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Markus Göbel

Interaktive Unternehmenssteuerung
nbf neue betriebswirtschaftliche forschung
Band 366
Markus Göbel

Interaktive
Unternehmenssteuerung
Organisation, Wissen und Reziprozität
auf Kapitalmärkten

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Michael Gaitanides

GABLER EDITION WISSENSCHAFT


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Habilschrift Helmut-Schmidt-Universität Hamburg 2007

1. Auflage 2009
Alle Rechte vorbehalten
© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Lektorat: Frauke Schindler / Jutta Hinrichsen
Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media..
www.gabler.de

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Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany

ISBN 978-3-8349-1520-7
Geleitwort
Kein Thema bewegt die deutsche Unternehmenslandschaft seit geraumer Zeit so sehr
wie die Einflussnahme von institutionellen Investoren auf die Geschicke von Kapital-
gesellschaften. So titulierte der ehemalige Vizekanzler Franz Müntefering Private-
Equity-Firmen oder Investmentbanken als „Heuschrecken“, „die im Vierteljahrestakt
Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie
abgefressen haben“. In feindlicher Manier würden sie sich die Anteilsmehrheit an
Kapitalgesellschaften sichern, das Top-Management mit überzogenen Renditeerwar-
tungen bedrängen und damit die Geschicke des Unternehmens allein zu ihrem Nutzen
wenden. Diese populäre Vereinfachung der Investor/Unternehmens-Beziehung findet
vergleichbare Parallelen in der Betriebswirtschaftslehre. Unter dem Stichwort „Share-
holder Value“ wird eine Form der Unternehmensführung proklamiert, die sich
ausschließlich an den Interessen der Eigentümer orientiert. Zwar ist letztere eher auf
die langfristige Erzielung von Unternehmenswert gerichtet, bei näherer Betrachtung
wird jedoch eine zentrale Gemeinsamkeit deutlich. Die Steuerung von Kapital-
gesellschaften wird faktisch nicht mehr alleine von dem jeweiligen Top-Management
vollzogen, vielmehr nehmen die Investoren erheblichen Einfluss. Unternehmens-
steuerung wird somit zu einem interaktiven Phänomen, bei dem Akteure und Akteurs-
gruppen über die eigenen Organisationsgrenzen hinweg die Geschicke anderer Unter-
nehmen beeinflussen. Gegenstand der Unternehmenssteuerung ist damit weniger die
einzelne Organisation, sondern vielmehr die interdependente Beziehung zwischen
zwei oder mehr Organisationen. Jüngst wurde dieser Interaktionsprozess im Fall
Scheffler KG/Continental AG auch dem unbeteiligten Beobachter deutlich vor Augen
geführt. Dieser interaktive Aspekt der Unternehmenssteuerung bedarf einer theore-
tischen Perspektivenerweiterung, welche vor allem die soziale Komplexität solcher
Interdependenzen nicht vernachlässigt.
Gerade darin liegen die Einzigartigkeit und der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn
dieser Arbeit. Markus Goebel ist es gelungen, ein umfassendes Konzept der „investor
relations“ jenseits der reinen Kapitalmarkttransaktion zu entwickeln und dessen
empirische Relevanz aufzuzeigen. Die vorgelegte Arbeit bringt damit eine inter-
aktionstheoretische Perspektive in die Governance-Diskussion, darüber hinaus aber
auch in weitreichende Problemfelder von Unternehmensführung und Organisation.
Diese betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen erhalten durch die Arbeit ein innova-
tives Fundament. Es ist das Verdienst der vorgelegten Arbeit, die Außenbeziehungen
von Unternehmen – und dabei nicht nur die auf Tausch beruhenden – in die Unter-
nehmenssteuerung einzubeziehen. Der Blick wird erweitert auf ganz neue, reziproke
Ausprägungen von Interaktionsmechanismen, die einer rein ökonomischen Analyse
verschlossen bleiben.
Es ist der Arbeit zu wünschen, dass sie einen Multiplikatoreffekt auslöst, der der
interaktiven Unternehmensführung zu der ihr gebührenden Bedeutung verhilft. Die
theoretischen Reflexionen und die aufgezeigten empirischen Evidenzen dieser Arbeit
mögen die Theoriebildung interaktiver Unternehmensführung befruchten und den
Praktikern eine Orientierungshilfe sein.

Hamburg, Oktober 2008 Michael Gaitanides

VI
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde 2007 von der Fakultät für Wirtschafts- und Sozial-
wissenschaften der Helmut-Schmidt-Universität Universität der Bundeswehr Hamburg
als Habilitation angenommen. Um dem Leser wertvolle Kräfte zu sparen – er wird sie
an anderer Stelle noch nötig haben – gehe ich gleich zur Danksagung über.
Besonderen Dank gilt meinem akademischen Lehrer Herrn Professor Dr. Michael
Gaitanides, der mich mit Rat und Tat unterstützt hat und so nicht nur zu der
Entstehung dieser Arbeit beitrug sondern mich auch in meiner wissenschaftlichen
Entwicklung förderte. Danken möchte ich an dieser Stelle auch meinem Zweit-
gutachter Herrn Professor Dr. Günther Ortmann. Ohne sein Zutun wäre ich wohl nicht
in die Wissenschaft gegangen und – vor allen Dingen – nicht dort geblieben. Weiterhin
möchte ich Frau Professor Dr. Jetta Frost für die zeitnahe Erstellung des
Habilitationsgutachtens danken. Ich danke auch den weiteren Mitgliedern der
Habilitationskommission Frau Professor Dr. Claudia Fantapie’ Altobelli und Herrn
Professor Dr. Michel Domsch, die zum reibungslosen und angenehmen Vollzug des
Habilitationsverfahrens maßgeblich beigetragen haben.
Danken möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich Frau Marianne Petersizke und
meiner Schwägerin Heike Göbel, die sich den orthographischen Mängeln meiner
Arbeit in einer schnellen und unprätentiösen Weise angenommen haben. Weiterhin
möchte ich Frau Natalja Press für die durchreife Formatierung der Arbeit danken.
Einen besonderen Dank möchte ich nun an alle Kolleginnen und Kollegen richten,
die direkt oder indirekt zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Hier denke ich
zunächst an Frau Dr. Christiana Weber, mit der ich viele interessante – auch fachliche
– Gespräche geführt habe. Die gemeinsamen Stunden am Weberischen Schreibtisch
werden mir in angenehmer Erinnerung bleiben. Danken möchte ich auch Herrn Dr.
Jens Fischer und Frau Dr. Gerlinde Barthelheimer, die mir jede Unterstützung bei der
Arbeit am Lehrstuhl gewährt haben sowie Herrn Dr. Tobias Thomas, der für nette
abendliche Unterhaltung in Zeiten schlecher Stimmung gesorgt hat. Schließlich
möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen von den Lehrstühlen Marketing, Personal,
Industriebetriebslehre und ABWL für die unzähligen gemeinsamen Mittagessen
danken. Diese anregenden und freundschaftlichen Gesprächsrunden sind wesentliche
Kennzeichen einer von mir sehr geschätzten – aber leider nicht mehr häufig
anzutreffenden – akademischen Kultur.
Zum Abschluss möchte ich meinen Eltern, Geschwistern, Schwägerinnen und
Schwägern für ihre moralische Unterstützung danken. Diese ist auf einem so langen
Weg zuweilen dringend erforderlich. Meinen größten Dank gilt jedoch meinen
Kindern Leonard, Charlotte und Vinzent sowie meiner Frau Kerstin. Ohne Eure Hilfe
hätte ich die Arbeit wohl kaum geschafft. Insbesondere die gemeinsamen Wochen-
enden mit ihren vielfältigen Aktivitäten haben mir die Inspirationen gegeben, die zur
Qualität einer solchen Arbeit unerlässlich sind. Euch sei diese Arbeit gewidmet.
Markus Goebel
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ................................................................................................................. 1
1.1. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit ........................................................ 1
1.2. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit ............................................................... 5

TEIL A: Deskriptive Zugänge zur Investor/Unternehmens-Interaktion.............. 11

1. Das kapitalnachfragende Unternehmen als Finanzkommunikator ........................ 11


1.1. Der Shareholder Value als Maxime einer kapitalmarktorientierten
Unternehmenssteuerung...................................................................................... 11
1.2. Finanzkommunikation und Investor Relations ................................................... 15
1.2.1. Finanzkommunikation als Werttreiber............................................................. 15
1.2.2. Aufgaben der Finanzkommunikation............................................................... 17
1.3. Die Organisation der Finanzkommunikation...................................................... 20
1.4. Instrumente der Finanzkommunikation .............................................................. 24
1.5. Zentrale Zielgruppen der Finanzkommunikation ............................................... 29

2. Institutionelle Investoren als Adressaten der Finanzkommunikation.................... 33


2.1. Die Mediatorfunktion der institutionellen Investoren auf Kapitalmärkten......... 33
2.2. Bankorganisation, Wissensmanagement und Unternehmenssteuerung.............. 35
2.2.1. Leistungserstellung und Netzwerkorganisation ............................................... 35
2.2.2. Communities of practice und Wissensmanagement ........................................ 38
2.2.3. Strategiebildung und Unternehmenssteuerung ................................................ 40
2.3. Der Investmentprozess von der Zieldefinition bis zur Erfolgsmessung ............. 43
2.4. Portfoliomanager und Analysten als Akteure im Investmentprozess ................. 48

3. Finanzkommunikation in kommunikationstheoretischer Perspektive ................... 53


3.1. Unternehmensberichterstattung und Informationsübertragung .......................... 53
3.2. Innerer Unternehmenswert und semiotische Zeichenlogik................................. 59

4. Unternehmen, Kommunikation und Information: ein Zwischenfazit.................... 63

TEIL B: Theoretische Zugänge Investor/Unternehmens-Interaktion .................. 65

1. Die Investor/Unternehmens-Konstellation aus ökonomischer Perspektive........... 65


1.1. Markt und Organisation in der ökonomischen Theorie ...................................... 66
1.1.1. Das neoklassische Markt- und Organisationsverständnis................................ 66
1.1.2. Das institutionenökonomische Markt- und Organisationsverständnis ............ 69
1.2. Die Kapitalgesellschaft aus institutionenökonomischer Perspektive ................. 72
1.2.1. Die Trennung von Eigentum und Führung ...................................................... 72
1.2.2. Zielkonflikte zwischen Topmanagement und Investoren ................................ 76
1.2.3. Die Beziehung von Topmanagement und Investoren
als Prinzipal-Agenten Konstellation ................................................................ 79
2. Information und Wissen in der Investor/Unternehmens-Interaktion –
theoretische Perspektiven und praktische Evidenzen ............................................ 85
2.1. Unternehmenssteuerung als Informationsproblem –
die Sicht der Institutionenökonomie ................................................................... 85
2.1.1. Unternehmenskommunikation zwischen Marktwert und True Value ............. 85
2.1.2. Informationen und Signale............................................................................... 86
2.1.3. Nutzung von Erfahrungen ................................................................................ 89
2.1.4. Reputation: Genese, Wirkung, kommunikative Gestaltung ............................ 91
2.1.5. Information, Signal und die Objektivierung von Wissen –
ein Zwischenfazit ............................................................................................. 94
2.2. Informationen als soziale Konstruktionen – die Sicht der empirischen
Kapitalmarktforschung........................................................................................ 97
2.3. Unternehmenssteuerung als Wissensproblem –
die Sicht der Wissenssoziologie........................................................................ 101
2.3.1. Die Kapitalgesellschaft im Prozess der Wissensgenese –
nur Kommunikator? ....................................................................................... 102
2.3.1.1. Finanzorganisation, Unternehmenssteuerung und Kommunikation.......... 102
2.3.1.2. Fair Value, Bilanzpolitik und die Logik der Rechnungslegung................. 106
2.3.2. Der institutionelle Investor im Prozess der Wissensgenese – nur Rezipient?110
2.3.2.1. Die Informationsgewinnung als Interaktionsprozess................................. 110
2.3.2.2. Die Praxis der Unternehmensdiagnose ...................................................... 116
2.3.2.3. Die Praxis der Gewinnprognose................................................................. 119
2.3.2.4. Die Quasifirma als Bezugsgröße der Unternehmenssteuerung.................. 124
2.3.3. Wissen, Steuerung und Reziprozität – ein Zwischenfazit.............................. 130

3. Kontrolle und Kooperation in der Investor/Unternehmens-Interaktion –


theoretische Perspektiven und empirische Evidenzen......................................... 135
3.1. Unternehmenssteuerung als Kontrollproblem –
die Sicht der Institutionenökonomie ................................................................. 135
3.1.1. Marktliche und gesetzliche Kontextfaktoren der Unternehmenskontrolle .... 137
3.1.2. Supervisor-Konzepte der Managementkontrolle ........................................... 139
3.1.3. Wettbewerbskonzepte der Managementdisziplinierung ................................ 147
3.2. Tausch, Opportunismus und Steuerung – ein Zwischenfazit............................ 152
3.3. Verhaltenssteuerung über Verträge –
die Sicht der experimentellen Wirtschaftsforschung ........................................ 155
3.4. Unternehmenssteuerung als Kooperationsproblem –
die Sicht der sozialwissenschaftlichen Corporate-Governance-Forschung...... 158
3.4.1. Das japanische Corporate-Governance-System............................................. 158
3.4.1.1. Die japanischen Unternehmensgruppen..................................................... 159
3.4.1.2. Japanische Kapitalgesellschaften und ihre Investoren............................... 166
3.4.1.3. Japanische Kapitalgesellschaften und ihre Main Bank.............................. 170
3.4.1.4. Führungsgremien japanischer Kapitalgesellschaften – de jure.................. 173
3.4.1.5. Führungsgremien japanischer Kapitalgesellschaften – de facto ................ 174
3.4.1.6. Seniormanager als Mediatoren von Kooperationsbeziehungen................. 177

X
3.4.2. Das britische Corporate-Governance-System................................................ 180
3.4.2.1. Geschichte und Strukturelemente .............................................................. 180
3.4.2.2. Das Unternehmensboard zwischen Kollaboration und Kooperation......... 183
3.4.2.2.1. Die Beziehung zwischen CEO und Chairman..................................... 185
3.4.2.2.2. Boardkultur und Strategiegenese......................................................... 189
3.4.3. Rechenschaftspflicht, Moral und Corporate Governance –
ein Zwischenfazit ........................................................................................... 193

TEIL C: Konzeptionelle Entwicklung und steuerungspraktische Evidenz


eines interdisziplinären Reziprozitätsverständnisses ............................ 197

1. Entwicklung eines interdisziplinären Reziprozitätsverständnisses...................... 197


1.1. Das Ende des homo oeconomicus? Ergebnisse der experimentellen
Wirtschaftsforschung ........................................................................................ 197
1.2. Die Gabe in der Standardökonomik.................................................................. 201
1.3. Die Gabe in der Ethnologie und Soziologie...................................................... 203
1.4. Nutzen, Pflicht und Altruismus: Motive reziproken Verhaltens ...................... 208
1.5. Reziprozität der Perspektiven ........................................................................... 216
1.6. Vertrauen, Loyalität, Fairness und Reputation –
zum Anökonomischen in der Ökonomie .......................................................... 219

2. Steuerungspraktische Evidenz eines interdisziplinären


Reziprozitätsverständnisses ................................................................................. 225
2.1. Reziprozität und Steuerung in Organisationen ................................................. 225
2.1.1. Psychologischer Vertrag ................................................................................ 227
2.1.2. Organizational Citizenship Behavior ............................................................. 228
2.2. Reziprozität und Steuerung zwischen Organisationen...................................... 230
2.2.1. Dyadische Kooperationsbeziehungen ............................................................ 231
2.2.2. Multiple Kooperationsbeziehungen ............................................................... 232
2.3. Reziprozität und Steuerung in Gemeinschaften................................................ 235
2.3.1. Sharing in Online Gemeinschaften ................................................................ 235
2.3.2. Open Source und Open Innovationen ............................................................ 237
2.4. Reziprozität und Steuerung auf (Finanz-)Märkten ........................................... 240

3. Reziprozität, Steuerung und Motivation – ein Zwischenfazit ............................. 243

TEIL D: Die Evidenz des Reziprozitätsverständnisses in der


Investor/Unternehmens-Interaktion – eine empirische
Untersuchung auf dem deutschen Markt für Risikokapital................. 245

1. Tausch und Reziprozität in der Venture-Capital-Forschung ............................... 245

2. Forschungsmethode und Untersuchungsdaten..................................................... 249

3. Forschungsergebnisse .......................................................................................... 253

XI
3.1. Unternehmenssteuerung als Wissensproblem: Reziprozität soziokultureller
Ordnungen......................................................................................................... 254
3.1.1. Symbolische Ordnung.................................................................................... 254
3.1.2. Normative Ordnung ....................................................................................... 257
3.2. Unternehmenssteuerung als Beziehungsproblem: Reziprozität struktureller
und relationaler Ressourcen ............................................................................. 259
3.3. Unternehmenssteuerung als Kooperationsproblem: Reziprozität
der Verhaltensmodi .......................................................................................... 262

4. Reziprozitätstypen in der Investor/Unternehmens-Interaktion –


ein Zwischenfazit ................................................................................................. 267

TEIL E: Einseitige Managerkontrolle oder interaktive


Unternehmenssteuerung – Zusammenfassung
und Forschungsperspektiven .................................................................. 271

Literaturverzeichnis .................................................................................................... 281

XII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Shareholder-Value-Pyramide........................................................... 14
Abbildung 2: Darstellung des Werttreibersystems. ...................................................... 16
Abbildung 3: Prozessuale Betrachtung des Expectations Management....................... 18

Abbildung 4: Zentrale versus dezentrale Einbindung der Investor Relations. ............. 21


Abbildung 5: Institutionelle Investoren. ....................................................................... 31
Abbildung 6: Der Anlageentscheidungsprozeß. ........................................................... 44

Abbildung 7: Modell der externen Berichtserstattung.................................................. 54


Abbildung 8: Schema dreistelliger Zeichentheorien. .................................................. 61
Abbildung 9: Austauschbeziehung zwischen Kapitalmarkt und Unternehmen. .......... 75

Abbildung 10: Modifikation des Erfahrungs-Konzeptes für unechte Erfahrung. ........ 90


Abbildung 11: Der Postgnose-Zirkel.......................................................................... 123
Abbildung 12: Die Arbeit der Analysten aus finanzwirtschaftlicher Perspektive...... 125

Abbildung 13: Die interaktive Konstruktion der Quasi-Firma................................... 126


Abbildung 14: The investment object is constructed through its connections. .......... 128
Abbildung 15: Entwicklung der keiretsu aus den zaibatsu......................................... 160

Abbildung 16: Cross-Cutting Social Spheres: Industrial Diversity,


Status Position, and Alliance Form.................................................... 162
Abbildung 17: Die Sanwa Group................................................................................ 164
Abbildung 18: Alliance Form and the Japanese Firm’s Institutional Environment. .. 165

Abbildung 19: Führungsgremien japanischer Aktiengesellschaften – de jure. .......... 174


Abbildung 20: Führungsgremien japanischer Aktiengesellschaften – de facto. ........ 177
Abbildung 21: Elliptisches Verhältnis von Pflicht und Nutzen bei der
Handlungsorientierung ....................................................................... 210
Abbildung 22: Das Verhältnis von Nutzen, Pflicht, Egoismus und Altruismus ........ 214
Abbildung 23: Kerndimensionen des Tausches im Wirkungszusammenhang .......... 254

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kern-Dimensionen und Coding-Kategorien.............................................. 253

XIII
Abkürzungsverzeichnis:

Abb.: Abbildung
VC: Venture Capital
PU: Portfoliounternehmen
Sog.: sogenannt
z.B.: zum Beispiel
TFT: Tit-For-Tat
Zit.: zitiert
CEO: Chief Executive Officer
ggf.: gegebenenfalls
bzw.: beziehungsweise
d.h.: das heißt
etc.: et cetera
f.: folgende
ff.: fortfolgende
Hrsg.: Herausgeber
Nr.: Nummer
S.: Seite
Vgl.: Vergleiche
u.a.: unter anderem
Aufl.: Auflage
Ebd: ebenda
i.S: im Sinne
s.a.: siehe auch
NED: Non Executive Directors
Übers.: Übersetzung
POS: perceived organizational support
OSS: Open Source
u.ä: und ähnliche
OCB: Organizational Citizenship Behaviour
o.g.: oben genannte

XV
1. Einleitung
1.1. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

„Nur Gewinner dürfen bleiben“. Mit dieser Überschrift war ein Beitrag in der
Wochenzeitung „Die Zeit“ (Lampart 2006) über den Wandel in der „Siemens Welt“
betitelt. Als Gewinner gelten Siemens-Bereiche, die mit ihrer Umsatzrendite zu den
rentabelsten Organisationseinheiten in der jeweiligen Branche zählen. „Ziel muss es
sein, in allen unseren Geschäften eine Führungsposition einzunehmen“ – so der
Vorstandsvorsitzende Kleinfeld in einem Interview in „Die Zeit“ (Lampart 2006,
24) – , „sonst haben wir keine Chance, genug zu verdienen, um zukunftsfähig zu sein“.
Und mit Blick auf die zur Disposition stehende Kommunikationssparte betonte
Kleinfeld: „Wir hätten es bei COM nicht geschafft, in einer realistischen Zeit auf eine
Führungsposition zu kommen“.
Siemens liefert mit seiner Unternehmenspolitik den augenfälligen Beleg für einen
tiefgreifenden Wandel in der deutschen Unternehmenslandschaft. „Die Großunter-
nehmen am Ende des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich von ihren Vorgängern vor
allem dadurch, dass sie weit weniger fest gefügt sind“ (Hauschildt/Held 2001, 885).
Sie haben zunehmend den Charakter lose gekoppelter Systeme (Weick 1976), deren
einzelne Elemente – Geschäftsbereiche, Tochterunternehmen – auf der Basis von
Rentabilitätskalkülen ein- oder ausgegliedert werden. Zwar hat Kleinfeld nach eigener
Aussage der Verkauf von Teilen der Kommunikationssparte mit seinen 37.000
Mitarbeitern „emotional berührt“ (Lampart 2006, 24). Die Entfremdung der Konzern-
lenker von den einzelnen Konzerngesellschaften scheint jedoch unumkehrbar. Sie
messen dem Überleben eines Verbundgliedes keinen Wert per se mehr bei. Zahlungs-
unfähigkeit ist kein Stigma mehr, sondern möglicherweise eine bewusst gewählte
Strategie der Desinvestition (Hauschildt/Heldt 2001). Diese zweckrationale
Gestaltungs- und Steuerungslogik bleibt jedoch nicht unwidersprochen. Die Siemens
Konzernspitze sieht sich gegenwärtig einer breiten Phalanx von Kritikern aus Politik,
Gewerkschaften und Medien gegenüber. So wähnte der bayerische Ministerpräsident
den „unternehmerischen Anstand durch BenQ eklatant verletzt“ („Der Spiegel“ 2006,
79). „Siemens ist und bleibt in der moralischen Verantwortung“ (Spiegel 2006, 79),
betonen Gewerkschafter. Schließlich unterstreicht das Nachrichtenmagazin „Der
Spiegel“, dass es im Fall der verkauften Siemenstochter „nicht nur um Geld, sondern
auch um Anstand, um Managementmoral, um Ehrlichkeit“ (Spiegel 2006, 79) geht.
Zwar wirft der Fall Siemens ein Schlaglicht „auf die bizarr verrutschten ethischen
Maßstäbe in den Top-Etagen mancher Konzerne“ (Spiegel 2006, 79), ob dies jedoch
weitergehende Konsequenzen zur Folge hat, scheint eher zweifelhaft. Denn längst – so
scheint es – sind die Unternehmen zum Spielball globalisierter Kapitalmärkte
geworden. „Die Märkte hätten ihm (Kleinfeld M.G.) nicht verziehen, wenn er nicht
gehandelt hätte“ (Lampart 2006, 24), so die vielsagende Aussage eines Analysten der
HypoVereinsbank. Das Unternehmensmanagement sieht sich zunehmend mit sachver-
ständigen, kritischen und anspruchsvollen Investoren konfrontiert, die in ihrem
Streben nach Rentabilität keine Fehlinvestitionen verzeihen (Heldt 2002). Insbeson-
dere institutionelle Anleger nehmen via Kapitalmarkt zunehmend Einfluß auf die
Unternehmensführung. Dies ist kein Wunder. Ist doch in Deutschland das Volumen
des von institutionellen Investoren wie Versicherungsunternehmen, Kapitalanlagege-
sellschaften, Pensionsfonds, Venture-Capital-Gesellschaften und Vermögensverwal-
tungen der Kreditinstitute verwalteten Vermögens von 1990 bis 1998 um 92%
gestiegen (OECD 2000). Nach Einschätzung von Bassen (2002, 1) hat eine vergleich-
bare Entwicklung in den USA und Großbritannien „bereits zu einem verstärkten
Engagement dieser Gruppen hinsichtlich der Gestaltung von Teil-funktionen der
Unternehmen geführt“. Mit dem Wohlwollen institutioneller Investoren können nur
solche Unternehmen rechnen, die sich den internationalen Standards der Rechnungs-
legung, Prüfung, Publizität, Kommunikation, Planung und Steuerung beugen. Insofern
erscheint es nur folgerichtig, dass die Strategien und Instrumente großer deutscher
Kapitalgesellschaften inzwischen weitgehend denen ihrer international tätigen
Investoren gleichen (Hauschildt/Heldt 2001).
Augenfällig wird diese Angleichung in Gestalt des omnipräsenten Leitbildes der
wertorientierten Unternehmensführung. Hierbei stehen die finanziellen Ziele der
Eigentümer im Vordergrund (Ballwieser 2004). Neben der stichhaltigen Begründung,
die sich aus kapitalmarkttheoretischen Überlegungen ableitet, ist es primär die gute
Mess- und Steuerbarkeit des „Shareholder Value“, die den Siegeszug der wert-
orientierten Unternehmensführung begründet. So berichteten nach einer Untersuchung
von Ruhwedel/Schultze (2002) im Jahre 2000 bereits 27 der Dax-100 Unternehmen
über ein wertorientiertes Steuerungskonzept in ihrem Geschäftsbericht. Insofern
scheint die Empörung des Konzernlenkers Kleinfeld (Lampart 2006, 24) nur
verständlich: „Wenn ich versuche, nachhaltig den Unternehmenswert zu erhöhen, bin
ich noch lange kein Knecht des Kapitalmarkts“. In seinem Bemühen, Unabhängigkeit
vom Kapitalmarkt zu demonstrieren, verweist Kleinfeld auf seine Verwurzelung in der
Siemenstradition: Der Gencode von Siemens – so Kleinfeld – setzte sich zusammen
aus „Innovationskraft, Internationalität – und Familienunternehmensorientierung“
(Lampart 2006, 24).
Deutlich wird hier das Spannungsverhältnis, in dem sich Konzernlenker bewegen.
Einerseits goutieren sie sich als autonome Entscheider, die sich primär am Wohl des
Unternehmens und dem seiner Mitarbeiter orientieren. Andererseits erscheinen sie als
Getriebene der Effizienz, die der Unabhängigkeit des Unternehmens wegen verstärkt
die Erfolgssicht des Kapitalmarkts einnehmen, durchsetzen und hierbei auch die
Devestition nicht scheuen.
Im Spannungsfeld zwischen diesen Polen bewegt sich nicht nur der einzelne Akteur,
sondern auch dessen vornehmste Tätigkeit: die Steuerung von Unternehmen.
Unternehmenssteuerung bekommt zunehmend einen interaktiven Charakter, d.h. der
Gegenüber mit seinen Wünschen, Interessen und Perspektiven wird als integraler

2
Bestandteil der eigenen Unternehmensidentität betrachtet und rückt als apriori des
eigenen Handelns in den Mittelpunkt der Unternehmenssteuerung. Diese erscheint als
grundlegend relationales Konzept bei der Steuerung, verstanden „als Bemühung um
Minimierung einer Differenz“ (Kirsch/Seidl 2004, 1366), von dem ein unhinter-
gehbarer Anspruch des Anderen ausgeht.
Der Andere ist in dem hier betrachteten Fall der Eigenkapitalgeber – genauer der
institutionelle Investor. Im Zentrum der nachstehenden Analyse steht die Interaktion
zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren institutionellen Investoren. Diese
Akteurskonfiguration wurde deshalb als Untersuchungsobjekt gewählt, weil sie wie
kaum eine andere Konstellation das Problem interaktiver Unternehmenssteuerung auf
den Punkt bringt. Die Entwicklung eines aktiven Verhaltens von institutionellen
Investoren führt – wie Bassen (2002, 5) betont – dazu, „dass die Grenzen zwischen
interner Unternehmensführung und externer Kontrolle verwischen und hierdurch neue
Marktteilnehmer Einfluss auf das Unternehmensgeschehen nehmen“. Unternehmens-
steuerung erscheint so als ursächlich konstituiert in der Auseinandersetzung zwischen
zwei Organisationen resp. ihren dominanten Akteursgruppen.
Eine Untersuchung dieser Akteurskonfiguration ist nicht neu. Insbesondere die Neue
Institutionenökonomie hat sich unter dem Stichwort „Corporate Governance“ (Witt
2003, 2002; Bassen 2002; Steiger 2000, 2001; Dietl 1998) dieses Themas
angenommen. Im Mittelpunkt der institutionenökonomischen Argumentation steht die
Lösung eines potenziellen Konflikts zwischen Anteilseigner und Unternehmens-
management. Seine Grundlogik besteht darin, dass die Anteilseigner aufgrund von
Informations- und Spezialisierungsvorteilen ein Management zur Führung des
Unternehmens einsetzen und hierbei Interessendivergenzen auftreten können
(Jensen/Meckling 1976). Während sich das Interesse der institutionellen Investoren an
der Maximierung einer risikoadjustierten Rendite ausrichtet, orientiert sich das
Management in seinem Verhalten potentiell an einer individuellen Einkommens-,
Status-, Macht- oder Ansehensmaximierung. Aufgrund asymmetrischer Informations-
verteilung können die institutionellen Investoren weder die Handlungen des
Managments vollständig beobachten und bewerten noch Veränderungen der Rahmen-
bedingungen allumfassend antizipieren. Gemäß des ökonomischen Verhaltensmodells
Homo Oeconomicus1 wird das Management den hieraus resultierenden Verhaltens-
spielraum im Zweifelsfall opportunistisch ausnutzen. Maßnahmen zur Reduzierung
opportunistischen Verhaltens fokussieren aus institutionenökonomischer Perspektive
dann auch folgerichtig eine effiziente Überwachung und Sanktionierung des

1
Wenn im Folgenden vom Homo Oeconomicus die Rede ist, wird damit Falk (2003a, 144) folgend ein
rationales und eigennutzorientiertes Individuum bezeichnet. Zwar ist das Konzept des Homo Oeconomicus im
Prinzip viel weiter gefasst und kann auch nicht-egoistische Präferenzen berücksichtigen. „Allen anders
lautenden Einführungsbemerkungen von Lehrbüchern zum Trotz, bildet die Eigennutzhypothese de facto den
Kern für sämtliche Modelle und Theorien“ (Falk 2003a, 144).

3
Managements2. Zu nennen sind hier einerseits Technologien, die das
Informationsgefälle zwischen Aktionär und Management verringern und damit den
manageriellen Handlungsspielraum reduzieren. Anderseits werden Instrumente
diskutiert, die Anreize für aktionärsorientiertes Verhalten setzen bzw. die Kontrolle
über managerielles Verhalten erhöhen. Es geht mithin um die Frage, wie das
„Nichtwissen“ der Aktionäre und das „Nichtwollen“ des Managements über
Informations- und Kontrolltechnologien im Sinne der Anteilseigner zu beeinflussen
ist.
Indem die Institutionenökonomie die Interakte von Unternehmensmanagement und
institutionellem Investor axiomatisch als nutzengetrieben konzipiert, erscheint der
Einsatz eines Repertoires organisatorischer Steuerungsmechanismen als Folge
spezifischer Motivations- und Präferenzannahmen. Dabei werden diese „genauso
rigoros gewichtet wie Axiome oder Postulate in der Mathematik oder Physik“ (Frost
2005, 277).
Die Exogenisierung der Motive hat unbestreitbar Vorteile bei der Modellbildung.
Nicht zuletzt erreicht die ökonomische Theorie hierdurch eine argumentative Präzision
und Kohärenz, die ihresgleichen in den Sozialwissenschaften sucht. Die modell-
theoretische Präzision führt jedoch zu einer radikalen Vereinfachung des Erkenntnis-
gegenstandes. Mit Blick auf die vorherrschende formal-analytische Vorgehensweise
sprechen Dopfer, Foster und Potts (2004) von einer Algebraisierung sozialer
Zusammenhänge. „Algebraicism supposes that a truly scientific or philosophical
attitude towards economics, and a deeper understanding of social mechanics in
general, must be based on the contemplation of mathematical logic”
(Dopfer/Foster/Potts 2004, 264). Die Vereinfachung sozialer Zusammenhänge in der
ökonomischen Theorie monierend, plädiert der Nestor der deutschen Institutionen-
ökonomie Rudolf Richter (2001, 2005) für eine Öffnung der Institutionenökonomie für
sozialwissenschaftliche – insbesondere soziologische – Theorien. Zwar hält er in
Abhängigkeit des Erkenntnisgegenstandes unterschiedliche Analysemethoden
durchaus für zweckmäßig. Unentbehrlich scheint Richter jedoch (2001, 32), “to enrich
economic institutional analysis with sociological and historical insights like the role of
path dependency, of power (including the threat or use of force), of culture or
fairness“3. Indem jedoch die Institutionenökonomie derart sozio-kulturelle Faktoren in
ihre Analyse einschließt, wird sie „zur Kulturwissenschaft, die Präferenzen auch als
Niederschlag der zwischen Individuen aufgespannten kulturellen Zusammenhänge
begreifen kann“ (Wolf 2005, 292).

2
Osterloh und Frey (2004) sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Corporate Governance for
crooks“.
3
In Übereinstimmung mit der Meinung Webers, der zufolge Sozialwissenschaft eine Wirklichkeitswissenschaft
sein sollte, sieht Richter (2005) auch in Fragen der Forschungsmethodologie durchaus noch Entwicklungs-
potentiale bei der Ökonomie. So könnte sie etwa von der Wirtschaftssoziologie lernen, „how to subdue the
occupational disease of economists to drastically simplify all objects of their research and, instead, to look and
see more closely – or even get dirty hands“ (Richter 2005, 20).

4
Eine solche kulturtheoretisch inspirierte Sichtweise impliziert notwendigerweise
eine Rekonzeptionalisierung des Untersuchungsgegenstandes „interaktive Unter-
nehmenssteuerung“. Indem die Konzeption der Interaktion von Publikumsgesellschaft
und institutionellem Investor aus seinem modelltheoretischen Korsett axiomatischer
Motivstrukturen gelöst wird, erweitert sich die Bandbreite möglicher Handlungs-
motive massgeblich. Die auch in der Ökonomie lebhaft geführte Diskussion um
Vertrauen, Loyalität, Fairness und Reputation öffnet den Blick für Moral als
motivationale Begründung für soziale Interakte.
Eine zentrale Forschungsfrage lautet daher: Ob und in welcher Form werden
moralische Handlungsmotive bei den Interaktionen zwischen Publikumsgesell-
schaften und institutionellen Investoren virulent?
Aber nicht nur die Interaktionsmotive der handelnden Akteure sind von Interesse.
Bedeutsam ist auch die Form der Interakte. Üblicherweise orientiert sich die
herrschende Lehre hierbei am Konzept des neoklassischen Markttauschs. Die Akteure
stehen sich als geschichts- und beziehungslose Monaden gegenüber, die im Rahmen
eines diskreten Tauschakts versuchen, ihren jeweiligen Nutzen – im Zweifelsfall auch
auf Kosten des Gegenübers – zu maximieren. Möglich ist diese Gleichsetzung von
Interaktion mit Tausch aber nur auf Märkten mit vollständigen Verträgen, wie sie die
neo-klassischen Faktormärkte darstellen. Denn hier spielen naturgemäß die Persön-
lichkeiten der Vertragspartner keine Rolle. Auf Märkten mit unvollständigen
Verträgen – wie dies auch für die Beziehung von institutionellen Investoren und
Publikumsgesellschaften kennzeichnend ist (Zingales 1997; Witt 2003) – erweist sich
dies hingegen als anders. Da hier die Leistung nicht durch Dritte erzwungen werden
kann, spielt die Persönlichkeit des Einzelnen und die Beziehung insgesamt für die
Interaktion eine zentrale Rolle. Die Vertragspartner „prefer to trade exclusively with
the same partner for many periods with the consequence that, over time, bilateral
relationships thoroughly dominate the market„ (Brown/Falk/Fehr 2004, 748). Solche
langfristigen Beziehungen „are embedded into a system of implicit obligations and
beliefs about obligations“ (Brown/Falk/Fehr 2004, 775), bei dem Geben und Nehmen
in einem reziproken Verhältnis stehen.
Mit Blick auf die Interaktion zwischen Publikumsgesellschaften und institutionellen
Investoren stellt sich nun eine weitere zentrale Forschungsfrage: Ob und in welcher
Form sind reziproke Interaktionsformen empirisch evident?
Die genannten Fragen zur Interaktionsmotivation und -form bilden den
Ausgangspunkt für die Argumentationslinie der Arbeit.

1.2. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

Unter Rekurs auf die o.g. Untersuchungsfragen gliedert sich die Arbeit in 5 Teile, die
inhaltlich im Folgenden kurz dargestellt werden.
In Teil A werden zunächst die Interakte zwischen Kapitalgesellschaft und
institutionellem Investor ausschließlich deskriptiv dargestellt. Interaktion erweist sich

5
als linearer Informationsübertragungsprozess, bei dem die kapitalnachfragende
Publikumsgesellschaft versucht, die institutionellen Investoren auf kommunikativem
Wege von ihrer Werthaltigkeit zu überzeugen und so zu einem Investment zu
animieren. Von der Informationsentstehung und -diffusion in der Investor-Relations-
Abteilung des kapitalnachfragenden Unternehmens über die Aufnahme bei den buy
side Analysten des kapitalanbietenden Unternehmens bis hin zu den Entscheidern in
den Investmentabteilungen werden die einzelnen Stationen des gerichteten
Kommunikationsprozesses nachgezeichnet. Unternehmenssteuerung ist hier primär
Meinungsmanagement. Angenommen wird hierbei, dass Probleme primär aufgrund
nicht eingehaltener Ankündigungen entstehen. Sozio-kulturelle Unterschiede zwischen
„Sender“ und „Empfänger“ – etwa Wahrnehmungsdifferenzen – spielen hingegen
keine Rolle.
Unter dem Stichwort „Corporate Governance“ stellt die Steuerung der Interaktionen
zwischen institutionellen Investoren und Aktiengesellschaften ein zentrales
Forschungsgebiet der Institutionenökonomie dar. In Teil B wird diese in den
Wirtschaftswissenschaften dominante Theorieperspektive vorgestellt. Sie bildet die
strukturelle Folie, vor der die Erörterung der unterschiedlichen theoretischen Perspek-
tive zur Investor/Unternehmens-Interaktion abläuft. Erklärt wird zunächst das
Organisations- und Marktverständnis der neoklassischen und institutionenökonomi-
schen Theorie. Hiernach wird vertiefend auf die Trennung von Eigentum und Führung
als Spezifikum von Kapitalgesellschaften eingegangen. So vorteilhaft eine Trennung
für eine effiziente Ressourcenallokation ist, so diffizil sind die hiermit verbundenen
Steuerungsschwächen. Das Streben nach Nutzenmaximierung gepaart mit einer
asymmetrischen Informationsverteilung führen zu mannigfaltigen Zielkonflikten
zwischen Investoren und angestelltem Management, wie die Institutionenökonomie in
diversen Managermodellen verdeutlich hat. Dargestellt wird die sich so konstituieren-
de Akteurskonfiguration üblicherweise als Prinzipal-Agenten-Konstellation, bei der
dem Investor die Rolle des beauftragenden Prinzipals und dem Unternehmens-
management die Rolle des beauftragten Agenten zufällt.
Um nun die Entscheidungsrationalität des Investors zu steigern und somit eine
wohlfahrtsmaximierende Ressourcenallokation zu gewährleisten, sieht die Institu-
tionenökonomie rationalitätssteigernde institutionelle Arrangements vor. Vorgestellt
werden zunächst solche Arrangements, die den investorseitigen Informationsstand
erhöhen. Hierbei handelt es sich z.B um Signalling- und Reputationsmechanismen,
Selbstwahlschemata oder Erfahrungen. Gemäß institutionenökonomischer Axiomatik
leiten sich ungleiche Informationsstände zwingend aus Zieldisparitäten der Akteure ab,
da diese annahmegemäß über den gleichen Wahrnehmungs- und Informationsver-
arbeitungsapparat verfügen. Unterschiedliche Informationsstände aufgrund sozio-
kulturell bedingter Wahrnehmungsdisparitäten sind daher ausgeschlossen. Genau hier
setzt die Kritik der experimentellen Kapitalmarktforschung an. Mit ihren Unter-
scheidungen zwischen Smart Tradern und Noise Tradern fokussieren sie auf die sozio-

6
kulturelle Inklusion von Investoren. Während Smart Trader nach der neo-klassischen
Entscheidungsaxiomatik vollständiger Rationalität investieren, handeln Noise Trader
in Abhängigkeit von sozio-kulturell präformierten Interaktionsprozessen. Informa-
tionen erscheinen hier weniger als objektive Wirklichkeitsabbildungen, sondern
vielmehr als soziale Konstrukte. Unter Rekurs auf wissenssoziologische Untersuchun-
gen werden sodann die Interaktionsprozesse zwischen Kapitalgesellschaft und
institutionellem Investor in den Blick genommen. Die Genese und der Transfer von
Unternehmenswissen erweist sich als sozio-kultureller Prozess, bei dem die Positionen
der Akteure nur sehr bedingt den Rollenkonfigurationen der Prinzipal-Agenten
Theorie entsprechen. Angesichts des konstruktivistischen Charakters von
Informationen erscheint eine lineare Steuerungslogik, die auf eine Erhöhung
präskriptiver Entscheidungsrationalität setzt, als praxisfern. An ihre Stelle treten
vielmehr selbstreferentielle Interaktionssysteme, welche die sozio-kulturelle Konstruk-
tivität von Information und Wissen zur Grundlage ihrer Steuerungslogik macht.
Neben der asymmetrischen Informationsverteilung sieht die Institutionenökonomik
ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer pareto-effizienten Ressourcenallokation.
Es handelt sich hierbei um das Problem opportunistischen Verhaltens, das im weiteren
Verlauf des Teils C eingehend erörtert wird. Um eine Nutzenmaximierung des
angestellten Unternehmensmanagements auf Kosten des Investors zu vermeiden, hält
die Institutionenökonomik diverse Kontroll- und Anreiztechnologien bereit.
Theoretischer und pragmatischer Ausgangspunkt aller Technologien ist die
kontraktuelle Beziehung zwischen Investoren und Unternehmensmanagement, die –
wie alle Arbeitsverträge – durch eine prinzipielle Offenheit gekennzeichnet ist.
Insbesondere die experimentelle Wirtschaftsforschung hat nun vielfach nachgewiesen,
dass im Rahmen offener Vertragsbeziehungen die von Institutionenökonomen
favorisierte anreizkompatible Entlohnung zu einer Verdrängung prosozialen –
insbesondere reziproken – Verhaltens führen kann. Im Gegensatz zur standard-
ökonomischen Axiomatik, die auf eine Exogenisierung der Handlungsmotive setzen
und hierbei ein Eigennutzpostulat4 (z.B. Stigler/Becker 1970; Stigler 1980) verfolgen,
wird mit Blick auf die Ergebnisse experimenteller Wirtschaftsforschung (z.B.
Falk/Gächter 2001; Henrich 2000) deutlich, dass menschliche Handlungsmotive weder
exogen gegeben noch primär nutzengetrieben sind. Es zeigt sich vielmehr eine
Vielzahl – auch prosozialer – Handlungsmotive, die sich rekursiv mit ihrer
institutionellen Umwelt konstituieren. Mit Bezug auf das britische und japanische
Corporate Governance System wird sodann die Evidenz prosozialer Handlungsmotive
wie Fairness, Loyalität, Pflicht, Gerechtigkeit und – vor allem – Reziprozität für die
Funktionsweise interaktiver Unternehmenssteuerung herausgearbeitet. In Erweiterung
des institutionenökonomischen Kontrollparadigmas wird hier eine Form von

4
Betont doch Stigler (1980) in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre, dass wenn „self–interest and
ethical values with wide verbal allegiance are in conflict, much of the time, most of the time in fact, self-
interest-theory … will win”.

7
Unternehmenssteuerung virulent, die eine Kooperation zwischen Investor und
Unternehmensmanagement fokussiert.
Die empirische Evidenz prosozialer Handlungsmotive für die Unternehmens-
steuerung bildet im Folgenden den argumentativen Hintergrund für die Entwicklung
eines theoretischen Konzeptes der Reziprozität. Behaupten doch Vertreter experimen-
teller Wirtschaftsforschung (z.B. Falk/Gächter 2001), dass menschliches Verhalten
zumeist reziprok und nicht utilitaristisch motiviert ist. Wird dort jedoch Reziprozität
zumeist als anthropologische Konstante behandelt, so wird in Teil C das Augenmerk
auf die Koevolution von sozio-kultureller Umwelt und reziproken Interaktionsformen
gelegt. Unter Rekurs auf Forschungsergebnisse der Ökonomie, der Soziologie, der
Anthropologie und der Philosophie wird eine facettenreiches Bild der Reziprozität
gezeichnet, das Geben und Nehmen durch utilitaristische und moralische Handlungs-
motive begründet sieht5. Innerhalb des Sozialen entfalten die Motive ihre Handlungs-
wirkung jedoch nicht unmittelbar. Es sind die wechselseitigen Sinn- und Motivzu-
schreibungen der Akteure, die einen gemeinsamen Deutungszusammenhang konsti-
tuieren, vor dem die singulären Handlungen wie die kollektiven Handlungsmuster erst
Plausibilität erlangen. Im Zuge einer wechselseitigen Perspektivenübernahme wird die
individualistische Perspektive des Einzelnen überwunden und reziproke Interakte
überhaupt möglich. Dass Reziprozität nicht nur evident für die Steuerung von
Corporate-Governance-Systemen ist, wird bei einer nachfolgenden Literaturreview
deutlich. Hier wird die Relevanz von Reziprozitätsformen für die Steuerung sozialer
Zusammenhänge auf organisationaler, interorganisationaler, gemeinschaftlicher und
marktlicher Ebene in den Blick genommen.
Welchen Beitrag kann nun ein solches Konzept der Reziprozität für die Analyse von
Investor/Unternehmens-Interaktionen leisten? Unter Rekurs auf das entwickelte
Reziprozitätskonzept wird nun in Teil D im Rahmen einer eigenen empirischen
Untersuchung ein facettenreiches Bild dieser Interaktion gezeichnet. Gegenstand der
Untersuchung ist die Interaktion von Venture Capital Gesellschaften und New
Ventures. Im Rahmen einer Multi Case Analysis6 zeigt sich, dass in den dyadischen
Interaktionen zwei unterschiedliche Reziprozitätstypen virulent werden. Während bei
Typ 1 – der ökonomischen Tauschreziprozität – der Nutzen fokal und die Moral
peripher erkennbar ist, erweist sich bei Typ 2 – der sozialen Pflichtenreziprozität – die
Moral als fokal und der Nutzen als peripher. Konstitutiv für die Genese der
unterschiedlichen Reziprozitätstypen sind Prozesse kognitiver Synchronisation,
welche die sozio-kulturellen Differenzen zwischen Investor und New Venture
reduzieren und so Interaktion überhaupt erst möglich machen. Jenseits eines linearen
Interaktionsverständnisses stellen sich die einzelnen Interakte als Teil eines komplexen

5
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich Christiana Weber und Günther Ortmann für ihre Bereitschaft danken,
weite Teile eines gemeinsam erstellten Artikels (Göbel/Ortmann/Weber 2007) hier verwenden zu können.
6
Hier möchte ich mich ganz herzlich bei Christiana Weber für die Bereitschaft bedanken, die gemeinsam
angefertigte Untersuchung (Göbel/Weber 2007, Weber/Göbel 2006) an dieser Stelle verwenden zu dürfen.

8
Handlungszusammenhangs dar, bei dem Handlungsmotiv und sozio-kultureller
Kontext in einem selbstorganisierten Konstitutionszusammenhang stehen.
Die Arbeit endet mit Teil E Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten
Untersuchungsergebnisse wird mit dem Konzept der Selbstorganisation eine mögliche
Theorieperspektive präsentiert, die sich bei der Weiterentwicklung der Corporate-
Governance-Forschung als hilfreich erweisen könnten.

9
TEIL A: Deskriptive Zugänge zur Investor/Unternehmens-Interaktion
1. Das kapitalnachfragende Unternehmen als Finanzkommunikator
Um dem Leser den Untersuchungsgegenstand – die interaktive Unternehmens-
steuerung – als geniun betriebswirtschaftliches Problem näher zu bringen, wird im
folgenden Kapitel die Interaktion zwischen Kapitalgesellschaft und institutionellem
Investor von der Informationsgenese im Unternehmen bis hin zur Anlageentscheidung
beim organisierten Investor aus deskriptiv-betriebswirtschaftlicher Perspektive
präsentiert. Ausgangspunkt des linearen Interaktionsprozesses – und damit der
Darstellung – ist das kapitalnachfragende Unternehmen in seiner Funktion als
Finanzkommunikator (2). Hierbei wird zunächst auf die Relevanz der
Finanzkommunikation im Rahmen kapitalmarktorientierter Unternehmensteuerung
eingegangen (2.2). Hieran schließt sich eine Beschreibung der Organisation (2.3), der
Instrumente (2.4) und der zentralen Zielgruppen der Finanzkommunikation (2.5) an.
Nach der Vorstellung des Kommunikators wird im zweiten Teil des Kapitels mit den
Institutionellen Investoren die Adressaten der Finanzkommunikation in den Blick
genommen (3). Am Beispiel von Investmentbanken wird zunächst die Rolle von
Institutionellen Investoren für die Funktionsweise von Kapitalmärkten expliziert (3.1).
Hieran schließt sich eine Beschreibung der Organisation, des Wissensmanagements
und der Steuerung von Investmentbanken an (3.2). Behandelt werden des Weiteren der
Assets Selection Prozesse (3.3) sowie die zentralen Akteure im Investmentprozess
(3.4). Das Kapitel schließt mit einer Analyse der deskriptiven Beschreibung des
Interaktionsprozesses aus kommunikationstheoretischer Perspektive (4).

1.1. Der Shareholder Value als Maxime einer kapitalmarktorientierten


Unternehmenssteuerung

Unternehmensführung braucht verbindliche Ziele, an denen sich die Geschäftsleitung


orientiert und an denen sie gemessen wird. Folgt man Copeland/Koller/Murrin (1990,
3-4), so sind die erfolgreichsten Unternehmen der 90er Jahre die, „that make managing
value a central tenet of their corporate and business strategies. They will be able to
take the greatest advantage of the opportunities and threats that confront them ...“.
Diese häufig als Shareholder-Value-Ansatz apostrophierte Form der wertorientierten
Unternehmensführung erfreut sich bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland
steigender Beliebtheit (Ballwieser 2004)7.
Shareholder Value bezeichnet den finanziellen Wert der Eigentumsrechte an einem
Unternehmen (Speckbacher 2004). Seinem Wesen nach ist dieser Eigentümerwert

7
Die KPMG hat 2000 und 2003 jeweils 56 und 38 der DAX-100 Unternehmen nach ihrem Einsatz von
Shareholder-Value-Konzepten befragt. Hiernach haben 86% (2000) bzw. 91% (2003) der untersuchten
Unternehmen eine Shareholder-Spitzenkennzahl eingeführt (Ballwieser/Wesner/KPMG 2003, 15). In einer
Untersuchung von Ruhwedel und Schulz (2000) berichteten im Jahr 2000 bereits 27 der DAX-100
Unternehmen über ein wertorientiertes Steuerungskonzept in ihrem Geschäftsbericht.
zwar subjektiv, da von individuellen Präferenzen, Erwartungen und Möglichkeiten der
existenten oder potentiellen Eigentümern abhängig. Die Literatur hat jedoch gezeigt,
„dass bei symmetrischer Information, vollständigen und vollkommenen Kapital-
märkten die Nutzenmaximierung des Individuums und die Maximierung des
Marktwertes des Eigenkapitals, das ist der Shareholder Value, übereinstimmen“
(Ballwieser 2004, 1618). Liegen diese Bedingungen in realiter nicht vor, so sind die
daraus resultierenden Abweichungen vom Optimum aus Anlegersicht jedoch
möglicherweise zu vernachlässigen (Drukarczyk 1999)8.
In der Nachfolge von Rappaport (1981) werden seit Beginn der 80er Jahre diverse
Methoden diskutiert, auf deren Basis eine an Marktwerten orientierte Berechnung des
Shareholde Value und daraus abgeleiteter Erfolgsfaktoren versucht wird. Die
Bemühungen zielen auf eine Quantifizierung der Auswirkungen unternehmerischer
Entscheidungen auf den Shareholder Value. Zu seiner Bestimmung sollen
insbesondere solche Größen verwandt werden, die sich auf Unternehmensebene
feststellen lassen und durch Managemententscheidungen zu beeinflussen sind.
„Systeme von Werttreibern“, so Speckbacher (2004, 1319) „sollen die
unternehmensinternen Prozesse, durch die der Shareholder Value generiert wird,
abbilden und eine Steuerung der Wertschaffung auf Unternehmensebene
ermöglichen“. Letztlich geht es darum, Strategie, Steuerungsphilosophie,
Organisation, Infrastruktur, Kultur etc. auf die Maximierung des Shareholder Values
auszurichten (Hilpisch 2005; ähnlich Gomez/Murarotto 2001).
Die Gleichsetzung von Unternehmenserfolg mit dem Realisierungsgrad der
finanziellen Eigentümerziele9 wird in normativer Perspektive häufig damit begründet,
dass ihre bestmögliche Realisation unter idealisierten Annahmen über die
Funktionsweise von Märkten und Unternehmen für alle Stakeholder und sogar für die
Gesellschaft als solches vorteilhaft sei (Jensen 2001).
Eng mit dieser normativen Forderung ist eine zweite Interpretation des Shareholder-
Value-Ansatzes als modernes Konzept der Erfolgsmessung und Erfolgssteuerung
verbunden (Raab 2001). Ausgangspunkt ist hier die methodenbezogene Kritik
Rappaports (1994) an den traditionellen, am „Buchgewinn“ orientierten Mess- und
Steuerungsgrößen. Buchhaltungsorientierte Konzepte konnotieren Erfolg zwar
prinzipiell im Sinne der Wertsteigerung von Eigentumsrechten. Die Art der
Wertansätze führen jedoch nach Ansicht ihrer Kritiker zu einer Fehlsteuerung der
Unternehmen. So beruht die Ermittlung von Erfolgsgrößen im traditionellen
Rechnungswesen auf der Bewertung zu historischen Kosten gemäß dem Prinzip der
summativen Einzelbewertung. „Selbsterstellte“ immaterielle Vermögenswerte bleiben

8
In der Praxis hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff des „objektivierten Unternehmenswertes“ etabliert
(Hilpisch 2005).
9
Laut Gomez/Murarotto (2001, 1930) muss es das Ziel des Unternehmens sein, „den Kuchen zu vergrößern, d.h.
eine möglichst hohe Steigerung des maximal theoretischen Shareholder Value, da er alleine Garant für eine
nachhaltige Entwicklung ist“.

12
hierbei unberücksichtigt. Die steigende Relevanz immaterieller Vermögenswerte und
der Bedeutungsanstieg von Verbundbeziehungen in wissensbasierten Unternehmen
einerseits und der Bedeutungsverlust historischer Kosten im Zuge einer dynamisierten
Unternehmensumwelt andererseits lassen das traditionelle Rechnungswesen als
inadäquat für eine erfolgsorientierte Steuerung erscheinen (Speckbacher 2004). Als
Antwort auf diese Steuerungsdefizite wurden im Rahmen des Shareholder-Value-
Ansatzes moderne Erfolgsmaße und Systeme von Erfolgstreibern entwickelt.
In Analogie zur modernen Investitionsrechnung greift man bei der Ermittlung des
Shareholder Value auf Cash Flow basierte Bewertungsverfahren zurück (Hilpisch
2005). Denn aus Investorensicht ist der Erwerb einer Aktie mit einem
Investitionsvorhaben zu vergleichen – der Investor tätigt eine Anfangsinvestition und
erwartet Rückflüsse etwa in Form von Dividenden oder Verkaufserlösen aus dieser
Investition. Die Beurteilung von Investitionsentscheidungen – etwa Anlage-
entscheidungen – findet heute zumeist auf der Basis von Discounted-Cash-Flow-
Konzepten (DCF) statt (Hilpisch 2005; Gomez/Murarotto 2001) 10. Im Unterschied zu
Residualgewinnkonzepten, die periodisierte Erfolgsgrößen liefern und damit stärker
am herkömmlichen Rechnungswesen orientiert sind, erfolgt bei DCF-Ansätzen eine
zukunftsorientierte Gesamtbewertung von Projekten bzw. Unternehmen im Sinne der
Verfahren dynamischer Investitionsrechnung (Kapitalwertmethode). Kapitalmarkt-
orientiert sind diese Ansätze insofern, als sie annehmen, dass erst dann für den
Eigentümer Wert generiert wird, wenn die Rendite des eingesetzten Kapitals über der
am Kapitalmarkt für ein vergleichbares Investment erzielbaren Rendite liegt.
Unterstellt wird somit die Existenz von eindeutigen Marktpreisen für die Bewertung
zukünftiger Zahlungen. Trotz der apostrophierten Unterschiede zwischen Shareholder-
Ansätzen und den traditionellen Rechnungswesen-Modellen gibt es auch wichtige
Überschneidungen. So basieren beide auf der Annahme, „dass Erfolg grundsätzlich als
Residualgröße ermittelbar ist, die sich aus der Veräußerung der Outputs und nach
Abzug aller vertraglich gesicherten Zahlungen an bevorrechtigte Anspruchsgruppen
ergibt“ (Speckbacher 2004, 1322). Ähnlich den herkömmlichen Rechnungswesen-
modellen weisen die Werttreibermodelle daher eine „an (periodisierten)
Zahlungsvorgängen orientierte additiv-lineare Struktur auf“ (Speckbacher 2004,
1322).
Ein Beispiel für ein solches additiv-lineares Werttreibermodell ist die in Abbildung
1 dargestellte Shareholder-Value-Pyramide (Frost 2005).

10
Nach Raab (2001, 67) sind Shareholder-Value- Konzepte „de facto divergierende DCF-Unternehmensbewer-
tungsmodelle“.

13
Zielgrößen

Shareholder Value des


Gesamtunternehmens

Wertbeiträge der strategischen Geschäftseinheiten

Wertgeneratoren
z.B. Umsatzrendite, Umsatzwachstum, Erweiterungsinvestitionen
etc.

Wertgeneratoren der 2. Ebene (Werttreiber)


z.B. Kapitalbindung, Kostenstruktur, Durchlaufzeit etc.

Abbildung 1: Die Shareholder-Value-Pyramide.


Quelle: Frost (2005, 360)

1. Die generell aggregierte Zielgröße Unternehmenswert repräsentiert die oberste


Ebene. Dieser Unternehmenswert des Gesamtunternehmens resultiert aus der
Annahme der Wertadditivität als Summe der einzelnen organisatorischen
Einheiten.
2. Der Wert wird hier in die Wertbeiträge der einzelnen Organisationseinheiten
zerlegt.
3. Die Wertbeiträge der Organisationseinheiten werden mit Hilfe geeigneter
Bewertungsmodelle – beispielsweise Rappaports Wertgeneratorenmodell – in
Wertgeneratoren differenziert. Hierbei handelt es sich beispielsweise um
Umsatzwachstum, Umsatzrendite, den Bedarf an Erweiterungsinvestitionen
oder an Investitionen in das Working Capital sowie einheitenspezifische
risikoangepasste Kapitalkosten. Die Aktivitäten jeder Einheit sind mit
Wertgeneratoren zu verknüpfen, um deren Wertsteigerungspotential beurteilbar
zu machen.

14
4. Eine weitere Differenzierung der Wertgeneratoren in sogenannte Werttreiber
findet auf der untersten Ebene statt. Zu nennen sind hier etwa die Verkürzung
der Durchlaufzeiten, die Reduktion von Kapitalbindung oder Kapitalkosten.
Die so ermittelten wertorientierten Kennzahlen bilden ex ante die Basis für
Zielvorgaben an die Organisationseinheiten und deren Mitglieder und dienen ex post
der Messung der realisierten Ergebnisse. Eine wertorientierte Unternehmenssteuerung,
die auf den Wertbeitrag einzelner Maschinen oder Personen fokussiert, ist möglich, da
die Informationen des Marktes innerhalb des Unternehmens so aufbereitet werden,
dass externe marktliche Maßstäbe mit internen Beurteilungen der Organisations-
einheiten bzw. -mitglieder verbunden werden können. Die vorgestellte Shareholder-
Value-Pyramide reflektiert die Vision einer kapitalmarktorientierten Unternehmens-
führung, die auf eine perfekte Osmose von externen Marktsignalen und interner
Unternehmenssteuerung abzielt (Frost 2005).

1.2. Finanzkommunikation und Investor Relations

1.2.1. Finanzkommunikation als Werttreiber

Mit der Wiederbelebung der Börse als Kapitalpumpe für das Unternehmen
(Hauschildt/Heldt 2001) erfährt der kommunikative Umgang mit der Financial
Community einen Relevanzschub. Die Zeiten, in denen ein Wirtschaftstycoon William
H. Vanderbilt auf das Ansinnen der Presse nach mehr Unternehmenstransparenz mit
dem Kommentar „The public be damned“ (zitiert nach Täubert 1998, 1) reagiert, sind
heute undenkbar. Der Finanzkommunikation wird in Praxis (Holdijk 2001; Lehner
2004) und Wissenschaft (Volkhart/Labhart 2000; Kötzle/Niggemann 2001; Porak
2002; Weber-Henschel 2002) mittlerweile eine zentrale unternehmenspolitische
Relevanz zugeschrieben. So spielt sie nicht nur bei der Erreichung von
Unternehmenstransparenz und bei der Erwartungsbildung von Marktteilnehmern eine
wichtige Rolle. Sie beeinflusst auch die Bewertung von Unternehmen und kann ihre
Entwicklung entscheidend mitbestimmen. Im Zuge der Shareholder-Value-Diskussion
wird die Finanzkommunikation mittlerweile gar als wichtiger Treiber des
Unternehmenswertes identifiziert (Volkhart/Labhart 2000; Ahlers 2000; Weber-
Henschel 2002).
Wie bereits erwähnt, bilden Werttreiber die Basis des Shareholder-Value-
Managements. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, „was den Wert des Eigenkapitals
am meisten treibt, ihn also positiv beinflußt“ (Hilpisch 2005, 156). Indem die
unmittelbar aus den klassischen Unternehmensbewertungsverfahren abgeleiteten
Werttreibersysteme sich primär auf aggregierte Unternehmensgrößen – etwa Umsatz,
Rendite, Investitionen, Cashflows – beziehen, liefern sie ein mehr oder weniger grobes
Raster für die Unternehmensbewertung und das wertorientierte Management. Die
generischen Werttreiber, die primär auf finanzielle Größen fokussieren, basieren nun
ihrerseits wieder auf anderen Werttreibern (beispielsweise Mengen und Preisen hinter

15
dem Umsatz als Werttreiber), die wiederum auf jeweils vorgelagerte spezifische
Werttreiber rekurrieren (z.B. werden die verkauften Mengen bestimmt durch die
Anzahl und Art der Kunden). Eine differenzierte Analyse des Werttreiberbaums führt
dann unweigerlich zu den spezifischen Besonderheiten einer Branche oder eines
Unternehmens. Letztere lassen sich im Sinne spezifischer Werttreiber als Wirkungs-
faktoren für die Ausprägung der generischen Werttreiber konzeptionalisieren (vgl.
Abb. 2). Betrachtet man nun die Beziehung zwischen Unternehmenswert, generischen
und spezifischen Werttreibern, so lässt sich „ ein direkter Wirkungszusammenhang“
konstatieren, „der im Regelfall nicht linear ist und im Hinblick auf die spezifischen
Werttreiber vor allem unternehmens- und branchenabhängig ist“ (Weber-Henschel
2002, 55).

Unter-
Generische Spezifische Direkte
nehmens- Werttreiber1) Werttreiber2) Werttreiber
wert

„Quer“
Management Organisation Strategie
Kommuni- wirkende
kation Wert-
treiber3)

1) Generische Werttreiber sind grundsätzlich auf alle Unternehmen in allen Situationen anwendbar. Ihre Auswahl ist abhängig von den
zugrundeliegenden Bewertungsverfahren und Werttreibermodellen. Vor allem finanzielle Werttreiber wie Umsatz, Cashflow, Investitionen,
Kapitalkosten, aber auch nicht-finanzielle Werttreiber wie bspw. Volatilität gehören zu dieser Gruppe.

2) Unternehmens- und Branchenspezifische Werttreiber sind Haupteinflussfaktoren der generischen Werttreiber. Sie sind zumeist nicht-
finanzieller
Natur oder eine Mischung von finanziellen mit nicht-finanziellen Grössen. Beispiele hierfür sind Kennzahlen wie Umsatz/Auftrag, Umsatz/
Fläche,
Preise, Anzahl Kunden oder Kundenloyalität.

3) Die „quer“ wirkenden Werttreiber beeinflussen mehrere direkte Werttreiber zugleich. Ihr Einfluss und damit ihr Werteffekt ist nur schwer zu
quantifizieren respektive in einem formalen Modell zu erfassen. Als Beispiele für Werttreiber in der Organisation sind Flexibilität und
Kundenorientierung zu nennen. Beispiele für Werttreiber in der Kommunikation können Glaubwürdigkeit und Differenzierung sein.

Abbildung 2: Darstellung des Werttreibersystems.


Quelle: Weber-Henschel (2002, 56)

In Ergänzung zu den direkten Werttreibern identifiziert Weber-Henschel (2002, 56)


Werttreiber, „die ’quer’ zum individuellen Werttreiberbaum eines Unternehmens
wirken“. Sie beeinflussen parallel eine Vielzahl von Werttreibern. Neben „harten“
Faktoren wie Organisation und Unternehmensstrategie sind es „weiche Faktoren“ wie
Management, Image und Finanzkommunikation11 (Labhart 1999; Kötzle/Niggemann

11
Finanzkommunikation ist ein schillernder Begriff. Er ist weder in der Literatur noch im allgemeinen
Sprachgebrauch einheitlich definiert. Mit Weber-Henschel (2002, 58) umfasst hier Finanzkommunikation
„alle Massnahmen, die direkt oder indirekt der Pflege der Beziehungen eines Unternehmens zu seinen
bestehenden und potentiellen Investoren (vor allem Aktionäre) dienen, also die gesamte direkte und indirekte

16
2001). Da viele Interaktionseffekte innerhalb der „quer“ wirkenden Werttreiber und
zwischen der Ebene der direkten und der „quer“ wirkenden Werttreiber vorhanden
sind, ist der Einfluss letzterer nur schwer zu quantifizieren.
Stellt sich demnach die Wirkungsmessung der einzelnen Werttreiber als komplex
dar, so ist die Zieldefinition aller Werttreiber – so auch der hier interessierenden
Finanzkommunikation – vergleichsweise einfach. Begreift man gemäß der
Shareholder-Value-Perspektive die Steigerung respektive Maximierung des Unter-
nehmenswertes als oberstes Ziel aller unternehmerischen Aktivitäten, so soll durch den
permanenten Dialog mit der Finanzcommunity „die Finanzkommunikation eine
positive, beständige Wahrnehmung des Unternehmens bewirken, die sich in einer
entsprechenden Bewertung am Kapitalmarkt widerspiegelt und die vor allem die
(kostengünstige) Kapitalversorgung des Unternehmens dauerhaft sicherstellt“ (Weber-
Henschel 2002, 64). Indem die Finanzkommunikation zur kostengünstigen Kapital-
versorgung beiträgt12 (Meffert/Schwetje 2001; Winkler/Ewenz-Sandten 2001),
beeinflusst sie indirekt den realwirtschaftlichen Unternehmenserfolg sowie die
Unternehmenswertentwicklung. Eine erfolgreiche Kommunikation kann zu kurz-
fristigen Wertvorteilen in puncto Marktbewertung führen, die sich dann via
Kapitalmarkterhöhung, Unternehmensakquisition oder Fusion in langfristige Wettbe-
werbsvorteile transformieren lassen. Letztere schlagen sich wiederum in der
langfristigen Performance und Marktbewertung des Unternehmens nieder. Die Finanz-
kommunikation hat dementsprechend eine feste Position im Wertkreislauf der
Unternehmensentwicklung (Günther/Ottersbein 1996; Winkler/Ewenz-Sandten 2001;
Weber-Henschel 2002).

1.2.2. Aufgaben der Finanzkommunikation

Aus der strategischen Zielsetzung „Maximierung der nachhaltigen Aktienbewertung“


sind für die Finanzkommunikation konkrete Aufgaben ableitbar. Unter der Annahme,
dass der aktuelle Aktienkurs den Gegenwartswert des Unternehmens adäquat abbildet,
sind seine primären Treiber die Erwartungen der Finanzcommunity an die
Unternehmensentwicklung13. Die Kernaufgabe der Finanzkommunikation der Aktien

Kommunikation mit den Investoren“. Diese Beschreibung ist fast identisch mit der Definition von Investor
Relations. Laut Deutschem Investor Relations Kreis (DIRK) beinhaltet der Terminus Investor Relations die
zielgerichtete, systematische und kontinuierliche Kommunikation mit den (potenziellen) Anteilseignern sowie
mit Finanzanalysten und Anlageberatern über das vergangene, laufende und vor allem in der Zukunft
erwartete Geschäft unter Berücksichtigung der Branchenzugehörigkeit und der gesamtwirtschaftlichen
Zusammenhänge. Vgl. DIRK (2002)
12
Laut einer Studie von Günther und Ottersbein (1996, 397) stuften 38% der untersuchten Unternehmen im
Rahmen ihrer kommunikationspolitischen Aktivitäten die Senkung der Kapitalkosten als sehr wichtig und 57%
als wichtig ein.
13
Die Markterwartungen der einzelnen Teilnehmer am Kapitalmarkt entziehen sich einer direkten Beobachtung.
Als Indikator hierfür wird auf den Marktkonsensus zurückgegriffen. Er wird ausgedrückt in der Einheit
Gewinn je Aktie und resultiert aus dem Durchschnitt der Analystenschätzungen für ein Unternehmen. Faktisch
werden hierzu alle Analysten herangezogen, die ein Unternehmen anhand von Research Reports regelmäßig
beurteilen.

17
ist daher die Steuerung der komplexen Erwartungen in der Finanzcommunity (Gress
2000; Brammer 2001; Janßen 2001; Weber-Henschel 2002; Achleitner/Wichels 2003;
Brown/Higgins 2001; Achleitner/Pietzsch 2005). Dieses sog. Expectations
Management stellt sich als mehrstufiger Prozess dar, der in Abbildung 3
wiedergegeben wird.

Das Management von Markterwartungen ist ein umfassender Prozess

Verständnis Umfassende Earnings Management Erfüllung der


entwickeln glaubwürdige Guidance des Price/ Erwartungen
für die und Earnings
Mechanismen rechtzeitige Rations
der „Financial Rechnungs-
Community“ legung

Abbildung 3: Prozessuale Betrachtung des Expectations Management.


Quelle: Brammer (2001, 618)

In einem ersten Schritt geht es darum, die Mechanismen der Financial Community zu
entwickeln. Hierfür muss die tägliche Interaktion zwischen Unternehmen, Investoren
und Analysten professionalisiert werden. „Viel wichtiger als generelle Statements zur
allgemeinen Wirtschaftslage oder Perspektiven des Branchenzyklus ist ein Verständnis
des Prozesses für Investitionsentscheidungen der jeweiligen institutionellen
Investoren“ (Brammer 2001, 619). Da sich die Investitionsentscheidungen zumeist an
Analystenempfehlungen orientieren (Bittner 1996; Wichels 2002), sollten die
Unternehmen „ihre“ Analysten kennen, die jeweiligen Analysemodelle verstanden und
gemeinsam diskutiert haben. Bevor die Zahlen an die Öffentlichkeit gelangen, kann
unternehmensintern eine erste Bewertung der eigenen Berechnungen vollzogen
werden.
Die eigentliche Berichterstattung von Finanzzahlen sollte fair, einheitlich und
zeitnah erfolgen (Winkler/Ewenz-Sandten 2001; Knüppel/Lindner 2001). Aufgrund
der geringen Halbwertzeit von Kapitalmarktinformationen sind Verzögerungen im
Stundenbereich als bewusstes „Informational Hiding“ interpretierbar. Die zeitgleiche
Information der relevanten Zielgruppen mit identischem Informationsgehalt ist daher
für die in den USA notierten Unternehmen von der SEC in der Regulation FD seit
Oktober 2000 explizit, in Deutschland implizit durch die Insiderstrafbestimmungen (§
13 und § 14 WpHG) und durch die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität (§ 15 WpHG)
verbindlich festgelegt (Günther/Ottersbein 1995; Weber-Henschel 2002). Eine
Ungleichbehandlung unterschiedlicher Gruppen kann strafrechtlich geahndet werden.

18
Das Monitoring der internen Ergebniszahlen erweist sich im Rahmen des Earnings
Guidance als zentral für das Management der Kapitalmarkterwartungen. Damit die
Markterwartungen in Richtung der internen Zahlen gelenkt werden können, müssen
Informationsanbieter (Unternehmen) und –nachfager (Financial Community) im
permanenten Dialog stehen (Lehner 2003). Nur so können die Informationsstände aller
an der Finanzkommunikation Beteiligten weitgehend synchronisiert und so mögliche
Fehleinschätzungen vermieden werden. Hierfür ist auf Seiten des Unternehmens eine
One Voice Policy konstitutiv (Gress 2000; Knüppel/Lindner 2001; Winkler/Ewenz-
Sandten 2001). Ein Unternehmen muss global in allen Kommunikationskanälen „mit
einer Stimme“ sprechen, um Vertrauen und Überzeugungskraft aufzubauen und auf
Dauer sicher zu stellen. Notwendig ist hierfür, dass auf einer der
Aussenkommunikation vorgeschalteten Stufe nach innen gerichtete Aufgaben
realisiert werden, um so die Basis für eine One Voice Policy zu generieren (Gress
2000, 66).
1. Genese und Definition unternehmensübergreifender und global gültiger
Kernbotschaften zu einzelnen Themen und Unternehmenseinheiten.
2. Aufbereitung von unspezifischen Unternehmensinformationen und
differenzierten Kernbotschaften für unternehmensinterne und -externe
Zielgruppen.
3. Verbindliche Festlegung von zeit- und themenunabhängigen Sprechern
4. Definition klarer Sprach- und Verhaltensregeln in der Finanzkommunikation
5. Gewährleistung einer zeitnahen und -gleichen Diffusion bewertungsrelevanter
Informationen an die externen Zielgruppen.
Scheint der Aufgabenkatalog auf den ersten Blick einem Verhaltenskodex
gleichzukommen, so muss man den damit verbundenen Allmachtsphantasien
kommunikationspolitischer Designer eine Absage erteilen. Eine One-Voice-
Kommunikation kann nicht verordnet werden. Sie ist vielmehr „Ergebnis eines
Meinungsbildungsprozesses, der bei allen beteiligten Führungskräften bis hin zum
Vorstand die Erkenntnis gebracht haben sollte, dass die in den Markt getragenen
Ertragserwartungen nichts anderes sind als die konsolidierte Sicht der bisherigen
Kommunikation des Unternehmens“ (Brammer 2001, 620). Die Frage, ob
Markterwartungen zu hoch oder die Ertragsfähigkeit des Unternehmens zu gering ist,
entlarvt sich somit als weitgehend rhetorisch. Die Kernbotschaften jedes
Unternehmens sollten vielmehr inhaltlich und ertragsseitig erfüllbar bleiben.
Der Unternehmenswert lässt sich nur in den seltensten Fällen ausschließlich auf der
Basis von Markt- und Finanzdaten ermitteln (Brammer 2001; Lehner 2003). Die
grundsätzliche Betrachtungsperspektive der Financial Community ist in die Zukunft
gerichtet (Günther/Ottersbein 1995), d.h. „dass in den Ertragserwartungen einzelner
Unternehmen die relative Entwicklung zum Gesamtmarkt und zu den
Hauptwettbewerbern antizipiert wird“ (Brammer 2001, 621). Verweist man über die
vergangenheitsorientierten Finanzkennzahlen hinaus auf die Wertsteigerungspotentiale

19
eines Unternehmens, so wirkt sich dies zumeist positiv auf die Price Earnings Ratios
aus (Brammer 2001). Denn: „Die wirklich relevante Finanzinformation ist für viele
Mitglieder der Financial Community die Information über den finanziellen Status des
Unternehmens in der Zukunft, d.h. über den zukünftigen Geschäftsverlauf und dessen
finanzielle Konsequenzen“ (Lehner 2003, 215). Hierbei handelt es sich häufig um so
genannte weiche Faktoren. Die Qualität des Managementteams, die Unternehmens-
kultur, die Kompetenz, die Innovationskraft und die Kundenorientierung gehören zu
diesen häufig schwerer quantifizierbaren, aber in der Wahrnehmung der Financial
Community für die Unternehmensentwicklung als wichtig eingestuften
Einflussfaktoren. So können etwa einzelne Vorstandsmitglieder, die jahrelang
zugesagte Ergebnisse realisiert haben, als so genannter „Nasenfaktor“ die
Unternehmensbewertung signifikant beeinflussen (Knüppel/Lindner 2001).
Die Markterwartungen lassen sich mit zwei Klassen von Maßnahmen erfüllen.
Einerseits handelt es sich um Maßnahmen, die zur Steigerung der operativen
Performance führen. Andererseits sind dies Maßnahmen zur Lenkung der
Erwartungen. Beide Maßnahmenklassen sollten nicht unabhängig voneinander
Anwendung finden. So dient die Finanzkommunikation zwar der Vermittlung eines
möglichst positiven Unternehmensimages an die Adresse der Financial Community.
Bei einem langfristigen Erwartungsmanagement ist jedoch zugleich darauf zu achten,
keine der Unternehmensentwicklung unangemessenen Erwartungen zu nähren. Bei
wiederholter Erwartungsenttäuschung kann dies sonst zu massiven Glaubwürdigkeits-
problemen führen (Mathes/Kalt/Hufnagel 2000; Holdijk 2001; Knüppel/Lindner 2001;
Winkler/Ewenz-Sandten 2001). Die Proklamation einer Performancesteigerung oder
die Verabschiedung von Ergebnisverbesserungsprogrammen muss daher von
Fundamentaldaten abgesichert sein und klar quantifizierbare Wertbeiträge generieren.
„Aktienkurse können“ – so Brammer (2001, 622) – „ nicht über Monate hinweg
hochgeredet werden, ohne dass die Erfüllung dieser Versprechen sich nicht in
Ertragsgrößen niederschlägt“.

1.3. Die Organisation der Finanzkommunikation

Die unternehmerischen Ziele und die daraus resultierenden Aufgaben sind Fokus
jeder Organisationsgestaltung. Organisatorische Strukturen sind so zu schaffen, dass
sie die unternehmerische Zielsetzung bestmöglich realisieren und die Faktoren
Mensch, Sachmittel, Aufgabe und Information optimal synthetisieren. Die Gestaltung
der Aufbauorganisation wird bei der organisatorischen Integration der
Finanzkommunikation fokussiert und kann in differenzierter Weise erfolgen
(Günther/Ottersbein 1995; Bittner 1996; Schulz 1999; Thommen/Struß 2001). So
lassen sich interne und externe Organisationsformen zur Integration der Investor
Relations unterscheiden. Darüber hinaus existieren Mischformen dieser Idealtypen,
bei denen Teilfunktionen der Investor Relations organisationsintern und
organisationsextern realisiert werden. Unterscheidungsmerkmale dieser Organisations-

20
einheiten sind Zentralisationsgrad, Entscheidungskompetenz sowie Kompetenzen und
Rechte, die die Einheiten bei der Realisierung des IR-Managements in Anschlag
bringen können (Thommen/Struß 2001).

Intern / Extern /
Entscheidungs- Entscheidungs-
zentralisation dezentralisation

Vorstand Fachabteilung Eigenständige Venture-Capital- IR-Agentur


Geschäfts- Organisations- Gesellschaft
führung einheit Emissionsbank

Abbildung 4: Zentrale versus dezentrale Einbindung der Investor Relations.


Quelle: Thommen/Struß (2001, 162)

a) Interne Organisationsformen: Vorstand, Fachabteilung, Autonome


Organisationseinheit
Unternehmensinterne Organisationsformen zeichnen sich durch eine Konzentration
von IR-relevanten Aufgaben im Kontext von Planung, Entscheidung und Kontrolle
innerhalb von internen Organisationseinheiten aus. Entscheidet sich ein Unternehmen
für eine unternehmensinterne Realisierung von IR-Aufgaben, hat es je nach Grad der
Entscheidungsdezentralisation differenzierte Gestaltungsalternativen. Folgende drei
Gestaltungsoptionen stehen zur Auswahl.

Vorstand
Oberster Ansprechpartner ist für die Akteure der Financial Community der
Unternehmensvorstand (Schulz 1999; Lehner 2003). Unternehmen sollten sich „bei
den wichtigen Anlässen tatsächlich durch das Topmanagement und nicht nur durch
eine darauf spezialisierte Abteilung repräsentieren lassen“ (Lehner 2003, 215). Den
Vorteilen einer hochrangigen Verankerung von IR-Aufgaben auf Topmanagement-
ebene stehen aber auch Nachteile gegenüber.
Vorteile:
z Aufbau einer langfristigen Investorenbindung über hochrangige persönliche
Kontakte (Behrenwaldt 2001; Thommen/Struß 2001).
z Wichtiges Signal für die unternehmensseitige Wertschätzung der Investoren-
gruppe (Täubert 1998).
z Dokumentation des unternehmensseitigen Interesses an einer direkten und
ungefilterten Investorenkommunikation

21
Nachteil:
z hohe Kontaktkosten
In Anbetracht der Opportunitätskosten, die mit dem Engagement des Top
Managements in Sachen Investor Relations einhergehen, ist jeder Einsatz auf seine
Rentabilität hin zu analysieren.

Fachabteilungen
Neben der Steuerung durch den Vorstand können Investor Relations auch durch
bereits existente Fachabteilungen (z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Finanzabteilung)
gemanagt werden. Letztere sind zwar Träger anderer fachspezifischer Funktionen,
können jedoch aufgrund ihrer Personalausstattung oder Wissensspezifität die
Aufgaben der Finanzkommunikation mit übernehmen. Auch hier sind Vor- und
Nachteile gegeneinander abzuwägen.
Vorteile:
z Existens gegenstandsbezogenen Fachwissens (Krystek/Müller 1993)
Nachteile:
z Eingeschänkte Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse (Streuer 2004)
Bei der Integration der kommunikationspolitischen Aufgaben in eine Fachabteilung
muss im Einzelfall daher kritisch hinterfragt werden, ob das Fachwissen, die
Personalressourcen und – letztlich – eine adäquate Kompetenzverteilung vorliegt
(Thommen/Struß 2001).

Eigenständige Organisationseinheit
Die Leitung des IR-Managements wird bei diesem Organisationskonzept von einer
eigenständigen Organisationseinheit wahrgenommen, die nur mit der Durchführung
von kommunikationspolitischen Aufgaben betraut ist. Anders als bei der vorgenannten
Organisationsform bestimmen hier die Aufgaben der Finanzkommunikation das
Tätigkeitsspektrum. Folgt man Thommen und Struß (2001), so stehen bei der
organisatorischen Ausgestaltung dieser Organisationseinheiten primär drei Optionen
zur Verfügung.
Stabsstelle: Hierbei ist die Organisationseinheit unmittelbar einer übergeordneten
Instanz –zumeist dem Vorstand – unterstellt. Ihre Aufgabe ist die Beratung und
Unterstützung bei der Entscheidungsvorbereitung der jeweiligen Instanz. Die
Stabsstelle hat keine Weisungsbefugnis gegenüber der Linie (Schreyögg 2004).
Zentralbereich: Organisiert man die Investor Relations als Zentralbereich, so besteht
die Möglichkeit, diesen in einem Gleich- oder Überordnungsverhältnis zu den
Unternehmensbereichen zu konzipieren (Schreyögg 2004).
Bildung eines autonomen Geschäftsbereiches: Die dritte Option der
organisatorischen Integration beinhaltet die Bildung eines autonomen Geschäfts-

22
bereichs. Dieser kann im Extremfall rechtlich verselbstständigt werden und seine
Dienste am Markt anbieten (Schreyögg 2004).
Vorteile einer eigenständigen Organisationseinheit
z Direkter Zugriff der IR-Manager auf entscheidungsrelevante Informationen
z Entlastung von funktionsfremden Linienaufgaben
z Reduzierung von Informations- und Kommunikationsdivergenzen zwischen
Unternehmensleitung und IR-Abteilung an.
Nachteile einer eigenständigen Organisationseinheit
z Negatives Image als „graue Eminenz“ aufgrund der Nähe zur Unternehmens-
leitung
z Fehlende Weisungsbefugnis
Da zentral getroffene Entscheidungen möglicherweise von der Linie nur widerwillig
akzeptiert werden, sind negative Folgen für die Qualität der IR-Arbeit nicht
ausgeschlossen. Insofern müssen hier die Vor- und Nachteile einer Konzentration von
IR-Aufgaben in eigenständigen Einrichtungen sorgsam abgewogen werden.

b) Externe Organisationsformen: Investor-Relations-Agentur


Bei externen Organisationsformen wird die Verantwortung für die Planung,
Realisierung und Kontrolle der kommunikationspolitischen Aufgaben an unter-
nehmensexterne Organisationseinheiten vergeben. Sogenannte Investor-Relations-
Agenturen sind auf die Planung und Durchführung von kommunikationspolitischen
Aufgaben spezialisierte Beratungsunternehmen. Aufgrund ihres breiten Leistungs-
spektrums sind sie mit einer internen IR-Abteilung vergleichbar. Sie können aber auch
nur für Spezialaufgaben wie etwa die Organisation von Hauptversammlungen oder
Pressekonferenzen beauftragt werden. Letzteres scheint die dominante Vergabepraxis
zu sein. Die Unternehmen halten eigene IR-Abteilungen vor, die gegenstandsbezogen
mit IR-Agenturen zusammenarbeiten (Kutzer 2003).
Vorteile einer selektiven Aufgabenauslagerung:
z Reduzierung der Unsicherheit bezüglich des Einsatzes unterschiedlicher IR-
Instrumente und deren Wirkungsmöglichkeiten auf die einzelnen Zielgruppen
(Thommen/Struß 2001).
z Unrentabilität eines Aufbaus spezialisierter Personal- und Wissensressourcen –
insbesondere bei kleinen Unternehmen.
Da die Auslagerung von Teilfunktionen der Investor Relations nicht nur eine Kosten-
sondern auch eine Vertrauensfrage ist, machten 2001 nur ca. 2 % der börsennotierten
Unternehmen von einem kompletten Outsourcing aller IR-Funktionen Gebrauch
(Thommen/Struß 2001).
Zusammenfassend kann man konstatieren, dass die Auswahl der geeigneten
Organisationsform ein erfolgskritischer Faktor für eine effiziente Gestaltung der

23
Finanzkommunikation ist. Mit Blick auf das Make or Buy von Investor-Relations-
Aufgaben erscheint unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung bei steigender
Spezifität und Häufigkeit der kommunikationspolitischen Aufgaben normalerweise
eine interne Abwicklung sinnvoll. Die generelle Frage nach stellt sich offensichtlich
für die Praxis in dieser Prägnanz nicht. Anstelle eines „entweder oder“ stellt sich hier
häufiger die Frage nach dem „sowohl als auch“ (Achleitner/Bassem/Pietzsch 2001).
Betrachtet man Investor Relations als Chefsache, so kann dies letztlich nur eine wie
auch immer geartete interne Lösung implizieren. In diesem Sinne scheint laut
Achleitner, Bassem und Pietzsch (2001, 37) „die Existenz einer separaten IR-
Abteilung auf Vorstandsebene mit einer wachsenden Zahl auf Investor Relations
spezialisierter Mitarbeiter, für die Unternehmen aller Börsensegmente eine zunehmend
strategische Bedeutung zu gewinnen“. Welche organisatorische Lösung nun im
Einzelfall gewählt wird, hängt von diversen Entscheidungskriterien ab. Neben der
Kostenminimierung spielt die Rechtmäßigkeit und die Vertrauenswürdigkeit eine
entscheidende Rolle bei der organisatorischen Gestaltung von kommunikations-
politischen Maßnahmen. Die Unternehmenspraxis zeigt jedoch auch, dass die
idealtypischen Organisationsformen meist so nicht ad hoc realisiert werden, sondern
sich in die individuelle Unternehmensentwicklung synergetisch einpassen.

1.4. Instrumente der Finanzkommunikation

Der Einsatz der Kommunikationsinstrumente orientiert sich grundsätzlich an den


verfolgten Zielen und den jeweiligen Zielgruppen (Wichels 2002). Basierend auf einer
detaillierten Analyse der Ausgangssituation gilt es einen ziel- und bezugsgruppen-
adäquaten IR-Maßnahmenkatalog zu entwickeln. Hierbei darf es jedoch nicht zu einer
selektiven Informationspolitik kommen. Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung
ist vielmehr darauf zu achten, dass alle Marktteilnehmer mit dem gleichen Datenkranz
an Informationen bedacht werden (Krystek/Müller 1993).
Dem Unternehmen steht mit Blick auf die zu treffenden Maßnahmen eine Vielzahl
an Möglichkeiten offen (Günther/Otterbein 1995; Täubert 1998; Wichels 2002). Die
Instrumentenwahl liegt jedoch nicht allein in der Entscheidungsgewalt des
Unternehmens. Diverse Instrumente sind gesetzlich vorgeschrieben oder basieren auf
börsensegmentspezifischen Publizitätsvorschriften14. Der unternehmerischen Disposit-
ionsfreiheit sind bei der Form der Umsetzung und der inhaltlichen Gestaltung von
Pflichtmaßnahmen enge Grenzen gesetzt. Die Mehrzahl der praktizierten Kommuni-
kationsinstrumente ist jedoch nicht an gesetzliche Bestimmungen gebunden, sondern
obliegt der Dispositionsmacht des Unternehmens. Diese fakultativen Maßnahmen
dienen der Befriedigung von Informationsbedürfnissen der Marktteilnehmer, die über
die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen (Wichels 2002).

14
Die vom Unternehmen zu realisierenden Pflichtmaßnahmen werden primär durch die Bestimmungen des
AktG, BörsG, VerkProspG, WpHG, HGB und der Börsenzulassungsverordnung (BörsZuIV) bestimmt.

24
Die verschiedenen Instrumente sind darüber hinaus nach dem Grad ihrer
Interaktivität unterscheidbar. Differenziert wird hierbei gemeinhin zwischen
persönlichen und unpersönlichen IR-Instrumenten (Link 1991; Günther/Otterbein
1995; Täubert 1998; Schulz 1999; Achleitner/Bassem/Pietzsch 2001). Während
Erstere auf eine Unternehmensprofilierung und Wettbewerbsdifferenzierung über die
direkte Interaktion setzen, sind Letztere auf die anonyme Finanzkommunikation und
damit auf die einseitige Kontaktaufnahme fokussiert. Dem Vorteil einer effizienten
und zeitnahen Ansprache breiter Adressatenkreise steht der Nachteil einer Nicht-
berücksichtigung von zielgruppenspezifischen Informationsbedürfnissen gegenüber
(Link 1991/Wichels 2002).
Unpersönliche IR-Instrumente:
Unpersönliche IR Instrumente bilden die Grundlage für die persönliche
Kommunikation (Günther/Otterbein 1995) und bieten die Möglichkeit, eine große
Anzahl von Adressaten mit gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen zu
bedenken (Täubert 1998). Sie werden daher zur Ansprache von Kleinaktionären
genutzt. Da die Eigentumsverhältnisse bei deutschen Aktiengesellschaften in der Regel
über Inhaberaktien verbrieft sind, können die Unternehmen nur indirekt über die
depotführenden Banken Informationen über ihre Aktionsstruktur erhalten. In Folge
dieser Interaktionsbarriere gestaltet sich die persönliche Kommunikation mit
Kleinaktionären als schlecht operationalisierbar, zeit- und kostenintensiv
(Günther/Otterbein 1995).
a) Geschäftsbericht
Der Geschäftsbericht nimmt traditionell im kommunikationspolitischen Instrumenten-
kasten der Investor Relations eine zentrale Stellung ein (Hütten 2000). Als
„Visitenkarte des Unternehmens“ (Winkler/Ewenz-Sandten 2001, 1174) ist es
zentrales Kommunikationsmittel und häufig Ausgangspunkt aller übrigen IR-
Maßnahmen15. Der Geschäftsbericht informiert über die Geschäftsentwicklung und
Unternehmenssituation, zeigt die zukünftigen Perspektiven auf und dient schließlich
der Unternehmensdarstellung in der Öffentlichkeit. Insbesondere professionelle
Zielgruppen erwarten eine Informationsquantität und -qualität, welche das Niveau der
gesetzlich geforderten Rechnungslegungsdaten des HGB-Jahresabschlusses deutlich
überschreiten. Diese Erwartungen schlagen sich in der häufigen Publikation
detaillierter Bilanz-, Ertrags-, Kapitalfluss- und Wertschöpfungsrechnungen samt
statistischen Anhängen mit Kennzahlen für Konzern und Tochtergesellschaften, auf
Aktien bezogene Kennzahlen sowie einer ausführlichen Segmentberichterstattung
(Winkler/Ewenz-Sandten 2001) nieder. Die investorenseitigen Erwartungen in puncto
finanzwirtschaftlicher Transparenz und internationaler Vergleichbarkeit hat bei den

15
Nach der Untersuchung von Günther/Otterbein (1995) schreiben die Unternehmen der Pressemitteilung und
dem Geschäftsbericht die größte kommunikationspolitische Relevanz im Rahmen der unpersönlichen
Kommunikationsinstrumente zu.

25
meisten Aktiengesellschaften dazu geführt, dass anstelle der deutschen Rechnungs-
legungsvorschriften die international dominierenden Standards IFRS bzw. US-GAAP
angewandt werden (Winkler/Ewenz-Sandten 2001).
b) Zwischenbericht
Neben der alljährlichen Berichterstattung in Form des Geschäftsberichts sind alle
amtlich notierten Publikumsgesellschaften gemäß § 44b BörsG verpflichtet,
mindestens einen Zwischenbericht zu veröffentlichen. Da es sich bei dem Gesetz um
eine Mindestregelung handelt, können die Zwischenberichte als Medium für
weitergehende Informationen der Financial Community genutzt werden. Zwar
bewerten viele Unternehmen den Zwischenbericht als wichtiges Medium der
Informationsdiffusion (Günther/Otterbein 1995), bei der zielgruppenspezifischen
Ansprache bleiben jedoch viele Wünsche offen (Achleitner/Bassen/Pietzsch 2001).
c) Unternehmenspublikationen
Als weitere Unternehmenspublikationen sind „Fact-Books“, Aktienbroschüren und
Aktionärszeitungen zu nennen (Link 1991). Fact Books stellen eine Zusammenfassung
der Geschichte, des Aufbaus, der Tätigkeitsbereiche, der Ziele und Strategien des
Unternehmens und die längerfristige Entwicklung der Finanz-, Management- und
Personaldaten sowie aktienbezogener Informationen dar (Link 1991). Sind die Fact
Books eher an den institutionellen Investor adressiert, sprechen die populärwissen-
schaftlich gehaltenen Aktienbroschüren eher den privaten Anleger an (Schulz 1999).
Um Letzteren verstärkt für den Aktienmarkt zu interessieren, soll er mittels
Aktienbroschüren über Grundzüge des Aktienmarktes informiert werden und lang-
fristige Kursentwicklungen kennenlernen. Ebenso wie die Aktienbroschüren richten
sich die Aktionärszeitungen primär an private Investoren und Kleinaktionäre (Täubert
1998). Sie dienen in erster Linie der Vorbereitung für die Hauptversammlung und der
simplifizierten Beschreibung unternehmerischer Aktivitäten (Link 1991).
d) Massenmedien
Diese eher traditionellen Formen der Informationspolitik werden jedoch zusehends
durch massenmediale und digitale Kommunikationsformen ergänzt und teilweise
überlagert (Achleitner/Bassen/Pietzsch 2001). Beschränkte sich der massenmediale
Auftritt von börsennotierten Unternehmen Ende der 80er Jahre zumeist auf die Präsenz
in überregionalen Tageszeitungen, so stehen diesen im Zeitalter von N-TV und
Internet eine Vielzahl von Kommunikationskanälen offen. „Die finanzmarktbezogene
Werbung in Radio, Fernsehen, Kino, Onelinediensten und dem Internet hat in
Deutschland mit dem Börsengang der Deutschen Telekom AG und weiterer
endverbrauchernaher und bekannter Unternehmen, insbesondere der BHW Holding
AG und der Pro Sieben Media AG, eine immense Entwicklung genommen“ (Schulz
1999, 123). Letztere hat ihre Werbung für den Börsengang fast komplett über das

26
Fernsehen abgewickelt16. Die Nutzung von Rundfunk und Fernsehen eignet sich
jedoch nicht nur in Verbindung mit ausdrücklichen Unternehmensimagemaßnahmen –
wie etwa einem Börsengang. Für eine Profilierung in diesem medialen Kontext spricht
auch die Möglichkeit, eigene Meldungen zu kommentieren (Täubert 1998),
massenmedialen Gerüchten entgegenzutreten (Lehner 2003) und durch den Auftritt
hochrangiger Fach- und Führungskräfte die Kompetenz im Bereich Unternehmens-
führung und Kapitalmarkt öffentlich zu dokumentieren (Täubert 1998).
e) Internet
Erfreut sich das Internet bei US-amerikanischen Unternehmen als Kommunikations-
medium bereits seit vielen Jahren großer Beliebtheit, so wird es in Deutschland auch
seit geraumer Zeit als effizientes Investor-Relations-Instrument eingesetzt
(Winkler/Ewenz-Sandten 2001). So verfügen die meisten der börsennotierten
Unternehmen seit 2000 über eine schnell auffindbare, spezielle IR-Seite (IRES 2000).
Wesentliche Vorteile des Internets als effizientes IR-Instrument sehen Winkler und
Ewenz-Sandten (2001, 1175) „nicht nur in den geringen Kosten, die das Medium im
Vergleich zu den klassischen Print Publikationen verursacht, sondern auch die
Möglichkeit, sämtliche Zielgruppen, und das weltweit, zeitnah über aktuelle
Unternehmensentwicklungen zu informieren“. Die eingestellten Informationen
speisen sich zumeist aus den traditionellen Informationsinstrumenten wie etwa
Geschäfts- und Zwischenberichten und Jahresabschlussinformationen. Die meisten
Unternehmen betrachten demzufolge das Internet auch eher als Ergänzung, denn als
Substitution der herkömmlichen Kommunikationsaktivitäten (Achleitner/Bassen/
Pietzsch 2001).
Persönliche Kommunikationsinstrumente
Persönliche Kommunikation zeichnet sich durch direkte Rückkopplungs-
möglichkeiten zwischen Kommunikator und Adressat aus. Im Unterschied zur medial
vermittelten Interaktivität des Internets stellt sich hier Interaktion als face-to-face-
Kommunikation dar. Die persönliche Kommunikation bietet nach Täubert (1999, 134)
„das größte Maß an individueller Betreuung der Teilöffentlichkeiten, ermöglicht eine
unmittelbare Ansprache der Adressaten ohne die Gefahr von Streuverlusten und
eröffnet die Möglichkeit zum aktiven Dialog“. Aufgrund dieser Vorzüge weisen die
Unternehmen Formen persönlicher Kommunikation eine erhebliche Bedeutung im IR-
Instrumentarium zu (Achleitner/Bassen/Pietzsch 2001).
a) Hauptversammlung
Was der Geschäftsbericht für die unpersönlichen Kommunikationsinstrumente ist,
stellt die Hauptversammlung für die persönliche Kommunikation dar. Die nach §§

16
Pro 7 hat bei seinem Börsengang 1997 drei informative halbstündige Dauerwerbesendungen auf n-tv
geschaltet, um Deutschlands erste Medienaktie bekannt zu machen und das Interesse des Anlegers zu wecken
(Böhm 2001).

27
118ff durchzuführende Hauptversammlung stellt die „Visitenkarte“ eines
Unternehmens dar (Link 1991). Ähnlich wie der Geschäftsbericht dient sie dem
Unternehmen zur Präsentation des Verlaufs und des Ergebnisses des abgelaufenen
Geschäftsjahres, der gegenwärtigen Lage sowie der zukünftigen Unternehmens-
perspektive. Die Hauptversammlung bietet zudem ein ideales Forum für den aktiven
Dialog zwischen den Aktionären und ihrem Unternehmen. Aus Sicht der Klein-
aktionäre besteht hier in der Regel die einzige Möglichkeit, in Kontakt mit der
Unternehmensleitung zu kommen. In der Praxis dominieren daher „die Vertreter der
Kleinaktionäre meist die Rednerlisten in den Hauptversammlungen und haben einen
nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Image des Unternehmens“ (Lehner 2003,
213). Da die Hauptversammlung mitunter von „Scheinaktionären“ (Link 1991) für
eine Generalabrechnung mit der Unternehmensleitung genutzt wird, ist der Wert von
Hauptversammlungen als Informationsmedium umstritten (Bittner 1996).
Insbesondere die institutionellen Akteure – etwa Analysten, Finanzmedien, Rating-
agenturen, Großinvestoren – schreiben den Hauptversammlungen eher eine geringe
Informationsfunktion zu. Wichtiger sind diesen „Gespräche im kleinen Kreis mit
Verantwortlichen des Unternehmens“ (Bittner 1996, 15).
b) Pressekonferenz
Pressekonferenzen gewährleisten die Kommunikation mit der interessierten
Wirtschaftspresse. Weitgehend institutionalisiert hat sich hierbei die Bilanzpresse-
konferenz, die regelmäßig zum Zeitpunkt der Geschäftsberichtsveröffentlichung
veranstaltet wird. Im direkten Kontakt mit den Finanzjournalisten kann die
Unternehmensführung die vergangene Unternehmenspolitik erläutern, zukünftige
Unternehmensentwicklungen kommunikativ antizipieren und unzutreffende Gerüchte
klarstellen (Täubert 1998). „Die Meinungsbildung durch die Medien, etwa durch die
Veröffentlichung von Analysten-Meinungen und Erwartungen zum Unternehmen, z.B.
erwartete Ergebnisse, RPS und Buy-Sell-Empfehlungen, darf nicht unterschätzt
werden und bedarf deshalb besonderer Würdigung, gerade weil zahlreiche Anleger
ihre Entscheidungen auf der Basis von Aktienzeitschriften, Anlagetipps oder der
technischen Chartanalyse treffen“ (Lehner 2004, 9). Ergänzend zu offiziellen
Presseterminen werden daher themenspezifische „Background-Gespräche“ zwischen
Unternehmensvertretern und Journalisten geführt. Indem hierbei ein vertiefender
Einblick in das Unternehmen gewährt wird, entsteht eine Atmosphäre von
gegenseitigem Verständnis und Vertrauen, die in eine individualisierte Bericht-
erstattung mündet.
c) Unternehmenspräsentationen
Die Unternehmen stellen sich an wichtigen nationalen und internationalen
Finanzplätzen in sog. „Road Shows“ den institutionellen Investoren vor. Unter der
Leitung von Investmentbanken werden genau terminiert und detailliert vorbereitete
Gespräche zwischen institutionellen Investoren und Vertretern der Unternehmens-

28
leitung geführt. Die Gespräche dienen mehreren Zwecken. Als Unternehmens-
präsentation aufgezogen, dienen sie in erster Linie der Informationsübermittlung und
dem Beziehungsaufbau. Dies ist etwa in Vorbereitung von Neuemissionen oder
Kapitalerhöhungen der Fall (Janßen 2001). Häufig trifft das Unternehmen bei
Roadshows jedoch Investoren, die das Unternehmen genau kennen Bei diesen
Terminen stehen weniger die Unternehmenspräsentationen als vielmehr die Fragen der
institutionellen Investoren im Mittelpunkt. Letztere wollen sich in intensiven
Gesprächen ein detailliertes Bild über die strategische Ausrichtung des Unternehmens,
die Entwicklung des Aktienkurses und den Shareholder Value machen (Steiger 2000).
d) Roundtable und Einzelgespräche
Viele Investoren und Analysten legen großen Wert auf ein persönliches Gespräch mit
der Unternehmensleitung. Im direkten Dialog können sie wichtige Hintergrund-
informationen bekommen und sich einen persönlichen Eindruck von der Qualität des
Managements verschaffen. Finden die Gespräche im Unternehmen statt, so kann je
nach Themenschwerpunkt sinnvollerweise ein Fachexperte – etwa aus dem Produkt-
management oder der FuE-Abteilung – dazugeholt werden. Der Investor oder Analyst
kann so detaillierte Einblicke in wichtige Funktionsbereiche des Unternehmens
erhalten. Eine kurze Betriebsführung kann zusätzlich Aufschluss über die
unternehmensinterne Stimmung und Arbeitsatmosphäre im Unternehmen geben
(Janßen 2001). Diese informellen Treffen sind nicht nur aus Sicht der Teilöffent-
lichkeit effizient, sondern liefern auch den Unternehmen wichtige Informationen. „Für
das Topmanagement ist gerade das direkte Gespräch mit den Buy Side Analysten und
den Fondmanagern von großer Bedeutung, weil es in diesen Gesprächen ein aktuelles
Feedback über die Einschätzung der Unternehmensstrategien seitens der wichtigsten
Entscheidungsträger am Kapitalmarkt erhält“ (Lehner 2004, 6). Erscheinen
Roundtable und Einzelgespräche den Unternehmen als eine besonders effiziente
Kommunikationsform, so muss doch „auf Grund des ’Black Box Charakters’ dieses
Kommunikationsinstrumentes auf die inhärente Gefahr des Insiderverstoßes
hingewiesen werden“ (Achleitner/Bassen/Pietzsch 2001, 45).17

1.5. Zentrale Zielgruppen der Finanzkommunikation

Die Effektivität der skizzierten Kommunikationsinstrumente bemisst sich maßgeblich


an der zielgruppenbezogenen Bedürfnisbefriedigung. Nur wer den Grundsatz
beherzigt, dass unterschiedliche Anlegergruppen differenzierte Interessen und
Zielsetzungen haben (Winkler/Ewenz-Sandten 2001), kann eine erfolgreiche
Kommunikationspolitik betreiben. Für die praktische Investor-Relations-Arbeit wird

17
In der Literatur werden neben den skizzierten Instrumenten noch weitere persönliche Maßnahmen aufgeführt.
Zu nennen sind hier u.a. die Teilnahme an DVFA-Analystentreffen, Analysten- und Investorenkongressen
sowie Aktionärsmessen und Investor-Relations-Foren. Für eine detaillierte Beschreibung aller Instrumente
siehe Täubert (1999).

29
primär zwischen Kapitalanlegern und Meinungsbildnern unterschieden (Bittner 1996;
Täubert 1998; Winkler/Ewenz-Sandten 2001; Weber-Henschel 2002). Erstere
differenzieren sich in private und institutionelle Anleger. Letztere umfassen primär die
Finanzanalysten und Wirtschaftsjournalisten18 (Bittner 1996, Günther/Otterbein 1996).
Zahlenmäßig bilden zwar die individuellen Investoren die größte Teilöffentlichkeit
der Investor Relations (Täubert 1998), die bedeutendsten Entscheidungsträger für
Anlageentscheidungen an den Aktienmärkten sind jedoch zweifellos die institutio-
nellen Investoren (Bittner 1996; Täubert 1998; Wichels 2001). Zu ihnen gehören
primär Pensions- und Investmentfonds sowie Versicherungen. Indem sie über die
höchsten Anlagevolumen pro Entscheider verfügen, können ihre Transaktionen
Signalwirkung haben und Kursreaktionen auslösen (Winkler/Ewenz-Sandten 2001).
„Der Aktienkurs wird weitgehend bestimmt durch die Kauf- und Verkaufs-
entscheidungen der großen institutionellen Investoren – darunter auch Hedge Fonds –
und durch die Empfehlungen der für sie tätigen Aktienanalysten“ (Lehner 2003,7).
Börsennotierte Unternehmen sind daher sehr bemüht, die Finanzkommunikation mit
dieser Aktionärsgruppe zu optimieren (Lehner 2003). Denn: „Nur wenn das
Unternehmen sich die Gunst der institutionellen Investoren erhalten kann, wird es
Zugang zum Kapitalmarkt finden, in einem globalen Markt wettbewerbsfähig sein und
letztlich langfristige Kurssteigerungen erzielen können“ (Wichels 2002, 17).
Institutionelle Investoren treffen ihre Investmententscheidungen normalerweise auf
der Basis professioneller und rationaler Bewertungskriterien (Wichels 2002). Um die
Rationalität der Anlageentscheidungen zu gewährleisten, arbeiten sie eng mit den
Aktienanalysten zusammen. Letztere erarbeiten Unternehmens- oder Aktienbewer-
tungen, die dem Investor als Entscheidungsgrundlage dienen (Bittner 1996). Dieser
Handlungsverbund von Analytikern und Entscheidern hat dazu geführt, dass man
zwischen institutionellen Investoren im weiteren Sinne und im engeren Sinne
unterscheiden kann (Dürr 1995; Bittner 1996; Enke/Reimann 2003).
Institutionelle Investoren im weiteren Sinne umfassen Organisationen und Personen,
die kein eigenes Anlagekapital einsetzen, sondern Analyseergebnisse an private und
institutionelle Investoren verkaufen (Enke/Reimann 2003). Zu diesen häufig als Sell
Side bezeichneten Unternehmen gehören etwa Brokerhäuser und unabhängige
Researchhäuser, aber auch Universal- und Investmentbanken. Personen der
Verkaufsseite heißen Sell-Side-Analysten und erarbeiten Branchen- und
Unternehmensanalysen, die als Entscheidungshilfe an die Investoren im engeren Sinne
verkauft werden. Aus Zeit- und Ressourcenmangel greifen Letztere regelmäßig auf die
Dienste der Verkaufsseite zurück. Die hieraus resultierende Multiplikatorwirkung lässt

18
Die Wirtschafts- und Finanzjournalisten sind laut Täubert (1998, 90-91) als Zielgruppe von IR-Maßnahmen
deshalb von Relevanz, „weil sie zum einen die Öffentlichkeit informieren und zum anderen bei den
wichtigsten Teilöffentlichkeiten des Wirtschaftslebens meinungsbildend wirken. Als Multiplikator und
Meinungsmacher nehmen sie eine bedeutende Mittlerrolle zwischen den Unternehmen und den
Teilöffentlichkeiten ein“.

30
es angezeigt erscheinen, die Verkaufsseite den institutionellen Investoren im weiteren
Sinne zuzuordnen (Dürr 1995; Bittner 1996; Enke/Reichmann 2003). Bei den
institutionellen Investoren im engeren Sinne handelt es sich um Personen und
Institutionen, die auf der Kaufseite (Buy Side) stehen, d.h. die selbst Kapital anlegen
bzw. verwalten (Dürr 1995; Enke/Reichmann 2003). Dies sind typischerweise
Investmentfonds. Personell wird zwischen Buy-Side-Analysten und den Portfolio-
Managern differenziert. Erstere nehmen – ähnlich den Sell-Side-Analysten – die
Bewertung, Auswahl und Empfehlung potentieller Anlagen vor. Auf der Basis
unterschiedlicher Empfehlungen exekutieren letztere die Anlageentscheidung und
verwalten das Anlageportfolio (Wichels 2002).

Verkaufseite Kaufseite
Sell-Side- Buy-Side- Portfolio-
Analysten Analysten Manager
Brokerhäuser, Universal- und Investmentfonds (Institutionelle
Investmentbanken Investoren im engeren Sinne)

Institutionelle Investoren im weiteren Sinne

Abbildung 5: Institutionelle Investoren.


Quelle: Enke/Reimann (2003, 3)

Die institutionelle Differenzierung in Sell Side und Buy Side bzw. Institutionelle
Investoren im engeren und weiteren Sinne kann nicht darüber hinweg täuschen, dass
die Grenzen zwischen den Zielgruppen faktisch fließend sind: „So kann bspw. der
Entscheidungsträger eines institutionellen Investors ein Finanzanalyst sein, der
fundamentale Unternehmensdaten selbst auswertet, bzw. ein Finanzanalyst kann ihm
zuarbeiten“ (Bittner 1996, 12). Geradezu organisatorisch institutionalisiert ist die
Integration beider Bereiche in den Universalbanken. So verfügen etwa die Deutsche
Bank bzw. Dresdner Bank sowohl über angeschlossene Investmentbanken (Deutsche
Morgan Grenfell bzw. Dresdner Kleinwort Wasserstein) als auch über Fondsgesell-
schaften (DSW bzw. DIT). Angesichts fortschreitender funktionaler Integration kann
„allein die organisatorische Zuordnung zu einer Bank kein stringentes
Abgrenzungskriterium zwischen Buy-Side- und Sell-Side Analysten sein“ (Wichels
2002, 32).

31
2. Institutionelle Investoren als Adressaten der Finanzkommunikation
2.1. Die Mediatorfunktion der institutionellen Investoren auf Kapitalmärkten

Moderne Volkswirtschaften basieren auf einem Höchstmaß an Arbeitsteilung


zwischen den einzelnen Wirtschaftssubjekten. Dieses arbeitsteilige Wirtschaften
erfordert normalerweise einen Ausgleich zwischen dem Finanz- und Anlagebedarf der
einzelnen Subjekte. Richtet sich der primäre Geschäftszweck eines Unternehmens auf
den Ausgleich zwischen Finanz- und Anlagebedarf, so handelt es sich hierbei um
Finanzintermediäre (Bitz 2005). „Als Anlageleistung nehmen sie einerseits Zahlungs-
mittel von originären Finanzmittelgebern gegen das Versprechen späterer Rück-
zahlungen entgegen und stellen andererseits solche Zahlungsmittel als Finanzierungs-
leistung wiederum gegen das Versprechen späterer Rückzahlung zur Verfügung“
(Oehler 2004, 6). An die Stelle einer möglichen Anspruchs- und Verpflichtungs-
beziehung zwischen Finanzmittelgeber und -nehmer treten zwei eigenständige
Verträge mit dem Finanzintermediär.
Bei dieser Form der Finanzintermediation fungiert der Finanzintermediär als
direkter Kontraktpartner. Indem Finanzintermediäre Kapital in Form von
Beteiligungen oder Darlehen zur Verfügung stellen (Aktivgeschäft) und sich selbst
über das Angebot von Anlagemöglichkeiten (Passivgeschäft) am Kapitalmarkt
refinanzieren, fördern sie via Selbsteintritt den Interessensausgleich zwischen
Wirtschaftssubjekten mit temporären Zahlungsüberschüssen und –bedarfen (Bank
2001). Beispiele hierfür sind insbesondere Kreditinstitute, die sich als Betreiber des
commercial banking primär Kredite gewähren und sich über Einlagen refinanzieren.
Im Gegensatz dazu stehen die Finanzintermediäre ohne Selbsteintritt. Diese üben
„eine unterstützende Funktion aus, indem sie Austauschprozesse zwischen
Kapitalgebern und -nehmern erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen“ (Bank 2001,
838). Prominente Vertreter dieser Gattung sind etwa Investmentbanken19. „The
function of investment banking … is to mediate the flow of assets between issuers and
investors. (...) Investment banking is a specialized function ... for collecting
information on issuer needs for investors and on investor needs for issuers, for pricing
and structuring transactions that satisfy the needs of both sides of the market, and for

19
Das Investment Banking heutiger Prägung kommt maßgeblich aus den USA und hat dort eine lange Tradition.
Bereits im 19. Jahrhundert war in den USA eine Trennung zwischen Kredit- und Einlagengeschäft einerseits
und dem Wertpapiergeschäft anderseits zu beobachten. War die Trennung zunächst rein geschäftspolitisch
motiviert, so wurde vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise 1932 im Rahmen der Neuordnung des
amerikanischen Bankensystems die Trennung von Commercial und Investment Banking im Glass Steagall Act
gesetzlich vorgeschrieben (Wertschulte 2001). Letzteres bewirkte eine enorme Ausweitung des Aufgaben-
spektrums. In der Folge verlor das Underwriting als ursprüngliche Aufgabe des Finanzintermediärs Investment
Bank so weit an Bedeutung, dass es zu Beginn der neunziger Jahre kaum mehr als 10 % der gesamten Erträge
der Investment Banking Industrie ausmachte (Brinker 1998). Symptomatisch für die expansive Entwicklung
ist etwa die unscharfe Definition, „ ... that investment banking is what investment banks do“ (Marshall/Ellis
1994).
distributing and making markets in securities” (Eccles/Crane 1988, 35). Indem sie den
potentiellen Vertragspartnern im Zuge ihrer Informationstransformation Zeit und Geld
einer individuellen Suche ersparen, beschränkt sich der kundenseitige
Informationsbedarf auf die Kenntnis eines geeigneten Finanzdienstleisters (Oehler
2004). In Verbindung mit der Losgrößen-, Fristen-, und Risikotransformation (Bank
2001) stellen Investmentbanken vergleichsweise kleine aber extrem wichtige Einheiten
dar, die Austauschprozesse auf den Kapitalmärkten aktivieren, ermöglichen und
organisieren (Vopel 1999). Als Finanzintermediäre ohne Selbsteintritt ist ihr
hervorstechendes Merkmal „die gleichsam unbeteiligte Form der Beteiligung am
’wirklichen’ Geschehen“ (Vopel 1999, 36)20.
Im Unterschied zu Finanzintermediären mit Selbsteintritt werden daher unter das
Investment Banking in erster Linie nur solche kapitalmarktorientierten Dienst-
leistungen subsumiert, die Provisionserträge generieren (Wertschulte 2001). In einer
weiter gefassten Definition ordnet Wertschulte (2001) dem Investment Banking einen
breiten Funktionskanon unter. Zunächst ist hier die Wertpapieremission von Aktien,
Anleihen, Optionsscheinen und derivaten Finanzprodukten zu nennen. Zu dem
Emissionsgeschäft gehört das „underwriting, issuing and placement“ (Wertschulte
2001, 1158) am Kapitalmarkt. Weiterhin beinhaltet das Investment Banking den
Wertpapier-Eigenhandel, das Wertpapier-Kommisionsgeschäft sowie die Struktu-
rierung und Platzierung von Anlage-, Finanzierungs- und Absicherungsinstrumenten
bei Kunden und deren Handel. Als weitere Funktion nennt Wertschulte (2001) die
Vermögensverwaltung in Form von Spezial- und Publikumsfonds und die Einzeltitel-
Vermögensverwaltung. Hierzu gehören auch die Anlageberatung und das Research.
Schließlich umfasst das Investment Banking „die Finanzberatung in den Bereichen
Fusionen und Übernahmen, bei der Privatisierung von zur öffentlichen Hand
gehörenden Unternehmen und der Umschuldung von Staaten“ (Wertschulte 2001,
1158-1159).
Diese strenge Funktionsdifferenzierung findet sich in der Praxis nur selten. In der
Regel sind die Trennlinien eher unscharf. Wie die Beispiele Dresdner und Deutsche
Bank mit ihren Töchtern Deutsche Morgan Grenfell bzw. Dresdner Kleinwort
Wasserstein belegen, verliert auch die strikte Trennung von Commercial und
Investment Banking zugunsten einer zunehmenden Durchmischung der beiden
Bereiche an Bedeutung. Längst werden die Leistungen der unterschiedlichen
Finanzintermediäre nicht mehr nur durch ein einziges Unternehmen oder einen
Intermediärtyp erbracht. Ein Finanzsystem besteht vielmehr aus einer Vielzahl
interagierender und vertraglich verflochtener Finanzintermediäre (Oehler 2004).

20
Ein interviewter Banker aus der Untersuchung von Vopel (1999, 35-36) bringt seine Funktion wie folgt auf
den Punkt: „Wir handeln ja im Grunde nicht selbst. Wir bauen keine Autos und wir erfinden ja auch nichts,
keine Medikamente oder was weiß ich. Und wir kaufen oder verkaufen ja auch keine Automobilhersteller. Wir
machen das ja selbst nicht in dem Sinne, dass das jetzt unser Geld wäre, das da gezahlt wird. Aber trotzdem
leisten wir eben einen Beitrag zum Bau von Autos oder zur Erfindung von Pharmazeutika“

34
Vertragsbeziehungen entstehen hierbei typischerweise nicht nur zwischen Finanzinter-
mediären und orginären Finanzmittelnehmern und/oder -gebern. Kontrakte bestimmen
auch das Verhältnis der Intermediäre untereinander und können – wie das Beispiel der
Universalbanken zeigt – im Extremfall zu einer organisatorischen Integration
unterschiedlicher Intermediäre führen. Mit Blick auf die variablen Interdependenzen
zwischen den unterschiedlichen Finanzmarktakteuren stellt sich der „Kapitalmarkt“ als
„ein Geflecht verschiedener im Wertpapierhandel tätiger Finanzintermediäre, darunter
die Wertpapierbörse, dar, die nach festgelegten Regeln interagieren“ (Oehler 2004,
10).

2.2. Bankorganisation, Wissensmanagement und Unternehmenssteuerung

2.2.1. Leistungserstellung und Netzwerkorganisation

Investment-Banken unterscheiden sich aufgrund ihrer intermediären Stellung in ihrem


Funktionsmodus stark von anderen Banken. Setzen etwa die traditionellen
Commercial-Banken auf hierarchische Steuerung und sind somit „almost a stereotype
of the hierarchical or mechanistic organization“ (Eccles/Crane 1987, 193), sind
Investmentbanken stärker netzwerkartig organisiert. „ ... the underlying concept for
managing an investment bank is that of a dynamic and flexible network“
(Eccles/Crane 1987, 177). Indem sie als Katalysator und Mediator Austauschprozesse
auf den Kapitalmärkten aktivieren, ermöglichen und organisieren, unterhalten sie ein
komplexes Netz externer Beziehungen mit Kunden und Wettbewerbern. (Eccles/Crane
1988; Brinker 1998). Dies scheint angesichts der Besonderheiten des Leistungs-
erstellungsprozesses auch nötig. Angelehnt an Eccles und Crane (1987; 1988) kann
man hierbei zwischen vier zentralen Charakteristika unterscheiden.
In ihrer Rolle als Intermediär muss die Investmentbank ungeheure Informations-
quantitäten in kurzer Zeit bearbeiten. Emittenten wie Investoren wollen einerseits über
Produkte, Preise und andere Charakteristika aktueller Transaktionen informiert
werden. Andererseits benötigen sie Fachwissen über die Regeln der Rechnungslegung,
Steuergesetzgebung und Wertpapierbestimmungen. Die Bereitstellung von
Informationen dient hierbei unmittelbar der Generierung von Geschäften.
Jedes Finanzierungs- oder Beratungsgeschäft im Investmentbanking ist ein Deal sui
generis. Er lässt sich im Hinblick auf die handelnden Personen (Emittenten,
Investoren, Bankpersonal), den Geschäfts- und Zeitverlauf sowie den Preis genau
beschreiben. „Deals are a particular type of project and therefore present the same
kinds of management challenges that projects do in other industries such as
construction, oil exploration, publishing, and defence contracting” (Eccles/Crane 1987,
179). Wie viele Projekte, so stehen die Investmentgeschäfte häufig unter starkem
Zeitdruck und sind mit hohen finanziellen Risiken für alle Beteiligten verbunden. Dies
führt letztlich zu einer Aura permanenter Krise.

35
Wie bei anderen professionalisierten Dienstleistern – etwa Arzt, Anwalt oder
Berater – erfolgt der Leistungserstellungsprozess in enger Interaktion mit dem
Kunden. Da dieser an den Organisationsgrenzen stattfindet, ist eine Isolierung und
Abpufferung der zentralen Aufgaben von Umwelteinflüssen unmöglich. Um einen
permanenten Informationsaustausch zwischen den beteiligten Stakeholdern zu
gewährleisten, sind vielmehr durchlässige Grenzen zwischen Investmentbank und
relevanter Umwelt notwendig.
Im Unterschied zu anderen Dienstleistern sind im Rahmen der Geschäftsbeziehung
zwischen Investmentbank und Kunden Leistungserstellung und Vergütung nur zeitlich
und inhaltlich lose aneinander gekoppelt. Indem Investmentbanken aufgrund eigener
Initiative oder Kundennachfrage substantielle Informationsbeiträge liefern, treten sie
in einen einseitigen Austausch mit dem Kunden. Mag die Information auch von Wert
für den Kunden sein, gezahlt wird zumeist erst, wenn das Geschäft abgeschlossen ist.
Obwohl die meisten Kunden eine langfristige Geschäftsbeziehung mit ihren
Investmentbanken pflegen, folgt doch aus der losen Kopplung von Leistung und
Vergütung, dass der Zeitpunkt der Vergütung ebenso ungeklärt ist wie die Frage,
„whether the revenue received will exceed or fall short of the cost of the service“
(Eccles/Crane 1987, 180). Da die Profitabilitätsmessung einzelner Produkte und
Kunden mithin sehr schwierig ist, legen die Investmentbanken hierbei eher die Erlöse,
die mit einem Kunden pro Zeiteinheit erwirtschaftet werden, zugrunde als den Profit
jedes einzelnen Geschäftes.
Lässt man die Charakteristika des Investment Banking Revue passieren, so kommt
man nicht umhin, die Rolle des Individuums bei der Geschäftsanbahnung und
-abwicklung zu profilieren. Interaktionskompetenz, Teamfähigkeit, Erfolgsorien-
tierung, Stressresistenz und Fachwissen erwecken oftmals den berechtigten Eindruck,
dass Investment Banking in wesentlichen Teilen people driven ist: „Expertise, know-
how und Produktkenntnis sind die Faktoren, die in erster Linie von den Mitarbeitern
abhängen“ (Vopel 1999, 65). Nicht zuletzt aufgrund der daraus resultierenden
exorbitanten Vergütung mag der Anschein berechtigt sein, „dass die Organisation
nichts, der Spezialist für Automobilwerte, der Experte in Sachen mittelamerikanischer
Kreditsyndizierung oder die Primadonna des Initial Public Offering hingegen alles ist“
(Vopel 1999, 265).
Deutlich wird bei der Analyse des Leistungsprozesses aber auch die Unmöglichkeit,
ausreichend „richtiges“ Wissen, Überzeugungsmacht und Beziehungskapital für die
Entwicklung und Durchführung komplexer Investmentgeschäfte in einem Individuum
zu konzentrieren. Ebenso wie bei der Genese und Durchführung von
Investmentgeschäften, so herrscht auch bei der Entwicklung von Finanzprodukten eine
Qualität von Arbeit vor, die jenseits individualistischer Zuschreibungen verstärkt
systemische Analyseperspektive erfordert: „Technology, derivates, and structuring
techniques have transformed the search for market anomalies from an ad hoc process
driven by individual investment bankers searching for opportunities for their issuing

36
clients and individual traders looking for ’quick kills’ into a highly organized and
institutionalized process“ (Bryan/Farell 1996, 50). Bei einem Geschäft normaler Größe
und Komplexität sind mehrere Abteilungen mit ihrer Expertise involviert. Notwendig
ist also eine Organisation, die verstärkt auf die Kombination und Koordination
mannigfaltiger Wissensansprüche fokussiert. Während sich organisationsinterne
Wissensansprüche neben dem pluralen Fachwissen vor allem in spezifischem
Organisationswissen manifestieren, richten sich externe Wissensansprüche, die aus der
Stellung als Finanzintermediär resultieren, auf interaktionsspezifisches (z.B. Kunden-
und Personenwissen) und gegenstandsbezogenes Wissen (z.B. Branchen-,
Produktwissen, finanz- und betriebswirtschaftliches Fachwissen). Beide Wissens-
ansprüche müssen situativ so kombiniert und koordiniert werden, dass der
Informationsfluss grenzüberschreitend funktionieren kann.
Die Durchführung interaktionsintensiver Geschäfte in einer heterogenen und
dynamischen Umwelt erfordert daher von den Investmentbanken die Entwicklung
komplexer und anpassungsfähiger Netzwerkstrukturen (Eccles/Crane 1987). Letztere
basieren auf einem Informationstausch, der durchaus quer zur formalen Hierarchie
läuft. Die Ausprägung interner Beziehungsstrukturen variiert in Abhängigkeit des
Beziehungsmusters von Investor, Emittent und Bank einerseits und den
geschäftsspezifischen Charakteristika andererseits. Da das Bankpersonal zumeist
direkte Beziehungen mit externen Stakeholdern pflegt, wirkt sich ein Wandel der
relevanten Umwelt in interdependenter Weise auf die interne Organisation aus.
“Moreover the organization itself must be flexible enough to respond to major swings
in business volume and opportunity: people and capital must be very fluid across
organizational boundaries“ (Hunt 1995, 115). Permanente Umweltunsicherheit gepaart
mit einem raschen Wandel externer Beziehungsmuster verlangt von den
Organisationen, situationsabhängig ihre internen Beziehungsstrukturen aufzubauen
oder abzubauen, zu stärken oder zu schwächen. „…new internal ties are needed to
communicate information about the new product and to focus marketing emphasis“
(Eccles/Crane 1987, 181), wenn sich aufgrund der Marktdynamik die Möglichkeit
eines neuen Produktes ergibt.
Charakteristisch für die Organisation von Investmentbanken sind daher weniger
zentral festgelegte und formalisierte Strukturen und Leistungsbeziehungen. Zu
beobachten ist vielmehr „ein weitgehend flexibel aufgehängtes personenbasiertes
Arrangement wechselseitig orientierter Kooperationsmuster“ (Vopel 1999, 266). Wie
jede formale Organisation, so verfügen Investmentbanken zwar auch über
ausdifferenzierte und entscheidungsfähige Hierarchien. Diese fest gefügten und zentral
gesetzten Strukturmerkmale – so Vopel (1999, 267) – „werden jedoch überlagert und
durchsetzt von systemisch-flexiblen Organisationsprinzipien, die gleichsam den
‚eigentlichen’ und tragfähigen Boden bereiten, auf dem Wissensarbeit stattfindet“.

37
2.2.2. Communities of practice und Wissensmanagement

Um eine flexible und reibungslose Wissensarbeit zu gewährleisten, haben sich in


Investmentbanken neben der Formalorganisation emergent spezielle Infrastruktur-
muster herausgebildet, die in der Literatur als „communities of practice“
(Lave/Wenger 1991; Brown/Duguid 1991, 1998), „communities of knowing“
(Boland/Tenkasi 1995) oder „occupational communities“ (Pickering /King 1995)
bezeichnet werden.
Maßgeblich für die vorliegende Arbeit ist die Definition von Brown und Duguid
(1998, 96): „A group across which such know-how and sensemaking are shared – the
group which needs to work together for its dispositional know-how to be put into
practice – has been called a ’community of practice’“. Wie in der Definition deutlich
wird, handelt es sich hierbei um Gruppen bzw. Gemeinschaften, die unter Rekurs auf
die jeweiligen Arbeitspraxen spezifische Bestände an Spezial- und Sonderwissen
generieren und dabei häufig räumliche, divisionale und auch funktionale
Organisationsgrenzen transzendieren. „Die communities of practice dienen als
Transmissionsriemen organisierter Wissensarbeit im Investment Banking, indem sie
Cluster organisationsspezifischer Lernerfahrungen formen, die dann als systemisches
Wissen der Gesamtorganisation zur Verfügung steht“ (Vopel 1999, 275). Als
dezentrale Kompetenzzentren der Bank sind sie für Genese, Weiterentwicklung und
Revision des organisationalen Wissens zentral. Communities of practice integrieren
die Experten eines zusammenhängenden Wissensgebietes und konstituieren einen
dichten Interaktionszusammenhang.
Viele der bankinternen communities of practice sind insofern formalisiert, als die
Organisationsmitglieder einer bestimmten community zuortbar sind. Dies sind jedoch
zumeist ex post Formalisierungen. Denn die communities haben sich evolutionär aus
der Arbeitspraxis heraus generiert und werden erst im Nachhinein als formale
Arbeitszusammenhänge implementiert. Beredtes Beispiel für solche ex-post-
Formalisierungen im Investment Banking sind die sogenannten Industriegruppen, die
sich als virtuelle Bezugsgruppen spezifischer Kundensegmente konstituieren. Hierbei
geht es weniger um die Vertiefung der Produktexpertise als vielmehr um die
organisatorische Reaktion auf Bedürfnisse einer als homogen wahrgenommen
Kundengruppe. Gepflegt wird ein Wissensbestand, der der Bank als systemische
Expertise zur Verfügung steht.
„Der Spezialisierungsgrad der Mitarbeiter geht auf den ersten Blick zurück. Es gibt
aber gegenläufige Entwicklungen. Es gibt Industriegruppen. Die Industriegruppen
sollen dafür sorgen, dass Industrie Know How bei bestimmten Personen aufgehängt
wird. Wenige Personen, die zuständig sind für Bereiche wie Chemie und Pharma
beispielsweise, für Automotive, für Financial Institutions, Media and Leisure, also
Freizeitwerte, für Capital Goods, alles was mit Industriegütern zu tun hat, da gibt es
acht, neun Bereiche, die sich die Investment Banking Division herausgesucht hat, weil
wir meinen, dass in diesen Bereichen sehr interessante Transaktionen durchgeführt

38
werden in der Zukunft. Und in diesen Bereichen hat sie Industrieexpertise jetzt
vorgehalten“ (Investmentbanker zit. nach Vopel 1999, 277).
Unabhängig von ihrem Institutionalisierungsgrad ist allen communities of practice
eine spezifische Funktionslogik gemein: der regelmäßige Austausch unter Experten,
die über eine vernetzte Problemstellung miteinander verbunden sind, wirkt
sinngenerierend und dient der Weiterentwicklung und Übertragung eines
spezialisierten Wissensspektrums. Jedes Gemeinschaftsmitglied entwickelt in seiner
eigenen Arbeitspraxis Wissen über den thematischen Zusammenhang der Gruppe.
„Die Interaktion mit den übrigen Experten erlaubt es ihm, seine eigenen Erfahrungen
zu reflektieren, sie in einen Diskurs einzuführen und entsprechend weiterzu-
entwickeln“ (Vopel 1999, 279). Diese Optimierung des eigenen Wissens und der
individuellen Erfahrung ist jedoch keine Einbahnstrasse. Denn: „What people have by
virtue of membership in a community of practice, however, is not so much personal,
modular knowledge as shared, partial knowledge” (Brown/Duguid 1998, 96).
Individuelles und kollektives Wissen verweisen wechselseitig aufeinander. Zwar muss
jeder Akteur über spezialisiertes know how verfügen, um als adäquates Mitglied
akzeptiert zu werden. Gleichwohl sollte jedem klar sein, dass individualisierte
Wissensbestände für sich gesehen wenig Sinn machen und von der Gemeinschaft auch
nicht goutiert werden.
„Wenn Sie Informationen heute für sich behalten, bewusst für sich behalten, kommt
das irgendwann raus. Irgendwann wird’s einer merken und in dem Moment sind Sie
bei den Leuten unten durch. Es hat Leute gegeben bei uns, die sind deswegen
gegangen worden. (...) Wenn Sie bei uns hier versuchen, sich als Einzelkämpfer
durchzuwühlen – das funktioniert nicht, die Kollegen bekommen es mit und nur die
Kollegen, denen Sie helfen, wo Sie sagen: Hier, du bist auf dem Projekt, ich hab da ne’
Idee, die merken sich das und Sie kriegen eines Tages den Gefallen zurück.“
(Investmentbanker zit. nach Volpel 1999, 301).
Interaktionen in communities of practice scheinen somit weniger auf dem diskreten
Markttausch als vielmehr auf einem auf moralischen Kategorien basierenden
Gabensystem zu beruhen. Indem zweckrationale Handlungskalküle mit Verweis auf
gemeinschaftsspezifische Sitten und Gebräuche relativiert werden, ist nur ein offenes
Geben und Nehmen möglich. Als Mitglied einer community of practice ist man
unweigerlich Teil eines „gegenseitigen Verpflichtungszusammenhangs ..., der nicht
ohne weiteres zu durchbrechen bzw. zu verlassen ist“ (Volpel 1999, 307). Loyalität,
Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Fairness sind moralische Dimensionen, die wiederholt
(Brown/Duguid 1998, Ortmann 2007; Dyer/Noboeka 2000) als Kennzeichen der
Interaktionspraxis von communities of practice genannt werden. „Solche communities
zehren von moralischen Ressourcen und Kompetenzen, für deren Produktion und
Reproduktion sie (nicht der einzige, aber) ein besonders geeigneter sozialer Ort sind“
(Ortmann 2007, 67). Oder wie ein Investmentbanker in der Untersuchung von Vopel
(1999, 301) betont: „Es ist ganz einfach ein konstituierendes Merkmal dieser Kultur.

39
Wissen zu teilen, proaktiv zu teilen.“ Betont werden muss jedoch auch, dass in
Investmentbanken diese Kultur incentiviert wird. Aufgrund des intra- und
interorgansationalen Wettbewerbs versuchen die Investmentbanken, durch monetäre
Anreize die proaktive Weitergabe von Informationen zu forcieren und so eine offene
Kommunikationskultur zu generieren. Einzelkämpfertum oder Informationszurück-
haltung wird hingegen im Extremfall mit Lohnabzug oder Kündigung sanktioniert.
Einmal mehr wird am Beispiel von bankenspezifischen communities of practice
deutlich, dass Geben und Nehmen einem Amalgam von Moralität und Eigennutz
entspricht.

2.2.3. Strategiebildung und Unternehmenssteuerung

Die Viabilität von Investmentbanken hängt maßgeblich von der informationalen


Kopplung und strukturellen Synchronisation von Umwelt und Organisation ab.
Angesichts hoher Marktdynamik ist eine zentral gesteuerte Organisation nicht fähig,
zeitnah Marktveränderungen in ihren Prozessen und Strukturen abzubilden. „These
conditions of complexity and uncertainty require a grass-roots strategy formulation
process, since business strategies are best determined by the people who are closest to
the market and can identify opportunities and act on them in a timely fashion”
(Eccles/Crane 1988, 122). Insbesondere bei großen Investmentbanken hat das Top-
Management normalerweise nicht die Zeit und das Wissen, sich eingehend um alle
Geschäftsstrategien zu kümmern. Keine größere Firma könnte sich zudem die
Verzögerung im Handeln und die Inkompetenz in der Sache leisten, die durch die
permanente Entscheidungskonsultation der Unternehmensführung ausgelöst würde.
Entscheidungen, die sich ganz konkret auf bestimmte Kunden, Produkte oder Märkte
beziehen, werden stattdessen in die Linie delegiert (Vopel 1999).
Das Top-Management gibt in Form allgemeiner Unternehmensstrategien21 einen
Rahmen vor, in dem stark spezialisierte und marktnah operierende
Organisationseinheiten die konkreten Geschäftsstrategien ausbilden (Eccles/Crane
1988; Brinker 1998). Bei Letzteren handelt es sich nicht um Strategien im strengen
Sinne. Diese sog. „grass-roots strategies“ (Eccles/ Crane 1988) werden nicht „erdacht“
und anschließend implementiert, sondern eher ex post gesehen (Mintzberg 1994). Man
tut, was Erfolg verspricht. Die Strategien kommen nach Vopel (1999, 271) „dort
zustande, wo Akteure Gelegenheit zum Lernen haben und wachsen aus dem Geschäft
heraus“.
Diese partizipative Strategieformulierung verlangt nach einer „toleranten“
Organisation. Den einzelnen Mitarbeitern müssen gemäß der Marktdynamik
Handlungs- und Entscheidungsspielräume eingeräumt werden. Ihnen wird hierbei eine

21
Eccles und Crane (1988, 120) definieren corporate strategy wie folgt: „The overall corporate strategy, defined
in terms of the relative emphasis on broad market segments, such as large, frequent financiers versus middle-
market companies, and the broad product categories, such as equity, investment- and non-investment-grade
debt, mortage-backed securieties, and M&A, is determined by top management”.

40
fast unternehmerische Freiheit zugestanden. „Wer den Markt ‚sieht’ und
Gelegenheiten ausmacht, kann sich ab einer bestimmten Hierarchiestufe vernetzen,
wie es ihm sinnvoll und angemessen erscheint“ (Vopel 1999, 271)22. Geprägt wird die
soziale Praxis mehr durch laterale Kommunikations- und Koordinationsformen als
durch vertikale Arten der Instruktion und Anweisung. Indem die spontanen und
komplexen Interaktionsbeziehungen mannigfaltige Verbindungen generieren, ist
immer schon eine Vielzahl an potentiellen Strukturmustern latent existent. Auf eine
Kurzformel gebracht: Persönlichkeit wiegt schwerer als Struktur, und Konfiguration
ist relevanter als Organisation (Vopel 1998).
Spielt in solchen „self-designing organizations“ (Hedberg/Nystrom/Starbuck 1976;
Eccles/Crane 1988) auch die Individualität und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen
eine wichtige Rolle, so kann doch auf eine effektive Koordination und Steuerung der
Geschäftsaktivitäten nicht verzichtet werden. Die „tolerante“ Organisation wird „um
straffe, vom Top Management entworfene und eingesetzte Informations- und
Steuerungssysteme ergänzt“ (Brinker 1998, 44). Indem sie Informationen über
Quantität und Qualität der externen Kundenbezüge ebenso liefern wie Daten über die
Qualität der organisationsinternen Beziehungen, sind die Systeme wichtig für die
individuelle und kollektive Performance-Messung. Ergänzt wird dieses kennzahlen-
orientierte Verfahren um ein auf interpersoneller Ebene lokalisiertes, subjektives
Verfahren der wechselseitigen Performance-Beurteilung. Die Ergebnisse beider
Verfahren werden zur Festlegung der für die Organisationssteuerung so wichtigen
Bonuszahlungen herangezogen. Die hohe betriebliche Funktionalität, bei gleichzeitiger
beruflicher Mobilität des Humankapitals, machen Höhe und Verfahren der Gehalts-
und Bonuszahlungen zu einem wichtigen Erfolgsfaktor im Investment Banking. „One
of the most notable differences between investment banks and any other organization
is the size and variance in bonuses, and the extent to which these bonuses are
decoupled from seniority and formal hierarchical position. This made their role as an
integrating mechanism much greater than in any other kind of organization“
(Eccles/Crane 1987, 188-199).
Wie bei der Organisationsgestaltung, so sind auch bei der Festlegung von Boni die
Pflege von Kundenbeziehungen, die Forcierung der internen Vernetzung und – nicht
zuletzt – die Maximierung des eigenen Ergebnisses zentrale Bestimmungsgrößen. Die
Bewertung findet auf unterschiedlichen Messdimensionen und differenzierten

22
Die Tatsache, dass Investment Banking auch immer etwas mit Entrepreneurship zu tun hat, verdeutlicht die
Aussage eines Investmentbankers (zit. nach Vopel 1999, 271): „Das hat aber mit der Natur des Geschäftes zu
tun. Im Investment Banking ist jeder so ein bisschen sein eigener Unternehmer. Jeder hat sein eigenes
Geschäft und deshalb bist du viel stärker ... so dieses Vernetzen, sich selbst zu vernetzen, ist viel wichtiger.
Insofern musst du halt sehen, wenn du deine eigene Show machst, wie kann ich mich in der Organisation am
besten leveragen. Das Ganze ist ja ein Hebel. Wie kann ich meine Effizienz steigern, meinen Hebel steigern?
Das kann ich, indem ich andere Leute einsetze. Das heißt, dass ich die bewusst mit reinbringe, dadurch dass
ich deren Wissen nutze ,dass ich mich über die positioniere, ja, das sind ja auch ganz menschliche
Gesichtspunkte, ich will ja immer perceived sein „as the big hitter““.

41
Aggregationsniveaus statt. Der Investmentbanker wird nach seinem erwirtschafteten
Erlös, seiner Position im Vergleich zu direkten Wettbewerbern, seiner Fachkompetenz,
seiner Marketingleistung, seinem externen Beziehungsmanagement sowie nach seinem
Beitrag zur Organisationsentwicklung (z.B. Teamarbeit, Personalauswahl und
-entwicklung) bewertet. Hierzu werden verschiedene Datenquellen genutzt: Berichte
aus dem Controlling, Selbstbewertungsmemoranden, vergleichende Einschätzungen,
Drittgutachten von spezialisierten Anbietern und subjektive Bewertung maßgeblicher
Manager (Eccles/Crane 1987).
Erscheint das Verfahren der Leistungsmessung und Bonusverteilung auf den ersten
Blick komplex, zeit- und ressourcenintensiv, so ist es doch für das Top-Management
neben der Bildung globaler Unternehmensstrategien, der Festlegung grober
Organisationsstrukturen und zentraler Geschäftsprozesse eine wesentliche Steuerungs-
möglichkeit. Die Unternehmensleitung muss mit diesen Elementen den schmalen Grad
zwischen funktionaler Differenzierung und systemstabilisierender Integration
beschreiten. Im Zuge der Differenzierung entstehen unterschiedliche Abteilungsziele,
heterogene Einstellungen und auch differenzierte Zeitvorstellungen. Trader haben
andere Zeithorizonte als Emissionsberater, Automobilanalysten andere als Computer-
analysten. Welche Tätigkeitsbereiche als eigenständige Abteilungen zu organisieren
sind, oder ob eine Dienstleistung als Cost- oder Profitcenter geführt wird, sind
organisationsrelevante Fragestellungen, an denen sich die Strategien der
Investmentbanken differenzieren (Vopel 1998).
Angesichts der skizzierten Komplexität von Investmentbanken ist ein adäquates
Gestaltungs- und Steuerungsmaß nicht rational bestimmbar. Wie etwa das Beispiel der
Deutschen Bank eindrucksvoll zeigt, kann eine „falsche“ Interventions- und
Steuerungsdichte zu Konflikten, dem Ausscheiden wichtiger Mitarbeiter und dem
Abstieg einer Investmentbank führen. Folgt man Brinker (1998, 46), so wird die Frage
nach dem gegenstandsadäquaten Interventions- und Steuerungsmaß mehr denn je die
Leitungen der Investmentbanken umtreiben: „Die zukünftigen Herausforderungen für
das Management von Wholesale Investment-Banking Aktivitäten ergeben sich zum
einen aus der zunehmenden Größe der Organisationen mit einer exponentiell
wachsenden Anzahl möglicher Beziehungen innerhalb des zu koordinierenden
Netzwerks. Des Weiteren erschwert die geografische Expansion der Organisationen
infolge der Globalisierungstendenzen trotz technischer Forschritte in der
Telekommunikation und der Informationsverarbeitung die Koordinationsleistung“.
Wie diese Management-Herausforderungen insbesondere von denen in das
Investment-Banking-Geschäft vorstoßenden Commercial-Banken gemeistert werden,
ist noch unklar. Zwar sind sie erfahren im Management großer und internationaler
Unternehmen. Da diese jedoch vorwiegend hierarchisch koordiniert werden, sind
Commercial-Banken „weitgehend unerfahren im Management oben beschriebener
Netzwerk-Strukturen“ (Brinker 1998, 46).

42
2.3. Der Investmentprozess von der Zieldefinition bis zur Erfolgsmessung

Der Siegeszug institutioneller Investoren an den Finanzmärkten kennzeichnet einen


wesentlichen Strukturwandel, der immer noch anhält. Ausgangspunkt des Aufstiegs
von Investmentfonds, Versicherungen oder anderen institutionellen Anlegern „ist die
Delegation der Geldanlage von Privaten an professionelle Akteure“ (Menkhoff 2001,
2). Diese Form finanzwirtschaftlicher Intermediation gehört unter den Begriff des
Asset Management zu den attraktivsten23 Geschäftsfeldern von Investmentbanken
(Achleitner 2002; Hockmann/Thießen 2002). Asset Management – so Hockmann und
Thießen (2002, 517) – „ist die Verwaltung von Vermögenswerten Dritter durch
spezialisierte Dienstleister im Rahmen von Vollmachtsverträgen“. Adressaten dieser
Dienstleistung sind einerseits sog. Wholesale-Kunden, d.h primär Unternehmen (z.B.
Versicherungen, Banken) und Institutionen (z.B. Gebietskörperschaften) (Hockmann
2001). Der Investmentbank werden im Rahmen des traditionellen Wholesale Asset
Managements Anlagemittel zur Verwaltung – im Rahmen von Fonds – oder zur
Vollmachtverwaltung übertragen. Die einzelnen Anlageentscheidungen unterliegen
unterschiedlichen, ex ante fixierten Freiheitsgraden. Andererseits handelt es sich bei
den Adressaten um die Privatanleger (Hockmann 2001). Bei dieser Klientel reicht das
Dienstleistungsspektrum von „der Vermögensanlageberatung, die je nach Kunden-
beziehung unterschiedlich weitreichende Empfehlungen zur Vermögensdisposition
umfasst, bis hin zur Vermögensverwaltung für vermögende Privatkunden, bei der die
Bank Portfolioentscheidungen für den Kunden auf der Grundlage einer spezifischen
Vollmacht trifft“ (Brincker 1998, 41). Zur Vermögensverwaltung gehört etwa das
Investmentfondsgeschäft. Die Anlageentscheidung für ein fixiertes Volumen trifft hier
allein der Fondsmanager. Der Kunde kann jedoch das Anlagespektrum in Form
entsprechender Fondsauswahl ex ante spezifizieren (Brinker 1998).
Das Delegieren der Geldanlage an spezialisierte Dienstleister hat je nach
Auftraggeber unterschiedliche Gründe. Während institutionelle Investoren etwa
aufgrund erhöhter Rechenschaftspflichten und fehlender Kompetenzen auf die Dienste
von Investmentbanken zurückgreifen (Hockmann/ Thießen 2002), wird bei den
Privatanlegern die Kompensation von Rationalitäts- und Professionalitätsdefiziten bei
Investmententscheidungen als Auftragsgrund vermutet (Süchting 1986; Link 1991;
Schulz 1999; Täubert 1998; Wichels 2001). Investmentbanken treffen hingegen „ihre
Investmententscheidungen anhand von professionellen und rationalen Bewertungs-
kriterien“ (Wichels 2001, 17).
Idealtypischerweise folgen diese Anlageentscheidungen einem Prozess, „der sich in
drei Phasen Planung, Realisation und Kontrolle einteilen lässt“ (Perridon/Steiner 1999,
280).

23
Das Assetmanagement hat mit einem durchschnittlichen jährlichen Ertragswachstum von 30 % von 1975 bis
1996 doppelt so hohe Wachstumsraten erzielt wie der Durchschnitt und war somit das wachstumsstärkste aller
Geschäftsfelder (Brinker 1998).

43
1. Stufe Aufbereitung der
Informationsgrundlage

Bedürfnisstruktur des Einschätzung der


Anlegers Anlagemöglichkeiten

Global- Titelspezif.
Ziele Restriktionen
analyse Analyse

Entwicklung einer
Anlagephilosophie

Festlegung des
Ausgangsportefeuilles

Risikoprä- Asset Umschichtungs- und


ferenz des Allocation Anpassungsvorgaben
Anlegers (insb. strategisch)

2. Stufe
Realisation

3. Stufe Kontrolle
Erfolgsmessung

Abbildung 6: Der Anlageentscheidungsprozeß.


Quelle: Perridon/Steiner (1999, 281)

a) Aufbereitung der Informationsgrundlage


In der Planungsphase wird die Informationsgrundlage aufbereitet. Letztere betreffen
zunächst die Ermittlung der Zielsetzungen und Restriktionen des Anlegers. Je nach
Anleger oder Anlegergruppen können sich unterschiedliche Anlageentscheidungen als
optimal erweisen. Während bei institutionellen Anlegern gesetzliche, satzungsmäßige
oder funktionale Anlagerestriktionen ins Kalkül zu ziehen sind, beschränken bei
privaten Anlegern Prestigeüberlegen, Bequemlichkeitserwägungen und moralische
Anforderungen den Kreis zulässiger Anlagealternativen (Perridon/Steiner 1999).
Neben den Restriktionen müssen die Anlageziele des Investors ermittelt werden.
„Im Fall der Vermögensanlage scheint es ex ante plausibel, diese primär in den

44
Kategorien Rendite und Risiko zu fassen“ (Menkhoff 2001, 3). Unter der Annahme
rationalen Handelns kann der Anleger als risikoscheu eingestuft werden. Er strebt
hierbei eine maximale Rendite seines Investments an und kalkuliert insofern ein
Anlagerisiko billigend mit ein, als ihm eine adäquate Risikoprämie avisiert wird
(Perridon/Steiner 1999).
Steht die Bedürfnisstruktur des Anlegers fest, so ist zur Aufbreitung der
Entscheidungsgrundlage noch die Einschätzung der Anlagemöglichkeiten zu leisten.
Es handelt sich bei den Rendite- und Risikoinformationen generell um Prognosewerte.
Da diese für den Optimierungsprozess sehr relevant sind, muss die Informations-
erhebung und -auswertung höchsten Anforderungen genügen.
Die am weitesten verbreitete Methode der Wertpapieranalyse ist die sog.
Fundamentalanalyse (Achleitner 2002; Schredelseker 2002). Auf der Basis einer
systematischen Beobachtung der gesamt- und einzelwirtschaftlichen Entwicklungen
soll hier die Angemessenheit der aktuellen Börsenbewertung beurteilt werden. „Der
zentrale Begriff der Fundamentalanalyse ist der des ’inneren Wertes’ (intrinsic value)“
(Schredelseker 2002, 300)24. Gelingt im Zuge der Aktienanalyse eine Einschätzung
des inneren Wertes, so führt ein Vergleich mit dem Börsenkurs unmittelbar zu Kauf-
bzw. Verkaufsempfehlungen. Verfechter der Fundamentalanalyse unterstellen, „dass
sich der Börsenkurs langfristig um diesen objektiven inneren Wert einer Aktie
bewegt“ (Achleitner 2002, 686).
Die Fundamentalanalyse integriert bei der Ermittlung des inneren Wertes alle
fundamentalen wertbestimmenden Informationen. Hierbei kann grundsätzlich nach
zwei Methoden vorgegangen werden: der Top Down Ansatz und der Bottom Up
Ansatz. Ersterer beginnt mit der Analyse relevanter volkswirtschaftlicher Daten und
dem Branchenumfeld des zu analysierenden Unternehmens. Diese werden mit Bezug
auf die derzeitigen Entwicklungen auf den Kapitalmärkten bewertet, um allgemeine
Einflussfaktoren auf die Börsenentwicklung zu ventilieren und erfolgsversprechende
Branchen zu identifizieren. Die Untersuchungsergebnisse münden schließlich in
operative und finanzielle Analysen der brancheneigenen Unternehmen. Letztere
werden so weit verdichtet, dass als Ergebnis des kompletten Bewertungsprozesses die
konkrete Empfehlung von Einzeltiteln steht (Wichels 2002; Schlienkamp 2004).
Im Unterschied hierzu beginnt der Bottom-Up-Ansatz bei unternehmensspezifischen
Einzeldaten. Aus der nachfolgenden Analyse wichtiger Branchenperspektiven und des
makroökonomischen Kontextes sollen Rückschlüsse für die Bewertung der
entsprechenden Unternehmen gezogen werden. Hierbei liegt die Annahme zugrunde,
„dass bestimmte Beteiligungstitel unanhängig von branchen- und marktabhängigen
Determinanten positive Überrenditen im Vergleich zum Markt erwirtschaften können“
(Wichels 2002, 67).

24
Bezeichnen Steiner/Bruns (1994, 258) mit dem inneren Wert einer Aktie den Wert “der ihr objektiv
zukommt“, so ist bei Graham/Dodd (1962,24) der innere Wert,“that value which is justified by the facts“.

45
Leiten demnach Bottom-Up- wie Top-Down-Verfahren ihre Bewertung
grundsätzlich immer aus den fundamentalen Markt-, Branchen- und Unternehmens-
daten ab, so sind diese bei der sog. technischen Analyse ohne Bedeutung (Staud 2004).
In ihrer reinen Ausprägung interessiert die Techniker „überhaupt nicht das
Unternehmen selbst, seine Zukunftsaussichten etc., sondern einzig und allein der
aktuelle Aktienkurs und der Verlauf der Aktienkurse in der Vergangenheit“
(Schredelseker 2002, 376)25. Sie gehen von einer Wiederholung von Verlaufsmustern
aus. Der Bewertungsvorgang der technischen Aktienanalyse fokussiert auf zwei
Analysebereiche: Die Betrachtung der Entwicklung des Gesamtmarktes und des
Einzelwertes (Staud 2004). Die Beurteilung der Entwicklung des Einzelwertes kann
entweder titelspezifisch oder unter Rekurs auf die Branchen- oder Marktentwicklung
vollzogen werden. Um Entwicklungsmuster frühzeitig zu identifizieren, bedienen sich
die Techniker einer Fülle zumeist auf Visualisierung der Kursverläufe basierender
Verfahren.
Sind die Anlagemöglichkeiten eingeschätzt sowie die Ziele und Restriktionen
ermittelt, so wird auf der so generierten Datenbasis die konkrete Anlagephilosophie
abgeleitet. „Unter Anlagephilosophie versteht man die Summe aller grundlegenden
und richtungweisenden Anlage- und Desinvestitionsentscheidungen, die üblicherweise
nur langfristig und nicht ohne Nachteil zu revidieren sind“ (Perridon/Steiner 1999,
287). Primär handelt es sich zum einen um Startentscheidungen, die das
Ausgangsportefeuille definieren. Zum anderen sind es Etappenentscheidungen, auf
deren Basis Handlungsprinzipien für Umschichtungen und Anpassungen während des
Anlagezeitraums bestimmt werden. In Zusammenarbeit mit dem Investor wird im
Rahmen der strategischen Asset Allocation das Ausgangsportefeuille gebildet. Unter
Asset Allocation versteht man „die systematische Verteilung von Geldfonds auf
verschiedene Assets“ (Perridon/Steiner 1999, 287). Letztere sind prinzipiell
Einzeltitel, die bezüglich diverser Kriterien (z.B. Herkunftsland, Währung, Klasse)
definierbar sind. Über die Summe aller Assets in einem Portefeuille bezeichnet dieses
Merkmal die Portefeuillestruktur. Kennzeichen der Asset Allocation selbst ist der Grad
ihrer internationalen Orientierung, die Form der Portefeuilleoptimierung und die
Einheiten (z.B. Titelgruppen, Fonds) der Diversifikation (Perridon/Steiner 1999).
b) Anlageentscheidung
Im Anschluß an die Asset Allocation folgt die eigentliche Anlageentscheidung.
Letztere wird primär durch die Annahmen bestimmt, die der Portfoliomanager im
Hinblick auf den Preisbildungsprozess auf den Kapitalmärkten vornimmt. Unterstellt
er eine strenge Informationseffizienz auf Kapitalmärkten, so kann er auf jegliche
eigene Informationsbeschaffung und -auswertung verzichten. Denn gemäß dieser

25
Fundamentale Informationen sind im Gegenteil „für den Technischen Analysten ‚tabu’, denn sie helfen ihm
nicht bei der Urteilsfindung, sondern verstellen ihm nur den Blick auf das Marktgeschehen und machen ihn
taub für die Stimme des Marktes“ (Bien 2000, 8).

46
Annahme „fließen an den Wertpapierbörsen praktisch ohne zeitliche Verzögerung und
auf korrekte Weise alle, im Prinzip öffentlich bekannten Informationen, in die
Kursbildung ein“ (Spremann 2003, 160). Sollte etwas noch nicht feststehen, jedoch
bereits antizipierbar sein, so hat es sich bereits auf den Kurs ausgewirkt. Für den
Portfoliomanager ist es also völlig unnötig, Recherche und Analyse mit dem Ziel zu
betreiben, über- oder unterbezahlte Wertpapiere zu entdecken. Die Negation einer
möglichen Überperformance gilt – wenn auch in abgeschwächter Form – auch unter
der Annahme halbstrenger Informationseffizienz der Wertpapiermärkte
(Perridon/Steiner 1999). Hiernach sind nur passive Anlagestrategien sinnvoll, die in
erster Linie mit dem verwalteten Vermögen eine vom Anleger bestimmte Benchmark
nachbilden. Indem sie versuchen, dessen Wertentwicklung möglichst getreu
nachzuvollziehen, soll ein dem Marktdurchschnitt adäquates Ergebnis erreicht werden.
Dieses sog. Index Tracking kann auf zwei Arten erfolgen. Während beim Census
Approach jede Aktie der Benchmark entsprechend in das Portfolio aufgenommen
wird, erfolgt beim Sampling Approach die Aktienauswahl nur teilweise indexgemäß.
Gegenüber dem Indexrisiko entsteht in der Folge ein erhöhtes Risiko des Portfolios
(Achleitner 2002).
Steht beim passiven Portfoliomanagement die relative Optimierung des Anlage-
erfolgs zur Benchmark im Strategiefokus, so orientiert sich der aktive
Portfoliomanager bei seinen Aktivitäten an der absoluten Wertentwicklung des
Portfolios. Seine Strategien basieren auf der Annahme nicht-informationseffizienter
Kapitalmärkte. Indem er auf gute Researchleistungen, Kreativität und Schnelligkeit
setzt, versucht er eine im Vergleich zum Index überdurchschnittliche Rendite zu
realisieren (Perridon/Steiner 1999). Um diese Outperformance zu erreichen, weicht der
Portfoliomanager bewusst von der indexspezifischen Titelgewichtung ab. Er setzt
vielmehr auf Selektionsentscheidungen auf der Ebene einzelner Titel oder Sektoren
und versucht so, Marktineffizienzen auszunutzen. So werden etwa beim Stock
Screening Aktien bezüglich differenzierter Eigenschaften – wie Gewinnentwicklung
oder Kurs-Gewinn-Verhältnis – untersucht, bewertet und mit den Investorvorgaben
verglichen (Achleitner 2002).
c) Portfolioüberwachung und Erfolgsmessung
Hat sich der Portfoliomanager für ein Portfolio entschieden, so muss es permanent
überwacht werden. Gewandelte Kontextbedingungen, geänderte Kapitalausstattung
oder Risikotoleranz des Investors machen ein eigenständiges Kontrollprocedere
sinnvoll, das die Einhaltung der Vorgaben aus Asset Allocation und Asset Selection
im Zeitablauf überwacht. Permanent stellt sich hier die Frage nach der sinnvollen
Anpassung der Vermögensstruktur des Portfolios. Wird eine suboptimale
Zusammensetzung des Portfolios testiert, müssen im nächsten Schritt alle
Handlungsoptionen, die mit den Zielsetzungen und Risikoneigungen des Investors
vereinbar sind, ermittelt werden. Hierzu zählen primär die (Neu-) Gewichtung von
Titeln und die (Des-) Investition einzelner Wertpapiere (Achleitner 2002). Nach

47
eingehender Abwägung prognostizierter Renditesteigerungen einerseits und
entstehender Transaktionskosten andererseits, ist umgehend eine Entscheidung zu
treffen. Letztere bildet dann den Ausgangspunkt für eine erneute Kontrollschleife.
Grundlage des skizzierten Überwachungsprocedere ist die Erfolgsmessung. Sie
„dient in erster Line einer sachgerechten Anlagekontrolle der im Asset Prozess
getroffenen Entscheidungen und ermöglicht eine Rückkoppelung auf die vorgelagerten
Ebenen des Anlageentscheidungsprozesses“ (Perridon/Steiner 1999, 295). In
kurzfristiger Perspektive kann die Anlagepolitik und die Performance der
Portfoliomanager im Rahmen der taktischen Asset Allocation auf ihren Erfolg hin
kontrolliert werden. Langfristig dient es einer Überprüfung der generellen
Anlagestrategie und des –ziels selbst. Ziel der Erfolgsmessung und der darauf
aufbauenden Portfolioüberwachung ist eine effizientere Reallokation im Asset
Management (Perridon-Steiner 1999).
Richtet sich die Performancemessung in ihrer Funktion als zentraler Bestandteil der
Portfolioüberwachung primär an die externen Investoren (Hockmann/Thießen 2002),
so ist sie auch bei dem internen Personal- und Ressourcenmanagement relevant. Wie
bereits ausführlich beschrieben, macht der erfolgsabhängige Vergütungsanteil einen
Großteil des Einkommens von Investmentbankern aus. Indem die Performance-
messung bei der Leistungsbeurteilung und dem -vergleich von Portfoliomanagern von
zentraler Bedeutung ist, fällt ihr bei der internen Unternehmenssteuerung eine wichtige
Rolle zu (Achleitner 2002).

2.4. Portfoliomanager und Analysten als Akteure im Investmentprozess

Die Portfoliomanager stehen als Entscheider im Mittelpunkt des Anlageprozesses. Sie


alloziieren im Rahmen der mit dem Investor fixierten Investitionsmaximen autonom
die bereitgestellten Mittel auf alternative Anlageformen. Für seine Auswahl-
entscheidungen nutzt der Portfoliomanager eine Vielzahl von Informationen (Bittner
1996). „In no other realm are such vast quantities of information from such diverse
sources brought to bear on so many important decisions“ (Slovic 1972, 785).
Ob er die richtige Entscheidung getroffen hat oder nicht, bemisst sich nach
bankexternen Maßstäben (Indizes, Benchmarks). Insofern unterscheidet sich der
Portfoliomanager von den Akteuren anderer Geschäftsbereiche. Während etwa Sales
und Going Public primär bankinterne Leistungskriterien verfolgen, haben die
Portfoliomanager durch ihren direkten Marktbezug externe Leistungskriterien zu
erfüllen (Mars 1998). Ihre Vergütung richtet sich unmittelbar nach dem Verhältnis von
der erwirtschafteten Rendite ihrer Portfolios zu der Entwicklung des bankexternen
Maßstabs (Index, Benchmark). Insofern sind Portfoliomanager an möglichst genauen
Renditeprognosen interessiert.
Die Informationslieferanten sind zumeist die institutionell angebundenen
Forschungseinheiten. Da diese nicht nur für das Asset Management wichtig sind,
sondern generell allen Geschäftsbereichen zuarbeiten, fällt eine organisatorische

48
Zuordnung schwer. Unstrittig ist jedoch: Das Research bildet einen wesentlichen
Baustein in der Wertschöpfungskette einer Investmentbank (Achleitner 2002).
Die Ergebnisse der Research-Arbeit in Form von qualitativ hochwertigen Reports
und akkuraten Prognosen dienen Achleitner (2002, 758) zufolge „de facto als
Voraussetzung zur Aufnahme der operativen Geschäftstätigkeit einer
Investmentbank“. Eine entscheidende Rolle spielen die Analysten zudem im Rahmen
der Mandatsgewinnung als Reputationsträger. Angloamerikanische Klienten wählen
bei ihren Kapitalmaßnahmen Investmentbanken nach dem Kriterium der „Analysts’
Selling Power“ als Konsortialführer oder Lead Manager aus, um eine erfolgreiche
Aufnahme solcher Transaktionen am Kapitalmarkt zu gewährleisten (Achleitner
2002).
Die Forschungsaktivitäten einer Investmentbank lassen sich in 5 Funktionsbereiche
unterteilen: Strategie, Economic Research, Fixed Income Research, Quantitative
Research und Equity Research (Wichels 2002; Achleitner 2002). Während sich die
Bereiche Strategie und Economic Research primär mit volkswirtschaftlichen Analysen
befassen, steht bei Fixed Income Research und Quantitative Research quantitative
Untersuchungen auf Unternehmens-, Branchen- und Kapitalmarktebene im
Mittelpunkt. Betonen also Letztere mit mathematisch-statistischen Verfahren die
„harte“ Seite der Analyseperspektive, so fokussiert die Equity Research26
demgegenüber auf Einzelwerte, die ohne die Berücksichtigung qualitativer Faktoren
nicht fundiert zu bewerten sind. In diesem Bereich ist dann auch die höchste
Aufgabeninterdependenz und Interaktionsdichte zwischen den Funktionsbereichen der
Investmentbank und den Investor-Relations-Abteilungen zu konstatieren. „Infolge der
Tätigkeit von Equity Research-Analysten, Unternehmen unter fundamentalen
Gesichtspunkten zu bewerten und Erkenntnisse über die Vorteilhaftigkeit einer
Investition in die Aktien jener Unternehmen zu gewinnen, ergibt sich, dass diese
maßgeblich auf einen steten Informationsfluss durch IR angewiesen sind“ (Wichels
2002, 41). Ist demnach eine fundierte Einzelwertanalyse ohne unternehmens-
spezifische Informationsquellen nicht denkbar, so avancieren umgekehrt „die
Aktienanalysten unter den Finanzanalysten zur pivotalen Kundengruppe aller IR-
Maßnahmen“ (Wichels 2002, 41). Während also in anderen Funktionsbereichen
lediglich partielle Informationsanforderungen an die IR bestehen, so bildet die
Beziehung Equity Research und Investor Relations eine gewichtige Schnittstelle
innerhalb der täglichen Arbeitspraxis beider Organisationseinheiten.
Die Analysten der Equity Research werden üblicherweise in zwei Gruppen
unterteilt: in Sell-Side- und Buy-Side-Analysten. Diese Unterscheidung basiert auf der
funktionalen Verortung in der arbeitsteiligen Wertschöpfungskette einer

26
Unter der Funktion des Equity Research wird Achleitner (2003, 768) folgend „die Nutzung von unterschiedli-
chen Datenquellen verstanden, um in einem nationalen oder internationalen Maßstab einzelne Unternehmen zu
bewerten und Indikationen über die Vorteilhaftigkeit einer Investition in die Aktien jener Unternehmen in
Form von Kauf-, Halte- oder Verkaufsempfehlungen abzuleiten“.

49
Investmentbank. „Während das Buy Side Research den Portfoliomanager bei seinen
Anlageentscheidungen unterstützt, dient das Sell Side Research der Erzielung von
Kommissionseinkommen der Handelsabteilungen, also der Entwicklung und dem
Absatz von Produkten“ (Hockmann/Thießen 2002, 646). Die Ziele der Buy-Side-
Analysten liegen in der Analyse, Auswahl und Empfehlung von Anlagetiteln, um den
zugehörigen Portfoliomanagern eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu liefern.
Bezugspunkt für die Erstellung der Analysen ist hierbei eine optimale Portfolio-
strukturierung, d.h. fest definierte Ertrags- und Risikokriterien sowie rechtliche
Kontextbedingungen. Die jeweilige Portfolioausrichtung bestimmt daher maßgeblich
die Arbeitsinhalte und setzt kommensurable Zielfunktionen zwischen Buy-Side-
Analysten und Portfoliomanagern voraus (Wichels 2002).
Dagegen liegt die Zielsetzung der Sell-Side-Analysten in der Vermarktung der
eigenen Meinung zu spezifischen von Portfoliostrukturen autonomen Finanztiteln und
-märkten. Ihre Researchleistung bildet die Grundlage für die gesamte Wertschöpfung
einer Investment-Bank. Sie erarbeiten detaillierte „Branchen- und Unternehmens-
studien, die in Kauf-, Verkaufs- oder Halteempfehlungen münden“ (Nix 2000, 36). Da
ihre Research-Tätigkeiten keine orginären Umsätze generieren, sind die Sell-Side-
Analysten an einer Steigerung der Wertpapierumsätze und Transaktionsvolumen für
ihre Auftraggeber interessiert. Dies gelingt ihnen umso besser, je mehr ihre Stimme
auf dem Markt Gehör findet. Ihre jahrelange intensive Beschäftigung mit einzelnen
Branchen und Unternehmen zielt daher immer auch auf individuelle Reputations-
maximierung. Denn: „Der Markt reagiert entsprechend schnell auf die Vorschläge
einiger (Star-) Analysten“ (Bittner 1996, 24).
Der Zugang zu aktuellen und relevanten Informationen ist für jeden Analysten ein a
priori seiner Tätigkeit. Während Sell-Side-Analysten in Folge ihrer Branchen-
spezialisierung intensiven Kontakt mit den dazugehörigen Unternehmen pflegen, sind
Buy-Side-Analysten in der Regel branchenübergreifend tätig und greifen aus
Effizienzgründen häufig auf die bereits komprimierten Informationen der sell side
Analysten zurück (Schulz 1999). Nutzen die Buy-Side-Analysten bei ihrer
Sekundärresearch auch intensiv die Primärresearch der Sell-Side-Analysten als
Informationsquelle, so handelt es sich bei der Sekundärresearch nicht um ein
Analysederivat Letzterer. „Vielmehr ist anzunehmen, dass die Buy Side Analysten
diese (Berichte) differenziert begutachten, kritisch evaluieren und nur selektiv in
Verbindung mit eigenen Vorstellungen und Prognosen übernehmen, um anschließend
zu einer eigenen subjektiven Investitionsempfehlung zu kommen“ (Wichels 2002, 34).
Dies setzt letztlich einen intensiven Austausch zwischen beiden Analystengruppen
voraus.
Die skizzierten Aufgabenspektren gehen mit differenzierten Vorgehensweisen bei
der Aktienanalyse einher. Grundsätzlich kann im Rahmen der Asset Allocation
zwischen Top Down Approach und Bottom Up Approach unterschieden werden.
Während bei Sell-Side-Analysten aufgrund ihrer Branchenspezialisierung die

50
Titelauswahl zwingend einem Bottom Up Approach folgt, haben Buy-Side-Analysten
prinzipiell die Option, zwischen beiden Ansätzen frei zu wählen (Wichels 2002).
Unterschiede gibt es schließlich auch bei der Informationsdistribution. Die Buy-
Side-Analysten sind als direkte Entscheidungsvorbereiter der Portfoliomanager mit
ihrer Produkterstellung und -distribution eng an den organisatorischen Kontext
gebunden. Ihr Produkt verlässt das Investmenthaus nicht. Dagegen stellen Sell-Side-
Analysten ihre Analyseergebnisse diversen Kapitalmarktteilnehmern, primär aber „den
institutionellen Anlegern, gegen Bezahlung als Grundlage für deren Investitions-
entscheidung zur Verfügung“ (Schulz 1999, 248). In jüngster Zeit hat sich
insbesondere im Equity Research die parallele Aufgabenwahrnehmung von Marketing
und Vertrieb der Beteiligungstitel im Kontext von Kapitalmarkttransaktionen als
relevant erwiesen. Den Sell-Side-Analysten kommt hierbei insofern ein tragende Rolle
zu, als sie „als Meinungsführer innerhalb der Financial Community die Investment-
entscheidungen zahlreicher Marktteilnehmer wesentlich beeinflussen“ (Achleitner
2002, 775).
Trotz der genannten Unterschiede gibt es abschließend auch einige
Gemeinsamkeiten zu konstatieren. In Folge des Eintritts von Universalbanken in das
Geschäft der Investmentbanken arbeiten immer mehr Buy-Side- und Sell-Side-
Analysten faktisch unter einem Unternehmensdach. Funktionale Differenzierung geht
so mit unternehmenspolitischer Homogenisierung einher. Unterstützt wird dieser
Effekt durch eine gleichgerichtete Interessensausprägung beider Analystengruppen:
„Da der Beruf des Finanzanalysten ausdrücklich auf die Durchführung von Finanz-
bzw. Aktienanalysen verweist, wird offensichtlich, dass der eigentliche Zweck, der
hinter dieser Tätigkeit steht, zugleich das substantielle Interesse der sozialen (Berufs-)
Rolle Finanzanalyst darstellt“ (Janik 2002, 248). Indem beide Gruppen „Unternehmen
auf der Basis der ihnen vorhandenen Informationen“ (Düsterlho 2000, 75) bewerten
und so den Portfoliomanagern die „richtigen Aktien“ zur Renditemaximierung
empfehlen, offenbart sich jenseits funktionaler Differenzierung „das substantielle
Interesse der Rolle Finanzanalyst“ (Janik 2002, 249).

51
3. Finanzkommunikation in kommunikationstheoretischer
Perspektive
3.1. Unternehmensberichterstattung und Informationsübertragung

Die Finanzkommunikation ist ein komplexer Prozess, der die gesamte direkte und
indirekte Kommunikation mit den Investoren umfasst (Weber-Henschel 2001). Neben
weichen Kommunikationsinhalten wie Unternehmensvision und Equity Story sind es
vor allem harte Fakten, die Fundamentaldaten, die im Mittelpunkt der Finanz-
kommunikation stehen. Denn Letztere bilden eine wichtige Basis für die Ermittlung
des „objektiven inneren Wertes“ (Achleitner 2002). Je nach Gewichtung der zentralen
Bestimmungsgrößen Jahresüberschuss, Dividende und zukünftige Ertragsaussicht
„erhält man einen inneren Wert, der meist nicht nur vom Börsenkurs verschieden ist,
sondern auch von allen anderen mit anderen Bestimmungsfaktoren und Gewichten
ermittelten Werten“ (Perridon/Steiner 1999, 211). Unabhängig von der konkreten
Wahl und Gewichtung der Bestimmungsgrößen ist eines von zentraler Bedeutung für
die Wertermittlung und damit auch für die Finanzkommunikation: Die Objektivität der
Informationen muss gegeben sein. Unter objektiven Informationen werden in diesem
Zusammenhang „vor allem auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare Informationen
verstanden“ (Kötzle/Niggemann 2001, 642). Ganz ähnlich definiert auch der
Gesetzgeber die Anforderungen an die Berichterstattung, indem er in § 400 AktG die
richtige und unverschleierte Darstellung des Vermögensstandes postuliert. Während
eine Aussage grundsätzlich dann richtig ist, “wenn ihr Inhalt mit der Wirklichkeit
übereinstimmt“ (Hütten/Küting 2001, 497), stellt sich eine Darstellung dann als
unverschleiert dar, „wenn sie klar und deutlich ist und die realen Tatbestände
erkennbar und zutreffend beurteilbar sind“ (Hütten/Küting 2001, 497).
Diese Anforderungen an die Informationsqualität in puncto Objektivität,
Wahrheitsgehalt und Realitätsnähe werden in keinem Kommunikationsmedium so
stark fokussiert wie im Geschäftsbericht. Indem der Geschäftsbericht „am stärksten die
’Symbiose’ zwischen Rechnungslegung und IR“ (Winkler 1994, 241) verkörpert,
erfüllt er wie kein zweites Investor-Relations- Instrument das normative Postulat nach
informationaler Vollständigkeit, Richtigkeit und Glaubwürdigkeit der Finanz-
kommunikation (Hütten 2000). Obwohl der Geschäftsbericht somit ein wichtiger
Bezugspunkt für die Investmententscheidungen von institutionellen und privaten
Anlegern (Radinger/Schweiger 1994; Achleitner/Bassem/Pietzsch 2001) darstellt, ist
die begriffliche Einordnung eigentümlich unscharf (Hütten 2000). Unter dem Eindruck
der kommunikativen Relevanz schlägt Hütten (2000, 11) vor, „eine Einordnung des
Geschäftsberichts in ein Kommunikationsmodell vorzunehmen, da ein derartiges
Modell dazu dienen kann, ’die Beziehungen zwischen den ... beteiligten Instanzen
übersichtlich darzustellen und eventuell unerkannte Beziehungen aufzudecken’“
(Eisenführ 1967, 7). Als Teil des Übermittlungssystems fügt sich das Übermittlungs-
medium Geschäftsbericht nahtlos in das nachstehende Kommunikationsmodell der
externen Berichterstattung ein.

Beeinflussung Beeinflussung

Umwelt
Beeinflussung Beeinflussung

Beeinflussung

Sender Empfänger

Auswahl
Übermittlungs-
Kodierung Dekodie- Reaktion auf
der der system rung des die
Nachricht Nachricht Signals Nachricht

Rückkopplung

Abbildung 7: Modell der externen Berichtserstattung.


Quelle: Hütten (2000, 21)

Das berichtende Unternehmen bestimmt aus den verfügbaren (unternehmensinternen


und –externen) Daten diejenigen, die unternehmensexternen Stakeholdern mitgeteilt
werden sollen. Diese Nachrichten werden kodiert. Angewandt können hierzu
existierende Abbildungsregeln wie etwa die des HGB, IFRS oder US-GAAP. Die
solchermaßen kodierten Nachrichten werden via Übermittlungssystem an den
Empfänger transferiert. Das Übermittlungssystem umfasst einerseits das Über-
mittlungsmedium – hier den Geschäftsbericht – , welches „ein Behältnis darstellt,
mittels dessen (kodierte) Nachrichten vom Unternehmen zum Adressaten gelangen“
(Hütten 2000, 24). Anderseits beinhaltet es den Übermittlungskanal (z.B. Postweg,
Internet), auf dem dieses Medium vom Sender zum Empfänger gelangt. Nachdem die
Nachrichten beim Empfänger eingegangen sind, werden sie dekodiert, analysiert und
interpretiert. Im Ergebnis kann die Nachricht beim Empfänger zwei Reaktionen
hervorrufen (Hütten 2000). Erstens kann die Reaktion die Umwelt des berichtenden
Unternehmens beeinflussen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein durch die
Nachrichten induzierter Aktienkauf den Aktienkurs verändert. Der Empfänger kann
zweitens auf die Nachricht mit einer direkten Kontaktaufnahme bei dem Unternehmen
reagieren (Hütten 2000).
Das skizzierte Kommunikationsmodell von Hütten (2000) steht ganz in der
Tradition des betriebswirtschaftlichen Kommunikations- und Informationsverständ-
nisses. Als zentrale "Paten" eines solchen Kommunikationsverständnisses lassen sich

54
die Kommunikationswissenschaftler Shannon und Weaver (1949) identifizieren, die
mit ihrem informationstheoretischen Kommunikationsmodell bis zum heutigen Tag
Einfluss auf die disziplinäre Entwicklung nehmen27.
Wird in der (Wirtschafts-) Wissenschaft von Kommunikation gesprochen, so hat
man in der Regel ihr Kommunikationsmodell vor Augen28. Seine hohe Akzeptanz und
große Verbreitung "dürfte durch seine Einfachheit, Integrativität und Anschließbarkeit
an die bis heute wirksamen kommunikationsbezogenen Intuitionen begründet sein"
(Rusch 2002, 104)29.
Die ausgeprägte Bezugnahme auf das ausschließlich für die technische Ebene
entwickelte Kommunikationsmodell bedingt eine primär übertragungsorientierte,
mechanistische Sicht der Kommunikation (Burkart 2002). Die weite Verbreitung
dieser Vorstellungen in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften speiste sich nicht
zuletzt aus dem damaligen Wissenschaftsverständnis. Der Transfer von Modellen aus
dem naturwissenschaftlich-technischen in den sozial- und wirtschaftswissenschaft-
lichen Bereich wurde und wird nicht nur als möglich, sondern sogar als erstrebenswert
erachtet30. Im Rahmen dieses Modelltransfers stellt sich Kommunikation als
Übertragungsprozess dar, durch den eine Information raumüberwindend von einem
Ort zu einem anderen gelangt. Der "Ort" der Transmission ist der Kanal, durch den die
Information31 "wandert". Da es sich hierbei um einen akkuraten und verlustfreien
Informationstransfer handelte, bestand die Herausforderung der Informationstheorie
"schlicht darin, die Botschaft mit soviel Redundanz zu kodieren, dass sie es zuließ,
trotz erfolgter Verrauschung genau oder annähernd das 'Original' daraus zu kodieren"
(Lenke/Lutz/Sprenger 1995, 229).
Als "Rauschen" (noise) wird alles bezeichnet, was die Übermittlungsgenauigkeit
(fidelity) reduziert. So kann etwa die Informationsübertragung „zwischen dem
Verfasser und dem Benutzer des Geschäftsberichts durch sprachliche Unzuläng-
lichkeiten, Fachausdrücke, unklaren formalen Aufbau oder überflüssige Nachrichten
gestört sein (Eisenführ 1967, 7). Im Rahmen der Transmission von Informationen

27
Laut Hütten (2000) bauen die im Berichtswesen wie in anderen betriebswirtschaftlichen Bereichen zur
Anwendung kommenden Kommunikationsmodelle fast durchgängig auf die Kommunikationsmodelle von
Shannon/Weaver (1949) und Lasswell (1927) auf.
28
Reichwald (1993) spricht in diesem Zusammenhang auch von dem bekanntesten Kommunikationsmodell.
29
Zunächst wählt die Nachrichtenquelle eine Nachricht aus einem Bündel möglicher Nachrichten aus. Der
Sender transformiert die so ausgewählte Botschaft in ein Signal, das sich für die Übertragung eignet. Dieser
Vorgang heißt auch Encoding. Das Signal wird in dem Medium Channel übertragen. Während der
Übertragung ist das Signal verschiedenartigen Störungen ausgesetzt, die es "verrauschen". Der Empfänger
empfängt das mehr oder minder stark verrauschte Signal. Als Antipode des Senders muss er nun ein Decoding
des empfangenen Signals vornehmen. Der Empfänger leitet schließlich das decodierte Signal an das
Bestimmungsziel weiter.
30
Laut Bittl (1997, 44) "erklärt die Akzeptanz weitgehend nur mathematischer und/oder technischer Erkennt-
nisse die festgestellte Dominanz des nachrichten-technischen Modells von Shannon/Weaver als
modelltheoretische Grundlage für die innerhalb der Betriebswirtschaftslehre vorherrschende Auffassung eines
auf möglichst optimale Informationsübertragung beschränkten Kommunikationsverständnisses".
31
Als Information werden in der naturwissenschaftlich-technischen Perspektive Zeichenreihen betrachtet. (Bode
1993, 1997)

55
kann Rauschen zu einem Abbruch oder zu einer Barriere des Kommunikations-
prozesses führen. Während Abbruch in diesem Zusammenhang gleichbedeutend mit
dem sofortigen Prozessende ist, handelt es sich bei Kommunikationsbarrieren um
Hindernisse, "die den Transmissionsprozess erschweren oder verlangsamen" (Theis
1994, 29). Bei Letzterem sind jedoch weniger kulturelle, soziale oder psychische
Hindernisse, sondern vielmehr beschränkte Informationsverarbeitungskapazitäten des
Gehirns gemeint. Hier wird auch die Nähe zu der kognitiven Psychologie und der
Forschung der Künstlichen Intelligenz deutlich. "Ob nun der Sender und/oder
Empfänger ein technisches System (etwa ein Computersystem) ist oder aber ein
menschliches Individuum, macht dabei – zumindest prinzipiell – keinen Unterschied"
(Lenke/Lutz/Sprenger 1995, 235). Beide werden als unterschiedliche Materialisationen
ein und derselben basalen Maschine gesehen32. "Die Sender-Maschine bestimmt die zu
übertragende/transportierende Information, enkodiert 'Bedeutung' in 'Zeichen-
sequenzen', die Empfänger-Maschine dekodiert lediglich diese Bedeutung aus diesen
Zeichensequenzen“ (Lenke/Lutz/Sprenger 1995, 235). Die dabei stattfindenden
Operationen des Enkodierens und Dekodierens werden als komplementäre Informa-
tionsverarbeitungsprozesse verstanden, "die am besten im Rahmen eines funktionalen,
algorithmischen Modells beschrieben werden können" (Charlton 1996, 79). Die
Dynamik des Informationsverarbeitungsprozesses im Rahmen des Transmissions-
modells findet ihren Niederschlag in der Analyse der Transformation von
Informationen bei ihrer "Wanderung" durch den Kanal33. Die mechanistische
Perspektive evoziert verschiedene Methaphern der Kommunikation, die zum selten
reflektierten Standardrepertoire der (wirtschafts-) wissenschaftlichen Theorie und
Praxis avancierten.
Die Kontroll-Metapher
Versteht man Kommunikation als Austausch von Informationen, so ist dieser
Austauschprozess dadurch gekennzeichnet, "dass ein Sender eine Kommunikations-
botschaft über einen Kommunikationskanal an einen Empfänger richtet, was dann eine
bestimmte Kommunikationswirkung hervorruft" (Homburg/Krohmer 2003, 622).
Geschäftsberichte sollen daher „Wirkungen erzielen, die über die reine Information
über das vergangene Geschäftsjahr hinausgehen“ (Piwinger 1997, 23). Deutlich wird
bei dieser Definition die Direktionalität der Kommunikation: "Messages flow from
one person or communicator to another in a specific direction, implying some impact
on the receiving end" (Fisher 1978, 113). Die Generierung einer Gemeinsamkeit
impliziert also – anders als man vielleicht auf den ersten Blick vermutet – keine

32
In diesem Sinne spricht Zschocke (1995, 72) von dem Menschen als universellem Code-Wandler: "Er wandelt
z.B. beim Sprechen die von seinem Gehirn (als Sender) via Nervenbahnen (Kanälen) kommenden elektro-
chemischen Impulse (Träger) in Bewegungen des Sprechapparates, d.h. in mechanische Impulse (Träger), und
diese wiederum in Schallwellen (Träger) um, die dann in dem Kanal 'Luft' transportiert werden können".
33
Auf die zentrale Bedeutung der Transformation für den Informations-Transfer macht auch Zschocke (1995)
aufmerksam.

56
kommunikative Symmetrie zwischen Sender und Empfänger. Es handelt sich vielmehr
um eine hierarchische Beziehung, bei der allein der Sender bestrebt ist, seine Ziele zu
realisieren. Bemühungen, Kommunikationsprozesse im Hinblick auf Informations-
übermittlung zu verbessern, setzen folgerichtig an der Person des Senders an, der mit
Bezug auf seine Informations-, Manipulations- oder Beeinflussungsabsichten die
Botschaft entsprechend gestalten soll.
Konstitutiv für die "gezielte Beeinflussung der Nachfrager" (Wöhe 1996, 694) ist
hierbei die Vorstellung vom Kommunizieren als technischem Konstruieren. Der
Kommunikationsprozess ist gemäß den Komponenten (Sender, Empfänger,
Signalübermittlung etc.) zu zerlegen, diese separat zu optimieren und so dann
aufgrund linearer Kausalitätsannahmen zusammenzusetzen, um sie schließlich im
Sinne einer "well-oiled machine" (Fisher 1978, 115) zielgerichtet zu funktiona-
lisieren34. Als wirksam oder effizient stellt sich im Rahmen eines solch kausal-
analytischen Vorgehens die Kommunikation dann dar, "wenn der Sender seine, mit
dem Unternehmensziel übereinstimmenden Absichten realisieren kann und der
Empfänger diesen Intentionen nachgibt" (Theis 1994, 33). Die Gleichsetzung von
Senderintention und Kommunikationseffizienz führt zu einer klaren Forschungs-
fokussierung. So erweisen sich kommunikationspolitische Maßnahmen dann als
erfolgreich, wenn sie dazu dienen, „die eigenen Aktien möglichst optimal zu
vermarkten“ (Winkler/Ewenz-Sandten 2001, 1169). Im Zentrum steht die Entwicklung
effizienzversprechender Kommunikationstechniken. Die Bewertung in "gute" und
"schlechte" Kommunikation bemisst sich letztlich an den Kontrollpotentialen, die mit
dem Einsatz der Techniken für den Sender verbunden sind (Krippendorf 1994).
Die Container-Metapher
Informationen werden als quasi materielles Substrat betrachtet, das durch
Kommunikation übermittelbar bzw. übertragbar ist35. Die Finanzkommunikation wird
so etwa „als Vehikel gesehen, die interne Wertschaffung an externe Adressaten zu
vermitteln“ (Achleitner/Bassen 2001, 4). Mitteilungen haben in dieser Lesart den
Charakter greifbarer Dinge mit räumlichen und physikalischen Eigenschaften (Theis
1994). In diesem Sinne bezeichnet Zschocke (1995, 67) unter Zeichen oder Symbol
"eine räumlich und zeitlich abgegrenzte Menge an Materie und Energie ... , der eine
Bedeutung zugeordnet ist. Die Menge an Materie und Energie eines Zeichens wollen
wir einen Zeichenträger oder ein Signal und die Bedeutung, die einem Zeichenträger
oder einem Signal zugeordnet ist, wollen wir eine Nachricht nennen". Deutlich wird in
dieser Aussage, dass Botschaft und ihr Inhalt als unterschiedliche Entitäten aufgefasst

34
Beredtes Beispiel für das mechanistische Kommunikationsverständnis ist die – insbesondere mit dem Einsatz
neuer Informations- und Kommunikationstechnologien verbundene – (Wunsch-) Vorstellung , dass
Informationen schnell und exakt an diejenige Stelle weitergeleitet werden, wo sie benötigt werden (z.B. Wöhe
1996; Erichson/ Hammann 2001).
35
Erichson und Hammann (2001) heben als herausragende Eigenschaft der Information gegenüber allen anderen
wirtschaftlichen Gütern bzw. Produktionsfaktoren ihren sehr schnellen und kostengünstigen Transport hervor.

57
werden36. Für den Container mag diese Zweiteilung noch evident sein. Das
Schreibpapier, das elektronische Signal oder der Schall besitzen eine physikalisch
messbare Existenz. Die Metapher legt aber nahe, auch Sinn und Bedeutung als
Entitäten aufzufassen (Krippendorf 1994). Die Berichterstattung hat einen positiven
Nettonutzen (Kötzle/Niggemann 2001), der Informationsstand wächst sukzessive
(Achleitner/Bassen 2001), die Finanzinformation wird nur „bruch-stück-haft“
übermittelt (Winkler/Ewanz-Sandten 2001). In diese Diktion passt sich nahtlos die
Common-Sense-Vorstellung von Information als immaterielles Gut ein, das sich
beliebig oft kopieren lässt (z.B. Reichwald 1993, Erichson/Hammann 2001). Da
Botschaften Entitäten beinhalten können, liegt es laut Krippendorf (1994, 87) nahe,
"sich auch Container in Containern vorzustellen. So werden Wörter zu Behältern von
Ideen, Briefe zu Behältern von Wörtern, Umschläge zu Behältern von Briefen, die
wiederum in Säcken verschickt werden können". Die jeweiligen Entitäten werden
somit zum Zweck, ihre Container zum Mittel der Kommunikation. Nicht zuletzt
befördert diese Zweiteilung eine Kausalitätsannahme, der zufolge Kommunikation ein
linear verlaufender Prozess ist (Merten 1999)37.
Die Metapher des Cognitive Sharing
Die Vorstellung, das Informationen "Container für Entitäten" sind, führt geradewegs
zu einer weiteren Methapher von Kommunikation als etwas, das den Kommunikatoren
"zur Gemeinsamkeit wird". So bezeichnet man laut Erichson/Hamman als Kommuni-
kation „die Übertragung von Informationen zwischen zwei Stellen, Sender und
Empfänger, wodurch diese gemeinsam der Information teilhaftig werden (lat.
communis = gemeinsam)". Demzufolge erscheint als vordringliches Ziel aller IR
Maßnahmen, „die Teilnehmer des Kapitalmarktes, insbesondere aktuelle und
potenzielle Investoren, in solchem Maß zu informieren, dass die ‚communication gap’
zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt Öffentlichkeit geschlossen wird“ (Janik
2002, 86). Deutlich wird in der Definition ein materialistisches Verständnis von
Kommunikation (Merten 1999). Betrachtet man demzufolge das Versenden und
Empfangen von Botschaften als ein Ein- und Auspacken von Entitäten an differenten
Orten, so erscheint erfolgreiche Kommunikation laut Krippendorf (1994) an folgende
Konditionen gebunden.
1. Die versandte Botschaft muss identisch empfangen werden.

36
Die Materialität von Information bzw. Wissen wird auch in der folgenden Darstellung von Bode (1993, 276)
deutlich: "Wissen besitzt damit – als Abbildungen von Teilen der Welt – Bedeutung. Es wird von Signalen
getragen, die in einem Speichermedium ausgeprägt sind (z.B. neuronalen Erregungszustände im Gehirn,
Buchstaben in einem Buch, magnetische Zustände auf einer Diskette, Schalldruckschwankungen der Luft)".
Nach Stock (2000, 39) ist die Information "ein Gegenstand mit zwei Gesichtern. Eine Seite, das 'Signal', zeigt
den materiellen Aspekt, die andere Seite, die 'Nachricht' den Aspekt des Gemeinten bzw. Verstandenen, des
Informationsinhalts".
37
Eine zusätzliche – hier nicht weiter ausgeführte - Implikation der Entitätsannahme von Information stellt deren
additive Speicherungsfähigkeit dar. In Analogie zu den Begriffen Einkommen und Kapital konstatiert
Boulding (1966, 3): "It is certainly tempting to think of knowledge as a capital stock of information,
knowledge being to information what capital is to income".

58
2. Die Senderintention wird vom Empfänger direkt, also ohne Interpretation,
aufgenommen.
3. Derselben Mitteilung können unterschiedliche Personen denselben Inhalt
entnehmen.
„Alle diejenigen, die demselben massenmedialen Ereignis ausgesetzt sind, über
denselben Zeichenvorrat verfügen, dieselben Regeln und Konventionen benutzen,
dieselben Inhalte aufnehmen, über dieselben Sachverhalte informiert, dieselben
Mediensozialisationsprozesse durchlaufen, dieselben Weltvorstellungen entwickeln,
dieselben Wertvorstellungen vertreten – sie werden gleichartig denken und finden sich
innerhalb der Schnittmenge des Venn-Diagramms repräsentiert" (Krippendorf 1994,
88).
Kommunikation generiert demnach im Zuge des Austauschens von Informationen
Gemeinsamkeiten. Informationen, die nicht auf einen gemeinsamen Zeichenvorrat
oder eine homogene Syntax rekurrieren, gelten demgegenüber als Störungen. Diese
Restmengen tragen nicht zur Gemeinschaftsbildung bei und werden daher zumeist als
Abweichungen, Verzerrungen oder Fehlschläge gewertet. Die Vorstellung von
Kommunikation als etwas, das den Kommunikatoren "zur Gemeinsamkeit wird",
impliziert zugleich eine Verobjektivierung des Kommunikationsgegenstandes. Da jede
Information nur eine legitime Bedeutung hat, kann diese von jedem kompetenten
Kommunikationspartner auf natürliche Weise begriffen werden. Fehlerhafte Informa-
tionsübermittlung ist daher konsequenterweise auf menschliches Versagen in Form
von Fahrlässigkeit oder Vorsatz zurückzuführen (Zoschke 1995, Wöhe 1996). Der
objektive Status des gemeinsamen Inhalts der Informationen wird hierbei nicht in
Frage gestellt.
Deutlich wird somit, dass das informationstheoretische Kommunikationsmodell
zwar „explizit die materiellen und implizit auch die ’geistigen’ Vorgänge des
Zusammenspiels zweier ’Systeme’ bildet“ (Trabant 1996, 81). Nicht beleuchtet wird
hingegen ein zweites, für Finanzkommunikation nicht minder konstitutives Merkmal:
Unternehmen und Investor kommunizieren nicht nur, um miteinander in Verbindung
zu treten, sondern um „einer dem anderen etwas mitzuteilen über die Dinge“ (Bühler
1934, 24). Das informationstheoretische Modell ist somit das Abbild eines
„Miteinander-in-Verbindung-Tretens“ (Trabant 1996, 81) mit dem Ziel der
Gemeinschaftsbildung. Betrachtet wird jedoch nicht, „dass die Gemeinschaftsbildung
zu dem Zweck einer gemeinsamen Weltbemächtigung gebildet wird“ (Trabant 1996,
81). Dieser Perspektive wird im Folgenden nachgegangen, wenn auf den Referenten
innerhalb der Finanzkommunikation fokussiert wird.

3.2. Innerer Unternehmenswert und semiotische Zeichenlogik

Die Finanzkommunikation zielt darauf ab, die Lücke zwischen dem wahren und dem
wahrgenommenen Unternehmenswert zu schließen (Fischer 2003). Bezugspunkt aller
kommunikativen Aktivitäten ist somit der „true and fair view“ (Houghton 1987;

59
Winkler 1994) auf den inneren Wert eines Unternehmens. Denn nur, wenn es der
Finanzkommunikation gelingt, „ein umfassendes Verständnis für den Wert eines
Unternehmens herzustellen“ (Winkler 1994, 233), kann sich diese als Werttreiber
profilieren (Weber-Henschel 2002). Die Darstellung des Unternehmenswertes in
seiner ganzen Komplexität führt die IR-Abteilung direkt in eine kommunikative
Zwickmühle. Einerseits sind die Informationen so aufzubereiten, dass nichts mehr an
die dokumentarische Finanzberichterstattung vergangener Jahre erinnert. Unter dem
Slogan: "Blanke Zahlen reichen nicht, Stories müssen her und Imagewerte stimmen"
(Rolke 2000, 36), müssen die Finanz- und Rechnungslegungsinformationen in eine
medientaugliche Form transformiert werden38. Der Finanzkommunikation kommt
somit bezüglich der Rechnungslegung die Aufgabe eines „Dolmetschers“ zwischen
Revisions- und Finanzabteilung und den externen Investoren zu. „Nur wer letztendlich
die ’gleiche Sprache spricht’, wird auch in Zukunft eine Chance haben, die notwendige
Eigenkapitalbasis sicherzustellen“ (Winkler 1994, 233). Diese Transformation darf
aber andererseits nicht auf Kosten der Objektivität und des Wahrheitsgehaltes der
Informationen gehen. Denn nur „objektivierte und damit nachvollziehbare und
überprüfbare Informationen signalisieren Analysten und Investoren Glaubwürdigkeit
des Value Reporting, schaffen damit Vertrauen in die Informationspolitik des Manage-
ments und erhöhen dadurch die Effektivität des Value Reporting“ (Kötzle/Niggemann
2001, 642).
Dieser skizzierte Konflikt zwischen medientauglicher Kapitalmarktkommunikation
und wahrheitsgemäßer Wertdarstellung verweist auf ein implizites Erkenntnis- und
Kommunikationsverständnis, das „die Existenz einer vorgängigen Wirklichkeit, die in
einem prinzipiellen Entsprechungsverhältnis zum Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und
Kommunikationsvermögen des Menschen steht“, voraussetzt (Wenzel 2000, 130).
Indem Zeichensysteme wie das HGB, US Gaap oder IFRS als neutrale Werkzeuge zur
Übermittlung von Finanzinformationen konzipiert werden, stellt sich die
Transformation von buchhalterischen Daten in adressatenorientierte Informationen
primär als technisches Problem dar (Volkart 1997). Ganz gleich ob es sich um Bilder,
Photographien (Preston/Wright/Young 1995) oder Accounting Signs (Mactintosh u.a
2000, McGoun 1997) handelt, wird in der Finanzkommunikation immer eine
prinzipielle Isomorphie von Zeichen und vorgängiger Realität unterstellt. "In both our
scholarship and our society, we are wedded to the notion that the financial economy
(of money) exists for, refers to, and is meaningless without the so called real economy
(of things)" (McGoun 1997, 98). Epistomologisch und methodologisch39 stellt sich die

38
Den Einsatz von Visualisierungen und Bildern im Rahmen von Geschäftsberichten bezeichnet
Preston/Wright/Young (1996, 119) als Strategie „to produce ‚reader friendly’ annual reports in which the
avowed intention is to encourage the viewer to read the text and view the images by making the text and
images easily accessible“.
39
Laut Macintosh (2003) folgt die traditionelle Accounting-Forschung hierbei der Popperschen (1978)
„language - as -picture theory“ (Macintosh 2003, 455)-Methodologie, „whereby language and mathematics are

60
Beziehung zwischen Zeichen (z.B. Einnahmen) und Referenten (z.B. Güterbündel) als
unproblematischer Abbildungsprozess dar. Lediglich die modellgeleitete "Verar-
beitung" der Zeichen, beispielsweise in Form einer Ertragsermittlung, erweist sich als
schwierig. Offensichtlich wird dieser ontologische Realismus in dem permanenten
Verweis auf die Notwendigkeit einer transparenten Berichterstattung. Nicht zuletzt der
aktuelle Governance Kodex ist ein beredtes Beispiel für den Wunsch nach einem
"cultural change, rewarding those who practise greater transparency and punishing
those who don't" (Levitt zit.n. Macintosh u.a. 2000). Mag sich der true and fair view
auf den inneren Unternehmenswert mehr als normatives Postulat denn als realistische
Handlungsdirektive erweisen, so werden doch Wissenschaft und Praxis nicht müde,
darauf zu verweisen, "that accounting signs should correspond to some underlying,
objective and independent reality that would be the standard for judging the fidelity of
the signs" (Macintosh u.a. 2000)40.
Die unterstellte Isomorphie von Zeichen und Realität basiert zumeist auf der
gängigen Vorstellung (z.B. Morris 1946), der zufolge eine dreistellige Relation den
Prozess der Zeichenverwendung beschreibt41.

Abbildung 8: Schema dreistelliger Zeichentheorien.


Quelle: Eco (1977, 30)

Die untere linke Ecke des Dreiecks, das Zeichen oder Signifikant, markiert die
Position, an der man sich ein konventionelles, also kulturell festgelegtes Zeichen,
vorzustellen hat, etwa das Zeichen "Fabrik". "Eng hiermit verbunden erscheint an der
Spitze der Pyramide diejenige kognitive Funktion, über die jemand verfügen muss, der
ein Zeichen deuten bzw. korrekt verwenden kann" (Wenzel 2000, 132). Diese
Position, das Signifikat, wird häufig in der Betriebswirtschaftslehre als "Widerspiege-
lung" (Wessling 1991), "Abbildung" (Bode 1997) oder "Modell" (Zschocke 1995)42

deemed to be neutral tools used during the process of discovering the underlying structures that organize social
reality and morality“.
40
In ähnlicher Weise argumentiert auch Schredelseker (2002, 272) in einer informationsökonomisch orientierten
Einführung in die Finanzwirtschaft. Finanzwirtschaftliche Entscheidungen werden zwar stets auf der Basis
einer subjektiven Problemsicht gefällt. Gleichwohl haftet den zugrundliegenden Informationen etwas
Objektives an: “Information als eine Aussage über die wahre, objektive Welt, sofern sie für eine anstehende
Entscheidung von Relevanz ist“.
41
Im Folgenden siehe Wenzel (2000).
42
Zschoke (1995, 58) beschreibt den dahinter liegenden Abbildungsvorgang am Beispiel eines Unternehmens-
beraters wie folgt: "Angenommen, ein Unternehmensberater bekäme den Auftrag, einer Firma Verbesserungs-
vorschläge, etwa bezüglich ihres Lohnsystems, ihres Marktanteils oder ihres Produktions-ergebnisses, zu
machen. Was wird der Unternehmensberater tun?

61
verstanden43. Möchte man einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Menschen
den Signifikanten "Fabrik" deutlich machen, so muss man ihm das zugehörige
Signifikat durch den Einsatz anderer, ihm bekannter Signifikanten vermitteln. So
könnte man ihm beispielsweise eine Zeichnung machen oder eine sprachliche
Umschreibung wählen. Die untere rechte Ecke markiert die Stelle des Referenten.
Hierbei handelt es sich um den Sachverhalt in der Welt, der mit dem Signifikat
intendiert ist. Für das Beispiel der Fabrik bedeutet dies entweder eine bestimmte oder
auch alle Fabriken auf der Welt. Die durchbrochene Linie zwischen Signifikant und
Referent verweist auf die Unschärfe und Ambiguität in der Beziehung zwischen den
beiden Relationen. Signifikanten besitzen keinen generischen Bezug zu einem
Referenten. Insofern ist die Zuordnung zwischen externer Tatsache und sprachlichem
Zeichen arbiträr. Ob man eine produzierende Organisation als factory oder Fabrik
bezeichnet, ist letztlich eine Frage der gesellschaftlichen Konvention. "Nur über diese
Zuordnung 'Symbolkraft zu Zeichen' kann Uneinigkeit bestehen, aber nicht über das
eigentliche Repertoire an Symbolkraft" (Franck 1991, 90). Ganz gleich, ob US-GAAP,
IFRS oder HGB, hat man sich in einer Gemeinschaft einmal auf dasselbe
Zeichensystem geeinigt, so transzendiert die Denotationsbeziehung zwischen diesem
Zeichen und der externen Welt jedes Bewusstsein bzw. jeden Geist dieser
Gemeinschaft (Franck 1991)44.

Um seinen Auftrag auszuführen, dürfte der Berater zunächst darum bemüht sein, sich über das Lohnsystem,
das Marketingkonzept oder über den Produktionsablauf der betreffenden Firma zu 'informieren' . Er wird
Erkundigungen einholen, Firmenunterlagen prüfen, Befragungen vornehmen und manches mehr. Er wird
bestrebt sein, sich von seinem Untersuchungsobjekt 'ein Bild zu machen'. Er wird versuchen, das Objekt, das
er zu analysieren hat, zu beschreiben. Das Resultat dieses Beschreibens wollen wir ein Bild oder ein Modell
und den Vorgang des Beschreibens einen Abbildungsvorgang nennen."
43
Jenseits eines Beobachtungsrelativismus wird der Realitätsbezug des Modellierens in der folgenden Aussage
von Juchem (1985, 24) deutlich: "Allerdings geht die Vorstellung dahin, dass im Erkenntnisvorgang Modelle
als Mittel der Erkenntnisgewinnung eingesetzt werden. Ein Modell ist dann ein System, das ideell oder
materiell ein Erkenntnisobjekt widerspiegelt oder auch vereinfacht nachbildet, um so in einer
Vertreterfunktion Aussagen über das Objekt selber zu ermöglichen. Modelle werden also im wissen-
schaftlichen Widerspiegelungsprozess als Mittel eingesetzt, um Aussagen über die objektive Realität machen
zu können."
44
Auf die vermeintliche Unhintergehbarkeit der Denotationsbeziehung bezieht sich auch Eco (1977, 29),
insofern er anmerkt, dass man nicht sehr scharfsinnig sein muss, "um gleichzeitig zu sehen, dass der Referent
vorläufig auf die bequemste Weise einer Erfahrung Rechnung zu tragen erlaubt, die wir jeden Tag machen:
dass wir, wenn wir mit Zeichen arbeiten, zumeist der Ansicht sind, damit Dinge zu bezeichnen".

62
4. Unternehmen, Kommunikation und Information: ein Zwischenfazit
In seltener Einmütigkeit bewerten Praxis und Wissenschaft die Finanzkommunikation
von börsennotierten Unternehmen als zentral für den Unternehmenserfolg. Längst ist
die Zeit vorbei, in der die Finanzkommunikation als lästiges Übel wahrgenommen
wurde. Als „weicher Faktor“ wird ihr vielmehr eine feste Position im Wertkreislauf
der Unternehmensentwicklung eingeräumt. Als solche ist insbesondere die
Kommunikation mit Meinungsbildnern (Journalisten, Analysten) und institutionellen
Investoren zu einer orginären Aufgabe des Unternehmensvorstands geworden. Auf
Hauptversammlungen, Pressekonferenzen und Roadshows sowie bei Einzelgesprächen
und Unternehmenspräsentationen versuchen die Top-Manager, die Analysten,
Journalisten und institutionellen Anleger im persönlichen Gespräch zu überzeugen und
in ihrem Sinne zu beeinflussen. Neben der face-to-face-Kommunikation gewinnen
zusehends massenmediale und digitale Kommunikationsformen an Relevanz. Sie
ergänzen und überlagern teilweise die traditionellen Formen der Informationspolitik
wie Geschäftsberichte, Aktienbroschüren oder Aktionärszeitungen. Keine Unter-
nehmenspräsentation kommt heute ohne einen digitalisierten Geschäftsbericht aus, der
dann in unternehmensspezifischen Chatrooms von den Anlegern diskutiert werden
kann.
Mehr noch als bei der persönlichen Kommunkation werden mit dem zugrunde
liegenden abbildtheoretischen Sprachverständnis die Grenzen der digitalisierten
Kommunikation deutlich. Dieses Verständnis bildet quasi die Bruchstellen des
Siegeszuges der Finanzkommunikation. Denn Sprache und der Prozess sinnvollen
Sprechens sind ungleich komplexer und voraussetzungsreicher, als dies zumeist in der
naiven betriebswirtschaftlichen Sichtweise von sprachlicher Kommunikation zum
Ausdruck kommt. Diese betrachtet Sprache lediglich „als Transformationsmittel für
Information, die eine objektive Realität widerspiegelt. Einzelne Wörter und ganze
Sätze beziehen sich auf Dinge, deren Existenz unabhängig von der Handlung des
Sprechens angenommen wird“ (Winograd/Flores 1989, 90). Sprache und
Informationen werden mithin als Entitäten unterschiedlicher Sphären begriffen.
Letztere werden als materielles Substrat betrachtet, das durch sprachliche
Kommunikation transferierbar ist. Sie nehmen im Rahmen des Transfers jedoch nicht
die Form des jeweiligen Zeichensystems an. Informationen werden in einen
sprachlichen Kode "übersetzt", der die Information in keiner Weise verändert. Das
Zeichensystem Sprache dient – wie die Container-Methapher verdeutlicht – alleine als
Transportvehikel für die zu befördernde Information. Evident ist hier die
cartesianische Trennung zwischen res cogitans (Information, Bedeutung) und res
extensa (Sprache, Zeichensystem).
Mit Begriffen wie Informationstechnologie und Kommunikationsinstrumenten und
deren gesamten Begriffswelten wird permanent suggeriert, dass es sich bei Texten –
wie etwa Geschäftsberichten, Aktienbroschüren oder Aktionärszeitungen – um
unabhängige, in sich sinnvolle Entitäten handelt. Wie eigene Textdateien lassen sie
sich beliebig manipulieren, speichern, bearbeiten, multiplizieren und Dritten
vermitteln (Rüegg-Stürm 2001).
Den Sendern und Empfängern der Finanzkommunikation ist jedoch selten bewusst,
dass solche Texte keine Informationen, sondern bestenfalls interpretationsbedürftige
Rohdaten enthalten. „Solange die Kontextentwicklungen und das darin verkörperte
Kontextwissen von Sender und Empfänger gewissermaßen kompatibel sind, darf
erwartet werden, dass das jeweilige Anschlussverhalten des Empfängers auch den
Erwartungen des Senders entspricht“ (Rüegg-Stürm 2001, 52).
Je unterschiedlicher die systemspezifischen Kontextentwicklungen sind, desto
größer ist das Risiko, dass das Anschlussverhalten des Empfängers nicht mehr
konform mit den Erwartungen des Senders einhergeht. Erweisen sich demnach die
organisationsspezifischen Wirklichkeitsordnungen von Industrieunternehmen und
Investmentbank als inkompatibel, so prallen unterschiedliche Erfahrungen, Erwar-
tungen, soziale Alltagspraktiken, Problemdefinitionen, Interessen usw. in der
Kommunikation aufeinander und können zu Sinnabbrüchen führen.
Wissenschaft und Praxis reagieren zumeist auf solche Bruchstellen mit einer
Strategie des „Mehr desselben“ (Watzlawick/Weakland/Fisch 1974). „Man schreibt
nochmals, man intensiviert die Kommunikationsveranstaltungen, man schafft
zusätzliche Publikationsorgane, die Prospekte werden immer farbiger, und der
Manipulationsverdacht nimmt entsprechend zu“ (Rüegg-Stürm 2001,52). In der Folge
wird das Rauschen der Finanzkommunikation immer lauter und diffuser, ohne dass
hierbei die Verständigung verbessert wird. Unerkannt bleibt hierbei zumeist der
implizite Rekurs auf differente Kontexte. Ausgespart wird häufig auch die Frage nach
einem angemessenen Mitteilungsverhalten. Begründet sind diese Defizite durch ein in
der manageriellen Unternehmenspraxis wie in der deskriptiven Betriebswirtschafts-
lehre dominerendes alltagstheoretisches Verständnis von Kommunikation und
Sprache, das sich auf die zum Technischen tendierende objektivistische Übertragungs-
metapher reduziert.

64
TEIL B: Theoretische Zugänge Investor/Unternehmens-Interaktion
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die Investor/Unternehmens-Interaktion aus
unterschiedlichen theoretischen Perspektiven zu beleuchten und das spezifisch Soziale
dieser Interaktion herauszuarbeiten. Die weiteren Ausführungen orientieren sich dabei
an der Argumentationslogik des dominanten organisationstheoretischen Paradigmas
zur Erklärung der Investor/Unternehmens-Interaktion. Es handelt sich hierbei um die
Neue Institutionenökonomie und hier im Speziellen um die Prinzipal-Agenten Theorie.
Diese bildet quasi die strukturelle Folie, vor der die Argumentation abläuft. Zunächst
werden in Kapital 1 die Grundlagen für die organisationstheoretische Analyse der
Investor/Unternehmens-Interaktion gelegt, indem Aufbau und Funktionsweise der
Organisation im Allgemeinen und der Kapitalgesellschaft im Besonderen aus
ökonomischer Perspektive erläutert werden. Im Ergebnis erweist sich aus institu-
tionenökomischer Sicht die Vertragsbeziehung zwischen Topmanagement und
Investoren als zentrale strukturelle Grundlage für die Investor/Unternehmens-
Interaktion. Das Wesen dieser (Vertrags-)Beziehung, die hieraus resultierenden
Probleme und – vor allem – deren mögliche Lösungen stellen den Gegenstand der
weiteren Argumentation dar. Aus Sicht der Prinzipal-Agenten Theorie erwachsen aus
der Vertragsbeziehung primär zwei Probleme für den Investor. Zum einen werden
Informationsasymmetrien zwischen Anteilseignern und Topmanagement unterstellt,
die durch entsprechende Informationstechnologien behoben werden sollen. Zum
anderen werden divergierende Interessen zwischen beiden Gruppen angenommen, die
den Einsatz bestimmter Anreiz- und Kontrolltechnologien nötig machen. Während die
Darstellung in Kapitel 2 darauf zielt, Informationstransfer und -genese aus unter-
schiedlichen theoretischen Perspektive in den Blick zu nehmen, wird in Kapital 3
versucht, das Problem der Kooperation zwischen institutionellen Investoren und dem
Topmanagement angesichts divergierender Interessen in den Blick genommen. Das
Ziel dieses Kapitels besteht darin, die Handlungsmotivationen der Interaktionspartner
– Aktionäre und Unternehmensmanagement – als Ergebnis und Bedingung der
sozialen Interaktionsprozesse zu explizieren.

1. Die Investor/Unternehmens-Konstellation aus ökonomischer


Perspektive
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die Grundlagen für die organisationstheore-
tische Analyse der Investor/Unternehmens-Interaktion zu legen, indem Aufbau und
Funktionsweise der Organisation im Allgemeinen und der Kapitalgesellschaft im
Besonderen aus ökonomischer Perspektive erläutert werden. Ausgangspunkt der
Argumentation ist die Darstellung des neoklassischen (1.1.1) und hierauf aufbauend
des institutionenökonomischen Markt- und Organisationsverständnisses (1.1.2). Daran
anschließend wird aus institutionenökonomischer Perspektive mit der Trennung von
Eigentum und Kontrolle eine Besonderheit der Kapitalgesellschaft behandelt (1.2.1).
Expliziert werden die daraus resultierenden Zielkonflikte zwischen Topmanagement
und Anteilseignern anhand unterschiedlicher Managermodelle (1.2.2). Mit Bezug auf
die dargestellten Ziekonflikte erweist sich die Beziehung zwischen Topmanagement
und Anteilseignern letztlich als eine Prinzipal-Agenten Konstellation (1.2.3).

1.1. Markt und Organisation in der ökonomischen Theorie

1.1.1. Das neoklassische Markt- und Organisationsverständnis

Der Begriff Markt bezeichnet das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Es
handelt sich hierbei um eine institutionalisierte Form von Austauschbeziehungen.
Indem der Markt die Pläne der einzelnen Akteure koordiniert und ihre Erwartungen
zur Deckung bringt, werden Wünsche in Realitäten transformiert. Diese Form der
Abstimmung, von dem Klassiker Adam Smith seinerzeit als „unsichtbare Hand“
apostrophiert, bildet den Kern klassischer Theoriebildung. Marktwirtschaftliche
Abstimmungsprozesse basieren auf „spontanen“ Handlungen der Marktakteure. Indem
Letztere individuell ihren Nutzen maximieren, kommt es auch gesamtgesellschaftlich
zu einem Nutzenzuwachs. Als „unsichtbare Hand des Marktes“ koordiniert das
Preissystem effizient die Entscheidungen und das Verhalten der heterogenen
Marktakteure (Frost 2005).
Auf dieser Grundannahme fußen die neoklassische Theorie und das Denken in
Marktgleichgewichtsmodellen. Die neoklassische Grundvorstellung über die Struktur
von Wirtschaftsbeziehungen und Märkten lässt sich laut Schmidt (1990) wie folgt
charakterisieren:
Die wirtschaftliche Grundbeziehung ist der Gütertausch zwischen zwei Individuen.
Letzteren sind – so die Annahme – die für sie wertbestimmenden Eigenschaften der zu
tauschenden Güter in gleicher Weise bekannt. Im Zuge der Gutsdefinition ist also ein
Tausch aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung ausgeschlossen. Ein Tausch
findet nur dann statt, wenn „A das Gut, das er von B eintauscht, höher schätzt als seine
Gegenleistung, und umgekehrt“ (Schmidt 1990, 18).
Der Markt funktioniert annahmegemäß friktionslos und transaktionskostenfrei. Jeder
Tausch, der sich gemessen an Präferenzen und Gutseigenschaften als vorteilhaft
erweist, kommt zustande. Angenommen wird weiterhin die Existenz einer
polypolistischen Marktstruktur. Es liegen Gleichgewichtspreise für alle Güter mit den
üblichen Konvexitätseigenschaften von Technologien und Präferenzen vor. Jeder
Marktakteur ist Price Taker. Die Situation ist für ihn so, „dass er von einem
bestimmten Gut mehr kaufen bzw. verkaufen kann, wenn er mindestens den Markt-
Gleichgewichtspreis zu bezahlen bereit ist bzw. höchstens den Markt-Gleichge-
wichtspreis verlangt“ (Schmidt 1990, 18).
Die Charakteristika eines allgemeinen Marktgleichgewichtes sind erstens, dass
sämtliche Marktakteure ihr individuelles Optimum oder Gleichgewicht erreichen.

66
Zweitens befinden sich alle Gütermärkte im Gleichgewicht und werden geräumt.
Drittens existiert ein eindeutiges Gleichgewichtspreissystem. Unter der Restriktion
gegebener Anfangsausstattungen und Technologien ist jedes allgemeine
Marktgleichgewicht „ein Pareto-Optimum, und umgekehrt ist jede pareto optimale
Allokation ein Marktgleichgewicht relativ zu einer bestimmten Anfangsausstattung“
(Schmidt 1990,19).
Die skizzierte Grundvorstellung hat in ihrer kapitalmarkttheoretischen Reformu-
lierung bis heute nachhaltigen Einfluss auf die Kapitalmarktforschung. Im Hinblick
auf die hier interessierende Beziehung zwischen institutionellem Anleger und
nachfragendem Unternehmen sind es primär zwei Konzepte, die für die weitere
Diskussion relevant sind:
z Die Effizienzmarkthypothese von Fama (1970; 1976)
z Das Seperationstheorem von Fisher (1930).
Ein effizienter Kapitalmarkt ist ein Markt, auf dem Informationen effizient verarbeitet
werden (Sapusek 1998). „In general terms, the ideal is a market in which prices
provide accurate signals for resource allocation: that is, a market in which firms can
make production investment decisions, and investors can choose among the securities
that represent ownership of firms’ activities under the assumption that security prices
at any time ‘fully reflect’ all available information. A market in which prices always
‘fully reflect’ available information is called ‘efficient’ ” (Fama 1970, 383). Da
annahmegemäß alle Informationen zeitnah und rational in die Preisbildung von
Wertpapieren einfließen, kann es im Falle informationseffizienter Märkte keine
fehlbewerteten Anlagen geben. Stets gilt das Motto: „you pay what you get for it“
(Spremann 1996, 699). Eine Anlagestrategie, die systematisch höhere Anlageerträge
als eine sachgemäß zu definierende Normalverzinsung erzielt, ist demnach unmöglich.
Fama (1970; 1976) unterscheidet drei Stufen der Effizienz:
z Schwache Informationseffizienz ist gegeben, wenn kein Investor auf Grundlage
vergangenheitsgerichteter Informationen (Kurs- und Renditeverläufe) eine
Überrendite realisieren kann.
z Semistarke Informationseffizienz ist gegeben, insofern kein Anleger auf
Grundlage sämtlicher öffentlich zugänglicher Informationen eine Überrendite
realisieren kann.
z Starke Informationseffizienz liegt vor, wenn keine Informationen existieren, auf
Grundlage derer ein Investor eine Überrendite realisieren kann45.

45
In einem späteren Aufsatz hat sich Fama (1991) bei der Definition der abgeschwächten Informationseffizienz
stark institutionenökonomischen Positionen angenähert. Mit Bezug auf Jensen (1978) besagt die
abgeschwächte Hypothese, “that prices reflect information to the point where the marginal benefits of acting
on information (the profits to be made) do not exceed the marginal costs” (Fama 1991, 1575).

67
Mag es auch eine Reihe von empirisch gut belegten Ineffizienzen auf Kapitalmärkten
geben, so ist im Grunde „die EMH zumindest in akademischen Diskussionen die
‚herrschende Lehre’“ (Schmidt 1990, 14).
Ein zweites zentrales Ergebnis neoklassischer Finanzierungstheorie stellt Fishers
Separationstheorem dar. Das auf Fisher (1930) zurückgehende Theorem besagt, dass
man unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarktes die Entscheidungen über
Realinvestitionen und Entscheidungen über Konsumpläne unanhängig voneinander
fällen kann. Dieses Theorem hat nun weitreichende Implikationen. Zum einen können
Entscheidungen über Realinvestitionen delegiert werden. Zwischen mehreren
Finanziers, die ein gemeinsames Realinvestitionsprojekt durchführen wollen, herrscht
zum anderen auch bei divergierenden Zeitpräferenzen Konsens bezüglich der
Vorteilhaftigkeit einer Investition. Jenseits individueller Interessen stellt mithin der
Nettobarwert als präferenzfreie Bewertungsregel ein allgemeinverbindliches
Vorteilhaftigkeitskriterium dar (Schredelseker 2002; Kruschwitz 2004).
Die Relevanz des Theorems für die Führung von kapitalmarktnotierten
Unternehmen ist evident. Indem die Investitionsentscheidungen des Top-Managements
von den individuellen Präferenzen der Eigentümer separierbar sind, können Erstere in
ihrer Investitionsplanung präferenzunabhängig das optimale Investitionsprogramm
finden, ohne dabei die Interessen Letzterer zu verletzen. Indem das Top-Management
den Unternehmenswert maximiert, handelt es im Interesse aller Aktionäre, wie
unterschiedlich deren individuelle Präferenzen auch sein mögen. Die sehr einfache
Entscheidungsregel für das Top-Management zielt lediglich darauf ab, sämtliche
Realinvestitionen mit einem positiven Nettobarwert zu realisieren (Gerke 2001;
Schredelseker 2002; Kruschwitz 2004).
Die neoklassische Theorie zeichnet sich – wie skizziert – durch ein Denken in
Marktgleichgewichtsmodellen aus. Im Analysefokus stehen die marktlichen Tausch-
bedingungen und Koordinationsmechanismen. Ziel ist die effiziente Allokation
knapper Güter. Der Preismechanismus koordiniert alle dezentralen Aktivitäten der
Marktakteure ebenso effizient, wie es ein rationaler Entscheider mit vollständigen
Informationen bei der Aufstellung eines Plans machen würde (Frost 2005)46.
In einer so beschriebenen Marktwirtschaft gibt es keine Institutionen außer dem
Eigentum und dem Recht auf Vertragserfüllung. Insbesondere die Institution des
Geldes und die Institutionen der Finanzintermediäre sind überflüssig (Schmidt 1990).
Aktienanalysten wären arbeitslos, da auf informationseffizienten Märkten das Kapital
schon effizient allokiert würde. Überhaupt führt die Annnahme vollständiger
Informationen dazu, dass die Entstehung von Unternehmen nicht erklärt werden kann.
Existent sind nur technologische Produktionsfunktionen, was Demsetz (1988) zu
folgendem Kommentar veranlasst: “(Firm) in the theory of price is simply a rhetorical

46
Hayek (1945, 527) bezeichnet die Kommunikationsleistung von Preisen innerhalb des neoklassischen Gleich-
gewichtsmodells deshalb auch ironisch als ein Wunder: „I have deliberatley used the word ‚marvel’ to shock
the reader out of the complacency with which we often take the working of this mechanism for granted”.

68
device adopted to facilitate discussion of the price system“. In neoklassischer
Perspektive sind komplexe Institutionen wie etwa Organisationen, komplexe Verträge
oder dauerhafte Wirtschaftsbeziehungen nicht nur unnötig, „sie würden auch die
Existenz (bzw. die Beweisbarkeit) des allgemeinen Gleichgewichts behindern“
(Schmidt 1990, 19).
Sind zentrale Annahmen neoklassischer Theoriebildung auch völlig unrealistisch, so
liegt doch gerade in der ihr eigenen argumentativen Stringenz eine zentrale Stärke.
Aussagen der klassischen Finanzierungslehre zu Ungleichgewichten und irrationalem
Verhalten konnten mit Hilfe der Markt- und Gleichgewichtstheorie korrigiert werden
(Schmidt 1990). Gleichwohl muss die konsequente Berücksichtigung von Markt und
Gleichgewicht nicht zwangsläufig mit einer perspektivischen Engführung für den Fall
vollkommener Finanzmärkte einhergehen. „Markets became empirically empty
conceptualizations of the forums in which exchange costlessly took place“ (Demsetz
1982, 6).
Aus dieser Engführung resultieren nämlich zentrale Schwächen der Theorie. Einen
konzeptionellen Ansatzpunkt für die Lehre vom Finanzmanagement gibt es hier
ebenso wenig wie die Option, Finanzinstitutionen konsequent zu analysieren.
Investmentbanken „erscheinen dem konsequent neoklassisch argumentierenden
Theoretiker nur als Produzenten der Dienstleistung ‚Zahlungsverkehr’“ (Schmidt
1990, 27).
Verständlich wird angesichts der genannten Schwächen das Interesse vieler
Finanzierungstheoretiker an einer Rezeption der Informationsökonomik. Diese sehen
so die Chance, Finanzmanagement und Institutionenlehre mit einer Theorie der
Finanzmärkte zu verbinden (Bamberg/Spremann 1987). An die Stelle der efficient
market hypothesis tritt die Annahme asymmetrischer Informationsverteilung. „Even a
small amount of imperfect information could have a significant effect on competitive
markets“ (Rothschild/Stiglitz 1976, 649). Unter dem Eindruck der Untersuchungen
von Grossman und Stiglitz (1980) sowie Radner und Stiglitz (1984) sind
Neoklassische Märkte allenfalls als Sonderfall konzeptionalisierbar. Dies umso mehr,
als Chade und Schlee (2002) unlängst zeigen konnten, dass unter vergleichsweise
weniger restriktiven Annahmen Möglichkeiten zur Erwirtschaftung abnormaler
Renditen existent sind. Nicht zuletzt die empirischen Evidenzen haben zu einer
Abkehr vom neoklassischen Paradigma und zu einer Hinwendung zu neoinstitutiona-
listischem Denken in Finanzierungs- und Organisationsfragen geführt. Letzteres wird
in Folgendem ausführlich vorgestellt.

1.1.2. Das institutionenökonomische Markt- und Organisationsverständnis

„...product information is the central problem of transacting, leading to all other


transaction problems...“ (Barzel 1985, 6). Diese Aussage bringt einerseits einen
zentralen Kritikpunkt an der neoklassischen Gleichgewichtstheorie auf den Punkt.
Anderseits markiert sie den Ausgangspunkt neoinstitutionalistischer Theoriebildung.

69
Die Kernannahme jeder neoinstitutionalistischen Argumentation ist die, dass „die
Ausgangssituation der Teilnehmer dieser anonymen Märkte durch die unvollkommene
Information über den Inhalt von Leistung und/oder Gegenleistung gekennzeichnet“
(Terberger 1994, 65) ist. Konzeptionalisiert die Neoklassik unvollkommene
Informationen der Marktteilnehmer immer als Unsicherheit über den Eintritt
zukünftiger Umweltentwicklungen, so sind im Neoinstitutionalismus diese primär
durch das Informations- und Transaktionsverhalten potentieller Tauschpartner bedingt.
Letzteres beeinflusst naturgemäß das Verhalten in konkreten Tauschsituationen
unmittelbar. Sind etwa die Informationen über die Ausprägung der Gegenleistung im
Rahmen eines verbindlichen Tauschangebotes unvollständig, so wirkt sich Letzteres
auf das Verhalten des potentiellen Transaktionspartners in zweierlei Hinsicht aus
(Terberger 1994).
1. Erstens ist dieses Angebot umso interessanter, je weniger ein Tauschpartner im
Gegenzug zu leisten beabsichtigt. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein
Marktteilnehmer das Angebot annimmt, der eine unterdurchschnittliche
Gegenleistung erbringt.
2. Zweitens wird jeder Tauschpartner den Lieferspielraum, dem ihm seine
Handlungsoptionen und die mangelnden Kontrollmöglichkeiten seines
Gegenübers eröffnen, in seinem Sinne nutzen. Er wird eine solche
Gegenleistung liefern, die ihm die geringsten Nutzeneinbußen verursacht.
Beide Probleme sind im Neo-Institutionalismus unter dem Adverse Selection und
Moral Hazard bekannt. Sie sind strukturell identisch. Unterschiedlich sind sie nur in
einem Punkt. Während bei dem Problem der Adverse Selection die Negativauslese auf
dem Verhaltensanreiz basiert, den ein Durchschnittsangebot auf sämtliche potentiellen
Transaktionspartner hat, geht das Problem des Moral Hazard auf Anreize zurück, die
ein Durchschnittspreisangebot auf das Verhalten eines Transaktionspartners ausübt.
Williamson (1985) subsumiert daher beide Phänomene unter der Begrifflichkeit
opportunistic behaviour. Opportunistisches Verhalten ist letztlich „die Wahrnehmung
des Rechts bzw. der Möglichkeit, zum eigenen Vorteil einen ‚harmful effect’ oder
externen Effekt auf den Transaktionspartner auszuüben, der aufgrund von
Informationsproblemen nicht internalisiert werden kann“ (Terberger 1994, 69).
Ein rationaler Marktteilnehmer wird diese Verhaltenswirkung von Preisgeboten bei
Qualitätsunsicherheiten antizipieren und sein Preisangebot entsprechend nach unten
korrigieren. Spiegelbildlich wird der Anbietende annehmen, für die gebotene Leistung
nur die geringste der möglichen Gegenleistungen zu erhalten. Der Preis kann zwar
wieder genau einem Gut zugeordnet werden. Gleichwohl reduziert sich die Bandbreite
der realisierbaren Transaktionen auf die Ebene solcher Güter, die den geringsten
Qualitätsstandard im Rahmen ihrer Güterkategorie haben. In der Folge kann – wie
Akerlof (1970) am Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes deutlich gemacht hat – aus
einem solchen Informations- und Transaktionsverhalten der Markt zusammenbrechen.
Der Koordinationsmechanismus „Markt“ als Synonym für die freiwillige spontane

70
Transaktion zwischen anonymen Tauschpartnern weist deutliche Schwächen auf.
Indem er für rationale Marktteilnehmer die Zurückhaltung von privaten Informationen
ebenso incentiviert wie deren opportunistische Ausnutzung, kann der Markttausch zum
Erliegen kommen.
Die so brachliegenden Kooperationsvorteile einer arbeitsteiligen Wirtschaft spornen
die rational handelnden Wirtschaftssubjekte an, die hierfür verantwortlichen
Transaktionshemmnisse zu eliminieren. Nötig ist hierfür eine neue Kategorie von
Gütern. Es sind Güter, die Hilfsfunktionen bei der Knüpfung und Abwicklung von
Transaktionsbeziehungen ausüben. Indem die Güter Transaktionen erleichtern oder
überhaupt erst ermöglichen und so tauschinduzierte Kooperationsgewinne erwirken,
erhalten diese einen eigenständigen Wert, welcher die Informations- und
Kommunikationsprobleme und/oder hieraus resultierende Anreizprobleme zwischen
Transaktionspartnern reduzieren kann. Diese Güter im Sinne von Handlungs- und
Verfügungsrechten markieren eine neue Gutskategorie, die sich aus einer Vielzahl
institutioneller Transaktionsarrangements zusammensetzt.
Begrenzt wird die Skala von institutionellen Transaktionsarrangements auf der einen
Seite von der Tauschvereinbarung auf einem Spot-Markt47 und auf der anderen Seite
von der hierarchischen Weisung in einer Organisation. Innerhalb der beiden
Endpunkte Markt und Hierarchie entstehen so komplexe Geflechte von
Tauschvereinbarungen, die nicht im Entferntesten mehr an den Spot Markt als die
simpelste Form des Tauschs erinnern. „Ob langfristige Lieferverträge, Franchise
Vereinbarungen oder ein Unternehmenskonglomerat oder gar ein zentral geplantes
Wirtschaftssystem – jede dieser Institutionen lässt sich als bewusste Bündelung von
Spot Märkten für Property Rights, als nexus of contracts auffassen, um je nach
Ausgestaltung jeweils unterschiedliche Verhaltenswirkungen bei den beteiligten
Partnern zu erzeugen“ (Terberger 1994, 74).
Handelt es sich bei Institutionen auch um „contractual arrangements between
principals and principals and agents, made to maximize their wealth by realizing the
gains from trade” (North 1984, 8), so sind diese Arrangements weder immer kostenfrei
noch zwangsläufig problemlösend. Komplexe institutionelle Transaktions-
arrangements mögen die tauschimmanenten Informations- und Anreizprobleme
mildern, können diese jedoch nur selten reibungslos heilen (Kräkel 2004). Mit
steigender Komplexität der Tauschvereinbarungen erhöht sich vielmehr der Einsatz
von Zeit, Geld etc., der für die Spezifizierung der Tauschvereinbarung, für die
Einigung über die Tauschkonditionen sowie für deren Kontrolle und ggf.
Durchsetzung anfällt. Güter aus der Kategorie der institutionellen
Transaktionsarrangements sind mithin nicht kostenlos „herstellbar“. Es handelt sich
vielmehr um knappe, da ressourcenbindende Güter (Terberger 1994).

47
Indem der Tausch nicht gemäß neoklassischer Annahme reibungslos funktioniert, wird die Tauschverein-
barung als Rechtebündel auf bestimmte Lieferhandlungen und damit überhaupt erst als eigenständiges Gut
sichtbar.

71
Die mit den Transaktionsarrangements verbundene Kostenkategorie wird nach
Coase (1937) als Transaktionskosten bezeichnet. Letztere sind seiner Ansicht (Coase
1937, 390) nach auch die letztendliche Begründung für die Existenz der Institution
Unternehmen: „The main reason why it is profitable to establish a firm would seem to
be that there is a cost of using the price mechanism“. Unternehmen als integrierte, in
sich arbeitsteilige Gebilde haben nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie in
ihrem Binnenbereich die aus jeder arbeitsteiligen Leistungserstellung resultierenden
Informations- und Anreizprobleme kostengünstiger lösen können, als dies bei einer
marktlichen Abwicklung möglich wäre (Picot/Dietl/Franck 2002). „Naturally, a point
must be reached where the costs of organising an extra transaction within the firm are
equal to the costs involved in carrying out the transaction in the open market …”
(Coase 1937, 394). Um diesen Kostenvorsprung zu realisieren, müssen Unternehmen
nach Coase andere Koordinationsmechanismen nutzen als der Markt. „The
distinguishing mark of the firm is the supersession of the price mechanism“ (Coase
1937, 395). An die Stelle des neoklassischen Vertrages tritt hier die hierarchische
Weisung. Letzte Weisungsinstanz ist der „Entrepreneur Coordinator“, der für
Ressourcenallokation und –abstimmung verantwortlich ist. Statt vertraglicher
Tauschbeziehungen zwischen anonymen Marktteilnehmern basieren Organisationen
auf nicht spezifizierten Arbeitsverträgen. Letztere werden als Master-and-Servant-
Beziehung mit den folgenden Merkmalen konzeptionalisiert: Die Untergebenen
(Servants) verpflichten sich einerseits, ihre Arbeitskraft in den Dienst des Entrepreneur
Coordinators (Master) zu stellen. Der Master ist andererseits berechtigt, die
Aufgabenbereiche der Untergebenen zu bestimmen und die Arbeit zu kontrollieren.
Arbeitsverträge gepaart mit Weisungsbefugnissen erhöhen die organisatorische
Flexibilität und externe Adaptionsfähigkeit. Gleichzeitig ist der Einsatz von
hierarchischen Weisungen als Koordinationsmechanismus an zwei Bedingungen
geknüpft: Erstens müssen die Vorgesetzten vollständig informiert sein, und zweitens
muss die Arbeit beobachtbar sein (Frost 2005).
Mit steigender Unternehmensgröße ist dies kaum mehr möglich, da die kognitiven
Kapazitäten des Entrepreneur Coodinators an ihre Grenzen stoßen. Deutlich wird also,
dass neben den Kosten für die Nutzung des marktlichen Preismechanismus auch
Kosten für die interne Koordination im Unternehmen in Rechnung gestellt werden
müssen. Das Organisationsproblem besteht nunmehr darin, für die einzelnen
Teilaufgaben solche Koordinationsformen zu finden, die transaktionskosten-
minimierend wirken.

1.2. Die Kapitalgesellschaft aus institutionenökonomischer Perspektive

1.2.1. Die Trennung von Eigentum und Führung

Unternehmen sind Institutionen, in denen die Ressourcen verschiedener resource


providers miteinander kombiniert werden. Im Zuge der Ressourcenkombination sollen

72
solche monetarisierbaren Leistungen entstehen, die auf den Absatzmärkten einen Preis
erzielen, der höher ist als die Summe der Alternativerträge eingesetzter Ressourcen
(Fama/Jensen 1983). Die Verbindung der verschiedenen Ressourcenbereitsteller
gleicht hierbei einem Netzwerk von Verträgen. Die Unternehmung als Rechtskonstrukt
bildet den Mittelpunkt des Netzwerkes (Jensen/Meckling 1976). Im Gegenzug für die
Ressourcenbereitstellung räumen die Kontrakte den Lieferanten fixierte Ansprüche auf
das – unsichere – Ergebnis der gemeinsam wirtschaftlichen Tätigkeit ein.
„Ausdrücklich und absichtlich oder unerkannt und unabsichtlich gewähren sie ihnen
auch bestimmte Handlungs- und Einflussmöglichkeiten“ (Schmidt/Weiß 2003, 4). Den
vertraglich fixierten Einfluss auf das Ergebnis der Ressourcenkombination stellt eine
Form der Verfügungsrechte dar. Neben dem kodifizierten Recht auf Einbehaltung der
Erträge aus der Ressourcennutzung umfassen die Verfügungsrechte das Recht zur
Nutzung der Ressource, zur Änderung der Ressourcensubstanz sowie das Recht, alle
vorstehenden Rechte auf andere zu übertragen (Schewe 2005). Da sich im Zuge einer
derartigen Übertragung die Ressourcen auf unterschiedliche Personen aufteilen, legen
die Verfügungsrechte fest, „welche Person bzw. Institution welche Handlungsmöglich-
keiten im Hinblick auf eine bestimmte Ressource besitzt“ (Schewe 2005, 51).
Überschreiten Personen bzw. Institutionen die ihnen zugestandenen Handlungs-
möglichkeiten, so definieren die Verfügungsrechte ein Sanktionspotenzial, das dem
Besitzer/Eigentümer bei der Durchsetzung seiner Verfügungsrechte gegenüber Dritten
Nachdruck verleiht.
Auf den erzeugten Produktionswert stehen nun generell jeder Partei, bis auf eine,
vertraglich fixierte Ansprüche zu. So bekommen Lieferanten des Faktors Arbeit
vertraglich fixierte Löhne, der Staat erhält gesetzlich festgelegte Steuerzahlungen, der
Fremdkapitalgeber bekommt vertraglich festgelegt Rückzahlungen und Zinsen usw..
Nach Abzug dieser Kontrakteinkommen offenbart sich das Residuum als Restgröße
(Picot/Dietl/Franck 2005). Mindestens eine Partei der Inputgeber muss nun als
Entlohnung mit diesem Residuum vorlieb nehmen. Letztlich ist dies ein Tribut an eine
Welt mit unvollkommenen Informationen. Da die Zukunft offen ist, lassen sich nicht
sämtliche Umweltentwicklungen vollständig vertraglich antizipieren48. Residual-
ansprüche sind mithin „schlicht eine Reaktion auf unternehmerisches Handeln in einer
Welt mit unvollkommenen Informationen“ (Picot/Dietl/Franck 2005, 261).
In verfügungsrechtlicher Perspektive begründen Residualansprüche unter dem
Stichwort Shareholder-Orientierung letztlich den Anspruch auf Unternehmensführung.
Hierbei dienen Unternehmen primär der Verwirklichung von Eigentümerinteressen.
Indem alle unternehmerischen Aktivitäten auf die Gewinnerzielung fokussiert sind,
haben Unternehmen letztlich nur instrumentellen Charakter. Hier schließt die

48
Als unvollständigen Vertrag bezeichnet Jost (2000, 226) eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien, „die nicht
für alle möglichen Umweltsituationen die zu leistenden Beiträge und die daraus ableitenden Ansprüche im
vorhinein im Detail präzisiert“.

73
angloamerikanische Shareholder-Value-Diskussion nahtlos an Gutenbergs Unter-
nehmenstheorie an (Witt 2003; Schewe 2005).
Begründen also Residualansprüche das Recht auf Unternehmensführung, so
zeichnen sich gerade moderne Publikumsgesellschaften dadurch aus, dass
Residualansprüche von den Koordinationsrechten abtrennbar sind. Aktionäre müssen
keinerlei Entscheidungsfunktionen in Unternehmen ausüben (Picot/Dietl/Franck
2002). Sogar einer vollständigen „Separation of Ownership and Control“
(Fama/Jensen 1983) in Form eines Aktionariats (Halter von Residualansprüchen)
respektive eines Managements (Halter von Koordinationsrechten) ist möglich. Die
Trennung von Unternehmen (Management) und Eigenkapitalgebern (Finanziers)
erweist sich laut Picot, Dietl und Franck (2002) primär aus drei Gründen als
vorteilhaft:
1. Risikodiversifikation: Da die Anteilseigner keine Managementfunktion im
Unternehmen übernehmen müssen, können sie sich auf die Risikoübernahme
spezialisieren. „Sie tun das, weil sie aufgrund der spezifischen Ausgestaltung
der Residualansprüche als Aktie über einen komparativen Vorteil im Umgang
mit dem nicht systematisch in die Verträge eingebauten Risiko verfügen“
(Picot/Dietl/Franck 2002, 284). Im Zuge einer klaren Funktionstrennung
übernehmen sie die Funktion der spezialisierten Versicherer aller anderen
Inputlieferanten, während sich etwa das angestellte Management ganz auf die
Wahrnehmung der Koordinationsrechte konzentrieren kann.
2. Spezialisierung des Managements: Das im Zuge der Spezialisierung des
Managements entstehende Entscheidungs- und Führungswissen ist für die
Steuerung komplexer Leistungserstellungsprozesse von kardinaler Bedeutung.
Die abgetrennten Residualansprüche erlauben nun die gezielte Suche nach den
besten Fachkräften für Managementaufgaben. Ohne Rücksicht auf die
Vermögensverhältnisse bzw. die Riskobereitschaft können kompetente
Fachleute berufen und bei nachlassender Leistung durch bessere Kandidaten
ersetzt werden (Picot/Dietl/Franck 2002).
3. Finanzierung unternehmensspezifischer Vermögenswerte: Unternehmens-
spezifische Vermögensgegenstände können definitionsgemäß nicht kurzfristig
auf einem externen Markt beurteilt und werterhaltend verkauft werden. Das
Unternehmen benötigt zur Finanzierung solch spezifischer Assets eine Art
Garantiekapital, das langfristig zur Verfügung gestellt wird. Ein ideales
Garantiekapital ist Aktienkapital. Es kann aufgrund der Möglichkeiten zur
Risikostreuung in großen Mengen aufgebracht werden. Sehr lange und riskante
Produktionsumwege – wie sie für innovative Großprojekte typisch sind – sind
so finanzierbar (Picot/Dietl/Franck 2002).
Die sich als zweckmäßig erwiesene Trennung zwischen Unternehmen (Management)
und Eigenkapitalgebern (Finanziers) ermöglicht es nun, das Verhältnis zwischen
Unternehmen und Investoren als Austauschbeziehung zu konzipieren.

74
y Finanzierung von Wachstum
y Kapitalisierung von Zukunftserwartungen
y Schaffung der Währung Aktie
y Implizite Informationsimpulse und Vorgaben
durch Bewertungen
y Explizite Informationen und Vorgaben durch
Eignerentscheidungen und Analystenberichte

Kapitalmarkt
Investoren und
als Austausch- Unternehmen
Finanzcommunity
beziehung

y Finanzielle Anlagemöglichkeit mit verschiedenen


Risiko/Rendite-Profilen
y Finanzielle Flexibilität der Anlage durch Zulassung
an einer Börse
y Reales Management und Organisation für
finanzielles Investitionskapital zur Nutzung realer
Investitionsmöglichkeiten
y Reale Flexibilität durch Austauschbarkeit des
Managements

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 9: Austauschbeziehung zwischen Kapitalmarkt und Unternehmen.


Quelle: Weber-Henschel (2002, 98)

Ort des Austausches ist der Kapitalmarkt. Hier vergleichen und bewerten die beiden
Parteien wechselseitig die Leistungen des Gegenübers. Hierbei werden „weitaus mehr
potenzielle Leistungen und Gegenleistungen verglichen, als die zumeist im
Vordergrund stehenden Finanzierungs-, Bewertungs- und Eigentumsfunktionen
vermuten lassen“ (Weber-Henschel 2002,98).
Leistungsangebot der Investoren
Die Investoren kapitalisieren über die Bewertung des Unternehmens nicht nur die
aktuelle Geschäftstätigkeit, sondern in längerfristiger Perspektive auch die im Hinblick
auf ein Unternehmen gesamten Zukunfts- und Wachstumserwartungen. Diese
Kapitalisierung der Erwartungen unterstützt die kurz- bis mittelfristigen Aktivitäten
einer Publikumsgesellschaft in mannigfaltiger Sicht. So verwendeten die Unternehmen
der New Economy die in den Aktienpreisen kapitalisierten Erwartungen, um damit
Mitarbeiter, Geschäftspartner oder Unternehmensaufkäufe zu bezahlen. Weiterhin
erbringen die Investoren und die Finanzcommunity Leistungen in Form von direkten
und indirekten Steuerungsimpulsen. Direkte Steuerimpulse bekommt das
Unternehmen sowohl über Aufsichtsratsanweisungen als auch durch Verlautbarungen

75
der Finanzcommunity. „Indirekt zeigt die absolute sowie relativ zur Branche sich
darstellende Aktienkursentwicklung dem Management eines Unternehmens an, wie
der Kapitalmarkt seine Entscheidungen oder den Geschäftsgang beurteilt“ (Weber-
Henschel 2002, 99).
Leistungsangebot der Unternehmen
Das Unternehmen bietet den Investoren im Gegenzug die Option, Finanzressourcen in
reale Projekte mit differenzierten Risiko- und Renditeprofilen zu investieren. Im Zuge
der Kapitalmarktkommunikation trägt das Management zum Erwartungsprofil des
Risikos und der Rendite bei. Die Erfüllung dieser Erwartungen einer entsprechenden
Fundamentalentwicklung des Unternehmens bildet dann die zentrale
Managementaufgabe. Wird die anvisierte Fundamentalentwicklung erreicht, so
erhalten die Investoren „ihre finanzielle Kompensation in Form von ausgeschütteten
Unternehmensergebnissen und/oder der Wertentwicklung ihrer Aktien“
(Weber/Henschel 2002, 99). Gleichzeitig offeriert das Unternehmen zwei Arten der
Einflussnahme auf das Unternehmen. Zum einen handelt es sich um Formen direkter
Einflussnahme. Zu nennen sind hier etwa Personalaustausch im Management oder
direkte Mitwirkung bei strategischen Entscheidungen. Während diese Option zumeist
nur von langfristig orientierten und größeren Investoren ausgeübt wird, die von ihren
Steuerungsaktivitäten Rendite erwarten, bleibt jedem Investor die Möglichkeit, über
Kauf und Verkauf der Aktien die Unternehmensentwicklung zu beeinflussen. Diese
indirekte Form der Einflussnahme ist gerade in dem kompetitiven Umfeld des
Kapitalmarkts eine wirkungsvolle Option, reale Maßnahmen im Unternehmen zu
erwirken.
Konstituiert der Leistungstausch auf den ersten Blick eine symmetrische und
weitgehend harmonische Beziehungskonstellation, so wird in institutionen-
ökonomischer Perspektive schnell ein Interessenskonflikt zwischen den
Leistungsanbietern deutlich. Grundlegend hierfür ist die Arbeit von Berle und Means
(1932). Die Autoren beobachteten im Rahmen ihrer Untersuchung eine breite
Aktiensteuerung bei zahlreichen Publikumsgesellschaften. Hierbei hielten die
Topmanager selbst nur sehr wenige Anteile ihres Unternehmens. Aus der
vergleichsweise strikten Trennung von Eigentum und Unternehmensführung leiten die
beiden Autoren einen diskretionären Entscheidungsspielraum für das Topmanagement
und einen Zielkonflikt zwischen den beiden Parteien ab. In der Folge kommt es zu
einer Abweichung vom gewinnmaximalen Verhalten durch das Topmanagement. In
der Nachfolge von Berle und Means (1932) wurden zahlreiche Managementmodelle
entwickelt, die diesen Zielkonflikt behandeln.

1.2.2. Zielkonflikte zwischen Topmanagement und Investoren

Eines der ersten Managermodelle diskutiert Baumol (1959). Seiner Annahme zufolge
orientieren sich Topmanager bei ihren unternehmenspolitischen Entscheidungen
weniger am Unternehmensgewinn als vielmehr an der Unternehmensgröße bzw. dem

76
Unternehmensumsatz. Das Topmanagement versucht hiermit, durch gesteigerte
Umsätze seinen Bekanntheitsgrad, seine Karrierechancen und seinen gesellschaft-
lichen Status zu maximieren. Dem Unternehmensgewinn kommt in Baumols Modell
(1959) nur eine untergeordnete Rolle als Nebenbedingung zu. Die Erzielung eines
Mindestgewinns ist insofern notwendig, um den Konkursfall und mithin die
Entlassung zu verhindern.
Das Managermodell von Marris (1963, 1964) geht hingegen von einer anderen
Prämisse aus. Das Management zielt hier auf die Maximierung der unternehmens-
bezogenen Wachstumsrate. Üblicherweise findet sich nicht nur eine positive
Korrelation zwischen Managervergütung und Unternehmensgröße. Auch der Einfluss
und das Prestige des Topmanagers steigen mit der Wachstumsrate. Daneben richtet
sich sein Interesse auf die Sicherung der Arbeitsplätze. Als Nebenbedingung des
Maximierungsproblems achtet das Topmanagement auf die Vermeidung eines
Konkurses. Auch darf der Unternehmenswert nicht auf ein Niveau fallen, welches eine
Unternehmensübernahme in Kombination mit einer Auswechselung des
Topmanagements induziert.
Williamsons (1963, 1964) vermutet in seinem Managermodell einen diskretionären
Entscheidungsspielraum des Topmanagements gegenüber den Aktionären, den
Ersteres für die individuelle Nutzenmaximierung ausnutzt. Annahmegemäß präferieren
Topmanager insbesondere Investitionsausgaben mit Konsumcharakter und große
Mitarbeiterstäbe. Während sich erstgenannte Präferenzen aus dem direkten Nutzen,
den beispielsweise ein Firmen-Jet oder luxuriöse Büroeinrichtung stiftet, resultieren,
begründet sich die Präferenz des Topmanagements für einen großen Mitarbeiterstab
neben der Steigerung von Macht, Status und Prestige auch aus der Reduzierung seines
Arbeitsleids und seiner Entlassungswahrscheinlichkeit.
Jensen und Meckling (1976) untersuchen die Wohlfahrtseffekte, die aus einer
externen Eigenkapital- und Fremdkapitalbeteiligung resultieren. Die Autoren konnten
zeigen, dass die externe Kapitalbeteiligung zu einer Verhaltensänderung beim
ursprünglich 100%igen Eigentümer/Manager führt. Ähnlich wie beim Williamson-
Modell, so realisiert das Topmanagement auch hier viele nichtmonetäre Vorteile und
tätigt zu viele und zu riskante Investitionen. In der Folge kommt es letztlich zu
Wohlfahrtsverlusten.
In einer weitergehenden Interpretation des Jensen-Meckling-Modells stellt Kräkel
(2004, 286) fest, dass sich „die von Jensen und Meckling diskutierte Problematik der
übermäßigen Nutzung nichtgeldlicher Vorteile bei externer Kapitalbeteiligung auch
auf den Arbeitseinsatz des Topmanagements übertragen“ lässt. Halten Topmanager
nur wenige Anteile am Unternehmen, so sei analog zu erwarten, dass sie hinsichtlich
ihres Arbeitseinsatzes geringer disponieren, als dies im Interesse der Anteilseigner ist
(Kräkel 2004). In der Folge realisieren sie einen direkten Nutzenzuwachs in Form
geminderten Arbeitsleids oder eingesparter Zeit. Hingegen tragen die Topmanager die
negativen Folgen ihres Verhaltens nur im Ausmaß der von ihnen gehaltenen Anteile.

77
Weiterhin vermutet Kräkel (2004) einen Risikokonflikt zwischen Topmanagement
und Anteilseignern. Annahmegemäß ist von einer unterschiedlichen Diversifikation
der Einkommen von Topmanagern und Anteilseignern auszugehen. Während sich das
Einkommen der Topmanager häufig durch schlechte Diversifikation auszeichnet, da
viele Einkommensbestandteile mit dem Unternehmensrisiko direkt korrelieren, ist das
Einkommen der Anteilseigner über unterschiedliche Unternehmensanteile breit
gestreut. Befindet das Topmanagement in einer solchen Lage über neue
Investitionsvorhaben, so präferiert es aufgrund seiner ungünstigen Einkommens-
diversifizierung tendenziell wenig riskante bzw. innovative Investitionsprojekte.
Aktionäre hingegen würden sich laut Kräkel (2004, 287) „nicht am Gesamtrisiko der
jeweiligen Investitionsobjekte orientieren, sondern lediglich am jeweils verbleibenden
Restrisiko eines Projektes, das trotz diversifiziertem Portfolio noch bestände“.
Schließlich lassen sich unter dem Oberbegriff Wachstumskonflikt verschiedene
Managementprobleme subsumieren. So hat bereits Marris (1964, 1964) im Rahmen
seines Managementmodells auf die Gefahr eines ineffizient großen Unternehmens-
wachstums hingewiesen. Ein ineffizientes Wachstum im Sinne eines falschen
Wachstums resultiert nach Kräkel (2004, 288) daraus, “dass Topmanager verstärkt in
solche Branchen investieren, für die sie ein Spezialwissen besitzen und dadurch
schwerer ersetzbar werden“. Weiterhin lässt sich aus der Kritik an der modernen
Bürokratietheorie ein zusätzlicher Aspekt zum Wachstumskonflikt herleiten. Vertikale
Vertrauens- bzw. Interaktionsbeziehungen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter
sind gemäß der modernen Bürokratietheorie tendenziell produktiv und somit
effizienzfördernd. Gleichwohl können sich vertikal auch kontraproduktive Vertrauens-
beziehungen ergeben. Denkbar ist etwa, dass ein Topmanager im Gegenzug für
karriererelevante Unterstützungsleistungen seine subalternen Manager mit lukrativen
Posten belohnt. Gegebenenfalls bedarf es für dieses Tauschgeschäft eines ineffizienten
Unternehmenswachstums. Solch eine Belohnung ist für den Topmanager aus
Reputationsgründen rational, da er damit implizite Verpflichtungen einlöst und so
zukünftige Investitionen anderer Akteure in Vertrauensbeziehungen mit ihm wahr-
scheinlich macht (Kräkel 2004).
Als Ergebnis der Darstellung lässt sich die Virulenz von Interessenskonflikten
zwischen Topmanagement und Anteilseignern in Publikumsgesellschaften
konstatieren. Bei entsprechendem diskretionärem Entscheidungsspielraum des
Topmanagements äußern sich die Konflikte nicht nur in Form von Umverteilungs-
effekten zu Ungunsten der Aktionäre, sondern generell in Form von Wohlfahrtsver-
lusten. Wenngleich nur eine Auswahl denkbarer Interessenskonflikte hier präsentiert
wird, so wird doch deutlich, dass (1) die Existenz von Ineffizienzen aufgrund der
„seperation of ownership and control“ (Fama/Jensen 1983) bei Publikumsgesell-
schaften plausibel ist und (2) eine theoretische Reformulierung des Konfliktes
angezeigt ist.

78
1.2.3. Die Beziehung von Topmanagement und Investoren als Prinzipal-
Agenten Konstellation

Die skizzierten Konflikte in der Beziehungskonstellation von Topmanagement und


Anteilseignern machen aus institutionenökonomischer Perspektive eines deutlich:
Ganz gleich, ob es sich um gesetzte Ordnungen, formale Organisationen oder eben
kodifizierte Tauschbeziehungen handelt, ihre Handlungsmächtigkeit entfalten
formgebundene Institutionen nur, sofern sie das Nichtwissen und Nichtwollen der
regelunterworfenen Akteure berücksichtigen. „Hierzu müssen die ökonomischen
Akteure erstens mit Informationen über ihre Rolle im Wirtschaftsprozess versorgt
werden und zweitens dazu bewegt werden, vereinbarte Rollen auch tatsächlich zu
spielen“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 27). Die Rollen resultieren aus der Verteilung von
Entscheidungs- und Verfügungsrechten, die sich im Zuge rationaler Institutionenwahl
ergeben. Der Prinzipal-Agent-Ansatz integriert nun die Aspekte des Nichtwissens und
des Nichtwollens, denn Interessenskonflikte und asymmetrische Informations-
verteilung sind zentraler Bestandteil von Prinzipal-Agenten-Beziehungen. Letztlich
beschreibt das Prinzipal-Agenten-Modell ein allgemeines Strukturmuster, das
kontextunabhängig auf hierarchische Austauschbeziehungen anwendbar ist.
„Whenever one individual depends on the action of another, an agency relationship
arises. The individual taking the action is called the agent. The affected party is the
principal” (Pratt/Zeckhauser 1985, 2).
Jensen (1983) folgend, differenziert sich die Agency-Theorie in zwei komplemen-
täre Richtungen.
Die normative Richtung, meist Prinzipal-Agenten-Theorie genannt, ist typischer-
weise mathematisch konzipiert. Sie zielt darauf ab, die Differenz zwischen dem
Nutzen des Prinzipals in einer erstbesten Lösung bei kostenloser vollständiger
Information und dem in einer zweitbesten Lösung bei asymmetrischer
Informationsverteilung opportunistischen Verhalten des Agenten sowie Unsicherheit
der Handlungsergebnisse zu minimieren. Hauptaktionsparameter der Minimierung
dieser Differenz – auch als Agency-Kosten bezeichnet – ist die Bestimmung der
Entlohnungsfunktion des Agenten.
Während die normative Richtung der Prinzipal-Agenten-Theorie durch einen hohen
Formalisierungsgrad besticht, ist die positive Agency-Theorie verbal und empirisch
orientiert. Bei Letzterer sollen Erklärungsansätze für real beobachtbare institutionelle
Arrangements zur Regelung von Agency-Problemen ermittelt werden. Hauptparameter
zur Lösung der Probleme ist die erfolgsabhängige Entlohnung der Agenten sowie die
Installation von Informationssystemen zu ihrer Überwachung. Gegenüber dem
normativen Zweig berücksichtigt dieser Ansatz eine größere Anzahl von Faktoren, die
die Wahl institutioneller Arrangements bestimmen. Nicht zuletzt deshalb bewerten
Richter/Furubotn (1996, 166) die positive Agency Theorie als „institutionell besehen
viel gehaltvoller, aber in der Darstellung weniger formal“.

79
Gemeinsam ist beiden Ansätzen das Forschungsinteresse an der Institution des
Vertrags und seiner Bedeutung für die Austauschbeziehungen zwischen den
Vertragspartnern. Hierbei trifft der Auftragnehmer (Agent) bei der Auftragsausführung
dezisive Entscheidungen, die nicht nur sein eigenes Nutzenniveau, sondern auch das
des Auftraggebers (Prinzipals) beeinflussen (Wenger/Terberger 1988). Das dabei
entstehende Vertragsverhältnis sieht auf der einen Seite den Agenten vor, der nach
Abwägung aller Handlungsoptionen den Auftrag durchführt. Für die Auftrags-
realisierung erhält er eine vorher ausgehandelte Vergütung. Auf der anderen Seite der
Vertragsbeziehung steht der Prinzipal. Er vergibt den Auftrag und erhält nach
Abschluss der Auftragsbearbeitung das Ergebnis.
Folgt man Arrow (1985, 371), so liegen der Agency-Theorie verschiedene
Verhaltensannahmen zu Grunde. So sind die Zielfunktionen des Prinzipals und des
Agenten inkongruent. Dementsprechend versuchen beide, ihren eignen Nutzen zu
maximieren. Prinzipal und Agent zeichnen sich des Weiteren durch unterschiedliche
Risikoneigungen aus. In der Folge präferieren beide divergierende Handlungsoptionen,
die letztlich in eine inhomogene Risikoteilung münden. Um dieser Problematik zu
begegnen, insinuiert die Agency-Theorie dem Prinzipal risikoneutrales und dem
Agenten risikoaverses Verhalten. Schließlich agieren die Handelnden – wie in der
gesamten Neue Institutionenökonomie – nur begrenzt rational, d.h. die ökonomischen
Akteure sind außer Stande „perfektes“ Wissen über die Welt und ihre Gegebenheiten
zu erlangen.
Neben den Verhaltensannahmen unterscheidet die Agency-Theorie drei
Informationsprobleme, denen jeweils ein bestimmtes Koordinations- und Motivations-
problem zugrunde liegt.
Im ersten Fall – Adverse Selection – besteht das Informationsproblem darin, „dass
der Principal unveränderliche (oder zumindest nicht mehr kostenlos veränderbare)
Eigenschaften, die sich auf den Agent selbst oder auf die von diesem angebotene
Leistung beziehen können, ex ante, d.h. vor dem eigentlichen Vertragsabschluß, nicht
kennt“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 88). Nicht nur können so Agenten mit unterdurch-
schnittlichen Eigenschaften diese gezielt verheimlichen. „Gute“ Agenten laufen zudem
Gefahr, ihre überdurchschnittlichen Eigenschaften nicht offenbaren zu können und
ziehen sich daher vom Markt zurück. Um das Risiko einer Auswahl unerwünschter
Vertragspartner (Adverse Selection) zu minimieren, empfiehlt die Agency-Theorie
Signalling, Screening und Self Selection.
Liegen bei Adverse Selection die Informationsasymmetrien ex ante vor, so handelt
es sich bei Moral Hazard um Informationsprobleme, die im Verlauf einer Agency-
Beziehung virulent werden. Der Prinzipal kann nach Vertragsabschluß die Handlungen
des Agenten nicht beobachten oder nicht beurteilen. Er kennt zwar das
Handlungsergebnis, „weiß aber nicht, inwieweit dieses auf Anstrengungen des
Agenten und inwieweit es auf exogene Faktoren zurückzuführen ist“
(Picot/Dietl/Franck 2002, 89). Für dieses als Moral Hazard bezeichnete Risiko des

80
opportunistischen Umgangs mit der entstehenden Informationsasymmetrie sieht die
Agency-Theorie verschiedene Instrumente vor. Hier sind neben institutionell
verankerten Anreiz- und Sanktionssystemen zur Erzielung einer Interessenskongruenz
zwischen den Parteien auch die Durchführung von Verhaltens- und Ergebniskontrollen
im Rahmen entsprechender Monitoring-Aktivitäten zu nennen (Eisenhardt 1989).
Das Hold-up-Rebus entsteht aus nicht zu verhinderndem Fehlverhalten. Es handelt
sich hierbei also nicht um eine Informationsasymmetrie zwischen Prinzipal und Agent,
sondern zwischen den Vertragsparteien und Dritten. Aufgrund spezifischer
Investitionen befinden sich die Parteien in einem Abhängigkeitsverhältnis, das ihnen
zwar erlaubt, den Opportunismus des Gegenüber zu beobachten, jedoch nicht zu
verhindern. Lösbar wäre das Problem nur, „wenn es möglich wäre, vollständige und
vor Gerichten eindeutig verifizierbare Verträge abzuschließen“ (Picot/Dietl/Franck
2002, 90). Da dies so nicht möglich ist, setzt die Agency-Theorie auf eine
Selbstbindung des Agenten, um die Beziehung in ein interdependentes Abhängigkeits-
verhältnis zu transformieren.
Analysiert man nun die Tauschbeziehung zwischen Investor und Unternehmen
respektive Management unter agencytheoretischer Perspektive, so ist die
Beziehungskonfiguration für den (potentiellen) Investor als Prinzipal mit zwei
zentralen Unsicherheitsfaktoren behaftet. Zum einen handelt es sich hierbei um die
Eigenschaften der wechselseitig zu erbringenden Leistungen. Ein weiterer Unsicher-
heitsfaktor aus Sicht des Investors stellen zum anderen die Eigenschaften des
Leistungsanbieters – hier des Unternehmens bzw. seines Managements – dar.
Die Eigenschaften der Leistung als Unsicherheitsfaktor
Wirtschaftsgüter sind bezüglich der Frage ihrer Existenz zum Zeitpunkt der
Kaufentscheidung zu klassifizieren. Alchian und Woodward (1988) unterscheiden
hierbei zwischen Austauschgut und Leistungsversprechen. Ersteres zeichnet sich
dadurch aus, „dass kein Vertragspartner, also weder Nachfrager noch
Leistungsanbieter, zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung die Möglichkeit hat, auf die
Qualität des Gutes einzuwirken“ (Sänger 2001, 163). Die Verhandlung zwischen den
Vertragsparteien fokussiert sich auf den Austausch von Eigentumsrechten. Bei
Leistungsversprechen dagegen kann der Leistungsanbieter die Qualitätsmerkmale
nachträglich beeinflussen. Vertragsgegenstand ist hier eine noch zu erstellende
Leistung. Betrachtet man nun die wechselseitigen Leistungen der Tauschparteien auf
Kapitalmärkten, so kapitalisieren die Investoren per Definition „mögliche
Zukunftserwartungen an ein Unternehmen und eine Branche früher, als das
Management diese Erwartungen erfüllen kann“ (Weber-Henschel 2002, 100). Da die
Zahlungsmittelbereitstellung durch den Investor zeitlich vor der Gegenleistung durch
das Unternehmen erfolgt, bezieht sich der mit dem Aktienkauf verbundene Anspruch
auf eine zukünftige Leistung. Aktien sind demnach Leistungsversprechen. Auch nach
der eigentlichen Kaufentscheidung bleibt das Problem insofern bestehen, als der
Investor bei jeder Halten- oder Verkauf-Entscheidung unsicher ist, ob seine

81
Leistungserwartungen erfüllt werden. Da aus Sicht des Investors die Erfüllung der
Gegenleistung zum Zeitpunkt der Kauf- bzw. Verkauf- /Halten-Entscheidung in der
Zukunft liegt, sind die Leistungscharakteristika in der Entscheidungssituation weder
determinier- noch beobachtbar. Da Veränderungen der Leistungscharakteristika neben
den exogenen Faktoren – wie etwa Marktdynamik, Gesetzesänderungen etc. – auch
dem Einflussbereich des Aktienanbieters unterliegen, erscheinen seine Leistungs-
eigenschaften als wichtiger Unsicherheitsfaktor (Sänger 2001).
Eigenschaften des Leistungsanbieters als Unsicherheitsfaktor
Die Merkmale des Personals, insbesondere die Fähigkeiten und die Qualifikationen
des Managements, sind zum Teil bereits zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung fixiert
und daher kurzfristig nicht veränderbar. Bei den fixierten Charakteristika lässt sich
zwischen ex ante beobachteten und nichtbeobachteten Eigenschaften des Leistungs-
anbieters unterscheiden. Beobachtbar sind ex ante etwa die unternehmensinterne
Aufgabenverteilung, die dokumentierbaren fachlichen Qualifikationen des Manage-
ments und Charakteristika, auf denen mittel- oder unmittelbar die Fähigkeit des
Anbieters zur Leistungserbringung basiert. Zu nennen sind hier beispielsweise das
Produktionsprogramm, die Vermögens- und Kapitalstruktur, die Besitz- und
Beteiligungsverhältnisse, die Kundenstruktur, die Aufwendungen für Forschung und
Entwicklung. Bei ex ante nichtbeobachtbaren Charakteristika handelt es sich etwa um
die Fähigkeit des Leistungsanbieters, krisenhafte Situationen zu meistern. Diese sind
entweder erst im Nachhinein – z.B. bei Unternehmenskrisen, deren Lösung alleine auf
die Fähigkeiten des Managements deduzierbar sind – oder überhaupt nicht – etwa bei
Krisensituationen, deren Überwindung auch auf exogenen Faktoren basiert –
beobachtbar. „In diesem vor allem für viele ’Skills’ der Manager geltenden Fällen
stellen die Fähigkeiten des Leistungsanbieters fixierte verdeckte bzw. fixierte
verborgene Charakteristika dar“ (Sänger 2001, 169-170).
Von den fixierten Charakteristika des Leistungsanbieters unterscheidet die
Institutionenökonomie (Kaas 1992; Woratschek 1996) variable Eigenschaften. So sind
etwa die Motivationen und die Handlungen des Leistungsanbieters in der
Entscheidungssituation des Investors noch nicht determiniert und können daher
Veränderungen unterliegen. Eine Vereinheitlichung der Handlungen des Leistungs-
anbieters ist nicht nur unmöglich, sie wäre auch mit Blick auf die Unternehmens-
führung schlicht dysfunktional. Wie Mintzberg (1994) belegt, folgt die Strategie-
entwicklung in Unternehmen nicht standardisierten Planungen. Während Planung stets
mit Analyse zu tun hat, geht es bei echtem strategischen Denken „um Synthese, um
Intuition und Kreativität, um die Entwicklung eines zusammenhängenden,
perspektivischen Bildes vom Unternehmen, einer nicht unbedingt restlos präzisen
Vision seines künftigen Weges“ (Mintzberg 1994, 10). Da Strategiebildung und –
umsetzung nicht in einem linearen, sondern – wie Ortmann und Zimmer (2001)
betonen – in einem rekursiven Konstitutionszusammenhang stehen, ist letztlich eine
Projektion von erfahrenen auf zukünftige Entscheidungssituationen unmöglich.

82
Kann der Investor die Handlungen des Leistungsanbieters zumindest ex post in
Augenschein nehmen, so entziehen sich auch im Nachhinein Motivation und
Leistungswille gänzlich seinem Blick. Beispielsweise mag der Investor zwar die
Entscheidung für eine Unternehmensstrategie beobachten können, ob diese jedoch
situationsadäquat ausfällt, kann er aufgrund seines Informationsstandes gar nicht
beurteilen. In ähnlicher Weise problematisiert Jensen (1986) die Entscheidung für die
Gewinnverwendung. Ob die Reinvestition oder die Ausschüttung der Unternehmens-
gewinne eher seinen Interessen entspricht, kann der Investor häufig gar nicht
beurteilen.
Als problematisch erweist sich schließlich der hohe Anteil variabler und allenfalls
ex ante beobachtbarer Eigenschaften sowohl bei der Leistung selbst als auch bei dem
Leistungsanbieter als Eigenschaftsträger. Da diese Eigenschaften starke Unsicher-
heiten beim Investor induzieren, besteht die Gefahr, dass sich aufgrund der Agency-
Risiken entweder die Arbeitsteilung als unproduktiv erweist oder es gar nicht erst zu
einer solchen kommt. Um den drohenden Wohlfahrtsverlust zu vermeiden, sind
institutionelle Arrangements so zu gestalten, dass ein „wohlstandsmaximierender
Kompromiss zwischen einer möglichst produktiven Arbeitsteilung/Spezialisierung und
möglichst ’reibungslosen’ Tausch- und Abstimmungsvorgängen“ (Picot/Dietl/Franck
2002, 91) erzielt wird.

83
2. Information und Wissen in der Investor/Unternehmens-Interaktion
– theoretische Perspektiven und praktische Evidenzen
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, Informationen und Wissen als Ergebnis und
Basis des Interaktionsprozesses zwischen Anteilseignern und Management
herauszuarbeiten. Es geht also gewissermaßen darum, die Genese und den Transfer
von Informationen und Wissen in seiner sozio-kulturellen Bedingheit zu erfassen. Mit
Blick auf das dominante Theoriekonzept – die Neue Institutionenökonomie – werden
zunächst solche institutionellen Arrangements dargestellt, die das Problem
asymmterischer Wissens- bzw. Informationsverteilung zwischen Unternehmen und
hier insbesondere dem Topmanagement einerseits und dem (potentiellen) Anteils-
eigner andererseits beheben sollen (2.1). Eingegangen wird hierbei insbesondere auf
den Einsatz von Signalen (2.1.2), die Nutzung von Erfahrungen (2.1.3) sowie die
Verwendung von Reputationstechnologien (2.1.4) zur Lösung des Informations- und
Wissensproblems. Grundlegend für die institutionenökonomische Theorie und somit
auch für die favorisierten Arrangements ist ein weitgehend dekontextualisiertes
Wissensverständnis und ein untersozialisiertes Informationsverständnis (2.1.5). Dieses
theoriegeleitete Verständnis wird im Folgenden mit den Ergebnissen der empirischen
Kapitalmarktforschung kontrastiert, die Informationen weniger als beobachterunab-
hängige Entitäten sondern vielmehr als soziale Konstruktionen konzipiert (2.2). Dieser
soziale Konstruktionsprozesse von Informationen und Wissen wird sodann unter
Rekurs auf eine Fallstudie, die die Interaktion von institutionellen Investoren und
Unternehmensmanagement dargestellt (2.3). Hierbei wird zunächst die üblicherweise
zugeschriebene Rolle des Unternehmensmanagement als Kommunikator von Unter-
nehmensinformationen kritisch hinterfragt und den Einfluß, den das Management auf
die Informationsgenese hat, hervorgehoben (2.3.1). Spiegelbildlich wird sodann aus-
führlich auf die Rolle der institutionellen Investoren in diesem Interaktionsprozess
eingegangen, der nicht nur als Rezipient von Informationen sondern auch als deren
Konstrukteur fungiert (2.3.2).

2.1. Unternehmenssteuerung als Informationsproblem – die Sicht der


Institutionenökonomie

2.1.1. Unternehmenskommunikation zwischen Marktwert und True Value

Die skizzierten Informationsasymmetrien haben für die Interaktion zwischen Kapital-


gesellschaft und Anteilseigner tiefgreifende Auswirkungen. Ganz gleich, ob es sich um
„Value reporting“ (Kötzle/Niggemann 2001; Labhart 1999), „Shareholder Value
Reporting“ (Fischer 2003) oder „Wertkommunikation“ (Weber-Henschel 2002)
handelt, alle Konzepte fokussieren auf asymmetrische Informationsverteilung als zu
lösendes Problem. In theoretischer Perspektive werden die rigiden Prämissen der
Neoklassik in puncto Vollständigkeit und Vollkommenheit der Kapitalmärkte
zugunsten realistischer Annahmen über die Funktionsweise von Kapitalmärkten
aufgegeben. Insbesondere die Annahme informationseffizienter Märkte ist mit der
vorfindbaren Informationsverteilung auf Kapitalmärkten nicht vereinbar (Schmidt
1990). Mit Bezug auf institutionenökonomische Theorien werden an zentraler Stelle
Informationsasymmetrien in die Überlegungen mit einbezogen: „Bei börsennotierten
Unternehmen, bei denen die Trennung des Rechts der Eigentümer auf die aus dem
Unternehmen fließenden Gewinne („residual claims“) vom Recht der Entscheidungen
im Unternehmen („control“) als konstitutives Merkmal bezeichnet werden kann,
resultiert naturgemäß ein Informationsvorsprung des Managements und damit ein
zusätzliches Risiko des Kapitalgebers aus Informationsunsicherheit und in Bezug auf
ein potentiell opportunistisches Verhalten des Kapitalnehmers“ (Fischer 2003, 14).
Investor Relations können hier als kommunikative Schnittstelle zwischen den
Informationsständen von Topmanagement und Anteilseigner fungieren, um die
vorliegenden Informationsasymmetrien und die daraus resultierenden Risiken zu
beeinflussen. Dies erscheint insbesondere bei nur eingeschränkt bewertungseffizienten
Märkten, wie sie die gängigen Kapitalmärkte darstellen, geboten zu sein. Der
Marktwert des Unternehmens entspricht hier „nicht immer dem investitionstheoretisch
errechneten, ’richtigen’ Wert, wie er sich aufgrund des Insider Wissensstands des
Agenten, der die zukünftigen Zahlungsströme und Risiken besser abschätzen kann“
(Fischer 2003, 15), bestimmen würde. Nur konsequent unterscheidet Hütten (2000)
dann auch zwischen einem internen und externen Shareholder Value. Während der
Autor Ersteren als Zwischenzielgrösse eines wertorientierten Führungskonzeptes
begreift, handelt es sich bei Letzterem um die Sicht der Aktionäre, die sich an ihrem
Aktienvermögen orientiert. Falls die beiden Perspektiven divergieren und ihre Ursache
von asymmetrischer Informationsverteilung deduzierbar ist, so sind bestehende
Wahrnehmungslücken mittels kommunikativer Aktivitäten zu überbrücken. Ganz
ähnlich sehen auch Copeland, Koller und Murin (1990) die Aufgabe der
Kommunikationsstrategie darin, die Lücken zwischen dem Marktwert und dem
inneren Unternehmenswert zu schließen. Summa Summarum lässt sich konstatieren,
dass die Nutzung kommunikativer Einflussmöglichkeiten „im Rahmen eines
wertorientierten Führungskonzeptes zu einer ’conditio sine qua non’“ (Fischer 2003,
16) wird.
Die Institutionenökonomie diskutiert nun unterschiedliche Maßnahmen, um
bestehende Informationsasymmetrien zu reduzieren. Mit Bezug auf die vorliegende
Interaktionskonstellation zwischen Publikumsgesellschaft und Anteilseigner
fokussieren Freter und Sänger (2000) sowie Sänger (2001) drei – teilweise
interdependente – Maßnahmen, die im Folgenden vorgestellt werden.

2.1.2. Informationen und Signale

Freter und Sänger (2000) unterscheiden bei der Übermittlung von Informationen
zwischen Originär- und Surrogatinformationen. „Während sich erstere direkt auf die

86
interessierenden Sachverhalte beziehen, fungieren letztere als Ersatz für die eigentlich
relevanten Informationen (Surrogatfunktion) und dienen vielfach außerdem dazu, eine
Vielzahl von Einzelinformationen zu verdichten (Schlüsselfunktion)“ (Freter/Sänger
2000, 797). Originärinformationen lassen sich weiterhin bezüglich ihrer Herkunft
unterscheiden. Kommen die Informationen aus unternehmensexternen Quellen, so
handelt es sich um Sekundärinformationen (Bitz/Oehler 1991). Tritt der
Leistungsanbieter selbst als Informationsquelle auf, so spricht man von Primär-
informationen.
Vergangenheitsgerichtete Primärinformationen bilden die Basis der Unternehmens-
berichterstattung. Strategie-, Planungs- und Prognoseinformationen stellen demgegen-
über zukunftsbezogene Primärinformationen dar. Aktuelle Tatbestände sind primär für
die Prognose der zukünftigen Unternehmensentwicklung wichtig. Entsprechende
Primärinformationen geben etwa über die Charakteristika der Publikumsgesellschaft
als Leistungsanbieter Auskunft. Zu nennen sind hier etwa Informationen über die
Eigentümerstruktur, Anreizsysteme, Organisationsaufbau, Leistungspotentiale und das
Management. Gegenstand der Kapitalmarktkommunikation sind neben den Primär-
auch Sekundärinformationen. Hierbei handelt es sich um Analysen und Presse-
mitteilungen. Aufgrund der zugeschriebenen Glaubwürdigkeit von Medienvertretern
und Analysten kommt ihnen eine meinungsbildende Funktion auf dem Kapitalmarkt
zu (Täubert 1998).
Häufig bedient sich der Investor jedoch bei seinen Entscheidungen sog.
Surrogatinformationen. Bei ihrer Verwendung unterstellt er einen Zusammenhang
zwischen den Ausprägungen der Surrogateigenschaft und denen der nicht zu
beurteilenden bzw. nicht zu beobachtenden Originäreigenschaften (Sänger 2001). Die
von Akerlof (1976) auch als Indikatoren bezeichneten Surrogatinformationen spielen
bei der Bewertung nicht-beobachtbarer Eigenschaften der Leistung selbst – wie
insbesondere des Leistungsanbieters – eine wichtige Rolle. So werden bei der
medialen Präsentation des Managements zumeist Surrogatinformationen integriert.
Neben konkreten Informationen zur Person – etwa zur Qualifikation oder Vita –
handelt es sich hierbei auch um „weiche“ Eigenschaften wie die individuelle Optik
und den persönlichen Auftritt. Diese Informationen dienen laut Freter und Sänger
(2000, 780) dazu, „einerseits die an der Leistungserstellung beteiligten Personen zu
identifizieren und andererseits deren Leistungsfähigkeiten und evtl. auch deren
Leistungswillen glaubhaft zu ermitteln“.
Auf eine spezielle Form der Surrogatinformation bezieht sich der Begriff des
Signals. Ursprünglich von Spence (1973; 1976) mit Blick auf die Signalfunktion von
Qualifikationen entwickelt, spielt das Signal in der aktuellen Institutionenökonomie
und Spieltheorie eine zentrale Rolle. Es unterscheidet sich von einfachen Surrogat-
informationen durch seine hohe Glaubwürdigkeit. Diese resultiert nach Spence (1973)
aus der negativen Korrelation zwischen den Signalkosten und der Ausprägung der
betreffenden Eigenschaft (Signalfunktion). „An alterable characteristic like education,

87
which is a potential signal, becomes an actual signal if the signaling costs are
negatively correlated with the individual’s unknown productivity“ (Spence 1973, 367).
Die Kosten eines Signals können sich auf den Inhalt, auf die Aussendung und vor
allem auf die möglichen Konsequenzen erstrecken. Handelt es sich bei den beiden
ersten Fällen um bereits angefallene Kosten (z.B. Qualifikations-, Werbe- und
Kommunikationskosten), bezieht sich der dritte Aspekt auf „drohende“ Kosten. Dies
sind primär Kosten, die auf der Inanspruchnahme einer zugesagten Garantie
basieren49. So fungieren etwa output-bezogene Garantien als Signal für Leistungs-
eigenschaften. Indem der Anbieter ein fixiertes Leistungsergebnis zusagt, bekommt
der Nachfrager bei Nichterfüllung einen entsprechenden Schadensausgleich. Darüber
hinaus eignen sich Garantien auch zur Signalisierung der Eigenschaften von
Leistungsanbietern. Hierbei sind sog. Selbstwahlschemata von Bedeutung (Arrow
1985). Der Leistungsnachfrager gibt dem Leistungsanbieter fixierte Handlungs-
alternativen vor, die ihm eine Schlussfolgerung von der beobachtbaren Entscheidung
des Anbieters auf seine nicht wahrnehmbaren Eigenschaften ermöglicht. Da die
Wahlhandlung für den Leistungsanbieter mit Konsequenzen verbunden ist, sind auch
aus utilitaristischer Perspektive richtige Angaben den falschen vorzuziehen.
Um die Informationsasymmetrien zwischen Publikumsgesellschaft respektive
Topmanagement einerseits und (potentiellen) Investoren andererseits zu schließen und
so den Ressourcenfluss auf Dauer zu gewährleisten, setzen Publikumsgesellschaften
unterschiedliche Signallingmechanismen ein. So nutzen sie beispielsweise die
Signalwirkung von Ratings und Dividendenausschüttung. Die Bewertung bei Ratings
findet zumeist auf Antrag und Rechnung der jeweiligen Publikumsgesellschaft statt.
Eine Herabstufung auf der Ratingsskala hat ebenso wie die Stornierung eines
Ratingauftrags Imageeinbussen zur Folge. Die Unternehmen haben daher einen
Anreiz, nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen, um so in den Genuss eines
positiven Ratings zu kommen.
Ein weiteres Signal stellt die Beauftragung einer bekannten Investmentbank bei
einer Neuemission oder Kapitalerhöhung dar. Im Zuge ihrer Beteiligung übermittelt
die Bank Informationen bezüglich der Leistung Aktie und des Leistungsanbieters
Unternehmen. Ganz gleich, ob es sich um eine Neuemission oder Kapitalerhöhung
handelt, ein Fehlschlag bedeutet für die Bank einen deutlichen Reputationsverlust. Da
die Bank nur von ihr als positiv eingeschätzte Unternehmen begleiten wird, fungiert
ihre Beteiligung als Signal für die Qualität der Aktie. Folgt man Freter und Sänger
(2000, 781), so erfüllt zum einen „das beobachtbare Verhalten der Emissionsbanken
eine Schlüssel- und Surrogatfunktion für die von den übrigen Marktteilnehmern nicht
oder nur unter großem Aufwand erhältlichen Informationen über den Emittenten. Zum
anderen besteht mit einem möglichen Reputationsverlust eine negative Korrelation

49
Spence (1976) spricht in diesem Zusammenhang von „contingent contracts“.

88
zwischen den mit diesem Verhalten verbundenen (nicht monetären) Kosten und der
Ausprägung der nicht beobachtbaren Emittenteneigenschaften (Signalfunktion).“
Sänger (2001) verweist schließlich auf die vielfältigen Signallingoptionen, welche
die digitalisierte Finanzkommunikation im Internet erlaubt. So signalisiert die direkte
Kontaktmöglichkeit mit dem Leistungsanbieter in Form einer E-Mail- oder Individual-
Chat-Option tendenziell eine Offenheit gegenüber Fragen und Erwartungen des
Investors. Fairness, Kompetenz und Qualität signalisiert auch die Bereitschaft des
Anbieters, sich selbst und seine Leistungen im Kontext integrierter Many-to-Many-
Plattformen einer – kritischen – Diskussion auszusetzen. Deller, Stubenrath und Weber
(1998) machen überdies auf die Signalfunktion von Links aufmerksam, die von der
Web Site des Aktienanbieters auf Informationsintermediäre verweisen. Indem solche
Links deutlich machen, dass das Unternehmen eine Beurteilung durch Dritte – etwa
Analysten und Massenmedien – nicht ablehnt, eignen sie sich als Signal für die
Vertrauenswürdigkeit des Leistungsanbieters. Viele Publikumsgesellschaften haben
daher ihre Web Sites mit Intermediären verbunden, die relevante Kurse oder Charts
anbieten, oder mit Aktienanalysten, die sich mit dem Wertpapier des Unternehmens
beschäftigen (Sänger 2001).

2.1.3. Nutzung von Erfahrungen

Eine weitere Möglichkeit, um die investorseitige Unsicherheit, die sich aus der
asymmetrischen Informationsverteilung zwischen ihm und dem leistungsanbietenden
Unternehmen ergibt, zu reduzieren, stellt die Nutzung von Erfahrungen dar. Dies setzt
laut Freter und Sänger (2000, 781) voraus, „dass der Rezipient die in der
Vergangenheit erfahrenen Eigenschaften auf aktuelle bzw. zukünftige Situationen
übertragen kann“. Genau diese Standardisierung im Zeitablauf erweist sich bei den mit
einer Aktienanlage verbundenen Leistungseigenschaften als schwierig. Insbesondere
bei den erzielbaren Erträgen wird dies deutlich. Zwar kann die Unternehmung die
auszuschüttenden Dividendenzahlungen beeinflussen, die wichtigeren Kursgewinne
lassen sich jedoch kaum verstetigen. Eine monokausale Extrapolation von
vergangenem auf zukünftigem Gewinn ist daher unmöglich. Möglich ist jedoch, auf
indirektem Wege von vergangenen auf zukünftige Situationen zu schließen. Dieses
Prinzip der unechten Erfahrung vollzieht sich in mehreren Phasen. Ausgangspunkt ist
die in der Vergangenheit liegende Leistungserbringung der Situation A. Der
Nachfrager kann ex post bestimmte Qualitäten, Handlungen und Fähigkeiten dieser
Leistungserbringung wahrnehmen. Eine direkte Projektionsmöglichkeit der
Handlungen und Qualitäten von Situation A auf Zukunft B besteht nicht. Gleichwohl
kann „der Nachfrager jedoch aus den ex post beobachtbaren Eigenschaften
Rückschlüsse in Bezug auf den ex post nicht beobachtbaren Leistungswillen bzw. die
ex post nicht beobachtbaren Fähigkeiten ziehen, den bzw. die der Anbieter bei der
bereits vollzogenen Leistungserstellung A eingesetzt hat“ (Sänger 2001, 207). Ex post
wahrnehmbare Qualitäten und Handlungen der Leistungserbringung A fungieren

89
mithin als Surrogatinformationen für den auch ex post weder wahrnehmbaren
Leistungswillen noch die wahrnehmbaren Fähigkeiten dieser Leistungserbringung. In
diesem Sinne nutzen Analysten als wichtigstes Kriterium bei der Beurteilung von
Managementfähigkeiten das Wachstum des Unternehmens (Mautz 1968).
Konstitutiv für den skizzierten Übertragungseffekt ist die nachfragerseitige
Annahme, „dass die Strukturen und Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens
weitgehend unverändert bleiben“ (Freter/Sänger 2001, 782). Die Extrapolation der ex
post bewiesenen Managementskills auf die Zukunft setzt die weitgehende Invarianz
dieser Eigenschaften als Unternehmensressourcen voraus. Zentral für die Evaluation
des Leistungswillens ist die Annahme, dass das Management an einer dauerhaft
positiven Beurteilung der Finanzöffentlichkeit interessiert ist. Die unterstellte
Kausalität von externem Feedback und managerieller Leistungsmotivation rechtfertigt
aus Investorensicht die Annahme eines entsprechenden Leistungswillens in der
Zukunft (Freter/Sänger 2001).

Abbildung 10: Modifikation des Erfahrungs-Konzeptes für unechte Erfahrung.


Quelle: Sänger (2000, 210)

Der Schluss von Eigenschaften des Leistungsanbieters Publikumsgesellschaft auf


solche der Aktienanlage selbst basiert letztlich auf der Vermutung, dass der
Leistungsoutput zufallsunabhängig entsteht. Unterstellt wird ein direkter Wirkungs-
zusammenhang zwischen dem Leistungswille bzw. den Fähigkeiten des Anbieters
respektive seines Managements einerseits und dem Leistungsoutput – etwa den

90
Kursgewinnen und Dividendenzahlungen – andererseits. Ob diese Annahme
zutreffend ist, hängt letztlich von dem Einfluss exogener Faktoren auf den
Leistungsoutput ab.
Um unechte Erfahrungen zur Reduzierung von Informationsasymmetrien in
Anschlag bringen zu können, müssen zunächst ex post beobachtbare, positiv
ausgeprägte Eigenschaften der Aktie vorliegen. Zu denken ist hier an steigende bzw.
stabile Verläufe ertragsbezogener Leistungen der Aktie oder an absatzmarktbezogene
Erfolgsgrößen der Vergangenheit in Chartform. Diese Qualitäten muss der Investor
zudem mit Leistungsfähigkeit und -willen des Aktienanbieters verbinden. „The history
of the company … can be told in terms of management decisions” (Marcus/Wallace
1991, 56). Eine steigende Kursentwicklung wird dann weniger als Ergebnis günstiger
externer Effekte wahrgenommen, als vielmehr auf die positiven Eigenschaften des
Unternehmens respektive seines Managements zurückgeführt. Hilfreich ist hierbei eine
inhaltliche Verknüpfung zwischen Episoden positiver Leistungsentwicklung und
strategischer Unternehmensentscheidungen. Diesen Zweck erfüllt auch der Hinweis
auf den Einfluss, den die langjährige und erfolgreiche Tätigkeit eines Managers auf die
Kurs- oder Umsatzentwicklung genommen hat.

2.1.4. Reputation: Genese, Wirkung, kommunikative Gestaltung

Reputation ist ein schillernder Begriff, der in der Praxis ebenso häufig wie relevant
thematisiert wird, wie er mit unterschiedlichen semantischen Inhalten bedacht wird.
Aus Sicht der Unternehmensstrategen wird Reputation als eine Quelle von
Wettbewerbsvorteilen gesehen. Buchhalter verbinden damit einen unbestimmbaren
Vorzug, eine Art Wohlwollen, dessen Wert auf den Märkten schwankt. Händler
betrachten Reputation aus dem Blickwinkel einer korporativen Analogie zu Marken
(Fomburn/Wiedmann 2001). Eher allgemeiner definiert Sänger (2001, 213) Reputation
als „die Meinung über Eigenschaften eines Leistungsanbieters ..., die sich auf dem
Markt durchgesetzt hat“. Drei wichtige Merkmale der Reputation werden hier
deutlich:
z Es handelt sich um eine Meinung über Charakteristika. An die Stelle einer
direkten Beobachtung tritt lediglich eine subjektive Einschätzung. Tatsächliche
und eingeschätzte Charakteristika können divergieren (Milgrom/Roberts 1992).
z Reputation orientiert sich am Leistungsanbieter. Verhaltensunsicherheit wird
über die Eigenschaften des Leistungsanbieters reduziert.
z Das durch die Reputation transportierte Unternehmensimage führt zu einer
angeglichenen Wahrnehmung der Nachfrager. Reputation erweist sich hier als
„common knowledge or public information“ (Shapiro 1983, 663).
Ebenso wie die Funktionsweise, so ist bereits die Genese der Unternehmensreputation
ein orginär sozialer Prozess. Ausgehend von asymmetrischer Informationsverteilung
entwickelt sich nach Wilson interindividuell ein dynamischer Prozess der
Reputationsbildung, den Wilson (1985, 59) allgemein folgendermaßen beschreibt:

91
„Differences in the information available to participants make their strategies
acutely sensitive to their beliefs and expectations. This in turn affects the behaviour
not only of the uninformed person, but also of the informed one, who realize that these
current actions affect others’ later beliefs, their expectations about his subsequent
behaviour, and ultimately their choice of actions. Knowing that this chain of events
will occur, the informed person has an incentive to trade off the immediate
consequences of his current decision against the long term effects of his reputation”
Im Falle der Unternehmensreputation erfährt die Reputationsbildung insofern eine
zusätzliche Dynamisierung, als der Prozess öffentlich stattfindet. „Publics construct
reputations from available information about firms’ activities originating from the
firms themselves, from the media, or from other monitors” (Fomburn/Shanley 1990,
234). Hierbei nutzt und verbreitet die Fachöffentlichkeit insbesondere solche
Informationen, die in ihren Augen wichtig für die Bewertung des Firmenerfolgs bzw.
-misserfolgs sind. Hierbei kommt ein breites Spektrum ökonomischer und
nichtökonomischer Signale zum Tragen. Neben buchhalterischen Daten über
Profitabilität, Risiko und Marktkapitalisierung sind es Signale wie die mediale
Unternehmensdarstellung, die institutionellen Besitzverhältnisse, die Demonstration
sozialen Engagements und die Dividendenpolitik, auf welche die öffentliche
Reputationsbildung aufsetzt.
„As signals about firms’ activities, achievements, and prospects diffuse, individual
interpretations aggregate into collective judgements that crystallize into reputational
orderings of firms in organizational fields“ (Fomburn/Shanley 1990, 234). Im Zuge
der marktübergreifenden Kommunikation kommt es zu einer Angleichung der
individuellen Einschätzungen. Die Kommunikationsprozesse unter den Marktteil-
nehmern münden dabei nicht zwangsläufig in eine einheitliche Reputation aus Sicht
aller Nachfrager. Innerhalb unterschiedlicher Nachfragergruppen können sich
divergierende Unternehmensreputationen herausbilden.
Hat sich am Ende des kommunikativen Konstruktionsprozesses eine konsistente
Unternehmensreputation herausgeschält, so erfüllt diese im Rahmen der
Interaktionsbeziehung zwischen Unternehmen und Investor unterschiedliche
Funktionen. Zunächst wirkt sich die Reputation reduzierend auf die investorseitige
Unsicherheit aus. Das Unsicherheitsniveau im Hinblick auf zukünftige Merkmal-
sausprägungen der Aktie selbst und des Unternehmens einerseits und die Divergenzen
zwischen den Meinungen der Investoren über diese Merkmale andererseits sind eng
miteinander verbunden. Homogene Meinungen gehen mit einem reduzierten
Unsicherheitsniveau einher (Sänger 2001).
Weiterhin erfüllt die Unternehmensreputation die Funktion einer Surrogat-
information: „Dadurch, dass die Reputation ’common knowledge’ darstellt, sind die
darin beinhalteten Einschätzungen der Leistungsanbieter-Eigenschaften für die
Nachfrager leicht zugänglich, und die Einschätzungen dienen als Ersatz für die –
insbesondere auf zukünftige Leistungen bezogenen – nicht beobachtbaren

92
Eigenschaften“ (Sänger 2001, 216). Der einzelne Investor braucht demnach nicht
selbst Erfahrungen mit dem Unternehmen zu machen, er kann vielmehr von den
Erfahrungen der anderen Marktteilnehmer profitieren.
Die angenommene Kausalität zwischen Unternehmensreputation und den
tatsächlichen Charakteristika des Unternehmens basiert auf vergleichbaren Prämissen
wie die Wirkungslogik der unechten Erfahrung: Der Investor unterstellt bezüglich der
Leistungsfähigkeit, dass der Fixkostencharakter der getätigten Ausgaben es dem
Unternehmen unmöglich macht, diese Charakteristika zu ändern. „…reputations are
valuable because they serve as signals of the underlying quality parameters”
(Roberts/Dowling 2002, 1077).
Im Rahmen des unterstellten Zusammenhangs zwischen Leistungswillen und
Reputation, fungiert Letztere quasi als Pfand in der Hand des Investors. Denn er hat
bei nicht erwartungsgemäßer Leistungserstellung die Möglichkeit, den Ruf eines
Unternehmens zu zerstören. Hier offenbart sich auch die Fragilität des
Reputationsmechanismus. Einerseits eröffnet eine positive Reputation strategische
Wettbewerbsvorteile. Fomburn (1996) beschreibt Reputation als ein unsichtbares
Hindernis (intangible obstacle), das für Wettbewerber schwer zu überwinden sein
kann. Allein der strategische Vorteil Reputation ist in der Lage, für angesehene
Unternehmen langfristig bessere Renditen zu garantieren als für Unternehmen ohne
Reputation. Die daraus resultierende Wertgenese wird als „Reputational Capital“
bezeichnet: „A company’s reputational capital is the excess market value of its shares
– the amount by which the company’s market value exceeds the liquidation value of its
assets” (Fomburn 1996, 92). Andererseits verpflichtet die Reputation das
Unternehmen und sein Management um den Preis eines Reputationsverlusts oder gar
einer -zerstörung dazu, auch zukünftig den Leistungserwartungen der Investoren
gerecht zu werden. Denn trotz des investiven Charakters der Reputation handelt es
sich doch letztlich um ein kommunikatives Konstrukt, dessen Wert50 im Blick der
Marktteilnehmer ruht.

50
Der Kapitalmarkt offenbart, dass Reputation sogar zu einem eigenständig handelbaren Gut werden kann. So
kann beispielsweise die Reputation von Wirtschaftsprüfern, Anwälten und Investmentbanken ‚gemietet’
werden. Plant ein neues kleines Unternehmen seinen Börsengang, so ist es in der Regel schwierig,
Eigenkapital über die Börse einzusammeln. Um das IPO (Initial Public Offer) dennoch erfolgreich
umzusetzen, wird das Unternehmen bereit sein, einen höheren Preis für ein renommiertes Bankhaus zu zahlen,
welches die Börseneinführung unterstützt. Eine Bank mit einer hohen Reputation wie z.B. Goldman Sachs
kann daher einen höheren Preis verlangen als eine unbekannte Bank, da für das an die Börse strebende
Unternehmen ein höherer Ausgabekurs erzielt werden kann (Beatty/Ritter 1986). Hingegen besitzt ein
Unternehmen mit einem starken Bekanntheitsgrad und gutem Ruf selbst genug Anziehungskraft für
Investoren. Die Gefahr einer Unterbewertung bei der Aktienemission ist bei diesen Unternehmen geringer.
Beispielhaft für die wertsteigernde Funktion von Unternehmensreputation war der geplante Börsengang des
New Yorker Fashionunternehmens Donna Karan in den 1990er Jahren. Bei einem Gesamtwert von $ 159
Millionen lag der fundamentale Nettowert einer Aktie zunächst bei $ 2,70. Die extreme Nachfrage durch die
starke Reputation der Firma trieb die Kurse für die limitierte Anzahl der Anteile schließlich auf $ 16 während
der Zeichnungsfrist. Der ökonomisch gerechtfertigte Wert wurde weit übertroffen (Fomburn 1996).

93
Angesichts des sozialen Charakters der Reputation eignen sich insbesondere
Instrumente der Many-to-Many-Kommunikation für die Reputationsbildung und
-aufrechterhaltung. Neben traditionellen Formen wie Hauptversammlungen oder
Aktionärstreffen gewinnen hier zunehmend internetgestützte Kommunikationsformen
an Bedeutung. Newsgroups, Mailing Lists oder Internetchats vermögen eine Vielzahl
von Marktteilnehmern zu integrieren. Im Zuge einer intensiven Kommunikation
können sich die Meinungen der Teilnehmer angleichen und damit zur Bildung einer
homogenen Unternehmensreputation beitragen (Freter/Sänger 2001). Many-to-Many-
Kommunikationsformen bilden den Endpunkt eines Spektrums von informations-
ökonomischen Mechanismen, die der Reduzierung von Verhaltensunsicherheiten im
Zuge asymmetrischer Informationsverteilung dienen.

2.1.5. Information, Signal und die Objektivierung von Wissen – ein


Zwischenfazit

Investoren entscheiden aus institutionenökonomischer Perspektive letztlich nur


deshalb suboptimal, da sie nicht alle zur Entscheidung benötigten Informationen
beschaffen und verarbeiten konnten. Welche Komplexität und Dynamik in der
Entscheidungssituation auch immer virulent wird, die daraus resultierende
Unsicherheit lässt sich durch die zusätzliche Aufnahme und Verarbeitung von
Informationen bewältigen. Mit Blick auf die Reduktion von Unsicherheit beschränkt
sich organsatorische Steuerung so auf die systematische Informationsbeschaffung und
-verarbeitung. Informationen sind ein Fluss zweckorientierter Nachrichten. Sie
unterscheiden sich in institutionenökonomischer Perspektive nicht von Wissen. Neue
Informationen werden nur nach formalen, quantifizierbaren Beurteilungsmaßstäben
bewertet wie etwa zur Minimierung der Agencykosten. Problemlösungstrategien
erfolgen „in der Governance-Perspektive als ’gerichtete’ Suche, d.h. als Akt des
rationalen Entscheidens zwischen gegebenen Alternativen“ (Frost 2005, 230).
Sollte sich der Informations- bzw. Wissenstransfer als friktionsreich erweisen, so
wird gemäß nutzenmaximierender Handlungsaxiomatik dies als Problem des
Nichtwollens und nicht etwa als Problem des Nichtkönnens betrachtet. Denn: Alle
Akteure verfügen annahmegemäß über die gleichen Informationsverarbeitungs-
kapazitäten und haben die gleiche Vorstellung von der Welt. Es gibt keine
Interpretations- oder Kognitionsprobleme, die die Interaktion zwischen Investoren und
Unternehmensmanagment behindern könnten. Probleme unvollständiger Information-
en sind daher nie das Ergebnis von Wahrnehmungsdifferenzen oder Interaktions-
problemen, sondern resultieren immer aus Interessensdisparitäten oder Zielkonflikten
(Frost 2005).
Offenkundig wird die informationstheoretische Axiomatik der Standardökonomie
bei der unterstellten Funktionsweise des Signallings. Ausgangspunkt aller Signalling-
Modelle ist die Existenz von Informationsasymmetrien zwischen Management und
Investoren bezüglich der Zukunftsaussichten des Unternehmens. Erweisen sich die

94
Prognosen als günstig und kann das Management dies den Investoren signalisieren,
dann steigt der Aktienkurs zum Vorteil des Managements an. Als Signal für eine
positive Unternehmenszukunft gilt etwa die Möglichkeit „money to burn“ (Thakor
1989). Je mehr Unternehmensressourcen existieren, umso größer ist die Fähigkeit,
diese zu „verbrennen“ und umso weniger schädigt sich das Unternehmen selbst mit der
Ressourcenverschwendung51. Sollte jedoch das Management lügen, also bei negativen
Prognosen positive Signale aussenden, werden es dafür bestraft, dass es leichtfertig
Unternehmensressourcen für unwahre Signale vergeuden. „Thus, it is very simple for
any costly action taken by a firm to fulfill Spence’s critical assumption and look as if it
is a signal of favorable prospects“ (Frankfurter/McGoun 2001, 359)52.
Das Konzept des Signallings wird in der Finanzwirtschaft auf solche Anwendungs-
fälle begrenzt, bei denen eine kostenintensive Handlung nicht mit einem offensicht-
lichen Nutzen verbunden ist. Dies scheint auch kaum möglich, „because the benefits
are so unspecifiable as to defy convenient quantification“ (Frankfurter/ McGoun 2001,
359). Wo immer eine Unternehmensaktivität signifikante Kosten verursacht, so die
finanzwirtschaftliche Grundannahme, kann ein wie auch immer gearteter Nutzen nicht
weit sein. Ist Letzterer nicht direkt erkennbar, so mag es sich im Zweifelsfall um den
nicht wahrnehmbaren Nutzen des Signallings handeln. „All this is accomplished with
the help of a set of assumptions resembling, in most cases, an inverted ziggurat“
(Frankfurter/McGoun 2001, 360).
Konstitutiv für das skizzierte Annahmensystem des Signallings – wie für sämtliche
anderen Informationstechnologien – ist die Unterstellung, dass Institutionenökonomen
„die“ Interpretationskonstrukte „des“ rationalen Akteurs kennen53. Daher sind sie in
der Lage, die Handlungen zu bezeichnen, die als wirksame Signale fungieren können
(Männel 2002). In ihrer Theoriebildung gehen sie häufig den umgekehrten Weg. Sie
schreiben bestimmten empirisch vorfindbaren Handlungen die Funktion eines
glaubwürdigen Signals zu, „ohne zu prüfen, ob die Wirtschaftssubjekte selbst
(Beobachter 1. Ordnung) diese Handlungen tatsächlich so interpretieren“ (Männel
2002, 157). Zugespitzt muss laut Männel (2002, 157) konstatiert werden, „dass die
Theorie des Signalings zwar notwendig eine Kommunikationstheorie implizieren muss
(Kommunikation von Signalen), in der Regel aber auf sie verzichtet“. Ungeklärt ist
daher, warum die jeweilige Handlung genau jene Signalbedeutung hat und woher der
Institutionenökonom diese Signalbedeutung kennt. An die Stelle einer Kommunika-

51
Frankfurter und McGoun (2001) sehen bei dieser Signalling-Strategie deutliche Parallelen zu Veblens (1973)
„conspicuous consumption“.
52
Wie bereits erwähnt, gündet nach Spence (1973; 1976) die hohe Glaubwürdigkeit von Signalen auf der
grundlegenden Annahme, dass die Kosten des Signals mit der Ausprägung der betreffenden Eigenschaft
negativ korreliert sind.
53
Deutlich tritt hier ein positivistisches Kommunikationsverständnis zu Tage. Was bereits Boisot und Canals
(2004) sowie Babe (1994) für die Informationsökonomie feststellten, erweist sich modifiziert auch bei einer
kommunikationstheoretischen Analyse der Signaling-Theorie als evident: „Like information, knowledge
and/or news are assumed to exist independently of a knower or a receiver of news. The tacit assumption that
information and knowledge are ’things’ is widely held” (Boisot/Canals 2004, 46).

95
tionstheorie offeriert die Theorie des Signallings ein eigenes Interpretationskonstrukt,
mit dessen Hilfe sie normativ bestimmte Handlungen als glaubwürdige Signale
einstuft. „In its current form, however, it (signaling) requires a general law embodying
some sort of necessity or at least a tendency for certain actions to occur when certain
conditions are present” (Frankfurter/McGoun 2001, 367)54. Die Ursache, “warum
welchen Handlungen welche Bedeutungen zugeschrieben werden, warum sie in
welchem Sinne interpretiert werden“, moniert Männel (2002, 158) zu Recht, bleibt
jedoch in der ökonomischen Standardtheorie „unbestimmt, unerklärt und
uneindeutigt“55.
Dieses Erklärungsdefizit der Standardökonomie basiert letztlich aus der
Gleichsetzung von Information und Wissen. Ebenso wie Informationen erweist sich
Wissen als „gegeben“, als beobachterunabhängige Entität dar, die gemäß eines
Kategorienschemas objektiviert werden kann. Wissenstransfer wäre demnach ein
„einfacher“ Prozess (Reddy 1979), bei dem universelle Bedeutungsschemata sowie
homogene sozio-kulturelle Kontexte vorausgesetzt werden.
Informationsasymmetrien müssen jedoch nicht zwangsläufig auf Informations-
unterschiede reduziert werden, die zu opportunistischem Verhalten einladen. Sie
können auch als kognitive Asymmetrien verstanden werden (Frost 2005). So können
Investoren und Unternehmensmanagement jeweils kontextabhängig spezifische
Wahrnehmungsschemata und Problemlösungsmuster ausbilden, die differente
Interpretationen von Informationen oder Handlungen zur Folge haben. Hier offenbart
sich der Unterschied von Information und Wissen. Während sich Informationen als
eigenständige Objekte erweisen, die auf Märkten gehandelt werden können, entsteht
Wissen nicht durch eine Akkumulation von Informationen, sondern erst durch die
sinnvolle Verbindung der Informationen mit bereits existenten Wissensbeständen.

54
Frankfurter und McGoun (2001, 367) bringen dieses Problem wie folgt auf den Punkt: „We know of no such
principle to exist. What we know is that signaling is part of the folklore (myth) of academic finance: that is,
whatever is not seen, or cannot be explained by the accepted tenets of the economic person, must be a signal.
Consequently, untold numbers of academic papers argue that management signals this or signals that, when in
fact straight and common means of communication are neither present, nor would they explain what
researchers found, more often than not, in an event study. If an economic law applies to a situation, then that
law constitutes the explanation for the actions and not that anyone was trying to send anyone else a signal.”
55
Frankfurter, Lane und Darom (1994) untersuchen die finanzwirtschaftlichen Reaktion, die mit einer speziellen
Botschaft und einem Kommunikationsformat - dem Aktionärsbrief - zwischen Topmanagement und Anteils-
eignern verbunden ist. Die Implikationen der Untersuchungsergebnisse gehen jedoch über die ursprünglichen
Postulate hinaus und stellen die grundsätzlichen Annahmen der gegenwärtigen Dividendenpolitik in Frage. In
ihrer Untersuchung konnten Frankfurter, Lane und Darom (1994) zeigen, dass sich die finanzielle Leistung
nach der Ankündigung von strukturellen cost-cutting-Strategien weiterhin verschlechterte. Weiterhin stellten
die Autoren fest, dass viele der Firmen steigende Dividendenzahlungen vornahmen. Die Untersuchungs-
ergebnisse sind ihrer Meinung (Franfurter; Lane; Darom 1994, 261-262) nach für die finanzwirtschaftliche
Forschung mit folgenden Konsequenzen behaftet: „Thus, at best the cost cutting statement is an unclear
message. At worst, it indicates that some managers of low quality firms are able to pay the costs of using
dividend payouts as an intentionally false signal. Whatever the reasons for these payouts might be, the results
presented here strongly suggest that the role of dividends and dividend increases as a signal of strength in
particular and the concept of dividend signaling equlibrium in general, must be more carefully and thoroughly
examined. The empirical findings suggest that dividends are either a code of behavior or, at least for some
firms, hush money to the shareholders.”

96
Wissen ist daher grundsätzlich an einen konkreten Referenz- bzw. Sinnzusammenhang
gebunden.
Der Transfer von Wissen – sei es zwischen Personen oder Organisationen – ist
mithin an basale kulturelle Sinnzusammenhänge gebunden, auf die sich die Akteure in
ihren Interaktionen beziehen, um soziale und kognitive Anschlussfähigkeit zu
gewährleisten.56 „Lernen, Denken und Wissen basieren auf Beziehungen zwischen
Menschen, die mit Aktivitäten beschäftigt sind, die in, mit und aus der sozial und
kulturell strukturierten Welt heraus stattfinden. Diese Welt selbst ist sozial verfasst“
(Lave 1991, 67). Ein linearer Wissenstransfer, wie er der institutionenökonomischen
Theorie implizit zugrunde liegt, erscheint angesichts differenter Konstruktionen, Sinn-
und Relevanzsysteme unmöglich. „Thought worlds with different funds of knowledge
and systems of meaning cannot easily share ideas, and may view one another’s central
issues as esoteric, if not meaningless“ (Boland & Tenkasi 1995, 351). Diese sozio-
kulturelle Verfaßtheit von Interaktionsprozessen auf dem Kapitalmarkt hat die
empirische Kapitalmarktforschung schon länger im Blick, wie das nachstehende
Kapitel zeigt.

2.2. Informationen als soziale Konstruktionen – die Sicht der empirischen


Kapitalmarktforschung

Investoren fällen Urteile über den Wert von Kapitalanlagen in erster Linie aufgrund
der erwarteten Einzahlungen, die auf die Auszahlung beim Erwerb eines Finanztitels
folgen werden (Schmidt 2001). Basis des dabei verfolgten Ertragswertkonzepts ist die
Fundamentalanalyse. Der innere Wert eines Finanztitels wird hierbei mit seinem
Börsenkurs verglichen. „Liegt der Börsenkurs unter dem inneren Wert, gilt die Aktie
als unterbewertet und ist entsprechend zu kaufen; im anderen Fall wäre sie zu
verkaufen“ (Peridon/Steiner 1999, 211). Damit die Fundamentalanalyse sinnvoll ist,
muss angenommen werden,
z dass der Aktienkurs und der innerer Wert regelmäßig divergieren,
z dass der Aktienkurs generell zum inneren Wert tendiert und,
z dass der innere Wert mit hinreichender Genauigkeit abschätzbar ist
(Schredelseker 2002).
Das Interesse des Investors bzw. des ihm zuarbeitenden Analysten gilt daher der
Ermittlung des inneren oder „echten“ Aktienswerts. Die Wertermittlung wird durch
den naheliegenden Grundgedanken bestimmt, „dass der Kurs einer Aktie durch interne
und externe Unternehmensdaten und damit durch den inneren Wert (Intrinsic Value)
des Unternehmens bestimmt wird, das sie repräsentiert“ (Peridon/Steiner 1999, 211).
Graham und Dodd (1962, 24) bezeichnen daher auch als inneren Wert einer Aktie

56
Ähnlich betonen unlängst Porac et al. (2005, 595): „we should move from the notion of ’shared’ cognition as
an overlap of knowledge representations to ’sharing ’ cognition as a dynamic phenomenon that is situated in
concrete circumstances“.

97
„that value which is justified by the facts“. Demzufolge erscheint es nur zu
verständlich, dass nach einer repräsentativen Untersuchung unter deutschen
Fondsmanagern, 45 % der Befragten fundamentale Unternehmens- und Markt-
informationen als prioritär für ihre Anlageentscheidungen einstufen (Lütje/Menkhoff
2004). Scheint sich also auf den ersten Blick die Position der Standardökonomie zu
bestätigen, so relativiert sich bei einer detaillierten Analyse der
Untersuchungsergebnisse diese Sichtweise deutlich. Eine Erweiterung des
Analysefokus um solche Informationsquellen, die von hoher Bedeutung für die
Anlageentscheidung sind, macht die Relevanz von nicht-fundamentalen
Informationsquellen offenkundig. „Zwar liegen Fundamentals auch jetzt mit 95 %
vorn, doch die Kollegen(gespräche M.G.) erreichen nun 79 %, die technische Analyse
immerhin 71 %, während die drei anderen Informationsquellen deutlicher abfallen. Es
zeigt sich demnach, dass in der Praxis nicht-fundamentalen Informationen neben den
Fundamentals erhebliche Bedeutung als Informationsquelle zukommt“
(Lütje/Menkhoff 2004, 7). Die Bedeutung von nicht-fundamentalen Informationen für
die Ermittlung des Unternehmenswertes ist nicht neu. Bereits Keynes (1936)
vergleicht die Börse mit einem Schönheitswettbewerb. Hierbei gewinnt derjenige unter
den Juroren, der zutreffend die Kandidatin prognostiziert, welche die meisten Stimmen
auf sich vereint. Erfolg hat demnach nicht der Juror der Schönheit „richtig“ bewertet,
sondern die Meinungen der anderen Juroren zutreffend beurteilt. Neu ist hingegen,
dass die Berücksichtigung von nicht-fundamentalen Informationen bei der
Unternehmensbewertung nicht nur als irrationale Ausnahme von der rationalen Regel
gilt. Stellte doch die wissenschaftliche Berücksichtigung nicht-fundamentaler Faktoren
lange Zeit quasi ein Sakrileg an der herrschenden Theorie effizienter Märkte dar. Seit
Ende der achtziger Jahre werden die nicht-fundamentalen Ansätze mit mehr (LeRoy
1989, 1990) oder weniger Sympathie (Fama 1991) behandelt und haben sich zu einem
akzeptierten Forschungsgebiet entwickelt. Während es nur eine, wenngleich
diversifizierte fundamentale Theorie gibt, so liegen mittlerweile eine Vielzahl nicht-
fundamentaler Ansätze vor. Zu nennen sind hier etwa verhaltenswissenschaftliche
Ansätze, institutionell bedingtes „Herding“, destabilisierende Spekulation,
Informationsbubbles, Rational Bubbles und Noise Trading. Von Interesse ist hier
primär der letzte Ansatz – Noise Trading –, da er am ehesten einen geschlossenen
Gegenentwurf zur Sichtweise ständig fundamentaler Kursbildung liefert
(Menkhoff/Röckemann 1994; Menkhoff 1995; Röckemann 1995). Grundlegend für
die Forschungsrichtung ist die Arbeit von Black (1986). In Anlehnung an das weiße
Rauschen eines zufälligen Störterms in der Nachrichtentechnik führte er den Begriff
Noise ein. Noise ist hiernach „das Grundrauschen des Marktes, das unsystematisch
auftretende Handeln ohne fundamentalen Auslöser“ (Röckemann 1995, 50). Dieses
Rauschen unterscheidet er in seinem Kapitalmarktmodell von Informationen. Nun gibt
es Marktteilnehmer, deren Handeln auf fundamentalen Neuigkeiten basieren und damit
den Aktienpreis systematisch an neue Informationen anpassen. Diesen aufgrund

98
fundamentalen Informationen handelnden Anleger kontrastiert Black (1986) mit den
Noise Tradern, d.h. solchen Anlegern, die auf das Geräusch des Marktes achten.
„People sometimes trade on information in the usual way. They are correct in
expecting to make profits from these trades. On the other hand, people sometimes
trade on noise as if it were information” (Black 1986, 529).
In ähnlicher Weise unterscheidet Shiller (1984) bereits früher zwischen Ordinary
Investor – dem späteren Noise Trader – und dem Smart Money Investor. Während
Ersterer „no model or at best a very incomplete model of the behavior of prices,
dividends, or earnings of speculative assets“ (Shiller 1984, 464) hat, agieren Letztere
nach dem neoklassischen Marktmodell. Sie bilden ihre Erwartungen als gewichteten
Durchschnitt zukünftiger Dividendenzahlungen und passen diese rational an öffentlich
verfügbare, fundamentale Informationen an. Ihre Aktiennachfrage entwickelt sich
parallel zum prognostizierten Ertrag und wird durch die Risikoaversion und das
Vermögen restringiert. Hingegen beinhaltet die Gruppe der Ordinary Investors solche
Anleger, die von den rationalerweise zu erwartenden Erträgen abweichend
entscheiden. Ihnen wird zunächst keine bestimmte Verhaltensweise unterstellt. Die
Verzerrungen der Noise Trader werden nach Shiller (1984; 1995; 1999; 2000)
beispielsweise von Moden, Gruppenzwängen und sozialer Kommunikation ausgelöst
und schlagen sich in spezifischer Weise in den Preisen nieder. Grundlegend hierbei ist
die Erkenntnis, dass auch das Investieren in Aktien eine soziale Handlung ist. Daraus
folgert er: „individul opinions are influenced by the opinions of others“ (Shiller 1984,
465). “Investors spend a substantial part of their … time discussing investments …, or
gossiping about others’ successes or failures in investing” (Shiller 1984, 457). Mit
Verweis auf sozialpsychologische (Levine/Resnick 1993) und anthropologische
(Goodwin/Heritage 1990) Kommunikationsforschung verweist Shiller (1995) auf die
Kontextualität und Regelorientierung von Kommunikationsprozessen. Mit dieser
Position grenzt er sich dezidiert von informationsorientierten Herdingansätzen
(Banerjee 1992; Bikhchandani/Hirshleifer/Welch 1992) ab, bei denen Informationen
durch das beobachtete Verhalten anderer erworben werden. Getreu dem Motto
„actions speak louder than words“ (Wärneryd 2001, 220) basieren diese Ansätze
implizit auf der selbsterklärenden Evidenz von Signalling-Handlungen. Unabhängig
von Ort, Zeit und sozialem Kontext lassen sich die Signale zweifelsfrei decodieren und
bilden die Stimuli für mögliches Herdenverhalten. Im Gegensatz hierzu stellt Shiller
die Interpretationsnotwendigkeit und soziale Anschlussfähigkeit von Informationen im
Besonderen und Verhalten im Allgemeinen heraus. Wie eine Information verstanden
wird und ob sie sich als kommunikativ anschlussfähig erweist, hängt maßgeblich von
den kontextspezifischen Konversationsregeln ab. „The topic of whether the national
debt should be regarded as wealth is just not suitable for discussions outside of
economics departments coffee hours, as if the topic of how much we should diversify
our portfolios and hedge risks (Shiller 1995, 184). Unterschiedliche Gruppen – so
Shiller (1995, 1985) – “have different tendencies – different in terms of conversation

99
patterns as well as circumstances promoting informational cascades – to transmit
certain kinds of information and thereby place it in their collective memories”. Was
letztlich als Stimulus eine Informationskaskade auslöst oder ein Herdenverhalten in
Gang setzt, divergiert gruppenspezifisch beträchtlich. „Moreover, stimuli to
conversation are different across groups; each group has its own reminders of
conversation topics“ (Shiller 1995, 185).
Während Shiller (1995) primär auf die soziale Dimension der Informations-
transformation und –interpretation fokussiert, nimmt Menkhoff (1995) die
Konstruktivität der Informationen selbst in den Blick. Diese Sicht bedeutet „eine
Umkehrung der ökonomischen Perspektive zu spekulativen Prozessen“ (Menkhoff
1995, 186). Ausgehend von institutionellen Rahmenbedingungen, die die vernünftigen
Verhaltensoptionen restringieren, und unter Addition einer beobachtbaren Form der
Informationsverarbeitung, die mehr Möglichkeiten zulässt als die ökonomische
Theorie, ergeben sich laut Menkhoff (1995, 186) „entsprechend vielfältigere Einflüsse
auf die Kursbildung als alleinige Fundamentals: Kursinformationen werden gemacht
und sind nicht bereits vorhanden“.
Neben der Endogenisierung von Informationen durch den Spekulationsprozess legen
laut Menkhoff (1995, 207) „die angestellten Analysen eine Erweiterung der
vorherrschenden ökonomischen Theorie“ um weitere Komponenten nahe. Menkhoff
nennt hier u.a. die Unsicherheit über Fundamentals und konkurrierende Interessen der
Akteure. Ersteres verhindert die Existenz eines eindeutig als „richtig“ erkennbaren
Fundamentalkurses. Weder lassen sich die Fundamentals zu einem gegebenen
Zeitpunkt eindeutig bestimmen, noch erweisen sie sich im Zeitablauf als stabil.
Ökonomische Fundamentals – so Menkhoff (1995, 209) resümierend – „ sind also
nicht aus sich heraus eindeutig zu verstehen, sondern bedürfen eines interpretativen
Kontextes, den man als Erwartungsstruktur der Marktteilnehmer bezeichnen kann“.
Weiterhin greift die Relevanz von konkurrierenden Interessen für die Erklärung von
unterschiedlichen Anlagestrategien ein Charakteristikum von Preisbildungssprozessen
auf, auf die Black (1986), Shiller (1984; 1995; 1999; 2000) oder Wärneryd (2001)
gleichfalls verweisen: „Der Preis der Aktie wird zum sozialen Faktum“ (Maas/Weibler
1991, 18). Insbesondere bei institutionellen Investoren, die mit marktbasierten
Anreizsystemen den organisationsinternen Wettbewerbsdruck anheizen, beobachten
die Investmentbanker, Analysten, Aktienhändler etc. nicht nur ihr Erkenntnisobjekt,
sondern auch ihr Gegenüber: Die Marktteilnehmer beobachten den Markt, indem sie
sich gegenseitig beobachten. Konkurrenten benutzen sich gegenseitig als Spiegel und
erhoffen sich davon ein Fenster zum Markt57. Darüber hinaus machen sie – zumindest
zum Teil – die eigenen Handlungen wechselseitig voneinander abhängig.

57
Die Idee vom Markt als wechselseitige Beobachtung von Konkurrenten geht auf Harrison White (1981)
zurück. Anbieter spekulieren demnach weniger darüber, was die Nachfrager wollen, sondern richten ihre
Handlungen an denen ihrer Konkurrenten aus. Der wechselseitige Spiegel der Anbieter wird damit durch ein
Rückschlussverfahren zum Fenster auf die Nachfrager.

100
Die skizzierten Interdependenzen der institutionellen und individuellen Markteil-
nehmer und die hiermit verbundenen Auswirkungen auf die Preisbildung stellt die
fundamentale Theorie vor Erklärungsnöte. Ihre Reaktion besteht darin, die
erweiternden Perspektiven durch idealisierende Annahmen auszuschließen. Indem
namhafte Protagonisten auf die Notwendigkeit einer geschlossenen, handhabbaren
Theorie als sine qua non der Finanzwirtschaft verweisen, können sie den hohen
Abstraktionsgrad mit entsprechend notwendigen Vereinfachungen vermeintlich
problemlos legitimieren. „Solange die Börsenpsychologie aber nicht in der Lage ist,
Anlegerverhalten systematisch zu erklären und zu prognostizieren, liefert die
Vorstellung von seelenlosen ß-Anlegerandroiden die besten Näherungsmodelle für die
Preisbildung an den Kapitalmärkten“ (Gerke/Arneth 2001, 426).
Auf einem Kontinuum varriierender Abstraktion, auf dem sich Erklärungen
anordnen lassen, bezeichnet die traditionelle fundamentale Theorie einen Endpunkt.
Den anderen Endpunkt markiert die Einzelfallerklärung. Die fundamentale Theorie
beschreibt letztlich „einen Grenzfall der Wirklichkeit spekulativer Märkte“ (Menkhoff
1995, 209). Eignet sie sich auch als Bezugsrahmen für Abweichungen und liefert sie in
vielen Fällen aussagekräftige Erklärungen, so bleibt sie doch in ihrer restriktiven
Ausprägung für die Praxis weitgehend ohne Relevanz: „Wer die Umwelt in der
Vergangenheit so schlicht gesehen hätte, der hätte als spekulierender Marktteilnehmer
vermutlich seine berufliche Position verloren“ (Menkhoff 1995, 209). Auch wenn es
zunächst paradox erscheint, so ist es gerade das Kernstück der traditionellen
Kapitalmarkttheorie, welches sich als unzureichend erweist: „Das restriktive Bild
rationaler Erwartungsbildung über Fundamentals unterschätzt die Leistungsfähigkeit
der Marktteilnehmer. Im Umfeld dieser Märkte denken professionelle Spekulanten
weiter, so dass auch die Logik dieser Märkte eine andere als die der fundamentalen
Theorie ist“ (Menkhoff 2005, 209)58. Wie sich die kommunikative Interdependenz
zwischen Marktteilnehmern und hierbei insbesondere zwischen Publikumsgesellschaf-
ten und ihren institutionellen Investoren darstellt und sich auf die Wertermittlung und
-prognose auswirkt, wird im Folgenden beschrieben.

2.3. Unternehmenssteuerung als Wissensproblem – die Sicht der


Wissenssoziologie

Im Interaktionsprozess zwischen Publikumsgesellschaft und institutionellem Investor


sind primär zwei Akteursgruppen von Interesse. Auf Seiten der Publikumsgesellschaft
sind es in erster Linie die Akteure aus dem finanzwirtschaftlichen Zentralbereich. Sie
generieren in Abstimmung mit den einzelnen Unternehmenssparten die Informationen,
die dann in überarbeiteter Form Eingang in die „offizielle“ Kapitalmarktkommuni-

58
„Markets develop a momentum of their own. Because financial markets are highly speculative, they operate
according to a set of internal dynamics largely divorced from the real economy”. (Pearlstein 1994, D 13 zitiert
nach Mars 1998, 206).

101
kation finden. Sie sind i.d.R. auch der zentrale Ansprechpartner für die zweite, an dem
Interaktionsprozess beteiligte Akteursgruppe. Hierbei handelt es sich um einen
Handlungsverbund von Analysten und Portfoliomanagern, die auf Investorenseite den
Interaktionsprozess bestreiten. Während die Analysten in der beständigen Interaktion
mit den Unternehmensvertretern versuchen, das „wahre“ Unternehmen hinter der
„offiziellen“ Darstellung zu entdecken und hierbei vielfältiges Unternehmenswissen
generieren, sind die Portfoliomanager die eigentlichen Entscheider im
Interaktionsprozess. Auf Basis der Unternehmensanalysen treffen sie ihre Investitions-
entscheidungen und setzen hierdurch via Kapitalmarkt Steuerungsimpulse für die
Publikumsgesellschaften. Diesen Interaktionsprozess gilt es im Folgenden näher zu
untersuchen.

2.3.1. Die Kapitalgesellschaft im Prozess der Wissensgenese – nur


Kommunikator?

2.3.1.1. Finanzorganisation, Unternehmenssteuerung und Kommunikation

In Zeiten globalisierter Finanzmärkte mutiert die Finanzorganisation von einem


Shareholder-Value-Advokat (Rumpf zit. nach Rieder 1996) zu einem „Opfer“
(kapital-) marktorientierter Steuerung. Bestimmte lange Zeit die Liquiditätssicherung
als betriebswirtschaftliches a priori die Aufgaben der Finanzorganisation (Hauschild
1968), so hat sich dies im Zuge finanzwirtschaftlicher Globalisierung und
kapitalmarktorientierter Anlagekultur grundlegend geändert. Wie Heldt (2002) in
einem Zeitvergleich zur Organisation der finanziellen Führung in deutschen
Publikumsgesellschaften deutlich macht, wird die Dominanz des Liquiditätspostulats
zunehmend von Wirtschaftlichkeits- und Gewinnüberlegungen verdrängt. „Knapp sind
nicht mehr die finanziellen Mittel, sondern Investitionsalternativen, die diesen
Ertragsansprüchen gerecht werden“ (Hauschild/Held 2001b, 345). Waren die
bedeutsameren Managemententscheidungen bis dato eng mit dem güterwirtschaft-
lichen Leistungsprozess verbunden, so werden sie zunehmend auf der Meta-Ebene
finanzwirtschaftlichen Portfoliodenkens angesiedelt (Rieder 1996). Konzernzentralen
mutieren zu reinen Holding-Gesellschaften. Die Grenzen zwischen dem finanziellen
und dem nicht-finanziellen Sektor verwischen.
Im Zuge dieser finanzwirtschaftlichen Prioritätenverschiebung verändert sich auch
das Kommunikations- und Informationsverhalten. So kommt Heldt (2002, 356) mit
Blick auf den Wandel der Finanzkommunikation zu folgendem Ergebnis: „Die
finanzwirtschaftlichen Kommunikationsbeziehungen sind formalisierter geworden, die
Informationsversorgung zuverlässiger, der Kommunikationsfluß offener, direkter,
schneller und widerstandsfreier, das Informationsangebot umfangreicher und
zielgerichteter, die Informationsnachfrage selektiver“. Den Wandel zu einer offeneren
Kommunikationskultur sehen die Interviewpartner in Heldts Untersuchung (2002) in
einem Generationswechsel gepaart mit einer zunehmenden Professionalisierung des

102
Managements begründet. Begünstigend wirkt sich auch die zunehmende Trennung von
Eigentum und Leitung aus.:
„Vor 28 Jahren waren wir noch ein familiengeprägtes Unternehmen, jede
Informationsweitergabe war fast so viel wie Geheimnisweitergabe. Heute sind auch
die Statthalter der Familie nicht mehr da, und es sind heute reichlich unbekümmerte
junge Leute am Werk, die sagen, das ist doch ganz normal, darüber kann man reden“
(Interview zitiert nach Heldt 2002, 357).
Der Generationswechsel verändert auch die Führungskultur. Mit der Reduzierung
von Delegationsbarrieren, dem Wandel des Mitarbeiters von einem Befehlsempfänger
zu einem Ratgeber, gewinnt wechselseitiges Vertrauen an Relevanz:
„... auch das Delegieren von Kompetenzen und Verantwortung auf die Einzelnen,
die Art und Weise, wie wir mit denen diskutieren, so etwas gab es da nicht in der Form
früher. Da war es ein, ich sage mal, ein Antanzen und Reporten. Heute ist das ein
Dialog“ (Interview zitiert nach Heldt 2002, 357).
Aber nicht nur die vertikale Kommunikation ist offener und vertrauensvoller
geworden. Auch auf vertikaler Ebene ist eine „Entproblematisierung“ des
Informations- und Kommunikationsflusses zu beobachten. Insbesondere an der
Relevanz einer störungsfreien Kommunikation zwischen Treasurer und Controller
lassen die Gesprächspartner in Helds Untersuchung (2002) wenig Zweifel aufkommen.
Um Informationswiderstände zu überwinden, setzt der Controller hierbei weniger auf
seine Befehlsgewalt kraft hierarchischer Position, sondern auf seine Fachkompetenz
und seine Stellung als Prozesspromotor. „Seine Informationsautorität und sein Einfluß
auf unternehmerische Entscheidungen gedeihen in einem Kreislauf gegenseitigen
Gebens und Nehmens“ (Heldt 2002, 359). Es ist kein Einzelfall – wie Heldt (2002)
betont –, wenn Finanzvorstände den Begriff „Finanzbereich“ vornehmlich mit
„Controlling“ assoziieren:
„Die Bedeutung des Finanzbereichs hat immer mehr zugenommen, mit
zunehmender Information, die halt vorliegt. Früher hatten wir halt eine Buchhaltung,
die hat sich um diese Sachen nicht gekümmert, da gings darum, dass die Sachen
bearbeitet werden. Heute ist der Rat des Finanzbereichs gefragt, weil er halt auch der
Informationspool ist und hier Spezialisten sind, die mit Informationen auch umgehen
können“ (Interview zitiert nach Heldt 2002, 359).
In dieser Spirale des Gebens und Nehmens modifizieren operative Einheiten ihr
Planungsbewusstsein. Neben dem Rechenschafts- und Sanktionsdenken wird das
Planungsbewusstsein zunehmend vom Steuerungsdenken geprägt:
„Das ist doch so eine Stimmung, die grenzenlose Ablehnung von Planungen
gegenüber der Zentrale ist völlig anders geworden. Es ist auf allen Seiten auch ein
Dialog möglich, ... weil die einsehen, dass man damit auch was anfangen kann, für die
eigene Steuerung ...“ (Interview zitiert nach Heldt 2002, 359).
Forciert wird dieses Steuerungsdenken durch die Restrukturierung der Unternehmen
in erfolgsverantwortliche Spartenorganisationen. Die rechtliche Verselbstständigung

103
von Subeinheiten erfordert ein autonomes Bereichsrechnungswesen, die
verursachungsgerechte Zuschreibung der Spartenergebnisse erhöht die Transparenz
des Unternehmensgeschehens. Das „Röntgenbild des Unternehmens“ gewinnt so
zusätzliche Schärfe. Indem die finanzielle Führung auf Teile des „Röntgenbildes“
zugreifen kann, profitiert sie von der Informationsbeschaffungsmacht, der
Einheitlichkeit des Informationsstandes und dem güterwirtschaftlichen Sachverstand
des Controllers. Im Kontext dieser Entwicklungen entstehen Lernprozesse, die
potentiell eine Ursache-Wirkungs-Spirale in Gang setzen. Ein gezielteres
Informationsangebot impliziert gezieltere Informationsnachfrage und umgekehrt.
Individuelle Fähigkeiten im Umgang mit Informationen erhöhen sich simultan mit der
Qualität der Informationsversorgung. Deutlich wird die potentielle Eigendynamik
finanzwirtschaftlicher Kommunikationsbeziehungen in folgendem Zitat:
„Ich denke, dass sich die Informationsdichte stark erhöht hat. Klar, durch das
Informationsbedürfnis. Wissen Sie, wenn Sie jemandem eine Zahl nennen und er
sagte, das ist schön, dann ist das eine Sache. Wenn er aber sagte, warum hat sie sich
geändert, wegen der Abstufung des Wissens-Wollens, wie weit runter will er wissen,
ob sich was geändert hat, ist natürlich der Bedarf an der Ausleuchtung eines Bereiches
oder eines Vorganges sehr hoch. Sie gewöhnen sich natürlich auch eine Art von
Informationsverarbeitung an, und fragen nach, um alles befriedigen zu können. Das ist
schon sehr dicht. Und eine enge Kooperation erforderlich.“ (Interview zitiert nach
Heldt 2002, 360).
Die Verdrängung des Liquiditätspostulats zugunsten einer Ertragsorientierung
impliziert nicht nur einen Wandel in der organisationsinternen Kommunikation. Auch
bei der externen Finanzkommunikation findet eine Prioritätenverschiebung statt. Der
Schwerpunkt verlagert sich von dem Fremdkapital- auf den Eigenkapitalgeber. Denn:
im Zuge fortschreitender Globalisierung der Finanzmärkte findet die Börse vollständig
zu ihrer ursprünglichen Finanzierungsfunktion zurück. Unternehmen bedienen sich
hier zunehmend selbst. Banken werden in die Rolle des technisch-organisatorischen
Abwicklers gedrängt (Hauschild/Heldt 2001). Führt die Entmachtung der Banken auf
den ersten Blick zu einer Stärkung des Vorstands, so macht bei näherem Hinsehen
„der mündig gewordene Aktionär, insbesondere der institutionelle Investor, ihm diese
Alleinherrschaft streitig“ (Hauschildt/Heldt 2001, 347). Mit dem Verweis auf einen
entsprechenden Shareholder Value, reklamieren die institutionellen Anleger
Mitsprache bei strategisch bedeutsamen Akquisitionsentscheidungen oder kosten-
intensiven Produktinnovationen (Günther/Ottersbein 1995). Vor allem aber möchten
sie vorab informiert werden. „Wo sich früher Unternehmen der Öffentlichkeit
gegenüber verschlossen und Journalisten wie Analysten nicht ungern am Betreten des
Werksgeländes gehindert hätten, reisen heute Finanzvorstände durch die Hauptstädte
der Weltfinanz und stehen jungen Analysten bereitwillig Rede und Antwort"
(Wolff/Rolke 2000, 11). Angesichts der gegenwärtigen proaktiven Informationspolitik
mutet das Informationsgebaren in den 60er Jahren geradezu vorsintflutlich an:

104
„Wenn ich daran denke, was wir früher alles nicht gesagt haben, in der Sorge, es
könnte uns schaden. Wenn Erstaunen daran gemessen wird, dass sich jemand im
Grabe umdreht, dann würde ich meinen, das sind die Rechnungswesenleute aus dem
Jahre 1965. Die würden, wenn sie das sehen, was wir heute publizieren, sich dreimal
im Grab umdrehen. Ich war damals auch in den Gesprächen drin, da haben die
Buchhalter einen AUFSTAND geprobt, dass sie Umsätze veröffentlichen sollen.“
(Interview zitiert nach Heldt 2002, 363)
Zeichnete sich die Berichterstattung von Unternehmen lange Zeit durch eine
restriktive Informationspolitik aus, so werden im Rahmen moderner Kapitalmarkt-
kommunikation ganze Themenbündel präsentiert. Unternehmensstories, -philosophien,
Leistungen und Persönlichkeitsmerkmale des Top-Managements gehören ebenso zu
den Kommunikationsinhalten wie unternehmensspezifische Kernkompetenzen, die
Attraktivität des Business-Portfolios, die Managementleistungen oder eine optimierte
Finanzstruktur. Mit dem Wohlwollen der institutionellen Investoren im Wettbewerb
um Kapital können nur die Unternehmen rechnen, die sich den internationalen
Standards der Planung, Rechnungslegung, Prüfung, Publizität und Kommunikation
beugen. „Der Informationsstand eines Analysten über das Unternehmen erreicht
Dimensionen, die die traditionelle Lehrbucheinteilung des Rechnungswesens nach
internen und externen Adressaten gegenstandslos werden lassen“ (Hauschildt/Heldt
2001, 354).
Der Begriff „finanzielle Führung“ eignet sich mithin nur noch bedingt für die
gegenwärtige Funktion des Finanzmanagements. Als treffender erweist sich hier der
Terminus des „finanziellen Schnittstellenmanagements“, bei dem der Ausgleich
zwischen den Unternehmens- und den Aktionärspositionen im Mittelpunkt steht. Es
sind primär die Finanzmanager, die die Investoren von der Qualität des Unternehmens
überzeugen müssen (Heldt 2002). In ihrer kommunikativen Schnittstellenfunktion
beschränkt sich das Finanzmanagement nicht darauf, auf Anfragen zu reagieren:
„... da gehen wir aktiv vor, wir informieren also Banken, Investmentfonds et cetera
über das, was wir vorhaben und stehen ihnen Antwort da“. (Interview zitiert nach
Heldt 2002, 364).
Notwendig für die Überzeugungsarbeit ist eine Mentalität, die der finanzwirt-
schaftlichen Denkweise vergangener Tage diametral entgegensteht: das Denken in
Marketing-Kategorien. Es gilt ständig, die Kapitalmarktattraktivität des Unternehmens
zu erhöhen. Insofern bedeutet Informationspolitik nicht die gelegentliche Bereit-
stellung guter Nachrichten, sondern generell eine aktionärsfokussierte Kommunikation
zu gewährleisten (Hauschildt/Heldt 2001). Welche Auswirkungen das Denken in
Marketing-Kategorien auf die betriebliche Rechnungslegung als zentrales Informa-
tionsinstrument hat, zeigt das nächste Kapitel.

105
2.3.1.2. Fair Value, Bilanzpolitik und die Logik der Rechnungslegung

Wie für die meisten potenziellen Adressaten, so liegt auch für institutionelle
Investoren „die wichtigste Wirkung des Rechnungssystems darin, für sie alle wahren
und entscheidungsrelevanten Informationen bereitstellen zu können“ (Schweitzer
2002, 2019). Ihre Ansprüche in punkto Rechenschafts- und Informationsfunktion
bilden im Zuge der Shareholder-Value-Orientierung den Ausgangspunkt für die
Gestaltung des Jahresabschlusses (Schweitzer 2002). Vormals eherne Grundsätze
deutscher Rechnungslegung weichen zunehmend „einem angelsächsisch geprägten
Informationsbedürfnis nach einem ’Mehr’ an Darstellung der ökonomischen Realität“
(Küting 2005, 497). In Einklang mit dem informationsökonomischen Feinheitstheorem
(Marschak 1974; Marshall 1972), demzufolge das feinere Informationssystem
gegenüber dem groberen „einen besseren Rückschluss auf den wahren Zustand der
Welt erlaubt“ (Ballwieser 1985, 52), wird der „Fair Value“59 als objektiverer
Bewertungsmaßstab für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens
betrachtet.
Der Siegeszug des angelsächsische Fair-Value-Ansatzes in der Unternehmenspraxis
erfährt seine theoretische Legitimation durch die Institutionenökonomie. Während
nämlich in der deutschen Rechnungslegung nach HGB die Sicherungsfunktion im
Sinne eines umfassenden Gläubigerschutzes dominiert, fokussiert das angelsächsische
Modell bei der Gestaltung und Struktur des Rechnungslegungssystems primär die
(Informations-)Bedürfnisse der Anteilseigner als Prinzipale der Publikumsgesell-
schaften. Übersehen wird bei der Bewertung jedoch mitunter, dass das
Rechnungslegungssystem unabhängig von Entstehungskontext und -intention dem
Unternehmensmanagement weitreichende Spielräume bei der Anwendung dieses
Regelsystems ermöglicht. Zwar enthalten die Rechnungssysteme IFRS oder US-
GAAP weniger offene Ansatz- und Bewertungswahlrechte als das deutsche
Bilanzrecht. Im Gegenzug beinhalten Erstere jedoch mehr Ermessensspielräume bei
der Interpretation von Ansatz- und Bewertungsvoraussetzungen (Kleekämper/
Kuhlewind 2002). Deutlich wird die Evidenz solcher Spielräume etwa bei der
Bewertung von Vermögenswerten oder Schuldposten nach dem Fair-Value-Ansatz.
Existieren für die zu bewertenden Positionen keine verlässlichen Marktwerte – und das
dürfte mit Ausnahme von Finanzinstrumenten die Mehrzahl aller Bilanzpositionen
betreffen –, muss der Bilanzierende entscheiden, nach welcher Ausprägung der Fair
Value zu schätzen ist (Küting 2005).
Wie dieser Ermessungsspielraum ausgefüllt wird, ist abhängig von der Wirkung, die
das Unternehmensmanagement bei dem Adressaten der Bewertung hervorrufen will.

59
Laut der vom internationalen Standardsetter IASB herausgegebenen deutschsprachigen Textausgabe wird der
Fair Value als „beizulegender Zeitwert“ bezeichnet. Danach ist der beizulegende Zeitwert der Betrag, zu dem
zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein
Vermögenswert getauscht oder eine Schuld beglichen werden könnte.

106
„Die zweckorientierte, innerhalb der gesetzlichen Vorschriften zulässige Einfluss-
nahme auf einzelne Jahresabschlussbestandteile und die bewusste Steuerung der
Wirkung von Jahresabschluss und Bilanzierung auf den Bilanzadressaten wird als
’Bilanzpolitik’ bezeichnet“ (Küting 2005, 503). Die Bilanzpolitik verfolgt keine
orginären Ziele. Sie ist vielmehr in die Erreichung übergeordneter Unternehmensziele
eingebettet und somit als Teil einer langfristigen Unternehmensstrategie zu betrachten.
Die Ziele der Bilanzpolitik lassen sich in monetäre und nicht-monetäre Ziele
unterteilen. Bei den monetären Zielen ist zwischen einer unmittelbaren und einer
mittelbaren Beeinflussung des finanziellen Bereichs zu differenzieren (Scheffler 2002;
Küting 2001). Die Bilanzpolitik wirkt sich insofern unmittelbar auf den finanziellen
Bereich aus, als über sie gewinnabhängige Zahlungen – insbesondere Gewinn-
ausschüttungen, Steuern und Gewinnbeteiligungen – beeinflusst werden können. „Die
mittelbare Beeinflussung des finanziellen Bereichs zielt darauf ab, den künftigen
Mittelzufluss von außen durch Schaffung eines verhaltensbeeinflussenden,
akuisitorischen Bilanzbildes zu steuern“ (Küting 2001, 335). Zunächst wird das
gewünschte Verhalten der Bilanzadressaten ermittelt, das dann gezielt durch den
Einsatz bilanzpolitischer Maßnahmen auszulösen ist. Sollen etwa finanzwirtschaftliche
Partner zu einer Zuführung von Eigenkapital bewegt werden, so muss eine
Publikumsgesellschaft ihnen Bilanzrelationen präsentieren, die deren Vorstellungen
von einem liquiden und kreditwürdigen Unternehmen entsprechen. Je besser ihr dies
gelingt, umso eher lässt sich das gewünschten Verhalten evozieren (Scheffler 2002;
Küting 2001).
In ähnlicher Weise fokussiert Küting (2001) im Rahmen der nicht-monetären Ziele
der Bilanzpolitik auf die Relevanz, die der Jahresabschluss für die Außendarstellung
des Unternehmens hat. In seiner Funktion als „Schaufenster der Unternehmung“
(Küting 2001, 337) ist der Jahresabschluss zentral für die Genese und Erhaltung von
Beziehungen mit den relevanten Anspruchsgruppen. „Insbesondere große Publikums-
gesellschaften begreifen ihn als geeignetes Hilfsmittel, um die angestrebte Selbst-
darstellung des Unternehmens nach außen zu unterstützen“ (Küting 2001, 337). Der
Jahresabschluss wird somit zu einer tragenden Säule der Kapitalmarkt-
kommunikation. Wichtig ist hierbei nicht nur, wie die Informationsempfänger auf die
bilanzpolitischen Maßnahmen reagieren. Vielmehr “dürfen sich diese Maßnahmen von
den Bilanzadressaten nicht dechiffrieren lassen, da sie ansonsten ihre verhaltens-
beeinflussende Wirkung verlieren oder sogar gegen die Interessen des Unternehmens
verwendet werden können“ (Küting 2001, 337). Nur folgerichtig gilt die
Erkennbarkeit, d.h. die Möglichkeit, bilanzpolitische Instrumente seitens des
Informationsempfängers zu erkennen und beitragsmäßig nachvollziehen zu können als
zentrales Auswahlkriterium bilanzpolitischer Instrumente (Pfleger 1991; Küting 2001).
Deutlich werden hier die Grenzen einer institutionenökonomischen Interpretation
der Rechnungslegung (Kirschenheiter 1999), die diese „als ein Informationssystem
modelliert, das bestimmte Signale in einer ganz bestimmten vordefinierten Form

107
berichtet“ (Wagenhofer 2001, 465). Nach dieser Perspektive wird die Form entweder
exogen vorgegeben oder vom Prinzipal ausgewählt und vertraglich fixiert. Der Agent
kann die Abbildung der Tatbestände in der Rechnungslegung generell nicht
beeinflussen. Diese Vorstellung erscheint Vertretern der Agency-Theorie
(Demski/Patell/Wolfson 1984; Penno 1990; Dye/Verrecchia 1995) revisionsbedürftig.
Sie verweisen im Rahmen der Bilanzpolitik auf unterschiedliche Spielräume bei der
Gestaltung der Rechnungslegung, die die Manager opportunistisch ausnutzen können.
Diese müssen jedoch für den Prinzipal nicht zwangsläufig negative Folgen zeitigen.
„Eine grundlegende Möglichkeit für einen Vorteil von Spielräumen liegt darin, dass es
informativ sein kann, deren Auswahl zu beobachten“ (Wagenhofer 2001, 467). Dies
modellieren Demski, Patell und Wolfson (1984) in einem einperiodigen Prinzipal-
Agenten-Modell. Der Agent erbringt hierbei eine Arbeitsleistung und bekommt ein
Signal über die Produktivität des Produktionsprozesses. Zwei Informationssysteme
stehen zur Auswahl, die je spezifische Partitionen des zugrunde liegenden Signals
dokumentieren. Die Autoren können nun zeigen, dass es für den Prinzipal günstiger
ist, wenn er dem Agenten die Auswahl des Informationssystems überlässt, als wenn er
diese selbst vornimmt. Der Prinzipal muss jedoch die gewählte Alternative beobachten
können. Dies trifft beispielsweise auf Bewertungsmethoden zu, die im Anhang eines
Jahresabschlusses dokumentiert werden.
Der Vorteil deligierter Wahl basiert auf der Annahme, dass „der Agent mit seiner
Wahl implizit zusätzliche Information über die zugrunde liegende Produktivität liefern
kann“ (Wagenhofer 2001, 467). Diese Konstellation ähnelt in seiner Form den
Selbstwahlschemata (Arrow 1985), bei denen die Auswahl von vorgegebenen
Handlungsalternativen – hier Rechnungslegungssystemen – für den Agenten mit
Konsequenzen verbunden ist und daher richtige Angaben gegenüber unrichtigen von
Vorteil sind. Insofern stellt die Auswahl aus den vorgegebenen Alternativen selbst ein
wertvolles Signal dar (Wagenhofer 2001).
Die Aussagekraft dieses Signals gilt nur für den Fall, dass sich der Agent bei der
Ausübung der Handlungsspielräume an die allgemein anerkannte Kausalität der
Rechnungslegung hält, d.h. die Art der Investition entscheidet über ihre Abbildung in
der Bilanz. Wie nun aktuelle Fälle der Bilanzmanipulation in amerikanischen (z.B.
Enron, Sunbeam, Cendant), deutschen (Südzucker, Bankgesellschaft Berlin) oder
italienischen (Parmalat) Unternehmen zeigen, ist dem nicht zwangsläufig so. Mit Blick
auf amerikanische Rechnungslegungsstandards, die als anlegerfreundlich gelten und
deren Wahl ein positives Signal für die Produktivität des Agenten ist, machen
Lüdenbach und Hoffmann (2002) die begrenzte Aussagefähigkeit von anerkannten
Bewertungsmethoden und -modellen deutlich. Da „ein wesentlicher Teil der
Bilanzgestaltung des Enron-Managements sich auf legalem Wege vollzog“
(Lüdenbach/Hoffmann 2002, 1169), stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Logik
dieses „ganz spezifischen Informationssystems“ (Wagenhofer 2001, 440). Denn es ist
gerade die mit dem guten Ruf des amerikanischen Rechnungslegungsstandards

108
verbundene Signalwirkung, die von dem Enron-Management reflexiv genutzt, zu einer
vermeintlichen Sicherheit der Aktionäre führte. Die am Kapitalmarkt gesammelten
Gelder – so Lüdenbach und Hoffmann (2002, 1174) – , „wurden vom Enron-
Management nicht mehr dort investiert, wo es der langfristigen Entwicklung des
Unternehmens und dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen am besten gedient hätte,
sondern dort, wo sich mit ihnen am besten Bilanz-und Ergebnispolitik machen ließ“.
Ohne realen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Bezug wurden die Mittel für
Kontrakte und Derivate dort genutzt, wo sie das amerikanische Rechnungs-
legungssystem prämierte. „Nicht mehr die Art der Investition entschied über ihre
Abbildung in der US-GAAP Bilanz, sondern die Regeln des US-GAAP entschieden
über den Inhalt der Investitionen“ (Lüdenbach/Hoffmann 2002, 1174)60.
Mag man die skizzierte Umkehrung der Kausalität in der Rechnungslegung im Falle
von Enron als kriminelle Ausnahme brandmarken, so macht ein Blick auf den
Strategiebildungsprozess bei der General Electric Company (GE) die unternehmens-
politische Evidenz des – postmodernen – Vexierspiels von regelgeleiteter Abbildung
und „realem“ Tatbestand deutlich. Folgt man dem Wall Street Journal (1994, zit. nach
Macintosh/Shearer/Welker/Thornton 2000, 32), so erfreut sich GE "a very large
amount of flexiblity to ... deliver strong, consistent earnings growth in a myriad of
global economic conditions". Insofern kommt der Ruf von GE, ein führender Vertreter
moderner Bilanzpolitik auf dem Globus zu sein, nicht von ungefähr. Vor ihrer
Durchführung werden Akuisitionen, Restrukturierungen oder Abbau von Unter-
nehmensteilen zumeist im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die offiziellen Erträge
modelliert. Hier kehrt sich quasi die traditionelle Vorstellung von Strategie-
implementation und Finanzberichterstattung um: Nicht mehr länger wird die Strategie
gesetzt und die Finanzberichterstattung stellt nach der Implementation die Resultate
dar, sondern "in GE's case the accounting model (the map) percedes the
implementation of the strategy (the territory)" (Macintosh/Shearer/Welker/Thornton
2000, 32)61. Deutlich wird hier eine zentrale Figur postmoderner Accoutings-
forschung: die Reflexivität des Modells. So ist nicht nur festzuhalten, dass es sich bei
dem ex ante accounting model selbst um eine Simulation der Analystenerwartungen
handelt. Dieses auf rekursiver Basis erschaffene Modell seinerseits wird via
Unternehmensstrategie wieder in die Unternehmensberichterstattung eingespeist. Setzt
die avancierte Financeforschung (Black 1986; Shiller 1984, 1995) mit ihrer Unter-

60
Der Bundesverband der deutschen Banken hat diesen Gedanken seiner Zeit in einer Stellungnahme zur Fair-
Value-Bilanzierung für Finanzinstrumente ebenso subtil wie treffend formuliert: Durch die Markt-to-market-
Bilanzierung im Rahmen des Fair-Value-Ansatzes nach IAS 39 „entstehen in den Unternehmen bei der
Ergebnissteuerung Zielkonflikte, die die Aufgabe der Rechnungslegung, geschäftliche Realitäten adäquat
abzubilden, in Frage stellt. Es entsteht die Gefahr, dass die dienende Funktion der Rechnungslegung in eine
Gestaltungsfunktion mutiert, die selbst Realitäten schafft“ (drsc.de zit. nach Lüdenbach/Hoffmann 2002,
1174).
61
Dies scheint nicht nur ein amerikanisches Phänomen zu sein. Betonen doch Hauschildt und Heldt (2001) in
ihrer Untersuchung über deutsche Publikumsgesellschaften, dass sich deren Strategien und Instrumente
inzwischen weitgehend denen eines institutionellen Anlegers angeglichen haben.

109
scheidung von noise und information noch auf einen zeichentheoretischen Referenten
in der Realität, so kommt die – postmoderne – Accoutingforschung bei der Analyse
des Aktienmarktes ganz ohne diesen aus. Der Aktienmarkt gleicht hier einem "hall of
mirrors, where reflections of reflections and images of images constitute the only
reality that matters" (McGoun 1997, 111). Wie die Analysten der Investmentbanken
durch diesen „Spiegelsaal“ lavierend zu einem Unternehmenswert kommen, wird im
Folgenden beschrieben.

2.3.2. Der institutionelle Investor im Prozess der Wissensgenese – nur


Rezipient?

2.3.2.1. Die Informationsgewinnung als Interaktionsprozess

Das Denken in Marketing Kategorien, das der Finanzkommunikation von Publikums-


gesellschaften zugrunde liegt, bleibt auch den Analysten nicht verborgen. Da sich die
gesamte Informations- und Kommunikationspolitik „dem Marketing-Ziel der
Kapitalmarktattraktivität“ (Hauschildt/Held 2001, 15) unterordnet, haben die
Analysten berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Unternehmensinforma-
tionen, wie der folgende Witz eines Analysten illustriert:
„Ich sage meinen Leuten immer: Traut den Unternehmen nicht! Das kann man am
besten mit einem Witz zeigen: Da ist irgendein Mittelständler und der hat 4 Söhne,
und die sind alle gleich intelligent und gut. Und er muss entscheiden: ’Wer wird mein
Nachfolger?’ Da stellt er allen vier die Entscheidungsfrage: ’Wie viel ist 2 + 2?’. Der
eine der Söhne ist ein Marketing-Mann und der antwortet: ’2+2 ist so zwischen 3 und
5!“. Der zweite ist in Forschung & Entwicklung und sagt: ’Ich geh’ mal ins Labor und
finde das heraus.’ Der dritte ist in der Produktion & Logistik: ’Wenn man es nur
richtig organisiert und alles ohne Zwischenfälle abläuft, dann wird mit Sicherheit 4
heraus kommen.’ Der vierte ist aus dem Bereich Finanzen. Der schließt die Tür, zieht
die Vorhänge zu, sucht nach versteckten Mikrophonen und fragt: ’Was soll denn
herauskommen?’. Und natürlich: Der vierte wird der Nachfolger!“ (zit. aus Mars 1998,
S. 93)62.
Die Analysten der Investmentbanken gehören als Akteure auf der Eigentümerseite
zu den zentralen Adressaten der Bilanzpolitik. Während die Bilanzpolitiker der
Publikumsgesellschaften versuchen, den wahren Unternehmenswert zu verschleiern,
ist das Ziel der Analysten genau konträr: „Ziel einer Bilanzanalyse ist es, aus dem
Jahresabschluss wichtige Informationen über das den tatsächlichen Verhältnissen
entsprechende Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einer Unternehmung zu
erlangen, um dadurch eine gesamtheitliche Beurteilung der gegenwärtigen und
Prognose der zukünftigen Unternehmenslage vornehmen zu können“ (Küting 2005,

62
Die folgenden Ausführungen zur Praxis der Aktien- und Bilanzanalyse basiert primär auf der qualitativen
Untersuchung von Mars (1998, 93-111).

110
503). Wie Küting (2005) betont, stehen Bilanzanalyse und -politik in einem sich
ebenso bedingenden wie konterkarrierenden Spannungsverhältnis.
Im Rahmen der Fundamentalanalyse spielt die Bilanzanalyse insofern eine zentrale
Rolle, als die Bilanz „die einzige Informationsquelle ist, die dem Finanzanalytiker in
standardisierter Form vorliegt“ (Schredelseker 2002, 314). Der Bestätigungsvermerk
eines unabhängigen und vereidigten Wirtschaftsprüfers verleiht ihr eine besondere
Glaubwürdigkeit. In weiten Teilen des bilanzpolitischen Instrumentariums vollzieht
sich vieles gleichwohl „still und unsichtbar. Es geht sozusagen an der Bilanzanalyse
vorbei und bleibt auch dem geschultesten Analytiker verborgen“ (Küting 1996, 11).
Das Unternehmen konstruiert durch Pressemeldungen, Quartals-, Halbjahres- und
Geschäftsberichte, Presse- und Analystenkonferenzen eine geglättete Kulisse. Daher
gilt: „Bilanzen lesen reicht nicht. Man muss hinter die Kulissen gucken. Man muss
lernen, die richtigen Fragen zu stellen, um so nachzubohren, welche Maßnahmen das
sind, die man in dem Unternehmen durchgeführt hat“ (Aktienanalyst zit. nach Mars
1998, 64). Mars (1998) sieht hierbei Parallelen zwischen der Aktien- und der
Psychoanalyse. „Ähnlich der psychoanalytischen Vorgehensweise muss der Analyst
von der Oberfläche zur Tiefenstruktur, vom Vordergrund zum Hintergrund
vordringen“ (Mars 1998, 94). Die präsentierten Zahlen kann er weniger als
unumstößliche Fakten begreifen, sondern er muss sie vielmehr als Verweise auf eine
unter der Oberfläche liegende Botschaft interpretieren.
Bei dem Kernstück der Unternehmenskulisse, dem Geschäftsbericht, schlägt sich
dieser interpretativ-investigative Ansatz in zwei Analysestrategien nieder: dem Blick
in den Anhang und dem Blick in die Vergangenheit. Im Anhang eines
Geschäftsberichtes werden die in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung
präsentierten Zahlen erläutert. Der Anhang liefert etwa Hintergrundwissen über die
angewandten Methoden zur Vorrats- oder Beteiligungsbewertung, die gewählte
Abschreibungsdauer, einen kurzfristigen Wechsel der Bilanzierungsmethoden,
außerplanmäßige Abschreibungen, außerordentliche Erträge oder Aufwendungen und
Aufgliederungen von zuvor präsentierten Gesamtzahlen (Mars 1998). Um ein
Unternehmen vollständig zu verstehen und es mit anderen Unternehmen vergleichen
zu können, muss ein Analyst laut Sharpe und Alexander (1990, 686) „be a financial
detective, looking for clues in footnotes and the accompanying text that discuss how
the financial statements were prepared. Those who take the bottom-line figures such as
earnings per share on faith may be more surprised by future developments than those
who try to look behind the accounting veil”. Hilft die Analyse des Anhangs dem
„financial detective“ auch, hinter die Unternehmenskulisse zu schauen, so erscheinen
die Informationen dort mitunter so widersprüchlich, dass sie durch eine
Kontextualisierung plausibilisiert werden müssen. Primär ist dabei der zeitliche
Kontext zu beachten. Hier wird die zweite investigative Strategie im Umgang mit dem
Geschäftsbericht virulent: „Alte Geschäftsberichte lesen. Das ist echt interessant. Jean
Pascale hier zum Beispiel, die haben 1991 gesagt, dass sie sich im nächsten Jahr

111
international ausrichten wollen und besonders nach Osteuropa expandieren wollen.
Das haben die bis heute nicht gemacht. Daran kann man ganz gut abschätzen, wie
realistisch die sich in ihren Geschäftsberichten darstellen“ (Aktienanalyst zit. nach
Mars 1998, 97).
Neben dem Geschäftsbericht erweist sich die Analystenkonferenz als weitere
wichtige Quelle des Primärresearchs. Letztere hat die Funktion einer Pressekonferenz
für das Fachpublikum und findet normalerweise einmal jährlich zur Präsentation und
Erläuterung des Jahresabschlusses statt. Auf den ersten Blick erscheint die
Analystenkonferenz als eine reine Informationsveranstaltung, bei der das Unter-
nehmen die Analysten über bestimmte Sachverhalte in Kenntnis setzt. Da diese
Informationen in der Regel schon vorher bekannt sind, geht es weniger um die
Informationen selbst, als vielmehr um die Reaktionen der anderen Analysten auf die
Informationen. Angesichts der geballten Manpower an einem Ort ergibt sich für den
einzelnen Analysten die Möglichkeit der Beobachtung zweiter Ordnung. „Anhand der
Art der Fragen kann der Analyst die Unterscheidungen beobachten, mittels derer
andere Analysten das Unternehmen beobachten“ (Mars 1998,98). Neben den
inhaltlichen Unterscheidungen (z.B. Zykliker vs. Wachtumswert) geht es auch um die
Differenz, die für Entscheider maßgeblich ist: Kauf oder Nicht-Kauf. Denn an der
Stimmung im Raum und daran, „wie die Analysten die Fragen stellen, kann man auch
schon oft daraus lesen, wie sie eingestellt sind zu dem Unternehmen“ (Aktienanalyst
zit. Mars 1998, 99).
Das Gespräch mit der Investor-Relations-Abteilung ist eine Informationsquelle, der
in der Analysepraxis zentrale Relevanz zugeschrieben wird. Dieses findet
routinemäßig einmal wöchentlich statt. In bestimmten Phasen, etwa kurz vor der
Publikation einer Analyse, wird mitunter sogar täglich miteinander gesprochen. Da
eine schlechte Analystenbewertung den Aktienkurs negativ beeinflusst, ist die
Abteilung Investor Relations an einem guten Ruf bei den Analysten interessiert. „Bei
Analysten haben Investor-Relations-Abteilungen dann einen guten Ruf, wenn sie
ehrlich und offen aus dem Unternehmen berichten“ (Mars 1998, 100). Im Zuge der
regelmäßigen Kommunikation zwischen Analysten und IR-Managern entsteht eine
gewisse Privatheit, die bei den Analysten die Hoffnung auf privilegierte Informationen
nährt. Je nach der Intensität der persönlichen Beziehung kontakten die Analysten ihre
Gegenüber, um ihre Analysen nach Fehlern durchsehen zu lassen,
Hintergrundinformationen über wichtige Tatbestände zu erhalten oder gar eine
Bestätigung der Kursprognose zu bekommen. Während es sich bei der Fehlerkorrektur
letztlich nur um eine fundierte Redegation eines Analyseentwurfs handelt, die nur
einer wohlfunktionierenden Arbeitsbeziehung bedarf, setzt der Austausch sensiblerer
Informationen wie beispielsweise detaillierte Erläuterungen zu Unstimmigkeiten im
Geschäftsbericht oder zu relevanten Unternehmensentwicklungen eine engere
persönliche Beziehung voraus. „In all diesen Fällen ist es den Analysten wichtig, einen

112
persönlichen, vertraulichen Kontakt zu einzelnen Personen in der Investor-Relations-
Abteilung aufzubauen“ (Mars 1998, 1001).
Diese Vertrauensperson wird immer dann angerufen, „sobald irgendwas Auffälliges
ist, ich sag’ mal, in der Kursentwicklung oder man sich irgendwie nicht erklären kann
oder irgendwelche Nachrichten in der Presse sind, die manchmal auch ’n bisschen
widersprüchlich sind, dass man da ’n konkreten Ansprechpartner hat, den man
persönlich kennt aus irgendwelchen Veranstaltungen und daraus dann seine
Information bezieht, die dann auch ’n bisschen darüber hinaus gehen, was man
allgemein lesen kann, dass man also ein bisschen mehr informiert ist, als der
allgemeine Zeitungsleser, ... noch ’n paar Informationen darüber hinaus oder ’n paar
erklärende Worte dazu.“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 101).
Da der Grad zwischen zusätzlichem Service für einzelne Investoren und der
Weitergabe kursrelevanter Insiderinformationen schmal ist, bedarf es eines
weitergehenden Vertrauensverhältnisses zwischen Analyst und IR-Manager. Letzterer
muss generell darauf Vertrauen können, dass die Gesprächsinhalte nur „zu Deiner
eignen Information sind und nicht veröffentlicht werden“ (Aktienanalyst zit. nach
Mars 1998, 101). Obwohl der Umgang mit prognoserelevanten Informationen durch
wechselseitiges Vertrauen gekennzeichnet ist, vermeiden es beide Seiten, Gesprächs-
inhalte zu thematisieren, die eindeutig als zukunftsbezogen identifizierbar sind. Statt
den IR-Manager direkt um eine Prognose zu bitten, holt der Analyst eine Bestätigung
für seine eigene Prognose ein. Die Technik der Prognosebestätigung besteht darin,
entweder die eigenen Prognosen oder ein mögliches Prognoseintervall vorzugeben und
sich dann beim IR-Manager rückzuversichern, indem man darauf wartet, dass dieser
sagt: „Die Tendenz könnte er so unterschreiben“ oder: „Das sehen wir so und so“
(Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 102).
Ähnlich wie bei den Gesprächen mit dem IR-Manager, so besuchen die Analysten
einmal jährlich die Unternehmen, um Fehler zu korrigieren, ein Hintergrund-
verständnis zu bekommen und Feedback für die eigenen Prognosen einzuholen.
„Darüber hinaus bietet aber der Unternehmensbesuch besondere Chancen, das
Unternehmen ’von innen’ zu betrachten“ (Mars 1998, 103). Hierbei wird zumeist eine
Unternehmensführung gemacht und ausführlich mit einem Vorstandsmitglied
gesprochen. Von dem Unternehmensbesuch versprechen sich die Analysten, dass ihre
Analyse durch die eigene, sinnliche Wahrnehmung „noch mit ein bisschen Leben
gefüllt“ wird und so „den ausschlaggebenden letzten Punkt liefert, um die Studie
’rauszugeben’“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 104). Denn der Unternehmens-
besuch ist die geeignetste Quelle des Primärresearch für den Blick hinter die Kulisse.
Dies zum einen, weil sie einen persönlichen Kontakt mit den Entscheidern eines
Unternehmens ermöglicht. Werden in den anderen Researchquellen die Informationen
tendenziell gefiltert, so erhält man hier die Informationen aus erster Hand. Zum
anderen differenzieren sich Unternehmensbesuche durch den hohen Grad an Intimität
von vielen anderen Quellen. Dies hat zur Folge, dass die Unternehmensvertreter ggf.

113
auch über heikle Themen sprechen und eine reduzierte Verteidigungshaltung
einnehmen. Zudem hebt sich der Analyst für den Unternehmensvertreter aus der
anonymen Masse der kritischen Beobachter ab und gewinnt individuelles Profil. Im
Lauf der Zeit entspinnt sich ein persönliches Verhältnis, das den Informationsfluss
positiv beeinflusst.
„Also ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, dass man zu den Leuten, also, ja
einen sehr guten Draht hat. Und den kann man, glaube ich, auch erst dann im Laufe
der Zeit aufbauen. Von daher ist es auch, glaube ich, sehr wichtig, dass man das
Unternehmen mal besucht und vor Ort dann mit denen im Vieraugengespräch spricht.
Weil bei der K-AG, zum Beispiel hat sich dann halt so ’ne persönliche Atmosphäre ein
bisschen aufgebaut. Man kennt sich jetzt vom Sehen. Und der war eigentlich mit
seinen Informationen dann auch beim nächsten Telefongespräch sehr großzügig. Und
das war auch das erste Mal, wo ich dachte: ’Aha, jetzt weißt Du vielleicht ein bisschen
mehr, etwas, was Du nicht weitergeben darfst.’ Das ist ein Anzeichen dafür, dass
dieses persönliche Verhältnis sehr wichtig ist“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998,
105).
Die Intimität der persönlichen Gesprächssituation erlaubt es dem Analysten zudem,
die Worte mit den Gesten und der Mimik abzugleichen. Mit Blick auf die Mimik fällt
nicht nur die Differenzierung zwischen Lüge und Wahrheit einfacher, auch kann der
Analyst leichter zwischen den Zeilen lesen. Gerade weil die Grenze zum Insiderwissen
unscharf ist, gilt es, das in den Blick zu nehmen, was zwar nicht gesagt, aber
gleichwohl gemeint ist. Verschlüsselte Hinweise oder verdeckte Andeutungen sind
häufig erst im Laufe einer persönlichen Beziehung für den Analysten decodierbar.
Darüber hinaus kann die Beobachtung der Mimik Aufschluss über die Stimmung und
den Zustand im Unternehmen geben. Insbesondere diese qualitativen Eindrücke sind
gerade deshalb für die quantitative Prognose wichtig, da der Analyst „ein gutes Gefühl
dafür bekommt, wo der Zug, zumindest jetzt für’s laufende Jahr, hingeht bei dem
Unternehmen“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 106)63. Doch stellen die Analysten
auch die direkte Kausalität zwischen der Ausstrahlung des Vorstandes und der
Führungskultur in dem Unternehmen her. Die Beobachtung des Habitus gibt ihnen
Informationen über die Führungsqualitäten des Managements.
Deutlich wird die Multifunktionalität der Unternehmensbesuche. In einem Gewerbe,
dem eine ausgeprägte Zahlenfixierung vorauseilt, wird klar erkennbar, „dass
Analysten den Unternehmensbesuch als Teil einer qualitativen Forschungsmethodik zu
schätzen wissen“ (Mars 1998, 107). Mitunter gehen die Analysten noch einen Schritt
weiter. Sie führen „Mini-Ethnographien“ durch. Diese können unterschiedliche

63
Mars (1998) bringt hier das Beispiel eines Unternehmensbesuches bei Daimler Benz, bei dem der
Unternehmensvertreter zur Zukunft einer notleidenden Tochtergesellschaft (Fokker) dem interviewenden
Analysten sagte: “’Ja, ich kann mir schon vorstellen, dass da hart durchgegriffen wird.’ Im Nachhinein weiß
ich, was er damit sagen wollte.“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 106). Daimler Benz beendete wenig
später das Engagement bei Fokker, ohne dass der Analyst den Hinweis zwischen den Zeilen zuvor richtig
gedeutet hätte.

114
Zielsetzungen haben. So besuchen etwa Analysten Filialen der zu analysierenden
Unternehmen, um aus Kundensicht die Aufstellung des Unternehmens, dessen
Personal, die Produktpalette etc. zu bewerten. Andere Analysten versuchen, mittels
ethnographischer Methoden Erklärungen für unerwartete Unternehmensentwicklungen
zu finden. Während dieses Vorgehen jedoch mitunter wenig konzeptionalisiert und
eher zufällig betrieben wird, führen große Investment-Banken wie Goldman Sachs
Unternehmensethnographien als festen Teil des Primärresearch durch. „Die haben zum
Beispiel in verschiedenen Baumärkten Patex-Tuben gekauft, um Preise und Service zu
vergleichen. Bei Mannesmann haben sie zuerst Fragebögen an die Tochtergesellschaf-
ten geschickt und sind dann auch in die Produktion gegangen. Das ist eine ganz andere
Klasse von Research“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 108).
Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes sind solche Vorgehensweisen jedoch eher
die Ausnahme. Zumeist führen die Analysten Mini-Ethnographien in Verbindung mit
ihren Unternehmensbesuchen durch. Neben dem Gespräch mit dem Vorstand steht
normalerweise immer ein Rundgang durch das Unternehmen auf dem Programm. Die
Analysten bekommen durch die sinnliche Wahrnehmung ein tiefergehendes
Verständnis von den Produkten und Prozessen eines Unternehmens. „Man kann mir ja
viel darüber erklären, wie Turbinen funktionieren und wie die gemacht werden. Aber
erst als ich das mal gesehen habe, dass die das in Handarbeit herstellen, da hab ich viel
über das Produkt gelernt. Da konnte ich das viel besser einordnen, was ’ne Art von
Business das ist, dass das wirklich Einzelstücke sind. Da habe ich verstanden, warum
die Personalkosten kaum zu senken sind.“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 109).
Wie die Analysten aus dem „Rauschen“ der Daten, die den Geschäftsberichten,
Analystenkonfererenzen oder Unternehmensbesuchen entstammen, „authentische“
Informationen über das Unternehmen selektieren, ist Gegenstand des vorliegenden
Kapitels. Gemäß institutionenökonomischer Konfigurationslogik stoßen die Analysten
als Vertreter der Prinzipale mit ihren umfassenden Informationsinteressen bei dem
Management der Unternehmen auf Widerstände. Letztere äußeren sich in dem Aufbau
einer Kulisse aus guten Nachrichten, die den „tatsächlichen“ Zustand des
Unternehmens verschleiern sollen. Die Aufgabe des Analysten besteht somit darin, die
Kulisse zu dekonstruieren und das „wahre“ Gesicht hinter dem bilanzkosmetischen
Make-up zu rekonstruieren (Mars 1998). Dies ist nach Ansicht der Analysten, wenn
überhaupt, nur durch „Primärresearch“ möglich. Primär hat hierbei eine doppelte
Bedeutung. Zum einen sollen die Informationen möglichst aus orginären Quellen
stammen. Deutlich wird dies an dem hohen Stellenwert, der etwa dem direkten
Gespräch mit Führungskräften und der unmittelbaren Anschauung der Unternehmens-
praxis in der Unternehmensanalyse zukommt. Primär bedeutet zum anderen: Der
Analyst sollte seine diagnostische und prognostische Interpretation der gewonnen
Informationen nicht von dem Unternehmen oder von anderen Analysten übernehmen,
sondern möglichst eigenständig und kreativ anfertigen. Diese Diagnose und Prognose
wird im folgenden Kapitel beschrieben.

115
2.3.2.2. Die Praxis der Unternehmensdiagnose

Die Analysten betrachten die Analyse des Status Quo als Bedingung für die Prognose
der zukünftigen Unternehmensentwicklung. Nur substantiell gesunde Unternehmen
können dynamisch wachsen. Die Kardinalfrage der Unternehmensanalyse lautet
daher: „Steht das Unternehmen auf soliden Füßen oder steht’s nicht auf soliden
Füßen?“ (Analyst zit. nach Mars 1999, 115). Die Analyse der Solidität wird nun mit
den Verschlüsselungsstrategien des Unternehmensmanagements konfrontiert. Die
Diagnose ist daher primär eine Entschlüsselungspraxis, die versucht, den potentiellen
Tricksereien des Unternehmensmanagements auf die Spur zu kommen.
Die Schlüssel für die Decodierung des bilanzpolitischen Creative Accounting sind
die Finanzierungs-, Liquiditäts- und Rentabilitätskennzahlen. Nicht nur die Gleich-
setzung von Kennzahlen und Nachschlüsseln verweist auf die Parallelen von
Kriminalistik und Unternehmensanalyse. Auch der finanzanalytische Diagnoseprozess
beginnt, vergleichbar mit der kriminalistischen Praxis, meistens mit einer Abduktion,
d.h. „mit dem Vorfinden eines Rätsels und dem direkten und ungesicherten intuitiven
Schließen auf eine Lösung, die es dann im Nachhinein zu belegen gilt“ (Mars 1999,
117). Fallen bei der Beobachtung eines Unternehmens Kennzahlen als besonders hoch
oder niedrig auf, so setzen diese Abnormalitäten einen Analyseprozess in Gang, bei
dem es darum geht, „die Auffälligkeiten in einen Kontext zu stellen, Zusammenhänge
zu sehen und Theorien zu entwickeln“ (Mars 1999, 118). Laut Mars (1999) werden in
der Analysepraxis primär drei Techniken verwandt, um aus den „Zerrbildern“ der
Geschäftsberichte mittels selbst erstellter Kennzahlen „Abbilder“ der Unternehmen zu
generieren.
a) Rückschlussverfahren
Das Rückschlussverfahren besteht darin, „von einer Zahl, die nicht Erkenntnisobjekt
ist, rückzuschließen auf das eigentliche, aber durch bilanzpolitische Maßnahmen
verzerrte Erkenntnisobjekt“ (Mars 1999, 118). Deutlich wird das Verfahren etwa bei
der Ermittlung des Unternehmensgewinns. Analysten misstrauen dem Gewinn, der in
der ihnen zugänglichen Handelsbilanz ausgewiesen ist, aufgrund der bilanzpolitischen
Gestaltungsmöglichkeiten. Hingegen bietet die nicht zugängliche Steuerbilanz weniger
Gestaltungsoptionen und ist somit näher am Unternehmen (Grosjean 1993). Der
“wahre“ Gewinn ist dort anzugeben und daher auch zu versteuern. Zahlt ein
Unternehmen viel Steuern, macht es auch einen hohen Gewinn. Die Steuerquote
verweist daher per Rückschluss auf die Unternehmensgewinne.
b) Abgleichsverfahren
Im Rahmen des Abgleichverfahrens wird das vom Analysten erzeugte Bild von der
Kapitalstruktur des Unternehmens mit der unternehmensseitigen Selbstdiagnose
abgeglichen. Glaubwürdig erscheint Letztere nur dann, wenn sie kommensurabel mit
dem selbsterstellten Strukturbild ist. Der Strukturabgleich fokussiert somit auf das
Verhältnis verschiedener Zahlen zueinander. „Es ist ’n permanenter Abgleich, ob die

116
Struktur in diesem Unternehmen richtig ist. Das hat nichts damit zu tun, ob der
Gewinn im nächsten Jahr um 5 oder um 10 % steigen wird, sondern zum Beispiel
damit, ob die Materialaufwendungen in line mit den anderen Positionen sind“ (Analyst
zit. nach Mars 1999, 120). Bei einem gesunden Unternehmen ergeben alle Zahlen ein
stimmiges Bild. Sind die Zahlen nicht “in line“, erzeugt dies beim Analysten
Irritationen. Diese Intuition bildet quasi den Startschuss für die Suche nach einer
Erklärung für die Unstimmigkeit. So kann etwa eine expansive Investitionspolitik
verdeutlichen, warum trotz steigender Gewinne keine Schulden getilgt werden.
Steigende Verschuldung und sinkende Liquidität sind nicht zwangsläufig Indizien für
ein Problem. Die Struktur erschließt sich erst mit Bezug auf andere Kennzahlen.
Identische Kennzahlenentwicklungen können je nach Kontextualisierung
unterschiedliche Bedeutung haben.
c) Vergleichsverfahren
Wird beim Abgleichsverfahren eine Kennzahl (Verschuldung) durch eine inhaltliche
andere Kennzahl (Rendite) kontextualisiert, so setzen die Analysten beim Vergleichs-
verfahren inhaltlich gleiche Zahlen miteinander in Beziehung. Mars (1999)
unterscheidet im Rahmen seiner Untersuchung zwischen zwei Arten von Vergleichen:
1. der Vergleich des Unternehmens mit sich selbst im Zeitablauf und 2. der Vergleich
des Unternehmens mit anderen Unternehmen. Bei dem Zeitvergleich werden die Daten
über einen Zeitraum von 5-10 Jahren beobachtet. Denn nur eine längerfristige
Beobachtung wichtiger Unternehmenskennzahlen ermöglicht ein Gefühl für
unauffällige, aber wichtige Unternehmensentwicklungen. Vor einer solchen
Unternehmenshistorie löst etwa eine abrupte Änderung der Bilanzierungspraxis beim
Analysten akuten Erklärungs- und Handlungsbedarf aus. Neben dem Zeit- ist der
Unternehmensvergleich eine weitere Möglichkeit der bedeutungsstiftenden
Kontextualisierung der Kennzahlen. Der Unternehmensvergleich leistet hierbei sowohl
Bewertung als auch Enthüllung. Die Bewertung ist ein relatives Urteil. „Ich kann nicht
von dem Unternehmen mit einer gesunden Finanzlage sprechen. Es gibt Unternehmen,
da ist eine Eigenkapitalquote von 20 % oder 25 % viel kritischer, als bei einem
anderen Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von 5 bis 10%“ (Aktienanalyst zit.
nach Mars 1999, 123). Die Kennzahlenbewertung erscheint somit nur im Kontext
eines interorganisationalen Kennzahlenvergleichs sinnvoll. Im Zuge des Vergleichs
bildet der Analyst zudem einen Normwert aus, an dem er die Kennzahlen misst. Dieser
Normwert bildet dann den Bezugspunkt für die enthüllende Funktion des
Unternehmensvergleichs. Denn Abweichungen von dieser Norm – etwa überhöhte
Rückstellungen – werden dann vom Analysten als Signal für nicht beobachtbare
Eigenschaften – etwa versteckte Gewinne – betrachtet.
Erscheint der Unternehmensvergleich zunächst nur als technische Herausforderung,
so wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass die Heterogenität der Unternehmen eine
zirkuläre Logik der Kennzahl offenbart, die den Analysten mit einem grundsätzlichen
Dilemma konfrontiert: Vergleichen lässt sich nur Vergleichbares. Als Antwort auf

117
dieses Problem bilden die Analysten Unternehmenskategorien. „Die
Kategorienbildung führt in das Dilemma, dass genau die engen Kategorien, die einen
Vergleich erst ermöglichen, ihn (der Vergleich M.G.) wegen der geringen Anzahl der
Mitglieder einer Kategorie dann nicht mehr lohnend erscheinen lassen“ (Mars 1999,
192).
Ist die absolute Höhe der Kennzahlen nicht vergleichbar, so kann man zumindest
chronologisch die relative Veränderung vergleichen. Erscheint etwa ein direkter
Renditevergleich zwischen Unternehmen der Basis- und der Spezialchemiebranche
wenig informativ, so sind periodenbezogene Renditeverluste der Basischemie bei
gleichzeitiger Renditesteigerung der Spezialchemie durchaus aussagekräftig. Solche
Veränderungsraten machen deutlich, ob die geringe Umsatzrendite „jetzt ein akutes
Problem ist, oder ob die damit schon immer gelebt haben“ (Aktienanalyst zit. nach
Mars 1999, 126). Veränderungsraten verschleiern den Basiseffekt. So sieht im
Extremfall ein Unternehmen mit einer Gewinnsteigerung von einer auf vier Euro
besser aus, als ein Unternehmen, das seinen Gewinn von 200 auf 400 Millionen
steigern konnte.
Ein weiteres Problem bei den Kennzahlenvergleichen ist die Heterogenität der
Methoden für die Kennzahlenberechnung. Es gibt „keine richtigen oder falschen,
sondern nur zweckmäßige Berechnungen von Kennzahlen“ (Aktienanalyst zit. nach
Mars 1999, 128). Wie Analysten ihre Kennzahlen berechnen und welche Methoden sie
dabei benutzen, ist und soll für den Adressaten nicht transparent sein. Denn: die
Fiktion der Vergleichbarkeit ist konstitutiv für die Legitimität der Analysepraxis.
Aber nicht nur Analysten berechnen Kennzahlen in unterschiedlicher Manier. Auch
Unternehmen steht im Rahmen der Bilanzpolitik ein wahres Arsenal an Bilanzierungs-
methoden zur Verfügung. Die Entschlüsselungstechnik des Unternehmensvergleichs
wird durch die Methodenvielfalt des Window Dressings konterkariert. Um angesichts
der bilanzpolitischen Variabilität die Fiktion der Vergleichbarkeit aufrechtzuerhalten,
wird jedes Unternehmen zunächst von bilanzpolitischen Verschmutzungen bereinigt.
Eine zentrale Form der Bereinigung ist das so genannte Ergebnis nach DFVA/SG64.
Letzteres zielt darauf ab, durch eine objektivierte Gewinngröße Unternehmen besser
vergleichbar zu machen. Probleme bei der Berechung des DVFA-Ergebnisses treten
insbesondere bei den ordentlichen und außerordentlichen Kosten und Erträge auf. So
werden die Erträge aus dem Verkauf von Wertpapieren, Gebäuden und Maschinen in
manchen Unternehmen als außerordentlich gewertet und in anderen nicht. Diese
Unterscheidung ist so interpretationsbedürftig, dass selbst die bilanzierenden
Unternehmen ihre Erträge und Kosten nicht zweifelsfrei kategorisieren können: „Auch
das Unternehmen selbst sagte: ’Für 1995, da könnte man also alles ausrechnen, je

64
Die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung (DVFA) und die Schmalenbachgesellschaft
(SG) haben sich angesichts der Manipulierbarkeit des Jahresabschlusses auf ein Verfahren zur Ermittlung
eines von Sondereinflüssen bereinigten Jahresergebnisses verständigt. Für eine detaillierte Beschreibung siehe
Busse v. Colbe u.a. (2000).

118
nachdem, was man als außerordentlich ansieht oder nicht, zwischen – 113 und ich
glaub – 28, je nachdem’“ (Analyst zit. nach Mars 1998, 132).
Daher beurteilen die Analysten die Reinigungswirkung der Bereinigung auch eher
skeptisch: „Beim DFVA-Ergebnis wird ja inzwischen noch mehr gemauschelt als beim
Jahresabschluss. Beim Jahresabschluss weiß man wenigstens, dass er gelogen ist!
Beim DFVA-Ergebnis wird dann etwas versteckter gelogen. Aber alle tun so, als
würde das DFVA-Ergebnis irgendwie näher dran sein an der Wahrheit“ (Analyst zit.
nach Mars 1998, 134). Obwohl allen Analysten klar ist, dass sie weder die
Bereinigungspositionen für die Vergangenheit verstehen, noch für die Zukunft
schätzen können und diese Limitationen organisationsintern auch offen thematisieren,
sind sie doch nach außen stets bemüht, diese Fähigkeit zu simulieren. Insgesamt gilt es
die Fiktion der Vergleichbarkeit aufrechtzuerhalten. Im Ergebnis “hinken“ die so
konstruierten Unternehmensvergleiche stark. Dissonanzsenkend wirkt hier eine Reihe
von Konstruktionsanreizen. So hat sich einerseits ein Verband institutionalisiert, aus
dessen legitimierter Konzeption kein Analyst ausbrechen will. Andererseits sind
Unternehmensvergleiche für Adressaten anschaulich und wirken kompetent.
Schließlich eignen sie sich als rhetorisches Instrument, um eine bereits existente
Argumentation zu stützen.
Gleichwohl fühlt man sich im Tauziehen um die Unternehmensdarstellung, bei der
sich ausgeklügelte Analysemethodik und subtile Bilanzpolitik gegenüber stehen, an
„den Wettlauf zwischen Hase und Igel oder Bilanzhersteller und Bilanzanalytiker“
(Küting 1996, 11) erinnert. Virulent wird hierbei nicht nur das bereits bekannte
institutionenökonomische Problem ungleicher Informationsverteilung. Aufgrund
seiner Distanz zum Unternehmen hat der Analyst als Vertreter des Prinzipals in dem
Wettstreit nicht nur weniger Informationen als der Agent Unternehmensmanagement.
Angesichts intransparenter „bilanzpolitischer Schachzüge“ (Küting 1996) muss der
Prinzipal den „Wahrheitsgehalt“ seiner Informationen grundsätzlich hinterfragen. Die
meisten Analysten begegnen den Kennzahlen daher mit einer starken Skepsis.
Kennzahlengläubigkeit ist eher die Ausnahme. Weniger die finanzielle Solidität eines
Unternehmens ist daher für die Analystenmehrheit entscheidend, sondern dessen
zukünftige Ertragsperspektive. Dies auch deshalb, weil die Unternehmensvergangen-
heit und -gegenwart letztlich nur der Generierung zukünftiger Erträge dienen. Die
zentrale Frage aus Analystensicht lautet somit: „Wie sieht die Gewinnsituation
perspektivisch aus?

2.3.2.3. Die Praxis der Gewinnprognose

Da sich der Substanzwert, d.h. der gegenwärtige Unternehmenswert einer genauen


Bewertung entzieht und ohnehin nur Mittel zum Zweck ist, wird in Praxis und Theorie
der „innere Wert“ nicht mit dem Substanz-, sondern mit dem Ertragswert verbunden.
Der Ertragswert eines Unternehmens entspricht der Summe aller künftig realisierten
Gewinne. Je weiter diese in der Zukunft liegen, umso geringer ist ihr gegenwärtiger

119
Wert. Dies hat zwei Gründe. Zum einen können gegenwärtige Gewinne alternativ zu
einer unternehmensbezogenen Reinvestition einer risikolosen Verzinsung in
Staatsanleihen zugeführt werden. Dies ist bei zukünftigen Gewinnen nicht möglich.
Zum anderen nimmt mit steigendem Prognosezeitraum die Wahrscheinlichkeit
realisierbarer Gewinne ab. Gilt die alternative risikolose Verzinsung generell für alle
Investitionen, so muss bei dem Investitionsrisiko das zu investierende Unternehmen in
den Blick genommen werden. So ist etwa eine Investition in Unternehmen auf
volatilen Märkten riskanter als bei solchen auf gefestigten Märkten. Mit steigendem
Prognosezeitraum und Geschäftsrisiko sinkt die Gewichtung zukünftiger Gewinne bei
der Berechnung des Ertragswertes. Hieraus ergibt sich dann folgende Formel zur
Berechnung des „inneren“ Unternehmenswertes (Mars 1998, 139):
f
Gt
PV0 ¦ 1  i t
1 i t

Analysten müssen daher für die Festlegung des inneren Wertes mehrere Faktoren
bestimmen. Einerseits ist die Höhe zukünftiger Gewinne im Zeitablauf zu definieren.
Andererseits müssen sie die Höhe des risikolosen Zinssatzes am Kapitalmarkt
bestimmen. Schließlich ist das spezifische Investitionsrisiko des Unternehmens
festzulegen. Die letzten beiden Faktoren werden zu einem risikoangepassten Zinsfuß
aufaddiert. So lässt sich der innere Wert eines Unternehmens berechnen.
Gleichwohl: „Keiner der von mir beobachteten Analysten berechnet den ’inneren
Wert’ eines Unternehmens“ (Mars 1998, 139). Die Verweigerungshaltung liegt primär
an der Komplexität des Verfahrens und den hiermit verbundenen Fehlerquellen.
Weder ist die Höhe des risikolosen Zinssatzes verlässlich prognostizierbar, noch
können sie zweifelsfrei eine unternehmensspezifische Risikoprämie definieren.
Analysten verzichten daher auf die Abdiskontierung der Erträge durch den
risikoangepassten Zinssatz und prognostizieren lediglich die Gewinne. Sehen jedoch
Standardlehrbücher (Perridon/Steiner 1999) einen unendlichen Prognosehorizont vor,
indem sie die Einbeziehung aller zukünftigen Erträge verlangen, so reduzieren die
Analysten ihren Prognosehorizont auf maximal zwei Jahre. Längere
Prognosezeiträume sind für sie schon deshalb „Augenwischerei“, weil auch „die
meisten Unternehmen selber ja ’ne konkrete Schätzung nur für das nächste Planjahr
machen. Die Unternehmen wär’n ja froh, wenn sie das selber schon so genau machen
könnten. Die BASF hat mal ganz klar gesagt – was mich auch’n bisschen erschreckt
hat: ’Wir können unsere Kiste maximal drei Monate überblicken. Wir sind immer sehr
darauf aus, mit Analysten zu sprechen, weil die ja wissen, was in eineinhalb, zwei
Jahren ist! ’“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 141)65.

65
Ähnlich skeptisch beurteilte bereits Keynes (1936, 149-150) die Möglichkeiten langfristiger Prognose: „The
outstanding fact is the extreme precariousness of the basis of knowledge on which our estimates of prospective
yield have to be made. Our knowledge of the factors which will govern the yield of an investment some years
hence is usually very slight and often negligible. If we speak frankly, we have to admit our basis of knowledge

120
Mit Blick auf die Prognose verstärkt sich die asymmetrische Informationsverteilung
zwischen Unternehmen und Analysten. Erwies sich eine realitätsgetreue
Rekonstruktion des Status Quo bereits als kaum durchführbar, so stellt sich die
Ertragsprognose als noch problematischer dar. Als sehr unsicher erweist sich nicht nur
die diagnostische Basis der Prognose. Denn: ebenso wie die Beschreibung der
Vergangenheit unternehmenspolitischen Kalkülen folgt, so spiegeln auch die
Äußerungen der Unternehmen nicht zwangsläufig die tatsächlichen
Zukunftserwartungen, ganz zu schweigen von der tatsächlichen Zukunft des
Unternehmens, wider.
Die Prognosepraxis der Analysten unterscheidet sich insofern auch von dem
Prognosebegriff der Lehrbücher, als „die Analysten parallel zur Prognose erster
Ordnung eine Prognose zweiter Ordnung mitführen müssen“ (Mars 1998, 142). Ihre
Prognose zielt nicht nur auf die Zukunft des Unternehmens. Die Analysten
prognostizieren auch die zu erwartende Darstellung dieser Zukunft durch das
Unternehmensmanagement. Denn genauso wenig wie die bilanzpolitisch manipulierte
Ist-Beschreibung mit der Vergangenheit übereinstimmt, so gering ist auch der
Kommensurabilitätsgrad von der vom Management konstruierten Zukunft einerseits
und der “tatsächlichen“ Zukunft andererseits. „Analysten versuchen deshalb, sich in
die Denkart des Unternehmens hineinzuversetzen, also nicht nur den Jahresüberschuss
als solchen zu prognostizieren, sondern auch zu antizipieren, welchen Jahres-
überschuss das Unternehmen ausweisen wollen wird“ (Mars 1998, 142). Unterstellt
wird hierbei, dass nicht das gekonnte, sondern das gewollte Ergebnis ausgewiesen
wird. Da bereits vor der Bilanzerstellung über das zu präsentierende Ergebnis
entschieden wird, muss der Analyst neben dem tatsächlichen auch das publizierte
Ergebnis prognostizieren.
Ausgangspunkt des eigentlichen Prognoseprozesses sind dabei verständlicherweise
weniger die Unternehmensinformationen, als vielmehr die individuellen Intuitionen
der Analysten. Bereits zu Prozessbeginn haben sie eine Meinung darüber, „wo ich im
Ergebnis ungefähr hin will“ (Aktienanalyst zit. nach Mars 1998, 145). So wie die
Diagnose mit einem “komischen Gefühl“ beginnt, startet die Prognose mit einem
“Bauchgefühl“ bezüglich des tatsächlichen und des publizierten Gewinns. Dieses
Gefühl ist kein blinder, sondern ein educated guess. So spielt neben den Informationen
aus der volkswirtschaftlichen Rahmenanalyse insbesondere das Wissen über das
Unternehmen und dessen Branchenposition eine wichtige Rolle bei der Intuitions-
genese.
Bereits hier werden fundamentale Differenzen zu den betriebswirtschaftlichen
Lehrbuch-Präskriptionen (Steiner/Bruns 1994) deutlich. Erscheint doch dort die
Gewinnprognose als eine Abfolge zweier kombinierter Top-down-Verfahren. Wird in

for estimating the yield ten years hence of a railway, a copper mine, a textile factory, the goodwill of a patent
medicine, an Atlantic liner, a building in the City of London amounts to little and sometimes to nothing; or
even five years hence.”

121
linearer Ableitungslogik zunächst von der volkswirtschaftlichen Wachstumsanalyse
über die branchenspezifische Wachstumsanalyse auf das Unternehmenswachstum
geschlossen, so ergibt sich im weiteren Prognoseverlauf vom Umsatz unter
Substraktion verschiedener Kostenpositionen schließlich der Gewinn.
Diesen Lehrbuch-Präskriptionen steht nun die Praxis der Aktienprognose insofern
diametral entgegen, als die Prognose weniger in Form eines hierarchisierten
Ableitungsprozesses als vielmehr gemäß einem hermeneutischen Zirkel66 funktioniert.
So fungiert die Branche nicht in der Rolle eines mechanischen Trichters, sondern der
eines hermeneutischen Hintergrundes. „Darüber hinaus ist der fachliche Hintergrund
der Gewinnprognose gebrochen durch die Beobachtung dessen, was das Unternehmen
als Gewinn konstruieren will“ (Mars 1998, 194).
Das Bauchgefühl ist der erste Einstich in den hermeneutischen Zirkel. Ob diese
Setzung plausibel ist, wird eine Top-Down-Analyse der GuV-Rechnung zeigen.
Ausgangspunkt des seriellen Durchgangs ist die Umsatzprognose. Wichtigster
Anhaltspunkt hierfür sind die „Aussagen des Unternehmens hinsichtlich der Tendenz
der Umsätze“ (Analyst zit. nach Mars 1998, 148). Diese Umsatzprognosen gilt es nun
zu plausibilisieren, indem Quartalsberichte, Investitionspläne oder Branchenanalysen
zur argumentativen Unterfütterung in Anschlag gebracht werden. Wurden die
Umsatzprognosen durch die Plausibilisierung und Modifikation der Unternehmens-
aussagen konkretisiert, so sind im Folgenden die Kosten vom Umsatz zu subtrahieren.
Auch hier stützt sich die Prognose der Kosten auf die Unternehmensangaben. Wichtige
Prognosehilfen sind zudem die Berücksichtigung von umsatzabhängigen (z.B.
Investitionen) und umsatzunabhängigen (z.B. Materialkosten) Einflussfaktoren.
Als zentrales Kriterium für den Erfolg der unternehmerischen Geschäftstätigkeit gilt
das operative Ergebnis67. Um nach der Kostensubtraktion das operative Ergebnis
ermitteln zu können, sind noch die Positionen “Sonstige Erlöse“ und “Sonstige
Aufwendungen“ zu prognostizieren. „Während der Analyst bei der Prognose des
Umsatzes und der großen Kostenblöcke von Hinweisen des Unternehmens profitieren
konnte, tappt er bei der Prognose der sonstigen Umsätze und Kosten im Dunkeln“
(Mars 1998, 151). Es handelt sich hierbei um bilanzpolitische Dispositionsmasse, über
die das Unternehmen gewöhnlich keine Auskünfte gibt. Da die Positionen sich jedoch
unmittelbar auf den Gewinn auswirken, stößt das Top-down-Verfahren hier an seine
prognostischen Grenzen. Denn sollte der Analyst die Mehrzahl der relevanten Umsatz-
und Kostenpositionen auch exakt prognostizieren, so kann er bei der Gewinnprognose

66
Das Bild des hermeneutischen Zirkels bezeichnet in der Sprachphilosophie die Interpretation eines Textes als
fortschreitende Annäherung an dessen Sinn: Ausgangspunkt für das Textverständnis ist das individuelle (Vor-)
Wissen. Der eigentliche Verstehensprozess setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Der Bildung von
Annahmen über den Sinn eines Textes (Vorurteilen) und der anschließenden Erarbeitung des Textes. Dieser
Prozess führt zur Revision und Weiterentwicklung des ursprünglichen Vorwissens, das seinerseits einen
erneuten Verstehensprozess anstoßen kann. Zentrale sprachphilosophische Vertreter des hermeneutischen
Zirkels sind Gadamer (1972) und Habermas (1968).
67
Operatives Ergebnis entspricht dem Gewinn der Geschäftstätigkeit vor Abzug der Zins- und Steuerlast.

122
doch völlig daneben liegen. „Deswegen ist dann oft eben die Schätzung ’na ja, es
kommt ungefähr das Ergebnis raus’ besser“ (Analyst zit. Nach Mars 1998, 152). Dies
führt nun direkt zum Anfang der Gewinnprognose: dem Bauchgefühl.

Top-down:
Konzern-G&V
Umsatz - Kosten - Gewinn

2
Bauchgefühl:
Gewinnveränderung
von etwa x%
1
Margen-Tinkering Quoten-Tinkering

Bottom-up:
Konzernsparten
Umsätze - Margen - Gewinne

Abbildung 11: Der Postgnose-Zirkel.


Quelle: Mars (1998, 161)

Ebenfalls der Plausibilisierung des Bauchgefühls dient das Bottom-up-Verfahren zur


Gewinnprognose. Hierbei wird zunächst für jeden Geschäftsbereich das Umsatz-
wachstum prognostiziert. Gewöhnlich nehmen die Analysten hierzu das durch-
schnittliche Umsatzwachstum der jeweiligen Branche als Benchmark für die
Bewertung der einzelnen Geschäftsbereiche. Für die Prognose der Renditeentwicklung
werden zumeist Informationen über erzielbare Renditen aufbereitet und dann zu einer
erfahrungsgestützten Aussage zugespitzt. Summiert man nun die geschäftsbereichs-
spezifischen Umsatz- und Renditeentwicklungen, so bekommt man „dann für jeden
einzelnen Bereich ein Ergebnis und das addier’ ich auf ein Konzernergebnis vor
Steuern“ (Analyst zit. nach Mars 1998, 154). Wie schon das Top-Down-Verfahren, so
dient auch der zweite serielle Durchgang der quantitativen Plausibilisierung des
qualitativen Bauchgefühls. Der Analyst kreist den zu prognostizierenden Gewinn so
lange aus verschiedenen Richtungen ein, bis alle Prognosekomponenten in einem
harmonischen Gesamtbild aufgehen. Den zugrunde liegenden Adjustierungsprozess
bezeichnet Mars (1998) mit Bezug auf Levi-Strauss (1968) als Bricolage. Genauso wie
der Bastler ein Problem bearbeitet, „by arranging and rearranging ... a set of concrete
elements ... working through new combinations“ (Turkle 1984, 105), so besteht der
Adjustierungsprozess aus einem Trial-and-error-Verfahren. Hierbei geht der Analyst
seine Exceltabellen so lange von oben (Umsatz) nach unten (Gewinn) und von unten
(Gewinn der Geschäftsbereiche) nach oben (Gewinn des Konzerns) durch und passt
dabei die Zahlen fortlaufend an, bis am Ende ein stimmiges Gesamtbild vorliegt.

123
Wie bereits bei der Diagnose expliziert, so sind die Analysten auch bei der
Gewinnprognose nicht nur Betroffene der (bilanzpolitischen) Konstruktivität. Sie sind
vielmehr aktiv an dem Konstruktionsprozess beteiligt. Prognostiziert wird das, was
man schon “weiß“. „Postgnostische Zirkularität ersetzt prognostische Linearität“
(Mars 1998, 195). Mag es sich bei dem Tinkering der Prognose auch um einen
“weichen“ Erkenntnisstil handeln, so bedeutet dieses, dass der Prozessverlauf und das
daraus resultierende Ergebnis kontingent, jedoch keinesfalls beliebig ist. Kontingent
ist es einerseits, da die Analysten sich bei der Diagnose und Prognose interaktiv an
ihrem Counterpart Unternehmen abgearbeitet haben. Im Unterschied zu dem harten
Erkenntnisstil ökonomischer Provenienz, der auf die abstrakte Vermessung des
Gegenstandes Unternehmen setzt, müssen sich die Analysten in die situative
Handlungslogik des Unternehmensmanagements hineinversetzen. Nur wenn sie die
Handlungsmotive, Kontextfaktoren etc., die das Handeln des Unternehmens-
managements bestimmen, verstehen, können die Analysten die Semantik der
bilanzpolitischen Signale decodieren. Kontingent ist der Prognoseprozess und dessen
Ergebnis andererseits deshalb, weil die Analysten auch die Abnehmer ihrer Prognosen
in den Blick nehmen müssen. Im Rahmen des Investmentprozesses sind die Analysen
und Prognosen nur insofern von Relevanz, als sie von Portfoliomanagern als
Grundlage für ihre Kauf- oder Verkaufsentscheidungen genommen werden. Ebenso
wie der Analyst das Unternehmensmanagement verstehen muss, um eine
gegenstandsadäquate Diagnose und Prognose zu erstellen, muss er sich in den
Portfoliomanager hineinversetzen, damit seine Arbeitsergebnisse die notwendige
Akzeptanz erzielen. Wie sich diese Perspektivenübernahme vollzieht und welche
organisationalen Voraussetzungen hierfür nötig sind, ist Gegenstand des nächsten
Kapitels.

2.3.2.4. Die Quasifirma als Bezugsgröße der Unternehmenssteuerung

Wie aus Zahlen Informationen werden, wie aus Informationen Wissen wird und wie
aus dem Wissen der alles entscheidende Unternehmenswert entsteht, ist ein
interpretativer Prozess. Gemäß finanzwirtschaftlicher Entscheidungslogik ist damit die
Aufgabe des Analysten beendet. Denn der Analyst sammelt Informationen, bereitet sie
auf, berechnet den Unternehmenswert und kommuniziert diesen dann dem Investor.
Auf der Basis des nach finanzwirtschaftlichen Methoden errechneten Wertes
entscheidet der Portfoliomanager dann über Kaufen, Halten oder Verkaufen von
Aktien. Sein Verhalten setzt via Kapitalmarkt Steuerungsimpulse für das Management
der Publikumsgesellschaft. Ähnlich wie in der Theorie der rationalen Wahl (Gäfgen
1974), liegt die Aufgabe des Analysten in der informationalen Vorbereitung optimaler
(Wahl-) Handlungen des Portfoliomanagers.

124
Info

Analyst Wert Investor

Info

Abbildung 12: Die Arbeit der Analysten aus finanzwirtschaftlicher Perspektive.


Quelle: in Anlehnung an Hägglund (2000, 314)

Mit Blick auf die komplexe Systemrationalität von Investmentbanken stellt Hägglund
(2000) nun die lineare Handlungsrationalität, die in dem finanzwirtschaftlichen
Prozessmodell evident wird, in Frage. „First of all we should ask if ’a value’ is really
the only result, or even the only important result, of analysts’ work“ (Hägglund 2000,
314). Im Unterschied zu der Einzalaktor-Rationalität (Schreyögg 1991) bei der die
Interaktion zwischen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung ein sachlogisches
Procedere ist, kommt diesem in der Organisationspraxis eine zentrale Rolle zu. Über
50 % ihrer Zeit verbringen Analysten damit, mit ihren Investoren per E-Mail, Telefon,
Analysebericht, in Einzelgesprächen oder Diskussionen zu kommunizieren (Hägglund
2002). Im Mittelpunkt der gemeinsamen Kommunikation steht zumeist die Auswahl
und Anwendung des Bewertungsmodells, die dann dem Portfoliomanager als
Entscheidungsgrundlage dient. Wichtig ist hierbei, dass dieser ein “Gefühl“ für das zu
bewertende Unternehmen bekommt. Als besonders geeignet erweist sich in diesem
Zusammenhang das Modell des Value-Managements von Copeland, Koller und
Murrin (1990). Während unter finanztheoretischen Aspekten eine Bewertung dieses
Modells eher negativ ausfällt, ist es als Lern- und Redeinstrument ein voller Erfolg.
„The book valuation is simply not about the internal consistency of the model; this
could have been done much more concisely and comprehensibly. Instead they
emphasize the understanding of the company” (Hägglund 2000, 321).
Mit Blick auf ihre zentrale Frage: „How do we learn enough about today’s company
to predict value?” (Hägglund 2000, 322) stellen Copeland u.a. (1990) die intensive
Auseindersetzung mit dem Unternehmen in den Mittelpunkt ihrer Darstellung. Um
letztendlich den Unternehmenswert bestimmen zu können, muss sich der Analyst
weniger mit der Bewertung als solcher beschäftigen, als vielmehr das Unternehmen in
seiner Komplexität verstehen lernen. Ist das Modell mit entsprechenden Daten und
Fakten angereichert – das Unternehmenswissen mithin in eine präsentierbare Form
gebracht – , so bietet sich dem Portfoliomanager eine geeignete Kommunikations- und
Lernplattform. Gleichwohl rezipieren die Portfoliomanager nicht einfach die Fakten.
Sie nehmen vielmehr aktiv an deren Entstehung und Verhandlung Anteil. In Verbund
mit dem Bewertungsmodell, das sich als zentrales Instrument in diesem
Interaktionsprozess erweist, erwecken der Analyst und der Portfoliomanager die
“Quasi-Company“ (Latour 1993) zum Leben.

125
Analyst Investor

Quasi-Firma

Bewertung

Abbildung 13: Die interaktive Konstruktion der Quasi-Firma.


Quelle: In Anlehnung an Hägglund (2000, 325)

“Quasi-Companys“ sind sowohl künstlich als auch real. Künstlich sind sie deshalb,
weil sie auf abstrakten Bewertungsmodellen basieren. Real sind sie deshalb, weil
Analysten und Portfoliomanager viel Zeit mit dem zu bewertenden Unternehmen
zubringen und sich intensiv mit ihrem Geschäft, ihrem Personal, ihrem Markt, ihren
Kunden etc. beschäftigen. „Quasi-companies are not more or less ’real’ than any ’real’
company, but it is the quasi-company that is traded, and it is the creation of such a
company that enables trading” (Hägglund 2000, 326).
Um auf dem Kapitalmarkt von den relevanten Akteuren – Analysten, Portfolio-
managern, Journalisten, Ratingagenturen etc. – als Handelsobjekt wahrgenommen zu
werden, darf kein Zweifel an dem realen Charakter der Quasi-Company aufkommen.
„The quasi-company must be as real as anything else or it will not do“ (Hägglund
2000, 326). Niemand berichtet über oder investiert in ein fiktives Unternehmen. Um
den Realitätstest zu bestehen, muss die Quasi-Company permanent durch Fakten
belegt werden. Wie diese Fakten kreiert und zu einer Quasi-Company verdichtet
werden, liegt jedoch nicht allein im Ermessensspielraum von Analysten und
Portfoliomanagern. Nach Hägglund (2000) sind es vor allem drei Kriterien, die über
Wohl und Wehe der Quasi-Company auf Kapitalmärkten entscheiden.
Was macht die Firma aus?
Ein erstes Kriterium betrifft das narrative Potential der Quasi-Company. Hat die
Quasi-Company eine gute Geschichte? Ist sie mit einem Mythos belegt? Eignet sie
sich als Thema für Gespräche auf Partys, in Flughafenlounges, bei Präsentationen oder
in Meetings? Mars (1998) unterscheidet zwischen zwei Arten von Geschichten: die
Kostenstory und die Umsatzstory. Sowohl Kosten als auch Umsätze sind jedoch zu
abstrakt, um dem Erzähler als Protagonisten zu dienen. Während der Protagonist der
Kostenstory in der Regel der Top-Manager eines Unternehmens ist, steht im
Mittelpunkt der Umsatzstory ein bestimmtes Star-Produkt des Unternehmens.

126
„Storytaugliche Manager sind ’knallharte’ Macher, die mit einem harten Besen den
Augias-Stall ’entschlacken’“ (Mars 1998, 196). Ihre visionäre Weitsichtigkeit lässt
diese Vorreiter frühzeitig potentielle Krisensituationen ahnen, so dass sie als Fels in
der Brandung Stehvermögen beweisen und Halt geben können. Sie eignen sich zudem
als werbende Galionsfigur, die die Story ihres Unternehmens überzeugend verkaufen
können. Verfügt das Unternehmen über ein derartig profiliertes Management, „dann ist
es ganz egal, welche Produkte die herstellen“ (Analyst zit. nach Mars 1998, 187).
Fehlt jedoch ein veritabler Protagonist für die Story, so kann auch ein Produkt diese
Funktion übernehmen. Eine Produktstory eignet sich immer dann gut für eine
Unternehmensstory, wenn die Unternehmen relativ konjunkturunabhängig sind. Als
dynamischer Verdränger von Konkurrenzprodukten oder als dominanter Marktführer
kann ein bereits existierendes Produkt zum Helden werden. „Ein neues Produkt wird
hingegen als davidischer Markteroberer stilisiert“ (Mars 1998,196). Ganz gleich ob
Marktführer, Verdränger oder Eroberer, die Produktstorys wirken überzeugender,
wenn sie einerseits Fortschrittlichkeit symbolisieren und andererseits alltagsnah
verstehbar sind. Letzteres ist aber bei abstrakten Produkten wie etwa Halbleitern
schwierig. Gelingt es aber, ein solches Produkt alltagsnah zu kontextualisieren, gibt
dies der Produktstory einen besonderen Appeal. „Ich bin überzeugt, dass der
Halbleitermarkt mit 15 bis 20 % bis zum Jahr 2000 wachsen wird, mindestens, und
damit zu ’nem unglaublich wichtigen Markt wird. Weil jede Hausfrau in Zukunft in
ihrem Bügeleisen irgend’nen Chip haben wird, weil das Teil intelligent wird“ (Analyst
zit. nach Mars 1998, 190).
Die skizzierten Stories kommen jedoch nur zum Tragen, wenn die Quasi Company
thematisch offen struktuiert ist. Letzteres hängt aber stark von dem zugrunde gelegten
Bewertungsmodell ab. Ein finanztheoretisches Modell, das nur auf die grundlegenden
Variablen Profit und Buchwert fokussiert, ist nicht kommunikativ anschlussfähig an
eine Produkt- oder Kostenstory. Das Copeland-Modell hingegen „enables telling a
story with details, enables the story to have purpose, enables the incorporation of some
industry action as well as some macrofeatures“ (Hägglund 2000, 329).
Was ist der „historische“ Kontext des Unternehmens?
Das zweite Kriterium betrifft die Kreation einer künstlichen Welt um die Quasi-
Company zu testen. Der Analyst muss eine Bühne aufbauen, auf der sich das
Unternehmen präsentieren kann. Nur wenn die Investoren, Portfoliomanager,
Journalisten, Ratingagenturen etc. sich ein eigenes Bild von den Qualitäten der Quasi-
Company machen können, werden sie diese als Handelsobjekt akzeptieren. Es geht
darum, dem Unternehmen Raum zur Selbstdarstellung zu geben. Warum brauchen wir
diese Quasi-Company? Was unterscheidet sie von anderen Unternehmen? Ist es nur
eine nette Geschichte, oder taucht die Firma als Akteur auf der Bühne tatsächlich auf?
„We’ve heard the story and we like it – now we want to meet the star in person! Live
performance, please” (Hägglund 2000, 330).

127
Abbildung 14: The investment object is constructed through its connections.
Quelle: Hägglund (2002, 9)

Mit Bezug auf Latour (1988) unterscheidet Hägglund (2000) zwischen drei Phasen, die
bei der Herstellung einer Bühnenpräsentation virulent werden.
a) Auf der Grundlage seines Analysemodells sammelt der Analyst die Daten und
Zahlen und bereitet diese auf. Bei der Datenaufbereitung ist zu beachten, dass ein
Bezug zur o.g. Geschichte offenkundig wird. Je detaillierter das ausgewählte
Analysemodell ist, umso größer ist die Bandbreite der anschlussfähigen Daten.
b) Nach der “Felderhebung“ integriert der Analyst die Daten in der Bank in das
Analysemodell. Im Zuge der Datenanreicherungen wird aus einem linearen
Bewertungsmodell eine facettenreiche Quasi-Company. Jede Komponente des
Unternehmensmodells ist auf die Basisparameter Gewinn und Verlust deduzierbar. Zur
Erklärung des Unternehmensmodells werden Bezüge zu internen Komponenten wie
dem Produktionssystem, den Produktionskosten und den Qualitätskennzahlen
hergestellt. Als externe Erklärungskomponenten für die Quasi-Company gelten
hingegen Marktwachstum, Inflationserwartungen, EZB-Zinssätze. „The list of objects
that potentially could be connected like this is of course endless, and investors and
analysts basically described their work as finding objects that explained more of the
company, and also to refine the connection between the company and its explanatory
objects“ (Hägglund 2002, 8).
Gemeinsam erarbeiten Analyst und Portfoliomanager die Details des Analyse-
modells, um herauszufinden, wie die Quasi Company auf eine Änderung des

128
Zinsfusses, der Wachtumserwartungen, Preisannahmen oder Produktionskosten
reagiert. Wie bereits bei der Unternehmensgeschichte, so erweist sich auch hier das
Cash-Flow-Modell von Copeland u.a. (1990) als geeignet für die konzeptionelle Basis
der Quasi Company als ein formales Modell. „It is the list of relations and connections
that is the quasi company, and the cash flow model gives an infinitely richer picture
than the dividend model“ (Hägglund 2000, 331).
c) Schließlich muss die bankintern entwickelte Quasi-Company den Marktteil-
nehmern präsentiert werden. Dies geschieht unter enger Aufsicht des Analysten. Denn:
„the balance of power, with the analysts in control of a multi-million dollar company,
must be preserved“ (Hägglund 2000, 332). Eine Möglichkeit besteht darin, die Praxis
so zu ändern, dass sie mit den “Laborergebnissen“ übereinstimmt. Indikatoren hierfür
sind etwa Unternehmen, die das Unternehmensmodell adaptieren oder Manager, die
unter Rekurs auf neueste finanzwirtschaftliche Laborerkenntnisse planen und
entscheiden68. Neben der direkten Unternehmensadaption können die Ergebnisse auch
Grundlage für die Szenarienbildung anderer Analysten werden. Je komplexer das
Erscheinungsbild der Quasi-Company, umso höher ist die Anschlussfähigkeit an
unterschiedlichste Unternehmensszenarien. Verändert sich in irgendeiner Form das
Unternehmen, so kann dieses Ereignis problemloser von Analysten, Firmenkunden,
Medien oder Investoren als Bestätigung der Prognosen interpretiert werden. „The
laboratory results are brought back into the field – and they are interpreted as correct
predictions“ (Hägglund 2000, 333).
Wie gewinnt das Unternehmen eine unabhängige Existenz?
Die Quasi-Company muss glaubwürdig demonstrieren, dass sie unabhängig von dem
Analysten existiert und dieser nicht die Selbstdarstellung der Unternehmung
modifizieren kann. Denn niemand investiert in ein Phantasieunternehmen, dessen
Handlungen abhängig von den Analysten und ihren schlauen Berichten sind. „A quasi-
company must prove itself to exist independent of the analysts and models that helped
articulate it – this is the third trial“ (Hägglund 2000, 333). Hier entscheidet sich, ob die
Quasi-Company mehr als eine gute Geschichte oder eine nette Performance ist. Hier
bekommt die Creation den entscheidenden Realitätsanstrich. Ironischerweise erweist
sich jedoch gerade das Ziel und Ergebnis des ganzen Bewertungsprozesses als hohe
Hürde für die Quasi-Company auf ihrem Weg zur eigenständigen Entität. Mag das
Unternehmensmodell am Ende des Bewertungsprozesses auch mit einem Wert
etikettiert werden, die Portfoliomanager werden den Unternehmenswert immer als
abhängig von den Analysten und ihren Berechnungen wahrnehmen.
„The reason for this is that the analysts have other things to think about than our
investments. One example is Enator: when they were on the sell list there was no

68
Hägglund (2000) führt hier das Beispiel der schwedischen Firma Svenska Cellulosa Aktiebolaget (SCA) an.
Bei ihrem Börsengang 1997 nutzen sie als neues Steuerungssystem einen Cash-Value-Added-Ansatz, der den
Blaupausen eines Cash-Flow-Modells nachempfunden ist. Eigentümer und Investoren reagierten hierauf
positiv.

129
negative analysis on the market, because all corporate finance departments wanted the
deal and they will not give it to you if you say the company is worthless. And now the
market is flooded with positive ratings for Telia, of course. So you cannot pay
attention to the valuations made by analysts – you have to do them yourself”
(Portfoliomanager zit. Nach Hägglund 2000, 333).
Da die Portfoliomanager den Bewertungsprozess immer auch als personen- bzw.
rollenpräformiert rezipieren, können sie dem erzeugten Wert nicht trauen. Stattdessen
verlangen sie detaillierte Auskunft über die zugrunde gelegten Annahmen und
Schätzwerte. Vorteilhafter erscheinen daher auf den ersten Blick solche
Bewertungsmodelle, die den Unternehmenswert auf wenige, eindeutig kalkulierbare
Parameter zurückführen können. Überzeugen also finanztheoretische Modelle selbst
den misstrauischsten Investor, so eignen sie sich weder als Grundlage für eine
interessante Geschichte, noch können sie ein Unternehmen in seiner Komplexität zum
Leben erwecken. Im Gegenzug mögen zwar die komplexen Wirkungszusammenhänge
des Cash-Flow-Modells zunächst das Misstrauen des Investors gegenüber dem
Unternehmenswert nähren, die Fakten in ihrer Vielfalt und Masse werden jedoch
letztlich als realitätsnäher bewertet. „It creates a good story, it allows the quasi-
company to display itself, and it is compatible with the demands for independence and
objectivity with regard to quasi-company facts“ (Hägglund 2000, 334).

2.3.3. Wissen, Steuerung und Reziprozität – ein Zwischenfazit

Unternehmenswissen ist im Fluß. Ob in den Abteilungen der Publikumsgesellschaften,


zwischen den „Finanzern“ der Publikumsgesellschaften und den Analysten der
institutionellen Investoren oder in dem Handlungsverbund von Analysten und
Portfoliomanagern, „Unternehmenstatsachen“ zirkulieren auf unterschiedlichen
Ebenen zwischen unterschiedlichen Akteuren. Controller, Treasurer, Analysten oder
Portfoliomanager “are not in the Business of value finding, but in the business of fact
creation“ (Hägglund 2000, 235). In der kontinuierlichen Kommunikation zwischen
den Akteuren auf dem Aktienmarkt werden neue Fakten geschaffen, alte Geschichten
verworfen oder alternative Szenarien entwickelt und so ein permanenter Auf- und
Abbau des Handelsobjekts „Quasi-Company“ betrieben. Sie ist dabei mehr „an a
attractive idea about perfect information, it is a necessary object for both analyst’s and
investor’s ability to work“ (Hägglund 2002, 11). Keiner von ihnen könnte ohne ein
Handelsobjekt arbeiten, das eine stabile und unterscheidbare Investitionsalternative
darstellt. „Analyst must communicate this investment object to the investors, and
investors must communicate their rationales to their superiors and investment boards“
(Hägglund 2002, 11).
Bei diesen komplexen Kommunikations- und Interaktionsprozessen spielt
Reziprozität eine zentrale Rolle. Denn: „Reciprocity distinguishes communication
from the ’unilateral’ understanding of individual actions and expressions, thus marking
communicative intentions as eminently ’social’, because not only are they addressed to

130
others, but they are the very acts by which ’sociality is constituted’” (Bianchin 2003,
638). Ganz gleich, ob es sich um intra- oder interorganisationale Kommunikation
handelt, konstitutiv für jede dieser Formen, ist die Fähigkeit sich wechselseitig in die
Position des Gegenübers hineinzuversetzen. „Much of the social behavior is predicated
upon assumptions of an actor about the knowledge, beliefs and motives of others. This
is the beginning of the process of perspective taking, and is fundamental to
communications” (Boland/Tenkasi 1995, 348).
Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist nicht nur Bedingung für eine
“sinnvolle“ Kommunikation zwischen den o.g. Akteuren. Die kommunizierten Inhalte
– Unternehmenswissen, Bewertungsmodelle – sind auch Grundlage für die
Investitionsentscheidungen von Portfoliomanagern. Die Entscheidung für oder gegen
ein Investment wirkt sich via Börse unmittelbar auf den Marktwert der
Publikumsgesellschaft aus und bildet somit ein Datum für die Unternehmensführung.
Dieser Relevanz der Investitionsentscheidung für das eigene Unternehmen bewusst,
versucht das Finanzmanagement durch geeignete Marketingmassnahmen die
Attraktivität der Publikumsgesellschaft für Investoren zu erhöhen. Hierbei stehen ihm
ein ganzes Arsenal an bilanzpolitischen Werkzeugen zur Verfügung, die der
Verschleierung des „wahren Unternehmensgesichts“ hinter einem bilanzkosmetischen
Make-up dienen (Mars 1998). Um eine gegenstandsadäquate Prognose für die
Investitionsentscheidung zu liefern, muss der Analyst die situative Handlungslogik des
Unternehmensmanagements nachvollziehen können. Oberstes Analystengebot ist
daher das Bemühen „sich in die Denkart des Unternehmens hineinzuversetzen“ (Mars
1998, 142). Mag die wechselseitige Perspektivenübernahme für eine gelingende
Kommunikation und Handlungskoordination noch so evident sein, die
Wahrnehmungsposition des Unternehmensmanagements bleibt jedoch den Analysten
wie den Portfoliomanagern generell verschlossen. So sehr sich beide auch bemühen, es
bleibt dabei, “dass alles echte Fremdverstehen auf Akten der Selbstauslegung des
Verstehenden fundiert ist“ (Schütz 1960, 123). Denn mögen die Gegenstände dieser
Welt “Alter“ auch bekannt oder erkennbar sein, so ist doch “Ego“ klar, dass ein und
derselbe Gegenstand für jeden etwas anderes bedeutet.
Diese individualistische Perspektive wird in der Schützschen Phänomenologie
(1971) durch zwei grundlegende Idealisierungen69 überwunden, die im Folgenden die
Generalthese der reziproken Perspektiven konstituieren. „Die Generalthese der
reziproken Perspektiven führt also dazu, dass Gegenstände mit samt ihren Aspekten,
die mir tatsächlich und dir potentiell bekannt sind, als Gegenstände im Bereich des
Wissens von jedermann erfasst werden. Dieses Wissen ist objektiv und anonym, das
heißt, es ist abgelöst und unabhängig von meiner und meiner Mitmenschen Definition
der Situation, von unseren einzigartigen biographischen Vorgegebenheiten und

69
Es handelt sich hierbei um die bereits erwähnten Idealisierungen der Vertauschbarkeit der Standorte und die
Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme.

131
unseren wirklichen und möglichen Zielen, die uns mit unseren Biographien verfügbar
sind“ (Schütz 1971, 12). Um koordiniertes Handeln überhaupt zu realisieren, müssen
Unternehmensmanagement einerseits und Analysten sowie Portfoliomanager
anderseits wechselseitig erwarten können, dass das Gegenüber das eigene
Relevanzsystem teilt, die eigene Lebensweise kennt und weiß, wie es sich
normalerweise in unterschiedlichen Situationen zu verhalten hat (Schütz 1971;
Stegbauer 2002). Als konstitutiver Ausweis für eine Kommensurabilität der
Relevanzsysteme gilt der Einsatz von institutionalisierten Bewertungsmodellen und
damit verbundenen Unternehmensstrategien. Ebenso wie die Portfoliomanager ihre
Anlagen nach zu erwartenden Renditen auswählen, betrachten Unternehmensmanager
ihre Unternehmensteile als austauschbare Renditeobjekte. Die Konzernlenker
entfremden sich – wie Hauschild und Heldt (2001, 354) betonen – „zunehmend von
den einzelnen Konzerngesellschaften und betrachten die Unternehmen und Betriebe
ihres Portefeuilles als austauschbare Teile. Ihre Strategien und Instrumente gleichen
inzwischen weitgehend denen eines institutionellen Anlegers“. Indem das
Management die institutionalisierten Bewertungsmodelle zur Grundlage seiner
internen Ressourcenallokation macht, wird das eigene Unternehmen nicht nur in den
Augen der Analysten und Portfoliomanager zu einem akzeptablem Investitionsobjekt.
Es kehrt sich auch gleichsam das Verhältnis von interner Unternehmensstrategie und
externem Bewertungsmodell um. Als Vorreiter des Wertmanagements spielt
beispielsweise die General Electric Company häufig am Modell durch, „how an
acquisition, a divestment or the restructuring of a divsion would affect official
earnings before going ahead“ (Macintosh 2001,140). Wird in traditioneller Lesart
zunächst die Strategie implementiert und dann die Auswirkungen auf das
Unternehmensergebnis bewertet, so präformiert im Falle von GE das
Bewertungsmodell die Implementation der Unternehmensstrategie. „So instead of
GE’s accounting reflecting the real outcomes of strategic decisions, the ex-ante
accounting model, itself a simulation of analysts’ expectations of earnings, precedes
and engenders the strategy which in turn recirculates into reported earnings”
(Macintosh 2001,140).
In ähnlicher Weise betreiben auch Firmen wie Walt Disney ihre Bilanzpolitik. Mit
Blick auf die gemeldeten Gewinnprognosen entscheiden sie den Zeitpunkt, an dem
Videokassetten von Hits wie “Snow White“ in den Handel kommen. Indem sie mit
Bedacht den Zeitpunkt für die Markteinführung bestimmen, forcieren sie einen
gleichmäßigen Gewinntrend, den Analysten leicht prognostizieren können. Im
Gegenzug stützen die Gewinnprognosen der Analysten den Aktienkurs.
Im Allgemeinen läuft der Prozess wie folgt ab: Analysten suchen in den aktuellen
Finanzberichten (Bilanzen, Ad-hoc-Meldungen etc.) und Investitionsentscheidungen
nach Hinweisen über zukünftige Gewinne. Gleichzeitig legt das Unternehmens-
management die Gewinnprognosen der Analysten ihren jährlichen Zielen zugrunde
und wählt die Investitionen sowie die Rechnungslegungsverfahren so aus, dass die

132
angekündigten Erträge den Prognosen der Analysten entsprechen oder diese sogar
übertreffen. Im Gegenzug preist der Kapitalmarkt die Gewinnprognosen der Analysten
in die Aktienkurse ein. So scheint es – wie Macintosh 2001, 141) betont – , „that the
company’s insvestment decision model, the analysts’ forecasting model, and investors’
valuation models circulate simultaneously in the hyperreal finance realm in an Möbius
strip like fashion“. In diesem selbstreferentiellen System erfolgt Steuerung nicht mehr
linear, d.h. unter Rekurs auf den “wahren“ Unternehmenswert. Bezugspunkt
interaktiver Steuerung sind vielmehr institutionalisierte Bewertungsmodelle, etwa das
Wertmanagementmodell von Copeland et al. (1990), die ihr reziprokes Steuerungs-
potential durch die Bilanz- und Investitionspolitik des Unternehmen einerseits und den
Auf- und Abbau des Handelsobjekts Quasi Company auf Anlegerseite anderseits zur
Entfaltung bringen.

133
3. Kontrolle und Kooperation in der Investor/Unternehmens-
Interaktion – theoretische Perspektiven und empirische Evidenzen
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die Handlungsmotivationen der Interaktions-
partner – Aktionäre und Unternehmensmanagement – als Ergebnis und Bedingung der
sozialen Interaktionsprozesse zu explizieren. Es geht also gewissermaßen darum, die
jeweiligen Handlungsmotivationen in ihrer sozio-kulturellen Bedingheit zu erfassen.
Mit Blick auf das dominante Theoriekonzept – die Neue Institutionenökonomie –
werden zunächst solche institutionellen Arrangements dargestellt, die das Problem der
Interessensdivergenzen zwischen Aktionären und Unternehmensmanagement beheben
sollen (3.1). Eingegangen wird hierbei insbesondere auf den Einsatz von Supervisor-
Konzepten der Managementkontrolle (3.1.2) und der Verwendung von
Wettbewerbskonzepten der Managementdisziplinierung (3.1.3) zur Lösung des
Anreizproblems. Grundlegend für die institutionenökonomische Theorie und somit
auch für die favorisierten Arrangements ist ein weitgehend dekontextualisiertes
Interaktionsverständnis, bei dem a priori utilitaristische Handlungsmotive handlungs-
leitend sind (3.2). Konfrontiert wird das dominante institutionenökonomische
Paradigma nachfolgend mit den Ergebnissen der experimentellen Wirtschafts-
forschung, die prosoziales Handlungsmotive wie Fairness, Loyalität und Reziprozität
als konstitutiv für die Funktionsweise von offenen Vertragsbeziehungen – wie etwa
Arbeitsverträgen – identifizieren (3.3). Mit Blick auf die Ergebnisse der experimen-
tellen Wirtschaftsforschung wird im Folgenden die Unternehmenssteuerung weniger
als ein Kontroll- sondern vielmehr als ein Kooperationsproblem betrachtet (3.4). Um
diese revidierte Sichtweise mit empirischer Evidenz zu belegen, werden sodann
Untersuchungen zu kooperativen Interaktionsmustern zwischen Anteilseignern und
Top-Managern ins Feld geführt. Am Beispiel der Funktionsweise von japanischen
(3.4.1) und britischen (3.4.2) Unternehmensboards wird ausführlich gezeigt, wie unter
Rekurs auf je spezifische sozio-kulturelle Bedingungen prosoziale Verhaltensweisen
etablieren, die im Kern einen reziproken Interaktionszusammenhang generieren.

3.1. Unternehmenssteuerung als Kontrollproblem – die Sicht der


Institutionenökonomie

Die Publikumsgesellschaft ist aus verfügungsrechtlicher Sicht das Eigentum der


Aktionäre bzw. Anteilseigner. Eine wirkungsvolle Managerkontrolle, die einen
effizienten Umgang des Topmanagements mit den Unternehmensressourcen
gewährleistet, liegt daher im originären Interesse der Anteilseigner (Kräckel 2004).
Welche Mechanismen eine effektive Managerkontrolle realisieren, ist Gegenstand der
Corporate-Governance-Forschung. Obwohl im deutschen Sprachraum eine
einheitliche Definition fehlt (Witt 2003), kann der englische Terminus aus
ökonomischer Perspektive als Oberbegriff für das gesamte System interner und
externer Kontroll- und Überwachungsmechanismen in einer Unternehmung bezeichnet
werden (Steiger 2000, 2001; Dietl 1998; Witt 2003). Thematisch vereint der Begriff
Corporate Governance mehrere Aufgabenbereiche. Das Spektrum reicht von der
Struktur der Eigentums- und Kapitalverhältnisse und der personellen Gremienzusam-
mensetzung zur Leitung und Kontrolle in Unternehmen bis hin zur Organisation der
Unternehmensführung sowie der Arbeitnehmermitbestimmung. Weiterhin werden
auch der Einfluss von Fremdkapitalgebern und der Wettbewerb auf Produktmärkten
diskutiert. Bei der Corporate-Governance-Analyse wird demnach kein eigenständiger
Forschungsgegenstand untersucht, „sondern vielmehr ein neuer, systemischer Fokus
auf bereits existierende Forschungsgebiete gerichtet“ (Steiger 2000, 63).
Indem das erklärte Ziel der Corporate Governance darin liegt, die Interessen der
Eigenkapitalgeber gegenüber denen des Managements bzw. des Unternehmens zu
wahren (Shleifer/Vishny 1997), fügt sich das Konzept nahtlos in den Shareholder-
Value-Ansatz ein. „Aus Sicht des Shareholder Value Konzepts eröffnet eine effizient
organisierte Corporate Governance dem Anteilseigner – bei gegebener Kontroll-
struktur – die Möglichkeit, eine Unternehmensführung beim Management
einzufordern, die den Unternehmenswert maximiert“ (Steiger 2000, 64). Eine
effiziente Corporate Governance stellt sich als Voraussetzung dar, um langfristig einen
höheren Unternehmenswert zu generieren. Unterstellt wird somit ein erheblicher
Einfluss der Unternehmenskontrolle auf die ökonomische Leistung des Unternehmens.
Insbesondere institutionelle Investoren, die zumeist als Minderheitsaktionäre auftreten,
müssen zur Durchsetzung der originären Eigentümerinteressen ihrer eigenen
Kapitalgeber auf eine entsprechende Realisierung der Shareholder-Value-Konzeption
achten, um sich so eine adäquate Rendite des investierten Kapitals zu sichern70.
Die institutionellen Investoren unterstellen laut Steiger (2000, 2001) zwischen
Unternehmenskontrolle und ökonomischer Performance implizit folgende
Beziehungen:
z Die manageriellen Aktivitäten beeinflussen die Unternehmensleistung.
z Das System der Corporate Governance beeinflusst den manageriellen
Entscheidungskontext.
z Eine effiziente Corporate Governance reduziert die Agencykosten, indem
managerielle Ziele mit den Interessen der Aktionäre, die auf Maximierung des
Shareholder Value fokussieren, harmonisiert werden.
z Die Leistungssteigerung einzelner Unternehmen führt schließlich zu einer
höheren Wohlfahrt der Volkswirtschaft.
Der angenommene Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unter-
nehmensperformance führt seit Mitte der achtziger Jahre zum sog. Shareholder
Activism. Auf Betreiben von US-amerikanischen Pensionsfonds werden verstärkt

70
Vgl. Hierzu auch die Definition von Corporate Governance bei Shleifer und Vishny (1997, 737): „Corporate
Governance deals with the ways in which suppliers of finance to corporations assure themselves of getting a
return on their investment“

136
originäre Aktionärsrechte eingefordert. Im Zuge dieses Shareholder Activism entsteht
weltweit eine Vielzahl freiwilliger Corporate-Governance-Verhaltenskodizes seitens
institutioneller Investoren (z.B. CalPers, TIAA-CREF), Unternehmen (General
Motors), Kommissionen (Combined Code UK, „Grundsatzkommission Corporate
Governance“ in Deutschland) und supranationaler Organisationen (z.B. OECD,
Weltbank). Diese eint die gemeinsame Zielsetzung: „durch allgemein gültige
Standards eine auf Wertschöpfung ausgerichtete Leistung und Kontrolle von
Unternehmen zu gewährleisten“ (Steiger 2001, 534). In der konkreten Ausgestaltung
unterscheiden sich die Verhaltenskodizes jedoch erheblich. Dies ist neben den
differenten Zielen der einzelnen Verfasser primär dem unterschiedlichen
Entwicklungsstand des jeweiligen Corporate-Governance-Systems gezollt. Letzterer
hängt von unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen ab, die im
Folgenden skizziert werden.

3.1.1. Marktliche und gesetzliche Kontextfaktoren der Unternehmenskontrolle

Eine zentrale Bestimmungsgröße der international beobachtbaren Corporate-


Governance-Systeme ist die Struktur der länderspezifischen Unternehmens-
finanzierung. Die unterschiedlichen Finanzierungsanteile von Eigen- und Fremdkapital
wirken sich insofern massiv auf die Unternehmenskontrolle aus, als Letztere entweder
stärker von den Eigenkapital- oder Fremdkapitalgebern durchgeführt wird (Steiger
2001).
Häufig unterschieden werden die angelsächsischen von den kontinentaleuropäischen
Finanzsystemen mittels der dichotomen Typologie markt- versus bankorientiertem
System (Mayer 1998). Bezugskriterium für die dichotome Typologisierung ist die
Wahl der dominanten Form der Außenfinanzierung. Im Rahmen der bankorientierten
Systeme sind die Kreditinstitute als wichtigster Intermediär von zentraler Bedeutung.
Kreditnehmer und Finanzinstitut handeln jeweils individuell und bilateral die
Vertragskonditionen aus. Indem die Kreditinstitute gleichzeitig als Eigenkapitalgeber
auftreten, üben sie eine Doppelfunktion innerhalb der Corporate Governance aus. „Die
marktorientierten Systeme hingegen pflegen traditionell die Kapitalmarktfinanzierung
zu den vom Kapitalgeber vorgegebenen Kontraktspezifikationen, Kreditsinstitute
spielen hinsichtlich der klassischen langfristigen Fremdkapitalfinanzierung eine
untergeordnete Rolle“ (Steiger 2000, 80). Rechnete man bis dato Deutschland oder
auch Japan eher dem bankorientierten System zu, während USA und Großbritannien
eher als Vertreter des marktorientierten Systems galten, so lässt sich gegenwärtig in
Deutschland eine Hinwendung zum marktorientierten System feststellen
(Gerke/Pfeufer 1995; Bank 1998).
Eine weitere Dichotomisierung konstituiert sich über die unternehmensrechtliche
Bestimmungen als institutionelle Bedingungen der Corporate Governance (Kräkel
2004; Picot/Dietl/Franck 2002). Unterscheiden lassen sich hierbei das monistische
Boardsystem US-amerikanischer Prägung und sein deutsches Gegenstück, das

137
dualistische System von Vorstand und Aufsichtsrat (Schewe 2005). Bestimmt wird das
deutsche System durch die Vorschriften des Aktiengesetzes (AktG) und des
Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG). Die Vorstandsmitglieder führen die
Unternehmensgeschäfte zwar gemeinschaftlich, jedoch fallen Arbeitsdirektor und
Vorstandsvorsitzendem eine gesonderte Rolle zu. Während Ersterer für alle personalen
und sozialen Belange zuständig ist, bestimmt Letzterer zumeist die Ausrichtung der
Unternehmenspolitik. Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung des Vorstands.
Er rekrutiert sich paritätisch aus Arbeitnehmervertretern und Vertretern der
Anteilseigner. Bestimmen die Arbeitnehmer ihre Vertreter direkt durch ein
Wahlmännergremium, so wählen die Anteilseigner ihre Abgesandten in der
Hauptversammlung. Häufig rekrutieren sich die Vertreter aus den Führungsetagen
anderer Unternehmen, bevorzugt aus denen des Bankensektors. Die Vertreter der
Anteilseigner bestimmen normalerweise den Aufsichtsratsvorsitzenden. Seine Stimme
hat bei der zweiten Abstimmung doppeltes Gewicht, sofern in der ersten
Abstimmungsrunde Stimmenparität vorliegt. Weitere Aufgaben sind neben der
Kontrolle des Vorstands die Bestellung der Vorstandsmitglieder mit 2/3-Mehrheit und
die Festlegung der Vorstandsvergütung bzw. -vergütungsform. An der
Hauptversammlung können alle Aktionäre der AG teilnehmen. Die Abstimmungs-
ergebnisse der Hauptversammlung sind für sämtliche Fragen, die das Aktienkapital
und den verfassungsmäßigen Aufbau des Unternehmens betreffen, bindend. Dies
betrifft insbesondere Entscheidungen bezüglich der Verwendung des Bilanzgewinns,
Satzungsänderungen, Fusionen, Gesellschaftsauflösung und die Herab- bzw.
Heraufsetzung des Aktienkapitals. Zudem wird in der Hauptversammlung über die
Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand sowie über die Bestellung der
Abschlussprüfer befunden (Kräkel 2004; Schewe 2005).
Im Gegensatz zum dualistischen Modell ist beim monistischen Modell die Leitungs-
und Kontrollkompetenz in einem Organ – dem Board of Directors – konzentriert. Um
die Leitungs- und Kontrollaufgaben durchzuführen, bildet das Board zumeist mehrere
Ausschüsse. Diesen Ausschüssen werden bestimmte Aufgaben zugewiesen. So ist
etwa das Auditt Commitee für die Vorbereitung der Abschlussprüfung zuständig,
während im sog. Executive Committee die eigentlichen Managementaufgaben gelöst
werden. Das Board besteht aus unternehmensinternen (inside directors) und -externen
(outside directors) Direktoren. Erstere rekrutieren sich aus den Führungskräften des
Unternehmens und führen hauptamtlich die eigentlichen Managementtätigkeiten
durch. Letztere übernehmen überwiegend die Überwachungsfunktion des Boards und
führen dieses Amt zumeist nur als Nebentätigkeit durch. Generell umfasst das Board
of Directors zwischen 10 und 15 Mitgliedern. Die Mehrheit stellen hierbei
normalerweise die Outside-Direktoren. Geführt wird die US-amerikanische Stock
Corporation i.d.R. nur von drei bis fünf Inside-Direktoren. Die entscheidende
Schlüsselrolle im Board of Directors hält der Generaldirektor oder Chief Executive
Officer (CEO) inne. Er bestimmt üblicherweise die Unternehmenspolitik und die

138
laufende Unternehmensführung. Häufig führt er in Personalunion den Boardvorsitz
(chairman). Seine Machtposition geht also deutlich über die des Vorstands-
vorsitzenden einer deutschen AG hinaus, da er die wesentlichen Entscheidungs-
befugnisse von Vorstand und Aufsichtsrat auf sich vereint. Diese Machtfülle des CEOs
wird jedoch begrenzt. So entscheiden formal alle Direktoren des Boards über seine
Ernennung und Entlassung sowie über seine Vergütung bzw. Vergütungsform.
Während die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion durch die outside directors
zunächst unproblematisch erscheint, ist eine Übernahme dieser durch die internen
Direktoren heikel. Bleicher (1992) spricht mit Blick auf die Position der Inside
Direktoren, von einem “doppelten Hut“, den dieser Personenkreis trägt. Einerseits
obliegt ihnen die Kontrolle des Boards, andererseits sind sie im Rahmen der laufenden
Unternehmensführung der Richtlinienkompetenz des CEO untergeordnet und damit
von diesem abhängig. Weiterhin wird die Entscheidungsmacht des CEO dadurch
eingeschränkt, dass bestimmte Geschäfte von dem Plazet des Boards abhängig
gemacht werden können. Letztlich ist auch eine (partielle) Delegation der Über-
wachungsfunktion an ein von externen Direktoren dominiertes Audit Committee
möglich (Kräkel 2004; Schewe 2005).
Ein diskretionärer Entscheidungsspielraum des Topmanagements besteht sowohl bei
dem monistischen als auch bei dem dualistischen Modell der Unternehmensleitung.
Andernfalls könnte das Topmanagement auch gar keine aktive Unternehmensführung
betreiben. Gleichwohl eröffnet der Gestaltungsspielraum aus agencytheoretischer Sicht
mannigfaltige Möglichkeiten des opportunistischen Verhaltens zu Lasten der
Anteilseigner. Unabhängig von den länderspezifischen Institutionen lassen sich die
Versuche, die Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Anteilseigner zu erhöhen, in
zwei Kategorien einteilen. Picot, Dietl und Franck (2002) folgend kann man zwischen
Supervisor-Konzepten einerseits und Wettbewerbskonzepten andererseits unter-
scheiden.

3.1.2. Supervisor-Konzepte der Managementkontrolle

Im Mittelpunkt von Supervisor-Konzepten steht jeweils ein spezialisierter Intermediär.


Dieser soll im Auftrag der weitgehend hilflosen Anteilseigner das Topmanagement
beaufsichtigen und so die Wertvernichtung verhindern. An die Stelle der Principal-
Agent-Beziehung tritt dann eine Principal-Supervisor-Agent-Beziehung.
Hauptversammlung und Stockholdermeeting als Forum der Anteilseigner
Das Gesellschaftsrecht sieht das regelmäßige Zusammenkommen der Anteilseigner in
der Hauptversammlung vor. Hier muss das Management Rechenschaft ablegen. Aus
institutionenökonomischer Perspektive stellt die Hauptversammlung ein Kontrollorgan
dar, durch das die Koordinationsrechte des Managements begrenzt werden. Um
festzustellen, ob sich die Hauptversammlung als wirksame Institution zur Handhabung
des Principal-Agent-Problems erweist, muss man ebenso die zur Verfügung stehenden
Sanktions- und Disziplinierungsmechanismen als auch die vorliegenden Anreize in

139
den Blick nehmen (Picot/Dietl/Franck 2002; Kräkel 2004). Die gesetzlichen
Disziplinierungsoptionen der Hauptversammlung stellen sich eindeutig dar. Bei
entsprechenden Mehrheitsverhältnissen können Aktionäre etwa eine beantragte
Kapitalerhöhung ablehnen, dem Vorstand die Entlastung verweigern oder sogar die
Auflösung der Aktiengesellschaft beschließen. Nimmt man hingegen die Anreize in
Augenschein, so fällt die Bewertung kritischer aus. Obwohl sie die Eigentümer der
Unternehmung sind, lassen sich bei den Anteilseignern nur geringe Kontrollanreize
konstatieren. Für den einzelnen Anteilseigner ist die Teilnahme an der
Hauptversammlung ebenso wie eine aktive Managerkontrolle ein öffentliches Gut, da
alle Anteilseigner an dem Nutzen aus seinen Aktivitäten partizipieren. Rationalerweise
wird der Einzelne in dieser Situation Trittbrett fahren und möglichst von den
Kontrollaktivitäten anderer Akteure profitieren. Zusätzlich ist zu bedenken, dass bei
näherungsweise atomistischer Anteilseignerstruktur eine aktive Teilnahme an der
Hauptversammlung für den individuellen Aktionär nicht rational wäre. Während die
Abstimmungsbeteiligung mit signifikanten Kosten verbunden wäre, erweisen sich die
Erträge aufgrund des vernachlässigbaren Einflusses einzelner Stimmen als kaum
wahrnehmbar (Kräkel 2004).
In Abhängigkeit von ihren Konstitutionsbedingungen reduziert eine Anteils-
konzentration die skizzierten Anreizprobleme. Halten Privatanleger große
Eigentumspositionen, so verwandeln sich die Publikumsgesellschaften sukzessive in
Eigentümer-Unternehmen. Große Privatanleger ziehen als Supervisoren nicht nur
Nutzen aus der Aufdeckung von Managementfehlern, sie organisieren auch
problemloser die notwendigen Mehrheitsverhältnisse zur Aktivierung des
Disziplinierungsinstrumentariums der Hauptversammlung. Die Anteilskonzentration
entzieht dem Supervisor gleichwohl die Option, sein Anlagerisiko über den Kapital-
markt zu diversifizieren. Je stärker sich die Aktiengesellschaft zur Eigentümer-
Unternehmung entwickelt, umso mehr wird die Lösung des Agency-Problems durch
einen ineffizienten Umgang mit dem exogenen Risiko erkauft (Picot/Dietl/Franck
2002).
Die primär in Deutschland üblichere Form der Anteilskonzentration konstituiert sich
über den Anteilsbesitz von Unternehmen. Nach Untersuchungen von Prowse (1994)
und Heinrich (2002) halten die fünf größten Anteilseigner in deutschen
Publikumsgesellschaften durchschnittlich 41,5 % der Unternehmensanteile. Hingegen
sind es in den USA nur 25,4 %. Herrschen demnach in Deutschland Großunternehmen
über Großunternehmen, so dominieren in den USA Pensionsfonds, Investmentfonds
und ähnliche Institutionen die Eigenkapitalverteilung in den Publikumsgesellschaften.
Sie verfügen über 55-62 % des Eigenkapitals (in Deutschland: 3 %) (Heinrich 2002).
Auf den ersten Blick müssten aktienhaltende Unternehmen in Deutschland ebenso
wie US-amerikanische Pensions- und Investmentfonds an einer umfassenden
Managerkontrolle interessiert sein und diese aufgrund der Stimmrechtsakkumulation
auch durchsetzen können. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass wiederum

140
Topmanager als Vertreter des anteilshaltenden Unternehmens die Rolle des
Supervisors einnehmen. Sie stehen üblicherweise selbst in einer problematischen
Agency-Beziehung zu den eignen Aktionären. In der Folge ist damit zu rechnen, dass
ein wenig kontrolliertes Management auch seinerseits die ihm zur Aufsicht
anvertrauten Topmanager schwach kontrolliert (Kräkel 2004).
Kurioserweise könnten gerade Agency-Probleme zusätzliche Kontrollanreize bei
Topmanagern von aktienhaltenden Unternehmen induzieren: „Wenn nämlich die
Supervisoren als Topmanager den finanziellen Erfolg aus Beteiligungen selbst
ungestraft konsumieren können, sollten sie noch motivierter sein, ein effizientes
Beteiligungsmanagement zu betreiben, als wenn sie dessen Überschüsse weitgehend
an die eignen Aktionäre herausgeben müssten“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 269). Die
schwache Kontrolle im eigenen Unternehmen stattet Topmanager somit erst mit den
Verfügungsrechten aus, die konstitutiv für ihr Engagement als Supervisoren sind.
Die Frage „Who monitors the monitor?” lässt sich schwer beantworten. Blickt man
über den Ozean, so scheinen Investment- oder Pensionsfonds zur Management-
kontrolle geradezu prädestiniert zu sein. Können doch die Anleger die Leistungs-
fähigkeit solcher Finanzintermediäre anhand von Renditeentwicklungen beurteilen und
ggf. das Kapital abziehen. In der Folge ist der diskretionäre Verhaltensspielraum des
Fondsmanagements deutlich beschränkt. Sind nun aber streng Kontrollierte auch
zwangsläufig gewissenhafte Kontrolleure? Empirisch scheint sich diese Kausalitäts-
annahme nicht zu bewahrheiten. Fonds fallen generell als passive Investoren auf. Sie
betätigen sich nicht als Supervisoren, sondern trennen sich bei enttäuschender
Geschäftsentwicklung schnell von ihren Anteilen. Neben gesetzlichen
Beschränkungen ist dieses Verhalten letztlich auch ihrem Rationalkalkül geschuldet.
Eine Kontrolle über die erwirtschaftete Rendite führt letztlich dazu, dass
Fondsmanager auf die Vernichtung von Shareholder Value so lange mit einem Abzug
ihrer Beteiligungen reagieren, wie sich ihnen bei gleichen Renditeoptionen alternative
Investmentchancen bieten. So ersparen sie sich und ihren Anlegern die
Übernahmekosten einer aktiveren Supervisorrolle (Picot/Dietl/Franck 2002).
Aufsichtsrat und Board of Directors
Die Publikumsgesellschaften müssen aufgrund gesetzlicher Regelungen ein
permanentes Kontrollgremium für die Unternehmensführung einrichten. Während im
dualistischen System diese Aufgabe dem Aufsichtsrat zufällt, werden im monistischen
System vorwiegend die externen Board-Direktoren mit dieser Tätigkeit betraut. Beide
nehmen also die Rolle eines Supervisors für das Management ein. Eine derartige
Kontrolldelegation kann bei einer überlegenen Kontrolltechnologie des Supervisors
prinzipiell vorteilhaft sein. Da der Aufsichtsrat bzw. das externe Direktorium als
Insider über eine solche verfügt, bestehen Spezialisierungsvorteile gegenüber dem
Kleinanleger. Weiterhin ist jedoch die Frage zu beantworten, ob der Supervisor über
geeignete Kontrollanreize und über adäquate Disziplinierungsmechanismen verfügt.

141
Eine Analyse der Anreizstrukturen ist komplex, da sie durch vielfältige
Interdependenzen gekennzeichnet ist. Die Beantwortung der Frage nach den
geeigneten Anreizen für Supervisoren ist daher schwierig. Prioritär wird die Kritik an
der Arbeit externer Direktoren an der Kategorie „zu schwache Anreize“ festgemacht.
Als weiterer Kritikpunkt wird im dualistischen System auf die inhärenten
Interessenkonflikte verwiesen (Picot/Dietl/Franck 2002).
Interessenkonflikte werden im Zuge von Verflechtungen und primär Überkreuz-
Verflechtungen in Aufsichtsräten virulent. „Übernehmen die Vertreter anderer
Unternehmen die Funktion des Supervisors, so besteht prinzipiell die Gefahr, dass sie
das Unternehmen zur Verfolgung der eignen Geschäftspolitik missbrauchen; z.B.
könnten Bankenvertreter die Politik einer ausgeprägten Kreditsicherung forcieren,
indem überhöhte Wertpapierbestände als Sicherheit gehalten bzw. ineffiziente
Strategien der unternehmensinternen Diversifikation unterstützt werden“
(Picot/Dietl/Franck 2002, 270-271). Überkreuz-Verflechtungen verschärfen den
Konflikt zusätzlich. Wenn etwa der Manager eines Unternehmens einen
Aufsichtsratsposten eines anderen Unternehmens bekleidet, von dem wiederum ein
Manager im Aufsichtsrat des erstgenannten Unternehmens sitzt, entsteht ein
Kollusionsproblem. Die Überkreuz-Verflechtung bietet den beteiligten Aufsichtsräten
weiterhin die Möglichkeit, die Aufsicht schwach durchzuführen und so eine schwache
Kontrolle im eigenen Haus wahrscheinlich zu machen. Im Kern ermöglicht dieses
Tauschgeschäft, wechselseitig den Disziplinierungen durch die jeweiligen
Anteilseigner zu entgehen.
Schwache Anreize resultieren sowohl aus der erfolgsunabhängigen Vergütung von
Aufsichtsräten (Sadowski/Pull 1997) als auch aus der unzureichenden Haftung der
Aufsichtsräte. Während Vorstände in einer Bringschuld bezüglich der relevanten
Kontrollinformationen stehen, müssen Aufsichtsräte bei einer unterlassenen aktiven
Informationsbeschaffung keine Regressansprüche befürchten. „Geringe Nachteile im
Falle nicht entdeckter Managementfehler sowie eine unzureichende Kompensation
ziehen demnach einen geringen Arbeitseinsatz der Aufsichtsräte automatisch nach
sich“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 271). Weitere Anreizschwächen resultieren aus der
gängigen Besetzungspraxis in deutschen Aufsichtsräten, nach der frühere
Vorstandsvorsitzende in den Aufsichtsrat der gleichen Publikumsgesellschaft
wechseln. Auf ihrer neuen Position befinden diese nicht nur über eng vertraute
Kollegen, sondern auch über mögliche langfristige Auswirkungen der eigenen
früheren Unternehmenspolitik. Ähnlich wie beim Aufsichtsrat, so ist auch bei den
externen Direktoren des monistischen Boardsystems von einer geringen
Kontrollneigung auszugehen. Denn die externen Direktoren verdanken ihren Boardsitz
häufig dem CEO und könnten diesen durch eine Einschränkung des diskretionären
Handlungsspielraums im Zuge intensiver Kontrolle gefährden (Kräkel 2004).
Muss man angesichts der vielfältigen Interdependenzen zwischen kontrollierenden
und kontrollierten Akteuren einen Mangel an Kontrollanreizen konstatieren, „so dass

142
derzeit nicht von einer effektiven Managementkontrolle durch den Aufsichtsrat bzw.
Board of Directors ausgegangen werden kann“ (Kräkel 2004, 302), so stellt sich um so
verschärfter die Frage nach den möglichen Kontroll- und Disziplinierungsoptionen.
Aufsichtsrat und Board of Directors verfügen gegenüber dem Topmanagement/CEO
über ähnliche Möglichkeiten. Gesetzliche Regelungen über zustimmungspflichtige
Geschäfte, über die Bestellung und Entlassung des Vorstands sowie über die Wahl
einer anreizkompatiblen Entlohnung implizieren für den Aufsichtsrat bzw. Board
ausreichende Disziplinierungsmöglichkeiten. Insbesondere Letzteres gibt immer
wieder Anlass zur Diskussion. Unter dem Stichwort Aktienoptionsprogramm wird
regelmäßig die Relevanz von Topmanagerentlohnungen, die sich am Marktwert der
Unternehmung orientieren, diskutiert. Topmanager erhalten hierbei Kaufoptionen, die
ihnen bis zu einem festgelegten Termin den Aktienkauf an dem von ihnen geführten
Unternehmen zu einem ex ante fixierten Preis ermöglichen. Dies erzeugt bei dem
Topmanagement Anreize, über eine effizienzorientierte Unternehmenspolitik den
Aktienkurs des eignen Unternehmens zu erhöhen. Denn die Höhe der Differenz
zwischen dem gestiegenen Aktienkurs und dem vorab fixierten Bezugskurs schlägt
sich unmittelbar als Einkommenszuwachs nieder (Kräkel 2004).
Neben dem Topmanagement wird auch immer wieder die Disziplinierung der
Aufsichtsorgane diskutiert. Getreu dem Motto: „Wer kontrolliert eigentlich die
Kontrolleure?“ wird versucht, dem Aufsichtsmissbrauch, der aus Verflechtungen und
Überkreuz- Verflechtungen resultiert, mit entsprechenden Verbots- und Transparenz-
strategien zu begegnen. Offen gelegt werden sollen nicht nur alle Mandate der
Aufsichtsratsmitglieder, sondern gleich auch deren sämtliche Gehaltszahlungen.
Weiterhin wird eine strenge Regulierung und partielle Offenlegung des Besitzes und
Handels mit Unternehmensaktien gefordert. Auch soll der Aufsichtsrat als schlecht
informiertes “Abnickgremium“ der Vergangenheit angehören. Indem man Standards
für die Arbeitsorganisation formuliert, die Pflichten des Aufsichtsrats eindeutig
festlegt, die Anzahl der Mandate pro Person reduziert und die persönliche
Haftbarmachung der Aufsichtsratsmitglieder bei Regelverstößen propagiert, soll der
Aufsichtsrat seinem Auftrag als shareholderorientiertes Kontrollorgan gerecht werden.
Was jedoch bereits für die Anreizmechanismen gilt, scheint sich auch für die
Disziplinierungsmöglichkeiten zu bewahrheiten: der Nettoeffekt der vorgeschlagenen
Maßnahmen ist angesichts der komplexen Interdependenzen weitgehend unklar. „Jede
auch noch so einleuchtende Maßnahme kann unter bestimmten Bedingungen
dysfunktionale Nebeneffekte haben“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 272).
Abschlussprüfer
Die Bestellung eines Wirtschaftsprüfers kann die Koordinationsrechte des
Topmanagements beschränken. Mittels geeigneter Entlohnung – wie etwa eine
Erfolgsprämie für ein aufgedecktes Fehlverhalten der Topmanager – sind bei
Abschlussprüfern adäquate Kontrollanreize evozierbar. Aus ihrer Funktion als
Abschlussprüfer leiten sich unmittelbar Kontrollmöglichkeiten ab. Da sie die vom

143
Topmanagement geführten Bücher intensiv prüfen können, haben Wirtschaftsprüfer
die Möglichkeit, „einen weitaus präziseren Informationsstand über die Lage und die
zukünftige Entwicklung der Unternehmung (zu) erlangen als die meisten der anderen
potentiellen Institutionen der Managerkontrolle“ (Kräkel 2004, 311).
Während in theoretischer Perspektive die Wirtschaftsprüfer durchaus Interesse an
und Möglichkeiten zu einer Managementkontrolle haben, stellt sich dies in der Praxis
ganz anders dar. Ähnlich wie beim Aufsichtsrat, so präformieren auch hier gesetzliche
Regelungen die Rolle des Supervisors Wirtschaftsprüfer stark. Nur in Teilbereichen
greift die vertragliche Gestaltungsfreiheit. Als problematisch haben sich in der
Vergangenheit primär zwei Aspekte der gesetzlichen Aufgabendefinition erwiesen.
Zum einen ist gesetzlich vorgesehen, dass der Vorstand die Wirtschaftsprüfer bestellt.
Indem das Topmanagement seine eigenen Prüfer bestellt und auch bezahlt, sind
Kollusionsbeziehungen auf Kosten der Anteilseigner vorgezeichnet. Zum anderen sind
die Wirtschaftsprüfer qua Gesetz zwar verpflichtet, ihre Prüfung zu dokumentieren
und gegebenenfalls Auskunft hierüber zu geben. Kontrolliert wird hingegen nur, „ob
das Topmanagement bei der Aufstellung des Jahresabschlusses gegen bestehende
Gesetze oder gegen die Satzung der Unternehmung verstoßen hat“ (Kräkel 2004, 311).
Anstatt gezielt nach potentiellen Unterschlagungen, konsumtiven Investitionsausgaben
oder einer ineffizienten Unternehmenspolitik zu fahnden, fokussiert die Abschluss-
prüfung auf eine reine Gesetzes- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung. Zementiert wird
diese Aufgabendefinition durch das berufsständische Selbstverständnis, welches
gesetzliche Möglichkeiten einer erhöhten Kontrollpflicht weitgehend ignoriert hat.
Haben gesetzliche Bestimmungen und berufsständisches Selbstverständnis auch
einen wichtigen Einfluss auf die Prüfungstätigkeit, so erweist sich jedoch die
Autonomie des Abschlussprüfers vom Mandanten aus institutionenökonomischer
Perspektive als zentral für die ernsthafte Prüfung eines Unternehmens (Ewert 1990;
Stefani 2002). Ausgangspunkt vieler modelltheoretischer Ansätze ist das Low-balling-
Modell von DeAngelo (1981). Unter bestimmten Annahmen – etwa Zusatzkosten bei
der Erstprüfung oder Prüferwechselkosten – liegen im Rahmen des Modells die
Kosten einer Erstprüfung über dem erzielbaren Preis. Der erwartete diskontierte
Barwert zukünftiger Quasi-Renten erweist sich beim Wettbewerb um Erstprüfungs-
mandate als ausschlaggebender Entscheidungsparameter. Da der amtierende
Wirtschaftsprüfer sowohl Zusatzkosten bei der Erstprüfung als auch Prüferwechsel-
kosten unterstellen kann, ist dieser gegenüber seinen Wettbewerbern bei Folge-
prüfungen im Vorteil. Der amtierende Abschlussprüfer kann so eine Quasi-Rente
realisieren. Da letztere mandantenspezifisch ist und der Mandant immer mit der
Beendigung des Auftragsverhältnisses drohen kann, ist der Abschlussprüfer von
seinem Mandanten erpressbar und in seiner Prüfungsautonomie potentiell beein-
trächtigt. Verhält sich ein Wirtschaftsprüfer gegenüber seinem Mandanten
opportunistisch, so droht er bei Entdeckung und Publizität des Verhaltens die Quasi-
Renten anderer Mandanten zu verlieren. Letztere werden aufgrund der

144
“Minderleistung“ den Abschlussprüfer ersetzen oder zukünftig geringer entlohnen. Die
Quasi-Renten der anderen Mandanten bilden somit ein Pfand gegen opportunistisches
Verhalten und erhöhen somit die Abhängigkeit des Wirtschaftsprüfers von selbigen.
Um diesen und ähnlich gelagerten Problemen zu Leibe zu rücken, verabschiedete
der Gesetzgeber 1998 das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz in Unternehmen
(KonTraG). Hierin wird gerade die Rolle der Wirtschaftsprüfer in zentralen Bereichen
neu definiert (Picot/Dietl/Franck 2002):
z Wirtschaftsprüfer werden verstärkt in die Prüfung der Unternehmensführung
involviert.
z Der Aufsichtsrat ist nun Auftraggeber und Adressat der Prüfung.
z Im Rahmen von festgelegten Zeitintervallen müssen die Unternehmen ihren
Abschlussprüfer wechseln.
z Den Anteil, den ein Mandat am Gesamtumsatz der Prüfungsgesellschaft hat, ist
limitiert.
z Höhere Haftungssummen der Prüfer sollen stärkere Kontrollanreize induzieren.
Ob dieser Maßnahmekatalog tatsächlich zum Erfolg führt, ist eine offene Frage. „Der
Aufsichtsratsbezug der Prüfer verwandelt z.B. die Delegationsbeziehung in eine
Principal-Supervisor-Supervisor-Agent-Beziehung, deren Trade-offs im Vergleich zu
den bisher betrachteten Beziehungen noch komplexer sind“ (Picot/Dietl/Franck 2002,
273). Steigende Komplexität in Governancebeziehungen – so wurde bereits bei der
Aufsichtsratskontrolle deutlich – eröffnet den beteiligten Akteuren vielfältige und
häufig intransparente Kollusionsoptionen.
Banken
Die Rolle der Banken als unternehmensexterne Supervisoren ist gesetzlich
voraussetzungsvoll. Das deutsche Bankenrecht erlaubt ein Universalbankensystem mit
weitreichenden Handlungsoptionen. Hiernach können sich Banken überregional
betätigen, selbst Großaktionär bei Unternehmen außerhalb des Bankensektors sein, bei
demselben Kunden als Gläubiger wie Aktionär fungieren und Depotstimmrechte von
Kleinaktionären wahrnehmen. Dieses Handlungsspektrum war den amerikanischen
Banken lange Zeit gesetzlich untersagt. Erst in jüngster Zeit hat die gesetzliche
Regulierung nachgelassen, und so wurden den dortigen Banken vielfältigere
Handlungsoptionen zuteil (Roe 1993).
Unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen dürften Banken stark an der
Kontrolle des Topmanagements von Schuldnerunternehmen interessiert sein. Primär
fokussiert sich ihr Interesse auf den stetigen Eingang von Zins- und
Tilgungszahlungen und die Auswahl nicht zu risikoreicher Investitionsprojekte. Ist die
Bank zudem noch Aktionär des Schuldnerunternehmens, so impliziert dies erhöhte
Kontrollanreize, da managerielles Fehlverhalten zu einem potenzierten Schaden führen
kann (Kräkel 2004).

145
Scheinen bei den Banken erhebliche Anreize für eine Kontrolle des Top-
managements vorzuliegen, so stellt sich jetzt die Frage nach den bankenseitigen
Kontroll- und Disziplinierungsmöglichkeiten. Formal verfügen Banken über sehr
wirkungsvolle Kontroll- und Disziplinierungsoptionen. Als Fremdkapitalgeber können
die Banken die im Kreditvertrag fixierten Rechte auf Zins- und Tilgungszahlungen bei
Bedarf vor Gericht durchsetzen. Die Banken haben weiterhin die Möglichkeit, sich
vertraglich weitergehende Informationsrechte einräumen zu lassen. Die
Nichtverlängerung oder Nichtbewilligung von Krediten stellte eine weitere
Disziplinierungsoption dar (Stiglitz 1985).
Allen den genannten Kontroll- und Disziplinierungsmöglichkeiten ist eins gemein,
sie greifen nur bei einer starken Abhängigkeit des Unternehmens von Fremdkaptial. Ist
dies – wie in Deutschland – nicht der Fall, so gilt die Aussage von Roe (1993, 338):
„Nicht die Kreditvergabe, sondern die Kontrolle über die Stimmrechte ermöglichte
den Einfluss der deutschen Banken“. Da sie sowohl die Stimmrechte der eigenen
Anteile als auch die Depotstimmrechte der Kleinaktionäre wahrnehmen können,
besitzen sie in der Regel die Stimmrechtsmehrheit bei den deutschen Publikums-
gesellschaften. Über ihren so erhaltenen Zugang zu dem Disziplinierungsinstrument
Aufsichtsrat können sie etwa über die Entlastung des Vorstands und über
Kapitalerhöhungen entscheiden. Überdies kontrollieren die Banken die Zusammen-
setzung des Aufsichtsrats, da auf der Hauptversammlung die Vertreter der Aktionäre
für den Aufsichtsrat gewählt werden. Es verwundert daher nicht, dass bis vor kurzem
fast alle deutschen Publikumsgesellschaften einen Bankenvertreter im Aufsichtsrat
hatten, der mitunter auch noch Vorstandsvorsitzender war. So konnten und können
Banken die Entlohnung und Entlassung von Vorständen beeinflussen
(Picot/Dietl/Franck 2002).
Sowohl die Beschreibung der Anreizstrukturen als auch die der Kontroll- und
Disziplinierungsmöglichkeiten erwecken den Eindruck, dass die Banken eine der
geeignetsten Institutionen der Managementkontrolle darstellen. Diese sehr positive
Einschätzung bedarf jedoch der Relativierung. Wie Kräkel (2004, 331) zu Recht
anmahnt, „sind Banken in der Regel selbst wieder Publikumsgesellschaften. Ohne
weitere Vorkehrungen ist analog zur ursprünglichen Agency Problematik nicht
unbedingt davon auszugehen, dass Bankenvertreter grundsätzlich im Interesse ihrer
Aktionäre entscheiden, wenn sie in der Hauptversammlung sowie im Aufsichtsrat von
Großunternehmen mitwirken.“ Zudem können Banken mit anderen Interessengruppen
Kollusionen auf Kosten der anderen Aktionäre eingehen. Halten Banken größere
Fremdkapitalpositionen, jedoch kaum Aktien am Unternehmen, so ist eine Kollusion
mit dem Topmanagement nicht ausgeschlossen. Letztere könnten mit den betroffenen
Banken Kreditverträge zu überhöhten Zinsen abschließen und so einen Teil des Free
Cash Flow von den Anteilseignern zu den Gläubigerbanken umlenken. Die
Bankenkontrolleure im Aufsichtsrat könnten im Gegenzug über die Verwendung von
Free Cash Flow für konsumtive Investitionen oder ineffiziente Unternehmensaufkäufe

146
hinwegsehen. Die Kollusion von Topmanagement und Banken auf Kosten der
Aktionäre führt letztlich zu einer Pervertierung der von Jensen (1986) vorgeschlagenen
Lösung des Free-Cash-Flow-Problems: der Substitution von Eigen- durch
Fremdkapital.
Das Meta-Agency-Problem gepaart mit dem Kollusionsproblem offenbaren
systematische Defizite der Managerkontrolle in Deutschland. Hiernach differenziert
sich laut Kräkel (2004, 332) die deutsche Gesellschaft in zwei Gruppen: „(1)
vergleichsweise schlecht informierte und mit faktisch nur geringen Sanktions-
möglichkeiten ausgestattete Kleinaktionäre und Interessengruppen sowie (2) die
Gruppe der Topmanager, welche durch personelle Verflechtungen untereinander und
mit anderen einflussreichen Entscheidungsträgern hauptsächlich der Sicherung ihrer
individuellen Interessen Sorge tragen“.

3.1.3. Wettbewerbskonzepte der Managementdisziplinierung

Die Delegation der Managementsupervision an Dritte erscheint angesichts der


vorangegangenen Analyse problematisch. Ganz gleich, ob es sich um Aufsichtsrat,
Wirtschaftsprüfer oder die Nutzung der Hauptversammlung handelt, überall evozieren
komplexe Interdependenzen zwischen Topmanagement und Supervisor die Gefahr
kollusiver Handlungsstrategien auf Kosten der nicht berücksichtigten Anteilseigner. Ist
also der Kleinaktionär dem Spiel einflussreicher Stakeholder schutzlos ausgeliefert? In
Ergänzung von Supervisoren setzt die Institutionenökonomie auf sogenannte
Wettbewerbskonzepte der Managementdisziplinierung. Diese betonen, „dass
funktionierende Märkte, z.B. für Kapital, für Unternehmenskontrolle und für
Managementpositionen, die Manager der Publikumsgesellschaft wirksam daran
hindern können, ihre verfassungsbedingten Verhaltensspielräume opportunistisch
auszunützen“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 276). Im Folgenden werden mit dem
Wettbewerb auf Kapitalmärkten, dem Markt für Unternehmenskontrolle und dem
Arbeitsmarkt für Manager die wesentlichen Wettbewerbskonzepte der Management-
disziplinierung vorgestellt.
Wettbewerb auf Kapitalmärkten
Die Managementteams unterschiedlicher Unternehmen stehen auf dem Kapitalmarkt
im Wettbewerb um das Geld der Anleger. Da Letztere die rentabelsten Projekte für
ihre Kapitalanlage auswählen, sollte aus Managersicht ein Anreiz bestehen, die
Interessen der Anleger zu respektieren.
Erscheint auf den ersten Blick die disziplinierende Wirkung von Kapitalmärkten
evident, so werden doch bei näherer Betrachtung diverse Schwächen an diesem
Governancekonzept offenkundig. Grundlegend für die Defizite des Sanktions-
instruments ist die Tatsache, dass es sich hierbei „um einen Kapitalverwehrungs- und
nicht um einen Kapitalentzugsmechanismus handelt“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 276).
Hat der Anleger einmal in das Unternehmen investiert, verbleibt das Kapital beim
Unternehmen und kann dem Zugriff des Managements nicht mehr entzogen werden.

147
Der Aktionär kann seine Anteile bei Unzufriedenheit mit dem Management nur auf
dem Sekundärmarkt Börse verkaufen. So entzieht er nicht nur dem Management kein
Kapital. Viel gravierender ist aus Anlegersicht, dass er sich mit dem Exit noch selbst
schädigt. Denn der verkaufswillige Anleger muss einen Käufer finden, der die
schlechten Managementleistungen akzeptiert. Dazu wird der Käufer aber nur bei
einem reduzierten Bezugspreis bereit sein. „Managementsanktionen über Exit sind
also kostspielig für den Anleger, ohne unmittelbar einen Kapitalentzug beim
Management zu bewirken“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 276).
Bietet der Kapitalverwehrungsmechanismus nur eingeschränkte Möglichkeiten der
Managementdisziplinierung, so sind selbst diese voraussetzungsvoll. Evident wird
dieser Mechanismus nur bei Unternehmen, die eine expansive Geschäftspolitik
betreiben. Denn nur wenn die Zahl der Investitionsprojekte mit positivem Kapitalwert
die Finanzierungsoptionen aus dem Cash Flow des Unternehmens übersteigt, ist das
Management auf eine Außenfinanzierung angewiesen. In dieser Situation und nur
dann müssen die Manager mit ihren Projekten um neues Kapital bei den Anlegern
konkurrieren. Bei jedem Projekt sind die Manager somit aufs Neue interessiert daran,
die Anleger zutreffend zu informieren und Reputation für effizientes
Investitionsverhalten aufzubauen (Picot/Dietl/Franck 2002). Verdienen Unternehmen
aus traditionellen Geschäften mit reifen Technologien ihr Geld, so versagt laut Jensen
(1986, 1989) der Kapitalmarkt als Disziplinierungsinstrument. Der Reinvestitions-
bedarf reduziert sich bei stagnierenden oder schrumpfenden Märkten massiv. Im
Gegenzug resultieren aus großen Marktanteilen und den hiermit verbundenen Skalen-
und Erfahrungskurveneffekten deutliche Cash-Flow-Überschüsse. Die Folge ist ein
Überhang von nicht projektgebundenem Cash Flow. Der so entstandene Free Cash
Flow entbindet die Manager von der Verpflichtung, bei den Anlegern um
Investitionsmittel zu konkurrieren, und kann unbeschränkt für konsumtive Zwecke
genutzt werden. Da der Free Cash Flow die Managerdisziplinierung über den
Kapitalmarkt systematisch unterminiert, sprechen Picot, Dietl und Franck (2002) mit
Bezug auf Jensen (1986) von den „Agency Costs of free Cash Flow“.
Markt für Unternehmenskontrolle
Stellt der Free Cash Flow einerseits eine Lähmung der kapitalmarktgetriebenen
Managerdisziplinierung dar, so ist er andererseits Ausgangspunkt für einen anderen
marktlichen Disziplinierungsmechanismus. Denn die Agency Costs of Free Cash Flow
bilden für aktive Investoren Anreiz genug, die Kontrolle über das Unternehmen zu
übernehmen und das aktuelle Managementteam zu ersetzen. „Der Ausweg für die
Funktionsschwäche des Kapitalmarktes bei der Disziplinierung der Manager von
Publikumsgesellschaften in bestimmten Geschäftsumfeldern liegt also in einem
anderen, sozusagen übergeordneten Markt, den man als Markt für Unternehmens-
kontrolle bezeichnen kann“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 278). Auf eine ineffiziente
Ressourcennutzung des Topmanagements reagieren die Anteilseigner mit
Abwanderungsversuchen auf den Sekundärmarkt. Dies lässt den Aktienkurs eines

148
Unternehmens so weit sinken, dass dadurch Anreiz für ein kompetenteres
Managementteam entsteht, das Unternehmen an der Börse zu übernehmen. Je größer
die Diskrepanz zwischen aktuellem Aktienkurs und vermutetem Wertpotenzial ist, um
so höher fallen die Anreize für eine Kontrollübernahme (Bühner/Stiller 2004) aus.
Der Kontrollübergang auf ein neues Management geht mit einem Machtverlust für
das alte Management einher (Denis/Kruse 2000), so dass Letzteres dem Versuch der
Kontrollübernahme ablehnend gegenübersteht. Das bisherige Management hat nun
zwei Handlungsoptionen: Indem das alte Management diese Kausalkette durchschaut
und die Gefahr für sich antizipiert, wird es zum einen versuchen, den
Unternehmenswert gar nicht erst absinken zu lassen, sondern dauerhaft zu erhöhen.
Dies ist die gewünschte disziplinierende Wirkung des Marktes für Unternehmens-
kontrolle. Da eine wertorientierte Unternehmensführung jedoch mit den manageriellen
Interessen häufig nicht konform geht, wird das Management zum anderen Maßnahmen
zur Abwehr feindlicher Übernahmen treffen (Bühner/Stiller 2004). Hier steht dem
Management eine breite Palette von Abwehrstrategien zur Verfügung, die zu einer
berechtigten Kritik an der Wirkung dieses Disziplinierungsmechanismus führen.
Topmanager können bei der beschriebenen Wirkungskette in ihrem Sinne
intervenieren. Bereits im Vorfeld des eigentlichen Übernahmeversuchs können sie
durch Rent Seeking das Regulierungsumfeld deformieren. Ihre Einflussnahme fällt bei
der Politik zumeist auf fruchtbaren Boden, da „die in diesen Bereichen tätigen
(politischen) Entscheidungsträger ihren Einfluss nicht dadurch ausdehnen können,
dass sie den Markt für Unternehmenskontrolle funktionsfähig halten“ (Wenger 2001,
2104). Insofern ist es nicht verwunderlich, dass „Politiker mit räumlich abgegrenzten
Standortbedingungen und kurzfristigem Zeithorizont nicht an der Lösung, sondern an
der Schaffung und Vergrößerung von Agency Problemen des Kapitalmarkts
interessiert“ (Wenger 2001, 2104) sind.
Neben Beeinflussungsstrategien auf der politischen Makroebene ist auf der Unter-
nehmensebene ein ganzes Arsenal von verschwenderischen und abschreckenden
Maßnahmen zur Verhinderung von Unternehmensübernahmen denkbar. Hierzu zählen
etwa:
z Verträge über hohe Managementabfindungen im Falle einer Entlassung
(Davidson/Pilger/Szakmary 1998),
z teure Sozialpläne, deren Fortführung laut Betriebsverfassungsgesetz zum
Gegenstand einer Verhandlung zwischen Betriebsrat und Aufkäufer werden
(Picot/Dietl/Franck 2002),
z die Aktien des “eigenen“ Unternehmens aufkaufen (Bagwell 1991),
z Veräußerung besonders innovativer oder erfolgreicher Unternehmensteile
(Kräkel 2004),
z Aufbau wechselseitiger Beteiligungen mit „befreundeten“ Unternehmen
(Wenger 2001) oder

149
z selbst eingefädelte Fusionen, um das entstehende Unternehmen zu groß und zu
teuer für eine Übernahme zu machen (Picot/Dietl/Franck 2002).
Zusätzlich zu den dargestellten Einflussmöglichkeiten der Topmanager restringieren
grundsätzliche Funktionsdefizite des Marktes für Unternehmenskontrolle die skizzierte
Wirkungskette. Wie Stiglitz (1985, 1996) betont, bewirkt ein Aufkäufer mit der
Verlautbarung seines Kaufangebotes positive externe Effekte, die ihm nicht vergütet
werden. Der Aufkäufer signalisiert mit seinem Übernahmeangebot anderen
Marktteilnehmern die Investitionswürdigkeit des Kaufobjektes. In der Folge treten die
anderen Kaufinteressenten mit dem ursprünglichen Investor in einen Bietwettbewerb.
Ob Letzterer als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgeht, ist zweifelhaft, „zumal er
allein die Suchkosten zu tragen hat, die für das Auffinden des Zielunternehmens
entstanden“ (Kräkel 2004, 321) sind. Offensichtlich können die Wettbewerber den
ursprünglichen Investor immer in Höhe der Suchkosten überbieten, so dass „Suchen“
nicht lohenswert erscheint. „Entscheidet jeder potentielle Aufkäufer nach diesem
Kalkül, so ist allgemein von einer nur geringen Suchintensität auszugehen, was
wiederum die Wahrscheinlichkeit für Übernahmeversuche und damit auch die
Disziplinierungswirkung von Übernahmedrohungen verringert“ (Kräkel 2004, 321).
Auch auf Seiten der Anteilseigner können Trittbrettfahrerprobleme entstehen, die
eine Funktionsschwäche des Marktes für Unternehmenskontrolle bedingen
(Grossman/Hart 1980). Unterbreitet ein Aufkäufer einem Kleinaktionär ein
Übernahmeangebot, so wird Letzterer das Angebot rationalerweise ablehnen.
Andernfalls würde er auf die nachträgliche Wertsteigerung verzichten. Denn der
Aufkäufer kann nicht den vollen Wert geboten haben, da sonst die Übernahme für ihn
nicht gewinnträchtig wäre. Zudem ist dem Kleinaktionär klar, dass seine
Verkaufsentscheidung nur marginalen Einfluss auf das Zustandekommen der
Übernahmen hat. Sollte die Übernahme stattfinden, ist ein Halten der Aktien rational,
um so an den späteren Übernahmegewinnen beteiligt zu werden. Agieren jedoch alle
Kleinaktionäre als Trittbrettfahrer, so sind Übernahmen generell chancenlos.
Summa summarum lässt sich konstatieren, dass Übernahmedrohungen nur
eingeschränkt disziplinierend wirken. Während sie in Deutschland nur sehr selten
vorkommen, erfreuen sie sich in USA einer deutlich höheren Verbreitung. Aber selbst
bei einem existierenden Markt für Unternehmenskontrolle zeigen die obigen
Argumente, wie problembehaftet Übernahmeandrohungen als Disziplinierungs-
instrument sind.
Externe Managermärkte
Schließlich kann auch der externe Arbeitsmarkt zur Disziplinierung des
Topmanagements beitragen (Fama 1980). „Demnach produziert ein Manager durch die
Performance des von ihm geleiteten Unternehmens Signale für seine überlegenen
Managementfähigkeiten“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 281). Schlechte Erfolgskenn-
zahlen, Skandale oder sogar ein Konkurs seines Unternehmens würden ihm

150
zugeschrieben, damit seine Reputation auf dem externen Arbeitsmarkt schädigen und
letztlich zu einer Beeinträchtigung der überbetrieblichen Karrierechancen führen.
Fokussiert wird hier also auf eine Konvergenz zwischen dem aktionärsseitigen Ziel der
Unternehmenswertmaximierung und dem managementseitigen Ziel der Reputations-
steigerung.
Was könnte zu einer Beeinträchtigung des Disziplinierungsmechanismus führen?
Hier stellt sich zunächst die Frage, ob der in Kennzahlen gemessene
Unternehmenserfolg sich als Signal für die Fähigkeiten des jeweiligen Managers
eignet. Mindestens zwei weitere Einflussfaktoren - so Picot, Dietl und Franck (2002) -
“verrauschen“ dieses Signal: Neben exogenen Entwicklungen sind es primär die
unterschiedlichen Manipulationsversuche der Manager, denen das Augenmerk der
Analyse gilt. Bereits im Zuge der Career-Concerns-Problematik wurde deutlich
gemacht, „dass Manager gerade aus Reputationsgründen gegebenenfalls Informationen
zurückhalten oder Investitionsprojekte wählen, die nicht im Interesse der Anteilseigner
sind“ (Kräkel 2004, 310). So können Topmanager etwa kurzfristig wertsteigernde
Investitionsobjekte durchführen, um dadurch die Markterwartungen über ihre
verborgenen Talente positiv zu beeinflussen.
Noch grundsätzlichere Kritik an der Wirkungsweise von Managerarbeitsmärkten
üben Picot, Dietl und Franck (2002). In einem Regulierungsumfeld mit hohen
Unternehmensbeteiligungen werden Topmanager in der Regel von ihresgleichen
rekrutiert. Akkumulieren Topmanager nicht genau dann karriererelevante Reputation,
wenn sie mit den Vorstellungen ihrer Bezugsgruppe konform gehen? Wie Baumol
(1959) und Marris (1963, 1964) gezeigt haben, steigern Topmanager aus
Reputationsgründen eher den Umsatz oder Wachstumsraten eines Unternehmens als
den Unternehmensgewinn. Demnach erweist sich Managerverhalten eher als
Nutzenmaximierung denn als Unternehmenswertmaximierung. Unterstellt man
sämtlichen Vertretern der Funktionärselite individuelle Nutzenmaximierung als
universelle Handlungsmotivation, so erscheint ein Manager, der in seinem Verhalten
nur auf die Maximierung des Unternehmenswertes fokussiert, aus kollektiver Sicht als
unerwünschter Störfaktor und Regelbrecher. Topmanager erwerben auf dem
Arbeitsmarkt Reputation über ein breites Spektrum von Managementkompetenzen.
Unternehmenswertmaximierung ist dabei nur eines unter vielen. Bewahrheitet sich die
Argumentation, „dann trägt dieser Markt gerade nicht zur Managementdisziplinierung
im ursprünglich verstandenen Sinne der Durchsetzung von Aktionärsinteressen bei,
sondern verstärkt eher die Anreize zu gruppenkonformem Verhalten“
(Picot/Dietl/Franck 2002, 282). Insgesamt hat sich gezeigt, daß keine Institution
existiert, die isoliert betrachtet das Topmanagement wirkungsvoll disziplinieren kann.
Entweder zeichnet sich eine Institution durch erhebliche Disziplinierungs- und
Kontrollrechte aus, verspürt jedoch keine hinreichenden Kontrollanreize. Im
umgekehrten Fall besteht zwar eine Anreiz zur Kontrolle, die Institution verfügt
jedoch nicht über die nötigen Kontroll- und Disziplinierungsmöglichkeiten. Kräkel

151
(2004, 333) betont daher, daß die Disziplinierung des Topmanagements „nicht über
eine einzelne Institution, sondern vielmehr über ein ganzes Institutionengeflecht“
erfolgt. Erst durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Institutionen – so
Kräkel (2004, 333) – kann erreicht werden, „dass Topmanager das Ziel der
Unternehmenswertmaximierung nicht zu sehr aus dem Auge verlieren“.
Voraussetzung für ein wirkungsvolles Institutionengeflecht ist jedoch, „dass zwischen
den einzelnen Institutionen keine zu starken Trittbrettfahrerprobleme bezüglich der
Managerkontrolle bestehen“ Kräkel 2004, 333). Bei der Institutionenanalyse wurde
jedoch offenkundig, dass zwischen den Institutionen vielfältige Interdependenzen und
Rückkopplungen bestehen, die einer linearen Steuerungslogik zuwiderlaufen. Oftmals
von Menschenhand erschaffen, entwickeln Institutionen in der Sozialität der
Steuerungspraxis ein Eigenleben, das sich einer monokausalen Zweckrationalität
entzieht.

3.2. Tausch, Opportunismus und Steuerung – ein Zwischenfazit

Dreh- und Angelpunkt der institutionenökonomischen Informations- und Steuerungs-


technologien ist die Tauschbeziehung zwischen Unternehmensmanagement und
Investoren. Unabhängig davon, ob es sich um Reputationsmechanismen, Selbstwahl-
schemata, Aufsichtsräte oder Managermärkte handelt, sämtliche Technologien zielen
im Rahmen eines Verhaltenstauschs auf die kosteneffiziente Sicherstellung der
Vertragserfüllung. Indem die Governance-Perspektive in erster Linie auf die
Tauschsphäre fokussiert, reproduziert sie die in der Ökonomie dominante Vorstellung
über Interaktionen in der sozialen Welt. „Das ist die Vorstellung, dass alle
menschlichen Interaktionen als Tausch interpretiert werden können“ (Reckling 2002,
53). Struktureller Bezugspunkt des Verhaltenstauschs ist der Arbeitsvertrag zwischen
dem angestellten Unternehmensmanagement und den Investoren. Die Vertragsstruktur
bestimmt, in welcher Zeit und Qualität die gewünschten Leistungen verfügbar sind.
„Alle organisatorischen Steuerungsbemühungen sind Determinanten dieser
Vertragsbeziehungen, weil alle wesentlichen Entscheidungen mit der Festlegung der
Vertragsbestimmungen getroffen sind“ (Frost 2005, 121). Die hohe
Aufgabenkomplexität gepaart mit einer unzureichenden Spezifizierung des Outputs
impliziert, dass Arbeitsverträge in einem Höchstmaß unvollständige Verträge sind. Da
in institutionenökonomischer Perspektive aufgrund unvollständiger Verträge immer
Zweifel an einer anreizkompatiblen Vertragserfüllung des Unternehmensmanagements
bestehen, dient die organisationale Steuerung dazu, „to constrain the unproductive
rent-seeking behavior that imperfect information permits“ (Langlois/Foss 1999, 201).
Während also Koordinationsaufgaben als nachrangig behandelt werden, fokussiert die
Governance-Perspektive auf die Bewältigung von Verhaltensunsicherheiten. „Sind die
Anreizprobleme gelöst, so werden auch die anfallenden Koordinationsprobleme
gelöst“ (Frost 2005, 122). Denn erst die Unmöglichkeit einer vollständigen
Spezifikation von Verträgen begründet in institutionenökonomischer Lesart die

152
Existenznotwendigkeit von Corporate-Governance-Systemen. „Corporate Governan-
ce-Systeme werden benötigt, weil in der Realität unternehmerischer Tätigkeit drei
Bedingungen vorliegen: unvollständige Verträge, unterschiedliche Zielsetzungen und
Informationsasymmetrien zwischen den Stakeholdern“ (Witt 2001, 111). Vor dem
Hintergrund einer vertraglich unterspezifizierten Tauschsituation gepaart mit einer
asymmetrischen Informationsverteilung sollen die Kontrolltechnologien Interessens-
konflikte zwischen den Akteuren verhindern, die als „utility maximizing automata on
the basis of given preferences“ (Hodgson 1998, 77) agieren. In ihrem Bemühen, den
„clash of interests“ (Brooke 1984) möglichst kosteneffizient zu lösen, offenbart die
Institutionenökonomie eine Gestaltungsstrategie, die Foss (1997) als „Avoiding the
Negative“ betitelt.
Indem die Governance-Perspektive die Interaktionsbeziehungen zwischen den
Investoren und dem Unternehmensmanagement auf Nutzenkalküle reduziert, setzen
alle genannten Steuerungsmechanismen nur auf extrinsische Motivationseffekte (Frost
2005). Die Handlungsmotivation, so Frost (2005, 116), „erfolgt durch Transaktion,
d.h. einen externen Antrieb, sei es durch Sanktion wie im Fall der Handlungssteuerung
oder Belohnung im Fall der Ergebnissteuerung“. Mit ihrem einseitigen Fokus auf
extrinsische Handlungsmotive legt die Institutionenökonomie mit dem Homo
Oeconomicus ihrer Steuerungsphilosophie ein zu enges Modell menschlichen
Verhaltens zugrunde. Denn Formen intrinsischer Motivation71 finden als produktive
Faktoren bei der organisationalen Steuerung ebenso wenig Berücksichtigung wie die
„moralische Seite des Menschen“ (Wieland 2000, 55)72. Das Primat gilt der
Reduzierung von Agency-Kosten und nicht dem Nutzen aus kooperativem Verhalten.
Im Gegenteil: Kooperatives Verhalten – etwa zwischen Topmanagement und
Aufsichtsrat – steht aus institutionenökonomischer Perspektive immer unter dem
Generalverdacht der Kollaboration auf Kosten der Anteilseigner. Kontrolle nicht
Kooperation lautet demnach das Gebot der Stunde.
Weiterhin betont die ökonomische Lehre, „that firms vary, but not individuals“
(Douglas 1990, 102). Sie übersieht dabei den Einfluß von institutionellen Faktoren auf
individuelle Präferenzen (Falk/Gächter 2001; Gintis/Romer 1998; Frost 2005).
Präferenzstrukturen der Organisationsmitglieder sind sowohl durch formungebundene
Institutionen (z.B. Werte, Normen, Kulturen) als auch die formgebundene
Institutionen73 wie Informations- und Kontrolltechnologien beeinflussbar. Dies setzt

71
Unter intrinsischer Motivation verstehen Spieß und Winterstein (1999, 43), dass „sich das Interesse auf die
Sache selbst bezieht, sie lässt sich aber auch als Ausdruck von Neugierde beschreiben. Somit gilt intrinsische
Motivation auch als Suche nach moderater Stimulation und Erregung, als Bedürfnis, persönliche Kompetenz
ausüben zu können, und als Motiv der personalen Kontrolle über die Umwelt und die Selbstbestimmung“.
72
Kritisch betont daher der Ökonom Polanyi (1947, 114), dass „man was never as selfish as the theory
demanded. In vain was he exhorted by economists and moral theorists alike to discount in business all other
motives than material ones. On closer investigations, he was still found to be acting on remarkably ‘mixed’
motives, not excluding those of duty towards himself and others – and maybe, secretly even enjoying work”.
73
Mit North (1988) unterscheidet man zwischen formgebundenen und formungebundenen Institutionen.
Während es sich bei ersteren um Organisationen, Gesetze oder Märkte handelt, subsumiert North unter dem

153
jedoch voraus, Motivation zu endogenisieren, d.h. als potentiell gestaltbare Variable in
eine Theorie der Unternehmenssteuerung zu integrieren (Osterloh/Frost/Frey 2002;
Forst 2005). Kann der institutionelle Kontext die Handlungsmotive nicht beinflussen,
so „lösen sich soziale Zusammenhänge im individuell-rationalen Handlungskalkül
auf“ 74 (Frost 2005, 119).
Die skizzierte Kritik an der herrschenden Lehre bleibt jedoch nicht ungehört.
Insbesondere bei der sozialwissenschaftlich- und managementorientierten Corporate-
Governance-Forschung fällt sie auf fruchtbaren Boden (z.B. Aguilera/Jackson 2003;
O’Sullivan 2000; Learmount 2002; Roberts 2001; Learmount/Roberts 2002). Zwar
bestreiten die Kritiker nicht die analytische Evidenz der Institutionenökonomie, sie
monieren jedoch die theoretische Verarmung, die mit einer solch konzeptionellen
Dominanz einhergeht. So machen Daily, Dalton und Cannella (2003, 379) in ihrer
Einführung zu einem Special Issue „Corporate Governance“ in der Zeitschrift
„Academy of Management Review“ „ the near exclusive reliance on agency theory“
als Hindernis für eine gehaltvollere Governanceforschung aus. „While we certainly do
not mean to beat the proverbial dead horse, we feel compelled to reiterate the
importance of considering alternative theoretical perspectives” (Daily/Dalton/Cannella
2003, 379). Insbesondere das Akteursmodell Homo Oeconomicus mit seiner
motivationalen Fokussierung auf Nutzenmaximierung gibt Anlaß zu Kritik. Als
prominente Alternative zur herrschenden Lehre ist diesbezüglich die Stewardship-
Theorie (z.B. Davis/Schoormann/Donaldson 1997; Lane/Cannella/Lubatkin 1998) zu
nennen. „Whereas agency theorists view executives and directors as self-serving and
opportunistic, stewardship theorists describe them as frequently having interests that
are isomorphic with those of shareholders“ (Daily/Dalton/Cannella 2003, 372). Dies
bedeutet jedoch nicht, dass sich das Unternehmensmanagement nach Ansicht der
Vertreter des Stewardship-Ansatzes altruistisch verhält. Ihrer Meinung nach sieht sich
das Unternehmensmanagement häufig mit der Situation konfrontiert, „that serving
shareholders’ interests also serves their own interests“ (Daily/Dalton/Cannella 2003,
372). Indem sie sich effektiv in den Dienst des Unternehmens stellen, managen
Führungskräfte und Vorstandsmitglieder letztlich ebenso effektiv ihre eigene Karriere.
Eine komplexeres Motivationsverständnis legt die Forschergruppe um Frey und
Osterloh (Frey/Osterloh 2000; Osterloh/Frey 2004, 2005; Osterloh/Frey/Frost 2001;
Frost 2005) ihren Untersuchungen zugrunde. Mit Blick auf die enge
Konzeptualisierung des menschlichen Verhaltens in der Standardökonomie verbinden

Begriff der formungebundenen Institutionen Werte, Normen und Mentale Modelle. Durch die Akzentuierung
intersubjektiver Faktoren erfährt die ökonomische Argumentation einen qualitativen Schub, weil er diesen
eine hohe Bedeutung zu schreibt.
74
In seiner Extremform, die jedoch in der Ökonomie vielfach Verwendung findet, ist für das Akteursmodell ein
atomistischer Individualismus kennzeichnend. Dies „ist die Annahme, dass Akteure ihre distinkten
Fähigkeiten und Wünsche (Präferenzen) unabhängig von ihren sozialen Relationen ausbilden, also eine rein
subjektive Sicht entwickeln (Atomismus), und dass Akteure nicht von Makrostrukturen determiniert sind“
(Reckling 2002, 237).

154
sie in ihrer Forschung „einen institutionentheoretischen bzw. vertragstheoretischen
Ansatz mit einer fortgeschrittenen psychologisch-ökonomischen Theorie menschlichen
Verhaltens“ (Osterloh/Frey 2005, 344). Eine komplexeres Akteurskonzept ist allein
schon deswegen notwendig, weil „Unternehmen im Unterschied zu Märkten dadurch
gekennzeichnet sind, dass in ihnen hoch interdependente Aktivitäten durchgeführt“
(Osterloh/Frey 2005, 345) und gesteuert werden müssen. Erweisen sich die
interdependenten Handlungen einerseits als Quellen von Quasi-Renten (Frost 2005),
so führen sie anderseits zu Abhängigkeiten und ermöglichen so rationalen Egoisten
Trittbrettfahrer-Verhalten. Infolge möglichen Trittbrettfahrens entstehen soziale
Dilemmata, die primär über Formen freiwilliger Selbstkontrolle lösbar erscheinen.
Konstitutiv hierfür ist die Existenz prosozialer Handlungsmotive, d.h. die Akteure
fühlen sich sozialen Normen um ihrer selbst willen verpflichtet. Denn zahlreiche
Labor- und Feldexperimente zeigen, „dass Individuen zu einem hohen Prozentsatz
bereit sind, freiwillig zu Kollektivgütern beizutragen und Normverletzer zu bestrafen“
(Osterloh/Frey 2005, 347). Diese Bereitschaft, freiwillig und ohne direkte
Gegenleistung einen Beitrag für Kollektivgüter zu leisten, die in der experimentellen
Konsumentenforschung als „propensity to reciprocate“ (Schade et al. 2004, S. 31)
bezeichnet wird, spielt als grundlegende Handlungsmotivation in offenen
Vertragsbeziehungen eine zentrale Rolle.

3.3. Verhaltenssteuerung über Verträge – die Sicht der experimentellen


Wirtschaftsforschung

Wie wirken Anreizverträge? Diese Frage stellten sich die Ökonomen Gächter, Fehr
und Zanella (2001) nicht nur in einem Beitrag in der “Zeitschrift für
Betriebswirtschaft“. In vielen Untersuchungen hat die Forschergruppe um Fehr (z.B.
Fehr/Gächter 1998; Fehr/Klein/Schmidt 2001; Fehr/Gächter 2002; Fehr/List 2004)
sich mit dem Methodenarsenal der experimentellen Wirtschaftsforschung diesem
Problem genähert. Denn mag es sich – wie die Diskussion um leistungsorientierte
Vergütung deutlich macht – auch aus ökonomischer Sicht um ein wichtiges Thema
handeln, die empirische Erforschung des Phänomens fristete doch lange Zeit ein
Schattendasein. „Despite many wide-ranging claims about their supposed importance,
there has been little empirical assessment of incentive provision for workers”
(Prendergast 1999, 7). Gächter, Fehr und Zanella (2001) untersuchten nun das
Wechselspiel von freiwilliger Kooperationsbereitschaft und materiellen Anreizen.
Freiwillige Kooperationsbereitschaft ist nun insofern von hoher Relevanz, als „die
meisten Arbeitsbeziehungen durch einen hohen Grad an Unvollständigkeit
gekennzeichnet sind“ (Gächter/Fehr/Zanella 2001, 146).
In Arbeitsverträgen wird häufig nur die Vergütung festgelegt, die zu erbringende
Arbeitsleitung wird allenfalls skizziert. Insbesondere bei Managementtätigkeiten
erscheint eine detaillierte Spezifikation der Arbeitsleitung nicht nur unmöglich,
sondern wäre schlechterdings auch dysfunktional. Muss doch eine Führungskraft

155
unterschiedlichste Rollen- und Funktionsdispositive situativ ausbalancieren, die vom
Intrapreneur (Bühner 1991), Planer (Gaitanides 1991) und Visionär (Gerken 1991)
über den Organisator (Frese/Gebhardt 1991) und Controller (Gaulhofer 1991) bis hin
zum Innovator (Hauschildt 1991) und Krisenbewältiger (Töpfer 1991) reichen. Da die
mit den Rollendispositiven verbundenen Verpflichtungen nicht detailliert regelbar
sind, „ist die Arbeitseinstellung (’Arbeitsmoral’, ’Kreativität’, ’Eigeninitiative’,
’Engagement’, ’Loyalität’) eines Agenten von entscheidender Bedeutung“
(Gächter/Fehr/Zanella 2001, 146).
Seit den frühen Tagen der Anreiz-Beitrags-Theorie (Barnard 1938) bis hin zu dem
aktuellen organisationspsychologischen Konzept des Organizational Citizenship
Behavior (Organ/Podsakoff/MacKenzie, 2006) fokussiert die Organisationsforschung
disziplin- und theorieübergreifend die Sicherung einer adäquaten Arbeitseinstellung.
Was der Theorie recht ist, ist für die Praxis billig. Umfragen bei Managern und
Personalverantwortlichen (z.B. Campbell/Kalmani 1997; Bewley 1999) haben gezeigt,
„that fairness, work morale, and reciprocity considerations are very important
determinants of people’s conduct and, in particular, of workers’ effort behavior“
(Fehr/Gächter 1998, 340).
Die experimentelle Wirtschaftsforschung kommt nun zu dem Ergebnis, dass in
Folge von anreizkompatiblen Verträgen die freiwillige Kooperationsbereitschaft auf
Null zurückgeht. „Im Gegenteil, Agenten sind durchaus bereit, den Prinzipal durch
eine negative Abweichung vom anreizkompatiblen Niveau zu bestrafen und dabei
selbst Kosten in Kauf zu nehmen“ (Gächter/Fehr/Zanella 2001, 157). Erweisen sich
jedoch die Prinzipale im Rahmen von Vertrauensverträgen als großzügig, so danken
ihnen die Agenten dieses mit einem hohen Maß an freiwilliger Kooperations-
bereitschaft. Deutlich tritt hier reziprokes Verhalten zu Tage. Wie in den meisten
Tauschbeziehungen, die durch unvollständige Verträge gekennzeichnet sind, so gibt es
auch in Arbeitsbeziehungen per definitionem einen Verhaltensspielraum der Parteien,
den diese mit prosozialem Verhalten ausfüllen (Falk/Gächter 2001). Kurz gesagt:
Vertragliche Unvollständigkeit induziert Vertrauen und Reziprozität
(Fehr/Gächter/Kirchsteiger 1997). Mit Blick auf die Anreizgestaltung bedeutet dies,
dass „instead of aiming at stronger pecuniary incentives, or improving the enforcement
technology, increasing the scope for reciprocal interactions is a better or an equally
good means to improve the performance of agents“ (Fehr/Gächter 1998, 361).
Wie Falk und Gächter (2001) betonen, erklärt die Neigung vieler Menschen zu
reziprokem Verhalten, warum sich auf Arbeitsmärkten das Marktergebnis deutlich von
der standardökonomischen Prognose differenziert. Bei vollständigen Verträgen erfasst
jedoch die Standardprognose das aggregierte Verhalten recht gut. Denn wo keine
Verhaltensspielräume vorliegen, gibt es ebenso wenig Platz für jegliche Form von
governance wie für Fairness, Loyalität, Arbeitsmoral oder eben Reziprozität. Deutlich
wird hier, „dass sich der Unterschied zwischen vollständigem und unvollständigem
Vertragsmarkt nicht aufgrund einer unterschiedlichen Zusammensetzung von

156
eigennützigen und reziproken Individuen ergibt, sondern allein aus dem
Zusammenspiel von Verhalten und Institution“ (Falk/Gächter 2001,156).
Ruft man sich die Axiome mikroökonomischer Theoriebildung vor Augen, so wird
nicht nur die Evidenz der Nutzenmaximierung als grundlegende Modellnahme in
Frage gestellt. Mindestens ebenso schwerwiegend erscheint jedoch die Kritik der
experimentellen Wirtschaftsforschung an der Exogenisierung der Präferenzen: „If
cultural differences do greatly influence economic behavior, then the implicit
assumption that all humans share the same economic decision-making processes, the
same sense of fairness, and/or the same taste for punishment must be brought into
question“ (Henrich 2000, 978). Grundsätzlich wird hiermit eine konstitutive Annahme
der Standardökonomie attackiert, die Stigler und Becker (1977, 89) einst so
formulierten: „Preferences are assumed not to change substantially overtime, not to be
very different between wealthy and poor persons, or between persons in different
societies and cultures“. Angenommen wird in ökonomischen Handlungsmodellen
vielmehr, dass die Präferenzen außerhalb der ökonomischen Sphäre festgelegt werden
und unbeeinflussbar von dem ökonomischen Verhalten des Einzelnen sind. Betonte
doch bereits Hobbes (1949), dass man bei der ökonomischen Analyse die Menschen so
nehmen sollte, wie sie sind. Diesen Grundsatz beherzigend, fragten die meisten
Ökonomen weder nach der Konstitution von Bedürfnissen, noch nach der Bewertung
von Handlungen (Bowles 1998).
Galt dieser Grundsatz über lange Zeit als ehernes Gesetz der Standardökonomie, so
mehren sich mittlerweile doch die Stimmen unterschiedlicher ökonomischer
Fraktionen (z.B. Bowles 1998; Gintis/Romer 1998; Henrich 2000; Falk/Gächter 2001;
Okuno-Fujiwara 2002; Rodrigues 2004), die dieses in Frage stellen. Ginitis und Romer
(1998) gehen in einem Grundsatzpapier sogar so weit, einen Gegenentwurf zur
herrschenden Lehre als multidisziplinäres Forschungsprojekt zu konzipieren. Im
Unterschied zum Akteursmodell der Standardökonomie betonen sie (Gintis/Romer
1998, 1), dass „people are motivated by duty and obligation as well as utility, they
have preferences over the well-being of others (they are both altruistic and vengeful),
they are concerned with issue of equity and dignity in interpersonal relations, their
preferences are determined in part by the character of the economic institutions within
they operate, and their well being depends on the quality of their social relations and
the extent to which they have developed their personal capacities, not only on the
quantity and quality of the goods and services at their disposal”.
Deutlich tritt hier ein Perspektivenwechsel zu Tage. Mit Blick auf empirische
Forschungsergebnisse werden Handlungspräferenzen nicht mehr als konstant oder
allenfalls sehr langfristig veränderbar konzipiert, sondern als wandelbare Größen
wahrgenommen. An die Stelle der Exogenisierung von Handlungsmotiven tritt somit
deren Endogenisierung. Die Motive des Einzelnen konstituieren sich unter Rekurs auf
die vorliegenden Institutionen. Im Gegensatz zu Witt (2001, 2003), der die Systeme
auf mathematisch-formale Weise vergleicht und dabei von dem länderspezifischen

157
„Schleier von Gesetzen und Institutionen“ (Witt 2001, 111) abstrahiert, wird daher
genau auf diese Institutionen fokussiert. Genauer gesagt, steht die interdependente
Konstitution von Handlungsmotiven und Institutionen im Analysefokus. Setzt man
nämlich nicht wie Witt, der als Vertreter der herrschenden Lehre die Präferenzen
exogenisiert, sondern wie Polanyi, Bowles, Falk/Gächter oder Gintis/Romer auf eine
Endogenisierung der Präferenzen, so erscheinen formgebundene (z.B. Corporate-
Governance-Systeme) und formungebundene Institutionen75 (z.B. kulturspezifische
Normen und Werte) einerseits und die individuellen Handlungsmotive andererseits in
einem reziproken Konstitutionsverhältnis. Dieses Konstitutionsverhältnis gilt es nun,
mit Blick auf die Governance-Systeme in Japan und Großbritannien zu betrachten.

3.4. Unternehmenssteuerung als Kooperationsproblem – die Sicht der


sozialwissenschaftlichen Corporate-Governance-Forschung

3.4.1. Das japanische Corporate-Governance-System

Die vergleichende Governance-Forschung (z.B. Mayer 1998; Dore 2000;


Aguileria/Jackson 2003; Witt 2003) unterscheidet zumeist zwischen zwei dichotomen
Governance-Modellen. Kennzeichen des Outsider-Systems sind ausgeprägte
Eigenkapitalfinanzierung, hohe Aktienstreuung, flexible Arbeitsmärkte und starke
Distanz zwischen Investoren und Management (Mayer 1998; Aguileria/Jackson 2003;
Witt 2003). Ein aktiver Markt für Unternehmenskontrolle wirkt sich minimierend auf
den Agency-Konflikt aus (Steiger 2001). Prominente Vertreter des Outsider-Modells
sind USA und Großbritannien. Im Unterschied hierzu ist das Insider-System durch
„longterm debt finance, ownership by large blockholders, weak markets for corporate
control, and rigid labor markets“ (Aguileria/Jackson 2003, 447) gekennzeichnet. Als
wichtige Vertreter dieses Systems gelten Deutschland und Japan (Witt 2003). Der
Opportunismusgefahr begegnen die Kapitalgeber mit dem Aufbau von langfristigen
Geschäftsbeziehungen (Kester 1997). „Chief among these are close relationships with
large financial institutions that are major equity owners as well as lenders, and that are
able to exert considerable influence through board representations and ,at times ‘direct
intervention into operating management’” (Kester 1997, 228).
Paradebeispiel einer solch engen, vielschichtigen und wechselseitigen Beziehung
zwischen Kapitalgeber und Unternehmen ist Japan. Laut Roe (1992) bezeichnet der
von Berle/Means (1932) geprägte Begriff der Unternehmenskontrolle das dortige
Corporate-Governance-System nur unzutreffend. Kennzeichnend für das System sei
vielmehr ein reziprokes Beziehungsmuster zwischen Kapitalgeber und Unternehmen,
das eschergleich76 keinen Anfang und kein Ende nähme. „An Escher hand reaches out
from the bank to control industry, but then an Escher-like hand reaches out from

75
Die Unterscheidung von formgebundenen und formungebundenen Institutionen geht auf North (1990) zurück.
76
M.C. Escher war ein bekannter holländischer Graphiker.

158
industry to control bank“ (Roe 1992, 27). Seine strukturelle Materialisierung findet
dieses reziproke Beziehungsmuster in der japanischen Unternehmensgruppe, dem so
genannten Keiretsu. Diese Besonderheit des japanischen Corporate-Governance-
Systems gilt es, im Folgenden näher zu beleuchten.

3.4.1.1. Die japanischen Unternehmensgruppen

Die heutige Wirtschaftsordnung Japans ist das Ergebnis eines langen kulturellen,
sozialen und ökonomischen Entwicklungsprozesses, der mit dem Beginn der Edo-Ära
(1603 – 1868) assoziiert wird (Cooke/Sawa 1998). Japan schottete sich in jener
Periode international ab. Nennenswerte Handelsbeziehungen bestanden nur zu den
Chinesen und den Vertretungen der regional führenden Kolonialmacht dieser Zeit, den
Niederlanden (Cooke/Sawa 1998).
In dieser Zeit entwickelten sich die Zaibatsu, gewissermaßen die Vorläufer der
Keiretsu. Diese waren große, von einzelnen Familienclans geführte Unternehmen. Die
Zaibatsu waren hochgradig vertikal integriert und deckten jeweils nahezu die gesamte
Wertschöpfungskette ab. Da die Entscheidungsträger in diesen frühen Konzernen
Familienmitglieder waren, entstanden je nach individuellen Interessen mehrere
Geschäftsfelder, auf denen die Zaibatsu als Ganzes tätig waren. „Each zaibatsu was
based on a single family or extended family whose business interests became
diversified such that they were almost self sufficient“ (Cooke/Sawa 1998, 217). Die
Zaibatsu umfassten nicht nur Produktionsstätten und Handelsketten, sondern auch
Versicherungen und Banken. Letzteres ermöglichte ihnen, ohne Rücksicht auf externe
Investoren ihre Unternehmenspolitik nach eigenen Vorstellungen zu verfolgen. Die
unterschiedlichen Geschäftsbereiche deckten zunächst exklusiv den Bedarf des
eigenen Zaibatsu und bedienten darüber hinaus nach außen den gesamten japanischen
Markt. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges kontrollierten die Zaibatsus über 32 % der
Schwerindustrie und 50 % des Bankensektors in Japan (Cooke/Sawa 1998).
Nach dem Sieg der Alliierten und der Besetzung Japans schufen die Amerikaner
eine Nachkriegsordnung, die das politische, soziale und wirtschaftliche Leben stark
beeinflußte. Ziel war die Demokratisierung Japans. Hierzu gehörte auch die Auflösung
der Zaibatsu, da ihnen eine Mitverantwortung für die Expansionen Japans im Zweiten
Weltkrieg nachgesagt wurde (Moerke 2001). Mit dem Anti-Monopol-Gesetz aus dem
Jahr 1947 sollten die Holdingstrukturen der Zaibatsu liquidiert werden, um Eigentum
und Management voneinander zu trennen. Unter anderem wurde das Führen der
Zaibatsu-Namen verboten. Die Amerikaner wollten in Japan Marktstrukturen nach
eigenem Vorbild etablieren und das Eigentum an Unternehmen demokratisieren.
„With Japan’s defeat in World War II and the subsequent arrival of U.S. Occupation
Forces came a major overhaul of the Japanese economy as a means toward economic
democratisation.” (Gerlach 1992, 100)

159
vor II. Weltkrieg nach II. Weltkrieg

10 große Zaibatsu „Big Six“ (6 Keiretsu)

4 große Zaibatsu
Mitsui Mitsui

Mitsubishi Mitsubishi

Sumitomo Sumitomo

Yasuda

Ôkura Fuyô
Asano

Nissan Sanwa

Furukawa DKB

Nakajima Fuji Jûkô


Daiwa - Bank,
Nomura Nomura Securities,
Tôkyô Seimei Securities

nach Kriegsende entstandene


Unternehmensgruppen

Toyota
sonstige Zaibatsu
Honda
Shibusawa Matsushita
Sony
Kawasaki
Tôkyû
Seibu
Daiei

Abbildung 15: Entwicklung der keiretsu aus den zaibatsu.


Quelle: Moerke (2001, 62)

Obwohl die Holding als Unternehmensform in Japan formal abgeschafft wurde,


behielt das Jahrhunderte alte Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Firmen
weiterhin seine steuernde Funktion (Gerlach 1992; Roe 1992). Die Firmen, die vorher
in einem Zaibatsu zusammengefügt waren und nun formal selbstständig agierten,
führten ihre Geschäfte untereinander fort. Das Anti-Monopol-Gesetz wurde 1952
durch das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie (MITI) mit
Ausnahmeregelungen, z.B. im Bereich der Kartellbildung, aufgeweicht. Als Ergebnis
wurden die alten Zaibatsu-Namen wieder eingeführt (Moerke 1997).
Da das Bankensystem in Japan weitgehend intakt blieb, konnten die Unternehmen
sich nach Abzug der Alliierten nunmehr um Banken formieren. Die Banken, die
vorher meist selbst Teil eines Zaibatsu waren, bevorzugten dabei die Unternehmen des

160
alten Zaibatsu. Da zwischen den Banken und diesen Unternehmen in den ersten
Nachkriegsjahren die alten Geschäftsbeziehungen gepflegt wurden, verlief dieser
Vorgang zügig. „Old members of the zaibatsu were favoured and the six main banking
groups that emerged were the old groups of Mitsubishi, Sumitomo, Misui and Fuji as
well as the newer groups of Sanwa and Dai-Ichi Kangyo Group (DKP) (Cooke/Sawa
1998, 218). Während also Mitsui, Mitsubishi und Sumitomo direkt aus den Zaibatsus
der Vorkriegszeit hervorgegangen sind, entstanden die anderen der „Big Six“ aus
Zusammenschlüssen mehrerer Zaibatsu-Überreste, die sich um die wichtigen
Großbanken Fuji, Sanwa und Dai-Ichi Kangyo formierten (Gerlach 1987).
Ein wesentlicher Grund für die Gruppierung der Unternehmen um die Banken war
die schwierige Kapitalbeschaffung nach dem Krieg. Eine verlässliche Kapitalquelle
wurde zur Gretchenfrage japanischer Unternehmenspolitik, wie die nachstehende
Aussage eines japanischen Unternehmensvertreters dokumentiert:
“[This company] had existed for sixty years, and World War II was a very bad event
for us, but we continued to operate even under that situation. We didn’t have any
assets, so it was hard for us to get money – we were not listed so we could not
approach the markets. So at that time there was one bank which co-operated with us,
so I maintained the relationship. So not because I’m in a keiretsu or anything like that,
but for historical reasons; it’s nice for me to have that relationship, if for example, I
have problems.” (zit. nach Learmount 2002, 79).
Die gemeinsame Geschichte vieler Unternehmen in einem Zaibatsu, gepaart mit den
Vorteilen, die eine Neuformierung in einem Keiretsu bot, beschleunigte den
Integrationsprozess noch. Die hochintegrierten Unternehmensgruppen mit einer Bank
als Zentrum werden in Japan als kinyu keiretsu (finanzielle Linie) oder kigyo shudan
(Unternehmensgruppe) bezeichnet (Gerlach 1987). Die verkürzte Bezeichnung dieser
Unternehmensgruppen als Keiretsus hat sich jedoch international etabliert. Mit
Steinbrenner (1997, 15) kann man Keiretsu als eine Verbundunternehmung verstehen,
„die ein, durch die Koordination der Erfüllung der Gesamtaufgaben mehrerer zuvor
selbständiger Betriebe (Einzelteile), entstandener neuer Betrieb (das Ganze) ist“.
Häufig werden Keiretsus als „Mischkonzerne“, „Konglomerate“, „Konzerne“,
„Trusts“, „Konsortien“ oder „Unternehmensverbände“ (Eli 1988) bezeichnet. Diese
Diktionen fußen jedoch auf einem okzidentalen Rechtsverständnis bzw. implizieren
bestimmte Motive für den Zusammenschluss. Da diese jedoch bei japanischen
Bezeichnungen wie Keiretsu oder Gurupu keineswegs implizit mit ausgedrückt sind,
wird in Übereinstimung mit Steinbrenner (1997) hier der neutrale Terminus
„Unternehmensgruppe“ verwendet.
Unterteilt werden Keiretsus in vertikale Keiretsus und horizontale, auch so genannte
Intermarket Keiretsus. Vertikale und horizontale Keiretsus sind zwar verschiedenen
Ursprungs, überlappen sich jedoch, wie die nachstehende Graphik verdeutlicht.

161
large firm/ 1
national/
high status
4
2

3
small firm/
local/
low status range of industries
1 = intermarket keiretsu
2 = vertical keiretsu
3 = small-business groups
4 = strategic groups

Abbildung 16: Cross-Cutting Social Spheres: Industrial Diversity, Status Position, and Alliance Form.
Quelle: Gerlach (1992, 68)

In vielen Fällen geschieht diese Überlappung parallel. Mitglieder eines horizontalen


Keiretsus stellen meist selbst vertikale Keiretsus dar (Moerke 2000). Vertikale
Keiretsus lassen sich ihrerseits in Produktions- und Distributionskeiretsus
differenzieren. Erstere sind primär im produzierenden Gewerbe, vor allem in der
Automobil- und Elektroindustrie anzutreffen. Sie sind durch eine vertikale Gliederung
mit einem Endhersteller an der Spitze und pyramidenartig formierten Zulieferunter-
nehmen in mehreren Hierarchieebenen gekennzeichnet (Moerke 1997). In den auf
Langfristigkeit ausgelegten Beziehungen zwischen Mutterunternehmen und
Zulieferern herrscht häufig eine starke Abhängigkeit.
Ein gutes Beispiel für ein vertikal integriertes Produktions-Keiretsu ist die Toyota
Motor Group. Sie besteht aus Hunderten von kleinen und mittelgroßen Unternehmen.
In der Toyota Motor Group sind über 170 Tochterfirmen und 120 weitere vom
Konzern kontrollierte Unternehmen organisiert. Von diesen bilden etwa 19 einen
engeren Kreis um die Keiretsu-Spitze. Bei 80 % dieser großen börsennotierten
Unternehmen, die auch Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der Führung des
Keiretsus haben, ist die Toyota Motor Group der größte Einzelaktionär mit meist über
50 % des Anteilsbesitzes. In diese Unternehmen werden von Toyota, entsprechend
seiner Aktionärsrolle, eigene Vorstände entsandt (Kreft 2000).
Die als Distributionskeiretsus bezeichneten Netzwerke beinhalten das Zusammen-
wirken von Industrie, Großhandel und Einzelhandel (Moerke 1997). So besteht etwa
die Matsushita-Gruppe, Japans größter Produzent von Haushaltsgeräten, Audio- und
Videozubehör aus über 24.000 Groß- und Einzelhändlern. „These companies normally
only sold non-keiretsu products if no comparable product was on offer from the
keiretsu leader“ (Kreft 2000, 5). Mit Hilfe von speziellen internen Rabattsystemen
konnte Matsushita auch deutlichen Einfluss auf die Endverbraucherpreise nehmen.

162
Bei den horizontalen Keiretsus unterscheidet man zwischen sechs großen
Unternehmensgruppen, „Big Six“ genannt, die jeweils branchenübergreifend agieren
und um eine Bank, die Main Bank, gruppiert sind. Den Gruppenkern machen
zusätzlich mindestens ein Generalhandelshaus und ein oder mehrere Kernunternehmen
aus (Moerke1997, 1).
Exemplarisch sei hier auf die Sanwa-Unternehmensgruppe verwiesen. Im Zentrum
dieser Gruppe steht die Sanwa Bank. Um sie herum angesiedelt sind die jeweiligen
Sektoren der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmensgruppe (Abbildung 17). Fast
jeder einzelne dieser Sektoren setzt sich wiederum aus mehreren Unternehmens-
gruppen zusammen. Die Sanwa Gruppe ist damit ein typisches um eine Main Bank77
angeordnetes horizontales Keiretsu. Die Mitglieder dieses Keiretsus sind untereinander
auf vielfältige Weise verbunden. Vor allem gegenseitige Aktienbeteiligungen und die
wechselseitige Besetzung von Vorstandsposten sind hier zu nennen. Die Sanwa Bank
hält Aktien der führenden Unternehmen aus den einzelnen Branchen. Diese halten
wiederum Aktien der Bank. In die wirtschaftlich bedeutendsten Beteiligungen werden
von der Bank Vorstandsmitglieder eingesetzt (Karbhari 1994).
Die Entsendung der Direktoren dient der Informationsgewinnung und -verbreitung.
„Typisch für die horizontalen Keiretsu sind weiterhin die President’s Council
(shachokai) – regelmäßige Treffen der Chefs von Unternehmen aus der Gruppe“
(Moerke 1997, 1). Insbesondere diese Treffen sind Gegenstand vielfältiger
Diskussionen. An ihnen wird die vielzitierte “Japan AG“ sinnfällig (Steinbrenner
1997). Unwidersprochen dürfte jedoch bleiben, dass sie u.a. dem Transfer von
unterschiedlichen die Unternehmen betreffenden Informationen dienen.
Ganz gleich, ob es sich um vertikale oder horizontale Keiretsus handelt, deutlich
wird, dass ökonomisches Handeln in einem institutionellen Kontext eingebunden ist.
Wie Gerlach (1992, 70) in seinem Standardwerk zur japanischen Wirtschaftsordnung
feststellt, findet aus der Unternehmensperspektive Handel „within a set of ordered
environments that can be dimensionalized along a continuum from ’relational’ to
’transactional’ exchange...“ statt. Während es sich beim transaktionalen Tausch um
den diskreten und anonymisierten Markttausch neoklassischer Prägung handelt,
werden beim relationalen Tausch vielfältige Formen implizierter Annahmen und
Übereinkommen getroffen, die der Tauschbeziehung Stabilität und Persistenz
verleihen. „The fiction of discreteness is fully displaced as the relations take on the
properties of a ’minisociety’ with a vast array of norms beyond those centered on the
exchange and its immediate processes“ (Macneil 1978, 901).

77
Die im Zentrum stehenden Banken erfüllen in etwa die Aufgaben und Dienstleistungen, die in Deutschland die
sogenannten Hausbanken wahrnehmen. Da sie aber integraler und führender Bestandteil der
Unternehmensgruppe sind und damit mehr als nur die Rolle eines Investors und Kreditgebers erfüllen, wird
der in der englischsprachigen Literatur verwendete Begriff „main bank“ eher ihrem erweiterten Spektrum
gerecht.

163
Petroleum/Rubber/Cement Construction Finance & Insurance
y Cosmo Oil (1,2) y Toyo Construction (1,2) y Toyo Trust & Banking (1,2)
y Toyo Tire and Rubber (1,2) y Ohbayashi Corp. (1,2) y Daido Mutual Life Insurance (1,2)
y Mitsubishi Belting (2) y Sekisui House (1) y Orient Leasing (1,2)
y Osaka Cement (1,2) y Zenitaka Corp. (1,2) y Nippon Life Insurance (1)

Trading/Commerce Fibers & Textiles


y Nissbo Iwai Corp. (1,2)
Sansul-Kai
y Nichimen Corp. (1,2) y Teijin Ltd. (1,2)
y Iwantani & Co. (1,2) Clover-Kai y Unitaka Ltd. (1,2)
y Takashimaya Co. (1,2) y Fukusuke Corp. (1,2)

Iron and Steel Transportation & Warehousing


y Kobe Steel (1,2) y Yamashita Shinnihon Steamship
y Nakayama Steel Works (1) Sanwa Bank (1,2)
y Nixshin Steel (1) y Hankyu Corp. (1,2)
y Hitachi Metals (1,2) y Nissin Corp. (2)
y Nankai Electric Raitway (1)
Electrical & Machinery
y NTN Toyo Bearing (1,2) y Midori-Kai (2)
Chemicals
y Iwatsu Electric Co. (1,2)
y Tokuyama Soda (1,2)
y Hitachi Zosen Corp. (1,2)
Optical Materials y Ube Industries (1,2)
y Tsukishima Kikai (2)
y Hoya Corp. (2) y Sekisui Chemical (1,2)
y Kyocera Corp. (1)
y Tanabe Seiyaku (1,2)
y Hitachi, Ltd. (1,2)
y Fujisawa Pharmaceutical (1,2)
y Hitachi Cable (1,2) Food y Kansai Paint (1,2)
y Sharp Corp. (1,2) y Isoh Ham Foods (1) y Osaka Soda (2)
y Shin Meiwa Industry (1) y Suntory Ltd. (1,2) y Hitachi Chemical (1,2)
y Daihatsu Motor (1,2)
y Nitto Electric Industrial (1,2)

Intra-Group Joint Ventures 1: Sansui-Kai members


y Toyo Information Systems 2: Clover-Kai Members
y Toyo Real Estate

Abbildung 17: Die Sanwa Group.


Quelle: Karbhari (1994, 2)

Wie die Abbildung deutlich macht, ist ein hohes Maß an relationalem Tausch für den
intraorganisationalen Handel kennzeichnend. Strukturell durch Ressourcenflüsse
verbunden und gesteuert durch ein Set von Regeln und Ritualen, konstituiert sich die
Firma als soziales System. Die Beziehung zwischen den Organisationsmitgliedern hat
Vorrang vor der einzelnen Transaktion. Jenseits der Firmengrenze beginnt die Umwelt
erster Ordnung. Auf der interorganisationalen Ebene erscheint die Beziehung zwischen
Unternehmen und ihren Zulieferern erfolgskritisch zu sein. Die engen Beziehungen,
die zwischen japanischen Firmen und ihren Subunternehmern in den vertikalen
Keiretsus herrschen, sind ein wohlbekanntes Phänomen des japanischen
Produktionsregimes. So übernehmen Subunternehmer in den Produktionskeiretsus
„many of the functions typically carried out in-house by U.S. firms through their own
divisions“ (Gerlach 1992, 70)78. Innerhalb des vertikalen Keiretsus ist der Austausch
zwischen der Muttergesellschaft und ihren Satelliten in ein dichtes Beziehungs-

78
Deutlich wird dieses unterschiedliche Produktionsregime in der Untersuchung von Dyer/Nobeoka (2000). Die
Autoren zeigen am Beispiel von Toyota auf, dass japanische Automobilkonzerne in einem reziproken
Netzwerk mit ihren Zulieferern verbunden sind, in dem orginäres Unternehmenswissen fließt und Intellectual
Property Rights im Unternehmensnetzwerk angelegt sind. Dies ist selbst nach 15 Jahren Just in time oder Total
Quality Management auch in den USA noch unüblich.

164
netzwerk eingebunden. Unterschiedliche Formen von Informationen, Management-
kompetenz sowie technischer und finanzieller Unterstützung werden hier gemäß den
Regeln der Reziprozität bereitgestellt.
impersonal markets

strategic alliances

intermarket
keiretsu
vertical
keiretsu

Co.

relational transactional exchange


exchange

Abbildung 18: Alliance Form and the Japanese Firm’s Institutional Environment.
Quelle: Gerlach (1992, 71)

Die Muttergesellschaft und mithin ihre Satelliten sind gewöhnlich mit den
horizontalen Keiretsus in ein breiteres Beziehungssystem integriert. „This second-
order environment comprises more loosely coupled relationships among dozens of
firms in diverse industries “ (Gerlach 1992,70). Der interne Austausch ist hier zwar
weniger durchdringend als auf Ebene der Unternehmen oder vertikalen Keiretsus,
gleichwohl verleiht die Identität der Gruppe diesem strukturelle und symbolische
Bedeutung. Strategische Gruppen repräsentieren eine Umwelt dritter Ordnung.
Austausch ist hier enger und fester als auf anonymen Spotmärkten. Es fehlt jedoch die
Geschichte, symbolische Kohärenz und Dichte, die Keiretsu-Tauschnetzwerke
kennzeichnet. Auf der äußeren Ebene ist unpersönlicher Tausch zwischen Akteuren zu
finden, die weder strukturell noch symbolisch verbunden sind. „These are ’true’
market transactions, without intensive ties or enduring obligations“ (Gerlach 1992,
71).
Deutlich wurde die Relevanz von Beziehungen für ökonomische Handlungen. Je
nachdem, ob die Parteien wechselseitig durch komplexe Tauscharrangements
verbunden sind oder sich nur zu einem diskreten Tausch auf einem anonymen Markt
treffen, werden unterschiedliche Handlungsmotive und Handlungen virulent. Im
Folgenden wird dies mit Blick auf das Verhältnis, das japanische Unternehmen mit
ihren Anteilseignern pflegen, dargestellt.

165
3.4.1.2. Japanische Kapitalgesellschaften und ihre Investoren

Der japanische Kapitalmarkt ist im Wandel begriffen (Ahmadjian/Robbins 2005). Das


traditionelle System stabiler Eigentumsverhältnisse bei Publikumsgesellschaften gerät
von mindestens zwei Richtungen unter Druck. Zum einen wird dem System zu einem
beträchtlichen Teil die schwache Ökonomie in den 90er Jahren angelastet. Zum
anderen wächst die Anzahl ausländischer Investoren, die signifikante Anteile an
japanischen Unternehmen halten (Ahmadjian/Robbins 2005). Beides führt in den
Augen vieler Beobachter zu der begründeten Vermutung, dass die Rechte der
Anteilseigner deutlich gestärkt werden (Takeshi 2001; Jackson/Moerke 2005;
Ahmadjian/Robbins 2005). So wird generell die Einführung von internationalen
Rechnungslegungsstandards als augenfälliger Beweis für die erstarkte Aktionärs-
position gewertet (Jackson/Moerke 2005). Indem auf breiter Front über die Einführung
des US-Gaap als Rechnungslegungsstandard diskutiert wird, liegt die Vermutung
nahe, dass japanische Unternehmen die Wünsche ihrer Anteilseigner stärker in den
Blick nehmen als früher. Ein weiteres Indiz für eine stärkere Aktionärsorientierung ist
die vermehrte Einrichtung von Investor-Relations-Abteilungen (Takeshi 2001). In der
Unternehmenspraxis wird man nicht müde, den Einfluss dieser Abteilungen auf Form
und Inhalt der Kapitalmarktkommunikation zu unterstreichen. Scheinen beide
Sachverhalte auf den ersten Blick Indizien für eine Änderung des Finanzsystems in
Richtung des anglo-amerikanischen Outsidersystems zu sein, so wird bei näherer
Betrachtung deutlich, dass sich der Systemwandel laut einer aktuellen Untersuchung
von Learmount (2002) eher auf der symbolischen Ebene abspielt. „... in spite of
myriad changes taking place in the financial environment, these are not necessarily
generating an intrinsically new approach to shareholders or shareholding“ (Learmount
2002, 61).
Nichts macht die Persistenz des bestehenden Systems augenfälliger als der
unterschiedliche Umgang, den die Unternehmen mit ihren Aktionärsgruppen pflegen.
Gemäß der Abbildung teilen sich nach japanischem Verständnis die Aktionäre in zwei
Gruppen. Bei der einen Gruppe handelt sich zumeist um Großaktionäre aus der
eigenen Unternehmensgruppe, die in reziproken Kapitalverflechtungen mit den
Publikumsgesellschaften stehen (Roe 1992; Schaede 1994; Takeshi 2001). Die andere
Gruppe besteht aus Eigentümern von im freien Handel befindlichen Unternehmens-
anteilen. In einer Untersuchung von Learmount (2002) über die Beteiligungspraxis
japanischer Unternehmen wird deutlich, dass alle untersuchten Unternehmen Aktien
ebenso zur Beziehungspflege als auch zur Kapitalakkumulation haben. Sie werden
auch zumeist auf differenten Konten geführt und nach unterschiedlichen Regeln
gemanagt. Während Investmentobjekte nur unter dem Kriterium der Rendite-
maximierung gekauft und gemanagt werden, dienen politische Aktien alleine dem sog.
mochiai und werden auch so behandelt.
„There are two different departments to book investment shares and mochiai shares,
and they are booked in different ways. Also the examination department is different.

166
Trading shares are evaluated every day, and are subject to a loss-cut rate, and are
marked to market at the end of each trading day. Political shares are booked at the
original price, and loss-cuts is irrelevant“ (Investmentbanker zit. nach Learmount
2002, 56).
Der Begriff mochiai bedeutet nach Gerlach (1992, 76) ungefähr so viel wie „to hold
mutually“. Zusätzlich beinhaltet der Begriff situationsabhängig noch weitere
Konnotationen wie wechselseitige Hilfe, geteilte Abhängigkeit und Stabilität.
„Crossholdings, as Japanese businessmen point out, ’keep each other warm’ – hada o
atatame-au” (Gerlach 1992, 76).
Aktien, die im Zuge wechselseitiger Beteiligungen an Partnerunternehmen gehalten
werden, sind weniger finanzwirtschaftliche Instrumente als vielmehr symbolische
Zeichen. In ihnen materialisiert sich für jeden ersichtlich die Beziehung zwischen zwei
Unternehmen. So macht ein von Learmount (2002, 57) interviewter Unternehmens-
präsident deutlich, „that he did not consider the company that held the majority of his
company’s shares to be ’real shareholders’, as the shares that they held were
symbolic”. In der regelmäßigen Kommunikation ist die Unternehmensleistung ebenso
wenig von Bedeutung wie der Aktienpreis. Von Interesse ist vielmehr die Entwicklung
neuer Produkte oder Technologien. Der Aktienbesitz dokumentiert primär die gute
Unternehmensbeziehung (Takeshi 2001). „The shareholdings are ’friendly’, i.e. stable
and long-term, and they also support the business relations between these firms“
(Schaede 1994, 293). Wird der Aktienbesitz jedoch reduziert, so ist dies für die
Umwelt ein eindeutiges Signal für eine Abkühlung oder sogar Beendigung der
Beziehung. Möchte man demnach eine Geschäftsbeziehung fortsetzen, so ist ein
Verkauf von mochiai-Aktien kontraproduktiv.
„Selling shares is looked upon very badly by the company. The actual amount of the
shares that we hold in each company is not particularly important, but by selling the
shares it would be very bad for our relations with the companies….It is a fact that we
do business with those companies in which we hold shares, and when we sell the
shares off the companies which we have selected there is no chance that we will do
business with these companies again.” (Interview zit. nach Learmount 2002, 58).
Angesichts der sozialinduzierten Handels- und Managementstrategien ist für jede
Publikumsgesellschaft das Wissen um die Eigentumsverhältnisse wichtig. Welcher
Anteilseigner wie viele Aktien hält, ist in Japan eine zentrale Frage (Roe 1992;
Schaede 1994). Da die Beziehungspflege konstitutiv für das japanische
Produktionsregime ist, wählen die Unternehmen bei Börsengängen oder
Kapitalerhöhungen ganz gezielt ihre Anteilseigner aus dem nationalen
Produktionskontext aus. Zusätzlich versuchen die Unternehmen, möglichst viele
Aktien an ihre Beschäftigten zu verkaufen. Sind so die meisten Aktionäre ausgewählt,
so werden die restlichen Aktien auf dem freien Markt vertrieben. Größere
Aktientransaktionen finden demnach eher hinter verschlossenen Türen als auf dem
offenen Marktplatz statt.

167
„We have a finance directors group [keiretsu] regularly, so we know the faces and
can have conversation at these meetings. Sometimes I might sit here, and he will sit
there, and I have the need to make mochiai, so while we are chatting the deal is done.
When they have a need to sell our stock they will come to us, discuss their situation,
and we will consider their proposal. This might happen when their business results are
extremely bad, and they have a lack of cash“.(Interview zit. nach Learmount 2002,
60).
Da die Anzahl der Aktien, die nach den Regeln von Wettbewerbsmärkten gehandelt
werden, eher gering ist, spielt die Kurspflege bei japanischen Publikumsgesellschaften
eher eine untergeordnete Rolle. Zwar wird der Return On Equity (ROE) als wichtig
eingestuft, um die ökonomische Verpflichtung der Unternehmen gegenüber ihren
Aktionären zu erfüllen (Takeshi 2001). Die Steigerung des Shareholder Value ist somit
schon Bestandteil der proklamierten Unternehmensziele. Gleichwohl lässt sich
angesichts eines ROE-Vergleichs japanischer und amerikanischer Unternehmen nur
ein Missverhältnis zu Lasten Ersterer konstatieren.
Trotz der weitverbreiteten Rhetorik zu ROE und Shareholder Value fallen die
Aktiengewinne vergleichsweise gering aus. Denn wichtiger noch als hohe Renditen ist
in den Augen japanischer Manager die Stabilität des Unternehmens (Takeshi 2001).
Im Unterschied zu amerikanischen oder europäischen Unternehmen, die ihre liquiden
Mittel gerne zur Kurspflege einsetzen, stehen japanische Unternehmen dem Rückkauf
eigener Aktien eher reserviert gegenüber. Das Drängen ausländischer Investoren nach
höheren Renditen führt bei den dortigen Unternehmensführungen ebenso zu
Irritationen wie der Wunsch nach mehr Unternehmenstransparenz und einer
anlegerorientierten Informationspolitik. Zwar verfügen die Unternehmen zumeist über
Investor-Relations-Abteilungen, die unternehmensseitige Kapitalmarktkommunikation
wird jedoch von Analysten und ausländischen institutionellen Investoren als
oberflächlich bezeichnet.
„There is an impression that statements have been carefully prepared in advance,
and if I ask specific questions they don’t seem to really be listening. I wonder if there
is a sense that the company is like your home, it is private property, and outsiders are
not really welcome unless they have been invited in”. (Interview zit. nach Learmount
2002,65)
Investor-Relations-Aktivitäten zielen daher auch weniger darauf ab, den
Informationsfluss zu den Anteilseignern aufrecht zu erhalten, als vielmehr das
Unternehmen vor diesen zu schützen. Ihre primäre Aufgabe sehen die IR-
Verantwortlichen dann auch darin, Unternehmensinformationen zu filtern und sie vor
unerwünschter Einsichtnahme zu schützen.
Im Unterschied zu dem anglo-amerikanischen Outsidersystem sind hier die
Anteilseigner mit ihren Renditeansprüchen im Kanon aller Stakeholder nicht

168
besonders positioniert (Takeshi 2001)79. Gilt in US-amerikanischen Unternehmen das
unternehmenspolitische Primat der Befriedigung anlegerseitiger Renditewünsche, so
sehen japanische Unternehmen diese in einer Reihe mit den Interessen der Zulieferer,
Beschäftigten oder Kunden (Gilson/Roe 1992). Die langläufige Vorstellung, dass man
den Anteilseignern in besonderer Weise rechenschaftspflichtig ist, wirkt auf viele der
dortigen Manager befremdlich. Verhalten sich japanische Unternehmensführer
gegenüber renditeorientierten Anlegern eher abweisend, indem Erstere die
Vorstellungen Letzterer nicht kennen oder in ihrer Informationspolitik nicht
berücksichtigen, so ist insbesondere das gegenseitige Verständnis und
Kommunikationsverhalten in gut organisierten Keiretsus völlig anders. „The top
managers of Japanese companies tend to think little of the benefits of general
stockholders other than those who are cross-holders” (Roe 1992, 24). Kommuniziert
wird häufig und in größerer Runde. Träger der Kommunikation ist nicht die Investor-
Relations-Abteilung, sondern die Unternehmensleitung selbst. So tagen etwa bei dem
monatlichen Senior-Manager-Treffen die Kernmitglieder eines Keiretsus
(Lincoln/Gerlach/Takahashi 1992; Schaede 1994). Hierbei geht es weniger um die
Diskussion der einzelnen Unternehmensergebnisse als vielmehr um die Teilhabe an
wichtigen Informationen. Der Austausch bleibt jedoch nicht auf die Top-Management-
Ebene beschränkt. Innerhalb der Unternehmensgruppe führt eine Vielzahl persönlicher
Beziehungen auf allen Hierarchieebenen zu einer hohen sozialen Kohäsion.
„Informally, we have many individual relationships, they are like colleagues, and in
that respect it is a very good system“ (Interview zit. nach Learmount 2002,69).
Solche engen und vertraulichen Beziehungen bleiben jedoch nicht auf die
Keiretsuunternehmen beschränkt. Oft gehen wechselseitige Finanzverflechtungen mit
engen Arbeitsbeziehungen auf unterschiedlichen Organisationsebenen einher, die sich
in der reziproken Teilhabe an Personal, Informationen, Fachkompetenz und
Technologien materialisieren.
Die Beziehung zwischen reziprok beteiligten Unternehmen geht deutlich über den
einfachen Kapitaltausch hinaus. Sie beinhaltet nicht nur den häufigen Austausch von
Personal, Informationen oder Technologien, auch werden in Krisensituationen
entsprechende Ressourcen bereitgestellt, um das Überleben des betroffenen
Unternehmens zu sichern (Lincoln/Gerlach/Takahashi 1992). Überkreuzbeteiligungen
sind demnach nicht ursächlich für die engen Unternehmensbeziehungen, sondern sie
sind vielmehr Ausdruck der Beziehung selbst (Gerlach 1987). Nirgendwo wird diese
Beziehungsqualität deutlicher als in dem Verhältnis zwischen dem Unternehmen und
seinem größten cross shareholder, der Main Bank.

79
In einer großangelegten Untersuchung unter japanischen Top-Managern im Jahre 1999 kommt Takeshi (2001,
232) zu dem Ergebnis, dass nur 8,5 % der befragten Manager sich exklusiv den Interessen der Shareholder
verpflichtet fühlen. „In stark contrast, the view that ’the firm’s stakeholders are not limited to its shareholders,
and therefore it should be managed in ways properly reflecting the interests of other stakeholders as well’ was
supported by as many as 85,8 % of all the executives”.

169
3.4.1.3. Japanische Kapitalgesellschaften und ihre Main Bank

Ein wichtiges Kennzeichen des japanischen Governance-Systems – die Unternehmen-


Main Bank-Beziehung – wird aus ökonomischer Perspektive gewöhnlich als
Kontrollarrangement betrachtet, das sich in Ermangelung einer aktiven
Unternehmenskontrolle durch die Anteilseigner gebildet hat (Aoki 1990; Roe 1992;
Gilson/Roe 1992). Im Zuge der Deregulierung japanischer Finanzmärkte kommt es zu
einer sinkenden Abhängigkeit der Unternehmen von den Banken. So gewinnen nach
Ansicht von Beobachtern (Jackson/Moerke 2005) eigenkapitalorientierte
Finanzierungsformen an Gewicht. Die ehemals klare Rolle der Main Banks als
einflussreiche Kontrolleure wird zusehends diffuser. Während etwa Moerke (2001)
eher eine abnehmende Bedeutung der Main Bank im Governance-System favorisiert,
setzt Georg (1996) auf eine persistente Relevanz der Banken als
Informationsintermediär und Kontrollgröße.
In seiner eingehenden Untersuchung zu der Unternehmen-Main-Bank-Beziehung
kommt Learmount (2002,71) zu dem Ergebnis, diese „is more complex and durable
than is traditionally supposed by economists“. Infolgedessen erweist sich auch die
organisationale Steuerungsfunktion der Main Bank als facettenreicher, als die
finanzwirtschaftlich orientierte Governanceforschung dies häufig postuliert. Wer etwa
vermutete, dass die Deregulierung der Finanzmärkte zu einem Aufatmen der
Unternehmen geführt hat, da diese sich endlich aus dem Joch des übermächtigen
Kreditgebers Main Bank befreien können, sieht sich getäuscht. Weder die
Liquiditätsengpässe der japanischen Banken noch die finanziellen Diversifizierungs-
strategien der Unternehmen führen zu einer grundsätzlichen Revision der Beziehung.
„Our day-to-day contact is still the same, even though the volume of transactions has
been reduced. If we can find some merit in doing a transaction with them, we will do
the transaction with them. Before [name] bank had maybe 30 or 40 per cent of the
transaction volume, but this has reduced quite a lot “ (Interview zit. nach Learmount
2002, 78).
Die Gründe für die Aufrechterhaltung der Beziehung sind aus Sicht der
Unternehmen vielfältig. So rechtfertigen einige Unternehmen dies mit möglichen
Risken, die mit einem Wechsel des Kapitalgebers einhergehen. Die Beziehung wird
als eine Versicherung gegen die Volatilitäten des Kapitalmarktes bezeichnet
(Lincoln/Gerlach/Takahashi 1992; Schaede 1994). Andere Unternehmen verweisen
auf die nützliche Beratung, die ihnen durch die Banken zuteil wird. Gibt es aus Sicht
der Unternehmen durchaus utilitaristische Motive (Aoki 1990; Schaede 1994) für eine
Beibehaltung der Beziehung, so wird bei genauerer Analyse deutlich, dass diese bei
Weitem nicht die alleinigen sind. Was bereits bei der Überkreuzverflechtung virulent
wird, tritt hier in dem Verhältnis zwischen Unternehmen und Main Bank noch
deutlicher zutage. Es ist nicht primär die ökonomische Funktionalität, sondern
vielmehr das Pflichtbewusstsein und die Loyalität gegenüber dem Geschäftspartner,
das dieser Beziehung ihre Persistenz verleiht. So entspringt die starke

170
Serviceorientierung der japanischen Banken (Schaede 1994), die sich etwa in
ressourcenintensiven Unternehmens- oder Marktrecherchen niederschlägt, nicht allein
dem Ziel stärkerer Kundenbindung oder gar erhöhter Unternehmenskontrolle.
Stattdessen rechtfertigen sie die verausgabte Energie und Zeit damit, dies „was a
service of considerable value to the companies themselves“ (Learmount 2002, 86).
Selten kommen die Bankenvertreter daher auf ihre eigenen Interessen zu sprechen.
Viel häufiger hingegen verweisen sie auf den größtmöglichen Nutzen, den sie ihren
Kunden angedeihen lassen wollen.
„We have an investment banking group within the bank who are professionals in
securitization and capital market finance, and I believe it is my duty to talk to our
customers and get information about what they need, and when I return to the bank I
discuss with the professionals how we can use our capital market expertise to give the
companies what they want. It is important to understand exactly what the companies
need; the investment banking people have the technology, but they don’t know
precisely the customers’ needs – this is most important for us”. (Interview zit. nach
Learmount 2002, 87).
Das bankenseitige Interesse am Gegenüber wird von den Unternehmen ihrerseits
goutiert. Der umfangreiche Informationsaustausch wird nicht als Belastung
wahrgenommen, sondern als wichtige Unterstützung und Ausdruck vertrauensvoller
Zusammenarbeit. Mitunter ist die Zusammenarbeit so hoch integriert, dass die Bank
eher einer spezialisierten Unternehmensabteilung ähnelt als einem externen Anbieter
finanzwirtschaftlicher Dienstleistungen. Im Austausch gegen Nachwuchskräfte aus
dem Unternehmen, die zur finanzwirtschaftlichen Weiterbildung in die Bank kommen,
gehen solche aus der Bank in das Unternehmen, um Letzteres kennenzulernen und zu
unterstützen (Lincoln/Gerlach/Takahashi 1992.
Trotz dieser Beziehungsintensität ist beiden Parteien der ökonomische
Interaktionskontext klar. „None of the companies I studied said that the main bank
relationship limited their freedom to choose better value services or products from
competing banks“ (Learmount 2002, 90). Banken wie Unternehmen agieren auf
kompetitiven Märkten. Insofern sind Unternehmen bemüht ihre Unabhängigkeit, zu
wahren und möglichst passgenau ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses Interesse ist
den Banken durchaus bewusst. Selbst eine intensive und lange Kundenbeziehung
rechtfertigt nicht, dass die Bank das Unternehmen von einem vorteilhaften
Finanzierungsgeschäft abhält. Unternehmen und Banken sind letztlich unabhängige
Akteure in einer Beziehung, die zwar auf eine lange Historie zurückblickt, die jedoch
auch der permanenten Erneuerung und Interaktion bedarf.
Selten zeigt sich dies deutlicher als in Krisensituationen. Befinden sich
Kundenunternehmen in einer Finanzkrise, so haben die Main Banks auch immer deren
Bedürfnisse mit im Interessenfokus. Im Unterschied zu der ökonomischen Annahme,
dass die Banken primär im Interesse der anderen Kreditgeber handeln und somit als
Kontrollinstitutionen auftreten (Aoki 1990; Roe 1992), agiert die Main Bank

171
vornehmlich mit Blick auf ihre Kunden. „Interviews emphasized that banks rarely
discussed company affairs among themselves, or felt any obligation to monitor
companies on behalf of other banks“ (Learmount 2002, 91). Selbst bei einem
Konsortialdarlehen akzeptieren die beteiligten Banken bis zu einem gewissen Maße
die Sonderrolle einer Main Bank. Die betroffenen Banken kommunizieren
untereinander und mit dem Unternehmen stark formalisiert, wohl wissend, dass die
Main Bank vielfach als Partner des Unternehmens handelt. Letztlich unterstützen die
Main Banks ihre Klienten weniger mit Blick auf den Schutz ihrer Investition als
vielmehr aus einem Gefühl der Pflicht und der Bindung heraus. Nicht umsonst wird
die Main Bank als „die vertrauenswürdigste Bank“ für das einzelne Unternehmen
definiert.
Diese moralische Verbundenheit zwischen der Main Bank und ihren Unternehmen
implizieren auf beiden Seiten einen Verhaltenskodex, der durch wechselseitiges
Vertrauen, Loyalität und Pflichtgefühl geprägt ist. Ebenso wie die Main Bank auch in
Krisensituationen die Interessen ihres Unternehmenspartners nicht aus dem Blick
verliert, so fühlen sich auch die Unternehmen verpflichtet, die Bank über alle
wichtigen Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten. Diese Form der
Rechenschaftspflicht entspringt nicht finanzieller Kontrolle oder sonstigen Formen
externer Steuerung. „Rather it appears to be an accountability on sense of duty or
obligation to the bank“ (Learmount 2002, 92).
Diese reziproke Verbundenheit in Punkto Respekt und Pflicht zwischen einem
Unternehmen und seiner Main Bank basiert letztlich auf persönlichen und langjährigen
Beziehungen zwischen den Beschäftigten der beteiligten Organisationen. Daher
erweist sich die interorganisationale Beziehung nicht als unsoziales
betriebswirtschaftliches Artefakt, sondern als explizite Beziehung zwischen
Menschen. Geschäftemachen verweist dann konstitutiv immer auch auf menschliche
Handlungen. Die beteiligten Akteure mögen in der Sache hart verhandeln, im Umgang
bleiben sie jedoch fair. Entscheidend sind hier ein Gefühl des Respekts für den
Gegenüber und ein Umgang, der die Integrität der Beziehung aufrechterhält. Ein
Aktienverkauf ohne vorherige Absprachen erscheint dann auch außerhalb des
Vorstellungsvermögens der jeweiligen Parteien zu liegen.
„They necessarily [emphatically] give us notice! It is a kind of ... manners, Japanese
manners. It is not a contract. The relationship is based on trust for each other, and
these are basic manners.“ (Learmount 2002, 95).
Summa summarum erscheint die Unternehmen-Main-Bank-Beziehung als
ehrwürdiger Vertrauensbund und nicht als ein bankenseitiges Arrangement zur
Unternehmenskontrolle und Rechenschaftspflicht des Managements. Rechenschafts-
pflicht ist hier nicht einseitig, sondern wechselseitig – motiviert durch den Respekt
und die Pflicht gegenüber dem Anderen.

172
3.4.1.4. Führungsgremien japanischer Kapitalgesellschaften – de jure

Nicht nur für Institutionenökonomen (Aoki 1990; Witt 2003), sondern auch für
Politiker und Medienvertreter spielt das Board of Directors eine besondere Rolle im
Kanon der Governance-Mechanismen. Es gilt als steuernde Schnittstelle zwischen dem
Unternehmensmanagement und den Anteilseignern. Um die Position des Board of
Directors im japanischen Corporate-Governance-System besser verständlich zu
machen, wird im Folgenden kurz die formale Leitungsstruktur japanischer
Publikumsgesellschaften dargestellt.
Unternehmen unterliegen in Japan den Regelungen des Handelsgesetzes. Dieses
regelt auch die Führung von Unternehmen. Die Führung der Aktiengesellschaften
obliegt hier unterschiedlichen Organen: der Aktionärshauptversammlung, dem „Board
of Directors“ und gesellschaftsinternen (Rechnungs-)Prüfern (Moerke 2001).
Zunächst von der deutschen Unternehmensverfassung beeinflusst (Roe 1992;
Gilson/Roe 1992), veränderte sich die Boardstruktur unter dem Einfluss der
amerikanischen Besatzung verschiedentlich. Heute entsprechen die Organe japanischer
Unternehmen in ihrer formalen Ausprägung weder dem angelsächsischen noch dem
deutschen Original, sondern bilden ein eigenes Modell (Roe 1992; Otto 1997; Moerke
2001).
Oberste Entscheidungsinstanz ist die Hauptversammlung. De jure obliegt ihr die
Wahl des Directors und der Rechnungsprüfer. Das Board of Directors und die
Rechnungsprüfer gelten als hierarchisch gleichgestellt (Cooke/Sawa 1998). Die
Directors sind verantwortlich für die Geschäftsführung und auch für deren Kontrolle.
Aus den Reihen des Boards werden ein oder mehrere Vertreter gewählt, die das
Unternehmen nach außen vertreten (Representative Directors). Verantwortlich für die
Prüfung der Rechnungslegung und der Geschäftsführung sind die Rechnungsprüfer.
„Legally, the auditors are limited to reviewing the execution of directors’ duties as
laid down in a company’ articles of incorporation, forestalling their dereliction of duty,
and verifying and reporting on companys documents (including financial statements)
before they are submitted to the Annual General Meeting“ (Learmount 2002, 131).
Je nach Größe der Aktiengesellschaft variiert die gesetzlich vorgeschriebene Zahl
der Rechnungsprüfer: bei „großen“ Unternehmen, d.h. Aktiengesellschaften mit einem
Eigenkapital von mehr als 500 Mio. Yen oder Verbindlichkeiten von mehr als 20 Mrd.
Yen sind seit 1993 mindestens drei Prüfer vorgeschrieben. Hiervon sollte mindestens
einer unternehmensextern sein und einer hauptamtlich arbeiten (Cooke/Sawa 1998).
De jure bilden die Rechnungsprüfer ein dem Board of Directors hierarchisch
gleichgestelltes Organ (Cooke/Sawa 1998; Moerke 2001). Mit Bezug auf die
gesetzlichen Bestimmungen lassen sich die Führungsgremien japanischer
Aktiengesellschaft in nachstehender Abbildung zusammenfassen.

173
Abbildung 19: Führungsgremien japanischer Aktiengesellschaften – de jure.
Quelle: Moerke (2001, 52)

Speist sich die Gestaltung des Corporate-Governance-Systems auch auf den ersten
Blick aus formal-juristischen Quellen, so spielen juristische Formalisierungen von
Interaktionsbeziehungen bei eingehender Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle.
Detaillierte Vertragsgestaltungen mit der Option auf gerichtliche Durchsetzung, wie
sie insbesondere bestimmend für das anglo-amerikanische Governance System sind,
stoßen hier eher auf Ablehnung. „The documentation attending important investments
and supply contracts in Japan would leave many American lawyers aghast“ (Roe 1992,
47). Dieses mangelnde Interesse an jedweder Formalisierung von Geschäfts- und
Arbeitsbeziehungen macht auch vor dem Führungssystem japanischer
Publikumsgesellschaften nicht halt, wie die folgende Analyse zeigen wird.

3.4.1.5. Führungsgremien japanischer Kapitalgesellschaften – de facto

Hauptversammlung
Realiter stellt sich die Situation deutlich anders dar. „Erstens hat die
Hauptversammlung längst nicht die vom Gesetzgeber intendierte Bedeutung und ist in
ihrer Rolle auch nur bedingt mit den Hauptversammlungen in Deutschland zu
vergleichen“ (Moerke 2001, 52). Die japanischen Hauptversammlungen sind generell
keine groß angelegten Veranstaltungen, sondern eine kurz gehaltene Zusammenkunft
der Aktionäre. Sie dauern zumeist weniger als eine Stunde, oft nur etwa dreißig
Minuten. Außerdem halten viele japanische Unternehmen ihre Hauptversammlungen
am gleich Tag ab. Im Jahre 1995 haben 96 % der Unternehmen ihre
Hauptversammlung am 29. Juni abgehalten, darüber hinaus auch noch mehrheitlich am
Vormittag (Cooke/ Sawa 1998). De jure ist die Hauptversammlung zwar das
entscheidende Gremium, auf dem etwa die Direktoren ernannt, die
Dividendenzahlungen bestimmt und die Agenda der Geschäftsleitung für das
kommende Geschäftsjahr ratifiziert wird. Alle Anteilseigner sind zudem berechtigt,
die Geschäftsleitung zu befragen. Aktionäre, die mehr als ein Prozent der Aktien oder
300 Stückaktien halten, können außerdem im Voraus Themen auf die Tagesordnung
der Hauptversammlung setzen lassen (Cooke/ Sawa 1998).

174
Trotz dieser Rechte für Anteilseigner sind die Hauptversammlungen in Japan meist
strikt formaler Natur. Die Tagesordnungspunkte werden rasch abgearbeitet, ohne dass
sich an einzelnen Fragen längere Zeit diskussionsartig aufgehalten wird (Lindseth
2002). Schon die Kürze der Zeit gepaart mit dem formalisierten Ablauf macht
deutlich, „dass im Prinzip über vorher geklärte Entscheidungen abgestimmt wird“
(Moerke 2001, 53). Hierfür spricht auch die Existenz der als sokaiya genannten
Akteure. Letztere sind Kleinaktionäre, die vom Unternehmensmanagement bezahlt
werden, unliebsame Fragen der Aktionäre zu unterbinden. Sokaiya lassen sich
teilweise auch dafür bezahlen, dass sie sich nicht zu den Geschäftspraktiken oder dem
Privatleben der Directors öffentlich äußern (Moerke 2001).
Board of Directors
Problematisch erscheint auch die Kontrolle, die das Board of Directors auf die Arbeit
des einzelnen Directors ausüben soll. Erstens ist der Board hierarchisch aufgebaut.
Unterschieden wird zwischen den Positionen Chairman, President, Senior Managing
bzw. hauptgeschäftsführenden Director, Managing bzw. geschäftsführenden Director
und Director (Schaede 1994; Moerke 2001). Bei den Rechnungsprüfern differenziert
man zwischen dem „hauptamtlichen“ und dem einfachen Prüfer. Die Personen an der
Hierarchiespitze haben die faktische Personalgewalt. So erfolgt die Berufung der
Directors und der Auditoren auf Vorschlag des Präsidenten hin. Auch seinen eigenen
Nachfolger, der sich aus den Reihen der Directors rekrutiert, bestimmt der Präsident
im Regelfall selbst (Schaede 1994; Cooke/Sawa 1998). Die hierarchische
Strukturierung spiegelt sich auch bei dem intraorganisationalen Entscheidungs-
procedere wieder. Selbst bei Entscheidungen, die den operativen Bereich betreffen,
sind nur selten alle Directors gleichermaßen beteiligt. „… most companies had another
’inner’ grouping which seems far closer to the conventional idea of what a board is
and does“ (Learmount 2002, 128). Laut Moerke (2001) verfügen fast 90 Prozent der
Unternehmen über ein separates Entscheidungs- und Arbeitsgremium, in dem die
wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Letztere werden dann in den offiziellen
Boardmeetings nur noch abgenickt (Cooke/Sawa 1998). In diesem sog. jomukai
werden zumeist Directors ab Ebene des geschäftsführenden Directors berufen. Es wird
als höchstes Entscheidungsorgan, als Diskussionsforum oder beratende Institution für
den Präsidenten bezeichnet. Während dort die Unternehmensstrategien und andere
wichtige Themen diskutiert und entschieden werden, bildet das Board die zeremonielle
Bühne, auf der die Entscheidungen bestätigt und mit formaler Autorität versehen
werden (Takeshi 2001). Zuweilen werden Boardsitzungen als „paper meetings“
charakterisiert, „a formality ... a ceremony in which the minutes are conducted“
(Schaede 1994, 311).
Während sich der Board of Directors monatlich zur Besprechung einfindet, treffen
sich die Mitglieder des jomukai mitunter wöchentlich. Aus den verschiedenen
Sitzungsfrequenzen resultieren unterschiedliche Informationszugänge, die sich in

175
differenten Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen und operatives Geschäft
niederschlagen (Moerke 2001).
Die Rechnungsprüfer
Rechnungsprüfer mögen zwar im juristischen Sinne unabhängig sein (Yoshimori
2005), faktisch unterliegen sie jedoch der Personalgewalt durch das Board (bzw. dem
Präsidenten). Oft werden Personen zum Rechnungsprüfer ernannt, die aus dem
Unternehmen kommen oder zumindest eng mit diesem verbunden sind. Häufig waren
sie vorher als Director im Board tätig. Ein Posten als Prüfer wird durchaus als eine
mögliche letzte Station der firmeninternen Karriere betrachtet (Schaede 1994).
„Let me tell you about the statutory auditors, which as you know here is really just a
retirement post – the statutory auditor has no real power, and is just a way of phasing
out the board of directors before they retire so they have the prestige of a position but
really do not actually do anything” (Interview zit. nach Learmount 2002, 132).
Zudem haben die hauptamtlichen Rechnungsprüfer nur einen begrenzten Zugriff auf
relevante Informationen, da sie häufig von Treffen des inneren Entscheidungszirkels
ausgeschlossen sind. „Further, although the statutory auditor is given the authority
under law to make investigations into the company’s operations, including its financial
affairs, this is normally difficult because of a lack of support of staff“ (Cooke/Sawa
1998, 222). Sollten nun tatsächlich Kontrollen erfolgen und Missstände angemahnt
werden, so verfügen die Rechungsprüfer jedoch über keinerlei wirksame
Sanktionsmöglichkeiten (Moerke 2001). Auch die gesetzlich geforderte Bestellung
externer Rechnungsprüfer ist eher von symbolischem Wert. Die externen Prüfer sind
entweder pensionierte Beschäftigte, die nach einer Karenzzeit bei ihrem vorherigen
Arbeitgeber ihren Lebensabend verbringen, oder sie gehören einem Unternehmen der
gleichen Unternehmensgruppe an bzw. sie sind dem Unternehmen seit langem in
irgendeiner Form verbunden. Zusätzlich arbeiten die externen Auditoren nur Teilzeit.
Ihre Informationen bekommen sie zumeist aus zweiter Hand, gewöhnlich aus den
Berichten der hauptamtlichen Prüfer. Im Kern impliziert die Struktur eine faktische
Unterordnung der Rechnungsprüfer unter den Board. „...it was widely acknowledged
that auditors were not really felt to be independent of company management, and as
such were not able to ’monitor’ or hold company managers accountable in the agency
sense of these words” (Learmount 2002, 133). Betrachtet man die Interdependenz der
„faktischen“ Führungsstruktur aus einer ökonomischer Perspektive, so ergibt sich
folgendes Bild:

176
Abbildung 20: Führungsgremien japanischer Aktiengesellschaften – de facto.
Quelle: Moerke (2001, 54)

3.4.1.6. Seniormanager als Mediatoren von Kooperationsbeziehungen

Bei einer ökonomischen Analyse der Führungsgremien japanischer Unternehmen


drängt sich geradezu folgende Schlussfolgerung auf: Japanische Senior Manager
scheren mit ihrer Steuerungsrolle aus der Phalanx der internationalen Best-Practices
aus. Wie bereits mehrfach betont, so liegt auch hier ein anderes Selbstverständnis von
Corporate Governance vor. Japanische Senior Manager fühlen sich weniger ihren
Anteilseignern gegenüber rechenschaftspflichtig, sondern vielmehr dem Unternehmen
selbst und all seinen Bestandteilen (Takeshi 2001). Diese Position, die deutlich von der
herrschenden Governance-Diskussion abweicht, gilt es, im Folgenden näher zu
beleuchten. Wird auch die Reform des japanischen Boardsystems und die Ernennung
zusätzlicher externer Direktoren diskutiert (Moerke 2001; Jackson/Moerke 2005), so
sind profunde Kenntnisse über das Unternehmen nach wie vor die kardinale
Voraussetzung, um die Position eines Senior Managers zu bekleiden. Nur ein
grundlegendes Verständnis des gesamten Geschäftes macht eine effektive
Zusammenarbeit in den inneren Führungszirkeln der Unternehmen möglich. Dieses
detaillierte Unternehmenswissen gepaart mit einer hohen Unternehmensidentifikation
entspringt letztlich der verbreiteten Vorstellung, dass Unternehmen nicht nur
Produktionsmechanismen, sondern auch Sozialsysteme sind. An die Stelle purer
Profitmaximierung tritt hier als Unternehmensziel die Maximierung des
Unternehmenswertes als Ganzes.
„We don’t want a profitable business. Our company philosophy is to take care and
educate people from babies to retirement. Our aim is to create a business which serves
this corporate philosophy. It is a very difficult task. ... In this way we are good for
society, we are good for our employees, we are good for our shareholders, but if we do
not follow our corporate philosophy we cannot be successful at all” (Interview zit.
nach Learmount 2002, 137).

177
Erweist sich diese „Gemeinwohlorientierung“ japanischer Senior Manager aus
ökonomischer Perspektive bereits tendenziell als Missbrauch von
Verhaltensspielräumen zulasten der Aktionäre, so ist eine solche Handlungsmotivation
bei den Auditoren völlig inakzeptabel. Sind Letztere per Definitionem doch dazu da,
das Top-Management mit Blick auf die Befriedigung der Aktionärsinteressen zu
kontrollieren. Doch genau diese gesetzlich vorgeschriebene Position treibt die
Auditoren in Loyalitätskonflikte, wie die nachstehende Aussage eines Prüfers
verdeutlicht:
„... as an auditor I should be saying [I represent] 100 per cent the shareholder but
this is a sort of formal or legalistic answer. But this does not really reflect my
sentiment – more frankly with my background I should say employees are a very
important part because having been in charge of human resources management
throughout so many years, so with a small voice I would say employees are always in
my mind, but probably I could not say this outright in front of the shareholder”
(Interview zit. nach Learmount 2002, 138).
Liegen die Arbeitnehmerinteressen auch mitunter über denen der Aktionäre, so dient
dies laut Takeshi (2001) nur dem Ziel: die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu
sichern und die Unternehmensgemeinschaft als Ganzes weiterzuentwickeln. Diese
Verpflichtung dem Unternehmen und seiner Gemeinschaft gegenüber ist mit der Rolle
eines Verwesers von Partikularinteressen – und seien es die der Aktionäre –
unvereinbar. Insbesondere das Senior Management sieht sich daher in der Pflicht, die
Interessen der unterschiedlichen Stakeholder so abzustimmen und auszugleichen, dass
die Persistenz des Unternehmens gewahrt bleibt. Diese Form der Steuerung basiert,
wie bereits an anderer Stelle betont, „on interpersonal responsibilities, reciprocal
obligations and trust, and which depends on the close involvement of both employees
and committed outside parties in the affairs of the company as a whole“ (Learmount
2002, 139).
In dieser Mediationsfunktion kommt dem Senior Management eine tragende Rolle
im japanischen Corporate-Governance-System zu. Indem diese untereinander im
permanenten und engen Austausch stehen, entwickeln sich nicht nur Formen sozialer
Kontrolle, die utilitaristisches Verhalten erschweren (Aoki 1990; Schaede 1994).
Wichtiger noch erscheint die Möglichkeit, auf diesem Wege ein Gefühl reziproker
Verpflichtung und Verantwortung im organisationsinternen Kollegenkreis zu
evozieren. Nirgendwo wird diese Doppelreferentialität von Vertrauen und Kontrolle
deutlicher als in dem jomukai, dem inneren Führungszirkel japanischer Unternehmen.
Die beteiligten Senior Manager sind sich einerseits aufgrund langer gemeinsamer
Unternehmenszugehörigkeit vertrauensvoll verbunden. Andererseits implizieren
häufige Interaktionen und enge Abstimmungsnotwendigkeiten soziale Kontrolle.
Jenseits jeglicher Zeremonie gelten hier ausgeprägte Formen der Verhaltenskontrolle,
die selbst die Machtfülle und Autonomie des Präsidenten beschränken.

178
„One thing I must point out is that looking from outside the president looks like a
dictator, but on the contrary, this jomu-kai is the real decision-making body, and the
president really just chairs this group and does not really have the power to overcome
their decision. In other words the unanimous decision of this group really is the
decision of the company. As a formality then the board approves the decisions which
are presented to it” (Interview zit. nach Learmount 2002, 140).
Die starke Verpflichtung, die Senior Manager gegenüber den Beschäftigten im
allgemeinen und den Mitgliedern ihrer Bezugsgruppe im besonderen verspüren,
beschränkt sich nicht nur auf die berufstätigen Akteure. Im Gegenzug für ihr
langjähriges Firmenengagement fühlen sich die Senior Manager auch den
Ruheständlern verpflichtet und achten deren Unterstützung in Krisensituationen. Zwar
verfügen die ehemaligen Manager über keine formale Machtposition. Infolge ihrer
Lebensleistung für das Unternehmen als Ganzes erwachsen den ehemaligen Managern
aber moralische Druckpotentiale, die sie bei Bedarf gegenüber dem aktuellen
Unternehmensmanagement geltend machen können (Schaede 1994). Aus dem
komplexen System wechselseitiger Pflichten und Verantwortlichkeiten, das dem
einzelnen Top-Manager mit seinen aktuellen und ehemaligen Kollegen sowie den
übrigen Beschäftigen verbindet, erwächst für jeden der Beteiligten die Verpflichtung,
primär auf die langfristigen Interessen der Unternehmung als Ganzes zu fokussieren.
So zentral die Senior Manager für die interne Unternehmenssteuerung sind, so
wichtig sind sie für die Steuerung und Koordination der japanischen
Unternehmensgruppen. „While group interaction takes place at many levels,
undoubtedly the most prominent of these meetings are the presidents’ councils that
bring together the chief executive officers from the group’s nucleus companies”
(Gerlach 1992, 105). Diese in Japan als shacho-kai bekannte Präsidententreffen sind
ein informeller Rat, dessen Teilnehmerkreis auf wenige Kernmitglieder begrenzt ist.
Praktisch handelt es sich hierbei weniger um eine Kommandozentrale, die das Handeln
und die Politik der einzelnen Unternehmen bestimmt. Das Präsidententreffen ist
vielmehr ein Diskussionsforum, bei dem Themen, die von allseitigem Interesse sind,
erörtert werden (Lincoln/Gerlach/Takahashi 1992). Laut Gerlach (1992) wird dort
gleichzeitig
z eine Gruppenidentität etabliert, die unternehmensübergreifende Beziehung
unterstrichen und ein Gefühl der Gemeinsamkeit eingeführt,
z ein Forum für die Verhandlung übergreifender Themen kreiert, Unterstützung
für ein in Schwierigkeiten geratenes Unternehmen organisiert, Konflikte unter
den Gruppenmitgliedern gelöst oder abweichendes Verhalten geahndet
z und das Image eines mächtigen und prestigeträchtigen Kollektives fokussiert
und so die Position der Unternehmensgruppe in der Branche gestärkt.
Wie bereits mehrfach betont, so handelt es sich bei dem interorganisationalen
Beziehungsnetzwerk nicht um eine Form wechselseitiger Überwachung im
ökonomischen Sinne. Es ist vielmehr ein emergierendes Sozial- und Moralsystem, das

179
von Kollegen unterschiedlicher Unternehmen getragen wird, die in einem
eschergleichen Band aus reziproken Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten
verwoben sind (Gerlach 1992; Learmount 2002). Gekennzeichnet von einer
Atmosphäre der Kameradschaft ist die shacho-kai ein beredtes Beispiel für die
rekursive Verschleifung von Handlungsmotiven und Institutionen und somit letztlich
für die Endogenisierung von Präferenzen im Sinne von Polanyi oder Bowles.

3.4.2. Das britische Corporate-Governance-System

Ein kurzer Blick auf die akademische Diskussion zum Thema Corporate Governance
genügt, um zu konstatieren: „The overwhelmingly dominant theoretical perspective
applied in corporate governance studies is agency theory“ (Daily/Dalton/Cannella
2003, 371). Wie Daily, Dalton und Canella (2003) weiter ausführen, wirkt sich diese
Dominanz unmittelbar auf die Unternehmenspraxis aus. „As with scholarly research,
agency theoretic principles also dominate corporate practice“ (Daily/Dalton/Cannella
2003, 373). Da hier eine Wettbewerbssituation zwischen den Unternehmen unterstellt
wird, ist jedes Unternehmen stets bemüht, die effizienteste Organisationslösung für das
angenommene Agency-Problem zu finden. Internationalisierung stellt sich somit als
steigender Wettbewerb um die besten Praktiken, „thereby leading to a convergence on
the Anglo-American model“ (Aguilera/Jackson 2003, 461). Seine Überlegenheit speist
sich nach Ansicht der Institutionenökonomen aus der Fokussierung auf die Interessen
der Eigenkapitalgeber. Mit Blick auf das britische Governance System wird nun der
Frage nachgegangen, woher diese Aktionärsorientierung rührt und welche
konzeptionellen Auswirkungen diese hat.

3.4.2.1. Geschichte und Strukturelemente

Das erste Land, das weltweit in großem Stil industrielle Produktion einführte,
Außenhandel betrieb und große Kapitalgesellschaften gründete, war Großbritannien.
1553 gilt als das Gründungsjahr der ersten Aktiengesellschaft. Seit Mitte des 19.
Jahrhunderts konnten Gesellschaften mit beschränkter Haftung geschaffen werden.
Um Missbrauch und Betrug vorzubeugen, wurde der Aktienhandel erstmalig 1697
gesetzlich reguliert und hat sich seitdem permanent weiterentwickelt. Traditionell
zeichnet sich die Gesetzeslage zur Corporate Governance durch ihren geringen
Detaillierungsgrad aus. Dem Vorteil großer Flexibilität steht der Nachteil großer
managerieller Gestaltungsfreiheit gegenüber (Witt 2003).
Mit Bezug auf Charkham (1994) streicht Witt (2003) folgende kulturellen
Besonderheiten für das britische Corporate-Governance-System heraus:
z Finanzunternehmen sind in Großbritannien deutlich angesehener als
Industriebetriebe und haben in Folge dessen einen gut entwickelten
Bankensektor und Kapitalmarkt.

180
z Kooperationen, Nebenabreden oder Gremienentscheidungen wird in
Großbritannien generell misstraut, da die Bevölkerung als Motiv solcher
Verhaltensweisen Opportunismus vermutet.
z Status ist in Großbritannien historisch an vererbten Landbesitz gekoppelt. Da
dieser für die breite Masse nicht erreichbar war, haben die Briten eine Präferenz
für das Wetten und den schnellen Gewinn entwickelt, die auch im Verhalten der
Investoren auf Aktienmärkten virulent wird.
z Eine lange Kapitalmarkttradition und ein unabhängig vom römischen Recht
entwickeltes Wirtschaftsrecht sind Großbritanniens ganzer Stolz. Zu
beobachten ist daher eine tendenzielle Abschottung des britischen Corporate-
Governance-Systems von ausländischen Einflüssen.
In jüngerer Zeit sind für die Entwicklung des britischen Corporate-Governance-
Systems primär die Empfehlungen des sogenannten Cadbury-Commitee als relevant
einzustufen. Als Reaktion auf wachsende Kritik an der Rechnungslegung und den
Kontrollmöglichkeiten der Abschlussprüfer wurde dieses nach ihrem Vorsitzenden Sir
Adrian Cadbury benannte Komitee 1991 ins Leben gerufen. In den Folgejahren sind
die Unternehmen den Empfehlungen des Komitees weitgehend gefolgt. Auch im
Ausland trafen diese Empfehlungen auf großes Interesse (Pye 2001; Witt 2003).
„Das britische Corporate Governance System ist eindeutig markt- und
aktionärsorientiert“ (Witt 2003, 92). Primäre Zielsetzung der meisten britischen
Kapitalgesellschaften ist die Maximierung des Shareholder Value. Die Interessen aller
anderen Stakeholder – seien es Mitarbeiter, Kunden, Kreditgeber oder Lieferanten –
haben im britischen Corporate-Governance-System keine oder höchstens eine
marginale Bedeutung. So macht etwa Cadbury (1997) deutlich, dass Stakeholding
Gegenstand der Politik und nicht der Wirtschaft sei.
Die Leitung der Kapitalgesellschaften obliegt dem Board. Je nach Unternehmens-
größe variiert die Anzahl der Mitglieder durchschnittlich zwischen 10 und 16
Mitgliedern. Im Board hält der Chief Executive Officer (CEO) die höchste Position in
der Unternehmensleitung inne. Ähnlich wie in den USA dominiert in britischen
Unternehmen der direktoriale Führungsstil. Der CEO steht dem gesamten Manage-
ment vor. Er wird vom Board gewählt und kann auch von diesem abberufen werden
(Witt 2003).
Die boardinterne Kontrolle der Unternehmensleitung wird zumeist in monatlichen
Sitzungen von den „Non-Executive Directors“ (NEDs) wahrgenommen (Pye 2001).
Das Cadbury-Komitee empfahl in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines Audit
Committee für börsennotierte Unternehmen. Dieser dreiköpfige Boardausschuss sollte
sich nur aus NEDs zusammensetzen. Im Zuge der weitgehenden Akzeptanz der
Cadbury-Empfehlungen, haben alle betroffenen Unternehmen heute mindestens drei
NEDs im Board. Die NEDs stehen häufig in geschäftlicher Beziehung mit dem
Unternehmen und werden dem Gesetz nach von den Aktionären eingesetzt. Realiter
werden sie – wie alle anderen neuen Mitglieder auch – jedoch vom Board selbst

181
vorgeschlagen und von der Hauptversammlung nur noch formell ernannt. Dem Board
steht in den meisten britischen Unternehmen der Chairman vor. Nahm früher – ähnlich
wie in den USA – der CEO diese Position in Personalunion wahr, so setzte sich nicht
zuletzt aufgrund einer Empfehlung des Cadbury-Komitees weitgehend eine Trennung
der beiden Funktionen durch. Heute haben über 80 % aller Unternehmen die Trennung
zwischen Unternehmensleitung und Kontrolle der Unternehmensleitung in der
skizzierten Weise vollzogen (Pettigrew/McNulty 1995; Witt 2003).
Ganz im Sinne eines Outsider-Control-Systems (Aguileria/Jackson 2003) kommt in
Großbritannien insbesondere den Kapitalmärkten eine wichtige Kontrollfunktion zu.
Ebenso wie der Aktienmarkt ist auch der Markt für Unternehmensübernahmen sehr
aktiv. Feindliche Übernahmen fanden primär in den 70er und 80er Jahren statt: Dies
hat sich jedoch insofern nicht signifikant auf das britische Corporate Governance
System ausgewirkt, als der Markt für feindliche Übernahmen kaum mit Anti-
Takeover-Gesetzen beschränkt wurde (Witt 2003).
Eine große Rolle spielt im kapitalmarktorientierten Corporate-Governance-System
Großbritanniens auch die anreizorientierte Vergütung. Neben einem Base Pay, das aus
einem Grundgehalt nebst möglichen Zusatzhonoraren und Boni besteht, werden den
Führungskräften üblicherweise zusätzlich Additional Benefits in Form von
Pensionsplänen oder Sondervergütungen sowie Executive Share Options gewährt. Da
die britischen Aktienoptionspläne frühestens drei Jahre nach Vergabe der Optionen
beginnen und 10 Jahre danach enden, wird die Vergütung der Führungskräfte direkt an
die Entwicklung des Shareholder Value gekoppelt (Witt 2003).
Nirgendwo wird die Fokussierung der Unternehmenssteuerung auf die
Eigenkapitalrendite deutlicher als im Verhältnis zwischen Investoren und dem Top-
Management. „We have absolute rights to question whether the board’s strategy,
management or capital structure is right and if we’re not satisfied with, then we can ...
change the management“ (Interview mit Investment Manager zit. nach Pye 2001, 189).
Dieser Machtanspruch rührt nicht zuletzt aus der Anteilsstreuung britischer
Kapitalgesellschaften. Zwar sind Aktien als Anlageform bei Privatpersonen weit
verbreitet, die Mehrheit der Anteile konzentriert sich gleichwohl in den Händen
institutioneller Anleger wie etwa Investments-, Pensions- oder Versicherungsfonds.
Die beiden Letztgenannten halten Witt (2003) zufolge über fast 50 % der Aktien
großer britischer Unternehmen. Diese Anteilsverteilung erlaubt es institutionellen
Investoren, auf formellem und informellen Wege „to shake up ’sleepy management’ in
order to realise potential value they have identified“ (Pye 2001, 189). Diese Interaktion
zwischen institutionellen Investoren und dem angestellten Unternehmensmanagement
findet ihre organisatorische Reflexion im Unternehmensboard, das im Folgenden näher
betrachtet wird.

182
3.4.2.2. Das Unternehmensboard zwischen Kollaboration und Kooperation

Das Board of Directors ist in institutionenökonomischer Perspektive „the apex of the


firm’s decision control system“ (Fama/Jensen 1983, 111). Mit Blick auf die
Wertverteilung besteht seine vornehmste Aufgabe darin, die Interessen der
Anteilseigner bei der Ressourcenallokation zu wahren, indem es auf diesbezügliche
Entscheidungen des Unternehmensmanagements steuernd und kontrollierend einwirkt.
Die formale Unabhängigkeit der Outside Directors vom Top-Management bzw. die
Rollentrennung von Chairman und CEO erweist sich nicht nur modelltheoretisch als
Königsweg zu einer im Sinne der Investoren besseren Managementleistung. Auch
empirisch wird wiederholt auf den positiven Einfluss hingewiesen, den externe
Direktoren in ihrer Rolle als autonome Kontrolleure auf die Leistungsfähigkeit des
Boards haben. So haben Johnson, Hoskisson und Hitt (1993) sowie Judge und
Zeithaml (1992) den Einfluss untersucht, den die Unabhängigkeit des Boards auf die
Beteiligung der Manager bei strategischen Entscheidungen hat. Die Autoren können
zeigen, dass eine höhere Anzahl von Outside Directors zu einer verstärkten
Beteiligung des gesamten Boards führt. Mit steigender Zahl der Outside Directors –
dies ist das Ergebnis der Studien – hat sich die Beteiligung der Inside Directors bei
strategischen Entscheidungen insgesamt erhöht, da das Überwachungs- und
Kontrollniveau zunimmt.
Scheint also eine erhöhte Leistungsbereitschaft des angestellten Managements
zunächst für ein höheres Kontrollniveau auf Boardebene zu sprechen, so gibt es auch
Stimmen, die dieser Kausalität widersprechen. Denn nur den Anteilseignern in
Loyalität und Treuepflicht verbunden (Monks/Minow 1995), ist die Beziehung
zwischen externen Direktoren und Unternehmensmanagement häufig durch die
wechselseitige Unterstellung nutzenmaximierenden Verhaltens gekennzeichnet
(Roberts 2001). Hierdurch wird nicht nur der Keim für wechselseitiges Misstrauen
innerhalb des Boards gelegt. Im ungünstigen Falle entspinnt sich hieraus ein
Teufelskreis von Kontrolle und Gegenkontrolle zwischen Management und externen
Direktoren (Daudi 1986). Diese begründeten Mutmaßungen schrecken jedoch die
herrschende Lehre der Institutionenökonomie ebenso wenig wie empirische
Evidenzen. Mögen Gulati und Westphal (1999, 477) auch auf empirischem Wege
herausarbeiten, dass „Independent board control over management may actually
produce a negative relationship between the CEO and the board characterised by a
lack of mutual understanding and distrust“, so lassen solche Forschungsergebnisse die
herrschende Lehre in ihrem Steuerungsverständnis unbeeindruckt. Aus
institutionenökonomischer Perspektive werden solche selbstverstärkenden Effekte
vielmehr als Schwächen interner Kontrollprozesse gewertet und bilden ein wohlfeiles
Argument für die Intensivierung externer Kontrolle (Morck/Shleifer/Vishny 1989).
Mit Blick auf die Wertverteilung haftet einer zu intensiven Arbeitsbeziehung
zwischen externen Direktoren und Unternehmensmanagern schnell der Beigeschmack
unerlaubter Kollaboration an. Mögen diese auch formal unabhängig vom Top-

183
Management sein, so beeinflussen doch starke soziale und psychologische Faktoren
die Bereitschaft und das Vermögen, die Leistung des Managements objektiv zu
kontrollieren. So nutzen etwa CEOs ihren Einfluss bei der Direktorenwahl aus, um das
Board passiv zu halten, indem sie bei der Ernennung enge Freunde oder ihnen sonst
wie verbundene Personen favorisieren (Kimberly/Zajac 1988; Johnson/Hoskission/Hitt
1993). Weiterhin haben Forscher festgestellt, dass soziale Verbindungen durch die
Ernennung selbst entstehen. Eine Ernennung verleiht ebenso Prestige und Status wie
finanzielle Einkünfte und Vergünstigungen. Wade, O’Reilly und Chandratat (1990)
machen in diesem Zusammenhang auf die fatalen Auswirkungen der
Reziprozitätsnorm aufmerksam. „While not possessing formal power over the board,
the CEO may be able to exert what social psychologists refer to as ’social influence’
(Cialdini 1984), relying on norms of reciprocity” (Wade/O’Reilly/Chandratat 1990,
587). Mit der Länge der Vertragsdauer eines CEOs – so Wade, O’Reilly und
Chandratat (1990, 601) – steigt die Wahrscheinlichkeit, „to have appointed other board
members who may then feel a reciprocal obligation“. Insgesamt wird deutlich, dass
viele Forscher die CEO-Board-Beziehung kritisch hinterfragen. Persönliche
Beziehungen und wechselseitige Verpflichtungen zwischen Managern und Direktoren
beeinflussen die Fähigkeit des Boards zur Kontrolle und Beobachtung des
manageriellen Entscheidungsprozesses negativ.
Erscheint ein solches Verhalten bei der Verteilung von Erträgen als tatsächlich
problematisch, so ändert sich die Bewertung kooperativen Verhaltens im Kontext der
Wertbildung deutlich. Begreift man Letzteres als innovationsgetriebenen Prozess, der
komplex, kollektiv und unsicher ist (O’Sullivan 2000, 2005) so geraten die
unternehmensstrategischen Aufgabenkomponenten stärker in den Analysefokus.
Westphal (1999) mit Bezug auf Pfeffer und Salancik (1978) unterscheidet daher
zwischen zwei Funktionen, die Outside Directors in dem Unternehmensboard
einnehmen können. Einerseits können sie beaufsichtigend und kontrollierend agieren.
Die Outside Directors können andererseits aber auch fachliche Unterstützung bei der
Strategiebildung geben, indem sie beratend tätig werden. Mit Blick auf die zweite
Funktion revidiert Westphal (1999) die institutionenökonomische Kritik an einer
„kollaborativen“ Zusammenarbeit zwischen Kontrollierendem und Kontrolliertem. Er
(Westphal 1999) kommt in seiner quantitativen Untersuchung über den Einfluss von
sozialen Bindungen zwischen CEO und externen Direktoren auf das Verhalten und die
Leistung US-amerikanischer Unternehmensboards zu folgenden Ergebnissen:
z Soziale Bindungen reduzieren nicht nur das Kontrollniveau im
Unternehmensboard, so können sich auch besser die externen Direktoren mit
Rat und Unterstützung in Strategiefragen einbringen.
z Soziale Bindungen fördern weniger eine passive Rolle des Boards. Sie erhöhen
vielmehr das Arbeitsengagement des Boards insgesamt, indem sie zur
Kollaboration zwischen Top Managern und Externen Direktoren in strate-
gischen Entscheidungsprozessen anregen.

184
z CEOs gehen die sozialen und professionellen Risiken, die aus der Nachfrage
nach Unterstützung resultieren, eher ein, wenn sie sich auf die Loyalität des
Boards verlassen können.
z Das im Zuge freundschaftlicher Beziehungen gestiegene interpersonelle
Vertrauen erhöht die aufgabenbezogene Kommunikation und wechselseitige
Unterstützung auf Boardebene.
z Langfristig orientierte Vergütungssysteme befördern den positiven Konnex
zwischen sozialen Bindungen und Boardunterstützung.
z Boards tragen nicht nur in ihrer Funktion als unabhängige Evaluatoren zur
Unternehmensstrategie bei. Im Rahmen des Prozesses der Strategiebildung
dienen sie zudem als „sounding board“ für die Top-Manager.
Mit seinen Untersuchungsergebnissen macht Westphal (1999) deutlich, dass die
negative Konnotation von sozialen Bindungen auf Boardebene diskussionswürdig ist.
Die Argumentation von Fama und Jensen (1983), der zufolge intensive Beziehungen
zwischen Top-Managern und Externen Direktoren zu illegitimen Kollaborationen
führen und so die Effizienz von Corporate-Governance-Systemen untergraben, greift
zu kurz. „Rather than impairing corporate governance by reducing the vigilance of
board monitoring, social ties can ultimately contribute to board effectiveness and firm
performance by fostering collaboration between CEOs and directors in the strategy-
making process without reducing board control” (Westphal 1999, 19).
Mit seiner empirischen Untersuchung gelingt es Westphal (1999) zweifellos, die
Debatte über die Funktionsweise des Boards of Directors als ein Kernelement von
Corporate-Governance-Systemen zu entideologisieren. Jenseits der institutionen-
ökonomischen Fokussierung auf Kontrolle und Überwachung wird hier verstärkt auf
das Unternehmensboard als strategiebildendender Arbeitszusammenhang
(Forbes/Milliken 1999; Pye 2001) fokussiert, der über die organisationale
Ressourcenentwicklung und –nutzung zu befinden hat. Angesichts der quantitativen
Forschungsmethodologie kommt jedoch Westphal (1999) nicht umhin, die sozialen
Beziehungen und deren Funktionsweise über Proxyindikatoren wie etwa Freundschaft
und Berufung durch den CEO zu erheben. Gleichwohl gibt es eine Reihe qualitativer
Studien (Pettigrew/McNulty 1995; McNulty/Pettigrew 1999; Roberts/Stiles 1999; Pye
2001), die Westphals (1999) Untersuchungsergebnisse untermauern und die soziale
Dynamik von Unternehmensboards in den Blick nehmen.

3.4.2.2.1. Die Beziehung zwischen CEO und Chairman

Ähnlich Westphal (1999), der in seiner Modellbildung auf die Folgen von Vertrauen
und Misstrauen zwischen den Managern und den NEDs fokussiert, arbeiten Roberts
und Stiles (1999) in ihrer qualitativen Untersuchung über die Beziehungen zwischen
Chairman und CEO die unterschiedlichen Trajektorien von „kompetitiven“ und
„komplementären“ Beziehungen heraus. Die Trennung der beiden Funktionen wird in
Großbritannien mit der Begrenzung managerieller Macht und der Steigerung nicht-

185
exekutiver Unabhängigkeit gerechtfertigt (Roberts 2001)80. In Übereinstimmung mit
der Agency-Theorie wird hierbei ganz auf die Logik des „Check and Balance“ gesetzt.
Roberts und Stiles (1999) haben nun in ihrer Untersuchung die Folgen einer solchen
Steuerungslogik für die Zusammenarbeit und die Beziehung zwischen Chairman und
CEO in den Blick genommen.
Mit Blick auf die oben genannte Funktionstrennung hat sich in der britischen
Unternehmenspraxis eine entsprechende Arbeitsteilung etabliert: Der Chairman leitet
das Board, und der CEO leitet das Unternehmen (Roberts/Stiles 1999). Einher mit
dieser Arbeitsteilung geht unhinterfragt die Verteilung der Zuständigkeiten. Während
der CEO die Implementation der Unternehmensstrategie verantwortet, ist der
Chairman für die Zusammensetzung und das Verhalten des Boards und seiner
relevanten Komitees zuständig. „The apparent simplicity and conciseness of this
division of responsibilities is recognised by most however to be somewhat illusory”
(Roberts/Stiles 1999, 39). Die skizzierte Teilung bleibt zwangsläufig unvollständig, da
sie eine Fülle von Arbeitsbereichen mit überlappender Verantwortlichkeiten auslässt.
Ein zentraler Arbeitsbereich ist hierbei die Strategiebildung. Je nach Unternehmen
sind die CEOs der Geschäftsbereiche in unterschiedlicher Weise für die
Strategiebildung innerhalb ihrer Organisationseinheit zuständig. Der CEO nimmt
somit gegenüber seinem Leitungsteam die Rolle eines Chairmans ein. Mit Blick auf
die Unternehmensstrategie kommt es also unvermeidlich zu einer geteilten
Verantwortlichkeit von Managern und NEDs. Überschneidungen der Verantwortlich-
keiten gibt es auch bei der Vertretung des Unternehmens nach außen. Unterstellt man,
dass das Board den Anteilseignern verantwortlich ist und der Chairman dieses leitet,
so steht Letzterer zwangsläufig formal in der Berichtspflicht gegenüber den
Anteilseignern. Jenseits formaler Bestimmungen machen Roberts und Stiles (1999)
jedoch deutlich, dass die personelle Konstellation in der Beziehung zu den
institutionellen Investoren und den Analysten stark variiert. So gibt es die Situation,
dass CEO, Chief Finance Officer (CFO) und Chairman die Verantwortung aufteilen.
In anderen Fällen wird dem CEO und dem CFO die Verantwortung größtenteils
einfach übertragen. Mitunter beharrt der Chairman geradezu auf seiner Dominanz bei
der Wahrnehmung wichtiger Außenkontakte.
Probleminduzierend erscheint nicht nur die unklare Verteilung der
Verantwortlichkeiten. Als deutlich konfliktträchtiger können sich die Spannungen und
Kontroversen erweisen, die sich aus der ambiguitiven Rollen- und Funktions-
konstellation ergeben. Ein programmatisches Konzept, das auf eine ideale
Beziehungskonfiguration zwischen Chairman und CEO zielt, erscheint daher
unrealistisch. Erfolgskritisch erscheint vielmehr die Beantwortung der Frage, wie die
beiden Individuen ihre Beziehung etablieren und entwickeln. Im Zentrum steht mithin

80
Diese Funktionstrennung wird aus dem genannten Grund auch von Jensen (1997) für das US-amerikanische
Governance System gefordert.

186
das effektive Management eines heiklen relationalen Prozesses, bei dem wechsel-
seitiges Vertrauen und Respektieren konstitutiv sind.
„The relationship is absolutely crucial. The chemistry has to be right, by that I mean
you’ve got to trust each other, you’ve got to have the confidence in each other. It
actually helps to secure all that if you like each other. Liking doesn’t come in quite the
same category as trust. But it is quite difficult to have trust and confidence in
somebody you don’t like” (Roberts/Stiles 1999, 40).
Ob die Chemie stimmt, man dem Gegenüber vertraut oder sich gegenseitig
respektiert, ist keine Frage spontaner Entstehung. Diese relationalen Qualitäten sind
vielmehr die Bedingungen und Konsequenzen reziproken Verhaltens von Chairman
und CEO. Wie in jeder Beziehung, so starteten auch CEO und Chairman mit
wechselseitigen Vorstellungen über die eigenen Ziele, die Ziele des Gegenübers und
die richtige Arbeits- und Vorgehensweise. Sind diese zumeist auch ungeprüft und
tazit, so bestimmen diese Vorstellungen doch das individuelle Verhalten. Oft sind sie
die Projektionen der eigenen Interessen auf das Gegenüber. Als solche können sie
leicht selbsterfüllend werden. Angesichts offener Rollen- und Machtkonstellation
zwischen Chairman und CEO sind wechselseitige Unterstellungen über das Interesse
des Gegenübers an Autonomie und Dominanz virulent. Ob diese einen konstruktiven
oder destruktiven Verlauf nimmt, hängt mithin stark von der anfänglichen
Interaktionsdynamik ab.
Erfolgskritisch für einen konstruktiven Beziehungsverlauf ist mithin die Bereitschaft
anzuerkennen, „that the other’s confidence will be enhanced through the provision of
detailed information and an attitude of complete openness towards the other“
(Roberts/Stiles 1999, 42). Während der Chairman sich der Notwendigkeit einer
Unterstützung für den CEO bewusst sein muss, sollte der CEO seinerseits bereit sein,
diese auch nachzufragen und anzunehmen. Sofern beide Akteure explizit die
Rolleninterdependenzen wahrnehmen, sie bereit sind, den Bedarf des anderen zu
erkennen und flexibel darauf zu reagieren und den Wert des Gegenübers für die eigene
Personen wechselseitig zu goutieren, prosperiert die Beziehung. Insbesondere für den
Chairman bedeutet dies, „to take pleasure not in your own but in others’
accomplishments“ (Roberts/Stiles 1999, 45). Dies ist jedoch für die Chairmen häufig
nicht einfach. Vormals häufig selbst in der Position des CEOs mit all ihrer Machtfülle
und öffentlichen Aufmerksamkeit gewesen, bedeutet die neue Position für den
Chairman aus einer handelnden in eine unterstützende Funktion zu wechseln. Diese
Problematik macht ein Chairman wie folgt deutlich:
„Like in marriages it’s the little things, not the big things – ’Well I always used to do
it this way’. And if it works well it’s like having a son. You really want them to do
well but when they beat you, you are not quite sure if you like it. It’s a real frustration
in terms of that. Because you have chosen it, you want them to do really well, but
when they do, there’s thought that maybe they are doing too well” (Interview zit. nach
Roberts/Stiles 1999, 45).

187
Nimmt jedoch – wie in dem Beispiel verdeutlicht – der Chairman seine neue Rolle
an und honoriert der CEO im Gegenzug die angebotene Unterstützung mit einer
entsprechenden Akzeptanz, so bildet sich eine professionelle und persönliche
Komplementarität aus, von der beide enorm profitieren. Diese Komplementarität
können sowohl Fähigkeiten und Erfahrungen betreffen als auch etwas subtiler
Interessen, Temperamente und Instinkte. In letzter Konsequenz fühlt sich jeder vom
anderen bestärkt und unterstützt und ist daher fähig, den Wert des Anderen für sich
anzuerkennen.
Werden in erfolgreichen Beziehungen inhärente Spannungen generell überwunden,
so können sie in einer entstehenden Beziehung auch zu einer Sollbruchstelle werden.
Deutlich wird dies insbesondere in solchen Fällen, wo die anfänglichen
Unterstellungen über die Wünsche und Motive des Anderen niemals überprüft oder
infragegestellt wurden. Ab einem bestimmten Punkt können diese Annahmen nicht
mehr offen diskutiert werden und werden so untergründig zu einem Quell permanenter
Missverständnisse und Irritationen. Ohne wechselseitiges Verständnis kann jedoch das
Verhalten und die zugrundeliegenden Motive fehlinterpretiert werden.
„It more sensitivities of should I be involved in this, shouldn’t we be involved, but
because we were both very honest, that period of sensitivity lasted about three months
in terms of just not upsetting each other, and it was fine because if anything had been
forgotten it was more cock-up than conspiracy“ (Interview zit. nach Roberts/Stiles
1999, 42).
Die in dem Interview deutlich gewordene Angst des Chairman, von seinem CEO
absichtlich ausgebootet zu werden, kann leicht ein Eigenleben führen. Unverfängliche
Gespräche zwischen dem Gegenüber und einem Kollegen werden mit dem Ergebnis
als konspirativ gedeutet, dass sie letztlich auch dazu werden. In der individuellen
Vorstellung bildet sich so ein Schreckensszenario, in dem die eignen Ängste und
Unterstellungen auf den unbekannten Anderen projeziert werden. Angesichts der so
entstandenen Angst, des Misstrauens oder der Verzweiflung weichen die Akteure vor
den Problemen der Beziehung zurück und verstecken sich hinter einer Fassade der
Freundlichkeit. Letztere verhüllt kaum das wechselseitige Misstrauen und lässt beide
Personen mit einem Gefühl der Isolation zurück.
Ob sich die Beziehung zwischen Chairman und CEO in eine konstruktive oder
destruktive Richtung entwickelt, wirkt sich nicht nur auf die Persönlichkeiten und
deren individuelle Arbeitsleitung aus. Die Beziehung strahlt auch stark in die gesamte
Organisation aus. „In other words, the chairman/chief executive relationship is pivotal
in the wider network of organisational relationships“ (Roberts/Stiles 1999, 47).
Insbesondere die Arbeits- und Beziehungskultur im Unternehmensboard hängt stark
von diesen beiden Akteuren ab. Welche Ausprägungen diese Boardkultur annehmen
kann und welche Rolle der Chairman bzw. der CEO hierbei spielen kann, zeigt das
folgende Kapitel.

188
3.4.2.2.2. Boardkultur und Strategiegenese

Pettigrew und McNulty fokussieren (1995) in ihrer qualitativen Untersuchung über


Macht und Einfluß von non-executive Directors in britischen Industrie- und
Handelsunternehmen auf den kooperativen Charakter von Arbeitsprozessen:
„...business should be conducted as far as possible through a smooth problem-solving
process and not through confrontation and fragmentation” (Pettigrew/McNulty 1995,
856). Mit Blick auf diesen kooperativen Arbeitszusammenhang unterscheiden
Pettigrew und McNulty (1995) zwischen einer minimalistischen und maximalistischen
Boardkultur.
Eine minimalistische Boardkultur zeichnet sich dadurch aus, „that a set of conditions
have been deliberately created to minimize the impact of part-time board members on
the direction of the firm“ (Pettigrew/McNulty 1995, 857). Solch eine Kultur resultiert
aus der Größe und Zusammensetzung des Boards, den Einstellungen einflussreicher
Protagonisten wie mächtiger Chairmen oder CEOs und den Interaktionsprozessen im
Board selbst. „They thought we were decorations to be admitted and entertained once
a month and told how good it was … a chairman has a lot of influence in making it
that way” (Interview zit. nach Pettigrew/McNulty 1995, 857). Oftmals rekrutiert aus
dem “old boy”-Netzwerk des CEOs oder Chairman, ist die Einstellungsvoraussetzung
der NEDs weniger formale Qualifikationen und persönliche Fähigkeiten als vielmehr
freundschaftliche Verbundenheit mit den manageriellen Entscheidungsträgern. Im
Sinne einer Entkoppelungstrategie (Meyer/Rowan 1977) sind die NEDs primär
strukturelle Reflektionen von institutionellen Erwartungen. Als solche sollen sie den
reibungslosen Ablauf managerieller Entscheidungs- und Arbeitsprozesse auf
symbolischer Ebene absichern.
Die Persistenz einer solche minimalistischen Boardkultur ist jedoch
voraussetzungsvoll. Unternehmenskrisen und -turbulenzen können ebenso zu einem
Wandel der Boardkultur führen wie die Zusammensetzung und Struktur des Boards
oder auch individuelle Verhaltensdispositionen. Kennzeichnend für eine
maximalistische Boardkultur ist „a high commitment and pro-active board where
power is more widely dispersed than in the minimalist board“ (Pettigrew/McNulty
1995, 858). Grundlegend ist auch hier der Einfluß und die Einstellung des CEOs und
des Chairman. Ermuntern sie etwa die NEDs, über ihre unternehmensexternen
Netzwerke Informationen zu beschaffen oder ihre Erfahrungen einzubringen, so
können diese zu akzeptierten Dialogpartnern im Board werden. Wie intensiv die
Zusammenarbeit zwischen Managern und NEDs ist, hängt nicht nur davon ab, was
Letztere einbringen können. Genauso wichtig ist, wie sie dieses tun. Öffentliche
Machtdemonstrationen oder Schuldzuschreibungen sind hier wenig zielführend.
Gefragt ist vielmehr Takt, Diplomatie und Respekt gegenüber Kollegen.
„One of the problems I think is that you will never know as a NED as much as a
competent chief executive about the business – and they can always explain to you
why this or that is not a good idea. You need a fair amount of tact so that you not raise

189
all of their defence mechanisms – so that they do not feel on trial.“ (Interview zit. nach
Pettigrew/McNulty 1995, 867).
Diese Boardkulturen haben nicht zuletzt auch gravierende Implikationen für die
Strategiebildung. Je nach Kulturausprägung unterscheidet sich das Beteiligungsniveau
der NEDs hieran. McNulty und Pettigrew (1999, 49) differenzieren zwischen drei
Niveaus: “taking strategic decisions”, „shaping strategic decision”, „shaping the
content, context and conduct of strategy”. Während sich alle NEDs an den eigentlichen
strategischen Entscheidungen auf den Boardsitzungen beteiligen, ist nur ein Teil der
befragten NEDs vorab in die Entwicklung von Unternehmensstrategien involviert.
Noch weniger NEDs arbeiten schließlich an den Rahmenbedingungen und Verfahren
mit, die bei der Entwicklung von Unternehmensstrategien virulent werden. Wie die
nachfolgende Darstellung verdeutlicht, implizieren die drei Beteiligungsniveaus je
spezifische Interaktionsmodi und Beziehungsintensitäten.
Die Abnahme strategischer Entscheidungen
Boards nehmen in strategischen Fragen die Rolle eines Entscheiders ein (Mintzberg
1987). Das Unternehmensmanagement bringt in das Board Investitionsanträge ein,
über deren Annahme, Ablehnung oder Überarbeitung die NEDs dann befinden.
Typischerweise handelt es sich hierbei um den Kauf eines Unternehmens, die Bildung
eines Joint Ventures, die Integration oder den Verkauf von Geschäftsbereichen.
Investitionsanträge können einerseits eine breitere Wachstums- und Diversifikations-
strategie widerspiegeln. Andererseits können sie auch Beleg für eine Konsolidierungs-
strategie sein, indem die Geschäftsfelder neu ausgerichtet und Kosten reduziert
werden. Unabhängig von der konkreten Zielsetzung des Antrags können die NEDs
ihren Einfluss nur am Ende des Entscheidungsprozesses geltend machen, indem sie
ablehnend, zustimmend oder zurückweisend entscheiden. Bezeichnend für dieses
Beteiligungsniveau ist die agencytheoretische Rollen- und Interessenkonfiguration.
Die NEDs nehmen die Rolle eines Kontrolleurs ein, der gemäß finanzwirtschaftlicher
Kriterien über die eingereichten Anträge befindet. Das Management versucht nun
seinerseits auf den Boardsitzungen eine Bewilligung ihrer avisierten Vorgehensweise
zu bekommen. Indem in den Boards nun strategische Entscheidungen getroffen
werden, hat es den Anschein, dass die NEDs den manageriellen Entscheidungs-
spielraum bis zu einem gewissen Grad kontrollieren können. Wie McNulty und
Pettigrew (1999) jedoch feststellen, liegt die Bewilligungsquote der Anträge bei über
90 %. „The rejection of proposals is rare when compared to the approval of capital
expenditure proposals“ (McNulty/Pettigrew 1999, 57). Die hohe Bewilligungsquote
weckt nun den begründeten Verdacht, dass die Boards primär das Vorgehen der
Manager absegnen. „Some boards may indeed perform the ritualistic function of
rubber-stamping executive action“ (McNulty/Pettigrew 1999, 57). Gleichwohl
unterstreichen die beiden Wissenschaftler, dass sich nicht alle Boards nur auf das
Abnicken von Investitionsprojekten beschränken. Zwar mag die hohe
Bewilligungsquote auf den ersten Blick für eine solche Form symbolischer Kontrolle

190
sprechen. Bei genauerer Analyse sagt sie jedoch weder viel über den Prozess der
Antragsgenese durch die Manager noch über die Entscheidungsfindung im Board
selbst aus. Mit Blick auf die Interaktions- und Aushandlungsprozesse, die der
eigentlichen Boardentscheidung vorausgehen, werden vielmehr mannigfaltige
Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten der NEDs deutlich.
Der Einfluß auf strategische Entscheidungen
Der Entscheidungsakt selbst ist der letzte Schritt in einem kontinuierlichen und sozial-
kontextualisierten Entscheidungsprozess. Auf diesem Weg wirken viele Einflüsse auf
die finale Entscheidungsbildung ein. Während „taking strategic decisions“ auf den
finalen Entscheidungsakt im Board fokussiert, nimmt die Beteiligungsform „shaping
strategic decisions“ das Verhalten der Manager und der NEDs vor der eigentlichen
Entscheidung in den Blick. McNulty und Pettigrew (1999) unterscheiden hier zwei
Beteiligungsformen von NEDs in der Präentscheidungsphase. Die Manager
konsultieren die NEDs zum einen im Rahmen der Entwicklung von
Investitionsanträgen. So unterbreiten die Manager entweder auf den Boardsitzungen
ausgewählten NEDs vorläufige Fassungen ihrer Anträge oder sie konfrontieren diese
mit ihren Antragskonzepten informell außerhalb der Boardsitzungen. Beide
Vorgehensweise dienen dem Test ihrer strategischen Vorstellungen auf ihre
Akzeptanz. Zum anderen antizipieren die Manager die Reaktion des Boards „and self-
regulate those proposals that finally go to the board for approval“ (McNulty/Pettigrew
1999, 59). Ohne direkten Kontakt mit den Managern beeinflussen die NEDs auf höchst
subtile Weise die Strategiebildung. Ein CEO beschreibt in diesem Zusammenhang die
Funktion des Boards in Analogie zu einem Sieb.
„... the fact that that sieve [the board] is there forces the consideration down the line
anyway. You do not put up silly propositions because you know the sieve is there.
They may get through if that sieve was not there … The sieve is working by being the
hurdle that has to be crossed…” (Interview zit. nach McNulty/Pettigrew [1999, 60]).
Im Unterschied zu einer agency-theoretischen Boardkonzeption, die bei jeder
Zusammenarbeit die Unabhängigkeit der NEDs in Gefahr sieht, sind Macht und
Einfluss boardintern und –extern realiter deutlich fluider und dynamischer, als dies
zunächst den Anschein hat. Sie eröffnen den NEDs bereits im Anfangsstadium der
Strategieentwicklung vielfältige Gestaltungsoptionen. Unterhalb der finalen
Zurückweisung von Investitionsanträgen haben die NEDs zahlreiche Möglichkeiten,
auf formellem und informellem Wege die Anträge frühzeitig zu evaluieren und ggf.
korrigierend darauf einzuwirken. Nicht nur Minimalismus (Pettigrew/McNulty 1995)
dominiert mithin das Verhalten in britischen Unternehmensboards. Gleichwohl ist die
Beteiligung der NEDs bei der inhaltlichen Gestaltung von Investitionsanträgen häufig
insofern beschränkt, als ihr Einfluss letztlich episodisch, stoßweise und reaktiv bleibt.
Die Manager binden die NEDs je nach Stand der Antragsentwicklung höchst selektiv
mit dem Ziel ein, die Annahmewahrscheinlichkeit zu erhöhen. Letztlich dient die

191
Einflussnahme auf den Prozess mehr dazu, die Entscheidungen der Manager zu prüfen
und zu steuern, als selbst Vorgänge anzustoßen. Oder wie ein CEO kommentiert:
„The non-executive director is there to ensure that something stupid is not being
done, for example, somebody pursuing a major investment which clearly does not
have a sensible financial return“ (Interview zit. nach McNulty/Pettigrew [1999, 61])
Die Gestaltung des Kontexts, des Inhalts und des Vorgehens im Rahmen von
Strategieprozessen
Laut Mintzberg und Waters (1990) ist es für ein tieferes Verständnis von strategischem
Verhalten unzureichend, nur auf den Entscheidungsprozess selbst zu fokussieren. In
den Blick zu nehmen sind vielmehr auch die Prozesse und Methodologien, die für die
Entstehung strategischer Ideen verantwortlich sind. Prozesse strategischer
Entscheidung, Veränderung und Steuerung sollten mit anderen Worten nicht von dem
Kontext abstrahiert werden, in dem sie virulent werden. Genau diese Ebene adressiert
das dritte Beteiligungsniveau. „Those part-time board members who have an
involvement in strategy that is deeper than taking and shaping strategic decisions have
been able to shape features of the context, conduct and content of strategy“
(McNulty/Pettigrew 1999, 62). Indem die NEDs den sozialen Kontext für die
Strategiebildung gestalten, beeinflussen sie die organisationsinternen Bedingungen für
den Strategiebildungsprozess. Mit Bezug auf Mintzberg (1987) unterscheiden
McNulty und Pettigrew (1999) zwischen deliberaten und emergenten Strategien.
Während Letztere, ohne bewusst intendiert zu sein, sich erst im Nachhinein als
konsistentes Handlungsmuster erweisen, sind Erstere Ergebnis wohl durchdachter
Planungen, die so durchgeführt werden, wie sie entworfen wurden (Mintzberg 1987;
Zimmer/Ortmann 2001). Gemäß der deliberaten Strategielogik versuchen die NEDs
sicherzustellen, dass die Unternehmensstrategie mehr auf einen manageriellen Entwurf
deduzierbar ist als auf die Multikausalität organisationaler Emergenz. Die NEDs
ermuntern das Management daher ausdrücklich zu strategischem Denken. Hierzu
kreieren sie inner- und außerhalb des Boards eine Klima, in dem strategisches Denken
als legitim und wertvoll wahrgenommen wird. Kennzeichnend hierfür ist offene und
dialogorientierte Kommunikationskultur, in der Strategien diskutiert und sogar
formuliert werden. So macht ein Chairman deutlich, dass er seine Position nutzt, um
auf Boardsitzungen den Strategiediskussionen mit den Managern ausreichend Zeit und
Raum einzuräumen.
„[the company] was run by a rather strong chief executive who had his own ideas
about strategy and he did not consult his non-execs. When I became chairman, I
insisted we had strategy conferences ... that had not happened before. They [the
executives] were forced to bring their ideas out and there is no doubt that strategy was
modified as a result. It was not overturned, but what happened was that we created an
environment in which the executives felt that they needed to tell more to the non-execs
and derive more help from the non-executive as a result. That was a change in the
environment.” (Interview zit. nach McNulty/Pettigrew 1999, 63).

192
Was bereits Westphal (1999) in seiner quantitativen Untersuchung andeutet sowie
Roberts und Stiles (1999) mit Blick auf die Chairman/CEO-Beziehung prononciert
herausarbeiteten, tritt in dem Interviewausschnitt deutlich zutage: Das reziproke Geben
und Nehmen als integraler Bestandteil einer maximalistischen Boardkultur. Dieser
normative Verpflichtungszusammenhang wird zum steuernden Moment der Arbeits-
praxis im Unternehmensboard. Ganz gleich, ob es sich um die operative Zusammen-
arbeit oder die Strategiebildung selbst handelt, alle Beteiligten sind in ihren
Handlungen dem Board als Ganzes gegenüber zuständig und somit zur Rechenschaft
verpflichtet. Um deren Einhaltung zu kontrollieren, setzen die NEDs nicht nur auf
formale Mechanismen wie Sitzungsprotokolle und Rechenschaftsberichte. Denn ein
hohes Beteiligungsniveau zeigt sich nicht zuletzt an den praktizierten Kontrollformen.
An die Stelle einer Ergebnissteuerung, die auf die finale Unternehmensstrategie
fokussiert, tritt eine Prozesssteuerung, die auf die wahrnehmungs- und verhaltens-
beeinflussende Kraft von Normensystemen setzt. Indem das Management bereits im
Anfangsstadium der Strategiebildung seine Intentionen offen mit den NEDs diskutiert
und ggf. auf Boardsitzungen rechtfertigen muss, lösen sich die formalisierten
Rollendispositive der Agencytheorie zugunsten eines „kollaborativen“ Arbeits- und
Interaktionszusammenhangs auf.

3.4.3. Rechenschaftspflicht, Moral und Corporate Governance – ein


Zwischenfazit

Was sich in den Ausführungen von Bowles (1998, 2005), Gintis und Romer (1998),
Polanyi (1978) oder Henrich (2000) bereits andeutete, wird im Zuge der Analyse
unterschiedlicher Corporate Governance Systeme offenkundig:
z Soziale Akteure handeln nach unterschiedlichen Motiven wie etwa Eigennutz,
Pflicht, Ehre oder Fairness.
z Diese Motive sind der Situation nicht exogen vorgegeben, sondern stehen mit
den Institutionen in einem koevolutionären Beziehungsverhältnis und sind
daher endogen konstituiert.
Betrachtet man die Konstitution der Handlungsmotive in japanischen und britischen
Corporate-Governance-Systemen, so scheinen sich auf den ersten Blick gravierende
Unterschiede aufzutun. Spielen doch bei den konkreten Ausprägungen von
Governance-Systemen historische und kulturspezifische Einflüsse eine wichtige Rolle
(Witt 2003, Aquilera/Jackson 2003). Während etwa die generelle Aversion der Briten
gegen Absprachen und Gremienentscheidungen (Witt 2003) für eine distanzierte, eher
von wechselseitigem Misstrauen geprägte Beziehung zwischen Management und
Eigentümern spricht (Pye 2001; Aquilera/Jackson 2003), werden die reziproken
Kapital- und Personalverflechtungen innerhalb von Unternehmensgruppen als
Ausweis der japanischen Konsens- und Vertrauenskultur gewertet (Powell 1996;
Hagan/Choe 1998; Witt 2003).

193
Die wechselseitigen Personal- und Kapitalverflechtungen in japanischen
Unternehmensgruppen sind letztlich ein Symbol enger Verbundenheit, die bis in
persönlichste Beziehungskonstellationen Eingang findet. „Shareholding does not carry
with a set of exclusive rights – of control, or disposal – but rather is an explicit
acknowledgement of reciprocal dependence and obligation built up in the course of
business relationships” (Learmount/Roberts 2002, 26). Ein Aktienverkauf aus
eigennützigen Motiven kommt einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gleich. Die
Rechte der Anteilseigner sind untrennbar mit einem ausgeprägten Verantwortungs-
gefühl für das Gegenüber verbunden. Wechselseitige Verantwortungen und
Verpflichtungen entstehen laut Learmount und Roberts (2002, 26) „without any
necessary reference to ’ownership’ in a contemporary western sense“. Stattdessen ist
in japanischen Unternehmen eine intensive Identifikation mit dem Unternehmen als
soziale Institution zu beobachten. Diese impliziert eine integrative Konnotation von
Eigentum, in welcher sich die Pflicht des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft
materialisiert.
Während also in Japan eine relationale Vorstellung von Eigentum vorherrscht, bei
der die eigenen Rechte untrennbar mit den moralischen Ansprüchen des Anderen
verbunden sind, zeichnet sich gerade das angelsächsische Governance-System durch
eine Negierung moralischer Imperative aus. Der Eigentümer wird durch die
Depersonalisierung und Dekontextualisierung der Marktmechanismen von den
Ansprüchen anderer Akteure sozial getrennt. Indem angelsächsische Governance-
Systeme auf eine strikte Separation von Eigentum und Kontrolle (Berle/Means 1932)
fokussieren, treten an die Stelle persönlicher Beziehungen funktionale
Rollenkonfigurationen, bei denen „the discomfort of guilt“ (Learmount/Roberts 2002,
27) keine Rolle mehr spielt. Die systembedingte Unkenntnis über die Motive und
Interessen des Gegenübers können einen Teufelskreis wechselseitiger
Verhaltensunterstellungen begründen, bei dem letztlich der angenommene
Utilitarismus zum dominanten Interaktionsmotiv wird (Perrow 1986; Goshal/Moran
1996; Roberts 2001).
Mögen im japanischen und angelsächsischen Kulturraum das Governancesystem
und Akteursmotivation in differenter Weise koevolvieren, so weisen jenseits
kulturbedingter Unterschiede beide Systeme auch Gemeinsamkeiten auf. Fokussiert
man auf die in jeder Organisation vorfindbaren sozialen und psychologischen
Prozesse, die etwa auf Ebene des Unternehmensboards das Handeln der Akteure
beeinflussen, so werden vergleichbare Koevolutionsprozessse von Steuerungsstruktur
und Handlungsmotivation deutlich. Ganz gleich, ob es sich um japanische oder
britische Publikumsgesellschaften handelt, die Dynamik des Sozialen kann im Board
of Directors Prozesse wechselseitiger Perspektivenübernahme und Akzeptanz
bewirken. An die Stelle stereotyper Rollenkonstellationen treten dann hier wie dort die
persönlichen Beziehungen von Individuen mit ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und
Charaktereigenschaften. Indem auf Boardebene die beteiligten Akteure offen

194
interagieren und kommunizieren, wird nicht nur die Person als Ganzes angesprochen.
In den Analysefokus tritt gleichzeitig der Einzelne in seiner Verbundenheit mit dem
Gegenüber. Im Unterschied jedoch zum Stewardship-Ansatz (Davis/Schoorman/
Donaldson 1997), der auch die Relevanz von Vertrauen und prosozialem Verhalten für
das Managerverhalten betont, oder zum Stakeholder-Ansatz (Kelly/Kelly/Gamble
1997), der Manager in der Verantwortung gegenüber vielen Stakeholderansprüchen
sieht, entsteht die Beziehung nicht zwangsläufig aus dem Gefühl der Rechenschafts-
pflicht des Top-Managers gegenüber exponierten Anderen – etwa den Kunden,
Mitarbeitern oder Aktionären – heraus.
Mit Blick auf das Unternehmensboard ist das Verantwortungs- und Pflichtgefühl des
Einzelnen gegenüber seinen Kollegen vielmehr in ein komplexes und dynamisches
Normensystem eingebettet81, das die boardinternen Interaktions- und Kommunika-
tionsflüsse steuert. „Over time, such face-to-face accountability is a vital source of
learning and can produce complex relationships of respect, trust and felt reciprocal
obligation, which fairly exceed the purely instrumental orientation to action that
agency theory assumes“ (Roberts 2001, 1567). So können etwa die NEDs in solch
sozialisierenden Prozessen der Rechenschaftspflicht (Roberts 2001; Learmount 2002)
das strategische Denken insofern bereichern, als neben der Maximierung des
Shareholder Value auch anderen Ansprüchen und Verpflichtungen im Rahmen des
Zielbildungsprozesses Geltung verschafft wird. Boardsteuerung bedeutet dann nicht
nur Kontrolle der Wertverteilung zwischen Top-Managern und Aktionären. Sie zielt
auch auf die Bildung von solchen Rahmenbedingungen, die eine langfristige
Wertbildung des Unternehmens ermöglichen. Konstitutiv hierfür ist die Einhegung
utilitaristischen Verhaltens. Die wechselseitige „Instrumentalisierung“ des Gegenübers
für die eigenen Ziele dürfen nur einen Teil der Beziehung ausmachen. „Such
relationships readily develop beyond this into reciprocal claims and reciprocal senses
of personal obligation and concern, friendship as well as animosity; relationships are
seen in both instrumental and moral terms“ (Roberts 2001, 1554).

81
Ein ähnliches Normensetting stellten Westphal und Zajac (1997) in ihrer Untersuchung über den
Interaktionsmodus in US-amerikanischen Boards fest. Die Austauschbeziehungen werden von
Reziprozitätsnormen gesteuert. In Abhängigkeit von dem zugeschriebenen sozialen Status der beteiligten
Boardmitglieder entwickelt sich ein Verhaltenstausch, welcher der Logik generalisierter Reziprozität folgt.
Dieser Verhaltenstausch ist nicht nur auf die eigene Organisation beschränkt. Via Interlocking Directorates
entspinnt sich ein transorgansationales Tauschnetzwerk von statusgleichen Top-Managern. .

195
TEIL C: Konzeptionelle Entwicklung und steuerungspraktische
Evidenz eines interdisziplinären Reziprozitätsverständnisses82
Das vorliegende Kapitel verfolgt zweierlei Ziele. Erstens soll ein grundlegendes
Verständnis von Reziprozität erarbeitet werden, dass sowohl nutzenorientierte als auch
moralisch-ethische Handlungs- und Forschungspositionen miteinander verbindet.
Zweitens soll deutlich gemacht werden, dass bei der Steuerung unterschiedlicher,
betriebswirtschaftlich relevanter Gegenstandsbereiche moral- und nutzenorientierte
Handlungsmotive virulent werden. Im Zuge der Erarbeitung eines grundlegenden
Reziprozitätsverständnisses (1) werden zunächst die unterschiedlichen Positionen in
relevanten sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfeldern vorgstellt.
Namentlich handelt es sich hierbei um die experimentelle Wirtschaftsforschung (1.1),
die Neoklassik (1.2), die Ethnologie und Soziologie (1.3). Im weiteren Verlauf wird
dann ein eigenes Verständnis von Reziprozität (1.4) entwickelt und von der gängigen
ökonomischen Definition abgegrenzt (1.5). Die Relevanz reziprok aufeinander
bezogener Wahrnehmungsmuster (1.6) für die Ausbildung und Funktionsweise
interdependenter Handlungsmuster wird ebenso thematisiert wie die von Vertrauen,
Loyalität, Fairness und Reputation (1.7). Der zweite Teil der Kapitels (2) hat nun
empirische Untersuchungen zur reziprozitätsorientierten Steuerung unterschiedlicher,
betriebwirtschaftlich relevanter Gegenstandsbereiche im Fokus, bei denen moral- und
nutzenorientierte Handlungsmotive virulent werden. Hierbei handelt es sich um
Untersuchungen, welche die intraorganisationale (2.1) und interorganisationale (2.2)
Steuerung, die Steuerung von Gemeinschaften (2.3) und die Steuerung auf (Finanz-)
Märkten thematisiert.

1. Entwicklung eines interdisziplinären Reziprozitätsverständnisses


1.1. Das Ende des homo oeconomicus? Ergebnisse der experimentellen
Wirtschaftsforschung

Wir geben nur, weil und insofern es uns nützt? Das ist bekanntlich keine empirische
Behauptung der Standardökonomik, aber ihr Axiom, ihre Als-ob-Annahme à la
Friedman (1957), von der sie sich Erklärungs- und Prognosefähigkeit verspricht.
Damit jedoch gerät sie zunehmend unter „experimentellen Beschuss“ (Schlicht 2003).
Aktuelle Untersuchungsergebnisse der experimentellen Wirtschaftsforschung (z. B.
Fehr/Gächter/Kirchsteiger 1997; Fehr/Gächter 2000) stellen die Fruchtbarkeit der
axiomatischen Setzung des Nutzenkalküls als der Handlungsorientierung massiv in
Frage. An die Stelle – oder doch an die Seite – des homo oeconomicus tritt in dieser

82
An dieser Stelle möchte ich mich nochmals recht herzlich bei Günther Ortmann und Christiana Weber für Ihre
Bereitschaft bedanken, den Beitrag Göbel, Ortmann und Weber (2007) in großen Teilen an dieser Stelle
abdrucken zu dürfen.
Lesart der homo reciprocans. Das individuelle Verhalten sei häufig nicht primär
utilitaristisch, sondern vornehmlich an Normen der Reziprozität ausgerichtet. „People
repay gifts and take revenge even in interaction with complete strangers and even if it
is costly for them and yields neither present nor future material rewards“
(Fehr/Gächter 2000, 159). An empirischer, jedenfalls experimenteller Bewährung ist
kein Mangel. „Die Existenz reziproken Verhaltens ist in Dutzenden von Experimenten
unter variierenden experimentellen Bedingungen und in verschiedenen Kulturen
gezeigt worden“ (Falk 2003a, 154).
Prominentes Beispiel ist das Ultimatum-Spiel (Güth/Schmittberger/Schwarze 1982;
Camerer/Thaler 1995; Henrich u. a. 2001; Camerer 2003). Es findet zwischen zwei
anonymen und räumlich getrennten Personen statt, die einen vom Experimentator zur
Verfügung gestellten Geldbetrag unter sich aufteilen müssen83. Spieler A schlägt eine
Aufteilung vor, die Spieler B nur annehmen oder ablehnen kann. Lehnt Letzterer den
Vorschlag ab, erhalten beide Spieler nichts, andernfalls wird der Betrag gemäss dem
Vorschlag des A unter den Spielern aufgeteilt. Unterstellt man vollständig rationale,
utilitaristische Spieler, so nimmt B jedes Angebot mit positiver Auszahlung an. B’s
Kalkül antizipierend, wird A das minimal mögliche Angebot unterbreiten. Nun konnte
jedoch in zahlreichen Ultimatum-Spielen (z.B. Güth/Tietz 1990; Fehr/Fischbacher
2002) beobachtet werden, dass sich die homo-oeconomicus-Prognose nicht erfüllt.
Zum einen pflegen Akteure in der Rolle des Spielers A deutlich mehr zu offerieren, als
man vom homo oeconomicus erwarten würde84. Bietet nun Spieler A weniger als 20 %
des zur Verfügung gestellten Geldbetrages an, so wird dies zum anderen mit einer
Wahrscheinlichkeit von 0,4 bis 0,6 abgelehnt. Das ist nicht mit der Annahme
nutzenmaximierenden, sehr wohl jedoch reziproken Verhaltens zu vereinbaren.85

83
Hier werden die Unterschiede zwischen experimenteller Wirtschaftsforschung und vielen sozialpsycholo-
gischen Experimenten deutlich. Während es bei Letzteren vergleichsweise billig ist, sich als kooperativer
Mensch zu zeigen, kostet es bei Ersteren Geld. „Es geht in Experimenten nicht um Bekenntnisse, sondern um
reales Verhalten mit realen Konsequenzen“ (Falk 2001, 2).
84
Bei der Durchführung von Ultimatum-Spielen in 15 kleinen Gesellschaften (Small-Scale Societies) stellten
Henrich et al. (2001) fest, dass das durchschnittliche Eingangsangebot je nach Gesellschaft zwischen 26 %
(Machiguenga/Peru) und 58 % (Lamelara/Indonesien) des Geldbetrags variierte. 47 % aller Probanden haben
jedoch mehr als 40 % des zugeteilten Geldbetrages offeriert.
85
Hier wird diese Terminologie übernommen, in der mit „reziprokem Verhalten“ an Normen oder einer Moral
der Reziprozität orientiertes Verhalten gemeint ist, obwohl auch der rein nutzenbedachte Tausch ein Fall von
Reziprozität (im Sinne schlichter Gegenseitigkeit) ist. Wenn also auch bei Axelrod (1984) Reziprozität – etwa
in der Form des tit for tat – eine tragende Rolle spielt, dann doch fast nur im Sinne eines reziproken Nutzens,
obwohl auch Axelrod sieht, dass hier Moral – z.B. moralisches Bedauern über einen Vertrauensbruch – eine
wichtige Rolle spielt. Später werden wir nutzenbasierte Reziprozität (Tausch) von moralbasierter (Gabe)
unterscheiden.

198
Die besondere Stärke experimenteller Methoden86 liegt in der Möglichkeit,
Verhalten in einer kontrollierten Umgebung zu studieren. Diese unbestrittene Stärke
experimenteller Wirtschaftforschung gibt jedoch gleichzeitig Anlass zu Kritik. Denn
Empirie heißt hier kontrollierte „Laborempirie“ (Güth/Kliemt 2003). Die
Entscheidungssituationen sind realiter komplexer und folgenreicher. Auch sind in
betriebswirtschaftlich relevanten Kontexten die Entscheidungsträger normalerweise
keine Studenten, sondern Akteure des mittleren Managements oder der Unternehmens-
leitung. Dieser Kritik an der externen Validität von Forschungsergebnissen trägt die
experimentelle Wirtschaftsforschung in neueren Untersuchungen zum Thema
Reziprozität zunehmend Rechnung.
In ihrer Untersuchung über Reaktionen auf Anreize in Vertrauenssituationen haben
Fehr und List (2002) erstmals in einem Laborexperiment mit CEOs als Probanden
gearbeitet. Um die verborgenen Kosten und Nutzen, also die Anreize in Situationen,
die Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit erfordern, zu studieren, nutzten die Forscher
das sogenannte Vertrauens- oder Gift-Exchange-Spiel (Berg/Dickhaut/McCabe 1995;
Fehr/Kirchsteiger/Riedl 1993), das in seiner einfachen Form (Weimann 2003) so
abläuft: Spieler 1 erhält einen Anfangsbetrag in Höhe von X. Hiervon kann er dem
Spieler 2 beliebig viele Geldeinheiten geben oder den gesamten Betrag für sich
behalten. Leistet Spieler 1 eine solche Abgabe (Y), dann kommt es zu einem
Effizienzgewinn, denn bei Spieler 2 kommt dank des Experimentators ein Vielfaches
des Betrages Y an. Nachdem Spieler 2 den vervielfachten Betrag erhalten hat, kann er
entscheiden, ob er diesen Betrag für sich behält oder einen beliebigen Anteil davon an
Spieler 1 zurückgibt. Sofern es nun für Spieler 2 die dominante Strategie ist, nichts
zurückzugeben, sollte Spieler 1 rationalerweise erst gar nichts abgeben. Entgegen der
standardökonomischen Annahme ist jedoch in den Experimenten regelmäßig
beobachtbar, dass Spieler Abgaben leisten. Dies wird als Vertrauen interpretiert, das
der Erstziehende dem Zweitziehenden entgegenbringt. Zahlreiche Spieler verhalten
sich hierbei reziprok und machen die Höhe der durchschnittlichen Rückzahlung von
der Höhe des angebotenen Betrages abhängig. Ein höheres Angebot wird
durchschnittlich mit einer höheren Rückzahlung vergolten. Mit Blick auf die
Untersuchungsgruppen CEOs und Studenten konnten Fehr und List (2002)
signifikante Unterschiede bezüglich Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit feststellen.
„We find that CEOs are considerably more trusting and exhibit more trustworthiness
than students” (Fehr/List 2002, 17). Der wohlüberlegte Verzicht auf Drohungen wird
als Vertrauensbeweis wahrgenommen und mit einer besonders vertrauenswürdigen

86
Das zu Grunde liegende naturwissenschaftliche Wissenschaftsverständnis wird in den aktuellen Entwick-
lungen insofern auf die Spitze getrieben, als die neurologischen Begleitumstände des Entscheidungsverhaltens
erforscht werden. Unter dem Begriff der Neuro-Economics wird versucht, eine Mikrofundierung für
individuelle Vorstellungen, Präferenzen und das Verhalten herzuleiten – „by examing the brain processes
associated with the formation of beliefs, the perception of the action set, and the actual choice“
(Fehr/Fischbacher/Kosfeld 2005, 346).

199
Handlungsweise erwidert. Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit verstärken sich
demnach wechselseitig. „Trust breeds trustworthiness“ (Fehr/List 2002, 19).
Begegnen Fehr und List (2002) der Kritik an der Validität experimenteller
Untersuchungsergebnisse durch die Betrachtung einer „realitätsnahen“ Probanden-
gruppe, so reagieren List/Lucking-Reiley (2002), Frey/Meier (2003) und Falk (2004)
auf den Vorwurf des „Laborplatonismus“ bei ihren Untersuchungen über karitative
Spenden mit der Durchführung von Feldexperimenten. Im Zentrum der Untersuchung
von Falk (2004) steht die Frage nach der Relevanz von gift giving für das karitative
Spenden. 10.000 Bittbriefe wurden im Rahmen des Experiments an potentielle
Spender versandt. Ein Drittel der Briefe enthielt kein, ein Drittel ein kleines Geschenk
in Form einer von Kindern gemalten Postkarte zuzüglich Briefumschlag. Das letzte
Drittel enthielt vier Postkarten und Briefumschläge. Denjenigen, die ein Geschenk
erhalten hatten, wurde am Ende des Briefes mitgeteilt, dass die Postkarten Geschenke
von Kindern aus Dhaka seien, die sie behalten oder an andere weitergeben könnten.
Die Postkarten sollten demnach Geschenke darstellen, die den Aufbau einer „gift-
exchange relation“ (Falk 2004, 3) zwischen den Kindern (als potentiellen Spenden-
beziehern) und den Spendern intendierten. Ob die zukünftigen Spender einen Brief
ohne oder mit Geschenk erhalten, wurde nach dem Zufallsprinzip bestimmt. Die
Ergebnisse der Untersuchung sprechen eine klare Sprache. „Including gifts gives rise
to substantially different donation patterns“ (Falk 2004, 11). Bei Briefen mit kleinen
Geschenken war die Anzahl der Spenden um 17 %, bei großen Geschenken sogar um
75 % höher als bei Briefen ohne Geschenke (ähnlich List/Lucking-Reiley 2002).
Eine ironische Pointe ist es da, dass ausgerechnet die Mitglieder der American
Economic Association (AEA) ganz überwiegend (zu zwei Dritteln) satzungsgemäß
Gebühren entrichten, die nach Einkommen gestaffelt sind, obwohl sie das auf Basis
einer Selbsteinstufung tun müssen, die nicht kontrolliert werden kann (Beil/Laband
1996). Sogar die Fachökonomen handeln moralisch integrer, als ihre eigene Theorie es
zuläßt. Johannes Berger (1999, 316 ff.) hat gezeigt, daß zur Erklärung zwischen einem
– in unserer Terminologie – pflichtgemäßen Handeln und einem Handeln aus Pflicht
(Geltung I und Geltung II i. S. v. Kliemt 1993) unterschieden werden muß und daß auf
die letzere Figur nicht verzichtet werden kann.
So lässt sich mit Henrich et al. (2001, 77) resümieren: „the canonical model of the
self-interested material payoff-maximizing actor is systematically violated“87. Ob an
die Stelle des homo oeconomicus als neues Leitbild der Ökonomie der homo
reciprocans tritt (Falk 2003b), bleibt einstweilen offen. Der Rekurs auf Normen der
Reziprozität ist offenbar eine in unterschiedlichen Gesellschaften und Ethnien

87
Mit Blick auf die Erklärungskraft der Mehraufgaben-Prinzipal-Agent-Theorie von Holmstrom/Roberts (1994)
konstatierte der Institutionenökonom Matthias Erlei (2003): „Was deren Ansatz jedoch nicht erklären kann,
sind die auch hier vorzufindenden Reziprozitätseffekte. Damit zeigt sich, dass die etablierte Agencytheorie
vermutlich in wesentlichen Teilen unvollständig ist.“

200
verbreitete Handlungsweise (Henrich et al. 2004; Gintis et al. 2005). Wichtig ist dieses
Ergebnis: reciprocity matters.
Darauf hatten auch einige der ganz Großen unter den Ökonomen schon früh, aber
ohne große Resonanz, aufmerksam gemacht, und es ist von Interesse, wie sie diese
Einsicht theoretisch verarbeitet haben.

1.2. Die Gabe in der Standardökonomik

Dass „die Allokation von Gütern und Dienstleistungen nicht vollständig durch Tausch
bewerkstelligt werden kann, wie es das Modell der Standardökonomik annehmen
würde“, hat Kenneth Arrow (1975, 14; eigene Übers.) besonders deutlich in einem
Beitrag mit dem Titel „Gifts and Exchanges“ ausgesprochen, in dem er das berühmte,
aber umstrittene Buch über das Blutspenden von Richard Titmuss (1971) kommentiert.
Respekt, Liebe, Status, Blutspenden, gegenseitige Hilfe, sogar die gesamte Struktur
der Staatsausgaben rückt Arrow in einen Kontext der „institutionalization of giving“
(Arrow 1975, 15) ein. Und „a more subtle form of giving“ (Arrow 1975, 15) sieht er
an Stellen am Werk, denen viele Ökonomen heute ihre Relevanz nicht mehr
absprechen: bei der Heilung von Marktversagen, insbesondere ausgelöst durch
Informationsasymmetrien. Die Operationen und die Effizienz des ökonomischen
Systems seien in gewissem Maße von Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Vertrauen,
Loyalität und Gerechtigkeit abhängig, die selbst nicht vom Markt gewährleistet
werden könnten, aber ihrerseits sein Funktionieren gewährleisteten. Arrow (1975, 24)
geht so weit, das Preissystem und Kants kategorischen Imperativ zu komplementären
Errungenschaften zu erklären.
Allerdings bleibt er Ökonom insofern, als er moralische Verpflichtungen zwar
anerkennt, aber ihrerseits als effiziente Lückenbüßer des Marktversagens, als
effizientere Alternative im Vergleich zu einzelnen Aushandlungsprozessen bestimmt,
als evolutionären Sieg der Effizienz. Diese am Ende doch funktionalistische und
utilitaristische Begründung von Moral wird hier nicht geteilt. Eine Berufung auf
Kant88 ist mit dieser Position nicht möglich. Wichtig erscheint hingegen Arrows
Einsicht in die Ergänzungsbedürftigkeit des Preissystems durch „moral obligations“.

88
„I interpret moral obligation as the carrying out of agreements which may, however, be implicit. A society in
which everyone immediately executed his aggressive impulses would be untenable. … However, conscious
agreements … are much too costly in terms of information and bargaining. As societies have evolved they
have found it economical to make these agreements at an unconscious, implicit level.” (Arrow 1984, 79).
Pflicht, Moral, Schuld und Scham über Pflichtverletzungen evolvieren demnach, weil sie erlauben,
Transaktionskosten zu minimieren? Dass ein solcher Funktionalismus und Utilitarismus in unhaltbare
Positionen nötigt, wird anschaulicher als bei Arrow bei Henry Hansman, der Normen in Sachen Organspenden
oder auch Kinderhandel (sic) in Arrowscher Manier erklärt: Solche Verkäufe verursachen „substantial external
costs or benefits that cannot be internalized without excessive transaction costs.“ (Hansman 1989, 75) Solches
Marktversagen brächte Gesellschaften dazu, Eltern zur Internalisierung passender, sprich:
transaktionskostensparender Normen zu veranlassen. Eltern sorgen für ihre Kinder, statt sie zu verkaufen, weil
sie eine Pflicht verinnerlicht hätten, die sich deswegen evolutionär durchgesetzt hätte, weil sie
Transaktionskosten spart? Das ist: die Geburt der Moral aus dem Geiste des Marktversagens und ganz gewiß
nicht aus einer Kantischen Vernunft. Ausführlicher dazu und zum Folgenden: Ortmann (2004.). An dieser

201
Diese Einsicht durchzieht auch den berühmten Aufsatz „Labor contracts as partial
gift exchange“ von George Akerlof (1982; s. dazu Gächter 2003).
Akerlof bezieht sich auf Arbeiten von Homans (1953, 1954), in denen berichtet
wurde, dass eine kleine Gruppe junger Frauen die in ihrem Betrieb geforderte
Arbeitsleistung dauerhaft um mehr als 15 % übertraf – ohne Gegenleistung in Form
eines höheren Entgelts oder besserer Karrierechancen. Das neoklassische
Standardmodell kann nicht erklären, warum die Arbeiterinnen so etwas tun und warum
ihre Firma dann nicht etwa den Leistungsstandard erhöhte.
Mit großer ökonomischer, soziologischer und kulturanthropologischer Umsicht hat
Akerlof es als Gabentausch zwischen der Firma und den Arbeiterinnen interpretiert,
Arbeiterinnen, die Gefühle füreinander und für die Firma entwickelten und daher
Nutzen aus solchem Gabentausch zögen – einen Nutzen, der aber von Normen des
Gebens und Nehmens abhinge: „work in excess“ gegen „wages in excess“89. Er
verweist auf Parallelen zur X-Effizienz Leibensteins (1976) und zu Hirschmans „Exit,
Voice, and Loyalty“ (1970). Er zieht Mertons (1957) Theorie der Referenzgruppen
heran, um zu erklären, wie es zu klaren Vorstellungen der Arbeitenden, betreffend
faire Tagesleistungen und faire Löhne, kommt, nämlich im Wege des Vergleichs mit
„Referenz“gruppen in ähnlicher Lage. Schon diese Anerkennung der Abhängigkeit
ihrer Normen (und, wie man ergänzen könnte, Präferenzen) von denen „der anderen“
stellt einen großen Fortschritt gegenüber orthodoxem neoklassischen Denken dar.
Akerlof nimmt ferner ausdrücklich Bezug auf Marcel Mauss’ Die Gabe und dessen
Konzept der Reziprozität beim Gabentausch.
Dass im Herzen kapitalistischer Ökonomien, im Arbeitsvertrag, Reste einer Gabe
sensu Mauss eine Bleibe haben, dies für die Zunft der Ökonomen (einigermaßen)
wirksam etabliert zu haben, verdanken wir George Akerlof. In einer weiteren Arbeit
(Akerlof 1984) verfeinert er seine Analyse noch durch Rekurs auf Michael Burawoys
Manufacturing Consent (1979), eine der wichtigsten industriesoziologischen Arbeiten
zu der Orientierung der Arbeitenden an Gesichtspunkten wie Fairness und zu ihrer
Angewiesenheit auf vielfältige Hilfestellungen ihrer Kolleginnen und Kollegen im
Arbeitsprozess, Hilfen, die nach Art einer Gabe gegeben werden.
Wir ergänzen: Nicht nur in Arbeits-, sondern in vielen anderen Vertrags-
verhältnissen werden Normen der Reziprozität eine wie auch immer residuale, wie
auch immer verborgene, verschwiegene Rolle spielen.

stelle ist der Hinweis wichtig, dass selbst eine derartige evolutionistisch-utilitaristische Theorie der Entstehung
der Moral nicht etwa impliziert, dass nur um des Nutzens (der Gegengabe) willen gegeben wird. Im Gegenteil
müsste eine solche Theorie mit der Genese einer Moral zurechtkommen und rechnen, die ihren Nutzen für die
Menschen dadurch entfaltet, dass sie unter Umständen ein freigebiges, nicht nutzenbedachtes Geben fordert.
89
Damit scheint Akerlof innerhalb eines utilitaristischen Interpretationsrahmens zu bleiben. Der Nutzen für die
Arbeiterinnen aber hängt, wie er selbst sagt, von Normen der Reziprozität ab, und die können ihrerseits nicht
noch einmal nutzentheoretisch erklärt werden. Anzumerken ist hier, dass sich von diesem zunächst
unscheinbar wirkenden Ausgangspunkt die Theorie der Effizienzlöhne und eines Unterbeschäftigungs-
Gleichgewichts entwickelt hat (dazu Falk 2001; Gächter 2003). Damit bekommt die Angelegenheit eine
erhebliche volkswirtschaftliche Bewandtnis.

202
Sah es bei Arrow und bei Hansman (Fußnote 88) so aus, als kämen reziproke
Pflichten erst als evolutionäre Antworten auf ein Marktversagen unter die Menschen,
so hat Karl Polanyi solche Auffassungen als Ignoranz der ökonomischen Zunft
gegenüber jener großen Transformation kritisiert, die erst Marktwirtschaften
hervorgebracht habe. Polanyi hat schon 1944 mit großem Verständnis über
Gabensysteme und Reziprozität geschrieben (Polanyi 1978). Wohl kein Ökonom hat
klarer als er gesehen, dass „letztlich alle gesellschaftlichen Pflichten auf Gegen-
seitigkeit beruhen und ihre Erfüllung den Interessen des einzelnen, deren Ausdruck das
Prinzip ‚Geben und Nehmen’ ist, am besten dient“ (Polanyi 1978, 75), ohne die Dinge
auf die Verfolgung wirtschaftlichen Eigeninteresses zu reduzieren. Reziprozität und
Redistribution könnten das Funktionieren eines ökonomischen System bei „Fehlen des
Gewinnstrebens, dem Fehlen des Prinzips von Arbeit gegen Entlohnung, dem Fehlen
des Prinzips des geringsten Aufwands und insbesondere dem Fehlen jeglicher
separaten und spezifischen, auf wirtschaftlichen Motivationen beruhenden Institution“,
sprich: ohne Märkte und Marktwirtschaften, gewährleisten (Polanyi 1978, 75 f.). Und
wenn es auch von einmal etablierten Marktwirtschaften keinen Weg mehr zurück gibt,
zurück zu Gabensystemen, innerhalb derer die wirtschaftlichen Aktivitäten der
Menschen in ihre Sozialbeziehungen so eingebettet („embedded“) sind wie etwa bei
den Trobriandern, so darf darüber nicht übersehen werden, dass zugehörige Pflichten
und Reziprozitätsnormen inmitten von Markt- und von Betriebswirtschaften weiterhin
Geltung haben und wichtig sind. Dass sie dort nicht mehr dominieren, ist einem wohl
kaum reversiblen „disembedding“ geschuldet. Dass sie aber überhaupt keine
(wichtige) Rolle mehr spielten, ist – wie zahlreiche empirische Beispiele noch zeigen
werden – nicht haltbar. Bevor wir auf diese Beispiele jedoch (in den Abschnitten 5-10)
eingehen, müssen wir einen Blick auf die Figur werfen, derer sich Akerlof, Arrow und
Polanyi hier bedient haben: die Figur der Gabe. Sie entstammt dem ethnologischen
und sodann dem soziologischen Diskurs, und der locus classicus ist Marcel Mauss’
berühmter „Essai sur le don“.

1.3. Die Gabe in der Ethnologie und Soziologie

Man darf wohl sagen, dass die einschlägigen ethnologischen Forschungen besonders
von Franz Boas (1897), Bronislaw Malinowski (1984 [1922], 1949 [1940]) und Alfred
R. Radcliffe-Brown (1922), kulminierend in Mauss’ Essay (1968 [1923/24]), das
Potential zu einer Provokation modernen ökonomischen Denkens90 hatten und haben,

90
Und nicht nur des ökonomischen, sondern auch des philosophischen Denkens; dazu jetzt Iris Därmanns
umfassende Studie „Fremde Monde der Vernunft“ (2005a) mit einer detaillierten und doch kompakten und
kritischen Zusammenschau des gesamten Gabendiskurses von Malinowski und Mauss bis Lévi-Strauss und
Derrida. Zwei Sammelbände und zwei special issues von Zeitschriften informieren über das Thema Gabe,
Tausch und Reziprozität: Komter (1996), Adloff/Mau (2005), Kappelhoff (1995) mit der zugehörigen
Diskussionseinheit der Zeitschrift „Ethik und Sozialwissenschaften“ 6 (1995) sowie das Heft 1/2 der
Zeitschrift „Angewandte Sozialforschung“ 20 (Kreutz 1996/97).

203
die dessen Grundlagen betrifft – auch wenn die meisten Ökonomen von dieser
Provokation unberührt geblieben sind.
Worin läge die Provokation? – Um es auf einen Nenner zu bringen: in der
Erkenntnis,
1. dass wirtschaftliches Handeln, verstanden als dominantes Nutzenstreben, als
Streben nach einem (möglichst) günstigen Verhältnis von „Kosten“ und
„Nutzen“ im weitesten Sinne, und ein dadurch dominierter Tausch keine
universellen Phänomene oder anthropologischen Konstanten sind, sondern sich
aus einer Melange magischer, religiöser, moralischer, kultureller, politischer
und „wirtschaftlicher“ Orientierungen ausdifferenziert haben – „wirtschaftlich“
nun aber einfach im Sinne der Versorgung mit Gütern und Leistungen;
2. dass Gesellschaften und ihre Mitglieder auch ohne eine solche Ausdifferen-
zierung „wirtschaftlich“ gut zurechtkommen können, und, in unserem
Zusammenhang besonders wichtig,
3. dass die dafür in Anspruch genommenen Normen und Pflichten der
Reziprozität für das Funktionieren moderner Marktwirtschaften bei aller
Dominanz des Nutzenstrebens unverzichtbar geblieben sind.
Paradigmatische, berühmt gewordene Beispiele für solche auf Normen und Pflichten
des Gebens und Nehmens und Erwiderns der Gabe beruhenden Tausch- und
Gesellschaftsformen sind der nordwestamerikanischen Potlatsch und der Kula-Ring
der Trobriander. Ersterer figuriert in der Diskussion als Fall eines agonistischen oder
gar antagonistischen Systems totaler Leistungen (antagonistisch wegen seines
inhärenten Moments der – im Extrem zerstörerischen – Überbietung des Gebens im
Dienste von Prestige-, Status- und Machtkämpfen), letzterer als Beispiel für eine nicht-
antagonistische Form.
Der Kula-Ring, beschrieben von Bronislaw Malinowski in dem ethnologischen
Klassiker Argonanten des westlichen Pazifik (Malinowski 1984), ist ein System auf
Reziprozitätspflichten beruhender Leistungen, verbunden durch zwei gegenläufige
Gabenzyklen. Diese zwei Gabenringe erstrecken sich über XX Quadratkilometer der
westmelanesischen Inselwelt, die Trobriand-Inseln, und überspannen für die
Vollendung eines Gabenzyklus einen Zeitraum von zwei bis zehn Jahren. Gegeben,
genommen und weitergegeben werden Gaben nicht innerhalb von Dyaden, sondern in
einem Ring (Halsketten aus roten Muscheln entlang des einen, Armreifen aus weißen
Muscheln entlang des anderen, gegenläufigen Ringes). Innerhalb je dyadischer
Beziehungen werden die Gaben erst nach langer Zeit, zum Beispiel bei einem
Gegenbesuch nach einem Jahr, dem gegenläufigen Ring folgend, erwidert. Dieses
System durchzieht „das gesamte gesellschaftliche Leben, angefangen mit dem Bau
seetüchtiger Kanus und Vorbereitungstabus bis zu den eigentlichen Übersee-
Expeditionen und rituellen Übergaben selbst“ (Kappelhoff 1993, 93).

204
Wer hätte es für möglich gehalten, dass ein solches System, das längst Berühmtheit
auch über die Fachgrenzen der Ethnologie erlangt hat, über Jahrhunderte stabil bleiben
und, in Verbindung mit gewöhnlichem, aber strikt getrennt durchgeführtem
Tauschhandel (gimwali)91, eine soziale Ordnung ohne eine zentrale Instanz und eine
politische Friedensordnung ermöglichen und zugleich den kulturellen und
„ökonomischen“ Verkehr zwischen den so genannten Stammesgesellschaften
gewährleisten kann? Diese Skizze lässt erahnen, wie voraussetzungsreich und
insbesondere in normativer, in moralischer Hinsicht anspruchsvoll ein solches soziales
Gebilde ist. Wird einem die Komplexität dieses Systems bewusst, mag sich die
Herablassung, mit der teilweise aus der westlichen Welt auf solche Gesellschaften
geblickt wird – noch Coleman (1991) nennt sie unverblümt primitiv – in Respekt
verwandeln.
Solche Gabensysteme werden insbesondere in der Ethnologie und Philosophie
diskutiert. Drei ausgewählte Gesichtspunkte aus dieser Diskussion wollen wir hier
hervorheben:
1. Viele Autoren – der berühmteste Vertreter dieser Ansicht ist Claude Lévi-
Strauss (1978,) – betrachten den Tausch als den Inbegriff und „gemeinsamen
Nenner“ jenes Gebens und Nehmens. Wir hingegen machen, wie schon
angedeutet, einen Unterschied zwischen (nutzenorientiertem) Tausch und
(pflichtorientierter) Gabe und beziehen uns damit auf die idealtypische
Denkfigur einer Gabe, die frei vom Schielen auf einen Nutzen ist, die es in
reiner Form in praxi zwar wohl kaum gibt, der aber unserer Begehren gilt, etwa
wenn wir von reiner Liebe, reiner Freundschaft oder reiner Loyalität sprechen
und die als Moment, als eine Sinndimension, in Interaktion und Kooperation
eine wichtige, leicht zu übersehende Rolle spielt.
2. Von Lévi-Strauss bis Pierre Bourdieu92 reichen die Einwände gegen diese Idee
einer Gabe, die jenseits des Tausches ihren Ort hat. Sie operieren an zentraler
Stelle mit dem – am Ende selbst noch ethnozentristischen – Argument, über den
Tauschcharakter der Gabe täuschten sich die Akteure selbst nur hinweg, ja,
viele Anforderungen an die Art des Gebens, des Nehmens und der Erwiderung,
zum Beispiel das Verbot sofortiger Erwiderung, hätten geradezu die Funktion,
solche Selbsttäuschung zu ermöglichen – sich also in der Illusion der
Freigebigkeit zu wiegen. Und viele einschlägige Praktiken, etwa des
prahlerischen Demonstrierens von Freigebigkeit, hätten die Funktion, andere
über die „eigentlich“ herrschende Nutzenbedachtheit hinwegzutäuschen. Darauf
lautet unsere Antwort: Die Notwendigkeit, diesen Schein zu wahren, ist kein
Gegenbeweis, sondern im Gegenteil der Beweis für die Geltungsmacht der Idee

91
In dieser Trennung von Gabe (kula) und Tausch (gimwali) kann man vielleicht eine Weise der Ausdifferen-
zierung von Nutzen- und Pflichtenorientierung sehen.
92
Zu einer Lévi-Strauss-Kritik Därmann (2005a); für eine Bourdieu-Kritik Ortmann (2004).

205
einer freigebigen Gabe – wozu müsste sonst der Schein gewahrt werden? Das
Argument setzt die Geltung einer Ethik der Gabe voraus. In seinem Versuch,
Moral auf Nutzen zurückzuführen, treibt es begging the question.
Scheinheiligkeit, die es auch unter den Trobriandern sehr wohl gibt, ist die
verräterische Spur einer nicht ganz gebrochenen Heiligkeit.
3. Gibt es eine universelle Reziprozitätsnorm unter den Menschen? Das wird von
einem Ethnologen wie Lévi-Strauss ebenso bejaht wie von so manchem
Soziologen – auch, wie wir schon sahen, von avancierten Ökonomen, die einen
homo reciprocans postulieren und dem homo oeconomicus entgegensetzen. Uns
scheint da Vorsicht geboten. Reziprozität ist zwar unbestritten ein interkulturell
außerordentlich weit verbreitetes normatives Phänomen. Was aber die Vielfalt
seiner Erscheinungsformen bis hin zu Gegenbeispielen anlangt, war die reiche
ethnologische Forschung noch stets für Überraschungen gut.93 Wir begnügen
uns mit der wohl unbestreitbar tiefen Verankerung einschlägiger Normen – im
Plural! Wir fügen hinzu: Es ist nicht leicht zu sehen, wie Sprache und Sozialität
überhaupt gedacht werden könnten ohne eine Moral der Reziprozität94.
Unter den Soziologen war es wohl Alwin Gouldner, der am nachdrücklichsten auf die
Praxis und Ethik der Reziprozität hingewiesen hat und „die Reziprozitätsnorm
allgemeingültig“ genannt hat (Gouldner 1984, 97). Im Kasten auf S. 133 sind einige
einschlägige Statements wichtiger Soziologen zusammengestellt, die eine Universalität
des Phänomens mehr oder minder eindeutig angenommen haben, meist ohne klar
zwischen nutzen- und pflichtbasierter Reziprozität zu unterscheiden.

93
Westwood/Chan/Linstead (2004) betonen die kulturelle Kontextualität der Reziprozitätsnorm. Während sie in
der Regel als universales Phänomen angesehen wird, können sie zeigen, dass in westlichen und asiatischen
Kulturkreisen signifikante Variationen in der Wahrnehmung und Interpretation von Reziprozitätsnorm
bestehen.
94
Trotzdem sind Modelle der Kooperation ohne Sympathie und Moral à la Axelrod (1984), Hirshleifer (1988)
oder Coleman (1991) äußerst lehrreich, weil sie mit der landläufigen Entgegensetzung von Rationalität und
Moralität aufräumen und weil sie lehren, wie weit eine Stabilisierung durch Selbstorganisation rationalen –
nutzenorientierten – Handelns trägt. Dass mit ihrer Hilfe Sozialität, und näherhin: die Auflösung des „sozialen
Dilemmas“ (Kooperativität versus Egoismus) nicht vollständig begründet werden kann, wird in der
einschlägigen Literatur, wenn schon nicht zum Konsens gebracht, so doch immer schärfer gesehen; für einen
konzisen Überblick s. Weibel (2004).

206
„Keiner wird für den anderen etwas tun und leisten, keiner dem anderen etwas
gönnen und geben wollen, es sei denn um einer Gegenleistung oder Gegengabe
willen, welche er seinem Gegebenen wenigstens gleich achtet.“ (Tönnies 1963
[1887], 40)
Das soziale Gleichgewicht und der soziale Zusammenhalt könnten „ohne die
Reziprozität von Leistung und Gegenleistung“ nicht existieren, und „aller Verkehr
des Menschen beruht auf dem Schema von Hingabe und Äquivalent“ (Simmel
1908, 443).
Thurnwald (1936/1957, S. 101) bezeichnet das Prinzip der Gegenseitigkeit als
„einen der wichtigsten Faktoren ... für den Aufbau von Gesellungen und deren
Institutionen“.
„Man becomes human in reciprocity.“ (Becker 1956, 94)
„... die Reziprozität des Verhaltens ist formal eine ganz grundlegende
anthropologische Kategorie, aber sie kann sich mit den allerverschiedensten
Inhalten besetzen …” „Die Reziprozität ist eine fundamentale Kategorie, sie
betrifft einen wesentlichen Grundzug des Menschseins.” (Gehlen 2004 [1964],
50 f.)
„Ich nehme an, daß die Reziprozitätsnorm ein ebenso universelles und nicht
minder bedeutsames Element einer Kultur ist wie das Inzest-Tabu, obwohl seine
konkreten Formulierungen in ähnlicher Weise zeitlich und örtlich variieren
können.“ (Gouldner 1984 [1973], 97)
Bierhoffs (1984) Sichtung sozialpsychologischer und soziologischer Forschung
habe gezeigt, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit, d.h. der Reziprozität,
„offensichtlich zu den wenigen interkulturell und intertemporal gültigen
Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns gehört“ (Bierhoff 1984, 146).
„Verschiedene Autoren haben darauf hingewiesen, dass die Norm der Reziprozität
in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten wirksam zu sein scheint. Insofern liegt es
nahe, der Norm einen universellen Geltungsbereich zuzusprechen“ (Bierhoff 1984,
83).
„Die Anerkennung von Reziprozitätserfordernissen ist in segmentären
Gesellschaften universell verbreitet.“ (Luhmann 1997, S. 650)
„Aus dem Zusammenleben selbst erwachsen moralische Regeln (nicht immer
Handlungen), die so allgegenwärtig und zwingend sind, dass sie den Charakter von
Gesetzen annehmen: Die Reziprozität des Erwiderns (‚Wie du mir, so ich dir’) ...“
(Hondrich 2001, S. 572)

Übersicht 1: Universalität von Normen der Reziprozität? Eine Auswahl

207
1.4. Nutzen, Pflicht und Altruismus: Motive reziproken Verhaltens

Nutzen versus Pflicht


„Do ut des“, ich gebe, damit du gibst, oder allgemeiner, weil ich etwas davon habe,
einen Nutzen: Die enorme Bewandtnis dieser Nutzenorientierung für das menschliche
und erst recht das wirtschaftliche Handeln möchten wir mitnichten bestreiten. Wohl
aber ist unser Argument: Darin geht die Sache nicht auf, auch nicht die Sache der
Reziprozität, verstanden als Gegenseitigkeit des Gebens, Nehmens und Erwiderns.
Dass nichts als Nutzenbedachtheit im Spiel wäre, wenn wir etwas geben, beschert als
Axiom einer darauf errichteten Theoriearchitektur enorme Vorteile, nicht zuletzt
solche der Sparsamkeit der Prämissen, aber es wirkt irgendwie schief, wenn man, zum
Beispiel, die folgenden Weisen des Gebens in dieses Pro-krustes-Bett zu zwängen
versucht:
Ich „entbiete“ einen Gruß95. Du gibst Antwort. Ich sorge für dich. Wir helfen
einander. Mein Kollege tut mir einen Gefallen. Ich gebe mein Wissen und meine
Erfahrung weiter. Du gibst Dein Wort oder vertragliche Zusagen. Ich schenke dir
Vertrauen. Er spendet Blut. Sie entrichtet ihren Tribut ans Gemeinwohl. Oder ein Fall
von negativer Reziprozität: Denen haben wir es aber gegeben.
Nicht, dass derlei nicht nützlich sein könnte oder sich nicht mit Nutzenerwägungen
zumindest verbinden ließe. (Zum Beispiel: „Good works and taxes often go hand in
hand.“) Nicht, dass wir auf diesen Nutzen nicht bedacht wären. Aber darin erschöpft
sich diese Motivation nicht, oder wenn sie es tut, gefährdet oder annulliert sie die
respektive Gabe. Echten Respekt, echtes Vertrauen erlangt der, der nicht darauf aus ist,
der nicht aus Berechnung gibt, der nicht (nur) auf den eigenen Nutzen sieht. Die
Hilfsbereitschaft der Kollegin, des Partners wird umso höher geschätzt, je freigebiger
sie gewährt wird – je freier vom Geiste des „do ut des“. (Auch die „Gabe“ der
Postkarten in Falks Charity-Experiment leidet den Mangel, dass sie in berechnender
Absicht gegeben wurde – zwecks Veranlassung größerer Spenden. Dieser gute Zweck
heiligt nicht das Mittel.)
Warum aber geben wir, wenn nicht aus Nutzenerwägungen? Antwort: aus Pflicht.
Weil und sofern es sich gehört und moralisch geboten ist. Ausdrücklich lassen wir die
Motive „aus Freude am Geben“ und „Altruismus“ hier beiseite, nicht, weil sie nie
vorkämen, sondern weil sie in einen Nutzen münden, und wäre es der Nutzen anderer,
der unser Herz erfreut.. Auch wer (pro-soziale) Normen nur in der Hoffnung auf
positive oder aus Angst vor negativen Sanktionen befolgt, handelt aus Nutzen-
erwägungen, also nicht aus Pflicht, sondern bestenfalls pflichtgemäß. Diese berühmte
Unterscheidung stammt von Kant (zum Beispiel 1974, 203). Wir halten an ihr fest,
ohne uns damit an die Rigidität gebunden zu fühlen, mit der Kant seine Pflichtenethik

95
„Die Begrüßung konstituiert, indem sie mit einem bestimmten Zukunftswunsch eine gemeinsame Praxis
eröffnet, Sittlichkeit oder Reziprozität zwischen Subjekten, sie erzeugt also konkrete Sozialität.“ (Oevermann
1999, 73)

208
durchgeführt hat. Am Beispiel der Pflicht zur Wahrhaftigkeit: „Nun ist es doch etwas
ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein als aus Besorgnis der nachteiligen Folgen“
(Kant 1974, 29). Kliemt und Zimmerling (1993) haben gezeigt, dass Ersteres – bei
ihnen: Handeln aufgrund der internalisierten Überzeugung der verpflichtenden
Geltung einer Norm („Geltung-2“) im Unterschied zu einem reinen Konformismus
gegenüber Normen, die ihre Geltung nur aus der Hoffnung auf Belohnung oder der
Angst vor Strafe oder Kosten beziehen („Geltung-1“) – in der Realität häufig
vorkommt und aus der Perspektive einer zukunfts- und einzelfallbezogenen
Folgenkalkulation allein nicht verständlich gemacht werden kann. Nicht einmal jenes
viel zitierte Gefühl des Unbehagens oder der kognitiven Dissonanz, das sich einstellen
mag, wenn wir gegen Normen verstoßen, und das wir zu vermeiden oder zu
vermindern trachten, ist ein Pflicht-Motiv im strengen Kantschen Sinne. Die
Vermeidung oder Verminderung eines schlechten Gewissens ist denn auch von
Ökonomen nicht ganz zu Unrecht als ein Nutzen behandelt worden. Und umgekehrt:
Die milde Gabe an den Bettler hat den Hautgout einer Ablasszahlung, wenn sie nicht
freigebig gewährt wird, sondern um des guten Gefühls („warm glow“) der
Freigebigkeit willen. Alle Wohltätigkeit ist davon tangierbar. Theoretisch gesprochen:
Die „warm-glow“-Erklärung „begs the question“. Sie kann nicht in letzter Instanz
erklären, warum die Leute es richtig finden zu geben „because ‚warm-glow’ is a by-
product of doing the right thing“ (Khalil 2004, 107). „Warm glow“ setzt etwas voraus,
das einem das gute Gefühl gibt: Geltung-2 einer Norm sensu Kliemt und Zimmerling.
Übertragen wir diesen letzteren feinen Unterschied sogleich auf ein Feld, das uns
Ökonomen näher ist als das der charity: das Feld der Einhaltung von Verträgen. Eines
ist es, Verträge und die resultierenden reziproken Pflichten des Gebens und Nehmens,
sei es (1.) um der respektiven Gegengabe willen oder aus Angst vor Sanktionen, also:
aus Interesse, oder auch nur (2.) um des guten Gefühles willen einzuhalten, das mir
meine Vertragstreue beschert. So sehr das erste Motiv dominieren und das zweite
vielleicht noch hinzu kommen wird: Ein anderes ist, Verträge (3.) einzuhalten, weil ich
mich dazu verpflichtet habe und es daher geboten ist – weil es sich gehört. Die Fälle
(1.) und (2.) bezeichnen ein pflichtgemäßes Handeln, nur der Fall (3.) ein Handeln aus
Pflicht. (Nichts ist, versteht sich, ethisch dagegen einzuwenden, dass dieses als
Nebenprodukt ein gutes Gefühl gibt. Das eben ist etwas anderes, als dieses Gefühl von
vornherein als Nutzen anzustreben und sich nur davon motivieren zu lassen. So auch
Elster 2005, 207.)
„Do ut des“, ich gebe, damit du gibst, ist eines. „Do et des“, ich gebe und du
mögest/sollst/musst die Gabe (einst) erwidern, das ist ein anderes. Dass ich die
Gegengabe (einigermaßen sicher) erwarten kann, impliziert nicht, dass sie mein Motiv
ausmacht. Und dass sie nicht mein Motiv ausmacht, heißt nicht, dass ich sie nicht
erwarte. Damit ist die Unterscheidung etabliert, auf die es uns hier vor allem
ankommt: die Unterscheidung zwischen Nutzen und Pflicht. Das lateinische
reciprocare heißt: hin und her bewegen/fließen. Da bleibt offen, ob Nutzen oder Pflicht

209
die treibende Kraft dieser Bewegung ist. Stets aber haben wir es mit Legierungen aus
Nutzen- und Pflichtorientierung zu tun. Beide stehen zueinander nicht wie Endpunkte
einer bipolaren Skala, sondern in einem Verhältnis des wechselseitigen
Aufeinanderangewiesen-Seins, der Komplementarität, einer Ergänzung, die, wie es
Derridas Figur der Supplementarität zu bedenken gibt, in Ersetzung umschlagen kann,
mit dem Resultat entweder eines rigiden Moralismus oder eines jedweder Moral
vermeintlich enthobenen Vulgär-Utilitarismus. Sie stehen, etwas schematisch
dargestellt, zueinander wie die zwei Brennpunkte einer Ellipse, derart, dass immer
Moral und Nutzen im Spiel sind bei der Handlungsorientierung (Abb. 21). Dass beide
in praxi Verbindungen eingehen (müssen), begründet keine Berechtigung, den Anteil
der Pflicht zu übersehen oder auf Nutzen zurückzuführen. Allerdings leistet es der
Neigung dazu Vorschub. Abb. 21 soll deutlich machen: Empirische Handlungs-
orientierungen umkreisen die beiden Brennpunkte und sind das eine Mal (H1) vom
Nutzen, ein anderes Mal (H2) von der Pflicht weiter entfernt. Reine, von aller Moral
gereinigte Nutzenorientierung aber gibt es so wenig wie reine, alle Nützlichkeit
negierende Moral. Auch der entschiedenste Utilitarist beruft sich auf den Nutzen als
einen moralischen Wert. (Auch Axelrod, 1987, 122 f., nimmt für seine tit-for-tat-
Reziprozität in Anspruch, eine Grundlage für Moralität und eine Form von
Gerechtigkeit zu sein.) Und noch der rigideste Moralist kann das eigene Wohl, das
Wohl der Menschen und/oder der Menschheit nicht ganz übergehen.

H1 H2

Pflicht Nutzen Handlungsorientierung H1:


Weite Entfernung vom Nutzen
Handlungsorientierung H2:
Weite Entfernung von der Pflicht

Abbildung 21: Elliptisches Verhältnis von Pflicht und Nutzen bei der Handlungsorientierung
Quelle: Göbel/Ortmann/Weber (2007, 175)

Man bedenke schon an dieser Stelle, dass ein „do et des“ also weder Altruismus noch
irgendeine ökonomische Blauäugigkeit impliziert. Wer innerhalb von Gabensystemen
operiert, kann als Gebender Reziprozität, also die Erwiderung durch Gegengaben
erwarten – auch wenn das, noch einmal, nicht das Motiv seines Gebens gewesen ist. Er
kann, wie man am Fall des Kula-Rings sah, mit ökonomischer Viabilität – des Systems
und seines individuellen Gebens und Nehmens – rechnen. Gerade Marcel Mauss, dem
es um die Erschließung des ethnologischen Gabendiskurses für unsere modernen
Verhältnisse ging, war es um Verhältnisse zu tun, in denen Freigebigkeit und Zwang,
Nutzen und Pflicht, Wirtschaft und Moral unter bestimmten institutionellen
Bedingungen (noch) nicht in der Weise auseinandergelegt waren, wie es für die
Moderne typisch (geworden) ist. Selbst heute ist dieses Auseinandertreten nicht

210
vollständig und kann es nicht sein, weil jedes Handeln, auch das noch so
interessengeleitete, eine normative und moralische Dimension hat. Sozialität ist mit
Normativität, mit dem „Bazillus des Sollens“ unentrinnbar infiltriert (Popitz 1980, 26,
und, besonders instruktiv, Berger 1999, 316 ff.).
Man sieht nun, dass Normen der Reziprozität des Gebens und Nehmens eine
Reziprozität von Erwartungen, besonders auch von Rollenerwartungen begründen.
Wenn solche Normen gelten, kann reziprokes Handeln erwartet werden. Und
umgekehrt: Wenn reziprokes Handeln erwartet wird, ist die normative Färbung einer
solchen Erwartung und ist eine Institutionalisierung entsprechenden Handelns nicht
weit. Dass es aber erwartet wird‚ lässt sich sozialtheoretisch recht gut mit der
Reziprozität der Perspektiven im Sinne Alfred Schütz’ begründen(s.a. Stegbauer 2002,
112 ff, 119 ff.).
Was normativ erwartbar ist, besonders: wann welche Reziprozität erwartet werden
kann, das hängt von historisch und kulturell recht variablen institutionellen Umständen
ab. Für sie interessieren wir uns im Rahmen von Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaften stärker als für eine mögliche naturwissenschaftlich-neurobiologische
Fundierung (die damit nicht im Widerspruch stehen muss). Das Interesse richtet sich
dann auf Prozesse der Institutionalisierung einschlägiger Rollen und Normen.
Damit ist nun aber bereits klargestellt, dass unsere Argumentation nicht allein und
nicht in erster Linie auf die Intentionen und Motive der Akteure abstellt. Innerhalb des
Sozialen werden nicht – nicht direkt – diese inneren Befindlichkeiten relevant, sondern
das, was davon in der Kommunikation, Interaktion, Kooperation und in der
Zurechnung durch die anderen Akteure erwartet und zur Geltung und Anerkennung
gebracht wird. Dabei aber spielen Rekurse der mehr oder minder lebenserfahrenen
Akteure auf vermeintliche oder tatsächliche, zu Unrecht oder zu Recht zugerechnete
Intentionen und Motive und die eben angeführte Reziprozität der Erwartungen der
Akteure eine wichtige Rolle.
Wenn wir bis hierher die Opposition „Nutzen versus Pflicht“ zur einschlägig
relevanten erklärt haben, so bedarf das noch einer Vertiefung und Erweiterung, die
vielleicht geeignet ist, dem doch sehr voraussetzungsreichen Rekurs auf Pflicht etwas
von seiner Absolutheit und Rigidität zu nehmen. Man könnte ja fragen: Wieso Pflicht?
Wer bestimmt das? Kants Antwort lautete: Pflicht ist das Gebot der Selbstachtung der
Vernunft. Gegen den kategorischen Imperativ zu verstoßen, hieße Selbstverachtung
der Vernunft. Und, nota bene, Selbstachtung kann ihrerseits nicht noch als ein Nutzen
angestrebt werden. Sie ist, mit Jon Elster (1987) zu sprechen, ein Zustand, der
wesentlich Nebenprodukt ist, der also (direkt) nicht intendiert werden kann, ja, der
dadurch vereitelt wird, dass wir ihn intendieren. Anders setzt eine Ethik an, die von
einem unhintergehbaren „Anspruch des Anderen“ her argumentiert, einem An-Spruch,
der nicht schon eine Pflicht ist, schon gar nicht ein Vertrags- oder Rechtsanspruch,
sondern daher rührt, dass uns der Andere immer schon etwas angeht, uns anspricht.
„Dieser situativ verkörperte Anspruch kommt jedem moralischen oder rechtlichen

211
Anspruch zuvor. Die Frage, ob der Anspruch berechtigt sei oder nicht, setzt voraus,
dass bereits ein Anspruch vernommen wurde. Wir erreichen hier einen Punkt diesseits
von Gut und Böse, diesseits von Recht und Unrecht“ (Waldenfels 1998, 43) – diesseits
auch, wie wir ergänzen, von Egoismus und Altruismus, diesseits von Nutzen- und
Pflichtorientierung und diesseits von Reziprozitätsnormen. Es ist der Anspruch des
Anderen (den ich zwar verweigern, dem ich aber nicht entgehen kann) in dieser Sicht
konstitutives Moment der Identitätsbildung, die insofern niemals reine Selbst-
konstitution des Subjekts sein kann. In die Konstitution des Subjekts ist der Andere
immer schon involviert. Sein Anspruch ist immer schon „gehört“ (wenn auch nicht
erhört), und ich antworte ihm auch dann, wenn ich mich ihm verweigere. Ihn zu
erhören aber ist nicht identisch mit Selbstlosigkeit oder Altruismus, weil es zum
Selbstsein gehört, vom Anspruch des Anderen angesprochen zu werden. (Moralische
Taubheit kommt allerdings auch vor und kann durch ethische Argumente nicht geheilt
werden.) Damit ist der Ausgangspunkt einer responsiven Phänomenologie und Ethik
skizziert, wie sie Bernhard Waldenfels ausgearbeitet hat.96 Dass die Konstitution des
Subjekts oder, in anderer Terminologie, die Identitätsbildung nicht einsam geschieht,
sondern immer schon unter konstitutiver Mit-Wirkung des/der Anderen, das wird
außerhalb ökonomischer Modellannahmen wohl kaum noch bestritten werden. Hegels
Dialektik der Anerkennung und Meads Unterscheidung von I und Me sind dafür
Denkfiguren, die das ebenfalls zu erfassen versuchen97, bei allen Unterschieden zu
Waldenfels’ responsiver Ethik. Man ahnt vielleicht schon nach diesen wenigen
Andeutungen, wie von hier aus eine Genealogie der Moral zu denken wäre – wie aus
einem solchen An-Spruch des Anderen in komplizierten Prozessen historischer und
kultureller Besonderung moralische und rechtliche Ansprüche haben erwachsen
können.
Das Problem ist nun, dass wir es beim Geben und Nehmen nicht einfach mit
ökonomischen Erwägungen einerseits und nicht-ökonomischen andererseits zu tun
haben. Wir sind vielmehr damit konfrontiert, dass Nutzen und Pflichten einander
(forcieren, aber auch) beeinträchtigen können, dass zum Beispiel Nutzenerwägungen
Pflichtmotive unterminieren, korrumpieren und ihrer moralischen Qualität berauben
können – können, nicht müssen. Das gilt nicht nur in Liebes- oder Freundschafts-
beziehungen, sondern überall, wo wir voneinander so etwas wie Antworten im
weitesten Sinne und, horribile dictu, Anstand verlangen: unter Nachbarn, unter
Kollegen, zwischen Zulieferern und Abnehmern, unter Netzwerkpartnern, zwischen
Verkäufern und Kunden, in Kooperationsbeziehungen, wenn auch in sehr
verschiedenem, manchmal ganz geringfügigem Maße. Nicht nur heißt es zu Recht:

96
Waldenfels (1994); Waldenfels/Därmann (1998). Wir danken Iris Därmann für sicheres Geleit auf fachfrem-
dem Terrain.
97
Für eine organisationstheoretische Nutzung des Mead-Krappmannschen Identitätskonzepts unter Rekurs auf
Khalils Konzept der self-ability und einer Rationalität der Selbstrealisierung (z.B. Khalil 1997), die jedwede
Präferenzen- oder Nutzenorientierung übersteigt, vgl. Küpper/Felsch (2000, S. 277 ff., S. 299 ff., S. 313) und
Felsch (2005).

212
can’t buy me love, sondern es muss auch heißen: can’t buy me trust. Und nicht nur
kann ich mir so etwas nicht kaufen, sondern ich laufe Gefahr, es zu zerstören, wenn
ich es zu kaufen versuche. Das heißt, und das kompliziert die Dinge erst richtig, dass
das Wirtschaften, sofern es derlei voraussetzt, nicht nur Anökonomisches, sondern
Antiökonomisches voraussetzt, etwas, das vom ökonomischen Kalkül gefährdet und
zersetzt werden und es seinerseits beeinträchtigen kann.
Nicht nur kann Moral Abstriche am Nutzen fordern. Sondern Wirtschaften kann
andererseits ohne Moral, ohne Pflicht, ohne Vertrauen nicht auskommen, ohne etwas,
für das ein wirtschaftliches Kalkül – Nutzenkalkül – aber vielleicht Gift ist. Das wäre,
um die berühmte Metapher Arrows zu bemühen, wie ein Schmiermittel, das von der
Maschinerie, die es zu schmieren hat, der Ökonomie, zersetzt wird wie Öl von
lipophagischen Bakterien.
Pflicht versus Altruismus
Nahe liegt nun der Gedanke: pflichtbewusst und pflichtgemäß zu handeln, sei mit
Altruismus in eins zu setzen. Wer einer Pflicht folgt, ordnet ihr, der Achtung des
Anderen und insoweit auch seinem Wohl doch den eigenen Nutzen unter. Dann käme
man zu dieser Entgegensetzung: entweder Pflicht oder Nutzen sei der Beweggrund des
Handelns. Demgegenüber möchten wir argumentieren: Es macht einen Unterschied,
ob man dem Anspruch des Anderen auf Basis von sympathy oder von commitment
gerecht zu werden versucht, um es in Begriffen Amartya Sens zu formulieren98. Die
Unterscheidung „Egoismus/Altruismus“ steht orthogonal zu der Unterscheidung
„Pflicht/Nutzen“ (Abb. 22), obwohl beide, Plichtbewußtsein und Altruismus,
Abstriche am eigenen Nutzen erfordern.
Seine Pflicht zu tun ist sowohl mit egoistischer als auch altruistischer
Handlungsorientierung vereinbar – und kann Abstriche am eigenen Nutzen, aber auch
am Nutzen Anderer verlangen. Uns kommt es also darauf an, Pflicht und Altruismus
zu unterscheiden und voneinander abzurücken. Die Abb. 22 suggeriert allerdings eine
etwas zu starke Trennung und lässt nicht erkennen, dass Nutzen und Pflicht, ob
adressiert an alter oder ego, auf jene elliptische Art zusammenhängen, die in Abb. 21
dargestellt wurde. „Selbstachtung“ haben wir in Abb. 22 in eckige Klammern gesetzt,
weil es von der Position in Sachen „Ethik“ abhängt ob man sie wie Kant, als eine
Pflicht auffasst.

98
„(Sympathy) corresponds to the case in which the concern for others directly affects one’s own welfare. If the
knowledge of torture of others makes you sick, it is a case of sympathy, if it does not make you feel personally
worse off, but you think it is wrong and you are ready to do something to stop it, it is a case of commitment“
(Sen 1977, S. 326).

213
Abbildung 22: Das Verhältnis von Nutzen, Pflicht, Egoismus und Altruismus
Quelle: Göbel/Ortmann/Weber (2007, 178)

Altruismus ist, wie Khalil (2004, 98) es formuliert hat, „motivated by the concern over
the welfare of the recipient“. Die ganze Frage als Alternative „Nutzen versus
Altruismus“ zu behandeln, wie es viele Ökonomen tun, ist dann (wenn Altruismus
begrifflich an wohltätige Intentionen der Handelnden gebunden wird, was wir für
unverzichtbar halten) ein Kategorienfehler (weil auch der Nutzen des anderen ein
Nutzen ist). Wenn Ökonomen dazu neigen, ist dies Reflex ihrer Fixierung auf den
Eigennutz. Erst wenn Nutzen mit Eigennutz identifiziert wird, kann Altruismus als
sein Gegenteil figurieren. Diese Entgegensetzung enthüllt daher eine Gleichsetzung
rationalen Handelns mit „self-interest maximization“, und das ist selbst für die
Standardökonomik keineswegs selbstverständlich, deckt sich zum Beispiel nicht mit
der Bestimmung von Handlungsrationalität als „ends-means-maximization“, die auch
einen rationalen Altruismus zulässt (Sen 1987; Khalil 2004). Der Gegensatz zu
Altruismus ist Egoismus, nicht Nutzenorientierung. Die Dinge komplizieren sich noch,
weil gesagt werden kann, dass auch der Altruist seine (altruistischen) Präferenzen
verfolgt. Viele Autoren, etwa Khalil (2004) und Gintis (2005), machen darauf
aufmerksam, dass Altruismus insofern kein Gegenkonzept zur Standardökonomik ist,
als diese den Inhalt von Präferenzen ausdrücklich offen lässt – offen auch für
altruistische Präferenzen. Viele subsumieren Altruismus denn auch geradezu unter das
(Eigen-)Nutzenstreben wie zum Beispiel auch Axelrod (1987) der damit das
Phänomen bezeichnet, dass der Nutzen einer Person durch die Wohlfahrt einer anderen
Person positiv beeinflusst wird. Wer aber, zum Beispiel, seine Schulden bezahlt,
obwohl er es sanktionsfrei lassen könnte, handelt in der Regel nicht altruistisch,
sondern aus Pflicht. Um es deutlich zu sagen: Die Figur des Altruismus – verstanden
als Handeln mit der Motivation/Intention, anderen unter Hintanstellung eigener
Interessen außer dem Interesse am Wohl des Anderen zu helfen/zu nützen – wird für
die Reziprozität des Gebens und Nehmens nicht gebraucht. In den Worten von Khalil
(2004, 98 f.): „One should not model altruism as about honesty (the origin of justice).
... Any behavior stemming from the concern over fairness ... is hence outside the scope

214
of the theory of altruism.”. Auch die Trobriander waren und sind keine Altruisten,
sondern wussten und wissen, ihren je eigenen Nutzen sehr wohl zu bedenken.
Die schiefe Entgegensetzung von Altruismus und Nutzenorientierung hat, gewollt
oder ungewollt, die Funktion, als einzige Alternative zur Nutzenorientierung eine
Handlungsorientierung hinzustellen, die man, zumal als Ökonom, als wenig relevant
abtun kann (s. Ortmann 2004, 143 f., 168 f., 173 f.). Pflichterfüllung muß dann
gleichbedeutend mit Altruismus sein und – beider Gegenteil – eben Eigennutz, der
damit unter dem Namen „Nutzen“ das Monopol auf die Erklärung sozialen
Geschehens behaupten kann. Die Alternative „Altruismus“ aber kann allzu leicht dem
Einwand ausgesetzt werden, sie sei
z eine – nutzlose?! – Randerscheinung,
z ganz überwiegend auf Andere in großer sozialer Nähe beschränkt und
z nur in kleinen, homöopatischen Dosen wirtschaftlich durchzustehen. Damit
wäre die einzige Alternative zum Nutzenstreben eine quantité négligeable.
Quod erat demonstrandum.
Im deutlichen Gegensatz zur Marginalisierung des Altruismus durch die
Standardökonomik zielen Ernst Fehr und seine Mitstreiter darauf ab, „human altruism“
als „a powerful force“ herauszustellen und für sein Konzept einer „strong reciprocity“
in Anspruch zu nehmen (Fehr/Fischbacher 2005). Allerdings operieren
Fehr/Fischbacher manchmal (2003, 785) mit einem „behavioural – in contrast to a
psychological – definition of altruism as being costly acts that confer benefits on other
individuals“. Das soll – in einem Beitrag für Naturwissenschaftler, die bei Altruismus
zum Beispiel an Bienenköniginnen und „altruistische“ Arbeiterinnen denken – von
Motiven und Intentionen abzusehen erlauben. Der Preis dafür ist allerdings hoch. Mit
der zitierten begrifflichen Bestimmung hätten wir es mit Altruismus zu tun, sobald
irgendwelche „costly acts“ positive externe Effekte hätten. Noch der größte Egoist, der
solche externen Effekte seines Handelns nicht verhindern kann oder will, avancierte
damit zum Altruisten. Auch der Unterscheidung Sens zwischen sympathy und
commitment (Mitgefühl und Wertbindung) ist die zitierte Bestimmung nicht mächtig.
Das bloße Verhalten lässt ja nicht erkennen, ob Präferenzen oder (auch) das
moralische Commitment von Akteuren ihre Entscheidungen bestimmen. Daran sieht
man, dass man hier ohne Rekurs auf die Motive und Intentionen der Akteure nicht
auskommt99. Tatsächlich dienen die differenzierten Versuchsanordnungen der
experimentellen Wirtschaftsforschung ja auch besonders dem Zweck, unterschiedliche

99
So auch Khalil (2004), Peacock et al. (2005). Auf diese und viele andere Fragen, die Fehrs ambitioniertes und
überragend wichtiges Forschungsprogramm aufwirft, können wir hier nicht näher eingehen; vgl. das
Sonderheft der Analyse & Kritik 1/2005 u. a. mit Beiträgen von Fehr/Fischbacher, Gintis und Elster sowie u.
E. besonders triftigen Anfragen von Peacock et al. (2005). Auch Falk (z.B. 2003) lehnt eine Gleichsetzung von
Reziprozität und Altruismus ab. Khalil argumentiert überzeugend, dass wir noch eine ganze Reihe weiterer
Fälle vom Fall des Altruismus unterscheiden müssen, neben der Erfüllung moralischer Pflichten zum Beispiel
elterliche Fürsorge und „warm glow“-Motivationen.

215
Motive der Akteure auseinanderhalten zu können. Dennoch ist die Differenz unserer
Position zu der Fehrs u. a. wohl nicht nur terminologischer Art: Was Fehr/Fischbacher
(2003, 785) „strong reciprocity“ nennen – die Prädisposition zu „altruistischem“
Belohnen bzw. Bestrafen kooperativen, normgerechten bzw. unkooperativen, norm-
verletzenden Verhaltens – kann und sollte ohne Rückgriff auf Altruismus, nämlich als
Reziprozitätsmoral, aufgefaßt werden, weil und insofern nicht die Besorgnis um das
Wohl Anderer dieses Verhalten motiviert, sondern die Überzeugung vom hier
moralisch Gebotenen.
Das alles bedeutet, dass sich die beiden hier zur Debatte stehenden Gegensatzpaare,
Egoismus/Altruismus und Nutzen/Pflicht, nicht etwa decken, derart, dass
Nutzenorientierung mit Egoismus und Pflichtorientierung mit Altruismus gleich-
zusetzen wären. Insbesondere kann nicht deutlich genug herausgestellt werden, dass
Egoismus eine Pflichtorientierung nicht nur nicht aus-, sondern einschließt (obwohl
Letztere zu Nutzeneinbußen führen kann). Auch der Egoist kann – und muss zu einem
Mindestmaß – sein Handeln an Pflichten orientieren, nämlich aus Gründen der
Selbstachtung à la Kant oder der self-integrity à la Khalil (2004), die ihn wiederum zur
Einhaltung von Mindeststandards der Moral verpflichtet. Und andersherum: Es kann
der noch so rigide Pflichtenmensch ein recht hartgesottener Egoist sein, wie etwa jener
Puritaner aus der Protestantischen Ethik, der alles tut, um in den Himmel zu kommen.
Umgekehrt trifft es nicht etwa zu, dass Altruismus immer das moralisch Richtige oder
Gebotene ist, wie man sich leicht an Fällen klarmachen kann, bei denen der Andere ein
Dieb, ein Mörder, ein KZ-Scherge ist.

1.5. Reziprozität der Perspektiven

Da bis hier unser Argument ganz auf die Intention und Motive der Akteure abzustellen
scheint, beeilen wir uns, diese Korrektur anzufügen: Innerhalb des Sozialen werden
nicht – nicht direkt – diese inneren Befindlichkeiten relevant, sondern das, was davon
in der Kommunikation, Interaktion, Kooperation und in der Zurechnung durch die
anderen zur Geltung und Anerkennung gebracht wird. Dabei aber spielen Rekurse der
mehr oder minder lebenserfahrenen Akteure auf vermeintliche oder tatsächliche, zu
Unrecht oder zu Recht zugerechnete Intentionen und Motive der Akteure eine wichtige
Rolle.
Implizit setzt die Standardökonomie genau diese wechselseitigen Zuschreibungs-
prozesse voraus. Denn die ökonomische Theorie basiert auf der Annahme, dass die
Akteure wechselseitig das Verhalten der Gegenüber vorhersagen können. Nur wenn
der Einzelne weiß, was die Anderen von ihm erwarten, kann er seine Rolle in einer
arbeitsteiligen Wirtschaft überhaupt definieren. Konstitutiv für „die Überwindung des
Nichtwissens hinsichtlich dessen, was zu tun“ (Picot/Dietl/Franck 2002, 8) ist, erweist
sich also die Frage nach der eigenen Positionierung in einem System wechselseitiger
Erwartungen. An prominenter Stelle wird dieses Problem in der Spieltheorie
thematisiert. „These concepts require people to be able to view the game from the

216
other players’ perspective (i.e., to understand others’ motives and beliefs)”
(Singer/Fehr 2005, 340). Aber auch in der starren Rollenkonfiguration der Agency-
Theorie erweist sich implizit100 die Fähigkeit zur Empathie für die eigene
Nutzenmaximierung als nützlich, da sie den Einzelnen befähigt, die Handlungen des
Gegenübers präziser vorherzusagen (Singer/Fehr 2005). Befreit man die Akteure aus
dem axiomatischen Korsett der puren Nutzenmaximierung, so kann die Fähigkeit zu
Empathie auch den Eigennutz reduzieren, „because it allows the sharing of emotions
and feelings with others and therefore motivates other-regarding behavior“
(Singer/Fehr 2005, 340). Zielt Empathie eher auf die Handlungsmotive und Emotionen
des Gegenübers, so fokussiert „mentalizing“ auf die Fähigkeit „to represent others’
intentions, beliefs, and desires“ (Singer/Fehr 2005, 340). Fehlt die Fähigkeit, den Geist
des Gegenübers zu „lesen“, so sind Fehlschläge und Abbrüche in der Kommunikation
und sozialen Interaktion unausweichlich. Die Fähigkeit, sich in das Gegenüber
hineinzuversetzen, sich eine Vorstellung von seinen Motiven und Erwartungen zu
machen – kurzum die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme – , erscheint in allen –
ökonomischen – Interaktionszusammenhängen von zentraler Bedeutung. „Much of the
social behavior is predicated upon assumptions of an actor about the knowledge,
beliefs and motives of others. This is the beginning of the process of perspective
taking, and is fundamental to communications” (Boland/Tenkasi 1995, 348).
Mag die wechselseitige Perspektivenübernahme für eine gelingende Kommunika-
tion und Handlungskoordination noch so evident sein, die Wahrnehmungsposition von
alter bleibt jedoch ego generell verschlossen. So sehr sich der Verstehende auch
bemüht, es bleibt dabei, “dass alles echte Fremdverstehen auf Akten der
Selbstauslegung des Verstehenden fundiert ist“ (Schütz 1960, 123). Denn mögen die
Gegenstände dieser Welt alter auch bekannt oder erkennbar sein, so ist doch ego klar,
dass ein und derselbe Gegenstand für jeden etwas anderes bedeutet.
Um diesen Unterschied zu markieren, verwendet Schütz (1971) den Distanzbegriff:
Ego steht in einer anderen Distanz zu den Gegenständen als alter. Während bestimmte
Gegenstände daher nicht in egos Reichweite in Form von Sehen, Hören oder Tasten
sind, können sie möglicherweise von alter erreicht werden. Darüber hinaus sieht
Schütz (1971) einen Unterschied in der Differenz zwischen der bibliographischen
Situation von ego und alter. Auf diesen Unterschied gründen sich auch
unterschiedliche Relevanzsysteme (Stegbauer 2002). Diese individualistische

100
Was Singer und Fehr (2005) für die Spieltheorie beanstanden, lässt sich in noch stärkerem Ausmaß bei der
Principal-Agency-Theorie kritisieren. Die Autoren monieren, dass die Spieltheoretiker in Spielen mit
unvollständigen Verträgen eine technische Vereinfachung wählen, indem sie „a common prior distribution
over players’ potential preferences (‚types’)“ unterstellen (Singer/Fehr 2005, 344). Zwar hat diese
Vereinfachung den Ökonomen die Lösung solcher Spiele ermöglicht, die Frage nach den Determinanten „of
this prior probability distribution“ (Singer/Fehr 2005, 344) wurde jedoch noch nie adressiert, geschweige
denn beantwortet. „In fact, the assumption of a prior distribution over types constitutes a huge black box”
(Singer/Fehr 2005, 344). Mit Bezug auf die Neoökonomie versuchen Singer und Fehr (2005), diese Black
Box zu öffnen.

217
Perspektive überwindet Schütz (1971) durch zwei grundlegende Idealisierungen
(Stegbauer 2002):
z Die Idealisierungen der Vertauschbarkeit der Standorte: Würde ego den Platz
von alter einnehmen, stünde er in derselben Distanz zu den Gegenständen und
nähme diese in denselben typischen Eigenschaften wie alter wahr. Zudem
wären für ego dieselben Gegenstände in Reichweite, die von alters Platz aus zu
erreichen sind.
z Die Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme: Es ist ego
selbstverständlich, dass die Unterschiede der biographischen Situation, die
letztlich die Differenz der Standorte bedingen, für die momentanen Interessen
von alter irrelevant sind.
Die genannten Idealisierungen konstituieren bei Schütz (1971, 12) die Generalthese
der reziproken Perspektiven101:
„Die Generalthese der reziproken Perspektiven führt also dazu, dass Gegenstände
mit samt ihren Aspekten, die mir tatsächlich und dir potentiell bekannt sind, als
Gegenstände im Bereich des Wissens von jedermann erfasst werden. Dieses Wissen ist
objektiv und anonym, das heißt, es ist abgelöst und unabhängig von meiner und
meiner Mitmenschen Definition der Situation, von unseren einzigartigen
biographischen Vorgegebenheiten und unseren wirklichen und möglichen Zielen, die
uns mit unseren Biographien verfügbar sind“.
Wir erwarten von unseren Mitmenschen, dass diese unser Relevanzsystem teilen,
unsere Lebensweise kennen und wissen, wie man sich normalerweise in
unterschiedlichen Situationen zu verhalten hat (Schütz 1971; Stegbauer 2002)102.
Während dieses Wissen nur zu einem geringen Teil der eigenen Erfahrung entspringt,
ist der größte Teil sozialen Ursprungs. Schule, Freunde, Elternhaus und Arbeitsstätten
sind nur einige Institutionen, die dem Individuum Definitionen der Umwelt vermitteln.
Diese Vermittlung beinhaltet jedoch nicht nur eine relativ natürliche Anschauung der
Welt, sondern auch „typische Konstruktionen in Übereinstimmung mit dem
Relevanzsystem ..., das von dem anonymen, gemeinsamen Standpunkt der

101
Aber nicht nur in der Phänomenologie Schützscher Prägung spielt die Reziprozität der Perspektiven eine
zentrale Rolle. Auch der symbolische Interaktionismus argumentiert mit diesem Konzept. Kommunikation ist
in dieser Perspektive ein ständiges, wechselseitiges Orientieren der Kommunikationspartner. Indem wir im
Rahmen der Kommunikation Symbole nutzen, versetzen wir uns in die Perspektive des Gegenübers und
übernehmen gedanklich seine Rolle. „Aus dieser Perspektivenübernahme resultiert die Erwartung bestimmter
Erwartungen: Wie wir uns verhalten, was wir wie mitteilen, kann also ein Ergebnis der Reziprozität der
Perspektive angesehen werden“ (Stegbauer 2002, 126).
102
Genau an dieser Stelle setzt die Ökonomie mit ihrem Begriff des common knowledge (Aumann 1976) an.
Indem Investoren und Unternehmensmanagement sich in ökonomischer Diktion wechselseitig
nutzenmaximierendes Rationalverhalten unterstellen und hieraus deduktiv bestimmte Verhaltensweisen
ableiten, schließen sie an gesellschaftlich akzeptierte Rollentypisierungen an. Während die Ökonomie nun
diese Typisierungen quasi unterhinterfragt zur Grundlage ihrer Theoriekonstruktion macht und damit von
vornherein massiv Komplexitätsreduktion betreibt, betreibt die Wissenssoziologie – wie am Beispiel der
Analysepraxis verdeutlicht – zunächst Komplexitätsaufbau, indem sie das Alltagsverständnis in Form von
akzeptierten Rollentypisierungen und –motiven zum Gegenstand der Analyse macht.

218
Eigengruppe übernommen wird“ (Schütz 1971, 15). Enthalten sind hier etwa typische
Mittel, um typische Ziele in typischen Situationen realisieren zu können103 .
Inwieweit die individuellen Interpretationen tatsächlich denen der Anderen
entsprechen, zeigt sich an deren Reaktion (Stegbauer 2002). (Fremd-)Verstehen kann
um so eher und fehlerfreier stattfinden, desto mehr die Kommunikationspartner sich in
identischen sozialen Welten bewegen. Der Empfänger von Wissen kann dann mit
größerer Berechtigung von einer Reziprozität der Perspektiven zwischen ihm und dem
Sender des Wissens ausgehen und das Empfangene in seine Wissens- und Sinnsysteme
integrieren.
Wie unlängst Singer und Fehr (2005) verdeutlichen, hat das Konzept der
Reziprozität der Perspektiven implizit Anklang in der Ökonomie gefunden. Ohne auf
die soziologischen Vorläufer zurückzugreifen, ist es zum Gegenstand der
experimentellen Wirtschaftsforschung geworden. Die interaktionsbestimmende
Dominanz von Reziprozität und Fairness in den Geschenke- und Vertrauensspielen
lässt sich nach Ansicht der Forscher (Sigmund/Fehr/Norwak 2002; Singer/Fehr 2005)
auf emotionale Grundlagen, etwa „soziale Gefühle“ oder auch das Hineinversetzen in
den anderen zurückführen. „Letzteres ist aber nichts anderes als eine
Wiederentdeckung einer der Grundlagen der Soziologie, jetzt aber durch andere
Disziplinen, die von der empirischen Wirtschaftforschung über Verhaltenspsychologie
bis zur Soziobiologie reichen“ (Stegbauer 2002, 128-129).

1.6. Vertrauen, Loyalität, Fairness und Reputation – zum Anökonomischen in


der Ökonomie

Beim Geben und Nehmen haben wir es nicht einfach mit ökonomischen Erwägungen
einerseits und nicht-ökonomischen andererseits zu tun. Wir sind vielmehr damit
konfrontiert, dass Nutzen und Pflichten einander (forcieren, aber auch) beeinträchtigen
können, dass zum Beispiel Nutzenerwägungen Pflichtmotive unterminieren,
korrumpieren und ihrer moralischen Qualität berauben können – können, nicht
müssen. Das gilt nicht nur in Liebes- oder Freundschaftsbeziehungen, sondern überall,
wo wir voneinander so etwas wie Antworten im weitesten Sinne und, horribile dictu,
Anstand verlangen: unter Nachbarn, unter Kollegen, zwischen Zulieferern und
Abnehmern, unter Netzwerkpartnern, zwischen Verkäufern und Kunden, in
Kooperationsbeziehungen, wenn auch in sehr verschiedenem, manchmal ganz
geringfügigem Maße. Nicht nur heißt es zu Recht: can’t buy me love, sondern es muss
auch heißen: can’t buy me trust. Und nicht nur kann ich mir so etwas nicht kaufen,
sondern ich laufe Gefahr, es zu zerstören, wenn ich es zu kaufen versuche. Diese Figur
ist verwandt mit dem von Deci (1975) zunächst als „Korrumpierungseffekt der

103
Schütz (1971, 16) betont hier die zentrale Rolle der Alltagssprache, umfasst doch jeder „Name eine
Typisierung und Generalisierung, die auf ein in der sprachlichen Eigengruppe vorherrschendes
Relevanzsystem ..., für die das benannte Ding wichtig genug war, es mit einem besonderen Wort zu
belegen“.

219
extrinsischen Motivation“ bezeichneten Phänomen. Später wurde es von Frey (1997)
als Verdrängungs-Effekt („crowding out“) in die Ökonomie eingeführt. Extrinsische
(ökonomische) Anreize zerstören unter ökonometrisch und experimentell erhärteten
Bedingungen die intrinsische Motivation (s. auch Frey/Osterloh 2000). Das heißt, und
das kompliziert die Dinge erst richtig, dass das Wirtschaften, sofern es derlei
voraussetzt, nicht nur Anökonomisches, sondern Antiökonomisches voraussetzt,
etwas, das vom ökonomischen Kalkül gefährdet und zersetzt werden und es seinerseits
beeinträchtigen kann.
Nicht nur kann Moral Abstriche am Nutzen fordern. Sondern Wirtschaften kann
andererseits ohne Moral, ohne Pflicht, ohne Vertrauen nicht auskommen, ohne etwas,
für das ein wirtschaftliches Kalkül – Nutzenkalkül – aber vielleicht Gift ist. Das wäre,
um die berühmte Metapher Arrows zu bemühen, wie ein Schmiermittel, das von der
Maschinerie, die es zu schmieren hat, der Ökonomie, zersetzt wird wie Öl von
lipophagischen Bakterien.
Dass Vertrauen ein effizientes Schmiermittel im Räderwerk des sozialen Systems
ist, daran besteht seit diesem vielzitierten Diktum Arrows (1974) auch aus der Sicht
strikt ökonomischer Theorie kein Zweifel mehr. Dennoch mag es überraschen, dass in
Dieter Sadowskis Personalökonomie und Arbeitspolitik (2002) das Stichwort
„Vertrauen“ laut Index mit 24 Nennungen unter über 250 Stichwörtern am
vierthäufigsten vorkommt, nach „Arbeitsmarkt“ (47 Nennungen), „Gewerkschaft(en)“
(42) und „Kündigung“ (33)104. Eine „vertrauenswürdige Unternehmensordnung“ stuft
Sadowski (2002) als „Organisationskapital“ und, unter Rekurs auf Edith Penrose, als
Basis für Profitabilität, Überleben und Wachstum ein. Es ist ein Kapital, das
Kooperationsrenten zu erzielen erlaubt.

1. Allein zum Thema Vertrauen gibt es mittlerweile eine unerschöpfliche Literatur105,


die wir hier nicht annähernd zusammenfassen können. Unter den unendlich vielen, oft
wertvollen Differenzierungen, die das Vertrauen darin durchgemacht hat, droht nach
unserem Eindruck oft verloren zu gehen, worauf es uns jedoch ankommt: dass
Vertrauen (1.) nicht, auch nicht im weitesten Sinne eines nutzenbasierten Tauschs,
„gekauft“ werden kann, weil es eine in der Literatur meist stiefmütterlich behandelte
moralische Dimension hat, und dass es (2.) auf Reziprozität angewiesen ist. Nur das
möchten wir hier knapp begründen.
Zu Punkt (1.) zitieren wir nur Oliver Williamson, der die Unvereinbarkeit zwischen
Vertrauen und Nutzenkalkulation genau gesehen und an mehreren Stellen (1990,
1993) ausdrücklich hervorgehoben hat. „Indeed, I maintain that trust is irrelevant to

104
Die Stichworte „Fairness (Æ Gerechtigkeit)“ und „Gerechtigkeit (Æ Fairness)“ bringen es mit 19 und 20
Nennungen ebenfalls auf vordere Plätze, „Reputation“ schneidet mit 16 Nennungen gut ab, und auch
„Loyalität“ (8) belegt einen Platz im oberen Drittel.
105
Zum Beispiel Deutsch 1960; Gambetta 1988; Luhmann (1989); Coleman (1991); Kramer/Tyler 1997;
Lane/Bachmann (1998); Rousseau et al. 1998; Möllering (2003); Ortmann (2003: O/W); Weibel (2004,. 110
ff.).

220
commercial exchange and that reference to trust in this connection promotes
confusion.“ (Williamson 1993, 469) Er hat auch gesehen, dass die „Rechenhaftigkeit,
die Ökonomen in anderen Fragen vorteilhaft zur Anwendung bringen, … hier ein
Nachteil sein [mag]“ und “dem Vertrauen ins Gehege kommen” kann (Williamson
1990, 345).
Wir heben also hervor, dass das heutzutage vielfach in Anspruch genommene
kalkulative Vertrauen (Lewicki/Bunker 1995) ein hölzernes Eisen ist und dass
Vertrauen vielmehr geradezu, mit Luhmann zu sprechen, als funktionales Äquivalent
für Kalkulation gelten kann. Autoren, die Vertrauen als Resultat einer Nutzen-
kalkulation auffassen wie zum Beispiel Kreps/Milgrom (1982), Dasgupta (1988),
Gambetta (1988) und Coleman (1991), verfehlen entsprechend ihren Gegenstand, was
sich daran zeigt, dass sie Vertrauen nicht von einer Wette oder einem Rechenkalkül
unterscheiden106. Die moralische Dimension des Vertrauens ist darin zu sehen, dass es
sich a) auf eine moralische Qualität des Vertrauensempfängers bezieht, eben auf seine
Vertrauenswürdigkeit, und nicht auf seine Schlauheit beim Nutzenkalkül und dass
Vertrauen b), moralisch gesehen, erwidert sein will. Mit b) sind wir bei Reziprozität
als Basis von Vertrauensverhältnissen, unserem Punkt (2.). Wem Vertrauen
entgegengebracht wird, der muss nicht unbedingt seinerseits vertrauen, aber er verletzt
den Anstand, wenn er das entgegengebrachte Vertrauen missbraucht. Er ist in der
Pflicht, die Gabe des Vertrauens durch die Gegengabe zu erwidern, sich des
Vertrauens würdig zu erweisen. Dass Nutzenkalküle diesen Moralanteil107 des
Vertrauens bedrohen können, liegt ebenso auf der Hand wie umgekehrt, dass die hier
geltende Moral Abstriche am Nutzen fordern kann. Die Reziprozitätsnorm bezieht sich
also auch hier auf eine Pflicht des Gebens, Nehmens und Erwiderns.
Dass entsprechende Handlungsorientierungen in der Lage sind, wie Sadowski es
formuliert hat, „den cash-nexus erweiternde, auf Reziprozität beruhende Beziehungen
zu schaffen“108, spitzen wir zur Klarstellung so zu: Es sind Beziehungen, die den
Nutzen-Nexus erweitern, und eben nicht nur erweitern, sondern eventuell auch
angreifen. So wenig aber Vertrauen um eines Nutzens willen gegeben werden kann, so
sehr werden Vertrauensverhältnisse doch erodieren, wenn es an solcher Reziprozität
gebricht. Vertrauen ist keine Einbahnstraße.

2. Darüber, dass Loyalität ökonomisch und auch einzelwirtschaftlich relevant ist, hat
Albert O. Hirschman ein berühmtes Buch geschrieben. Das Denkmotiv ist einfach und
nötigt einmal mehr zu einer Ergänzung/Ersetzung von Annahmen der Standard-

106
Zur Kritik s. Ortmann (2003), Weibel (2004).
107
Wir sagen Moralanteil, weil wir nicht etwa bestreiten, dass in jedem empirischen Vertrauensverhältnis ein
mehr oder minder nutzenbedachter Blick auf respektive Vorteile und auf Chancen und Risiken mitläuft. Es
ist nicht blindes Vertrauen, dem wir das Wort reden.
108
Sadowski (2002) unter Rekurs auf die oben angeführte Arbeit Akerlofs (1982) zum Gabentausch in
Arbeitsbeziehungen und Ouchis Clans (Ouchi 1980); s. auch Sadowski (2002).

221
ökonomik: Hirschman selbst hat als dieses Motiv im Vorwort zur deutschen Ausgabe
die „Besorgnis“ angeführt, „daß durch die Abwanderung jener, deren Widerspruch
unüberhörbar wäre, ein besonders wirksames Mittel gegen den Niedergang verloren
gehen könnte“ (Hirschman 1974, S. VII). Auswanderer, die ihr Land, Parteimitglieder,
die ihre Partei, Mitarbeiter, die ihr Unternehmen verlassen, aber auch Kunden, die
einem Unternehmen oder einer Marke „untreu“ werden, sind paradigmatische
Beispiele. Sie schwächen damit vielleicht ihr Land, ihre Partei, ihr Unternehmen.
Loyalität kann (allzu frühe) Abwanderung verhindern, fördert Mitarbeiter- und
Kundenbindung und kann daher wirtschaftlich erwünscht sein. Das mit Abstand
längste Kapitel von Abwanderung und Widerspruch ist daher einer „Theorie der
Loyalität“ gewidmet.
Dabei ist Hirschman (1974, S. 67) von Anfang an bemüht, den „sehr großen Anteil
an rationalem Kalkül“ an jeder Loyalitätsbindung herauszuarbeiten. „Honesty is
useful“ hat Akerlof (1983, S. 56) in einem Beitrag über „Loyalty Filters“ einmal
gesagt – mit Blick auf den Wohlstand der Quäker und ihre hohe Reputation der
Vertrauenswürdigkeit. Dem stimmen wir zu und ergänzen allerdings, dass rationales
Kalkül, sofern es wie bei Hirschman als Nutzenkalkül gemeint ist, zwar einen Anteil,
aber nicht das Ganze der Loyalität ausmacht.
Hirschmans Frage lautet im Kern, wann Loyalität sinnvoll, nämlich funktional für
die Organisation ist. Eine ebenso interessante Frage ist, wann und wie es zu Loyalität
kommt. Diese Frage führt sofort in die Welt der Reziprozität – eines Gebens und
Nehmens von Respekt, Fairness und Anerkennung. Darauf gründet nämlich Loyalität.
Durch Kauf, Tausch und Nutzenkalküle würden diese Orientierungen in ihrem nicht-
kalkulativen Kern ausgehöhlt.

3. Fairness als Führungseigenschaft – oder als institutionalisierter Bestandteil einer


vertrauenswürdigen Unternehmensordnung im Sinne Sadowskis – entfaltet ihre
motivierende und legitimierende Kraft (Sadowki 2002, passim) gerade dann und um so
mehr, wenn sie nicht als Motivationstechnik und -trick, also im Dienste eines Nutzens,
instrumentalisiert, sondern aus Anstand gewährt wird (Weibel/Rota 2000). Das gilt
cum grano salis selbst für die Fairness von Löhnen – man denke etwa an die fair
wage/effort hypothesis von Akerlof und Yellen (1988). Allerdings müssen wir
einräumen (und das bereitet unserer Theorie der Reziprozität gewaltige Probleme):
wovon Gerechtigkeitsurteile ihrerseits abhängen, ist eine überaus komplexe
Angelegenheit109.
4. Auch Reputation, ökonomisch unbestritten vorteilhaft, unterliegt, sofern sie sich
auf moralische Qualitäten der Integrität, Ehrbarkeit, Glaubwürdigkeit und Korrektheit

109
Sadowskis Erörterung (2002), die eine verständliche Frustration angesichts magerer Ergebnisse der
soziologischen Forschung zeigt, wäre etwa zu ergänzen durch den Einbau der Theorie der Referenzgruppen
(Merton 1957): Gerechtigkeitsurteile werden durch den Vergleich mit Bezugsgruppen beeinflusst. Dann
werden komplexitätstheoretische Denkfiguren gebraucht.

222
bezieht, der Paradoxie, dass ihr Aufbau untergraben wird in dem Maße, in dem das
ökonomische Interesse an Reputationssicherung durchsichtig wird. Wer ein „ehrbarer
Kaufmann“ nur deswegen und nur da ist (oder es gar nur vortäuscht), weil und wo es
ihm nützt – weil er Reputationsrenten110 sucht –, ist kein ehrbarer Kaufmann und wird
in seinem rent-seeking gefährdet, sofern er darin durchschaut wird. Was Kreps (1990)
als Vertrauens- respektive Reputationsspiel modelliert, bietet nur eine Version des
Gefangenendilemmas. Es bleibt auf der Ebene bloßer Kalkulation. Den Namen
„Vertrauensspiel“ verdient es nicht.
Wenn also, wie es oft geschieht, der These von einem unhintergehbaren Rekurs auf
Moral der Hinweis entgegengehalten wird, auch das sei in Nutzenbegriffen zu fassen,
weil es um den Nutzen der Reputation ginge, dann ist zu erwidern: Diese Erklärung ist
jener Fall von begging the question, der uns schon im Diskurs der Ethnologen (Lévi-
Strauss, Bourdieu) begegnet war. Denn wir reden hier ja von einer Reputation der
Anständigkeit. Ohne dass wir Anständigkeit positiv beurteilten, gäbe es auch keine
Reputation der Anständigkeit. Selbst der, der sie nur vortäuscht, zehrt von der damit
implizierten Moral. Er ist Parasit jener Pflichtorientierung, die das Argument mit dem
Reputationsnutzen zu bestreiten versucht. Ein guter Ruf bedeutet Ruf der Integrität,
nicht Schlauheit – auch nicht Schlauheit beim Reputationserwerb. Der Ruf, ein
gewiefter Reputationsstreber zu sein, beschädigt vielmehr den guten Ruf.

110
Zu diesem Begriff s. Franck (2002) mit Blick auf die Reputation von Programmierern, die sich in der Open-
Source-Bewegung engagieren – um ihre Karrierechancen zu erhöhen?

223
2. Steuerungspraktische Evidenz eines interdisziplinären
Reziprozitätsverständnisses
2.1. Reziprozität und Steuerung in Organisationen

Unsere These ist also: So nützlich Interaktion und Kooperation sein mögen, und wie
dominant ihr Nutzen als Motiv auch ist: sie kommen ohne Normen der Reziprozität
und eine „Ethik der Gabe“ nicht aus, die nicht noch auf Nutzenerwägungen
zurückgeführt werden können. Dass dies für jedwede Kooperation gilt, kann man sich
schon daran klarmachen, dass es den Beteiligten ohne eine moralinduzierte
Bereitschaft zu Vorleistungen, Vertrauensvorschüssen u. ä., einschließlich einer
ebenfalls moralbasierten Erwartung späterer Erwiderung, kaum möglich wäre, das
Geben und Nehmen, auf dem jede Kooperation gründet, ohne beständige Stockungen,
Unterbrechungen und Friktionen „fließen“ zu lassen. Unter Rekurs auf Arrows
Informationsparadox lässt sich sogar argumentieren, es sei unmöglich, den
erforderlichen, reibungslosen Wissensfluss auf Basis von Nutzenkalkülen zu
gewährleisten, weil der Nutzen, den das transferierte Wissen für den Empfänger hat,
weder vom Gebenden noch vom Nehmenden vorab gewusst werden kann. Die
Funktion eines moralischen Klimas des Gebens und Nehmens, einer gewissen
Freigebigkeit, ist es, solche Lücken der Kalkulierbarkeit zu schließen. Die zugehörige
Pflicht der Erwiderung übernimmt dabei die Funktion, das Risiko der Vorschüsse
gering zu halten. Diese Funktionen kann die Moral aber, wie erläutert, nur haben,
wenn sie nicht ihrerseits auf Berechnung gründet. Und, nota bene: Ein Geben in der
halbwegs sicheren Erwartung, der andere werde seiner Erwiderungspflicht
nachkommen, bedeutet noch nicht, dass die Gabe um der Gegengabe willen gegeben
wurde. Man gibt eben Hilfestellung, Tipps und andere Kooperationsbeiträge (auch),
weil es sich gehört – aus Pflicht, aus Anstand, aus Hilfsbereitschaft. Das wiederum
bedeutet nicht Altruismus und nicht Blauäugigkeit, weil und sofern faire
Erwiderungen erwartet werden können.
Angesichts dieser Reziprozitätserfordernisse der Kooperation verwundert es nicht,
dass besonders die Organisations- und Personalforschung mit ihrem Steuerungs-
interesse das Phänomen immer wieder in den Blick genommen hat, sekundiert von
Ökonomen, die sich für das Innere der Unternehmung interessieren, meist allerdings
ohne zwischen nutzen- und pflichtorientierter Reziprozität zu unterscheiden.
Auf allgemeinster Ebene darf wohl die soziologische Rollentheorie als die
Alternative (oder Ergänzung) zum ökonomischen Handlungsmodell gelten. Handeln
wird darin im Lichte der Erfüllung von Normen (Rollenerwartungen) gesehen, wo
Ökonomen das Nutzenstreben fokussieren. Für Organisationen haben March und
Olsen der „logic of consequentiality“, der Antizipation des Nutzens von
Konsequenzen, eine „logic of appropriateness“ gegenübergestellt, eine Logik
obligatorischen Handelns. Deren Imperativ lautet „do the right thing“ oder „do what is
most appropriate“ und nicht: “Choose the alternative that has the best consequences“
(March, Olsen 1989, 23). Mit Blick auf Unternehmungen und – allgemeiner –
Organisationen hat besonders James D. Thompson (1967, 54) den Sachverhalt der
reziproken Interdependenz ihrer Teile hervorgehoben und daran scharfsinnige
Überlegungen, betreffend zugehörige Koordinations- und Steuerungsweisen,
angeschlossen. Tenor: Bei reziproker Interdependenz ist gegenseitige Abstimmung in
situ („mutual adjustment“) die gebotene Koordinationsweise, nicht Standardisierung
und nicht Planung. Dass Kollegen Konstrukteure eines geteilten Verständnissen ihrer
Arbeit und Arbeitssituationen sowie ihrer eigenen Identität und – „reciprocally“ – der
Identität und Entwicklung ihrer community of practice sind, wie Brown und Duguid
(1991) betont haben, lässt sich als Konkretisierung dessen lesen. Auch Thompson
macht keine Unterscheidung zwischen Pflicht und Nutzen als treibende Kräfte solcher
Abstimmung. Sein Konzept der organisationsinternen Reziprozität aber, mit
Leichtigkeit übertragbar auf interorganisationale Verhältnisse, etwa in
Unternehmungs- und Innovationsnetzwerken, lenkt die Aufmerksamkeit auf die
enorme, wegen ihrer Selbstverständlichkeit wenig bedachte betriebswirtschaftliche
Bewandtnis von Reziprozitätsverhältnissen, Bewandtnis nämlich für jedwede
Kooperation und Koordination, die ohne ein Geben, Nehmen und Erwidern nicht
auskommen111.
Mit Blick auf organisationale Zusammenhänge verweisen wir ferner auf Ralph
Staceys „complex responsive process perspective“, in der die Responsivität aller
Interaktionsprozesse und die „gesture-response structures“ in Organisationen in den
Fokus gerückt werden. Anschlüsse zur responsiven Phänomenologie, die Stacey kaum
kennen kann, drängen sich auf und sind geeignet, die sozialen und auch die
moralischen Aspekte des Gebens und Nehmens von Antworten deutlicher
herauszuarbeiten, als Stacey (2001) selbst es tut.
Akerlof (1982) – wie bereits erwähnt – konzipiert Arbeitsverträge als partiellen
Gabentausch. Williamson (1990, 171) betont die Rolle von Fairness und Gerechtigkeit
als Differenzierungsmerkmal von Organisations- und Steuerungsformen: „Der
Gerechtigkeitssinn variiert systematisch je nach der Organisationsform“. Schlicht
(2004, 241) unterstreicht unlängst, dass in Arbeitssituationen, wo Motivation,
Involvement und Commitment wichtig sind, „selfishness may be outcounted by
generosity“.

111
Anders James Coleman, der eine wechselseitige Existenzfähigkeit (reciprocal viability) von Beziehungen nur
auf Märkten bejaht, wo Tauschhandlungen selbständige paarweise Beziehungen begründen, die jeweils
dyadisch balanciert werden müssen. In Organisationen sei das nicht erforderlich. Dort gebe es eine
unabhängige Existenzfähigkeit (independent viability), gestiftet durch die – voneinander unabhängigen? –
Beziehungen jedes Organisationsmitglieds zur Organisation. Dabei wird mittels Entgelt für die Balance
gesorgt, „womit die Notwendigkeit der wechselseitigen Existenzfähigkeit ... aufgehoben ist (sic)“ (Coleman
1992, 136). So aufschlussreich diese Unterscheidung ist, so zeugt sie doch von einer Verkürzung von
Sozialität: Dass die Existenzfähigkeit von Beziehungen auch innerhalb von Organisationen nicht vollständig
unabhängig ist, sondern trotz Unabhängigkeitszugewinnen via Entgelt in hohem Maße reziprok bleibt, das
haben Arrow, Akerlof, Burawoy und Thompson gezeigt. Vgl. dazu auch Küpper, Felsch (2000, 57 ff, 176 f).

226
Diese Argumente lassen sich bestärken durch die Theorie unvollkommener Verträge
(Hart 1995). Besonders Arbeitsverträge sind bekanntlich unvollständig. Ein
Unternehmen verfügt zwar rechtlich über den Einsatz der Arbeitskraft, die faktische
Verfügungsmacht verbleibt jedoch beim Beschäftigten selbst, solange seine
Arbeitskraft nicht von seiner Person zu trennen ist, und es gibt Grenzen formal-
rechtlicher Vereinbarungen. Das öffnet den Blick für soziale Austauschbeziehungen
und das Konstrukt der Reziprozität als inhärenten Bestandteil jeder längerfristigen
Arbeitsbeziehung. „The concepts of social exchange (Blau 1964) and the norm of
reciprocity (Gouldner 1960) have long been used by organizational researchers to
describe the motivational basis behind employee behaviours and the formation of
positive employee attitudes (March, Simon 1958; Levinson 1965)” (Settoon, Bennett,
Liden 1996, 219).
Aus sozialpsychologischer und soziologischer Perspektive werden heute besonders
zwei organisationsinterne Steuerungsmechanismen beachtet, die auf Reziprozität in
Arbeitsbeziehungen abstellen: (1) psychologischer Vertrag und (2) Organizational
Citizenship Behavior. Die Mechanismen überlappen inhaltlich recht stark. Aus
Gründen der Anschaulichkeit werden sie hier jedoch getrennt dargestellt.

2.1.1. Psychologischer Vertrag

Neben dem Steuerungsmedium Arbeitskontrakt, das die Beziehung zwischen dem


Arbeitgeber und Arbeitnehmer in formaler Weise koordiniert, tritt in die
Arbeitsbeziehung der psychologische Vertrag. Dieses als zusätzliches, implizit
wahrgenommenes Versprechen wird von Rousseau (1989, 123) definiert als „an
individual’s beliefs regarding terms and conditions of a reciprocal exchange agreement
between that person and another party“. Zentral ist, dass es nicht darum geht, was der
Versprechende meint, sondern darum, was der Empfänger des Versprechens
wahrnimmt und interpretiert (Rousseau 1995). Der psychologische Vertrag, der immer
auch dynamischen Veränderungen unterliegt, kommt letztlich einer ernst gemeinten
„Verpflichtung“ gleich (Bartscher-Finzer/Martin 2003), deren „Verletzung“ zwar nicht
justiziabel ist, aber aufgrund entsprechender Verhaltenskonsequenzen durchaus
ökonomische Wirkungen nach sich ziehen kann (bspw. Stille Kündigung, Mobbing,
Personalfreisetzung).
„The norm of reciprocity represents the key explanatory mechanism that underlies
psychological contract theory” (Coyle-Shapiro/Kessler 2002, 70). Rousseau (1989,
128) argumentiert, dass in Austauschbeziehungen die Annahme besteht “that
contributions will be reciprocated and that … the actions of one party are bound to
those of another”. Morrison und Robinson (1997, 248) heben die Relevanz von
Reziprozität hervor, indem sie argumentieren: “violation comes not only from the
organisation’s presumed failure to reciprocate goods and services as promised, but also
from its presumed failure to live up the norms and standards of reciprocity and
goodwill that govern the relationship”. In Übereinstimmung mit Rousseau stellt für sie

227
die wahrgenommenen Verpflichtungen und das Ausmaß, in dem diese
Verpflichtungen erfüllt werden, die Essenz des psychologischen Vertrages dar.
Die Folgen psychologischer Verträge – die positiven wie insbesondere die negativen
bei Vertragsbruch und -veränderung – wurden und werden in der Literatur intensiv
diskutiert (Herriott/Manning/Kidd 1997; Lester et al. 2002; Robinson/Morrison 1995,
2000; Robinson/Rousseau 1994). Zahlreiche empirische Studien in diesem Bereich
haben gezeigt, dass Arbeitnehmer einen wahrgenommenen Vertragsbruch ihres
Arbeitgebers mit (i) einer entsprechenden Reduktion ihres eigenen Commitments
(Coyle-Shapiro/Kessler, 2000), (ii) einer Verringerung ihres Vertrauens in den
Arbeitgeber (Robinson/Rousseau, 1994), (iii) einer Reduktion ihrer Leistung
(Robinson, 1996) sowie (iv) einem Entzug ihres so genannten „organizational
citizenship behaviour“ (Robinson/Morrision, 1995) erwidern.
Nach einer anfänglich einseitigen Fokussierung auf die Arbeitnehmerperspektive
entstanden in den vergangenen Jahren zunehmend Arbeiten, die die
Arbeitgeberperspektive im Rahmen der reziproken Arbeitsbeziehung integrieren
(Coyle-Shapiro/Kessler 1998, 2002; Lewis-McClear/Taylor 1998; Teklap/Taylor
2001, 2003). Dadurch wurde der Blick auf die Gegenseitigkeit in der Arbeitgeber-
/Arbeitnehmerbeziehung gelenkt und die hiermit verbundenen Steuerungspotentiale
des psychologischen Vertrages expliziert.

2.1.2. Organizational Citizenship Behavior

Eng mit der psychologischen Vertragstheorie verknüpft ist das Konzept des
„Organizational Citizenship Behavior” (OCB)112. „Die Parallelen zwischen OCB und
dem psychologischen Vertragskonzept sind unverkennbar. In der Terminologie des
psychologischen Vertrags kann OCB als Leistungsbereich der Mitarbeiter gesehen
werden, mit dem gewisse Organisationsleistungen in reziproker Form beglichen
werden“ (Matiaske, Weller 2003, 111). OCB ist das wohl bekannteste Konzept des so
genannten Extra-Rollenverhaltens, das in der Forschung zur intraorganisationalen
Steuerung ein zunehmendes Interesse erfährt. Gemeint ist, dass Personen mehr als das
leisten, was von ihrer Rolle erwartet oder verlangt wird. Organ (1988), der als
Begründer des OCB-Konzeptes betrachtet werden kann, definiert OCB als „Verhalten
im Ermessen von Individuen, das weder direkt noch explizit von formalen
Belohnungssystemen honoriert wird, und das in der Summe das effektive
Funktionieren der Organisation fördert“ (Zit. in der Übersetzung durch Hertel, Bretz,
Moser 2000). An dieser Stelle wird der Bezug zum Konzept der Reziprozität aus
Pflichtgefühl offenkundig.

112
Matiaske und Weller (2003) schließen die Charakteristika des sog. „Organisationsbürgers“ an die Bürger-
tugenden des Liberalismus an und nennen unter anderem Kooperation, Fairness, Toleranz, Übernahme von
Verantwortung, Zivilcourage, Gerechtigkeit und Solidarität.

228
Im Kern geht es darum, dass die Empfänger vorteilhafter Handlungen ein Gefühl
von Verpflichtung erfahren, das ihnen in hohem Maße unangenehm ist und nur durch
reziprokes Handeln reduziert werden kann (Settoon et al. 1996), und ferner darum,
dass die Menschen, die ihre Arbeitsbeziehung mit ihrer Organisation als einen fairen
sozialen Tausch empfinden, dazu tendieren, diese Bindung zu verstärken/zu
intensivieren, was wiederum OCB anregt/fördert und umgekehrt (Cardonna,
Lawrence, Bentler 2004).
Dafür macht die empirische Forschung drei Dimensionen namhaft: (i) perceived
organizational support, (ii) leader-member exchange und (iii) coworker behavior.

1. Im Rahmen des perceived organizational support untersuchten Eisenberger et al.


(1986) gefälliges und entgegenkommendes Verhalten (favorable treatment) in Form
von wahrgenommener organisationaler Unterstützung (POS), gemessen als das
Ausmaß, in dem der Arbeitnehmer glaubt, dass sich die Organisation um ihn kümmert
und seinen Beitrag Wert schätzt. Sie konnten anhand ihrer empirischer Ergebnisse
zeigen, dass die meisten Arbeitnehmer in ihrem Verhalten in unterschiedlichem Maße
einer Reziprozitätsnorm folgen. Auch Moorman, Blakely, Niehoff (1998), Shore,
Wayne (1993); Wayne, Shore, Liden (1997) sowie Settoon, Bennett und Liden (1996)
untersuchten die wahrgenommene organisationale Unterstützung und ihren Einfluß auf
OCB. Basierend auf der Reziprozitätsnorm, entlockt POS dem Arbeitnehmer das
besagte Gefühl der Verpflichtung, sich seinerseits um die Belange der Organisation zu
kümmern und sie bei ihrer Zielerreichung zu unterstützen.
Dieses reziproke Verhältnis zwischen POS und gefühlter Verpflichtung ist nicht
objektivistisch gegeben, sondern orientiert sich, laut Eisenberger et al. (2001), an den
jeweiligen Austauschideologien (exchange ideology) der Arbeitnehmer. „Exchange
ideology refers to employees’ belief that it is appropriate and useful to base their
concern with the organization’s welfare and their work effort on how favourably they
have been treated by the organization” (Eisenberger et al. 2001, 42, 43). Eisenberger et
al. (2001) unterscheiden starke und schwache Austauschideologien. Ihre Ergebnisse
zeigen, dass bei Arbeitnehmern mit starken Austauschtheorien, d.h. einer ausgeprägten
Reziprozitätsnorm, die Beziehung zwischen POS und gefühlter Verpflichtung größer
ist als bei Arbeitnehmern mit einer schwachen Austauschideologie. Umgekehrt führte
ein schwacher POS überraschend dazu, dass Arbeitnehmer mit starker
Austauschideologie eine geringere Verpflichtung zum Ausdruck brachten als
Arbeitnehmer mit einer schwachen Austauschideologie.

2. Die Führer-Geführten-Beziehung stellt sich in der Weise dar, „that when a leader or
employee provides benefits to the other party that the provider’s work role does not
mandate, reciprocity should come into play“ (Wayne et al. 1997).
Settoon et al. (1996, 224) konnten zeigen: “the more that relationships or exchanges
between supervisor and subordinates are based on mutual trust and loyalty,

229
interpersonal affect, and respect for each other, the better the subordinate’s
performance in terms of expected and ‘extra’ or citizenship behaviours”.

3. Ergänzend zu den üblichen Ansätzen in der Literatur führten Deckop, Cirka &
Andersson, (2003, 102) eine Studie durch, die das „coworker behavior“ im
Analysefokus hat. Hierbei wurde dem Austausch zwischen Personen gleicher
Hierarchieebene Aufmerksamkeit geschenkt, „the level at which the ‚norm of
reciprocity’ may be most strong, given the absence of a formal authority hierarchy
among coworkers” (Deckop et al. 2003, 102). Entsprechend wenden sie in ihrer Studie
soziale Austausch- sowie Reziprozitätstheorien an, um zu untersuchen, warum
Arbeitnehmer anderen Arbeitnehmern helfen. Ihre Hypothese – basierend auf
empirisch fundierten Untersuchungen zum „helping behavior“-Faktor von OCB
(Podsakoff et al. 2000) sowie der daraus abgeleiteten Reziprozitätsnorm – ist, dass
eine wesentliche Voraussetzung von OCB eines Angestellten das Maß ist, in dem
dieser selbst OCB von anderen Kollegen erfahren und empfangen hat. Ihre Ergebnisse
sind denn auch ebenso schlicht wie überzeugend: Arbeitnehmer helfen anderen
Arbeitnehmern, d. h. zeigen OCB, weil ihnen selbst von anderen geholfen wurde.
„Though a simple explanation, it highlights the point, that reciprocity is an important
aspect of organizational life and a useful basis for understanding OCB, and that the
reciprocal exchange among employees may be at least as important as exchange
between employees and their organization, or employees and their supervisors”
(Deckop et al. 2003, 107). Die Autoren leiten die Implikation ab, dass die jeweilige
Organisations- oder auch Arbeitskultur, die eine entsprechende Reziprozitätsnorm
unter den Arbeitnehmern fördert oder verhindert, ausschlaggebend ist für das Ausmaß
und die Frequenz an gezeigtem OCB sowie einer sich daraus ableitenden virtuosen
oder vitiösen Spirale113.

2.2. Reziprozität und Steuerung zwischen Organisationen

Besonders ins Auge sticht die „Entdeckung“ von Reziprozitätsnormen auf dem Felde
der Steuerung interorganisationaler Beziehungen – der Unternehmungskooperationen
und -netzwerke, der strategischen Allianzen u. ä. Selbst dort, wo man traditionell nur
Konkurrenz im Blick hatte, sieht man inzwischen Dimensionen der Kooperation oder
der „coopetition“ und, damit zusammenhängend, einer nicht ausschließlich nutzen-
basierten Reziprozität. Pointierter als viele andere erhebt Walter Powell (1987, 81) sie
zum Charakteristikum solcher “hybriden” Formen der Steuerung: „In several
important respects, hybrid forms represent a modern version of a centuries-old means
of allocating goods and services, a method that Polanyi termed ‚generalized

113
Diese Ergebnisse stützen die Ergebnisse der Forschungsarbeiten Michael Burawoys (1979), die die
Orientierung von Arbeitenden an Gesichtspunkten wie Fairness herausstellen sowie deren Angewiesenheit
auf vielfältige Hilfestellungen ihrer Kolleg(inn)en, die nach Art einer Gabe gewährleistet werden, im
Arbeitsprozess unterstreichen.

230
reciprocity’“ (Powell 1987, 81). Das heißt, die Transaktion erfolgt weder als diskreter
Tausch noch infolge administrativen Gebots. „Generalisierte Reziprozität“ heißt bei
Karl Polanyi nicht auf Tausch und Nutzen, sondern auf Normen respektive Pflichten
gegründete Reziprozität. Darin, dass Powell hybride Steuerungsformen ausschließlich
dadurch charakterisiert und geradezu definiert, drückt sich u. E. eine Überschätzung
ihres Gewichts gegenüber der Nutzenorientierung aus. Dass sie aber auch zwischen
Organisationen eine Rolle spielt, können wir nur unterstreichen.

2.2.1. Dyadische Kooperationsbeziehungen

Ein Paradebeispiel für dyadische Kooperation stellt die Kunden-Lieferanten-


Beziehung im Business-to-Business-Bereich dar. Hervorzuheben ist hier einerseits die
ökonomische Relevanz und anderseits die hohe Komplexität und Fragilität solcher
Beziehung. Als betriebswirtschaftlicher Reflex auf diesen Problemkreis hat sich im
Rahmen des Industriegütermarketings ein eigener Forschungszweig, das Relationsship
Management (Selnes 1998; Ivens 2002; Johnson/Selnes 2004) etabliert. Da gilt längst,
dass „das behutsame Management der Geschäftsbeziehung eine hohe Bedeutung hat.
Verlässlichkeit, loyales Verhalten, aber eben auch ein gewisses Wohlwollen haben
einen empirisch nachgewiesenen hohen Einfluss auf das Verhalten des Abnehmers“
(Backhaus 2003,759). In ähnlicher Weise konstatieren Selnes (1998) und
Johnson/Selnes (2004), dass Vertrauen, Loyalität und Fairness, wechselseitig gewährt,
von zentraler Bedeutung für die Steuerung von Business-To-Business-Geschäften
sind. Gestützt wird dies auch durch die Untersuchung von Darr (2003) über Kunden-
Lieferanten-Beziehungen in der Elektroindustrie. Basieren die Tauschbeziehungen
auch generell auf utilitaristischen Handlungskalkülen, so unterliegen die einzelnen
Tauschakte doch Fairness- und Gerechtigkeitsnormen. Reagiert der Kunde auf die
Großzügigkeit, Verlässlichkeit und Vertragstreue des Zulieferers eng utilitaristisch,
indem er etwa bei Problemen schnell den Zulieferer wechselt, so wird dies als unfair
und unloyal betrachtet. Das ließe sich noch als weitsichtige Nutzenorientierung im
Gegensatz zu kurzsichtiger behandeln. Virulent wird jedoch eine steuernde
Moralökonomie in den untersuchten Tauschbeziehungen „that are rooted in social,
moral, and symbolic norms and traditions“ (Grint 1998, 328 zitiert nach Darr 2003).
Diese Doppelreferenz der Handlungen auf utilitaristische und auf moralische Motive
erweist sich auch in der Untersuchung von Larson (1992) zu Konstitutions- und
Steuerungsprozessen von Entrepreneur-Dyaden als zentral: „Relations of this kind
build through an accumulation of actions that create a system of social relations that
transcends narrow self-interest and includes moral as well as economic motivations as
fundamental to action“ (Larson 1992, 99). Ist für die Dyadenkonstitution auch der
wechselseitige ökonomische Erfolg von konstitutiver Bedeutung, so entsteht
Steuerung in sich entwickelnden Tauschsystemen als Ergebnis schrittweiser
Vertrauensgenese und evolvierender Reziprozitätnormen. In Form einer Moralordnung
erfüllen Fairness- und Reziprozitätsnormen eine unsichtbare, gleichwohl einflussreiche

231
Steuerungsfunktion „to permit and/or constrain economic exchange“ (Larson 1992,
98).
Im Rahmen verschiedener Untersuchungen zum zwischenbetrieblichen
Informationsaustausch stellen v. Hippel (1987), Schrader (1990) und Schrader/Sattler
(1993) die Relevanz der Reziprozität als interorganisationalen Steuerungs-
mechanismus heraus. Indem die Autoren den reziproken Tausch spieltheoretisch
konzipieren, erweist sich für die Genese und Stabilisierung des interorganisationalen
Informationstransfers letztlich die wechselseitige Nutzenrealisierung der beteiligten
Akteure als konstitutiv. Dennoch, trotz aller Überlegungen, wer als Partner ins Boot
genommen wird, „no one appears to be explicitly counting up the precise value of
what is given or received by a firm, and a simultaneous exchange of valuable
information is not insisted upon. However, in an informal way, participants seemed to
strive to keep a balance in value given and received, without resorting to explicit
calculation” (von Hippel 1987, S. 295).

2.2.2. Multiple Kooperationsbeziehungen

Multiple Kooperationsformen variieren je nach Kooperationszweck und Interaktions-


intensität beträchtlich. Das Spektrum reicht von Joint Ventures und Netzwerken über
Konsortien, Allianzen und Handelsgemeinschaften bis hin zu verzahnten Aufsichts-
räten. Gesteuert werden diese Austauschsysteme zumindest zum Teil durch
„reputation, trust, tacit collusion, and a relative absence of calculative quid pro quo
behavior“ (Powell 1987, 82).
Als hochgradig instabile Organisationsformen bewegen sich Joint Ventures auf dem
schmalen Grat zwischen Kooperation und Konkurrenz. Kogut (1989) fragt daher in
seiner Untersuchung nach den Konditionen, die Kooperation angesichts permanenter
Defektionsgefahr auf Dauer stellen. Denn: „Like any business, a venture will last as
long as the conditions for profit are promising“ (Kogut 1989, 186). Seiner zentralen
Hypothese zufolge hängt die Stabilität von Kooperationen maßgeblich von der
Fähigkeit der beteiligten Kooperationspartner zum Reziprozieren ab. „Cooperation, in
this view, is established by the ability of parties to an agreement to reciprocate
penalties in the case of competitive behavior and to reward altruistic behavior“ (Kogut
1989, 184). Er rückt damit Reziprozität stark in eine spieltheoretische Ecke, bei der ein
do ut des die Interaktionslogik bestimmt.
Wie sich interorganisationale Tauschprozesse auf Lernen und Wissenstransfer in
strategischen Allianzen auswirken, ist Thema der Untersuchung von Muthusamy und
White (2005). Sie identifizieren wechselseitige Verpflichtung als wichtige
Erklärungsgröße für interorganisationales Lernen. „The reciprocal commitment
between partners is a significant explanatory factor of interfirm learning, as it implies
the moral obligation of partners serving as the basis for mutual commitment”
(Muthusamy/White 2005, 433). Da sich die einzelnen Tauschpartner nie sicher sein
können, wie stark sie in der Schuld des Anderen stehen, müssen in diesen

232
Tauschsystemen beständig „strong feelings of moral obligation to repay“ (ebd., 419)
generiert werden. Speisen sich wechselseitige Schuld- und Abhängigkeitsbeziehungen
verstärkt aus utilitaristischen Motiven, so basiert das reziproke Engagement des
einzelnen Tauschakteurs doch letztlich auf dem Pflichtgefühl gegenüber der Allianz
und den anderen Partnern.
In ihrer Untersuchung über den Aufbau eines F&E-Konsortiums in der Halbleiter-
industrie gehen Browning, Beyer und Shetler (1995) der Frage nach, wie Kooperation
entsteht und in einem stark kompetitiven Umfeld Persistenz erlangt. Intitialzünder
einer solchen Kooperation seien unterschiedliche Formen von unconditional giving,
die individuelle oder kooperative Akteure freiwillig leisten. So war etwa die Leistung
von Charlie Sporck, einem der prominenten Gründer von SEMATECH, „a pure gift
because it conferred benefit on others, imposed a cost on him (his attention to his
company), and was voluntary“ (Browning et al. 1995, 130). Diese Form des
unconditional giving „became self-amplifying in this case because they gave birth to a
moral community and created structures that in turn created other structures”
(Browning et al. 1995, 145). Die so initiierte Kooperation ist ein durchaus
nutzenorientiertes Tauschsystem und trägt doch deutliche Züge eines moralbasierten
Gabensystems, bei dem „people need to have faith that their efforts will be rewarded at
a later, undefined time, and that these choices to offer and risk are matters of
individual honor and pride” (Browning et al. 1995, 144).
Mit Blick auf das Zulieferernetzwerk von Toyota fragten sich Dyer/Nobeoka (2000),
wie sich das Problem des Trittbrettfahrens bei der gemeinsamen Wissensnutzung in
Lernnetzwerken lösen läßt. Als konstitutiv für die Lösung des Problems erwies sich
die Ausbildung einer Netzwerkidentität, die über eine Reziprozitätsnorm gesteuert
wird. Genauso wie bei SEMATECH war auch hier die freiwillige Gabe eines Akteurs
Auslöser der reziproken Kooperationsbeziehung. „Thus, Toyota’s willingness to freely
share its valuable knowledge with other network members acts as a ’starting
mechanism’ (see Gouldner, 1960) for reciprocity, or more specifically for reciprocal
knowledge sharing of proprietary knowledge within the network” (Dyer/Nobeoka
2000, 358). Im Zuge ihrer Identifikation mit dem Netzwerk entwickelte sich eine
Geflecht wechselseitiger Verpflichtungen, das neben der individuellen
Nutzenmaximierung immer auch auf moralischen Handlungsmotiven basierte.
Auch Ferrary (2003) weist in seiner Untersuchung über komplexe Tauschsysteme
im Silicon Valley auf die grundsätzliche Relevanz eines Gabensystems als Form
reziproker Interaktion hin: „It is the nature of the goods exchanged as well as the
density of social networks which make gift exchanges the principal explanation of the
circulation of goods“ (Ferrary 2003, 120). Gemäß der Allokationslogik des
Gabensystems ist die Kooperation nicht durchgängig utilitaristisch motiviert. „There
are not explicit underlying economic thoughts within these exchanges and anyone
wanting to use these meetings with such an intention would be rejected from the

233
group” (Ferrary 2003, 133). Deutlich wird hier eine steuernde Moralität erkennbar, die
aus einer Interaktionsbeziehung eine Wertegemeinschaft werden lässt.
In ihrer empirischen Untersuchung zu der Funktionsweise von japanischen Keiretsus
bezeichnen Lincoln, Gerlach und Takahashi (1992) diese als Cluster verketteter
Industriefirmen, Finanzinstitutionen, einzelner Manager und Beamter. Als zentraler
Steuerungsmodus erweist sich in dem Unternehmenskonglomerat die Norm der
Reziprozität im Gouldnerschen Sinne. „It has particular force in Japan where the stress
on personal, trusting, and longterm exchange relations encourages mutual obligation to
a degree uncommon in the United States” (Lincoln et al. 1992, 566). Reziproke
Pflichterfüllung ist ein konstitutives Wertemuster in der japanischen Kultur und als
solche Ausgangspunkt für die vertikale Integration japanischer Gruppen – „from the
shop floor team to the keiretsu“ (Lincoln et al. 1992, 566). Konzipieren Lincoln et al.
(1992) Reziprozität im Sinne Gouldners (1960) als normative Verpflichtung, so basiert
in Steinbrenners (1997) Untersuchung über die Organisation und Steuerung von
Keiretsus Gegenseitigkeit primär auf ökonomischen Nutzenkalkülen. Indem er jedoch
anerkennt, dass Kooperation als dominantes Organisationsprinzip von Keiretsus „eine
freiwillige wechselseitige Verflechtung der jeweiligen Handlungsentscheidungen mit
den Zielen/Interessen auch der Partner“ (Steinbrenner 1997, 81) beinhaltet, wird
deutlich, dass in der vorliegenden Reziprozitätsform der „Anspruch des Anderen“
immer auch eine Rolle spielt.
Windolf und Beyer (1995, 1996) untersuchen vergleichend die Kapital- und
Personalverflechtungen von Großunternehmen in Deutschland und Großbritannien. Sie
zeichnen das Bild eines Verflechtungszentrums, „das die größten deutschen
Unternehmen in eine ‚Clique’ einbindet, die in dieser Geschlossenheit in keinem
anderen westlichen Industriestaat existiert“ (Windolf/Beyer 1995, 24).
Vorherrschender Interaktionsmodus dieser Clique ist Reziprozität: Unternehmen A ist
an Unternehmen B beteiligt, und umgekehrt hält Unternehmen B eine Kapital-
beteiligung an Unternehmen A114. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten
betrachten Windolf und Beyer (1996) reziprokes Handeln als ausschließlich
utilitaristisch motiviert. Es resultiert aus dem glaubhaften Drohpotential, das aus den
„mutual hostages“ (Williamson 1985) der Cliquenmitglieder erwächst.
Westphal und Zajac (1997) untersuchen die Mechanismen, die zu einem verstärkten
Boardaktivismus in Richtung erhöhter Boardunabhängigkeit in US-Unternehmen
führen. Der hiermit verbundene Wandel in puncto Managementkontrolle, Unter-
nehmensstrategie und Anreizprogrammen wird gemäß den Untersuchungsergebnissen
„influenced by social and psychological dynamics operating within the inner circle of
corporate leaders“ (Westphal/Zajac 1997, 177). Handlungssteuernd wirken in dem
inneren Kreis generalisierte Normen der Reziprozität. CEO-Direktoren verspüren eine

114
Als Beispiel einer solchen reziproken Clique führen Windolf und Beyer (1995) die wechselseitigen
Kapitalverflechtungen zwischen der Allianz AG Holding und der Dresdner Bank AG sowie der Allianz AG
Holding und der Müchener Rückversicherungsholding an.

234
generelle Pflicht, den anderen CEOs zu helfen. „In this system of social interaction
among status equals, sufficient trust exists that CEO-directors believe their support for
CEOs will be reciprocated indirectly by someone else, sometime in the future”
(Westphal/Zajac 1997, 17)

2.3. Reziprozität und Steuerung in Gemeinschaften

Kaum ein soziales Phänomen beschäftigt Ökonomen, Betriebswirtschaftler,


Soziologen und Anthropologen gleichermaßen so stark wie die Entstehung, die
Persistenz und die Steuerung von Online-Communities. Der Blick richtet sich hierbei
primär auf Open-Source-Gemeinschaften und File-Sharing-Netze. Während es bei
Ersteren darum geht, ein komplexes und wissensintensives Produkt – Computer
Software – unter Beteiligung vieler tausend freiwillig und ohne Entgelt tätigen
Experten zu entwickeln und kontinuierlich zu verbessern, interessiert bei Letzterem
insbesondere die Ökonomen das Faktum, dass anonyme Akteure in Sharing-
Netzwerken ein Produkt anbieten, ohne hierfür direkt vom Empfänger eine Gegen-
leistung zu erhalten. Oder wie Nitschke (2005, 8-9) unlängst betont: „Schon bei
vergleichsweise geringen Kosten ist es aus einer neo-klassischen ökonomischen
Perspektive zunächst unklar, aus welcher Motivation heraus Sharing überhaupt
stattfindet“ (Nitschke 2005, 8-9). Solange Teilen kostet und man nehmen kann, ohne
geben zu müssen, wird ein reiner Utilitarist nichts anbieten. So unterschiedlich die
handelnden Akteure, Produkte und Interaktionskonstellationen sein mögen,
gemeinsam ist beiden Gemeinschaften eine reziprozitätsgetriebene Funktions- und
Steuerungslogik, die den herkömmlichen Steuerungsvorstellungen der Ökonomie in
Teilen widerspricht. Mit Blick auf die vorfindbaren Reziprozitätsformen wird
nachstehend zunächst auf das Phänomen des File Sharings eingegangen. In einem
zweiten Schritt werden reziproke Interaktionsmuster im Kontext von Open Source und
Open Innovation behandelt.

2.3.1. Sharing in Online Gemeinschaften

„A growing number of communities and services either depends or at least deeply


benefits from consumers’ willingness to share“ (Schade/Nitschke/Sattler 2004, 1).
Beredte Beispiele sind etwa Online-Foren (z.B Ciao und Dooyoo), Kunden-
bewertungen und „Neighborhood Watch“ auf ebay oder Tauschbörsen wie Napster,
Morpheus oder KaZaA. Ganz gleich, ob Filme, Musikdateien oder Informationen
geteilt werden, als konstitutiv für die Genese und Persistenz von Sharing-Systemen
erweist sich ein reziprokes Verhalten. So sehr sich die Sharing-Forschung bezüglich
der Relevanz von Reziprozität einig ist, so unterschiedlich wird der Begriff doch
konzipiert. Es werden grob drei Richtungen unterschieden.

235
Reziprozität als anthropologische Konstante
Schade, Nitschke und Sattler (2004) sowie Nitschke (2005) fokussieren in ihrer
Untersuchung, die sie u.a. mit Hilfe computergestützter Feld- und Laborexperimente
durchgeführt haben, auf die Gründe für das Sharing-Verhalten bei der Online-Video-
Distribution. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen experimenteller Wirtschafts-
forschung, die Reziprozität die Rolle eines „pervasive and economically significant
phenomenon in human interaction“ (Sethi/Somanathan 2003, 1) attestieren,
konstatieren sie bei den Konsumenten eine generelle „propensity to reciprocate“
(Schade/Nitschke/Sattler 2004, 31). Menschen, so die experimentell gestützte
Vermutung von Nitschke (2005, 193), verfügen „über eine relativ konstante Neigung
zum Reziprozieren (Propensity to Reciprocate). Weitere Untersuchungen werden
zeigen müssen, ob man bei dem Befund dieser Arbeit bereits von der Grundlage für
ein neues, bislang nicht berücksichtigtes Persönlichkeitskonzept sprechen kann“.
Reziprozität als gemeinschaftsbildende Norm
Giesler und Pohlmann (2002; 2003) untersuchen die Organisationsform und die der
zugrunde liegenden Handlungsmotivation der Internettauschbörse Napster. Letztere
stellt sich dar als „an emancipative consumption community“ (Giesler/Pohlmann 2003,
94), die sich primär von der monetarisierten Verwertungslogik des Musikgeschäftes
durch „the circulation of the gift as an alternative exchange practice of music“
(Giesler/Pohlmann 2003, 94) unterscheidet. Reziprozität fokussiert hier auf das Geben
und Nehmen zwischen Individuum und Gemeinschaft und beinhaltet „the social
obligation to give, accept, and ’repay’ – which means to reciprocate within the
network“ (Giesler/Pohlmann 2002, 7). Verstöße gegen die Verhaltensetikette, etwa
indem man Musik nur runterlädt und nichts spendet, gelten als delinquentes Verhalten
und werden durch andere Beteiligte bestraft115. Indem also faires Verhalten unterstützt
und Opportunismus geahndet wird, konstituiert sich als Gegenentwurf zum
traditionellen Musikgeschäft „a parasitic gifting community“ (Giesler/Pohlmann 2002,
19), in der eine emergierende Moralordnung den utilitaristischen Tauschkalkülen enge
Grenzen setzt.
Reziprozität als utilitaristisches Kalkül
Becker/Clement (2003; 2004) und Becker (2004) versuchen theoretisch wie empirisch,
die Nutzermotive in File-Sharing-Netzen zu erklären. Ob die Nutzer teilen oder
Trittbrett fahren, ist nach Meinung der Autoren strikt utilitaristisch begründet und lässt
sich vorzugsweise spieltheoretisch erklären. Unter Rekurs auf die Lebenszyklen der
Sharing-Netze entwickeln die Nutzer im Zeitablauf unterschiedliche Erwartungen und
Nutzenkalküle „leading to various games and optimal strategies“ (Becker/Clement
2004, 2). Als konstitutiv für das Angebotsverhalten erweist sich die sog. antizipierte
Reziprozität, in der Kooperation oder Opportunismus in gleicher Weise beantwortet

115
„Hey asshole! Don’t see a single file on your drive! No sharing, no Napster!“ (Zitat von „Tom“ aus Giesler &
Pohlmann, 2002, 8).

236
werden. Antizipierte Reziprozität bedeutet, „dass ein Angebot eines Nutzers von
Tauschbörsen aus dem Grund erfolgt, weil sich andere Nutzer ebenfalls so verhalten
und anbieten“ (Becker 2004, 195). Etwas anders konnotiert ist der Utilitarismus in der
Untersuchung von Hennig-Thurau u.a (2004) zu den Teilnahmemotiven bei
webbasierten Kundenbewertungen. Hierbei erweist sich „focus-related Utility“ als
wichtige Erklärungsvariable für das Konsumentenverhalten. Es handelt sich dabei um
den Nutzen, den der Konsument erhält, „when adding value to the community through
his or her contributions“ (Hennig-Thurau 2004, 42). Ist der Leistungsempfänger ein
konkretes Unternehmen, so weist die positive Bewertung Züge reziproken Verhaltens
auf. „The customer is motivated to engage in eWOM communication to give the
company ‚something in return’ for a good experience“ (Hennig-Thurau 2004, 42). In
dem Gewand des generalisierten Altruismus erweist sich Reziprozität hier primär als
utilitaristisch begründet.
Warum zahlen, wenn man auch tauschen kann? Mit dieser Frage sehen sich
kommerzielle Medienanbieter konfrontiert. Sie „müssen daher nach Möglichkeiten
suchen, sowohl ihren eigenen Nutzen zu steigern, als auch den Nutzen von
Tauschbörsen einzuschränken“ (Nitzschke 2005, 186). Fokussiert die eigene
Nutzensteigerung primär darauf, den Vorsprung gegenüber Tauschbörsen in punkto
Produkt- und Servicequalität auszubauen, so zielen juristische und kommunikations-
politische Maßnahmen auf die Illegalisierung von Tauschhandlungen. Schließlich
können kommerzielle Anbieter Filesharing-Netzwerke auch für eigene Distributions-
zwecke instrumentalisieren. Neben dem erhöhten Aufwand für die Steuerung des
dezentralen Peer-to-Peer-Netzwerks ist die starke Abhängigkeit von der Freigabe-
bereitschaft der Konsumenten bei einem Vergleich mit alternativen Distributions-
kanälen zu berücksichtigen. „Sollten die Betreiber von Filesharing-Netzwerken daher
verbindliche, monetäre Anreize für Sharing setzen wollen, muss die unterschiedliche
Wirkung von Anreizen auf reziproke und weniger reziproke Teilnehmer berücksichtigt
werden“ (Nitzschke 2005, 189).

2.3.2. Open Source und Open Innovationen

Die in zahlreichen empirischen Studien herausgearbeiteten Motivationen sind


vielschichtig und für die jeweiligen Beitragsleister unterschiedlich bedeutsam. Recht
verschiedenartige Primärmotivationen scheinen ihren freiwilligen Beitrag auszulösen.
In seiner Untersuchung über die Steuerung von Open-Source-Gemeinschaften gibt
Franck (2002, 3 ff) einen ausführlichen Überblick über die unterschiedlichen
potentiellen Motivationsmuster von Rentensuchern und Spendern in einem OSS
Projekt. Für Rentensucher werden u. a. Signal- und Reputationserwerb, Ausbildung,
Eigennutzung, „Umwegerträge“ als treibende Kräfte genannt. Für Spender führt
Franck Motivationen ins Feld, die in Zusammenhang gebracht werden können mit der
Produktion öffentlicher Güter – und als solches sieht er OSS-Entwicklungen.

237
Er argumentiert, dass gerade durch die Offenheit der OSS-Entwicklung und „die
‚Blockierung’ zukünftiger Property Rights an der Software die Voraussetzungen
geschaffen [wurden], Entwickler mit ganz unterschiedlichen Motivationsstrukturen –
Rentensucher und Spender – in ein und demselben Projekt zusammenzuspannen“
(Franck 2002, 3). Am Beispiel der Reputationssuche liest sich das folgendermaßen:
„Die Hauptbedrohung für die Spieler des beschriebenen Reputationsspiels ist das
Auftreten eines Akteurs, der sie von dem Aufmerksamkeitsstrom abschneiden kann,
der ihnen als Belohnung für ihre Beiträge zufließt und so ihre Reputation speist. Diese
Beschädigung des Zitiermechanismus tritt genau dann ein, wenn OSS privatisiert wird
und in kommerzielle Softwareprodukte eingeht“ (ebd., 9). Das Zugeständnis, dass
Rentensucher und Spender, in unserer Terminologie: Nutzen- und Pflichtorientierte, an
der OSS-Entwicklung beteiligt und Erstere dabei auf Letztere angewiesen sind,
bedeutet die Anerkennung der Relevanz von Reziprozitätsnormen und einer Ethik der
Gabe, aber eben nicht in reiner Form, sondern gemischt mit Nutzenmotiven und
eingebettet in sowie abgestützt durch ein institutionelles Arrangement, das eine
vergleichbare (wenn auch schwächere) stabilisierende Funktion erfüllt wie das
Normensystem des Kula-Rings (Ortmann 2004, 183 ff).
Wendet man sich dem OSS-Nutzer im Vergleich zum OSS-Entwickler zu, kommt
man zu ähnlichen Ergebnissen. Lakhani und von Hippel (2003) untersuchen das
Apache-Usenet, eine Webseite, auf der Apache-Nutzer Fragen in das Forum stellen
können, die ihnen von in dem jeweiligen Feld erfahreneren Apache-Nutzern
beantwortet werden. Sie betrachten insbesondere die Motivation des einzelnen
Informanten, seine Zeit auf das Beantworten von Fragen unbekannter Dritter im
Apache help forum zu verwenden. Drei von zwölf Antwortmöglichkeiten zielen im
Fragebogen auf Reziprozität als Motiv für die Beitragsleistung (z.B. „I have been
helped on Usenet before – so I reciprocate“). Zwei dieser drei Antwortkategorien
erreichen mit Abstand die höchste Zustimmungsquote von allen zwölf
Antwortmöglichkeiten (48 % bzw. 45 % drücken eine starke Zustimmung aus, was 6-7
auf einer 7er-Skala bedeutet)116.

116
Dieses Ergebnis veranlasst Osterloh et al. (2002) die extrinsische Motivation in OSS-Projekten zwar
einzuräumen, sie allerdings aufgrund der offenkundig werdenden „Norm der sozialen Verantwortung für die
Open Source-Gemeinde“ (ebd, 9) als „keineswegs zentral“ einzuordnen (ebd, 8). Lakhani und von Hippel
(2003) selbst bezweifeln jedoch trotz dieser hohen Zustimmung hinsichtlich einer generalisierten
Reziprozitätsnorm, ob es sich hierbei wirklich um zugrunde liegende Motivationen handelt oder nicht viel
mehr um sozial erwünschtes Antwortverhalten. Denn die Autoren können zeigen, dass der für die
Bereitstellung der nachgefragten Informationen investierte Zeiteinsatz nur zwei Prozent der gesamten
Nutzungszeit von Usenet umfasst. Die verbleibenden 98 % der Zeit informieren sich die Nutzer vielmehr
selbst und lernen aus den Fragen und Antworten der anderen Teilnehmer. „We found that the public posting
of both questions and answers created a site that potential information providers wanted to visit and study in
order to gain valuable information for themselves. In addition, the public posting of answers with the names
of the providers attached created the possibility of gaining reputation and related benefits through helping”
(S. 940). Lerner und Tirole (2001, 822) schlussfolgern: „Part of the reason why people contribute is that, for
some, the cost of contributing is not that high“. Diese Auffassung teilen auch Osterloh, Rota und Wartburg
(2002). Sie erklären mit Bezug auf Kollock (1999), dass es sich bei manchen Offenlegungen der freiwilligen
Programmierungsleistungen durch die Akteure schlichtweg um eine sog. Kleinkosten-Situation handelt, in

238
Von Open-Source-Protagonisten selbst, aber auch von manchen Forschern
(Raymond 1999; Zeitlyn 2003; Bergquist/Ljungberg 2001), wird OSS development
verstanden “as a mutual interchange where one gift is given for another“
(Bergquist/Ljungberg 2001, 312). Bergquist und Ljungberg (2001) unterscheiden wie
wir gift giving von Warentausch. Während Waren austauschbar, ihr Wert verhandelbar
und die wechselseitigen Verpflichtungen mit dem Tauschakt abgegolten sind, haben
Gaben einen einzigartigen Charakter. Im Zuge des Gebens entsteht die Verpflichtung
auf eine zukünftige Erwiderung der Gabe. Diese Rekursivität sozialer Gift-Giving-
Praxis sei ein konstitutives Kennzeichen des Steuerungssregimes bei OSS-
Entwicklungen. Die OSS-Gemeinschaft ist in dieser Sicht primär ein lose gekoppeltes
Netzwerk von Individuen „with no organizational forces in terms of economy or
management that can force other individuals to behave in a certain way“
(Bergquist/Ljungberg 2001, 310). Verbunden sind die Akteure über wechselseitige
Verpflichtungen, die aus der Dynamik eines Systems von Gaben resultieren. „Claims
of disinterestedness are misleading – by giving code ESR [Eric S. Raymond] creates
the obligation on the recipients of his gift to give back other code“ (Zeitlyn 2003,
1289). Die Regeln des gift giving konstituieren organisationale Grenzen, die sich in In-
und Outgroups manifestieren. „There are the ones who are part of projects, in terms of
being accepted as code providers, and there are the ones who want in but are rejected
by the project owners or flamed by other members of the community“
(Bergquist/Ljungberg 2001, 315).
Die OSS-Entwicklung ist ein paradigmatisches Beispiel für die von Hippel und von
Krogh (2003) als “’private-collective’ model of innovation” bezeichnete Konstellation,
in der Kunden in ihrer Rolle als Anwender/Konsumenten von Produkten und
Dienstleistungen – dies können Individuen oder auch Organisationen sein – die von
ihnen erworbenen/genutzten Produkte in einer Weise modifizieren, weiterentwickeln,
verbessern, dass Innovationen unterschiedlichen Ausmaßes und unterschiedlicher Güte
entstehen117. Chesbrough (2004) nennt es „open innovation“. Ausgangspunkt dieser
Innovationsgenerierung – von von Hippel (2005, 76) auch als „democratizing of
innovations“ bezeichnet – ist die Unterscheidung in zwei Typen von Informationen,
derer es für eine erfolgreiche Produktentwicklung bedarf: „need and context-of-use
information (generated by users) and generic solution information (often initially
generated by manufacturers specializing in a particular type of solution)“ (von Hippel,

der die Kosten des entsprechenden Beitrags (z. B. einfache ‚bug fixes’) im Vergleich zu dem daraus
gezogenen Nutzen gering bzw. vernachlässigbar sind. Sie sehen dies als ein Anzeichen einer generalisierten
Reziprozitätsnorm.
117
Freie Darlegung von Innovationen durch Nutzer in heutiger Zeit wurde in unterschiedlichen Bereichen
dokumentiert. Von Hippel und Finkelstein (1979) zeigten sie am Beispiel medizinischer Ausrüstung, Lim
(2000) bei semiconductor process equipment, Morrison, Roberts und von Hippel (2000) anhand von
Informationssystemen für Büchereien sowie Franke und Shah (2003) für Sportausrüstung sowie Lüthje
(2000) im Bereich Konsumgütermärkte auf. Als konkrete Beispiele erfolgreicher Kundenintegration führen
sie Lego, Sony und Swarovski an. Unlängst hat die Zeitschrift R&D Management diesem Phänomen ein
Special Issue (2006) gewidmet.

239
2005, 69). Beide Typen von Informationen zusammenzubringen ist aufgrund ihrer
stickyness bzw. embeddedness nicht einfach, es fehlen den professionellen
Entwicklern oft die user-need-Informationen. Entsprechend entwickeln Anwender in
der Regel Innovationen, welche funktional neu sind und ein hohes Maß an Anwender-
zentrierten Informationen erfordern. Die Produzenten selbst tendieren, dazu
Innovationen zu entwickeln, die eine verbesserte Antwort hinsichtlich bereits
bekannter Nutzer-Bedürfnisse darstellen und damit ein großes Verständnis in den
grundsätzlichen Lösungs-Informationen erfordern.
Was sind nun die möglichen Motivationen der Kunden, einen freiwilligen Beitrag
im Innovationsprozess zu leisten? Zunächst macht von Hippel (2005) deutlich, dass
Innovatoren zum einen deshalb oft ihre Innovationen preisgeben, weil es manchmal
fast unmöglich oder mit extrem hohen Kosten verbunden sei, sie geheim zu halten. Als
extrinsische Motivationsfaktoren führen Reichwald et al. (2004) und von Hippel
(2005) die Erwartung des Kunden an, eine Produkt- oder Dienstleistungsinnovation
selbst nutzen zu können oder konkrete materielle Gegenleistungen wie Gratisprodukte
oder Rabatte zu erhalten. Gleichzeitig beobachtet von Hippel (2005) eine aktive
Bereitschaft vieler Innovatoren, ihre Innovationen frei zur Verfügung zu stellen, was
er mit erheblichem privatem Nutzen für die Betroffenen erklärt. Darüber hinaus wird
auch hier das Argument der Reputationssteigerung ins Feld geführt, welche positive
Netzwerkeffekte nach sich ziehen könnten.
Darüber hinaus nennen Reichwald et al. (2004) aber auch soziale Motive wie
beispielsweise das soziale „Moment“ von Internetgemeinschaften, das die
Innovationsbereitschaft unter den Kunden steigern kann, indem Kunden sich
gegenseitig bei Innovationsaufgaben unterstützen oder sie gemeinsam ausführen.
Dieses Engagement in der Interaktion mit anderen Kunden – so Reichwald et al.
(2004) weiter – zieht nicht selten die Erwartung einer Anerkennung oder auch
entsprechenden Gegenleistung an andere Kunden nach sich. Diese Erwartung von
Anerkennung und Reziprozität basiere auch auf dem symbolischen Wertes ihres
Verhaltens und sozialer Normerfüllung. „Die Interaktion zwischen Kunden entsteht
aus Vertrauen und der moralischen Verpflichtung heraus, einander zu helfen, unter
Umständen auch ohne unmittelbar eine Gegenleistung zu erwarten (ebd., 14). Einmal
mehr mischen sich moralische und Nutzenmotive und erfordern ein Steuerungssystem,
das der gemischten Motivstruktur der Akteure gerecht wird.

2.4. Reziprozität und Steuerung auf (Finanz-)Märkten

Erscheint die Evidenz von reziproken Interaktionsformen und deren Steuerung in


Organisationen und zwischen Organisationen noch einleuchtend, so ist die Relevanz
von Reziprozität in weitläufigen Online Communities oder Open Source
Gemeinschaften schon deutlich weniger plausibel. Als auf den ersten Blick gänzlich
unplausibel erscheinen Formen reziproker Interaktion auf Finanz- oder Kapital-
märkten. Gelten diese doch in ökonomischer Perspektive als die Prototypen des

240
anonymen neoklassischen Marktes. Selbst Fehr (2002, 57) negiert in einem Interview
die Relevanz der Reziprozität für den Börsenhandel. „Denn der Aktienmarkt ist eine
Institution, wo Werte und soziale Präferenzen kaum eine Rolle spielen“ (Fehr 2002,
57). Dass dem nicht zwangsläufig so ist, soll im Folgenden deutlich gemacht werden.
„Can’t buy me love“, so ist die Untersuchung von Hasselström (2000) zum
Wissenstransfer zwischen Aktienhändlern betitelt. Auf einem komplexen und volatilen
Markt betonen die Händler „the importance of personal networks for the exchange of
information in order to be able to read the market“ (Hasselström 2000, 262). Da
persönliche Beziehungen auch der Akkumulation von Informationen oder sozialem
Kapital dienen, werden Aspekte von Freundschaft und Geschäft in der Interaktions-
steuerung und Beziehungsgestaltung simultan aktualisiert. „So it would seem that
entertaining and other kinds of face-to-face interaction provide James with an arena to
develop, maintain and evaluate such a relationship, that is to say a relationship
consisting of ideas of business, i.e. good trading, and of ideas of friendship, i.e.
apparent mutual trust, obligations and reciprocity“ (Hasselström 2000, 267). Gerade in
einer extrem kompetitiven Umgebung wie dem Aktienmarkt scheinen Nutzen und
Moral im Rahmen der Steuerung sozialer Interaktionen untrennbar ineinander
verwoben.
Fenton-O’Creevy, Nicholson, Soane und William (2005) stellen in ihrer
Untersuchung zur Handelspraxis auf internationalen Kapitalmärkten fest, daß
Aktienhändler in Fom einer Vielzahl überlappender trading communities organisiert
sind. Diese sind durch je spezifische soziale Praktiken gekennzeichnet, die das
Handeln der beteiligten Aktienhändler leiten. Der Erfolg jedes Einzelnen hängt somit
nicht nur von individuellen Fähigkeiten oder Wissensbeständen ab, sondern auch von
dem sozialen Kapital: “their membership of networks and the nature of the trust and
reciprocity within those networks” (Fenton-O’Creevy et al. 2005, 200). Insbesondere
das implizite Händlerwissen gilt als exklusive Basis für den dauerhalten
Geschäftserfolg und wird daher von den Mitgliedern der community of practice gegen
unerlaubt Zugriffe von außen geschützt. Um erfolgsrelevantes Wissen zu
akkumulieren, müssen Neulinge daher „earn membership of the right networks and
develop reciprocal relationships” (Fenton-O’Creevy et al. 2005, 201). Nur durch faire
und vertrauensvolle Umgangsformen wird letztlich aus einem Auszubildenden eine
vollwertiges Mitglied einer solchen Händlergemeinschaft.
Wie handeln Devisenhändler? Mag diese zentrale Forschungsfrage aus
standardökonomischer Perspektive verwunderlich klingen, da der Devisenmarkt doch
als einer der effizientesten Märkte gilt und dem „Ideal der Theorie denkbar nahe“
(Menkhoff 1995, 1) kommt, so macht doch Brügger (1999) in seiner ethnographischen
Untersuchung auf die sozialen a priori des Marktgeschehens aufmerksam. Zwar
befinden sich die Devisenhändler in einer antagonistischen Position, d.h. was der eine
gewinnt, verliert der andere, gleichwohl tendieren sie „dazu, immer wieder mit den
gleichen Banken Geschäfte abzuschliessen und nicht jedes Mal im Markt nach einem

241
geeigneten Partner herumzusuchen“ (Brügger 1999, 197). Um solche längerfristigen
Beziehungen aufrechtzuerhalten, legen die Markteilnehmer ihrem Handeln eine
normative Ordnung zugrunde. Neben einem formalisierten Code of Conduct sind es
primär informelle Regeln, die in Form eines Ehrenkodex die Händler zu
wechselseitiger Fairness anhalten. Zur Stabilität der Marktbeziehung trägt zudem
gegenseitiges Vertrauen bei. Da es sich bei getauschten Kapitalformen um sehr
spezifizierte Güter handelt, „ist wesentlich mehr Vertrauen notwendig als bei einem
gewöhnlichen Geschäft“ (Brügger 1999, 202). Gegenseitiges Vertrauen – so Brügger
(1999, 202) – „kann dazu führen, dass der Ablauf des Geschäfts verändert wird und
eine neue Interaktions-Ordnung in Kraft tritt“. Schliesslich unterstreicht Brügger die
Relevanz von Reziprozität für die Persistenz von Tauschbeziehungen auf
Devisenmärkten. Insbesondere Informations-Beziehungen basieren auf dem
Grundsatz: do et des. „Die Verpflichtung ist keine vertragliche, sondern eine
moralische, die allerdings mit dem Abbruch der Beziehung sanktioniert werden kann“
(Brügger 1999, 233). Neben der Marktordnung erweist sich auf globalisierten
Devisenmärkten immer auch eine Moralordnung als handlungsleitend.
In ihrer Untersuchung zur Dividendenpolitik von Unternehmen machen Frankfurter
und Lane deutlich, dass diese mit den vorherrschenden Modellen, die auf die reine
Lehre der Wertmaximierung setzen, nicht erklärbar ist. Als alternative Erklärung
schlagen sie (Frankfurter/Lane 2002, 380) vor, „that dividend disbursements are better
seen as a ritual, dating back to the evolution of the modern corporation“ (so auch
McGoun 2002). Die Dividendenzahlung gleicht ihrer Meinung nach dem Potlatch,
einer vormodernen Zeremonie des gift giving, einschließlich der Erwartung der
Reziprozität. Potlach-Ritual wie Dividendenzahlung zielten primär auf die
Stabilisierung von sozialen Beziehungen. „For potlaches, this is a matter of solidifying
social rankings, for dividends it is establishing trust in a corporation and its
management by its shareholders that other modern institutions such as external
auditors, government regulators, and financial journalists fail to do” (McGoun 2002,
371). Angesichts des mangelnden Vertrauens, dass die Investoren dem Gewinn selbst
entgegenbringen, ermöglichen die Dividenden als Form symbolischer Gaben, die
Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Anteilseignern zu personalisieren,
als Element einer dauerhaften Moralordnung zu etablieren und damit von der
ökonomischen Tauschlogik ein Stück weit zu entkoppeln (McGoun 2002).

242
3. Reziprozität, Steuerung und Motivation – ein Zwischenfazit
Reziprozität – so macht der Literaturüberblick deutlich – finden sich in vielen
betriebswirtschaftlichen Interaktionskonfigurationen. In Organisationen und zwischen
Organisationen ist Reziprozität ebenso anzutreffen wie in Online Communities oder
Open-Source-Gemeinschaften. Selbst auf Kapital- und Finanzmärkten, dem
empirischen Bezugspunkt des neoklassischen Marktmodells, lassen sich reziproke
Formen der Interaktion beobachten. Diese sind nun beileibe nicht nur nutzengetrieben.
Wie Fenton-O’Creevy, Nicholson, Soane und Willman (2005), Hasselström (2000)
oder Brügger (1999) in ihren empirischen Untersuchungen herausgearbeitet haben,
bewegen neben Nutzenkalkülen auch immer moralische Motive Investmentbanker,
Devisenhändler oder Aktienanalysten zu reziprokem Verhalten. Damit sich die aus
diesen gemischten Motivstrukturen resultierenden Handlungen synergetisch in einen
komplexen Interaktionszusammenhang einfügen, sind – wie gezeigt – unterschiedliche
Steuerungssysteme nötig. Mit Blick auf den thematischen Schwerpunkt dieser Arbeit
ist insbesondere die Steuerung von interorganisationalen Beziehungen von Interesse.
So bietet sich etwa bei interorganisationalen Handlungskonfigurationen, die dem
klassischen Markttausch nahe kommen, eine Steuerung über neo-klassische Verträge
an. Die Beiträge der einzelnen Interaktionspartner sind hier ebenso eindeutig
vertraglich spezifizierbar wie die Verteilung des gemeinsam erwirtschaften Mehr-
werts. Klassisches Beispiel solcher Handlungskonfigurationen sind sogenannte Supply
Chains. Hier dominieren zumeist utilitaritische Handlungsmotive die reziproken
Interakte (Gaitanides/Göbel 2005). Spielen jedoch in den Interakten intangible
Vermögenswerte als Tauschobjekte eine wichtige Rolle, so bietet sich – wie
Dyer/Nobeoka (2000) am Beispiel von Toyota verdeutlich haben – auch bei
Zulieferernetzwerken eine Steuerung über relationale Vertragsformen (Richter/
Furubotn 1999) an. Denn zumeist lassen sich weder die eingebrachten Beiträge und –
was noch schwerer wiegt – die anteiligen Erlöse aus solchen Kooperationen den
einzelnen Interaktionspartnern exakt zurechnen (Horvath et al. 2004; Gaitanides/Göbel
2005). Da die Rechtsverbindlichkeit der den Kooperationen zugrundeliegenden
Verträge nur bedingt vorhanden ist, „setzen sie in einem bestimmten Umfang ein
gemeinsames Werte- und Normensystem der Parteien voraus“ (Jost 2000, 227). Ihre
Steuerungsmächtigkeit entfalten relationale Verträge somit nur unter Rekurs auf
systemspezifische Moralordnungen, die an die Fairness, die Loyalität und das
Pflichtgefühl der beteiligten Akteure appellieren. Hier reichen die Beispiele von
Larsons Entrepreneuerdyaden (Larson 1992) über das F&E Konsortium von
Browning, Beyer und Shetler (1995) bis hin zu Ferrarys (2003) Tauschsystemen im
Silicon Valley. Normen, Gerechtigkeitsstandards und –urteile als augenfällige
Bestandteile dieser Moralordnungen sind – wie insbesondere die Untersuchung von
Browning, Beyer und Shetler (1995) zeigt – das Resultat selbstorganisierten Praktiken
des respektiven, reziproken Vergleichens und Evaluierens und entziehen sich ihrerseits
in ihrer komplexen Eigenlogik einer wie auch immer gearteten Meta- oder Kontext-
steuerung.

244
TEIL D: Die Evidenz des Reziprozitätsverständnisses in der
Investor/Unternehmens-Interaktion – eine empirische Untersuchung
auf dem deutschen Markt für Risikokapital
Das vorliegende Kapitel zielt darauf ab, dass in Kapitel D entwickelte
Reziprozitätsverständnis in einer explorativen Untersuchung auf dem deutschen Markt
für Wagniskapital auf seine empirische Relevanz hin zu untersuchen. Zunächst wird
der aktuelle Diskussionsstand in der einschlägigen Literatur zu Tausch und
Reziprozität in der Venture-Capital-Forschung vorgestellt und analysiert (1). Hiernach
erfolgt die Darstellung der eigentlichen Untersuchung, indem zunächst das
Untersuchungsdesign und die erhobenen Daten erläutert werden (2). Hiernach erfolgt
eine ausführliche Präsentation der Untersuchungsergebnisse (3). Dabei wird in einem
ersten Schritt die soziokulturelle Ordnung der interorgansationalen Beziehung
dargestellt (3.1). Hierauf aufbauend erfolgt eine Beschreibung der Interaktions-
beziehung (3.2), bei der insbesondere die strukturellen Dimensionen in den Blick
genommen werden. Weiterhin werden die Interaktionsmodi – Vertrauen und Kontrolle
– vorgestellt und ihre Relevanz für die reziproke Interaktionsbeziehung zwischen
Venture-Vapital-Gesellschaft und New Venture expliziert (3.3). Die Untersuchung
endet mit eine komprimierten Darstellung der reziproken Interaktionsmuster und einer
Beschreibung möglicher Erfolgs- bzw. Mißerfolgsszenarien (4).

1. Tausch und Reziprozität in der Venture-Capital-Forschung


Tauschen gilt als fundamentale Aktivität in jedem ökonomischen Zuammenhang, so
auch in der VC-Branche. Venture Capital bezeichnet Beteiligungskapital, welches
durch sog. Venture-Capital-Organisationen (VCs) als Intermediär für institutionelle,
strategische und private Investoren zeitlich begrenzt und mit dem Ziel der
Renditemaximierung in zumeist jüngere Unternehmen investiert wird. Die
Kapitalnehmer werden dabei als Portfoliounternehmen (PU) der VCs bezeichnet.
Getauscht wird neben der reinen Eigenkapitalfinanzierung, die der VC-Geber dem
Portfoliounternehmen zur Verfügung stellt118, in der Regel spezifisches und
spezialisiertes Wissen, Erfahrungen, Social Capital/Netzwerke und Image. Im
Gegenzug erhalten die VCs einen Anteil des New Ventures und erwerben damit das
Potential auf außerordentliche Gewinnsteigerungen, die sie in Teilen – basierend auf
ihrem spezialisierten added value – selbst beeinflussen können. Denn der Unternehmer
versucht auf Basis dieser Gaben den Unternehmenswert seines New Ventures zu

118
Das zu verteilende Kapital sammeln die VCs auf dem Kapitalmarkt von institutionellen Investoren, die sich
ebenfalls eine überdurchschnittliche Rendite erhoffen. Die VCs erhalten für ihre Dienstleistung von den
kapitalgebenden Institutionen eine ausgehandelte Vergütung, die sich aus einer festgelegte Management-
gebühr und einer variablen Erfolgsbeteiligung zusammensetzt (Brinkrolf 2002). Dreh- und Angelpunkt der
Venture Capital Beziehung ist somit der marktförmige Austausch, in dem die eingesetzten Ressourcen
monetär mediatisiert werden und der damit über ein Preissystem gesteuert wird.
erhöhen, dessen finanzieller Erfolg schließlich beiden Parteien zu Gute kommen
soll119.
In der relevanten Literatur wird die Beziehung zwischen VC und PU, die durch
wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet ist, normalerweise ökonomisch und hier
zumeist Agency-theoretisch analysiert (z.B. Amit/Glosten/Miller 1998; Landström/
Manigart/ Mason /Sapienza 1998; Sapienza/Gupta 1994; Sheperd/Zacharakis 2001).
Im Fokus der einschlägigen Forschung steht die Reduzierung des sog. Agency-
Risikos. Dieses bezeichnet den Unsicherheitsgrad, der aus der Möglichkeit resultiert,
dass der Entrepreneur oder der VC die Verfolgung des jeweiligen Eigeninteresses über
die Einhaltung der beidseitig eingegangen Vertragsbedingungen stellt (Fiet 1995).
Diese Definition “places the emphasis on the mechanism used to gain confidence in
the partner co-operation through the use of a contract” (Shepherd/Zacharakis 2001,
132). Agency-Theoretiker vermitteln daher einerseits wertvolle Einsichten zur
Gestaltung von Verträgen (Sahlman 1990; Landström/Manigart/Mason/Sapienza
1998). Anderseits bieten sie “valuable advice to VCs and implement controll
mechanisms to ensure that the entrepreneuer does not act opportunistically to the VCs
detriment” (Shepherd/Zacharakis 2001, 133).
Grundlegend für diese Forschungsperspektive ist die Annahme, dass der Austausch
alleine auf den nutzenmaximierenden Kalkülen der Tauschparteien basiert. Sapienza
und Koorsgard (1996) relativieren diese eingeschränkte Perspektive, indem sie die
Relevanz von prozeduraler Gerechtigkeit in Entscheidungsfindungsprozessen
innerhalb von VC-PU Beziehung fokussieren. „Even when a particular decision has
adverse outcomes for an individual, just procedures ensure the individual, that over
time, he or she will receive what is due from the exchange relationship“
(Sapienza/Koorsgard 1996, 547). Die Einhaltung von procedural justice Normen wirkt
sich positiv auf das Vertrauen der Akteure in die Entscheider, das Committment in
eine getroffene Entscheidung, kooperatives Verhalten sowie die Absicht, die
Beziehung aufrecht zu erhalten, aus (Sapienza/Korsgaard 1996).
In ähnlicher Weise fokussiert die Spieltheorie auf die Relevanz von Fairnessnormen
bei der Stabilisierung von Kooperationsbeziehungen (Kondo 1990). Indem sie Fairness
als relevant für die Gestaltung von Kooperationsbeziehung ansieht, erweitert sie die
starre auf die Reduzierung von Opportunismusgefahr fokussierte Ausrichtung der
Agency Theorie. Obwohl es sich also ebenfalls um eine Rational-choice Theorie
handelt, so integriert sie damit “the dynamic process of cooperative relationship
building in a way that the more static agency theory approach cannot” (Cable/Shane
1997, 147). Indem sie auf die Relevanz von Kommunikation, sozialen Beziehungen,
Wertekongruenz, Generosität, Machtverhältnissen etc. für die Genese und Stabilität
von VC-PC Beziehungen fokussiert, versucht die Spieltheorie die sozialen

119
Normalerweise dauern VC-PC Beziehungen zwischen 5 und 7 Jahren. In dieser Zeit liegt die Erfolgsquote
durchschnittlich bei 10%-15%. Diesen “Stars” stehen im Gesamtportfolio 55%-60% so genannter „living
deads“ und 20%-30% von Totalausfällen gegenüber (www.evca.com).

246
Bedingungen nutzengetriebener Kooperationsbeziehungen zu beleuchten. So gesehen
betonen Cable und Shane (1997, 167), “that entrepreneur-venture capitalist
relationships are closer to the intellectual tradition of Granovetter (1985) than
Williamson (1975) because cooperative solutions enhance the welfare of both parties”.
Deutlich wird hier, daß aus der rationalen Handlungsperspektive allein kein Tausch
zustande kommt. Dieser ist letztlich an die Konstitution einer sozialen Ordnung in
Form wechselseitiger Erfüllung eingegangener Tauschverpflichtungen gebunden.
Indem Cable und Shane (1997) die VC-PU Beziehung als iteratives Gefangenen-
dilemma konzeptionalisieren, versuchen sie das Kooperationsproblem endogen
rationalistisch zu lösen. Liegt bei den Tauschparteien wechselseitig die Erwartung
einer langfristigen Beziehung vor, so muß ego bei einer Defektion, also der
Nichterfüllung der Tauschverpflichtung, die gleiche Reaktion alters in der nächsten
Spielrunde einkalkulieren. Diese indirekte Sanktionsmöglichkeit eröffnet die Chance
der bedingten Kooperation etwa in Gestalt der bekannten Tit-For-Tat-Strategie (TFT)
(Axelrod 1984). Diese einseitige Mikrofundierung ist eine legitime Strategie, wenn
man den Erklärungsanspruch etwa der Gestalt einengt, dass man eine stabile und
überschaubare soziale Situation voraussetzt. Aber im Gegensatz zu den über-
schaubaren und logik-basierten Untersuchungsanordnungen der Spieltheorie, laufen
reale Tauschprozesse zwischen VC und PU in einem komplexen sozio-kulturellen
Kontext ab. Rational Choice Theorien, wie etwa die Agency- oder auch die
Spieltheorie, können letztlich „die soziokulturellen Bedingungen des zweckrationalen
Handelns nicht selbst thematisieren, sie können nicht begründen, wie es zu den
soziohistorischen Bedingungen kommt und welche Rolle intersubjektiven Faktoren
dabei zukommt“ (Reckling 2002, 107). „In fact, every economic model one can think
of includes irreducibly social principles and concepts” (Arrow 1994, 2). Es wird
schlicht ein gemeinsames Verständnis der Tauschparteien bezüglich der wechsel-
seitigen Rollen, Motive und Handlungsoptionen vorausgesetzt. Dieses “common
knowledge” (Arrow 1994) ist jedoch in der Realität nicht gegeben. Insofern ist
Verhalten unter Laborbedingungen nicht einfach auf reale Marktbedingungen
übertragbar (Biggart/Delbridge 2004). Empirische Untersuchungen betonen die
sozialen (z.B. Granovetter 1985; Polanyi 1957) und kulturellen (z.B. Abolafia 1997;
Di Maggio/Zukin 1990) Bedingungen für rationales Handeln in realen Tausch-
situationen. “Categories of economic action are culturally variable and socially
constructed” (Di Maggio 1994, 28). Somit wird in der Arbeit der Argumentation
Kappelhoff’s (1995) gefolgt, wonach sich das rationale Kalkül stets auf das kulturelle
Symbolsystem, die moralischen Regeln sowie die soziale Beziehungsstruktur, in der es
zur Wirkung gelangt, bezieht. Insofern stellt sich die übliche Konzeptionalisierung der
VC-PU-Beziehung, die eine homogene symbolische und kognitive Ordnung postuliert,
als unzureichend dar. Ausgehend von diesen Defiziten behandelt die vorliegende
Studie die zentrale Forschungsfrage: Wie verbindet sich in interorganisationalen

247
Tauschsystemen intentionales Verhalten mit den steuernden Funktionen
institutioneller, d.h. symbolischer und moralischer Kontextbedingungen?
Anders als von der Ökonomie dargelegt, zeigt sich in der Analyse, dass diesen
Tauschbeziehungen kein einheltliches Symbol- und Normensystem zugrunde liegt.
Vielmehr scheinen sich, ausgehend von unterschiedlichen Makrokulturen, unterschied-
liche Reziprozitätsmodi zu konstituieren (Das/Teng 2002). Entlang von empirisch
generierten Kategorien und unter Rekurs auf neo-institutionalistische Analysekonzepte
werden die Interdependenzen von individualistischen Tausch- und Reziprozitäts-
kalkülen einerseits mit den kulturellen und sozialen Branchenimplikationen anderersits
herausgearbeitet. Auf Basis einer Multi Case Analyse aus der VC-Industrie konnte
zum einen die komplementäre Perspektive der Emergenz von unten und der Steuerung
von oben erhärten werden. Zum anderen wird dem Anspruch der Theoriebildung
gerecht. So wird als Ergebnis der interpretativen Analyse neben der “ökonomischen
Tauschreziprozität”, die stark durch die institutionenökonomische Theorie geprägt ist,
die “soziale Pflichtenreziprozität” extrahiert.

248
2. Forschungsmethode und Untersuchungsdaten
Diese Studie bedient sich qualitativer Forschungsmethoden, um zum einen die
Reichhaltigkeit und Komplexität der VC-PU-Dyade einzufangen und zum anderen die
Art und Weise der Interaktion sowie des Austauschs zu verstehen. Forschungs-
gegenstand ist also die VC-PU-Dyade.
Die Annäherung an unseren Forschungsgegenstand erfolgte auf Basis (1) eines
fundierten theoretischen Vorwissens in den Sozial- und Organisationstheorien,
anthropologische Tauschtheorien sowie der Venture-Capital-Literatur und (2)
teilnehmender Beobachtung. Beides zusammen erlaubte die Definition erster,
vorläufiger Forschungsfragen für den Interviewleitfaden sowie die Entwicklung eines
vorläufigen, theoretischen Konzepts120. Unser anschließendes Forschungsdesign, lehnt
sich stark an die Fallstudien-Methode von Yin (1991) und den Prozess der Theorie-
bildung durch Fallstudienforschung von Eisenhardt (1989) an. Eisenhardt selbst
wiederum nimmt stark Bezug auf Glaser und Strauss (1979), Miles und Huberman
(1984) sowie Yin (1991). Die Vorteile ihres Vorgehens liegen in der Möglichkeit der
Theoriebildung121 einerseits sowie in einer möglichen Überprüfbarkeit und
Validierung der generierten Theorie andererseits. Diese Überprüfung könnte in
unserem Fall beispielsweise in einem anderen als dem VC-PU-Kontext erfolgen.
Sample
In der vorliegenden Studie wurde ein Multiple Case Design verfolgt, wobei die zu
untersuchenden Fälle nach der Replikations-Logik122 ausgesucht wurden. Das Multiple
Case Design erleichtert zum einen mit seiner Anbindung an die empirischen Daten die
Generierung von Theorien bzw. Theoriebausteinen sowie ggfs. die Erstellung zu
testender Theorien (Eisenhardt 1989). Zum anderen kann durch die Konzentration auf
weniger Fälle mit einer höheren Untersuchungsintensität ein ganzheitliches
Verständnis komplexer Untersuchungsgegenstände sowie deren Einbettung in einen
Handlungskontext erreicht werden (Eisenhardt, 1989; Haag, 1994). Einschränkend

120
Sowohl Forschungsfragen als auch theoretisches Konzept sind vorläufig und werden im Laufe des
Forschungsprozesses überprüft und gegebenenfalls revidiert oder erweitert.
121
“The final product of building theory from case studies may be concepts, a conceptual framework, or
propositions or possibly midrange theory“ (Eisenhardt,1989, 545).
122
Dies bedeutet, dass jeder Fall sorgfältig so ausgesucht werden muss, dass er entweder zu ähnlichen
Ergebnissen oder zu unterschiedlichen Ergebnissen – allerdings aus vorhersagbaren Gründen – führt. Sind
die Ergebnisse aus der Analyse der Fälle widersprüchlich, müssen die ursprünglichen Annahmen geändert
und mit neuen Fällen erneut getestet werden. Ziel des Replikationsvorgangs ist es, einen umfassenden und
theoretischen Rahmen zu entwickeln, der Aussagen darüber beinhaltet, wann ein bestimmtes Phänomen
eintritt und unter welchen Bedingungen es ausbleibt (Yin, 1991). In der Verwendung von Fallstudien nach
Yin (1991) ist damit die Erarbeitung eines theoretischen Vorverständnisses eine wichtige Vorbedingung.
„This role of theory development, prior to the conduct of any data collection, is one point of difference
between case studies and related methods such as ethnography and Grounded Theory. […] among other
considerations, the relevant field contacts depend upon an understanding – or theory – of what is being
studied” (Yin, 1991, S. 27).
muß allerdings gesagt werden, dass eine kleine Stichprobe wiederum die
Generalisierbarkeit reduziert.
Qualitativen Forschungsmethoden entsprechend, wurden “Theoretical sampling“
und die überlappende Datenerhebung und –analyse angewendet (Glaser/Strauss,
1979). Dies bedeutet, dass keine Hypothesen „ex ante“ aufgestellt und später überprüft
werden. Vielmehr dient die Datenerhebung und gleichzeitige Auswertung der
Hypothesen- bzw. Theoriebildung. Dabei besteht nicht nur keine strikte Trennung
zwischen Datenerhebung und -auswertung, sondern die Parallelität beider Prozesse ist
konstitutiver Bestandteil der Forschungsmethode (Glaser/Strauss, 1979). Folglich
basierten die in 2002 erhobenen 9 Case Studies neben der Dokumentenanalyse
insbesondere auf 46 leitfadengestützten, narrativen Interviews123, deren offene Fragen
entsprechend neuer, sich in der Analyse ergebender Erkenntnisse angepasst bzw.
erweitert wurden, bis eine theoretische Sättigung erreicht war. Dadurch konnten neue
Aspekte in die Untersuchung aufgenommen, Widersprüche geklärt sowie sich
abzeichnende theoretische Überlegungen gefestigt werden.
Der Erhebungs- und Analyseprozess begann mit einer Pilotfallstudie124, in der erste
Daten erhoben und an diese Daten Fragen gestellt wurden (Hildenbrand, 2000). Denn
entscheidend ist, „[…] nur so viel an Material zu erheben, wie für den Analyseprozess
erforderlich ist. Nur so kann das Material die Analyse steuern” (ebd. S. 36).
Insgesamt befragten wir 20 Investment Professionals aus 9 ausgewählten VCs in
Deutschland über insgesamt 25 ihrer Portfoliounternehmen unterschiedlichster
Branchen (Software, Telekommunikation, Biotechnologie, Life-Science, Verlags-
wesen, Internet-Auktion, AutoMotiv-Zulieferer, Versicherung etc.). Darüber hinaus
wurden weitere 21 Interviews entweder mit dem Gründer oder dem CEO der
jeweiligen Portfoliounternehmen geführt. Die 9 Fälle – im Sinne von Dyaden –
wurden zunächst einzeln analysiert, dann im Rahmen einer vergleichenden Fallanalyse
gegenübergestellt, kontrastiert und schließlich typisiert.
Datenanalyse
Wir kodierten die transkribierten Interviews, indem wir eine konstante vergleichende
interpretative Analyse verwendeten, bei der jedes Ereignis einem emergierenden
offenen Codesystem zugeordnet wurde (Strauss/Corbin 1990), bis alle Interviews
komplett kodiert waren. Wir generierten gemeinsam insgesamt 47 Codes und
reduzierten diese via „axial coding“ sukzessive in zunehmend abstrakte Kategorien
(Strauss/Corbin 1990). Diese Analysephase ergab insgesamt 17 Kategorien. In einem
Prozess selektiver Codierung (Strauss /Corbin 1990), verdichteten wir diese 17
Kategorien erneut auf schließlich 10 Kategorien. Obwohl sich alle Datenquellen nicht

123
Die Interviews hatten eine Länge von 40 bis 120 Minuten (insgesamt 51 Stunden Interviews); sie wurden für
die Untersuchung aufgenommen und transkribiert.
124
Zu beachten ist, „a pilot test is not a pre-test. The pilot case is used more formatively, assisting an investigator
to develop relevant lines of questions – possibly even providing some conceptual clarification as well” (Yin,
1991, S. 80).

250
zuletzt zu Cross-check-Zwecken als hilfreich erwiesen, lieferten die Interviews die
primäre Datenquelle für die Analyse. Daten aus der Beobachtung sowie zusätzliche
Dokumente dienten zum einen der Verifikation und zum anderen dazu, die Aussagen
der Befragten in ihren entsprechenden Kontext zu stellen.
Validierung
Der Prozeß der in dieser Studie verwendeten kontinuierlichen Vergleichsmethode
beinhaltet interne Validitätschecks der Daten (Kirk/Miller, 1986). Wie bereits erwähnt,
entwickeln die Interviewer während der überlappenden Datenerhebung und
-sammlung sowie Datenanalyse und kodierung konzeptionelle Kategorien, und
tentative Hypothesen werden emergent. Fragen über bestimmte Tatsachen erweisen
sich zum Verständnis und zur weiteren Interpretation der Daten als wichtig. In der
Folge werden zusätzliche Daten generiert, um die Grenzen der konzeptionellen
Kategorien, eindeutige Tatsachen sowie die tentativen Hypothesen oder Theorien mit
zusätzlichen Informanten bzw. Cases zu testen. Während das Forschungsprojekt
voranschreitet und neue Daten gesammelt werden, werden diese permanent mit
vorangegangenen Daten hinsichtlich der Kategorien und tentativen Hypothesen
verglichen. Wenn neue Daten neue oder inkonsistente Informationen erbringen,
werden die Kategorien und/oder die emergierende Theorie modifiziert, um diesen
neuen Informationen Rechnung zu tragen. Der Prozess wird so lange wiederholt, bis
eine theoretische Sättigung erreicht ist: bis weder neue Kategorien auftauchen noch
neue Informationen generiert werden (können), welche inkonsistent mit den bereits
bestehenden Kategorien wären. In gewisser Weise bedeutet diese permanente,
komparative Methode ein multiples Testen der „Hypothesen“ bzw. des „theoretischen
Modells“.
Wir kodierten unabhängig voneinander alle Interviewdaten, danach verglichen wir
die Kategorien nach möglichen Überlappungen und Unstimmigkeiten bzw. Wider-
sprüchen und erhielten letztlich ein gemeinsames Set von Kategorien, mit Hilfe dessen
dann alle Daten erneut kodiert wurden. Dieser Prozess half sicherzustellen, dass die
Kodierer (i) die Daten in vergleichbarer Weise interpretiert und (ii) keine wesentlichen
Informationen ausgelassen hatten. Wir verwendeten während der Phase des „axial
coding” ähnliche Kontroll- und Abgleichungsprozesse. Ein externer Experte wurde
während der selektiven Codierphase beteiligt und spielte dabei die Rolle des
Fragenden sowie des „advocatus diaboli“. Es wird deutlich, dass in der qualitativen
Forschung die grundlegenden Validitätskontrollen unter den Informanten selbst
stattfinden.

251
3. Forschungsergebnisse
Um für ein besseres Verständnis zu sorgen, werden hier zunächst ex ante die
Endergebnisse unserer Untersuchung, die wir sukzessive aus unseren Daten deduziert
haben, präsentiert. Als forschungsleitend erweist sich hierbei unser theoretisches
Vorverständnis, das auf der kritischen Analyse der vorangestellten Literatur basiert.
Die bereits im Zuge der Literaturbearbeitung deutlich gewordene Relevanz einer wie
auch immer gearteten Kultur- und Moralordnung für die Genese und Aufrecht-
erhaltung von reziproken Tausch- bzw. Gabensystemen in Interorganisations-
beziehungen findet in unseren Daten Bestätigung. Es kristallisierten sich zwei
dominante Typen125 von Reziprozitätsmodi in der VC-Industrie heraus: (1) die von uns
so bezeichnete „ökonomische Tauschreziprozität“ sowie (2) die ebenfalls von uns ins
Leben gerufene „soziale Pflichtenreziprozität. Konstitutiv für das Verständnis der
Reziprozitätsmodi ist die je spezifische Interpenetration von Handlungsmotiven und
sozio-kulturellem Kontext. Während bei der „ökonomischen Tauschreziprozität“
Nutzen dominiert und Moralität nur peripher bleibt, ist es bei der „sozialen
Plichtenreziprozität“ genau umkehrt. Moralität ist hier fokal, gleichzeitig spielen
Nutzenerwägungen nur eine periphere Rolle (Ortmann 2004).
KERN DIMENSIONEN
Reziprozität der Reziprozität Reziprozität
CODING-KATEGORIEN soziokulturen struktureller u. der Modi
Ordnungen relationaler
Ressourcen
1. Kognitive Synchronisation X X
2. Symbolische Ordnung X
3. Normative Ordnung X X
4. Struktur X
5. Position X X
6. Gabe X
7. Vertrauen X
8. Macht X X X
9. Kontrolle X
10. Sanktionen X
X = Zentral für core dimension, x = informs core dimension
Tabelle 1: Kern-Dimensionen und Coding-Kategorien
Quelle: In Anlehnung an Göbel/Weber (2007, 284)

125
Hierbei geht es nicht darum, von einer logischen, theoretischen oder faktischen Priorität einer der beiden
Ordnungsformen in einem Tauschsystem zu sprechen oder von der Unterordnung eines der beiden
Steuerungsprinzipien unter das andere, sondern um die empirische Herleitung und Analyse der konkreten
Tauschsysteme.
Die Präsentation unserer Ergebnisse erfolgt nun unterteilt in drei Bereiche der
Reziprozität (Ordnungen, Ressourcen und Modus), die sich während unserer Arbeit
ergeben und als hilfreiche Unterteilung erwiesen haben, und entlang der oben bereits
erwähnten 10 Kategorien (siehe Tab. 1). Zum Schluß erfolgt eine Zusammenfassung
der zwei Austauschtypen.
Die einzelnen Kategorien stehen nicht unverbunden nebeneinander. Wie Abb. 23
verdeutlicht, handelt es sich vielmehr um ein komplexes Wirkungsgefüge, bei dem
kulturelle, strukturelle sowie handlungsleitende Faktoren in ihrer Interdependenz ein
Tauschsystem konstituieren.

Makrokultur
• Kognitive Ordnung

• Normative Ordnung

Beziehung Modi
• Struktur • Vertrauen
• Position • Macht
• Ressource • Kontrolle
• Sanktionen

Kooperationsformen
• Ökonomische Tauschreziprozität
• Soziale Pflichtenreziprozität

Abbildung 23: Kerndimensionen des Tausches im Wirkungszusammenhang


Quelle: In Anlehnung an Göbel/Weber (2007, 285)

3.1. Unternehmenssteuerung als Wissensproblem: Reziprozität soziokultureller


Ordnungen

3.1.1. Symbolische Ordnung

VC-PU-Beziehungen zeichnen sich wie alle neu geschaffenen Organisationsformen zu


Anfang durch ein Höchstmaß an Vieldeutigkeit und Ungewissheit aus. Insbesondere
die gegenseitigen Vorstellungen und Motive sind in dieser Zeit zumeist diffus und
ambiguitiv. „Unsere Erwartungshaltung hat sich im Laufe der Zeit verändert, da wir
seine Agenda erst im Nachhinein erkannt haben“ (Den). Sie müssen wechselseitig so
synchronisiert werden, daß am Ende des Synchronisationsprozesses die unter-
schiedlichen Perspektiven reziprok aufeinander bezogen sind (Schütz 1967). „Das ist

254
ganz entscheidend bei einer Zusammenarbeit. Also wenn man weiß, was man
voneinander hat und was man voneinander erwarten kann und was man eben auch
nicht erwarten kann“ (Knau). Um die interindividuelle Deutbarkeit der Perspektiven
herzustellen, werden permanent generalisierte Erwartungsstrukturen in Form von
Skripten, Regeln und Klassifikationen (DiMaggio/Powell 1991) angewendet. Denn der
Entrepreneur wird in seiner Selbstdarstellung erst dann für den VC-Manager als
solcher verständlich, wenn Ersterer Wissen über erwartbares Verhalten bei Letzterem
voraussetzen kann. Dies ist aber nur dann möglich, wenn das Wissen über das
Gegenüber, seine Fähigkeit zur Rollenübernahme, seine möglichen Verhaltensweisen,
Handlungsorientierungen126 usw. institutionalisiert sind.
Betrachtet man nun die Empirie, so lassen sich mit Bezug auf Synchronisations-
modus und Reziprozitätsintensität unterschiedliche Formen kognitiver Synchronisation
in VC-PU-Beziehungen unterscheiden. Der erste Typus – die kulturelle Adaption –
ist der ökonomischen Tauschreziprozität zuzuordnen. Hier orientieren sich die
beteiligten Akteure in ihren wechselseitigen Erwartungen vornehmlich an den
institutionalisierten Akteursrollen (Meyer et al., 1994), die kennzeichnend für die VC-
Branche sind. Entlang der vorgegebenen Rollen – VC und Unternehmer – wird
letztlich wechselseitig eine am Primat der individuellen Nutzenmaximierung
orientierte Motivlage unterstellt. „Ich muss meine Interessen verteidigen, er seine
Interessen als Gründer, denn er wird in Grund und Boden verwässert und kriegt noch
dazu eine 1,5-fache Liquidation Preference aufs Auge gedrückt. Ich kann ihm als VC
aber nicht einfach Equity abgeben, nur weil ich ein netter Mensch bin“ (Ben).
Je nach Machtverteilung versucht der Einflussreichere sein Verständnis (als eine von
mehreren möglichen Vorstellungen) als die „Wahrheit“ allgemeinverbindlich zu
definieren, „thus dictating institutional meaning by offering one official account of
institutional structures and practices“ (Zilber 2002, 237). Um in der „Realität“ von
Businessplänen Managementmeetings, Umsatzrenditen oder Führungstechniken
anzukommen, wird aus einem Wissenschaftler in einem kulturellen Adaptionsprozeß
ein Unternehmer. „Die Leute kommen aus den Hochschulen, die haben maximal
Managementerfahrung auf der Größe eines Labors, sonst nichts, und werden dann
reinkatapultiert, besonders wenn der Laden einigermaßen gut wächst, in die Rolle
eines Managers“ (Bir).
Kennzeichen für die kulturelle Adaption ist die Selbststilisierung als rationaler
Nutzenmaximierer (Meyer et al. 1994). Indem die Akteure sich in ihrem Verhalten an
wechselseitigen Typisierungen orientierten: „Das sind nicht unsere Freunde, das sind
unsere Investoren“ (Gul), nehmen sie sich und ihr Gegenüber weniger als durch diese

126
Folgt man Montada (1998, 82) so ist eine institutionalisierte Erwartung an die Handelsorientierung gesell-
schaftlicher Akteure die Realisierung des Eigennutzpostulates: „Together with others, these observations
suggest that self-interest is quite commonly considered the dominant, normal, legitimate motive, adequate
for self-presentation in public contexts. This understanding of self-interest is obviously socially shared. In its
descriptive part, however, it is a myth”.

255
Beziehungen geprägte Handelnde, sondern vielmehr als institutionelle Erwartungen
prozessierende Nutzenmaximierer wahr. Letztlich bleiben sich VC und Unternehmer
in ihrer je spezifischen Individualität fremd. „Wir waren uns bis zum Schluss fremd,
da er aus einer Welt kam, die mir wirklich fremd ist, und ich aus einer Welt, die ihm
wirklich fremd ist“ (Hal).
Beim zweiten Typus, der kognitiven Reflexivität, orientiert sich die wechselseitige
Wahrnehmung und die daraus resultierende Erwartungsbildung stärker an der
Individualität des Gegenübers. „Bei Firma A ist der CEO ein sehr junger, unerfahrener
Wissenschaftler mit hervorragenden Qualitäten und Anlagen, der jedoch sehr stark
polarisiert. Der braucht natürlich eine andere Art von Auseinandersetzung und Pflege
als ein gestandener Industriemann mit 20 Jahren Führungserfahrung“ (Bir).
Der branchenspezifischen Regeln, Rollentypisierungen und Skripten durchaus
bewusst, sind jedoch insbesondere die VC-Manager immer auch bestrebt, die
Unternehmer in ihrer je spezifischen Motivation, Sozialisation und Profession
wahrzunehmen und diese mit zur Grundlage einer „gemeinsamen“ Wirklichkeits-
konstruktion zu machen. Die institutionellen Erwartungen werden weniger reflexartig
prozessiert als vielmehr in ihrer Ambiguität wahrgenommen und reflexiv bearbeitet
(Beckert 1999, Zilber 2002). Die Akteure „are creating and applying these symbols,
interpreting these meanings, and formulating, conforming to, disobeying, and
modifying these rules“ (Scott 1994, 60). Mit Bezug auf eine weitgehend symmetrische
Perspektivenreziprozität entsteht so eine kognitive Ordnung, die sich auch in
kritischen Situationen gegenüber Dritten glaubwürdig aufrechterhalten lässt. „Ziel ist,
dass die in ihrer ureigenen Rolle in ihrer besten Wertigkeit dort mitspielen. Wenn Sie
z.B. neues Kapital anwerben und neue Investoren gewinnen müssen, dann müssen Sie
vorher eine gemeinsame Sichtweise schaffen und aufrechterhalten“ (Schre).
Die kognitive Reflexivität fokussiert bei der wechselseitigen Positionierung die
Empathie der Interaktionspartner. „Unser Investment-Manager hat selber eine Firma
gegründet, hat selber VCs gehabt, hatte einen Riesenstreit mit ihnen, hat die Firma
verkauft und ist selber VC geworden. Der vermittelt uns in der jetzigen Krise das
Gefühl, daß er unsere Position als Unternehmer versteht“ (Hee). Indem VC-Manager
und Unternehmer sich wechselseitig die Fähigkeit zur gegenseitigen
Perspektivenübernahme unterstellen, transzendieren sie in ihrem Handeln typisierte
Rollenzuschreibungen und nehmen das Gegenüber in seiner je spezifischen
Individualität wahr. Diese Form der Perspektivenreziprozität übersteigt das
hermeneutische und empathische Niveau utilitaristischer Nutzenkalküle deutlich. Eine
erfolgreiche VC-PU-Dyade stellt sich hier weniger als fit autonomer
Nutzenmaximierer, sondern vielmehr als interessengeleitete, gleichwohl ihrer sozialen
Interdependenz bewussten, Interaktionsgemeinschaft dar. „Wir haben alle von uns ein
sehr persönliches Verhältnis zu unseren Firmen und das geht ins Herz der Firma, aber
es geht auch ins Herz unseres Lebens. Die Intimität der Beziehung erfordert ein

256
Zulassen auf beiden Seiten, ist für uns sehr aufwendig, aber bisher extrem erfolgreich,
weil man mit den Firmen lebt“ (Bir).

3.1.2. Normative Ordnung

Die im Zuge der kognitiven Synchronisation gebildete kognitive Ordnung bildet im


weiteren Verlauf die symbolische Folie für die subjektiven Interessen der Akteure und
die diese kanalisierende normative Ordnung. Hierbei lassen sich empirisch zwei
normative Ordnungen unterscheiden.
Utilitaristisches Regelsystem
Viele VCs lassen an dem Ziel der Renditemaximierung insofern keinen Zweifel
aufkommen, als sie es zum Kern ihrer Unternehmensidentität und –philosophie
machen. „Aus meiner Sicht sind wir ein Handwerksbetrieb, der Geld verkauft. Das
Produkt heißt Geld“ (Blu). In der Verfolgung diese Ziels wird der strategische
Umgang untereinander – im Zweifelsfall auch gegen die Interessen des Gegenübers –
als legitimes Handlungsmotiv anerkannt. „Wir wissen, dass das ein ganz guter Typ ist,
der aber auch seine eigne Agenda hat. Unser Ziel ist aber schon, möglichst unsere
Linie durchzusetzen“ (Den). Um die Risiken, die aus der zeitlichen Disparität von
Tauschinterakten resultieren, zu minimieren, setzen die Parteien auf die stabilisierende
Funktion von Regeln (Kondo 1990). Indem die Teilnehmer „carefully monitor their
own initiatives on the basis of their own evaluation of the reciprocating action taken by
the other side“ (Osgood 1962, 88), entwickelt sich ein flexibles, selbstregulatives
System wechselseitiger Beobachtung und Erwartungsbildung (Bendor et al. 1991). „In
jedem Investment haben sie so eine storming- und norming-Phase, die sie durchlaufen
müssen, bis jeder die Interessen des anderen kennt und weiß, wo dessen Stärken und
Schwächen liegen und entsprechend auch dessen Beitrag einschätzen kann“ (Sei). Die
utilitaristische Verhaltensreziprozität (Kranton 1996) erscheint unter der Annahme,
„that the others follow the same rules and motives“ (Montada 1998, 90), als
normatives Bindemittel desperater Motive. Nur wenn man sich selbst im Laufe der
Interaktionsbeziehung als verlässlich oder fair erweist, kann man rationalerweise von
seinem Gegenüber erwarten, dass es sich reziprok verhält. „Wenn du die Leute korrekt
behandelst und ein verlässlicher Partner bist, glaube ich, werden sie dich entsprechend
behandeln: „the way you treat people on your way up ist how they treat you on your
way down“ (Blu)
Gleichwohl steht die steuernde Funktion des emergenten Regelsettings immer unter
dem Verdikt, den nutzenmaximierenden Kalkülen der Tauschparteien dienlich zu sein
(Kondo 1990)127. Denn wird Regelorientierung für das langfristige gemeinsame
Wohlergehen als durchaus rational betrachtet, so liegen kurzfristig immer Anreize zum

127
Ganz in diesem Sinne kann laut Kondo (1990, 517) normatives Verhalten nur Rolle eines Stabilisators in
Kooperationen spielen, aber niemals die eines Schöpfers. „The fundamental basis of mutual cooperation is
rational behavior with the expectations of reciprocity”.

257
individuellen Regelverstoß vor. Letztere werden von den anderen Parteien mit
entsprechenden Strategien beantwortet. „Die Erfahrung zeigt, dass das, was er sagt,
nicht das ist, was er auch umsetzen wird. Dementsprechend muss man manchmal
Kontroll- und Sanktionsmechanismen einziehen um sicherzustellen, dass dem
Gesagten auch entsprechende Taten folgen“ (Den).
Holistische Moralordnung
Einige VCs nutzen als aktive „interpreters“ (Zilber 2002) branchenspezifischer
Symbol- und Regelsysteme den sich aus der Ambiguität institutioneller Erwartungen
ergebenden Spielraum zur „symbolischen“ Differenzierung (Beckert 1999). „Ich
glaube, dass wir uns in Deals von anderen VC-Gesellschaften unterscheiden. Bei uns
gibt es keine Quick-wins. Hier ist sehr viel Substanz. Oft haben Sie Hardcore-
Wissenschaftler, die 30 Jahre im Labor Patente gezimmert haben, um sie dann zu
kommerzialisieren. Denen ist wichtig, dass sie Leuten die Hand geben, die das
wirklich ernst meinen. Und das tun wir“ (Bir).
Der Differenzierung entspricht auf personalpolitischer Ebene eine binäre Identität
des VC-Managements. Indem sich die VC-Manager sich sowohl als Ökonomen als
auch als Pharmakologen, Mediziner oder Biologen begreifen bzw. definieren,
transzendieren sie die reinen utilitaristischen Tauschkalküle mitunter zugunsten
empathiegetriebener Handlungsmoralität. „Ich habe zwölf Jahre Pharmaindustrie-
erfahrung. Ich habe im onkologischen Bereich gearbeitet und über acht Jahre mit HIV-
Patienten zu tun gehabt. Insofern bin ich mir der Notwendigkeit der sehr engen
Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Business für diese Menschen sehr wohl
bewusst und, was es heißt, wirklich einen Impact für die Menschen zu liefern“
(Gol)128. Die Rückkopplung des Interaktionssystems an eine prosoziale Norm (Bowles
1998) – hier die moralische Pflicht zu Linderung menschlichen Leids – lässt auch die
Normen der Reziprozität in einem anderen Licht erscheinen. Hat die Reziprozität in
utilitaristischen Interaktionssystemen primär einen individualistisch, kalkulatorischen
Regelcharakter: „a gift always looks for recompense“ (v. Hippel, 1988, 77), handelt es
sich eher um eine generalisierte Norm im Sinne eines moralischen Imperativs des
sozialen Lebens (Montada 1998). „All moral values and norms are by their nature
interpersonal: they define and control the relationship of the individual to others. The
‚norm of reciprocity’ and the ‚principle of give and take’ are moral norms and
principles that operate to restrain absolute ‚individual self-interest’ for the achievement
of greater harmonious relationships in social life” (Ekeh 1974, 59).
Ihre Persistenz erhalten moralbasierte Gabensysteme, indem sie durch ihr
erfolgreiches Funktionieren die sie steuernde Interaktionsmoralität immer wieder
reproduzieren und damit ihre eigene Überlebensfähigkeit sichern. Als zwingende

128
Auf Relevanz von moralischen Kategorien für die Motivation von VC-Gesellschaften verweist Perry bereits
1988, 209: „VenFund’s founder had decided that because America had been good to his family, he should do
something to strengthen the country’s business structure. He created his venture capital fund to support
technical people in the long-term development of important areas.“

258
Konsequenz ergibt sich, „dass Tauschsysteme Gelegenheiten zum moralischen
Handeln anbieten müssen, wenn sie eine entsprechende Tauschmoralität erhalten
wollen“ (Kappelhoff 1995). „Unser Verständnis einer VC-Unternehmer-Beziehung ist
im Kern durch Gegenseitigkeit geprägt. Wir erzielen dort die besten Ergebnisse, wo
unser zusätzliches Involvement angenommen und umgesetzt wird. Für Gründer, die
ausschließlich unser Kapital wollen, sind wir der falsche Partner“ (Schr).

3.2. Unternehmenssteuerung als Beziehungsproblem: Reziprozität


struktureller und relationaler Ressourcen

Venture Capitalist und Unternehmer stehen in einer komplexen Austauschbeziehung,


die zum einen den wechselseitigen Transfer von Ressourcen bzw. Gaben umfasst.
Zum anderen ist die einzelne Transaktion in einen sozialen Zusammenhang
eingegliedert, der erst in seiner Gesamtschau für den Außenstehenden sinnvoll und
erkennbar ist: (1) Die Struktur der Tausch- bzw. Gabenbeziehung selbst, (2) die
Positionen der Akteure innerhalb dieses Systems sowie (3) die in diesem System
getauschten Gaben bzw. Ressourcen stehen in einem interdependenten Verhältnis
zueinander (Sahlins 1999). Um die einzelnen Dimensionen klarer zu beleuchten sowie
die sich aus der Empirie ergebenden Unterschiede klarer herauszuarbeiten, werden die
drei Dimensionen trotz ihrer Interdependenz separat diskutiert.
Struktur des Tausch- bzw. Gabensystems
Mit Blick auf unsere Daten,konnten wir zwei Interaktionstypen explizieren. Der erste
Typ ist durch ein relatives Machtgleichgewicht sowie eine gegenseitige Kontrolle der
Ressourcen gekennzeichnet. Betrachten sich VC und Unternehmer wechselseitig als
opportunistische Nutzenmaximierer, so konstituiert sich eine soziale
Austauschbeziehung, die in Teilen der balancierten Reziprozität Sahlins (1972) folgt.
Diese beruht auf dem direkten Austausch gleicher Werte. Die Tauschparteien treten
einander mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Interessen entgegen. „Es
ist einfach ein professionelles Verhältnis. Wir machen unseren Job, sie machen ihren.
Wir haben unsere Interessen, die haben ihre“ (Hee). Aufgrund der Interessensdisparität
sind Formen balancierter Reziprozität weniger durch ein kooperatives als mehr durch
ein antagonistisches Beziehungsverständnis gekennzeichnet (Gillmore 1987). Dieses
kann günstigstenfalls auf einen Deal hinauslaufen, wo es überhaupt keine Beziehung
gibt „und der Unternehmer verdient ein Wahnsinnsgeld für uns“ (Den). Die inhärente
Dynamik wechselseitiger Interessensdisparitäten kann jedoch auch den Charakter
eines „kalten Krieges, immer dieses flexible response“ annehmen, „bei dem man nie
weiß, wann die Gegenseite ihre Atomwaffen abschießt“ (Ben) oder die Form „einer
Hassliebe, wo ich im Prinzip für ihn menschliche Verachtung spürte und er für mich,
aber wir beide wussten, daß wir den anderen brauchten“ (Hal).
Während bei Typ 1 VC und Entrepreneur primär in einer direkt reziproken Tausch-
beziehung stehen, beschreibt Typ 2 eine VC-PU Dyade, die in ein erweitertes
Gabensystem eingebunden ist, in dem Kooperationsbereitschaft und Tauschsolidarität

259
ebenfalls von Bedeutung sind. Reziprozität stellt sich hier als generalisierte Norm dar,
der sich alle Teilnehmer in ihrem Handeln bis zu einem gewissen Grad verpflichtet
fühlen (Gouldner 1960). Die Verpflichtung zur Gabe läuft nicht direkt zwischen
Ressourcennehmer und –geber, sondern über das Gabensystem selbst und seine
Mitglieder (Ekeh 1974; Das/Teng 2002). Das Risiko für den Einzelnen bleibt insofern
begrenzt, als die systemische Geschlossenheit der Gabenzyklen eine indirekte,
typischerweise zeitverzögerte Entschädigung ermöglicht. Jeder Ressourcengeber ist
zugleich auch Ressourcenempfänger in einer anderen, ebenfalls einseitigen
Gabenbeziehung. „Relations of this kind built through an accumulation of actions that
create a system of social relations that transcends narrow self-interest and includes
moral as well as economic motivations as fundamental to action” (Larson 1992, 99).
Die VC-Geber und Unternehmer betrachten sich wechselseitig als autonome Partner in
einer in Solidarität verbundenen Gabengemeinschaft. Maßgeblich für das
Funktionieren bleibt die moralische Unterstützung der Ressourcenflüsse durch
prosoziale Normen. „Wir sind eine große Wissensdrehscheibe, in der verschiedenste
Experten aus unterschiedlichen Regionen beteiligt sind. Das ist ein großes Geben und
Nehmen, bei dem man auf der einen Seite gibt und ganz woanders wieder nimmt. Das
gleicht sich immer irgendwie aus, so dass ich da wirklich Nutzen von habe, meine Zeit
anderen Leute zu widmen.“ (Wey).
Positionen
Im Zusammenhang von Interessensdisparität und Ressourcenabhängigkeit konsti-
tuieren sich je spezifische Positionen und Machtkonstellationen zwischen VC und
Unternehmer. „In the context of entrepreneur-venture capitalist relationships, there
appears to be substantial variance in the amount of power held by the parties at
different stages of the relationship“ (Cable/Shane 1998, 161). Tauschpositionen, die
sich gemäß balancierter Reziprozität konstituieren, konfigurieren sich primär über die
beobachtbaren Ressourcenflüsse und -ausstattungen. So ist die Abhängigkeit von
Akteur B von einem Akteur A um so größer, je wichtiger für B bestimmte Ressourcen
sind, die A kontrolliert, und je weniger B die Möglichkeit hat, diese Ressourcen
außerhalb der A-B-Beziehungen zu erlangen (Emerson 1962). „Ich saß da und dachte:
‚Das einzig Gute ist, sie werden zurückkommen und unser Spiel spielen müssen, weil
sie nirgendwo anders Geld bekommen werden’“ (Blu). Je mehr sich nun die
Machtkonstellation zugunsten des A verschiebt, d.h. je größer die Abhängigkeit B von
A ist, desto mehr ist A in der Lage, den potentiellen Widerstand des B zu überwinden,
Kooperation zu erzwingen und für ihn vorteilhafte Ergebnisse zu erzielen. (Emerson
1962). „Die Gründer hatten die Wahl: Entweder sie melden Insolvenz an oder Sie
stimmten dem Vorschlag der Investoren nach Verwässerung der Anteile und
Auswechselung des Vorstands zu“ (Nus).
In Typ 2 – dem Gabensystem – wird anders gedacht. Den Akteuren ist klar, dass
sich Gegenseitigkeit oft erst längerfristig zeigt (Perry 1988). Ausgeglichenheit
resultiert, wenn überhaupt, aus einer sachlich, sozial und zeitlich äußerst komplexen

260
Struktur von Transaktionen. Da die Optimierung der individuellen Position
zwangsläufig an die Persistenz des Gesamtsystems gebunden ist, werden
wechselseitige Verpflichtungen durch alle Formen kooperativen Handelns beglichen
„Wir möchten unsere alten CEOs weiter in unserem Netzwerk behalten. Da sie
glaubwürdig, ehrlich und erfolgreich sind, haben sie eine höhere Autorität als ich bei
den Unternehmen. Zudem kriegen wir von denen viele gute Businesspläne
reingespielt. Die fühlen sich uns verpflichtet, Sachen an uns zurückzuspielen“ (Bir).
Ressourcen
Ganz im Sinne der oben angesprochenen Interdependenzen erklärt Sahlins (1972) zur
Gabe, dass die Art, wie die Rückgabe erwartet wird, etwas über den Geist aussagt, der
den Tausch bestimmt. Die Unterscheidung der Reziprozitätstypen ist auch hier also
„mehr als nur formaler Natur“ (Sahlins 1972). Während bei Typ 1 die sozialen
Beziehungen vom Ressourcenfluß abhängen, „wenn die ihre angekündigten tollen
Kontakte dann doch nicht liefern, weiß ich nicht, warum wir uns mit denen
zusammengetan haben, denn Geld hätten wir auch woanders bekommen“ (Falk), wird
bei Typ 2 „die Bewegung der Güter durch die herrschenden sozialen Beziehungen
getragen“ (Sahlins 1972): „Man kennt sich, man vertraut sich ein Stück weit und weiß,
dass wenn ich heute mein Wissen zu dem Thema abgebe, dann bekomme ich morgen
Wissen von jemand anders zurück“ (Wey).
In direkten Reziprozitätsbeziehungen des Typ 1 werden vorwiegend gut
quantifizierbare Ressourcen getauscht, die den Tauschparteien zu jedem Zeitpunkt
eine exakte Saldierung ihrer Ressourcenflüsse ermöglichen. Empirisch zeigt sich, dass
beide Parteien bemüht sind, wechselseitig ihre Beiträge monetär bewertbar zu machen.
Denn die Solidarität zwischen den Tauschpartnern konstituiert sich nur auf der Basis
wechselseitig realisierten Nutzens, der auf den bewerteten Ressourceneinsätzen fußt.
Im Zweifel steht die individuelle Nutzenmaximierung der Akteure über dem sozialen
Gebot eines fairen Austauschs (Ekeh 1974).
In Formen generalisierter Reziprozität des Typ 2 hingegen wird deutlich, dass neben
dem Tauschwert der Gabe hier ihre soziale Funktion, die Stiftung und
Aufrechterhaltung von langfristigen Beziehungen, eine zentrale Bedeutung spielt (Darr
2003). Denn: „Wir investieren nicht in vorgelegte Businesspläne, sondern wir bauen
Firmen von Anfang an oder sukzessive auf“ (Bir). Indem hier eine langfristige
Beziehungsperspektive als normatives a priori fokussiert wird, werden gemäß der
Unternehmensentwicklung unterschiedliche Gaben in differenzierter Frequenz und
Intensität getauscht. Sieht dies am Anfang der Beziehungs- und
Unternehmenskonstitution regelmäßige und intensive Unterstützung vor, die von
aufwendigen Managemententwicklungs- und Coachingmaßnahmen über die
Bereitstellung von Kunden- und Kooperationskontakten bis zu operativen
Unterstützungsleistungen reicht, so wird im Verlauf der Unternehmensentwicklung
und Managementprofessionalisierung „die Unterstützung dann punktueller und die

261
Intensität wird weniger, aber letztlich bleibt die thematische Bandbreite vergleichbar“
(Bir).

3.3. Unternehmenssteuerung als Kooperationsproblem: Reziprozität der


Verhaltensmodi

Vertrauen, Macht, Kontrolle und Sanktionen im Interaktionszusammenhang


In der Betrachtung unserer VC-PU-Interaktionen haben sich Vertrauen, Macht,
Kontrolle und Sanktionen als relevant und in ihrer Ausprägung unterschiedlich
abgezeichnet. Während die beiden ersten von fokaler Bedeutung sind, haben die
Kontrollformen und Sanktionsmechanismen empirisch eher derivaten Charakter.
VC-PU-Dyaden sind als soziale Tauschsysteme naturgemäß mit Risiko und
Komplexität behaftet. „Die Situation ist oft, dass die zwar einen ehrlichen Eindruck
machen, ich aber letztlich deren Redlichkeit nicht bezeugen kann. Man muß dann
einfach mal den Äußerungen der Investoren glauben und umgekehrt“ (Ste). Dreierlei
wird hier deutlich: Erstens basieren Entscheidungen – hier zugunsten von Vertrauen –
weniger auf präzisen Daten als auf guten Gründen (Luhmann 1979). Will „ego“ nun
einen ersten Schritt in Richtung einer Tauschbeziehung machen, d.h. bietet er „alter“
eine Gabe zum Tausch an, so muss er zweitens rationale Kalküle transzendieren und in
einseitige Vorleistung treten. Dabei handelt er drittens so, als ob das Verhalten von
„alter“ bis zu einem bestimmten Grade vorhersehbar ist (Luhmann 1979). Diese
Fiktion von der Prognostizierbarkeit des Handelns des „alter“ gründet auf
institutionalisierten Wahrnehmungsmustern, die eine „world in common“ (Garfinkel
1967) postulieren. Je nachdem, ob hier nun mehr nutzenorientierte oder mehr
solidaritätsorientierte Rollentypisierungen in den Verhaltensprognosen aktualisiert
werden, greift der Gebende prioritär auf Macht oder Vertrauen als
Koordinationsmechanismus zurück. Indem Vertrauen und Macht dem gleichen
Funktionsprinzip folgt: „they influence the selection of actions in the face of other
possibilities“ (Luhmann 1979, 112), können sie in VC-Beziehungen als funktionale
Äquivalente eingesetzt werden. Diese je spezifische Kombination von Macht und
Vertrauen impliziert nun unterschiedliche Kontrollformen und Sanktionsweisen.
Vertrauen
Unterstellen VC-Manager und Unternehmer sich wechselseitig nutzenmaximierendes
Verhalten, so entpuppt sich Vertrauen in einer Form von „calculative trust“129
(Rousseau et al., 1998) als Erwartungssicherheit in die ökonomische Rationalität des
Gegenübers. „Wenn man eine Vertrauensbasis hat, hat das auch was mit
Berechenbarkeit zu tun. Man kennt relativ genau die Entscheidungsparameter des
Anderen“ (Kna). Mit Blick auf eine längerfristige Bindung zwischen VC und
Unternehmer kommt es voraussichtlich zu wiederholten Tauschakten. Dieser „shadow

129
It is based “on rational choice-characteristic of interactions based upon economic exchange”. (Rousseau et al.
1998, 399)

262
of the future“ (Axelrod 1984) befördert insofern den Aufbau von Vertrauen, als die
Akteure in ihren Kalkulationen die kurzfristige Nutzenmaximierung zugunsten
längerfristiger Kooperationsrenten zurückstellen. „... each party knows that he or she
cannot successfully take advantage of the other due to the expectations of future
interactions and reciprocation” (Cable/Shane 1997, 163). Die im Zuge der
wiederholten Interaktionen erbrachten Vorleistungen verpflichten – dem Primat
balancierter Reziprozität (Sahlins 1972) folgend – den Vertrauensnehmer zu adäquaten
Gegenleistungen. „Das geht ganz einfach, du kriegst nur Geld, wenn du die Leute
eingestellt hast“ (Tel). Die Parteien saldieren nach jeder Tauschrunde ihre
Tauschbilanz und entscheiden entsprechend über eine Kooperations- bzw.
Defektionsstrategie. „Jetzt ist es so, dass wir eine relativ ausgeglichene Bilanz haben
in dem, wo wir nachgegeben haben und wo der Gründer auf uns zugegangen ist“
(Ben).
In Gabensystemen, die auf einer holistischen Moralordnung beruhen, dominieren
Formen des “relational trust“130. Indem die Akteure in ihren Handlungen immer auch
prosoziale Normen aktualisieren, kann „alter“ „ego“ mit gutem Grund mit einem
Vertrauensvorschuß in Vorleistung treten. „Die Einhaltung verbaler Verträge ist eine
Vertrauensfrage. Wenn ich professionell mit jemandem umgehe und ein Agreement
über das weitere Vorgehen geschlossen habe, dann erwarte ich von ihm eine Reife und
Verlässlichkeit, daß er sich an unsere Abmachung hält“ (Gol).
Deutlich wird, dass sich hier entgegengebrachtes Vertrauen aus einer selbst
auferlegten Pflicht speist. „These voluntarily accepted duties clearly go beyond a
negative promise not to harm the interests of the other party; they seem to provide a
positive guarantee that the rights and interests of the other party will be included in the
final outcome“ (Hosmer 1995, 392). Indem die Interaktionspartner wechselseitig die
Vorstellungen und Interessen des anderen als normative a priori ihrer eigenen Ziele
betrachten, erwächst dem Vertrauen eine über utilitaristische Nutzenkalküle
hinausgehende Binde- und Koordinationswirkung131 (Larson 1992). „Ich glaube, wir
haben beide so dieses Vertrauen, dass wir uns gegenseitig nicht über den Tisch ziehen.
Wir kämpfen zwar, aber wir kämpfen eigentlich immer fair mit relativ offenem Visier“
(Ben).
Wird Vertrauen nicht primär im Sinne einer sich kapitalisierenden Ware, sondern
mehr als Gabe im Kontext einer moralgetriebenen „gift culture“ betrachtet, so gerät
verstärkt der Beziehungsaspekt in den Blick. Laden die einseitigen Gabenzyklen zwar
einerseits zu „free riding“ ein, so bieten sie jedoch andererseits die Möglichkeit zur
Genese längerfristiger Vertrauensbeziehungen, die ihrerseits den Gabentransfer
enttäuschungssicher machen. „Sie haben oft mit wildfremden Menschen zu tun, aber

130
“It drives from repeated interactions over time between trustor and trustee. Information available to the trustor
from within the relationship itself forms the basis of relational trust“ (Rousseau et al. 1998, 399).
131
Laut Larson (1992, 85) basiert die Macht starker Beziehungen nicht “solely on short-term economics but
economics overlaid thickly with an ethos of friendship and mutual assistance“.

263
nach einem Jahr in der Rolle des Managements bzw. Aufsichtsrats haben sie viele
harte und gute Zeiten gehabt. Da wächst dann so ein Grundvertrauen heran, das vieles
einfacher macht“ (Bir).
Macht
Im Zuge utilitaristischer Rollendispositive setzen die Parteien zur Reduzierung der
Tauschkomplexität vermehrt auf den Einsatz von Macht. „Sehr viele extrem
schmerzfreie Investoren vertreten den Standpunkt: ‚Die wollen mein Geld, dann sollen
die mir gefälligst erst einmal ganz genau erklären, was sie da treiben’. Das ist für
Gründer aber nicht immer schön und einfach“ (Ben). Arbeitet Vertrauen mit der
positiven Annahme, dass alter ego willig und fähig ist zur Kooperation, so basiert
Macht auf einer negativen Verhaltensprognose (Luhmann 1979). Das
Steuerungsvermögen hängt hier maßgeblich von dem Sanktionspotential ab, das dem
Mächtigen zugeschrieben wird. Ist aufgrund der Ressourcenverteilung die soziale
Zuschreibung als Machtinhaber wahrscheinlich, so ist das wahrgenommene
Entscheidungsrisiko zugunsten des Steuerungsmechanismus Macht gering. „Wenn Sie
Macht haben, ist es am einfachsten. Dann kann man entscheiden: nur das, wenn das!“
(Den). Je größer jedoch die Zweifel an den Sanktionsmöglichkeiten und der
Bereitschaft zu ihrer ultimativen Anwendung bei dem Machtunterworfenen sind, umso
schwächer ist die Position der Machtinhabers (Bachmann 2001). “Im schlimmsten Fall
weiß die andere Seite, dass es keine Machtposition gibt, und verhält sich auch einfach
nicht kooperativ“ (Den).
Obwohl sich die Koordinationswirkung von Vertrauen in holistischen
Moralordnungen als vergleichsweise ausgeprägt und stabil erweist, muß sie doch
durch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten flankiert werden. Denn neben
systemischer Solidarität bestimmt immer auch die individuelle Nutzenmaximierung
das Handeln von VC und Unternehmer. Kommt es hier zu einem Verstoß gegen die
prosozialen Normen, so kann dies negative Implikationen für die Vertrauensbeziehung
haben (Montada 1998). „Als der unsere Abmachung gebrochen hatte, war das eine
schwierige und bittere Konfrontation, die geführt werden musste, in der wir eben auch
Vertrauen in ihn verloren haben“ (Den). Der Einsatz von Machtmitteln zur
Sanktionierung von Normenbrüchen ist gleichwohl beschränkt. Will man nicht
Vertrauen als primären Koordinationsmodus ablösen, also die Beziehung völlig neu
konfigurieren (Sweeting/Wong 1997), müssen die Position und die Interessen des
anderen als normative a priori der Machtausübung zugrunde gelegt werden. „Oberster
Leitsatz ist bei uns immer, fair zu spielen. Sie können ja in manchen Situationen auch
mit einem enormen Druckpotential arbeiten. Da muss man extrem vorsichtig sein, weil
dieses natürlich solche Beziehungen leicht zerstören kann.“ (Sch).
Kontrolle
Herrschte bei unseren analysierten VC-PU-Dyaden – wie in Typ 1 – Macht als
Koordinationsmechanismus vor, so implizierte dies eine relativ hohe Kontrolldichte.

264
VC und Entrepreneur nutzen die Kontrollen, um den diskretionären Spielraum des
Gegenübers einzuschränken. Während sich dies bei einer Dominanz des Entrepreneurs
in peniblen Kontrollen von Mitsprache- und Eingriffsrechten der anderen Seite
manifestiert, kann dies bei einer Machtverschiebung zugunsten des VC den Einsatz
des gesamten Spektrums von Monitoringinstrumenten (Sahlman 1990) implizieren.
Dies beschränkte sich bei unseren VCs nicht nur auf die Kontrolle strategischer
Entscheidungsprozesse, sondern erstreckte sich teilweise bis auf die operative Ebene.
“Die neuen Investoren wollen genau wissen, welche Reportingmechanismen ich habe,
welche genauen Tools ich benutze etc... Da ist dieses operative Einmischen und damit
natürlich auch eine Form von Kontrolle ziemlich ausgeprägt“ (Nus).
Dominiert jedoch – wie in Typ 2 – Vertrauen als Koordinationsinstrument die
Interaktionen zwischen VC und Entrepreneur, so finden je nach Netzwerkgröße
vermehrt Formen indirekter, sozialer Kontrolle Anwendung. Getragen von der
Individualität einer Vielzahl von Partnern und gesteuert von prosozialen Normen der
Reziprozität, entwickelt sich so ein selbstregulatives Kontrollsystem. „As used here,
social control encompasses self-regulation with a moral dimension in combination
with control as jointly determined by and diffused across mutiple participants” (Larson
1992, 91). Soziale Kontrolle stellt sich hier als integratives Medium von individueller
Freiheit und für die Kooperation notwendige Kontrolle dar. „Unser Investor sagt
immer: ‘We back jockeys, not horses’. Die lassen uns in der Führung unserer Firma
schon extrem viel Gestaltungsspielraum. Aber der darf von unserer Seite natürlich
nicht missbraucht werden“ (Kna).
Sanktionen
Die Sanktionspraxis ist in machtkoordinierten Tauschsystemen eng an die
Herrschaftsverhältnisse gebunden. Je nach Tauschposition verfügen die Tausch-
parteien wechselseitig über eine Sanktionsmacht, die es ihnen ermöglicht, Regel-
verstöße mit einem abgestuften Sanktionssystem zu ahnden132. Die Grenzen der
Sanktionierung liegen letztlich in der Realisierung des individuellen Nutzens. Da die
Tauschparteien über den wechselseitigen Ressourcentransfer voneinander abhängen,
unterminiert eine als zu hart empfundene Sanktionierung das Kooperationsinteresse
des Gegenübers und gefährdet somit die eigene Projektrente. „Die hatten am Schluss
des Tages ein Finanzinvestment, das optimiert werden musste, ohne dass das
Management davonläuft. Unser Druckmittel war, unsere Firma zuzumachen, und dann
wäre für die die Investition ganz weg“ (Gul).
Die Sanktionsmöglichkeiten sind in vertrauenskoordinierten Gabensystemen eng an
allseits akzeptierte Normen gebunden. Normenverstöße erfordern hier „a context for

132
Während VCs fallweise mit einer Verwässerung der Entrepreneur-Anteile (Sahlman 1990), dem Entlassen
des CEO (Hoffman/Blakey 1987), dem unterpreisigen Anteilskauf oder der kollektiven Rufschädigung
(Cable/Shane 1997) auf Regelverstöße reagieren, ahnden Entrepreneure defektierendes Verhalten der VCs
mit dem Anspruch auf einen unkündbaren Arbeitsvertrag (Hoffman/Blakey 1987) oder ebenfalls mit einer
branchenweiten Reputationsschädigung (Sahlman 1990).

265
generalized reciprocal retaliation, defined broadly as the repayment of injurious or
otherwise undesired acts“ (Westphal/Zajac 1997, 164). Sanktionen zeigen sich zumeist
in dem Ausschluß des Delinquenten aus den normalen Interaktionen. „Social sanctions
are generally punishments that negatively affect a firm’s opportunities over the long
haul“ (Das/Teng 2002, 450). Die Sanktionspraxis wird sozialisiert, indem alle
Mitglieder – und nicht nur die direkt Betroffenen – Verstöße gegen die
Gruppennormen bestrafen und somit Gerechtigkeit wiederherstellen. Dadurch wird das
Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Gabensystems gestärkt. Gesetzliche
Bestimmungen bilden hier nur die formale Folie, vor der die Mitglieder auf der Basis
prosozialer Reziprozitätsnormen ihre konkreten Interaktionsbeziehungen prozessieren.
„Sie können ein Unternehmen entweder qua geschaffener Gesetze oder qua
persönlicher Beziehung zum Unternehmen steuern. Ersteres ist zum Scheitern
verurteilt. Erfolg haben Sie nur in einer Beziehung, bei der die andere Seite
unabhängig von der rechtlichen Situation das Gespräch mit Ihnen sucht“ (Blu).

266
4. Reziprozitätstypen in der Investor/Unternehmens-Interaktion – ein
Zwischenfazit
Nachdem nun entlang der 10 Kategorien die zwei aus der Empirie generierten Typen
beschrieben wurden, sollen sie im Folgenden kurz zusammengefasst und ihr jeweiliges
aus der Makrokultur sowie der Tauschkonstellation resultierendes Kooperations-
verständnis dargestellt werden.
Die Ökonomische Tauschreziprozität
Bei dem ersten Tauschsystem – der ökonomischen Tauschreziprozität – dominiert in
symbolischer Analyseperspektive die Form kultureller Adaption. Die Akteure
prozessieren vom ersten Zusammentreffen bis zum Exit primär institutionalisierte
Rollen- und Motivtypisierungen in Form von wechselseitig unterstelltem Handlungs-
utilitarismus. Der hiermit einhergehende Regelutilitarismus generiert ein fragiles
Normensetting, das letztlich auf wechselseitig realisierten Interessen beruht.
Kennzeichen der sich so konstituiernden Makrokultur ist eine Akteursmotivation, bei
der der Utilitarismus fokal und die Moralität peripher ist.
Unter Rekurs auf die Makrokultur entsteht auf der Interaktionsebene eine
strukturelle Tauschbeziehung, die der balancierten Reziprozität Sahlins (1972) folgt.
Die Tauschparteien stehen sich hierbei in einer dyadischen Akteurskonfiguration
gegenüber. Getrieben von ökonomischen Nutzenkalkülen und basierend auf je
spezifischen Ressourcenausstattungen, versuchen die Akteure, die Tauschrate in ihrem
Sinne zu beeinflussen. Tauschposition und Strukturpersistenz sind hier an die
Fähigkeit und Bereitschaft der Tauschpartner gebunden, solche Leistungen und
Ressourcen in die Tauschdyade einzubringen, die der andere zur Realisierung seiner
Interessen benötigt. Der wechselseitigen Abhängigkeit und der intentionalen
Handlungsmotivation bewußt, greifen die Tauschparteien primär auf Macht als
interorganisationale Koordinationsform zurück. Flankiert von einem aufwendigen
Kontroll- und Sanktionssystem entsteht so eine Kooperationsform, die zwischen
hierarchisierter Abhängigkeitsbeziehung und beziehungsloser Handlungsautonomie
changiert. Um angesichts einer zyklischen Auseinandersetzung um Autonomie und
Abhängigkeit eine belastbare Kooperation auf Dauer zu stellen, fallen notwendiger-
weise hohe Transaktionskosten an.
Mit Blick auf mögliche Tauschergebnisse dieses Tauschsystems lassen sich je nach
Investmentsituation zwei Szenarien skizzieren.
1. Liegt ein Investment deutlich unter Plan, so ist insbesondere der VC bemüht,
den Entrepreneur in eine für ihn günstige Tauschposition zu zwingen. Hierbei
ist die Gefahr groß, dass sich die Akteure in ein selbstverstärkendes System
verstricken, bei dem ostentative Machtpolitik die zweckrationalen Kalküle
transzendiert. Im Zuge einer Emotionalisierung des Tauschsystems wird jede
Defektion dann primär als Angriff gegen die eigene Professionalität bewertet
und mit übertriebener Härte geahndet. Eskaliert ein Tauschsystem in der
skizzierten Weise, kann dies bei asymmetrischer Machtkonstellation zu einer
resignativen Destruktionsstrategie des Machtunterworfenen führen. Liegt eine
symmetrische Machtkonstellation vor, ist eine Pattsituation im Sinne „eines
kalten Krieges“ realistisch. In Ermangelung prosozialer Normen als exogene
Referenz- und Steuerungsgrößen kommt es zu einer wechselseitigen
Neutralisation divergierender Intentionalität. Als Tauschergebnis erscheint ein
suboptimales Innovationsniveau und damit ein eingeschränkter Erfolg des PUs
als wahrscheinlich.
2. Liegt das Investment im oder über dem Plan, so konstituiert sich eine
Beziehungskonstellation, die auf wechselseitige Nichteinmischung fokussiert.
Während sich hierbei der VC auf die Rolle des Kapitalgebers beschränkt,
positioniert sich der Entrepreneur komplementär hierzu als Mehrwert
schaffendes Investment. Geeint in dem Interesse an einer Renditemaximierung
einerseits und gewahr der unterschiedlichen Rollenanforderungen andererseits,
entspinnt sich eine distanziert-rationalistische Tauschbeziehung
(Sweeting/Wong 1997; Perry 1988). Indem die Tauschparteien ihre Handlungs-
strategien dem a priori der Gewinnmaximierung unterordnen, sind sie bemüht,
in den Tauschzyklen wechselseitig Kooperationsbereitschaft zu signalisieren
und etwaiger Defektionen mit Großzügigkeit zu begegnen (Bendor et al., 1991;
Cable/Shane 1997). Während im ersten Szenario ostentative Machtdemon-
strationen die Tauschkultur bestimmen, bleiben hier die Machtpositionen und
die daraus resultierenden Sanktionsmöglichkeiten eher latent. Nur durch
gemeinsame Intentionalität verbunden und unbelastet von emotionalen
„Scheuklappen“ sowie exogener Moralordnung kann sich so eine
ergebnisorientierte Tauschkultur mit hohem Innovations- und Renditepotential
entwickeln.
Soziale Pflichtenreziprozität
Bei dem Gabensystem – soziale Pflichtenreziprozität – dominiert als Modus
kognitiver Synchronisation die kognitive Reflexivität. Die Akteure nutzen die
Ambiguität der institutionalisierten Rollen- und Motiverwartungen zu einem
reflexiven Umgang mit ihnen. Für die eher austauschbaren VCs bietet dies
symbolische Differenzierungspotentiale, die sich in heterogenen Unternehmens- und
Investmentphilosophien niederschlagen. Hierbei versuchen, sie an die Lebenswelt
(Schütz 1967) der PUs anzuschließen, um in einem beidseitigen Synchronisations-
prozess eine wechselseitig anschlussfähige und belastbare Makrokultur zu generieren.
Kennzeichnend hierfür ist die partielle Transzendenz des Handlungsutilitarismus
zugunsten prosozialer Motive wie Gegenseitigkeit, Ehre, Fairness, Gerechtigkeit etc.
Gesteuert von einer endogenen Moralordnung, entsteht so ein Gabensystem, bei dem
Moralität fokal und Utilitarismus peripher ausgeprägt sind.

268
Kennzeichnend für das System ist auf der Interaktionsebene eine strukturelle
Interaktionsbeziehung, die der generalisierten Reziprozität Sahlins (1972) folgt. VC
und Entrepreneur sind hier Mitglieder eines komplexen Gabensystems, das lokal durch
dyadische Interaktionsbeziehungen gestützt wird. Gegenseitigkeit zeigt sich mitunter
erst langfristig, und Ausgeglichenheit resultiert aus einer sachlich, sozial und zeitlich
komplexen Struktur von Transaktionen. Die Bereitschaft, individuelle Nutzenkalküle
tendenziell einem moralgesteuerten Gabensystem unterzuordnen, ist daher voraus-
setzungsvoll. Sie erfordert neben dem Vertrauen in die Integrität der Partner primär
Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Gabensystems. Dieses Vertrauen in das
System und seine sie steuernde Moralordnung werden zur zentralen Koordinations-
form.
Jenseits formaler Verträge dominiert hier informale Kooperation im Sinne von
Smith et al. (1995, 5), “which involves adaptable arrangements in which behavioural
norms rather than contractual obligations determine the contributions of parties”.
Kontrolliert wird die Einhaltung der Normen durch Formen sozialer Kontrolle. Alle
Interaktionspartner sind verpflichtet, die Einhaltung der Normen im Gabensystem zu
überwachen und Defektion in Form von sozialen Sanktionen zu bestrafen. Da
Kontroll- und Sanktionsmacht hier nicht personalisiert, sondern als Systemmacht
(Luhmann 1979) angelegt ist, entfallen die durch formalisierte Kontrollverfahren
entstehenden Transaktionskosten.
Welche Implikationen hat dieses Gabensystem nun bezüglich potentieller
Ergebnisse? Hier lassen sich in Abhängigkeit von Institutionalisierungsgrad und
Regelungsdichte der Moralordnung zwei Szenarien skizzieren.
1. Wird das Gabensystem durch eine exogene Moralordnung mit hoher
Regelungsdichte und Institutionalisierungsgrad gesteuert, d.h. sind System und
Moralität eng aneinander gekoppelt, so bildet sich zumeist eine delikate
Balance von Vertrauen und Macht aus. Macht ist hier mehr eine Bedingung als
eine Alternative von Vertrauen. Indem Kontrolle und Sanktionierung Aufgabe
des gesamten Tauschsystems sind, wird Macht anonymisiert und der Autorität
einer normierten Ordnung übertragen. Diese Form der Macht ist nicht
indifferent gegenüber den individuellen Interessen der Mitglieder, erscheint
jedoch schwerlich für opportunistische Strategien miß- bzw. gebrauchbar.
Sind prosoziale Normen als Verhaltens-a-priori generell akzeptiert, so kann
Systemmacht den effizienten Aufbau von „high level of trust“ befördern. Müssen sich
Interaktionspartner in unternormierten Gabenbeziehungen explizit zwischen Vertrauen
und Macht entscheiden, präferieren die Akteure hier eine Symbiose von
Systemvertrauen und –macht. „Thus, generally, the quality and dynamics of trans-
organizational relations can be reconstructed as being controlled by patterns of trust
and/or power mechanisms which are characteristic of the specific arrangements of
institutional regulation in which the business activities are embedded“ (Bachmann
2001, 360). Der hohe normative Institutionalisierungsgrad eng gepaart mit einer

269
persistenten kognitiven Ordnung (Darr 2003) kann schlimmstenfalls das Gabensystem
in einen „lock in“ treiben. Eine niedrige Innovationsrate mit einer unterdurchschnitt-
lichen Wertentwicklung des PUs ist dann die wahrscheinliche Folge.
2. Ist die Regelungsdichte der exogenen Moralordnung weniger hoch und der
Institutionalisierungsgrad geringer, d.h. sind Gabensystem und Moralität nur
über indirekte Wechselwirkungen aneinander gekoppelt, so stellen sich
Vertrauen und Macht mehr als diskrete Koordinationsalternativen dar.
Unterstützt von Systemmacht bzw. -vertrauen machen die Mitglieder ihre
Entscheidungen für einen Koordinationsmechanismus immer auch an den
konkreten Interaktionspartnern fest. Denn allen Mitgliedern des Gabensystems
ist bewusst, daß es zwar ein steuerndes Regelsetting gibt, dieses jedoch die
utilitaristischen Kalküle des Gegenübers nicht außer Kraft setzt.
Die Gabe ist hier ein Spiel mit gemischten Motiven, in dem prosoziales Verhalten
virulent wird, wie die Versuchung, den eigenen Vorteil durch Täuschung zu
vergrößern. Zum Tragen kommt einerseits die Evidenz strategischen Handelns, die das
Gabensystem endogen dynamisiert. Der unternehmerische Charakter des einzelnen
Interakts bleibt anderseits eingebettet in die systemspezifische Sozialität und gesteuert
durch eine Pflicht zur Gabe. Innovatives Handeln im Zuge zweckrationaler Kalküle ist
hier lose gekoppelt an eine steuernde Moralordnung, die koordiniertes Handeln
enttäuschungssicher macht. Als funktionale Äquivalente von formalisierten Kontroll-
und Sanktionsmechanismen werden so Transaktionskosten reduziert. Günstigstenfalls
verbinden sich hier Innovationsdynamik mit Kosteneffizienz und führen zu einer
überdurchschnittlichen Wertsteigerung des PUs.

270
TEIL E: Einseitige Managerkontrolle oder interaktive
Unternehmenssteuerung – Zusammenfassung und
Forschungsperspektiven
Ob bei internationalen Großkonzernen wie Siemens, Deutsche Telecom oder
KarstadtQuelle, bei altehrwürdigen Mittelständlern wie Grohe, Märklin oder Tank und
Rast oder bei dynamischen New Ventures wie dem Biotech Unternehmen MBT, dem
Softwareanbieter SUSE oder dem Telekommunikationsdienstleister Teldafax, überall
beeinflussen sie mehr oder weniger direkt die Unternehmenspolitik. Sei es, dass sie
wie im Falle der Telekom oder von KarstadtQuelle personelle Konsequenzen auf
Vorstandsebene forcieren, wie bei Siemens oder Daimler Chrysler die Investions- und
Devestionspolitik beeinflussen oder gar wie im Fall von Grohe oder Tank und Rast das
gesamte Unternehmen kaufen, reorganisieren und mit Gewinn weiter veräußern. Sie,
dass sind die institutionellen Investoren, die auf der Suche nach rentablen Kapital-
anlagen gleichermaßen Großkonzerne, Mittelständler und Start Ups in den Blick
nehmen. In Zeiten gestiegener Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, für die
Erschließung neuer Märkte oder für die Erhöhung der Produktionskapazitäten sind
deutsche Kapitalgesellschaften zunehmend auf die Investments der institutionellen
Investoren angewiesen. Diese enge Verzahnung zwischen institutionellen Investoren
und Kapitalgesellschaften beinflußt nicht nur die Unternehmenspraxis insofern, als
„die Grenzen zwischen interner Unternehmensführung und externer Kontrolle
verwischen“ (Bassen 2002, 5). „Auch auf die betriebswirtschaftliche Forschung“ – wie
Bassen (2002, 5) betont – „nimmt dies Einfluss, verfließt doch die bisher klare
Trennung zwischen der Forschung zur Unternehmensführung und zur Kapitalmarkt-
forschung“. Unter dem Eindruck der Durchlässigkeit von Forschungsdisziplinen wie
Unternehmensgrenzen wird Unternehmensführung und –steuerung zusehends
interaktiv. Interaktiv insoweit, als Steuerung, definiert „als Bemühung um
Minimierung einer Differenz“ (Kirsch/Seidl 2004, 1366), zunehmend von dem
unhintergehbaren Anspruch des Gegenübers ausgeht. Die hieraus resultierenden
Implikationen für die Forschungsbereiche Organisations- und Strategielehre sowie
Unternehmensführung und -steuerung gilt es, weiter zu verfolgen.
Dieser Intention ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Die Forschungsergebnisse
werden zunächst kurz zusammengefasst. Anschließend erfolgt dann ein Blick auf
zukünftige Forschung.
Der deskriptive Zugang, wie er für viele Abhandlungen der Betriebswirtschaftslehre,
der Kommunikations- und Medienwissenschaften zum Thema Finanz- und
Kapitalmarktkommunikation sowie Investor Relations bezeichnend ist, konzipiert die
Interaktion zwischen Investor und Kapitalunternehmen primär als gerichtete
Kommunikation. Unternehmenssteuerung stellt sich hier als Meinungsmanagement
dar, das letztlich die Portfolioentscheidung des Investors im Sinne des
kapitalnachfragenden Unternehmens beinflussen will. Gemäß dem technizistischen
Kommunikationsverständnis erweisen sich Informationen als Abbilder einer
vorgängigen Realität, die in einem gerichteten Transmissionsprozess das vom Sender
intendierte Verhalten beim Empfänger evozieren soll. Sprachliche Kommunikation
und Information werden mithin als Entitäten unterschiedlicher Sphären begriffen, die
sich im Hinblick auf die kommunikationspolitischen Ziele separat optimieren lassen.
Eine organisationstheoretische Analyse der Interaktion zwischen institutionellem
Investor und Kapitalgesellschaft setzt üblicherweise an einer institutionen-
ökonomischen Betrachtung an. Im Zuge der verfügungsrechtlichen Trennung von
Eigentum und Kontrolle wird die Interaktion zwischen Investor und Unternehmen als
vertraglich fixierter Leistungstausch konzipiert. Während das Unternehmens-
management (Agent) sein Arbeitsvermögen in den Dienst des Investors (Prinzipal)
stellt und hierfür eine vereinbarte Entlohnung erhält, erwartet der Investor für die
Übernahme des unternehmerischen Risikos eine entsprechende Kapitalverzinsung. Da
annahmegemäß von divergierenden Nutzenfunktionen und Risikoneigungen der
Vertragsparteien gepaart mit einer asymmetrischen Informationsverteilung
ausgegangen wird, besteht aus Sicht des Investors die Gefahr, dass das angestellte
Unternehmensmanagement seinen Verhaltensspielraum opportunistisch ausnutzt. Um
die Agencykosten im Zuge opportunistischen Verhaltens zu minimieren, bietet die
Agencytheorie einerseits Technologien zur Informationsangleichung an. Diese zielen
darauf ab, den Informationsstand zu verbessern und so die Entscheidungsrationalität
des Investors zu erhöhen. Um das Nutzenkalkül des Unternehmensmanagements im
Sinne der Investoreninteressen zu beinflussen, setzt die Institutionenökonomik
anderseits auf eine Vielzahl marktlicher, organisationaler und vertraglicher Anreiz-,
Sanktions- und Kontrolltechnologien. Unternehmenssteuerung erweist sich in
institutionenökonomischer Perspektive primär als Managerkontrolle, die sich einseitig
an den Nutzenkalkülen der auftraggebenden Investoren zu orientieren hat.
Diese dominante Forschungsperspektive wird nun mit empirischen
Forschungsarbeiten kontrastiert, deren argumentative Stoßrichtung primär zwei
Grundannahmen institutionenökonomischer Theoriebildung fokussiert.
z Das eine ist die Annahme, dass die Akteure in einem Interaktionsprozess über
ein „common knowledge“ (Aumann 1976) verfügen, d.h. die gleichen
Vorstellungen über die Welt teilen. Unter der Annahme einer vorgängigen
Realität, die sich in Informationen zweifelsfrei abbilden lässt, können Probleme
des Informationstransfers nicht aus inkommensurablen Wahrnehmungs-
modellen resultieren, sondern sind alleine auf die Informationszurückhaltung
des Agenten zurückzuführen. Die Ergebnisse der empirischen Kapitalmarkt-
forschung ziehen die Vorstellung einer homogenen Realitätsvorstellung der
Kapitalmarktakteure und eines interpretationsfreien Informationstransfers in
Zweifel. Sie unterscheiden hierbei zwischen zwei Arten von Investoren. Der
Smart Trader investiert gemäß der Annahme völliger Rationalität. Von ihm
unterscheiden die Kapitalmarktforscher den Noise Trader, der seine Investi-

272
tionsentscheidungen unter Rekurs auf sozio-kulturelle Interaktionskontexte
fällt. Die Informationen, die er hierbei seinen Entscheidungen zugrunde legt,
sind nicht vorgängig gegeben, sondern sozial konstruiert. Mit Bezug auf
wissenssoziologische Untersuchungen zu der Genese und dem Transfer von
Unternehmenswissen verschärfen sich die Zweifel an dem institutionen-
ökonomischen Analysemodell nochmals. Die Genese von Unternehmenswissen
erweist sich als interaktiver Prozess von Kapitalgesellschaft und
institutionellem Investor, in dem die Abgründe doppelter Kontingenz, die aus
den unterschiedlichen Akteursperspektiven resultieren, über die Reziprozität
der Perspektiven im Sinne Schütz (1971) überbrückt werden133. Gilt der
Unternehmenswert in institutionenökonomischer Perspektive als Bezugspunkt
der Informationsasymmetrien, so stellt sich dieser hier als sozio-kulturelles
Artefakt dar, das unter Rekurs auf institutionalisierte Bewertungsmodelle in
zirkulären Interaktionsprozessen u.a. zwischen Finanzmanagement, Analysten
und Portfoliomanagern konstruiert wird.
z Die zweite Grundannahme betrifft die Handlungsmotivation der Akteure.
Gemäß dem Verhaltensmodell „Homo Oeconomicus“ unterstellt die
Institutionenökonomik den Akteuren strikte Nutzenmaximierung. Nur von
nutzenmaximierenden Entscheidungskalkülen getrieben, agieren sie als asoziale
Monaden auf atomistischen Märkten. Kooperatives Verhalten zwischen
beauftragten Kontrolleuren und Kontrollierten – etwa zwischen NEDs und
Topmanagement – steht prinzipiell unter dem Generalverdacht unerlaubtert
Kollaboration auf Kosten der Investoren. In zahlreichen Untersuchungen hat die
experimentelle Wirtschaftsforschung nun die Relevanz prosozialen Verhaltens
in Arbeitsbeziehungen herausgearbeitet. Fairness, Vertrauenswürdigkeit,
Gerechtigkeit und insbesondere Reziprozität sind als Verhaltensweisen in
unterschiedlichen Interaktionskonstellationen evident. Unterstützung finden die
Ergebnisse experimenteller Wirtschaftsforschung auch durch die empirische
Forschung zu Corporate-Governance-Systemen. Mit Bezug auf
Untersuchungen zu Interaktionsformen in japanischen und britischen
Governance-Systemen konnte gezeigt werden, dass prosoziales Verhalten eine
wichtige Rolle für die Funktionsweise von Governance Systemen spielt.
Während in Japan prosoziales Verhalten zwischen Main Bank und
Kapitalgesellschaft auf allen Hierarchieebenen interaktionsrelevant ist, zeigt
sich Fairness oder Vertrauenswürdigkeit im britischen Governancesystemen
primär im Handlungszusammenhang des Unternehmensboards. Im Unterschied
zur institutionenökonomischen Entscheidungsaxiomatik, die Nutzenmaximie-

133
Eine Investmententscheidung kann zwar - wie Reckwitz (2000, 142) betont – „als teleologisch im weitesten
Sinne definiert werden, aber die Verwurzelung der Handlungsziele in den kollektiven Sinnmustern des
Hintergrundwissens, die strukturieren, was wirklich und was erstrebenswert ist, darf nicht kurzerhand
’übersprungen’ werden“.

273
rung als Handlungsmotiv exogen in ihrer Modellbildung vorgibt, konstituieren
sich unter Rekurs auf sozio-kulturelle Kontexte eine Vielzahl unterschiedlicher
Motive als Entscheidungs-a-priori.
Wie schon in der experimentellen Wirtschaftsforschung, so erweisen sich auch in der
empirischen Governance-Forschung insbesondere reziproke Interaktionsformen als
besonders evident. Während jedoch die experimentelle Wirtschaftsforschung
Reziprozität eher als anthropologische Konstante betrachtet, fokussiert die
vergleichende Governance-Analyse einen anderen Konstitutionszusammenhang. In
reziproken Interaktionsformen erscheinen in unterschiedlichen Zusammensetzungen
immer moralische und nutzenorientierte Handlungsmotive als evident. Diese
Perspektive auf Reziprozität wird nun aufgegriffen und zu einem Theoriekonzept
ausgearbeitet. Mit Bezug auf den „cultural turn“134, der sich in den
Sozialwissenschaften (für viele Reckwitz 2000) und in Anfängen135 auch in der
Ökonomik (z.B Nutzinger/Panther 2004) vollzogen hat bzw. vollzieht, erscheint hier
Reziprozität als sozio-kultureller Interaktionsmodus, der von Nutzen und Moral
gleichermaßen angetrieben wird. Innerhalb des Sozialen entfalten die Motive ihre
Handlungswirkung jedoch nicht unmittelbar. Es sind die wechselseitigen Sinn- und
Motivzuschreibungen der Akteure, die einen gemeinsamen Deutungszusammenhang
konstituieren, vor dem die singulären Handlungen wie die kollektiven
Handlungsmuster erst Plausibilität erlangen. Die Konstitution eines tragfähigen
Deutungszusammenhangs ist jedoch ursächlich an eine Reprozität der Perspektiven
gebunden. Die Evidenz eines solchen Reziprozitätskonzepts für die Steuerung
innerhalb von Organisationen, zwischen Organisationen, von Gemeinschaften und auf
Märkten wird anhand einer Vielzahl empirischer Untersuchungen mehr als deutlich.
Nun stellt sich abschließend die Frage: Welche Relevanz hat ein solches
Reziprozitätskonzept für die Interaktion zwischen Kapitalgesellschaften und
institutionellen Investoren auf Kapitalmärkten? War doch die Beschreibung dieser
Interaktion der Ausgangspunkt der Arbeit. In deskriptiver Perspektive handelt es sich
bei der Interaktion um einen gerichteten Kommunikationsprozess, bei dem die
Kapitalgesellschaft versuchte, den institutionellen Investor von seiner Werthaltigkeit
zu überzeugen. Im Kern zielte dieses Meinungsmanagements darauf ab, die
Wahrscheinlichkeit für eine Investition in das Unternehmen zu erhöhen. Denn je

134
Der „cultural turn“ bezeichnet eine kulturwissenschaftliche Neuorientierung der Sozialwissenschaften, bei der
kollektive Sinnsysteme – Wissensordnungen, symbolische Codes, Deutungsschemata, Semantiken, kulturelle
Modelle – nicht mehr als Epiphänomene, sondern als notwendige Bedingung aller sozialen Praxis
wahrgenommen und somit von der Peripherie ins Zentrum der sozialwissenschaftlichen Perspektive rücken
(Reckwitz 2000).
135
In diesem Zusammenhang ist der Sammelband von Blümle, Goldschmidt, Klump, Schauenberg und von
Senger (2004) hervorzuheben. Die Herausgeber bemängeln in ihrem Vorwort die Begrenzung der Ökonomik
auf die Neoklassik, die zusehends als defizitär empfunden wird. Stattdessen fordern sie unter dem Label
„Kulturelle Ökonomik“, die ökonomische Forschung „in historischer, interdisziplinärer und vor allem
kultureller Perspektive“ (Blümle/Goldschmidt/Klump/Schauenberg/von Senger 2004, 1) zu erörtern und
weiterzuentwickeln.

274
profitabler ein Investment in den Augen der Portfoliomanager erscheint, so das Kalkül
der Unternehmensvertreter, desto wahrscheinlicher ist eine positive Investitions-
entscheidung. Dieses Interesses des Unternehmensmanagements bewußt, versuchen
die Portfoliomanager mittels aufwendiger Beratungsverfahren, wahlweise den wahren
oder fairen Unternehmenswert zu ermitteln und zur Grundlage ihrer Investitions-
entscheidung zu machen. Bestimmend für die Interaktion ist somit die wechselseitige
Unterstellung zweckrationalen Handelns. Kontrastiert wird diese Beschreibung der
Kapitalmarktinteraktion mit einer empirischen Untersuchung zu den Interaktionen
zwischen jungen Kapitalunternehmen und Venture-Capital-Gebern auf dem Markt für
Wagniskapital. Die Untersuchung hat nun verdeutlicht, dass die Interaktionspartner
zunächst einen gemeinsamen Sinn- und Verweisungszusammenhang aufgebaut haben.
Dieser bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der jeweiligen Interaktions-
strategien. Mit Bezug auf die jeweiligen sozio-kulturellen Kontexte haben sich zwei
unterschiedliche Reziprozitätsmodi im Rahmen der Interaktion zwischen
Portfoliounternehmen und Venture-Capital-Geber herauskristallisiert. Diese
unterscheiden sich durch die unterschiedliche Relevanz von nutzenorientierten und
moralorientierten Handlungsmotiven. Während bei der „ökonomischen Tausch-
reziprozität“ Nutzen fokal und Moral peripher ist, erwies sich bei der „sozialen
Pflichtenreziprozität“ Moral fokal und Nutzen peripher. Im Unterschied zur gängigen
betriebswirtschaftlichen Beschreibung von Kapitalmarktinteraktionen wird hier
offenkundig, dass sich reziprokes Verhalten der institutionellen Investoren wie des
Unternehmensmanagements nicht linear auf utilitaristische Tauschkalküle zurück-
führen lässt. Zur Aufrechterhaltung der Interaktionsbeziehung bewegt die Investoren
neben dem manifesten Interesse an einer Renditemaximierung immer auch ein Stück
weit das Gefühl moralischer Verpflichtung gegenüber dem Unternehmensmanage-
ment. Diese Handlungsmotive sind jedoch der Interaktion nicht exogen vorgegeben,
sondern selbst Ergebnis dynamischer Zuschreibungsprozesse, bei denen via reziproker
Perspektivenübernahme institutionalisierte Rollentypisierungen in Anschlag gebracht
werden.
In der Rückschau der gesamten Argumentation – und hier kommen wir wieder zu
der eingangs gestellten Forschungsfrage zurück – wird die Relevanz reziproker
Interaktionsformen für die Steuerung von Unternehmen deutlich. Wie die mannig-
faltigen Beispiele eindringlich verdeutlicht haben, findet Unternehmensführung und –
steuerung nicht als Ergebnis autarker Strategiebildung statt, sondern entwickelt sich in
der reziproken Interaktion mit anderen Organisationen. Als Beispiel für solche
reziproken Organisationskonfigurationen wurde hier die Interaktion zwischen Kapital-
unternehmen und institutionellem Investor gewählt. Für zukünftige Forschung wäre
beispielsweise die Interaktion zwischen Unternehmen und Fremdkapitalgeber, wie sie
exemplarisch beim deutschen Hausbankenmodell fokussiert wird, von Relevanz. Unter
dem Stichwort Public Private Partnership wäre etwa die Interaktion zwischen
Unternehmen und Verwaltungsorganisationen von Interesse. Ob bei den genannten

275
Interaktionsbeziehungen neben dem Streben nach Nutzenmaximierung auch die Pflicht
zur Gabe als Handlungsmotiv virulent wird, ist eine empirische Frage. Mit Bezug auf
die vorliegende Untersuchung – und hier kommen wir zu einer weiteren Forschungs-
frage – wird deutlich, dass die reziproken Interaktionen zwischen institutionellem
Investor und Kapitalgesellschaft von utilitaristischen und moralorientierten
Handlungsmotivationen angetrieben werden.
Eine zentrale Frage bleibt jedoch bisher unbeantwortet: Wie können sich Normen,
Gerechtigkeitsurteile, kulturspezifische Moralen oder Vertrauensbeziehungen
herausbilden? Zwar wurde bereits angedeutet, dass sich die Handlungsmotive endogen
in den Interaktionen konstituieren. Wie sich dieser Konstitutionsprozess genau
vollzieht, blieb jedoch unklar. Abschließend soll daher versucht werden, eine
Forschungsperspektive für die Konstitution von Moralen, Normen etc. zu
skizzieren136.
Alfred Schütz’ „Generalthesis der Reziproziät der Perspektiven“ enthält zwei
komplementäre, idealisierende Annahmen der „lay actors“, die Annahme der
Vertauschbarkeit der Standpunkte von „ego“ und „alter“ und die Annahme einer
gewissen Übereinstimmung der Relevanzsysteme (Schütz 1971, 11 ff.). Mittels dieser
Idealisierungen überbrücken wir, das ist Schütz’ Idee, individuelle Differenzen
untereinander und die Abgründe doppelter Kontingenz. Mead’s Konzept der
Übernahme der Rolle des Anderen ist ganz ähnlich konstruiert. Besonders
Berger/Luckmann (1980, 31) haben im Anschluß an Schütz (1971, 17; 1974, 245 ff.)
betont, dass wir dabei in hohem Maße mit Typisierungen arbeiten. Der typische
Postbeamte mit seinem typischen, daher: erwartbaren Verhalten ist ein beliebtes
Beispiel. Zu der hier gefragten Theorie der Institutionalisierung kommen
Berger/Luckmann (1980, 58) mittels der Figur der Reziprozität der Typisierung:
„Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von
Handelnden reziprok typisiert werden.“ Dem muß man nur noch, etwa mit Gehlen
(2004), hinzufügen, dass Institutionen Sollgeltung zukommt, um eine Idee von der
Genese der hier in Rede stehenden Normen der Reziprozität zu bekommen.137
Wenn solche Institutionen und Normen derart aus Ketten von Habitualisierungen,
idealisierenden Unterstellungen einer Reziprozität der Perspektiven, zugehörigen
reziproken Typisierungen und Normierungen resultieren, dann läßt diese
sozialtheoretische Figur ein Rätsel ungelöst: Wie ist in dieser Reziprozität, verstanden
zunächst nur als Gegen- oder Wechselseitigkeit, ein Anfang zu denken? Wieso verliert

136
Die folgenden Ausführungen sind dem Papier Göbel, Ortmann,Weber (2007) entnommen. Ich danke Günther
Ortmann und Christiana Weber für die Bereitschaft, diesen Teil in meine Arbeit aufnehmen zu können.
137
Durkheim (1981) hat die religiöse Abkunft, Ortmann (2004, S. 21 ff.) im Anschluß an Searle (1997) die
fiktionale Referenz der Institutionen betont – Kern aller Institutionen sei Searles „X zählt als Y im Kontext
K“. Beispiel: „Das Versprechen X zählt als Vertragszusage im Kontext K“. Searles „zählt als“ enthält jenes
performative Fingieren im Sinne des lateinischen fingo (bilden und ersinnen), das in diesem Falle zum
institutionellen Konstrukt des Vertrages führt.

276
sich die Figur nicht in den leerlaufenden Zirkeln doppelter Kontingenz – „ego“ macht
sein Handeln, seine Erwartungen, seine Reziprozitätsannahmen von denen des „alter“
abhängig, „alter“ aber die seinen von denen des „ego“? Oder, in anderer
Fragerichtung, am Beispiel des Vertrauens: Ist es Voraussetzung oder aber Ergebnis
effizienter Arbeitsbeziehungen, wie Sadowski et al. (1999) fragen? Wo liegt der
Anfang? Die Antwort Sadowskis et al.: Vertrauen erscheine ihrer Analyse zufolge
„weitgehend als Ergebnis effizienter Arbeitsbeziehungen – und nicht als deren
Voraussetzung“ (ebd., 549). Darin kommt ihre am Ende doch utilitaristische
Überzeugung zum Ausdruck. Erst kommt der Nutzen, dann kommt die Moral. Es führt
aber in die Irre, hier ein Erstes identifizieren zu wollen. Die reziproken Orientierungen
von „ego“ und „alter“, und eben auch die Orientierung an Nutzen und Moral
(Vertrauen und Effizienz), sind in einer Weise aufeinander angewiesen, die sich in ein
solches Entweder-Oder nicht bringen läßt, die vielmehr mit Hilfe der Figur rekursiver
Konstitution bedacht werden sollte. In rekursiven Schleifen praktischer Bezugnahmen
konstituieren „ego“ und „alter“ ihre Typisierungen und Normierungen, und es bilden
Nutzen und Moral (Vertrauen und Effizienz) einander wechselseitig die Bedingungen
ihrer Möglichkeit. Das läßt die Frage der Dominanz der einen oder anderen Seite
offen. Es ist dies eine empirische Frage. Die Frage nach dem Anfang – dem Ursprung,
dem Ersten, dem principium – läßt sich weder nach der Seite eines Nutzen- noch nach
der Seite eines Moralprinzips beantworten. Sie läßt sich überhaupt nicht im Sinne
eines voraussetzbaren Prinzips beantworten. Dann aber bedarf es einer Theoriefigur,
die ohne Reduktion auf ein solches Erstes auskommt, eine Theoriefigur, die mit je
wechselseitigen Bezugnahmen der einen Akteure auf andere zurechtkommt, auf
andere, die sich bei ihrer Norm-, Präferenz- und Urteilsbildung aber doch ihrerseits auf
die ersteren beziehen. Solche Konstellationen rekursiver, wechselseitiger, zirkulärer
Verursachung oder Begründung können, soweit wir sehen, nur mit Hilfe der Figur der
Selbstorganisation theoretisch bewältigt werden, die nun aber über die rein
nutzenbasierten Modelle hinaus, wie sie etwa in der Spieltheorie seit Langem
Verwendung finden, weiterentwickelt werden müßten. Dies ist die Stelle, an der die
phänomenologische Analyse Anleihen bei einem aufgeklärten, nicht-teleologischen
Funktionalismus machen muß, wie er – in kritischem Anschluß an Durkheim und
Mauß – am ehesten von Merton, Gouldner und Mary Douglas vertreten wird,
kulminierend in dem Gedanken, „daß Institutionen aus selbstregulierenden Anfängen
hervorgehen“ (Douglas 1991, 80), und in dieser zirkulären, rekursiven Figur: „Die
Interaktion ... verläuft von Menschen, die Institutionen schaffen, zu Institutionen, die
für Klassifikationen (gemeint ist näherhin: ein Denkstil, d. Verf.) sorgen, zu
Klassifikationen, die Handeln anleiten, zu Handlungen, die nach Benennung
verlangen, zu Menschen ..., die positiv oder negativ auf die Benennung reagieren.“
(ebd., 167). Normen, Gerechtigkeitsstandards und -urteile können dann
komplexitätstheoretisch als Eigenwerte einschlägiger „Referenz-Rekursionen“
behandelt werden – als Resultate selbstorganisierter Praktiken des respektiven,

277
reziproken Vergleichens und Evaluierens. In einem solchen komplexitätstheoretischen
Rahmen hätte sich daher die Suche nach der von Kliemt und Zimmerling (1993) zu
Recht geforderten Vereinigungstheorie, die (Eigen-)Nutzen- und Pflichtorientierung in
einem integrierten Ansatz verarbeiten kann, zu bewegen. Moralische Standards der
Akteure einerseits und ihre Präferenzen andererseits können und müssen im Rahmen
einer solchen Theoriefigur nicht länger als exogen behandelt werden, sondern
unterliegen vielmehr einer Rückwirkung jener rekursiven Praxis.
Beispiele für eine solche Theoriefigur sehen wir in Mertons Theorie der
Referenzgruppen, die schon Akerlof in Anspruch genommen hatte und die Standards
des Urteilens (über Entgeltgerechtigkeit, Karriereerfolge u. ä.) als emergentes Resultat
wechselseitigen Vergleichens mit Referenzgruppen erklärt, also nicht aus einem als fix
vorauszusetzenden Maßstab; in Michael Burawoys Erklärung der Akzeptanz der
Beschäftigten als Voraussetzung der Produktion, die aber als mitlaufendes Resultat
eben dieser Produktion erzeugt wird: „Manufacturing Consent“ (1979); in der zitierten
Fassung von Reziprozität als in praxi emergierender Norm von Giesler/Pohlmann und
in den wechselseitigen Perspektivenübernahmen und Motivzuschreibungen bei
Roberts und Styles. Vorauszusetzendes Erstes und resultierendes Zweites, diese
Ableitungsfolge löst sich dann in die gesuchte zirkuläre, rekursive, wechselseitig kom-
und supplementäre Verursachung auf. Kulturelle Differenzen sind aus der Sicht
solcher Theorien keine Überraschung, vielmehr als Resultat divergierender Praxen
erwartbar. Zumal Organisationen erscheinen im Lichte dieser Figur als Systeme
derartiger Rekursionen mit dem selbsterzeugten Resultat organisationsweiter
Instituionalisierung und durchaus kultureller Vielfalt der Institutionen, der Normen
und der Moralen zwischen verschiedenen Organisationen.
Komplexitätstheoretisch können sowohl Abwärtsspiralen der Reziprozitätsmoral als
auch selbststabilisierende und -verstärkende Effekte – nach dem Muster „trust breeds
trust“ – gut erklärt werden: als Ergebnisse pfadabhängiger Prozesse. Damit ist der
theoretische Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen die deliberate Gestaltung
institutioneller Arrangements bedacht sein will. Zwar kann eine Moral der Reziprozität
nicht direkt intendiert werden und wird durch Nutzenintentionen leicht korrumpiert.
Wohl aber lassen sich institutionelle Arrangements schaffen, die der Gefahr der
Ausbeutung kooperativen Verhaltens wehren, die kooperatives Verhalten belohnen
und die vor allem moralbasiertes Belohnen und Bestrafen von Normbefolgung bzw.
-verletzung schützen und honorieren (Schauenberg 1991, 346 ff.). Das muß nicht
(ausschließlich) nutzenorientierten Konformismus fördern, es kann auch, wohl dosiert,
der Erinnerung und symbolischen Bekräftigung und daher Reproduktion einer
Moralität dienen, die auf diese Weise als organisationales Vermögen hervorgebracht
oder stabilisiert wird – so sehr es auf die individuelle Moralität der Organisations-
mitglieder angewiesen bleibt. Letztere kann durch organisatorische Maßnahmen nicht
herbeigeregelt werden. Ihr kann im besten Falle der Boden bereitet werden mit einer
reziprozitätsfreundlichen Organisationskultur als Humus. Das wird vielen Utilitaristen

278
als schwache Hoffnung, ja, als Naivität erscheinen. Die Umsichtigen unter ihnen aber
haben längst gesehen, dass die Sicherung von Kooperation und Vertrauen eine
Funktion der Organisationskultur ist (Kreps 1990; Schauenberg 1991, 347 f.;
Williamson 1993; Sadowski 2002), die vor allem anderen Glaubwürdigkeit als Wert
symbolisch und praktisch etabliert, d.h. deutlich signalisiert und praktisch folgenreich
macht – die Glaubwürdigkeit von Verpflichtungen der Organisation und ihrer
Mitglieder. Sie dient uns hier als letztes Beispiel für die Notwendigkeit, den sicheren
Boden des Nutzens zu überschreiten: Glaubwürdigkeit leidet, wenn sie ganz und gar
von kühler Berechnung abhängt.
Zum Greifen nahe ist von hier aus der Schluß, die Gabe als Gabe in Betracht zu
ziehen und nicht als Tausch zu verkennen. Eine Organisationskultur, die dieser
Verkennung entgegenwirkt, braucht nur zu bestärken, was in praxi ganz ohnehin nicht
negiert werden kann – mit einem Wort aus dem Werk, auf das der Diskurs um die
Gabe zurückgeht, Marcel Mauss’ Essai sur le don:
„Ein großer Teil unserer Moral und unseres Lebens steht immer noch in jener
Atmosphäre der Verpflichtung und Freiheit zur Gabe.“ (Mauss 1968, 157)

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