen.

46 47
Feuerzauber das in der offiziellen Bibel nicht aufscheint, und verwendet dazu
Umdeutungen und neue Interpretationen der Kabbala und ande-
rer mystischer Schriften.
Romanus-Büchlein
1. Auflage 1788 Planeten-Buch
Wien, 19. Jahrhundert
Diese auflagenstarke Sammlung von Bannsegen, Beschwö-
rungs-, Segens- und Bittformeln verwendet ohne ersichtlichen Das populäre Astrologie-Büchlein charakterisiert die einzelnen
Grund den Namen des hl. Romanus im Titel. Es soll „ Menschen Planeten und ihre Konstellationen zueinander. Daraus zieht es
und Vieh vor Unglück und Krankheit, Feuer und Wassergefahr, detaillierte Schlüsse, was man zu jeder Stunde des Jahres zu tun
Diebstahl, Verwundung durch Waffen aller Art sowie vor Zaube- oder zu vermeiden habe.
rei in und außer dem Hause“ bewahren.
Zauberbuch
Handschrift
Proleb, 19. Jahrhundert

Überall Zauber Dieses handgeschriebene Büchlein wurde von einer Ludmilla Kö-
berl aus Prolob angelegt. Es enthält eine Reihe von Segen und
Beschreibungen von Zauberpraktiken, die den Anschein erwe-
Zauberbuch cken, real ausgeübt worden zu sein. Einer lautet:
Handschrift
Stadl an der Mur, Ende des 18. Jahrhunderts „Daß ein anderer kein Wild schießen kann.
Sprich dessen Namen nämlich Jakob Wohlgemut, schieße was
In diesem Buch sind verschiedene Zauber und Beschwörungen
du willst, schieß nur Haar und Federn mit, und was du den armen
handschriftlich festgehalten. Die meisten beziehen sich auf das
Leuten giebst +++ Amen“
Finden von verborgenen Schätzen und Bodenschätzen, u. a. für
den steirischen Grössenberg. Ebenso findet sich eine Beschrei-
„Der wahrhaftige feurige Drachen
bung zur Kunst, Wünschelruten und Bergspiegel herzustellen.
Herrschaft über die himmlischen und höllischen Geister und
Eine inliegende Tabelle vermerkt die astrologische Zuschreibung
über die Mächte in der Erde und der Luft.“
der Tagesstunden einer Woche. Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts

Dieses Büchlein enthält zahlreiche Beschreibungen scheinbar


„Gebete an die heilige Corona
auf Sympathielehre beruhender magischer Praktiken. Erst auf
Erzschatzmeisterin über die verborgenen Schätze, Vorspreche-
der letzten Seite offenbart sich die Schrift sehr verschlüsselt
rin der armen Leute und Gebieterin der bösen Geister“
Köln, ohne Jahrgang, Ende des 19. Jahrhunderts als Parodie. Es ist anzunehmen, dass viele Menschen dieses ver-
breitete Büchlein für bare Münze genommen haben.
Diese Kompilation von Zauberpraktiken und Segensprüchen ent-
hält auch einen Anhang für erfolgreiches Schatzgraben.

Das 6. und 7. Buch Mosis


Das ist: Mosis magische Geisterkunst,
das Geheimnis aller Geheimnisse
Stuttgart, 1852
Benediktinerstift St. Lambrecht

Bis heute wird dieses Zauberbüchlein nachgedruckt und kursiert


in der Mystery-Szene. Es enthält „500 erprobte und entschlei-
erte Geheimnisse, Mittel und Ratschläge aus dem Gebiete der
Haus- und Landwirtschaft und Gewerbe und Künste“ und „Na-
türlich und sympathische Haus- und Heilmittel für Mensch und
Vieh“. Es gibt vor, das geheime Wissen des Moses zu enthalten,

48 49
Konstanten des Aberglaubens 1. Die Akzentuierung von
Übergängen
Der Aberglaube der westlichen Welt ist geprägt von der christlichen In allen Kulturen werden Lebensübergänge wie Geburt, Hochzeit
Religion, die ihn definiert und für ihre Gläubigen verbietet – ebenso und Tod von vielerlei Ritualen begleitet. Auch die Jahresüber-
verfahren die anderen monotheistischen Religionen mit abwei- gänge, ob nach dem Sonnen- oder dem Mondkalender berechnet,
chenden Vorstellungen. Besonders der Islam ist sehr strikt in werden zeremoniell begangen. Uns sind die abergläubischen
seiner Ablehnung des Aberglaubens. Dennoch gehören zur reli- Wurzeln von Silvesterknallerei, Feuerwerk und Bleigießen heute
giösen Lebensweise vieler frommer Christen, Muslime und Juden kaum mehr bewusst und das Schenken von Glücksbringern ist
abergläubische Praktiken. Sie weisen erstaunliche Ähnlichkeiten nur noch eine freundschaftliche Geste. In islamischen Ländern
miteinander auf und ihre Wurzeln reichen zurück in ältere Religi- hingegen wäre das Fehlen von Übergangsbräuchen ein schlech-
onskulturen. tes Omen für das kommende Jahr.
Religiös-magische Regeln beachten wir am ehesten noch im
Todesfall, dem letzten Lebensübergang. Die Fenster werden ge-
öffnet, um die Seele zu entlassen, Spiegel werden verhängt, die
Augen der oder des Verstorbenen geschlossen und der tote Kör-
per gewaschen. Die Fraisenhaube zur Erleichterung von Geburt
und Tod ist kaum mehr bekannt.
Wer hingegen aufmerksam durch Österreich fährt, bemerkt, dass
an vielen Brücken über Flüssen und Schnellstraßen – also sehr
konkreten Übergängen – Statuen des hl. Nepomuk zum Schutz
aufgestellt sind.

Fraisenhaube
Kupferstich auf Leinen
18./19. Jahrhundert
Fraisenhauben wurden in zwei Situationen aufgesetzt oder in die
Nähe geholt: Bei der Geburt und beim Tod. Es gab unterschiedliche
Fraisenhauben, abhängig von den aufgedruckten Darstellungen.
Ihre Funktion bei der Geburt ist schadensabwehrend, Man ging
davon aus, dass ein Kind eine Krankheit – die Fraisen – befiele,
wenn die Mutter während der Schwangerschaft einen Schreck
erlitten hatte. Der hl. Anastasius, Patron gegen die Raserei,
sollte diesen Schreck aufheben (auf anderen Fraisenhauben
erfüllte eine Abbildung des hl. Valentin diese Funktion). Der
hl. Franz Xaver ist Patron für eine glückliche Sterbestunde.

Anhänger – Nepomuk
Aquarell, Weißmetall, Bronze, Glas
Graz, um 1800, Kulturhistorische Sammlung, UMJ
Das Bild des hl. Johann von Nepomuk wurde gerne jungen Men-
schen vor einem neuen Lebensabschnitt – einer großen Reise
oder einer Heirat – mitgegeben. Heute erinnern die Nepomuk-
Statuen an Brücken noch an seine Funktion, Übergänge sicher
zu machen.

50 51
Hand der Fatima üblich, dass eine Verwandte, in der Regel die Großmutter, Lärm
Im Nahen Osten und Nordafrika gehört die Hand der Fatima zu mit einem Messingmörser erzeugt, der das Lob übertönt und so
den wichtigsten Elementen der popularen Frömmigkeit, die das den Neid der Dämonen nicht aufkommen lässt.
Individuum ständig von Dämonen, den Dschinn, bedroht sieht.
Auch wenn Dschinn Wünsche erfüllen können, sind sie grund- Geburtsamulette
Kunststoff, Metall
sätzlich bösartig und wollen den Menschen schaden. Die Ab- 21. Jahrhundert
wehrgeste der Fatima bannt die Dschinn und wirkt auch gegen Verwandtschaftsbesuche am Wochenbett sind ein Muss in isla-
den Bösen Blick. mischen Familien. Ein beliebtes Geschenk dieser Besuche sind
Fatima (606–632) war die Tochter des Propheten Mohamed neben Süßigkeiten für die Angehörigen kleine Amulette in Form
(570–632) und ist die Mutter aller seiner Nachfahren. Ihre Hand des Blauen Auges oder eines Fischs, die dem Neugeborenen an
wird im Arabischen Hamsa genannt. Das bedeutet Fünf und be- das Gewand geheftet werden.
zieht sich auf die Anzahl der Finger. Schon diese Zahl wird als In Ägypten wird nach einer Geburt sieben Nächte lang ein Teller
Abweisung von Flüchen und Dämonen gesehen, da sie sich so- mit drei Kerzen und sieben verschiedenen Lebensmitteln, u. a.
wohl auf die fünf wichtigsten Mitglieder der Familie des Prophe- Bohnen sowie Salz, neben das Bett des Neugeborenen gestellt.
ten als auch auf die fünf Pflichten frommer Muslime bezieht: das Beim Besuch der Großmutter am Wochenbett wird mit Kräutern,
Glaubensbekenntnis, das Pflichtgebet, die Unterstützung der Knoblauch und Zwiebel, die sie mitgebracht hat, geräuchert.
Armen, das Fasten im Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka. Die Mutter des Kindes muss siebenmal über den Rauch steigen,
Am Übergang ins Innere eines Hauses schützt die Hamsa seine dabei murmelt sie Segenssprüche und macht abwehrende Ges-
Bewohner/innen und Gäste. ten mit der flachen Hand.
Hauszeichen – Hand der Fatima Wöchnerinnen in Tunesien tragen sieben Tage lang ein rotes
Marokko, 21. Jahrhundert Band um den Kopf. Dem Koran folgend, müssen – zum Dank,
Sammlung Mader dass das Kind diese ersten heiklen Tage überlebt hat – sieben
Tage nach der Geburt für ein Mädchen ein Schaf und für Buben
Hauszeichen – Hand der Fatima
Ägypten, 21. Jahrhundert zwei Schafe geschlachtet werden.
Sammlung Mader
Glücksbringer zu Silvester
Hauszeichen – Kunststoff
Porträt des Zarathustra in In Graz erworben, 2013
Teheran, 2014
Bereits im antiken Rom wünschten die Menschen einander ein
Im islamischen Volksglauben vor allem des Iran sind viele Bräuche glückliches neues Jahr und tauschten Geschenke aus. Ursprüng-
und Traditionen der älteren zoroastrischen Religion Persiens aufge- lich waren diese Strenae Palmzweige, Datteln, Feigen und
­gangen. Ihr Gründer war Zarathustra, dessen Porträt – gemeinsam Honig, denn „die Süße soll den Dingen folgen, und das Jahr soll
mit Steppenraute, Bohnen und Nazar-Augen – als Schutzzeichen von Annehmlichkeit den begonnen Weg vollenden“, wie es bei
zu Neujahr aufgehängt wird. Ovid heißt. In der Kaiserzeit wurden die Geschenke wertvoller,
man schenkte einander Geldstücke, Öllampen oder Spardosen.
Mörser Den billigen kleinen Glücksbringern, die in Österreich zum Jah-
Messing
Graz, 20. Jahrhundert reswechsel an vielen Ständen angeboten werden, sieht man
ihren abergläubischen Charakter kaum noch an. Sie werden mas-
Die Gefährlichkeit des Übertritts ins Leben ist vor allem islami-
senweise verkauft und verschenkt, doch viele Menschen tragen
schen Frauen bewusst. Daher sind die ersten Tage eines Men-
sie das ganze Jahr als Talisman bei sich, z. B. in der Geldbörse.
schen geprägt von einer Vielzahl an kleineren und größeren
Neben den traditionellen Glückssymbolen gewinnen neue an
Ritualen. So soll man an einem Neugeborenen nichts loben, um
Bedeutung, die aus anderen Kulturen stammen, wie etwa der
nicht dämonischen Neid auf das Kind zu ziehen. Doch gleichzeitig
indische Elefant.
möchten viele den Eltern Anerkennung zollen: So ist es vielfach

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Haftseen
Keramikschüsseln mit Speisesymbolen
2. Die Angst vor dem Neid
Teheran, 2014
Viele Rituale zum islamischen Jahresübergang stammen aus Glück, Erfolg und Wohlstand sind immer bedroht. Die Konkur-
der zoroastrischen Religion des persischen Altertums. Wichtig renz um das Gute scheinen die Menschen aus dem Tierreich
ist vor allem das gemeinsame Neujahrsmahl, an dem alle Fami- in die Zivilisation mitgenommen zu haben. Die Angst vor dem
lienmitglieder anwesend sein sollen. Zu diesem Festtagsmahl Neid der anderen – seien dies Götter, Dämonen, Nachbarn oder
gehört unbedingt das Haftseen, „Sieben S“, bestehend aus sie- Fremde – leitet eine der ältesten magischen Vorstellungen an,
ben Dingen, die an No‘ruz (Neujahr) gereicht werden müssen und den Bösen Blick.
alle mit Sein (= S) beginnen: Sendjed (Mehlbeere), Samanu (ein Er wurde bereits von den Sumerern gefürchtet und lässt sich
Weizenkeimpudding), Seke (Münze), Sib (Äpfel), Somag (das Ge- bis heute in allen Kulturen finden. Wenn wir heute nur spie-
würz Sumach), Sonbol (eine Hyazinthe) oder Sabseh (grünende lerisch auf Holz klopfen, um einen positiven Zustand nicht zu
Getreidekeimlinge), Serkeh (Essig) oder Sir (Knoblauch). Die Zahl verschreien, benutzen wir eine alte Abwehrhandlung gegen die
sieben hat eine heilige Bedeutung. Dies soll den Triumph des Bedrohung durch den Neid.
Guten über das Böse symbolisieren und ist wichtig für das Glück Der Blick als elementarer Akt der Kommunikation ist der Schlüs-
im neuen Jahr. Wer Neujahr nicht bei seiner Familie verweilen sel für die Angst um eigenes Wohlergehen. Im Mittelmeerraum
kann, muss sich mit symbolischen Darstellungen des Haftseen und im Orient kam dieser Blick aus fremden, blauen Augen.
zufrieden geben. Schützen kann man sich vor dem Bösen Blick, indem man ihn
Eine wichtige Neujahrsgestalt der aserbaidschanischen Tradi- zurückwirft, durch abwehrende Hände oder Augen und die Farbe
tion ist Hadschi Firuz. Dies ist ein farbiger Mann, der tanzend Blau.
und singend durch die Straßen zieht, um der Bevölkerung kund-
zutun, dass der Winter endlich vorbei ist und nun der Frühling Nazar – Das blaue Auge
begrüßt werden kann. Im Gegenzug dazu bekommt er von der Anhänger und Schmuckstücke aus Glas oder Kunststoff
Italien, Griechenland, Türkei, Oman und Kuba, 20./21. Jahrhundert
Bevölkerung Geschenke und Geld. Erzählungen nach handelt es Sammlung Mader
sich bei Hadschi Firuz und seinen Begleitern um eine alte Sitte,
Das Auge gilt als direkte Verbindung zur Seele eines Menschen.
die ursprünglich aus Aserbaidschan stammt. Auch die zwei
In orientalischen Ländern und im Mittelmeerraum, aber auch
„No‘ruz khun“ (No‘ruz-Kundgeber) gehen von Haus zu Haus, um
in Südamerika und der Karibik sind Augenamulette gegen den
Neujahr kundzugeben. Sie klingeln an jeder Tür und sprechen
Bösen Blick allgegenwärtig. Die Abwehrkraft des Nazar (ara-
den Hausbesitzern ein gesungenes Lob aus. Dabei wünschen sie
bisch für „Blick“), nazar boncuğu (türkisch für „Blick-Perle“) oder
der Familie Gesundheit und Erfolg fürs neue Jahr.
Mati (griechisch für „Auge“) ist bei den Turkvölkern des Alter-
Glücksschweinchen tums entstanden und hat sich später im gesamten Einflussge-
Keramik biet der Osmanen verbreitet. Das Nazar ist eines der wichtigsten
Graz, 2013 Amulette in orientalischen Ländern.
Das Schwein ist in den letzten Jahrzehnten zum wichtigsten In der Türkei erzählt man sich die Geschichte, es habe einmal
Glücksbringer des Jahreswechsels geworden. Seine Symbolik eine außergewöhnlich schöne Frau gelebt, die blaue Augen
richtet sich auf materiellen Wohlstand: Wer ein Schwein besitzt, gehabt habe. Deren Erfolgen begegneten die anderen Frauen
ist nicht arm. mit Eifersucht und Neid, sodass die schöne Frau böse wurde
und ihren Neiderinnen Unglück wünschte. Diese schützten sich
durch ein blauäugiges Amulett vor den Verwünschungen der
schönen Frau.
Im europäischen Raum haben vor allem Spiegel die Funktion, den
Bösen Blick abzuwehren, was noch in manchen Faschingskostü-
men oder im Schmuck der Kühe beim Almabtrieb zu erkennen ist.

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Steppenraute Abendländische Amulette gegen den Bösen Blick
Samen von Peganum harmala

Die Steppenraute gilt in persischen und türkischen Haushalten Hand-Amulett


Schwarze Koralle in Silberfassung, 20. Jahrhundert
als Heilmittel mit vielfacher Verwendung. Zu allen Festen wird mit Sammlung Mader
den Samen von Yüzerlik (türkisch) oder Esphand (persisch) ge-
räuchert, aber auch vor besonderen Ereignissen wie Reisen oder Vier Faust-Amulette
Prüfungen und bei Erkrankungen. Der Rauch soll den Bösen Blick Elfenbein, Kunststoff , Gagat in Silberfassungen 19./20. Jahrhundert
Sammlung Mader
abwehren und allgemein reinigend und desinfizierend wirken.

Schlüsselanhänger – Horn Zwei Hörnerhände


Kunststoff Silber, 18./19. Jahrhundert
Italien, 2002 Oberösterreichische Landesmuseen, Schlossmuseum Linz
Koralle in Silberfassung, frühes 20. Jahrhundert
Tierhörner verleihen als Amulett Vitalität und Potenz, sollen Sammlung Mader
Abwehrkräfte steigern und Erfolg sichern. Symbolisch werden
Hörner in Nachbildungen und Miniaturen wegen dieser Funktio- Zwei Neidfeigen
nen getragen, die dann ausschließlich auf der phallischen Form Gagat in Silberfassung, 20. Jahrhundert
Sammlung Mader
beruht und nicht mehr als Akt der Übertragung von Eigenschaf-
ten der Tiere.
Neidfeige mit Eichhörnchen
Holz in Silberfassung
Knoblauch Oberösterreichische Landesmuseen, Schlossmuseum Linz
Kunststoff
Griechenland und Thailand, 21. Jahrhundert
Schreckstein
Während bei uns der Knoblauch als volksmedizinisches Heilmit- Sternkoralle in Metallfassung, 19. Jahrhundert
tel häufig Verwendung findet, da er Krankheiten an sich ziehen In der christlichen Kultur gilt das Auge als Zeichen für die Allge-
soll, ist er als magisches Mittel nur zur Abwehr gegen Vampire genwart Gottes, der über alles wacht. Der Böse Blick hingegen
bekannt. In vielen anderen Ländern soll er allgemein gegen den wird nicht durch das Auge abgewehrt, sondern durch Gesten
Bösen Blick schützen. und deren Nachbildungen als Amulett. Die Cornuta (Hörnerhand)
wird mit kleinem Finger und Zeigefinger bei geballter Faust ge-
13 Hände der Fatima bildet. Als Fluchzeichen soll sie „den Teufel mit dem Beelzebub“
Anhänger und Schmuckstücke aus Silber
Marokko, Ägypten, Jordanien, Israel, Tunesien, Türkei, 21. Jahrhundert austreiben und wendet sich ebenso gegen den dämonischen
Die Fatima-Hand soll nicht nur das Haus, sondern auch jeden Einfluss des Bösen Blicks wie die obszöne Gestik der Neidfeige
Einzelnen vor dem Bösen Blick schützen, wenn sie als Amulett mit dem Daumen, der zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der
getragen wird. In westlichen Ländern spielt oft nur ihre Funk- Faust gesteckt wird. Es genügt aber bereits, wenn dem Bösen
tion als Schmuckstück eine Rolle und ihre magische Funktion ist Blick die Faust – ohne weitere Bedeutung als der des Wider-
entweder nicht bekannt oder wird nur mehr scherzhaft als Relikt stands – entgegengehalten wird.
aus orientalischen Ländern erwähnt. Verbreitet galten Schrecksteine, vor allem solche aus Stern­
koralle, als Schutz vor dem Bösen Blick. Schwangere sollten sie
tragen, damit das Kind vor dem Neid anderer geschützt sei.

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3. Die Kraft des Verborgenen Cri Cri aus Mali
Schutzamulette aus Leder
Mali, 1970er-Jahre
Günter Eisenhut, remixx
Wer einen Wunsch beim Anblick einer Sternschnuppe fasst, darf In diese Lederschnüre sind Koransprüche eingenäht, sie werden
ihn nicht äußern, damit er in Erfüllung gehen kann. Im Märchen unterhalb der Kleidung als Gürtel um den Leib getragen. Anfang
dürfen geheimnisvolle Türen nicht geöffnet und zauberische Bil- der 1970er-Jahre stattete eine Familie aus Mali ihren Sohn mit
der nicht angeschaut werden. Die Scheu vor dem Real-Bildhaften diesen Cri Cri aus, als der junge Mann ins ferne Frankreich auf-
kulminiert in der religiösen Vorschrift, sich von Gott, Allah, brach, um dort ein besseres Leben zu finden.
Jahwe kein Bild machen zu dürfen. Ob in Magie oder Religion, Die eingenähten Suren sollten ihm Glück auf diesem Lebensweg
das numinose Wunder darf nicht Gestalt annehmen. Es muss bringen und ihn vor dem Bösem Blick und bösem Zauber, gegen
verborgen bleiben, damit seine Macht wirken kann. Kugeln und Messerstiche schützen. Eine der Schnüre sollte
Dinglich findet sich dieser Gedanke in der christlich geprägten dafür sorgen, dass er in der Fremde beliebt sein möge.
abergläubischen Kultur etwa in den verschlossenen Breverlpols- Als er in Tunesien lange auf seine Einreisepapiere nach Europa
tern, deren Inhalt nicht gesehen werden kann. Doch auch andere warten musste, verkaufte er die Amulette für 100 Dollar. Es ist
Religionskulturen kennen die Schutzkraft des Verborgenen. Das unbekannt, ob ihm dieses Geld als Startkapital Glück gebracht
Magische bekommt eine äußere Form, doch sein Innerstes bleibt hat oder ob ihm sein Vorhaben ohne die Cri Cri misslang.
geheim.
Drei verschlossene Breven
Amulettpolster aus Stoff
Verborgene Segen Steiermark, 19. Jahrhundert

Verschlossene Breverl wurden in Devotionalienläden verkauft


Vier Filakto
Amulettpolster aus Stoff und vorwiegend mit verschiedenen anderen religiösen und
Griechenland, 21. Jahrhundert nichtreligiösen Abwehrwehrzeichen an die beliebten Amulett-
Sammlung Mader
ketten gereiht. Sie durften nicht geöffnet werden. Selbst die
Almohadilla wissenschaftliche Neugier des Museums, in dem sie seit beinah
Amulettpolster aus Stoff hundert Jahren aufbewahrt werden, hat bislang davor zurückge-
Guatemala, 20. Jahrhundert schreckt, in Augenschein zu nehmen, ob es sich bei den Polstern
Sammlung Mader
um Zeugnisse von Scharlatanerie oder magisch besetzter tiefer
Zwei Muska Frömmigkeit handelt. Wir wissen nicht, ob sie Zeitungspapier
Amulettpolster aus Kunstleder oder wirklich Segenssprüche und Schutzzeichen enthalten
Türkei, 2014

Während bild- und zeichenhafte Amulette im Islam strengge-


nommen als Aberglaube gelten und als Shirk im Sinne eines
Götzendienstes verboten sind, sind verborgene Suren beliebte
religiöse Schutzmittel, die nur von sehr strenggläubigen Mus-
limen abgelehnt werden. Der Begriff Muska stammt aus dem
Arabischen und bedeutet „Handschrift“. Muskas werden um den
Hals getragen oder Kindern an ihr Gewand geheftet. Häufig ist
das Ayat al-Kursi, der Thronvers, in einem Muska eingenäht.

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Dämonenglaube Neunmondmesser
Stahlklingen mit Heften aus Horn und Bein
Steirisch, 19. Jahrhundert

Diese Messer wurden auch Trudenmesser genannt. Auf der


Klinge sind neun Mondsicheln und neun Kreuze eingeschlagen.
Der weit überwiegende Teil der Menschheit glaubt, dass über-
Die Zahl neun steht seit der antiken Zahlensymbolik für die drei-
natürliche Wesen Einfluss auf uns Menschen haben. Deren
fache Triade 3 x 3. Sie bedeutet Erfüllung, Anfang und Ende, das
Existenz wird sich wahrscheinlich nie beweisen lassen und für
Ganze. Christlich gedeutet ist sie die Potenz der Dreifaltigkeit.
sie wäre es auch nicht wichtig, wer an sie glaubt. Ihre Funktion,
Die Monde symbolisieren die Nacht.
Unerklärlichem und Unfassbarem eine Gestalt zu geben, erfüllen
Neunmondmesser trug man entweder bei sich oder steckte sie
sie unabhängig davon, ob es sie gibt.
in den Türstock von Haus und Stall, an die Stubendecke oder
legte sie neben die Wiege. Sie sollten vor Hexen, Geistern und
Die Personifizierung verleiht guten wie bösen Wesen mensch­
vor der Trud schützen, einem weiblichen Nachtgeist, der sich wie
liche Züge und man kann mit ihnen umgehen, sie um Einfluss-
ein Alpdruck auf Einschlafende setzt und in Bedrängnis bringt.
nahme bitten, ihnen danken, sie herzitieren oder bannen, sie
Damit die Trud verschwände, nahm man das Messer und führte
durch Opfer gütig stimmen – und man kann sie auch vertreiben.
damit einen Streich durch die Luft.
Abstrakte Vorstellungen vom Zufall und vom Unbegreiflichen
lassen solche Interaktionen nicht zu. Fünf Zweifelknöpfe
Weidenrinde, geflochten
Steirisch, 19. Jahrhundert

Diese Gebilde aus Weidenholz wurden jeweils aus zwei schma-


len, langen Rindenstreifen geflochten, die möglichst von ge-
weihten Palmzweigen stammen sollten. Die Bezeichnung rührt
vom Wort „zwiefach“ her. Die Geflechte wurden auch Truden-
kreuz oder wie das Pentagramm Trudenfuß genannt, da es in
ähnlicher Weise weder Anfang noch Ende haben durfte. Denn da-
durch würden dämonische Gestalten wie die Trud gefangen und
könnten nicht entweichen. Dahinter steckt der gleiche Gedanke
wie beim Daumendrücken, wo man mit dem Daumen die Faust
schließt als Zeichen für gefangene böse Geister. Sie können so
nicht entweichen und jemandem Schaden zufügen.
Zweifelknöpfe legte man unter das Kopfpolster oder man hängte
sie neben die Tür. Dazu sollte man folgenden Spruch sagen:
„Trud weich, Trud weich, Trud weich!
Alle Bama steig,
Alle Wassa wat
Dawal kimbt da helliechti Tag!
Helf uns Gott da Vota und Sun und da Haligeist!“
In der Leibnitzer Gegend nahmen die Burschen einen Zweifel-
knopf in der Hosentasche mit, wenn ein Raufhandel anstand. Er
sollte ihnen größere Schlagkraft verleihen.

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Hahnenei Bauopfer – Hahn
Ei einer Natter Metbecher mit mumifiziertem Hahnenkörper
Obersteiermark, 19. Jahrhundert Brünn, wahrscheinlich 16. Jahrhundert
Benediktinerstift St. Lambrecht
In diesem Becher ist ein mumifizierter Hahn-Kadaver mit dem
Ein auf einem Misthaufen gefundenes Ei, das zudem längli- Kopf nach unten eingepresst. Gewöhnlich wurden schwarze
cher als normale Hühnereier war, sollte von einem schwarzen Hähne geopfert, die als Personifizierungen des Teufels galten,
oder roten Hahn stammen. In Wirklichkeit waren dies Eier von wodurch also Gleiches durch Gleiches unschädlich gemacht wer-
Nattern, die sich auch gerne in der Nähe eines Misthaufens den sollte.
aufhalten. Man glaubte, dass aus einem Hahnenei – von einer
Kröte ausgebrütet – der Basilisk schlüpft, eine dämonische
Tiergestalt mit dem Kopf eines Hahns, dem Körper einer Kröte
und dem Schwanz einer Schlange. Sein widerlicher Geruch, sein
Zischen und vor allem sein (Böser) Blick sollten tödlich sein. In
Sagen und Fabeln wird berichtet, dass nur ein Wiesel den Geruch
des Basilisken aushält und dass man ihm einen Spiegel zeigen
müsse, damit er an seinem zurückgeworfenen Blick entsetzt zu-
grunde ginge.

Bauopfer
Das Ritual, zum Schutz eines neuen Bauwerkes ein Bauopfer
darzubringen, ist so alt wie menschliche Behausungen und in
allen Kulturen verbreitet. Waren es in der Frühzeit Menschen-
opfer, um Sühne für den Eingriff in die Natur zu erlangen, wur-
den spätestens seit dem Mittelalter in Europa Tiere, Pflanzen
oder Gegenstände geopfert, um Übel für die Bewohner durch
dämonische Kräfte abzuwenden. Tierische Bauopfer finden ihre
Entsprechung in Märchen und Teufelssagen, wo dem Teufel für
einen erwiesenen Dienst das erste Lebewesen beim Erreichen
des Hauses überlassen werden muss.
Später wurden Geld, Pflanzen, Eier oder Gegenstände als Opfer
eingemauert, heute sind es gelegentlich Spielkarten oder Bier-
flaschen sowie schriftliche Botschaften. Aus dem alten Ritual ist
ein spielerischer Brauch der Memorialkultur geworden, der sich
nicht mehr gegen Dämonen richtet, sondern an die Nachwelt.

Bauopfer – Katze
Mumifizierter Katzenkörper
Schloss Laubegg, 14. Jahrhundert

Die Katze wurde bei Reparaturarbeiten zu Beginn des vorigen


Jahrhunderts in einem Gerüstloch aus der Entstehungszeit des
Schlosses gefunden. Das Tier scheint im Sitzen verendet zu sein.
Andere Bauopfer wurden getötet, bevor sie eingemauert wurden.
Die Katze, zumal eine schwarze, galt als teuflisches Tier. So
sollte der Teufel gleichsam sich selbst holen.

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Globale Zauber Zauberrolle
Tinte auf Papier
Aussee, 18. Jahrhundert

Diese 265 cm lange Handschrift ist ein außergewöhnliches


Zeugnis religiöser Popularmagie. Solche Zauberrollen waren vom
Magische Vorstellungen sind nicht auf einen engen regionalen
16. bis ins 18. Jahrhundert sehr gefragt und wurden immer wieder
Entstehungszusammenhang beschränkt. Vielmehr speisen sie
kopiert und weit verbreitet. Heute sind nur noch fünf Exemplare
sich aus Einflüssen verschiedener Kulturen, die durch Handel,
bekannt. Die Zusammenstellung von Segenssprüchen, Gebeten,
Literaturaustausch und die Reisen von Handwerkern, Soldaten
Beschwörungsformeln und magischen Siegeln wurde als Rolle
oder Mönchen verbreitetet wurden. Wohlhabende Herrscher wie
bei sich getragen oder im Haus aufbewahrt und bei drohender
Rudolph II. (1552–1612) legten weltüberspannende Kuriositäten-
Gefahr benutzt. Sie widerspiegelt die vielfachen Ängste, denen
Sammlungen an, deren Fama über Jahrhunderte hinweg in die
sich ein Individuum zu dieser Zeit ausgesetzt sah und seine
popularen Vorstellungswelten durchsickerte.
Möglichkeiten, gegen ein übermächtiges Schicksal anzugehen.
Die Rolle beginnt mit den Worten „Amor meus Crucifixus est.“ –
Zauberrolle und Alraune sind Beispiele dieses abergläubischen
„Meine Liebe ist der Gekreuzigte“, ein verbreiteter Liebesseufzer
Kulturtransfers. Während von der Rundumschutz verheißenden,
an Christus und ein bekanntes Stoßgebet. Es folgen ein Kreuz-
magisch aufgeladenen Handschrift nur noch fünf Exemplare
gebet, sechs Siegel als Beschwörungen gegen Mörder sowie die
bekannt sind, kann man den Homunkulus aus einer Wurzel je-
sechs Tugenden, also Wirkungen der Zauberrolle: Sicherheit vor
derzeit selbst herstellen. Eine Alraune wurde von Fürsten und
allen Feinden / Falls ein Feind fechten will / Dass einen die Leute
Bauern gleichermaßen begehrt: Für die einen kam nur das Exem-
lieben / Falls man die Huld der Obrigkeit verloren hat / Falls
plar von einer Mandragora infrage, die anderen behalfen sich mit
man um etwas bittet / Für Gebärende. Weiter finden sich Be-
ähnlichen Wurzeln heimischer Gewächse.
schwörungen gegen Verwundungen und für das Schießen, gegen
falsche Zeugen und den Schauer – das Grauen bei Anwesenheit
böser Geister. Neben der magischen SATOR-AREPO-Formel findet
sich noch eine Reihe von Schutzgebeten, Segen und Bibelzitaten.

Alraune
Wurzel der Zaunrübe (Bryonia alba)
Leoben, 1929

Die Alraune gehörte bereits in der Antike, vor allem jedoch vom
15. bis 19. Jahrhundert zu den begehrtesten Zaubermitteln.
Sie ist die Wurzel der Pflanze Mandragora officinarum, eines
Nachtschattengewächses aus dem Mittelmeerraum, und kommt
bereits auf den Illustrationen des Wiener Dioskurides aus dem
2.–1. Jahrhundert v. Chr. vor. Zu ihrer Berühmtheit hat sicher
ihre giftige und stark halluzinogene Wirkung beigetragen, doch
gefragt war sie vor allem wegen der zweigliedrigen Form ihrer
Wurzel und den seitlichen Nebenwurzeln, die an eine mensch-
liche Gestalt erinnern. Wo sie von einer Figur mit zwei Beinen,
zwei Armen, einem Leib und einem Kopf abwich, wurde durchaus
auch schnitzend nachgeholfen, um aus ihr einen Homunkulus zu
fertigen.
Die menschenförmige Gestalt der Alraune gab Hinweis auf ihre
medizinische Verwendbarkeit und wurde als ein auf den gan-
zen Menschen einwirkender Talisman angesehen. Andererseits

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gehörte etwas Menschenartiges, das in der dunklen Erde lebte,
zum Bereich des Dämonischen. Daraus ergab sich die Vorstel-
lung, die Wurzel sei ein Pflanzendämon, der einen schrecklichen
Schrei ausstoße, sobald er aus der Erde gezogen wurde. Dieser
Schrei galt für jeden, der ihn hörte, als tödlich. Daher empfahl
bereits Joseph Flavius (ca. 37 bis ca. 100 n. Chr.), sie an einen
Hund zu binden und von diesem ausziehen zu lassen, damit die-
ser anstatt eines Menschen stürbe.
Wie ein schützender Dämon wachte diese Wurzelgestalt über
ihren Besitzer. Dieser achtete auf ihr Wohlergehen und stat-
tete sie oft mit kleinen prunkvollen Gewändern aus, wie Kaiser
Rudolf II. (1552–1612) in Prag, der die innewohnenden Geister
seines berühmten Alraunenpärchens durch persönliche Be-
treuung mit Kleiderwechsel und regelmäßigen Bädern in Wein
bei Laune halten ließ. Allerdings stammte des Kaisers Wurzel-
pärchen nicht von einer Mandragora, sondern vom Sieglauch
(Allium victorialis), der recht ähnliche Wurzeln entwickelt, die
zudem von einem Fasermantel bedeckt sind, der ihm symbolisch
Unverletzlichkeit verlieh.
Alraunen aus einer Mandragora-Wurzel waren in nördlicheren
Gegenden selten und kostspielig, sodass vielfach heimische
Pflanzen als Ersatz verwendet wurden, allen voran die Zaunrübe.
Sie ist ebenfalls giftig und bewusstseinserweiternd wie Mandra-
gora und bildet ähnliche Wurzeln aus. Auf diese Pflanze wurden
die Legenden um die Mandragora übertragen. Eine besondere
Wirkkraft wurde ihr zugeschrieben, wenn sie unter einem Galgen
an jener Stelle gewachsen war, auf die das durch die Todesart
hervorgerufene letzte Ejakulat eines Gehenkten getropft war.
Daher rührt auch seine Bezeichnung als Galgenmännlein.
Eine Alraune sollte die Zukunft voraussagen und einen Geldbe-
trag, der über Nacht neben sie gelegt wurde, verdoppeln können.
Sie brachte Glück – im Spiel und in der Liebe –, war als Wegweiser
bei Schatzgräbern beliebt und sollte Zauberei sowie Unwetter
abhalten. Daneben heilte sie Krankheiten, stand Frauen bei der
Geburt bei und schützte vor Vergiftung.

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Graz 2014 Texte und Redaktion
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chem Weg oder der Speicherung in
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28. März bis 26. Oktober 2014 Fotos
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Leihgeber
Mag. Dr. Bernd Mader, Graz
Günter Eisenhut, Graz
Oberösterreichische Landesmuseen,
Schlossmuseum Linz
Benediktinerstift St. Lambrecht
Universalmuseum Joanneum:
Kulturhistorische Sammlung,
Botanische Sammlung,
Jagdkund­liche Sammlung

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