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Matthias Rath (Hrsg.

Medienethik und
Medienwirkungsforschung
Matthias Rath (Hrsg.)

Medienethik und
Medienwirkungs-
forschung

Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
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© Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000

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ISBN 978-3-531-13464-2 ISBN 978-3-322-90691-5 (eBook)


DOl 10.1007/978-3-322-90691-5
Inhalt

Vorwort .......................................................................................................... 7

Hans Mathias Kepp/inger


Kerstin Knirsch
Gesinnungs- und Verantwortungsethik im Journalismus ...................... 11
Sind Max Webers theoretische Annahmen empirisch haltbar?

Barbara Thomaft
Berutliche Sozialisation und die Ethik der Medienmacher ..................... 45
Empirische Ergebnisse aus Ausbildungsinstitutionen und
Joumalistenorganisationen in drei europliischen Liindem

Matthias Rath
Kann denn empirische Forschung Siinde sein? ........................................ 63
Zum Empiriebedarf der Medienethik

Rudiger Funiok
Zwischen empirischer Realitit und medienpidagogischer Praxis .......... 89
Das Publikum als Adressat der Medienethik

Rafael Capurro
Das Internet und die Grenzen der Ethik ................................................. 105
Eine neue Informationsethik stellt sich den Ergebnissen
der Medienwirkungsforschung

Matthias Karmasin
Ein Naturalismus ohne Fehlschlu6? ........................................................ 127
Anmerkungen zum Verhiiltnis von
Medienwirkungsforschung und Medienethik

Wolfgang Wunden
Medienwirkungsforschung und Medienethik:
Fallbeispiel Gewaltdarstellungen im Fernsehen ..................................... 149

Autoren ....................................................................................................... 169


Register ....................................................................................................... 171

5
Vorwort

Die Medienwirkungsforschung ist im Moment in aller Munde. Es interessiert


nicht mehr nur, wer welches Medium wie und wie lange nutzt, sondem auch,
was diese Nutzung mit dem Nutzer macht, welche Wirkungen mediale Ange-
bote haben. Dieses Interesse ist keineswegs rein akademisch, sondem in einem
grundsatzlichen Sinne politisch: Wenn die Gesellschaft wissen solI, welche
medialen Angebote sie will und welche nicht, wenn sie, mit den Worten Roman
Herzogs gesprochen, abwagen solI, welche "Nebengerausche" der medialen
Entwicklung als zutraglich anzusehen sind und welche nicht, dann muG diese
Wirkungsseite empirisch erhoben werden.

Zugleich ist die Medienethik gefragt. Denn das Wissen urn die Wirkungen der
Medien beinhaltet noch nicht auch das Wissen, welche Wirkungen im oben
genannten Sinne gewollt werden sollen. Ethik als der Teil der Philosophie, der
nach der Rationalitat, Plausibilitat und Verallgemeinerbarkeit normativer, mo-
ralischer Urteile fragt, soll Kriterien flir die von Herzog geforderte Abwagung
bereitstellen.

Beide wissenschaftlichen Zugange zum Phanomen Medien sind also fUr die
gesellschaftlich relevante Frage nach den Wirkungen und der Zutraglichkeit
dieser Wirkungen von Bedeutung. Und zugleich stehen beide Forschungsinter-
essen auf unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Ebenen, flihrt, so zu-
mindest scheint es auf den ersten Blick, kein Weg von der empirischen Me-
dienwirkungsforschung zur normativen Ethik und zuriick. Diese paradoxe Si-
tuation, daB aus gesellschaftlicher Sicht erst Empirie und Normativitat zusam-
men eine sinnvolle politische Willensbildung ermoglichen, aus wissenschafts-
theoretischer Sicht Empirie und Normativitat sich jedoch (vermeintlich) nichts
zu sagen haben, stellt WissenschaftlerInnen beider Bereiche vor die Aufgabe,
sich dieses Un-Verhaltnisses zwischen Medienwirkungsforschung und Medie-
nethik anzunebmen.

Zunachst gehen Hans Mathias Kepplinger und Kerstin Knirsch der Frage nach,
ob die klassische, von Max Weber formulierte Unterscheidung nach einer ge-
sinnungsethischen und einer verantwortungsethischen Haltung flir Joumalisten
anwendbar und ihre Folgerungen empirisch belegbar sind. Diese Frage ist be-
deutsam, da an ihr, quasi paradigmatisch, exemplifiziert werden kann, ob die fUr

7
eine ethische Betrachtungsweise fonnulierbaren Systematisierungen in einer
Praxis, hier des Journalismus, eingeholt werden konnen.

Daran anschlieBend untersucht Barbara Thomaft in einer internationalen Studie


die moralischen Prinzipien, wie sie in Institutionen der Joumalistenausbildung
und in Journalistenorganisationen explizit als Grundlagen einer nonnativen
Beurteilung journalistischen Handelns aus professioneller Sicht genannt wer-
den. Interessant kontrastiert ThomaB diese Prinzipien mit Vorstellungen zu
ethischen Problemlagen und Losungsperspektiven. Obwohl die untersuchten
Lander aile dem europliischen Kulturkreis angehOren, unterscheiden sie sich z.
T. grundlegend in prinzipiellen wie in konkreten Einschlitzungen. Dies zeigt
zugleich, daB eine handlungsfeldspezifische, ethische Reflexion nicht unabhan-
gig von der jeweiligen professionalisierten Selbsteinschlitzung der Handelnden
fonnuliert werden kann.

Nach diesen beiden empirischen Beitrligen untersucht Matthias Rath aus der
Sieht der angewandten Ethik das Verhliltnis zur Medienwirkungsforschung.
Nach einer allgemeinen Auseinandersetzung mit dem gangigen Vorwurf des
naturalistischen Fehlschlusses entfaltet Rath den Empiriebedarf der Medienethik
und die dreifache Beziehung von Empirie und Ethik. Dieses Beziehungsgeflecht
stellt an beide Seiten, die Empirie und die Ethik, konkrete Anforderungen im
Umgang mit empirischen und nonnativen Fragestellungen. SchlieBlich umreiBt
Rath den Entwurf eines ,,media assessment', also das Projekt einer politisch
beratenden "Medienfolgenabschlitzung", parallel zur bereits etablierten "Tech-
nikfolgenabschatzung" .

Rudiger Funiok beleuchtet aus medienplidagogischer Sicht den Rezipienten als


Objekt der Medienethik. Dabei differenziert er das grobe Bild "des" Rezipien-
ten und entfaltet verschiedene Einzelrollen und Verantwortlichkeiten. Dabei
kommt den Erziehenden und den Eltern eine besondere Rolle zu, urn Kinder
und Jugendliche zu einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung zu befahigen,
die auch im Medienbereich greift. Es erweist sich die sozialwissenschaftliche
Erforschung der "Wertkultur", d. h. die bereits anerkannten Moralvorstellungen
und nonnativen Uberzeugungen, als Bezugspunkt ethischer Reflexion als un-
verzichtbar.

In einer kritischen Auseinandersetzung mit Kant und Habennas stellt Rafael


Capurro das Internet als neue Herausforderung medienethischer Reflexion dar,
das eine eigene, neue Infonnationsethik zu verlangen scheint. Klassische Frei-
heits- und Gerechtigkeitsprinzipien gewinnen im Internet, das Capurro explizit
8
als ein emanzipatorisches Medium versteht, neue Bedeutung. 1m Riickgriff auf
die Deklaration der Menschenrechte skizziert er diese neue Informationsethik.
In seinem abschlieBenden Bericht iiber die Ergebnisse der ersten und zweiten
UNESCO-Konferenz zu den ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen
Aspekten der digitalen Information zeigt er den unmittelbaren EinfluB der me-
dienethischen Diskussion auf die Empfehlungen an die UNESCO. Ziel sei letzt-
lich ein Weltinformationsethos, das, anders als die giingigen Modelle einer Indi-
vidual-, Sozial- oder Institutionsethik, der Komplexitiit des neuen Mediums ge-
rechtwird.

Der Beitrag von Matthias Karmasin thematisiert nochmals das Verhiiltnis von
Medienwirkungsforschung und Medienethik. Karmasin hebt dabei zuniichst auf
die fUr das Verhiiltnis konstitutiven Geltungsdifferenzen zwischen empirischen
und normativen Aussagen iiber die mediale Wirklichkeit abo Empirie ist ihm
notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung einer Medienethik, die er als
Untemehmensethik der Medienuntemehmung und als Individualethik der Me-
dienproduktion konkretisiert.

Zum AbschluB schlieBlich zeigt Wolfgang Wunden am Fallbeispiel "Gewalt im


Femsehen" Moglichkeiten und Grenzen der Kooperation von Medienwirkungs-
forschung und Medienethik fUr die Programmpraxis der Femsehsender auf. Die
an sich klassische Diskussion der Medienkritik wurde durch die EinfUhrung der
Privatsender nochmals verschiirft und hatte unmittelbare Folgen vor aHem fUr
die Programmpolitik der offentlich-rechtlichen Sender. Eine kohiirente philoso-
phische Anthropologie des Mensch als mediennutzendes Wesen auf der einen
Seite und kommunikationsokologische Untersuchungen zu den "sozialen Ko-
sten" der Kommerzialisierung der Medien auf der anderen Seite geben fUr
Wunden die BezugsgroBen ab, um veraHgemeinerbare Kriterien flir eine Be-
grenzung der Femsehgewalt zu formulieren.

Ais eine zentrale Folgerung des Bandes kann die Feststellung Karmasins gelten,
daB Medienethik nur sinnvoH als ein interdiszipliniires Projekt gedacht werden
kann, in das dann auch andere relevante empirische Forschungsergebnisse ein-
flieBen miissen. Die Empiriebediirftigkeit der Medienethikforschung, so konnte
man einen Ausblick iiberschreiben, erfiiHt sich nicht mit der Medienwirkungs-
forschung aHein.

Dieser Band fUhrt Beitriige zum Verhiiltnis von Medienwirkungsforschung und


Medienethik zusammen. Er speist sich dabei zum Teil aus Beitriigen, die im
Rahmen der 2. Fachtagung der Deutschen Gesellschaft for Medienwirkungsfor-
9
schung im Oktober 1998 in Frankfurt am Main auf einem Symposion zu dieser
Thematik diskutiert wurden. Eine solche Tagung und die Veroffentlichung der
Ergebnisse! sind ohne Sponsoren nicht mehr denkbar. Dies gilt auch fUr diesen
Band. Ich danke daher auch im Namen der anderen Veranstalter der Gesamtta-
gung und des genannten Symposions unseren Sponsoren AOL Europa, der
Bertelsmann AG, der Bertelsmann Buch AG, CompuServe Europa, dem Vel'-
lagshaus Gruner+Jahr, der Johann Wolfgang Goethe-Universitat Frankfurt, dem
ZDF und der Zeitstiftung Ebelin und Gerd Bucerius fiir die fmanzielle Unter-
stiitzung. Fiir die logistische Unterstiitzung und die Bereitschaft, der Tagung
auch die Pforten der Frankfurter Buchmesse zu ofihen, danke ich dem Borsen-
verein des Deutschen Buchhandels und der Frankfurter Buchmesse GmbH.

EichstiittiLudwigsburg im Oktober 1999 Matthias Rath

I Die Beitriige der Gesamttagung erscheinen mit Ausnahme der Beitriige dieses Bandes in A.
Schorr & M. Rath (Hrsg.): Ergebnisse der Publikums- und Wirkungsforschung im gleichen Verlag.

10
Hans Mathias Kepplinger
Kerstin Knirsch

Gesinnungs- und Verantwortungsethik im Joumalismus


Sind Max Webers theoretische Annahmen empirisch haltbar?

Die meisten Joumalisten erkennen ihre Verantwortung fiir die Richtigkeit ihrer Darstellung der
Realitiit an. Sie lehnen jedoch eine Verantwortung fiir unbeabsichtigte oder unerwiinschte Folgen
ihrer Berichte abo Ein wesentliches Argument zur Begriindung der ablehnenden HaItung besteht in
der Behauptung, die Berichterstattung insgesamt sei nicht die Ursache negativer Entwicklungen.
Ein weiteres Argument lautet, negative Entwicklungen kiinnten nicht auf einzelne Beitriige zuriick-
gefiihrt werden. Danach tragen allenfalls die Medien, nicht jedoch einzelne Journalisten die Ver-
antwortung fiir negative Folgen der Berichterstattung.
Ziel der Medienwirkungsforschung ist- zumindest indirekt- genau das, was hier bestritten wird,
der Nachweis von Kausalitiit. Zwischen der gesinnungsethischen Orientierung der meisten Journali-
sten und der Medienwirkungsforschung besteht deshalb ein Spannungsverhiiltnis: Die Illusion der
Folgenlosigkeit befreit von moralischer Verantwortung.

1. Webers Thesen

1m Krisenjahr 1919, in dem der Spartakusaufstand und die Riiterepublik gewalt-


sam niedergeschlagen wurden, sprach Max Weber in einer Veranstaltungsreihe
des Freistudentischen Bundes in Miinchen zweimal zum Thema "Geistige Ar-
beit als Beruf'. Den zweiten Vortrag iiber ,,Politik als Beruf' hatte er urspriing-
lich abgelehnt und nur deshalb iibernommen, weil der studentische Initiator der
Reihe und spiitere Journalist Emanuel Birnbaum damit gedroht hatte, andern-
falls werde man den politischen Aktivisten Kurt Eisner einladen, der kurz da-
nach ennordet wurde. Zum gesellschaftlichen und personlichen Kontext des
Vortrags gehOren damit alle Elemente, die auch seinen Inhalt ausmachen: Legi-
time Macht und revolutionare Gewalt, journalistische Finesse und wissen-
schaftlicher Geltungsdrang, zielgerichtetes Handeln mit Blick auf mogliche
Nebenfolgen und moralische Appelle an die Verantwortung des Wissenschaft-
lers auch fiir die Folgen von Unterlassungen. Zur dauerhaften Schnittstelle zwi-
schen Politik und Wissenschaft wurden jedoch nicht Webers aktuelle Ausfiih-
rungen iiber den Einsatz von Gewalt als Mittel der Politik angesichts revolutio-
narer Umtriebe, sondern seine theoretisch-defmitorischen Unterscheidungen

11
zwischen Zweck- und Wertrationalitiit bzw. Verantwortungs- und Gesinnungs-
ethik.

Zweckrational handelt nach Weber, wer sein ,,Randeln nach Zweck, Mittel und
Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die
Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen moglichen
Zwecke gegeneinander rational abwiigt" (Weber, 1976, S. 45). Wertrational
handelt, "wer ohne Riicksicht auf die voraussehbaren Folgen handelt im Dienste
seiner Uberzeugung von dem, was Pflicht, Wiirde, SchOnheit, religiose Wei-
sung, Pietiit oder die Wichtigkeit einer 'Sache', gleich welcher Art, ihm zu
gebieten scheinen. Stets ist wertrationales Handeln ein Handeln nach 'Geboten'
oder gemiiB 'Forderungen', die der Handelnde an sich gestellt glaubt" (ebd.).

Den beiden Rationalitiiten ordnet Weber zwei Ethiken zu. Verantwortungs-


ethisch handelt, wer die Verantwortung fur die beabsichtigten und unbeabsich-
tigten F olgen seines Handelns iibemimmt und sein Verhalten danach ausrichtet
(vgl. Weber, 1926, S. 57-60). Voraussetzung hierfiir ist, daB der Handelnde die
beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen seines Handelns abschiitzen kann
- daB er die Wirkungen seines Handelns zumindest niiherungsweise kennt.
Gesinnungsethisch handelt, wer sein Verhalten ausschlieBlich an dominanten
Normen orientiert und eine Verantwortung fur die unbeabsichtigten Folgen
seines Handelns ablehnt. Der Gesinnungsethiker handelt nicht ohne Riicksicht
auf ethische Forderungen, er verabsolutiert vielmehr eine und unterwirft sich ihr
bedingungslos.

Nach Weber geht das wertrationale Handeln einher mit einer gesinnungsethi-
schen Orientierung, das zweckrationale mit einer verantwortungsethischen
Haltung. Als Beispiel fur die Kombination von Zweckrationalitiit und Verant-
wortungsethik nennt er das Handeln von Politikem. Als Beispiel fur die Kombi-
nation von Wertrationalitiit und Gesinnungsethik verweist er auf loumalisten.
Ein charakteristisches Element der Gesinnungsethik ist nach Weber die
"unbedingte Wahrheitspflicht" (ebd.), eine Folge davon die Publikation politi-
scher Dokumente ohne Riicksicht auf ihre positiven oder negativen Folgen. Ein
bekanntes Beispiel hierfiir ist die Publikation von geheimen Dokumenten, die
den Interessen eines Staates schaden konnen (Schaubild I).

Max Webers Unterscheidungen zwischen verschiedenen Rationalitiiten und


Ethiken, ihre Zuordnung zueinander und ihre Illustration anhand des Verhaltens
von Politikem und loumalisten gehOrt vermutlich zu den am meisten zitierten
Pas sagen der politischen Soziologie. Man konnte deshalb meinen, daB sie die

12
Basis zahlreicher empirischer Untersuchungen bilden, in denen Webers Thesen
iiberpriift wurden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Weder die behaupteten Unter-
schiede zwischen Politikem und loumalisten wurden systematisch untersucht,
noch die Zusammenhange zwischen Rationalitiit und Ethik. Zwar betrachten
verschiedene Autoren die joumalistische Ethik auf andere Weise als Weber
(vgl. Boventer, 1996; RiihllSaxer, 1981), auch diese Ausfiihrungen werden
jedoch empirisch nicht belegt. Zuriickgreifen kann man folglich nur auf Unter-
suchungen, die einige Elemente von Webers Ausfiihrungen aufgreifen, ohne
seine Gesamtkonzeption zu testen. Dabei handelt es sich um Befragungen von
loumalisten aus bestimmten Tatigkeitsfeldem - Politik-, Wirtschaft- und Lo-
kalressorts, Zeitungen und Femsehsendem usw. Ihre Ergebnisse konnen deshalb
nicht verallgemeinert und z. B. auf Sportredakteure iibertragen werden. Sie
verdeutlichen jedoch einige generelle Aspekte.

Schaublld 1: Theoretische Kombination der Rationalitit des Handelns und


der ethischen Orientierung der Akteure

Ethik

gesinnungs- verantwortungs-
ethisch ethisch

wertrational Journalisten
Ratio-
nalitit
zweckrational Politiker

2. Empirische Befunde der Kommunikatorforschung

2.1 Rationalitit des Handelns

Die Rationalitiit von Publikationsentscheidungen wurde 1977 in einer schrifli-


chen Befragung von 91 rheinlandpfalzischen Lokaljoumalisten anhand des
Kunstfehlers eines Arztes untersucht, dessen Bekanntwerden den Arzt vermut-
13
lich zur Aufgabe der Praxis zwingen und die Patientenversorgung am Ort er-
schweren wiirde. 1 Der wertrationalen Forderung nach einer Publikation des
Kunstfehlers ohne Riicksicht auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen stimmte nur
ein Drittel (34 %) der Befragten zu. Die meisten Lokalredakteure (54 %) ver-
traten die zweckrationale Ansicht, man miisse im Interesse der Patienten auf
eine Publikation verzichten (vgl. Miihlberger, 1979, S. 107). Die Aussagen der
Befragten widersprechen auch dann Webers Annahmen, wenn man konzediert,
daB Weber nicht behauptet hat, alle Joumalisten wiirden sich immer in der an-
genommenen Weise verhalten. Hinweise auf die Rationalitiit der Publikation-
sentscheidungen von Politik- und Wirtschaftsredakteuren gibt auch eine per-
sonliche Befragung von 450 deutschen und 405 britischen Joumalisten aus dem
Winter 1980/81. Die Joumalisten wurden darauf hingewiesen, daB joumalisti-
sche Beitriige Folgen haben konnen, die die Urheber nicht beabsichtigt haben. 2
Vorgestellt wurden fUnf Falle - flktive Berichte iiber das Privatleben einer
Person des offentlichen Lebens, die der Familie des Betroffenen Unannehm-
lichkeiten bereiten; iiber terroristische Aktivitiiten, die die Polizeiarbeit behin-
dem; iiber Gewalttatigkeiten, die zur Nachahmung reizen; iiber kriminelle Taten
von Auslandem, die zu Spannungen zwischen In- und Auslandem fUhren sowie
iiber den MiBbrauch von Sozialleistungen, die Bediirftige mit berechtigten An-
spriichen diskreditieren konnen. Gefragt wurde, ob ein Journalist einen derarti-
gen Beitrag unter Umstiinden zuriickhalten sollte. Betrachtet man die Urteile der
britischen und deutschen Joumalisten iiber alle fUnf Hille, zeigt sich kein Unter-
schied: Durchschnittlich 54 Prozent der Joumalisten in beiden Landem spra-
chen sich dafiir aus, derartige Meldungen "unter allen Umstanden zu veroffent-
lichen". Durchschnittlich 31 Prozent sprachen sich dagegen aus. Damit argu-
mentierte in beiden Uindem die Mehrheit der Joumalisten entsprechend der
Annahme Webers wertrational.

Die "Obereinstimmung zwischen den Joumalisten in beiden Landem deutet


darauf hin, daB die Antworten berufsspezifische Sichtweisen von Joumalisten
spiegelo, die bedeutsamer sind als kulturelle Unterschiede 3• Allerdings bestan-

I Die Frage lautete: ,,Angenommen, ein Arzt an Ihrem Arbeitsplatz begeht einen 'Kunstfehler', den
man eigentlich an die Offentlichkeit bringen miisste. Der Arzt ist bisher unbescholten und fiir die
Einwohnerschaft unentbehrlich. Sein Weggang, der einer Veriiffentlichung seines Fehlers miigli-
cherweise folgen miisste, ware fUr viele Patienten ein Verlust. Was wiirden Sie einem Kollegen, der
den Fall bearbeitet, eher raten?" Die hier relevante Antwortvorgabe lautet: ,,Auf den Arzt und die
Patienten darf in so einem Fall keine Riicksicht genommen werden. Der Fall muB gleichsam als
Wamung an die Offentlichkeit."
2 Die Frage lautete: "Journalistische Beitriige konnen Folgen haben, die ein Journalist gar nicht
beabsichtigt haben muB. Finden Sie, so1che Berichte sollten daher unter Umstiinden zuriickgehalten
werden, oder ist ein Journalist zur Veriiffentlichung verpflichtet?"
1 Zu den kulturellen Unterschieden vgl. Esser (1998).

14
den im Urteil iiber die einzelnen Beispiele erhebliche Unterschiede. 1m Fall des
Berichtes iiber Einzelheiten aus dem Privatleben entschieden sich 50 Prozent
der britischen, jedoch nur 20 Prozent der deutschen Joumalisten fiir eine Publi-
kation. 1m Fall des Berichtes iiber die AusUinderkriminalitat sprachen sich zwar
81 Prozent der Deutschen, jedoch nur 53 Prozent der britischen Joumalisten fUr
eine Veroffentlichung aus (vgl. Kocher, 1985, S. 170 f.). Dies ist vermutlich
darauf zuriickzufiihren, daB das Verhliltnis zwischen Einheimischen und Aus-
landem zur Befragungszeit in GroBbritannien problematischer war als in
Deutschland. Folgt man dieser Interpretation, dann spiegeln die Antworten
neben allgemeinen Verhaltenstendenzen im Joumalismus auch die spezifische
Relevanz ihrer Publikationen - den jeweiligen sozialen Kontext, in dem sie
erfolgen.

Als zweckrationales Handeln wurde entsprechend der Argumentation Webers


bisher ausschlieBlich der Verzicht auf Publikationen zur Vermeidung von nega-
tiven Nebenwirkungen betrachtet. Entscheidungen fiir Publikationen sind je-
doch, wenn sie gezielte Wirkungsabsichten verfolgen, ebenfalls zweckrationale
Handlungen. Dies wirft die Frage auf, ob Joumalisten das zweckrationale Publi-
zieren genauso beurteilen wie das zweckrationale Nichtpublizieren. Hinweise
darauf gibt eine personliche Befragung von 207 Presse-, Horfunk- und Femseh-
redakteuren aus dem Jahr 1984. Die Joumalisten wurden gefragt, ob sie es billi-
gen, wenn ein Kollege, der selbst fiir die 35-Stunden-Woche ist, Informationen,
die dafiir sprechen, bewuBt in den Vordergrund rUckt. 4 Gut die Hlilfte der Be-
fragten (55 %) lehnte das bewuBte Hochspielen von Informationen abo Knapp
die Hlilfte (45 %) hielt es jedoch fiir mehr oder weniger akzeptabel. Direkt im
AnschluB daran wurde festgestellt, ob es die Redakteure billigten, wenn der
Kollege Informationen, die gegen die 35-Stunden-Woche sprechen, bewuBt in
den Hintergrund treten lliBt. 5 Das zweckrationale Herunterspielen der Fakten
akzeptierte nur ein Fiinftel (17 %). Dagegen lehnte es die iiberwiegende Mehr-
heit (83 %) ab. 6

4 Die Frage lautete: "Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Ein Journalist ist davon iiber-
zeugt, daI.\ die Arbeitslosigkeit vor allern durch die 35-Stunden-Woche verringert werden kann. In
einern Hintergrundbericht riickt er Informationen, die fUr die 35-Stunden-Woche sprechen, bewuJlt
in den Vordergrund. Wiirden Sie sagen, das ist vollkommen einwandfrei, durchaus zu vertreten,
eher fragwiirdig oder vollig unzulassig?"
5 Die Frage lautete: "Und wie ist es, wenn er Informationen, die gegen die Einfiihrung der 35-
Stunden-Woche sprechen, bewuJlt in den Hintergrund treten liiBt?"
6 Zwischen den Mitarbeitem verschiedener Medien bestanden in beiden Fallen gattungsspezifische
Unterschiede. Dies deutet darauf hin, daB die allgemeinen Verhaltenstendenzen u. a. von spezifi-
schen Berufserfahrungen und Arbeitsanforderungen iiberlagert werden. Sie werden hier, urn die
Problernatik iibersichtlich zu hatten, vemachlassigt; vgl. Kepplinger/Brosius/Staab/Linke (1989, S.
209 f.).
15
Auch wenn es hier nicht urn die kategoriale Entscheidung zwischen Publizieren
und Nichtpublizieren geht, sondem urn eine Gewichtung von Fakten in einem
Bericht, sind die Befunde mit Webers Annahme kaum vereinbar. Aufgrund von
Webers genereller These miissten Joumalisten beide Versionen des zweckratio-
nalen Verhaltens - das bewuBte Hoch- und Herunterspielen - iihnlich haufig
ablehnen. Ein wesentlicher Grund fUr die Divergenz diirfte darin bestehen, daB
das bewu13te Hochspielen mit einer allgemeinen joumalistischen Berufsnorm -
der Publikationspflicht - vereinbar ist, wahrend das bewu13te Herunterspielen
dagegen verstoBt. Dies deutet darauf hin, daB Publikationsentscheidungen zwei
normative Grundlagen besitzen: die allgemeine Publikationspflicht und der Ver-
zicht aufWirkungsiiberlegungen. Durch die Vemachlassigung einer der beiden
Normen werden Publikationsentscheidungen auch dann als wertrationales Ver-
halten identifiziert, wenn es sich urn zweckrationale Verhaltensweisen handelt:
Nicht jede Publikationsentscheidung beruht notwendigerweise auf der Publika-
tionspflicht von Joumalisten. Zu unterscheiden sind demnach zwei Versionen
zweckrationalen Verhaltens - die Nichtpublikation mit Riicksicht auf negative
Nebenwirkungen - und die Publikation im Dienste positiver Wirkungen, wo-
bei die Begriffe negativ und positiv die Sichtweise der jeweiligen Joumalisten
charakterisieren.

Geht man davon aus, daB Joumalisten die moglichen Wirkungen und Neben-
wirkungen ihrer Publikationen in Grenzen abschatzen konnen, sind zwei Kon-
stellationen denkbar: Die Publikationspflicht kann einhergehen mit negativen
Wirkungsvermutungen, d. h. mit Wirkungen, die die Joumalisten schlecht fin-
den. In diesem Fall, dem ,,klassischen" Weber-Fall, geht es darum, ob die Be-
reitschaft zur Publikation durch die Wirkungsvermutungen herabgesetzt wird.
Die Publikationspflicht kann jedoch auch im Einklang mit Wirkungsvermutun-
gen stehen: Die Vermutungen deuten auf positive Wirkungen hin, d. h. auf Ef-
fekte, die die Joumalisten gut fmden. In diesem Fall geht es erstens darum, ob
die Wirkungsvermutungen die Bereitschaft zur Publikation bestarken. Zweitens
geht es darum, ob die Publikationspflicht zur Bemantelung von Wirkungsab-
sichten dient. Drittens geht es darum, ob Joumalisten eine Verantwortung fUr
die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Publikationen anerkennen, denen
unausgesprochene Wirkungsiiberlegungen zugrunde lagen.

2.2 Ethische Orientierung

Die Ansichten von Joumalisten iiber ihre Mitverantwortung fUr unbeabsichtigte


Nebenfolgen ihrer Berichterstattung wurden bisher nur in einer Studie unter-

16
sucht. Hierbei handelt es sich um eine schriftliche Befragung von 96 Fernsehre-
dakteuren aus dem Jahr 1974. Die Journalisten wurden gefragt, ob ein Journalist
fUr die Folgen eines Berichtes, die er nicht beabsichtigt hat, moralisch verant-
wortlich ist. 7 Vorgestellt wurden drei Fiille, in denen Berichte mit unterschiedli-
cher Wahrscheinlichkeit negative Nebenfolgen mit unterschiedlicher Schwere
nach sich zogen. 1m ersten Fall ging es um einen Bericht iiber unzureichende
Sicherheitsvorkehrungen in einem Museum, der einen Einbruch provozierte
(wahrscheinliche, leichte Folge), im zweiten Fall um einen Bericht iiber einen
spektakuliiren Selbstmord, der mehrere Nachfolgetaten hervorrief (unwahr-
scheinliche, schwere Folge), im dritten Fall um einen Bericht iiber eine anony-
me Bombendrohung, dem ein Bombenanschlag mit Verletzten folgte (unwahr-
scheinliche, schwere Folge). Die iiberwaltigende Mehrheit der Befragten -
zwischen 73 und 77 Prozent - lehnten eine moralische Verantwortung fUr die
Nebenwirkungen der Beitriige abo Dies geschah weitgehend unabhangig von der
Wahrscheinlichkeit und Schwere der Folgen, was darauf hindeutet, daB sich in
den Antworten eine allgemeine, situationsunabhangige Verhaltensdisposition
manifestiert (vgl. KepplingerNohl, 1979, S. 245). Die Antworten der Fernseh-
redakteure besmtigen damit die Annahme, daB sich die weitaus meisten Journa-
listen gesinnungsethisch verhalten. Einschrankend muS darauf hingewiesen
werden, daB die Antworten von einer relativ kleinen Zahl von Journalisten ka-
men, die zudem alle bei einem Medium, dem Fernsehen, mtig waren. Ange-
sichts der oben erwahnten Unterschiede im Antwortverhalten von Mitarbeitem
verschiedener Mediengattungen kann man daran zweifeln, daB die Befragungs-
ergebnisse verallgemeinerbar sind.

Die Befragung von Fernsehredakteuren liefert keinen verliiBlichen AufschluB


iiber die ethische Haltung von Journalisten. Schwerer als die beschrankte Basis
der Aussagen wiegen jedoch drei theoretische Griinde. Der erste Grund ist die
unzureichende Entfaltung der Problemstellung: Nicht nur die Publikation eines
Beitrags kann negative Nebenfolgen auslosen und die Frage nach der Verant-
wortung der Berichterstatter aufwerfen. Auch der Verzicht auf eine Publikation
kann negative Nebenwirkungen besitzen, die in die gleiche Problematik miin-
den. Dies belegt die Fortfiihrung des oben erwahnten Arzt-Beispiels. Denkbar
ist Z. B., daB der Arzt, nachdem sein Kunstfehler im Interesse der Patienten
nicht offentlich gemacht wurde, weiter praktiziert und dabei einen ahnlichen
Fehler macht, der andemfalls nicht geschehen ware. 1st der Journalist, der iiber
den ersten Kunstfehler nicht berichtet hat, mitverantwortlich an dem zweiten

7 Die Frage lautete: "Publikationen konnen unter Umstiinden zu Folgen fiihren, die der Journalist
nicht beabsichtigte. 1st er nach Ihrer Meinung fUr die unbeabsichtigten negativen Folgen eines
Beitrags moralisch verantwortlich (... )?"
17
Kunstfehler? Die Frage nach der journalistischen Verantwortung muB folglich
zweiseitig gestellt werden. Infrage stehen die Verantwortung fUr die unbeab-
sichtigten Nebenfolgen der Berichterstattung sowie die Verantwortung fUr die
unbeabsichtigten Nebenfolgen der Nichtberichterstattung.

Der zweite Grund ist die unzureichende Operationalisierung der Problematik.


Bei allen bisherigen Studien wurde die Rationalitiit der Publikationsentschei-
dung und die ethische Beurteilung der Publikationsfolgen getrennt untersucht.
Dies ist theoretisch unbefriedigend, weil die ethische Beurteilung einer Hand-
lung auch von ihren spezifischen Umstiinden abhangt. So diirfte z. B. die ethi-
sche Beurteilung des Verzichtes auf die Publikation eines MiBstandes davon
abhangen, wer davon profitiert - der Urheber des MiBstandes oder Dritte. Die
getrennte Analyse der beiden Aspekte ist jedoch auch empirisch nicht vertret-
bar, weil die Kombination der Befunde aus den verschiedenen Studien Diskre-
panzen zwischen der Rationalitiit und Ethik von Journalisten erkennen liUlt, die
Webers Annahmen widersprechen. So scheint Gesinnungsethik relativ hiiufig
mit Zweckrationalitiit einherzugehen. Einen schliissigen Beweis hierfiir gibt es
jedoch nicht, weil beides - Rationalitat und Ethik - getrennt erfaBt wurden.
Tatsiichlich handelt es sich urn Verhaltenseinheiten, die zusammen betrachtet
werden miissen, weil man nur so erkennen kann, ob Journalisten, die sich
zweckrational verhalten, eher bereit sind, die Verantwortung fUr unbeabsichtigte
Folgen zu iibemehmen, als Journalisten, die sich wertrational verhalten.

Der dritte Grund ist die Vernachliissigung allgemeiner, falliibergreifender Ver-


haltensgrundsiitze. Antworten auf Fragen nach allgemeinen Grundsiitzen spie-
geln vor allem die Anerkennung von Normen. In ihnen schliigt sich auch die
soziale Wiinschbarkeit des Verhaltens nieder. Antworten auf Fragen nach dem
richtigen Verhalten in konkreten Situationen manifestieren dagegen eher die
subjektiven Verhaltensdispositionen der Befragten. Die Fragen nach der Gel-
tung allgemeiner Normen und der richtigen Entscheidung in konkreten Situatio-
nen zielen deshalb auf verschiedene Aspekte der gleichen Sache, iiberindividu-
ellen und individuellen Grundlagen des Verhaltens. Letztere konnen im kon-
kreten Fall auch von anderen Entscheidungskriterien iiberlagert werden - den
medientypischen Publikationspraktiken, der jeweiligen Konkurrenzsituation,
der aktuellen Nachrichtenlage usw.

18
3. Neuansatz

3.1 Theoretisch-methodische Vorbemerkungen

Das Ziel der folgenden Studie besteht darin, die theoretischen Implikationen
von Webers Annahmen zu entfalten, in Testfragen umzusetzen und in einem
Befragungsexperiment zu testen. Dabei werden zwei Betrachtungsebenen unter-
schieden - allgemeine Urteile tiber journalistische Verhaltensgrundsatze sowie
spezifische Urteile tiber das Verhalten in konkreten Fallen. Der Unterscheidung
liegt die Annahme zugrunde, daB ein markanter Unterschied besteht zwischen
allgemeinen Urteilen tiber die journalistische Rationalitiit und Ethik einerseits
und den Ansichten zu konkreten Fallen: Wenn allgemeine Urteile erfragt wer-
den, wird sich die Mehrheit der Journalisten zu Verhaltensweisen bekennen, die
allgemein in der Gesellschaft als wiinschbar gelten. Sie werden folglich zweck-
rationale Entscheidungen befiirworten, die die unbeabsichtigten Nebenwirkun-
gen von Publikationen in Rechnung stellen, und sie werden eine Mitverantwor-
tung fUr die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Medienberichten fordern.
Wenn konkrete Falle priisentiert werden, wird sich die Mehrheit der Journalisten
zu Verhaltensweisen bekennen, die speziell im Journalismus als wiinschbar
gelten. Sie werden folglich wertrationale Entscheidungen befUrworten, die ohne
Rticksicht auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen erfolgen, und sie werden eine
Verantwortung fUr solche Nebenwirkungen gesinnungsethisch ablehnen. Aus
diesen Uberlegungen kann man zwei Annahmen ableiten:

(1) Joumalisten sprechen sich allgemein fUr zweckrationale Publikationsent-


scheidungen aus, entscheiden sich jedoch anhand von konkreten Fallen
wertrational.
(2) Journalisten bekennen sich allgemein zur Verantwortungsethik, argu-
mentieren jedoch anhand konkreter Falle gesinnungsethisch.

Die relevanten Entscheidungskonstellationen werden systematisch entfaltet und


analysiert. Dies geschieht anhand des bereits erwiihnten Arzt-Beispiels. 1m Kern
geht es bekanntlich darum, daB ein Facharzt einen schweren Kunstfehler begeht.
Ein Pressebericht dariiber und das damit verbundene offentliche Aufsehen hat-
ten wahrscheinlich zur Folge, daB der Arzt seine Approbation verlieren wiirde,
was die Krankenversorgung vor Ort verschlechtern wiirde. Unterstellt wird, daB
beides nicht im Interesse der Berichterstatter liegt und folglich als unbeabsich-
tigte negative Nebenwirkung der Publikation betrachtet werden kann. Fraglich
ist, ob ein Journalist tiber diesen Kunstfehler berichten oder im Interesse der

19
Patienten bzw. des Arztes auf einen Bericht verzichten solI (Rationalitiit), und
ob der Berichterstatter fUr die unbeabsichtigten Folgen seines Beitrags mora-
lisch verantwortlich ist (Ethik). Nicht nur die Berichterstattung, auch der Ver-
zicht darauf kann unbeabsichtigte negative Nebenfolgen besitzen: Wenn der
Journalist nicht tiber den Kunstfehler des Arztes berichtet, besteht die M6glich-
keit, daB der Arzt erneut einen lihnlich schweren Kunstfehler begeht. Fraglich
ist in diesem Fall, ob ein Journalist, der nicht tiber den ersten Kunstfehler be-
richtet hat, fUr die unbeabsichtigten negativen Nebenwirkungen der Nicht-
Berichterstattung verantwortlich ist.

Die Erweiterung des Fallbeispiels offenbart ein Dilemma: Gleichgtiltig, ob ein


Journalist berichtet oder nicht - er muB in jedem Fall mit unbeabsichtigten
negativen Nebenfolgen rechnen, die die Frage nach seiner Verantwortung auf-
werfen. Der Zweck des konstruierten Dilemmas besteht nicht darin, den Be-
fragten ins Unrecht zu setzen, sondern eine Situation zu schaffen, die der tat-
slichlichen Entscheidungsproblematik entspricht: 8 Vor allem bei menschenver-
ursachten Risiken (Kemkraft, Gentechnik, Pharmazeutika usw.) sowie bei
schweren Gewalttaten und Gewaltandrohungen (Terrorakte, Erpressungen usw.)
k6nnen nicht nur positive, sondern auch negative Publikationsentscheidungen
unbeabsichtigte Nebenwirkungen hervorrufen, die die Frage nach der morali-
schen Verantwortung von Journalisten aufwerfen. In allen Fallen geht es darum,
ob Journalisten fUr die unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Publikation, bzw.
Nichtpublikation verantwortlich sind.

Die Bereitschaft von Journalisten zur Anerkennung einer Verantwortung fUr die
unbeabsichtigten Folgen ihrer Entscheidungen hlingt im konkreten Fall vermut-
lich von mindestens drei Faktoren ab, die anhand des erwlihnten Fallbeispiels
illustriert werden k6nnen: Erstens den NutznieBern einer Nichtpublikation
(schuldiger Arzt vs. unschuldige Patienten); zweitens der Art der journalisti-
schen Entscheidung (Publikation vs. Nichtpublikation); drittens den Leidtragen-
den einer Publikation oder Nichtpublikation (schuldhafter Arzt vs. unschuldige
Patienten). Daraus ergeben sich sechs Entscheidungsstrange (vgl. Schaubild 2).

8 Trotz der verschiedenen Fragebogen-Versionen, auf die die verschiedenen Varianten des Falls
verteilt wurden, ist fraglich, ob man mit einer schriftlichen 8efragung die Ansichten der Journali-
sten zu einern derart komplexen Sachverhalt zuverliissig erfassen kann. Gegen diese Verrnutung
spricht, daB die Befragten beliebig viel Zeit fiir die Antworten haben und alle Weiterungen des Falls
(und darnit ein Teil des Dilemmas) in Ruhe iiberblicken konnen. Besser geeignet ware hier eine
personliche Befragung, die jedoch aus Kostengriinden nicht durchgefiibrt werden konnte.
20
Schaubild 2: Struktur des journalistischen Entscheidungsdilemmas in Risiko- und Krisensituationen
- Beispiel: Kunstfehler eines Arztes -
Begiinstigte der
Niehtpublikation: Arzt Patienten
1 1
I I I I
Verhalten des Joumalisten: publiziert publiziert nieht publiziert publiziert nieht

r-J~ I I___-.1...1---I I
Leidtragende der Publi- Arzt Patienten Patienten Arzt Patienten Patienten
kationINiehtpublikation: (I) (2) (3) (4) (6) (7)

ja
Verantwortung des
~nein ja
~nein ja
~nein ja
~nein ja
~nein ja
~nein
Joumalisten:

Versuehspersonen: n=27 n=32 n=27 n=28 n=23 n=21

N
Aufgrund der theoretischen Uberlegungen von Max Weber, der bisherigen
ernpirischen Befunde zu seinen Thesen sowie einer Reihe von Belegen zur
Einstellung von Joumalisten (vgI. Kocher, 1985; SchOnbachiStiirzebecherl
Schneider, 1994; Weischenberg et aI., 1994) lassen sich zu den bereits erwiihn-
ten fUnf weitere Annahmen formulieren:

(3) Joumalisten sprechen sich wertrational fUr die Veroffentlichung eines


Berichtes tiber einen MiBstand (hier des Kunstfehlers) aus.
(4) Sie sprechen sich eher fUr die Publikation eines Berichtes tiber einen
MiBstand aus, wenn der Leidtragende seiner Nebenwirkungen der Verur-
sacher des MiBstandes (hier der Arzt) ist, als wenn es sich urn Dritte
handelt (hier die Patienten).
(5) Joumalisten lehnen generell gesinnungsethisch eine Verantwortung fUr
die Nebenwirkungen ihrer Entscheidung fUr oder gegen die Veroffentli-
chung eines MiBstandes abo
(6) Sie akzeptieren eher eine Verantwortung fUr die Nebenwirkungen des
Verzichts auf einen Bericht tiber einen MiBstand als fUr die Nebenwir-
kungen der Publikation eines Berichts dariiber.
(7) Sie akzeptieren eher eine Verantwortung fUr die Nebenwirkungen eines
Berichtes tiber einen MiBstand, wenn die Leidtragenden unbeteiligte
Dritte sind (hier die Patienten), als wenn es sich urn die Verursacher des
Millstandes handelt (hier der Arzt).

Die Analyse der rnehrstufigen Entscheidungsproblernatik erfordert eine korn-


plexe experimentelle Versuchsanlage. Dabei bilden die rnoglichen NutznieBer
der Nichtpublikation (Arzt, Patienten) eine Ursache der Publikationsentschei-
dung (Ja, Nein). Dieser Teil bezieht sich auf die Rationalitat des Verhaltens. Die
Publikationsentscheidung (Ja, Nein) und die rnoglichen Leidtragenden einer Pu-
blikation bzw. Nichtpublikation (schuldiger Arzt, unschuldige Patienten) stellen
die Bedingungen fUr die Verantwortungstibemahme dar. Dieser Teil betrifft die
ethischen Konsequenzen des Verhaltens. Weil zwei Falle sozial sinnlos sind
(Arzt als NutznieBer einer Publikation), gentigen dazu die in Schaubild 2 darge-
stellten sechs Versuchsgruppen. 9 FUr das Fragebogen-Experiment wurden folg-

9 Fonnal betrachtet handelt es sich urn ein unvollstiindiges 2 x 2 x 2-faktorielles Design, in dern die
Publikationsentscheidung, die Leidtragenden und die NutznieBer unabhiingige Variablen sowie die
ethischen Urteile die abhiingige Variable bilden. Sachlich ist diese fonnale Betrachtung nicht an-
gernessen, weil es sich urn einen zweistufigen ProzeB handelt und die unabhiingigen Variablen
folglich nicht gleichzeitig, sondem nacheinander wirken.
22
Iieh seehs Fragebogen-Versionen erstellt. AIle FragebOgen enthalten die glei-
chen Fragen naeh den allgemeinen Verhaltensorientierungen sowie jeweils
versehiedene Fragen naeh dem riehtigen Verhalten in zwei konkreten FlUlen.
Neben dem Arzt-Patienten-Fall wurde ein zweiter Fall vorgelegt. Dabei ging es
um einen Automeehaniker in einer Kleinstadt, der dureh verpfusehte Reparatu-
ren die Sieherheit von Fahrzeugen herabgesetzt hat und dessen Familie darunter
leiden wiirde, wenn die Lokalzeitung dies pubIik maehen wiirde.1O Die Fragebo-
gen waren so aufgebaut, daB ein Befragter gleiehe Versionen der beiden FlUle
erhielt - in beiden Hillen wurde z. B. naeh der Verantwortung fUr eine PubIi-
kation oder fUr eine Niehtpublikation gefragt. 11 Wir stUtzen die folgenden Aus-
fUhrungen, um die Darstellung mogIiehst einfaeh zu halten, auf das Arzt-
Beispiel und erwiihnen die Antworten auf das Meehaniker-Beispiel nur in
Paranthese.

FUr die empirisehe Analyse wurde im Winter 1998/99 eine Zufallsauswahl von
360 Tageszeitungsredakteuren angesehrieben, wobei jeweils 60 Befragte eine
der seehs Fragebogen-Versionen erhielten. 12 Von den angesehriebenen Redak-
teuren haben sieh naeh zweimaligem Naehfassen 158 an der Befragung betei-
ligt. Der Riieklauf von 44 Prozent kann angesiehts der Tatsaehe, daB 10umali-
sten generell hiiufig die Mitarbeit bei Befragungen verweigem 13, sowie ange-
siehts der heiklen Thematik und des notwendigerweise komplexen Fragebogens
als guter Wert betraehtet werden. Der Riieklauf ist nieht erkennbar verzerrt. Die
seehs Versuehsgruppen bestehen aus durehsehnittlieh 26 Versuehspersonen
(vgl. Sehaubild 2). Dadureh sind statistisch gesicherte Aussagen iiber die Ver-
haltenspriiferenzen und iiber die Verantwortungsbereitschaft der Befragten
moglich.

10 Die genaue Fragefonnulierung lautete: "Stellen Sie sich bitte folgenden Fall vor: Ein selbstiindi-
ger Automechaniker in einer Kleinstadt hat mehrfach Autos mangelhaft repariert und damit die
Sicherheit der Fahrzeuge herabgesetzt. Bei einem Bericht wiiBte ein Gro/3teil der Bevolkerung, urn
wen es sich handelt. Unter dem dann unvermeidlichen Gerede hatte die ganze Familie des Mecha-
nikers zu leiden. Was wiirden Sie einem Kollegen raten, der den Fall bearbeitet?" Die Antwortvor-
gaben entsprechen den Antwortvorgaben im Ant-Beispiel.
11 Dies ennoglicht eine lndexbildung aus den Antworten aufbeide Faile und die allgemeinen Fragen
zur Rationalitiit und Ethik. Allerdings konnen Konsistenzeffekte nicht ausgeschlossen werden.
Andererseits hatte eine Rotation der Versionen die Zahl der erforderlichen Versuchsgruppen ver-
doppelt und damit den Rahmen dieser Studie gesprengt.
12 Die Stichprobe wurde zweistufig gebildet. Zunachst wurden aile Tageszeitungen aus dem Ver-
zeichnis Zimpel nach Auflagen geschichtet und in drei Gruppen eingeteilt. Aus der ersten Gruppe
(bis 100.000) wurden zwei, aus der zweiten Gruppe (100.000 - 200.000) drei und aus der dritten
Gruppe (iiber 200.000) vier Journalisten befragt.
IJ Zur Ausschopfung von Joumalisten-Stichproben vgl. Scholl (1994).

23
3.1 Allgemeine Verhaltensgrundsiitze

3.1.1 Rationalitiit

Die allgemeinen Urteile iiber zweck- bzw. wertrationale Publikationsentschei-


dungen wurden mit folgender Frage ermittelt:

,,Es kommt vor. daft Journalisten iiber ein wichtiges Ereignis berichten miissten.
der Bericht jedoch negative Folgen hotte. die unbeabsichtigt. aber sehr wahr-
scheinlich sind. Finden Sie. daft Journalisten solche Berichte vero.fJentlichen oder
zuriickhalten sol/ten?"

Fast zwei Drittel der Befragten (61 %) sprach sich im Sinne Webers mehr oder
weniger entschieden fUr eine VerOffentlichung aus, ein Fiinftel (21 %) dagegen.
Dies deutet darauf hin, daB sich die meisten Zeitungsjoumalisten Ende der
neunziger Jahre wertrational orientieren. Allerdings waren nur 5 Prozent der
Ansicht, daB man einen solchen Bericht "auf jeden Fall" ver6ffentlichen sollte.
Die Mehrheit von 56 Prozent entschied sich nur z6gerlich dafiir ("eher verOf-
fentlichen als zuriickhalten"). Das relativiert die Antworten: Ein GroBteil ist
sich offensichtlich nicht ganz sicher. 14 Dennoch sprechen diese Werte fUr We-
bers These und folglich gegen die erste Passage der ersten Annahme.

3.1.2 Ethik

Die allgemeinen Ansichten zur Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik


wurden mit folgender Frage erhoben: "Haben Journalistenfiir absehbare, aber
unbeabsichtigte negative Folgen ihrer Berichterstattung eine Mitverantwortung
oder ist das nicht der Fall?" Uber die Hiilfte (56 %) stimmte der verantwor-
tungsethischen These zu, daB die Joumalisten ,,(oo) aufjeden Fall eine Mitver-
antwortung" haben. Ein weiteres Viertel (28 %) stimmte zudem der einge-
schriinkten These zu, daB sie ,,(oo.) eine Mitverantwortung (haben), wenn die
Publikationsentscheidung bei ihnen lag ". Dagegen war nur eine verschwinden-

14 Die allgemeine Orientierung von Journalisten wurde bereits 1977 bei einer schriftlichen Befra-
gung von 91 Lokaljoumalisten bei rheinland-pfalzischen Tageszeitungen untersucht. Ihnen wurde
folgende Testfrage vorgelegt: "Hier ist eine Reihe von Aufgaben und Verhaltensweisen aufgeziihlt,
nach denen sich ein Journalist in seinem Bernf mehr oder weniger stark orientierten sollte. We\che
davon sind Ihrer Erfahrung nach flir einen Lokaljournalisten sehr wichtig, welche sind weniger
wichtig, welche unwichtig?" Die hier relevante Aufgabe, "Ohne Riicksicht Kritik iiben, auch wenn
die Foigen nicht zu iibersehen sind", hielten \3 % flir "sehr wichtig" und 44 % flir "auch wichtig".
Dagegen meinten immerhin 43 %, diese Aufgabe sei "unwichtig". Die Antworten der Lokaljouma-
listen deuten daraufhin, daI.I sie die miiglichen Foigen ihrer Kritik durchaus in Rechnung stellen und
u. U. folgenschwere AuBerungen unterlassen. Dies entspricht eher einer zweckrationalen als einer
wertrationalen Orientiernng und widerspricht folglich Webers Annahme. Vgl. Miihlberger ( S. 106).
24
de Minderheit (4 %) der gesinnungsethischen Ansicht, die Journalisten hatten
" (..) auf keinen Fall eine Mitverantwortung". Der Rest war unentschieden oder
gab keine konkrete Antwort. Die Antworten der Zeitungsredakteure widerspre-
chen damit Webers These. Dies bestatigt die erste Passage der zweiten Annah-
me. Als Zwischenergebnis kann man festhalten: Die Mehrheit der Zeitungsre-
dakteure billigte 1998/99 entsprechend Webers Annahme wertrationale Publi-
kationsentscheidungen - Veroffentlichen ohne Riicksicht auf die Folgen. Die
weit iiberwiegende Mehrheit sprach sich jedoch entgegen Webers These fur
eine verantwortungsethische Haltung aus. Sie war davon iiberzeugt, daB Jour-
nalisten flir die unbeabsichtigten, aber absehbaren negativen Folgen ihrer Be-
richte eine Verantwortung besitzen. Betrachtet man den Zusammenhang zwi-
schen Rationalitat und Ethik, zeigt sich, daB sich fast aBe Joumalisten, die sich
zweckrationalauBerten, logisch folgerichtig zur Verantwortungsethik bekannten
(97 %). Allerdings verhielten sich nahezu ebensoviele Joumalisten, die sich
wertrational auBerten, logisch keineswegs zwingend genauso (94 %). Dies
spricht gegen die von Weber vermutete berufsspezifische Kombination von
Wertrationalitat und Gesinnungsethik (TabeBe 1).

Tabelle 1: Zusammenhang zwischen der Rationalitat und Ethik


von Journalisten

Ethik

Gesinnungs- Verantwortungs- Gesamt


ethik ethik
n n n
-----------------------------------------
Wert- 5 78 83
rational
Ratio-
nalitat
Zweck- 1 32 33
rational

Summe 6 110 116


Ohne: Weill nicht, keine konkrete Angabe (n = 42).

25
3.2 Urteile im konkreten Fall

3.2.1 Rationalitiit

Die Ansichten der Zeitungsredakteure iiber das richtige Verhalten im konkreten


Fall wurde u. a. anhand des bekannten Arzt-Beispiels ermittelt. Die verschiede-
nen Varianten wurden in sechs Fragen umgesetzt. Die gleichbleibende Einlei-
tung der Frage lautete:

.. Stellen Sie sich bitte folgenden Fall vor: Einem Facharzt am Erscheinungsort Ih-
rer Zeitung unterliiuft ein Kunst/ehler. der dem Patienten erhebliche Schiiden zu-
fogt. Ein Bericht uber seinen Fehler hiitte wahrscheinlich zur Folge. dajJ der Arzt
seine Approbation verlieren wurde. Dies wiire for die Krankenversorgung nicht
nur am Ort ein grojJer Verlust. wei! der Arzt ein bekannter Spezialist auf seinem
Gebiet ist. Was wurden Sie einem Kollegen. der den Fall bearbeitet. raten?"

1m AnschluB daran wurde eine wert- und zweckrationale Entscheidung vorge-


geben, wobei die Publikation einmal mit Riicksicht auf die Patienten und einmal
mit Riicksicht auf den Arzt unterbleiben konnte. Nahezu aIle Zeitungsredakteu-
re (92 %) sprachen sich flir einen Bericht iiber den Kunstfehler des Arztes aus,
auch auf die Gefahr hin, daB ein solcher Beitrag unbeabsichtigte negative Ne-
benfolgen besitzen konnte. Diese wertrationale Haltung war weitgehend unab-
hiingig von den LeidtIagenden der Berichterstattung (schuldiger Arzt, unschul-
dige Patienten) (Tabelle 2).15

Neben dem Arzt-Beispiel wurde bekanntlich ein zweiter Fall prasentiert. Die
Fallbeschreibung lautete:

.. Stellen Sie sich bitte folgenden Fall vor: Ein selbstiindiger Automechaniker in
einer Kleinstadt hat mehifach Autos mangelhaft repariert und damit die Sicherheit
der Fahrzeuge herabgesetzt. Rei einem Bericht wujJte ein GrojJtei! der Revolke-
rung. um wen es sich handelt. Unler dem dann unvermeidlichen Gerede hiitte die
ganze Familie des Mechanikers zu leiden. Was wurden Sie einem Kollegen. der
den Fall bearbeitet. raten?"

Auch in diesem Fall entschied sich die iiberwaltigende Mehrheit der Journali-
sten (88 %) fUr einen Bericht und damit flir die wertrationale Alternative. Zwi-
schen den Entscheidungen anhand des ersten und zweiten Fallbeispiels bestand
ein statistisch signiflkanter Zusammenhang (Chi-Quadrat= 13,402; p=O.OOO;
Phi=0,30 1). Die Befunde bestiitigen damit die dritte Annahme: Journalisten sind

IS Vermeidbar ware dies nUT gewesen, wenn man die beiden Fragen in versehiedenen Fragebogen-
Versionen gestellt hiitte. Dann hiitte man die Antworten jedoeh nieht miteinander vergleiehen
kiinnen. Aueh aus diesem Grund ware eine persiinliehe Befragung besser gewesen.
26
im konkreten Fall auch dann wertrational fUr die Publikation eines Berichtes
tiber einen MiBstand, wenn er negative Nebenwirkungen hervorrufen kann.
Dagegen sprechen sie gegen die vierte Annahme: Der Charakter der moglichen
Leidtragenden eines Berichtes tiber einen MiBstand besitzt keinen nennenswer-
ten EinfluB auf die generell fUr richtig gehaltenen Publikationsentscheidungen.

TabeUe 2: Rationalitiit der Publikationsentscheidung


- Arztbeispiel -

Wertrational Zweckrational Summe

n n n
-----------------------------------------
,,Auf die Patienten, die durch "Notfalls sollte mit Rticksicht
den Weggang des Arztes auf die Patienten auf einen Be-
Nachteile hatten, sollte keine richt verzichtet werden, auch
Rticksicht genommen werden. wenn dadurch ein MiBstand
Dariiber sollte im Interesse der verschwiegen wird."
Offentlichkeit berichtet wer-
den." 65 5 70

,,Auf den Arzt sollte keine "Notfalls sollte mit Rticksicht


Rticksicht genommen werden. auf den Arzt auf einen Bericht
Dariiber sollte im Interesse der verzichtet werden, auch wenn
Patienten berichtet werden."80 dadurch ein MiBstand ver-
schwiegen wird." 4 84

Summe 145 9 154


Nicht ausgewiesen sind Beftagte, die sich fiir keine der Vorgaben entschieden (n = 4).

Die Zeitungsredakteure urteilten 1998/99 wesentlich haufiger wertrational als


die Lokalredakteure vor zwanzig Jahren. Diese hatten sich bekanntlich tiber-
wiegend im Interesse der Patienten zweckrational fUr einen Verzicht auf die
Publikation des Kunstfehlers entschieden. Eine Ursache konnte die etwas ver-
iinderte Beschreibung des Falls sein. Dies ist nicht auszuschlieBen, jedoch rela-
tiv unwahrscheinlich, weil die Problematik im Kern erhalten blieb. Eine weitere
Ursache konnte die groBere soziale Distanz der Politik- und Wirtschaftsredak-

27
teure zu den Folgen ihrer Berichterstattung und eine entsprechend geringere
Bereitschaft zur Riicksichtnahme sein. Dies trifft jedoch, wie eine gesonderte
Betrachtung der Lokalredakteure zeigt, nicht zu: Ihre Ansichten unterscheiden
sich nicht signiftkant von denen der Mitarbeiter anderer Ressorts. Eine dritte
Ursache konnte der Wertewandel im Journalismus in Richtung auf eine stiirkere
Wertrationalitiit sein. Hinweise darauf enthalten zwei breit angelegte Joumali-
sten-Befragungen vom Beginn der neunziger Jahre (vgl. Kepplinger, 1992;
SchOnbachlStiirzebecherl Schneider, 1994) sowie die Antworten auf die Frage
nach der Publikation von drei Meldungen, die zu Beginn der achtziger Jahre
und in der vorliegenden Befragung gestellt worden war: Zu Beginn der achziger
Jahre sprachen sich nur 57 % der Journalisten fiir eine Veroffentlichung von
Berichten iiber Gewalttaten waren, die Nachfolgetaten auslosen konnten. Bei
der hier diskutierten Befragung vom Ende der neunziger Jahre waren es dage-
gen 73 %.16

1m Unterschied zu den Ergebnissen friiherer Befragungen entsprachen 1999 die


Entscheidungen der Joumalisten im konkreten Fall weitgehend ihren generellen
Ansichten. Dieser Befund widerspricht der ersten Annahme und konnte z. T.
darauf zuriickzufiihren sein, daB die Befragten bei der Ausfiillung des Fragebo-
gens ihre Urteile aneinander angepaBt haben (Konsistenz-Effekt). Dagegen
spricht, daB zwischen den Antworten auf die allgemeine Frage nach der Ver-
antwortung und den Antworten auf die Fragen nach der Verantwortung im kon-
kreten Fall keine erkennbaren Konsistenzeffekte auftraten (vgl. unten). Der
Hauptgrund fiir die groBe Ubereinstimmung zwischen den allgemeinen norma-
tiven Ansichten und den konkreten Handlungsbeurteilungen ist vermutlich der
Wandel der Ansichten von Journalisten zum Verhalten im konkreten Fall: Heute
sind viele eher der Meinung als friiher, man miisse auf jeden Fall publizieren.
Als F olge dieses Wandels besteht nun zwischen den allgemeinen normativen
Ansichten zur Handlungsrationalitat von Joumalisten und ihren konkreten Ver-
haltensweisen eine enge Ubereinstimmung: Sie verhalten sich im kOnkreten Fall
- soweit sie dazu praktisch in der Lage sind - in der Regel so, wie sie es
allgemein betrachtet flir richtig halten.

16 Gegen die Vennutung spricht jedoch, daI3 zwei weitere Fallbeispiele, die zu beiden Zeitpunkten
priisentiert wurden, keine bemerkenswerten Anderungen erkennen lassen. Vgl. Knirsch (\999).
28
3.2.2 Ethik

1m AnschluJ3 an die Frage nach der Rationalitat der Publikationsentscheidung


wurde ein Teil der Zeitungsredakteure nach der Verantwortung fUr die Neben-
wirkungen der Publikation gefragt. Ein anderer Teil sollte zur Verantwortung
fur die Nebenwirkungen der Nichtpublikation des Kunstfehlers Stellung neh-
men. Die erste Frageversion lautete:

"Angenommen. der Kollege berichtet iiber den Voifall und der Arzt verliert tat-
siichlich seine Approbation. (...) 1st der Journalist (.. .) mitverantwortlich oder ist
das nicht der Fall?"

Die zweite Frageversion hieS:

"Angenommen. der Kollege verzichtet auf eine Publikation und dem Arzt unter-
liiuft erneut ein Kunsifehler (.. .). 1st der Journalist mitverantwortlich (...) oder ist
das nicht der Fall? "/7

Die Antwortvorgaben waren in beiden Versionen gleich.

1m Fall der Publikation eines Berichtes iiber den Kunstfehler des Arztes vertrat
die Mehrheit der Zeitungsredakteure die gesinnungsethische Ansicht, daB der
Journalist fur seine absehbare, aber unbeabsichtigte Nebenwirkung nicht ver-
antwortlich ist (63 %). Dabei spielte es keine groSe Rolle, wen die Nebenfolgen
trafen - die unschuldigen Patienten oder den schuldigen Arzt. 1m Fall der
Nichtpublikation eines Berichtes iiber den Kunstfehler vertrat eine knappe
Mehrheit der Befragten die verantwortungsethische Ansicht, der Journalist sei
fur die unbeabsichtigte Nebenwirkung dieser Unterlassung mitverantworlich.
Positiv formuliert: Die Befragten akzeptierten eher eine Verantwortung fur die
Nebenwirkungen eines Publikationsverzichtes als einer Publikation. Dieser
Unterschied ist zwar statistisch nicht signiftkant, erscheint aber dennoch theore-
tisch und praktisch bedeutsam (Tabelle 3).

17 An Stelle der Auslassungen ( ... ) wurden, urn einen EinfluB der unterschiedlichen Wirkungen des
Berichtes bzw. Verzichtes auf die Bereitschaft zur Verantwortungsiibernahme zur erreichen, jeweils
einem Drittel der befragten Teilgruppen eine der folgenden Konsequenzen genannt:
a) ,,( ... ) 1st der Journalist mitverantwortlich dafiir, daB der Arzt seinen Beruf verliert oder ist das
nicht der Fall?"
b) ,,( ... ) Als Folge davon miissen die Patienten lange Anfahrtswege zu einem anderen Facharzt in
Kauf nehmen. 1st der Journalist fiir diese Erschwemis mitverantwortlich oder ist das nicht der Fall?"
c) ,,( ... ) 1st der Journalist mitverantwortlich dafiir, daB emeut ein Patient unter dem Arzt zu leiden
hat oder ist das nicht der Fall?"
29
TabeUe 3: Ethische Haltung von Journalisten gegenfiber den
unbeabsichtigten Folgen der Berichterstattung bzw.
Nicht-Berichterstattung fiber einen MiBstand

Verhalten des Journalisten

berichtet verzichtet Summe

Folge: Erschwernis Berufs- Schiidigung


fUr Patienten aufgabe eines Patien-
des Arztes ten
n n n n
----------------------------------------
Journalist ist an
Folgen ...

"mit-
verantwortlich" 18 22 24 64

"nicht mit-
verantwortlich" 35 32 23 90

Summe 53 54 47 154
Nicht ausgewiesen sind Befragte, die sich fiir keine der Vorgaben entschieden (n = 4).
Chi-Quadrat iiber aile Felder = 3,023; df= 2 (n. s.);
Chi-Quadrat Vergleich berichtet - nicht berichtet = 2,516; df= I (n. s.)

1m Fall des Automechanikers lehnte die Mehrheit von 64 Prozent eine Mitver-
antwortung rur die unbeabsichtigten Nebenwirkungen einer Publikation - der
sozialen Achtung der Familie des Schuldigen abo Eine Minderheit von 36 Pro-
zent meinte, ein Journalist sei in diesem Fall durchaus rur die Nebenwirkungen
seines Berichtes mitverantwortlich. Zugleich meinten 60 Prozent, der Journalist
sei rur die Nebenwirkung einer Nichtpublikation des Millstandes - der Gefahr-
dung weiterer Autofahrer - mitverantwortlich.

Betrachtet man die Urteile anhand beider Fallbeispiele zusammen, dann liefern
die vorliegenden Daten keine eindeutige Bestiitigung rur die fiinfte Annahme,

30
wonach Joumalisten im konkreten Fall eine Verantwortung flir die unbeabsich-
tigten Nebenwirkungen von Publikationen bzw. Nichtpublikationen gesin-
nungsethisch ablehnen. In bestimmten Situationen scheint dies doch der Fall zu
sein. Die spezifischen Eigenschaften so1cher Situationen konnen mit den vorlie-
genden Daten nicht prlizisiert werden. Die Ergebnisse bestiitigen tendenziell die
sechste Annahme, wonach Journalisten eine Verantwortung fUr die Nebenwir-
kungen einer Nichtpublikation eher akzeptieren als die Verantwortung flir die
Nebenwirkungen einer Publikation. Allerdings sind diese Ergebnisse statistisch
nicht signifikant. Die Befunde sprechen eindeutig gegen die siebte Annahme,
wonach die Bereitschaft zur Mitverantwortung von der Schuld oder Unschuld
der Leidtragenden eines Berichtes oder einer Nichtpublikation abhiingt. Dies hat
keinen nennenswerten EinfluB auf die moralischen Verpflichtungen, die aus der
Publikationsentscheidung folgen konnen.

3.2.3 Einj/ujJ der Urteile uber die Publikationsentscheidungen auf die Ansich-
ten zur Verantwortung

Bisher wurden die Ansichten der Journalisten zur Mitverantwortung flir die
Nebenwirkungen von Publikationsentscheidungen unabhiingig davon betrachtet,
ob sie die in den Fallen unterstellten Publikationsentscheidungen billigen oder
miBbilligen. Die Journalisten konnten z. B. flir einen Bericht iiber einen der
MiBstiinde sein und nach der Verantwortung eines Kollegen flir die Nebenwir-
kungen dieser Publikation gefragt werden. Sie konnten jedoch auch flir die
Veroffentlichung eintret(ln und anschlieBend danach gefragt werden, ob ein
Kollege flir die Nebenwirkung eines Publikationsverzichtes mitverantwortlich
ist. 1m ersten Fall bestand eine Ubereinstimmung zwischen ihren Ansichten
iiber die richtige Publikationsentscheidung und dem Verhalten des Kollegen, im
zweiten Fall bestand eine Diskrepanz - der Kollege entschied sich anders als
es der Befragte f'i.ir richtig hielt. In beiden Fallen sollte der Befragte urteilen, ob
der Kollege flir die Nebenwirkungen seiner Entscheidung mitverantwortlich ist
oder nicht. Fiir die folgende Analyse werden die beiden Konstellationen ge-
trennt betrachtet. Dies geschieht in der Annahme, daB der Befragte eine Mitver-
antwortung des Kollegen fUr die Nebenwirkungen der Entscheidung fUr oder
gegen eine Publikation vor allem dann ablehnt, wenn sich der Kollege aus der
Sicht des Befragten richtig entscheidet. Entscheidet er sich aus der Sicht des
Befragten falsch, dann ist er eher flir die Nebenwirkungen seines Verhaltens
mitverantwortlich.

Die Befragungsergebnisse bestiitigen diese Annahme: Wenn der Kollege sich so


verhiilt, wie es der Befragte fUr richtig hiilt, lehnt der Journalist eine Mitverant-

31
wortung fUr die Nebenwirkungen der Entscheidung eher abo Andemfa11s macht
er sich in den Augen des Befragten mitschuldig an den moglichen Nebenwir-
kungen seiner Publikationsentscheidung. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse anhand
des Arzt-Falles.

Tabelle 4: Ethische Haltung von Journalisten abhingig von der Billigung


der Entscheidung des Kollegen
- Arzt-Beispiel-

Ubereinstimmung Diskrepanz zwischen Summ


zwischen dem, was dem, was der Befrag- e
der Befragte ffir rich- te ffir richtig hilt
tig hilt (publikation (Publikation bzw.
bzw. Nichtpublikati- Nichtpublikation)
on) und unterstelltem und unterstelltem
Verhalten des Kolle- Verhalten des Kolle-
gen gen
n n

----------------------------------------_.n
Journalist ist an
Folge...

"mit-
verantwortlich" 35 28 63

"nicht mit-
verantwortlich" 64 23 87

Summe 99 51 150
Nicht ausgewiesen sind Befragte, die sich fUr keine der Vorgaben entschieden (n = 8).
Chi-Quadrat = 5,280; df= 1; P = 0,022; Phi = -0.188

Die Befunde anhand des Automechaniker-Beispiels entsprechen ihnen weitge-


hend. Es handelt sich mit anderen Worten unl einen stabilen, falliibergreifenden
ZusanlUlenhang, der im Auto-Mechaniker-Beispiel sogar noch etwas deutlicher
ist (Phi = -0.304). Der ermittelte ZusanlUlenhang besitzt eine individuelle und

32
eine gruppendynamische Bedeutung. Betrachtet man die einzelnen Joumalisten,
kann man feststellen: Sie empfinden, wenn sie sich so entschieden haben, wie
sie es fUr richtig halten, in der Regel keine moralische Verantwortung fUr unbe-
absichtigte Nebenwirkungen ihrer Entscheidung fUr oder gegen eine Publikati-
on. Sie sind mit sich selbst im reinen. Sie sehen die Problematik, erblicken darin
jedoch keine moralische Belastung. Betrachtet man die Joumalisten im Kreis
ihrer Kollegen, kann man folgem: Sie konnen sich Schuldvorwiirfen aus dem
Kollegenkreis offensichtlich entziehen, wenn sie sich bei Publikationsentschei-
dungen so verhalten, wie es die Kollegen fUr richtig halten. Entscheiden sie sich
anders, miissen sie, wenn ihre Entscheidung negative Nebenwirkungen besitzt,
mit Schuldvorwiirfen aus dem Kollegenkreis rechnen. Die Anpassung von Pu-
blikationsentscheidungen an die Erwartungen der Kollegen stellt demnach ein
Mittel zur Entlastung von Verantwortung dar (vgl. Tabelle 4).

3.2.4 Zusammenhang zwischen allgemeinen Urteilen zur Verantwortung und


den Urteilen im konkreten Fall

Die Mehrheit derjenigen, die sich generell zur Verantwortung von Joumalisten
fUr die negativen Nebenfolgen ihrer Berichte ausgesprochen hatten (n= 129),
lehnte im konkreten Arzt-Beispiel eine Verantwortung fUr die Nebenfolgen
eines Berichtes bzw. Publikationsverzichtes ab (54 %). Betrachtet man nur die
Joumalisten, die eine Verantwortung fUr die Entscheidung eines Kollegen tref-
fen miissen, die sie selbst fUr richtig halten, wird dieser Befund noch etwas
deutlicher (59 % Ablehnung). Dies bestatigt die Annahme, daB zwischen den
allgemeinen Ansichten von Joumalisten zur Verantwortung von Joumalisten
und ihren Urteilen anhand konkreter Faile ein erheblicher Unterschied besteht:
Allgemeine Bekenntnisse zur Verantwortung auch fUr die unbeabsichtigten
Nebenwirkungen von Berichten sagen deshalb iiber die Meinungen im konkre-
ten Fall nichts aus. Zugleich machen die Ergebnisse aber deutlich, daB diejeni-
gen, die allgemein eine Verantwortung ablehnen, im konkreten Fall meist ahn-
lich urteilen. Ihre allgemeinen Urteile sind aussagekriiftig. Dieser Befund ist
auch deshalb bemerkenswert, weil die Befragten den gesamten Fragebogen
iiberblicken konnten. Sie hiitten deshalb, wenn sie dies gewollt hatten, ihre
Antworten stimmig machen konnen. Solche Konsistenz-Effekte sind jedoch
nicht oder nur selten eingetreten - andemfalls miisste der Zusammenhang zwi-
schen den allgemeinen Bekenntnissen und den konkreten Urteilen starker sein.
Die Tatsache, daB kaum Konsistenz-Effekte bestehen, besitzt neben einem me-
thodischen einen sachlichen Aspekt: Die Unterschiede in den Antworten deuten
darauf hin, daB Joumalisten keinen unvereinbaren Widerspruch zwischen all-
gemeinen Bekenntnissen zur Verantwortung und abweichenden Urteilen im

33
konkreten Fall sehen. Beides liegt rur sie offensichtlich auf verschiedenen Ebe-
nen.

3.2.5 Hiiufigkeit von Verhaltenstypen unter Zeitungsredakteuren

In der vorliegenden Untersuchung wurden eine allgemeine Frage nach der Ra-
tionalitat des Handelns und nach seiner ethischen Bewertung gestellt sowie zwei
Fallbeispiele prlisentiert, anhand derer die Befragten ihre Ansichten tiber die
Rationalitat des Handelns und seine ethische Beurteilung iiuBem sollten. Folg-
lich liegen von jedem Befragten jeweils drei Aussagen tiber die Rationalitat des
Handelns und seine ethische Beurteilung vor. Mit Hilfe dieser drei Aussagen
konnte man die Befragten in jeweils drei Klassen einteilen: rein Wertrationale
(drei wertrationale Antworten), rein Zweckrationale (drei zweckrationale Ant-
worten) und einen Mischtyp sowie reine Gesinnungsethiker (drei gesinnungs-
ethische Antworten), reine Verantwortungsethiker (drei verantwortungsethische
Antworten) und einen Mischtyp. Dieses Vorgehen ware jedoch nicht vertretbar,
weil zwischen den allgemeinen Bekenntnissen zur Verantwortungsethik und
den Urteilen im konkreten Fall kein Zusammenhang besteht. Offensichtlich
handelt es sich hierbei urn zwei unabhiingige Urteilsdimensionen, die eher all-
gemeine gesellschaftliche Erwartungen und berufsspezifische Normen reprii-
sentieren. Deshalb werden der folgenden Typologie nur die Urteile tiber die
konkreten Fallbeispiele zugrundegelegt. 18 Bei der Einteilung der Befragten
hinsichtlich ihrer ethischen Grundhaltung werden, weil andemfalls die Zahl der
Befragten zu gering wiirde, auch jene Joumalisten eingeschlossen, die tiber die
Verantwortlichkeit fUr Entscheidungen urteilten, die sie nicht fUr richtig hielten.
Bei einer isolierten Betrachtung der Joumalisten, die tiber Kollegen urteilten,
deren Verhalten sie billigen, wiirde der Anteil der reinen Gesinnungsethiker
hOher ausfallen. Dies ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu beriicksichti-
gen.

Mit Hilfe dieser Klassifikation laBt sich der Anteil der Joumalisten mit den
genannten Grundhaltungen an allen Befragten ermitteln. Zwar kann man diese
Befunde nicht ohne weiteres auf alle Joumalisten tibertragen. Sie vermitteln
jedoch immerhin einen Eindruck von den wahrscheinlichen Konstellationen und
ermoglichen einige Folgerungen rur die Gtiltigkeit von Webers These yom

18 Fiir die Typologie wurden Punkt-Summen-Indices fiir die Rationalitiit und Ethik gebildet. Be-
fragte, die sich in beiden Fallen fiir bzw. gegen eine Publikation aussprachen, erhielten den Wert
(+1-) 2; Befragte, die sich in einem Fall dafiir, im anderen dagegen aussprachen, den Wert O. Ent-
sprechend wurde mit den Fragen nach der Verantwortung verfahren. Befragte mit einer Punktsum-
me 0 werden den jeweiligen Mischtypen zugerechnet.
34
Zusammenhang von Rationalitiit und Ethik. Geht man von der Annahme aus,
daB die Befragten ihre Urteile iiber andere auch fiir sich selbst gel ten lassen,
kann man die Befunde folgendermaBen zusammenfassen: Ein Viertel der be-
fragten Zeitungsredakteure (26 %) entspricht Webers Bild vom Joumalisten, der
rein wertrationale Publikationsentscheidungen mit einer reinen Gesinnungsethik
verbindet: Sie kiimmem sich bei ihren Publikationsentscheidungen nicht urn
mogliche negative Nebenwirkungen und lehnen eine Verantwortung dafiir ge-
nerell abo Bei etwas mehr als einem Drittel (37 %) gehen rein wertrationale
Publikationsentscheidungen mit einer Mischung aus Gesinnungs- und Verant-
wortungsethik einher: Sie kiimmem sich bei ihren Publikationsentscheidungen
ebenfalls nicht urn mogliche Nebenwirkungen, akzeptieren jedoch fallweise
eine Verantwortung fiir die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Publikatio-
nen. Ein Fiinftel (21 %) kombiniert rein wertrationale Publikationsentscheidun-
gen mit einer reinen Verantwortungsethik: Auch sie kiimmem sich bei ihren
Publikationsentscheidungen nicht urn mogliche Nebenwirkungen, sie halten
sich jedoch, wenn solche Folgen eintreten, fiir mitverantwortlich. Alle anderen
Kombinationen spielen mengenmiiBig keine groBe Rolle und konnen deshalb
hier vemachlassigt werden. Zwischen der Rationalitiit der Publikationsentschei-
dungen und der ethischen Haltung gegeniiber den Publikationsfolgen bestand
kein Zusammenhang (vgl. Tabelle 5).

Die vorliegende Klassiftkation der Joumalisten als wertrational und gesin-


nungsethisch ist unabhiingig von ihren sozio-demographischen Merkmalen:
Weder das Geschlecht der Befragten, noch ihr Alter, weder ihre Ausbildung
zum Joumalisten in den Medien oder durch medienexteme Einrichtungen wie
Joumalistenschulen und Universitiiten, noch ihre Beschiiftigung bei kleinen
Regionalzeitungen mit einer Auflage unter 100.000 Exemplaren oder groBen
Bliittem mit iiber 200.000 Auflage besitzen einen erkennbaren EinfluB darauf.
Dies kann Z. T. an der geringen Zahl der Befragten liegen, deutet jedoch den-
noch daraufhin, daB der angesprochene "Weber-Typ" der Presseredakteure sta-
bile Rollenvorstellungen und Verhaltensdispositionen besitzt, die von der Per-
son der Joumalisten und ihrem beruflichen Umfeld relativ unabhiingig sind.

Geht man davon aus, daB man von den Urteilen der Joumalisten iiber Berufs-
kollegen auf ihre eigenen Dispositionen schlieBen kann, dann entspricht etwa
ein Viertel der befragten Zeitungsredakteure Webers Vorstellung vom rein
wertrationalen und rein gesinnungsethischen Joumalisten. Zieht man den Kreis
weiter und schlieBt auch die benachbarten Mischtypen ein (n= 107), dann sind es
iiber zwei Drittel. Dem Gegenbild des rein zweckrational und verantwor-
tungsethisch handelnden Politikers entspricht nur ein Prozent der Befragten.

35
Zieht man auch hier den Kreis weiter und schlieBt die benachbarten Mischtypen
ein (n=7), ist es etwa ein Zwanzigstel. Zusammen betrachtet sprechen diese
Befunde fur die analytische Kraft von Webers Unterscheidung und bestiitigen
alles in aHem seine Annahmen iiber die Dispositionen von Joumalisten. Zu
priifen ware, ob dies auch auf seine Annahmen iiber die Dispositionen von Po-
litikem zutrifft.

Tabelle 5: Verhaltenstypen unter Presseredakteuren

Ethik

reine Mischtyp reine AIle


Gesinnungs- Verantwor-
ethiker tungsethiker

----------------------------------------_.n
n n n

reine
Wert- 41 58 34 133
rationale
Ratio-
nalitit
Mischtyp 8 10 4 22

reine
Zweck- o 1 2 3
rationale

Summe 49 69 40 158
Basis: Antworten aufzwei konkrete Faile (Arzt-Beispiel und Automechaniker-Beispiel).

4. Zusammenfassung und Foigerungen

Ausgehend von Webers Unterscheidung zwischen Zweck- und Wertrationalitiit


bzw. Verantwortungs- und Gesinnungsethik wurden zwei Betrachtungsebenen
unterschieden - allgemeine SteHungnahmen iiber joumalistische Verhaltens-
grundsiitze sowie spezifische Urteile iiber das Verhalten in konkreten Situatio-
36
nen. Bei der Betrachtung konkreter Verhaltensweisen wurden zwei Grundlagen
von Publikationsentscheidungen unterschieden - die journalistische Publizi-
tiitspflicht und der Verzicht auf Wirkungsiiberlegungen. Zudem wurden zwei
Versionen zweckrationalen Verhaltens identifiziert, die Publikation mit Blick
auf ihre moglichen Wirkungen bzw. Nebenwirkungen sowie der Publikations-
verzicht zur Vermeidung negativer Nebenwirkungen. Aus den begriffiich-theo-
retischen Ausfiihrungen wurden sieben Annahmen zur Verbreitung allgemeiner
Bekenntnisse zu wertrationalen und gesinnungsethischen Prinzipien sowie zur
Beurteilung des Verhaltens von lournalisten anhand konkreter FaIle formuliert.

Die Ansichten iiber die Geltung allgemeiner Verhaltensgrundsatze wurden


durch eine schriftliche Befragung von 158 Zeitungsredakteuren ermittelt. Die
Ansichten iiber das Verhalten in konkreten Situationen wurde in einem mehr-
faktoriellen Experiment untersucht, das in die Befragung eingebaut war. Gegen-
stand des Experimentes war zum einen der EinfluB der NutznieBer der Nichtpu-
blikation und der Leidtragenden der Publikation eines MiBstandes auf die Ent-
scheidung fUr oder gegen eine Veroffentlichung. Zum anderen wurde der Ein-
fluB dieser Entscheidung sowie der EinfluB der Leidtragenden auf die Bereit-
schaft untersucht, eine Verantwortung fUr unbeabsichtigte Nebenwirkungen der
Veroffentlichung bzw. Nichtveroffentlichung eines MiBstandes zu iibemehmen.
Dazu wurden sechs bzw. zwei verschiedene Beschreibungen von jeweils zwei
FaIlen ersteIlt, die jeweils einem Sechstel der lournalisten vorgelegt wurden.

Die empirischen Ergebnisse bestitigen drei und widerlegen drei der sieben
Annahmen. In einem weiteren Fall deuten die Befunde in die erwartete Rich-
tung, sind jedoch statistisch nicht abgesichert. Ein weiterer Befund geht iiber die
urspriinglichen Annahmen hinaus, fiigt sich jedoch gut in den theoretischen
Zusammenhang ein. 1m einzelnen wurde festgestellt:

I. lournalisten sprechen sich allgemein fUr wertrationale Publikationsentschei-


dungen aus und entscheiden sich auch anhand konkreter FaIle wertrational.
Zwischen den allgemeinen Bekenntnissen der Befragten zur Orientierung an
den Nebenwirkungen von Berichten und ihren Urteilen anhand konkreter
FaIle bestehen jedoch erhebliche Unterschiede.
2. lournalisten bekennen sich allgemein zur Verantwortungsethik, argumentie-
ren jedoch anhand konkreter FaIle gesinnungsethisch. Zwischen den allge-
Meinen Bekenntnissen der Befragten zur Verantwortung auch fUr die Ne-
benwirkungen von Berichten und ihren Urteilen anhand konkreter FaIle be-
stehen erhebliche Unterschiede.

37
3. Journalisten sprechen sich wertrational fUr die Veroffentlichung eines Be-
richtes tiber einen MiBstand aus, d. h., sie orientieren ihre Publikationsent-
scheidung nicht an moglichen Nebenwirkungen der Berichte.
4. Journalisten sprechen sich keineswegs eher fur die Publikation eines Be-
richtes tiber einen MiBstand aus, wenn der Leidtragende der Nebenwirkun-
gen der Publikation der Verursacher des MiBstandes ist, als wenn es sich urn
Dritte handelt. Die Art der Leidtragenden besitzt keinen nennenswerten Ein-
fluB auf ihre Publikationsentscheidungen.
5. Joumalisten lehnen gesinoungsethisch eine Verantwortung fUr die Neben-
wirkungen ihrer Entscheidung fUr oder gegen die Veroffentlichung eines
Berichtes tiber einen MiBstand abo
6. Journalisten scheinen eine Verantwortung fur die Nebenwirkungen eines
Publikationsverzichtes eher zu akzeptieren als die Verantwortung fUr die
Nebenwirkungen einer Veroffentlichung. Dieser Befund ist zwar theoretisch
und praktisch plausibel, statistisch jedoch nicht gesichert.
7. Journalisten lehnen eine Verantwortung fUr die Nebenwirkungen eines Be-
richtes keineswegs eher ab, wenn der Leidtragende der Verursacher des
MiBstandes ist als wenn es sich um unbeteiligte Dritte handelt. Das Urteil
tiber die Verantwortung von Joumalisten fUr die Nebenwirkungen eines Be-
richtes bzw. Publikationsverzichtes tiber MiBstiinde ist weitgehend unabhiin-
gig davon, wer von diesen Nebenwirkungen betroffen ist.

In allen genannten Fallen treffen die Ergebnisse nicht auf alle befragten Journa-
listen zu. Erwahnt wurde die Haltung der Mehrheit bzw. der dominierende Zu-
sammenhang zwischen verschiedenen Faktoren.

Nebenbei wurde festgestellt, daB die Urteile von Joumalisten tiber die Verant-
wortung ihrer Kollegen in bemerkenswerter Weise davon abhiingen, ob sich die
Kollegen so entschieden, wie es die Befragten fur richtig halten. Dieser Befund
besitzt eine individuelle und eine gruppendynamische Konsequenz: Die einzel-
nen Joumalisten empfmden, wenn sie sich so verhalten, wie sie es fur richtig
halten, in der Regel keine Verantwortung fUr negative Nebenfolgen ihrer Publi-
kationsentscheidungen. Auch ihre Kollegen werden, wenn sie sich ebenfalls
entsprechend verhalten, von ihnen von einer Verantwortung freigesprochen.
Falls sie sich jedoch anders entscheiden, wird ihnen eine Verantwortung fur die
unbeabsichtigten Nebenwirkungen ihrer Verhaltensweisen zugeschrieben. Die
Orientierung an den Erwartungen der Kollegen stellt deshalb ein Verfahren zur
Entlastung von Verantwortung dar. Dies starkt vermutlich die Kollegenorientie-

38
rung von Joumalisten und f6rdert die Anpassung der Einzelnen an die vorherr-
schenden Gruppennonnen.

Die vorliegenden Befunde widersprechen z. T. fiiiheren Ergebnissen, z. T. sind


sie damit nur schwer vergleichbar. Ersteres trifft auf den Anteil derer zu, die
sich rein wertrational fUr Publikationen aussprechen. Er ist hier deutlich groBer
als bei fiiiheren Erhebungen. Dies diirfte zumindest teilweise die Folge eines
Wertewandels im deutschen Joumalismus sein, der auch durch andere Untersu-
chungen belegt ist. Letzteres gilt fUr die Beweggrunde hinter der Befiirwortung
von Berichten iiber die erwiihnten MiBstiinde. Anhand der vorliegenden Daten
kann nicht festgestellt werden, inwieweit solche AuBerungen auf der Publikati-
onspflicht von Joumalisten beruhen, so daB sie Ausdruck einer rein wertratio-
nalen Haltung sind, bzw. inwieweit ihnen eine unausgesprochene Wirkungsab-
sicht zugrundeliegt, so daB sie Ausdruck einer zweckrationalen Haltung sind.
Diese Interpretation erscheint deshalb naheliegend, weil es in beiden Fallbei-
spielen um gravierende MiBstiinde geht, deren Beseitigung ein naheliegendes
Ziel ist. Die ethisch problematische Kombination von zweckrationalen Wir-
kungsabsichten mit gesinnungsethischer Verantwortungsreduzierung kann folg-
lich nicht ausgeschlossen werden, ist jedoch auch nicht belegt. Diese Problema-
tik miisste, nachdem der EinfluB einer Reihe anderer Faktoren iiberpriift wurde,
in einem Forschungsdesign ennittelt werden, mit dem der relative EinfluB bei-
der Ursachen von Publikationsentscheidungen isoliert werden kann.

Relevant fUr die gesellschaftliche Diskussion fiber die aktuelle Berichterstattung


der Medien ist der Widerspruch zwischen dem allgemeinen Bekenntnis zur
moralischen Verantwortung auch fUr die unbeabsichtigten Folgen von Berichten
und die ebenso entschiedene Ablehnung einer moralischen Verantwortung fUr
die negativen Nebenwirkungen solcher Publikationen anhand konkreter Falle.
Dabei geht es weniger urn die Tatsache, daB die allgemeinen Bekenntnisse den
Charakter von Sonntagsreden besitzen, die fUr den konkreten Fall nichts be-
deuten - dies trifft auch auf die allgemeinen Bekenntnisse anderer Berufe zu.
Es geht vielmehr urn die grundlegende Frage, wie die erwiihnten Widerspriiche
aufgelost werden sollten. Dies kann in zwei Richtungen geschehen. Der eine
Weg besteht in der Anpassung der konkreten an die allgemeinen Urteile. In
diesem Fall waren Joumalisten gehalten, eine moralische Verantwortung fUr die
absehbaren aber unbeabsichtigten Nebenwirkungen einer solchen Publikation
zu iibemehmen. Das miisste analog auch fUr die Nebenwirkungen einer Nicht-
publikation gelten. Diese Forderungen diirften, zumal sie in der Praxis in den
meisten Berufen - etwa bei Handwerkem, Bauem, Anwiilten und Arzten -

39
iiblich sind, auf breite Zustimmung treffen, sie sind jedoch aus mehreren Griin-
den problematisch.

Zum einen sind die Ziele des beruflichen Handelns in den angesprochenen Be-
rufen relativ priizise vorgegeben und stehen folglich nicht zur Diskussion: Ver-
mehrung des Ertrags, Verteidigung des Angeklagten, Genesung des Patienten
usw. Fraglich ist hier in der Regel nur die sachgerechte, nfunlich zielflihrende
Wahl der Mittel. 1m Unterschied dazu sind im Journalismus die Ziele des beruf-
lichen Handelns oft strittig: Meist ist z. B. nicht klar, ob ein bestimmtes Ereignis
publikationswiirdig ist oder nicht. AndernfaIls wiirden aIle Medien das gleiche
berichten, was nachweislich nicht zutrifft. Ubereinstimmung besteht in der Re-
gel nur mit Blick auf die Top-Themen (vgl. Kepplinger, 1985, S. 84-137;
KepplingerlStaab, 1992, S. 24-28; KepplingerlHartung, 1997, S. 75-107). Selbst
wenn Konsens iiber die Publikationswiirdigkeit besteht, gehen die Ansichten
iiber die richtige Art der Publikation - groB oder klein, niichtern oder ankla-
gend usw. - oft weit auseinander. Weil im Joumalismus hiiufig kein Konsens
iiber die Ziele des beruflichen Handelns besteht, bieten die Ziele des Handelns
keine hinreichende Grundlage flir ein Urteil dariiber, ob die Mittel - z. B. ein
groBer Bericht im anklagenden Ton - sachgerecht gewiihlt wurden: Derjenige,
der den AnlaB flir unerheblich halt, wird den Bericht falsch fmden, derjenige,
der ihn als schwerwiegend einschiitzt, wird entgegengesetzter Ansicht sein.
Foiglich besteht die Gefahr, daB mit Hinweis auf angeblich vorgegebene Ziele
Berichte unterbunden oder herbeigeflihrt werden, bzw. daB fragwiirdige Be-
richte, die aus ganz anderen Griinden erfolgen, mit Hinweis auf angeblich iiber-
geordnete Ziele gerechtfertigt werden.

Zum anderen gibt es in den oben genannten Berufen eine direkte Beziehung
zwischen dem eigenen Handeln und seinen Auswirkungen, die direkt beobach-
tet und relativ gut abgeschiitzt werden k6nnen. Auch dies ist im Journalismus
anders, weil hier meist kein direkter Kontakt zwischen den Urhebern von Wir-
kungen und ihren NutznieBern oder Leidtragenden besteht. Zudem lassen sich
auch unbestreitbare Wirkungen und Nebenwirkungen der Medienberichterstat-
tung nur selten auf eine bestimmte Ursache zuriickfiihren: Ihre Ursache ist in
der Regel nicht ein Journalist oder eine Zeitung, sondern die Berichterstattung
"der" Medien. 19 Ihre Wirkung wird zudem gelegentlich durch die individuellen
Reaktionen der Rezipienten kaum kalkulierbar verstiirkt oder abgeschwiicht. 20

19 Ausnahmen davon sind Medienberichte, die nachweislich durch eine bestimmte Redaktion ange-
stoBen wurden, wie z. B. die Berichte tiber Nematoden in Fischen durch das Fernsehmagazin Mo-
nitor. Hier laBt sich die Kausalkette bis zu ihrem Ursprung zurUckverfolgen.
20 Diesen Gedankengang entwickelte Friedrich von Gentz (1818) in seiner Denkschrift iiber "Die

40
Folglich laBt sich die tatsiichliche Wirkung eines Medienberichtes nur ungenau
abschiitzen. Dieser Mangel wird zwar durch die Fortschritte der Medienwir-
kungsforschung kleiner, laBt sich jedoch nicht vollig beheben. Generelle Forde-
rungen nach zweckrationalem Handeln von Joumalisten waren deshalb in der
Regel praktisch nicht erfiillbar. Zugleich kann eine moralische Verantwortung
fUr die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Berichten kaum eingefordert
werden, wenn diese Wirkungen nicht eindeutig auf bestimmte Quellen zuriick-
fiihrbar sind: In der Allgegenwart einer Vielzahl von Medien verfliichtigt sich
- von Ausnahmen abgesehen - die Verantwortung des Einzelnen.

Aus den genannten Griinden kann der Widerspruch zwischen den allgemeinen
Bekenntnissen von Joumalisten und ihren Urteilen iiber konkrete faIle nicht
dadurch geschlossen werden, daB Joumalisten eine moralische Verantwortung
fUr die absehbaren, aber unbeabsichtigten Nebenwirkungen einer solchen Publi-
kation iibemehmen. Die Folge ware die Gefahr einer permanenten Instrumenta-
lisierung der Medien im Dienste angeblich vorgegebener Werte und Ziele, de-
ren Diskussion zu den wesentlichen Aufgaben des Joumalismus gehOrt. Folg-
lich bleibt nur der umgekehrte Weg, die Anpassung der allgemeinen Bekennt-
nisse an die MaBstabe des Verhaltens in konkreten Situationen, und das heiBt
der Verzicht auf rhetorische Konzessionen an gesellschaftliche Erwartungen,
verbunden mit dem allgemeinen Bekenntnis zu wertrationalem und gesin-
nungsethischem Verhalten. Aus dieser Perspektive betrachtet stellen die Veriin-
derungen im joumalistischen Berufsverstiindnis, die oben angesprochen wur-
den, Entwicklungen in die richtige Richtung dar.

Die generelle MiBachtung der moglichen Nebenwirkungen von Berichten und


die generelle Leugnung einer Verantwortung dafiir, liefem bei genauer Be-
trachtung jedoch aus zwei Griinden keine gesellschaftlich akzeptablen Verhal-
tensmaximen. Der erste Grund besteht in der MiBbrauchsmoglichkeit der Wert-
rationalitat und Gesinnungsethik: Mit dem Hinweis auf den Informationsan-
spruch der Offentlichkeit und die Publizitatspflicht der Medien konnen Berichte
gerechtfertigt werden, denen in Wirklichkeit zweckrationale Wirkungsabsichten
zugrundeliegen, ohne daB eine Verantwortung fUr die Nebenwirkungen der
Veroffentlichungen iibemommen wird. Wertrationalitiit und Gesinnungsethik
decken in solchen Fallen ein Verhalten, das nicht gesinnungs- oder verantwor-
tungs-, sondem unethisch ist. Ein Beispiel hierfiir ist die Skandalierung von
MiBstiinden, die eigentlich auf die Entmachtung von Politikem zielt. Diese

Pref3freiheit in England". Von Gentz folgerte aus seiner Analyse, daf3 Pressvergehen nicht nachtriig-
lich strafrechtlich verfolgt werden konnten und deshalb dUTCh Vorzensur verhindert werden miiss-
ten.
41
Problematik kann - weil Webers Konzeption hier zu kurz greift - innerhalb
seines begrifflich-theoretischen Ansatzes nicht sachgercht diskutiert werden.
Der zweite Grund besteht in der Besonderheit von AusnahmefaIlen, denen die
generelle Regel nicht gerecht wird. Andemfalls konnten die Medien z. B. be-
denkenlos rechts- und linksradikalen Aktivisten eine Plattform bieten und in
ihren Informationssendungen Darstellungen extremster Grausamkeiten verOf-
fentlichen. Beides unterbleibt, von einzelnen Ausreillem abgesehen, vor allem
wegen der negativen Nebenwirkungen, die solche Beitriige hervorrufen konnen.

Die Beispiele belegen, daB es AusnahmefaIle gibt, die selbstverstiindlich, d. h.


ohne groBe Meinungsunterschiede, anders als die Normalfalle behandelt wer-
den. Dies wirft die Frage auf, wie dieser Konsens fiber die Behandlung von
Ausnahmefallen zustande kommt. Die Antwort darauf liefert die Kritik an den
generellen Forderungen nach Zweckrationalitiit und Verantwortungsethik. Sie
bestand aus zwei Hauptargumenten: Uber die Ziele des loumalismus besteht in
der Regel kein Konsens und die Wirkungen der Berichte sind meist nicht gut
genug prognostizierbar. Genau dies trifft auf die erwiihnten Beispiele nicht zu.
In solchen Fallen besteht ein breiter Konsens fiber die Ziele - Vermeidung von
Extremismus und Brutalitiit. Zudem liegen hinreichende Erfahrungen mit den
Wirkungen und Nebenwirkungen solcher Berichte vor. Damit entfallen die
beiden Hauptargumente gegen eine zweckrationale und verantwortungsethische
Verhaltensmaxime. Dies fiihrt zu einer allgemeinen Regel mit einer ebenfalls
allgemeinen Ausnahme: Falls kein Konsens fiber Ziele besteht und die Wirkun-
gen der Berichte nicht bekannt sind, sollten sich Journalisten wertrational und
gesinnungsethisch verhalten, falls sie bekannt sind, zweckrational und verant-
wortungsethisch.

42
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43
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Weischenberg et al. (1998) (Hrsg.):Journa/ismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und


Empirie. Opladen.

44
Barbara Thomafi

Berufliche Sozialisation und die Ethik der Medienmacher


Empirische Ergebnisse aus Ausbildungsinstitutionen und
Journalistenorganisationen in drei europiiischen Liindem

In einer vergleichenden Perspektive werden in diesem Beitrag die Vorstellungen der Akteure in
Journalistenausbildung und Journalistenorganisationen in Frankreich, Grossbritannien und Deutsch-
land dargestellt. Konzeptionelle Vorstellungen zu journalistischer Ethik sowie Auffassungen zu
ethischen Problemen der journalistischen Praxis werden der Wahmebmung von Probemlagen und
Uisungsperspektiven in dem jeweiligen Land gegeniibergestellt. Dabei kontrastiert eine pragmati-
sche Herangehensweise in Grossbritanien mit einem sich urn Normensetzung und Grenzziehung
bemiihenden Diskurs in Deutschland und einer sich an der individuellen Reflexionsflihigkeit der
Individuen orientierenden Deblltte in Frankreich.

loumalistische Ethik: Kritische Beobachter der Medienentwickung stellen die


Frage, ob sie iiberhaupt existiere. Und tatsiichlich fallt der Nachweis nicht nur
im Hinblick auf die Alltagserfahrung schwer. Auch im wissenschaftlichen Dis-
kurs ist Ethik eher als nonnative Betrachtung priisent, als daB sie mit Fakten
aufwartet. Empirische Erkenntnisse iiber die ethischen Selbstkonzepte von Me-
dienproduzenten und ihre tatsiichliche Umsetzung sind auf verschiedenen We-
gen zu erlangen:

Zum einen bietet sich die Analyse und Bewertung ihrer Produkte an. Die
Voraussetzung dafiir ist, ein begriindetes nonnatives Raster zur Verfiigung
zu haben, was jedoch - auch wenn man entsprechende Entwicklungen zum
Begriff der Medienqualitiit beobachtet - bisher auf erhebliche Schwierig-
keiten stiel3 1•

- Die Befragung der Medienmacher ist der Weg, der in den jiingsten loumali-
stenenqueten gegangen worden ist, und der das ethische Selbstkonzept von
loumalistinnen und loumalisten zum Beispiel in Hinblick auf ihr Recher-
cheverhalten erhOht hat. 1m Ergebnis sind sie als "eher brav" (Weischen-

I Ausfiihrungen und Konkretisierungen zum Qualitiitsbegriff finden sich unter anderem bei RuB-
Mohl (1994), Reiter/RuB-Mohl (1994), Wallisch (1995), Teichert (1996), Fabris (1996), Karmasin
(1996) und Saxer (1996, S. 160) und Rath in diesem Band.
45
berg, 1994) bezeichnet worden. Sie stimmen in hohem MaBe einem Rollen-
Selbstverstiindnis zu, das sie als neutrale Berichterstatter sieht. Ihre Bereit-
schaft, umstrittene Mittel der Informationsbeschaffung anzuwenden, ist im
Vergleich zu friiheren Untersuchungen gewachsen, aber geradezu angstlich
und schiichtem im Vergleich zu Joumalisten aus den USA2.

- Das Rechercheverhalten stellt jedoch nur einen kleinen Ausschnitt joumali-


stischer Ethik dar. In einem umfassenderen Verstiindnis geht es urn den mo-
ralischen Gehalt von Verhaltensmustem und Grundeinstellungen, urn Wert-
maBstiibe des Berufsstandes und ihre Umsetzung. Ihr Erwerb ist ein Be-
standteil der beruflichen Sozialisation, die unter anderem in der Joumali-
stenausbildung, aber auch in der Kommunikation innerhalb des Berufsstan-
des selbst vonstatten geht. Mit dem Begriff der beruflichen Sozialisation
wird der ,,Aneignungs- und VeriinderungsprozeB von Hihigkeiten, Kenntnis-
sen, Motiven, Orientierungen und Deutungsmustem, die in der Arbeitstiitig-
keit eingesetzt werden konnen", gefaBt (Heinz, 1991, S. 398; Herv. von B.
T.). Diese Relativierung gilt insbesondere flir die Fiihigkeit und Motivie-
rung zu ethischer Reflexion.

Ausbildungsinstitutionen und Joumalistenorganisationen sind als Instanzen der


beruflichen Sozialisation zu verstehen, die ihren EinfluB auf die ,,Macher" ha-
ben und deren Vertreter zum iibergroBen Teil selbst ehemalige Medienprodu-
zenten sind (vgl. ThomaB, 1998, S. 51 ff.). Deshalb werden hier Ergebnisse
einer Untersuchung vorgestellt, die deren Verstiindnis joumalistischer Ethik
zum Gegenstand hat. Die Studie ist komparativ angelegt, da durch solch einen
Vergleich das Spezifische der Berufskultur eines Landes deutlich wird. Vertre-
ter von Ausbildungsinstitutionen und Berufsorganisationen wurden in Frank-
reich, GroBbritannien und Deutschland befragt und ihre Aussagen in einem
qualitativen Verfahren ausgewertef. Dabei wurden in den drei Untersuchungs-
landem alle relevanten Joumalistenorganisationen einbezogen. Unter den Aus-
bildungsinstitutionen konnten in Frankreich die Mehrheit, in GroBbritannien ein
relevanter Anteil detjenigen ausgewiihlt werden, die von entsprechenden Gre-
mien des Berufsstandes als solche anerkannt worden waren. In Deutschland, wo
eine solche berufsstiindische Anerkennung von Ausbildungsinstitutionen nicht
existiert, wurde ein Mix aus Voll- und Autbaustudiengangen der Joumalistik
sowie aus Joumalistenschulen zusammengestellt. DaB der sogenannte
,,K6nigsweg zum Joumalismus" - das Volontariat oder andere Formen des

2 Vgl. Schneider et al. (1993a; 1993b), Weischenberg et al. (1993; 1994), Mahle (1993).
3 Niiheres zur Auswahl der Experten und dem methodischen Vorgehen vgl. ThomaB (1998, S. 61
ff.).
46
"training on the job" - in dieser Vorgehensweise keine Beriieksichtigung fm-
den, hat nieht nur forsehungsokonomisehe Griinde; in den Ausbildungsinstitu-
tionen wird das Werden der Ethik der Medienmaeher dort verfolgt, wo die giin-
stigsten V oraussetzungen im Sinne einer intendierten und lernzielorientierten
Vorgehensweise fUr eine Befassung mit berufsethisehen Problemen angenom-
men werden kann.

Die Erfassung und Abbildung liinderspezifiseher Untersehiede erfolgt anhand


eines Modells, das den Gegenstandsbereieh journalistiseher Ethik strukturiert
und die lange Zeit die deutsehe Debatte beherrsehende Konfrontation iiberwin-
det, welche eine individualethisehe Herangehensweise einer systemethisehen
Betraehtung gegeniiberstellte (vgl. Wilke, 1996). Das Modell baut auf der Uber-
legung auf, daB sieh in einem vielsehiehtig ausdifferenzierten Mediensystem
seehs versehiedene Ebenen bzw. medienethisehe Inhaltsbereiehe unterseheiden
lassen, innerhalb derer Bedingungen flir ethisehes Handeln liegen und die
gleiehzeitig als Reiehweiten fUr die Handlungen von Akteuren gelten konnen4 •

- Auf einer metaethisehen Ebene geht es urn die Prinzipien einer Medienethik.
- Auf einer gesellsehaftspolitisehen Ebene werden diese Prinzipien vor dem
Hintergrund ihrer historisehen und gesellsehaftliehen Entstehung diskutiert
und gestaltet.
- Auf der medienpolitisehen Ebene ist naeh dem Rahmen zu fragen, innerhalb
dessen sich Mediensysteme und Medienunternehmen organisieren; Medien-
politik gibt unterhalb der gesellsehaftspolitisehen Ebene einen Rahmen flir
Medienethik vor.
- Auf der Organisationsebene steht das Handeln der einzelnen Medienunter-
nehmen als Subjekten der Pressefreiheit im Mittelpunkt.
- Auf der berufsbezogenen Ebene sind die normativen Anspriiehe an journali-
stisches Handeln und ihre Umsetzung relevant.
- Und auf der personalen Ebene geht es urn die Gestaltungsmogliehkeiten, die
sowohl der einzelne Journalist wie die einzelne Rezipienten bei der Teilhabe
an Medienkommunikation haben.

Medienethisehe Fragen, die Besehreibung von Konfliktfeldern, praktisehe Di-


lemmata, Perspektiven fUr mogliehe Korrektive und Handlungsorientierungen
konnen anhand dieses Modells priiziser gefaBt und Interdependenzen aufgezeigt

4 Vgl. Loretan (1994, S. 61 f.) und Thomall (1998, S. 31).


47
werden. Denn: "Nur arbeitsteilig, von allen Positionen der Medienkommunika-
tion her ( ... ) kann gesamtgesellschaftlich verantwortliche Medienethik realisiert
werden" (Saxer, 1996, S. 152). Und auch Gemeinsamkeiten und Abweichungen
im medienethischen Verstiindnis zwischen den Medien- und Berufskulturen
einzelner Staaten lassen sich anhand dieses Modells abbilden.

In der vorliegenden Untersuchung sind liinderspezifische Unterschiede bereits


bei der Frage zutage getreten, auf welcher Ebene medienethische Verantwor-
tung zugeschrieben wird. Betrachtet man die Aussagen der Vertreter franzosi-
scher Ausbildungsinstitutionen vor dem Hintergrund dieses Mehr-Ebenen-
Modells, so betonen sie die individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Jour-
nalisten, beziehen aber den Kollegenkreis in der Redaktion in diese Verant-
wortlichkeit mit ein, nehmen also eine Zuordnung vor, die unterhalb der Orga-
nisationsebene liegt. Typisch fUr diese Auffassung ist folgende Aussage eines
Ausbildungsvertreters aus einer privatrechtlich organisierten Joumalistenschule:

"Pour nous Ie travail journalistique, c'est un travail d'equipe, c'est pas un individu
tout seul dans son coin, et donc la plupart des questions de ce type, me semble-t-il,
sont des decisions d'ordre collectif. Apres 9a, Ie joumaliste il se trouve confronte
un peu a lui-meme dans un certain nombre de cas ( ... )".

Vertreterinnen und Vertreter franzosischer Joumalistenorganisationen greifen


vorwiegend auf ein Konzept der gestuften Verantwortlichkeit zuriick, welches
die Reichweite unterschiedlicher Medienakteure und Teile des Mediensystems
in Rechnung stellt (vgl. Purer, 1992). Dabei liegt fUr die Befragten der Schwer-
punkt auf einem Zusammenspiel der individuellen Ebene mit der Untemeh-
mensebene, die durch den Chefredakteur repriisentiert wird, und der berufsbe-
zogenen Ebene, also der Joumalistenorganisationen selbst.

Auch bei britischen Vertretem von Ausbildungsinstitutionen Hillt sich solch ein
Konzept der gestuften Verantwortlichkeit fmden. Sie sehen allerdings den Frei-
raum des Individuums innerhalb des Mediensystems und des einzelnen Unter-
nehmens als relativ beschriinkt an, wie es folgendes Zitat deutlich macht:

"So what we are saying to the students is, as journalists you are making your own
decisions about ethics, but not always in circumstances that you can choose. So
you have to understand the media contacts, media structures, political economy
and all that kind of thing ( ... ) in order to then understand, what constraints there
are on you making your own decision".

48
Unter den britischen Joumalistenorganisationen liiBt sich im Hinblick auf die
Verantwortungszuschreibung in dem genannten Modell kein homogenes Bild
erstellen.

In Deutschland betonen Vertreterinnen und Vertreter von Ausbildungsinstitu-


tionen stark die individuelle Verantwortlichkeit, wobei sie ansatzweise auch die
Bedingungen, die das einzelne Untemehmen sowie das Mediensystem stellen,
mit einbeziehen. Aber trotz der Zwange, die das Mediensystem bereithiilt, wird
an der Verantwortung des einzelnen Joumalisten festgehalten, wie es ein Ver-
treter eines Joumalistik-Studienganges formuliert:

"Also ich denke, die Verantwortung des einzelnen Joumalisten steht eigentlich
immer im Vordergrund, wobei wir natiirlich nicht illusionistisch daran gehen, und
sagen, daB die Sache damit gelaufen ist, wenn personlich ethisch fundiertes gutes
Handeln vorliegt. Das wissen wir ja alle, daB das nicht der Fall ist, und daB es
dann meistens doch eher auf die Institution ankommt (... )".

Demgegeniiber sprechen die Vertreterinnen der Joumalistenorganisationen einer


gestuften Verantwortlichkeit das Wort, und betonen dabei nachdriicklich die
Rolle des gesamten Mediensystems, die das Verhalten der einzelnen Joumali-
sten nachhaltig bestimmen wiirde.

Versucht man die Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Experteninter-


views zur Verantwortungszuschreibung in einer Uberblicksdarstellung zu kon-
zentrieren, die die genannten Ebenen der Medienethik zugrundelegt, so ergibt
sich das nachfolgende Bild (vgl. Tabelle I). Dabei wird die Ebene der Meta-
ethik in dieser und den folgenden Tabellen auBer acht gelassen, da sie fUr die
Auswertung der Aussagen keine Relevanz hatte.

Diese Darstellung, mag sie auch den Eindruck erwecken, daB qualitative Ergeb-
nisse letztlich in eine quantitative Betrachtung umgewandelt worden sind, ver-
folgt lediglich den Zweck, Tendenzen des Antwortverhaltens zu konzentrieren
und zu visualisieren. Auch lassen sich - wie spiiter folgt - auf diese Weise
auch Aussagen zu verschiedenen Untersuchungsbereichen innerhalb eines Lan-
des biindeln.

Markante Unterschiede lassen sich auch bei der Beschreibung der dominieren-
den ethischen Konfliktfelder feststellen. Zu der Frage, welche ethischen Pro-
bleme die Befragten im Joumalismus ihres Landes erkennen, sind nach der
vorwiegenden Auffassung der franzosischen Ausbildungsexperten vor allem
zwei Bereiche fUr Fehlleistungen im Journalismus iiuBerst anHillig: die Zirkel

49
der eng mit der politischen Macht verbundenen Pariser Journalistinnen und
Journalisten, sowie der Femsehjoumalismus, vor allem im kommerziellen Sek-
tor. 1m einzelnen werden den BerufsangehOrigen Korrumpierung sowie man-
gelnde Sach-, Fach- und Vermittlungskompetenz vorgeworfen.

TabeUe 1: Verantwortung

Frankreich GroBbritannien Deutschland


AI 10 AI 10 AI 10
Gesellschaft x
Mediensystem x x
Untemehmen x x
Berufsstand x
Individuum x x x
Al = Ausbildungsinstitutionen. JO = Joumalistenorganisationen

Auch die Expertinnen und Experten der Joumalistenverbande und -gewerk-


schaften haben insgesamt eine kritische Sicht auf die Leistungen der Medien
und sehen sich selbst dabei durchaus als mitverantwortlich. Selbstkritisch ist die
Benennung der zunehmenden Sensationsberichterstattung sowie der abnehmen-
den professionellen Kompetenz, die sich insbesondere an der Verletzung
grundlegender handwerklicher Regeln - wie beispielsweise der nicht erfolgen-
den Verifizierung von Fakten - festmacht. Auch die Aufgabe einer journalisti-
schen Unabhangigkeit, die allerdings nur bei einem kleinen Kreis von StaIjour-
nalisten beklagt wird, gehOrt dazu.

Die Vertreter der britischen Ausbildungsinstitutionen haben eine auff!illig un-


einheitliche Wahmehmung vom ethischen Standard des britischen Journalis-
mus, die von einer grundsatzlichen Verurteilung der britischen Journalisten als
ganzlich unethisch bis bin zu ihrer uneingeschriinkten Verteidigung reicht. Un-
terhalb soleh einer generellen Einschatzungen werden eine Hille von Problemen
genannt, von denen jedoch keines besonders hervorsticht. Als wiederkehrendes
Motiv, das einzig eine gemeinsam empfundene Wertung ausdriickt, werden das
kritikwiirdige Verhalten der Boulevardpresse im Unterschied zum Bemiihen
und Realisieren eines hohen Standards auf Seiten der BBe genannt. An kon-
kreten Fehlleistungen werden dem Joumalismus vor allem Ungenauigkeit und
F ehlerhaftigkeit vorgeworfen.

50
In den Auffassungen der britischen Experten aus den Journalistenverbiinden zu
den ethischen Standards im Journalismus ihres Landes iiberwiegt das Problem
der Wahrung der Personlichkeitsschutzrechte sowie die Verurteilung bestimm-
ter Praktiken der Boulevardpresse. Wahrgenommene Fehlleistungen werden
allerdings als Ausnahmen einer an sich akzeptablen Berufsausiibung der Kolle-
gen gesehen, die einzig den Mitarbeitern des Murdoch-Konzerns zuzuschreiben
sind. Dariiberhinaus wird der restriktive Charakter und die ebenso einschriin-
kende Handhabung presserechtlicher Vorschriften beklagt.

Die deutschen Experten in den Ausbildungsinstitutionen beobachten einen


Qualitiitsverlust aufbreiter Front und die Aufweichung bisher giiltiger journali-
stistischer Standards. Die Brutalisierung der Informationsgebung und eine nur
unzureichend bewiiltigte Informationsflut sind weitere Kritikpunkte. Fehlent-
wicklungen werden dabei eher dem gesamten Mediensystem als einzeInen Jour-
nalisten zugeschrieben, auch wenn es in einzeInen Aussagen durchaus die Kritik
an der Karriereorientierung mancher Journalisten oder an der Geldgier eines
Michael Borns gibt. Implizit werden die Implikationen der Ethik also weit jen-
seits der Reichweite des EinzeInen interpretiert.

Auch die Beobachtung der Expertinnen von den deutschen Journalistenverbiin-


den iiber Fehlentwicklungen lassen sich resiimierend als ein Schwinden ethi-
scher MaJ3stiibe und Kriterien im konkreten HandeIn der Journalistinnen und
Journalisten beschreiben. AuBerdem fmdet sich in der Argumentation der Be-
rufsorganisationen ebenfalls die Kritik an individuellen Verhaltensweisen ein-
zeiner Journalisten.

Die Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Experteninterviews zu Pro-


blembeschreibungen konnen ebenfalls iiberblicksartig in dem Mehr-Ebenen-
Modell wiedergegeben werden (siehe Tabelle 2).

In einem weiteren Auswertungsschritt wurde danach gefragt, welche Ursachen


die Experten flir die genannten Probleme sehen. Ursiichlich fUr unzureichende
journalistische Leistungen in ethischer Hinsicht werden von franzosischen Aus-
bildungsvertretern vor allem die Arbeitsbedingungen gesehen, deren Auswir-
kungen durch eine mangelhafte Ausbildungssituation im Journalismus noch
verschiirft wiirde. Dariiberhinaus wird die Abwesenheit eines Selbstkontrollor-

S Michael Born, ein freier TV-Journalist, verkaufte23 ganz oder zum Teil geflilscbte Bericbte an
Stem-TV und wurde dafiir im Dezember 1996 zu vier Jahren Haft verurteilt.
51
gans thematisiert und die wachsende Rolle der Public Relations in der offentli-
chen Kommunikation problematisiert.

Tabelle 2: Probleme

Frankreich GroBbritannien Deutschland


AI JO AI JO AI JO
Gesellschaft
Mediensystem x x
Untemehmen x x
Berufsstand x x
Individuum x x x x
AI = Ausbiidungsinstitutionen, JO = Joumaiistenorganisationen

Auch die franzosischen Joumalistenorganisationen sehen Fehlentwicklungen im


gesamten Mediensystem als Ursachen fUr die beobachteten MiBstiinde: Medien-
konzentration und das Engagement branchenfremden Kapitals, das neue MaB-
stiibe in die publizistische Tatigkeit einfiihrt, der Umgang mit neuen Technolo-
gien in der joumalistischen Arbeit, aber auch die starken Veriinderungen, die
sich innerhalb der Berufsgruppe ergeben haben, werden als Ursachen fUr ethi-
sche F ehleistungen genannt.

Bei der Aufdeckung der Hintergriinde zum ethischen Standard im britischen


Joumalismus fiihren die Befragten aus den Ausbildungsinstitutionen ein allge-
mein niedriges Niveau der ethischen Reflexion als nationalspezifische Beson-
derheit an. AuBerdem spielt die Abwesenheit eines Rechtes auf Information in
der britischen Gesetzgebung eine gewichtige Rolle im Kontext der Beurteilung
des Verhaltens von Joumalisten. Sie - so die wiederkehrende Einschatzung -
habe priigende Auswirkungen fiir die Praxis der Medienethik. Eine Fiille von
allgemeinen Gesetzen habe auBerdem erhebliche restrlktive Auswirkungen auf
die Informationsfreiheit, sodaB ungeziigeltes Verhalten der Medien, vor allem
der Boulevardpresse, als Reaktion auf diese Einschrlinkungen zu sehen sei (vgl.
Stephenson, 1994, S. 26).

Ursachlich fiir MiBstiinde innerhalb des ethischen Verhaltens werden von den
Berufsorganisationen die Strategien des Murdoch-Konzems, in einer weiterge-
henden Erklarung die Prozesse der Pressekonzentration beschrieben, die zu
einer AushOhlung der joumalistischen Unabhlingigkeit gefiihrt haben.
52
Die Expertinnen und Experten aus den Ausbildungsinstitutionen in Deutschland
sehen die Ursachen fUr die wahrgenommenen ethischen Probleme im Zusam-
menhang mit der Kommerzialisierung im gesamten Mediensystem und weisen
damit weit tiber in die individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Journali-
sten hinaus. Die Privatisierung und gestiegene Konkurrenz in elektronischen
Medien, die Technisierungen im Printbereich, Kosten- und Personaleinsparun-
gen in den Redaktionen und das mangelnde gesellschaftliche BewuBtsein von
der Notwendigkeit journalistischer Unabhiingigkeit fUr die Funktionalitat gesell-
schaftlicher Massenkommunikation - aIle diese Faktoren werden fUr den Qua-
litatsverlust, in dem ethische Standards als eine Komponente gesehen werden,
verantwortlich gemacht.

Ahnlich beschreiben die Expertinnen aus den Journalistenorganisationen


Deutschlands die Kommerzialisierung des Mediensystems, die ihre Folgen in
einer Verschlechterung der Handlungsbedingungen der Redaktionen und der
einzelnen Joumalistinnen und Journalisten hat. Als vermittelnde Ebene, auf der
sich der wahrgenommene Druck auf die Journalistinnen und Joumalisten fort-
setzt, werden die Redaktionen genannt, also konkrete Einheiten innerhalb der
Medienuntemehmen, in denen bestimmte Diskussions- und Korrekturleistungen
nicht mehr erbracht werden.

In dem Mehr-Ebenen-Modell bildet sich die Tendenz des Antwortverhaltens zur


Frage nach den Ursachenjournalistischer Fehlleistungen wie folgt ab:

Tabelle 3: Ursachen

Frankreich GroBbritannien Deutschland


AI 10 AI 10 AI 10
Gesellschaft x
Mediensystem x x x x x x
Untemehmen x x x
Berufsstand x x
Individuum x x x x
AI = Ausbildungsinstitutionen. 10 = Joumaiistenorganisationen

Ein weiterer Schritt der Auswertung galt der Frage, wie die Befragten mogliche
Losungsperspektiven im Hinblick auf die wahrgenommenen Probleme denken.
53
1m Vordergrund der Uberlegungen zur Hebung ethischer Standards im franzosi-
schen Journalismus stehen bei den Experten der Ausbildungsinstitutionen die
Aspekte Reflexion und Diskurs, die in allen denkbaren Bereichen des Berufs-
standes initiiert werden sollten. Dariiberhinaus werden eingehend die Moglich-
keiten der Ausbildung gewogen und fUr unabdinglich erachtetet. Die Bedingun-
gen, die Gesetzgebung und Kodifizierungen setzen konnen, spielen eine geringe
Rolle. Nur vereinzelt werden Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit einbe-
zogen und MaBnahmen zur Sicherung der Qualitat journalistischer Produkte
angesprochen.

Die von den Berufsorganisationen diskutierten Losungsperspektiven lassen sich


in einer dreifachen Abstufung einordnen:

- die appellative Forderung nach Intensivierung von Aufldiirung und Reflexi-


on, um auf der individuellen Ebene Veriinderungen zu erreichen;

- die St!rkung von selbstregulativen MaBnahmen (ErhOhung der Verbindlich-


keit von Kodizes und Ausbau der Sanktionsmoglichkeiten);

- der Blick auf die Strukturen, innerhalb derer Journalismus stattfindet, insbe-
sondere seiner organisatorischen und okonomischen Rahmenbedingungen.

Die britischen Vertreter der Ausbildung sehen vor allem in der Journalistenaus-
bildung ein wichtiges Mittel, Ethik im Berufsstand zu bef6rdem, wobei sie auf
die dem Begriff der Ethik innewohnende Notwendigkeit zur Reflexion sowie
auf den Nutzen des Diskurses verweisen.

Die Wirksamkeit von Kodizes, die sowohl die Press Complaints Commission,
die eine Gremium nur der Zeitungsverleger ist, als auch die Journalistengewerk-
schaften National Union of Journalists (NUJ) und Chartered Institute of Jour-
nalists (CIOJ) herausgegeben haben, wird von Experten aus britischen Journali-
stenorganisationen einheitlich positiv eingeschiitzt, und auch von der Vermitt-
lung von Ethik-Inhalten in den Journalistenschulen erwarten sich diese Experten
positive Auswirkungen.

Ausbildungsexperten in Deutschland messen vor aHem der Ausbildung einen


hohen SteHenwert fUr die Hebung ethischer Standards bei. Auch die St!rkung
bestehender Strukturen der Selbstkontrolle einschlieBlich der Rolle der Berufs-
organisationen wird angesprochen, und es werden schiirfere Sanktionsmoglich-
keiten gegeniiber journalistisch-ethischen Verfehlungen erwogen.

54
Innerhalb der deutschen Joumalistenorganisationen werden Losungsperspekti-
ven ebenfalls einhellig beim joumalistischen Nachwuchs gesehen, der in der
Ausbildung mit mehr ProblembewuBtsein ausgestattet werden solI. Die eigenen
Organisationen werden als wesentlicher Motor begriffen, den Diskurs iiber
joumalistische Ethik zu intensivieren und voranzutreiben. Auch die Veriinde-
rung von Arbeitsbedingungen wird als Ansatzpunkt flir eine Hebung ethischer
Standards begriffen.

Die Visualisierung des Antwortverhaltens zur Frage nach den Losungsperspek-


tiven auf den genannten Ebenen ergibt folgendes Bild:

Tabelle 4: Losungsperspektiven

Frankreich GroBbritannien Deutschland


AI JO AI JO AI JO
Gesellschaft
Mediensystem x
Untemehmen x x
Berufsstand x x x x x x
Individuum x x x x
AI = Ausbiidungsinstitutionen, JO = Journaiistenorganisationen

In der Praxis der verschiedenen Joumalistenausbildungen hat sich in dem MaGe,


wie ein berufsethischer Diskurs als notwendiger Ausbildungsbestandteil aner-
kannt wurde, die Frage gestellt, ob man iiberhaupt Ethik "lehren konne". Eine
Antwort darauf wurde in der vorliegenden Untersuchung mithilfe der Analyse
sowohl der Inhalte - zum Beispiel der behandelten ethischen Problemstellun-
gen in der joumalistischen Praxis - als auch der Methoden gegeben, die in der
Vermittlung von Ethik in den Ausbildungsinstitutionen zu fmden sind.

Die Befassung mit Ethik im Rahmen der Joumalistenorganisationen wurde


unter anderem im Hinblick darauf untersucht, auf welcher Ebene mogliche
Handlungsorientierungen wahrgenommen und realisiert werden. AufschluBreich
ist in diesem Zusammenhang, wie die Herangehensweisen in der Vermittlung
von bzw. der Befassung mit Ethik eine Entsprechung zu den Schwerpunkten
darstellen, die sich in Bezug auf das Mehr-Ebenen-Modell innerhalb der Unter-
suchungsHinder ergeben haben.

55
In Frankreich gelten die vordringlichen Orientienmgen der Reflexionsiahigkeit
der Individuen. Bei den Lernzielen der Ausbildungsinstitutionen, die mit der
Ethikvermittlung verfolgt werden, stehen intellektuelle Kompetenzen wie eine
problemorientierte Denkungsart, die Reflexions- und Argumentationsiahigkeit
in ethischen Fragen im Mittelpunkt, wie es zugespitzt in folgendem Zitat zum
Ausdruck kommt:

"L'important c'est la maniere dont on raisonne c'est a dire, les cadres intellectuels
qu'on a pu creer chez les etudiants, c'est les, en quelque sorte les (...) ressources
mentales que l'on a pu mettre, les mecanismes que ron a pu leur donner, leur in-
culquer, parce que ce sont cela qui vont fonctionner jusqu'au bout. Et ce sont cela
qui vont faire de bon ou de mauvais esprit. Si vous voulez c'est la-dessus qu'il faut
insister, c'est Ie mecanisme intellectuel it acqu6rir".

1m Riickgriff auf die fUr die franzosische Philosophiegeschichte bedeutsamen


Moralisten, die statt der Orientierung an Normen die Reflexion und Verstiindi-
gung in den Mittelpunkt ihrer ethischen Bemiihungen stellten, liiBt sich feststel-
len, daB sich diese Tradition rudimentiir in der Herangehensweise der franzosi-
schen Ausbildungsexperten wiederfindet. Dies spiegelt die starke Betonung der
individuellen Ebene wider, die die Auswertung der Experteninterviews in der
Frage der Verantwortungszuschreibung, der Problembeschreibungen, der Ursa-
chenanalyse und der Losungsperspektiven ergeben hat und die hier als frank-
reichintemer Vergleich wiedergegeben wird.

Tabelle 5: Frankreich

Verantwortung Probleme Ursachen LOsungen


AI JO AI JO AI JO AI JO
Gesellschaft
Mediensystem x x
Untemehmen x x x
Berufsstand x x x x x
Individuum x x x x x x
AI =Ausbildungsinstitutionen, JO = Joumalistenorganisationen

1m Unterschied zu den Ausbildungsinstitutionen, die die individuelle Ebene


sehr stark betonen, agieren die franzosischen Joumalistenorganisationen, wenn
es um ethische Fragen geht, sowohl auf der professionellen als auch auf der

56
Untemehmensebene und versuchen dariiber hinaus, die Debatte in weitere ge-
sellschaftliche Kreise zu tragen.

In GroDbritannien wird ebenfalls die Reflexionsfiihigkeit der angehenden Jour-


nalisten fUr ethische Dilemmata als Lernziel der Vermittlung von Ethik ange-
strebt. Allerdings wird dariiber hinaus stark die Notwendigkeit der Einbettung
dieser Reflexion in die tatsiichlichen Bedingungen, unter denen journalistisches
Handeln stattfmdet und aufgrund derer es ausgerichtet werden muD, betont:

''What I think the university does, what I try to do, is to present students with si-
tuations that they could encounter while they are working as journalists. Where
there are not any legal sanctions, where there aren't any punitive measures that can
be taken, but where they have to decide themselves as a matter of conscience,
wether they will do or not do certain things such as revealing sources of informa-
tion",

Eine iiuBerst pragmatische Herangehensweise, die jeweils am Einzelfall argu-


mentiert, legen die britischen Experten dabei an den Tag, sowohl im Hinblick
auf Inhalte wie auch auf Methoden. Ebenso fmden sich in Niitzlichkeitserwii-
gungen, welche bei der Beurteilung einzelne ethischer Dilemmata eine Rolle
spielten, Rudimente utilitaristischer Denkungsart, verstanden als eine Orientie-
rung am empirisch Vorfmdbaren und der Betonung des Handlungsaspektes. In
dieser einzelfallorientierten Pragmatik laBt sich eine Entsprechung zu der Un-
einheitlichkeit und Unklarheit erkennen, mit der wie oben ausgefiihrt die Ver-
antwortungszuschreibung, Problembeschreibungen, Ursachenanalyse und LO-
sungsansiitze in dem Mehr-Ebenen-Modell eingeordnet werden.

Tabelle 6: GroObritannien

Verantwortung Probleme Ursachen LOsungen


AI 10 AI 10 AI 10 AI 10
Gesellschaft x
Mediensystem x x x x
Untemehmen x x x x
Berufsstand x x
Individuum x x
AI = Ausbildungsinstitutionen, 10 = Journalistenorganisationen

1m Unterschied zu den Ausbildungsinstitutionen, die vor allem die Untemeh-


mensebene und das gesamte Mediensystem im Blick haben, agieren britische
57
Journalistenorganisationen, wenn es um ethische Fragen geht, vorwiegend auf
der individuellen Ebene, und beziehen dabei nur bedingt die Profession mit ein,
ohne Rahmenbedingungen die die jeweilige Untemehmensorganisation oder das
Mediensystem insgesamt stellen, weiter in Rechnung zu stellen.

In Deutschland ist die Herangehensweise in der Journalistenausbildung vorwie-


gend von dem starken Bemiihen um Normensetzungen und Grenzziehungen
gepriigt, we1che das Individuum zu ethisch angemessenem Verhalten befahigen
sollen. Die ,,Achtung vor der Wiirde des Menschen" ist dabei das zentrale Prin-
zip, das in ahnlich lautenden Formulierungen mehrfach genannt wird. So sollen
Anstand und Menschenwiirde Bestandteil des Selbstverstiindnisses der Absol-
ventinnen und Absolventen sein, die Achtung des anderen neben der Wahrung
des Selbstrespekts oder auch die Achtung gegeniiber Andersdenkenden werden
eingefordert, oder es wird der Grundsatz aufgestellt "Beachte die Gesetze der
FairneB und des Anstandes in der Praxis".

Die Suche nach und Vermittlung von grundlegenden ethischen Prinzipien folgt
dabei einer philosophischen Denkungsart, der die allgemeingiiltige Begriindung
von Prinzipien in der Ethik ein wichtiges Anliegen gewesen ist. Sie kann als
andere Art der Antwort auf die Tatsache gesehen werden, daB auch hier Ver-
antwortungszuschreibung, Problembeschreibung, Ursachenanalyse und Lo-
sungsansiitze in dem Mehr-Ebenen-Modell sehr vielschichtig gesehen werden.

Deutsche Joumalistenorganisationen sind in der Befassung mit ethischen Fragen


im Unterschied zu den Orientierungen der Ausbildungsinstitutionen vor allem
auf der Professions- und auf der Untemehmensebene tiitig.

Tabelle 7: Deutschland

Verantwortung Probleme Ursachen Losungen


AI JO AI JO AI JO AI JO
Gesellschaft
Mediensystem x x x x
Untemehmen x x
Berufsstand x x x x
Individuum x x
AI = Ausbiidungsinstitutionen, JO = Journaiistenorganisationen

58
In ihrer berutliehen Sozialisation in Ausbildungsinstitutionen und Berufsorgani-
sationen werden die Journalistinnen und Journalisten mit einer Fiille von unter-
sehiedliehen Konzepten konfrontiert, die durchaus widerspriiehlieh sind -
ebenso wie die Praxis, in der sie agieren. Dieser Befund gilt nieht nur fUr die
vergleiehende Betrachtung, sondern aueh fUr die Analysen, die fUr die Ausbil-
dungsinstitutionen und die Berufsorganisationen innerhalb eines Landes vorge-
nommen worden sind. Soleh eine Auseinandersetzung mit journalistiseher Ethik
auf untersehiedliehen Ebenen kann die Sensibilitiit fUr die Komplexitiit der
Thematik seharfen. Das hat allerdings zur Voraussetzung, daB die Reiehweite
fUr Verantwortliehkeit, die Abgrenzung medienethiseher Inhaltsbereiehe, ihre
gegenseitige Interdependenz, also aueh die BeeintluBbarkeit der einen Ebene
dureh die andere, ausgelotet, erkannt und diskutiert werden. Das bedeutet kei-
nesfalls, daB der Einzelnenje aus der Verantwortung entlassen wiirde. Ais nor-
mative Vorgabe aus diesen empirisehen Ergebnissen festzuhalten, daB das Be-
wuBtsein fUr diese Verantwortung zu starken ist, heiSt nieht, den Journalisten
die alleinige Biirde fUr ethisehe Standards aufzuladen. SehlieBlieh gibt es den
weiteren Rahmen der Medienethik, in der ganz andere Akteure anzuspreehen
sind.

59
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61
Matthias Rath

Kann denn empirische Forschung Sunde sein?


Zum Empiriebedarf der angewandten Ethik

Spatestens seit George Edward Moores Diktum yom "naturalistischen Fehlschlu1l" ist das Verhalt-
nis zwischen normativer Ethik und empirischer Forschung zumindest ein Problem. Denn entweder
soli Empirie als Beleg fiir die Geltung normativer Satze herhalten und wird damit logisch inkonsi-
stent (genau dies kritisiert Moore), oder aber Empirie kann lediglich die Bedingungen moralisch
empiirender Realitiit bzw. die Folgen der Anwendung moralischer Prinzipien aufzeigen und scheint
damit, zumindest fiir den Mainstream philosophischer Ethik, irrelevant fiir die ethische Begriin-
dungsproblematik.
Mit der noch verhaltnismiiBig jungen "applied ethics" jedoch bahnt sich ein Wandel an. Ange-
wandte Ethik, versteht sie sich als Reflexion auf die moralisch relevanten Probleme eines Hand-
lungsfeldes und erhebt sie den Anspruch, in diesem Handlungsfeld zu agieren, kommt mit der
Empirie in dreierlei Weise in Kontakt:
Sie bedarf der empirischen Forschung zu diesem Handlungsfe\d, urn iiberhaupt sinnvo11e Aus-
sagen machen zu konnen, die die Sachgesetzlichkeit des Handlungsfeldes tref'fen. Dies beginnt
bei den okonomischen, technischen und politischen Strukturen und geht bis hin zur Frage, wel-
che Motivlagen und Uberzeugungen die Protagonisten eines Handlungsfeldes lei ten.
Sie ist Themengeberin fiir die empirische Forschung, sofem sie auf die empirisch erforschungs-
bediirftige, moralischen Fragen hinweist, zum Beispiel auf die Geltung und Wirkung standes-
moralischer Kodizes.
Sie erhalt thematischen Input von der Forschung, sofem diese ihre eigene Nichtzustiindigkeit in
normativen Fragen erkennt und diese an die Ethik weitergibt.
Fiir die Medienethik und die Medienwirkungsforschung spezifiziert sich diese Beziehung vor aHem
in dem komplex en Bereich eines "media assessment", der, iihnlich zum "technology assessment",
die realen Bedingungen des Handlungsfeldes Medien zu beleuchten, Folgen medialer Produktion,
Distribution und Rezeption zu erfassen und unter politischen, kulture11en und okonomischen
Aspekten zu bewerten hatte. Umrisse eines solchen "media assessment" soHen aufgezeigt werden.

1. Vorbemerkungen

Die Bertelsmann-Stiftung stellte 1998 ihren alljiihrlich vergebenen Carl-


Bertelsmann-Preis unter das Thema "Kommunikationsordnung 2000 - Inno-
vation und Verantwortung in der Informationsgesellschaft". Preistriiger wurden,
gleichberechtigt, die kanadische AufsichtsbehOrde fUr Rundfunk- und Tele-
kommunikation CRTC und die Selbstkontrollorganisation fUr das Internet
RSAC (vgl. Hamm & Waltermann, 1998). Festredner der Preisverleihung war
kein geringerer als Roman Herzog. In seiner Rede zitierte der damahlige deut-
63
sche Bundespriisident den amerikanischen Medienforscher Eli Noam, der darauf
hingewiesen habe, es sei notwendig, auch die "Nebengerliusche" der Me-
dienentwicklung in den Blick zu nehmen. Noam meinte damit die gewollten
und ungewollten politischen, gesellschaftlichen und okonomischen Folgen der
Medientechnologie. Herzog rief nun dazu auf, eben diese "Nebengerliusche" zu
erfassen und zu entscheiden, welche wir wollen und welche nicht.

Dieses, fur den medienrechtlich ausgewiesenen Verfassungsjuristen Herzog


nicht ungewohnliche Statement enthlilt die wichtigen Elemente, denen man sich
in Bezug auf unser Thema stellen mull:

l. Entwicklung erzeugt nicht nur das angestrebte Ziel, auf das hin diese Ent-
wicklung vorangetrieben wird, sondem erzeugt auch Randphlinomene; Eli
Noam nennt sie ,,Nebengeriiusche", die nicht mit der Zielvorgabe immer
schon mitgesetzt sind. Interessant ist, daB fur Noam diese Nebengerliusche
nicht glinzlich unbeabsichtigt sind, sondem er auch hier noch Spielraum fur
Intentionen sieht.

2. Herzog fordert nun, diese Nebengerliusche nicht zu iiberhOren, sondem sie


zu erfassen - ich interpretiere dies in meinem Zusammenhang als Auffor-
derung zur empirischen Forschung, zur Medienwirkungsforschung.

3. Dariiber hinaus aber fordert der Bundesprlisident, sich dann, nach der Erfas-
sung und Erforschung dieser Nebengerliusche, dieser Medienwirkungen, zu
entscheiden - das heiBt, eine Aussage dariiber zu machen, welche Nebenge-
rliusche als "gesollt" gelten sollen und welche nicht.

Gerade der letzte Punkt interessiert besonders, ist doch der Ethiker Vertreter
einer Zunft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eben solche Entscheidungen
iiber "Sollen" zu untersuchen - nicht ihrerseits empirisch, sondem philo so-
phisch, das heiBt, so zu untersuchen, daB deutlich wird, welche Prliferenzen
fuglich vertreten werden konnen und welche nicht. Empirische Beweise sind
dabei ihre Sachen nicht - warum, werden ich noch erklliren. Das MaB ethi-
scher Argumentation ist zumeist die Plausibilitat und vemiinftige Akzeptanz,
was, zumindest auf den ersten Blick, in der Scientific Community nicht allzu
stark daher kommen magI. Diese Beschrlinkung des argumentativen Gewichts

1 Und all zu oft wird diese begriindungstheoretische Einschriinkung als Ubertragung sozial aner-
kannter Konventionen und Nonnen miBverstanden, also mit "Moral" verwechselt, auch wenn diese
dann "Ethik" genannt wird, vgl. hierzu z. B. Renckstorf(1992, v. a. S. 144) oder die ansonsten sehr
aufschluBreichen Gutachten zur journalistischen Standesmoral und zu joumalistischen Professiona-
64
ethischer Aussagen stellt jedoch nur auf den ersten Blick einen Mangel an wis-
senschaftlicher Stringenz dar. So sind zum Beispiel wissenschaftstheoretische
Normen, also Prinzipien, die festlegen, was eine ,,harte" oder weniger ,,harte"
Wissenschaft allererst ausmacht, ebenso wenig "beweisbar" wie moralische
Prinzipien. Fiir die grundsatzlichen, normativen Fragen scheint also mit einem
empiristischen Ansatz nichts gewonnen zu sein. Warum ist das so?

2. Zur Sunde der Empirie

Wie laBt sich das Verhaltnis von Empirie und Ethik beschreiben? Zunachst muB
man je einen Begriff von Ethik und Empirie haben und diesen dann einander
gegeniiberstellen. Unter ,,Empirie" verstehe ich jene methodische, auf Beschrei-
bung der direkt oder indirekt wahrnehmbaren Wirklichkeit ausgehende For-
schung, die sich als Grundlage aller aus ihr ableitbaren oder, je nachwissen-
schaftstheoretischer Schule, zumindest mit ihr im Einklang sich befmdenden
Erkliirnngsmodelle dieser Wirklichkeit versteht.

2.1 Was ist Ethik?

Erkliiren solI Ethik die Wirklichkeit nicht. "Ethik" gehOrt zu den Disziplinen der
sogenannten "praktischen Philosophie". Damit sind jene Teildisziplinen ge-
meint, die die menschliche Praxis, also das menschliche Handeln, zu ihrem
Objekt gemacht haben.2 Verstehen wir unter Moral den in einer bestimmten
Gruppierung, Gemeinschaft oder Gesellschaft geltenden Komplex an Wertvor-
stellungen, Normen und Regeln, dann ist philosophische Ethik die wissen-
schaftliche Lehre von der Sitte, der Moral, dem Richtigen im Sinne von

Iitiitsstandards in Deutschland, Osterreich, Frankreich, GroBbritannien, Israel und den USA in


Hamm (1996, S. 127-385). Es wird daher im Foigenden und gerade aus interdiszipliniirer Perspekti-
ve notwendig sein, zu !daren, was Ethiker meinen, wenn sie von einer "Ethik" sprechen (vgl. dazu
Punkt 2.1). Damit sollte dann zugleich klar sein, daB philosophische Antworten auf die Forderung
nach einer "Ethik der Medien" sich allererst versichem miissen, auch wirklich auf die gestellte
Frage zu antworten. Gerade das genannte Beispiel - das nur eines von vielen und keineswegs beson-
ders kra6 ist - macht deutlich, wie sehr hier Ethik im noch zu zeigenden Sinne verwechselt werden
kann mit Moral, Konventionen, Institutionen, Standesmoral, Standesrecht usw. Ein reger interdizi-
pliniirer Austausch konnte vor so1chen schon rein begrifflichen MiBverstiindnissen schiitzen und zur
KIarheit fiihren.
2 Terminologisch laBt sie sich zuriickfiihren auf das griechische Wort "ethos", was urspriinglich
soviel heiBt wie "Wohnort", aber auch "Gewohnheit", "Sitte", "Moral", zur Geschichte dieses
Begriffs vgl. HWP (1972).
65
,,rechten" Handeln. Sie begniigt sich allerdings nicht mit der Konstatierung
einer bestimmten sittlichen Gewohnheit. Dies ware Aufgabe und Ziel einer
"empirischen Ethik", wie sie z. B. die Soziologie und Ethnologie betreiben. Als
normative Disziplin fragt sie vielmehr nach der Legitimierbarkeit solcher nor-
mativen Vorstellungen.

1m Gegensatz zu weltanschaulich oder religios gebundenen Ethiken beschriinkt


sich die philosophische Ethik auf innerweltliche Legitimationsmuster, wie sie
durch die Anwendung der Logik und verniinftiger, das heiSt verallgemeine-
rungsfahiger Argumentationsregeln zu erreichen sind. Ethische handlungslei-
tende Prinzipien sind demnach Prinzipien, die fUr die philosophische Ethik als
verniinftig ausgewiesen sind und als allgemein giiltig jeder Frage nach dem
rechten Tun schon vorausgesetzt werden konnen.

2.2 Naturalistischer FehlschluO

Fiir das Verhiiltnis von Empirie und Ethik ist wichtig zu betonen, daB diese
Prinzipien - wie aile normativen Siitze - nicht aus empirischen Siitzen abge-
leitet werden konnen. Solche Versuche, dennoch ,/rom Is to Ought" zu kom-
men, wurden von David Hume 3 bereits kritisiert und seit George Edward Moore
(1970) mit dem Schlagwort "naturalistischer FehlschluB" belegt. Was macht

3 David Hume fonnuliert diese Unterscheidung zwar als explizite Kritik an den moralphilosophi-
schen und moraltheologischen Systeme seiner Zeit, er hat damit jedoch eine grundsiitzliche Proble-
matik benannt:
"Ich kann nicht urnhin, diesen Betrachtungen eine Bemerkung hinzuzufiigen, der man vielleicht
einige Wichtigkeit nicht absprechen wird. In jedem Moralsystem, das mir bisher begegnet ist, habe
ich immer bemerkt, daB der Verfasser eine Zeitlang in der gewohnlichen Betrachtungsweise vor-
geht, das Dasein Gottes feststellt oder Beobachtungen iiber menschliche Dinge vorbringt. Plotzlich
werde ich damit iiberrascht, daJ3 mir anstatt der iiblichen Verbindungen von Worten mit 'ist' und 'ist
nicht' kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein 'sollte' oder 'sollte nicht' sich flinde. Dieser
Wechsel vollzieht sich unmerklich; aber er ist von grol3ter Wichtigkeit. Diessollte oder sollte nicht
driickt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, mu13 also notwendigerweise beachtet und erkliirt
werden. Gleichzeitig mul3 ein Grund angegeben werden fiir etwas, das sonst ganz unbegreiflich
erscheint, niimlich dafiir, wie diese neue Beziehung zuriickgefiihrt werden kann auf andere, die von
ihr ganz verschieden sind. Da die Schriftsteller diese Vorsicht meist nicht gebrauchen, so erlaube
ich mir, sie meinen Lesem zu empfehlen; ich bin iiberzeugt, daJ3 dieser kleine Akt der Aufmerk-
samkeit alle gewohnlichen Moralsysteme umwerfen und zeigen wiirde, daJ3 die Unterscheidung von
Laster und Tugend nicht in der bloBen Beziehung der Gegenstiinde begriindet ist, und nicht durch
die Vemunft erkannt werden wird." (Hume, Ein Traktat iiber die menschliche Natur (1739/40), zit.
nach Welsen, 1999, S. 94 f.)
Sein Schlul3' dieser logische Widerspruch widerlege auch jeden Versuch, Ethik aus Vemunftgriin-
den heraus zu begriinden, ist ein Stachel, der seither jede Ethik treibt.
66
diesen Schlu13 zu einem ,,naturalistischen" und damit anscheinend fehlerhaften?
Moore formuliert dies in "Principia Ethica" so:

"Der naturalistische FehlschluB wird vollzogen, wenn man glaubt, man konne von
einem Satz, der behauptet, 'Die Wirklichkeit ist so beschaffen', einen Satz oder
auch nur eine Bestiitigung eines Satzes ableiten, der behauptet 'Dies ist gut an
sich'." (Moore, 1970, S. 168)

Naturalistisch wird der SchluB, wenn "gut" nicht durch einen anderen, der Des-
kription zuganglichen Begriff ersetzt werden kann. Nehmen wir als Beispiel die
Deutung des Begriffs "gut" durch den Begriff "lustvoll". 1st "lustvoll" physio-
10gisch meBbar und defmiert man "gut" als "lustvoll", so gelingt der von Moore
angefiibrte SchluB:

"Eine bestimmte Wirklichkeit


(Situation, Handlung, Handlungsfol-
ge) wird, empirisch nachpriifbar "Diese Wirklichkeit ist gut"
(Hautwiderstand, Blutdruck etc.),
als lustvoll erlebt"

Meint "gut" jedoch ein Priiferenzurteil im Sinne "Dies solI sein", und so ver-
wenden wir gemeinhin den Ausdruck "gut", dann gelingt der SchluB nicht. Aus
der Tatsache, daB eine Situation als lustvoll erlebt wird, folgt keineswegs die
Auszeichnung, diese Situation sei auch immer herbeizuruhren. DaB Moore eben
eine solche normative Anwendung von "gut" im Sinne hat, verdeutlicht seine
Formulierung "gut an sich". Er will damit der moglichen Verwendung von
"gut" im Sinne von "gut rur ein bestimmtes Ziel", "tauglich" vorbeugen. 4

Und so sind auch viele nicht-philosophische, von Einzelwissenschaftlem vorge-


brachte "Sollens-Satze" in diesem Sinne nicht ethisch. Entweder wird von
Seinsaussagen auf Sollenssatze im ethische Sinne geschlossen, dann haben wir
einen naturalistischen FehlschluB vor uns, oder aber es wird auf ein instrumen-
telles Sollen geschlossen, ein "gesollt, weil tauglich rur ein vorgegebenes Ziel".
Dann ist der Schlu13 zumindest unvollstiindig.

Wer also, kurz gesagt, von Seinssatzen auf Sollensatze schlieBt, weiB entweder
nicht, was er methodisch tut, oder aber er verschleiert eine normative Priimisse,

4Tauglicbkeit ist sehr wohl empirisch feststellbar, taugt jedoch aus eben diesem Grund nicht zur
Begriindung einer normativen Wertung. Dies zu iibersehen, ist ein fUr den Diskurs zwischen Fach-
wissenschaften, Praxis und angewandter Ethik symptomatischer Problempunkt; fUr das Beispiel
Wirtschaftsethik vgl. Rath (1990).
67
die, da nicht explizit benannt, sich auch jeder philosophischen Uberpriifung
entzieht. Dies zu klliren und aufzudecken nennt man denn auch "Ideologie-
kritik".

Medienwirkungsforschung als empirische Disziplin kann fUr die Legitimation


moralischer Prinzipien also nicht herangezogen werden. Medienethische Argu-
mentationsverfahren sind daher auf Plausibilitiit und vemiinftige Akzeptanz
angewiesen.

Fiir unsere Zwecke hat diese metaethische Analyse einen ersten Hinweis auf das
Verhiiltnis von Empirie und Ethik geliefert. Der naturalistische oder, wie Hare
es etwas deutlicher formuliert als Moore, der "deskriptivistische FehlschluJ3",
also der SchluJ3 von einer Seinsaussage auf eine Sollensaussage, ist falsch. Denn
in ibm wird eine Aussage deskriptiv oder empirisch verstanden, die nicht des-
kriptiv oder empirisch ist.

Empirie kann daher fUr die eigentliche Aufgabe der Ethik, Priiferenzurteile als
begriindet oder unbegriindet auszuweisen, nichts beitragen. Ja schlimmer noch,
jeder Ethiker, der sich, horror dictu, auf das Feld der Empirie begibt, lebt not-
gedrungen in der methodischen Siinde. Er betreibt, was sein wesensmiiBiger
Auftrag eben nicht ist.

2.3 Ethische Alltagsempirie

Hei13t das, Ethik in ihrer puristischen Form ist empirieresistent? Ein Blick in die
klassischen Ethikentwiirfe belehrt uns eines anderen. Schon Aristoteles beginnt
seine ,,Nikomachische Ethilt' mit der aus der Erfahrung genommenen Behaup-
tung, alle Handlung ziele auf ein Gut. 5 In allen Ethiken werden wir Behauptun-
gen iiber die Menschen, ihre soziale Struktur, ihre anthropologischen Befmd-
lichkeiten oder iihnliches fmden. Dies scheint auch niemanden zu storen, ob-
wohl diese Behauptungen iiber den Menschen als Handelnden ja keineswegs
den strengen Kriterien der Empire entsprechen. Meines Erachtens hat diese
"Toleranz" ihre Wurzel darin, dal3 wir Ethiker uns als Handelnde quasi selbst
beobachten. Wir konnen iiber das Handeln des Menschen sprechen, weil wir als
Handelnde im GroBen und Ganzen immer schon wissen, unter we1chen Bedin-

5 ,)ede Kunst und jede Lehre, ebenso jede Handlung und jeder EntschluB scheint irgend ein Gut zu
erstreben. Darum hat man mit Recht das Gute als dasjenige bezeichnet, wonach alles streb!."
(Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1094 a I)
68
gungen wir handeln. Ich mochte dies die alltagsempirische Verwurzelung der
allgemeinen Ethik nennen.

Auch die allgemeine Ethik baut auf letztlich erfahrungsgestiitzten Behauptun-


gen iiber den Menschen auf - nicht im Sinne des naturalistischen Fehlschlus-
ses, also als formales Argumentationskriterium, sondem als Priifstein der Um-
setzbarkeit und Sachadaquatheit unserer moralischen Urteile an der Realitiit.
Die Beriicksichtigung erfahrungsgestiitzter Erkenntnisse im Rahmen normativer
Argumentation ist also keinesfalls der Ethik abtriiglich. Allerdings, und dies
macht den Unterschied zur angewandten Ethik aus, sind die handlungsfeldspezi-
fischen Problemstellungen der angewandten Ethik eben nicht mit alltagsempiri-
schen Erkenntnissen iiberpriifbar. Es bedarf spezifischer Kenntnisse. Und diese
liefert die Fachwissenschaft.

Pointiert gesagt, ist die angewandte Ethik6 , soweit sie empirisch abgesicherte
Erkenntnisse der Fachwissenschaften verwendet, methodisch stringenter als die
allgemeine Ethik, deren empirisches Fundament letztlich eher lebenspraktischer
Natur ist. Es spricht fUr die Allgemeingiiltigkeit dieser Prinzipien, daB sie trotz
dieser methodischen Naivitiit anscheinend kaum auf Widerstand oder gar Wi-
derlegung stoBen. Zumindest konnen wir aus diesen Ubedegungen den SchluB
ziehen, daB die Beriicksichtigung erfahrungsgestiitzter Erkenntnisse keineswegs
ein Novum oder gar Problem fUr die Ethik darstellt. Es reicht nur im Bereich
der angewandten Ethik nicht mehr, sich selbst zum MaG der Realitiitsadaquanz
der eigenen Aussagen zu machen.

6 Allerdings gibt es auch die Auffassung, angewandte Ethik sei keine philosophisch-nonnative
Ethik, sondem eine deskriptive Ethik, vgl. zuletzt Wiegerling (1998). Diese Position schiittet jedoch
das Kind mit dem Bade aus. Zwar kann man diskutieren, ob die angewandte Ethik als
"Bereichsethik" nun auf allgemeine ethische Prinzipien zuriickfiihrbar ist oder nicht (vgl. Nida-
Riimelin, 1996b, S. 63), aber die Verkiirzung auf eine reine Deskription von Handlungsbedingungen
wird dem Problem nicht gerecht, daB Anwendung selbt wieder unter ethischer Reflexion steht. D.
h., wer von Ethiker (mit Fug und Recht) erwartet, die von ihnen als plausibel ausgezeichneten
Prinzipien auch auf konkrete Handlungsaltemativen anwenden zu konnen, muD zugleich erwarten,
daB die Ethiker, so sie sich nicht als rigoristische MoraIisten verstehen, auch plausible Anwen-
dungsregeln benennen konnen. Genau darin liegt aber die Problemlage der angewandten Ethik: Sie
akzeptiert, das spezifische Handlungsfelder des Menschen unter spezifischen Handlungsbedingun-
gen stehen, die die Effizienz der Anwendungsregeln bedingen. Diese zu beriicksichtigen macht die
eigentliche Pointe der angewandten Ethik aus.
69
3. Die Reue des Puristen: Empirie und Ethik

Trotz der ,,Hurneschen Distinktion" stehen sich Ethik und empirische Medien-
wirkungsforschung also nicht giinzlich fremd gegeniiber. Ausgangspunkt ethi-
scher Reflexion und Legitimation sind zum Beispiel real vorfmdbare intemali-
sierte Handlungspriiferenzen, die dann auf ihre Sachadaquatheit und normative
Legitimierbarkeit iiberpriift werden. Dazu sind sehr wohl empirische Ergebnis-
se, zum Beispiel aus der Medienpsychologie (vgl. Rath, 1999), sinnvoll und
notwendig.

Fiir die angewandte Ethik heiBt dies, sie benotigt Informationen iiber das mora-
lische Selbstverstiindnis der im Medienbereich handelnden Akteure. Hier ist die
Historie, wie so oft, bestimmend fiir die Zielgruppe. Denn die in den USA frii-
her beginnende kritische, auch ethische Auseinandersetzung mit den Medien
war fiir Europa stilbildend. Media ethics kam in den USA allerdings vor allem
im Rahmen der Joumalistenausbildung zum Zug (Boventer, 1983). Damit ist
die Medienethik zum Teil noch heute belegt: Sie wird zum einen verkiirzt ver-
standen als joumalistische Ethik, zum anderen und daraus folgend als eine allein
auf den Joumalisten zielende Individualethik.

3.1 Medienethik als Journalistische Ethik?

Die Reduktion auf eine Berufs(stands)ethik der Joumalisten findet sich selbst in
Werken, die explizit auf Handlungsfelder und Handlungsbereiche abheben, zum
Beispiel 1996 bei Will Teichert in seinem Beitrag fiir das sehr instruktive
Handbuch ,,Angewandte Ethik", herausgegeben von Julian Nida-Riimelin. Tei-
chert stellt seinen Artikel in eine Reihe mit Beitriigen zu den Themen
,,Medizinethik", Genethik", "Technik und Ethik", "Wirtschaftsethik" usw. Bei
ibm taucht ,,Medienethik" aber nur im Untertitel auf - der Haupttitel lautet
jedoch "Joumalistische Verantwortung".

Der Joumalismus ist jedoch nur ein Bereich der medialen Realitat. Buchwald
(1996) hat die drei Ebenen der Verantwortung im Medienbereich nochmals in
Erinnerung gerufen: Macher, Rezipienten und Gesetzgeber.

70
3.2 Die Verantwortung der Macher

Zuniichst sind da einmal die eigentlichen Macher. Macher sind aber nicht nur
lournalisten. Zu den Machern ziihlen im klassischen Print-Bereich die Heraus-
geber, fUr die ja zu allererst das Prinzip der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit
in Anschlag gebracht wird. Daneben stehen heute, gerade in den elektronischen,
aber auch in den Neuen Medien, noch ganz andere Macher, als da sind Produ-
zenten, Programmhiindler, Senderbetreiber, im weiteren Umfeld Kanalbetreiber
(zum Beispiel Telekom), werbetreibende Industrie, Internet-Provider - man
denke nur an die alte und dennoch immer wieder aktuelle Frage nach den Wir-
kungen der Gewaltdarstellung in den Medien (vgl. Groebel, 1999; Wunden in
diesem Band) und die Frage nach der juristischen Verantwortung von Internet-
Providern fUr politisch radikale, fundamentalistische oder kinderpornographi-
sche Inhalte, wie sie z. B. 1998 in Bezug auf Compuserve Deutschland und den
Zugriff der Nutzer auf die Server in den USA diskutiert wurden. Viele andere
Macher waren noch zu nennen und es kommen, dies ist wichtig festzuhalten, in
den niichsten lahren noch weitere Macher hinzu. Multimedia, das Zauberwort
der 90er, ist eben nicht ein Medium neben den anderen, sondern die bestim-
mende Form, in Zukunft Medium zu sein. 7

Hier, wie in keinem anderen Bereich, stimmt der Satz von McLuhan: "The
Media is the Message" (McLuhan, 1968, S. 17-31). Nicht, wei! Multimedia alle
anderen Medien nur verdriingt - dies wird sicher in beschriinktem MaBe auch
geschehen. Sondern vor aHem, wei I Multimedia - pars pro toto fUr die Neuen
Medien schlechthin - alle anderen Medien im wahrhaft Hegelschen Sinne
"aufhebt": im Sinne von "auBer Kraft setzen", namlich immer da, wo die neuen
medialen Nutzungsformen klassische Formen verdriingen, zum Beispiel im
Bereich Fachinformationen; im Sinne von "bewahren", namlich immer da, wo
die Neuen Medien schon verloren geglaubte mediale Formen integrieren und
damit auch die Kompetenzen der Nutzer fUr andere Medien erhalten, zum Bei-

7 Eine yom Bundesministerium fUr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in Auftrag
gegebene Untersuchung der Multimedia-Entwicklung in Deutschland und den anderen fiihrenden
G7-Staaten (vgl. BMWi, 1999) ergab, daB die Zahl der Arbeitsplatze bis zum Jahr 2001 urn 260.000
auf I Mio. steigen konnte. Die beauftragte Beratungsfirma Booz, Allen & Hamilton schiitzt allein
bei den Online-Diensten in Deutschland eine Umsatz-Steigerung von drei Milliarden DM 1996 auf
fast 40 Milliarden DM bis zum Jahr 2001, fUr aile G7-Staaten wird der Online-Dienste-Markt von
45 Mrd. DM im Jahre 1996 aufrund 500 Mrd. DM im Jahre 2001 steigen (vgl. ebd., S. 13-16). Und
dies sind nur die quantitativen Kennzahlen einer meiner Meinung nach ethisch hiichst relevanten
qualitativen Entwicklung (vgl. ebd., S. 21 ff.). Die Wertschopfungsketle im Multimedia-Bereich
wird sich namlich, glaubt man Booz, Allen & Hamilton, von der Hardware (Baugruppen, Endgerate,
Netze) verschieben hin zur Software, den Inhalten (Programme, Spiele, Fi1m- und TV-Produktion,
Multimedia-CD-ROMs)(vgl. hierzu Rath, 1997).
71
spiel die Literalimt und Lesekompetenz oder die Wiederkehr der Individual-
kommunikation im Gewande eines Massenmediums; und schlieBlich im Sinne
von "erhOhen", niimlich immer da, wo die multimedialen Anwendungen klassi-
schen Medien neue ,,Darreichungsformen" bieten, zum Beispiel fUr die klassi-
sche Zeitung und ihre Online-Angebote.

Die Verantwortungsverhiiltnisse zu formulieren und moralische Forderungen


oder Leitlinien zu geben, kann aus dem ethischen Bauch heraus nicht gelingen.
Dies bedarf der genauen Information fiber den Stand und die Wirkung medialer
Anwendungen aber auch Strukturen ihrer Entstehungsverhliltnisse.

Daraus folgt: Ethik braucht Empirie.

3.3 Die Verantwortung der Rezipienten

Die zweite Gruppe, die allzu oft vergessen wird, sind die Rezipienten. Wie keine
andere Gruppe bestimmt sie in einem marktwirtschaftlich ausgerichteten und
weitgehend privatisierten Medienmarkt durch ihre Nachfrage, also ihr Markt-
verhalten, das Angebot. Es ist sicher empirisch noch nicht endgiiltig ausge-
macht, und auch da hoffen wir Ethiker auf Forschungsergebnisse, ob die Nach-
frage das Angebot bestimmt oder das Angebot die Nachfrage oder, was mir am
einleuchtendsten ist, beide sich gegenseitig bedingen. Einerlei, erst die Akzep-
tanz eines Angebots, zumindest irn privaten Medienbereich, entscheidet dar-
fiber, ob es weiterhin angeboten wird. Der Rezipient kann, egal wie seine Nach-
frage entsteht, bestimmte Angebote evozieren oder aber ablehnen.

Zwei Punkte will ich nur kurz erwlihnen, ohne nliher auf sie eingehen zu kon-
nen, niimlich welche Form der Nachfrage-Weckung ethisch vertretbar ist -
hier gibt uns die Werbewirkungsforschung ein weites Feld empirischer Ergeb-
nisse vor, ohne daB diese schon hinreichend bewertet waren - und wie die
offentlich-rechtliche Verantwortung flir das mediale Angebot zu sehen ist -
und ich meine hier nicht nur eine politische, sondern eine ethisch gebotene
Verantwortung.

Die ,,zukunft des dualen Systems", wie sie zum Beispiel in einer Studie der
Bertelsmann Stiftung diskutiert wird (vgl. Hamm, 1998b), beleuchtet ja vor
allem die Frage der okonoischen Effizienz des offentlich-rechtlichen Fernse-
hens. Ich gestehe, daB ich es flir politisch verfehlt und angesichts der realen
sozio-okonomischen Bedingungen medialer Rezeptionschancen in Deutschland

72
fUr ethisch bedenklich halte, die offentlich-rechtlichen Anstalten zu
"Nischenrullem" degradieren zu wollen. Offentliche Vollprogramme sind kein
Bildungsfemsehen rur Promovierte, sondem integraler Teil eines aus Gerech-
tigkeitsgrundsatzen zu legitimierenden Grundversorgungsanspruchs des Biirgers
in der Mediengesellschaft. Hier schlagt iibrigens die Verantwortung der offent-
lich-rechtlichen Medienmacher zu Buche - womit die Verwobenheit der drei
Verantwortungsebenen Macher, Rezipienten und Gesetzgeber augenfallig wird.

Gerade der letzte Punkt, der offentlich-rechtliche Auftrag, Bildung, Information


und Unterhaltung zu bieten, fiihrt zugleich zu einem zentralen Aspekt der Rezi-
pienten-Verantwortung. Der Rezipient ist, wie wir gesehen haben, nicht Spiel-
ball der medialen Angebote. Mag auch, wie Helmut Thoma einmal gesagt hat,
die Interaktivitiit mit meinem Kiihlschrank allemal intensiver sein als die mit
meinem Femsehgeriit - zumindest der Ausschaltknopf ist ein untriigliches
Zeichen medialer Souveriinitiit des Rezipienten.

Aber die Frage bleibt natiirlich, wann er auschaltet. Vor aHem die Frage der
Kinder als Mediennutzer bleibt ein ethisches Thema8• Eltem haben die Ptlicht
der stellvertretenden Rezipientenverantwortung wabrzunebmen - als ersten
Schritt hin zur viel genannten ,,Medienkompetenz,,g. Diese medien- ethisch
gebotene und medienpiidagogisch zu leistende Medienbildung ist immer auch
Selbstauftrag - und das heiBt Selbstbildungsauftrag lO •

Rezipientenverantwortung zu benennen braucht, auch dies wird deutlich, so sie


nicht zur Sonntagsrede verkommen will, gesichertes Wissen iiber Moglichkeiten
und Grenzen medialer Souveriinitiit. Dieses Wissen aber muB die Ethik bei den
empirischen Wissenschaften abholen.

Daraus folgt: Ethik braucht Empirie.

g Auch hier ist eine bewahrpiidagogische Betrachtungsweise angesichts der Omnipriisenz der Medi-
en fehl am Platze. Vielmehr bewegen sich die Medienrezipientengruppen Kinder und Jugendliche in
einer fragiJen Spannung zwischen Selbstbestimmung im Umgang mit den Medien und Bestimmt-
werden durch die Medien, vgl. hierzu den Sammelband von RoterslKlingler/Grerhards (1999),
speziell zur Psychologie der Medienrezeption vgl. Vorderer (1999).
9 Vgl. hierzu den theoretisch wie in den Praxisbeispielen und Modellen aufschluBreichen Band von
BaackeIKomblumlLaufferlMikosfThieIe (1999).
10 Dieser etwas aItviiterlich klingen Ausdruck kann iibersetzt werden als das Phiinomen derSelbst-
sozialisation durch Mediennutzung (vgl. FrommelKommerfTreumann, 1999), das iibrigens ange-
sichts der gruppenstiftenden Wirkung der modernen Musik (vgl. Klein, 1999) nicht auf die visuelle
Ebene beschriinkt bleiben darf (vgl. dazu Miiller, 1995), ja sogar die Forschungsmethodik dieser
auditiven Sozialisationsform Rechnung tragen muB (vgl. Miiller/Dongus/EbertiGlognerlKreutle,
1999). Zum gesamten Forschungsfeld Mediensozialisation vgl. Lukesch (1999).
73
Der Bildungsaspekt fiihrt uns schlieBlich zur dritten Ebene medialer Verant-
wortung und zur Gruppe dieser Verantwortungstriiger:

3.4 Die Verantwortung der Gesetzgeber

SchlieBlich, und im wahrsten Sinn des Wortes last but really not least, kommen
wir zu den, wie Buchwald sie nennt, Gesetzgebern. Sie sind im besonderen zu
nennen, da sie die Rahmenbedingungen abstecken, innerhalb derer so etwas wie
Medien allererst geschehen kann. Ich verwende den Plural "die Gesetzgeber",
da wir ja heute sehen, daB die nationalstaatliche Souveriinitiit an den Staatsgren-
zen zwar endet, die Medien aber liingst schon global geworden sind. Daran
iindern auch Sprach- und Kulturgrenzen nichts, wie sie hiiufig flir Print- und
Rundfunkangebote beschwichtigend genannt werden. Gerade das schnellste und
modernste Medium, das Internet, hat liingst schon die englische Sprache als
"lingua franca" der Wissensgesellschaft durchgesetzt.

Angesichts der juristischen Begrenztheit der Rahmenordnungsinstanzen, wie ich


sie einmal allgemein nennen will, ist es urn so verwundernswerter, wie unbe-
darft manche medienpolitische Institution zur Medienethik steht. Der Bericht
der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu den Neuen Medien
zeigt ja, wie wenig die politische "Elite" in Deutschland die medienethische
Infragestellung wirklich ernst nimmt. Standorthysterie und das Gespenst der
Arbeitslosigkeit geniigen, urn ethische Infragestellungen in politischen Diskus-
sionen, nicht nur zur Medienethik, abzuwiirgen.

Die Rahmenordnungsinstanzen, die nationalen und, zumindest in Europa, su-


pranationalen, und ihre AufsichtsbehOrden (zum Beispiel die Rundfunkriite und
Landesmedienanstalten oder die EV-Kommission) sind ebenso wie Macher und
Rezipienten Verantwortliche in Sachen Medien. Vnd diese Verantwortung kann
nicht allein demoskopisch defmiert werden. Die politische Elite, und ich ver-
wende diesen Ausdruck bewuBt zur Verdeutlichung der realitiitssetzenden
Macht dieser Gruppe - denken Sie nur an die Einflihrung des Privatfernsehens
in Deutschland und die Lawine medialer Angebote, die damit losgetreten wurde
-, die politische Elite also muB einen eigenen Wertekanon zur medialen Wirk-
lichkeit formulieren. Ethisches Agieren statt juristisches Reagieren ist gefordert,
oder, weniger staatstragend formuliert, der politische Wille muB da sein, eine
bestimmte zukiinftige Wirklichkeit der Informationsgesellschaft zu wollen.

74
Dafiir aber muB ich zunachst wissell, welche "Nebengerausche" die Me-
dienentwicklungen zeitigen werden (Medienwirkungsforschung) und welche ich
fiiglich bereit bin, hinzunehmen (Medienethik). Ich erinnere an die Forderung
des Bundepriisidenten. Und, damit schlieBe ich nochmals an die Gruppe der
Rezipienten an, es muB dann der Boden bereitet werden flir einen eigenverant-
wortlichen Umgang mit diesen globalen, nationalstaatlich kaum noch zu steu-
emden Medienangeboten. Erst von dieser, politisch zu ermoglichenden Bildung
in Sachen Medienkompetenz (Medienpadagogik) kann dann ein sehr viel star-
kerer, realitatsgestaltender Impuls ausgehen - namlich der Impuls der Nach-
frage, der im Notfall schlicht das Medienangebot abschaltet.

Allerdings darf dieser neuerliche Hinweis auf die Vernetzung zwischen den drei
Verantwortungsebenen nicht als Reduktion auf die Rezipientenverantwortung
gedeutet werden. Das Non-Profit-Unternehmen RSAC, das ich zu Beginn be-
reits genannt habe, hat mit seinem technischen Internet-Filter gezeigt, daB es
moglich ist, auch global angebotene Medieninhalte national zu steuern. Es gibt
keinen Grund, warum nationale Politik nicht die Einrichtung der RSAC-
Technologie bei den auf ihrem Territorium agierendell Zugangsanbietern ins
Internet, den sogenannten Access-Providern, verbindlich fordern soli. Das nennt
man wohl "politischen Willen". Doch auch flir solche ethischen Forderungen
bedarf es des gepriiften Wissens um die Strukturen und Wirkungen des medial-
industriellen Komplexes.

Daraus folgt: Ethik braucht Empirie.

Sie alle drei, Macher, Rezipienten und Rahmenordnungsinstanzen, miissen also


medienethisch mit bedacht, in ihren Wirkungen erforscht und schlieBlich auch
medienethisch beraten werden. Sie alle gestalten mediale Realitat mit, werden
aber nur in Ansatzen auch in medienethische oder zumindest ordnungspolitische
Retlexionen miteinbezogen (vgI. Funiok, 1996; Groebel et aI., 1995; Glotz,
Groebel & Mestmacker, 1998). Die Integration medien-ethischer und dariiber
hinaus interdisziplinarer Forschungen zu den Folgen der medialen Vermittlung
(und damit Gestaltung, das hellit Veranderung) von Information als Grundbau-
stein unserer Informationsgesellschaft (vgI. Kliment & Brunner, 1998; Mattern,
Kiinstner & Zirn, 1998; Noam, 1998; Haase, 1999) steckt noch in den Anfcingen
(vgl. Spinner, 1994).

75
4. Die Qual der Wahl: Welche Ethik dan's denn sein?

Wir haben jetzt gesehen, daB die Reduktion der Medienethik auf die Ethik der
Joumalisten etwas kurzschliissig ist. Wir haben ebenfalls gesehen, daB Medie-
nethik, ob nun joumalistisch, auf Macher bezogen, rezipientenorientiert oder als
Ethik der Medienpolitik, Aussagen iiber ihr Handlungsfeld benotigt, das heiBt,
auf die Ergebnisse der empirischen Forschung angewiesen ist.
Was hat nun die Ethik flir die Beurteilung und Bewertung medialer Realimt zu
bieten? Hier haben wir wiederum eine historische Last zu tragen, namlich die
Fixierung auf den einzelnen Joumalisten als den vermeintlich einzigen Trager
der moralischen Verantwortung. Medienethik ist heute immer noch zumeist
Individualethik.

4.1 Das individualethische Modell

Die Individualethik fuBt auf dem allgemeinen Prinzip, daB sich die ethische
Forderung nur und ausschlieBlich an ein moralisches Subjekt richten kann.
Dieses ist jedoch, zumindest in der klassischen, theologisch dominierten und bis
heute anhaltenden Diskussion, immer eine natiirliche Person, also keine Unter-
nehmung, keine Organisation und kein System (vgl. Rager, 1997, v. a. S. 161-
329). Allerdings spitzt eine einseitig individualethische Betrachtungsweise
dieses Prinzip darauf zu, daB nur eine am Individuum als dem konkret Handeln-
den orientierte Ethik formulierbar sei (Auer, 1996). Angesichts der komplexen
Strukturen, denen wir uns bei der Analyse modemer sozialer Systeme gegen-
iiber sehen (Luhmann, 1992), bleibt eine aHein individua1ethische Betrachtung
jedoch unbefriedigend. Der groBe Gegenentwurfwiire nun die Sozia1ethik.

4.2 Das sozialethische Modell

Allerdings geht auch eine sozialethische Fragestellung, das heiBt die Analyse
der Strukturen einer Gesellschaft darauf hin, ob sie bestimmten ethischen Prin-
zipien, zum Beispiel den Prinzipien der Gerechtigkeit, Partizipation und Selbst-
bestimmung, geniigt, fUr die Bediirfnisse der applied ethics hliufig nicht weit
genug. Sie verbleibt in der allgemeinen Abstraktion, ohne konkrete Handlungs-
anweisungen und Strukturideale benennen zu konnen. Oder aber sie bleibt, wie

76
in bestimmten systemtheoretisehen Entwiirfen (vgl. Riih1, 1987; RiihVSaxer,
1981; Saxer, 1988), konstatierend, wirdjedoeh nieht normativ begriindend.

Individualethik und Sozia1ethik sind in Reinform nieht die Losung des Pro-
blems. Vielmehr, und dies 1ehrt aueh die sozialwissensehaftliehe Forsehung,
sind beide Strange ethiseher Argumentation notwendig. Es bedarf des Appells
an den einzelnen Handelnden, der in seinem Verantwortungsbereieh medie-
nethisehe Anspriiehe umsetzen kann und solI - aber eben nur in dem MaBe, in
dem ihm dies angesiehts der Vemetzungen und Megastrukturen unserer kom-
plexen Gesellsehaft moglieh ist. Es ist sinnlos, yom Redakteur eines groBen
W oehenmagazins die moralisehe Integritiit des Blattes zu fordem, ohne zu be-
denken, we1chen institutionalisierten Entseheidungsstrukturen er unterworfen
ist, welehe berufsspezifisehen Fremderwartungen und Selbsterwartungen er zu
bedienen hat und welehe strukturellen Bedingungen des Handelns, zum Beispiel
die Anspriiehe der Eigentiimer oder Anteilseigner, auf ihn durehsehlagen.

In gleieher Weise ist das reine Modell der Sozialethik wenig hilfreieh, wenn es
dahingehend gedeutet wird, es sei ledig1ieh notwendig, die sozia1en Handlungs-
bedingungen ethiseh zu optimieren, so daB es gar nieht moglieh ist, unmoraliseh
zu handeln. Es ist aber ebenso sieher, daB die realen Handlungsmogliehkeiten
des Mensehen, selbst in hoehgradig determinierten Strukturen, mehr Spielrliume
eroffnen, als es sieh der sozialethisehe Konstrukteur einer moralisehen "brave
new world' vorzustellen vermag. 11 Gerade die Totalitarismusforsehung und die
jiingere Gesehiehtssehreibung zeigen, daB selbst extreme Zwangssysteme die
Wahrnehmung von unerwiinsehten Prliferenzurteilen nieht zu verhindem ver-
mogen.

11 Ein heftiger Verfechter einer rein sozialethischen Betrachtungsweise ist der Wirtschaftsethiker
Karl Homann. In paradigmatischer Fonn kann man bei ihm die Folgen studieren, die eintreten,
wenn sich ein sozialethischer Universalismus zu einer institutionstheoretischen Fonn verfestigt.
Ausgangspunkt ist dabei die These, die okonomische Verhaltenssteuerung dUTCh Anreizsysteme sei
handlungsfeldiibergreifend und universal (vgl. z. B. Homann/Pies, I 994a, v. a. S. 98; 1994b). Damit
wird jede Kritik an diesem sozialethischen Modell imunisiert, insofem, als in der Dichotomie "uni-
versale Verhaltenssteuerung via Anreizsystem" versus "intrinsisch-motivationale Handlungsorien-
tierung via Begriindung" (vgl. hierzu Rinderle, 1998) letztere nur als "Nischenargumenf' (Homann!
Pies, 1994a, S. 104) rezipiert wird. D. h., der individualethische Hinweis auf die Freiheitsgrade des
Menschen auch in sozialen Systemen (vgl. Brause/Rath, 1994, und ihre Kritik an Homann/Pies,
1994b, und Homann!Blome-Drees, 1992) wird institutionstheoretisch umgedeutet zur Tendenz der
Individualethik, monopolische Bedingungen fur die wirtschaftlichen Akteure zu fordem (vgl. Ho-
mann/Pies, 1994a, S. 104). Der Unterschied zwischen empirischer Giiltigkeit und ethischer Geltung
verhaltensleitender Nonnen verwischt sich. Dies zeigt, wie wichtig zum einen eine theoretische
Offenheit ist, die makro-, meso- und mikroethische Aspekte zu beriicksichten vermag, wie notwen-
dig zum anderen der interdiszipliniire Zugriff auf empirisch belegte Forschungsergebnisse ist, die
die realen Handlungsbedingungen der Akteure erhellen (vgl. Rath, 1989).
77
Unabhangig aber davon, welches Ethikmodell man priiferiert - und ich sage:
beide Modelle miissen Anwendung finden -, ist vor allem die gangige Unter-
scheidung zwischen konsequentialistischen und pflichtorientierten Ethiken von
Bedeutung. Denn gerade der Aspekt der Kosequenzen, das heiBt der Wirkungen
von Medien, macht die Entscheidung zwischen diesen beiden Grundformen
leicht.

4.3 Pflicht oder Wirkung? Utilitarismus versus Deontoiogie

Es lassen sich drei charakteristische Eigenschaften der angewandten Ethik un-


terscheiden:

• Zuniichst und grundlegend: Angewandte Ethik ist immer konsequentialisti-


sche Ethik. Das heiBt, fiir applied ethics ist die Frage wichtig, welche Folgen
Handlungen zeitigen. Ethiken, die diese Frage, etwa, weil sie nach deren
Uberzeugung nicht absolut wahr beantwortbar ist, prinzipiell ausschlieBen,
beziehen sich allein auf Gesinnung oder Pflichten des Handelnden.12 Aller-
dings ist die gangige Ubersetzung "Utilitarismus" oder
,,Konsequentialismus" gleich F olgenethik nicht ausreichend. Darum noch
zwei zusiitzliche Aspekte:

• Angewandte Ethik ist immer Verantwortungsethik, und zwar in einem sehr


viel radikaleren Sinne, als ihn Max Weber (1919/1973) bei der EinfUhrung
dieses Terminus gedacht hat. Verantwortung heiBt nicht nur ethische Orien-
tierung an den Folgen, sondem ethische Verpflichtung, das ganze Feld
moglicher Folgen zu erfassen. Stichworte sind zum Beispiel
,,Femverantwortung" (vgl. Schulz, 1972) und "Verantwortung fUr zukiinfti-
ge Generationen" (vgl. Bimbacher, 1988). Angesichts der Handlungsmacht
des Menschen und der Vemetzung unserer Handlungen greift eine auf die
niichsten Betroffenen und die nur momentan eintretenden Folgen gerichtete
Ethik zu kurz.

12 Die iebensweitlichen Probieme konnen von diesen "deontoiogisch" genannten Ethiken zwar
konstatiert, aber nicht bearbeitet werden. Damit ist die Grundfrage "Utilitarismus oder Deotoiogie?"
eigentlich entschieden. Auf die Fachdiskussion, ob der Kantische Pflichtbegriff, ais kiassischer
Grundbegriff einer Deontoiogie, nicht sehr wohi auch konsequentiaiistische Aspekte hat, will ich
hier nicht eingehen.
78
• Angewandte Ethik ist immer prospektive Ethik. Die Folgen, um die es geht,
sind nicht dergestalt, da13 man den Nachweis ihres Eintretens abwarten
konnte. Zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, kann man sich
nicht leisten, wenn wir alle und unsere Nachfahren dieses Kind sind (Jonas,
1984, S. 76-83). Wer also heute eine Verantwortungsethik vertritt, muB sich
auch mit den Moglichkeiten und Grenzen der Folgenabschlitzung beschlifti-
gen.

Wir haben gesehen, Ethik bedarf der Empirie - wie sieht aber dann das Ver-
hliltnis zwischen Ethik und Empirie konkret aus?

5. Ethik und Empirie: Konturen einer Abhangigkeit

Ethik steht unter dem Diktum des naturalistischen Fehlschlusses. Gleichzeitig


kommt sie, vor allem im Bereich angewandter Ethik, mit der Empirie in dreier-
lei Weise in Kontakt:

• Ethik bedarf der empirischen Forschung zu diesem Handlungsfeld, urn


iiberhaupt sinnvolle Aussagen machen zu konnen, die die Sachgesetzlichkeit
des Handlungsfeldes treffen. Wir haben bei der Diskussion der drei Verant-
wortungsebenen immer wieder gesehen, da13 die Beurteilung medialer Rea-
litlit nur ge1ingt bei Kenntnis dieser Realitlit. Hier darf man sich nicht in der
Sicherheit der vermeintlichen Offensichtlichkeiten wiegen. Die Tatsache,
auch als Ethiker zu einer der drei Verantwortungsgruppen zu gehOren -
und ich behaupte, die meisten konnen flir sich nur die Ebene des Rezipien-
ten in Anspruch nehmen und dies nicht einmal im umfassenden Sinne -
rechtfertigt keinen ethischen SchnellschuB aus der Hiifte. Mediale Realitlit,
die Vielfalt medialer Wirkungen und das Wechselspie1 von Macher, Rezi-
pient und Gesetzgeber bedarf der genauen Forschung, iibrigens iiber die en-
gen Grenzen einer Disziplin hinaus. Psychologie, Kommunikationswissen-
schaft, Polito logie, letztlich alle Bindestrichdisziplinen mit dem Kennwort
"Medien" miissen zusammenarbeiten. Medienwirkungsforschung bezeichnet
eben ein solches interdisziplinlires Projekt. Dies beginnt bei den okonomi-
schen, technischen und politischen Strukturen und geht bis hin zu der Frage,
welche Motivlagen und Uberzeugungen die Protagonisten eines Handlungs-
feldes leiten.

79
• Doch die Ethik ist nicht nur Nehmende. Sie ist auch Themengeberin fiir die
empirische Forschung, sofem sie auf empirisch erforschungsbediirftige, mo-
ralische Fragen hinweist. Ein Beispiel hierfiir sind die Geltung und Wirkung
standesmoralischer Kodizes, aber auch, wie in jiingerer Zeit, die Diskussion
urn die Wirkungen von Reality-TV. Die Kooperation zwischen empirischen
und normativen Disziplinen muB jedoch den Rahmen der fachwissenschaft-
lichen Diskussion dann auch verlassen und offensive Offentlichkeitsarbeit
leisten. Pressebeitriige, wie wir sie nach der Bundestagswahl 1998 zum
Thema "Femsehdemokratie" lesen konnten, diskutieren Themen, die in der
Fachdisziplin unter dem Schlagwort der "symbolischen Politik" (vgl. Sarci-
nelli, 1987) Hingst Alltag sind. Hier muB Empirie wie Ethik deutlicher Fahne
zeigen.

• Nicht zuletzt erhiilt die Ethik thematischen Input von der empirischen For-
schung. Voraussetzung dafiir ist jedoch ein reger Austausch, der auf der
Seite der Ethik auf der Bereitschaft fullt, sich mit der empirischen Forschung
aktiv auseinander zu setzen, d. h. auch, sie zu rezipieren. Auf der Seite der
Empirie setzt dies die Klarsichtigkeit und Sensibilitiit voraus, die eigene
Nichtzustiindigkeit in normativen Fragen zu erkennen und diese dann nicht
einfach methodisch zu ignorieren, sondem an die Ethik weiterzugeben.

Zum SchluB mochte noch einen Ausblick wagen hin auf eine "konzertierte Ak-
tion" in Sachen Medienfolgenabschiitzung.

6. "Media Assessment": Ein Ausblick

,,Folgen abschiitzen und beurteilen" - mit diesem Schlagwort kann man aus
dem bisher ausgefiihrten Verhiiltnis von Empirie und Ethik die zentrale Aufgabe
einer angewandten Ethik zusammenfassen. Erste Ansiitze finden sich dazu in
den USA im sogenannten "technology assessment". In Deutschland haben En-
quete-Kommissionen des Bundestages die Aufgaben des amerikanischen United
States Office of Technology Assessment (OTA) iibemommen. Solche Kommis-
sionen, wenn auch mit groBer Fachkompetenz ausgestattet, konnen aber nur
biindeln. Wenn die interdiszipliniire Forschung nicht die Ursache-
Wirkungszusammenhiinge zutage fordert, welche gesellschaftlichen und politi-
schen Strategien sollen dann entwickelt werden?

80
Die Technikfolgenabschatzung hat ihren Impuls bekommen aus den Erfahrun-
gen fehlgeleiteter Technologiepolitik, angefangen bei der Atomproblematik
iiber Umweltschiidigungen bis hin zu volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen,
zum Beispiel auf dem Energiesektor. Technik und die sie tragende Industrie
sind von so unmittelbarer Wirkung fUr unser aller Wohl und Wehe, daJ3 es mehr
als gerechtfertigt war und ist, die technische Entwicklung in einem urnfassenden
Sinne forschend zu begleiten, nicht nur empirisch, sondem sehr wohl auch nor-
mativ.

Heute haben sich die Schwerpunkte verschoben. Nicht mehr produzierende


Industrie und die gerechte Teilhabe an den materiellen Ressourcen und Gewin-
nen aus der Produktion sind die okonomischen und sozialen Hauptprobleme
unserer westlichen Gegenwart und Zukunft, sondem die Medienindustrie und
die Kompetenz im Umgang mit diesen Medien. Die okonomische, soziale und
psychische Existenz eines jeden von uns steht in unmittelbarer Abhangigkeit
mit dem Medienbereich. Medien sind nicht ein Produkt neben anderen, sondem
Weltbildgenerator, Meinungsbildungsforum und Produktionsfaktor in einem. Es
ist daher gerechtfertigt, ein ,,media assessment' anzuregen, das dem
"technology assessment' nachgebildet ist.

Fiir ein ,,media assessment" miiBte es darum gehen, die realen Bedingungen des
Handlungsfeldes Medien zu beleuchten, Folgen medialer Produktion, Distribu-
tion und Rezeption zu erfassen und unter politischen, kulturellen und okonomi-
schen Aspekten zu bewerten. Wir konnten dabei aus der bisherigen Diskussion
urn die Technikfolgenabschatzung lemen. Dies solI am Modell der
,,konzertierten Techniksteuerung" des Karlsruher Technologe und Philosoph
Giinter Ropohl (vgl. Ropohl, 1996, S. 259 ff.) skizziert werden.

Ganz im Sinne unser bisherigen Ubedegungen versucht Ropohl eine Weiterf\ih-


rung der beiden gangigen Modelle einer individualethischen, den Ingenieur
allein in die Verantwortung nehmenden, und einer eher sozialethisch-
politischen Techniksteuerung. Wie die technische Anwendung wissenschaftli-
cher F orschung stets die Bereitstellung sachgerechter Mittel flir ein vorgegebe-
nes Ziel darstellt, so steht auch die mediale Realitat, wie wir gesehen haben,
unter zum Teil partikuliiren Zielvorgaben. Es bleibt nun die Frage, wie diese
Zielvorgaben selbst wieder zu verantworten sein. Hier sind, ganz im Sinne der
Herzogschen Forderung, die "Nebengerausche" auf ihre Gesolltheit hin zu
iiberpriifen, eine medienethische Reflexion iiber die Medienentwicklung zu
fordem. Wie konnte dies aussehen?

81
Gunter Ropohl flihrt flir die Technikfolgenabschatzung ein Darstellungs- und
Analyseinstrument ein, das m. E. auch flir die Medienfolgenabschatzung sinn-
voll ist. Seine ,,morphologische Matrix" (ebd., S. 74) solI helfen, die haufig
komplexen Systembeziehungen technischen Handelns und Bewirkens zu kliiren.
Diese Matrix umfa13t in der ersten Zeile Elemente einer moglichen Relation,
hier der Verantwortungsrelation, sowie in den weiteren Feldem jeder Zeile
mogliche Auspragungen. Diese kombinatorische Darstellungsform erlaubt, auch
wenn die einzelnen Tupel nicht immer mogliche oder wahrscheinliche Kombi-
nationen darstellen, eine Vielzahl von Verantwortungstypen zu unterscheiden
und auf ihre Umsetzbarkeit hin zu uberpriifen.

Ziel einer Technikbewertung ist nach Ropohl jedoch nicht nur die Konstatie-
rung eines Verantwortungsgefliges, sondem auch die Benennung von Altemati-
ven und Ablaufstrukturen. Ihr Charakter ist demnach nicht nur beschreibend,
sondem vor allem beratend. Ihre Analysen mussen den vemetzten Strukturen
der realen Technikanwendung gerecht werden und in eine politische Bewer-
tung 13 munden.

Gleichzeitig darf Medienfolgenabschatzung nicht die Fehler wiederholen, die


im Technikbereich gemacht wurden und werden. Technikbewertung bleibt
heute ein Vorhaben extemer Natur. Sie ist dem Forschungs-, Entwicklungs- und
AnwendungsprozeB heutiger Technologie auBerlich. Damit hat sie entweder zu
wenig Information, bleibt wage und ohne politische Bedeutung oder kommt zu
spat. Dieses ,,Dilemma der Techniksteuerung" (ebd., S. 231), wie es Ropohl
nennt, laBt denn auch nur einen SchluB zu: Die Technikbewertung muB in den
ProzeB der Innovation selbst eintreten, Teil der technischen Entwicklung ebenso
wie der gesellschaftlichen und politischen Techniksteuerung werden.

Fur die Medien hat dies gewaltige Folgen. Medienforschung, und das heiBt auch
Medienthik, muB selbst Teil der medialen Entwicklung werden. Der wichtigste
Schritt ist sicher, an der Gruppe der Macher anzusetzen. Reute geschieht dies
vor allem iiber Lehrveranstaltungen zum Thema Medienethik. Doch damit wer-
den, wenn iiberhaupt, nur die Hochschulabsolventen in Sachen Medien erreicht.
Der nachste Schritt muB sein, Ethikkommissionen zu installieren, politische
Meinungsbildungsprozesse in Gang zu setzen oder sich zumindest daran zu
beteiligen und das weite Feld der Medienbildung zu durchdringen. Dies heiBt
aber zugleich, und hier wird die Reichweite der Medienbewertung deutlich:

1l Die verschiedenen Methoden der Technikbewertung, die Ropohl darstellt (heuristische, gra-
phentheoretische, Simulations- und normative Bewertungsmethoden), lassen sich, wie ich meine,
leicht auf das Medienfeld iibertragen. Eine Entfaltung dieser Methodologie fiihrt hier aber zu weit.
82
"Wer die Mediatisierung gestalten will, muB sich darauf einlassen, Gesellschaft
zu gestalten.,,14

Ein Konzept ,,konzertierter Mediensteuerung" geht daher weit tiber den klassi-
schen Gedanken ordnungspolitischer Schadensbegrenzung hinaus. So verstan-
dene Mediensteuerung hat die Form einer Regelkreis-iihnlichen Selbststeue-
rung, in die Wertsetzung, Medienbewertung, Steuerung, Handeln und Analyse
bzw. Prognose medialer Folgen eingebunden sind. Innovative Mediensteuerung
ist kontinuierlich, sozial verankert, interaktiv zum EntwicklungsprozeB und
damit letztlich der Briickenschlag zwischen individueller Macher-Ethik und
Politikberatung.

7. Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeigte auf, daB Medienethik als angewandte Ethik der Empirie
bedarf, den naturalistischen FehlschluB dennoch vermeiden muB und zugleich
Impulse geben solI in die empirische Forschung hinein. Sie muB tiber alle Ebe-
nen der Verantwortung, der Macher, Rezipienten und Rahmenordnungsinstan-
zen, gelegt werden. Dabei zeigt sich, daB eine rein individualethische Konzepti-
on ebenso einseitig und damit unbefriedigend ist wie eine rein am sozialethi-
schen Topos orientierte Position. Beide Argumentationsweisen sind notwendig,
urn die Medienethik und letztlich jede angewandte Ethik zu konstituieren. Diese
ist vielmehr beschreibbar als

- konsequentialistisch,
- verantwortungsorientiert und
- prospektiv.

Der letzte Punkt fiihrte uns zu den zentralen Beziehungen zwischen der Medien-
ethik und Empirie:

- Als angewandte Ethik bedarf die Medienethik eines empirisch abgesicherten


Wissens tiber das Handlungsfeld Medien. Sie bekommt es aus der empiri-
schen Medienforschung.

14 Vgl. hierzu Ropohl (1996, 240), der natiirlich von "Technisierung" spricht.
83
- Medienethik ist zugleich Themengeberin fUr die empirische Forschung,
sofem sie das Fehlen eben dieses empirisch abgesicherten Wissens fUr ein
spezielles Problemfeld anmahnt.
- Und schlieBlich erhilt die Medienethik thematischen Input aus der empiri-
schen Forschung, namlich immer dann, wenn die empirische Forschung
normative Probleme im Handlungsfeld Medien an die zustiindige Disziplin
verweist.

All die genannten Punkt scheinen mir, und bier konnte ich nur einen Ausblick
eroffnen, in einem Projekt ,,,,edia assessment' verwirklichbar, das von der
bisherigen Diskussion und den Erfahrungen des "technology assessment' profi-
tiert. Dieses Projekt, verstanden als interdiziplinire Aufgabe, scheint mir der
geeignete Weg, die Vielfalt von Empirie und Ethik in der Einheit einer kon-
struktiven Gestaltung des Informationszeitalters zusammenzufiihren.

84
Literatur
Auer, A. (1996). Verantwortete Vennittlung. Bausteine einer medialen Ethik. In: Wilke (1996, S.
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87
Rudiger Funiok

Zwischen empirischer Realitit und


medienpidagogischer Praxis
Das Publikum als Adressat der Medienethik

Medienethik versucht Regeln fiir ein verantwortliches Handeln in der Produktion. Distribution und
Rezeption von Medien (auch Online-Medien) zu fonnulieren und zu begriinden. Dabei wird nicht
von einem vorgegebenen Wertesystem deduziert, sondern gefragt, zu welchen Se1bstverpflichtungen
sich Berufsgruppen, Medienbranchen oder auch Individuen bereit erkliiren sollen. Die bereits aner-
kannte und praktizierte Moral ("Wertkultur") bildet dabei einen wichtigen Bezugspunkt, an wel-
chem freilich auch Defizite deutlich werden. Als Teilaspekt der Medienethik lii6t sich eine Publi-
kurns- oder Nutzerethik fonnulieren, indem man von konkreten Einzelrollen und -
verantwortlichkeiten ausgeht, wetche in der abstrakten Rolle "Rezipient" enthalten sind. Da ist
einmal die staatsbiirgerliche Rolle und Verpflichtung, Medien auch zu politischer Informiertheit und
Kritikflihigkeit zu nutzen. Ferner die Aufgabe von Eltern und Lehrem, die Heranwachsenden bei der
Verarbeitung und kompetenten Beurteilung von Medieninhalten zu unterstiitzen. Schlie6lich gibt es
Bedingungen fiir eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung, d. h., Medien interessen- und bediirf-
nisgesteuert auswiihlen und dabei bewuBt auf manches verzichten zu konnen. Die Tugend des
MaBhaltens f6rdert das eigene und gerneinsame Wohlergehen in einem nachhaltigen Sinne. Was die
vorhandene Wertkultur angeht, so liegen vor allem fiir die familiare Medienerziehung empirische
Untersuchungen vor. Die dort festgestellten Defizite konnen durch eine normativ argumentierende
Publikumsethik nicht behoben werden. Aber sie stellt eine zusatzliche Motivation dar, die Enie-
hungs- und Medienkompetenz von Eltern wirksam zu verbessern.

1. Publikumsethik - ein oft vemachlissigter Teilaspekt der


Medienethik

Unter Medienethik wird z. B.

die Problematik von Medienkonzentration angesprochen, also eine politische


Kontrolle von Medienmacht gefordert.
Die meisten Veroffentlichungen zur Medienethik befassen sich mit der jour-
nalistischen Berufsethik, also mit professionsethischen MaBstiiben (wie z. B.
den Standards des Deutschen Presserates) und der Frage, welchen Ver-
pflichtungsgrad und welche Orientierungsfunktion sie bei der tiiglichen Ar-
beit haben oder haben sollten.

89
- Die Institutionenethik hebt die Verantwortung der Medienuntemehmer her-
vor, um angemessene Rahmenbedingungen fUr die joumalistisehe Tlitigkeit
zu sehaffen.
- Bezogen auf Medieninhalte oder Medienformate Hillt sieh fragen: Wieviel
,,-tainment", Emotionalisierung oder Inszenierung vertrligt die politisehe In-
formation oder die Wissensvermittlung dureh Medien? Wo und unter wel-
ehen Bedingungen wird sie demokratieunvertrliglieh oder verhindert ver-
tiefte Wissensaneignung (vgl. dazu Sehicha, 1998, S. 43)?
- Die Publikumsethik sehlieBlieh regt zur Reflexion dariiber an, was verant-
wortliehe Mediennutzung einsehlieBt.

Diese Frage wird, wenn iiberhaupt, als letzte gestellt. In einem ersten Teil werde
ieh daher skizzieren, welche Grundfragen die Publikumsethik entwiekelt und
auf welchen gesellsehaftliehen Diskurs sie bei aller individualethisehen Aus-
riehtung angewiesen ist.

Die Publikumsethik steht nieht im Zentrum der Medienethik. Sie hat mit man-
eherlei Sehwierigkeiten zu klimpfen. Eine Besonderheit der Publikumsethik
besteht darin, daB ethisehes Argurnentieren hier auf medienerzieherisehe Pro-
zesse verweist, also Teil von Medien(selbst)erziehung und auf sie angewiesen
ist. (Teil 2)

Und sehlieBlieh geht es drittens urn das Verhliltnis von empiriseher Sozialfor-
sehung und den philosophiseh-normativen Fragestellungen, wie sie die Ethik -
als die Reflexion auf die Moral - praktiziert. Angeblieh ist das Verhaltnis ja
unklar oder kllirungsbediirftig.

2. Das schwierige Geschift der Publikumsethik

2.1 Medienethik stellt - wie Ethik iiberhaupt - die Frage nach der Verant-
wortung

In der Alltagsspraehe iiber moralisehe Fragen hat sieh der Begriff Verantwor-
tung durehgesetzt, urn naeh dem moraliseh riehtigen oder guten Handeln und
Unterlassen zu fragen. Verantwortung kann als die heute akzeptierte ethisehe
"Sehliisselkategorie" bezeiehnet werden.

90
Es gibt zwar einige Neubelebungen, die Moralitiit von der Gerechtigkeit her zu
fassen (Rawls), aber der Verantwortungsbegriff wird zweifellos haufiger ver-
wendet.

Debatin (1997) hebt, in Ankniipfung an die Technikethiker Hubig (1993) und


Ropohl (1993), sechs Verantwortungelemente bzw. -relationen hervor: Wer -
Was (Handlung) - Wem gegeniiber - Wovor - WofUr - Weswegen. Besonders
relevant scheint mir seine, das "Was" betreffende Unterscheidung von individu-
ellem und korporativem Handeln. Zwar konnen nur Individuen verantwortliche
Subjekte im strengen Sinn sein, aber das Handeln - z. B. der loumalisten - hat
doch einen korporativen Kontext (die Redaktion) und soziale Bedingungen.
Verantwortlich ist ihr Medienhandeln einmal vor dem individuellen Gewissen
und dem gruppenspezifischen Ethos, aber auch vor der Offentlichkeit.

Beim "Wofiir" der Verantwortung lassen sich drei grundlegende Problemstel-


lungen (Pflichtenkreise) nennen.

Der Mensch tragt in all seinem Tun und Lassen

1. Verantwortung fiir sich selbst, im Blick auf seine eigenen Entfaltungschan-


cen als Individuum und im Blick auf die Sicherung seiner personalen Frei-
heit. Er tragt

2. Verantwortung fUr seine soziale Mitwelt im Blick auf die Entfaltungschan-


cen anderer; hier geht es um das Problem des gerechten Miteinanders der
Menschen und damit der Einlosung sozialer Anspruchsrechte. Und er tragt

3. Verantwortung fiir seine natiirliche Umwelt im Blick auf deren Erhalt als
Lebensgrundlage fiir ihn selbst sowie fiir kiinftige Generationen.

Diesen drei Pflichtenkreisen entsprechen als grundlegende Fragestellungen oder


nachste Operationalisierungsstufen die Fragen nach der

- Individualvertriiglichkeit, der
- Sozialvertriiglichkeit und der
- Umweltvertraglichkeit.

Das Handeln des Menschen muI3 - im GroBen und im Kleinen - immer zugleich
individual-, sozial- und umweltvertriiglich sein.

91
Diese Grundfragen lassen sich durchaus auf die Mediennutzung im Freizeitbe-
reich anwenden. So fragt die Publikumsethik:

- Was heillt selbstverantwortliche Medienwahl, was selbstbestimmte, der


Selbstentfaltung dienende Mediennutzung? Wodurch wird sie individual-
vertriiglich bzw. individualunvertriiglich? Sicher ist hier von den Nutzungs-
bediirfuissen und Motiven auszugehen (nach Information und Wissen, aber
auch nach Unterhaltung und Zerstreuung) und jeder und jede ist da frei, die
eigenen Prioritaten zu setzen. Dennoch fragt die Publikumsethik: Welche
Art von Mediennutzung fordert die Selbstentfaltung und die personliche
Freiheit, welche behindert sie?

- Was heillt sozialvertriigliche Mediennutzung? Was veriindert es an meiner


Zeitungslektiire, meiner Horfunk- und Femsehnutzung oder meiner Online-
Kommunikation, wenn ich dabei nicht nur ein individuelles Bediirfnis be-
friedige, sondem auch die Rechte anderer achte? Wenn ich die politische
Rolle der Medien und die Bedingungen fUr eine wahrheitsgetreue Informati-
on und transparente Kommentierung nicht vollig aus dem Blick verliere?

- Wie konnte eine umweltvertriigliche Mediennutzung aussehen? Wie UiBt


sich der Papierverbrauch der Printmedien durch das Nutzerverhalten be-
grenzen oder wenigstens der Verbrauch an neuem Papier? Wie liiBt sich der
Stromverbrauch bei elektronischen Medien geringhalten, wie konnen Nutzer
dazu beitragen, daI3 Computerbauteile starker recyclebar werden?

2.2 Publikumsethik kniipft an Eigenverantwortung an,


oboe die politischen Rahmenordnungen zu vergessen

Der Ruf nach Medienethik wird meist aus konkretem AnlafJ erhoben. Der au-
genblickliche Zustand wird als krisenhaft oder inhuman, als ,,nicht in Ordnung"
erlebt. Es riihrt sich ein Protest: So geht das nicht, das ist unmoralisch! Ethik
versucht zu erkunden, worin das Unmoralische liegt und dann zu begriinden,
warum dieses Verhalten nicht individual-, sozial- oder umweltvertriiglich ist.
Ein kulturkritischer Protest (z. B. gegen zuviel Femsehen), sei er noch so enga-
giert, ist dabei noch kein ethisch relevantes Argument. Es ist vielmehr jeweils
konkret nachzuweisen, wie hier die Personalitat und Menschenwiirde verletzt
wird - und nicht nur wie kulturelle Gewohnheiten, Besitzstiinde oder quasireli-
giose Erwartungen angesichts von schockhaft erlebten Veriinderungen der Me-
dienangebote und -formen (vgl. Faulstich, 1997) an Geltung verlieren.

92
Mit den moralischen Anfragen an die eigene Mediennutzung ist das so eine
Sache. Als problematisch wird zuniichst die Mediennutzung anderer empfun-
den: die Fernsehnutzung der Vielseher oder das Abrufen und Einstellen von
Kinderpornographie im Internet. Die Entriistung iiber Menschen, die bereit sind,
zur Befriedigung ihrer sexuellen Wiinsche Kinder grausam zu quiilen, ist allge-
mein und bedarfkeiner weiteren Begriindung (andere Aspekte der Pornographie
sebr wohl). Man ruft nach international einheitlichen Gesetzen, nach gezielten
Aktivitiiten der StrafverfolgungsbehOrden und begriiJ3t die Initiativen von ein-
zelnen, die Kriminalitiit aus den offentlichen Netzen fernbalten wollen.

Die eigene Mediennutzung wird viel seltener problematisiert. Die Falscbbeit


oder Unangemessenbeit der eigenen Mediennutzung ist nicht so klar oder wird
nicht als so relevant eingestuft. Und so verfliichtigt sich das ProblembewuBtsein
wieder schnell. Da hat man ein schlechtes Gewissen wegen der passiv vertanen
Zeit vor dem Fernseher, wegen des Fernsehkonsums der Kinder. Oder man
entdeckt an einem Zeitungsartikel, daB 10urnalisten nur die Worte und Inszenie-
rungen der Politiker wiedergegeben, ohne sie griindlich durchschaubar und
beurteilbar zu machen, und man fragt sich: Was kann ich dazu beitragen, daB es
eine transparentere, unabhiingigere Berichterstattung gibt? Aber kann ich wirk-
lich etwas tun?

Publikumsethik zu entwickeln, ist also ein schwieriges Geschiift. Sie kann nur
an die vorhandene Bereitschaft zur eigenen "Gewissenserforschung" ankniipfen.
Es geht urn Eigenverantwortung, also urn die Bereitschaft, aus moralischen
Griinden nicht nur an andere, sondern auch an sich Anforderungen zu stellen.

Ich will hier nur einige Anforderungen nennen, die immer wieder genannt wer-
den, und gleichzeitig auch ihre Grenzen verdeutlichen.

- Da ist einmal die bewuBte, an den eigenen Interessen und Bediirfnissen


ankniipfende Medienauswahl. Dies schlieBt eine Begrenzung mit ein und
damit einen partiellen Verzicht. Denn ohne die Tugend des MaBhaltens ver-
sinken wir, wie Liibbe (1994) eindringlich betont, in der Flut des Informati-
ons- und Unterhaltungsangebots.

- Verantwortliche Mediennutzung schlieBt ein - wiederum interessensbe-


stimmtes und lebensgeschichtlich gepriigtes - Qualitiitsbewufttsein mit ein.
Es ist die kleine, aber reale Macht der Konsumenten, das Bessere nachzufra-
gen und das Schlechtere "abzuwiihlen". Fiir eine Zuriickweisung minder-

93
wertiger oder moralisch fragwiirdiger Angebote, fiir den Boykott von Pro-
dukten in einem problematischen Werbeurnfeld (z. B. gewalthaltige Fem-
sehsendungen zu einer typischen Kinderfemsehzeit), wird freilich immer nur
ein Teil des Publikums zu gewinnen sein. Aber die geringe Zahl sagt nichts
gegen die ethische Bedeutsamkeit solcher gezielten Aktionen.

- SchlieBlich gehOrt zu einer verantwortlichen Mediennutzung die Aufinerk-


samkeit fiir die demokratische Rolle der politischen Medieninformation.
Diese Aufmerksamkeit schlieBt das Einfordem und die Unterstiitzung eines
unabhiingigen und aufkliirerischen loumalismus ein. Hamelink (1995, S.
499) betont, daB das Publikum verpflichtet sei, einen "aktiven Beitrag zum
beruflichen Handeln der Medienschaffenden" (Ubers. R. F.) zu leisten. Wo
in unverantwortlicher Weise irrefiihrende Informationen verbreitet werden-
das war eklatant bei der Goltkriegsberichterstattung der Fall, ist es aber auch
bei mancher Politikinszenierung - da geht das beide an. Denjenigen, der an-
dere in die Irre fiihrt, und denjenigen, der getiiuscht wird.

In den meisten Liindem haben die Mediennutzer die rechtlich garantierte Mog-
lichkeit von Riickmeldungen. Die Nutzer entscheiden mit damber, in welchem
AusmaB und mit welchem Ziel von diesem Recht Gebrauch gemacht wird: Zum
Einfordem bloB individueller und egoistischer Programmprliferenzen, oder auch
zum Einfordem eines Qualitiitsjoumalismus. Hamelink (1995) verweist auf die
Bedeutung von Kreisen und Initiativen zur kritischen Medienbeobachtung, urn
dann abschlieBend festzuhalten: Mediennutzung sollte - wie die Leistung der
Medienberufe - als soziale Praxis betrachtet werden, welche ethische Ent-
scheidungen und die Annahme, daB diese Entscheidungen zu begriinden sind,
mit einschlieBt. Er faBt seine Forderungen an das Publikum in ,,zehn Geboten
derNutzerethik" (ebd., S. 505, Ubers. R. F.) zusammen:

"I. Du sollst bei deiner Mediennutzung waehsam und kritiseh sein.


2. Du sollst aktiv gegen aile Fonnen von Zensur kiimpfen.
3. Du sollst die Unabhiingigkeit der Medien nieht ungerechtfertigt behindern.
4. Du sollst waehsam sein bei rassistisehen und sexistisehen Stereotypen in den
Medien.
5. Du sollst naeh alternativen Infonnationsquellen suehen.
6. Du sollst ein pluralistisehes Angebot an Infonnationen fordern.
7. Du so list deine eigene Privatsphiire sehiitzen.
8. Du sollst selbst eine zuverliissige Infonnationsquelle sein.
9. Du sollst dieh nieht am Seheckbueh-lournalismus beteiligen.
10. Du sollst von den Medienproduzenten Rechensehaft fordern."

Defizite bei den Medieninhalten lassen sich jedoch nicht nur mit einer entspre-
chenden kritischen Einstellung und Aktivitiit des Publikums beheben. Abhilfe
94
miissen auch politische Regelungen bzw. Rahmenordnungen schaffen. Sie an-
zumahnen ist mit Aufgabe der Medienethik. Denn so wichtig die Mediennut-
zungsmoral sein mag, ihr darf nicht die alleinige Verantwortung im Medienbe-
reich zugeschoben werden.

"Wenn also beispielsweise zuviel Gewalt in den Medien zu einem Anwachsen


realer Gewalt fiihrt ( ... ), so ist dieser Argumentation zufolge der die Gewalt rezi-
pierende Zuschauer der Verursacher, denn er hat sie sich ja schlieBlich- wegen
Fehlens einer anstiindigen Moral- angesehen. Der Produzent, der SchauspieJer,
der Programrndirektor - sie sind ebenso von ihrer Verantwortung befreit wie der
Medienpolitiker und -jurist." (Winterhoff-Spurk, 1996, S. 190)

Eine solche, gelegentlich anzutreffende Argumentation verteilt die Verantwor-


tung einseitig. Die individuelle Mediennutzungsmoral ist nur eine Seite. Es
braucht ebenso die politischen, okonomischen und juristischen Rahmenbedin-
gungen, damit z. B. problematische Inhalte flir Kinder nicht allgemein zugang-
lich sind.

2.3 Medienethik ist auf geseUschaftlichen Konsens angewiesen

Medienethisches Argumentieren greift also auch da, wo es nur die Mediennut-


zung des Individuums oder der kleinen Gruppe betrachtet, auf die gesellschaft-
liche Ebene aus. Deshalb mahnt Medienethik einen gesellschaftlichen Konsens
iiber Nonnen z. B. dariiber an, wie die Zuganglichkeit zu problematischen Me-
dieninhalten zu regeln ist.

Der (Medien-)Ethiker kann zwar probeweise den gesellschaftlichen Diskurs


dariiber antizipieren, anregen, vorstrukturieren. Seine Aufgabe ist es dabei auf-
zuzeigen, wie man mit Bezug auf grundlegende ethischen Prinzipien zu Praxis-
nonnen gelangen kann. Welche Giiterabwagungen sind dabei relevant? Welche
typischen Situationen sind zu beriicksichtigen? Was sagt die empirische For-
schung iiber die Wirkungen, den Nutzen und die Kosten der Medienrezeption
und -interaktion (und das immer bezogen aufbestimmte Personengruppen)?

Zur gesellschaftlichen Anerkennung von Nonnen kommt es freilich nicht durch


den Vorschlag einzelner Experten, sondem nur in einem "Diskurs", im Zuge ge-
sellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Dabei ist von einer Pluralitiit der Wert-
orientierungen auszugehen. Fiir die Giiltigkeit konkreter Nonnen bedarf es je-
doch eines Konsenses. Nonnen miissen in konkreten Lebenswelten und im
offentlichen Diskurs erortert und beziiglich ihrer Giiltigkeit gekliirt werden.

95
Ohne die gesellsehaftliehe Konsentierung bleiben Gesetze und andere reehtliehe
Regelungen ohne moralisehen Riiekhalt.
Die Sehwierigkeit ist nieht, daB dieser Diskurs logiseh (und wissensehaftlieh)
nieht moglieh ware, sondem daB er iiberhaupt in Gang gesetzt wird. Es ware die
Aufgabe von Medienethikem, anhand von Fallbeispie1en den Diskurs iiber
verantwortliches Medienhandeln zu initiieren und zu moderieren. PIattformen
dieser medienethischen Erorterungen sind z. B. Akademieveranstaltungen oder
die Medienseiten von Tageszeitungen. Dabei sind einerseits undifferenzierte
Anklagen an Medieneigentiimer oder Joumalisten zu vermeiden, andererseits
miissen aber die von Fehlinformation und Rufsehiidigung Betroffenen zu Wort
kommen.

3. Verantwortliche Mediennutzung als Tell von Medienkom-


petenz

Es ist heute viel von Medienkompetenz als einer SchIiisse1Qualiftkation fiir die
Informations- oder Wissensgesellschaft die Rede. Medienkompetenz ist eine
gIobaIe Zie1groBe, welche durch verschiedenartige erzieherisehe, unterrichtliehe
und selbstorganisierte Bildungsprozesse erreiehbar oder aktualisierbar ist. Nor-
malerweise werden vier Kompetenzfelder unterschieden (vgl. Baaeke, 1996;
1997):

1. die Fiihigkeit, die gesellsehaftlichen Veriinderungen hinter den Medienent-


wieklungen kritisch zu verstehen und zu hinterfragen (,,Medienkritik"),
2. das notwendige Wissen, von den Geriiten bis hin zur Politik der groBen
Medienorganisationen (,,Medienkunde"),
3. die Fiihigkeit zur praktischen ,,Mediennutzung", die rezeptive und die inter-
aktive Nutzung (wie beim Computer) und
4. die Fiihigkeit zur eigenen "Mediengestaltung" (z. B. beim Erstellen einer
Homepage, bei der aktiven Videoarbeit u. a.).

Ethisehe Fragen spielen in allen vier Feldem eine Rolle. Besonders akut sind sie
beim vierten Feld, wo aus dem Mediennutzer ein Mediengestalter wird, der
nieht nur iisthetiseh kreativ, sondem aueh sozial-verantwortlieh sein solI. Ethi-
sehe Fragen stellen sieh jedoeh auch beim ersten Feld, bei der Fiihigkeit zur
Medienkritik - weil hier personliehe Qualitiits- und WertmaBstiibe gefragt sind,
aber aueh politische Rahmenbedingungen flir Medienfreiheit und -vieIfaIt.

96
3.1 Der ethische Standpunkt als Ten kritischer Retlexivitiit

Will man heute die Medienentwicklung zumindest verstehend begleiten, so ist


nach Baacke (1997, S. 98 f.) eine ,,kritische Retlexivitiit" notig, die sich in drei
Dimensionen auffachert:

"a) Analytisch sollten problematische gesellschaftliche Prozesse (z. B. Konzen-


trationsbewegungen) angemessen erfaf3t werden konnen;
b) reflexiv sollte jeder Mensch in der Lage sein, das analytische Wissen auf sich
selbst und sein Handeln anwenden zu konnen;
c) ethisch ist die Dimension, die analytisches Denken und reflexiven Riickbezug
als sozialverantwortet abstimmt und definiert."

Schorb (1998, S. 87 f.) macht darauf aufinerksam, daB Medienethik friiher


selbstverstiindlich unter Retlexivitiit subsumiert wurde, und heute zunehmend
als eigener Gesichtspunkt eingebracht werden muB. Friiher sei das Denken und
Handeln immer auch als gesellschaftlich bedeutsam gedacht worden und sei
gesellschaftlich zu verantworten gewesen. In Zeiten zunehmender Individuali-
sierung, aber auch der individualisierten Mediendistribution und der wechsel-
seitigen Netzkommunikation erscheinen die Entwicklungen im Medienbereich
nicht mehr selbstverstiindlich unter der Perspektive der sozialen Verantwortung.
Der ethische Standpunkt muB heute eigens betont und als Bestandteil der Me-
dienkompetenz herausgestellt werden. Ich habe schon darauf hingewiesen, daB
die Moral im Medienbereich nicht einseitig dem einzelnen abverlangt werden
darf. Aber man kann medienethische Anforderungen, die friiher bevorzugt in
einem gesellschaftskritischen Kontext gestellt wurden, heute "postmodem"
auch von der subjektiven Aufgabe eines authentischen Lebensstils und einer
verantworteten Lebensgestaltung her entwickeln.

3.2 Sozial verantwortliche Mediennutzung in der AIltagswelt

In der familiiiren Lebenswelt erscheint soziale Verantwortung unmittelbarer


einsichtig. Die meisten von uns sind immer wieder mit Kindem und Jugendli-
chen im Gespriich tiber Medien. Ais Eltem, als ErzieherIn oder LehrerIn tragen
wir Mitverantwortung fUr die Entwicklung der uns anvertrauten Kinder und
Jugendlichen. Kleine Kinder sollte man nie Hinger allein vor dem Femsehgeriit
lassen, ohne erreichbar zu sein, wenn fUr sie schwierige oder besonders faszinie-
rende Sendungen Verarbeitungsprobleme stellen. Jugendliche verarbeiten

97
schwierige Medienerlebnisse zunehmend mit Gleichaltrigen. Doch bleibt die
Verantwortung der Eltem grundsiitzlich bestehen.

Die elterliche Verantwortung beginnt mit dem Gespiir fUr die Verarbeitungs-
probleme oder -defizite bei den Kindem und Jugendlichen. Damit Verantwor-
tung angewendet werden kann, miissen Eltem freilich Alternativen z. B. der
Freizeitgestaltung sehen und Interventionsmoglichkeiten nutzen konnen. Eine
realistische und positive, nicht bloB abstrakte oder kulturpessimistische Me-
dienpiidagogik wird die Verantwortung der Eltem konkretisieren miissen und
die Eltem dort abholen, wo sie stehen. Sie wird die Bedeutung und die Zielset-
zungen der Femseherziehung mit ihnen diskutieren, also an deren Wert- und
ProblembewuBtsein ankniipfen - und so viel wie moglich Verantwortungsper-
spektiven einzubringen versuchen.

Empirische Untersuchungen rum Medienkonsum und zur Medienerziehung in


der Familie konnen einen wichtigen Beitrag zur Konkretisierung und Umset-
zung von medienerzieherischen Zielsetzungen leisten. Ohne sie bleibt die Rede
von Medienkompetenz abstrakt und spekulativ, sie kann Uberforderungen und
damit Resignation vorprogrammieren. So betonen z. B. Hurrelmann et al.
(1996) in ihren piidagogischen SchluBfolgerungen (ebd., S. 257 ff.), daB sowohl
die Femsehnutzung wie die Femseherziehung immer im Kontext der Familien-
form (Ein-Eltem-Familien - Zwei-Eltem-Familien mit einem Kind - Familien
mit zwei Kindem - und mit drei oder mehr Kindem) mit ihren unterschiedli-
chen Belastungen und Chancen zu sehen ist. Femseh-Erziehungsprobleme sind
in den strukturellen Problemen der Familien verankert - Mediennutzungskom-
petenz ist zu einem groBen Teil Alltagsbewiiltigungskompetenz. Obwohl die
meisten Eltem die Femseherziehung als ihre Sache ansehen (sich freilich dabei
auch Hilfe yom Kindergarten und Schule erwarten), wird die Femsehnutzung
kaum im Zusammenhang einer umfassenden Medienkompetenz gesehen - da ist
stiirker der Computer (und seine berufliche Verwertbarkeit) im Blick.

Eines ist aus diesen knappen Hinweisen deutlich geworden: Medienpiidagogik


ist auf empirische Forschung als Ergiinzung und Situationsbeschreibung ange-
wiesen. Das gilt auch dort, wo Medienpiidagogik auf medienethische Argu-
mentation zurUckgreift. Was die Piidagogik selbst leisten muB, ist die grund-
siitzliche Zielbestimmung der medienerzieherischen Hilfestellungen. Wie sind
Selbstbestimmung und kreative Identitatsfindung in einer medienbestimmten
Welt moglich? Die Zielvorgabe Medienkompetenz erschOpft sich nicht in einer,
die gesellschaftlichen und okonomischen Vorgaben einfach hinnehmende
,,Mediensozialisation". 1m Namen einer Bildung, die zu Individuation und Per-

98
sonalisation fUhren will, geht es immer auch darum, sich eine gewisse Wider-
stiindigkeit gegeniiber den Medienangeboten zu erhalten und - bei ihrer Nut-
zung und im Verzicht auf sie - die Hihigkeit zur eigenstiindigen Sinnfindung zu
entwickeln.

3.3 Personlichkeitsf"Orderung als Voraussetzung

Mettler-von Meibom (1997) macht auf solche Voraussetzungen von Selbstbe-


stimmung und Freiheit aufinerksam. Freiheit sei nicht zu realisieren ohne emst-
haft praktizierte Formen der Selbstsorge. Mettler-von Meibom stiitzt sich dabei
auf den Philosophen Michel Foucault, der die Kultur der Selbstsorge - mit
Riickgriff aufPlaton - als "Technologien des Selbst" bezeichnet. Dazu zahlt der
bewuBte Umgang mit der Zeit, das Sich-etwas-Versagen-Konnen (Askese), die
Hinwendung nach innen und das Horchen auf die Regungen der Seele, "urn die
Wahrheiten, deren man bedurfte, fUr sich selbst aktivieren zu konnen" (ebd., S.
45). Solche Elemente einer Distanznahme und ruhigen Verarbeitung sind notig,
weil uns bestimmt Medienangebote so stark faszinieren konnen, daB unsere
Mediennutzung wenigstens voriibergehend suchthafte Ziige annimmt. Es gehOrt
fUr Mettler-von Meibom zur Forderung von Medienkompetenz im privaten
Alltag, daB man solche anspruchsvollen Wege der PersonlichkeitsfOrderung
sucht.

In dieselbe Richtung verweist der Philosoph Liibbe (1994), indem er empfiehlt,


die Mediennutzungsethik an der traditionellen Tugend des MaBhaltens auszu-
richten. UnmiiBiger Medienkonsum wirke destruktiv und mache freiheitsunHi-
hig; dies gelte nicht nur von ausgesprochen unterhaltenden Sendetypen, sondem
auch vom Nachrichtenkonsum.

4. Medienethik und empirische Kommunikationsforschung

4.1 Ethik als Integrationswissenschaft

Urn im Medienbereich zu handlungsleitenden ethischen Orientierungen zu ge-


langen, kann nicht nur von abstrakten ethischen Prinzipien (wie der Achtung
der Menschenwiirde) ausgegangen werden. Eine "angewandte Ethik" wie die
Medienethik hat die empirischen Einzeldaten aufzugreifen und sie in einer an-

99
thropologisehen, d. h. auf den Mensehen - seine Freiheit und Wiirde - bezoge-
nen Weise zu integrieren undfokussieren.

Je mehr Ethik ,,konkrete" Ethik wird, urn so mehr gewinnen - aus der Sieht
vieler an Anwendungsfragen interessierter Ethiker (wie z. B. Korff, 1985, S. 51)
- die "von den versehiedenen Einzeldiszip1inen" erseh10ssenen Saehverhalte
und Gesetzliehkeiten "an Gewieht". Die Ethik ist von sieh aus gar nieht in der
Lage, diese Saehgesetzliehkeiten zu eruieren und "fiir den NormfmdungsprozeB
irn Hinbliek auf die jeweiligen Handlungsfelder" bereitzustellen. Dieser gegen-
seitige Bezug von Empirie und Ethik gilt nieht fiir die Metaethik (also z. B. die
Begriindungsmodelle von ethisehen Aussagen), wohl aber fiir all jene Bereieh-
sethiken wie Umweltethik, medizinisehe Ethik, Wirtsehaftsethik - und eben
aueh Medienethik.

Medienethik hat also anerkannte Ergebnisse zur Wirkung der Medienkommuni-


kation, aber aueh zu den Bediirfuissen und Motiven bei den Rezipienten, aufzu-
greifen und an ihnen zu zeigen, was hier die Mensehenwiirde gefahrden kann -
bezogen auf bestimmte Personengruppen und Medieninhalte. Bei diesem ge-
meinsamen Untemehmen von Empirie und Ethik bleibt die Giiltigkeit der mo-
ralisehen Handlungsanweisungen auf jenen Wahrseheinliehkeitsgrad be-
sehriinkt, welcher der empirisehen Sozialforsehung eigen ist. Anders verhalt es
sich bei den ethisehen Prinzipien - welche als zu konkretisierende in die Be-
reichsethiken eintlieBen. Der ethisehe Ansprueh als solcher hat seinen eigentli-
chen Grund nieht in empirisehen Gegebenheiten, sondem letztlieh "in jener
transzendentalen VerfaBtheit des Mensehen, aus der dieser (... ) die Gewillheit
seiner unverfiigbaren persona1en Wiirde gewinnt" (Korff, zitiert von Feldhaus,
1998, S. 21). Indem die angewandte Ethik das Normative irn je Konkreten auf
den Punkt bringt, d. h., z. B. die Bedingungen der Verwirkliehung von Men-
sehenwiirde mit Riiekgriff auf die Empirie aufzeigt, ist als angewandte Ethik
zugleieh empirie- und prinzipiengeleitet. Medienethik sollte also immer aueh
eine, die Empirie integrierende Ethik sein.

4.2 Medienethik kann RezipientenbUd kliren und eine neue Art von Pu-
blikumsforschung entwickeln helfen

Philosophiseh-normative Erwagungen greifen aber nieht nur die Empirie auf,


sie konnen - wie andere geisteswissensehaftliehe Theorien aueh - die Begriffs-
bildung und Fragestellungen der empirisehen Forsehung anregen, d. h., oft
erweitem.

100
Das Publikum als entseheidende ZielgroBe der Medienkommunikation blieb in
der klassisehen Massenkommunikationsforsehung eigentiimlieh unbestimmt. Es
war das yom Medienangebot (und der Werbung in ihm) umworbene Publikum.
So stand und steht die Publikumsforsehung maBgeblieh unter untemehmeri-
sehen Zielsetzungen: Das Publikum wird als erreiehtes Publikum erfaBt, als
Marktanteil, mit bestimmter Hor- und Sehdauer. Sieher kennt die Kommunika-
tionswissensehaft aueh andere Perspektiven. Der Nutzenansatz erforschte z. B.
die eigenstiindigen Motive des Individuums mit seinen nicht primar medienbe-
stimmten Handlungsstrategien - man sprach yom widerspenstigem Publikum.

Aber der Wunsch nach demokratiseher Mitbestimmung an der Medienkommu-


nikation - wie ich ihn vorhin mit Bezug auf Hamelink skizzierte - kommt we-
nig vor. Hier hatte die Medienethik eine anregende und erweitemde Rolle ge-
genuber der Rezipienten- und Wirkungsforsehung. Das Publikum nieht nur als
Masse, Zielgruppe, Fan-Kultur oder Individuum, sondem auch als sozialer Ak-
teur - das ware eine der Demokratie und Individualisierung entsprechende Per-
spektive (vgl. BonfadelliIMeier, 1996). Wenn man die kritische Rezeption flir
moglich und notwendig hlilt - und zwar flir das Individuum und flir die Gesell-
schaft bzw. Demokratie -, dann mussen die Strategien gegen die mediale Uber-
wliltigung theoretisch ins Auge gefaBt und empirisch erforscht werden. Vor
allem im Blick auf die neuen, individualisierten und interaktiven neuen Medien
ist das notig. Die Vorstellung yom "aktiven" Rezipienten ist nach Neuberger
(1997) vor aHem von normativen Ansatzen der Kommunikationswissensehaft
und Medienplidagogik entwiekelt worden. Die klassisehe, deskriptive Wir-
kungsforsehung hingegen suggeriert im Stimulus-Response-Modell die Vor-
stellung yom passiven, manipulierbaren Rezipienten. ,,Beide Vorstellungen
simplifizieren jedoch den Rezpienten und halten einer empirischen Priifung
nieht stand" (Neuberger, 1997, S. 175). "Bislang stehen sie auffallend unver-
bunden nebeneinander und befruehten sieh gegenseitig noeh kaum." (ebd., S.
174) So laBt sieh resumieren: ,,Als wichtigste Leerstelle in der Theorie der neu-
en Medien kann die fehlende Subjekttheorie festgehalten werden" (Sutter, 1995,
S.354).

4.3 Deskriptive Ethik: Die Erforschung handlungsleitender WertmaOstabe

Nur ein Teil der denkbaren moralisehen Anspriiehe an sich selbst wird aueh
yom Publikum fUr relevant und praktikabel gehalten. Wie stark sie wirklieh
ubemommen werden, das zu erforsehen ware Aufgabe der deskriptiven (d. h.

101
sozialwissenschaftlich forschenden) Ethik. Dieses tatsiichlich bejahte und prak-
tizierte Ethos von Rezipienten ist viel zu wenig bekannt - innerhalb der Medie-
nethik am meisten bei der von den Joumalisten akzeptierten Berufsmoral (vgI.
ThomaB, 1998). Es ware eine lohnende Aufgabe der empirischen Rezipienten-
forschung, dieses Ethos auch beim Publikum zu erheben - urn Wege einer wei-
tergehenden ethischen Sensibilisierung sichtbar zu machen. Am ehesten ist dies
noch bei den Forschungen zur familiaren Femseherziehung geschehen
(Hurrelmann et aI., 1996). Es bleibt also noch viel zu tun an gemeinsamen oder
erganzenden Projekten von empirischer Sozialforschung mit der deskriptiven,
aber auch der philosophisch-normativen Ethik.

102
Literatur

Baacke, D. (1996): Medienkompetenz - Begriffiichkeit und sozialer Wandel. In: Rein, A. von
(Hrsg.): Medienkompetenz als SchlUsselbegriff(S. 112-124). Bad Heilbrunn.

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ner, Bd. I). Tiibingen.

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Medien. Nr. 8, S. 5-13.

Debatin, B. (1997): Medienethik als Steuerungsinstrument? Zum Verhiiltnis von individueller und
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spektiven der Medienkritik. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der offentlichen
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Faulstich, W. (1997): ,)etzt geht die Welt zugrunde ..." ...Kulturschock" und Medien-Geschichte:
Vom antiken Theater bis zu Multimedia. In: Ludes, P. & Werner, A. (Hrsg.): Multimedia-
Kommunikation. Theorien. Trends und Praxis (S. 13-35). OpladenlWiesbaden.

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Funiok, R. (1996): Grundftagen einer Publikumsethik. In: Funiok, R. (Hrsg.): Grundfragen der
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Hubig, C. (1993): Technik- und Wirtschaftsethik. Ein Leit/aden. BerliniHeidelbergINew York.

Hurrelmann, B./Mammer, M. & Stelberg, K. (1996): Familienmitglied Fernsehen. Fernsehgebrauch


und Probleme der Fernseherziehung in verschiedenen Familieriformen. Opladen.

Liibbe, H. (1994): Mediennutzungsethik. Medienkonsum als moralische Herausforderung. In:


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schreitungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung: Das Parlament. B
19-20/97, S. 34-46.

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joumalistischer Leistungen. In: WeBler, H. et al. (Hrsg.): Perspektiven der Medienkritik. Die
gesellschaftliche Auseinandersetzung mit offentlicher Kommunikation in der Mediengesell-
schaft. (S. 171-184). OpladenlWiesbaden.

Ropohl, G. (1993): Neue Wege, die Technik zu verantworten. In: Lenk, H. & Ropohl, G. (Hrsg.):
Technik und Ethik (S. 149-176). Stuttgart.

103
Schicha, c. (1998): Medien, Moral und Kommunikation. Handlungsoptionen zwischen normativen
Anspriichen und praktischen Umsetzungsmoglichkeiten (IKO-Diskussionsforum, Band 2, Ver-
offentlichung des Institutes flir Informations- und Kommunikationsokologie). Duisburg.

Schorb, B. (1997): Vermittlung von Medienkompetenz als Aufgabe der Medienpadagogik. In:
Enquete-Kommission ,,Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesel1schaft. Deutschlands Wege
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Sutter, T. (1995): Zwischen medialer Uberwaltigung und kritischer Rezeption. In:Publizistik, 40, S.
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ThomaB, B. (1998): Journalistische Ethik. Ein Vergleich der Diskurse in Frankreich, Groftbritanni-
en und Deutschland. Opladen!Wiesbaden.

Winterhoff-Spurk, P. (1996): Individuel1es Informationsmanagement: Psychologische Aspekte der


Medienkompetenz. In: Jackel, M. & Winterhoff-Spurk, P. (Hrsg.): Mediale Klassengesell-
schaft? Politische und soziale Folgen der Medienentwicklung (S. 177-195). Miinchen.

104
Rafael Capurrol

Das Internet und die Grenzen der Ethik


Eine neue Informationsethik stellt sich den Ergebnissen
der Medienwirkungsforschung

, Vom face to face zum interface': Unter diesem Motto liiBt sich die Erweiterung ethischer Reflexi-
on stellen, welche die neuen Medien und ihre globale Vernetzung gegenwiirtig bewirken. Eine neue
moderne Fonn universalen ethischen Dialogs scheint greitbar nab. Nimmt man diese mediale
Revolution ernst, so kann man SOgar von einer- etwa gegeniiber Kant und Habermas - neuen
Informationsethik sprechen, welche sowohl die Grenzen der Gedankenfreiheit des gedruckten
Wortes (Kant) als auch die eines zwar universal ausgerichteten aber durch die Massenmedien
verunreinigten und fremdbestimmten Dialogs (Habermas) sprengt. Obwohl aber das Internet die
Vision eines zugleich universalen und dezentralen, d. h. selbstbestimmten Mediums zu verwirkli-
chen scheint, ist die Frage nach Chancen und Grenzen eines ethischen Dialogs in und iiber dieses
Medium noch offen. Der im Rahmen von UNESCO durch den Fachbereich Infonnationswissen-
schaft der Universitiit Konstanz betreute Dialog "VF-INFOethics" (VF = Virtual Forum) stellt
einen Versuch zur Erforschung dieser Frage dar.

1. Einleitung

,Vom face to face zum interface': Unter diesem Motto liiBt sich die mediale
Veriinderung ethischer Reflexion stellen, bewirkt durch die Neuen Medien und
ihre globale Vernetzung. Eine neue Form universalen ethischen Dialogs scheint
greifbar nah. Nimmt man diese mediale Revolution ernst, so kann man sogar
von einer - etwa gegeniiber Kant und Habermas - neuen Informationsethik
sprechen, welche sowohl die Grenzen der Gedankenfreiheit des gedruckten
Wortes (Kant) als auch die einer "von elektronischen Massenmedien be-
herrschten, semantisch degenierten (sic!), von Bildern und virtuellen Realitiiten
besetzten Offentlichkeit" (Habermas, 1995) sprengt.

1 e-mail: [email protected]
Internet: http://v.hbi-stuttgart.de/-capurro/index.html
Web-Adressen werden im folgenden Text aus Griinden der Lesbarkeit in die FuBnote gestellt.
105
Der Ausdruck face to face deutet auf die Auffassung von Emmanuel Levinas
hin, wonach das Ethische nicht auf einer abstrakten Norm, sondern auf einem
a
unmittelbaren und leibhaftigen Verhiiltnis face face - das Medium des Ethi-
schen ist flir Levinas das Gesicht selbst - gegriindet ist (Levinas, 1987). Ich will
damit nicht behaupten, daB durch die technische Medialisierung zwischen-
menschlicher Beziehungen die leibhaftige Begegnung und die strukturelle Be-
deutung dessen, was Levinas "das Gesicht" nennt, obsolet geworden waren.
Aber ich meine, daB sowohl die Massenmedien (Rundfunk und Fernsehen) als
auch Individualmedien wie das Telefon und die weltweite Vernetzung durch das
Internet, ja daB die verschiedenen Hybridformen dieser neuen Medien unterein-
ander und mit den klassischen Medien (Oralitiit, Printmedien) uns vor neue
a
ethische Fragen stellen, die das Paradigma des face face in einem anderen
Licht erscheinen lassen. Mit anderen Worten, die Frage des Mediums steht
heute flir die Ethik erneut im Mittelpunkt der Reflexion.

Bereits am Beginn der abendlandischen Denktradition fmden wir den Ubergang


vom oralen Medium - personifiziert in der Figur des offentlich und face to
face argumentierenden Sokrates - zur schriftlichen Darstellung eben dieses
Mediums in den platonischen Dialogen und wir fmden dort eine Reflexion iiber
diesen Ubergang. Bekanntlich hat Platon auf die Schwiichen der Schrift auf-
merksam gemacht. Bei Aristoteles scheint das Vertrauen in die Schrift groBer zu
sein, wenngleich viele seiner Schriften, nicht zuletzt seiner ethischen, im Kon-
text der miindlichen Lehre und ihrer piidagogischen Ziele eingebettet sind. Pier-
re Hadot hat iiberzeugend gezeigt, daB der Hauptcharakter der ganzen antiken
(griechisch-romischen) Philosophie in ihrem Bezug zur konkreten individuellen
und sozialen Lebensgestaltung besteht. Die philosophischen Schriften stehen im
Dienste dieser Aufgabe (Hadot, 1991). Das Medium Schrift hat gegeniiber der
Oralitiit eine dienende Funktion. Offentlichkeit wird primar oral hergestellt.
Eine ethische Grundforderung lautet deshalb die ,Freiheit der Rede' (parrhesia)
wie sie z. B. von den Kynikern kultiviert wurde (Capurro, 1995, S. 108).

Das unterscheidet die antike von der modernen Informationsethik, wie diese
zum Beispiel durch Immanuel Kanf formuliert wird. In der Schrift Beantwor-
tung der Frage: Was ist Aufkliirung? (AA, VIII) unterscheidet Kant zwischen
dem "offentlichen Gebrauch" und dem "Privatgebrauch" der eigenen Vernunft.
Er schreibt:

"Welche Einschriinkung aber ist der Aufkllirung hinderlich? Welche nicht, son-
dern ihr wohl gar bef6rderlich? - Ich antworte: der offentliche Gebrauch seiner

2 Kant wird nach der Akademie-Ausgabe (Kant, 1968) wie folgt zitiert: (AA, Band, Seite).
106
Vemunft muD jederzeit frei sein, und der aHein kann Autkliinmg unter Mensehen
zu Stande bringen; del' Privatgebrauch derselben aber darf ofters sehr enge einge-
sehriinkt sein, ohne doeh darum den Fortsehritt der Aufkliinmg sonderlieh zu hin-
demo Ieh verstehe aber unter dem offentliehen Gebrauch seiner eigenen Vemunft
denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Le-
serwelt maeht. Den Privatgebraueh nenne ieh denjenigen, den er in einem gewis-
sen ihm anvertrauten hurgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vemunft ma-
chen darf' (AA, VIII, S. 37).

Kant kehrt die Rangfolge der antiken medialen Verhiiltnisse um. Das kommt in
seinem Gebrauch der Termini ,offentlich' und ,privat' zum Ausdruck. Offent-
lichkeit wird, im Gegensatz zur Antike, "durch Schriften" (ebd.) hergestellt. Der
orale Charakter des ,,Privatgebrauchs" - in unserer heutigen Terminologie ist
der amtliche Gebrauch der Vemunft ,offentlich' - wird von Kant dadurch be-
tont, wenn er schreibt, daB die ibm entsprechende "Gemeinde" "immer nur eine
hausliche, obzwar noch so groBe, Versammlung ist" (ebd., S. 38) Die Gedan-
kenfreiheit im "offentlichen Gebrauch" der eigenen Vemunft ist die "wahre
Reform der Denkungsart" (ebd., S. 36), die eine politische ,,Revolution", so
Kant, niemals zustande bringen kann. Kant erhoffi sich aber, daB das "freie
Denken" sich auf die "Sinnesart des Volkes" auswirkt, so daB dieses der
,,Freiheit zu handeln" "nach und nach fabiger wird", und daB jene Denkfreiheit
sich "sogar auf die Grundsatze der Regierung-' auswirkt, so daB der Mensch, der
nicht nur "Theil der Maschine" (ebd., S. 37) oder "der nun mehr als Maschine
ist" (ebd., S. 42), als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Welt-
biirgergellschaft" (ebd., S. 37), "seiner Wiirde gemaJ3" behandelt wird (ebd., S.
42). Die Gedankenfreiheit wird urn den Preis einer unmittelbaren Einschriin-
kung der Handlungsfreiheit erkauft. Das Medium der (gedruckten) Schriften
dient der Vermittlung zwischen dem Allgerneinen der rnenschlichen Gemein-
schaft und dern Besonderen der politischen Sphiire, vorausgesetzt, daB letztere
keine Zensur ausiibt.

Nicht die Einschrankung der Freiheit im "offentlichen Gebrauch"- Kant bezieht


sich auf die drei gesellschaftlichen Sphiiren: Militiir ("Offizier"), Kirche
("Geistlicher") und Politik (,,Biirger") - sondem die Einschriinkung der Freiheit
sich als "Gelehrter""vor dem ganzen Publikum der Leserwelt' auJ3em zu kon-
nen, ist der Autklarung hinderlich. Die "Gelehrten" sind wiederum nicht im
Sinne eines gesonderten Standes zu verstehen, sondem jeder, ob Offizier, Biir-
ger oder Geistlicher, sollte die Moglichkeit haben, als Gelehrter seine Gedanken
"offentlich, d. i. durch Schriften, iiber das Fehlerhafte der dermaligen Einrich-
tung seine Anmerkungen zu machen" (ebd., S. 39). Durch den Gebrauch der
"eigenen Vemunft" versteht sich der Einzelne "als Glied eines ganzen gemeinen
Wesens, ja sogar der Weltbiirgergesellschaft" (ebd., S. 37) und genau dies ver-

107
leiht diesem Gebrauch den Charakter des Offentlichen. Mit anderen Worten, das
Medium der Schriften - Kant lebt im Gutenberg-Zeitalter, die "Schriften" sind
keine Handschriften, sondem ,,Bucher" - ist untrennbar mit der Freiheit des
Denkens. Oder, anders ausgedriickt, Denken ist ein sozialer und ein medialer
ProzeB. Dies wird von Kant in der Schrift Was heifit: Sich im Denken orienti-
ren? folgendermaBen ausgedriickt:

,;Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen oder zu schreiben, konne uns zwar
durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen
werden. AHein wie viel und mit welcher Richtigkeit wiirden wir wohl denken,
wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit andern, denen wir unsere und die
uns ihre Gedanken mittheilen, diichten!" (AA, VIII, S. 144)

Was ist, nach Kant, ein Buch? In der Metaphysik der Sitten (Rechtslehre
§ 31, II) gibt er folgende Antwort:

"Ein Buch ist eine Schrift (ob mit der Feder oder durch Typen, auf wenig oder viel
Biiittern verzeichnet, ist hier gleichgiiltig), welche eine Rede vorsteHt, die jemand
durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hiilt.- Oer, welcher zu diesem in
seinem eigenen Namen spricht, heil3t der Schriftsteller (Autor). Oer, welcher
durch eine Schrift im Namen eines anderen (Autor) offentlich redet, ist der Verle-
ger. Oieser, wenn er es mit jenes seiner Erlaubnis thut, ist der rechtmiillige, thut er
es aber ohne diesel be, der unrechtmiiBige Verleger, d. i. der Nachdrucker. Oie
Summe aHer Copeien der Urschrift (Exemplare) ist der Verlart' (AA, VI, § 31, II).

Sprechen wird offentlich durch die Schrift und diese bedarf eines Vermittlers,
niimlich des Verlegers. Uber den Zusammenhang zwischen Oralitiit und
Schriftlichkeit schreibt Kant anschlieBend:

"Schrift ist nicht unmittelbar Bezeichnung eines Begriffs (wie etwa ein Kupfer-
stich, der als Portrat, oder ein GipsabguB, der als Buste eine bestimmte Person
vorsteHt), sondem eine Rede ans PubJikum, d. i. der SchriftsteHer spricht durch
den VerJeger iiffentlich" (ebd.).

Das Buch ist einerseits "ein korperliches Kunstprodukt (Opus mechanicum)"


und hat ein "Sachrecht", andererseits aber ist es eine "bloBe Rede" des Verle-
gers, der "im Namen eines anderen (des Autors)" ,,nachspricht" (praestatio
operae). Somit ist das Buch "ein personliches Recht", Der Autor spricht indem
er im eigenen Namen schreibt und er tut dies durch die Vermittlung eines Ver-
legers, der ibm ,,nachspricht" indem er ein ,,korperliches Kunstprodukt" her-
stellt. Der Buchemachdruck ist deswegen "von rechtswegen verboten", wei! der
Nachdrucker keine Vollmacht des Autors hat: Er tut so, als ob das Buch ein
bloBes "korperliches Kunstprodukt" ware, das er nachbilden darf. Ein Buch ist

108
aber nicht nur ein Kunst-Werk (opus mechanicum), sondem der Ausdruck der
(freien) (Denk-) Handlungen (praestatio operae) einer Person (Benoist, 1995).

Fazit: Wenn Kant an die Zensurfreiheit denkt, dann denkt er an das Medium
Buch, das ein Gegenstand des "Sachrechts" und des "personlichen Rechts" ist
und er denkt insbesondere an Druckschriften sofem diese paradigmatisch flir
den Vorgang der - wie er in einem offenen Brief an den Verleger Friedrich
Nicolai Ober die Buchmacherei schreibt - "fabrikenmaBigen" Vervielfl:i1tigung
und somit der potentieUen universalen Verbreitung flir den universal geworde-
nen Lesebedarf stehen. Es lohnt sich, Kant hier emeut ausflihrlich zu zitieren:

"Die Buchmacherei ist kein unbedeutender Erwerbszweig in einem der Cultur


nach schon weit fortgeschrittenen gemeinen Wesen: wo die Leserei zum beinahe
unentbehrlichen und allgemeinen BediirfuiB geworden ist. Dieser Theil derlndu-
strie in einem Lande aber gewinnt dadurch ungemein: wenn jenejabri/cenmiijJig
getrieben wird; welches aber nicht anders als durch einen den Geschmack des Pu-
blicums und die Geschicklichkeit jedes dabei anzustellenden Fabrikanten zube-
urtheilen und zu bezahlen vermiigenden Verleger geschehen kann." (AA, VIII, S.
436).

Kant reagiert in diesem zweiten offenen Brief An Herrn Friedrich Nicolai, den
Verleger veriirgert gegen den in Nicolais Verlag erschienenen satirischen Ro-
man Leben und Meinungen Sempronius Gundibert's eines deutschen Philoso-
phen, in dem die Kantische Philosophie liicherlich gemacht wird, unter anderem
durch die Ubertragung der Termini a priori und a posteriori durch die Aus-
driicke von vome und von hinten! Er lli.l3t aber die Moglichkeit offen, daB Ni-
colai nur der Verleger des Romans sei. Hier Kants Antwort:

"Der, welcher in Fabrikationen und Handel ein mit der Freiheit des Volks verein-
bares iiffentliches Gewerbe treibt, ist allemal ein guter Biirger; es mag verdrieBen,
wen es wolle. Denn der Eigennutz, der dem Polizeigetze nicht widerspricht, ist
kein Verbrechen; und Herr Nicolai als Verleger gewinnt in dieser Qualitiit wenig-
stens sicherer, als in der eines Autors: weil das Veriichtliche der Verzerrungen
seines aufgestellten Sempronius Gundibert und Consorten als Harlekin nicht den
trim, der die Bude auffschlagt, sondern der darauf die Rolle des Narren spielt"
(AA, VIII, S. 437).3

Kant bringt die Grundkategorien der modeme Informationsethik in ihren dualen


Spannungen zum Ausdruck: Privatgebrauch vs. offentlicher Gebrauch der Ver-
nunft, Gelehrtenfreiheit vs. Biirgerpflicht, Oralitiit vs. (Druck-)Schriften, Frei-
heit zu handeIn vs. Freiheit zu denken, Autor vs. Verleger, Verleger vs. Nach-
drucker, Handlung (oder Diskurs) vs. Werk, Freiheit vs. Zensur.

3 Siehe die Anmerkungen des Herausgebers Maier (AA, VIII, S. 518).


109
2. Von Kant zu Habermas und dariiber hinaus

1st dieses Kantische duale Konstrukt heute - im Infonnationszeifalter - zeit-


gemii13? Jiirgen Habennas hat "aus dem historischen Abstand von 200 Jahren"
auf einige Grenzen der politischen Philosophie Kants und seiner damit zusam-
menhangenden - wenngleich nicht so genannten - Infonnationsethik hinge-
wiesen (Habennas, 1995). Habennas nimmt Bezug unter anderem auf Kants
Schrift Zum ewigen Frieden sowie auf die Metaphysik der Sitten (Rechtslehre, §
61 ff.). Das "Weltbiirgerrecht" so11, nach Kant, den "Naturzustand" zwischen
den kriegsfiihrenden Staaten beenden und zwar in Analogie zum Gese11schafts-
vertrag. Dabei hat Kant die Analogie so weit gelten lassen, als er die dem Staat
entsprechende Idee einer Weltrepublik durch einen "pennanenten Staatenkon-
gre13" (ebd.) ersetzt. 1m Licht der Geschichte der letzten zweihundert Jahre aber,
so Habennas, lassen sich drei Entwicklungen unterscheiden, welche die Kanti-
schen Prfunissen refonnbediirftig erscheinen lassen. Kant traute nfunlich im
Hinblick auf den Weltfrieden drei Tendenzen, der republikanischen Regie-
rungsart, der Kraft des WeIthandelns und der Funktion der politischen Offent-
lichkeit. Dazu bemerkt Habennas (1995):

• Kant konnte nicht erkennen, daB Republiken sich zu nationalistischen Staa-


ten entwickeln wiirden, wo also die Menschen doch nur als ,,Maschinen"
gebraucht wurden. Zugleich aber tendieren demokratische Staaten sich
"weniger be11izistisch" (ebd., S. 9) zu verhalten als autoritiire Regime.
• Der freie Handelsgeist miindete in die kapitalistische Ausbeutung, in Impe-
rialismus und Biirgerkrieg. Erst die Katastrophen des 20. Jahrhunderts fiihr-
ten zu einer Abschwiichung der einzelstaatlichen Interessen zugunsten "einer
eigentiimlichen Diffusion der Macht seiber" (ebd., S. 11).
• Kant rechnete mit der Moglichkeit einer offentlichen freien Diskussion iiber
das Verhiiltnis zwischen den Verfassungsprinzipien und den "lichtscheuen"
Absichten der Regierungen. Dabei rechnete er, so Habennas, ,,natiirlich
noch mit der Transparenz einer iiberschaubaren, literarisch gepriigten, Ar-
gumenten zuganglichen Offentlichkeit, die yom Publikum einer vergleichs-
weise kleinen Schicht gebildeter Biirger getragen wird" (ebd., S. 11) Kant
dachte also, kurz gesagt, an die Offentlichkeit der "Gelehrtenrepublik". Was
er nicht voraussehen konnte, war, so Habennas, "den Strukturwandel dieser
biirgerlichen Offentlichkeit zu einer von elektronischen Massenmedien be-
herrschten semantisch degenierten (sic! degenerierten? R. C.), von Bildem
und virtue11en Realitaten besetzten Offentlichkeit" (ebd., S. 11). Kant konnte
also nicht mit der Infonnationsgese11schaft rechnen.
110
Die von Kant "hellsichtig" (Habermas) antlzlplerte weltweite Offentlichkeit
sollte, wie wir gezeigt haben, eine schreibende sein. Es bedurfte allerdings der
totalitiiren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, bis am 10. Dezember 1948 die
Vereinten Nationen die ,,Allgemeine Erkliirung der Menschenrechte" verab-
schiedeten. 1m Artike1 19 heillt es:

,,Jeder Mensch hat das Recht auf freie MeinungsiiuBerung; dieses Recht umfaBt
die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhangen und Infonnationen und Ideen
mit allen Verstiindigungsmitteln ohne Riicksicht auf Grenzen zu suchen, zu emp-
fangen und zu verbreiten." (Heidelmeyer, 1982)

Allerdings konnte Kant die medialen Verlinderungen am Ende des 20. Jahrhun-
derts nicht erahnen. Habermas iiuBert sich im pejorativen Sinne kulturkritisch,
wenn er ferner schreibt:

"Er (Kant, R.C.) konnte nicht ahnen, daB dieses Milieu einer ,sprechenden' Auf-
kliirung sowohl fUr eine sprachlose Indoktrination wie fUr eine Tiiuschung mit der
Sprache umfunktioniert werden wiirde" (Habermas, 1995, S. II).

Die "sprechende" Aulliiirung war, wohl gemerkt, eine schreibende. Sofern sie
die "Weltbiirgergesellschaft" bzw. "das ganze Pub1ikum der LeseIWelt' und
nicht eine transparente ,,kleinbiirgerliche" und "sprechende" Gesellschaft als
Adressat hatte, ist (war) sie keineswegs so iiberschaubar wie sich das Habermas
vorstellt. Mit der Wahl des Mediums Buch dachte Kant gerade an die potentielle
Universalitat der Adressaten jenseits der raum-zeitlichen Einschriinkungen ora-
1er Mitteilung an eine "Gemeinde". Kant konnte nicht voraussehen, daB die
Welt der Schriften sich zu einer uniiberschaubaren "Gutenberg-Galax is"
(McLuhan) entwickeln wiirde. Habermas ist in dieser Galaxis aufgewachsen.

Unklar bleibt, inwiefern Habermas zwischen Massenmedien und Internet


"hellsichtig" unterscheidet. Immerhin schreibt er: "diese Welt6ffentlichkeit
zeichnet sich heute, in der Foige globaler Kommunikation ab" (Habermas,
1995, S. II). Es ist niimlich die Frage, ob die elektronische Weltvernetzung -
wozu bereits das heutige Internet eine bescheidene Vorstufe sein mag - eine
andere Form von Welt6ffentlichkeit darstellt als die von Kant und Habermas
anvisierten. Sie ist in der Tat weder Kants "Leserwelt" der Gelehrten noch Ha-
bermas' transparente Kommunikationsgemeinschaft der rational face to face
Argumentierenden. Sie vereint die Struktur der Massenmedien mit der der Indi-
vidualmedien. Dies sind zwei Kommunikationsformen die noch in Vilem
Flussers Kommunikologie auseinandergehalten werden. Flusser unterscheidet
niimlich zwischen den dialogischen Medien mit den Strukturen von Kreisen und
III
Netzen und den diskursiven Medien mit pyramidalen, baumartigen und (amphi-)
theatralischen Strukturen (Flusser, 1996). Wiihrend die dialogische Kommuni-
kationsform der Erzeugung von neuen Informationen dient, zielen die diskursi-
yen Medien auf die Verteilung und Bewahrung bestehender Informationen. Das
Internet vereint aber die dialogische Struktur des Telefons mit der diskursiven
Struktur der Massenmedien. In seiner Konkretion iibersteigt es in riiumlicher
und zeitlicher Hinsicht das universale Verbreitungsideal des Autklarungsmedi-
ums Buch. Die Frage nach der Freiheit der Verbreitung - vor aHem in Form von
Pressefreiheit (freedom of the press), als moderne Fassung der antiken Rede-
freiheit (freedom ofspeech) - wird jetzt in Form der Frage nach der Freiheit der
Zuglinglichkeit zur Weltvernetzung (freedom of access) gestellt. Sie ist die
Kernfrage einer postmodernen Informationsethik. Dadurch werden auch zumin-
dest teilweise die modernen Machtverhaltnisse umgekehrt: Aufgrund der de-
zentralen und globalen Struktur des Netzes werden die Spharen der biirgerlichen
Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Militar, Kirche) von einem Medium umspannt,
das sie nur unzureichend regulieren konnen. Die globale Vernetzung in der
Gestalt des Internet hat nicht nur kritisch-autklarerische Ziele im Sinne Kants,
noch entspricht es der Vorstellung einer rationalen Kommunikationsgemein-
schaft mit dem Ziel eines universalen Konsensus. Es aber als eine tauschende,
indoktrinierende und sprachlose mediale Offentlichkeit zu kennzeichnen - Ha-
bermas schreibt, daB durch die elektronischen Massenmedien die Autklarung
"sowohl fUr eine sprachlose Indoktrination wie fUr eine Tauschung mit der
Sprache" (Habermas, 1995, S. 11) umfunktioniert wird -, halte ich auch in
bezug auf die Massenmedien fUr eine iibertriebene Pauschalierung. Diesen
Vorwurf konnte man auch seitens einer oralen Kultur gegeniiber der modernen
Buchkultur erheben. Er klang schon bei Platon an. Demgegeniiber gilt, daB
innerhalb eines Mediums wie dem Internet, wo die starre pyramidale ,One to
many'-Struktur der Massenmedien nicht mehr maBgeblich ist, unterschiedliche
Diskussions- und Mitteilungsformen (und -foren) mit verschiedenen kulturell
gepriigten Rationalitatskriterien und mit verlinderbaren RelevanzmaBstaben
moglich und wiinschenswert sind. Das Internet ist auBerdem in bezug auf Ora-
litat und Schriftlichkeit ein Hybridmedium. Das gilt nicht nur im Hinblick auf
die Multimedialitat, sondern auch auf die Form oder den Stil der Schrift selbst
etwa bei E-Mail sowie bei den unterschiedlichen Formen von Diskussionsforen.
Man schreibt wie man spricht - im Gegensatz zum modernen Diktum: ,Jemand
spricht druckreif' - und die ZuhOrer sind gleichzeitig weltweit verteilt.

Ich will keineswegs bestreiten, daB sowohl die Massenmedien als auch das
Medium Internet weit entfernt sind von dem, was man Informationsgerechtig-
keit nennen konnte (Capurro, 1998a). Die Spannung zwischen den Informati-

112
onsannen und - reichen wird sich womoglich verscharfen, ja sie hat sich in
vieler Hinsicht - zum Beispiel in bezug auf die Verteilung von Netzen und
Servern - bereits verschiirft. Wenn jetzt neben den neuzeitlichen Handelskrie-
gen Informationskriege gefUhrt werden, dann ist Habermas' Suche nach einem
Grundkonsens auf der Basis einer normativen Ubereinstimmung in diesem
Bereich eine notwendige Voraussetzung fUr den anzustrebenden Weltfrieden.
Kant stellte, wie wir gezeigt haben, zwei Bedingungen fUr den fortschreitenden
AufkliirungsprozeB, namlich eine institutionelle (den "permanenten Staatenkon-
greB") und eine mediale (die zensurfreie Verbreitung von "Schriften"). FUr
Habermas sollten die Vereinten Nationen der Ort einer universalen rationalen
Diskussion sein. Es ist dann die Frage, ob eine UN Informationsagentur not-
wendig ware, worauf ich noch zu sprechen komme. In einer solchen Institution
konnen sich die nationalen Partikularinteressen (die einzelnen Informationsmo-
ralen) artikulieren und mogliche cyberwars konnten entschiirft werden. Gleich-
wohl bedarf der Gebrauch der eigenen Vernunft des offenen Mediums der
Weltvernetzung als Erweiterung und Uberbietung des Aufkliirungsmediums
Buch. Weltinstitutionen entsprechen, mit anderen Worten, Weltforen.

Wiihrend in der Aufkliirung die staatlichen Moralen sich durch den freien Raum
des Ethischen nur im Sinne von "Gedankenfreiheit" und nicht von ,,Handlungs-
freiheit" zu gewiihren bereit waren, dann stellt heute, im Informationszeitalter,
die globalisierte Informations- und Kommunikationsstruktur eine zugleich theo-
retische und praktische Einschriinkung der staatlichen Informationsmoralen dar.
Eine Umkehrung der Verhaltnisse fmdet statt: Nicht die staatliche Informati-
onsmoral gewiihrt den freien Raum des Ethischen, sondern der globale Raum
des Ethischen bedingt die staatlichen Informationsmoralen. Gedanken- und
Handlungsfreiheit lassen sich aber in der globalen Vernetzung nicht mehr von-
einander trennen. Handeln heiBt immer auch Informationshandeln und dieses
fmdet heute in einem globalen Medium statt, wiihrend das Medium Buch eine
deutliche Trennung zwischen Theorie und Praxis erlaubte. Wenn aber Freiheit
der MaBstab des Universalen ist, ist im Internet ,alles erlaubt'? Wie steht es bei
einem Medium, bei dem es zugleich um Handlungen geht? Die theoretische und
praktische Hybridnatur des Mediums Internet und die vielfliltigen Spannungen
zwischen dieser Konkretisierung des Ethischen und den (staatlichen) Einzelmo-
ralen verlangen nach einer neuen Informationsethik, die sich diesen Fragen
stellt.

Ich sehe genau in dieser Hybridnatur des Mediums Internet die Frage nach den
Grenzen der Ethik angesiedelt. Dieser Ausdruck ist insofern miBverstiindlich,
als die globale Natur des Internet die einzelnen Informationsmoralen ein-

113
schriinkt, so daB der Titel lauten miiBte: ,Das Internet und die Grenzen der In-
formationsmoralen'. Das Internet ist aber selbst Ausdruck einer sich universal
gebenden und wollenden Informationsmoral oder eines Weltinformationsethos.
Ethik im Sinne einer Reflexion iiber MorallaBt sich wiederum nicht von einem
bestimmten Medium einschriinken. Gleichwohl fmdet aber ethische Reflexion
immer in einem bestimmten Medium statt und wird von diesem mitbestimmt.
Die Rede von den ,Grenzen der Ethik' meint in diesem Zusammenhang die
Frage, ob ethisch begriindete Vorschriften einen normativen Charakter fUr das
Medium Internet haben konnen, da ein heilloser Krieg der Informationsmoralen
kaum eine Alternative sein kann. Anders ausgedriickt: Wo sind die Moglich-
keiten und Grenzen der ethischen Reflexion im Hinblick auf die Aufstellung
und Begriindung einer Internetmoral?

Diese Frage umfaBt folgende Aspekte:

1. Gedankenfreiheit im Netz muB nicht gleich Anarchie oder Anomie bedeu-


ten. Ethische Reflexion kann auf der Basis der ,,Allgemeine Erklarung der
Menschenrechte" einen Vorschlag zu einem Minimalkonsens der UN-
Mitgliedstaaten erarbeiten und diese konnen ihn zur Basis eines zu praktizie-
renden Weltinformationsethos annehmen. Das schlieBt nicht aus, daB die
Netgemeinde sich selbst ethische Verhaltensvorschriften gibt, wie dies schon
der Fall ist. Konfliktfalle und somit Grenzen einer universalistischen ethi-
schen Reflexion fmden sich sowohl in jeder dieser Alternativen als auch in
ihrem Zusammenspiel. Letzteres halte ich fUr positiv. Nicht nur die Sphiiren
der biirgerlichen Gesellschaft, sondern auch eine universale, auf Konsens
ausgerichtete politische Institution bedarf der kritischen Priifung durch die
"eigene Vernunft" (Kant) in einem offenen Medium. Offentliche Foren im
Internet konnen eine ahnliche Rolle spielen wie die freie Presse in einem
Nationalstaat. Das Internet ermoglicht, als universales Medium, und be-
schriinkt zugleich die Anspriiche einer universalistischen Ethik, da es nur
Austragungsort und nicht Richtschnur fUr die Konflikte zwischen den Mo-
ralen darstellt.

2. Der Gedanke liegt nahe, das Internet als eine, im Sinne Karl-Otto Apels,
reale Kommunikationsgemeinschaft zu verstehen, die sich womoglich in
Richtung einer "idealen" oder "unbegrenzten" Kommunikations-
gemeinschaft hin bewegt oder diese als sein Apriori voraussetzt
(voraussetzen muB) (Apel, 1976, Bd. 2). Das Internet ist aber, so wenig wie
die Schrift oder sogar die Sprache, kein Medium, bei dem es allein auf ra-
tionale Argumentation mit dem ethischen Ziel eines idealen Konsensus an-

114
kommt. Dies vorauszusetzen kame der Idee nahe, menschliches Mitsein mit
einer engelischen Gemeinschaft ,,reiner Vernunftwesen" (Kant) zu verwech-
seln. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Vittorio HosIe in seinem an
Hegel orientierten "objektiven Idealismus" dieses Ideal (Apels und Hegels)
so gar iiberbietet wenn er schreibt:

"Fiir einen objektiven Idealisrnus ist das Absolute die Totalitiit der apriori-
schen Wahrheiten, fUr einen objektiven Idealisrnus der Intersubjektivitiit ist
die hochste Bestimmung des Absoluten die Idee einer vemiinftigen Intersub-
jektivitiit, deren Realisierung das Sittengesetz den endlichen Vemunftwesen
unbedingt gebietet" (Hosie, 1997, s. 230).

So gesehen steht das Internet unter dem unbedingten Gebot, die Idee einer
verniinftigen Intersubjektivitiit zu realisieren, was wohl fUr endliche Ver-
nunftwesen nur bedingt moglich ist. Hier wird letztlich menschliches Han-
deln als das Handeln eines endlichen Vernunftwesens (oder eines "endlichen
Geistes") von und mit Ideen im Medium eines Widerstand leistenden Leibes
aufgefaBt. Daher auch die Versuchung in einem Medium, wo Handeln sich
als Informationshandeln vollzieht - und ,Information' hat in diesem Kontext
wesentlich mit ,Formen' oder ,1deen' zu tun (Capurro, 1978) -, das Ideal ei-
ner (absoluten) Kommunikationsgemeinschaft vor- oder zuriickzuprojizie-
reno Auch die viel besprochene Virtualitiit dieses Mediums mit der Moglich-
keit des Absehens konkreter Leiblichkeit kann zu pseudoreligiosen Vorstel-
lungen fiihren (Esterbauer, 1998; Capurro, 1995). Ich meine aber, daB sol-
che siikularisierten ethischen Ideale - die auf einer hier nicht weiter zu hin-
terfragenden Geistesmetaphysik beruhen - das Medium Internet iiberfordern
und verfalschen, indem sie es in einem Licht erscheinen lassen, bei dem die
konkrete Pluralitiit von Meinungen und Handlungszwecken zu einem Nega-
tivum wird. Internet ist keine Vorstufe eines Netzes reiner Vernunftwesen.

3. In AnschluB an Gianni Vattimos "schwaches Denken" konnen wir im Falle


des vernetzten interface von einer Abschwachung der ,starken' Intersubjek-
tivitiit des face to face (Vattimo, 1992) sprechen. Die Cyberkultur des Inter-
net ist (konnte) eine Massenkultur mit menschlichem Antlitz (werden). Die
neuen ethischen Satze fmden ihre Grenze im Sinne der alten (Aristoteli-
schen) Abschwachung der (Platonischen) Ethik. So schreibt Aristoteles zu
Beginn der Nikomachischen Ethik:

"Die Genauigkeit (akribes) darf man nicht bei allen Untersuchungen in glei-
chern MaBen anstreben, so wenig als man das bei den verschiedenen Erzeug-
nissen der Kiinste und des Handwerks tut. Das sittlich Gute und das Gerechte,
das die Staatswissenschaft untersucht, zeigt so1che Gegensiitze (diaphoran)
und so1che Unbestiindigkeit (ptanen), da/3 es scheinen konnte, als ob es nur
115
auf dem Gesetz, nicht auf die Natur beruhe. (... ) So muB man sich denn, wo
die Darstellung es mit einem solchen Gegenstand zu tun hat, und von solchen
Voraussetzungen ausgeht, damit zufrieden geben, die Wahrheit in griiberen
Umrissen zu beschreiben. (... ) Darin zeigt sich der Kenner, daB man in den
einzelnen Gebieten je nach Grad von Genauigkeit verlangt, den die Natur der
Sache zuliiBt, und es ware genauso verfehlt, wenn man von eine Mathematiker
Wahrscheinlichkeitsgriinde annehmen, wie wenn man von einem Redner in
einer Ratsversammlung strenge Beweise fordern wollte." (Aristote1es, Niko-
machische Ethik 1094 b 12-27)

Mit anderen Worten, die irrende, tiiuschende, umtreibende, "gegensiitzliche"


und "unbestiindige" (Aristoteles) Natur des Menschen ist dem Medium In-
ternet keineswegs fremd, sofern das Netz ein Wohnort des Menschen ist. In
der Transparenz und ,akribischen' Genauigkeit des Digitalen kommt stets
das Halbdunkel und die beunruhigende Unschiirfe der menschliche Freiheit
zum Vorschein. In diesem deshalb ,un-heimlichen' Medium bieten die Ho-
mepages nur eine prekiire Behausung.

3. Ansitze zur einer neuen Informationsethik

Die weltweite digitale Vernetzung stellt die bisherigen Infonnations- und Kon-
trollmonopole zumindest teilweise in Frage. Das gilt sowohl flir die Moglichkeit
der Kontrolle durch Gesetze, als auch flir die Infonnationsmonopole der Mas-
senmedien (Presse, Rundfunk' Fernsehen). Wie schwierig und umstritten die
Kontrolle des Internet (mit den verschiedenen Diensten: World Wide Web, E-
Mail etc.) seitens nationaler und internationaler Gesetzgebung ist, zeigen die
bekannten Falle offentlicher Zensur bei Internet-Providern. Zugleich wird der
dringende Bedarf an politischer Gestaltung offensichtlich, wie die Berichte der
Enquete- Kommission ZukunJt der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft.
Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft (Enquete-Kommission
1997a; 1997b; 1997c; 1998) sowie die Aktivitiiten der Europiiischen Union4 und
insbesondere die Programme der Generaldirektion xm 5 zeigen. Die offentliche
Diskussion wird besonders durch die Pornographie-Debatte als auch durch die
Moglichkeiten von politischer Subversion und organisierter Kriminalitiit mittels
digitaler Vernetzung gepriigt. Wiihrend die globalisierte Wirtschaft auf einen
weiteren Ausbau der Datennetze verbunden mit einer verschiirften Sicherheits-
komponente (Stichwort: Kryptographie) driingt, sucht der Gesetzgeber sowohl

4 http://europa.eu.int./pol/infso/info_de.htm
5 http://europa.eu.intlcomm/dg 13/index.htrn
116
nach einem besseren Schutz des Einzelnen als auch nach einem gerechteren
Zugang zu den elektronischen Miirkten. Die Stichworte dazu sind informatio-
nelle Selbstbestimmung und informationelle Grundversorgung. 6

Der Informationsmarkt im Sinne der Aufteilung und Verwertung von Medien


und Inhalten zwischenmenschlicher Kommunikation macht gegeniiber anderen
Miirkten keine Ausnahme: Es geht hier - wie auch im Falle von Rohstoffen
oder industrieller Produktion - urn Besitz, Kontrolle und Macht. Die digitale
Vernetzung verandert abermals die Rahmenbedingungen der zum Teil iiber
Jahrhunderte gewachsenen gesetzlichen und moralischen Regeln im Umgang
mit Schrift, Bild und Ton. Datenschutz und Copyright, Zensur und Kontrolle
sowie Zugang zu und Austausch von elektronisch kodifizierten Sendungen aller
Art sind Themen, die zur Zeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen zum Teil
virulent diskutiert werden. Die Aufinerksamkeit richtet sich dabei letztlich auf
das Mall des Wiinschbaren undJoder des Ertriiglichen. Der klassische Ausdruck
fUr die Suche nach einem Mall menschlicher Handlungen ist Gerechtigkeit. Wie
ist Informationsgerechtigkeit im Zeichen der Globalisierung aufzufassen? Ich
werde zuniichst einen moglichen theoretischen Rahmen flir die ethische Diskus-
sion dieser Fragen kurz erortern7 und anschlieBend die Ergebnisse eines
UNESCO-Forums iiber die Frage nach der Kluft zwischen Informationsarmen
und -reichen darstellen. 8

Informationsethik liiBt sich als deskriptive und als emanzipatorische Theorie


auffassen. Als deskriptive Theorie beschreibt sie die verschiedenen Strukturen
und Machtverhiiltnisse, die das Informationsverhalten in verschiedenen Kultu-
ren und Epochen bestimmen. Ais emanzipatorische Theorie befallt sie sich
kritisch mit der Entwicklung moralischen Verhaltens auf individueller und kol-
lektiver Ebene im Informationsbereich. Informationsgerechtigkeit stellt den
utopischen Horizont - sie ist eine ,,regulative Idee" (Kant) - beider Theorie-
formen dar. Mit anderen Worten: Sie hat den Status eines kritischen Korrektivs
gegeniiber konkreten Ausformungen oder "Losungen" informationsethischer
Konflikte.

Der Kern einer normativen Informationsethik liiBt sich auf der Grundlage eini-
ger Artikel der ,,Allgemeinen Erkliirung der Menschenrechte" niiher bestimmen.

6 Zum foigenden siehe auch Capurro (i998a).


7 http://v.hbi-stuttgart.del-capurro/inhait.htm
8 Eine Auswahi der vieifaitigen Ressourcen zur informations- und medienethischen Diskussion
findet man in http://v.hbi-stuttgart.del-capurro/index.html sowie in Wiegerling (1998), Kolb (1998),
Capurro (1995), Capurro et al. (1995).
117
Ich meine dabei insbesondere die Achtung vor der Menschenwiirde (Art. 1), das
Recht aufVertraulichkeit (Art. 1,2,3,6), das Recht auf (Chancen-)Gleichheit
(vor dem Gesetz) (Art. 2, 7), das Recht aufPrivatheit (Art. 3, 12), das Recht auf
freie MeinungsauBerung (Art. 19), das Recht auf Beteiligung am kulturellen
Leben (Art. 27), das Recht auf den Schutz der materiellen und geistigen Arbeit
(Art. 27).

Wenn wir uns in bezug auf Informationsgerechtigkeit die Frage stellen: Wer
triigt welche Verantwortung wem gegenuber?, dann kann man diese Frage ana-
lytisch auf der Ebene des Einzelnen (Mikroebene), der Institutionen (Mesobene)
und der (Welt-) Gesellschaft (Makroebene) behandeln. Dabei sollte man die
Unterscheidung zwischen Moral, Ethik und Recht nicht aus den Augen verlie-
reno Wwend Moral (oder Ethos) die gelebten Sitten und Traditionen meint,
beziehen sich Ethik auf den kritischen Diskurs iiber Recht und Moral und Recht
auf die staatlich sanktionierten Normen. Ethische Konflikte lassen sich nicht a
priori losen, zum Beispiel durch den Vorrang der Moral gegeniiber der Ethik
(Fundamentalismus), oder des Rechts gegeniiber Ethik und Moral (Legalismus)
oder eines bestimmten ethischen Prinzips (ethischer Rigorismus), sondem sie
miissen von Fall zu Fall, durch individuelle und soziale Abwagungsprozesse
und durch das Zusammenwirken dieser drei Dimensionen entschieden werden.

So kann man sich zum Beispiel fragen, wie das Recht auf Privatheit eines In-
formationsnutzers gegeniiber MaBnahmen einer Organisation oder gegen recht-
lichen Eingriffen am (ethisch-) gerechtesten geschiitzt werden kann
(Mikroebene). Oder wie die Verantwortung von Institutionen gegeniiber der
Gesellschaft bei der Verbreitung von Informationen aussehen soIl (Mesoebene).
Oder welche Verantwortung der Einzelne gegeniiber der Gesellschaft und die
Gesellschaft insgesamt gegeniiber ihren Mitgliedem bei der Gestaltung des
Informationsmarktes iibemehmen soIl (Makroebene). Auf allen Ebenen konnen
vielfaltige Konflikte zwischen Ethik, Moral und Recht auftreten.

Ein heute besonders ,,helli diskutierter" Konflikt bei Fragen der Informationsge-
rechtigkeit auf Makroebene ist die Kontrolle iiber die inhaltliche und technische
Gestaltung des Cyberspace. Die Diskussion entziindete sich zunachst in den
USA in Zusammenhang mit der geplanten rechtlichen Zensur auf bestimmte
Inhalte (Communication Decency Act), wogegen sich die "Intemet-Gemeinde",
vertreten vor allem durch die Electronic Frontier Foundation (EFF/, heftig
wehrte und zwar im Namen von Privatheit, freiem Zugang und freier Mei-

9 http://www.eff.orgl
118
nungsauBerung. Aufgrund der dezentralen Natur des Netzes erweisen sich nicht
nur die (rechtlichen) Kontrollversuche, sondern auch die technischen Gestal-
tungsmaBnahrnen als auBerst schwierig. Die Diskussionsbeitrage der diesjahri-
gen Konferenz der Internet Society (ISOC) (Genf, 2l.-24. Juli 1998) zeigen die
Suche nach einer dezentralen, auf Selbstorganisation basierenden Losung der
(einiger) Probleme im Gegensatz (oder in Erganzung) zu staatlichen Regulie-
rungsmaBnahrnen 10.

Bernhard Debatin (1998) analysiert die Grenzen der Ethik im Internet anhand
von folgenden drei Funktionsbereichen:

1. Der Funktionsbereich Wissen: Das Internet als gigantischer Wissensspeicher


ermoglicht nicht die Herstellung oder das Finden von Wahrheit per Knopf-
druck. Die Probleme der Delegation von Such- und Selektionsprozessen an
technische Medien sind aber schon aus der ,Gutenberg-Galaxis'
(Bibliothekskataloge!) bekannt. Auch die dauernden Modiftkationen des
Geschriebenen (Digitalisierten) erinnern nicht nur an die Handschriftenkul-
tur, sondern sind m. E. ein Zeichen des oralen Charakters dieses Mediums.
Dies gilt auch fur die Abschwachung des modernen Begriffs des Autors. Das
Medium Internet ermoglicht eher eine andere interface-vermittelte Form von
Dialog, bei dem die Meinungen eines ,Autors ' nur im Gewebe des Ge-
sprachs verstanden werden konnen. Debatin hat Recht, wenn er den
.Jnformation broket'"o bzw. den Informationsmanagern eine (den Journali-
sten vergleichbare) Vermittlungsrolle in diesem Bereich zuweist.

2. Der Funktionsbereich Freiheit: Die ,elektronische Agora' bringt aufgrund


der Interaktivitat des Mediums eine neue Dimension flir die liberale Demo-
kratie, da sie "eine neuartige Kombination von Individual- und Massenkom-
munikation" darstellt. Hier sieht Debatin ein Ort und die Chance flir eine
diskursive Netzoffentlichkeit. Demgegeniiber steht die "anarchistische Frei-
heitsversion" mit dem Anspruch einer eigenen Selbstregulierung, wie von
der Electronic Frontier Foundation propagiert wird. SchlieBlich spielt die
"wirtschaftsliberalistische Freiheitsidee" eine immer machtiger Rolle. Die
ethisch prekiire Frage lautet dann, wie weit, wer und wo solI reguliert wer-
den.

3. Der Funktionsbereich Identitat: Dieser Bereich umfaBt Fragen einer philoso-


phischen Anthropologie bis hin zu elektronisch vermittelten (Cybersex-)

10 http://www .isoc.orgiinet98/
119
Beziehungen und Hillen von wechselnden Identitiiten. EiDe prekare Intemet-
ethik verweist hier auf die Moglichkeit nonnativer Selbstregulationen. Wie
Debatin betont, lassen sich diese Probleme nicht durch das Recht allein 10-
sen. Auch die Philosophie im Sinne einer ethischen Nonnierung kann die
konkrete Auseinandersetzung nicht ersetzen. Sie kann aber z. B. durch Teil-
nahme an computervennittelter Kommunikation in einen (moglichen) Be-
zugsrahmen stellen.

Bill Clintons Sonderberater in Sachen Cyberspace, Ira Magaziner, befurwortet


die Moderatorenrolle der Regierungen und die Selbstkontrolle der Netzteilneh-
mer. Das bedeutet, auf die obige Unterscheidung bezogen, den Vorrang von
Moral (und Ethik) gegentiber Recht. In einem Beitrag fur DIE ZEIT mit dem
Titel Verfassungsvater des Cyberspace. Die US-Regierung will das Internet
durch Selbstkontrolle regulieren - hinter der Idee steckt Clintons Berater Ira
Magaziner schreibt Ludwig Siegele:

"Die Online-Industrie soIl sich einen strikten Ehrenkodex geben, Verbraucher et-
wa dariiber aufkliiren, welche Infonnationen gesammelt werden und zu welchem
Zweck. Unterwirft sich ein Netzdienst solchen Regeln, soIl er ein Giitesiegel auf
seine Seiten heften diirfen. Bisher ist der Ansatz ein Reinfall. Nach einer Studie
der VerbraucherschutzbehOrdeFederal Trade Commission (FTC) geben nur zwei
Prozent der Netzdienste Auskunft dariiber, wie sie gesammelte Daten verwenden.
Und kein Ehrenkodex bietet Verbrauchern die Moglichkeit, sich zu beschweren."
(Siegele, 1998)

Wo die Ethik ihre Grenzen hat, versucht das Recht Abhilfe zu schaffen, und
umgekehrt. Das Zusammenwirken von Selbstkontrolle und staatlichem Handeln
auf technischer Ebene zeigt zum Beispiel der Vorschlag des US Department of
Commerce tiber die Griindung einer not-for-profit Organisation (lANA = Inter-
net Assigned Numbers Authority), die sich mit dem Management von Intemet-
Namen und -Adressen befassen sol111. Inwiefem tragen solche Ma13nahmen zu
mehr Infonnationsgerechtigkeit bei? Die Internet Society ist sicherlich ein be-
sonders geeigneter Rahmen flir die Diskussion dieser Fragen. Die von der
UNESCO veranstalteten Kongresse und das soeben abgeschlossene virtuelle
Forum tiber Infonnationsethik sind ebenso geeignet, globale Abwagungsprozes-
se zu initiieren oder in Gang zu halten.

Yom 10. bis 12. Marz 1997 fand der erste UNESCO-KongreB tiber ethische,
rechtliche und gesellschaftliche Aspekte der digitalen Infonnation in Monaco
statt. Mit Unterstiitzung der UNESCO organisierte das Institut flir Infonnati-

11 http://www.isoc.org/
120
onswissenschaft der Universitat Konstanz ein Virtual Forum-INFOethics (VF-
INFOethics)12, das zuniichst in einem Expertenlcreis (ca. 50 Teilnehmer), dann
aber mit der Moglichkeit allgemeiner aktiver Beteiligung 1997/1998 stattfand13.
Die Sprache des Forums war Englisch. 1m AnschluB an dieses Forum fand eine
zweite UNESCO-Konferenz im Oktober 1998 in Monte Carlo statt14. Hier die
Themen:

A. Public domain and multilingualism in cyberspace.


B. Privacy, confidentiality, security in cyberspace.
C. Societies and globalization.

Die erste Phase des Virtual Forum befaBte sich mit folgenden Themen:

Theoretische Bestimmung von Informationsethik, Rolle der UNESCO

Gesellschaftliche und politische Aspekte der Informationsethik:


- Informationsreiche und Informationsarme
- Information als Offentliches undloder privates Gut
- Ethische Aspekte globaler Informationsmiirkte
- Vertrauen, Eigentum, Giiltigkeit von Information
- Privatheit, Vertraulichkeit, Sicherheit, HaB und Gewalt im Internet

Die zweite Phase bezog sich auf die Themen: Privatheit, Informationskluft,
Wissenschaft und Ausbildung, Informationsmarkt und 6ffentliche Aufgaben.

Da ich selbst die Koordination des Themas "Informationsreiche und Informati-


onsarme" iibernommen hatte, stellte ich am Ende der ersten Phase die Ergebnis-
se der Diskussion in Form von Empfehlungen an die UNESCO zusammen. Man
fmdet sie sowie die jeweiligen Einzelbeitriige in der oben angegebenen Website.
Ich gebe sie hier in Deutsch wieder:

1. Armeren Lander bei der Vernetzung helfen, indem vorhandene Ressourcen


flir eine sinnvolle Nutzung eingesetzt werden. Dadurch sollte auch die Ent-
wicklung von globalen und lokalen Informationskulturen und -okonomien
gefordert werden.

2. Die Entwicklung eines Weltinformationsethos fordern.

12 http://www.de3.emb.netiinfoethics/
13 http://www.de3.emb.netiinfoethics
14 http://www.unesco.org/webworldlinfoethics_2/eng/programme.htm

121
3. Konkrete Projekte in infonnationsannen Uindem unterstiitzen, um liinder-
spezifische Infonnationzentren zu schaffen.

4. Forderung des offentlichen BewuBtseins iiber diese Sachverhalte durch


virtuelle Foren, Veroffentlichungen und Konferenzen.

5. Stiindige, spezifische und detaillierte Infonnation iiber existierende Infor-


mationsaktivitiiten in infonnationsannen Landem anbieten.

6. Die UNESCO sollte die Rechte der nicht-Englisch-sprechenden Lander und


ihrer okonomischen Interessen fordem.

7. Die UNESCO sollte sich dafiir einsetzen, daB infonnationsethische Themen


in allen Ausbildungsstufen behandelt werden.

8. Die unterstiitzenden Aktivitiiten intemationaler Organisationen sollten auf-


grund von Basisinitiativen sowie in einer dezentralisierten und koordinierten
Fonn stattfmden.

Vergleicht man diese Empfehlungen mit denen der anderen Diskussionsthemen,


stellt man ihren iiberwiegend pragmatischen Charakter fest. Man nimmt Ab-
stand sowohl von der theoretischen als auch von der praktischen Idee einer
"Neuen Infonnationsordnung" zugunsten der regionalen undloder kulturellen
Eigenregulierung. Wenn man aber den Begriff Ethos im Sinne einer gelebten
Moral versteht, dann bieten die Empfehlungen paradoxerweise die Grundlage
fiir eine freie weitgehend sich selbst regulierende Infonnationsordnung oder
eines Weltinformationsethos. Diese Sicht wird zugleich durch die Forderung
nach aktiver Unterstiitzung durch intemationale Institutionen ergiinzt. Die
UNESCO sollte nationalen und privaten Organisationen helfen, offentliche
Infonnationsquellen - darunter zum Beispiel das kulturelle Erbe eines Landes -
elektronisch zu erfassen und zuganglich zu machen. Das ist ein konkreter Weg,
um das anfangs erwiihnte Stichwort von der informationellen Grundversorgung
mit Leben zu fiillen. In Sachen Copyright so lite man, so die Empfehlung, nach
einem Konsens iiber einefaire Nutzung suchen. Die Frage ist natiirlich wer und
wie? Ich war urspriinglich der Meinung, daB eine UN Information Agency als
ein dauerhaftes Forum fiir die Diskussion dieser Fragen dienen konnte. Ver-
mutlich kann die UNESCO diese Aufgabe iibemehmen. Das Zusammenwirken
mit bereits existierenden Aktivitiiten sowohl mit anderen UN-Organisationen als

122
auch mit Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) bis hin zur Internet Society
wird uns sicherlich die nachsten Jahre beschaftigen.

Als AbschluB dieses Abschnittes mochte ich auf unsere eigenen Aktivitaten im
Rahmen der Ausbildung von Informationsspezialisten an der FR Stuttgart (RBI)
hinweisen (Capurro, 1998b). Die RBI organisiertjahrlich intemationale Works-
hops zu informationsethischen Fragen, so zum Beispiel iiber Informationsarmut
- Informationsreichtum (1996), iiber Ethische Aspekte digitaler Bibliotheken
(1997) sowie iiber Ethik der Cyberkultur (1998)15. Diese Workshops fmden
dank der Unterstiitzung des Referats flir Technik- und Wissenschaftsethik an
den Fachhochschulen in Baden-Wiirttemberg statt l6 .

4. Ausblick

Die theoretischen und praktischen Probleme einer gerechte(re)n, sich selbst


bestimmenden, dezentralen und koordinierten Weltinformationsordnung oder
eines Weltinformationsethos sind von einer kaum zu unterschatzenden Komple-
xitat und lassen sich durch theoretische Ethik-Diskurse sowenig wie durch in-
stitutionalisierte auf Konsens orientierte Debatten allein losen. Gleichwohl gilt,
daB Reden und Randeln auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig stattfmden soll-
ten und konnen. Wenn wir von Erziehung zur Medienkompetenz sprechen,
dann ist damit nicht eine bloBe Individualethik gemeint, die durch eine Sozia-
lethik oder durch eine Ethik der Institutionen erganzt werden miiBte. Individu-
um und Gesellschaft sind nicht zwei getrennte Spharen, sondem soziale Struktu-
ren und Einzelhandlungen bedingen sich gegenseitig. Um nicht eine passive
Pragemasse flir die "in-formierenden" Aktivitaten der Medien zu werden, miis-
sen wir als Individuen und als Gesellschaft lemen, uns Freiraume und
"Freizeiten" zu gewahren (Capurro, 1995 und 1978). Wir miissen, mit anderen
Worten, lemen, uns zu fragen, wer wir sind und wer flir was/flir wen Verant-
wortung tragen kann, soil und will (Eldred, 1996).

Der Aufruf zur Selbstkontrolle sollte sich nicht auf Appelle zur Nutzung von
Filtering-Software oder zur Einhaltung von Ethik-Kodizes, so niitzlich und not-
wendig auch beides sein mag, beschranken. Ich denke in diesem Zusammen-
hang an die Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises 1998 an die kanadische

15 http://v.hhi-stuttgart.de/-capurro/workshop.html
16 http://www.fh-karlsruhe.de/rtwe/
123
AufsichtsbehOrde fUr Medien und Telekommunikation (CRTC = Canadian-
Radio-television and Telecommunications Commission) und an die amerika-
nische Initiative zur Selbst-Klassifizierung von Angeboten im Internet (RSACi
= Recreational Software Advisory Council on the Internet). Selbstkontrolle
sollte als ein Aufruf zur sozialen Wachsamkeit auf der Grundlage einer immer
neu zu iibenden Sensibilisierung fUr Situationen der offenen oder verdeckten
Ungerechtigkeit oder gar Ausbeutung verstanden werden. Offene ethische Dis-
kurse schlieBen vieWiltige Aktivitiiten im rechtlichen und technischen Bereich
auf nationaler und internationaler Ebene ein. Die Bewiiltigung von Komplexitiit
in diesem Bereich kann man nicht billiger haben als durch situationsbezogene
Abwiigungen und Handlungen bei gleichzeitigem Freilassen und Fordern von
nicht-vorhersehbaren Synergieeffekten. Das ergibt ein Wechselspiel zwischen
kontingenten (rechtlichen undJoder moralischen) Konsenslosungen und Ach-
tung der kulturellen, okonomischen und politischen Differenzen.

Es ware ein Fehler, wollte man ethische Reflexion auf die Aufstellung und
Begriindung von Normen einschriinken. Mit Recht macht Hans Kramer auf die
Einseitigkeit der Ausrichtung der neuzeitlichen Sollens-Ethik und auf die Ver-
nachiiissigung der auf die Antike zuriickgehende Tradition der Ethik als For-
mung des gesamten Lebens aufinerksam (Kramer, 1992). So gesehen ist die
Frage nach den Grenzen der Ethik in Internet auch die Frage nach der
(informationellen) Selbstbegrenzung im Informationszeitalter. Wie laBt sich
diese Selbstbegrenzung praktisch vollziehen? Die von Michel Foucault, Pierre
Hadot und Paul Rabbow ana1ysierten Tradition der "Techno1ogien des Selbst"
(Foucault) - zuletzt durch Wilhelm Schmid in Form einer Philosophie der Le-
benskunst auf den Begriff gebracht (Schmid, 1998) - bietet hiertUr konkrete
Anhaltspunkte, urn auf je eigener Weise dem Informationsubeiflu./3 gewachsen
sein zu konnen (nicht: urn ibn beherrschen zu konnen) (Capurro, 1995). Es
ware ein MiBverstiindnis, wollte man diesen Ansatz in die Schublade einer so-
genannten individualistischen Ethik ablegen. Denn das Selbst ist nicht ein iso-
liertes Ich, sondern die je eigene Weise wie wir das Netz der Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhiinge in denen wir immer schon eingebettet sind, weiter
kniipfen. So gesehen ist das Internet ein hervorragendes Medium, um elektroni-
sche Strickmuster in Lebensentwiirfe hinein zu stricken und umgekehrt, freilich
ohne das existentielle und technische Risiko des ZerreiBens und des Absturzes
aufheben zu konnen. Wir stehen am Anfang dieses Weges.

124
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126
Matthias Karmasin

Ein Naturalismus obne Feblscblu8?


Anmerkungen zum Verhiiltnis von Medienwirkungsforschung und
Medienethik

Das Verhiiltnis von Medienwirkungsforschung und Medienethik wird im folgenden Beitrag als
Begriindungs- und Anwendungsproblem entwickelt. Am Beginn der Diskussion stehen Geltungsdif-
ferenzen, da fiir die fiir die Medienethik - wie fiir jede Ethik - die Differenz von Sein und Sollen
konstitutiv ist. Der Umgang mit Geltungsdifferenzen bedingt, daJ3 auch der Analyse des empiri-
schen Seins eigene Relevanz zukommt. Von daher ist die empirische Medienwissenschaft unver-
zichtbarer Referenzpunkt des medienethischen Diskurses. Die Frage nach den empirisch nachweis-
baren Wirkungen der Medien auf die und in der Praxis (Lebenswelt) ist dem Autor aber eine zwar
notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung fiir eine aktuelle Medienethik. In der Foige
werden daraus resultierende Konsequenzen fUr eine Ethik medialer Kommunikation dargestellt. Ein
Konzept der Medienethik als inter- und transdiszipliniire Ethik wird diskutiert und die Konkretion
einer solchen Ethik als Untemehmensethik der Medienuntemehmung und als Individualethik der
Medienproduktion wird umrissen.

1. Einleitung

Die mehr und mehr globale "Medien- oder Informationsgesellsehaft"l ist aueh
dureh untersehiedliehe Auffassungen fiber Natur, Aufgabe, Sinn und ethisehe
Bestimmung der Medien eharakterisierbar. In einer solcherart pluralistisehen
Gesellsehaft, die aueh dureh versehiedene Auffassungen von Rationalitat ge-
kennzeiehnet ist, vermag Ethik generell nieht auf ein tradiertes oder diskursiv
festgelegtes Konzept ethiseher Begriindung zuriiekzugreifen. Deswegen ist der
Versueh, Normen fUr das praktisehe Handeln aufzuzeigen und diese argumen-
tativ zu reehtfertigen, also einer Differenz von Sein und Sollen naehzugehen,
konstitutiv fUr jede aktuelle, angewandte Ethik.

Die auf die Medien bezogene Ethik versueht in diesem Kontext, im speziellen
Normen fUr das praktisehe Handeln von und in Medien aufzuzeigen und als

I Zur Rekonstruktion der Diskussion und zur Darstellung aktueller Positionen vgl. Karmasin (1998,
S. 16 ff.).
127
Ethik der ,,Public Sphere" die Wirkungen medialer Kommunikation auf das
bonum commune zu analysieren und diese vor dem Hintergrund bestimmter
ethischer Systeme und Paradigmen zu rechtfertigen. 2 Die Medienethik bedient
sich dabei sowohl empirischer als auch normativer und analytischer Zugange.
Damit lassen sich fUr die Medienethik drei Arten von Aussagen unterscheiden:
Normative Aussagen, die (Wert-)Urteile zum Gegenstand haben, deskriptive
Aussagen, die empirische Sachverhalte abbilden, und analytische Aussagen, die
fragen, wieweit die rationale Begriindung und Realisierung von medialer Ethik
tiberhaupt moglich ist. Schon von daher wird evident, daB die empirische Me-
dienwissenschaft wesentlicher Referenzpunkt der ethischen Reflexion ist. Damit
ist aber lediglich die formelle Interdependenz von Medienwirkungsforschung
und Medienethik angesprochen, nicht aber das Wesen dieses Verhiiltnisses in
materieller Hinsicht.

2. Das Verhiltnis von Medienwirkungsforschung und Medien-


ethik als Begriindungs- und Anwendungsproblem

Auch die Medienethik ist in der Rekonstruktion gesellschaftlicher Anderungen,


mogen sie auch noch so elaboriert sein, vor naturalistischen F ehlschltissen nicht
gefeit. Ein rein sozialwissenschaftlicher Zugang, wie er in der Kommunikati-
onswissenschaft zunehmend en vogue zu sein scheint, wiirde also hier zu kurz
greifen. Auch fUr die Medienethik ist die Differenz von Moral und Ethik, von
gelebten Werten und der kritischen Reflexion auf und tiber diese, relevant.
GeltungsdifJerenzen markieren also den Beginn der meisten medienethischen
Reflexionen in analytischer, empirischer wie normativer Hinsicht.

Aus diesen Differenzen werden wiederum je spezifische normative Konsequen-


zen fUr eine Ethik der Kommunikation bzw. fUr eine auf die Medien bezogene
praktische Philosophie gerichtet. Damit riickt das Verhiiltnis von Medienwir-
kungsforschung und Medienethik in zweierlei Hinsicht ins Blickfeld: Einerseits
in bezug auf die Frage, ob empirische Aussagen tiber Medienwirkungen Beitrii-
ge zur Begriindung und zur Rechtfertigung von Ethik leisten konnen, anderer-

2 Eine Rekonstruktion der Paradigrnen der medienethischen Diskussion muJ3 aus Platzgriinden
unterbleiben. Vgl. hierzu zusammenfassend Wild (1990); zur Verpflichtung auf das Wahrheitspo-
stulat vgl. Boventer (1989) und Bentele (1994; 1996); zu systemischen Ansiitzen vgl. Christians
(1989), RiihVSaxer (1981); zu sozialethischen Ansiitzen: Goodwin (1987), Laux (1986), empirisch
zusammenfassend Bockelmann (1993); vgl. zusammenfassend Kannasin (1993), Funiok (1996),
DennislMerrill (1996) und die Sammelbiinde von Wunden (1989; 1994; 1996; 1998).
128
seits in bezug auf die Frage, ob diese Ergebnisse die Realisierung ethischer
Nonnen f6rdem. Die folgende Abbildung soli diese Grundprobleme strukturie-
ren:

Das Verhaltnis von


Medienwirkungsforschung und Medienethik

Medienetlillc: Das Begriindungs- empirische


problem Medienwissenschaft
Sollen Sein
Ethische Rationalitat Empiriscbe Rationalitat
(Vemunft) (Klugheit)
Normen medialen Han- Praktiken medialen
delns Handelns
Ideale Medienwirkun- Reale Medienwirkungen
gen
Legitimation Das Rea1isierungs- Rekonstruktion
problem
Abb. I: Das Verhiiltnis von Medienwirkungsforschung und Medienethik

Das Begriindungsproblem behandelt dabei die Frage der prinzipiellen M6glich-


keit der vemiinftigen Begriindung von nonnativen Satzen. Damit ist noch nicht
automatisch eine Letztbegriindung gemeint, sondem zuerst einmal die wissen-
schaftliche Fonnulierung ethischer Satze. Das Rationalitatsproblem beschreibt
dabei den Konflikt zwischen dem, was eine Kultur jeweils fUr vemiinftig halt,
und dem, was ethische Sollenssatze fUr vemiinftig halten. Damit stellt sich auch
die Frage, ob Vemunft selbst an soziale Systeme oder an Individuen gebunden
ist. Daraus ergibt sich konsequenterweise das Problem der Realisierung von
Ethik. Damit ist auch die Frage nach (individueller und systemischer) Verant-
wortung angesprochen. 3

J Die Frage, ob denn letztlich der gute Wille ausschlaggebend sei oder eben doch die konkrete
Realisierung und damit die Folgen der Handlung, ist ja auch fiir die medienethische Debatte be-
stimmend.
129
2.1 Das Verhiiltnis von empirischer Medienwissenschaft und Medienethik
als Begriindungsproblem

Die Begriindungstheorie behandeh aus ethischer Perspektive den Versuch des


Nachweises der intersubjektiven, allgemeinen Gehung von Werten. Diese all-
gemeine Geltung oder - anders fonnuliert - Giiltigkeit meint in ethischer
Hinsicht meist die Annahme nicht-empirischer Werte. Dieser Versuch besteht
entweder im Rekurs auf ahistorische Nonnen oder auf die (prinzipielle) Richtig-
keit von Nonnen, letztlich auch im Rekurs auf das erkenntnistheoretische Krite-
rium der Wahrheit. Zentral fUr den Versuch der Begriindung von Medienethik ist
aus begriindungstheoretischer Sicht der Umgang mit Geltungsdifferenzen. Die
Frage nach der argumentativen (i. e. rationalen) Begriindung und Rechtfertigung
von Sollensanspriichen muS jedenfalls mit der verniinftigen Differenz von Sein
und Sollen umgehen.

DaB hierbei ganz unterschiedliche "Rationalitaten" angesprochen werden und


als Basis der Argumentation gelten, liegt nicht nur im Objektbereich der Medie-
nethik, sondern auch in der Pluralitat der Lebenswelt begriindet. In einer plurali-
stischen Gesellschaft, die (auch) durch verschiedene Auffassungen von Rationa-
litiit gekennzeichnet ist, vennag die Ethik nicht auf ein (tradiertes) Konzept
ethischer Begriindung zuriickzugreifen. 4 Das eine (immer schon giiltige und
verbindliche) Ethos gibt es nicht mehr. Auch in interkultureller Hinsicht wird
deutlich, daB ein inhaltlich wie immer auch bestimmtes Ethos allein nicht hin-
reicht. Die Verabsolutierung eines Ethos (einer Kultur) fiihrt ja zwangsliiufig
dazu, daB eine Lebensweise einer anderen Lebensweise aufgedrangt wird. 5 Der
Relativismus der multikulturellen Gesellschaft, der ins Positive gewendet ja
Pluralismus heiSt, ist m. E. aber auch eine Herausforderung an ethische Begriin-
dungen. Kurz: Der Ethikbedarfunserer Gesellschaft ist und bleibt hoch. 6

Die Fragen, "welche Rationalitiit?" und "wessen Rationalitiit?", werden auch in


der Medienethik ganz unterschiedlich beantwortet. Die Bandbreite des begriin-

4 Der Club of Rome (1991, S. 122) fiihrt hierzu aus: "Jahrhundertelangwurden die Volker dureh die
Religion diszipliniert, und negative Charaktereigensehaften wurden teilweise durch die Hoffnung
auf das Paradies und die Angst vor der Holle unter Kontrolle gehalten. Mit dem verbreiteten Verlust
des Glaubens an die ReliglOn und an politisehe Ideologien und Institutionen sind die Sehranken
gefallen, der Respekt vor dem Gesetz ist gesunken, Terrorismus und Kriminalitiit nehmen zu."
5 Damit wird aber aueh klar, daB es in empiriseher Hinsicht eine universell giiltige Rationalitiit, vor
deren Hintergrund sieh eine Ethik im allgemeinen und eine Ethik medialer Kommunikation im
speziellen konstituieren konnte, nieht gibt und dal3 die Frage naeh der universellen Giiltigkeit von
Normen aueh in sieh ein ethisehes Problem darstellt.
6 Wie aueh Mader (1992, S. 250) feststellt: "Es f<illt heute auf, daB immer wieder eine Begriindung
des Prinzips der Moral, der moralisehen Regeln, von Geboten und Verboten gefragt ist."
130
dungs- und anwendungstheoretischen Diskurses wird auch in der medienethi-
schen Diskussion reflektiert. Der Bogen spannt sich von der "Vemunft" des
GefUhls bis zur (kritischen) Urteilskraft, von der Lembereitschaft zum Hedo-
nismus und Utilitarismus, von der Logik der Sprache zum (te1eologischen)
Kulturrelativismus, von der (analytischen) Negation der Ethik iiberhaupt bis
zum objektiven Idealismus, von der Unhintergehbarkeit des Diskurses bis zur
Menschenrechtsdebatte, die die Meinungsfreiheit als Grundrecht versteht, von
der systemtheoretischen Analyse bis zur angewandten Diskursethik, von deon-
tologischen Auffassungen deutscher Provenienz bis zu den kasuistischen Ansat-
zen der angloamerikanischen Tradition. 7

Medienethische Begriindungen sind also nicht nur wissenschaftstheoretisch und


wissenschaftshistorisch im Spannungsfeld empirischer Medienwissenschaft und
normativer Ethik anzusiedeln, sondem auch erkenntnistheoretisch, denn die
Begriindung normativer Satze Hillt sich nicht bruchlos aus einer (auch noch so
elaborierten) Bestimmung8 des Seins (normativ) ableiten. Die Begriindung von
Medienethik muG also zweierlei leisten:

- Sie muG die Ubereinstimmung von Sein und Sol/en ermoglichen, da nur so
die moralisch relevante Beziehung von Handlungssubjekten auf Seiendes
gedacht werden kann.

- Sie muG die DifJerenz von Sein und Sol/en so aufrechterhalten, daB nicht die
Erhaltung von aHem, was ist, nur schon deswegen, weil es ist, auch schon
gesollt ist. 9

Medienethik muG sich, wie jede Ethik also, im Spannungsfeld von Sein und
Sollen bewahren. Nicht jede empirisch rekonstruierbare Wirkung von Medien
ist also, nur weil sie empirisch nachweisbar ist, auch schon gesollt. Ganz im
Gegenteil: diese Wirkungen konnen und sollen Ansatzpunkte fUr die ethische
Reflexion medial vermittelter Kommunikation sein. Die Notwendigkeit einer

7 Uberblick bei Kannasin (1993; 1996a), Funiok (1996).


8 "Das hat einen stiirker pragmatisch ausgerichteten Denktypus dazu verleitet, anzunehmen, daB
ethisch legitimierbare Allgemeinverbindlichkeit (d. h. Geltung) und faktische Giiltigkeit so aufein-
ander reduzierbar seien, daB die faktische Giiltigkeit die Geltungskriterien abgiibe." Zimmerli
(1990, S. 9).
9Vgl. Zimmerli (1990, S. 19); Hrubi (1993, S. 5) bringt die praktische und theoretische Verkniip-
fung von Ethik und Empirie wie folgt auf den Punkt: "Wohin eine Politik ohne Riicksichtnahme auf
ethische und okonomische Einsichten fiihrt, wohin eine Okonomik ohne Beriicksichtigung ethischer
und politischer Voraussetzungen und Konsequenzen des wirtschaftlichen Handelns, wohin schlieB-
lich eine Ethik fiihrt, die blind ist fiir okonomische und politische Randbedingungen, all das ist uns
in den letzten Jahren drastisch und mehrfach vor Augen gefiihrt worden."
l3l
transdisziplinaren Analyse der Medien und damit die Interdependenz von empi-
rischer Medienwissenschaft und normativer Ethik lassen sich also auch begriin-
dungstheoretisch argumentieren.

In der Medienwissenschaft ist also generell weder ein (kontrafaktischer) Idea-


lismus noch ein plumper Realismus angebracht.

2.2 Das Verhiiltnis von empirischer Medienwissenschaft und Medienethik


als Anwendungsproblem

Selbst wenn ein begriindungstheoretischer Standpunkt alle oben andiskutierten


Probleme behandelt bzw. in ein intersubjektiv nachvollziehbares Aussagensy-
stem integriert hat, so stellt sich immer noch die Frage nach den Geltungsmog-
lichkeiten.

So kann in einem bestimmten Aussagesystem durchaus ein bestimmtes Konzept


von Vemunft (etwa diskursive Vemunft) entwickelt werden, das die Entstehung
von Normen beschreibt (etwa im Diskurs) und das die Vemiinftigkeit und Un-
hintergehbarkeit in idealtypischer Weise argumentiert. Damit ist aber noch
nichts iiber das Realisierungspotential ausgesagt. Dieses ist aber gerade flir eine
anwendungsorientierte Disziplin wie die Medienethik von essentieller Bedeu-
tung. Wenn die Medienethik folgenloses Wissen bleibt, wenn die Normen, die
sie argumentativ entwirft, vollig utopisch sind, dann existiert die Medienethik de
facto nur zwischen den Buchdeckeln von medienethischen Publikationen und in
den Seminarraumen, in denen es urn mediale Ethik geht. Die Medienethik muB
aber auch auf die Praxis medialer Kommunikation in all ihrer Vielf!iltigkeit
bezogen sein, urn auch in ihr wirken zu konnen.

Einerseits geht es also darum, das Realisierungspotential ethischer Normen


auszuloten und sich durch die Empirie stimulieren zu lassen, andererseits geht
es darum, empirische Ergebnisse selbst zur Ethisierung medialer Produktion
einzusetzen. So kann ja allein die Transparentmachung von Folgen und Wir-
kungen die Verantwortung von Medienproduzenten und Medienuntemehmun-
gen steigem. Damit wird der empirischen Welt freilich eine eigene Digniilit
zugesprochen. Wie es Hosie (1992, S. 34) auf den Punkt bringt, zerstort nicht
nur reiner Empirismus, sondem auch die Verachtung des Empirischen die Welt:
,,( ... ) denn wenn die empirische Welt keine eigene ontologische Wiirde hat,
dann ist jede Handlung in ihr ethisch sinnlos." Damit ist die (raumliche und

132
zeitliche) Transzendenz wesentliches Kriteriurn medialer Normen lO • Damit wird
die Begriindung auch an die Geltungsmoglichkeiten riickgebunden. Dies heiSt,
wie gesagt, nicht, daB damit schon normative Siitze aus deskriptiven schluBge-
folgert werden, sondern daB eine dualistische Ontologie auch den Wert der
empirischen Welt anzuerkennen hat. Damit ist auch flir die Konzeption und
Konkretion einer Ethik medialer Kommunikation ein Naturalismus ohne Fehl-
schluB geboten.

3. Konsequenzen fur eine Ethik medialer Kommunikation

DaB die Medienethik die Ergebnisse der Wirkungsforschung ernst zu nehmen


hat (hinzugefligt sei: und vice versa), daB sie also dem empirisch rekonstruier-
baren Sein erhebliche Argumente zugesteht, ist sowohl aus theoretischer als
auch aus praktischer Perspektive argumentierbar. DaB die Diskussion urn eine
Ethik medialer Kommunikation damit aber erst begonnen hat und keinesfalls
abgeschlossen ist, wohl ebenfalls. 1m folgenden will ich versuchen, einige Kon-
sequenzen II, die sich aus der Interdependenz von empirischer Medienwissen-
schaft und Ethik flir die Medienethik ergeben, zu skizzieren. 12

3.1 Medienethik als inter- und transdiszipliniire Ethik

Fur eine umfassend konzipierte und interdiszipliniir verfaBte Medienethik ist m.


E. ein breiter begrondungstheoretischer Diskurs notwendig. Die Herausforde-
rungen, die sich dUTCh die Verbreitung neuer Medien- und Informati-
onstechnologien und durch die "Okonomisierung,,13 der Gesellschaft im allge-
meinen ergeben, sind ethisch zu reflektieren. 14

10 Wie Stitzel (1990, S. 47) aber gegen das Kriterium der Realisierung einwendet, ist dieses gerade
in dem Fall, daB die Betroffenen ihre Argumente nicht in die Formulierung der Normen einbringen,
problematisch: "Es ist leicht zu erkennen, daB das Realisierbarkeits-Kriterium in intensiver Konkur-
renzbeziehung zu den drei anderen Kriterien steht. Als Beispiel dazu dient die Forderung nach
zeitlicher und riiumlicher Transzendenz: Die Konsequenzen des hier und jetzt erfolgenden wirt-
schaftlich-technischen Handelns werden in vielen Fallen okologisch irgendwann einmal an irgend-
einem anderen Ort manifest. Das in das Kalkiil des Handelns einflieBen zu lassen, es vielleicht
sogar zu einer Restriktion werden zu lassen, scheint den Handelnden extrem schwer zu fallen."
II Die, das sei vorausgeschickt, auch durch einen medienokonomischen Blick gepriigt sind.
12 DaB diese Interdependenz aber freilich auch fUr die Medienwirkungsforschung relevant ist, soli
lediglich als Hinweis geniigen.
13 Unter Okonomisierung kann mit Grisold (1996, S. 278) auch die gesellschaftliche Dominanz von
okonomischen Argumenten, die als wertfreier, objektiver und effizienter gelten als politische und
133
Wenn Infotmation, Unterhaltung wld WerbWlg in unserer Gesellschaft nun
schon Waren sind, dann hat es wohl wenig Sinn, diesen Umstand kulturpessimi-
stisch zu beklagen. Ganz im Gegenteil stellt dies m. E. eine Herausforderung an
die empirische Wld theoretische Forschung, sowie an die Ausbildung in jouma-
listischer und medienokonomischer Hinsicht gleichetmaBen dar.

Dazu gehOrt die Diskussion der Wirkungen digitaler Medien ebenso, wie die
Debatte urn die Infotmations- und Mediengesellschaft und ihre (inter-) kultu-
rellen, sozialen, politischen (demokratischen), wirtschaftlichen, okologischen
und lebensweltlichen (conditio humana) Implikationen aus ethischer Perspekti-
ve. Materielle Dimensionen der Medienethik wie gelingende Verstiindigung,
kommunikative Gerechtigkeit, Pluralismus, Transparenz, Miindigkeit, Objekti-
vitiit, Verantwortung, Freiheit etc. sind im sich iindemden Spannungsfeld von
Sein und Sollen inlmer neu zu thematisieren.

Von daher solI die Medienethik die Beschreibungen des Seins, wie sie durch die
Medienwirkungsforschung produziert werden, als Referenz- und Ausgangs-
punkte dieser Thematisierung auffassen. Wie die Wirkungsforschung deutlich
macht, sind die Wirkungen der Medien mannigfacher, als dies im Mainstream
der medienethischen Diskussion reflektiert wird.

Vor allem die medienokonomischen Bedingungen und Bedingtheiten medialer


Produktion harren der Integration in die aktuelle medienethische Diskussion.
Dies betrifft eine Ethik neuer "neuer" Medien (insbesondere des Intemets)
ebenso wie eine Ethik der Infotmation und der UnterhaltWlg, eine Werbeethik,
die Ethik der Hyperrealitiit, die Ethik des "information war" und die Umsetzung
dieser Ergebnisse in eine Ethik der Medienproduktion. Vor allem die Rolle der
MedienWltemehmung als zentrale Institution in der Produktion und Allokation
medialer Produkte verdient in diesem Kontext besondere Beachtung.

MedienWltemehmungen alloziieren Nachrichten und Berichte, Werbung Wld


Unterhaltung in mannigfacher Ausgestaltung, Kombination und Differenzie-
rung. Die medialen Produkte konnen als Zeitung, als Zeitschrift, als Film, als
Buch, als Radiobeitrag, als Femsehsendung, als Platte, als CD-Rom etc. in tele-
gene, filmische, stoffliche und digitale Fotm gebracht werden. 1m Zuge dieser

soziale Argumente, verstanden werden.


14 Der Nachweis der Notwendigkeit und Miiglichkeit einer umfassenden Medienethik ist damit auch
der Nachweis der Miiglichkeit der Ethik in der Postmodeme. Die Ethik der Medien wird so zur
Miiglichkeit der Ethik in unserer Kultur iiberhaupt. Vgl. auch Tester (1994).
134
Allokation werden von der Medienuntemehmung verschiedenartigste Produkti-
ons- undloder Handelsleistungen verschiedensten Anspruchsgruppen gegeniiber
erbracht. 1S Am Ende der Allokation steht jedenfalls, neben (wie immer zu be-
wertenden) okonomischen Ergebnissen, "Offentlichkeit".16

Der Begriff "Offentlichkeit" bzw. "offentliche Meinung" ziihlt zu jenen kom-


plexen (aber unverzichtbaren) Konstrukten, die zwar das kollektive Endprodukt
medialer Allokation beschreiben, die aber hinsichtlich ihrer Qualitiit schwer
beschreibbar sind. Sechs wesentliche Strukturelemente des Begriffs lassen sich
aber dennoch festmachen (Vgl. hierzu Karmasin, 1998, S. 93):

- Offentlichkeit als Thematisierung (Agenda Setting, Bereitstellung der The-


men der offentlichen Kommunikation, individuelle Meinungs- und Willens-
bildung, Abgrenzung von ,,Privatheit")
- Offentlichkeit als Struktur gesellschaftlicher Wahrnehmung von Ereignissen
- Offentlichkeit als Kritik (als Kontrolle von Macht, sozialer, politi scher,
okonomischer Strukturen, als "Gegengift" etc.)
- Offentlichkeit als "Offentliche Meinung" und als Urteil (als Image, als Ein-
stellung, als Werthaltung)
- Offentlichkeit als Infrastruktur (flir Politik, flir Werbung, flir Wirtschaft etc.)
- Offentlichkeit als iiberindividuelles kollektives Gediichtnis (als Selbstrefle-
xion, als Identitiitsentwurf etc.)

Die jeweiligen Strukturmerkmale des Begriffes werden nun je spezifischen


Medienfunktionen und Medienwirkungen in individueller wie kollektiver Hin-
sicht zugeordnet. Diese individuellen Funktionen, die den Medien dabei attri-
buiert werden, die als kollektives Konstrukt wiederum Offentlichkeit schaffen,
sind mannigfach. Man spricht etwa von der Speicherfunktion, der Kulturfunkti-
on, der Welt- und Wirklichkeitsvermittlungsfunktion, der Unterhaltungsfunkti-
on, der Informationsfunktion, der Selektions- und Strukturierungsfunktion, der
Orientierungsfunktion, der Integrationsfunktion, der Kritik- und Kontrollfunkti-
on und der Sozialisationsfunktion. 17

15 Medien werden daneben auf unterschiedlichen Teilmiirkten gehandeJt (Beschaffungsmiirkten,


Absatzmiirkten) und von unterschiedlichen Nachfragem und Anbietem alloziiert (Agenturen, dem
Publikum, Medienuntemehmungen, Produzenten etc.). Zur Anspruchsgruppentheorie vgl. Karmasin
(1998, S. 65).
16 Was iiffentlich wird, ist Ergebnis eines Selektionsprozesses, der auch wirtschaftliche Selektoren
beriicksichtigt.
17 Vgl. Kiibler (1994, S. 73 ff.); SilbermanniHiinseroth (1989, S. 34) sprechen zusammenfassend
von der Informations-. der Artikulier- und der Kritik- und Kontrollfunktion.
135
Worin die Wirkung der Medien materiel! in dieser Hinsicht bestehe, was Natur,
Wesen und Ideal geseHschaftlicher Kommunikation seien, ja ob es eine solche
iiberhaupt (noch) gebe, dariiber besteht aHerdings weder in der Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft noch in der Medienethik Konsens, noch zeichnet
sich einer ab. 18

Die Medien machen das, was wirklich ist, und die Medien zeigen das, was wirk-
lich ist. Ob dem auch wirklich so ist, ist in einer InformationsgeseHschaft ohne-
hin nicht unmittelbar nachpriifbar. 19 Das Rezeptionsverhalten ebenso wie das
Komplexitiit reduzierende Verhalten der Medien selbst macht es in vielen Hillen
unmoglich, eine "objektive" Realitiit zu erfahren, zu hinterfragen und kritisch
mit ihrem Abbild, oder dem, was man flir ihr Abbild halt, zu vergleichen.

Die Debatte urn die Konstituierung medialer Realitiit und ihrer Beziehung zu
einer existenten (oder nicht existenten) "Realitiit" soH hier nicht rekonstruiert
werden. 20 Zusammenfassend sei mit Luhmann (1996, S. 9) gesagt: "Was wir

18 Vgl. zum Problem der materiellen Bestimmung von Kommunikation "klassisch" Merten(1977);
zusammenfassend Kiibler (1994, S. 148); aktuell etwa die Darstellung der Diskussion dUTCh Friih
(1994) und Donsbach (1994); zur Wirkung von Zeitungsberichten empirisch auch Schon-
bach/Eichhorn (1992); zu Medienwirkungen allg. empirisch Brosius/Esser(1995, v. a. S. 194 ff.)
Von einer inhaltlichen Diskussion soli daher auch abgesehen werden.
Kommunikation ist ja mit Luhmann (1997, S. 105) generell keine "Ubertragung" von semantischen
Gehalten von einem psychischen System, das sie schon besitzt, auf ein anderes. Daraus folgt (1997,
S. 106): "Kommunikationen bilden, wenn autopoietisch durch Rekursionen reproduziert, eine
emergente Realitiit sui generis. Nicht der Mensch kann kommunizieren, nur die Kommunikation
kann kommunizieren. Ebenso wie Kommunikationssysteme sind auch Bewu13tseinssysteme (und auf
deren anderer Seite Gehirne, Zellen usw .... ) operativ geschlossene Systeme, die keinen Kontakt
zueinander unterhalten konnen. Es gibt keine nicht sozial vermittelte Kommunikation von Bewu/3t-
sein zu Bewu/3tsein, und es gibt keine Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft.
Jedes hinreichend priizise Verstiindnis von Kommunikation schlie13t solche Moglichkeiten aus
(ebenso wie die andere Moglichkeit, daB die Gesellschaft als Kollektivgeist denken konne). NUT ein
Bewu/3tsein kann denken (aber eben nicht: in ein anderes Bewu/3tsein hiniiberdenken), und nur die
Gesellschaft kann kommunizieren. Und in beiden Fallen handelt es sich urn Eigenoperationen eines
operativ geschlossenen, strukturdeterminierten Systems."
19 Erhellend zu dieser Selbstreferenz der Medien die empirische Untersuchung von Kepplin-
ger/Habermeier (1996). Bestimmte "Ereignisse" werden dUTCh Medien reproduziert und in die
laufende Berichterstattung aufgenommen, ohne daB sie sich realiter wiederholt hatten.
20 Vgl. hierzu Kepplinger (1996), der drei Korrelationsmodelle unterscheidet.
Zusammenfassend sei mit Kepplinger (1996, S. 33) festgehalten: "Die These, daB es keine journali-
stische und wissenschaftliche Objektivitiit im Sinne einer voraussetzungsfreien undunumstol3lichen
Einsicht in die Natur der Sache oder das Wesen der Dinge gibt, ist richtig. Deshalb ist auch die
These richtig, daB man die Realitiit in diesem Sinne weder wissenschaftlich noch journalistisch
objektiv darstellen kann .... Weder im Journalismus noch in der Wissenschaft geht es urn die Natur
oder das Wesen der Dinge. In beiden Tiitigkeitsbereichen handelt es sich urn voriaufige, intersub-
jektiv priifbare Anniiherungen an die Wahrheit. In diesem Sinne gibt es im Journalismus und in der
Wissenschaft eine objektive Erkenntnis, die man in der Regel von subjektiven Sichtweisen unter-
scheiden kann." Es geht also auch hier urn die Transparenz und Legitimation von je spezifischen
136
iiber unsere Gesellschaft, ja iiber die Welt in der wir leben, wissen, wissen wir
durch die Massenmedien." Kurz: Die Medien erzeugen eine transzendentale
Illusion (Luhmann, 1996, S. 14), und sie produzieren bzw. repriisentieren Of-
fentlichkeit. 21

Damit ist trotz aller Relevanz der Medien nicht die Totalitiit gesellschaftlicher
und individueller Realitiit gemeint. Es gibt auch in einer Informations- bzw.
Mediengesellschaft nicht iiber mediale Kommunikation vermittelte Rea1itiiten,
ja es gibt auch nicht kommunikative Evidenzen.

Dennoch nehmen Medienunternehmungen in der Konstruktion, Allokation und


Wiederholung (a1s kollektives Gedachtnis) von gesellschaftlicher Realitiit eine
zentrale Rolle ein. Dies insbesondere, da die mediale Offentlichkeit auch iiber-
ragende Prioritiit fur die Schaffung und Defmition kollektiver ethischer Grund-
werte wie Freiheit, Sicherheit, Menschenwiirde etc. hat. 22

Das entscheidende Problem in der Analyse der Medien ist also nicht, welche
Mechanismen und Kommunikationsparameter der Medienuntemehmung sich
zur sog. "objektiven" Welf 3 wie verhalten, sondem welche Funktionen sie ha-
ben. Die Frage ist also, iiber welche Mechanismen und Funktionen Medienun-
temehmungen Realitiit konstruieren24 , und welche (in diesem Falle abstrakten)25

Zustiinden zu Realitiit und nieht urn die (wertfreie) Deskription. Aueh aus dieser Perspektive sind
ganz im Sinne unserer obigen Argumentation Subjektivismen von intersubjektiv naehvollziehbaren
und begriindungs- bzw. diskursfahigen (normativen wie deskriptiven) Argumenten zu unterschei-
den.
21 So sagt Luhmann (1996, S. 188): "Die Funktion der Massenmedien ware demnaeh nieht in der
Produktion, sondem in der Repriisentation von Offentliehkeit zu sehen. Dabei ist von
'Repriisentation' in einem 'kontrahierenden', reduktiven Sinne die Rede. Gerade weir
'Offentlichkeit' flir alle Systeme, die Massenmedien selbst eingeschlossen, immer die andere,
unzugangliche Seite ihrer Grenzen besehreibt und nicht in Riehtung auf bestimmte Partnersysterne
spezifiziert werden kann, ist es notwendig, sie zu repriisentieren in der Form von Realitiitskonstruk-
tionen, an denen alle Teilsysterne, ja alle Menschen teilhaben konnen, ohne daB daraus eine Ver-
pflichtung erwiiehse, in bestimrnter Weise darnit urnzugehen. Die Repriisentation der Offentliehkeit
dureh die Massenmedien garantiert mithin irn laufenden Gesehehen Transparenz und Intransparenz
zugleieh, niimlich bestimmtes thernatisehes Wissen in der Form von jeweils konkretisiertenObjek-
ten und UngewiBheit in der Frage, wer wie darauf reagiert."
22 Medien sind die Infrastruktur der Offentliehkeit und sie repriisentieren in ihren negativen Wir-
kungen wohl aueh die "Sehrnerzen der Zivilisation."
23 Die es in unserer Auffassung nur als kulturdependente kollektive Sinnstruktur gibt. Vgl. zur
kulturanthropologischen Interpretation KarmasiniKarmasin (1996).
24 Und nieht, wie Luhmann (1996, S. 20) treffend ausfiihrt, ob sie Realitiit besehreibenZur kommu-
nikationswissensehaftliehen Rekonstruktion der paradigmatisehen Diskussion urn rnediale Realitiit
vgl. Bentele (1996).
25 Zu konkreten Selektoren wie organisationelle Routinen, Hierarehien, professionelles Ethos etc.
siehe unten.
137
Selektoren dariiber entscheiden, was in welcher Fonn offentlich wird und was
nicht. DaB diese Selektoren durch okonomische Kalkiile ebenso wie durch ord-
nungspolitische Rahmenbedingungen, durch kulturspezifische Priidispositionen
wie durch ethische und iisthetische Werturteile bestimmt sind, stellt eine Her-
ausforderung an die empirische Medienwissenschaft ebenso wie an die Medie-
nethik dar. Welche Strukturen also bedingen, daB die Medien so sind, wie sie
sind, und welche Anderungen sollte man in Richtung einer Steigerung der Ge-
meinwohlvertriiglichkeit medialer Produktion setzen?

Die zentrale Frage einer Sozialethik der Medien in einer durch zunehmende
Okonomisierung aller Lebensbereiche bestimmten Infonnationsgesellschaft ist
ja jene nach dem Verhiiltnis von okonomischer und ethischer Rationalitiit in den
Rahmenbedingungen der Medienproduktion. Die Moglichkeiten und Grenzen
einer Integration ethischer Vemunft und wirtschaftlicher Klugheit sind im be-
griindungstheoretischen wie im erfolgsrationalen und praktisch-empirischen
Sinne auch flir die Medien zu untersuchen. Damit kann auch die Diskussion um
die ordnungspolitische Gestaltung des Medienmarktes neue Impulse aus der
empirischen Medienforschung bekommen.

3. 2 Medienethik als Unternehmensethik der Medienunternehmung

Die ordnungspolitische Gestaltung im Sinne einer Verpflichtung von Me-


dienuntemehmungen auf das Gemeinwohl, kann eine autonome untemehmeri-
sche Verantwortung nicht substituieren. Kurz: Die ethischen Verpflichtungen
von Medienuntemehmungen konnen in materieller Hinsicht nicht auf Markt
(Wettbewerb) oder Staat iibertragen werden. 26 Auch wenn der Medienmarkt zur
ethischen Exkulpation der Marktmiichtigen dient, indem das Untemehmen als
reiner Reaktionstrager (auf Konkurrenten oder Konsumentenaktivitiiten) inter-
pretiert wird, so wird damit maximal das Gewissen der Fiihrungskriifte dieser
Untemehmungen entlastet. Auch das Abstellen auf die positive Legalitiit des
Handelns und das Abwiilzen der Verantwortung flir die Venneidung negativer
extemer Effekte auf den Staat losen das Problem nicht. 27 Auch hier weist die
Medienwirkungsforschung nach, daB die negativen Extemalitiiten, die durch
Konzentration und die Vennittlung bestimmter Wertewelten durch Infonnation,

26 Zur ausfiihrlichen Argumentation vgl. Karmasin (1998, S. 360 ff.).


271m Kern all dieser Argumente steht die (priidoliberale) Annahme, es giibe so etwas wie eine
Binnenrationalitiit der Unternehmung, die durch externe Mechanismen zu kontrollieren sei. Die
Riickbindung an interne Mechanismen wiirde lediglich die Funktionsfahigkeit der Unternehmung in
Frage stellen, ethische Verantwortung sei eine dem Unternehrnen externe GroBe.
l38
Unterhaltung und Werbung induziert werden, bestehen bleiben. Die negativen
Wirkungen der Medien auf bestimmte Gruppen der Bevolkerung28 , auf Kultur
und Politik lassen sich sowohl aus medienpiidagogischer wie auch aus medien-
soziologischer Perspektive rekonstruieren. 29 Folgen des iibermiiBigen Medien-
konsums und (falschen) Mediengebrauches seien soziale Desorientierung, Ver-
einsamung und - vor allem flir Kinder - nachhaltige Verhaltensstorungen. 30

Aus medienethischer Sicht stellt sich die Frage, wem die Verantwortung flir die
Gestaltung medialer Miirkte und damit medialer Produkte zukommt. Analog zur
liberalen Theorie des Marktes behauptet die liberale Theorie der Medien ja, daB
der miindige Medienkonsument in einem weitgehend deregulierten Mediensy-
stem in der Lage sei, per Nachfrageverhalten (also via Beeinflussung der Er-
satzwiihrung, sprich Reichweite bzw. Quote) die bestmogliche mediale Leistung
zu generieren. Der aufgekliirte, informierte Rezipient triige letztlich die Verant-
wortung flir die mediale Produktion. Dies erweist sich bei niiherer Betrachtung
aber (ebenfalls) als ideologische und nicht als empirische Aussage.

Erstens kann Nachfrageveriinderung auf Grund von Informationsdefiziten oft


nicht so realisiert werden, wie sie rationalerweise ausgeiibt werden konnte. Das
prinzipielle Problem des Medienmarktes ist, daJ3 die Konsumentlnnen nicht in
der Lage sind, ihre Qualitiitsvorstellungen auf dem Markt durchzusetzen. Es
kommt zu Marktversagen auf Grund von Qualitiitsintransparenz. Dariiber hin-
aus kann festgestellt werden, daJ3 Marktverdriingung und Marktkonzentration
nicht auf Grund publizistischen, sondem okonomischen Wettbewerbs erfolgen.

Zweitens ist auf Grund der Intransparenz medialer Miirkte ein Verursacher oder
ein Hersteller yom Publikum nicht ausmachbar, so daB es ohne weiteres gar
nicht ersichtlich ist, wer durch Nachfrageveriinderungen beeinfluBt wird. Sehr
oft aber bestehen de facto Machtverhiiltnisse, die keine Moglichkeit zulassen,
bestimmten Forderungen auch marktrelevant Nachdruck zu verschaffen. 31 Auch
im Binnenbereich der Unternehmung sind Falle denkbar, in denen Dritte betrof-

28 Erinnert sei an die Diskussion urn die Wirkung von audiovisuellen Gewaltdarstellungen auf
lugendliche; vgl. hierzu etwa Miiller (1996), Gottberg (1996).
29 Vgl. etwa Mettler-Meibom (1994, S. 133 ff.), den Sammelband von Funiok(1996), die Darstel-
lung der Gewaltforschung zusammenfassend Kiibler (1994, S. 171).
30 Vgl. zusammenfassend Brauner/Bickmann (1996, S. 143 ff.).
31 Die Anderung der Produktion von Atomstrom in der ehemaligen CSFR lage wohl im Interesse
Osterreichs. Es besteht aber keine Moglichkeit, dieses marktlich (etwa durch Wechsel der Nachfra-
ge, durch Umverteilung etc.) geltend zu machen. Viele Konsumenten wiirden u.U. Waschmittel
von kleinen Produzenten aus ihrer Umgebung kaufen, es gibt sie nur nicht.
139
fen sind, die in keiner (marktlichen) Interaktion zum Unternehmen stehen. 32
Wie soli hier die Nachfrage das Verhalten der Unternehmung iindern? Der zyni-
sche Verweis darauf, daB die Systemgrenze der Unternehmung ja nur geldwerte
bzw. in Geld transformierbare Nachfrage auf einem bestimmten Markt sei,
erinnert an den (problematischen) Versuch, das Okonomische mit dem Ver-
niinftigen gleichzusetzen.

Drittens kann die Medienproduktion in ihren Ursachen durch Rezipientenver-


halten nur schwer gesteuert werden. Die Alternative zum Konsum besteht oft
nur im Verzicht auf ein konkretes mediales Produkt, nicht in dessen Anderung.
Die Rationalitiit der "invisible hand"' erfordert hingegen einen groBen Markt mit
rein wirtschaftlichen Verhaltenserwartungen. Gerade die Entwicklung unserer
Kultur von einer Gemeinschaft zu einer Gesellschaft (von Wert- zu Zweckratio-
nalitiit), von unmittelbarer Sinneserfahrung zu instrumentell-okonomischer
Integration bedingt einen Verlust von verhaltensrelevanten und in iiberschauba-
ren Sozialzusammenhiingen akzeptierten Normen und Werten (vgl. Koslowski,
1989, S. 11). Denn je grOBer der Markt ist, um so hOher sind die okonomische
Rationalitiit und Arbeitsteilung, um so geringer ist aber auch die Gemeinsamkeit
der Sinnerfahrung (vgl. Koslowski, 1989, S. 12). Gerade die wachsende GroBe
von Markten fiihrt tendentiell zur Intransparenz, d. h. je grafter und konzen-
trierter ein Markt ist, desto intransparenter wird er aus der Sicht der Konsu-
mentInnen. Hochkonzentrierte, oligopolistische Markte machen ein Ausweichen
auf andere Produzenten in vielen Bereichen fast unmoglich. Sowohl national als
auch international sind aIle Produktionsstufen in einer Hand vereint und werden
durch Diversiftkation und Differenzierung im hOchsten MaBe effizient genutzt.
Kurz: Die RezipientInnen werden an die Medien angepaBt, nicht umgekehrt. 33

Die kontrafaktische Behauptung der RezipientInnensouveriinitiit kann also die


Medienunternehmung nicht von der Verantwortung entlasten, autonome Beitrii-
ge zum Gemeinwohl zu leisten. Die Durchsetzung von allgemeinen Interessen
durch das Publikum scheint angesichts einer Marktsituation, in der die Markt-
macht beim Produzenten liegt, und der Markt durch Intransparenz und man-
gelnde Steuerbarkeit durch Medienrezeption gekennzeichnet ist, schwer vor-
stellbar. Der Charakter von Medien bzw. eines Teils medialer Produkte als me-
ritorische Giiter macht aber selbst bei (idealtypischer) voller KonsumentInnen-
souveriinitiit autonome unternehmerische Verantwortung nicht obsolet. Merito-
rische Giiter sind ja ex defmitione Giiter, von denen zu wenig erstellt wird,

32 Nicht jeder/jede, iiber den/die berichtet wird, ist ja KundelKundin des betreffenden Mediums.
33 Wie wir andernorts (1993) schon ausfiihrlich argumentiert haben.
140.
wenn nur die individuellen Entscheidungen das AusmaB der Bereitstellung
bestimmen. Wie Kiefer (1994, S. 433) treffend ausfiihrt, begriinden sie eine
Verletzung des Konzepts der Konsumentlnnensouveriinitiit. 34 Auch in einer
solchen (lediglich theoretisch vorstellbaren) Situation macht also autonome
untemehmerische Verantwortung fiir die Bereitstellung qualifizierter Offent-
lichkeit, fUr Bildung, Kritik und Artikulationschancen durchaus Sinn.

Zusammenfassend kommt die Marktmacht nicht dem Publikum zu. Untemeh-


merische Verantwortung kann also weder direkt (iiber Preise) noch indirekt
(iiber die Quote) auf dieses iiberwalzt werden. Ja man kann soweit gehen, die
eigentliche Marktmacht nicht den KonsumentInnen, sondem der werbetreiben-
den Wirtschaft zuzuordnen. 35 Damit ware diese aber auch fiir mediale Produkte
und mediale Realitiiten insgesamt mitverantwortlich. Hier offnet sich m. E. so-
wohl der Medienwirkungsforschung (vor allem in medienokonomischer Hin-
sicht) als auch der Medienethik ein weites Feld. Medienethik als Unternehmen-
ethik der Medienunternehmung aufzufassen, bietet mannigfache Ankniipfungs-
punkte fiir eine soIche Diskussion. Die Wirkungen des Untemehmens auf die
Gesellschaft (Extemalitiiten), die Verantwortung des Untemehmens fiir diese,
der Beitrag des Untemehmens zur Verwirklichung kommunikativer Gerechtig-
keit, die Rolle des Untemehmens als Stakeholder Allianz und als quasi-offent-
liche Institution, der Beitrag des Untemehmens zur interkulturellen Verstiindi-
gung und zur Herstellung gesamtgesellschaftlicher Transparenz, die ethische
Qualitiit der Untemehmenskultur, die Moglichkeit der Institutionalisierung von
Ethik im Untemehmen sind notwendige Inhalte einer solchen Diskussion. Kurz:
Es geht urn Medien, nicht urn Markte. 36 Da Medienkonzentration legistisch

34 Konsumentenpriiferenzen gelten vor allem unter drei Annahmen als verzerrt, wie Kiefer( 1994)
darstellt:
I. fehlende Beurteilungsflihigkeit der Konsumenten,
2. begrenzte Informationsverarbeitungskapazitiit der Konsumenten und Delegation von Entschei-
dungen (an Fachleute),
3. unterschiedliche Priiferenzordnungen fiir unterschiedliche Entscheidungssituationen.
Sie schluBfolgert:
Aile drei Annahmen miissen bei Medien und insbesondere beim Rundfunk als zutreffend angesehen
werden, die dritte ist fiir das duale System aber besonders aufschluBreich.
35 Wie es neben anderen Grisold (1996, S. 281) tut: "Marktwirtschaftstheoretikerlnnen gehen davon
aus, daB die Konsumierenden iiber ihre Kaufentscheidung ihre Wiinsche am Markt einbringen. Bei
den Massenmedien wird aber nicht nur Information, Meinung und Unterhaltung gehandelt, sondern
auch Anzeigenraum. Die Eimtahmen fiir Printmedienunternehmungen und offentlich-rechtlichen
Rundfunk kommen daher von zwei Seiten: von den LeserInnen, HorerInnen und Seherinnen einer-
seits und von der werbenden Wirtschaft andererseits, wobei der Anteil derWerbeeinnahmen im
Steigen begriffen ist und den der Verkaufserlose (bzw. der Gebiihren) oftmals schon iibersteigt.
Damit werden die Anzeigenkunden zum bestimmenden Nachfragefaktor."
36 The European Institute for the Media (1991, S. 147) etwa fordert fiir den Medienbereich: "Es
muss unbedingt sichergestellt werden, dass die Konzentration von Eigentum und Kontrolle weder
141
offensichtlich nicht verhindert werden kann, geht es uns vorwiegend um die
Kontrolle ihrer Wirkungen. 37 Damit ist nicht nur die empirische Medienfor-
schung in der Darstellung dieser Wirkungen gefordert, sondem auch die Medie-
nethik in der Riickbindung der Verantwortung fiir die Wirkungen medialer
Produktion und Allokation an die Untemehmung. Die Frage nach autonomer
untemehmerischer Verantwortung im Medienmarkt, nach der realen Macht der
Medienuntemehmung, nach den Folgen der medialen Produktion, nach dem
daraus resultierenden AusmaJ3 an Verantwortung, nach der Moglichkeit, diese
Folgen an die Untemehmung riickzubinden, stellt eine Herausforderung an die
Wirkungsforschung wie an die Medienethik gleichermaBen dar.

3.3 Medienethik als Individualethik der Medienproduktion

Die Betonung systemischer Zusammenhange soli nicht iiber die Notwendigkeit


individueller Verantwortung hinwegtiiuschen. Weder Markt noch Staat konnen
diese ersetzen. Der Markt ist keine moralische Anstalt, der Staat kann Marktver-
sagen nur rudimentiir ersetzen. 10umaIistische Moral ist im speziellen nicht
vollig auf die Legalitat des Handelns und die Anpassung an eine marktgangige
Nachfrage riickfiihrbar. Die Nachfrage und die Bereitschaft, diese zu befriedi-
gen, und die Legalitiit des Handelns, die je nach Kultur und Nation differieren,
sind zwar Bedingungen joumalistischen Berufshandelns, geniigen aber nicht fUr
eine ethische Legitimation des Handelns. 38

Der 10umalismus nirnmt in der Debatte um Medienwirkungen, gesellschaftIiche


Verantwortung und Individualethik medialer Kommunikation eine bemerkens-
werte Sonderstellung ein. Dies wohl weniger wegen der okonomischen Rele-
vanz der Informationsproduktion, sondem wegen der kulturellen und damit
demokratiepolitischen Relevanz, die diesen Medienprodukten attribuiert wird.
Der 10umalismus habe die Funktion, aus den verschiedenen sozialen Systemen

den Wettbewerb noch die freie Meinungsiiusserung beeintrachtigt. Die Garantien der Artikel 85 und
86 der Romischen Vertriige und des Artikels 10 der Europiiischen Menschenrechtskonvention
mussen durch Regelungen abgesichert werden, die behandeln:
• den Missbrauch einer marktbeherrschenden Position in den Medien;
• die Zugangsbedingungen zu wichtigen Veranstaltungen;
• die Grenzen, innerhalb den.>r Doppelbesitz in den Medien geduldet werden kann."
Auch dazu scheint unser Ansatz geeignet zu sein.
37 Gerade die multinationale Konzentration im Medienbereich und die technische und inhaltliche
G10balisierung lassen nationalstaatliche Medienregulation ja immer problematischer erscheinen.
38 Es gibt Nachfrage nach bestimmten Medienformen und Medieninhalten, nachSex and Crime,
nach Desinformation, nach gewalttiitiger Unterhaltung, ebenso wie es Nachfrage nach Kinderporno-
graphie gibt.
142
(der Umwelt) Themen zu sammeln, sie zu selektieren und zu bearbeiten, und
diese dann dem sozialen System (der Umwelt) als Medienangebot wiederum zu
offerieren. 39 Wie wir oben schon ausgefiihrt haben, ist die (ethisehe) Diskussion
urn Wirkungen medialer Kommunikation dabei auf die Allokation von Naeh-
riehten und Beriehten ("Information") im Sinne der Erfiillung von Artiku-
lations-, Teilhabe-, Kritik- und Kontrollfunktionen fokusiert. Die Debatte urn
eine Ethik der Unterhaltung, der Werbung und des Medienmanagements kann
wohl bei weitem als nieht so elaboriert und intensiv eharakterisiert werden.

Weisehenberg (1994, S. 253) prognostiziert jedoeh eine steigende Bedeutung


der Unterhaltungsfunktion40 , die in funktionalen Defmitionen des Joumalismus
bisher kaum beriieksiehtigt wurde und damit eine Anderung "traditioneller"
Joumalismuskonzepte in Riehtung "Infotainment" bedinge. Die Kommerziali-
sierungs- und Konzentrationstendenzen in Medienuntemehmungen werden im
Zuge dieser Diskussion der gesellsehaftliehen Funktion und Verantwortung des
Joumalismus gegeniibergestellt. 41
Hier ist der Beitrag der Medienethik zur joumalistisehen Ethik ebenso wie zu
einer umfassenden Individualethik der Medien gefordert. Damit ist aus unserer
Position nieht nur eine Ethik des Joumalismus als individualethisehe Medie-
nethik und ein Beitrag zur Professionalisierung gemeint, sondem aueh eine
Ethik des Medienmanagements und eine Ethik des Medienkonsums. Hier ware
die empirisehe Medienwissensehaft in der Rekonstruktion der Wirkungen be-
stimmter Fiihrungs-, Organisations- und Managementsysteme auf die Gestal-
tung medialer Produkte verstarkt gefordert. Ais ,feedback" fiber die Wirkungen
medialer Kommunikation (aueh auf die "Objekte" der Beriehterstattung) kann
die empirisehe Medienwissensehaft zum wiehtigen Bestandteil einer
(professionellen) Ethik der Medienproduzenten werden.

39 Vgl. zu dieser Auffassung Weischenberg(l992, S. 41), zu allgemeinen Medienfunktionen siehe


oben; zu iilmlichen Begriffsbestimmungen des Journalismus siehe oben.
40 "Eingeleitet durch den Versuch privat-kommerzieller Rundfunkveranstalter, sich von den tradi-
tionellen Nachrichtensendungen offentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten abzugrenzen und ihre
Sendungen flir ein groBes Publikum attraktiver zu gestalten, verschmelzen Information und Unter-
haltung zunehmend zum Infotainment. Gerade diese Entwicklung, die nach Ansicht einiger Exper-
ten auch auf weitere Medienteilsysteme iibergreifen wird, konnte den Nachrichtenjournalismus vor
neue Anforderungen stellen." (Weischenberg, 1994, S. 253).
41 So sagt Armin Thurnher (Chcfredakteur des Falter) bei einer Podiumsdiskussion (in:Profil yom
6. Mai 1996, S. 30). "Bei all dem geht es aber nicht so sehr urn ideologische Fragen, sondern urn
etwas anderes. Es geht urn den Kulturbruch zwischen Dienstleistungsjournalismus und verlegeri-
schem Journalismus oder, wie man auch sagen kann, zwischen E- und U-Journalismus. Der Dienst-
leistungsjournalismus betrachtet Journalismus nur als Geschiift, wiihrend der verlegerische Journa-
lismus noch die alte Einbildung hat, daB da etwas mitzuteilen ware ( ... )Der gef!ihrlichste Journa-
lismus ist einer, der das inhaltliche Wollen ausschlieBt und nur Profit machen will - egal, wie."
143
Das Aufzeigen der Wirkungen und Funktionsweisen medialer Kommunikation
kann nieht nur den Kenntnisstand der Medienproduzenten in Riehtung einer
Professionalisierung und damit Steigerung der berufliehen Verantwortung,
sondem aueh die ,,media awareness" bzw. ,,media literacy" und damit Kritikfa-
higkeit des Publikums fordem. Das Publikum wird damit Adressat der Medie-
nethik ebenso wie der Medienwirkungsforschung und bleibt nieht bloB deren
(Untersuehungs-) Objekt. Die Mundigkeit und Informiertheit des Publikums ist
aber unabdingbare Voraussetzung fUr einen vemunftigen Medienkonsum, ja
eine "Ethik des Medienkonsums..42 • Der Medienpadagogik kommt hier u. E. die
Aufgabe zu, in jeder Stufe der Ausbildung ein grundlegendes Verstiindnis fUr
die Funktion, die Aufgabe und die Rolle der Medien zu vermitteln. Dazu gehOrt
aueh das Verstiindnis der okonomischen Bedingtheiten der medialen Kommuni-
kation, der Wirkungen der Medien und die Diskussion uber mediale Qualitat
und Verantwortung.

4. Zusammenfassung

Fur die Medienethik ist - wie fUr jede Ethik - die Differenz von Sein und
Sollen konstitutiv. Der Umgang mit Geltungsdifferenzen bedingt, daB auch der
Analyse des empirisehen Seins eigene Relevanz zukommt. Von daher ist die
empirisehe Medienwissensehaft unverziehtbarer Referenzpunkt des medienethi-
sehen Diskurses. 43 Diese Debatte kann aber durehaus nicht nur die Medienethik
bereiehem, sondem enthalt aueh betraehtliehes heuristisehes Potential fUr die
Medienwirkungsforschung. Der Publikumsmarkt ziihlt zu den am besten unter-
suchten Miirkten unserer Gesellsehaft. 44 Diese Untersuchungen werden in gro-
Berem Umfang aber vor allem mit dem Motiv untemommen, eine Entschei-
dungshilfe fUr die Mediaselektion bzw. den Verkaufvon Werbung anzubieten. 45

42 Wie sie etwa Hamelink (1995) vorschlagt; der Autor(1995, S. 505) stellt aueh zehn Gebote fUr
den Medienkonsum auf.
43 Eine Ablehnung empiriseher Ergebnisse ist m. E. sowohl aus begriindungs- wie aueh aus anwen-
dungstheoretiseher Sieht problematiseh.
44 Da die Quote (die Reiehweite) die Wahrung des Medienmarktes ist und die Werbewirkung we-
sentliehes Argument bei der Refinanzierung von Medien, ist diese Fokussierung aueh nieht weiter
verwunderlieh.
45 So flihrt Gleich (1996, S. 598) flir elektronisehe Medien zusammenfassend aus: "in dem Mall,
wie das Publikum zum Erfolgskriterium geworden ist, hat aueh die Publikumsforsehung an Bedeu-
tung gewonnen. Unter Marketinggesiehtspunkten (Verkauf von Werbezeiten, Erreiehung eines
positiven Images, PR) sind die Programmanbieter auf valide Informationen iiber die Zusehauer
angewiesen. Zwei zentrale Fragen stehen dabei im Vordergrund: I.) Wie ist das eigene Produkt
(Programm) auf dem Markt positioniert, das heillt we1chen Erfolg hat es beim Publikum (z. B. im
144
Die Eigenschaften und Wirkungen der Medien (also auch der Unterhaltung und
der Werbung), die iiber ihren Charakter als individuelles Konsumgut und als
Investitionsobjekt hinausgehen, insbesondere also Wirkungen auf die Mei-
nungsbildung, Entstehung von gesellschaftlichen Wertvorstellungen, Erziehung
von Jugendlichen etc., vor dem wirtschaftsethischen Hintergrund zu reflektie-
ren, den wir oben skizziert haben, stellt auch flir die Medienwirkungsforschung
eine aktuelle Herausforderung dar.

Die Kooperation zwischen Medienwirkungsforschung und Medienethik, sowohl


in Bezug auf die Defmition und Rekonstruktion der Wirkungen medialer Kom-
munikation und damit medienethischer Problemfelder, als auch, was das Reali-
sierungspotential ethischer Sollensnormen betrifft, endet aber dort, wo aus dem
Sein bruchlos auf das Sollen geschlossen wird. Die kritische Distanz zu dem,
was ist, und die Erarbeitung von ethischen Begriindungssystemen, die kritisch
auf die Praxis reflektieren, ist zentrale Aufgabe der Medienethik.

Damit wird evident, daB die Frage nach den empirisch nachweisbaren Wirkun-
gen auf die Praxis (die Lebenswelt) eine notwendige, aber nicht hinreichende
Bedingung flir eine aktuelle Medienethik ist. Der Verzicht auf eine dualistische
Ontologie (die Sein und Sollen kennt) ist ebenso problematisch, wie der SchluB
von deskriptiven Aussagen auf normative. Die Frage nach den komplexen Wir-
kungen medial vermittelter Kommunikation ist also notwendiger Ausgangs-
punkt, aber keineswegs hinreichender Endpunkt der medienethischen Debatte.

Sinne von Reichweiten, Marktanteilen, Akzeptanz)? 2.) Wie kann das Angebot optirniert werden,
urn die eigene Position zu behaupten bzw. auszubauen?" Dies gilt wohl wegen der strategischen und
operativen Relevanz des Publikurns fUr alle Medien.
145
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148
Wolfgang Wunden

Medienwirkungsforschung und Medienethik:


Fallbeispiel Gewaltdarstellungen im Femsehen

Medienwirkungsforschung und Medienethik haben einen wichtigen Gegenstand gemeinsam: Ge-


waltdarstellungen im Femsehen. Die vergangenen zwanzig Jahre boten mehrfach AnlaJ3, sich mit
dem Therna zu befassen: vor Einfiihrung des kommerziellen Femsehens und nach seiner Einfiih-
rung. Vor der Systemveriinderung fragte man nach zu erwartenden bzw. befiirchteten negativen
Auswirkungen von mehr Gewaltdarstellungen in mehr und teilweise kommerzialisierten Program-
men. Als die Systemveriinderung erfolgt war, schockierten insbesondere die kommerziellen Pro-
gramme mit Gewaltdarstellungen in alten und neuen programmlichen Kontexten. Dieser Umstand
wiederum provozierte Untersuchungen der empirischen Medien- und Medienwirkungsforschung,
die durchaus neue und priizisere Erkenntnisse erbrachten- etwa iiber den Umfang, in dem Kinder
tatsiichlich mediale Gewalt suchen und wahrnehmen. AuBerdem ergab sich ein Konsens iiber
"Wirkungsrisiken" in problematischen Gruppen.
Medienethik ist demgegeniiber noch kaum in der Lage, Kriterien flir die Urteilsbildung aus einem
philosophischen Menschenbild zu entwickeln. Einze1ne Veriiffentlichungen allerdings kritisieren
die empirische Medienwirkungsforschung, stellen die Autonomie und Kreativitiit des Menschen
heraus, formulieren in diesem Sinn eine philosophisch kohiirente Anthropologie und fragen von dort
aus nach Gefahrdungen und Konzepten, wie man ihnen im Kontext einer freiheitlichen Gesellschaft
begegnen kann.
Kommunikationsokologische Uberlegungen stellen Belastungen des gesellschaftlichen Gefiiges
durch den betriichtlichen Gewaltoutput der Medien heraus und fragen nach den sozialen Kosten der
Kommerzialisierung der Medien.
Medienwirkungsforschung und Medienethik konnten noch mehr als bisher zusammenarbeiten, urn
in Kooperation Beitriige zu einem freiheitlich orientierten Verstiindnis von Gewalt in gesellschaftli-
cher Realitiit unter EinschluB der Medien zu liefem und Kriterien fiir eine freiheitlich organisierte,
realitiitsbezogene Begrenzung bestimmter Formen von Femsehgewalt bereitzustellen.

Empirische Forschung - so auch die empirische Medienwirkungsforschung-


sieht sich, bei aller methodischen Offenheit fUr Ergebniskorrekturen, dem Vor-
wurf ausgesetzt, ihre Ergebnisse seien umso verwirrender, je genauer, je detail-
lierter sie sind. Ein Vertreter dieser kritischen Einstellung zur Empirie schrieb:

"Dem 'Wissen' mit seiner Erfahrung, Experienz und Szienz gegeniiber steht das
'Wiihnen' mit seinem Diinken und Vemeinen, seinem Horen und Sagen, seinem
Geschwiitz und aller Liignerei, der Phantasie und fliegenden Spekulation, aller
Torheit und Blindheit, die aus dem 'ungriindigen Grund' des bloBen Empirismus
kommen".

149
Der F orscher und Arzt Paracelsus Theophrastus Bombastus von Hohenheim
(1493-1541) wiirdigt in dieser AuBerung gegeniiber dem Baseler Verleger Jo-
hann Froben den hohen Rang des wirklichen Wissens. Er ordnet das minder-
wertige "Wahnen" der bloBen Empirie als dessen triiber Quelle zu.

An einem Fallbeispiel, niimlich den Gewaltdarstellungen des Femsehens, soll


im folgenden untersucht werden, ob die modeme empirische Medienwirkungs-
forschung dem 'bombastischen' Verdikt anheimfallt oder Beitriige zum Erwerb
von Wissen zu einer bestimmten Frage geliefert hat. AuBerdem ist zu zeigen,
wie Ethiker, die am Gewaltproblem arbeiten und sich mit Medienfragen be-
schiiftigen, mit den Ergebnissen der Medienwirkungsforschung zum Thema
Gewalt umgegangen sind: Haben sie sie zur Kenntnis genommen? Wie haben
sie sie gewertet? SchlieBlich ist zu fragen, welchen spezifischen Beitrag Me-
dienwirkungsforscher und Medienethiker zur Kliirung einer der sicherlich
wichtigsten sozialethischen Probleme der Medien leisten konnten.

1m Hintergrund steht die Urfrage nach der Gewalt als einem unleugbaren Faktor
menschlichen Lebens und Zusammenlebens, menschlicher (A-)Sozialitiit, gese-
hen in der Perspektive der Evolution der Spezies Mensch, steht die Uberzeu-
gung, daB es die Aufgabe der Menschheit ist, auf aIle nur mogliche Weise seine
Aggressivitiit zu biindigen und die in ihr wohnende Triebkraft und Energie auf
eine Friedenskultur auszurichten 1•

Welche Orientierung (durch gesichertes und sozial orientierendes Wissen) kann


unter diesen Voraussetzungen die Medienethik bereitstellen, und welchen Bei-
trag kann die empirische Medienwirkungsforschung dazu liefem? Das Thema
soll nicht grundsiitzlich theoretisch und mit systematischem Anspruch, sondem
an einigen Stationen im medienpolitischen Kontext der vergangenen zwanzig
Jahre exemplarisch verdeutlicht werden.

1. Medienwirkungsforschung im medienpolitischen Kontext


der spiten 70er und fruhen 80er Jahre

Die Frage des Zusammenwirkens von Medienethik und Medienwirkungsfor-


schung in der Gewalt-Problematik stellt sich, was das heutige Deutschland be-

1 V gl. Turner (1988), auf die Mediengewalt bezogen vgl. Metze-Mangold (1997).
150
trifft, auf einem recht gut beschreibbaren gesellschafts- und rundfunkpolitischen
Hintergrund so dar: offentliche Debatten iiber den enormen Zuwachs von Ge-
waltdarstellungen, iiber Tabubriiche und Sensationsfemsehen in Form von Rea-
lity-TV, vor allem im kommerziellen Femsehen.

1m Vorfeld von des sen Einfiihrung bemiihte sich eine Expertenkommission,


Antworten auf Fragen nach Auswirkungen dieser Systemveriinderung zu geben.
Die "Expertenkommission Neue Medien" (EKM) konstituierte sich in Stuttgart
am 7. Februar 1980 (Bausch, 1980,895 ff., 921 ff.). Beachtliche Teile des aus-
fiihrlichen Fragenkatalogs, den die Landesregierung der Kommission vorlegte,
bezogen sich auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der neuen Medien und
die Frage, wie man befiirchteten negativen Auswirkungen piidagogisch begeg-
nen konne. Die Gewaltproblematik wurde bei den sozialethischen Fragen im
Abschnitt IV (Auswirkungen der Medien) angesprochen (vgl. EKM, 1981, I, S.
32). Uberall aber in diesen Fragen ist die Skepsis gegeniiber den neuen Mog-
lichkeiten spiirbar, von positiven Erwartungen, gar von Euphorie ist nichts zu
spiiren. So lautet beispielsweise die Uberschrift des Teils 4 des EKM-
AbschluBberichts: "Erwartete Auswirkungen auf den Menschen und Moglich-
keiten der Vorbeugung gegen nachteilige Folgen" (EKM, 1981, I, S. 6; Kursiv-
satz vom Verf.). Eine solche Fragestellung konnte nicht verwundem, begegnete
man doch im pietistisch gepriigten Schwaben dem Femsehen ohnehin mit Re-
serve, lehnte die von Stuttgart ausgegangene und hier einfluBreiche Waldorf-
Piidagogik Femsehen der Kinder ab, war die Reserve gegeniiber technischen
Neuerungen im griinenfreundlichen universitiiren Milieu - vor aHem in Frei-
burg und Tiibingen - betriichtlich. AuBerdem hatte schon der CDU-
Fraktionsvorsitzende Spiith die Landesregierung in einer GroBen Anfrage zwei
Jahre zuvor nach dem Stellenwert gefragt, den sie der Medienpiidagogik bei-
messe. Der Rundfunkrat des SDR hatte zudem - fuBend auf Vorarbeiten des
renommierten Medienwissenschaftlers Gerhard Maletzke - am 19. Januar
1979 eine Entsch1ieBung verfaBt (Ma1etzke, 1979, S. 46-52). Darin waren opti-
mistische Einschiitzungen der Moglichkeiten und Auswirkungen des Kabe1fem-
sehens re1ativiert bzw. korrigiert, die negativen Auswirkungen von kommer-
ziellem und von mehr Femsehen iiberhaupt betont worden. Das Fazit der Ent-
schlieBung hatte gelautet:

"Bei kritisch-objektiver Auswertung allen verfiigbaren Materials und nach niich-


ternem Abwiigen des Fiir und Wider ergibt sich die SchluBfolgerung: Es gibt we-
nig Griinde dafiir, die voraussichtlichen gesellschaftlichen Auswirkungen des Ka-
belfernsehens sonderlich optimistisch zu sehen. Vielmehr besteht aller Anlal3, die
kiinftige Entwicklung unter gesellschaftspolitischer Perspektive als bedenklich,
wenn nicht gar als geflihrlich zu betrachten. Niichternheit und Skepsis bei der Be-

151
urteilung und Vorsicht bei allen konkreten Schritten erscheinen dringend geboten"
(ebd., S. 51)

Was die Experten des Arbeitskreises IV2 allein zum Themenkomplex Pro-
grammvermehrunglKinderlFamilie zusammentrugen, war der damalige Stand
des Wissens, unter starker Beriicksichtigung intemationaler, vor allem US-
amerikanischer Forschung. Die entscheidenden Fragen des Fragenkatalogs
(EKM, 1981, I, Abschnitt IV, S. 32) lauteten:

"I. Wie ist der gegenwiirtige wissenschaftliche Forschungsstand im Bereich der


Wirkung von Massenmedien auf Kinder, Erwachsene und soziale StfUkturen
(Familie, Vereinigungen, kommunale Gruppierungen und andere)? 2. Welche
Vorkehrungen sind erforderlich, urn bekannte Gefahren der Medien (... ) zu be-
schriinken oder auszuschalten - unter besonderer Beriicksichtigung der Chancen
und Risiken der neuen Medien?"

Und im Abschnitt V ,,Rechtliche Probleme" (ebd.) lautete die 10. Frage:

"Halt die Kommission gesetzliche oder andere Vorkehrungen fiir erforderlich bzw.
moglich, urn Werbung in den neuen Medien zu beschriinken sowie bestimmte
Programminhalte (z. B. jugendgefabrdender Art) zu unterbinden?"

Die zur Medienwirkungsfrage einschUigigen Antworten wurden im Abschnitt 4


gegeben (EKM, 1981, I, S.105-120). Die Gewaltproblematik wurde behandelt
im Zusammenhang der Frage nach den Auswirkungen der (quantitativen) Aus-
dehnung des Programmangebots durch neue Femsehprogramme. Entsprechend
lautete die Frage, der sich die Experten zuniichst stellten: "Fiihrt Mehrangebot
zu Mehrkonsum?" (ebd., S. 105) In der Antwort wurden Prognosen fUr die
kiinftige Entwicklung der Programme formuliert und mit dem kiinftigen Ver-
halten unterschiedlicher Publikumssegmente (Leitcode: aktiv - passiv) in Ver-
bindung gebracht. Die von Ulrich Saxer in einem Gast-Statement eingebrachte
Vorstellung des Wachsens der Wissenkluft wurde eingefUhrt. Hertha Sturm
bestatigte dies und ergiinzte, insbesondere bei Kindem aus sozial schwiicheren
Schichten werde die Programmvermehrung zu erhOhtem Konsum fUhren. - 1m
niichsten Abschnitt beschiiftigten sich die Experten mit der Frage: "Welche
Wirkungen ergeben sich aus der Programmerweiterung fUr Kinder und Heran-
wachsende?" (vgl. ebd., S. 106-1l3).

2 Dazu gehorten u. a. der CDU-Politiker und Landeselternbeiratsvorsitzende Alois Graf Waldburg-


Zeil als Vorsitzender, der CDU-nahe Psychotherapeut und Management-Berater Rudolf Affemann
als stellvertretender Vorsitzender, die Landesfrauenrat-Vorsitzende Ursula Schubert, der Medien-
piidagoge, Hochschullehrer und Vorsitzende der ajs Baden-Wiirttemberg Martin Furian, der katholi-
sche Bischof Georg Moser und die Medienwissenschaftlerin Hertha Sturm - die Stellvertreter oder
Nachfolger werden hier nicht genannt; vgl. Liste in EKM (1981, I, S. 29 f.).
152
Hier nun kommt das Gewalt-Problem zur Spraehe, insbesondere aus der Sieht
von Sturm, ergiinzt dureh psyehotherapeutisehe Aspekte Affemanns. Beide
haben ihre Ubedegungen aueh getrennt publiziert (Sturm, 1980; Affemann,
1983). Sturm gibt im wesentliehen ihre Forsehungen zu den Themen Wissens-
kluft, zum Vergleieh kognitiver und emotionaler Medienwirkungen, zum Viel-
seherproblem und zu massenmedialen Kurzfristigkeiten wieder. Bei den sozia-
len Medienwirkungen kommt sie auf Ergebnisse amerikaniseher Wirkungsstu-
dien zu spreehen - ,,Man weill, daB fiber das 'beobaehtende Lemen' soziales
Verhalten naehgeahmt werden kann" (EKM, 1981, I, S. 110) und verweist hier
auf ihre Veroffentliehung in der Zeitsehrift "Femsehen und Bildung" zum Zu-
sammenhang von GewaltdarsteHungen und Angst (vgl. Sturm, 1978). Unter
Berufung auf F orsehungen von A. Dorr Leifer fiihrt sie aus, daB Sozialisations-
wirkungen (positiv wie negativ eingesehiitzte) dann zustande kommen, "wenn
bestimmte Handlungen im Medium immer wieder mit der gleiehen Konsequenz
gesehehen" (Sturm, 1980, S. 625). Angewendet auf das Femsehen: " ... dureh
wiederholte lihnliehe Darbietungen kommt es zu Sozialisationseffekten" (ebd).
Auf dieser Spur kommt sie zur Vielseherproblematik. Sie bezieht sieh auf G.
Gerbner, dessen ,,Kultivierungshypothese" sie heranzieht, um zu argumentieren,
daB die Angstlichkeit von Vielsehem nieht aHein aus den haufigen Gewaltsze-
nen im Femsehen herriihrt (vgl. ebd., S. 626).

Mit den Angsten von Kindem und StreBphanomenen infolge von stark emotio-
nalisierenden Medien-Inhalten besehiiftigt sieh Affemann (EKM, 1981, I, S.
108). Er kommt im Kontext "Vielsehen - .Angste - mangelnde Verarbei-
tungsmogliehkeiten - Uberforderung" zu dem SehluB: "Vielsehen wird also
bei einer erhebliehen Anzahl von Kindem eine Zunahme von .Angsten naeh sieh
ziehen" (ebd.).

Auf diesem Hintergrund nun ist der Absatz unter der Ubersehrift
"Femsehbedingte Aggressionen" zu lesen. Er wird im folgenden komplett zitiert
(aHerdings ohne die reiehliehen Anmerkungen unter Bezug aufvor aHem angel-
saehsisehe Literatur):

"Der Zusammenhang Fernsehen und Aggression ist komplex. Ein umfangreiche


Forschung, insbesondere aus den USA, hat wichtige Ergebnisse zutage gef6rdert:

- Femsehbedingte Aggressionen kiinnen, wenn sie ein bestimmte Dosis iiber-


schreiten, die von der individuellen Situation des Zuschauers abhiingt, neben
Angst auch Aggression erzeugen. Die Frage stellt sich, warum der eine stiirker
mit Angst auf afTektiven Uberdruck reagiert und der andere mit Aggressionen.
So reagieren manche Kinder auf schiidigende Ursachen in wer Entwicklung
mit depressiv-iingstlichem, andere mit aggressivem Verhalten. Aggressive
Filme kiinnen das Erregungs- und damit das Aggressionsniveau erhiihen.
153
Die Darstellung von Gewalt ist geeignet, Hemrnungen zu lockem, die Ge-
walthandlungen entgegenstehen. So z. B. durch moralische Rechtfertigung
von Gewalt im Femsehen, durch eine Aufwertung der aggressiven Handlung
in Foige des Bekanntheitsgrades, der Wertschiitzung und der Autoritiit des ne-
gativen Heiden. Ebenfalls kann das Unterschlagen von schmerzlichen, nach-
teiligen Foigen fiir den Gewalttiiter Aggressionshemrnungen lockem.

Bei manchen Kindem entsteht jedoch gerade durch die Darstellung von Ge-
walt eine umgekehrte Reaktion. Femsehaggressionen erzeugen in ihnen
Angst, und die Angst blockiert ihre aggressiven Impulse.

Zurschaustellen von Gewalt fiihrt zur Gewiihnung und Abstumpfung, einmal


gegeniiber der Darstellung von Aggressivitiit im Femsehen, zum anderen auch
gegeniiber dem Erleben von Gewalt im Alltag. Die Sensibilitiit gegeniiber
dem Mitmenschen wird herabgesetzt. Auf diese Weise wird in einem gewis-
sen Umfang Gefiihlsabstumpfung, Gefiihlskiilte oder gar Verrohung gefordert.

Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen hiiufigem Ansehen von


Gewalt und abweichendem Sozialverhalten. Es Iiegt nahe, daB zur Gewalt
tendierende Jugendliche geme gewalttiitige Filme anschauen. Hierdurch wird
bei ihnen die Tendenz zu unsozialem Verhalten verstiirkt.

Das Sehen von Gewalt im Femsehen allein ist freilich nicht ausreichend, urn
zur Durchfiihrung einer Gewalttat zu veranlassen. Hinzutreten miissen jeweils
bestimrnte Bedingungen aus der Persiinlichkeitsstruktur, der Lebensge-
schichte und der jeweiligen Situation des Handelnden.

An der aggressive Handlungen begiinstigenden Wirkung von Gewalthandlungen


im Femsehen kann es allerdings bei bestimrnten Fernsehteilnehmem keinen Zwei-
fel geben. Insofem ist bei Mehrkonsum von Fernsehen auch mit einer Steigerung
des Aggressionspotentials in unserer Gesellschaft zu rechnen" (EKM, 1981, I, S.
108 f.).

Soweit die EKM. Zum einen ist beachtlich, daB die Landesregierung bei den
Beratungen iiber eine grundsatzliche und bedeutsame Entscheidung, nlimlich
der Frage der Nutzung neuer Techniken und der dadurch moglichen Verande-
rung des herkommlichen deutschen Rundfunksystems, die Medienwirkungsfor-
schung herangezogen hat. Die damals herrschende medienpsychologisch orien-
tierte Medienwirkungsforschung hat, unter Heranziehung der soziologischen
Kommunikationsforschung, das damals verfiigbare Wissen zu einer Meinungs-
bildung der Kommission beigebracht, die sich deutlich gegen ,,mehr Femsehen"
aussprach.

Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, daB sich der sogenannte ,,Rezipient" in
eine Vie1zahl von Variablen auflost. 1st er angstlich-depressiv? Oder wird er es
erst durchs Femsehen bzw. durchs Vielfemsehen? Ob die zu erwartenden oder
moglichen schadlichen Wirkungen eintreten und unter welchen Bedingungen,

154
blieb offen: im eben zitierten EKM-Text wurde die Moglichkeit betont, im fast
wort1ich gleichen Text des Kommissionsmitglieds Affemann (1983, S. 70 f.)
wurde stattdessen tatsachliches Eintreten der negativen Folgen behauptet.

Fragen dieser Art gabe es viele und hatte es viele gegeben - aber die Ergebnis-
se der EKM wurden insgesamt ad acta gelegt. Das Land Baden-Wtirttemberg
beteiligte sich weder am geplanten Kabelpi1otprojekt Mannheim-Ludwigshafen
noch flihrte es ein eigenes - also ohne die Nachbarn in Rheinland-Pfalz -
durch. Es suchte und schaffte vielmehr den Direkteinstieg in die neue Ara auf
dem Weg tiber ein Landesmediengesetz.

Die geschilderten Bemiihungen, im Rahmen der Diskussion urn die Einflihrung


kommerziellen Fernsehens die Auswirkungen von Gewaltdarstellungen aus der
Sicht der medienpsychologischen Forschung zu beschreiben, zeigen deutliche
Zeichen ihres Kontextes, namlich der Versuche, die Nutzung neuer Techniken
(Breitbandkommunikation) wenn schon nicht zu verhindern, dann aber minde-
stens zu verlangsamen. Dabei wurden mit den amerikanischen Forschungen
Untersuchungen importiert, die methodisch auf aktuellem Stand, doch innerhalb
einer anders gelagerten Kultur und in einem vollig anderen Mediensystem
durchgeflihrt worden waren. Medienpolitisch blieben die Befunde wirkungslos,
fUr die Medienwissenschaft brachten sie nichts Neues. Aber die Themen waren
richtig erkannt: Fernsehdarbietungen mit Gewaltinhalten, betrachtet mit ihrem
Potential flir Veriinderungen in sozialen Strukturen und psychischen Systemen
(d. h. mit den Mitteln der empirischen Soziologie und Psychologie bearbeitbare
Phiinomene), bewertet im Zusammenhang von Veriinderungen des Rundfunksy-
stems und damit verbundenen Veriinderungen der Fernsehprogramme und des
Nutzungsverhaltens.

2. Medienforschung im dualen System

Die Diskussion tiber Gewalt in den Medien aber ging in den 80er Jahren selbst-
verstiindlich weiter. Das Auftauchen vieler, zum Teil massiv gewaltverherrli-
chender Videos flihrte in den Jahren 1983/84 zu erheblichen Diskussionen in
der Offentlichkeit und zu MaBnahmen zur Kontrolle der Produktion bzw. der
Verteilung derartiger Produkte. Damit war auch eine erhOhte offentliche Sensi-
bilitiit flir Gewalt im Fernsehen gegeben.

155
Die "Gewaltkommission" der Bundesregierung3 kam - wie die EKM - zu
dem Ergebnis, daB die Medien sich aggressionsfordemd auswirken konnten,
daB es aber daneben mannigfache Ursachen fUr Gewalt in der GeseHschaft gebe,
das Femsehen also als Siindenbock nicht tauge, als alleiniger schon gar nicht.

Die latent immer gegebene Angst vor Aggressionen, die dieses Thema zu einem
Dauerbrenner in der offent1ichen Diskussion tiber Medien- und Erziehungsfra-
gen gemacht hatte, bekam nach der deutschen Wiedervereinigung neue Nah-
rung durch Exzesse rechter Skinhead-Banden (vgl. Wunden, 1993). Und in
diese Zeit fiel auch die Expansion der Marktanteile der kommerziellen Femseh-
programme - mit einem deutlichen Zuwachs an action-Bestandteilen (vgl.
Hickethier, 1998, S. 446 f.). Der Befund lieB in der Politik den Rufnach Selbst-
kontrolle lauter werden. Darauf setzte auch Bundesjugendministerin Angela
Merkel im Juni 1993. Vorher hatten die offentlich-rechtlichen Rundfunkanstal-
ten schon reagiert: Die ARD aktualisierte im April 1993 ihre Grundsiitze gegen
Verharm10sung und Verherrlichung von Gewalt im Femsehen von 1978 und
verwies dabei auf ihre Richtlinien zur Sicherung des Jugendschutzes yom 22.
Juni 1988, in der erweiterten Form yom 24. Juni 1992. Gleichzeitig hatten die
ARD-Intendanten und -Gremienvorsitzenden eine "Gemeinsame Position zur
DarsteHung von Gewalt in den Medien" (ARD, 1993) veroffentlicht, das ZDF
hatte am 4. Dezember 1992 eine Neufassung der Richtlinien fUr die Sendungen
des ZDF yom 11. Juli 1963 vorgelegt (vgl. ZDF, 1993). Dort heiBt es zum Bei-
spiel unter VIII. (l und 4):

"Die Programme solIen einen wesentIichen Beitrag zur alIgemeinen Anerkennung


der vom Grundgesetz geschiitzten sittlichen Wertordnung leisten. Besondere Be-
achtung verdienen die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben, die Achtung von
Freiheit und korperlicher Unversehrtheit des Menschen ... Die DarstelIung von
kriminelIen Handlungen, von Sucht, Laster, Gewalt oder Verbrechermilieu darf
nicht vorbildlich wirken, zur Nachahmung anreizen oder in der Durchfiihnmg
strafbarer Handlungen unterweisen. Auch darf nicht der Eindruck hervorgerufen
werden, daB derartige Erscheinungen eine iiber das MaB der Wirklichkeit hinaus-
gehende Verbreitung haben" (ZDF, 1993, S. 8).

Vor aHem die privaten Sender standen im Kreuzfeuer der offentlichen Kritik. So
wurde im April 1993 eine ,,Konvention der Verantwortung" veroffentlicht
(VPRT, 1993), im November 1993 die Freiwillige Selbstkontrolle Femsehen
(FSF) gegriindet.

J Vgl. Gewaltkommission (1989), Zusammenfassung in Baumann (1990).


156
Die Diskussion urn Femsehgewalt wurde auch durch ,,reality tv" gefordert. In
diesem Zusammenhang sollte die Sendung von "stem-tv" yom 24. Februar 1993
nicht vergessen werden: 2,3 Millionen RTL-Zuschauer sahen den Tod Seads,
eines bosnischen Jungen, der vor laufender Kamera erschossen worden war.
Verteidigt wurde dies (Filmen und Senden) von Giinther Jauch, damals Chefre-
dakteur von "stem-tv".

Die heftige Debatte, durch die Ausstrahlung der Serle "Power Rangers" 1995
bei RTL noch angefacht, hatte rundfunkpolitische Folgen: Sie beforderte die
Einrichtung des Kinderkanals, des ersten offentlich-rechtlichen Spartenkanals
(Beschlu8 der Intendanten yom 31. Januar 1995, Start Anfang 1997).

Die so stichwortartig skizzierten Entwicklungen markieren ein veriindertes Um-


feld fUr die Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen des Femsehens.
Mit der Etablierung der komrnerziellen Anbieter konnte die Anfrage an die
Forschung konkreter gestellt werden: Wiirden die zusatzlichen kommerziellen
Programme das Nutzungsverhalten veriindem, speziell bei den sogenannten
Vielsehem? Wiirden Kinder mehr femsehen? Welche Programme wiirden sie
nutzen, mehr die gewaltarmen oder mehr die gewaltreicheren? Wiirden sie folg-
lich mit mehr Gewaltinhalten in Beriihrung komrnen? Die Medienforschung, die
vor der EinfUhrung des dualen Systems - wie dargestellt - noch auslandische
Forschungen herangezogen hatte, konnte sich jetzt hiesigen Medien zuwenden,
war entlastet von der Frage "Neue Medien, ja - nein - spater?" und machte
sich daran, die im dualen System neu entstehende Medien-Umwelt der Biirger
zu vermessen.

Die empirische Medienwissenschaft steuerte in der Tat im Lauf der neunziger


Jahre wichtige Erkenntnisse zur Diskussion, auch fiber Gewalt im Femsehen,
bei. Auch in kleineren Forschungsprojekten wurden beachtliche Ergebnisse
vorgelegt, beispielsweise zum Zusammenhang von formalen Darstellungswei-
sen und Wirkungen (Zeitter, 1996). Bei den Veroffentlichungen zum Thema
stand dabei in vorderster Front die von der ARD herausgegebene Zeitschrift
,,Media Perspektiven". In mehreren Ausgabe der Jahre 1993 bis 1996 bearbei-
tete sie einschlagige Themen. Michael Kunczik, der das Thema seit Mitte der
siebziger Jahre mit intemationaler Perspektive kontinuierlich beobachtete, ana-
lysierte und bewertete, beschrieb das Fiir und Wider von bildlichen Gewaltdar-
stellungen im Lauf der abendlandischen Kultur- und Mediengeschichte (1993a)
und hielt den Stand und die Befunde der Wirkungsforschung zum Thema fest
(1993b). Die entstehende systemvergleichende Medienforschung des Kolner
,,lnstitut fUr empirische Medienforschung (IFEM)" widmete sich im Auftrag der

157
ARD und des ZDF anhand von Videoaufzeichnungen aller einschliigigen Pro-
gramme in bestimmten Wochen der Gewaltproblematik. Zugleich qualitativ und
quantitativ untersuchte das Institut systemvergleichend Gewalt in Informations-
sendungen und Reality-TV (Kriiger, 1994) und Gewalt in von Kindem genutz-
ten Femsehsendungen einer Programmwoche des Monats Miirz 1994 (Kriiger,
1996).

Die Kriiger-Studie von 1996 ist in unserem Zusammenhang besonders interes-


santo Kriiger (1996, S. 115) nennt die Wirkungsdiskussion auf der Individual-
ebene widerspriichlich. Demgegeniiber verlaufe sie auf der gesellschaftlichen
Makroebene anders. Kaum Zweifel gebe es daran, daB mit der Vermehrung der
Medien und ihrem Angebot auch der absolute Umfang an Gewalt in der kultu-
rellen Symbolwelt zugenommen habe. Er argumentiert dann weiter: Da nach-
weislich Schiiden entstehen konnten ("auch wenn diese in ihrer Kausalitiit noch
nicht hinreichend beweisbar sind", ebd.), riicke die Verantwortlichkeit der Ur-
heber, sprich der Medienuntemehmen, in den Vordergrund. Die Gesellschaft
habe ein Recht auf Bewahrung vor Schaden, "sowohl im Individualbereich als
auch im Bereich der kulturellen Umwelt, dem der einzelne meist ohnmiichtig
gegeniibersteht" (ebd.). Besonders schiitzenswert seien die Kinder. Er nimmt
dann Bezug aufM. Kuncziks Sichtung intemationaler Studien, die ergab,

"daJ3 zu den anderen Faktoren der Personlichkeitsentwicklung, die bei den Unter-
suchungspersonen mit spaterer Aggressivitiit korrelieren, auch der Konsum von
Femsehgewalt hinzukommt. Der Anteil, den die Femsehgewalt am spateren ag-
gressiven VerhaIten erkliire, liege jedoch sehr niedrig, was im allgemeinen dazu
fiihre, diesen Faktor eher zu vemachlassigen. Fiir einzelne jedoch konne ( ... ) die-
ser Gewaltkonsum verhaltensrelevant werden" (ebd.).

Auf diesem Kenntnisstand argumentiert Kriiger, Aussagen iiber Wirkungen


seien ausgeschlossen, wenn sich eine Analyse nur auf die Erfassung der Menge
von Gewalt im Femsehangebot beschriinke, wie dies einige von Kriiger zitierte
neuere Studien tun (vgl. ebd., S. 115 f., und Anmerkung 22). Dies ist sicherlich
richtig: die Studien besagen etwas iiber die Angebots-, nichts aber iiber die
Nutzungsseite. Es gibt des weiteren Studien, die fragen, ob im Femsehen ge-
zeigte Gewalt von den Zuschauem rezipiert wird. Z. B. untersucht Hasebrink
(1995) bestimmte Zuschauergruppen daraufuin, inwieweit sie sich selektiv
gewalthaltigen Angeboten zuwenden und sie nutzen. Die Art der Wahrnehmung
schlieBlich untersucht Friih (1995). Er ermittelt empirisch, wie vorausgewiihlte
qualitativ unterschiedene Gewaltdarstellungen von verschiedenen Rezipienten-
gruppen wahrgenommen werden.

158
KrUger untersucht nun im Rahmen der ARD/ZDF-Studie (KrUger, 1996, S.
115), wie Gewaltdarstellungen von Kindem, der "gesellschaftlich groBten Pro-
b1emgruppe", genutzt werden. Er riiumt ein, daB damit nicht beriicksichtigt ist,
wie diese Gewaltdarstellungen von den Kindem se1bst wahrgenommen werden
(was etwa Friihs "transaktionalem" Ansatz entspriiche). Immerhin kommt er
auch mit dieser Einschriinkung zu wichtigen Ergebnissen. Bestiitigt wird die
hohe Gewaltrate bei PRO SIEBEN (33,2 Prozent aller ermittelten Gewaltdar-
stellungen), bei RTL sind es 19,0 Prozent, beim ZDF mit der geringsten Gewal-
trate der sechs untersuchten groBen Programme lediglich 9,4 Prozent. Bei
Hardcore-Gewalt spitzt sich die Sache zu. Man spricht dann noch iiber 1,7 von
insgesamt 414 untersuchten Stunden. Davon entfallen auf PRO SIEBEN 56,0
Prozent, RTL 23,2 Prozent, auf die ARD mit der geringsten Rate der sechs
untersuchten Programme ganze 2,0 Prozent. Je 'schiirfer' also die Gewaltdar-
stellung ist, desto groBer wird der Unterschied der Rate zwischen den Sendem.

Wie sieht es bei den Kindem aus? Nur 18 Prozent des untersuchten Programms
werden von mindestens 4 Prozent von ihnen gesehen; aber 27,6 Prozent der
insgesamt angebotenen Gewaltdarstellungen in diesem untersuchten Programm.
Dies bleibt aber eine zu pauschale Aussage. Es muG gekliirt werden, wo sie
diese Gewaltdarstellungen sehen, und in welcher Form. Dabei zeigt sich, daB
Kinder zwar gewalthaltige Sendungen bevorzugt ansehen, daB sich dies auch
auf Sendungen mit sichtbaren Katastrophen bezieht, jedoch nicht auf Sendun-
gen mit hardcore-Gewalt. Kinder, die diese ansehen wollen, suchen sie bei PRO
SIEBEN.

Vom gesamten Gewa1tumfang in den von Kindem stiirker genutzten Sendungen


der ARD werden neun Zehntel in der Kategorie Kinder- und Jugendprogramm,
und zwar ausschlieBlich in den Cartoons, das restliche Zehnte1 in Nachrichten
und Fiction gesehen. Die meisten Kinder rezipieren also bei der ARD Gewalt-
darstellungen in humoristischen Formen und realitiitsfemer Priisentation.

Ein anderes Bild bietet sich beim ZDF, dessen Gewaltdarstellungen von den
Kindem aufgrund ihrer Programmwahl praktisch nicht gesehen werden: Der
verschwindend geringe, kaum mehr auswertbare Gesamtumfang an Gewalt in
Sendungen mit vier Prozent Reichweite bei Kindem entfallt zu iiber 80 Prozent
auf actionorientierte Fictionsendungen. Von dem im Vergleich zu allen anderen
Sendem hohen Umfang an Gewaltdarstellungen im Informationsangebot des
ZDF sehen die meisten Kinder nichts.

159
Bei RTL verteilen sich die Gewaltdarstellungen in den von Kindem starker
gesehenen Sendungen zu tiber der Halfte auf Fiction, daneben auf Reality TV
und Alltagsinformation, zu einem Fiinftel auf Kinder- bzw. Jugendsendungen,
davon hauptsachlich Cartoons.

Bei SAT.l ist es iihnlich wie beim ZDF. Bei PRO SIEBEN, dem Sender mit
dem absolut groBten Umfang an Gewaltdarstellungen sowohl im untersuchten
Gesamtangebot als auch in den von Kindem starker genutzten Sendungen ver-
teilen sich diese zu tiber zwei Dritteln auf Fiction und zu 30 Prozent auf Kinder-
und Jugendsendungen, vor allem Cartoons.

Aus Platzgriinden konnen hier nicht alle weiteren interessanten Ergebnisse der
Studie wiederholt werden (vgl. ebd., S. 128 ff.). Diskussionswiirdig ist jedoch
das folgende Ergebnis: ,,Kinder erleben Femsehgewalt vorrangig als Unterhal-
tungsgewalt, wiihrend sie von der realistischen Informationsgewalt nahezu un-
beriihrt bleiben" (ebd., S. 129). Dies fmdet KrUger abschlieBend "bedenklich"
und meint, die nahezu ausschlieBliche Nutzung von Gewaltdarstellungen in un-
terhaltenden Sendungen konne bei den Kindem zu einer Vorstellung von Ge-
walt fiihren, "in der das wirkliche Gleichgewicht von Gewaltintensitiit und
Schadensintensitiit verloren geht" (ebd., S. 132).

Die Untersuchung KrUgers wurde deshalb so ausfiihrlich zitiert, weil sie metho-
disch sichere und relevante Mediennutzungsforschung mit hohem Aufwand
demonstriert, gleichwohl in der Wirkungsfrage eingestandenermaBen nicht sehr
viel weiter fiihrt. Sie bewahrt eher davor, von der Gewaltrate eines Programms
auf tatsachliche Aggressionszuwachs-GeHihrdung fiir Kinder zu schlieBen.

3. Kritik an der Medienwirkungsforschung:


Das produktive Subjekt

Empirische Medienwirkungsforschung wirft eine Menge von Fragen auf. Die


Fragen werden entweder von Medienforschem an die eigene Zunft gerichtet,
oder sie kommen von auBen. Zu den engagiertesten Kritikem auf dem hier zur
Frage stehenden Feld gehort Werner Friih (1995). Er halt die Forschungshypo-
thesen fiir bei weitem nicht ausreichend und legt einen neuen "transaktionalen"
Ansatz vor, der die unterschiedliche Art der Wahmehmung von Gewaltinhalten
seitens der wahmehmenden Personen erfaBt. Zu den Kritikem gehOrt auch Mi-

160
chael Kunczik (1993a, aktualisiert Kunczik/Zipfel, 1998), der im iibrigen wie
andere Fachleute irnmer wieder kritisch (und wohl vergeblich) auf die verquere
offentliche Diskussion iiber Femsehgewalt verweist.

Die Gefiihle der Zuschauer als Ausgangspunkt von Untersuchungen zu nehmen,


dafiir pliidieren weiterflihrend Gary Bente und Bettina Fromm (1997; 1998).
Damit geraten - iiber vereinzelte emotionale Wirkungen durch einzelne
"stimuli" hinaus - der Geflihlshaushalt der Menschen und ihre "Lebenswelt"
in den Blick der Betrachtung. Unabweisbar stellt sich die Frage: Was bedeutet
wahrgenommene Gewaltdarstellung tatsiichlich flir die Menschen und das so-
ziale Geflige?

Auf strukturelle Grenzen der Moglichkeiten empirischer Medienwirkungsfor-


schung haben nun - forschungsoffentlich wenig bemerkt - einzelne Kritiker
aus dem Bereich der katholischen philosophischen und theologischen Ethik
schon lange hingewiesen, und zwar zur Zeit der Kabelpilotprojekt-Planung in
Deutschland der Salzburger Alois Huter (1981).

Einer der jiingeren unter ibnen ist Elmar Kos (1997). In seinem Versuch, Ver-
stiindigung als normativen Ausgangspunkt flir die Begriindung einer Medie-
nethik auch in Bezug auf massenmediale Kommunikation zu sichem, mutet er
sich - iihnlich wie Huter - einen Durchgang durch die Phasen der Medien-
wirkungsforschung zu und kommt in grundsiitzlicher Kritik daran zu dem Er-
gebnis: Die Medienforschung ist ungeniigend, weil sie nicht mit dem Menschen
rechnet, ibn nur als ein Biinde! von Variablen betrachtet, seinen Aktivitiits- und
Kreativitiitskem nicht heriicksichtigt und von seiner Bestirnmung nichts weill,
ein Mensch im Vollsinn zu werden. Der Mensch ist auf kommunikatives Han-
deln angelegt, und dies in einer Vielzahl von Lebenswelten der Subjekte. In
dieser an Edmund Husserl angelehnten Perspektive, die Kos iiber Habermas his
Luhmann verfolgt, gelangt er, angeregt durch Maurice Merleau-Ponty, zur fun-
damentalen Bedeutung der Wahmehmung flir die Konstituierung von Wirklich-
keit4 •

Wiihrend nun Kos im folgenden zur Theologie der Kommunikation kommt und
die uns hier besonders interessierende Frage der Wirklichkeitskonstitution an
der Frage joumalistischer Information (Ethik des 10umalismus) festmacht (die
wir hier nicht thematisieren), wendet sich ein anderer junger Theologe, Hans
Bohrmann (1997), aus einer iihnlichen Sicht direkt dem Thema "Gewalt-

4 Vgl. Kos (1997, S. 153-240): Kommunikatives Hande1n und Wahrnehmung.


161
darstellungen im Femsehen" zu. Die im Laufe der Untersuchung zunachst (in
Anlehnung an Thomas Hausmanninger) vorgelegte Sicht des Menschen in sei-
nen ,,naturalen Antriebsstrukturen" referiert er kurz noch einmal, nachdem er
die gangigen Thesen der Wirkungsforschung zur Gewaltfrage dargestellt hat. Er
schlieBt daraus:

"Durch die Darstellung gewalthaltiger Inhalte in den Medien wird keineswegs nur
der 'uneitIiche Schlachter' revitalisiert ( ... ) Prinzipiell ist davon auszugehen, daJ3
der Mensch fur gewiihnlich wiihrend seiner Medienrezeption nicht zum amorali-
schen 'Tier' degeneriert und unter Negation seiner zivilisatorischen Standards ein-
fach nur das imitiert, was ihm medial geboten wird" (ebd., S. 183).

Konstitutiv gehOren zum Menschen weiterhin Rationalitiit, Reflexivitat, Freiheit


und Autonomie als anthropologische Merkmale. Der Mensch

"kann mittels seiner Vemunft zu sich selbst und zu anderen Stellung beziehen, er
kann sich von inneren Strebungen distanzieren oder auch autonome Lebensent-
wiirfe gestalten. Dies schlieBt eine Kompetenz ein, die aile sozialen Lebensberei-
che inklusive der Medienwelt betrifft" (ebd.).

Dies - so Bohrmann weiter - gelte im Grundsatz auch flir Jugendliche und


Kinder. Ein "Wirkungsrisiko" aber bleibe (ebd., S. 185): Dies sieht er flir
'gefahrdungsgeneigte' Subgruppen als gegeben an, die aufgrund ihrer entwick-
lungsbedingten Situation und Moglichkeiten Medien anders rezipieren als z. B.
Nutzer aus "intakten Milieus".

AnschlieBend entfaltet er eine Anthropologie des menschlichen Unterhaltungs-


bediirfnisses und kommt zu dem SchluB: ,,Der 'produktive Zuschauer' ist kein
Phantasieprodukt der Medienwissenschaft, sondem langst Realitat im Kontext
der Fankulturen und der neueren ethnographischen Forschung" (ebd., S. 196).

Die folgenden Analysen und Bewertungen von violenten Programmen durch


Bohrmann konnen hier nicht im einzelnen referiert werden, sind aber hOchst
aufschluBreich und ergiebig. In iihnlicher Wertung kommt Karl-Heinz Roller
(1998) iibrigens zu einer ethischen Analyse der inneren Konflikte von HeIden in
populiiren Gewaltfilmen, wenn sie Gewalt gegen den Bosen anwenden.

Insgesamt gesehen wird auf diese Weise durch die philosophische Vorgehens-
weise die grundlegende Bedeutung der Wirklichkeitskonstitution durch den
Rezipienten unterstrichen. Die Bedeutung von Gewalt im Femsehen flir Men-
schen, die zuschauen, entsteht letztlich erst im nutzenden Menschen selbst.
Auch die soziale Umwelt spielt bei dieser Bedeutungszumessung eine nicht zu

162
unterschiitzende Rolle (Hepp, 1998). Damit veriindert sich die Aufgabe der
empirischen Medienwirkungsforschung: Sie muB den Spuren vio1enter Me-
dieninhalte in der Lebenswelt der Zuschauer nachgehen.

4. Kommunikationsokologie

Es b1eibt ein Unbehagen. Es b1eibt die Vermutung, damit sei nicht alles gesagt.
Richtig: Der Mensch ist kein Reaktionsbiinde1 (das sei gegen behavioristische
Ansiitze gesagt). Er ist auch nicht nur ein Wesen, das bloB nach Nutzen und
Gratiflkationen sein Handeln orientiert (das gegen einen exklusiven uses-and-
gratifications-approach gesagt). Er ist aber auch nicht nur frei und souveriin, so
als konne er immer und jederzeit noch einmal in voller Freiheit iiber sich verfii-
gen (dies gegen einen unrealistischen Optimismus gesagt). Der Mensch ist auch
determiniert: durch das Milieu, durch seine Biographie einschlieBlich der Erzie-
hung, durch seinen Charakter usf.

In dieser Situation macht die Kommunikationsokologie darauf aufmerksam, daB


im Wandel der modemen Gesellschaft die Technik und die Medien einen
schleichenden, aber wirksamen EinfluB auf die Kommunikationsbeziehungen
ausiiben. Am eindeutigsten hat dies wohl Barbara Mettler-von Meibom formu-
liert (1987; 1996). Wie aIle vemetzten Systeme kann auch menschliche Kom-
munikation (und die media1e geh6rt dazu) "kippen", schleichende Vergiftungen
konnen zur krankhaften Veriinderung, zum Umschlagen ganzer Okosysteme
fUhren (Mettler-von Meibom, 1987, S. 103).

In ihrem Stuttgarter Vortrag bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft fUr
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft nach zehn Jahren des dualen
Rundfunksystems skizzierte sie eine Perspektive, die fUr jegliche Art von Medi-
enforschung - aber auch fUr die Entwicklung einer kiinftigen Medienethik -
eine groBe Herausforderung darsteIlt:

"Eine feministische Perspektive und Wissenschaftskritik, die sich unter Riickgriff


auf die Tiefenpsychologie an der Kategorie des Humanum orientiert, interessiert
sich fur die Gesamtheit der innerseelischen und der mikro- und makrosozialen
Machtungleichgewichte und Spaltungen in unserer modemen Gesellschaft: Wo
regiert Machbarkeitswahn; wo wird das Recht der Stiirkeren reklamiert; auf wes-
sen Kosten geschieht dies; mit welchen Mitteln wird es durchgesetzt, intentional
oder funktional?" (Mettler-von Meibom, 1996, S. 249)
Sie arbeitet dies Thema an den Infrastrukturen der Kommunikationstechnologi-
en und der Massenmedien ab und kommt dabei auch auf das Thema der zusatz-
163
lichen Belastungen der Frauen in Beruf, Familie und Erziehung zu sprechen.
Die qualitativ veriinderten Programminhalte wertet sie als eine "Gefahrdung
hinsichtlich der humanen Werte und Normen, urn deren Akzeptanz und Ein-
ubung es in der Reproduktions- und Beziehungsarbeit in einer sich als human
verstehenden Gesellschaft geht" (ebd., S. 253). Kommerzorientierung, Fiktio-
nalisierung und Gewaltorientierung der Programme nennt sie als problematische
Entwicklungen. Letztere wertet sie als

"die Spitze eines Eisbergs einer Medienrealitat, der sich Frauen in ungleich stiirke-
rem AusmaB seit der Einfiihrung des dualen Rundfunksysterns ausgesetzt sehen.
Identifikation mit der Tiiterperspektive, fehlende Empathie oder MiBachtung der
Opfer, Gewalt als Mittel der Konfliktliisung und des Identitatsgewinns, das sind
nur einige der Ergebnisse medienwissenschaftlicher Gewaltanalysen. Sie deuten
eine programminhaltliche Orientierung auf Werte an, die einer Humanisierung,
einer Aufbebung der Dichotomie zwischen Tiitem und Opfem fundamental entge-
gensteht. Ohne gesellschaftliche Realitaten monokausal aus Medienrealitaten ab-
leiten zu wollen, ist doch aus psychologischer Sicht unbestreitbar, daB jede Art
von Medienkonsum Riickwirkungen aufunsere Wahmebmungen und unsere Welt-
sieht hat" (ebd., S. 254).

Mettler-von Meibom falrrt fort:

"Von Kindem und lugendlichen erwarten wir in einer Demokratie, daB sie Huma-
nitat, Solidaritat und Verantwortlichkeit sich und anderen gegeniiber lemen und in
der Lage sind, Sinnstrukturen fUr ihr Leben zu entwickeln. Die Wertstrukturen und
-inhalte, die im erweiterten Programmangebot des dualen Rundfunks zum Tragen
kommen, stehen solchen Anforderungen in weiten Teilen entgegen. Frauen,
strukturell und normativ immer noch fUr die Kinder verantwortlich, sehen sich
immer ohnmiichtiger in einem Konflikt zwischen erkannten Notwendigkeiten und
realen Miiglichkeiten. Selbst eingeiibt in die Rolle der Ohnmiichtigen in einer von
der AllmachtlOhnmacht-Spaltung gekennzeichneten Gesellschaft, haben sie den
sich verschlechtemden Rahmenbedingungen bislang wenig entgegengesetzt"
(ebd., S. 254 f.).

Sie diagnostiziert sodann Zeichen des Widerstands, dem sich auch die Fem-
sehanbieter stellen mussen. Sie fiigt dann hinzu, daB in der Engfiihmng auf die
Gewaltproblematik der ubergreifende wichtigere Aspekt verdeckt wird: die
erschwerten Bedingungen der Reproduktionsarbeit im privaten Alltag.

"Sie resultieren nicht nur aus der Gewaltlastigkeit der Programme, sondem aus
der quantitativ und qualitativ veriinderten Angebotsstruktur, die im Zusarnmen-
spiel mit anderen gesellschaftlichen Tendenzen (Ein-Kind-Haushalte, Verhiiusli-
chung von Kindheit, au.Berhiiusliche Erwerbstatigkeit der Frauen, Arbeitslosigkeit
und fehlende Tagesangebote fUr Kinder und lugendliche im vorschulischen und
schulischen Bereich) zu einer Mangelsituation im Alltag fiihren, die ... im Gene-
rationenwechsel voll auf die Gesellschaft zuriickschlagen wird bzw. zuriickzu-
schlagen begonnen hat" (ebd., S. 255).

164
5. Yom Nutzen der Empirie fur eine prophetische Medien-
moral

Die referierten Positionen und Texte zeigen, daB die empirische Medi-
en(wirkungs)forschung mit der Fiille ihres Materials offensichtlich nur be-
grenzte Ergebnisse erzielen kann. Immerhin zeichnet sich in der Gewaltfrage
ein Konsens unter Fachleuten abo

Die Antworten reichen aber offensichtlich nicht aus, um die wichtigen soziale-
thischen Fragen zu beantworten. Wie geht die Gesellschaft, gehen Medien-,
Familien-, Sozial- und Bildungs-Politik mit dem genannten Wirkungsrisiko um?
Es ist zwar als real anzunehmen - aber was bewirkt TV-Gewalt in wirklich
gefahrdeten sozialen Milieus und Subgruppen? Weitere Frage: Warum wird das
Anwachsen der Gewaltrate im deutschen Femsehen durch die Gesellschaft
akzeptiert? Was bedeutet - muB man unter dem 6kologischen Gesichtspunkt
fragen - die Brutalisierung der symbolischen Medienumwelt (d. h. des Pro-
grammangebots) fur die Gesellschaft und ihr Kommunikationsverhalten?

Ethik kann und mull - als Philosophie der Kommunikations- und Medienpra-
xis - die wichtigen Fragen priizis stellen und beantworten: Was ist der Mensch
als animal symbolicum? Welches Bild haben wir yom Menschen (damit ist der
einzelne und die Gattung gemeint)? Welche Bilder schafft er sich, und wie
wirken sie zuruck auf ihn? Wie und in welchem Umfang ist es notwendig, Bil-
der der Gewalt quantitativ und intensiv zu begrenzen? Wie sind solche Grenzen
in eine sinnvolle Praxis freier Gesellschaften zu integrieren?

Diese sinnvolle Praxis muB ausgehandelt werden und dabei - aus der Sicht
unseres Themas - zwei Prinzipien gerecht werden: erstens mussen die richti-
gen Kategorien fur das Aushandeln bereitgestellt werden; zweitens muB das
vorhandene empirische Wissen eingebracht und berucksichtigt werden.

Ethik als praktische Philosophie muB auf der Grundlage eines philosophischen
Menschenbildes die richtigen Fragen formulieren. Sie muB auf die empirische
Wirkungsforschung hOren, soweit medieninduzierte Veranderungen diskutiert
werden. Die empirische Wirkungsforschung sollte sich bei der Erarbeitung ihrer
Fragestellungen von der Ethik beraten lassen, ein philosophisches Menschenbild
zur Hypothesen- und Theoriebildung heranziehen.

165
Ethik hat dariiber hinaus aber noch eine besondere Aufgabe: Sie muB iiber die
Frage des Handelns und der Regeln bzw. Normen dafiir hinaus nach dem Leben
im Ganzen fragen: Wie kann menschliches Leben, kann menschliches Mitein-
ander auch unter den Bedingungen kommerzieller Medien gelingen? Als ober-
ste Regel steht der Leitgedanke der Freiheit als Horizont, flir die Medienprodu-
zenten wie fiir die Medienkonsumenten. Ihr entspricht eine um so emster zu
nehmende Verantwortung, wenn viele Vor- und Fiirsorgemechanismen entfal-
len. Ethik bekommt hier einen - theologisch-biblisch gesprochen -
"prophetischen" Charakter: Sie muB flir die Schwachen, Belasteten, flir die
Armen votieren und eintreten. Insbesondere flir die Kirchen liegt hier eine
wichtige Aufgabe. Feministische Kommunikationsokologie teilt diese Sicht der
Kirchen. Sie arbeitet kritisch heraus, was die Lasten infolge Kommerzialisie-
rung gegeniiber dem Zustand vorher noch verstiirkt. Ethik muB sich allerdings
davor hiiten, zur eifemden Sondermoral zu werden. Sonst wird sie zu Recht
nicht mehr ernst genommen. Empirische Medienwirkungsforschung wird dem-
gegeniiber Emporung und kritische Rhetorik immer wieder auf ihren Realitats-
gehalt hin priifen und die Kritiker dazu auffordem, das empirisch Erwiesene bei
der Urteilsbildung nicht zu iibersehen.

166
Literatur

Affemann, R. (1983): Neue Medien und sozialer Wandel. In: L. Franke (Hrsg.):Die Medienzukunjt
(GEP medien Dokumentation, Band II) (S. 67 -74). Frankfurt.

ARD (1993): Gemeinsame Position der ARD-Intendanten und -Gremienvorsitzenden zur Darstel-
lung von Gewalt in den Medien. In: Media Perspektiven. Dokumentation, I, S. 4.

Baumann, J. (1990): Ergebnisse der (Anti-)Gewaltkommission der Bundesregierung. In:Zeitschrift


fiir Rechtspolitik, 3, S. 103-109.

Bente, G. & Fromm, B. (1997): Affektfernsehen. Motive, Angebotsweisen und Wirkungen. Opladen.

Bente, G. & Fromm, B. (1998): Tabubruch als Programm? Angebotsweisen, Nutzungsmuster und
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168
Autoren

Prof Dr. Rafael Capurro, geb. 1945. Studium der Geisteswissenschaft und
Philosophie, Lizentiat in Philosophie an der Universidad del Salvador
(Buenos Aires 1970) Studium der Dokumentation am Lehrinstitut fUr Do-
kumentation (Frankfurt a. M.) und an der Zentralstelle fUr Atomenergie-
Dokumentation. Promotion (DUsseldorf 1978) und Habilitation (1989) in
Philosophie. PD fUr Praktische Philosophie an der Universitat Stuttgart und
Professor fUr Informationsmanagement und Informationsethik an der Fach-
hochschule Stuttgart, Hochschule fUr Bibliotheks- und Informationswesen
(HBI).
Publikationen: Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideenge-
schichtlichen Begriindung des Informationsbegriffs. Miinchen, New York,
London, Paris 1978; Hermeneutik der Fachinformation. Freiburg, Miinchen
1986; Leben im Informationszeitalter. Berlin 1995.

Prof DDr. Matthias Karmasin, geb. 1964. Studium der Betriebswirtschaft, der
Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Phi-
losophie. Berater und Projektleiter bei der Untemehmensberatung Nausner
& Nausner, Wien. Graz. Habilitation fUr Kommunikationswissenschaft an
der Universitat Wien, z. Zt. Vertretungsprofessur "Medienmanagement" an
der Technischen Universitiit Ilmenau.
Publikationen: Ethik als Gewinn. Zur ethischen Rekonstruktion der Okono-
mie: Konzepte und Analysen von Wirtschafts-, Unternehmens- und Fiih-
rungsethik. Wien 1996; Medienokonomie als Theorie (massen-) medialer
Kommunikation. Kommunikationsokonomie und Stakeholdertheorie. Wien,
Graz 1998; Oligopole in freien Gesellschaften. Medienfreiheit als okonomi-
sches und ethisches Problem. In: Wunden, W. (Hrsg.): Freiheit und Medien
(Beitrage zur Medienethik) (S. 79-99). Frankfurt a. M. 1998.

Prof Dr. Hans Mathias Kepplinger, geb. 1943. Studium der Politikwissen-
schaft, Publizistik und Geschichte. Promotion 1970, Habilitation in Publizi-
stik 1977 (Mainz). Professor rur Publizistik- und Kommunikationswissen-
schaft an der Johannes Gutenberg-Universitiit Mainz.
Publikationen: Ereignismanagement. Wirklichkeit und Massenmedien. Zii-
rich 1992; Wie das Fernsehen Wahlen beeinflu.f3t. Theoretische Modelle und
empirische Analysen. Miinchen 1994; Die Demontage der PoUtik in der In-
formationsgesellschaft. Freiburg, Miinchen 1998.

169
Kerstin Knirsch, geb. 1974. Studium der Publizistik, Psychologie und Romani-
stik in Mainz und Bordeaux.

Prof Dr. Matthias Rath, geb. 1959. Studium der Philosophie, Padagogik, Psy-
chologie und Soziologie. Diplom in Padagogik, Promotion 1987 und Habi-
litation in Philosophie 1992. 1994-1996 Leiter des Referats Grundsatzarbeit
der Bertelsmann AG, Gutersloh, und Leiter der Presse- und Offentlichkeits-
arbeit der Bertelsmann Buch AG, Munchen. Professor fUr Philo sophie an
der Padagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Publikationen: Der Psychologismusstreit in der deutschen Philosophie.
Freiburg, Munchen 1994; zus. mit A. Schorr (Hrsg.): Ergebnisse der Publi-
kums- und Wirkungsjorschung. Opladen 1999 (im Druck); Medienpsycholo-
gie und Ethik. In: A. SchorrlU. Six & 1. Groebel (Hrsg.): Lehrbuch der Me-
dienpsychologie. Inhalte, Ergebnisse, Anwendungen. Bonn 1999 (im
Druck).

Dr. Barbara ThomajJ, geb. 1957. Studium der Publizistik, Politischen Wissen-
schaft und Volkswirtschaftslehre. Zeitungsvolontariat, danach Redakteurin
einer Frauenzeitschrift und Wissenschaftsredakteurin. Seit 1991 wiss. Mitar-
beiterin der Arbeitsstelle Medien und Politik und Lehrbeaufiragte am Institut
fUr Politische Wissenschaft der Universitat Hamburg.
Publikationen: Arbeit im kommerziellen Fernsehen. Quantitative und quali-
tative Effekte neuer Anbieteiformen in Deutschland, Belgien, Frankreich,
GrojJbritannien und Spanien. Miinster 1993; Journalistische Ethik. Ein Ver-
gleich der Diskurse in Frankreich, GrojJbritannien und Deutschland. Opla-
den 1998.

Dr. Wolfgang Wunden, geb. 1942. Studium der Philosophie, Soziologie und
Theologie. Seit 1973 in Stabsfunktionen, als Redakteur und Programm-
Koordinator uberwiegend im SDR-Horfunk tatig. Seit Griindung des SWR
1998 Leiter des Bereichs Untemehmensstrategie in Stuttgart.
Publikationen: Autor zablreicher Veroffentlichungen zur Medienethik und
Medienpadagogik; (Hrsg.): Beitriige zur Medienethik. 4 Biinde. Frankfurt a.
M. 1989-1998.

170
Register

Affemann, R. 152; 153; 155; 167 Diskurs 45; 54; 55; 67; 90; 95; 96; 109;
Aggressivitiit 150; 153; 154; 158 118; 132; 133
AkzepUmz 64;68;72; 145; 164 Oongus, N. 73; 86
Alltagsempirie der Ethik 69 Oonsbach, W. 136; 146
Angebot 72; 94; 145; 158
Angewandte Ethik 63; 69; 70; 76; 78; 83; Ebert, S. 73; 86
86;99; 100 Eichhorn, W. 136; 148
Anwendung 63; 66; 67; 69; 78; 81 Eldred, M. 123; 125
Ape1, K. O. 114; 125 Empirie 5; 7;8;9; 11; 13; 18;63;64;65;
Aristote1es 68; 106; 115; 1l6; 125 66; 67; 68; 69; 72; 73; 75; 77; 79; 80;
Auer, A. 76; 85 81; 83; 100; 101; 127; 128; 131; 132;
Aufk1iirung 54; 106; 107; Ill; 1I2; 113 133; 136; 145; 149; 150; 158; 165; 166
Entscheidung 16; 18; 20; 22; 26; 31; 32; 33;
Baacke, D. 73; 85; 96; 97; 103 37; 38; 78; 154
Baumann, J. 156; 167 Erbring, L. 87
Begriindung Esser, F. 14; 43; 136; 146
Problem 129; 130 Ethik 5; 7; 8; 13; 18; 19; 20; 23; 24; 25; 29;
Theorie 130 34;35;43;45;46;47;51;54;55;57;
Behne, K.E. 86 58;59;60;61;63;64;65;66;67;68;
Benoist, 1. 109; 125 69; 70;72;73; 75;76;78;79;80;83;
Bente, G. 161; 167 84; 85; 86; 87; 90; 92; 99; 100; 101;
Bente1e, G. 146 102; 103; 104; 105; 106; 113; 114; 115;
Berufsstand 50; 52; 53; 55; 56; 57; 58 116; 118; 119; 120; 123; 124; 125; 126;
Bickmann, R. 139; 146 127; 128; 129; 130; 131; 132; 133; 134;
Bimbacher, D. 78; 85 141; 143; 144; 146; 147; 148; 161; 165;
Bocke1mann, F. 128; 146 166; 167; 169; 170
Bohnnann,T. 161; 162; 167 deontologische 78
Bonfadelli, H. 10 1; 103 der Unterha1tung 143
Bourdieu, P. 146 der Werbung 143
Boventer H. 13; 43; 70; 85; 128; 146 des Medienkonsums 143; 144
Brauner, J. 139; 146 des Medienmanagements 143
Brause, M. 77; 85 des Rezipienten, des Publikums 89; 90;
Brellochs, A. 125 92; 93; 94; 103
Brosius, H. B. 15; 43; 136; 146 deskriptive 69; 101
Brunner, W. 75; 86 konsequentia1istisch 83
Bubmann, P. 146; 147; 148 phi1osophisch- normativ 65; 66
Buch 10; 108; 109; Ill; 1I2; 1I3; 134; 170 prospektiv 79
Buchwald, M. 70; 74; 85 Evolution 150

Capurro, R. 5; 8; 105; 106; 112; 1I5; 1l7; Fabris, H. H. 45; 60


123; 124; 125; 169 Faulstich, W. 92; 103
Christians, C. G. 128; 146 FehlschluB, naturalistischer 63; 66; 67; 83
Cyberspace 118; 120; 125; 126 Feldhaus, S. 100; 103
Femsehen 5; 9; 17; 85; 103; 106; 116; 146;
Debatin, B. 91; 103; 119; 120; 125 148; 149; 151; 153; 154; 155; 156; 157;
Dennis, E. E. 128; 146 158; 162; 165; 167; 168; 169; 170
Deutschland 15; 43; 45; 46; 49; 50; 52; 53; Flohl, R. 87
54;55;58;60;61;65; 71; 72;74;80; Flusser, V. 112; 125
85; 87; 104; 150; 161; 167; 168; 170 Foigenabschiitzung 79
Dingwerth, P. 86
171
FnuUcreich 45;46;50;52;53;55;56;60; Habenneier, J. 136; 147
65; 104; 170 Hadot, P. 106; 124; 126
Freiheit 91; 92; 99; 100; 106; 107; 108; Haller, M. 87
109; 111; 112; 113; 116; 119; 137; 148; Hamelink, C. J. 101; 103; 144; 147
156; 162; 163; 166; 168; 169 Hamrn,I. 63;65;72;85;86
Gedankenfreiheit 105; 107; 113; 114 Hanseroth, A. 135; 148
Hand1ungsfreiheit 107; 113 Hartung, U. 40; 43
Freiwillige Se1bstkontrolle Femsehen 156 Hasebrink, U. 158; 167
Fricke, J. 87 Hegel, G. W. F. 115
Frieden 110 Heide1meyer, W. 111; 126
Friedrichsen, M. 167 Heinz, W. R. 46; 60; 162
Fromm, B. 161; 167 Hepp, A. 163; 167
Fromme, J. 73; 85 Herzog, R. 7; 63; 64
Ftiih, W. 136; 146; 158; 160; 167 Hickethier, K. 156; 167
Funiok, R. 5; 8; 75; 85; 89; 103; 128; 131; Holzhey, M. 87
139; 146 Homann, K. 77; 86
Funktionalitiit 53 Homberg, W. 168
Hosie, V. liS; 126; 132; 147
Ge1tung, s. a. Gii1tigkeit 18; 37; 63; 77; 80; Hrubi, F. R. 131; 147
85; 92; 130; 131; 148 Hubig, C. 91; 103
Ge1tungsdifferenzen 9; 127; 144 Hume,D.66
Gerneinschaft 65; 107; 108; 115; 140 Hurrelmann, B. 60; 98; 102; 103
Gentz, F. 40; 43 Hurre1mann, K. 60
Gerechtigkeit 76; 91; 117; 134; 141 Huter, A. 161; 167
Gerhards, M. 85; 86; 87
Gesellschaft 7; 9; 19; 44; 50; 52; 53; 55; Individualethik 9; 76; 77; 123; 127; 142;
56; 57; 58; 65; 76; 77; 83; 86; 87; 101; 148
104; Ill; 112; 114; 116; 118; 123; 125; Individua1vertriiglichkeit 91
126; 127; 130; 133; 134; 136; 137; 140; Individuum 50; 52; 53; 55; 56; 57; 58; 76;
141; 144; 148; 149; 154; 156; 158; 163; 91; 101; 123; 136
164; 165; 168 Information broker 119
Gesetzgeber 70; 73; 74; 79; 116 Informationsanne 121
Gesinnungsethik 12; 18; 19; 22; 24; 31; 35; Informationsethik 5; 8; 105; 106; 109; 110;
36;37;38;41;42 112; 113; 116; 117; 120; 121; 125
Gesinnungsethiker, s. a. Mischtyp 12; Informationsgesellschaft, s. a.
34 Mediengesellschaft,
Gewa1t 9; 11; 85; 95; 108; 121; 146; 148; Wissensgesellschaft 63; 74; 75; 85;
149; 150; 153; 154; 155; 156; 157; 158; 104; 110; 116; 125; 127; 136; 138; 146;
159; 160; 162; 164; 165; 167; 168 168; 169
Gleich, U. 144; 146 Informationsmora1 113; 114
Glogner, P. 73; 86 Informationsreiche 121
Glotz, P. 75; 85 Internet 5; 8; 63; 71; 74; 75; 93; 105; 106;
Goodwin, E. H. 128; 146 111; 112; 113; 114; 115; 116; 118; 119;
Gottberg,1. von 139; 146 120; 121; 123; 124; 125; 126
Grisold, A. 133; 141; 147 Intransparenz 137; 139; 140
Groebel,1. 71; 75; 85; 87; 170 invisible hand 140
GroBbritannien 15; 50; 52; 53; 55; 57; 65; Irrgang, B. 147; 148
170
Giiltigkeit, s. a. Geltung 34; 77; 85; 95; Jackel, M. 104
100; 121; 130; 131 Jarren, O. 146; 148
Jonas, H. 79; 86
Haase, F. 75; 85 Joumalistenausbildung 45; 70
Habennas, J. 8; 105; 110; Ill; 113; 125;
126; 161 Kaase, M. 43
172
Kant, I. 8; 105; 106; 107; 108; 109; 110; Matnmer, M. 103
111; 113; 114; 115; 117; 125; 126 Markt, Markttheorie 71; 138; 139; 140;
Karmasin, H. 138; 147 141; 142; 144; 147; 148
Karmasin, M. 5; 9; 45; 60; 127; 128; 131; Marktversagen 139; 142
135; 137; 138; 147; 169 Massenmedien 43;61;87; 105; 106; 110;
Kepp1inger, H. M. 5; 7; 11; 15; 17; 28; 40; 111; 112; 116; 137; 141; 146; 147; 152;
43; 136; 147; 169 163; 167; 169
Kiefer, M.-L. 141; 147 MaBhalten, Tugend des 89; 93
Klein, G. 73; 86 Mast, C. 147
K1einen, G. 86; 91 Mattern, K. 75; 86
Kliment, T. 75; 86 McLuhan, M. 71; 86; III
Klingler, W. 73; 85; 86; 87 media assessment 8; 63; 81; 84
Knirsch, K. 5; 7; 11; 28; 43; 170 Medien 7; 9; 17; 71; 74; 105; 106; 107;
Kocher, R. 15; 22; 43 108; 109; 112; 113; 114; 115; 116; 119;
Kohl,A.60 124; 153
Ko1b, A. 117; 125; 126 Medienauswah1 93
Kommer, S. 73; 85 Medienbildung 73; 82
Kommunikation 46; 52; 60; 92; 103; 104; Medienentwicklung 81; 97; 104
Ill; 117; 120; 127; 128; 130; 131; 132; Medienerziehung 89; 98
133; 135; 136; 137; 142; 143; 144; 145; Medienethik 5; 7; 8; 9; 169; 170
147; 148; 161; 163; 169 Medienfolgenabschiitzung 8; 80; 82
Kommunikationsgemeinschaft 111; 114; Medienkompetenz 73; 75; 85; 89; 96; 97;
115 98; 99; 103; 104; 123; 125
Kommunikationsokologie 104; 163; 166; Medienkonsum 98; 99; 103; 144; 164
168 Medienmacher 5; 45; 46; 70; 71; 73; 74;
Kommunikatorforschung 13; 146; 148 75; 76; 79; 82; 83
Kornblum, S. 73; 85 Medienmanagement 60; 143; 148; 169
Kos, E. 161; 167 Mediennutzung 73; 85; 92; 93; 94; 96; 97
Koslowski, P. 140; 147 Medienpiidagogik 75; 98; 101; 103; 104;
Kriimer, H. 124; 126 144; 151; 170
Kreutle, A. 73; 86 Medienpolititk 47; 76
KrUger, U. M. 158; 159; 160; 167 Medienpsycho1ogie 70; 87
KrUger, W. 167; 168 Medienqua1itiit 45; 148
Kubler, H. D. 135; 136; 139; 147 Mediensteuerung, konzertierte 83
Kunnczik, M. 168 Mediensystem 49; 50; 51; 52; 53; 55; 56;
Kiinstner, T. 75; 86 57; 58; 139; 155
Medientechno1ogie 64
Lauffer, J. 73; 85 Medienunternehmen 9; 47; 127; 134; 135;
Laux, B. 128; 147 137; 140; 142; 158
Lebenswelt 97; 127; 130; 145; 161; 163 Medienwirkungsforschung 5; 7; 8; 9; 10;
Lenk, H. 103 11; 41; 63; 64; 68; 70; 75; 79; 101; 127;
Levinas, E. 106; 126 128; 129; 133; 134; 138; 141; 144; 145;
Linke, G. 15; 43 149; 150; 154; 157; 160; 161; 162; 163;
LOffelholz, M. 61 165; 166; 168; 170
Loretan, M. 60 - und Medienethik 5; 9
Lubbe, H. 93; 99; 103 Meier, W. A. 101; 103
Ludes, P. 103 Menschenbi1d 149; 165
Luhmann,N. 76;86; 136; 137; 147; 148; Merrill, 1. C. 128; 146
161 Merten, K. 136; 148
Lukesch, H. 73; 86 Mestmiicker, E. J. 75; 85
Metaethik 100
Mader,1. 130; 148 Mikos, L. 73; 85
Mahle, W. A. 46; 60 Mischtyp 34; 35; 36
Maletzke, G. 151; 168 Moore, G. H. 63; 66; 67; 68; 86
173
Moral 65 Rinderle, P. 77; 87
des Joumalismus 142 Roller, K. 162; 168
Miihlberger, H. 14; 24; 43 Ropohl, G. 81; 82; 83; 87; 91; 103
Miiller, P. 139; 146; 147; 148 Roters, G. 73; 85; 86; 87; 167; 168
Miiller, R. 73; 86 Riihl, M. 13; 43; 77; 87; 128; 148

Nachfrage 72; 75; 139; 140; 142 Sarcinelli, U. 80; 87


Nebenwirkung 19; 29; 30; 31 Saxer, U. 13; 43; 45; 48; 60; 77; 87; 128;
unbeabsichtigt 14; 19; 20; 29; 32; 37 148; 152
Neidhardt, F. 43 Schicha, C. 90; 104
Neuberger, C. 101; 103 Schmid, W. 124; 126
Noam, E. 64; 75; 86 Schneider, B. 22; 43; 46; 60; 167
Scholl, A. 23; 43; 61
Offentliche Meinung, s. a. Offentlichkeit Schonbach,K. 22;28;43;60; 136; 148
43; 135 Schorb, B. 97; 104
Offentlichkeit, s. a. Offentliche Meinung Schorr, A. 10; 87; 170
14; 27; 41; 43; 91; 105; 106; 107; 110; Schramm, A. 125
III; 112; 135; 137; 141; 155 Schulz, W. 43; 78; 87
Ohlschliiger, R. 86 Seewald, B. 87
Sein und Sollen 66; 127; 130; 131; 134;
Pies, 1. 77; 86 144; 145
Plausibilitiit 7; 64; 68 Selbstbestimmung 73; 76; 98; 117
Politik 7; 8; II; 13; 14; 27; 43; 71; 72; 75; Selbstsorge 99
80;87;96; 103; 107; 112; 131; 135; Sensationsfemsehen 151
139; 156; 165; 169; 170 Sex 142
Pomographie 93; 116 Siegele, L. 120; 126
Praxis 5; 8; 14; 39; 45; 52; 55; 58; 65; 67; Silbermann, A. 135; 148
89; 94; 103; 113; 127; 132; 145; 148; Six, U. 87; 170
165 Soesemann, B. 87
Print 71; 74 Sollenssiitze 67; 129
Prinzipien, ethische 58; 69; 76; 95; 99; 100 Sozialisation 5; 45; 46; 58; 60
Professionalisierung 143; 144 berufliche 5; 45
Professionalitiit 60; 65 Sozialvertriiglichkeit 91; 138
Programmvermehrung 152 Spinner, H. F. 75; 87
PUrer, H. 48; 60; 168 Staab, J. F. 15; 40; 43
Standard, ethischer 52; 53; 54; 55; 59
Qualitiitsbewul3tsein 93 Steger, U. 148
Stelberg, K. 103
Radio, Rundfunk 63; 106; 116; 124; 141; Stephenson, H. 52; 60
168 Stitzel, M. 133; 148
Rager, G. 76; 86 Sturm, H. 152; 153; 168
Rath, M. 5; 8; 10; 45; 63; 67; 70; 71; 77; Stiirzebecher, D. 22; 43; 60
85; 86; 87; 170 Sutter, T. 101; 104
Rationalitiit 7; 13; 18; 19; 20; 22; 23; 24; Symbolwelt 158
25; 26; 27; 29; 34; 43; 129; 130; 138;
140; 162 Tabubruch 151; 167
Realisierungspotential 132; 145 Tauglichkeit 67
Realitiit 5; II; 63; 69; 70; 75; 76; 79; 81; Technikfolgenabschiitzung 8; 63; 80; 81;
89; 136; 137; 147; 149; 162 82;84
Reflexivitiit, kritische 97 Teichert, W. 45; 60; 70; 87
Rein, A. von 103 Tester, K. 134; 148
Reiter, S. 45; 60 Theorie II; 18; 29; 43; 85; 86; 101; 113;
Renckstorf, K. 64; 87 117; 139; 141; 147; 148; 150; 169
Rezipient 72; 73; 79; 89; 139; 154 Thiele, G. A. 73; 85
174
ThomaB, B. 5; 8; 45; 46; 47; 60; 102; 104; Welsen, P. 66; 87
170 Weltbildgenerator 81
Transparenz 110; 116; 136; 137; 141 Weltinformationsethos 9; 114; 121; 122;
Treumann, K.-P. 73; 85 123
Turner, G. 150; 168 Werbung 101; 134; 135; 139; 143; 144;
152; 167
Ulich, D. 60 Werner, A. 103; 160
Umweltvertriiglichkeit 91 Wertrationalitiit 12; 13; 14; 18; 19; 22; 24;
UNESCO 9; 85; 105; 117; 120; 121; 122 25;27;35;37;38;39;41;42
Unternehmensethik 9; 86; 127; 138; 141; WeBler, H. 103
148 Wiegerling, K. 69; 87; 117; 125; 126
USA 46;65;70;71;80;86; 118; 153 Wild, C. 128; 148
Utilitsrismus 78; 131 Wilke 1. 43; 47; 61; 85; 87
Wirklichkeitskonstitution 161; 162
Vattimo, G. 115; 126 Wirkungsrisiko 162; 165
Verantwortung 11; 12; 16; 17; 18; 19; 20;. Wirtschaftsethik 67; 86; 100; 103; 147
22;23;25;28;29;31;32;34;35;37; Wissen 7; 73; 83; 92; 96; 97; 119; 132;
38;39;41;48;49;50;56;57;58;59; 137; 149; 150; 154; 165
60; 63; 70; 71; 72; 73; 74; 76; 78; 81; Wissensgesellschaft, s. a.
83; 85; 86; 87; 90; 91; 95; 97; 98; 103; Informationsgesellschaft,
118; 123; 126; 129; 132; 134; 138; 139; Mediengesellschaft 74; 96
140; 141; 142; 143; 144; 146; 147; 156; Wissenskluft 153
166; 168 Wittkiimper, G. W. 60
elterliche 98 Worz,M.86
Verantwortungsethik 5; 11; 12; 19; 24; 34; Wunden, W. 5; 9; 71; 128; 146; 148; 149;
35; 42; 78; 79 156; 168; 169; 170
Verhaltenstypus 33; 35
Virtualitiit 115 Zeitschrift 125; 134; 153; 157; 167
Vohl, I. 17; 43 Zeitter, E. 157; 168
Vorderer, P. 73; 87 Zeitung 24; 26; 72; 134
Vowe,G. 167 Zimmerli, W. 131; 148
Zipfe1,A. 161; 168
Wallisch, G. 60 Zirn, M. 75; 86
Waltermann,1. 63; 85 ZOllner, O. 167; 168
Weber, M. 7; II; 12; 13; 14; 16; 22; 25; 35; Zweckrationalitiit 12; 13; 18; 25; 27; 36;
43;44; 78;87 42; 140
Weischenberg, S. 22; 44; 46; 61; 143; 148

175
Journalismus · Kultur ·
moderne Medien

Wolfgang Duchkowilsch, Frilz Hausjell,


Woller Hamberg IHrsg .l
Jountall .... u. al. Kullur
Anolysen und Essays
1998. 302 S. Br. DM 49,00
ISBN 3·531·1 3258·X
Die Aulgabe, Journolismus ols Kulrur zu onaly-
sieren, bedarl des hislarischen Bewusslseins
ebenso wie der aktuellen empirischen Befunde,
Sie steht nicht zulelzt im lebendigen Dialog mit
ihrem Gegenstand, dem Journolismus selbst.
Diese Pluralitat des Erkenntnisstandpunkles
schlagt sich in den Beitragen dieses Bondes nie-
der. Der Bond ist Prolessor Dr. Wolfgang R. Lan·
genbucher aus Anloss seines 60. Geburtslages
Miriam Meckel, Klaus Kamps, Palrick Rossler gewidmet
M.dl....Mytho.?
Die Inszenierung von Prominenz und Schicksal
am Beispiel Diona Spencer Barbaro Thomal>
1999, 199 S, mil41 Abb, und 19 Tab. Jountall.tlHh. Ithlk
Br, DM 44,00 Ein Vergleich der Diskurse in Fronkreich,
ISBN 3·531·13291·1 Grol>britonnien und Deutschland
In e ni er komplexen Weir werden Ereignisse, denen 1998.359 S. Br. DM 74,00
weil reichende Inlegralionsfahigkeil zukomml z. T. ISBN 3·531-13225·3
wellweil uber Medien konslruierl und kommuniziert, ,Fur den interessierten leser erschlieBt sich in
Dabei bringen die Medien - ahnlich der Mythen· der Lektjjre eine bunte Welt vie/fi:iltiger An· und
und Ikonenbildung IrUherer Zeilen - .Heiligenbil· Einsichten uber ethische Standards journalisti·
der" nervor.Diese Na.erlindung von modernen My- scher Arbeit.•
Ihen in den Medien gehl einher mil einer Enl· Rundlunk und Fernsehen·Redaklion 2/99
grenzung prolessioneller journalislischer Hond-
lungsspielraume, mil gewondehen Berichlerslal·
lungsmuslern , Am primaren globolen .Medien·
ereignis' des Jahres 1997, dem Tod der Lady
Diona Spencer, lassen sich diese Enlwicklungen
eindrucksvoll belegen und nochvollziehen. Anderungen vorbehohen. Stond: November 1999.

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