Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 164

6

PATHOLOGISCHES
GLÜCKSSPIELEN
Suchtmedizinische Reihe
Band 6

Herausgegeben von der


Deutschen Hauptstelle für
Suchtfragen e. V.
Ausschließlich aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Publikation durchgängig die männliche
Form verwendet. Alle personenbezogenen Angaben gelten selbstverständlich für Frauen und Männer.

Die Erkenntnisse der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen.
Die Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten
therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter
Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und
Applikationsformen kann von den Autoren jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung
oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
Geschützte Warennamen werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen
Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.
1

PATHOLOGISCHES
GLÜCKSSPIELEN
Suchtmedizinische Reihe
Band 6

Verantwortlich für den Inhalt:


Dipl.-Psych. Dr. phil. Jörg Petry
Dipl.-Päd. Ilona Füchtenschnieder-Petry
Dr. med. Monika Vogelgesang
Dr. med. Thomas Brück
Inhalt

Vorwort  6

1 Glück – Spiel – Sucht  8


1.1 Begriffsbestimmung 8
1.1.1 Bezeichnungen 8
1.1.2 Definition 10
1.2 Formen des Glücksspiels  12
1.3 Rechtliche Grundlagen des Glücksspiels 16
1.3.1 Glücksspielstaatsvertrag 17
1.3.2 Spielverordnung 18
1.3.3 Sozialrecht mit „Empfehlungen“ 19
1.4 Ökonomie des Glücksspielmarktes 20
Literatur 23

2 Epidemiologie  24
2.1 Prävalenz des Glücksspielens 24
2.1.1 Verbreitung in der Bevölkerung 24
2.1.2 Behandlungsprävalenz 25
2.2 Bevorzugtes Glücksspiel 28
2.3 Soziodemographie 29
2.4 Komorbide Störungen 30
2.5 Verlauf 30
Literatur 33

3 Störungstheorien 34
3.1 Genetik und Neurobiologie (Thomas Brück) 34
3.1.1 Genetik 34
3.1.2 Neurobiologie 35
3.2 Psychologische Ursachenmodelle 38
3.2.1 Entwicklungspsychopathologie 38
3.2.2 Suchtkonzepte 40
Klassisches Suchtkonzept 40
Aktuelles Verhaltenssuchtkonzept 42
3

3.2.3 Kognitive Verzerrungen 45


3.3 Kulturgeschichte und Gesellschaft  49
3.3.1 Regulierte Glücksspielangebote  49
3.3.2 Gesellschaftsformation 50
3.3.3 Gesellschaftliche Position und Lebenslage 51
3.4 Integrative Modelle  53
3.4.1 Der Lebensstilansatz  53
3.4.2 Das Vulnerabilitätsmodell  55
3.4.3 Multifaktorielle Modelle  57
Literatur  58

4 Diagnostik 60
4.1 Nosologische Einordnung 60
4.2 Differenzialdiagnostik 61
4.3 Screeningverfahren 62
4.4 Anamnestik 64
4.4.1 Glücksspielsymptomatik 64
4.4.2 Diagnostik der Persönlichkeit und Komorbidität 64
Literatur 64

5 Selbsthilfe 65
Literatur 68

6 Interventionsformen 69
6.1 Prävention 69
6.1.1 Verhältnis- und Verhaltensprävention 70
6.1.2 Aufklärungskampagnen 72
6.1.3 Sozialkonzepte 73
6.1.4 Sperrsystem 74
6.1.5 Jugendschutz 79
6.2 Beratung 80
6.2.1 Telefonische Beratung 80
6.2.2 Onlineberatung und Chatangebote 82
6.2.3 Internetforen 82
4

6.2.4 Beratungsstellen 83
6.3 Behandlung 84
6.3.1  Psychiatrische Akutbehandlung und
psychotherapeutische Therapie 84
6.3.2 Ambulante und stationäre Rehabilitation 85
6.3.3 Psychotherapeutische Methoden 86
6.3.3.1 Motivierung 86
6.3.3.2 Kognitive Umstrukturierung 87
6.3.3.3 Problemlösetraining 88
6.3.3.4 Rückfallprävention 92
6.3.3.5 Bearbeitung der personalen Anfälligkeit 93
6.3.3.5.1 Triadisches Bedingungsgefüge 93
6.3.3.5.2 Emotionstraining 95
6.3.3.6 Geld- und Schuldenmanagement 96
6.4 Berufliche Rehabilitation 99
6.5 Pharmakotherapie (Thomas Brück) 101
6.5.1 Medikamentöse Ansätze zur Glücksspielsucht 101
6.5.2 Medikamentöse Behandlung komorbider Störungen 102
Exkurs: Parkinsonmedikation und Glücksspielsucht  102
6.6 Angehörige und Bezugspersonen 103
6.6.1 Das „Co-Abhängigkeits“-Konzept 105
6.6.2 Typische Problemfelder 107
6.6.3 Gemeindeorientierte Familientherapie 108
6.6.4 Kinder von glücksspielsüchtigen Eltern(teilen) 109
6.7 Katamnese 110
Literatur 111

7 Differenzielle Ansätze 114


7.1 Gender (Monika Vogelgesang) 114
7.1.1 Frauenspezifisches Störungsbild 115
7.1.2 Frauenspezifische Behandlung 118
7.2 Ethnie 121
7.2.1 Ethnische Herkunft und Glücksspielkultur 121
5

7.2.2 Klinisches Fallbeispiel 123


Literatur  128

8 Literatur 129
8.1 Weiterführende Fachliteratur 129
8.2 Romane und Tatsachenberichte 130

9 Materialien 131
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) 131
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 131
 Koordinations- bzw. Landesfachstellen Glücksspielsucht
der Länder  132
CCCC-Questionnaire 133
Spezielle Anamnese zum pathologischen Glücksspielverhalten 134
Empfehlungen für die medizinische Rehabilitation
bei Pathologischem Glücksspielen (VDR, 2001) 136

10 Adressen- und Kontaktverzeichnis 149


10.1 Koordinations- bzw. Landesfachstellen Glücksspielsucht der Länder 149
10.2 Landesstellen für Suchtfragen 152

11 Beratungstelefone 154

12 Nützliche Internetadressen 155

Die DHS 156

Die BZgA 158

Impressum 160
Vorwort
6

Mit der Suchtmedizinischen Reihe wendet sich die Deutsche Hauptstelle für Sucht-
fragen insbesondere an diejenigen Berufsgruppen, die in ihrem Alltag mit Patientin-
nen und Patienten bzw. Klientinnen und Klienten in Kontakt geraten, bei denen ein
riskanter Substanzgebrauch, ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit vorliegt, und die
sich vertiefend mit den spezifischen Problematiken der jeweiligen Substanzen, den
Wirkungsweisen der Substanzen im Körper, den gesundheitlichen Folgeschäden,
den Behandlungsmöglichkeiten oder rechtlichen Aspekten beschäftigen wollen. Die
Bände dieser Reihe richten sich an Ärztinnen und Ärzte, vornehmlich der allgemein-
medizinischen Versorgung, sowie an psychosoziale Berufsgruppen in der psycho-
therapeutischen Versorgung und in der Sozialarbeit. Die Einzelausgaben der Reihe
enthalten einen umfassenden Wissensgrundstock, der als Kompendium oder zum
Nachschlagen genutzt werden kann. Darüber hinaus stehen die DHS und die einzel-
nen Autorinnen und Autoren für Nachfragen zur Verfügung.
„Sucht“ ist ein Begriff, der bei vielen Menschen Abwehr auslöst. Daran hat auch die
höchstrichterliche Feststellung aus dem Jahr 1968, dass Alkohol-, Medikamen-
ten- und Drogenabhängigkeit Krankheiten sind, kaum etwas verändert. Im Ver-
gleich zu anderen chronischen Erkrankungen handelt es sich bei Abhängigkeit und
Missbrauch, entgegen der landläufigen Annahme, jedoch um Diagnosen, die gute
Behandlungschancen und -erfolge aufweisen. Wer würde von einer Diabetikerin
oder einem Bluthochdruckpatienten erwarten, dass ihre oder seine Werte niemals
Schwankungen unterlägen oder in den pathologischen Bereich ausschlügen? Bei
der Behandlung von Abhängigkeit und Missbrauch werden andere Maßstäbe ange-
legt. Hier wird meist nur das Maximum an Erreichbarem – die dauerhafte Abstinenz
– als Behandlungserfolg gewertet. Es gilt jedoch, wie bei anderen Krankheiten auch,
dass die Erfolgsprognose vom Stadium der Erkrankung abhängt und ob der Diagnose
auch tatsächlich eine sachgerechte Behandlung folgt. Die Prinzipien der Selbstbe-
stimmung und Autonomie gelten auch für Substanzabhängige oder -missbrauchen-
de. Sie entscheiden mit über Art und Erfolg der Behandlung, ob Abstinenz, Konsum-
reduktion oder Substitution die vielversprechendste Behandlung für sie ist.
Der Konsum psychotroper Substanzen kann gravierende somatische, psychische,
soziale sowie auch rechtliche und finanzielle Störungen und Probleme verursachen.
7
Ihr Gebrauch, insbesondere riskanter Alkohol- und Tabakkonsum, gilt als bedeu-
tendstes gesundheitsschädigendes Verhalten in der Bevölkerung. Tabak- und Alko-
holkonsum stehen in den Ländern mit hohem Einkommen auf den Plätzen 1 und 2
der zehn größten gesundheitlichen Risiken für vorzeitige Erkrankung und vorzeitigen
Tod (WHO 2009)*. Psychische und Verhaltensstörungen durch den Gebrauch psycho-
troper Substanzen und bestimmter Medikamente machen, trotz Präventionsanstren-
gungen, nach wie vor einen Großteil der Krankheitsdiagnosen aus und verursachen
hohe vermeidbare Kosten für das Gesundheitssystem. Die direkten und indirekten
Kosten, die allein durch Alkohol- und Tabakkonsum in Deutschland verursacht wer-
den, belaufen sich auf über 40 Mrd. Euro. Dabei ist die Gruppe mit einem riskanten
bzw. schädlichen Konsummuster wesentlich größer als die der abhängig Konsumie-
renden.
In Deutschland sind Alkohol und Tabak die meistkonsumierten und -akzeptierten
psychotropen Substanzen. Wenn es um die Risiken des Substanzkonsums geht, gerät
dann zunächst das Suchtpotenzial der psychotropen Stoffe ins Blickfeld. Wissen-
schaftliche Untersuchungen zeigen jedoch immer deutlicher, dass Schädigungen lan-
ge vor der Entwicklung einer Abhängigkeit einsetzen können und es keinen Grenzwert
für einen Konsum gibt, der Risikofreiheit garantiert. Zwar weisen Menschen, die eine
Substanzabhängigkeit entwickelt haben, häufig weitere Erkrankungen und Stö­rungen
auf, jedoch sind gesundheitliche Störungen und negative Auswirkungen nicht aus-
schließlich bei Abhängigen zu beobachten, sondern auch bei Menschen mit riskantem
Konsum. Daher stellen nicht nur Substanzabhängige und -missbrauchende, sondern
auch Personen mit riskantem Konsum psychotroper Substanzen eine wichtige Ziel-
gruppe der Suchtmedizin und Suchthilfe dar. Motivation sowie Früherkennung und
Frühintervention kommt eine immer stärkere Bedeutung zu.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends begann die DHS mit der Publikation der Sucht­
medizinischen Reihe und erschloss damit praxisrelevante Informations- und Da-
tenquellen für die in diesem Fachgebiet Tätigen. In der Zwischenzeit haben sich
Suchtmedizin und Suchthilfe weiterentwickelt, sodass eine Neufassung der Titel
„Alkoholabhängigkeit“, „Tabakabhängigkeit“, „Drogenabhängigkeit“ und „Essstörun-
gen“ er-forderlich wurde. Vervollständigt wird die Reihe nun durch die neuen Bände
„Medi-kamentenabhängigkeit“ und „Pathologisches Glücksspielen“.
Die DHS dankt allen Autorinnen und Autoren herzlichst für ihre engagierte Arbeit.
Sie haben in kompakter Form praxisnahe und aktuelle Informationen aus unter-
schiedlichen Disziplinen für die Beratung und Behandlung zusammengestellt.
Dr. med. Heribert Fleischmann
Vorstandsvorsitzender der DHS, Frühjahr 2013
* WHO 2009, Global Health Risks - Mortality and burden of disease attributable to selected major risks. Genf.
8 Glück – Spiel – Sucht
1

1.1 Begriffsbestimmung
1.1.1 Bezeichnungen
Die englische Sprache unterscheidet zwischen „to play“ (spielen) und „to gamble“
(glücksspielen). In der deutschen Sprache gibt es diese Unterscheidung nicht.
Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass sich in die Umgangssprache und sogar in
einige wissenschaftliche Veröffentlichungen die Begriffe Spieler und Spielsucht
statt Glücksspieler und Glücksspielsucht eingebürgert haben. Diese sprachliche
Ungenauigkeit trägt zur Verharmlosung des eigentlichen Problems bei, denn ab-
hängig wird man von Glücksspielen, nicht jedoch vom Fußballspiel oder vom Kla-
vierspiel und schon gar nicht vom Wortspiel.
Die Glücksspielbetreiber nutzen gern die positiven Merkmale des Spielens, wenn
sie ihr Glücksspielangebot bewerben. So ziert das bekannte Schiller-Zitat „…, der
Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur
da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Schiller, 1795, S. 612) unzählige Werbeanzeigen
und Prospekte der Branche.
Bis ins 19. Jahrhundert war auch im deutschen Sprachgebrauch das aus dem
Arabischen stammende Wort „Hazardspiel“ gebräuchlich, das auf die Gefahren der
Teilnahme an Glücksspielen im Sinne einer rücksichtslosen Selbst- und Fremd-
schädigung hinweist.
In der Fachliteratur finden sich vielfältige sprachliche Bezeichnungen für proble-
matische Formen des Glücksspielverhaltens. Dabei wird der englischsprachige
Begriff „gambling" durch spezifizierende Adjektive wie „excessive", „obsessive",
„compulsive“, „addictive“ oder aktuell „pathological“ eingeengt. Für die Erfassung
wesentlicher Merkmale des Gegenstandsbereiches erscheint neben „Pathologi-
schem Glücksspielen" der deutschsprachige Begriff „Glücksspielsucht" am bes-
ten geeignet, wenn man die inhaltlichen Implikationen der drei darin enthaltenen
Substantive Spiel, Glück und Sucht betrachtet.
9
Der Begriff Spiel verweist auf den umfassenden Bedeutungszusammenhang des
Erlebens einer Selbstwertsteigerung durch Meisterung einer aus dem Alltagshan-
deln abgehobenen Handlungsanforderung. Dem Spiel kommt dabei die Funktion
zu, emotionale Grunderfahrungen zu ermöglichen, die aufgrund der im realen Le-
ben bestehenden Einschränkungen, wie z. B. der starken Abhängigkeit des Kindes
von seinen Eltern, nicht möglich sind. Dabei können in der realen Welt erfahrene
Frustrationen ausgeglichen werden und motivationale Entwicklungsanreize für
neue Erfahrungen entstehen. Aufgrund der bei vielen Glücksspielsüchtigen aus
einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung resultierenden Selbstwertproblematik
(Vierhaus et al., 2012) besteht eine Bedürfnis- und Motivationsstruktur, für die der
Aufforderungscharakter von Spielsituationen einen besonderen Anreiz darstellt.
Entsprechend zeigen klinische Erfahrungen, dass viele Glücksspielsüchtige neben
der Präferenz für Glücksspiele auch reges Interesse an verschiedensten Spielen
wie Schach oder sportlichem Wettbewerb haben, bei denen sie ihr subjektives
Kontrollempfinden und damit ihren Selbstwert steigern können, ohne sich proble-
matischen realen Lebensanforderungen stellen zu müssen.
Mit dem Begriff Glück wird das spezifische Bedingungsgefüge des Glücksspielens
durch Einbeziehung des materiellen Aspektes erfasst. Glücksspiele sind im Kern
als Wetten zu begreifen. Dabei handelt es sich um das Riskieren eines Einsatzes
auf das Eintreten eines (vorwiegend) zufallsbedingten Ereignisses. Ein monetärer
Einsatz führt zu einer zusätzlichen Erregungssteigerung, birgt gleichzeitig jedoch
das damit verbundene Verlustrisiko. Hiermit entsteht eine Handlungsstruktur,
die reale Folgen für den Glücksspieler hat. In der Karriere Glücksspielsüchtiger
kommt dem Geld eine zentrale Bedeutung zu. Es ist mit Empfindungen der Wich-
tigkeit, Überlegenheit und sozialen Anerkennung verbunden. Anfängliche Gewinn­
erfahrungen führen häufig zu einer starken Bindung an das Glücksspiel. Im wei­
teren Verlauf entwickelt sich aufgrund der zwangsläufig eintretenden Verluste eine
Aufholjagd („chasing“), d. h. der aussichtslose Versuch, eingetretene Geldverluste
durch verstärktes Glücksspielen auszugleichen.
Der Begriff „Sucht" verweist nicht nur auf die zunehmende Eskalierung des
Glücksspielverhaltens mit den entsprechenden negativen Folgen, sondern darüber
hinaus auch auf moralische Aspekte. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen
Ambivalenz gegenüber den Glücksspielen entsteht für den Betroffenen ein mora-
lisches Dilemma, wobei die damit verbundenen Schuld- und Schamgefühle den
Motor der weiteren Entwicklung des pathologischen Verhaltens bilden. Es folgt
eine Veränderung des Selbstkonzeptes mit Zunahme von Selbstrechtfertigungen,
illegalen Verhaltensweisen sowie einer verstärkten Integration in Subgruppen mit
Übernahme eines entsprechenden glücksspielbezogenen Lebensstils.
10

Begriffliche Bestandteile der Bezeichnung „Glücksspielsucht“

Spiel: Erleben einer Selbstwertsteigerung durch Meisterung einer


aus dem Alltagsleben abgehobenen Handlungsanforderung
zur Kompensation real erlebter Einschränkungen

Spiel: (Geld-)Einsatz auf (vorwiegende) Zufallsereignisse mit


Erregungssteigerung aufgrund (verzerrter) Gewinner-
wartungen mit langfristig negativen Folgen

Spiel: Schuld- und schambesetzte Konfliktzuspitzung aufgrund


der (verinnerlichten) Ambivalenz gegenüber dem Glücks-
spielen bei zunehmender sozialer Ausgrenzung

Tab. 1.1

1.1.2 Definition
Die seit 1980 beginnende Aufnahme des „Pathologischen (Glücks-)Spielens“ als
eigenständiges psychisches Störungsbild in die beiden internationalen Klassifika-
tionssysteme DSM-III (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Stö-
rungen) und später ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen)
definiert das Pathologische Glücksspielen als ein andauerndes, wiederkehrendes
und oft noch gesteigertes Glücksspielverhalten trotz negativer persönlicher und
sozialer Konsequenzen wie Verschuldung, Zerrüttung familiärer Beziehungen und
Beeinträchtigung der beruflichen Entwicklung.
Die genauere Operationalisierung der Hauptkriterien erfolgt im DSM. Nach den
Vorgaben des DSM-IV müssen mindestens fünf von zehn Kriterien vorliegen, um
die Diagnose „Pathologisches (Glücks-)Spielen“ stellen zu können.
11
Diagnostische Kriterien des Pathologischen Glücksspielens
nach ICD-10 und DSM-IV

Hauptkriterien nach ICD-10 (F 63.0):

Dauerndes, wiederholtes Glücksspielen

Andauerndes, wiederkehrendes und maladaptives Spielverhalten, das


persönliche, familiäre oder Freizeitbeschäftigungen stört oder beeinträchtigt

Diagnostische Kriterien nach DSM-IV (312.31):

Starke Eingenommenheit vom Glücksspiel (z. B. starke gedankliche


Beschäftigung mit der Geldbeschaffung)

Steigerung der Einsätze, um gewünschte Erregung zu erreichen

Wiederholte erfolglose Versuche, das Spiel zu kontrollieren,


einzuschränken oder aufzugeben

Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Spiel einzuschränken


oder aufzugeben

Spielen, um Problemen oder negativen Stimmungen zu entkommen

Wiederaufnahme des Glücksspielens nach Geldverlusten

Lügen gegenüber Dritten, um das Ausmaß der Spielproblematik


zu vertuschen

Illegale Handlungen zur Finanzierung des Spielens

Gefährdung oder Verlust wichtiger Beziehungen, des Arbeitsplatzes


und der Zukunftschancen

Hoffnung auf Bereitstellung von Geld durch Dritte

Tab. 1.2: (Dilling et al., 1991; Saß et al., 1996)


12
Im DSM-IV werden über die symptomorientierte Definition („hard signs“) hinaus
zugehörige klinische Merkmale („soft signs“) benannt, die wesentliche Besonder­
heiten betreffen. Es handelt sich um glücksspielerspezifische verzerrte Denk-
muster, die besondere Bedeutsamkeit des Geldes, das konkurrenzbezogene
Leistungsdenken, die Ruhelosigkeit, das überstarke Bedürfnis nach sozialer Aner-
kennung, eine Tendenz zur Arbeitswut und das Auftreten stressbedingter psycho-
somatischer Erkrankungen.
Nach dem Entwurf für die fünfte Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders (DSM-5) soll das Pathologische Glücksspielen als „Gambling
Disorder“ mit den substanzgebundenen Störungen in die gemeinsame Kategorie
„Addiction and Related Disorders“ aufgenommen werden (vgl. Kapitel 4.1).

1.2 Formen des Glücksspiels


Ob sich ein Glücksspielangebot zu einem Problem entwickelt, hängt von vielfäl-
tigen Faktoren ab. Dazu gehören kulturelle Traditionen, gesetzliche Rahmenbe-
dingungen, Art und Umfang des gesamten Glücksspielmarktes und die Struk-
turmerkmale des Glücksspielangebotes (z. B. Einsatzhöhe, Schnelligkeit des
Ablaufes, Einbeziehung des Glücksspielers etc.). Die verschiedensten Varianten
des Glücksspiels, die in Deutschland derzeit verbreitet sind, werden von Meyer
und Bachmann (2011) im Einzelnen beschrieben.
Glücksspiele sind dadurch definiert, dass man auf den Ausgang eines v­ orwiegend
zufallsbedingten Ereignisses wettet und dabei Geld, Wertgegenstände oder
Gegen­leistungen einsetzt. Beim Lotto zum Beispiel kreuzt man Zahlen an, zahlt
seinen Einsatz und „tippt“ darauf, dass bestimmte Zahlen gezogen werden. Beim
Roulette kauft man Jetons und setzt auf einfache Chancen (Rouge oder Noir; Pair
oder Impair; Manque oder Passe), eine bestimmte Zahl oder eine Zahlenkombi-
nation. Tacitus beschreibt in der „Germania“ (1971) sogar, dass die Germanen ihre
Freiheit und den eigenen Leib aufs Spiel gesetzt haben.
Der Ausgang der genannten Glücksspiele kann weder vorhergesagt noch beein-
flusst werden, sondern ist überwiegend vom Zufall abhängig. So gibt es neben
reinen Zufallsspielen (Geldspielautomaten, Roulette, Lotterien) auch Glücksspiele
mit einem „Kompetenzanteil“ wie z. B. das Pokern oder Sportwetten. Der Einfluss
der eigenen Kompetenzen bei solchen Glücksspielen wird jedoch in der Regel
überschätzt (vgl. Kapitel 3.2.3). Auch Kompetenzspiele – also Spiele, bei denen nur
die eigenen Fähigkeiten und nicht der Zufall eine Rolle spielen – wie z.B. Schach,
Dart, Billard – werden zu Glücksspielen, wenn um Geld gespielt wird. Ob ein Spiel
13
rechtlich als Kompetenz- oder als Glücksspiel eingeordnet wird, entscheidet in
Deutschland darüber, ob es als Gewerbe betrieben werden kann oder ob es unter
das staatliche Glücksspielmonopol fällt bzw. staatlich lizensiert wird.
In Bezug auf die Teilnahme an Sportwetten gilt: Selbst wer über großes Spezial-
wissen hinsichtlich einer bestimmten Sportart verfügt, kann den Ausgang eines
sportlichen Einzelereignisses, z. B. ob der 1. FC Kaiserslautern bei der nächsten
Begegnung mit Bayern München gewinnt oder verliert, nicht vorhersagen. Es
gibt zwar einige wenige Faktoren, wie Heimvorteil, Stand in der Tabelle und das
Ergebnis der bisherigen Begegnungen, die eine sehr eingeschränkte Vorhersage
über die Saison erlauben, jedoch nichts über den Ausgang eines einzelnen Spiels
aussagen. Wer nun die Strategie hat, jeweils auf diese vermeintlichen Vorteile zu
wetten, wird dies aufgrund unattraktiver Gewinnquoten und regelmäßiger Verluste
schnell wieder aufgeben.
Für Pokerspiele, wie z. B. das populäre Texas Hold’m, bei dem jeder Spieler zufäl-
lig aus dem Kartensatz zwei Karten erhält und fünf weitere Karten in drei Stufen
nacheinander aufgedeckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit für gewinnträchtige
„Hände“ – z. B. Full House (0,14 %) oder gar Royal Flush (0,00015 %) – gering. Man
kann in dieser Situation nur durch Bluffen dauerhaft gewinnen, wozu man aller-
dings unerfahrene Partner benötigt. Wenn man, was selten vorkommt, eine gute
Hand hat, kann man diesen Vorteil nur realisieren, wenn man die anderen Spieler
durch Bluffen lange genug im Spiel hält. Eine Gewinnchance beim Pokern besteht
also nur, wenn große Unterschiede in der Kompetenz der Beteiligten vorliegen.
Wenn das Kompetenzniveau oder die Erfahrenheit der Beteiligten keine größeren
Unterschiede aufweisen, entscheidet auf Dauer vorwiegend der Zufall über den
Spielausgang. So ist zu erklären, dass es fast jährlich neue Pokerweltmeister gibt,
während einige Schachweltmeister aufgrund ihrer herausragenden Kompetenzen
viele Jahre ihren Titel verteidigen können (vgl. Tabelle 1.3, S.14). Inzwischen stüt-
zen sowohl experimentelle Studien (Meyer, 2012b) als auch empirische Analysen
(Fiedler, 2012) die Einordnung des Pokers durch die Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichtes als Glücksspiel. Für den Durchschnittsspieler handelt es
sich beim Poker um ein überwiegend vom Zufall abhängiges Glücksspiel.
14

Schach- und Pokerweltmeister von 1990 bis 2011 im Vergleich

Jahr Sieger Poker Sieger Poker

1990 Mansour Matloubi Garri Kasparow


1991 Brad Daugherty Garri Kasparow
1992 Hamid Dastmalchi Garri Kasparow
1993 Jim Bechtel Garri Kasparow
1994 Russ Hamilton Garri Kasparow
1995 Dan Harrington Garri Kasparow
1996 Huck Seed Garri Kasparow
1997 Stu Ungar Garri Kasparow
1998 Scott Nguyen Garri Kasparow
1999 Noel Furlong Garri Kasparow
2000 Chris Ferguson Wladimir Kramnik
2001 Carlos Mortensen Wladimir Kramnik
2002 Robert Varkonyi Wladimir Kramnik
2003 Chris Moneymaker Wladimir Kramnik
2004 Greg Raymer Wladimir Kramnik
2005 Joe Hachem Wladimir Kramnik
2006 Jamie Gold Wladimir Kramnik
2007 Jerry Yang Viswanathan Anand
2008 Peter Eastgate Viswanathan Anand
2009 Joseph Cada Viswanathan Anand
2010 Jonathan Duhamel Viswanathan Anand
2011 Pius Heinz Viswanathan Anand

Tab. 1.3 (Wikipedia, Zugriff: 20.02.2012)


15
Das charakteristische Erleben des Geldspielautomatenspielens als aktuell häu-
figste Erscheinungsform wird in dem autobiographischen Roman „Jackpot“ über
den „Automaten-Mann" von dem Journalisten Alexander Schuller (2008) ein-
drucksvoll beschrieben:
Die Geschichte beschreibt die typische, 15-jährige Karriere eines Geldspielau-
tomatenspielers, der als 14-Jähriger nach einer ersten Gewinnerfahrung sofort
von der neuen und geheimnisvollen Welt der Geldspielautomaten fasziniert ist. Er
erlebt die Anerkennung in der Clique der Geldautomatenspieler, den Stolz nach
vermeintlich selbst herbeigeführten Gewinnen, die Möglichkeit der Entspannung
in der Spielaktion wie bei einer „Fango-Packung", den „Thrill" beim Alles-oder-
Nichts-Spiel bis hin zu einem Gefühl der Liebe und Nähe zu Gott, wenn alles auf
dem Spiel steht. Gleichzeitig erfährt der „Automaten-Mann" die zunehmende
Verstrickung in das Glücksspielen durch die aus den Verlusten resultierende „Auf-
holjagd", die zunehmend schwieriger werdende und viel Zeit in Anspruch neh-
mende Geldbeschaffung, wiederholte „Freikäufe", die den Prozess immer wieder
beschleunigen, und zwischenzeitliche Gewissensbisse, die jedoch rasch zurückge-
drängt werden, gegen Ende der Entwicklung jedoch zu einer durch Rückfallerfah-
rungen unterbrochenen Glücksspielabstinenz führen.
Schuller beschreibt dabei immer wieder ausführlich die „Arbeit" am Automaten,
die inneren Fehlwahrnehmungen über die Beeinflussbarkeit der Geldspielauto-
maten und bedient sich dabei der „Zockersprache". Die in der Erzählung mitge-
teilten lebensgeschichtlichen Ereignisse verweisen auf glücksspielerspezifische
Grundproblematiken. So wird eine emotional vernachlässigende und gleichzeitig
materiell verwöhnende Kindheit und Jugendzeit beschrieben, in deren Verlauf der
Fünfjährige wegen eines Skiurlaubes der Eltern in ein Schweizer Kinderheim ab-
geschoben wird, gleichzeitig jedoch immer wieder großzügige Geschenke erhält.
Als besonders charakteristisch kann auch die dargestellte Vater-Sohn-Beziehung
angesehen werden, innerhalb der ein nach außen liberal erscheinender, im Grun-
de jedoch autoritär-mächtiger Vater die Entwicklung zur Eigenständigkeit des
Sohnes einschränkt und bei diesem ein brüchiges Selbstwertgefühl entsteht, das
auf die Anerkennung der sozialen Clique angewiesen ist. Darüber hinaus fällt auf,
dass der „Automaten-Mann", bezogen auf sein Glücksspielen und sein ganzes
Leben, an äußere Mächte gebunden erscheint, d. h. sowohl Gewinne und Verluste
beim Glücksspielen als auch das Überleben bei einem Autounfall und die berufli-
che Entwicklung von schicksalhaften Umständen gesteuert erlebt. Er zeigt dabei
eine große Distanz zu sich selbst, zu seiner Schulzeit und Ausbildung und zum
Journalistenberuf. Auch die Beziehungen zu Frauen, seine Ehe und seine zweifa-
che Vaterschaft verblassen völlig hinter der Welt des Glücksspielens.
16
Formen problematischer Glücksspielangebote

Lotto- bzw. Lotterieangebote: Insbesondere Eurojackpot, Keno,


Rubbellose und Systemlotto

Gewerbliche Glücksspielangebote: Geldspielautomaten in Spielhallen


und gastronomischen Betrieben

Kasinospiele: Roulette, Blackjack, Poker,


„einarmige Banditen“

Sportwetten: Oddsetwette von Lotto, Wetten auf


der Rennbahn, bei Buchmachern,
im Wettbüro und im Internet

Illegale Glücksspiele Karten, Würfel, Roulette


im Hinterzimmermilieu:

Illegale Glücksspiele im Internet: Poker, Roulette u. a.

Börsenspiele: Wie z. B. kurzfristige Zufalls­


spekulationen wie Day-Trading

Tab. 1.4

1.3 Rechtliche Grundlagen des Glücksspiels


Für die öffentliche Veranstaltung von Glücksspielen gibt es fast überall auf der
Welt mehr oder weniger strikte gesetzliche Einschränkungen. In Deutschland ist
die öffentliche Veranstaltung von Glücksspielen nach § 284 des Strafgesetzbuches
(StGB) verboten. Glücksspiele dürfen nur unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle
durchgeführt werden. Damit hat sich der Staat das Monopol am Glücksspielange-
bot gesichert. Als Begründung wird auf die Notwendigkeit der Eindämmung des
illegalen Glücksspielens und der Bekämpfung der Glücksspielsucht verwiesen
(Diegmann et al., 2008).
17
1.3.1 Glücksspielstaatsvertrag
Im Jahr 2004 erfolgte der erste Versuch, durch den Staatsvertrag zum Lotteriewe-
sen in Deutschland (Lotteriestaatsvertrag-LottStV) die sehr heterogenen landes-
rechtlichen Regelungen durch die Vorgabe gemeinsamer Rahmenbedingungen für
den Lotterie- und Sportwettenbereich einzuschränken. Der Glücksspielstaatsver-
trag (GlüStV) von 2008 stellt eine entscheidende Weiterentwicklung auf der Basis
des Sportwettenurteils des Bundesverfassungsgerichtes dar (Gebhardt, Postel,
2008). In diesem bahnbrechenden Urteil vom März 2006 wird festgelegt, dass der
Staat sein Glücksspielmonopol nur dann behalten darf, wenn er sein Glücksspie-
langebot konsequent an der Prävention der Glücksspielsucht ausrichtet. Die staat-
lichen bzw. staatlich konzessionierten Veranstalter erhalten somit einen ordnungs-
politischen Auftrag: Sie haben ihr Glücksspielangebot so zu gestalten, dass der
Schutz der Glücksspieler im Vordergrund steht bzw. das oberste Ziel darstellt. Diese
Unternehmen sind folglich nicht zu vergleichen mit anderen Wirtschaftsunterneh-
men, deren Ziele Wachstum, Gewinnmaximierung und Markterweiterung sind.
Am 1. Juli 2012 wurde obiger Glücksspielstaatsvertrag vom 1. Glücksspielände-
rungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) abgelöst. Dieser Vertrag sieht in vielen Aspekten
(Aufgabe der Priorisierung der Suchtprävention, Erteilung von 20 Sportwettlizen­
zen, Teilfreigabe des Internetglücksspiels, Zulassung der Lotterie „Eurojackpot“
und Lockerung des Werbeverbots) grundlegende Aufweichungen vor, die einen
erneuten Paradigmenwechsel darstellen. Die neu in diesen Vertrag aufgenomme-
nen Einschränkungen für Spielhallen (Mindestabstände, Verbot von Mehrfachkon-
zessionen) stellen einen Fortschritt dar, bleiben jedoch hinter den gesetzgeberi-
schen Möglichkeiten der Länder weit zurück (Einlasskontrollen, Sperrsystem). Es
bleibt abzuwarten, ob der neue Glücksspielstaatsvertrag die vom Europäischen
Gerichtshof (EuGH) eingeforderte Kohärenz erfüllt, da das Lottospiel als ein mit
aktuell weniger Gefahren verbundenes Glücksspielangebot als staatliches Mono-
pol erhalten bleibt, während ein mit viel größeren Gefahren einhergehendes
Glücksspiel – wie die lizensierten Sportwetten – mit einem Lizenzmodell deregu-
liert wird. Aufgrund dieser Inkohärenz werden wahrscheinlich sowohl die Anbieter
des gewerblichen Geldautomatenspiels als auch die Betreiber von illegalen ter­
restrischen Wettbüros und von Wettseiten im Internet eine Schließung auf dem
Klageweg zu verhindern suchen.
18
1.3.2 Spielverordnung
Geldspielautomaten, die in gastronomischen Betrieben und Spielhallen aufgestellt
sind, gelten offiziell gar nicht als Glücksspiele. Sie heißen im Amtsdeutsch „Unter-
haltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit“ und fallen unter das Gewerberecht.
Die gewerblichen Geldspielautomaten sind jedoch die Glücksspielform, die mit
dem höchsten Risiko behaftet ist, eine Glücksspielsucht zu entwickeln (vgl. Kapi-
tel 2.2). Die Einzelheiten des „Spiels“ (Höhe von Einsatz und Gewinn, Spieldauer)
sind in der Spielverordnung (SpielV) geregelt. Diese Vorschriften sollen verhin-
dern, dass beim gewerblichen Automatenspiel Gewinne und Verluste mit Vermö-
genswert erzielt werden können. Außerdem sollen die Glücksspieler vor einer
„übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs“ geschützt werden. Diese Geräte sind
hinsichtlich der Einsatz-, Gewinn- und Verlustmöglichkeiten jedoch nicht identisch
mit den sogenannten „einarmigen Banditen“ in den Automatenniederlassungen
der Spielbanken. Im Zuge der letzten Novellierung der SpielV im Jahre 2006 ha-
ben sich die Geldspielautomaten, was die Spieldauer und das Spieldesign angeht,
dennoch weitgehend den Casinoautomaten angenähert. Nach Peters (2011) han-
delt es sich bei den gewerblichen Geldspielautomaten eindeutig um Glücksspiele
im Sinne des § 284 StGB, die deshalb entweder verboten oder zu reinen Unter-
haltungsgeräten zurückgebaut werden müssen. Der Fachbeirat Glücksspielsucht
als Organ der obersten Glücksspielaufsicht der Länder (§ 10 Abs.1 Satz 2 GlüStV)
hat in seinem ersten Beschluss nach Konstituierung im Jahr 2008 einen radikalen
Rückbau der gewerblichen Geldautomaten zu reinen Unterhaltungsgeräten emp-
fohlen.
Darüber hinaus werden die einschränkenden Vorgaben der SpielV, was z. B. Spiel-
dauer und -einsatz angeht, von der Automatenindustrie umgangen. So wurde ein
Punktesystem eingeführt (Geld wird in Punkte umgewandelt), was es möglich
macht, schnellere Spiele mit höheren Einsatz und Gewinnmöglichkeiten anzubie-
ten, als die SpielV vorsieht. Für einen Normalverdiener ist es nicht schwer, in einer
Spielhalle an nur einem Tag einen Monatslohn bzw. ein Gehalt zu verspielen. In
einem Feldversuch konnte mithilfe eines Testspielers nachgewiesen werden, dass
es möglich ist, innerhalb von fünf Stunden und 37 Minuten einen Betrag in Höhe
von 1.450 Euro zu verspielen (Meyer, 2011). Dieser Betrag entspricht dem durch-
schnittlichen Nettoverdienst eines deutschen Arbeitnehmers.
Derzeit erfolgt eine Novellierung der SpielV, die jedoch den Glücksspielcharakter
der gewerblichen Geldspielautomaten nicht betrifft. Im Rahmen des neuen
Glücksspieländerungsstaatsvertrages (GlüÄndStV) wurden inzwischen von einzel-
19
nen Ländern (Bremen, Berlin) einige der möglichen Einschränkungen (Mindest­
abstände, Verbot von Mehrfachkonzessionen, eingeschränkte Öffnungszeiten) als
Gesetze umgesetzt. Die derzeit geplanten Veränderungen der Spielverordnung
(Reduzierung der Anzahl von Geldspielautomaten in gastronomischen Betrieben,
Einführung einer personenungebundenen Spielerkarte und verpflichtendes Sozial-
konzept) werden absehbar zu keiner spürbaren Reduzierung der Gefährdung in
diesem Glücksspielsegment führen. Entscheidende Veranstaltungsmerkmale wie
Spielfrequenz, Gewinn- und Verlustmöglichkeiten und insbesondere das „Punkte-
spiel“, mit dem die einschränkenden Vorgaben der Spielverordnung umgangen
werden, bleiben unberührt. Die Möglichkeit zur Selbst- und Fremdsperre als wich-
tiges Instrument des Spielerschutzes soll nicht eingeführt werden.

1.3.3 Sozialrecht mit „Empfehlungen“


Mit der 1980 beginnenden Aufnahme des „Pathologischen (Glücks-)Spielens“ als
eigenständigem psychischem Störungsbild in die internationalen Klassifikations-
systeme DSM-III und später ICD-10 wurde das Pathologische Glücksspielen als
ein andauerndes, wiederkehrendes und oft noch gesteigertes Glücksspielver-
halten trotz negativer persönlicher und sozialer Konsequenzen wie Suizidalität,
Verschuldung und Delinquenz, definiert. Die genauere Operationalisierung der
Hauptkriterien erfolgt im DSM, wobei nach den Vorgaben des DSM-IV mindestens
fünf von zehn Kriterien beim Vorliegen eines „Pathologischen (Glücks-)Spielens“
erfüllt sein müssen (vgl. Kapitel 1.1.2).
Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen besteht danach ein Anrecht auf Maßnahmen zur medizinischen und
beruflichen Rehabilitation (vgl. Kapitel 6.3.2 und 6.4).
Vor diesem Hintergrund haben die Kosten- und Leistungsträger ohne höchst­
richterliche Vorentscheidungen ihre bis dahin auf Einzelfallentscheidungen be-
schränkte Praxis zur medizinischen Rehabilitation in Form der bis heute unverän-
dert gültigen „Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und Ren-
tenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem
Glücksspielen“ (VDR, 2001) formuliert und im Jahre 2001 in Kraft gesetzt (s. Kapi-
tel 9). In den Beratungs- und Behandlungsstellen wurde jedoch nur ein geringer
Anteil der für das Jahr 2010 geschätzten 15.800 beratenen Klienten im Rahmen
einer ambulanten Rehabilitation behandelt, während im gleichen Zeitraum in 16
spezialisierten Rehabilitationskliniken insgesamt 1.843 stationäre Rehabilitations-
maßnahmen durchgeführt wurden (Meyer, 2012a) (vgl. Kapitel 6.3.2).
20
1.4 Ökonomie des Glücksspielmarktes
Obwohl das Angebot an Glücksspielen als ein demeritorisches Gut, d. h. als nicht
verdienstvoll, eingestuft wird, hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg das staatlich
zugelassene Glücksspiel vor allem in den letzten Jahrzehnten rasant zu einem be-
deutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Die Angebote reichen von Rubbellosen über
Lotterie- und Lottospiele, Sportwetten auf Rennbahnen und in Wettbüros, gewerb-
liche Geldspielautomatenspiele, legale Internetglücksspiele (Sportwetten) bis hin
zu Kasinospielen wie Roulette, Blackjack, Baccara, Poker und Geldautomatenspiel
(„einarmige Banditen“) in den Spielbanken und deren Automatendependancen.
Im Jahre 2010 beliefen sich die Umsätze auf dem Glücksspielmarkt (ohne illegale
Sportwetten und Internetglücksspiele von privaten und ausländischen Anbietern,
ohne Soziallotterien und ohne Telefon-Gewinnspiele) insgesamt auf 31,51 Mrd.
Euro und waren damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 % rückläufig. Während
der Deutsche Lotto- und Totoblock und die Spielbanken Umsatzrückgänge von
9,8 % bzw. 7,2 % aufwiesen, konnte die Geldspielautomatenbranche um 6,5 % zu­
legen, sodass der Deutsche Lotto- und Totoblock und die Spielbanken auf den
2. und 3. Platz der erfassten Glücksspielsektoren verdrängt wurden. In 2010 nah-
men die Bundesländer insgesamt 3,206 Mrd. Euro an Steuern und Abgaben aus
der Veranstaltung von Glücksspielen ein (ohne Geldspielautomaten in Gaststätten
und Spielhallen). Zum Vergleich: Die Einnahmen aus der Alkoholsteuer betrugen
im gleichen Jahr 3,149 Mrd. Euro (Gaertner et al., 2012). Die weitere Entwicklung
des Glücksspielmarktes ist aufgrund der aktuellen gesetzlichen Novellierungen
(GlüÄndStV und geplante SpielV) nicht prognostizierbar.

Anteile der Glücksspielsegmente an den Umsätzen des legalen


Glücksspielmarktes in Deutschland im Jahr 2010
Spielbanken Pferdewetten 0,2 %
19,6 %

Prämien- und
Gewinnsparen
Geldspielautomaten
1,5 %
54,7 %

Lotto- und
Totoblock
20,6 %

Klassenlotterie 1,5 % Fernsehlotterie 1,9 %

Abb. 1.1 (Meyer, 2012a)


21

Der erwirtschaftete Bruttospielertrag mit den 236.000 in gastronomischen Betrie-


ben und Spielhallen aufgestellten gewerblichen Geldspielautomaten hat sich seit
der Novellierung der Spielverordnung im Jahr 2006 um 67,7 % erhöht, während die
Umsatzeinbußen nur die staatlich konzessionierten Anbieter (DLTB, Spielbanken)
betrafen.

Anteile der drei großen Glücksspielsegmente (Spielbanken, Deutscher Lotto- und


Totoblock und gewerbliche Geldspielautomaten) an den Umsätzen des legalen
Glücksspielmarktes in Deutschland

60

50

40

30

20

10

2005 2006 2007 2008 2009 2010


Spielbanken
DLTB
Abb. 1.2 (Meyer, 2012a) gewerbl. Geldspielautomaten

Neben dem staatlichen und gewerblichen Glücksspielmarkt existiert ein traditio-


nelles illegales Glücksspielsegment im kriminellen Hinterzimmermilieu, dessen
Größenordnung unbekannt ist. Der zusätzliche Bereich illegaler terrestrischer
(illegale Wettannahmestellen) und internetbasierter Sportwetten (illegale Anbieter
außerhalb Deutschlands) übertrifft das legale Sportwettenangebot (Pferdewetten,
ODDSET) bei Weitem und erbringt Umsätze in der Größenordnung von mehreren
22
Mrd. Euro (Albers, 2008). Letzteres gilt auch für das illegale Angebot von Poker im
Internet (Fiedler, Wilcke, 2011). Den Glücksspielaufsichten der Länder ist es im
Rahmen des Glücksspielstaatsvertrages nicht gelungen, diese illegalen Märkte
einzudämmen, obwohl mit der im GlüStV vorgesehenen Option zur Kappung der
Zahlungsströme eine aussichtsreiche Möglichkeit zur Durchsetzung des Verbo-
tes bestand und immer noch gegeben ist. Die Nichtdurchsetzung des Verbotes
im Bereich der terrestrischen illegalen Wettbüros ist der gesetzlichen Wider-
sprüchlichkeit der Glücksspielgesetzgebung in Deutschland geschuldet, da die
verschiedenen Glücksspielangebote aufgrund historischer Entwicklungen und
aktueller fiskalischer Interessen nicht entsprechend der mit ihnen verbundenen
unterschiedlich ausgeprägten Gefährdungen für die Bevölkerung systematisch
reguliert werden. Durch die im Glücksspieländerungsstaatsvertrag erfolgte Teille-
galisierung privat angebotener Sportwetten und die Teilfreigabe des Internets für
Sportwettenangebote hat sich die Inkohärenz der Glücksspielgesetzgebung weiter
verstärkt. Es ist zu befürchten, dass es zu einer weiteren Expansion sowohl des
legalen als auch des illegalen Angebotes von Sportwetten kommt, die bekannter-
maßen insbesondere für Jugendliche interessant sind (vgl. Kapitel 2.3).
Bei der volkswirtschaftlichen Betrachtung des Glücksspielens sind neben dem
wirtschaftlichen Nutzen (Arbeitsplätze, Steuereinnahmen) auf der Gegenseite die
sozialen Kosten zu betrachten. Zu Letzteren gehören die Behandlungskosten für
entstandene physische und psychische Erkrankungen bei den Betroffenen und ih-
ren Familienangehörigen, Produktivitätsverluste durch Erkrankungen, Fehlzeiten,
Verschuldung mit Nebenkosten, Beschaffungsdelinquenz, Regulierungskosten
des Glücksspielmarktes und auch die privaten Kosten für die Betroffenen, die
Ein­kommensverluste und Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität erfahren (Fied-
ler, 2012). Wenn alle direkten und indirekten Kosten in Betracht gezogen werden,
ergibt sich für die Gesellschaft eine stark negative Bilanz des Nutzens und der
Kosten (Adams, Fiedler, 2009).
23
Literatur:
Adams, Michael; Fiedler, Ingo (2009): Die sozialen Kosten von Alkohol und Glücksspiel. Vortrag auf
dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde am
28. November in Berlin.
Albers, Norman (2008): Struktur und ökonomische Beurteilung des Sportwettenmarktes in Deutschland.
In: Gebhardt, Ihno; Grüsser-Sinopoli, Sabine Miriam (Hrsg.): Glücksspiel in Deutschland: Ökonomie,
Recht, Sucht. Berlin: De Gruyter, 56-92.
Diegmann, Heinz et al. (2008): Praxishandbuch für das gesamte Spielrecht. Stuttgart: Kohlhammer.
Dilling, Horst et al. (Hrsg.) (1991): Internationale Klassifikation psychischer Störungen:
ICD-10 Kapitel V(F) Leitlinien. Bern: Huber.
Fachbeirat Glücksspielsucht (2008): Beschluss Nr. 1/2008 des Fachbeirats nach § 10 Abs. 1 Satz 2 GlüStV
vom 12. März 2008 zur Verminderung der von Geldspielgeräten ausgehenden Gefahren.
Internet: www.fachbeirat-gluecksspielsucht.de, Zugriff: 20.02.2012.
Fiedler, Ingo (2012): Die Geschicklichkeitskomponente beim Pokerspiel. Vortrag auf der Fachtagung
„Glücksspielforschung der Bundesländer – wissenschaftliche Erkenntnisse für Prävention, Hilfe und
Politik“ am 3. Februar 2012 in Hamburg.
Fiedler, Ingo; Wilcke, Ann-Christin (2011): Der deutsche Markt für Onlinepoker: Umfang und Spieler­
verhalten. In: Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht, 4, 243-247.
Gaertner, Beate et al. (2012): Alkohol – Zahlen und Fakten zum Konsum. In: Deutsche Hauptstelle für
Suchtfragen (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich: Pabst, 38–63.
Gebhardt, Ihno; Postel, Dirk (2008): Die Neuregelung des Glücksspielwesens in Deutschland.
In: Gebhardt, Ihno; Grüsser-Sinopoli, Sabine Miriam (Hrsg.): Glücksspiel in Deutschland: Ökonomie,
Recht, Sucht . Berlin: De Gruyter, 421-463.
Meyer, Gerhard (2011): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2011. Geesthacht: Neuland, 109-127.
Meyer, Gerhard (2012a): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich: Pabst, 125-141.
Meyer, Gerhard (2012b): Poker: Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel. Ergebnisse einer experimentellen
Studie. Vortrag auf der Fachtagung „Glücksspielforschung der Bundesländer – wissenschaftliche
Erkenntnisse für Prävention, Hilfe und Politik“ am 3. Februar 2012 in Hamburg.
Meyer, Gerhard; Bachmann, Meinolf (2011): Spielsucht: Ursachen und Therapie, 3. Auflage.
Berlin: Springer.
Peters, Frank (2011): Die Spielverordnung. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, 44 (5), 134-137.
Saß, Henning et al. (1996): Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV.
Göttingen: Hogrefe.
Schiller, Friedrich (o. J.). Über die ästhetische Erziehung des Menschen.
In: Stapf, Paul (Hrsg.): Schiller Werke, Bd. II. Wiesbaden: Emil Vollmer. (ursprünglich 1795), 570-655.
Schuller, Alexander (2008): Jackpot: Aus dem Leben eines Spielers – eine wahre Geschichte. 2. Auflage.
Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe.
Tacitus (1971): Germania (Dt. Übersetzung M. Fuhrmann). Stuttgart: Reclam.
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR (2001): Empfehlungen der Spitzenverbände der
Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem
Glücksspielen. Frankfurt/M. unveröffentlichte Empfehlung.
Vierhaus, Marc et al. (2012): Zur Validität des Modells zur psychischen Vulnerabilität der Glücksspiel-
sucht. In: Sucht, 58 (3), 183-193.
24Epidemiologie
2

2.1 Prävalenz des Glücksspielens


2.1.1 Verbreitung in der Bevölkerung
Im Vergleich zu den angloamerikanischen Ländern, aber auch zu Spanien und
Schweden, für die von einer Prävalenzrate zwischen 1 % bis 3 % ausgegangen
wird, handelt es sich in der Bundesrepublik um eine wesentlich kleinere Gruppe
von Betroffenen. Die deutschsprachigen Monitoring-Studien schätzen die Anzahl
pathologischer Glücksspieler auf ca. 100.000 bis ca. 300.000 (vgl. Tabelle 2.1).

12-Monatsprävalenz des problematischen und pathologischen


Glücksspielens in Deutschland
Untersuchung Bühringer Buth & BZgA BZgA Sassen Meyer BZgA
et al. Stöver et al. et al.
Erscheinungsjahr (2007) (2008) (2008) (2010) (2011) (2011) (2012)

Altersspanne 18 – 64 18 – 65 16 – 65 16 – 65 18 – 64 14 – 65 16 – 65

Stichprobengröße 8.000 8.000 10.000 10.000 8.000 15.000 10.000

Methodik Festnetz Festnetz Festnetz Festnetz Festnetz Festnetz/ Festnetz


Post Post Post Mobilfon
Online Online Face-to-
Face-
Interview

Antwortrate 48 % 56 % / 68 % 63 % 62 % 50 % 52 % / 57 % 60 %

Messinstrument DSM-IV DSM-IV SOGS* SOGS* DSM-IV DSM-IV SOGS*

Problematisches 0,29 % 0,64 % 0,41 % 0,64 % 0,24 % 0,31 % 0,51 %


Glücksspielen (149 Tsd.) (134 Tsd.) (223 Tsd.) (346 Tsd.) (133 Tsd.) (172 Tsd.) (275 Tsd.)
(% und geschätzte
Anzahl)

Pathologisches 0,20 % 0,56 % 0,19 % 0,45 % 0,31 % 0,35 % 0,49 %


Glücksspielen (103 Tsd.) (300 Tsd.) (104 Tsd.) (241 Tsd.) (172 Tsd.) (193 Tsd.) (265 Tsd.)
(% und geschätzte
Anzahl)

Probl./Path. 0,49 % 1,20 % 0,60 % 1,09 % 0,55 % 0,66 % 1,00 %


Glücksspielen (252 Tsd.) (640 Tsd.) (327 Tsd.) (587 Tsd.) (305 Tsd.) (365 Tsd.) (540 Tsd.)
(% und geschätzte
Anzahl)

Tab. 2.1 (* SOGS = South Oaks Gambling Screen)


25
Diese Untersuchungen sind aufgrund methodischer Einschränkungen (Definition
der Glücksspielarten, Länge des Fragebogens, Art der Befragung, geringe Aus-
schöpfungsquote, geringe Fallzahl entdeckter pathologischer Glücksspieler und
der eingeschränkten Repräsentativität) hinsichtlich der Anzahl pathologischer
Glücksspieler und deren Verteilung auf die verschiedenen Glücksspielarten nicht
sicher interpretierbar.
Unter diesen Untersuchungen besitzt die PAGE-Studie (Meyer et al., 2011) die
größte Aussagekraft, da sie, im Gegensatz zu den anderen Studien, die problema-
tischen und pathologischen Glücksspieler im Face-to-Face-Interview befragt hat.
Dabei wurde eine repräsentative Zufallsauswahl der 14- bis 65-Jährigen mit Fest-
netz- oder Mobiltelefonanschluss (N = 15.023) hinsichtlich der DSM-IV-Kriterien
mittels der Glücksspiel-Sektion des international standardisierten Interviews CIDI
befragt. Die diagnostizierten, problematischen (drei oder vier Kriterien) und pa-
thologischen Glücksspieler (fünf und mehr Kriterien) wurden in direktem Kontakt
klinisch interviewt.
Die Lebenszeitprävalenz des Pathologischen Glücksspielens beträgt laut PAGE-
Studie 1,0 % (95 %-KI: 0,7 % – 1,4 %), was 116 identifizierten Personen entspricht.
Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind dies geschätzte 531.490 Personen (95 %
-KI: 412.390 – 650.589). Die Lebenszeitprävalenz des problematischen Glücksspie-
lens beträgt 1,4 % (95 %-KI: 1,1 % – 1,8 %), was 191 identifizierten Personen ent-
spricht. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung sind dies geschätzte 776.069
Personen (95 %-KI: 632.070 – 920.069).
Die 12-Monatsprävalenz des Pathologischen Glücksspielens beträgt laut selbiger
Studie 0,35 % (95 %-KI: 0,2 % – 0,5 %), was 43 identifizierten Personen entspricht.
Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind dies geschätzte 193.028 Personen (95 %
-KI: 117.797 – 268.259). Die 12-Monats-Prävalenz des problematischen Glücksspie-
lens beträgt 0,31 % (95 %-KI: 0,2 % – 0,4 %), was 43 identifizierten Personen ent-
spricht. Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind dies geschätzte 172.015 Personen
(95 %-KI: 118.760 – 225.270).

2.1.2 Behandlungsprävalenz
Hochgerechnet auf die 1.320 bundesweiten Suchtberatungsstellen und Suchtam-
bulanzen zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Behandlungsprävalenzen von 5.300
pathologischen Glücksspielern im Jahr 1997 auf 15.800 in 2010. Insbesondere
seit 2008 zeigt sich eine überproportionale Steigerung, was u. a. auf die Novellie-
rung der Spielverordnung (SpielV) im Jahr 2006 (Einführung neuer Spielformen,
26
erhöhte Gerätedichte, Reduzierung der Spieldauer, Erhöhung der Gewinn- und
Verlustmöglichkeiten) mit entsprechend steigenden Umsätzen im Bereich der
gewerblichen Geldspielautomaten zurückzuführen ist. Weiterhin wurden in diesem
Zeitraum die Beratungsangebote für pathologische Glücksspieler bundesweit
erweitert und öffentlichkeitswirksam bekannt gemacht.

Hochgerechnete Behandlungszahlen auf Grundlage der Zugänge von patho­


logischen Glücksspielern in ambulanten Beratungs- und Behandlungszentren
von 2004 bis 2010

16.000

14.000

12.000

10.000

8.000

6.000

4.000

2.000
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Abb. 2.1 (nach Meyer, 2012) Anzahl

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf die stationäre Behandlungsnachfrage
in Kliniken, die ein spezifisches glücksspielerbezogenes Angebot entsprechend
den „Empfehlungen“ aufweisen. So wurden im Jahr 2000 in fünf solcher Einrich-
tungen insgesamt 300 Patienten behandelt, während es im Jahr 2010 in 16 Klini-
ken zusammen 1.843 Behandlungsfälle waren. Auch hier ist eine deutliche Steige-
rung auszumachen, die ebenfalls nach 2008 besonders progressiv ausfällt.
Die genannten absoluten Zahlen von stationären Behandlungen dürften jedoch
höher liegen, da neben diesen spezialisierten Kliniken auch in anderen stationären
Einrichtungen pathologische Glücksspieler mit komorbiden Störungen mitbehan-
delt werden. Die Deutsche Suchthilfestatistik von 2009 (Pfeiffer-Gerschel et al.,
2011) weist für den stationären Bereich 662 pathologische Glücksspieler (2,0 %
aller Behandlungsfälle) aus. Diese Anzahl entspricht den Angaben der im Bundes-
27
verband für Suchtkrankenhilfe (buss) organisierten Kliniken mit insgesamt 1,9 %
bzw. 2,3 % in den Kliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige (Koch, 2011).
Die vorliegenden Zahlen erlauben jedoch keine Hochrechnungen, da die auf die
Behandlung spezialisierten Einrichtungen, insbesondere die psychosomatischen
Kliniken unterrepräsentiert bzw. in der Stichprobe nicht enthalten sind.

Anzahl von behandelten pathologischen Glücksspielern in ausgewählten


stationären Einrichtungen von 1997 bis 2010

2.000

1.800

1.600

1.400

1.200

1.000

800

600

400

200
1997 1999 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Abb. 2.2 (nach Meyer, 2012) Anzahl

Auch im Bereich der ambulanten Psychotherapie findet sich inzwischen eine be-
achtliche Nachfrage. Von Kraus und Mitarbeitern (2011) wurden bezogen auf das
Jahr 2009 insgesamt 726 Psychologische Psychotherapeuten aus Bayern schrift-
lich befragt, von denen 214 geantwortet haben. Basierend auf diesen Daten (N=
214; Ausschöpfungsquote 29,5 %) wiesen hochgerechnet auf die 2.520 Psychologi-
schen Psychotherapeuten in Bayern geschätzte 1.437 Patienten eine Glücksspiel-
problematik auf. Aufgrund dieser Problematik wurden aus dieser Patientengruppe
geschätzte 801 behandelt. Hochgerechnet auf alle bayerischen Psychologischen
Psychotherapeuten wurden 1.425 Patienten wegen bestehender Glücksspielpro-
bleme an weitere Einrichtungen wie Selbsthilfegruppen, Suchtbe-ratungsstellen,
Kliniken oder psychiatrische Fachambulanzen oder Fachärzte überwiesen. Diese
Daten basieren auf einer schmalen Stichprobe, so dass sie lediglich einen Hinwei-
28
scharakter auf tatsächliche Glücksspielproblematiken bei den Patienten besitzen.
Verlaufsdaten liegen für diesen Bereich nicht vor.
Bei den Behandlungszahlen ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Anteil
pathologischer Glücksspieler im Laufe der Lebensspanne einen Kontakt zum
Hilfesystem aufweist. Nach der repräsentativen PAGE-Studie (Meyer et al., 2011)
haben lediglich 23,1 % jemals im Leben mit einem Arzt oder anderen Fachperso­
nen über ihr Glücksspielproblem gesprochen und/oder eine Selbsthilfegruppe
aufgesucht. Laging (2009) analysiert die Literatur unter dem Gesichtspunkt mögli-
cher Barrieren, die eine Kontaktaufnahme zu Hilfspersonen oder -institutionen
verhindern. Sie resümiert, dass Stolz, Scham, der feste Wille, sein Problem selbst
lösen zu wollen, der Wunsch, unentdeckt zu bleiben, fehlendes Problembewusst-
sein und die Unkenntnis von Behandlungsmöglichkeiten von entscheidender Be-
deutung sind.

2.2 Bevorzugtes Glücksspiel


Seit Ende der 1970er Jahre wurde der lediglich dem Gewerberecht unterliegende
„Unterhaltungsautomat mit Gewinnmöglichkeit" zum zentralen Glücksspielme-
dium, das mit einem stark erhöhten Risiko, eine Glücksspielsucht zu entwickeln,
verbunden ist. Aus den „Groschengräbern“ der früheren Jahre waren durch Ein-
führung neuer Spielsysteme („Risikoleiter“ nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip)
Glücksspielgeräte geworden. Als Folge davon dominiert seit Mitte der 1980er
Jahre der junge männliche Geldautomatenspieler die Behandlungsnachfrage. Zu
Behandlungsbeginn zeigen sie erhebliche Auffälligkeiten wie hohe Verschuldung,
erhöhte Suizidtendenz und häufige Delinquenz. Bei einer beträchtlichen Teilgrup-
pe besteht zusätzlich eine stoffgebundene Abhängigkeit (vgl. Kapitel 2.4).
Eine Bestätigung findet dieser Befund durch die aktuelle epidemiologische Unter-
suchung PAGE (Meyer et al., 2011), in der das Risiko, ein problematisches oder
süchtiges Glücksspielverhalten in Abhängigkeit von der Glücksspielform zu entwi-
ckeln, erhoben wurde. Unter Berücksichtigung der Nutzung mehrerer Glücks-
spielformen war dieses Risiko bei gewerblichen Geldspielgeräten am höchsten
(6,3-faches Risiko). Mit ebenfalls stark erhöhtem Risiko ist die Teilnahme an den
unter Jugendlichen immer stärker verbreiteten Glücksspielformen (Online-)Po-
kern (5,0-faches Risiko) und (Online-)Sportwetten (4,7-faches Risiko) verbunden.
Danach folgt das Kleine Spiel im Kasino mit einem 4,1-fach erhöhten Risiko. Die
übrigen Glücksspielangebote erweisen sich im multivariaten Vergleich als unbe-
deutsam. Die letzte Bevölkerungsbefragung der Bundeszentrale für gesundheitli-
che Aufklärung (2012) kommt mit anderer Methodik (vgl. Tabelle 2.1) bei den ver-
gleichbar erfassten Glücksspielformen der gewerblichen Geldspielgeräte auf eine
29
5,9-fache und, bezogen auf das kleine Spiel im Kasino, auf eine 8,5-fache Risiko-
schätzung mit einem großen Vertrauensintervall (3,5 – 10,1 bzw. 4,0 – 18,3).

2.3 Soziodemographie
Für Pathologisches Glücksspielen beträgt die Lebenszeitprävalenz 1,7 % für
Männer und 0,2 % für Frauen und die entsprechende 12-Monatsprävalenz 0,6 %
für Männer und 0,1 % für Frauen. Für ein problematisches Glücksspielverhalten
beträgt die Lebenszeitprävalenz für Männer 2,3 % und für Frauen 0,5 %, die ent-
sprechende 12-Monatsprävalenz beträgt bei Männern 0,5 % und bei Frauen 0,2 %.
Bezogen auf das Geschlecht bestätigen die epidemiologischen Befunde von Meyer
und Mitarbeitern (2011) die langjährig bekannte Dominanz von Männern in der
Beratungs- und Behandlungspraxis.
Die Rate problematischer und pathologischer Glücksspieler ist stark altersab-
hängig. Die Hauptrisikogruppe sind die 14- bis 30-Jährigen. Besonders gravie-
rend ist die um 50 % erhöhte Lebenszeitprävalenz der 14- bis 17-Jährigen (1,5 %
gegen­über 1 % bei den Erwachsenen). Dieser Befund ist umso bedenkenswerter,
da Minderjährigen per Gesetz die Teilnahme an Glücksspielen verboten ist. Die
bevorzugten Glücksspiele Jugendlicher sind vor allem Sofortlotterien/Rubbellose,
gewerbliche Geldspielautomaten in Gaststätten sowie (Online-)Pokern und (On-
line-)Sportwetten. Bei diesen Angeboten hat der Jugendschutz offensichtlich ver-
sagt. Aus entwicklungspsychopathologischer Sicht sollte vor dem 18. Lebensjahr
jedoch keine Erwachsenendiagnose gestellt werden. Es empfiehlt sich, in dieser
Lebensspanne ein problematisches und nicht ein pathologisches Glücksspielver-
halten zu diagnostizieren. Störungen im Kindes- und Jugendalter können auch
Verstärkungen normaler Entwicklungstrends sein und werden mehrheitlich bis
zum Erwachsenenalter überwunden. Aus suchtpräventiver Sicht ist zu bedenken,
dass ein früher Einstieg – auch beim Glücksspielen – einen Risikofaktor für die
Ausbildung einer Glücksspielsucht im Erwachsenenalter darstellt. Bezogen auf
die Lebensspanne zeigen 0,3 % der 48- bis 64-Jährigen im Vergleich zu 1,0 % der
Gesamtstichprobe der 14- bis 64-Jährigen ein pathologisches Glücksspielverhal-
ten. In Bezug auf die 12-Monatsprävalenz sind es mit 0,04 % im Vergleich mit der
Gesamtstichprobe (0,3 %) ebenfalls deutlich weniger. Die Glücksspielsucht kommt
danach bei älteren Menschen eher selten vor.
Neben dem Geschlecht und dem Alter besteht ein Zusammenhang des problema-
tischen und pathologischen Glücksspielens mit weiteren soziodemographischen
Merkmalen. Eine erhöhte Glücksspielproblematik ist im Kontext geringerer Schul-
bildung, Arbeitslosigkeit und bei Vorliegen eines Migrationshintergrundes belegt
(Meyer et al., 2011).
30
2.4 Komorbide Störungen
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung findet sich bei problematischem und in
noch stärkerem Maße bei pathologischem Glücksspielen eine extreme Erhöhung
komorbider Störungen (Meyer et al., 2011). Bei pathologischen Glücksspielern
findet sich bei 71,1 % (ohne stoffgebundene Suchtdiagnosen) eine psychische Stö-
rung im Vergleich zu 16,1 % der Allgemeinbevölkerung, bei Einschluss von Sucht-
diagnosen bei 95,4 % eine komorbide Störung im Vergleich zu 35,7 % in der Allge-
meinbevölkerung. Bei problematischem Glücksspielen betragen die entsprechen-
den Prozentsätze 53,3 % (ohne Suchtdiagnosen) und 78,0 % einschließlich Suchtdi-
agnosen. Am häufigsten sind affektive Störungen mit einem 3,8-fach erhöhten
Erkrankungsrisiko gegenüber der Bevölkerung, stoffgebundene Suchtstörungen
(inklusive Tabak) mit 3,5-fach und Angststörungen (inklusive Posttraumatischer
Belastungsstörungen) mit 3,2-fach erhöhtem Erkrankungsrisiko. Bei pathologi-
schen Glücksspielern besteht bei 63,1 % eine affektive Störung, bei 44,3 % eine
Substanzabhängigkeit (exklusive Tabak) und bei 37,1 % eine Angststörung (inklu-
sive posttraumatischer Belastungsstörung), bei problematischen Glücksspielern
entsprechend 44,0 %, 31,3 % und 24,7 %. Somit bestätigt sich die hohe Komorbidi-
tätsrate bei behandelten Glücksspielern (Premper, 2006) auch für die mehrheitlich
nicht behandelten pathologischen Glücksspieler in der Bevölkerung. Die erfasste
hohe Komorbiditätsrate von pathologischen Glücksspielern in der Bevölkerung
stellt – im Vergleich zu Selbstauskünften mittels Fragebogen – wahrscheinlich
keine Überschätzung dar, da die Störungen im direkten klinischen Interview von
geschulten Befragern diagnostiziert wurden.

2.5 Verlauf
Pathologisches Glücksspielen beginnt bei Männern typischerweise in der Adoles­
zenz, während der Einstieg bei Frauen (vgl. Kapitel 6.1) eher im mittleren Lebens-
abschnitt liegt. Custer und Milt (1985) beschreiben die typische Karriere eines
Glücksspielsüchtigen als Phasenabfolge, wie dies Elvin Morton Jellinek (1960)
beim Alkoholismus getan hatte. Eine anfängliche Gewinnerfahrung („big win“)
kann zum Auslöser einer steigenden Glücksspielaktivität werden. In der Regel
ist die anfängliche Entwicklung schleichend. Belastende, selbstwertbedrohliche
Lebensereignisse, insbesondere wenn sie mit neuen Verantwortungen (feste
Bindungen, Schwangerschaft der Partnerin, beruflicher Aufstieg u. a.) verbunden
sind, können zu einer episodischen Steigerung des Problemverhaltens führen. Die
Übernahme einer glücksspielbedingten Verschuldung durch das familiäre Unter-
stützungssystem bei gleichzeitigem Versprechen der Einstellung des Glücksspie-
lens durch den Glücksspieler („bail-out“) kann das weitere Glücksspielverhalten
forcieren.
31
Es entsteht eine suchttypische Eigendynamik, die von dem Versuch bestimmt wird,
bestehende Verluste durch erhöhte Wetteinsätze auszugleichen („chasing“), wobei
die realen Konsequenzen des Glücksspielverhaltens ausgeblendet werden, was
bei gleichzeitig verstärkter Bindung an das Glücksspielen zu einer zunehmenden
Einschränkung bestehender Wahlmöglichkeiten führt. Das Konstrukt „chasing“
wurde von Lesieur (1979) als ein spiralförmig verlaufender Prozess einer zu-
nehmenden Bindung an das Glücksspielverhalten bei gleichzeitig abnehmenden
Entscheidungsmöglichkeiten für Alternativen beschrieben. Der Glücksspieler
versucht, dem „Fast-Gewinn“ stets hinterherzujagen. Es erstaunt, dass es bisher
nur eine einzige (experimentelle) Untersuchung zu dieser Thematik gibt, nach der
im­pulsivere Glücksspieler eine stärkere Tendenz zum Chasing-Verhalten zeigen
(Breen, Zuckerman, 1999).
Mit fortschreitendem Involviertsein in die Glücksspielaktivität erfolgt als Reaktion
auf diese deviante Tendenz eine zunehmende soziale Ausgrenzung. Aufgrund der
verinnerlichten Ambivalenz gegenüber dem Glücksspielen bilden Schuld- und
Schamgefühle einen weiteren Motor der Suchtentwicklung. Gleichzeitig erfolgt
eine Integration in Subgruppen, die sich durch einen glücksspielspezifischen, auf
die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gerichteten Lebensstil auszeichnen. Dies
kann auch illegale Geldbeschaffungsmethoden umfassen.
Aufgrund von Verleugnungsmechanismen, die der Verarbeitung der zugrunde
liegenden Selbstwertproblematik dienen, kann dieser Kreislauf ohne äußere
Begrenzung schwer gestoppt werden. Eine Motivation zur Veränderung erfolgt
häufig erst nach dem finanziellen Ruin, Verlust der familiären Unterstützung, einer
beruflichen Existenzbedrohung, Straffälligkeit oder aufgrund psychiatrischer Be-
handlungen nach Suizidversuchen.
Dabei wird die bisher empirisch noch nicht untersuchte Annahme zugrunde ge-
legt, dass dieses Störungsbild einen vorhersagbaren Verlauf nimmt und dass
aufeinanderfolgende Phasen durch identifizierbare Symptome abgrenzbar sind.
Die empirische Evidenz spricht gegen diese Modellvorstellung. Von Toneatto und
Nett (2006) werden die Befunde zur „Selbstheilung“ bei Glücksspielsüchtigen
zusammengetragen. Danach sind Prozesse der Selbstheilung als Alternative zur
formalen Behandlung eher die Regel als die Ausnahme, da mehr als ein Drittel
der Personen, die im Laufe ihres Lebens einmal ein Glücksspielproblem aufge-
wiesen haben, im Jahr vor ihrer Befragung über keinerlei einschlägige Probleme
berichten.
Die Erfassung der Remission, d. h. das vorübergehende oder dauerhafte Nachlas-
sen der Krankheitssymptome, bei problematischen und pathologischen Glücks-
spielern ist methodisch jedoch nicht einfach. Die Daten der repräsentativen PAGE-
32
Studie (2011) zeigen dazu, dass 36,1 % der über die Lebensspanne pathologischen
Glücksspieler und 19,2 % der problematischen Glücksspieler in den letzten zwölf
Monaten die jeweilige Kriterienanzahl zur Diagnose von fünf und mehr bzw. drei
bis vier nicht mehr erfüllten. Nach dem Abstinenzkriterium waren 31,3 % der über
die Lebensspanne pathologischen Glücksspieler in den letzten zwölf Monaten
durchgehend abstinent. Bei den problematischen Glücksspielern waren es 30,1 %.
Die Besserungsrate (ein bis zehn Spieltage in den letzten zwölf Monaten) lag bei
17,3 % der pathologischen und 21,9 % der problematischen Glücksspieler. Von den
remittierten pathologischen Glücksspielern hatten 80 % keinen Kontakt zu einem
Arzt, Suchttherapeuten oder einer Selbsthilfegruppe.
Nach der Übersicht von Toneatto und Nett (2006) sind die Schwere der Glücks-
spielproblematik und das Ausmaß der Komorbidität mögliche Unterscheidungs-
merkmale bei Glücksspielern, die eine Behandlung aufsuchen bzw. ohne profes-
sionelle Hilfe ihre Glücksspielproblematik überwinden. Die PAGE-Studie (Meyer et
al., 2011) bestätigt dies. Danach zeigt sich ein statistisch positiver Zusammenhang
zwischen der Anzahl der erfüllten DSM-IV-Kriterien und der Wahrscheinlichkeit,
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nach Rumpf (2012) besteht ein positiver Zusam-
men-hang zwischen psychischer Komorbidität, insbesondere Persönlichkeits-
störungen, und einer gehäuften Remission (vorübergehendes oder dauerhaftes
Nachlassen der Glücksspielsymptomatik), die jedoch unabhängig von der Inan-
spruchnahme professioneller Hilfe ist.
Zu den zugrunde liegenden Mechanismen der Selbstheilung verweisen Toneatto
und Nett auf „… eine Krise des Selbstbildes oder der individuellen Überzeugungen,
die mit einer Reihe von negativen Folgen der Spielsucht einhergeht, einen Prozess
der Neubewertung der Rolle des Glücksspiels im Leben der Betroffenen einleitet“
(Toneatto, Nett, 2006, S. 124). Sie betonen als grundlegende Veränderungsstrate-
gie die „… Annahme einer mit dem Glücksspiel nicht verträglichen Lebensführung
…“ (Toneatto, Nett, 2006, S. 125).
Der Verlauf einer Glücksspielerkarriere ist zudem sehr individuell und dabei stark
abhängig vom Einstiegsalter, dem Geschlecht (vgl. Kapitel 7.1), von der ethnischen
Herkunft (vgl. Kapitel 7.2), der bestehenden oder fehlenden Komorbidität sowie
den Veränderungen des kulturhistorischen Kontextes und der sozioökonomischen
Rahmenbedingungen. Das am klassischen Suchtkonzept von Jellinek (1960) ori-
entierte Verlaufskonzept von Custer und Milt zur Glücksspielsucht (1985) muss
deshalb als obsolet bewertet werden.
33
Literatur:
Breen, Robert; Zuckerman, Marvin (1999): Chasing in gambling behavior: Personality and cognitive
derterminants. In: Personality and Individual Differences, 27, 1097-1111.
Bühringer, Gerhard et al. (2007): Pathologisches Glücksspiel in Deutschland: Spiel- und Bevölkerungs­
risiken. In: Sucht, 53 (5), 296-308.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2008): Glücksspielverhalten und problematisches
Glücksspielen in Deutschland 2007: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung. Köln.
Internet: www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/gluecksspiel, Zugriff: 14.02.2012.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2010): Glücksspielverhalten und problematisches
Glücksspielen in Deutschland 2007 und 2009: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung. Köln.
Internet: www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/gluecksspiel, Zugriff: 14.02.2012.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2012): Glücksspielverhalten und problematisches
Glücksspielen in Deutschland 2007, 2009 und 2011: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung. Köln.
Internet: www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/gluecksspiel, Zugriff: 14.02.2012.
Buth, Sven; Stöver, Heino (2008): Glücksspielteilnahme und Glücksspielprobleme in Deutschland:
Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung. In: Suchttherapie, 9 (1), 3-11.
Custer, Robert; Milt, Harry (1985): When luck runs out: Help for compulsive gamblers and their families.
New York: Facts on File Publications.
Jellinek, Elvin Morton (1960): The disease concept of alcoholism. New Brunswick, N.J.: Hillhouse Press.
Koch, Andreas (2011): Verbandsauswertung des „buss”: Basis- und Entlassungsjahrgänge 2005 bis 2010.
In: Konturen, 32 (1), 32-43.
Kraus, Ludwig et al. (2011): Beitrag der Psychologischen Psychotherapeuten zur Behandlung
pathologischer Glücksspieler: Ergebnisse einer Pilotstudie in Bayern.
In: Psychotherapeutenjournal, 10 (2), 152-156.
Laging, Marion (2009): Die Inanspruchnahme formeller Hilfe durch Menschen mit problematischem
oder pathologischem Glücksspielverhalten. In: Suchttherapie, 10 (2), 68-74.
Lesieur, Henry R. (1979): The compulsive gambler’s spiral of options and involvement.
In: Psychiatry, 42, 79-87.
Meyer, Christian et al. (2011): Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung,
Komorbidität, Remission und Behandlung. Greifswald. Lübeck. (Unveröffentlichter Forschungsbericht).
Meyer, Gerhard (2012): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich: Pabst.
Pfeiffer-Gerschel, Tim et al. (2011): Deutsche Suchtkrankenhilfestatistik 2009: Ein Überblick der
wichtigsten Ergebnisse. In: Sucht, 57 (6), 421-430.
Premper, Volker (2006): Komorbide psychische Störungen bei Pathologischen Glücksspielern.
Lengerich: Pabst.
Rumpf, Hans-Jürgen (2012): Persönlichkeitsstörungen und Remission bei Pathologischem Glücksspiel
– Befunde der PAGE-Studie. Vortrag auf der Fachtagung „Glücksspielforschung der Bundesländer –
wissenschaftliche Erkenntnisse für Prävention, Hilfe und Politik“ am 2. Februar 2012 in Hamburg.
Sassen, Monika et al. (2011): Gambling among adults in Germany: Prevalence, disorder and risk factors.
In: Sucht, 57 (4), 249-257.
Toneatto, Tony; Nett, Jachen C. (2006): Selbstheilung von problematischem Glücksspiel.
In: Klingemann, Harald; Sobell, Linda Carter (Hrsg.): Selbstheilung von der Sucht.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 121-127.
3 Störungstheorien
34

3.1 Genetik und Neurobiologie (Thomas Brück)


3.1.1 Genetik
Ein familiär gehäuftes Auftreten von Suchterkrankungen ist ein schon lange be-
kanntes Phänomen. Dies gilt sowohl für die Alkoholabhängigkeit als auch für an-
dere stoffgebundene Suchterkrankungen. Auch wird darüber hinaus das Auftreten
verschiedener Süchte innerhalb einer Familie beschrieben. Das bedeutet jedoch
nicht, dass diese Häufung auf rein genetischen, also vererbbaren Faktoren beruht.
Hier spielen bekanntermaßen immer auch Umweltfaktoren und die Bedeutung
von komorbiden Störungen bzw. Persönlichkeitsmerkmalen eine große Rolle.
Untersuchungen zur Bedeutung genetischer Faktoren finden sich zum einen in
Zwillings- und Adoptionsstudien und zum anderen auf der direkten biologisch-
genetischen Ebene in Assoziations- und Kopplungsstudien, in denen spezifische
Gene oder genetische Marker für die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung
untersucht werden können. Hier werden Verbindungen hergestellt zu besonderen
neurobiologischen Auffälligkeiten, beispielsweise hinsichtlich der Wirkung oder
des Abbaus einer Droge. Beim Alkoholismus kann z. B. von einer genetischen
Beteiligung von 40 % bis 60 % ausgegangen werden.
Auch für die Entwicklung der Glücksspielsucht gibt es in einigen Studien deut­liche
Hinweise auf familiäre Häufungen. In Zwillingsstudien (Konkordanzraten) sind
eineiige Zwillinge in bis zu 23 % der Fälle hinsichtlich der Lebenszeitprävalenz
gemeinsam betroffen, zweieiige Zwillinge in etwa 10 % (Eisen et al., 1998).
In Familienstudien sind bis zu 20 % der Verwandten ersten Grades bei Vorliegen
einer Glücksspielsucht ebenfalls von dieser Störung betroffen (Meyer, Bachmann,
2011). Darüber hinaus wurden auch gemeinsame genetische Faktoren mit Alko-
holmissbrauch und Alkoholabhängigkeit gefunden. Auch mit der Disposition zur
Entwicklung von depressiven Störungen gibt es genetische Überlappungen. Mitt-
lerweile weisen aktuellere Daten darauf hin, dass auch für die Entstehung einer
Glücksspielsucht eine genetische Beteiligung von ca. 50 % vorliegt (Meyer, Bach-
mann, 2011). Wahrscheinlich gilt dies für männliche wie weibliche Betroffene
gleichermaßen, obwohl die Befunde hierzu uneinheitlich sind. Die genetische
Beteiligung muss als ein Vulnerabilitätsfaktor für die Entwicklung der Suchter-
35
krankung verstanden werden. Genetische Faktoren beeinflussen in entscheiden-
der Weise die Reaktionen des Menschen auf der neurobiologischen Ebene, also
beispielsweise in der Form, wie bestimmte Neurotransmitter reagieren. Dies hat
wiederum Einfluss auf das Ausmaß der Glücksspielproblematik oder darauf, ob
und wie hoch das Erregungsniveau und die Impulsivität grundsätzlich schon er-
höht sind. Eine zentrale Rolle scheint eine Variante im Dopaminsystem zu spielen,
das sogenannte D2A1-Allel des Dopamin-D2-Rezeptor-Gens. Dieses ist deutlich
vermehrt bei Glücksspielsüchtigen nachweisbar, je nach Ausmaß der Störung. Es
findet sich aber auch bei anderen Suchterkrankungen und allgemein bei impulsi-
vem Verhalten erhöht. Diese Auffälligkeit betrifft demnach das dopaminerge Be-
lohnungssystem (vgl. Mörsen et al., 2011). Genetische Befunde finden sich bei
Glücksspielsucht aber auch im serotonergen und noradrenergen System mit den
entsprechenden neurobiologischen Auswirkungen.

3.1.2 Neurobiologie
Neurobiologische Grundlagen sind bei stoffgebundenen Süchten gut untersucht.
Die Bedeutung des limbischen Systems für die Entstehung und Aufrechterhaltung
des süchtigen Verhaltens ist bekannt. Dem limbischen System werden Bewertun-
gen wie Lustgefühl oder Motivation zugeschrieben, die über Neurotransmitter
vermittelt werden. In weiteren Prozessen kommt es zu Änderungen der synapti­
schen Verschaltungen in der Großhirnrinde. Bei stofflichen Süchten werden unter
anderem direkte und indirekte Auswirkungen der Suchtmittel wie Alkohol, Drogen
oder Nikotin auf bestimmte Neurotransmittersysteme im Gehirn beschrieben. Die
Übertragung dieser Ergebnisse auf die Glücksspielsucht ist aus diesem Grund
zunächst nicht ohne Weiteres möglich. Die Aktivierung körpereigener Botenstoffe
durch Glücksspielen oder vergleichbare Tätigkeiten kann mit der teilweise extre-
men Beeinflussung der Transmitter durch eine Droge nicht gleichgesetzt werden.
Dennoch konnten in den bislang veröffentlichten Studien Parallelen zu stoffgebun-
denen Suchterkrankungen gefunden werden, wenn auch die Ergebnisse teilweise
uneinheitlich sind. Ähnlichkeiten beziehen sich auf Dysfunktionen in Transmitter-
systemen, die die Entstehung einer Glücksspielproblematik im Sinne einer erhöh-
ten Vulnerabilität begünstigen, oder aber auch zur Aufrechterhaltung des süchti-
gen Verhaltens beitragen (Brewer et al., 2007; Böning, Grüsser-Sinopoli, 2009).
Im besonderen Fokus der Studien steht das Dopaminsystem. Es wird eine Störung
im dopaminergen Belohnungssystem postuliert, welche wie oben beschrieben
eine genetische Disposition darstellen kann. Es besteht aus verzweigten Neuro-
nenverbindungen, die das Verhalten entscheidend beeinflussen, wobei es insbe-
sondere bei der Verarbeitung natürlicher Belohnungsereignisse aktiviert wird.
Das mesolimbische dopaminerge System umfasst verschiedene Hirnareale, unter
36
anderem den Nucleus accumbens, die Amygdala und den frontalen Kortex. Das
Belohnungssystem ist für die Regulierung von Emotionen und Antrieb sowie ins-
besondere für Befindlichkeitsverstärkungen durch die genannten Suchtmittel und
Suchthandlungen allgemein bedeutsam. Es stellt eine zentrale Schaltstelle zur
Anpassung und Modifikation des menschlichen Verhaltens dar. Auch Neugierde
und Risikoverhalten sind mit dem dopaminergen System assoziiert. Dopamin als
körpereigener Stoff gilt allerdings nicht als der „Belohnungsstoff“ im eigentlichen
Sinne, sondern bewirkt die Verknüpfung des Gefühls von Lust oder Belohnung
und bestimmten Ereignissen. Befunde der bildgebenden Diagnostik (z. B. unter
Einsatz der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT)) weisen bei der
Glücksspielsucht auf eine herabgesetzte Aktivität im Belohnungssystem hin,
auch bei der Präsentation glücksspielassoziierter Reize. In den entsprechenden
Studien (vgl. Mörsen et al., 2011) werden zum Beispiel glücksspielbezogene Er-
wartungen hinsichtlich finanzieller Gewinne bzw. Verluste oder auch auslösende
Reize für Glücksspielverlangen simuliert. Es konnte gezeigt werden, dass stärkere
Reize zur befriedigenden Aktivierung des Belohnungssystems erforderlich sind,
um das Dopamindefizit auszugleichen. Dies betrifft in diesen Fällen glücksspiel-
bezogene Reize. Gleichzeitig gibt es Hinweise auf eine verminderte Aktivierung
bestimmter Hirnregionen bei Verlusterlebnissen, was auf eine verminderte „Be-
strafungsreaktion“ in der Verhaltensmodifikation hindeutet. Der grundsätzliche
Mangel an dopaminvermitteltem Belohnungserleben geht demnach mit dem oft
von pathologischen Glücksspielern benannten Gefühlen wie Langeweile, Reizbar-
keit oder Stressempfinden einher, was zu der Ausrichtung ihres Verhaltens zur
Belohnungsaktivierung führt. In Untersuchungen konnte dabei unter anderem
gezeigt werden, dass die Höhe der Gewinnaussichten beim Glücksspielen mit
der Aktivierung des dopaminergen Systems korreliert. Auf dieser Ebene findet im
verhaltenspsychologischen Sinne eine operante Konditionierung statt, sodass eine
Wiederholung dieses Belohnungsverhaltens gebahnt wird. Dieses Phänomen wird
als Cue-Reaktivität, d. h. eine erhöhte Empfänglichkeit für suchtspezifische Reize,
bezeichnet. Es entsteht also eine zunehmende Sensitivierung für belohnungsan­
zeigende Reize. Im Verlauf der Entwicklung einer Abhängigkeit wird, wie bei den
stoffgebundenen Süchten auch, ein sogenanntes Belohnungs- bzw. Suchtgedächt-
nis entwickelt.
Gleichzeitig konnten in bildgebenden Untersuchungen (z. B. fMRT) Minderaktivitäten
im frontalen Kortex im Zusammenhang mit glücksspielassoziierten Reizen bestätigt
werden (Meyer, Bachmann, 2011; Mörsen et al., 2011); dies zeigt parallel zur Subs-
tanzabhängigkeit das Phänomen der gestörten Impulskontrolle, da diese vor allem
im Bereich des frontalen Kortex gesteuert wird. Somit gelingt ein Aufschieben der
Belohnung schlecht und sofortige Belohnungen haben eine hohe Bedeutung.
37
Auch andere Neurotransmitter sind in einigen Untersuchungen als auffällig
beschrieben worden. Vor allem das Serotoninsystem kann betroffen sein. Eine
Verminderung der Serotoninaktivität bedingt eine erhöhte Impulsivität und eine
Störung der Affektregulation, unter anderem im Hinblick auf eine erhöhte Depres-
sivität. Der Mangel an Impulskontrolle dürfte mit dem Anstoß zum Glücksspiel-
verhalten und der Enthemmung während des Glücksspielens assoziiert sein. Die
hohe Impulsivität steht unter anderem auch im Zusammenhang mit Untersuchun-
gen zur Neurobiologie von sogenannten Entscheidungsprozessen. Pathologische
Glücksspieler lassen diesbezüglich typischerweise negative Konsequenzen außer
Acht und treffen überstürzte Entscheidungen ohne Risikoabwägung. Sofortige
Belohnungen – auch wenn sie kleiner sind – werden gegenüber längerfristig aus-
stehenden Belohnungen bevorzugt. Auch können höhere Aktivitäten im Nor-adre-
nalinsystem bei pathologischen Glücksspielern mit einer Störung der Affekte und
der Aufmerksamkeit assoziiert sein, vor allem im Sinne von physiologischen Zu-
ständen wie Erregung oder Spannung beim Glücksspielen. Die bei pathologischen
Glücksspielern erhöhten peripheren Noradrenalinwerte weisen zudem auf eine
erhöhte Stressreaktion hin. Das körpereigene Opioidsystem (Endorphine) steht in
engem Zusammenhang mit dem oben geschilderten dopaminergen Belohnungs-
system. Endorphine gelten als eigentliche körpereigene „Belohnungsstoffe“ und
werden in Verbindung gebracht mit dem „craving“ bzw. dem positiven Gefühl, das
durch den „Gewinn“ im Spiel vermittelt wird. Die Bedeutung des Glutamatsystems
u. a. im Hinblick auf die Entwicklung des „Suchtgedächtnisses“ ist hinsichtlich des
Glücksspielens bislang noch nicht sicher zu benennen.
Zusammenfassend konnten bislang auf neurobiologischer Ebene prädisponie-
rende Faktoren identifiziert werden, die zu einer erhöhten Vulnerabilität zur Ent-
wicklung eines pathologischen Glücksspielens beitragen können. Insbesondere
handelt es sich hier um eine Dysfunktion im Belohnungssystem in Verbindung mit
einer verminderten Impulskontrolle bzw. einer erhöhten Depressivität. Ähnliche
Risikofaktoren finden sich jedoch auch bei substanzbezogenen Süchten. Weitere
neurobiologische Befunde sprechen für eine besondere Aktivierung weiterer Neu-
rotransmitter und vernetzter neuronaler Strukturen, die im Sinne von „Teufelskrei-
sen“ das süchtige Verhalten aufrechterhalten. Somit werden die Zusammenhänge
zwischen Motivation, Affektregulation und Impulskontrolle deutlich. Dennoch soll-
te bezüglich der neurobiologischen Forschung kritisch angemerkt werden, dass
zumeist versucht wird, komplexe psychische Prozesse auf einzelne, umschriebene
Hirnareale zu beziehen. Dies scheint jedoch unzulässig, da es sich bei den be-
schriebenen Funktionen auf der Gehirnebene vielmehr um sehr komplexe Netz-
werke mit sich gegenseitig regulierenden Prozessen handelt (Tretter, 2012).
38
3.2 Psychologische Ursachenmodelle
Zur Erklärung des pathologischen Glücksspielens liegt keine einheitliche Stö-
rungstheorie vor. Alternative Modellvorstellungen betonen (noch einseitig) einzelne
Aspekte des Störungsbildes. Geordnet nach der Entstehungsgeschichte sind das
entwicklungspsychopathologische, suchttheoretische und kognitive Modell die
wichtigsten Ansätze. Neuere integrative Ansätze können lediglich als abstrakte
Übersichts- und Orientierungsschemata angesehen werden. Ein klinisches Vulne-
rabilitätsmodell bedarf der weiteren empirischen Validierung.

3.2.1 Entwicklungspsychopathologie
Die innerhalb der traditionellen Psychiatrie vertretene Unheilbarkeit der Glücks-
spielsucht wurde zuerst von der klassischen Psychoanalyse infrage gestellt. Es
bestand jedoch eine deutliche Skepsis bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten
fort, da es sich nach psychoanalytischer Auffassung bei der Glücksspielsucht um
eine frühe Störung handelt, die mit Einschränkungen der Ich-Funktionen verbun-
den ist und aufgrund einer korrespondierenden Störung der Lust-Unlust-Regula-
tion eine geringe Veränderungsmotivation angenommen wird.
Die psychoanalytischen Konzepte über die Glücksspielsucht spiegeln von ihren
Anfängen bis heute die theoretische Weiterentwicklung der Psychoanalyse wider.
Ursprünglich waren dies triebtheoretische Vorstellungen, wonach es sich um
eine Regression auf frühe Stufen der Libidoentwicklung handelt, während aktuell
objektpsychologische Annahmen, die das pathologische Glücksspielverhalten als
Selbstheilungsversuch vor dem Hintergrund einer narzisstischen Persönlichkeits-
störung ansehen, vertreten werden. Danach dient das Glücksspielverhalten dazu,
Ich-Defizite, die aus der Frustration des frühkindlichen Bedürfnisses nach elterli-
cher Zuwendung entstanden sind, zu bewältigen, was jedoch zu einer Störung der
Affektregulation und damit süchtigen Impulshandlungen führt.
Am bekanntesten ist der Interpretationsversuch des amerikanischen Psychiaters
Bergler, der sich auf die Behandlung von mehr als 60 pathologischen Glücksspie-
lern bezieht (Bergler, 1957). Anhand dieser Stichprobe von Karten- und Würfel-
spielern, Roulettespielern, Pferdewettern und Börsenspielern beschreibt er alle
charakteristischen Merkmale des pathologischen Glücksspielens. Unter Abgren-
zung von unproblematischen Formen des Glücksspielens charakterisiert er die
Zuspitzung des Glücksspielverhaltens als nicht mehr überwindbare Teufelskreise,
die am Ende alle Lebensbereiche zerstörerisch erfassen.
39
Im Mittelpunkt stehen:
▶ die ausgeprägte Selbstwertproblematik mit einer nach außen gerichteten
Fassade von Pseudoaggressivität,
▶ der beim Glücksspielen erlebte lustvoll-schmerzhafte Erregungszustand,
▶ die Rationalisierungsversuche und magischen Denkweisen als Reaktion
auf negative Konsequenzen des Glücksspielens,
▶ die ausgeprägten Allmachts- und Gewinnfantasien, verbunden mit einer
sozialen Vereinsamung und Entfremdung,
▶ die herausragende Bedeutung des Geldes für das Selbstwertgefühl sowie
▶ das gleichzeitige Auftreten affektiver und sexueller Störungen oder stoff­
gebundener Süchte.
Er beschreibt die tragikomische Entwicklung des pathologischen Glücksspielers
als ein Verlustgeschäft, in dessen Verlauf aus dem großen Gewinner ein armseli-
ger Einfaltspinsel wird.
Bergler führt den negativen Entwicklungsverlauf und die vielfältigen Facetten der
Glücksspielproblematik auf einen „psychischen Masochismus" als Kernursache
zurück. Dem pathologischen Glücksspieler ist es in seiner Entwicklung nicht
gelungen, seine reale Begrenztheit anzuerkennen, sodass unbewusste Größen-
fantasien fortbestehen. Aufgrund der damit verbundenen Aggressionen gegen
die Eltern mit daraus resultierenden Schuldgefühlen besteht eine Tendenz zur
Selbstbestrafung in Form des unbewussten Wunsches nach Verlust. Der lustvoll­
schmerzhaft erlebte Erregungszustand beim Glücksspielen erklärt sich aus
den lustvoll erlebten aggressiven Größenfantasien auf der einen Seite und der
schmerzhaften Erwartung einer gerechten Bestrafung auf der anderen Seite.
Bei diesen Annahmen handelt es sich um eine Überinterpretation, die versucht,
alle äußeren Erscheinungsformen eindimensional auf eine psychische Tiefen-
struktur zurückzuführen, wobei die bewussten Motive wie das Streben nach Erfolg
und Gewinn, die Vertreibung von Langeweile, die Bewältigung negativer Gefühle
sowie verzerrte Denkmuster und defensive Verhaltensstrategien allein als Symp­
tome eines unbewussten Strebens nach Bestrafung und Verlust begriffen werden.
Im Falle Berglers werden die Fallgeschichten entsprechend immer wieder in Form
glaubwürdiger Geschichten über den „unbewussten Wunsch zum Verlieren" prä-
sentiert, so als handele es sich um ein tatsächliches Geschehen, an dessen Wahr-
heitsgehalt nicht zu zweifeln sei.
40
Eine klinische Vergleichsstudie (Petry, 2001) von pathologischen Glücksspielern mit
Alkoholkranken und psychosomatisch Erkrankten belegt zwar die Annahme dieses
tiefenpsychologischen Modells, wonach behandelte Glücksspieler im Vergleich mit
den Alkoholkranken und psychosomatisch Erkrankten die schwerste psychische
Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit und die niedrigste Vehaltenskontrolle
aufweisen. In Bezug auf die Selbstwertstörung als ein Aspekt der psychischen
Gesundheit lassen sich zwar pathologische Glücksspieler von einer normalen
Kontrollgruppe, nicht jedoch von einer klinischen Vergleichsgruppe von Alkohol­
kranken abgrenzen (Vierhaus et al., 2012). Die Selbstwertstörung kann danach
nicht als spezifisch für behandelte pathologische Glücksspieler angesehen wer-
den, sondern scheint auch für andere klinische Gruppen charakteristisch zu sein.
Hinsichtlich der dysfunktionalen Gefühlsregulation und der Beziehungsstörung
als zwei weiteren Aspekten der eingeschränkten seelischen Gesundheit zeigen die
pathologischen Glücksspieler jedoch eine spezifische Vulnerabilität im Vergleich
mit Alkoholkranken (Vierhaus et al., 2012; vgl. Kapitel 3.4.2). Über die dabei ange-
nommenen entwicklungspathologischen Prozesse in der Sozialisation von Glücks-
spielern liegen noch keine Längsschnittstudien vor. Es lässt sich lediglich auf die
häufig gestörten Vaterbeziehungen und vielfältigen Missbrauchserfahrungen (Vo-
gelgesang, 2010) bei pathologischen Glücksspielern im Querschnitt verweisen.

3.2.2 Suchtkonzepte
Klassisches Suchtkonzept:
Das Mitte der 1970er Jahre eingeführte Suchtkonzept (Custer et al., 1975) stellt
eine Übertragung des allgemein bekannten Phasenmodells des Alkoholismus auf
die Problematik des „zwanghaften Glücksspielens" dar. Die bisher umfassendste
Darstellung der auf dieser Grundlage gewonnenen klinischen Erfahrungen und
therapeutischen Grundsätze findet sich in der von Custer und Milt (1985) veröffent-
lichten Monographie „When luck runs out". Bei dem beschriebenen „zwanghaften
Glücksspieler" entwickelt sich im Laufe seiner Glücksspielerkarriere die Unfähig-
keit, den Impuls zum Glücksspielen zu kontrollieren, unabhängig davon, wie zer-
störerisch die Konsequenzen sind. Es besteht ein unwiderstehliches Verlangen, als
unerträglich erlebte Spannungen durch die Aktion des Glücksspielens abzubauen.
Glücksspielen wird zur Hauptaktivität seines Lebens, der Verlauf ist progressiv und
erfasst zunehmend alle Lebensbereiche, was in einem körperlichen, persönlichen,
ethischen und sozialen Niedergang endet. Als wesentliches Glücksspielmotiv wird
das Streben nach Gewinn betrachtet, welches über den materiellen Aspekt hinaus
dem Glücksspieler das Gefühl vermittelt, etwas Besonderes zu sein. Die erste
große Gewinnerfahrung („big win“) wird mit der Zündung einer Rakete verglichen,
die den Glücksspieler von den Gravitationskräften der Vernunft und Realität löst
41
und auf den schwerelosen Flug der Illusion und Fantasie schickt, auf dem es keine
Grenzen des eigenen Tuns gibt. Dies führt zu einer deutlichen Metamorphose, die
zu einer sozialen Desintegration, der Entwicklung psychosomatischer Erkrankun­
gen und zunehmend negativer Gefühle des Misstrauens, der Angst und der Ver-
zweiflung führt, was ganz im Gegensatz zu dem früheren Bild eines freundlichen,
großzügigen und kontaktbereiten Menschen steht. Hinter der bürgerlichen Fassa-
de des Dr. Jekyll verbirgt sich die ganz andere Mr.-Hyde-Persönlichkeit.
Bei der Erklärung der Ursachen des zwanghaften Glücksspielens wird auf die
fehlende und unvollständige Befriedigung frühkindlicher emotionaler Bedürfnisse,
insbesondere im Rahmen einer gestörten Vater-Sohn-Beziehung, als individuelle
Anfälligkeit für ein zwanghaftes Glücksspielverhalten hingewiesen. Im Zentrum
stehen das beziehungsbedingte negative Selbstkonzept und der fehlende Selbst-
wert, was zu einer kompensatorischen Suche nach Anerkennung und Kontrolle im
Sinne Adlers (1974) führt. Als weitere Ursachen werden ein anlagebedingtes star-
kes Bedürfnis nach Erregung mit der Suche nach besonderen Risiken im Leben,
die einstellungsbedingte zentrale Bedeutung des Geldes als Ausdruck von Aner-
kennung und Macht und das Vorherrschen magischer Denkweisen angesehen.
Im Gegensatz zu dem entwicklungspsychopathologischen Ansatz (vgl. Kapitel
3.2.1) konzentriert sich das klassische Suchtkonzept von Custer und Milt (1985)
auf die symptomatische Oberfläche der progressiv und phasenhaft verlaufenden
Suchtdynamik, die bis zu einem Tiefpunkt fortschreitet, woraus sich die Chance
zur Umkehr ergibt.
Kritisch anzumerken ist weiterhin, dass der Rückgriff auf das Kompensations-
prinzip von Adler (1974) lediglich eine deskriptive Hilfsbrücke zwischen der sehr
treffend beschriebenen Selbstwertproblematik des Glücksspielers und seiner
fortschreitenden Verwicklung in das Glücksspielverhalten darstellt. Dies kann
dazu führen, dass der Glücksspieler nicht als verantwortlich handelnde Person,
sondern letztendlich als Opfer einer eindimensional verlaufenden Suchtdynamik
begriffen wird.
In empirischen Untersuchungen bestätigt sich die suchttypische verminderte
Impulskontrolle bei pathologischen Glücksspielern wie bei anderen Suchterkran-
kungen im Sinne einer Orientierung auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung
im Gegensatz zu eher gehemmten psychosomatischen Patienten (Petry, 2001).
Entsprechend finden sich bei pathologischen Glücksspielern Gefühle der Euphorie
bei simulierten Gewinnen sowie eine erhöhte Herzfrequenz in realen Glücks-
spielsituationen auch in Abhängigkeit von der Höhe des Geldeinsatzes und eine
verstärkte Gehirnaktivität im Vergleich zu sozialen Glücksspielern als Hinweise auf
eine suchttypische Gefühlsregulation.
42
Es ist erstaunlich, dass an keiner Stelle auf die Vorarbeiten zur Phasenentwick-
lung des Alkoholismus (Jellinek, 1960) verwiesen wird, obwohl sich das Konzept
daran orientiert, wobei es im Gegensatz zu diesem Vorbild bis heute keiner em-
pirischen Überprüfung unterzogen worden ist. Auf die Befunde zum „Selbstaus-
stieg“, die empirisch gegen eine generell progredient verlaufende Suchtdynamik
sprechen, wurde bereits im Kapitel 2.5 genauer eingegangen. Die Abhängigkeit
der Suchtentwicklung von soziodemographischen Merkmalen in Bezug auf das
Geschlecht und ethnische Herkunft werden noch genauer beschrieben (vgl. Kapi-
tel 7.1 und 7.2).
Aktuelles Verhaltenssuchtkonzept:
Der wissenschaftliche und öffentliche Suchtdiskurs wird derzeit durch das Verhal-
tenssuchtkonzept bestimmt. Dieses Konstrukt bezieht sich auf sogenannte nicht-
stoffgebundene Suchtformen und postuliert, dass die „Verhaltenssüchte“
typische Ähnlichkeiten mit den bekannten stofflichen Suchtformen wie Alko-
hol- und Tabakabhängigkeit sowie diversen Formen der Drogenabhängigkeit
aufweisen. Danach handelt es sich um exzessive Verhaltensmuster, die im Verlauf
durch suchttypische Einschränkungen und gravierende Nachteile gekennzeichnet
sind. Genannt werden die Arbeits-, Kauf-, Sport-, Ess-, Sex-, Glücksspiel- und
neuerdings Computersucht. Thalemann (2009) nennt als Kriterien einer „Verhal-
tenssucht“: Verhaltensexzess, Kontrollverlust, unmittelbare Belohnung, Toleran-
zentwicklung, Wirkungsumkehr, unwiderstehliches Verlangen, Gefühlsregulation,
positive Wirkungserwartung, eingeengtes Verhaltensmuster, gedankliche Be-
schäftigung mit dem Verhaltensexzess, verzerrte Wahrnehmung, Entzugserschei-
nungen, Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen, konditionierte Reaktionen auf
externe und interne Reize sowie Leidensdruck.
Die theoretische Verortung des Verhaltenssuchtkonzeptes erfolgt innerhalb des
organischen Krankheitsmodells des Alkoholismus, der behavioristischen und der
um kognitive Elemente erweiterten sozial-kognitiven Lerntheorie zur Entstehung
und Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens sowie dem Konzept neurobiologi-
scher Korrelate von stoffgebundenen und nichtstoffgebundenen Süchten (Böning,
Grüsser-Sinopoli, 2009).
Der theoretische Bezug zum organischen Krankheitskonzept stützt sich auf die
Arbeiten von Jellinek (1960), der auf dem Hintergrund des psychiatrischen Krank-
heitsmodells zur Trunksucht um die Wende zum 19. Jahrhundert und der späte­ren
Ausformulierung des chronischen Alkoholismus als Krankheitsbild dem orga­
nischen Krankheitskonzept zum Durchbruch verholfen hat. Von Edwards (Edwards,
1986) wurde die deskriptive Verallgemeinerung des sogenannten Abhängigkeits-
43
syndroms formuliert, die als Grundlage für die Operationalisierung stofflicher
Suchtformen und später auch des pathologischen Glücksspielens in den psychiat-
rischen Klassifikationssystemen diente.
Jellinek (1960) grenzt mit dem zentralen Begriff des organisch bedingten „Kon-
trollverlustes“ den Alkoholismus als Erkrankung vom starken Trinken ab. Seine
Begrifflichkeit bezieht sich auf die körperliche Abhängigkeit, d. h. die „Toleranzen-
twicklung“, das „unwiderstehliche Verlangen“ und die „Entzugserscheinungen“.
Von Jellinek wurde das Phasenkonzept des chronischen Verlaufs des Alkoholis-
mus durch Befragung von Mitgliedern der Anonymen Alkoholiker entwickelt, was
zur Konstruktion von Fragebogen führte, die typische Entwicklungsereignisse der
zunehmenden körperlichen Abhängigkeit erfassen. Edwards (1986) beschreibt das
(dimensionale) Alkoholabhängigkeitssyndrom zusätzlich durch die zunehmende
Einengung der Variabilität des (exzessiven) Trinkmusters, die verstärkte kognitive
und behaviorale Ausrichtung der Lebensgestaltung auf das Trinkverhalten und die
Fortsetzung des Trinkens trotz negativer Folgen.
Ein weiterer Bezugspunkt ist die klassische Lerntheorie, nach der sich alle psy­
chischen Prozesse als erlernte Verknüpfungen von Reizen und Reaktionen verste-
hen lassen. Die kognitivistische Erweiterung dieses Ansatzes in der sozial-kogni-
tiven Lerntheorie prägt bis heute das psychologische Denken in weiten Bereichen.
In diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Persönlichkeit um
eine Ansammlung erlernter kognitiver, emotionaler und motorischer Verhaltens-
dispositionen handelt.
Die lerntheoretische Erklärung stoffgebundener Süchte geht davon aus, dass neu-
trale interne oder externe Reize im Laufe der Suchtentwicklung zu konditionierten
Reizen werden, die mit dem Suchtmittel oder dem Suchtverhalten assoziiert sind
und zum Suchtverlangen führen, wodurch das weitere Suchtverhalten ausgelöst
wird. Weiterhin wird angenommen, dass durch eine positive (angenehm sedieren-
der oder stimulierender Effekt des Suchtmittels) oder negative (Reduzierung oder
Vermeidung unangenehmer Zustände durch den Suchtmittelkonsum) Verstärkung
des Suchtverhaltens eine dauerhafte und bei einer intermittierend erfolgten Ver-
stärkung schwer löschbare Verhaltensgewohnheit entsteht. Es verfestigt sich eine
nicht bewusste, automatisierte Emotionsregulation zur Aufrechterhaltung eines
inneren Gleichgewichtszustandes. Der Ansatz wird um kognitive Elemente erwei-
tert, indem auf positive Wirkungserwartungen, kognitive Mechanismen der Af-
fektverarbeitung und -regulation und den Einfluss von dysfunktionalen Grundein-
stellungen bei der Entstehung des Drogenverlangens und der Rückfallauslösung
verwiesen wird. Dieser Erklärungsansatz wird auf die Entstehung und Aufrechter-
haltung von „Verhaltenssüchten“ übertragen (Thalemann, 2009).
44
Das Verhaltenssuchtkonzept stützt sich neuerdings auf die Ergebnisse und Metho­
den der neurobiologischen Forschung und überträgt die Ergebnisse zu neurobiolo­
gischen Korrelaten bei stofflichen Süchten auf den Bereich der „Verhaltenssüchte“.
Das neurobiologische Suchtmodell hat entscheidende Fortschritte gemacht, die
mit der Entdeckung charakteristischer Neurotransmittersysteme für die Wirkungs-
weise psychogener Substanzen, insbesondere durch Aktivierung des sogenann-
ten Belohnungssystems, der Erforschung der Neuroadaption bei fortgesetztem
Drogenkonsum und der Ätiopathogenese des Entzugssyndroms bei Suchtmittel-
abhängigen, der experimentellen Erforschung der drogenassoziierten Reizsensi­
bilisierung und des Drogenverlangens sowie der Gewohnheitsbildung mit einer
herabgesetzten Impulskontrolle bei Suchtkranken in Verbindung stehen.
Inzwischen werden diese Erkenntnisse zunehmend im Bereich der nichtstoffge-
bundenen Süchte nachvollzogen. Böning und Grüsser-Sinopoli (2009) betonen,
dass „im Rahmen eines integrativen Modells zur Entstehung und Aufrechterhal-
tung süchtigen Verhaltens gleichermaßen stoffgebundene wie nichtstoffgebunde-
ne Süchte in denselben zentralnervösen Mechanismen verankert sind“ (S. 45) und
zitieren entsprechende Neuroimaging-Studien zur Glücksspielsucht. Die neuro-
biologische Grundlage für die Glücksspielsucht bildet entsprechend „der Verlust
an neuronaler Plastizität mit der möglichen Konstituierung eines Suchtgedächt-
nisses.“ (Böning, Grüsser-Sinopoli, 2009, S. 53). Dadurch „vermag der für Vernunft
und Handlungsplanung zuständige Präfrontalkortex die tiefen subkortikalen Hirn-
strukturen nicht mehr zu kontrollieren“ (Böning, Grüsser-Sinopoli, 2009, S. 54).
Das Verhaltenssuchtkonzept erweist sich aus wissenschaftstheoretischer Pers-
pektive als ein nicht tragfähiges hypothetisches Konstrukt. Die theoretische Veran-
kerung im organischen Krankheitskonzept der Lerntheorie und der Neurobiologie
enthält grundlegende wissenschaftslogische Fehlschlüsse (Petry, 2010; Tretter,
2012). So beinhaltet die Übertragung der Begrifflichkeit (theoretische Verortung)
und deren Operationalisierung (empirische Verankerung) aus dem Bereich der
stoffgebundenen Süchte auf die sogenannten Verhaltenssüchte einen Kategorien-
fehler im Sinne der analytischen Philosophie (Bieri, 2007). Es werden die theore-
tischen Annahmen und empirischen Befunde zur körperlichen Abhängigkeit wie
z. B. dem Alkoholabhängigkeitssyndrom auf den Bereich der „Verhaltenssüchte“
übertragen. Ein Begriff, der in der Kategorie Körper mit einer spezifischen Ätiopa-
thogenese theoretisch verortet ist und dessen klinisches Bild von internistischen,
neurologischen, vegetativen und psychischen Symptomen und dessen charakteris­
tischer Verlauf mittels medizinisch-psychiatrischer Beobachtung und Messung
empirisch verankert ist, wird auf den Bereich des Psychischen angewandt. So wird
beim Einsatz von Jellinekschen Fragebögen zur Erfassung von „Verhaltenssüch-
45
ten“ statt der genannten körperlichen Entzugserscheinungen das subjektive Erle-
ben der betroffenen Personen im Sinne eines impliziten Krankheitsverständnisses
erhoben. Durch diese Übertragung körperbezogener Begriffe auf den Bereich des
psychischen Erlebens liegt eine Bedeutungsverschiebung vor, da sich der gleiche
Begriff „Entzugserscheinungen“ auf unterschiedliche Sachverhalte bezieht. Ein
nichtstoffgebundener Verhaltensexzess muss wissenschaftslogisch in der theo-
retischen Begrifflichkeit der Psychologie als der Wissenschaft vom menschlichen
Empfinden und Verhalten verortet und mit Methoden der experimentellen und
empirischen Psychologie verankert werden.
Paradoxerweise wird die Entstehung und Aufrechterhaltung von sogenannten
Verhaltenssüchten – die nicht durch organische Substanzen mit psychotroper
Wirkung mitbestimmt sind – vorwiegend auf organische Prozesse zurückgeführt.
Die psychischen und sozialen Determinanten werden sowohl begrifflich nicht aus-
reichend elaboriert als auch empirisch nur eingeschränkt erfasst. Dabei wird das
Pferd von hinten aufgezäumt, indem die nachgeordnete körperliche Abhängigkeit
und deren neurobiologische Korrelate begrifflich ins Zentrum des Konstruktes
gerückt werden, während die für die Entstehung einer Sucht primär ursächlichen
sozialen Lebensbedingungen und die psychischen Anfälligkeiten der betroffenen
Individuen konzeptionell eingeschränkt und nachrangig einfließen. Das Verhal-
tenssuchtkonzept entspricht somit nicht dem allgemein anerkannten biopsycho-
sozialen Krankheitsverständnis, wie es aktuell von West (2010) vertreten wird.
Im Rahmen einer Systemtheorie der Abhängigkeit werden dabei alle empirisch
bekannten körperlichen, psychischen und sozialen Bedingungen als prozesshafte
Suchtentwicklung verstanden.

3.2.3 Kognitive Verzerrungen


Vertreter der kognitiven Perspektive ziehen glücksspielspezifische Verzerrungen
als Erklärung für die zunächst verwunderliche Tatsache heran, dass einige der
regelmäßigen Glücksspieler ihre zunehmend selbstzerstörerische Aktivität auf-
rechterhalten. Hinweise auf irrationale Einstellungen ergeben sich zunächst aus
der Beobachtung, dass abergläubisches Verhalten eng mit Glücksspielaktivitäten
verbunden ist. Die direkte Erfassung dieser Einstellungen erfolgte zunächst mit-
tels Fragebogen, was jedoch, auch aufgrund der nachträglichen Erfassung, zu
keinen Ergebnissen führte. Erst durch den Einsatz der denkpsychologischen Me-
thode des „lauten Denkens“ konnten irrationale Einstellungen bei pathologischen
Glücksspielern genauer untersucht werden. Die gefundenen kognitiven Verzer-
rungsmuster finden sich allerdings genauso bei normalen Glücksspielern, was
für Lotteriespieler auch gut belegt ist.
46
Der kognitive Ansatz beschreibt und untersucht einige zentrale Überzeugungen
von Glücksspielern, deren Richtigkeit die Fortsetzung des Glücksspielens recht-
fertigen würde. Grundlegend ist jedoch, dass diese Überzeugungen in Bezug auf
Zufallsereignisse falsch sind. Sie werden deshalb als „irrational“, „verzerrt“ oder
„fehlerhaft“ bezeichnet. Walker (1992) benennt in seiner Monographie drei zentrale
Überzeugungen („core beliefs“) bei Glücksspielern: „Durch Ausdauer, Wissen und
Können lässt sich mit Glücksspielen Geld verdienen!“, „Trotz der Verluste anderer
Glücksspieler kann man selbst beim Glücksspielen gewinnen!“ und „Ein dauerhaft
engagiertes Glücksspielen wird letztendlich belohnt werden!“ (eigene Übersetzung).
Darüber hinaus werden verschiedene Einzelmechanismen bei pathologischen
Glücksspielern im Allgemeinen und im Speziellen aufgrund der Beobachtung von
Geldautomatenspielern, Kasinospielern, legalen/illegalen Karten- und Würfelspie-
lern, Lotteriespielern, Sportwettern und Börsenspielern konstatiert.
Die Anwendung des Konzeptes der Kontrollillusion („illusion of control“) auf das
Glücksspielverhalten geht auf eine experimentelle typische Versuchsanordnung
zurück (Langer, 1975), in der die Versuchspersonen Lose einer Lotterie mit einem
Hauptgewinn erwerben, wobei in einer Versuchsbedingung das Los selbst gezo-
gen werden kann, während es unter einer anderen Bedingung zugeteilt wird. Alle
Teilnehmer werden gefragt, zu welchem Preis sie ihr Los an eine andere Person
verkaufen würden. Aus dem Ergebnis, dass Versuchspersonen, die das Los selbst
gezogen haben, einen höheren Verkaufspreis verlangen, wird geschlossen, dass
aufgrund der Wahlfreiheit das Ausmaß der erlebten Kontrolle größer ist. Neben
der Wahlfreiheit erhöht die Vertrautheit mit der Aufgabe und das Ausmaß der
Eigenaktivität die Kontrollillusion. Dies wird von den Glücksspielanbietern genutzt,
indem z.B. der Geldautomatenspieler Tasten drücken kann, die keinen wirklichen
Einfluss auf den Gewinn oder Verlust haben.
Beim Spielerirrtum („gamblers fallacy“), auch Monte-Carlo-Effekt genannt, wird
von der Häufigkeit vorangehender Spielausgänge fälschlicherweise auf die Wahr-
scheinlichkeit der Folgeereignisse geschlossen, z. B. fällt es schwer, nach wie-
derholtem „schwarz“ nicht zu glauben, dass damit „rot“ wahrscheinlicher werde.
Diese Fehlinterpretation wird beim Roulettespiel durch die Anzeige der sogenann-
ten Permanenzen (Reihe der bereits eingetroffenen Zahlenfolge) sowohl direkt
am Roulettetisch als auch im Internet forciert. Als weitere kognitive Verzerrungen
bestehen Fehlinterpretationen („erroneous perceptions“), die sich auf unrealisti-
sche Wahrnehmungen der real gegebenen Gewinnwahrscheinlichkeit beziehen.
Ein Beispiel ist das Lotto, bei dem es sich, trotz seiner Beliebtheit, um ein sehr
schlechtes Angebot handelt (98 % Totalverluste, zwischen 40 % und 60 % variable
und relativ geringe Auszahlungsquote von durchschnittlich 50 % und extrem gerin-
47
ge Gewinnwahrscheinlichkeit der ersten Gewinnklasse von 1 : 14 Mio., einschließ-
lich der Gefahr einer starken Gewinnteilung mit anderen Teilnehmern bei häufig
gewählten Zahlenreihen).
Am Samstag, den 26. November 2011 hatten gleich 78 Lottospieler sechs Richtige.
Sie staunten dann nicht schlecht, als ein mageres Sümmchen von 29.639 Euro zur
Auszahlung kam. Diese Zahlen waren so verlockend, dass sie so oft angekreuzt
wurden: 3 – 13 – 23 – 33 – 38 – 49.
Im Oktober 1997 erhielten 124 Tipper nur 53.982 DM. Sie hatten mit ihren Zahlen
ein U geformt.
Die größte Sechser-Flut gab es im Jahr 1988, als 222 Tipper die Zahlen 24 – 25 – 26
und 30 – 31 – 33 angekreuzt hatten und mit 84.803 DM zufrieden sein mussten.
Viele Tipper bevorzugen Muster, z. B. Sterne, Tannenbäume oder gerade Reihen.
Weiterhin werden die Zahlen bis 31 häufiger getippt. Einfache Erklärung: Oft spie-
len Geburtstage bei der Entscheidung fürs Kreuzchen eine Rolle – und die hören
bei 31 auf. Beliebt sind auch spezielle Zahlenfolgen.
Verzerrte Ergebnisbewertungen („based evaluation of outcome“) beziehen sich auf
die Verarbeitung von Verlusterlebnissen, die zwangsläufig bei häufigem Glücks-
spielen auftreten, indem Gewinne dem eigenen Können und Verluste widrigen
äußeren Umständen angelastet werden. Das Erleben von Beinahetreffern („cogni-
tive regret and near miss“) zeigt, dass eine im Alltag sinnvolle Interpretation („Ich
habe es fast geschafft!“), die Ansporn zu weiteren Anstrengungen sein kann, ein
verlustreiches Glücksspielen festigen kann. Die einschlägigen Geldspielautomaten
sind entsprechend programmiert, indem mehr Beinahetreffer (z. B. zwei von drei
Gewinnsymbolen) auftreten, als dies zufallsbedingt der Fall wäre.
Schließlich lässt sich noch das alltägliche Phänomen der Gefangennahme
(„entrapment“) als Erklärungsmechanismus für die Aufrechterhaltung des ver-
lustreichen Glücksspielverhaltens heranziehen. Man versteht darunter einen Ent-
scheidungsprozess, bei dem es zu einem Festhalten an einer einmal gewählten,
jedoch gescheiterten Handlungsalternative kommt, um das bereits eingegangene
Engagement zu rechtfertigen. Dieser Mechanismus könnte als Bestandteil der
glücksspielertypischen „Aufholjagd“ angesehen werden.
Es bleibt kritisch zu bedenken, dass bei dem kognitiven Ansatz ein rationalis-
tisches Konzept zugrunde gelegt wird. Bezogen auf die sogenannte Kontrollil-
lusion bedeutet dies, dass das Alltagsverhalten nicht beschrieben und nicht zu
erklären versucht wird, sondern eine zweckrationale Norm (hier die Gesetze der
Wahrscheinlichkeitstheorie) gesetzt und damit das reale Verhalten als Fehler in
48
der Persönlichkeit (hier des Glücksspielers) lokalisiert wird. Die rein rational be-
trachtete negative Bilanz des Glücksspielverhaltens stellt jedoch eine einseitige
Interpretation dar, da der Glücksspieler neben nichtökonomischen Motiven (Erre-
gung, Selbstwertsteigerung, alternative Rollenidentität) eine subjektive Gewinn­
erwartung erleben kann, die zwar nicht der objektiven Realität entspricht, für die
handelnde Person jedoch eine befriedigende Wunschfantasie erfüllen kann. Man
denke an den Lottospieler, der eigentlich weiß, dass er keine realistische Chance
auf den „Sechser“ hat, aber sich dennoch beim Ausfüllen des Lottoscheins dem
Traum nach einem anderen Leben als Millionär hingeben kann, bis die Ziehung der
Gewinnkombination ihn in die Realität zurückholt. Die beobachtbaren kognitiven
Verzerrungsmuster lassen sich als alltagspsychologische Phänomene begreifen.
So ist belegt, dass die experimentell untersuchten „fehlerhaften Gedanken“ auch
bei gelegentlichen Glücksspielern auftreten (Rogers, 1998), sodass diese Bedin-
gung das Spezifische des pathologischen Glücksspielens nicht erklären kann.
Bei den oberflächlich irrational anmutenden Denk- und Verhaltensmustern von
Glücksspielern handelt es sich deshalb nicht einfach um „Kontrollillusionen“ und
abergläubische Rituale, sondern erfahrungsabhängige Bewältigungsmuster bei
Entscheidungen unter Ungewissheit. Es handelt sich um kognitive, emotionale
und motivationale Prozesse, die nicht ahistorisch-abstrakt in Bezug auf einen ma-
thematischen Maßstab (Gesetze der Wahrscheinlichkeitstheorie) bestimmbar sind,
sondern hinsichtlich ihrer (Dys-)Funktionalität im lebenspraktischen Handeln
zu bewerten sind. So lässt sich der für Glücksspieler postulierte „Monte-Carlo-
Irrtum“, also die Tendenz bei häufigem Erfolg von „noir“ auf „rouge“ zu setzen
(Handlungswechsel nach Erfolgen), nicht einfach als Beleg für eine Kontrollillusion
aufgrund der Nichtbeachtung der stochastischen Unabhängigkeit von zufälligen
Einzelereignissen (die Kugel hat bekanntlich kein Gedächtnis) deuten. Ein solches
Verhalten wäre nur in Fähigkeitssituationen irrational, da dort die umgekehrte
Handlungsstrategie (Handlungsfortsetzung bei Erfolg) sinnvoll ist, während in
Zufallssituationen nach dem Gesetz der großen Zahl Serien gleicher Ereignisse ir-
gendwann unterbrochen werden. Es ist nur nicht vorhersehbar, wann dies erfolgt.
Dazu im Widerspruch halten kognitive Verhaltenstherapeuten (Ladouceur, Walker,
1996) daran fest, dass „fehlerhafte Gedanken“ die eigentliche Ursache des „Patho-
logischen Glücksspielens“ seien. Sie wollen den behandlungsbedürftigen Glücks-
spieler zum rationalen Menschen machen, der vernünftiger sein soll als der Durch-
schnittsmensch. Menschliches Verhalten unterliegt jedoch nicht den Gesetzen der
Logik, sondern folgt pragmatischen Alltagsheuristiken, die als evolutionär erworbe-
ne Grundstrukturen unseres Denkapparates das Überleben durch die Bereitstellung
von Reaktionstendenzen sichern, die rasche Entscheidungen im Alltag ermöglichen.
49
3.3 Kulturgeschichte und Gesellschaft
3.3.1 Regulierte Glücksspielangebote
Die Art und die Bedeutung von Angeboten, die zu sozial akzeptierten oder als ab-
weichend definierten Formen des Glücksspielens führen, unterliegen einem kul-
turhistorischen Wandel (Giżycki, Górny, 1970). Dabei lässt sich das Glücksspielen,
auch in exzessiver Art, als ein Wesensmerkmal des Menschen auffassen. Entspre-
chend der gesellschaftlichen Natur des Menschen stellt es den Versuch dar, eine
unbekannte (zufallsbedingte) Anforderung mittels des im Kontext der kooperativen
Weltaneignung entstandenen Kontrollbedürfnisses erforschend zu beherrschen.
Dies geschieht, indem die in den Glücksspielangeboten vergegenständlichten
Besonderheiten des Handelns unter (vollständiger) Ungewissheit und jeweils ge-
gebenen konkret-historischen gesellschaftlichen Bedingungen erworben werden.
Da exzessives Glücksspielverhalten jedoch tendenziell die soziale Gemeinschaft
oder Ordnung bedrohen kann, unterliegt es der sozialen oder gesellschaftlichen
Kontrolle und Regulierung. Dabei besteht häufig ein Widerspruch zwischen einem
strafbewehrten Verbot des Glücksspielens allgemein und der Zulassung einer
begrenzten Anzahl von Glücksspielformen (vgl. Kapitel 1.3).
Ein Beispiel ist das in Deutschland aktuell am meisten verbreitete, aber am we-
nigsten mit Problemen verbundene Lottospiel. Die bisher weitestgehend gelun-
gene Regulierung resultiert aus einer rechtshistorischen Entwicklung (Rembach,
2008), die in der Lottoepidemie zurzeit der deutschen Kleinstaaten des frühen
19. Jahrhunderts wurzelt.
In der sozialgeschichtlichen Studie zu „Lottospiel und Volksmagie" im frühen
19. Jahrhundert (Bönisch, 1994) wird am Beispiel des arbeitslosen Müllergesellen
Ganzenmüller und seiner Verlobten, der Näherin Aichholz, die 1825 wegen Betrü-
gereien und verbotenen Lottospiels vor Gericht standen, das kulturgeschichtliche
Spannungsfeld zwischen Fortbestehen des vorrationalen Weltbildes der Stan-
desgesellschaft und der aufkommenden Moderne des bürgerlichen Zeitalters
mit seinen obrigkeitsstaatlichen Tugendgeboten am Beispiel der Lottokultur be-
schrieben. Für den Müllergesellen und die Näherin existierte ein fester Glaube an
Glück und Zufall als außergesellschaftliche Instanzen, sodass sie sich ganz den
magischen Praktiken zur Ermittlung von vermeintlichen „Glückszahlen" hingaben.
Das weitverbreitete Lottospielen, mit dem die arme Bevölkerungsschicht ihre all-
tägliche Misere zu ertragen versuchte, war zu einem gesellschaftlichen Problem
geworden, dem man zunehmend mit Verboten zu Leibe rückte.
Die darauf folgende, über mehr als ein Jahrhundert anhaltende staatliche Ein-
dämmung des Lottospiels wurde durch neue Lottoprodukte (Systemschein, Rub-
50
bellose, Keno) zunehmend aufgeweicht. Aktuell ist dies durch die Einführung des
„Eurojackpots“, der eine Gewinnhöchstsumme von 90 Mio. Euro vorsieht, erfolgt.
Da sich der „Normalverbraucher“ eine solche Summe kaum noch lebenspraktisch
vorstellen kann, wird dies mit Mentalitätsveränderungen einhergehen, die das
Glücksspielen noch stärker als alltägliches Konsum- und Freizeitverhalten er-
scheinen lassen, sodass der demeritorische Charakter des Glücksspiels verblasst.
Es ist bekannt, dass hohe Lotto-Jackpots zu verstärktem Glücksspielen führen,
insbesondere durch das Anlocken neuer Teilnehmer. In die gleiche Richtung zielt
die erfolgte Einbeziehung des Internets als neuem Vertriebsweg.

3.3.2 Gesellschaftsformation
Zum besseren Verständnis derzeitiger Erscheinungsformen des Glücksspielens
und zur Bewertung aktueller Entwicklungstendenzen ist es sinnvoll, die histo-
rischen Veränderungen des gesellschaftlichen Glücksspielangebotes und der
jeweils verbreiteten sozialen Glücksspielmuster zu betrachten. Dies kann hier
lediglich in einem verkürzten Überblick erfolgen.
Die Zeugnisse früher Hochkulturen lassen vermuten, dass das einfache Würfel-
spiel eines der ältesten Glücksspiele ist. So finden sich antike Spielwürfel, die aus
Sprunggelenkknöcheln bestehen, auf die Punkte oder Symbole eingeritzt sind
(sogenannte Astragale). Diese Würfel dienten der „Befragung“ des Schicksals als
ursprüngliche Glücksspielform:
„Das Glücksspiel … wird geprägt von der Faszination der Magie, der Bezwingung
des Glücks und der Wahrsagung. Magische, religiös anmutende Rituale und irra-
tionale Kontrollüberzeugungen beherrschen und beherrschten in Gegenwart und
Vergangenheit das Glücksspiel, das allein oder ganz überwiegend vom Zufall ab-
hängig ist.“ (Giżycki, Górny, 1970, S. 26).
Aufgrund der gering entwickelten Naturbeherrschung (beginnender Werkzeugge-
brauch) führte die erlebte Ohnmacht der Menschen zu einer weltanschaulichen
Mischung von spontan-materialistischen und mystisch-religiösen Vorstellungen
(Totemismus, Animismus, Fetischismus). Das Glücksspielen hatte entsprechend
die Funktion der kultisch-rituellen und magisch-metaphysischen Lebensbewälti-
gung.
Anthropologisch entspringt das Glücksspielen jedoch nicht dem generellen
Wunsch nach einer übernatürlichen Welterfahrung durch Auslieferung der ei-
genen Existenz an das unberechenbare Schicksal. Die Erscheinungsformen des
Glücksspielens und der Glücksspielsucht zeigen vielmehr einen historisch-gesell-
schaftlichen Wandel in Abhängigkeit von der Gesellschaftsformation.
51
Im Feudalismus mit seiner hierarchischen Unter- und Überordnung (König, Vasal-
len, hörige/leibeigene Bauern) und seiner „gottgewollten“ ständischen Struktur
hatte das „höfische Kartenspiel“ (König, Dame, Bube) als typische Glücksspiel-
form der Herrschenden die Funktion einer Überlegenheitsgeste der herrschenden
Klasse:
„Die äußerst heterogene und in ihrem Bestand dauernden Veränderungen unter-
worfene Sozialgruppe des Adels sah sich permanent der Herausforderung aus-
gesetzt, ihr Selbstverständnis nach den äußeren und inneren Modifikationen der
Ständegesellschaft auszurichten … Das Spiel, zumal das Glücksspiel, wurde zum
unabdingbaren Attribut adeligen Lebensstils … Reichtümer im Rahmen der „Ethik
des ritterlichen Müßigganges“ zu verschwenden und zu zerstören, anstatt sie zu
produzieren.“ (Zollinger, 1997, S. 47).
Im Kapitalismus treten dem Arbeiter sowohl seine Produkte als auch seine Tätig-
keit als etwas Fremdes und Äußerliches gegenüber (Entfremdung). Der Geldspiel-
automat stellt entsprechend die typische Glücksspielform der Lohnabhängigen
und des Prekariats dar. Die Aktivität an den gewerblichen Geldspielautomaten
lässt sich als Arbeitsprozess interpretieren:
„Zocken ist Leistungssport. Der Schweiß perlt von der Stirn. Heißkalte Schauer ja-
gen von den Fußsohlen bis hinauf in die Haarwurzeln. Der Körper ist nun hundert-
prozentig aufs Spielen eingestellt … Konnte ich nicht auch vier, manchmal sogar
sechs Stunden vor mehreren Automaten stehen und regelrecht arbeiten?”
(Schuller, 2008, S. 113).

„Tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken, Berufsspieler zu werden. Denn mein
eigentlicher Job brachte mir außer Ärger kaum mehr etwas ein.”
(Schuller, 2008, S. 306).
Das Geldautomatenspiel fängt in Form der Aufsteigermentalität (vom Tellerwä-
scher zum Millionär) den „Geist des Kapitalismus“ Webers (1920) ein und nimmt
im Sinne der Frankfurter Schule alle Bereiche des Lebens – auch den der
„Freizeit“ – in Beschlag.

3.3.3 Gesellschaftliche Position und Lebenslage


Die beschriebene gesellschaftliche Vermitteltheit des Glücksspielverhaltens, wie
es der „Automaten-Mann“ (so hieß die Erstausgabe des Buches von Schuller aus
dem Jahr 1993) schildert, bedeutet jedoch nicht, dass eine Glücksspielproblematik
unmittelbar durch die Lebensumstände bedingt sein kann, aber auch nicht, dass
ein pathologisches Glücksspielverhalten völlig frei von den gesellschaftlichen
Bedingungen erfolgt. Die personale Handlungsfähigkeit im Sinne der Kritischen
52
Psychologie (Holzkamp, 1983) ist durch die doppelte Möglichkeit der restriktiven
Anpassung an die Bedingungen bestehender Herrschaftsstrukturen versus der
mitmenschlich solidarischen Veränderung gegebener Bedingungen und Verhält-
nisse bestimmt. Menschliches Handeln ist subjektiv begründet, indem die gesell-
schaftlichen Notwendigkeiten lediglich Möglichkeiten darstellen, zu denen sich
der Handelnde bewusst verhalten kann. Das individuelle Verhalten des Glücks-
spielers nimmt für sich die bestehenden Möglichkeiten und Behinderungen des
Handelns subjektiv wahr und macht sie zu individuell akzentuierten Prämissen
seines Tuns in der einen oder anderen Art.
Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen, arbeitsteiligen Lebensgewinnung kann
sich das Individuum jedoch nicht mit der Gesellschaft als ganzer ins Verhältnis
setzen. Sein Handeln wird vielmehr durch seine Position, d. h. seine sozialen Rol-
len, seine Gruppen- und Schichtzugehörigkeit und insbesondere durch seinen
Beruf als notwendige und aufeinander bezogene gesellschaftliche Teilarbeit, be-
stimmt. Noch umfassender wird sein realer Standort und sein unmittelbarer Kon-
takt zum gesellschaftlichen Lebensprozess von seiner Lebenslage bestimmt, die
weitere Bereiche wie seinen Haushalt, seine Familie, seine Liebesbeziehungen,
seine Freizeit und sein soziales Engagement umfasst.
Nach der kritischen Literaturübersicht von Johansson und Mitarbeitern (2009)
sind die soziodemografischen Risikofaktoren für die Entwicklung eines patholo-
gischen Glücksspielverhaltens noch wenig untersucht. Die aussagekräftigste epi-
demiologische Studie von Meyer und Mitarbeitern (2011a) belegt für Deutschland,
dass neben dem Geschlecht (vorwiegend Männer) und dem Alter (vorwiegend Jün-
gere) sowohl ein niedriger Bildungsstatus als auch Arbeitslosigkeit bedeutsame
Risikofaktoren darstellen. Weiterhin besteht bei Migranten ein erhöhtes Erkran-
kungsrisiko. Diese Befunde werden durch Metaanalysen international bestätigt
(Petry, 2005; Whelan et al., 2007). Dabei werden ein geringes Einkommen sowie
Scheidung und Alleinleben als weitere empirisch belegte Risikofaktoren bewertet.
Insbesondere die sozioökonomischen Risikofaktoren müssen als interagierend
betrachtet werden, sodass die empirisch belegten Zusammenhänge zu einem
problematischen oder pathologischen Glücksspielen in Bezug auf Einzelmerkmale
konfundiert sind. Zusammenfassend scheint eine gesellschaftliche Position und
Lebenslage in Form einer eingeschränkten gesellschaftlichen Teilhabe oder De-
privation von besonderer Bedeutung für die Entwicklung einer Glücksspielsucht
zu sein (vgl. Kapitel 2).
Dem Handeln liegt auf der individualpsychologischen Ebene ein komplexer Pro-
zess der Zielauswahl, der zeitlich fluktuierenden Bereitschaft, ein Ziel zu verfol-
gen, und der Ausführung einer intendierten Handlung zugrunde, wobei es immer
53
um die Bewältigung eines Motivationskonfliktes geht, d. h. der Auswahl zwischen
konkurrierenden, teilweise unvereinbaren Reaktionstendenzen. Bei der Interpreta-
tion des Verlaufs pathologischer Formen des Glücksspielens entsteht ein Teufels-
kreis. Der pathologische Glücksspieler schädigt sich dabei nicht nur durch seine
persönlichen Geldverluste als Individuum. Aufgrund seiner psychischen Vulnerabi-
lität akzentuiert der Glücksspieler spezifische Prämissen seines Tuns, wobei er
durch seine überhebliche Selbstisolation die gesellschaftlichen Bedingungen und
sozialen Strukturen seiner entfremdeten Lebenspraxis reproduziert. Entgegen der
Natur des Menschen entwickelt sich eine „Selbstfeindschaft“, die den Glücksspie-
ler in eine ausweglose Lebenssituation führt. Bereits Adler (1974) betonte, dass
alle seelischen Krankheiten aus Konflikten des Einzelnen mit der Gemeinschaft
resultieren. Das Erkenntnis leitende Ziel liegt dagegen in der idealen Gemein-
schaft aller Menschen. Die therapeutische Beziehung wird deshalb vom Gemein-
schaftsgefühl getragen, um eine bessere Bewältigung von Lebensaufgaben zu
ermöglichen.

3.4 Integrative Modelle


3.4.1 Der Lebensstilansatz
Der Lebensstilansatz von Walters (1994) wurde zunächst zur Erklärung krimi-
nellen Verhaltens entwickelt, später auf Suchtverhalten angewandt und dann auf
die Glücksspielproblematik bezogen. Als theoretische Wurzeln bezieht sich der
Autor auf die Lerntheorie, den kognitiven Interaktionismus und die existenzielle
Philosophie.
Zunächst sieht er Glücksspielverhalten als Resultat eines diskriminativen Konditio­
nierungsprozesses, bei dem durch variable Quotenverstärkung eine hohe Reaktions­
rate in Abhängigkeit von externen und internen Reizen entsteht. Weiterhin wird die
Bedeutung von Modelllernprozessen im Sinne der sozialen Lerntheorie betont, da
sich in Familien von Glücksspielern häufig entsprechende elterliche Vorbilder finden.
Hinsichtlich des kognitiven Interaktionismus geht Walters im Gegensatz zu seinem
lerntheoretischen Bezug von einem aktiv handelnden Individuum aus, das durch
die Interaktion mit anderen Personen und der Umgebung eine kognitive Reprä-
sentation seiner Umwelt entwickelt. Er bezieht sich auf die Unterscheidung von
Piaget (1946) zwischen dem Prozess der Assimilation, bei dem neue Informationen
in ein bereits existierendes kognitives Schema eingefügt werden, und dem Prozess
der Akkommodation, der ein existierendes Schema modifiziert, um neue Informa-
tionen aufnehmen zu können. Nach seiner Meinung deutet der glücksspielspezi-
fische Lebensstil auf einen Denkstil hin, welcher die Assimilation auf Kosten der
Akkommodation überbetont, um den bestehenden Lebensstil abzusichern.
54
Unter Bezug auf die existenzielle Philosophie nimmt Walters an, dass der für
Glücksspieler spezifische Lebensstil grundsätzlich durch existenzielle Furcht, also
Gefühle der Angst, Machtlosigkeit und Unsicherheit, wie sie von einem neugebo­
renen Kind erlebt werden, motiviert ist. Er verweist in diesem Zusammenhang auf
die Individualpsychologie von Adler (1974), der dies als Gefühl der Minderwertig­
keit thematisiert hat. Das Individuum besitzt zwei Möglichkeiten, diese Angst zu
bewältigen, erstens indem es sich der Umgebung anpasst, d. h. eine Balance
zwischen kurz- und langfristigen Zielen, Erwartungen und Handlungsergebnissen
erreicht, und zweitens durch starre Regeln, Rollen oder Beziehungsmuster seinen
bestehenden Lebensstil zu stabilisieren sucht, was jedoch die Anfälligkeit für die
existenzielle Furcht erhöhen kann.
Walters beschreibt drei interagierende Bedingungskomponenten, die zu einem
glücksspieltypischen Verhaltensstil führen.
Zunächst handelt es sich um bestehende Lebensbedingungen („conditions“),
worunter er interne (z. B. Temperament) und externe (z. B. Gleichaltrigengruppe)
Umgebungsmerkmale versteht, welche die Glücksspielproblematik entwicklungs-
geschichtlich und aktuell bestimmen. Er unterscheidet Risikofaktoren (z. B. ein
geringes Selbstwertgefühl oder eine glücksspielbezogene soziale Bezugsgruppe)
von Schutzfaktoren (z. B. eine stabile häusliche Umgebung), die dazu führen, dass
die drei wesentlichen Lebensaufgaben der sozial-emotionalen Bindung, der Reiz-
modulation und des Aufbaus eines Selbstkonzeptes positiv bewältigt oder einseitig
verarbeitet werden.
Als zweites übergeordnetes Bedingungsgefüge sieht Walters die persönlich
bestehende Entscheidungsfähigkeit („choice“). Er geht davon aus, dass die be-
schriebenen genetischen und aktuellen Entwicklungsbedingungen nicht direkt
das Glücksspielverhalten bestimmen, sondern bestehende Wahlmöglichkeiten bei
vorhandenen Risikofaktoren einschränken oder bei schützenden Faktoren alter-
native Möglichkeiten eröffnet werden. Er verweist auf die vereinfachenden Grund­
annahmen der Entscheidungstheorie, indem er davon ausgeht, dass Entschei-
dungsprozesse meist nicht rational und erschöpfend ablaufen, da in der Regel nur
wenige der für eine Entscheidung relevanten Informationen genutzt werden. Er
referiert die empirischen Untersuchungen über „Blackjack“-Spieler, wonach auch
erfahrene Glücksspieler intuitive Spielstrategien nutzen, die suboptimal sind. Für
die Glücksspielproblematik bedeutet dies, dass die positiven, kurzfristigen Kon-
sequenzen stärkeren Einfluss besitzen als die negativen, verzögerten Folgen des
Glücksspielens. Das Glücksspielverhalten wird also durch schlecht organisierte,
technisch fehlerhafte und am unmittelbaren Gewinn orientierte Entscheidungs-
strategien bestimmt.
55
Als drittes übergeordnetes Bedingungsgefüge nennt Walters den glücksspiel-
spezifischen kognitiven Stil („cognition“), welcher darauf abzielt, die getroffenen
Entscheidungen zu rechtfertigen und das fragile Selbstwertgefühl zu stabilisie-
ren. Es handelt sich um typische Muster der Rationalisierung, Verleugnung und
Selbstrechtfertigung. Er unterscheidet typische Denkstile, die je nach Individuum
unter­schiedliche Bedeutsamkeit besitzen. Dazu gehören die Beschwichtigung, das
„Abschalten“, die Selbstrechtfertigung, die Machtorientierung, die Rührseligkeit,
der Überoptimismus, die kognitive Trägheit und schließlich der Mangel an inne-
rem Zusammenhalt.
Auf der Verhaltensebene ergeben sich aus der Interaktion des beschriebenen
komplexen Bedingungsgefüges vier glücksspielerspezifische Verhaltensstile, deren
Gewichtung individuell unterschiedlich sein kann. Es handelt sich um die Schein-
verantwortlichkeit, den Realitätsausstieg mit einem raschen Wechsel zwischen
euphorischen und dysphorischen Gefühlen bei Gewinnen oder Verlusten, eine
übersteigerte Wettbewerbsorientierung und die Tendenz, soziale Regeln zu bre-
chen, indem zur Erreichung eigener Ziele getäuscht, gelogen und betrogen wird.
Die Grenzen dieses für den Kliniker bzw. die Klinikerin sehr fruchtbaren Ansatzes
sind in seinem theoretischen Eklektizismus zu sehen. Walters integriert philoso-
phische, soziologische und psychologische Theorien ohne eine gemeinsame theo-
retische Grundlage (z. B. im Rahmen einer Handlungstheorie) zu formulieren.

3.4.2 Das Vulnerabilitätsmodell


Eine mögliche Glücksspielproblematik im Sinne eines hypothetischen Vulnerabi-
litätsmodells lässt sich handlungstheoretisch aus der Wechselwirkung der spe-
zifischen Bedürfnisstruktur „anfälliger“ Glücksspieler mit dem dazu passenden
Aufforderungscharakter spezieller Glücksspielangebote verstehen (Petry, 2003). Die
Anfälligkeit zur Entwicklung einer Glücksspielproblematik ergibt sich nach diesem
heuristischen Modell aus einer spezifischen Bedürfnisstruktur, die darauf gerichtet
ist, das Selbstwertgefühl zu steigern, unangenehme Gefühle zu vermeiden und ma-
ximale Gewinne aus Beziehungen zu ziehen. Hier liegt die Schnittstelle der Wechsel-
wirkung mit dem Glücksspielangebot als äußerer Anreizsituation. Das Glücksspielen
ermöglicht Handlungen, die den Selbstwert durch Kompetenzerleben erhöhen
können, der Gefühlsregulation dienen, indem positive Gefühle erlebt und negative
Gefühle ersatzweise ausgelebt oder vermieden werden und distanziert-kontrollierte
Interaktionsmuster, die eine zu große Nähe verhindern, hergestellt werden.
Im Zentrum der inneren Bedürfnisstruktur, die eine Anfälligkeit zur Entwicklung
einer Glücksspielsucht bildet, steht ein negatives Selbstwertgefühl, das als innere
„Leere“ oder als ein „Nichts“ umschrieben wird. Die Entstehung dieser Selbst-
56
wertproblematik wurzelt in einer gehäuft auffindbaren „Broken-home-Situation“,
die aufgrund frühkindlicher Schädigungen einschließlich häufiger Missbrauchser-
fahrungen zu einer krisenhaften Entwicklung in der Adoleszenz führt. Besonders
bedeutsam scheint dabei eine gestörte Beziehung zum Vater zu sein, da dieser
häufig, auch infolge einer bestehenden Suchterkrankung, abwesend war und als
autoritär erlebt wurde. Die für Glücksspielsüchtige charakteristische Störung der
Gefühlsregulation steht in Abhängigkeit von dieser tiefen Selbstwertbedrohung,
da die damit verbundenen Gefühle des Versagens, der Trauer und der Wut unter-
drückt werden. Das Glücksspielverhalten bietet sich dabei als spannungsabbau-
ende Ersatzhandlung an, die einen aktionsreichen Erregungszustand ermöglicht,
sodass diese negativen Gefühle nicht mehr erlebt werden müssen. Die für Glücks-
spieler typische Störung der Beziehungsbildung lässt sich ebenfalls vor dem
Hintergrund der Selbstwertproblematik verstehen, da aus den familiär erfahrenen
emotionalen Vernachlässigungen eine Angst vor individuellem Versagen und sozi-
aler Ablehnung resultiert, sodass reale Konflikte vermieden werden. Stattdessen
entwickeln sich einseitig auf die eigenen Bedürfnisse ausgerichtete und durch
leistungsorientiertes Konkurrenzverhalten bestimmte Interaktionsmuster, die
nahe Beziehungen und damit die Angst vor Zurückweisung ausschließen.
Dabei kommt es zu einer illusionären Verwechslung der Spielebene mit der Ernst-
ebene, sodass die unmittelbare Befindlichkeitsänderung über die Orientierung an
den realen Konsequenzen dominiert. In diesem Prozess werden die ursprünglich
bestehenden Wahlmöglichkeiten zur Bewältigung alltäglicher Belastungen auf-
grund der ausgeblendeten realen Folgen des Glücksspielens zunehmend einge-
schränkt.
Mit der fortschreitenden Bindung an die Glücksspielaktivität korrespondiert eine
Zunahme sozial eingrenzender Reaktionen, was aufgrund der verinnerlichten
Ambivalenz gegenüber dem Glücksspielverhalten zu Schuld- und Schamgefüh-
len führt, die die Suchtentwicklung forcieren. Gleichzeitig erfolgt eine Anbindung
an Subgruppen, die sich durch einen glücksspielbezogenen Lebensstil, d.h. eine
Ausrichtung auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, auszeichnen. Im Rah-
men der Aufrechterhaltung eines glücksspielspezifischen Lebensstils gelingt es
dem pathologischen Glücksspieler, eine äußere Fassade der Selbstsicherheit und
Handlungskontrolle aufrechtzuerhalten. Diese steht der inneren Befindlichkeit
diametral gegenüber, sodass ausgeprägte Verleugnungsmechanismen entstehen,
die der Verarbeitung der zugrunde liegenden Selbstwertproblematik dienen.
57
In einer vergleichenden Studie von Vierhaus und Mitarbeitern (2012) finden sich
empirische Belege für die Kernaussage dieses Vulnerabilitätsmodells. Dies gilt
sowohl für die allgemeine Validität durch Vergleich mit unproblematischen Glücks-
spielern als auch für die spezifische Validität im Vergleich mit einer anderen klini-
schen Gruppe. Aufgrund des Querschnittscharakters der Untersuchung lassen sich
daraus jedoch keine entwicklungspsychopathologischen Schlussfolgerungen zie-
hen. Dabei wurde eine Gruppe von behandelten Glücksspielsüchtigen mit einer
normalen Vergleichsgruppe von Arbeitern aus mittelständischen Betrieben und mit
einer Gruppe von behandelten Alkoholkranken verglichen. Die drei Untersuchungs-
gruppen waren hinsichtlich Geschlecht und Alter parallelisiert worden. Die im Mo-
dell postulierten Merkmale der Selbstwertproblematik, Gefühlsdysregulation und
Beziehungsstörung wurden jeweils mittels zweier Merkmale operationalisiert. Ein
diskriminanzanalytischer Vergleich mit der Normalgruppe erbrachte deutliche
Hinweise auf die allgemeine Validität des Modells. Die Glücksspielsüchtigen weisen
einen negativeren emotionalen Selbstwert (Selbstwertproblematik), eine größere
Alltagsbelastung verbunden mit einer maladaptiven Bewältigung von Gefühlen
(Gefühlsdysregulation) sowie negativere kindliche Erfahrungen mit den Eltern und
stärkere Probleme in der aktuellen Partnerschaft (Beziehungsstörung) auf. Dies
verbessert das klinische Verständnis von Glücksspielsüchtigen, die durch ihr
Glücksspielverhalten den Selbstwert steigern, unangenehmen Gefühlen auswei-
chen und nahe Beziehungen vermeiden wollen. Bezogen auf die spezifische Validi-
tät in Bezug auf den beispielhaften Vergleich mit Alkoholkranken hat sich die
Selbstwertproblematik als unspezifisch erwiesen, da sich die beiden klinischen
Gruppen durch einen gleichermaßen erniedrigten Selbstwert auszeichnen. Spezi-
fisch für die Glücksspielsüchtigen sind jedoch eine maladaptivere Gefühlsregula-
tion und negativere kindliche Erfahrungen mit den Eltern. Auch wenn es sich um
große Effektstärken handelt, müssen die untersuchten Merkmale noch im Kontext
mit anderen stabilen Persönlichkeitsmerkmalen und sozialen Risikofaktoren be-
züglich ihrer relativen Bedeutsamkeit überprüft werden.

3.4.3 Multifaktorielle Modelle


Einige multifaktorielle Modelle versuchen das System der internen und externen
Bedingungsfaktoren der Glücksspielsucht umfassend zu beschreiben. Dabei
handelt es sich nicht um Modelle im Sinne einer vereinfachten Abbildung eines
Gegenstandsbereiches, sondern lediglich um eine Auflistung aller relevanten
Ursachenfaktoren unter Rückgriff auf das triadische Bedingungsgefüge von
Suchtmittel, Individuum und Umwelt (Blaszczynski, Nower, 2002; Sharpe, 2002).
Inzwischen gibt es Übersichtsarbeiten, die empirisch bestätigte soziodemographi-
58
sche, kognitive, wahrnehmungsbezogene, lernspezifische und personenbezogene
Risikofaktoren eines problematischen oder pathologischen Glücksspielens zu-
sammenstellen (Johansson et al., 2009). Die vorliegenden Einzelbefunde wurden
bisher jedoch weder mittels multivariater Analysen in Bezug auf ihre relative
Bedeutsamkeit gemeinsam untersucht noch in eine konsistente Theorie zu integ-
rieren versucht.

Literatur:
Adler, Alfred (1974): Individualpsychologische Behandlung der Neurosen. In: Adler, Alfred (Hrsg): Praxis
und Theorie der Individualpsychologie. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch (ursprünglich 1913), 48-66.
Bergler, Edmund (1957): The psychology of gambling. New York: Hill & Wang (Reprint 1985).
Bieri, Peter (2007): Was bleibt von der analytischen Philosophie. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie,
55 (3), 333-344.
Blaszczynski, Alex; Nower, Lia (2002): A pathway model of problem and pathological gambling.
In: Addiction, 97, 487-499.
Böning, Jobst; Grüsser-Sinopoli, Sabine Miriam (2009): Neurobiologie der Glücksspielsucht. In:
Batthyány, Dominik; Pritz, Alfred (Hrsg.): Rausch ohne Drogen: Substanzungebundene Süchte.
Wien: Springer, 45-65.
Bönisch, Monika (1994): Opium der Armen: Lottospiel und Volksmagie im frühen 19. Jahrhundert: Eine
Fallstudie aus Württemberg. Tübingen: Silberburg.
Brewer, Judson A. et al. (2007): The neurobiology of pathological gambling. In: Smith, George et al. (Eds.):
Research and measurement issues in gambling studies. Amsterdam: Elsevier. 345-369.
Custer, Robert et al. (1975): Characteristics of compulsive gamblers. Las Vegas, Nev.: Pater presented at
the Second Annual Conference of Gambling.
Custer, Robert; Milt, Harry (1985): When luck runs out: Help for compulsive gamblers and their families.
New York: Facts on File Publications.
Edwards, Griffith (1986): The alcohol dependence syndrome: A concept as stimulus to enquiry.
In: British Journal of Addiction, 81, 171-183.
Eisen, S.A. et al. (1998): Familial influences on gambling behavior: an analysis of 3359 twin pairs.
In: Addiction, 93, 1375-1384.
Giżycki, Jerzy; Górny, Alfred (1970): Glück im Spiel zu allen Zeiten. Zürich: Stauffacher.
Hansen, M.; Rossow, I. (2008): Adolescent gambling and problem gambling: Does the total consumption
model apply? In: Journal of Gambling Studies, 24, 135-149.
Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt: Campus.
Jellinek, Elvin Morton (1960): The Desease Concept of Alcoholism. New Haven: Hillhouse.
Johansson, A. et al. (2009): Risk factors for problematic gambling: A critical literature review. Journal
of Gambling Studies, 25, 67-92.
59
Ladouceur, Robert; Walker, Michael (1996): A cognitive perspective on gambling. In: Salkovski, Paul M.
(Ed.): Trends in cognitive and behavioural therapies. Chichester (UK): John Wiley, 89-120.
Langer, Ellen J. (1975): The illusion of control. In: Journal of Personality and Social Psychology, 32 (2),
311-328.
Meyer, Christian et al. (2011a): Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung,
Komorbidität, Remission und Behandlung (Endbericht). Greifswald; Lübeck: Institut für Epidemiologie
und Sozialmedizin/Klinik Psychiatrie und Psychotherapie.
Meyer, Gerhard; Bachmann, Meinolf (2011): Spielsucht: Ursachen, Therapie und Prävention von
glücksspielbezogenem Suchtverhalten. Berlin: Springer.
Mörsen, Chantal P. et al. (2011): Glücksspiel im Gehirn: Neurobiologische Grundlagen pathologischen
Glücksspielens. In: Sucht, 57 (4), 259-273.
Petry, Jörg (2001): Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. In: Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Petry, Jörg (2003): Glücksspielsucht: Entstehung, Diagnostik und Behandlung. Göttingen: Hogrefe.
Petry, Jörg (2010): Das Konstrukt „Verhaltenssucht” – Eine wissenschaftstheoretische Kritik.
In: Sucht Aktuell, 7 (2), 14-18. (Nachdruck in Abhängigkeiten, 17 (2), 64-75)
Petry, Nancy (2005): Pathological gambling: Etiology, comorbidity, and treatment.
Washington, DC: American Psychological Association.
Piaget, Jean (1946): Psychologie der Intelligenz. 2. Auflage. Zürich: Rascher.
Rembach, G. (2008): Zur Lotteriegeschichte. In: Gebhardt, I.; Grüsser-Sinopoli, S.M. (Hrsg.): Glücksspiel
in Deutschland: Ökonomie, Recht, Sucht. Berlin: De Gruyter, 11-29.
Rogers, Paul (1998): The cognitive psychology of lottery gambling: A theoretical review.
In: Journal of Gambling Studies, 14 (2), 111-134.
Schuller, Alexander (2008): Jackpot: Aus dem Leben eines Spielers – eine wahre Geschichte. 2. Aufl.
Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe.
Sharpe, L. (2002): A reformulated cognitive-behavioral model of problem gambling: A biopsychosocial
perspective. In: Clinical Psychology Review, 22, 1-25.
Thalemann, C.N. (2009): Verhaltenssucht. In: Batthyány, D.; Pritz, A. (Hrsg.): Rausch ohne Drogen:
Substanzungebundene Süchte. Wien: Springer, 1-17.
Tretter, Felix (2012): Kritik der Neurobiologie der Sucht – Philosophische Aspekte.
In: Sucht Aktuell, 19 (3), 26-35.
Vierhaus, Marc et al. (2012): Zur Validität des Modells zur psychischen Vulnerabilität der Glücksspiel-
sucht. In: Sucht. 53 (3), 183-193.
Vogelgesang, Monika (2010): Traumata, traumatogene Faktoren und pathologisches Glücksspielen:
Eine genderspezifische Analyse. In: Psychotherapeut, 55 (1), 12-21.
Walker, M.B. (1992): The psychology of gambling. Oxford: Pergamon.
Walters, Glenn D. (1994): The gambling lifestyle: I. Theory. In: Journal of Gambling Studies, 10, 159-182.
Weber, Max (1920): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Tübingen: Mohr.
West, R. (2010): Theory of Addiction. Oxford (UK): Blackwell.
Whelan, J.P. et al. (2007): Problem and pathological gambling. Cambridge, MA: Hogrefe & Huber
Publishers.
Zollinger, Manfred (1997): Geschichte des Glücksspiels: Vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg.
Wien: Böhlau.
4 Diagnostik
60

Die störungsspezifische Diagnostik der Glücksspielsucht befindet sich im Ver-


gleich zur fortgeschritteneren Alkoholismusdiagnostik noch in ihren Anfängen.
Bezogen auf die Gültigkeit von Selbstaussagen über das Glücksspielverhalten
finden sich in katamnestischen Studien Übereinstimmungen zwischen Selbst-
und Fremdaussagen. Dennoch ist anzunehmen, dass in einer frühen Phase der
Suchtentwicklung und auch im Rahmen eines ersten therapeutischen Kontaktes
bei einer relevanten Untergruppe Verleugnungstendenzen bestehen. Von Mitarbei-
tern ambulanter Beratungsdienste wird noch zu selten nach einer Glücksspiel­
problematik gefragt. Von den Betroffenen selbst wird eine bestehende Glücks-
spielproblematik zudem kaum angesprochen. Dies tun bestenfalls Angehörige.

4.1 Nosologische Einordnung


Trotz der weitgehenden definitorischen Übereinstimmungen besteht über die no-
sologische Einordnung des pathologischen Glücksspielverhaltens keine Einigung.
Von verschiedenen Autoren wird es als neurotische Störung, Impulskontrollstörung
oder Suchterkrankung klassifiziert. Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich in der
nosologischen Einordnung als Impulskontrollstörung bei gleichzeitiger Operationa-
lisierung als Abhängigkeitssyndrom im DSM-IV. Die Klassifizierung als Störung der
Impulskontrolle (zusammen mit der Kleptomanie, Trichotillomanie und Pyromanie)
verweist auf die historische Verankerung im Krankheitskonzept des 19 Jahrhun-
derts, was die Uneinheitlichkeit dieser Kategorie bedingt. So wurde das patho-
logische Glücksspielen von Kraepelin (1915) als „Spielwut“ begriffen, indem das
Versagen, einem Impuls, Trieb oder einer Versuchung zu widerstehen, als zentrales
Merkmal definiert wurde. Dabei wird eine selbst- oder fremdschädigende Hand-
lung ausgeführt, wobei der Betroffene zuvor eine zunehmende Spannung verspürt,
die während der Handlung gelöst wird. Im 20. Jahrhundert wurde das pathologi-
sche Glücksspielverhalten in Anlehnung an die anders klassifizierten substanzge-
bundenen Abhängigkeiten im Sinne eines Abhängigkeitssyndroms operationalisiert.
Es entwickelt sich eine suchttypische Eigendynamik, die durch eine zunehmende
Erfassung aller Lebensbereiche zu einer drastischen Einengung bestehender
Wahlmöglichkeiten mit fortschreitenden Defiziten der Handlungsregulation führt.
61
Nach dem Entwurf für die fünfte Ausgabe des „Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders“ (DSM-5) soll das „Disorderd Gambling“ mit den substanzge-
bundenen Störungen in die gemeinsame Kategorie „Addiction and Related Disor-
ders“ aufgenommen werden. Mit Ausnahme des Items „Illegale Handlungen zur
Finanzierung des Spielens“ sollen die Diagnosekriterien erhalten bleiben. Damit
erfolgt eine Neueinordnung des pathologischen Glücksspielens als nichtstoffgebun-
dene Suchtform im Rahmen dieses Klassifikationssystems psychischer Störungen.

4.2 Differenzialdiagnostik
Innerhalb der nosologischen Einordnung des pathologischen Glücksspielens
erfolgt eine Abgrenzung vom gewohnheitsmäßigen Glücksspielen, das als Aus-
druck eines auf Spannung und Geldgewinn orientierten Lebensstils definiert wird.
­Gewohnheitsmäßige Glücksspieler sind in der Lage, bei Verlusten ihr Glücksspiel-
verhalten einzuschränken.
Ebenfalls abzugrenzen ist ein exzessives Glücksspielverhalten im Rahmen einer
manischen Episode. Die ist jedoch sowohl in der Bevölkerung als auch in der
Klinik sehr selten der Fall. Eine ebenso seltene Besonderheit ist das exzessive
Glücksspielverhalten als Folge einer speziellen Parkinsonmedikation (vgl. Exkurs
in Kapitel 6.5.2). Das Vorliegen einer soziopathischen oder antisozialen Persön-
lichkeit als Ausschlusskriterium ist umstritten. Während das ICD-10 (Dilling et al.,
1991) noch daran festhält, wird das häufige antisoziale Verhalten nach dem DSM-
IV (Saß et al., 1996) als Bestandteil des Störungsbildes angesehen.
Das pathologische Glücksspielen und der pathologische PC-/Internetgebrauch,
speziell die Unterform des „Gamens“, werden häufig beide als „Spielsucht“ be-
zeichnet. Es handelt sich aber um grundsätzlich verschiedene Erkrankungen, die
lediglich die Selbstwert steigernde Spielerfahrung teilen, nicht aber den mit dem
Geldeinsatz und dem Zufallseinfluss verbundenen „Kick“ des Glücksspielers. Bei
Internetglücksspielen fungiert das Medium PC/Internet lediglich als Mittel zum
Erreichen der glücksspielspezifischen Erregung. Das pathologische Glücksspielen
ist vor diesem Hintergrund eine seit Jahrhunderten bekannte Suchterkrankung
mit einer individuell und gesellschaftlich extrem destruktiven Dynamik, insbe-
sondere mit häufiger Suizidalität und Delinquenz. Beim pathologischen PC-/
Internet-Spielen handelt es sich dagegen um ein neues psychisches Störungsbild
(Petry, 2010), bei dem aus einem eigentlich positiven Spielverhalten eine pathologi-
sche Entwicklung dadurch entsteht, dass sich Heranwachsende und Erwachsene
regressiv in virtuelle Welten zurückziehen. Das immersive Erleben (völlige Ver-
sunkenheit in die virtuelle Erlebnisweise und damit verbundene Veränderung der
Selbstwahrnehmung in der realen Welt) im Umgang mit dem Medium PC/Internet
62
dient der Erlangung von sozialer Anerkennung und der Kompensation der frust-
rierten Grundbedürfnisse nach Selbstwertsteigerung, Kontrolle und Bindung. Die
beiden Störungsbilder lassen sich klinisch hinsichtlich der Persönlichkeitsstruk-
tur und Anfälligkeit unterscheiden. Dem sozialängstlichen, schüchternen, sozial
zurückgezogenen patho-logischen „Gamer“ steht der sozial kompetent auftreten-
de, extravertierte, teilweise kriminelle Glücksspieler gegenüber. Auch wenn sie
oft eine depressiv-selbst-unsichere Störung teilen, unterscheidet sich der daraus
resultierende Bezug zur sozialen Umwelt in dieser charakteristischen Weise.
4.3 Screeningverfahren
Ein pragmatisches Vorgehen bei der Ersterfassung einer Glücksspielproblematik
im Sinne eines Screeningverfahrens könnte darin liegen, dass der behandelnde
Kliniker zunächst erfragt, ob mit einem der bekannten Glücksspielmedien (Geld-
spielautomaten, Kasinospiele etc.) Erfahrungen vorliegen, ohne das Ausmaß zu
erfragen, um keine Bagatellisierungstendenzen zu provozieren. Danach könnte er
in Anlehnung an den nur vier Items umfassenden CAGE-Fragebogen zur Diagnose
des Alkoholismus einen entsprechenden glücksspielerspezifischen Fragebogen
einsetzen. Es werden dabei vier zentrale Merkmale mit dem CCCC-Questionnaire
der Glücksspielsucht (cannot quit, chasing, craving und consequences) (vgl. Ka-
pitel 9) erfasst. Dabei müssen vier Aussagen mit richtig oder falsch bewertet
werden:
▶ „Ich kann mit dem Glücksspielen erst aufhören, wenn ich kein Geld mehr habe."
▶ „Verlieren ist eine persönliche Niederlage, die ich wettmachen möchte."
▶ „Ich denke oft ans Glücksspielen und verspüre einen inneren Spieldrang."
▶ „Zur Geldbeschaffung habe ich schon andere Menschen belogen oder betrogen."
Ein Trennwert von zwei positiv beantworteten Items kann als Kriterium für das
Vorliegen einer Glücksspielproblematik angesehen werden. Zur Absicherung wird
noch die Höhe der Verschuldung in 1.000-Euro-Kategorien als glücksspieler-typi-
scher Indikator für die negativen Folgen einer Suchtentwicklung abgefragt.
Inzwischen bestehen darüber hinaus einige auch testpsychologisch entwickelte
Screeningverfahren zur Feststellung des Vorhandenseins und des Ausmaßes einer
Glücksspielproblematik.
Die meisten dieser Fragebogen orientieren sich an dem empirisch nicht abgesi-
cherten Phasenkonzept der Entwicklung zur Glücksspielsucht von Custer und Milt
(1985), welches die anfänglich vorwiegend am Geldgewinn orientierte „Gewinn­
63
phase“ von der durch die Aufholjagd gekennzeichneten „Verlustphase“ und der
mit extremen psychosozialen Konsequenzen bestimmten „Verzweiflungsphase“
unterscheidet (vgl. Kapitel 2.5).
Vorbild für Screeningverfahren, die sich an diesem Phasenkonzept der Suchtent-
wicklung orientieren, sind die bekannten „20 Fragen“ („Twenty Questions“) der
Gamblers Anonymous (1980), wie sie bei Mitgliedern dieser Organisation erfasst
wurden. Es werden die typischen Merkmale der Glücksspielsucht wie die be-
kannte Aufholjagd, Einschränkungen der Kontrollfähigkeiten, Geldbeschaffungs-
strategien, Glücksspielmotive, Gewissensbisse und die persönlichen, familiären,
beruflichen und strafrechtlichen Nachteile des Glücksspielverhaltens formuliert.
Als pragmatische Auswertungsrichtlinie wird bei der Bejahung von sieben der 20
Fragen von dem Vorliegen eines „zwanghaften Glücksspielens" im Sinne einer
Selbstdiagnose ausgegangen. An einer Stichprobe sozialer und problematischer
Glücksspieler konnte die testkonstruktive Güte im Vergleich mit anderen Fragebo-
gen belegt werden.
In der klinischen Praxis und bei epidemiologischen Untersuchungen war zunächst
der „South Oaks Gambling Screen“ (SOGS) am weitesten verbreitet (Lesieur, Blu-
me, 1987). Dieses Verfahren orientiert sich inhaltlich an den „20 Fragen“ und den
Kriterien des DSM-III. In Übersichtsarbeiten wurde eine Fülle von klinischen und
epidemiologischen Studien referiert, die insgesamt eine Bestätigung der Reliabili-
tät und Validität des Verfahrens belegten. Inzwischen wird die Skala aufgrund von
Mängeln der Itemauswahl und -formulierung sowie der eingeschränkten Validität
bei Bevölkerungsbefragungen zunehmend kritisch betrachtet.
Die meisten der aktuellen Screeningverfahren orientieren sich an den DSM-Krite-
rien, wie sie von der American Psychiatric Association (Saß et al., 1996) ursprüng-
lich formuliert und dann später als Skalen konstruiert wurden. Die jeweiligen Vor-
und Nachteile dieser international verbreiteten Verfahren werden in der Literatur
ausführlich diskutiert.
Mit dem „Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten“ (KFG) von Petry und Mitar-
beitern (Premper et al., 2013) liegt ein vergleichbares deutschsprachiges Scree-
ning-Verfahren im Sinne der klassischen Testtheorie vor, das in den ambulanten
und stationären Einrichtungen in Deutschland weitverbreitet ist. Der besondere
Vorteil der Skala liegt in der an einer repräsentativen Stichprobe vorgenommenen
Eichung, sodass mittels Prozentrangnormen die Schwere einer Glücksspielprob-
lematik quantifiziert werden kann. Das Testmanual enthält inzwischen auch Über-
setzungen des Fragebogens ins Englische, Französische, Spanische, Italienische,
Polnische, Russische und Türkische.
64
4.4 Anamnestik
4.4.1 Glücksspielsymptomatik
Zur Erhebung des Glücksspielverhaltens, seiner Entstehungsbedingungen und
aufrechterhaltenden Faktoren sowie Selbstkontrollversuchen in der Vorgeschichte
existieren spezielle Anamnesebögen (vgl. Kapitel 9).

4.4.2 Diagnostik der Persönlichkeit und Komorbidität


Hinsichtlich der Komorbidität finden sich sowohl in Bevölkerungsstudien (vgl. Ka-
pitel 2.4) als auch in klinischen Untersuchungen (Premper, 2006, 2012) gesicherte
Hinweise auf häufige depressive Störungen mit Suizidalität, Angststörungen und
Persönlichkeitsstörungen. Weiterhin finden sich Beziehungen zu Posttraumati­
schen Störungen, Essstörungen und dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi-
tätssyndrom. Ebenfalls häufig sind komorbide stoffgebundene Suchtformen, ins­
besondere die Tabak-, Alkohol- und seltener die Cannabisabhängigkeit.

Literatur:
Custer, Robert; Milt, Harry (1985): When luck runs out: Help for compulsive gamblers and their families.
New York: Facts on File Publications.
Dilling, Horst et al. (Hrsg.) (1991): Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel
V(F) Leitlinien. Bern: Huber.
Gamblers Anonymous (1980): Twenty Questions. Los Angeles, Calf.: Gamblers Anonymous Publishing.
Kraepelin, Emil (1915): Psychiatrie: Lehrbuch für Studierende und Ärzte. 8. Aufl. Leipzig: Barth.
Lesieur, Henry R.; Blume, Sheila B. (1987): The South Oaks Gambling Screen (SOGS): A new instrument
for the identification of pathological gamblers. In: American Journal of Psychiatry, 144, 1184-1188.
Petry, Jörg (2010): Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internetgebrauch. Göttingen: Hogrefe.
Premper, Volker (2006): Komorbide psychische Störungen bei Pathologischen Glücksspielern.
Lengerich: Pabst.
Premper, Volker (2012): Komorbide psychische Störungen bei Pathologischen Glücksspielern.
In: Wurst, Friedrich M. et al. (Hrsg.): Glücksspielsucht: Ursachen – Prävention – Therapie.
Bern: Hans Huber, 41-80.
Premper, Volker et al.: (2013): GSF – Glücksspielskalen für Screening und Verlauf – Manual.
Göttingen: Hogrefe.
Saß, Henning et al. (1996): Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV.
Göttingen: Hogrefe.
5 Selbsthilfe 65

Die erste Selbsthilfegruppe für Glücksspieler in Deutschland wurde 1981 in Tos-


tedt bei Hamburg von der selbstständigen Handelsvertreterin Maria K. gegründet.
Die Roulettespielerin hatte ihr gesamtes Vermögen verspielt und war auf der Su-
che nach Hilfeangeboten. Nachdem sie zunächst eine Zeit lang eine Gruppe der
Anonymen Alkoholiker besucht hatte, kontaktierte sie die Guttempler. Ein Mitglied
dieser Gruppe bot ihr Hilfe an und nahm Kontakt zu den Gamblers Anonymous
(GA) in den USA auf. Von dort erhielten sie Unterstützung in Form von Informa-
tionsmaterial und bauten fortan nach dem Vorbild der GA die erste Gruppe der
„Anonymen Spieler“ (AS) – wie sie damals hießen – in Deutschland auf. Seit 1992
wird auch in Deutschland die Abkürzung GA von „Gamblers Anonymous“ benutzt,
um eine Verwechslung mit den Anonymen Sexaholikern (AS) zu vermeiden.
In den USA haben die GA eine sehr lange Tradition. Die erste Gruppe wurde bereits
1957 in Los Angeles gegründet. Seitdem ist die Gemeinschaft der Anonymen Spie-
ler ständig gewachsen, neue Gruppen haben sich überall auf der Welt nach ihrem
Vorbild gegründet.
In Deutschland wurden kurz nach Gründung der Tostedter Gruppe weitere Gruppen
der Anonymen Spieler in Hamburg und Bremen gegründet. Mittlerweile gibt
es organisierte GA-Gruppentreffen in 71 Städten mit insgesamt knapp 200 Selbst­
hilfegruppen für Glücksspielsüchtige in Deutschland (Meyer, 2012), außerdem
bestehen in vielen Städten inzwischen auch eigene Gruppenangebote für Angehöri-
ge. Etwa die Hälfte der Selbsthilfegruppen für Glücksspielsüchtige in Deutschland
gehören zur Organisation der Anonymen Spieler, die restlichen Gruppen ge­hören
anderen Selbsthilfeorganisationen an, wie dem Blauen Kreuz, dem Kreuzbund, den
Guttemplern etc., oder sind direkt an Beratungsstellen angegliedert.
66
Den Rahmen für die Gruppenarbeit der Anonymen Spieler (1986) bildet
das „Zwölf-Schritte-Programm“, das ebenso wie „Die zwölf Traditionen“
dem Konzept der Anonymen Alkoholiker entspricht. Die zwölf Schritte sind
als Empfehlungen für den Weg in ein glücksspielfreies Leben zu verstehen:

1. Wir gaben zu, dass wir dem Spielen gegenüber machtlos sind – und
unser Leben nicht mehr meistern konnten.
2. Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst,
uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.
3. Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der
Sorge Gottes – wie wir ihn verstanden – anzuvertrauen.
4. Wir machten gründlich und furchtlos eine moralische und finanzielle
Inventur in unserem Innern.
5. Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber
unverhüllt unsere Fehler zu.
6. Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen
zu lassen.
7. Demütig baten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.
8. Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt
hatten, und wurden willig, ihn bei allen wiedergutzumachen.
9. Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut – wo immer es
möglich war –, es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.
10. Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir Unrecht hatten,
gaben wir es sofort zu.
11. Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu
Gott – wie wir ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten ihn, nur seinen
Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn
auszuführen.
12. Nachdem wir durch diese Schritte ein seelisches Erwachen erlebt hatten,
versuchten wir, diese Botschaft an süchtige Spieler weiterzugeben und
unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.
(www.anonyme-spieler.org, Zugriff: 20.02.2012)
67
Insbesondere für neue Mitglieder haben die Anonymen Spieler (GA) sechs
konkrete Empfehlungen formuliert:

1. Besucht so viele Meetings wie möglich, mindestens aber eines pro Woche.
2. Telefoniert untereinander in der Zeit zwischen den Meetings so oft wie
möglich. Benutzt die Telefonliste!
3. Versucht nicht, euch selbst zu testen! Haltet euch von anderen Leuten, die
noch spielen, fern. Geht nicht in die Nähe von Spieleinrichtungen. Vermeidet
jede Art von Glücksspiel – egal, ob es sich dabei um Würfeln, Wetten, Karten,
Lotto oder Toto, Tippgemeinschaften, Spekulationen auf dem Geld- und
Aktienmarkt, Game-Shows, Lotterien oder Jahrmarktsspiele handelt oder
ihr nur auf Kopf oder Zahl einer Münze setzt. Spiele um gar nichts!
4. Folgt dem Programm der Anonymen Spieler (GA) nach besten Kräften und
einen Tag zur Zeit. Versucht nicht, alle eure Probleme auf einmal zu lösen!
5. Lest das Genesungs- und Einheitsprogramm der Anonymen Spieler (GA)
immer und immer wieder und beantwortet euch die zwanzig Fragen selbst.
Richtet euch im täglichen Leben in eurem Denken und Handeln nach den
Zwölf Schritten zur Genesung. Sie verkörpern das Programm der Anonymen
Spieler (GA) und enthalten den Schlüssel für euer persönliches Wachstum.
Wenn ihr irgendwelche Fragen zum Programm habt, wendet euch an ältere
GA-Freunde und euren Sponsor!
6. Übt euch in Geduld! Die Zeit vergeht schnell. Solange ihr die GA-Meetings
regelmäßig besucht und euch selbst vom Spielen fernhaltet, wird eure
Genesung wirklich voranschreiten.
(www.anonyme-spieler.org, Zugriff: 20.02.2012)

Selbsthilfegruppen stellen grundsätzlich ein gutes Übungsfeld für soziales Lernen


dar. Hier können in einem geschützten Rahmen Probleme angesprochen werden
und neue Verhaltensweisen ausprobiert werden. Meyer und Bachmann (2011) wei-
sen darauf hin, dass der Besuch von Selbsthilfegruppen dann erfolgreich ist, wenn
▶ eine regelmäßige Teilnahme stattfindet,
▶ sich die Teilnehmer in den Schilderungen der anderen wie in einem
Spiegel wiedererkennen,
68
▶ die Glücksspieler Erfahrungen, Gedanken und Gefühle offen und ehrlich
austauschen,
▶ die Gruppe bei der Bewältigung von Problemen hilft,
▶ einfühlendes Verständnis, Zuneigung und solidarische Anteilnahme
gezeigt werden.

Die von der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW herausgegebene


kostenlose Broschüre „Selbsthilfegruppen für Glücksspielsüchtige und Ange-
hörige (2010)“ enthält neben Tipps zur Gründung, Organisation, Prozessabläu-
fen auch eine Checkliste, mit deren Hilfe überprüft werden kann, ob die eigene
Selbsthilfe­gruppe in Bezug auf die Struktur oder die Kommunikationsform optimal
ausge­richtet ist (https://suchtkooperation.nrw/fileadmin/user_upload/broschue-
re_selbsthilfegruppen.pdf, Zugriff: 29.06.2022).

Literatur:
Anonyme Spieler (1986): Broschüre der Anonymen Spieler. Hamburg: Kontaktstelle Deuschland
der „Anonymen Spieler“.
Meyer, Gerhard (2012): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich: Pabst, 125-141.
Meyer, Gerhard; Bachmann, Meinolf (2011): Spielsucht: Ursachen, Therapie und Prävention von
glücksspielbezogenem Suchtverhalten. 3. Auflage. Heidelberg: Springer.
6 Interventionsformen 69

6.1 Prävention
Der Präventionsbegriff (lat. praevenire = zuvorkommen, verhüten, überholen) hat
in den letzten Jahren einen Definitions- und Bedeutungswandel erfahren. Auf
Caplan (1964) geht die traditionelle Unterscheidung in primäre, sekundäre und
tertiäre Prävention zurück. Uhl (2009) weist darauf hin, dass die ursprüngliche
Definition von Caplan häufig verkürzt dargestellt wird.

Definition der Suchtprävention nach Caplan (1964)

Art Definition und Ziel Zielgruppe

Primärprävention Vorbeugende Maßnahmen vor Prophylaxe an


Krankheitsmanifestation unselektierten
▶ Auftreten einer Krankheit soll Personengruppen
verringert werden (Allgemeinbevölkerung)

Sekundärprävention Kurative Maßnahmen nach Prophylaxe an


Krankheitsmanifestation (Hoch-)Risikogruppen
▶ Dauer der Krankheit
soll verringert werden

Tertiärprävention Schadensbegrenzende Behandlung


Maßnahmen (Rückfallprophylaxe)
▶ Auswirkungen der manifest Erkrankter
Erkrankung sollen
verringert werden

Tab. 6.1

Obige Unterteilung wird – insbesondere in der verkürzten Version – im deutsch-


sprachigen Raum weiterhin verwendet, zunehmend aber abgelöst durch die Un-
terscheidung in universelle, selektive und indizierte Prävention. Hiermit werden
alle Maßnahmen erfasst, die vor der vollen Ausprägung einer Suchterkrankung
einsetzen. Als Zielgruppen gelten die Allgemeinbevölkerung, definierte Risiko-
gruppen sowie Individuen mit manifestem Risikoverhalten (vgl. Gordon, 1983).
70
Universelle, selektive und indizierte Prävention

Universelle Prävention Selektive/Indizierte Prävention

▶ ursachenorientiert ▶ problem- und situationsorientiert


▶ unspezifisch ▶ spezifisch
▶ Gießkannenprinzip ▶ maßgeschneiderte, zielgenaue
▶ diffuse Wirkung Angebote
▶ Ausblendung von ▶ konkrete Wirkungseffekte
Konsumerfahrungen ▶ Konsumerfahrungen als Ansatzpunkt
Tab. 6.2

6.1.1 Verhältnis- und Verhaltensprävention


Grundsätzlich unterscheidet die Suchtprävention zwei weitere Ansätze: Maßnah-
men, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltenspräven­
tion), und Maßnahmen, die auf die Beeinflussung gesellschaftlicher Strukturen
und Rahmenbedingungen abzielen (Verhältnisprävention). Erfolgreiche suchtprä-
ventive Strategien verbinden beide Ansätze sinnvoll miteinander.
Es zählt zum epidemiologischen Basiswissen der Suchtforschung, dass ein enger
Zusammenhang zwischen dem Angebot an Suchtmitteln und den vorhandenen
Suchtproblemen in einer Gesellschaft besteht. So korreliert z. B. der Pro-Kopf-
Verbrauch an Alkohol in einer Gesellschaft hochpositiv mit der Rate von Alkohol-
missbrauchenden und Alkoholabhängigen.
Dieser Zusammenhang wird auch im Glücksspielbereich vermutet. So lautet die
Annahme, dass mit steigender Verfügbarkeit des Glücksspielangebots ein zuneh-
mender Konsum in der Bevölkerung stattfindet, der wiederum zu einer Zunahme
der problembehafteten Glücksspieler führt. Für die Schweiz konnte eine epide-
miologische Untersuchung (Bondolfi et al., 2002) diesen Zusammenhang zwischen
einem großen Glücksspielangebot und einem stärkeren Problemausmaß nachwei-
sen: In Kantonen, die eine besonders hohe Geldspielautomatendichte aufwiesen,
wurde auch eine besonders hohe Anzahl von Menschen gefunden, die Probleme
mit dem Glücksspielen hatten oder gar glücksspielsüchtig waren. Für Norwegen
stellten Hansen und Rossow (2008) in Bezug auf die Gruppe der Heranwachsen-
den (13 bis 19 Jahre) fest: Je höher das Geldspielausmaß und die Ausgaben für
Glücksspiele waren, desto höher war die Prävalenz problematischen Glücks-
spielverhaltens. Jegliche Expansion des Glücksspielmarktes führt somit zu einer
Ausweitung glücksspielbezogener Probleme auf individueller und sozialer Ebene.
Es erfolgt eine Zunahme der Zahl problematischer und süchtiger Glücksspieler,
71
die sich selbst, ihre Familien und das Sozialsystem schädigen. An welche Grenzen
dieses Gesamtkonsum-Modell stößt, können nur Langzeitstudien aufklären, die
über längere Zeiträume das (wachsende) Glücksspielangebot in Bezug zu den
Prävalenzraten beobachten.
Verhältnispräventive Strategien zielen auf eine Eindämmung bzw. Regulierung des
Glücksspielmarktes, die das Angebot verteuern, einschränken und den Zugang
erschweren. Aus dieser Perspektive ist ein kleiner, streng reglementierter Glücks-
spielmarkt das Mittel der Wahl. Wirksame Prävention in diesem Sinne lässt sich an
geringeren Umsatzzahlen messen, während Umsatzsteigerungen letztlich die Wir-
kungslosigkeit präventiver Bemühungen anzeigen. Naturgemäß entspricht dieser
Ansatz nicht den Interessen der Anbieter von Glücksspielen aller Art. Glücksspielan-
bieter präferieren – wenn überhaupt – die weniger wirksamen verhaltenspräventiven
Maßnahmen, von denen sie allenfalls geringe Einflüsse auf den Umsatz erwarten.

Spezifische Maßnahmen zur Prävention der Glücksspielsucht

Verhaltens­ ▶ Stärkung von Lebenskompetenzen (Familie, Schule, Peergroup)


präventive ▶ Informations- und Aufklärungskampagnen (massenmedial)
Maßnahmen ▶ Unterrichtsprogramme für Schulen
▶ Schulung des Personals in Lottoannahmestellen, Spielbanken etc.
Verhältens­ ▶ Beschränkungen bzgl. der Anzahl der Glücksspielstandorte und
präventive der jeweiligen Glücksspielgelegenheiten (Geräte, Tische etc.)
Maßnahmen ▶ Beschränkung der suchtrelevanten Glücksspiele
▶ Eingriffe in die Spielstruktur
▶ Örtliche Beschränkungen, Ansiedlung an der Peripherie der Stadt
▶ Begrenzung der Öffnungszeiten
▶ Verbot des Vertriebsweges Internet
▶ Einlass- und Ausweiskontrollen
▶ Sperrsystem
▶ Werbebeschränkungen
▶ Beschränkung des Alkohol- und Tabakkonsums während
des Glücksspielens
▶ Aufklärung über Gewinn-/ Verlustwahrscheinlichkeiten
▶ Limitierung von Einsatz und Verlust
▶ Warnhinweise bzgl. der Suchtgefahr
▶ Hinweise auf Hilfeangebote (Hotline, Beratungsstellen, Selbsthilfe)
▶ Unterbindung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs oder
ausschließlich bargeldlosen Zahlungsverkehr in Verbindung
mit festgesetzten Limits
▶ Früherkennung von Problemspielern
▶ Precommitment-System, mit dem die Spieler das Einhalten
eines zuvor selbst gesetzten Limits vereinbaren

Tab. 6.3
72
Isolierte, verhaltenspräventive Maßnahmen und Programme weisen eine ver-
gleichsweise geringe Effektivität auf. Sie entfalten nur dann nennenswerte Wir-
kungen hinsichtlich Einstellungs- und insbesondere hinsichtlich Verhaltensände-
rungen, wenn sie sich in einem Rahmen solider gesetzlicher Rahmenbedingungen
bewegen, welche die Verfügbarkeit beschränken und somit den Gesamtkonsum
senken. Gefordert ist eine gute Kombination aufeinander abgestimmter Maß-
nahmen („policy mix“), die von der Aufklärung der Bevölkerung über Risiken und
Gefahren der Glücksspielteilnahme, über die Förderung und Stärkung der Ver-
braucher (z. B. Lebenskompetenzförderung) bis hin zu Werbebeschränkungen und
restriktiven Glücksspielgesetzen reichen.
Auf Basis bisher vorliegender eher lückenhafter Daten zur Wirksamkeit glücks-
spielsuchtspezifischer Maßnahmen haben Meyer und Bachmann (2011) in Anleh-
nung an Williams und Mitarbeiter (2007) verschiedene Präventionsmaßnahmen
hinsichtlich ihres Wirkungspotenzials eingeschätzt. Demnach erwiesen sich als
hoch bis mittelmäßig wirksam nur folgende Ansätze:
▶ Maßnahmen zur Stärkung der Lebenskompetenz (Familie, Schule, Peergroup)
sowie
▶ Maßnahmen zur Begrenzung der Verfügbarkeit von Glücksspielen:
▶ Beschränkung der Anzahl von Spielstätten,
▶ Begrenzung von Glücksspielen mit hohem Suchtpotenzial,
▶ örtliche Beschränkungen sowie
▶ Beschränkung des Alkohol- und Tabakkonsums während des Glücksspielens.
6.1.2 Aufklärungskampagnen
Die bundesweit erste Aufklärungskampagne zum Thema Glücksspielsucht hat das
nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium im Jahr 2004 unter dem Motto
„Ich mach’ das Spiel nicht mit“ gestartet. Die Kampagne umfasste Postkarten,
Flyer, Plakate und einen Kinospot. Flankierend wurde eine Hotline geschaltet, die
bis heute fortbesteht.
Nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages in Jahre 2008 wurden auf Bun-
desebene mit „Check dein Spiel“ und „Spielen mit Verantwortung“ (BZgA, 2009)
und in den meisten Bundesländern vergleichbare Kampagnen entwickelt.
Beispielsweise trägt die Kampagne in Berlin den Namen „Stopp! Faules Spiel!“
(www.faules-spiel.de), in Hamburg lautet der Slogan „Automatisch verloren.
Glücksspiel geht an die Substanz!“ (www.automatisch-verloren.de).
73
Die Kampagne der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern „Verspiel nicht dein
Leben" hat es bei den Effie Awards 2011 sogar unter die Finalisten geschafft.
Insbesondere der TV-Spot zur Kampagne gilt auch unter Suchtfachleuten als äu-
ßerst gelungen. Die Folgen einer Glücksspielsucht können kaum eindrucksvoller
dargestellt werden. Gezeigt wird zunächst eine typische Familienidylle: Haus im
Grünen mit Frau, spielenden Kindern, Hund, Garage und Auto. Plötzlich beginnen
sich drei Teile des Bildes wie ein Geldspielautomat zu drehen. Als sie zum Still-
stand kommen, sind Auto und Garage weg. Nach dem nächsten Dreh ist das Haus
verschwunden. Der Vorgang wiederholt sich bis nur noch die grüne Wiese zu se-
hen ist. Selbst der Hund ist verschwunden. Die attraktive Kampagne übertraf alle
gesetzten Ziele. Die Zahl der Besuche der Kampagnen-Website lag z. B. deutlich
über dem Ziel der Verzehnfachung und über das Kontakt-Tool der Homepage
konnten im Untersuchungszeitraum 5.000 Anfragen an die regionalen Beratungs-
stellen vermittelt werden, aus denen 2.100 Beratungsgespräche entstanden
(www.verspiel-nicht-dein-leben.de, Zugriff: 20.02.2013).

6.1.3 Sozialkonzepte
Mit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages im Jahr 2008 wurden erstmals
Sozialkonzepte für die Veranstalter und Vermittler öffentlicher Glücksspiele ver-
pflichtend (§ 6 GlüStV). Sie müssen ihr Personal schulen und die im Anhang des
GlüStV formulierten „Richtlinien zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücks-
spielsucht“ erfüllen. In den Sozialkonzepten soll dargelegt werden, mit welchen
Maßnahmen den sozialschädlichen Auswirkungen des Glücksspiels vorgebeugt
werden soll und wie diese behoben werden sollen. Ziel ist es, die Glücksspieler
zu verantwortungsbewusstem Glücksspielen anzuhalten und der Entstehung von
Glücksspielsucht vorzubeugen.
Der Glücksspielstaatsvertrag von 2008 enthält im Anhang folgende
„Richtlinien zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht“:
1. Die Veranstalter
a) benennen Beauftragte für die Entwicklung von Sozialkonzepten,
b) erheben Daten über die Auswirkungen der von ihnen angebotenen
Glücksspiele auf die Entstehung von Glücksspielsucht und berichten
hierüber sowie über den Erfolg der von ihnen zum Spielerschutz
getroffenen Maßnahmen alle zwei Jahre den Glücksspielaufsichtsbehörden,
74
c) schulen das für die Veranstaltung, Durchführung und gewerbliche
Vermittlung öffentlichen Glücksspiels eingesetzte Personal in der Früher-
kennung problematischen Glücksspielverhaltens, wie z. B. dem plötzlichen
Anstieg des Entgelts oder der Spielfrequenz,
d) schließen das in den Annahmestellen beschäftigte Personal vom dort
angebotenen Glücksspiel aus,
e) ermöglichen es den Glücksspielern, ihre Gefährdung einzuschätzen, und
f) richten eine Telefonberatung mit einer bundesweit einheitlichen
Telefonnummer ein.
2. Eine Information über Höchstgewinne ist mit der Aufklärung über die
Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust zu verbinden.
3. Die Vergütung der leitenden Angestellten von Glücksspielveranstaltern
darf nicht abhängig vom Umsatz berechnet werden.
Der Staatsvertrag zur Änderung des Glücksspielstaatsvertrags (GlüÄndStV), der
am 1.7.2012 in Kraft getreten ist, hat diese Regelungen übernommen. Zur Wirk-
samkeit einzelner recht anspruchsvoll formulierter Maßnahmen und Bestim-
mungen liegen in Bezug auf die Erreichung der definierten Ziele („Glücksspieler
sollen verantwortungsbewusst spielen“ und „Entstehung von Glücksspielsucht soll
vorgebeugt werden“) so gut wie keine wissenschaftlichen Evaluationen vor. Die
wenigen bisher vorliegenden Untersuchungen (vgl. Kalke 2011, S. 43f) weisen auf
Mängel hin (es fehlen z. B. validierte Instrumente zur Früherkennung) und können
keine nachhaltigen Effekte nachweisen.
Ob der Sozialkonzeptansatz je seinem Anspruch gerecht werden kann, erscheint
fraglich. Immerhin erwirtschaften Glücksspielunternehmen einen nicht unbe-
trächtlichen Teil ihrer Einnahmen durch die Gruppe der problematischen und
pathologischen Glücksspieler. Adams (2010) geht davon aus, dass 56 % der Um-
sätze der Geldspielautomatenbranche mit problematischen und pathologischen
Glücksspielern erwirtschaftet werden. Bei Spielbanken seien dies 38 %, bei Online-
Glücksspielen 60 % und bei den staatlichen Lotterien 4 %.

6.1.4 Sperrsystem
Hinweise auf die Wirksamkeit präventiver Ansätze liefert auch die Sperrdatenbank,
die sowohl Spielsperren im Bereich der 81 deutschen Spielbanken (Großes und
Kleines Spiel) als auch im Bereich der Lotterien umfasst. Die Möglichkeit, sich
für Lotteriespiele sperren zu lassen, besteht erst seit Inkrafttreten des GlüStV im
Jahr 2008 (§ 8 Spielersperre). Die Sperroption besteht nur für Lotteriespiele, die
75
mehr als zweimal die Woche gespielt werden (Oddset, Toto, Keno), ausgenommen
hiervon sind jedoch die insbesondere bei Jugendlichen beliebten Rubbellose.
Unterschieden werden Selbstsperren, die auf eigenen Antrag erfolgen, von Fremd-
sperren, die von Dritten beantragt werden. Gemeint sind hiermit insbesondere
die Mitarbeiter der Glücksspielanbieter, die ein Sperrverfahren einleiten müssen,
wenn es Hinweise auf eine Glücksspielsuchtgefährdung oder eine Überschuldung
gibt bzw. wenn es Hinweise gibt, dass der Glücksspieler Einsätze riskiert, die in
keinem Verhältnis zu seinem Einkommen stehen. Auch Angehörige können einen
Antrag auf Fremdsperre stellen. Um Denunziationen und Racheakten vorzubeu-
gen, wird in diesen Fällen Rücksprache mit dem Glücksspieler gehalten. Er wird
schriftlich informiert, dass ein Sperrantrag vorliegt und aufgefordert, durch aus-
sagekräftige Unterlagen seine Bonität nachzuweisen.
Die Größe der Sperrdatenbank und ihre Entwicklung innerhalb der letzten Jahre
lassen nicht auf besondere Aktivitäten im Bereich der Früherkennung aufsei-
ten der Glücksspielbetreiber schließen. Im Gegenteil: Zieht man Daten aus der
Schweiz als Vergleichsgröße heran, ergibt sich, dass es dort bei einer wesentlich
kleineren Einwohnerzahl (Deutschland 81,7 Mio., Schweiz 7,8 Mio.) und einer ge-
ringeren Anzahl an Spielbanken eine größere Anzahl gesperrter Glücksspieler gibt.

Vergleich der Entwicklung der Spielersperren in Deutschland und der Schweiz


35.000

30.000

25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Deutschland
Schweiz
Abb. 6.1 (Eidgenössische Spielbankenkommission ESBK, Bern, 2012 und Meyer, 2006, 2012)
76
Gäbe es in Deutschland eine ähnliche Sperrkultur wie in der Schweiz, müsste es
grob gerechnet mindestens 200.000 Sperren geben. In der Schweiz gilt es einige
Besonderheiten zu beachten: Die neue Glücksspielgesetzgebung, die im Jahr 2000
in Kraft trat, legt fest, dass außerhalb der Spielbanken kein Glücksspiel angeboten
werden darf. Dies führte nach einer Übergangsphase von fünf Jahren zum Abbau
des Automatenglücksspiels in den Spielhallen. Erlaubt sind dort nur noch Ge-
schicklichkeitsspiele. Das Schweizerische Spielbankengesetz (SBG) schreibt ein
Sozialkonzept vor, das Pate für die entsprechenden Vorschriften in der deutschen
Glücksspielgesetzgebung gestanden hat. Festgeschrieben wird die Verpflichtung zur
Früherkennung genauso wie Eingangs- und Zutrittskontrollen sowie der Abgleich
mit der Sperrdatei. Anders als in Deutschland kann man sich in der Schweiz aller-
dings nicht für Lotteriespiele sperren lassen.

Die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK, https://www.esbk.admin.ch/esbk/de/


home.html), die die Sozialkonzepte der 19 Spielbanken überwacht, hat im Jahr 2010 eine
Spielbank, die eine Kasinospielerin zu spät gesperrt hat, mit einer hohen Strafe belegt
(440.000 CHF). Die Strafe wurde 2011 vom Schweizer Bundesgericht (Urteil vom 18. Mai
2011, 2C_94972010), bei dem die Spielbank Be­schwerde eingelegt hatte, bestätigt. Die Bank-
angestellte hatte bei ihrem Arbeitgeber 2,8 Mio. CHF unterschlagen und im Spielkasino ver-
spielt. Sie tätigte Einsätze von rund 99.000 CHF im Monat und geriet mehrfach in den Fokus
der Früherkennung. Es wurden sogar Gespräche über eine Glücksspielsuchtgefährdung mit
ihr geführt, die aber ebenso ohne Folgen blieben, wie Rückfragen zu ihren finanziellen Ver-
hältnissen, die ergeben hatten, dass ihr Einkommen in keinem Verhältnis zu den Einsätzen
stand. Das Gericht urteilte, dass die ESBK das Bußgeld zu Recht verhängt habe. Das Kasino
habe gegen die Konzession verstoßen, weil es keine Spielsperre verhängt habe.

Ein vergleichbarer Fall in Deutschland blieb bislang folgenlos für den Betreiber: Ein Ma-
nager unterschlug bei seinem Arbeitgeber im Verlauf mehrerer Jahre insgesamt rund 8,2
Mio. Euro, mit denen er vor allem seine Glücksspielsucht finanzierte. Vor Gericht sagten
Kasinomitarbeiter aus, er habe mehrmals wöchentlich das Kasino besucht und dabei Be-
träge zwischen 5.000 und 10.000 Euro am Abend verspielt. Von einer Glücksspielsucht habe
man aber nichts bemerkt, er sei weder aggressiv gewesen, noch habe er auf die Automaten
eingehauen, das Personal beschimpft, seine Kleidung vernachlässigt oder versucht, sich
von anderen Gästen Geld zu leihen. Im Juli 2011 wurde der Manager zu fünf Jahren und
drei Monaten Haft verurteilt. Die von einem Gutachter bestätigte Glücksspielsucht wurde
ebenso strafmildernd gewertet wie das Geständnis des Angeklagten. Das Gericht kritisierte
in seinem Urteil die Spielbank. Deren Geschäftsführung habe verantwortungslos gehandelt,
indem sie „aus ureigensten wirtschaftlichen Interessen“ die Spielsucht des Angeklagten
ignoriert habe und nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen hätte. Eine Reaktion der zustän-
digen Glücksspielaufsicht im Thüringer Innenministerium steht noch aus.
77
Der Vergleich beider Fälle zeigt, dass Sozialkonzepte nur in Verbindung mit einer
starken Glücksspielaufsicht Sinn machen, die die Umsetzung sorgfältig prüft,
begleitet und die Nichteinhaltung sanktioniert. Aktuell wäre z. B. eine Überprü-
fung der Sperrpraxis der Spielbanken und Lottogesellschaften durch die Glücks-
spielaufsicht angezeigt. Nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Neusper-
ren, differenziert nach Selbst- und Fremdsperren, sowie die Zahl der Anträge auf
Entsperrung und die aufgehobenen Sperren seit Inkrafttreten des GlüStV. Insbe-
sondere die geringe Zahl der Fremdsperren aufgrund von Hinweisen des Perso-
nals sollte Anlass zu sorgfältigen Überprüfungen sein, besagt sie doch, dass z. B.
im Jahr 2010 im Schnitt jährlich nur 1,8 Spieler pro Spielbank als problematisch
erkannt wurden.

Anzahl der Spielsperren, Anträge auf Entsperrung und aufgehobene Sperren

Jahr Selbst- Fremdsperren Anträge auf Aufgehobene


sperren Entsperrung Sperren
Hinweise Hinweise
durch durch
Dritte Personal

2008 3328 291 278 1007 348

2009 2130 184 205 696 316

2010 1783 145 170 388 241

Tab. 6.4 (aus: Meyer, 2012)

Auch die Praxis zur Aufhebung von Sperren ist noch nicht optimal geregelt. Der
Fachbeirat Glücksspielsucht, der die Bundesländer bei der Umsetzung des GlüStV
berät, hat empfohlen, bei Anträgen auf Entsperrung folgende Sachverhalte sorg-
fältig zu prüfen (www.fachbeirat-gluecksspielsucht.de: Empfehlung 3/2011):
▶ Schufa-Auskunft
▶ Anhörung des Dritten, der die Sperre veranlasst hat
▶ Nachweis, dass keine Sozialleistungen bezogen werden
▶ Unbedenklichkeitsbescheinigung eines unabhängigen Gutachters, d. h. eines in
der Behandlung von pathologischen Glücksspielern erfahrenen, approbierten
psychologischen / ärztlichen Psychotherapeuten oder Facharztes für Psychiatrie
78
Der Fachbeirat Glücksspielsucht weist ferner darauf hin, dass eine Entsperrung
nur für Personen infrage kommt, die einer vorübergehenden Glücksspielgefähr-
dung unterlagen und nicht für diagnostizierte Glücksspielsüchtige. Dabei vertritt er
die Lehrmeinung, dass es sich bei der Glücksspielsucht um eine chronische, nicht
heilbare Krankheit handelt, bei der eine Abstinenz zur Genesung zwingend ist.
Der ebenfalls in der Empfehlung 3/2011 formulierte Hinweis des Fachbeirates,
dass fahrlässige Entsperrungen weitreichende haftungsrechtliche Konsequenzen
haben können, erwies sich nahezu als prophetisch: Im Oktober 2011 verurteilte
der BGH die Baden-Württembergischen Spielbanken GmbH & Co KG auf Scha-
denersatz von rund 250.000 Euro, weil sie einen Antrag auf Entsperrung nicht
sorgfältig geprüft hatte. Nach Aufhebung der Sperre verspielte der Mann inner-
halb von 18 Monaten 247.000 Euro. Die Ehefrau des Glücksspielsüchtigen verklag-
te daraufhin die Spielbank und der BGH gab der Klage in letzter Instanz statt (III
ZR 251/10). Das Gericht führt im Urteil aus, dass der Zweck einer Selbstsperre der
Schutz vor sich selbst sei. Die Spielbank verpflichte sich, den Spieler vor seiner
Spielsucht und den daraus drohenden wirtschaftlichen Schäden zu schützen. Im
Falle einer Aufhebung einer Selbstsperre müsse der sichere Nachweis erbracht
werden, dass keine Spielsuchtgefährdung mehr vorliegt und der Spieler zu einem
kontrollierten Spiel in der Lage ist. Die Rechtslage wirft für die Betroffenen und
deren Angehö-rige eine Vielzahl von Fragen auf:
Muss ich den Antrag auf Spielsperre persönlich abgeben?
Nein, das ist nicht nötig und auch nicht empfehlenswert, weil es eine zu große
Rückfallgefahr darstellt, wenn man sich z. B. noch einmal der Kasinoatmosphäre
aussetzt. Der Antrag kann schriftlich gestellt werden. Es ist allerdings erfor-
derlich, eine Kopie des Personalausweises beizulegen. Am besten schickt man
den schriftlichen Antrag auf Spielsperre an das Unternehmen, bei dem man am
häufigsten gespielt hat. Er kann aber auch bei jeder Spielbank oder jeder Lottoan-
nahmestelle in Deutschland gestellt werden. Es gibt eine zentrale Datei, in die alle
gesperrten Spieler aufgenommen werden.
Kann auch ein Angehöriger eine Spielsperre beantragen?
Ja, auch Angehörige können eine Sperre beantragen. Man spricht in diesem Fall
von einer sogenannten Fremdsperre. Der Antrag kann in einer Spielbank oder ei-
ner Lottoannahmestelle gestellt werden. Der Glücksspielsüchtige wird dann über
den Antrag informiert und gebeten, sich zu äußern. Er muss nachweisen, dass
er in geordneten finanziellen Verhältnissen lebt und sich zu seinem Glücksspiel-
verhalten äußern. So wird sichergestellt, dass derartige Anträge nicht aus Spaß,
Rache oder anderen sachfremden Motiven gestellt werden. Wer in Erwägung zieht,
79
einen solchen Antrag auf Fremdsperre für einen Angehörigen zu stellen, sollte
bedenken, dass dies die Beziehung zu dem Glücksspielsüchtigen schwer belasten
kann. Besser ist es, ihn zu einem Antrag auf Selbstsperre zu motivieren.
Kann eine Spielbank oder eine Lottogesellschaft eine Spielsperre aufheben, wenn
der Spieler dies beantragt?
Ja, die Spielbank oder die Lottogesellschaft, die die Sperre angenommen hat,
kann sie auf schriftlichen Antrag frühestens nach einem Jahr aufheben. Aller-
dings ist sie verpflichtet, genau zu prüfen, ob keine Glücksspielsuchtgefährdung
mehr vorliegt und der Spieler nunmehr zu einem kontrollierten Spiel in der Lage
ist. Wird die Spielsperre ohne hinreichende Prüfung aufgehoben, stellt dies eine
Verletzung des Spielsperrvertrages dar und kann zu Schadensersatzansprüchen
gegenüber der Spielbank führen.
(vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 – III ZR 251/10)
Kann man sich auch für Onlineglücksspiele sperren lassen?
Einige Onlineglücksspielanbieter bieten die Möglichkeit der Spielsperre an. Die
Erfahrung zeigt jedoch, dass es ein Leichtes ist, diese Sperren ohne weitere Über-
prüfung wieder aufzuheben. Außerdem gibt es keine gemeinsame Datenbank und
die Sperre gilt jeweils nur für den Anbieter, bei dem sie beantragt wird. Angesichts
der Fülle der Internetglücksspielangebote stellt dies keinen wirksamen Schutz dar.

6.1.5 Jugendschutz
Es ist bekannt, dass (männliche) Jugendliche besonders gefährdet sind, ein prob-
lematisches Glücksspielverhalten zu entwickeln (vgl. Kapitel 2.3). Mehrere Studien
haben unabhängig voneinander aufzeigen können, dass die Prävalenz des patholo-
gischen Glücksspielverhaltens in dieser Altersphase deutlich erhöht ist
(vgl. Hurrelmann et al. 2003; Meyer, 2011; BZgA, 2012). Die Studie von Hurrelmann
und Mitarbeitern (2003) ergab, dass zwei Drittel der befragten 13- bis 19-Jährigen
(N= 5.000) bereits an verschiedenen Glücksspielen teilgenommen hatten. Bei 3 %
der Gesamtstichprobe wurde ein problematisches Glücksspielverhalten festge-
stellt. Die PAGE Studie (Meyer et al., 2011) fand in der Gruppe der 14- bis 17-Jäh-
rigen eine Lebenszeitprävalenz für pathologisches Glücksspielen von 1,5 % und
für problematisches Glücksspielen von 1,1 %. Der Erstkontakt zum Glücksspiel
(zumeist Sofortlotterien) findet laut BZgA-Studie (2012) demnach bereits im Alter
von 13,5 Jahren statt.
Angesichts dieser Befundlage wird deutlich, dass die bestehenden Jugendschutz-
bestimmungen (Teilnahme erst ab 18 Jahren) nicht ausreichend eingehalten wer-
den. Insbesondere Glücksspielangebote, bei denen keine Ausweiskontrollen ver-
80
langt werden, werden verstärkt von Jugendlichen frequentiert. Der unzureichen­
den Umsetzung des Jugendschutzes kann am besten mit Testkäufen begegnet
werden, die von unabhängigen Instituten unter pädagogischer Begleitung durch-
geführt werden. In der Vergangenheit wurden Testkäufe hauptsächlich von Mitbe-
werbern der Lottogesellschaften durchgeführt. Der GlüÄndStV sieht vor, dass dies
zukünftig Aufgabe der Glücksspielaufsichtsbehörden sein wird. Die Ergebnisse
dieser Testkäufe sollten veröffentlicht, Übertretungen der Jugendschutzbestim-
mungen mit hohen Bußgeldern belegt und im Wiederholungsfall sollte die Kon-
zession entzogen werden.

6.2 Beratung
6.2.1 Telefonische Beratung
Als Antwort auf den wachsenden Glücksspielmarkt in Großbritannien wurde dort
von GamCare, einem in London ansässigen Beratungs-, Behandlungs- und Prä-
ventionszentrum, bereits im Jahr 1997 eine nationale Telefonhilfe für Menschen
mit Glücksspielproblemen gegründet, die wertvolle Pionierarbeit auf diesem Ge-
biet geleistet hat (Scarfe, 2001). Auch in Deutschland gibt es inzwischen mehrere
telefonische Hilfeangebote, die sich jedoch hinsichtlich ihrer Zielgruppe, der per-
sonellen Besetzung und bezüglich der Intensität des Beratungsangebotes unter-
scheiden.
Einige Angebote, die direkt von Glücksspielanbietern organisiert und getragen
werden, wenden sich gezielt an die Gäste der eigenen Spielstätte. Die Saarland
Spielbanken betreiben beispielsweise eine Hotline, die von einem Mitarbeiter der
Spielbank betreut wird. Es gibt keine festen Anrufzeiten und wenn er nicht er-
reichbar ist, wird der Anruf an die Rezeption der Spielbank umgeleitet.
Einen weiteren Typus „Telefonhotline“ stellen Angebote dar, die (im weitesten Sin-
ne) von der Suchthilfe betrieben und von Glücksspielanbietern finanziert werden.
Beispiele hierfür sind die Kooperationen der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) mit der Automatenbranche und dem Deutschen Lotto-Toto-
block (DLTB), die Kooperation des Arbeitskreises gegen Spielsucht in Unna mit
den Westspiel Casinos sowie die Kooperation der Evangelischen Gesellschaft in
Stuttgart mit den Baden-Württembergischen Spielbanken.
Den dritten Typus repräsentiert die 2004 gegründete Infoline Glücksspielsucht
NRW. Sie ist mit Mitarbeitern besetzt, die in ambulanten und stationären Einrich-
tungen der Suchtkrankenhilfe mit glücksspielsuchtspezifischem Schwerpunkt
81
tätig sind. Finanziert wird sie vom Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-
Westfalen. Die Telefonnummer der Infoline wird breit beworben und ist zudem
auf alle Spielscheine der nordrhein-westfälischen Lottogesellschaft (WestLotto)
gedruckt.
Weitere Angebote gibt es seitens der Selbsthilfe. So betreiben die Anonymen Spie-
ler eine Hotline, die jeden Abend zwei Stunden erreichbar ist.
Der Vorteil der telefonbasierten Beratungsangebote liegt vor allem in der leichten
– auf Wunsch auch anonymen – Zugänglichkeit und der unkomplizierten Erreich-
barkeit. Es muss kein Termin vereinbart werden, der Anruf kann von zu Hause aus
erledigt werden, es entstehen keine bzw. nur geringe Kosten. Die existierenden An-
gebote verzeichnen steigende Anruferzahlen und erreichen die Menschen mit prob-
lematischem oder pathologischem Glücksspielverhalten sehr früh. Die große Mehr-
heit (ca. 80 %) z.  B. der Anrufer der Infoline Glücksspielsucht NRW hatte vorher noch
keinen Kontakt zur Suchthilfe (weder Selbsthilfe noch professionelles Hilfesystem).

Entwicklung der Anruferzahlen der Infoline Glücksspielsucht NRW


von 2004 bis 2011

3.500

3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

500
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Abb. 6.2 (Landeskoordinierungsstelle Anzahl der Anrufe


Glücksspielsucht NRW, unveröffentlicht)
82
Ausgewählte Fallbeispiele (anonymisiert) der Infoline Glücksspielsucht NRW
Anruferin (47 Jahre alt) ist Automatenspielerin, seit zwei Jahren bereite ihr das
Glücksspielen zunehmend Probleme. Sie habe schon versucht, sich in der Spiel-
halle Hausverbot erteilen zu lassen, der Betreiber habe dies aber abgelehnt. Sie
habe bisher mit niemandem über ihr Problem gesprochen.
Anrufer (43 Jahre alt) berichtet, dass er vor dem Bahnhof in B. stehe. Er spiele
seit 20 Jahren an Geldspielautomaten, habe jetzt vor einer Woche seine Wohnung
verloren. Die letzte Nacht habe er im Vorraum der Volksbank übernachtet. Seine
Arbeit habe er noch. Es habe alles keinen Sinn mehr!
Anrufer sind zwei junge Türken (24 und 27 Jahre alt). Sie seien beide glücksspiel-
süchtig, würden zusammen monatlich mehrere Tausend Euro verspielen. Sie möch-
ten unbedingt davon loskommen, hätten aber Angst, dass ihr Problem bekannt wird.
Auch ihren Partnerinnen hätten sie bislang nichts erzählt – es sei ihnen peinlich. Sie
möchten wissen, ob es in Spielhallen eine Sperrmöglichkeit gibt.

6.2.2 Onlineberatung und Chatangebote


Die BZgA bietet ein interaktives Beratungsprogramm an, das über die Seite
„Check dein Spiel“ (www.check-dein-spiel.de) aufzurufen ist. Die Ratsuchenden,
die während des gesamten Beratungsprozesses anonym bleiben können, werden
vier Wochen lang professionell begleitet, eine Verlängerung auf 50 Tage ist mög-
lich. Während der gesamten Zeit steht ein Mitglied des Beratungsteams als Be-
gleiter zur Verfügung. Nach der Anmeldung werden zunächst in einem Online-
Fragebogen Angaben zur Person (andere Abhängigkeitsstörungen, Änderungsbe-
reitschaft, soziodemografische Daten) und zum Glücksspielverhalten erhoben.
Der Start des Programms erfolgt dann über ein Aufnahmegespräch im Chat von
„Check dein Spiel", einmal pro Woche erfolgt eine Rückmeldung zu den Einträgen
eines persönlichen Online-Tagebuches, zu dem nur das Beratungsteam Zugriff
hat. Das Programm endet mit einem Abschlussgespräch im Chat. Auf der Inter­
netseite werden außerdem verschiedene Informationen (Adressen von Hilfeein-
richtungen, Glücksspielgesetzgebung), Tests (Selbsttest, Wissenstest) und prakti-
sche Tipps zur Bewältigung von Glücksspielproblemen angeboten.

6.2.3 Internetforen
Ein weiteres internetbasiertes Beratungsangebot stellen Foren dar, in denen
sich Betroffene untereinander und zum Teil auch mit professionellen Suchtbe­
ratern bzw. -therapeuten austauschen. Einige dieser Foren wie z.  B. www.die-
spielsucht.de wurden von Glücksspielsüchtigen gegründet, andere wie
83
www.forum-gluecksspielsucht.de oder www.spielsucht.net/vforum/ sind organi-
satorisch an Verbände bzw. Beratungsstellen der Suchthilfe angeschlossen. Diese
in der Regel gut frequentierten Foren stellen eine geeignete Brücke zwischen
Selbsthilfeangeboten und der professionellen Suchthilfe dar.

6.2.4 Beratungsstellen
Von den rund 1400 Suchtberatungsstellen in Deutschland haben sich bisher etwa
300 auf die Beratung Glücksspielsüchtiger und ihrer Familien spezialisiert. Grund-
sätzlich gilt: Je stärker eine Beratungsstelle von Glücksspielsüchtigen frequen-
tiert wird, desto differenzierter ist ihr Angebot für diese Gruppe. Ein differenziertes
Angebot wiederum führt zu einer verstärkten Beratungsnachfrage. Glücksspiel-
süchtige scheinen für ein spezifisches Angebot (eigenes Gruppenangebot für
Glücksspieler, Angehörigengruppe, Geld- und Schuldenmanagement, Anbindung
an Schuldnerberatung, Rechtsberatung, ARPG, d.h. ambulante Rehabilitation für
pathologische Glücksspieler etc.) eher etwas längere Anfahrtswege in Kauf zu
nehmen, als eine ortsnahe Beratungsstelle aufzusuchen, in der sie evtl. der einzi-
ge Betroffene mit einem pathologischen Glücksspielverhalten sind.
Am Beispiel der Fachstelle Glücksspielsucht des Hellwegzentrums in Bielefeld
(Johanneswerk) hier ein Überblick über die angebotenen Hilfen:
▶ Motivation: Informations- und Motivationsgruppe für Glücksspieler
▶ Beratung: individuelle Beratung für Betroffene, Angehörige, Familien und
sonstige Bezugsgruppen, Hilfe in Krisensituationen
▶ Gruppen: Gruppe für Angehörige von Glücksspielern, Zusammenarbeit mit
der Spielerselbsthilfegruppe
▶ Behandlung: Durchführung der „ambulanten Rehabilitation pathologisches
Glücksspielen" (anerkannt von der Deutschen Rentenversicherung)
▶ Vermittlung: Vorbereitung und Vermittlung stationärer Behandlungen sowie
Kombinationsbehandlungen
▶ Nachsorge: Gruppenangebot für Patienten nach einer erfolgten stationären
Entwöhnungsbehandlung (anerkannt von der Deutschen Rentenversicherung)
Suchtberatungsstellen mit einem derart differenzierten Angebot erreichen jähr-
lich bis zu 150 Klienten mit einer Glücksspielproblematik (Intensivkontakte) und
zusätzlich rund 50 Angehörige. In Regionen, in denen es keine spezialisierten
Beratungsstellen gibt, werden die Klienten von Beratungsstellen für Alkohol- und
Medikamentenabhängige – seltener von Drogenberatungsstellen – versorgt.
84
Nach Inkrafttreten des GlüStV im Jahr 2008 haben die Bundesländer (mit Ausnah-
me von Sachsen) begonnen, ein Netz von Präventions- und Beratungsangeboten
aufzubauen und finanziell zu unterstützen. Vorbild hierfür war das Land Nord­
rhein-Westfalen, hier werden Suchtberatungsstellen mit glücksspielspezifischem
Beratungsangebot bereits seit Mitte 2000 gefördert. Einige wenige Beratungsan­
gebote werden außerdem mit kommunalen Mitteln unterstützt. In Bielefeld z. B.
hat die Stadt die Vergnügungssteuer auf Geldspielautomaten erhöht und einen Teil
der beträchtlichen Mehreinnahmen für die Beratung pathologischer Glücksspieler
zur Verfügung gestellt.
Adressen von Suchtberatungsstellen, die Hilfen für pathologische Glücksspieler
und deren Angehörige anbieten, gibt es in diversen Adressdatenbanken
(z. B. www.gluecksspielsucht.de, www.dhs.de, www.check-dein-spiel.de).

6.3 Behandlung
Bei der Behandlung der Glücksspielproblematik hat sich das etablierte Prinzip der
Glücksspielabstinenz bewährt. Im deutschsprachigen Raum gibt es für pathologi-
sche Glücksspieler keine Ansätze zum sogenannten kontrollierten Glücksspielen.
Während der Behandlung wird die vollständige Glücksspielabstinenz gefordert, um
die Funktionalität des ausgeübten Glücksspielverhaltens erlebbar zu machen,
während nach einer Behandlung die Entscheidung über den Bereich des „wei-
chen" Glücksspielverhaltens (Spiele mit geringem Geldeinsatz wie z. B. Skat um
Centbeträge oder Getränke) dem Betroffenen überlassen werden kann. Die Prog-
nose ist allerdings bei Patienten, die sich für eine strikte Glücksspielabstinenz
entscheiden, positiver. Die Behandlung muss sich zunächst auf die Stabilisierung
dieser Glücksspielabstinenz konzentrieren.

6.3.1 Psychiatrische Akutbehandlung und psychotherapeutische


Therapie
Die „Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und Rentenversiche-
rungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspie-
len“ (vgl. Kapitel 9) verweisen darauf, dass eine ambulante psychiatrische oder
psychotherapeutische Behandlung immer dann indiziert ist, wenn das Glücks-
spielverhalten symptomatischen Charakter besitzt und die psychische Grundstö-
rung angemessen ambulant behandelt werden kann.
Eine akutpsychiatrische stationäre Behandlung erfolgt in der Regel aufgrund
einer akuten suizidalen Krise im Rahmen der Glücksspielsucht, einer akuten psy-
chischen Grundstörung oder im Rahmen einer Entzugsbehandlung bei einer Stö-
85
rung durch psychotrope Substanzen. Nach der multizentrischen Studie von Den­zer
und Mitarbeitern (1996) weist ca. ein Viertel aller in ambulanter Beratung/Be-
handlung oder stationärer Behandlung aufgenommenen Glücksspieler einen oder
mehrere ernsthafte Selbstmordversuche in der Vorgeschichte auf. Bei zwei Drittel
der Fälle besteht ein direkter Zusammenhang zur Glücksspielproblematik. Neuere
und internationale Untersuchungen bestätigen diesen Befund. Derzeit bestehen
erste Ansätze zur akutpsychiatrischen Versorgung pathologischer Glücksspieler
mit komorbiden Störungen, wozu jedoch noch keine Veröffentlichungen vorliegen.
Nach der PAGE-Studie (Meyer et al., 2011) weisen 71,1 % aller unbehandelten pa-
thologischen Glücksspieler eine psychische Störung ohne Substanzgebrauchsstö-
rung auf, und sogar 87,7 %, wenn man Störungen durch psychotrope Substanzen
(ohne Tabak) hinzurechnet.
Pathologische Glücksspieler werden inzwischen in erheblichem Umfang auch
durch niedergelassene Psychotherapeuten behandelt (vgl. Kapitel 2.1.2). Diese
können eine besondere Bedeutung bei der Behandlung der häufigen komorbiden
Störungen und in der Vorbereitung auf eine stationäre Rehabilitationsbehandlung
beziehungsweise deren Nachsorge haben. Doch noch mangelt es an einer ausrei-
chenden Vernetzung mit dem Suchthilfesystem.

6.3.2 Ambulante und stationäre Rehabilitation


Die Indikation für eine ambulante versus stationäre Behandlung bezieht sich auf
die soziale Integration, die Schwere der Erkrankung, das Ausmaß der Krankheits-
folgen und eine bestehende Komorbidität. Nach dem Grundsatz der Vorrangigkeit
der ambulanten und ambulant tagesklinischen Behandlung sollten Glücksspiel-
süchtige ambulant behandelt werden, wenn das soziale Umfeld eine unterstützen-
de Funktion hat, eine stabile Wohnsituation gegeben ist, eine ausreichende beruf-
liche Integration besteht und eine aktive Mitarbeit, insbesondere die Einhaltung
der Glücksspielabstinenz, gewährleistet ist, wobei zwischenzeitliche Rückfälligkeit
aufgearbeitet werden kann.
Nach den „Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und Ren-
tenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem
Glücksspielen“ (vgl. Kapitel 9) müssen Einrichtungen der ambulanten Rehabi-
litation für pathologische Glücksspieler über ein wissenschaftlich begründetes
Behandlungskonzept verfügen, störungsspezifische Gruppentherapie und regel-
mäßige Einzeltherapie anbieten sowie zur Erfolgskontrolle regelmäßige glücks-
spielspezifische Katamnesen durchführen.
86
Stationäre Einrichtungen müssen demzufolge über ein umfassendes glücksspie-
lerspezifisches Behandlungsangebot zur abstinenzorientierten Symptombehand-
lung und zur Mitbehandlung zugrunde liegender oder komorbider psychischer
Störungen oder Suchterkrankungen verfügen. Darüber hinaus ist das therapeuti-
sche Geld- und Schuldenmanagement zwingender Behandlungsbestandteil. Die
Klinik muss jährlich mindestens 50 pathologische Glücksspieler behandeln, um
ein gruppentherapeutisches Angebot durchgehend gewährleisten zu können. Das
Qualitätsmanagement muss eine regelmäßige glücksspielerspezifische Katam­
nese umfassen.
Im Rahmen der stationären Rehabilitation kann eine differenzielle Indikationsstel-
lung erfolgen. Danach ist eine psychosomatisch orientierte Behandlung indiziert,
wenn die Glücksspielproblematik noch nicht so weit fortgeschritten ist, die psy-
chosozialen Folgen noch nicht so gravierend sind und im Erstinterview ein um-
schriebener Konfliktfokus sichtbar wird, wonach sich das problematische Glücks-
spielverhalten als Reaktion auf eine Belastungssituation oder als gescheiterter
Konfliktlösungsversuch verstehen lässt, und natürlich, wenn eine zusätzliche
spezielle psychische oder psychosomatische Störung besteht.
Eine suchttherapeutisch orientierte Behandlung ist erforderlich, wenn es sich um
eine fortgeschrittene Glücksspielproblematik mit suchttypischer Eigendynamik
handelt, gravierende psychosoziale Folgen vorliegen, der Patient seine Symptoma-
tik im Sinne eines impliziten Suchtkonzeptes verarbeitet hat, und wenn eine zu-
sätzliche stoffgebundene Suchterkrankung vorliegt.

6.3.3 Psychotherapeutische Methoden


6.3.3.1 Motivierung
Um die ambivalente Haltung bezüglich der Fortsetzung oder Einstellung des
Glücksspielens zu bearbeiten, bieten sich nichtkonfrontative Motivierungsstra-
tegien an. Ziel ist das Bewusstwerden der Diskrepanz zwischen den unmittelbar
positiv erlebten Gefühlsveränderungen und den langfristig negativen Folgen des
Glücksspielverhaltens.
87
Vor- und Nachteile der Glücksspielabstinenz versus Vor- und Nachteile der
Fortsetzung des Glücksspielens in Anlehnung an Miller und Rollnick (2004)

Glücksspielabstinenz Weiteres Glücksspielen

Vorteile ▶ Ich hätte weniger Ärger ▶ „Zocken“ macht mir Spaß.


zu Hause.
▶ In der Halle treffe ich meine
▶ Das Verhältnis zu meinen Freunde.
Kindern würde besser.
▶ Beim Spielen kann ich gut
▶ Ich könnte mir wieder etwas abschalten.
leisten.

Nachteile ▶ Was soll ich sonst mit meiner ▶ Es wird alles noch viel
Zeit anfangen. schlimmer werden (Schulden,
▶ Meine Freunde würden mich Probleme mit der Familie).
für ein „Weichei“ halten. ▶ Ich kann kaum noch
▶ Dann muss ich mich ernsthaft durchschlafen.
um meine Beziehungs­probleme ▶ Vielleicht werde ich sogar
kümmern. kriminell.

Tab. 6.5

Im Zentrum steht die Herausarbeitung der Funktionalität des Problemverhaltens,


um daraus konkrete Therapieziele abzuleiten. Dies erfolgt durch Erfassung des
situativen Kontextes, der damit verbundenen Verhaltensgewohnheiten und der
inneren Bewertungsprozesse, die das Glücksspielverhalten stabilisieren. Der dar-
über hinausgehende Ansatz zur „motivierenden Beratung“ wird im Rahmen des
Problemlösetrainings (vgl. Kapitel 6.3.3.3) dargestellt.

6.3.3.2 Kognitive Umstrukturierung


Die Veränderung spezifischer kognitiver Verzerrungsmuster, die sowohl für die
Entstehung als auch die Aufrechterhaltung des Glücksspielverhaltens von Bedeu-
tung sind, wird von kognitiven Verhaltenstherapeuten als bedeutsam eingeschätzt.
Grundlage bildet die sozialkognitive Theorie der Verwicklung in das Glücksspielen,
die sich auf empirische und experimentelle Befunde stützen kann und ein kog-
nitiv-behaviorales Erklärungsmodell des problematischen Glücksspielens liefert
(vgl. Kapitel 3.2.3).
Ausgangspunkt sind drei zentrale irrationale Denkweisen, die sich durch normale
psychische Prozesse erklären lassen: Es handelt sich erstens um die sogenannte
Kontrollillusion, die Annahme, dass beim Glücksspielen mehr persönliche Ein-
88
flussnahme möglich ist, als dies von seiner objektiven Struktur her der Fall ist.
Zweitens geht es um die verzerrte Bewertung des Glücksspielergebnisses, indem
Gewinne den eigenen Kompetenzen und Verluste den äußeren, nicht beeinflussba-
ren Hindernissen und unglücklichen Umständen zugeschrieben werden. Drittens
handelt es sich um die sogenannte Gefangennahme, d. h. die sich aufgrund der
bereits erfolgten „Investition" verstärkende Bindung an eine gewählte Entschei-
dungsstrategie, obwohl diese bereits gescheitert ist.

6.3.3.3 Problemlösetraining
Bergler (1957) illustriert die spezifischen Defizite der Problemlösekompetenz von
Glücksspielern anhand der Geschichte eines Handelsvertreters, der eine lange
Liste von potenziellen Kunden in verschiedenen Städten von seinem Chef erhalten
hatte und sich bei seiner Rückkehr des Erfolges rühmte, dass er die Liste vollstän-
dig abgearbeitet habe. Auf die Frage seines Chefs, wie viel er verkauft habe, muss
er jedoch antworten, dass er froh gewesen sei, auf der langen Reise keine Zugver-
bindung verpasst zu haben.
Allgemeinpsychologisch lässt sich dieses klinische Phänomen als Misserfolgsmo-
tivierung interpretieren. So lässt sich zeigen, dass bei Ringwurfaufgaben, bei denen
die Versuchsperson die Entfernung, von der aus sie einen Ring über einen Pflock
werfen soll, wählen kann, misserfolgsmotivierte Personen die beiden Extreme,
die sehr nahen und damit leichten oder die sehr weiten und damit sehr riskanten
Entfernungen, bevorzugen. Erfolgsmotivierte Versuchspersonen wählen dagegen
die zwar schwierigen, aber Erfolg versprechenden mittleren Entfernungen. Die
klinische Adaption dieser Aufgabe in der Behandlung pathologischer Glücksspieler
zeigt deren eindeutige Präferenz für die riskanten und damit häufig zu Misserfolg
führenden Entfernungen. Überträgt man dies interpretativ auf den Umgang von
süchtigen Glücksspielern mit ihren Lebensanforderungen, zeigt sich, dass sie den
als schwierig erlebten Alltagsproblemen und wichtigen Entwicklungsaufgaben
(Eingehen dauerhafter Beziehungen, Familiengründung, berufliche Karriere u. a.)
ausweichen und sich stattdessen dem Glücksspielen, also einer unlösbaren und
damit von vornherein zum Scheitern verurteilten Anforderung zuwenden.
Der Lebensstilansatz (vgl. Kapitel 3.4.1) betrachtet die mangelnde Problemlöse-
kompetenz als Ausdruck eines glücksspielerspezifischen Lebensstils. Der Betrof-
fene entwickelt eine zunehmende Tendenz zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedi-
gung, die ihn immer unfähiger werden lässt, seine existenziellen Lebensaufgaben
zu lösen. Entsprechend wird das Problemlösetraining als ein wichtiger Bestandteil
der Behandlung von Glücksspielsüchtigen angesehen.
89
Basierend auf den denkpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Grundla-
gen zur Verbesserung der Problemlösekompetenz wurde vom Autor (Petry, 2001)
ein glücksspielerspezifisches Training zum Problemlösen entwickelt:
Zu Beginn des Programms wird eine einfache Problemdefinition als inhaltlicher
Bezugsrahmen anhand des im Folgenden beschriebenen Neun-Punkte-Problems
eingeführt: Es handelt sich hierbei um die Darstellung von neun Punkten, die in
drei Reihen in Form eines Quadrates angeordnet sind. Die Aufgabe lautet, die
Punkte durch vier gerade Linien (ohne Zurückfahren auf einer Linie) miteinander
zu verbinden, wobei jeder Punkt nur einmal berührt werden darf. Diese Aufgabe
ist nur zu lösen, wenn man den Raum des durch die Punkte scheinbar gebildeten
Quadrats verlässt und die Linie in den freien Raum führt.

Abb. 6.3
Das Neun-Punkte-Problem

Mit dem „Neun-Punkte-Problem" lässt sich eindrücklich die gestaltorientierte


Wahrnehmung eines Quadrates, welches den Problemraum dysfunktional ein-
schränkt, und die Überwindung dieser inneren Barriere durch Verlassen des
vermeintlich vorgegebenen Wahrnehmungsfeldes, verdeutlichen. Dies kann man
als Metapher leicht auf persönliche innere Hemmungen (Erwartungsängste, de-
pressive Hilflosigkeit, überhöhte Leistungsansprüche, unrealistische Kontrollüber­
zeugungen etc.) für die Teilnehmer eines klinischen Problemlösungstrainings
übertragen.
Daraus ergibt sich die Arbeitsdefinition, dass es sich bei einem Problem um eine
Diskrepanz zwischen einem persönlichen Ausgangszustand und einem ange­
strebten Zielzustand handelt, welche durch Hindernisse, die eine unmittelbare
Erreichung des Zielzustandes blockieren, begründet ist.
90
Ein mehrstündiges Problemlösungstraining in Form von mindestens acht Sit-
zungen in einer geschlossenen Gruppe oder als Einzeltherapie konzentriert sich
auf die Erstellung eines individuellen „Problemprofils" und einer „Problemleiter",
wobei der handlungstheoretische Ansatz zur „Motivierenden Beratung“ bei Sucht-
patienten angewandt wird. Bei diesem Konzept bilden „aktuelle Anliegen“ („Cur-
rent concerns“), d. h. die (nicht bewussten) inneren Zustände, die den psychischen
Prozessen zwischen der Festlegung und Erreichung persönlicher Ziele zugrunde
liegen, den Ausgangspunkt der therapeutischen Motivierung zur Problemlösung.
Dabei werden zunächst alle aktuell wichtigen Alltags- und Lebensprobleme auf-
gegriffen, ohne zunächst direkt Bezug auf das symptomatische Suchtverhalten zu
nehmen. Erst nach der individuellen Zielklärung erfolgt eine Analyse der beste-
henden Konflikte zwischen dem Suchtverhalten und der als veränderungsbedürftig
erkannten persönlichen Problematiken und Schwierigkeiten in der Lebensweise.

Formulierung aktueller Anliegen

Aktuelle Anliegen formulieren:

Lebensbereiche Tätigkeiten

▶ Familie, Freundschaft, Mitbewohner ▶ etwas zu erwerben


▶ Freunde ▶ etwas zu behalten
▶ Ehe, Beziehung, Liebe, Sexualität ▶ etwas wiederherzustellen
▶ körperliche Gesundheit ▶ etwas gerne zu tun
▶ emotionales und seelisches ▶ etwas loszuwerden
Wohlbefinden ▶ etwas zu vermeiden
▶ Beschäftigung, Arbeit und Geld ▶ etwas zu verhindern
▶ Bildung ▶ zu entrinnen
▶ Vereine und Organisationen ▶ anzugreifen
▶ Religion und Politik ▶ etwas herauszufinden über eine
▶ Hobbys und Zeitvertreib angenehme Angelegenheit
▶ sportliche Aktivitäten und Erholung ▶ etwas herauszufinden über eine
▶ Unterhaltung unangenehme Angelegenheit
▶ Urlaub und Reisen ▶ etwas herauszufinden über eine
▶ Verbrechen neutrale Angelegenheit
▶ künstlerische und kreative
Unternehmungen

Beispiele
ausgewählter Lebensbereich: ausgewählte Tätigkeit:
Ehe, Beziehung, Liebe, Sexualität etwas wiederherzustellen
Aktuelles Anliegen: „Ich möchte, dass die Beziehung zu meinem Partner wieder wie
früher wird.“

Tab. 6.6 (Cox und Klinger, 2011)


91
Zur Erstellung des „Problemprofils" wird unter Rückgriff auf Kreativitätstechniken
ein Brainstorming durchgeführt, bei dem alle vorstellbaren Probleme, die Men-
schen überhaupt haben können, gesammelt und auf Karteikarten notiert werden.
In einem zweiten bewertenden Abschnitt werden diese Probleme ca. sieben über-
geordneten Problembereichen zugeordnet. Anzahl und Art dieser Problemberei-
che schwanken je nach Teilnehmer, führen jedoch in der Regel zu ähnlichen Ka-
tegorien wie z. B. Finanzielles, soziale Beziehungen/Familie, Gesundheit, Gefühle,
Beruf, Selbst, Lebenssinn und Genuss. Diese Bereiche werden auf einem Skalie-
rungsbogen notiert, wozu eine mehrstufige Beurteilungsskala abgesprochen wird,
deren Besonderheit wiederum von den Vorschlägen der Teilnehmer abhängt. Es
kann eine einpolige Skala sein, die nur das Ausmaß einer bestehenden Problema-
tik beurteilt (defizitorientiert) oder eine zweipolige Skala, die auch positive Aspekte
wie vorhandene Stärken einbezieht (ressourcenorientiert). Die Anzahl der Katego-
rien kann zwischen drei bis sieben schwanken und es können symbolisch durch
Pfeile gekennzeichnete Tendenzen eingeführt werden. Die am besten geeignete
Form umfasst vier Beurteilungskategorien unter Ausschluss der Null, um eine
Tendenz zur Mitte als Vermeidungsverhalten auszuschließen. Das Beurteilungs-
schema kennzeichnet das Vorhandensein eines geringen (-) oder schweren (--)
Problems sowie leichter (+) oder ausgeprägter (++) Stärken.

Das Problemprofil

Stärken Probleme
Lebensbereiche
++ + - --

Abb. 6.4 (nach Priestley et al., 1978)

Die Teilnehmer beurteilen für ihre Person alle vereinbarten Lebensbereiche, in-
dem sie ein Kreuz in die aufgemalten Kästchen setzen und diese dann zu einem
Problemprofil verbinden. Der Therapeut kann sich zur Förderung der Selbstoffen-
barung selbst beteiligen. Zunächst werden alle Profile bei einer Gruppensitzung
92
offen allen anderen gezeigt. Danach entscheidet jeder Teilnehmer, wann er sein
Profil genauer erklären möchte. Unmittelbar im Anschluss haben die anderen
Gruppenteilnehmer die Möglichkeit zu Rückfragen oder persönlichem Feedback.
Dabei ist ein Ritual einzuhalten, indem sie auf ein in der Mitte angeordnetes Spiel-
zeugauto drücken, das vor jedem Beitrag blinkt und tutet („voice and noise“). Dies
dient dazu, dass sich alle Teilnehmer auf den im Mittelpunkt stehenden Mitpatien­
ten konzentrieren und ihm ihre Aufmerksamkeit schenken.
Im zweiten Schritt wird ein aktuelles Problem ausgewählt. Dies bezieht sich in der
Regel auf einen der am negativsten beurteilten Lebensbereiche. Mithilfe der „Pro-
filleiter" wird zunächst, bezogen auf das konkret beschriebene „aktuelle Anliegen“
(„current concern“), der am extremsten vorstellbare negative Zustand („worst
case“) am unteren Ende der Leiter festgehalten und der angestrebte, jedoch rea-
listische Zielzustand am perspektivisch verkürzten oberen Ende der Leiter notiert.
Daran anschließend wird die aktuelle problemspezifische Ausgangssituation be-
schrieben und mit einem Kreuz auf einer Sprosse der Leiter zwischen den beiden
Ankerpunkten markiert.
Während der gesamten Programmdauer wird die Verabredung getroffen, dass
aktuell belastende Anliegen immer Vorrang haben. Hierfür werden unmittelbar
erste Lösungsansätze gesucht.

6.3.3.4 Rückfallprävention
Die Bearbeitung der Rückfallgefährdung als Bestandteil der selbst gewählten
Glücksspielabstinenz stellt einen weiteren Schwerpunkt der symptomorientierten
Behandlung dar. Die Mehrzahl der Rückfälle von Suchtpatienten lässt sich auf eine
relativ geringe Anzahl von Risikosituationen reduzieren. Die Erfassung solcher Ri-
sikosituationen verweist auf Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Suchtfor-
men von Alkoholikern, Drogenabhängigen, Rauchern, Essgestörten und Glücks-
spielsüchtigen, wobei auch spezifische Unterschiede bestehen. Für pathologische
Glücksspieler scheinen im Gegensatz zu anderen Suchtformen insbesondere Situ-
ationen, die mit negativen Gefühlszuständen verbunden sind, die eine innere oder
äußere Versuchung darstellen oder eine Herausforderung zum Testen der eigenen
Kontrollfähigkeit beinhalten, mit einem besonderen Risiko behaftet zu sein. Nega-
tive körperliche Empfindungen, positive Emotionen und Situationen, in denen ein
suchtspezifischer sozialer Konformitätsdruck besteht, werden von pathologischen
Glücksspielern als weniger risikobehaftet erlebt.
93
Notfallkarte

Das festigt Das hilft mir, Das hilft mir,


meine wenn ich mich wenn ich
Abstinenz: gefährdet fühle: gespielt habe:

1. Ich besuche regel- 1. Ich lenke mich ab. 1. Ich stoppe sofort
mäßig meine Selbst- das Glücksspielen.
2. Ich unternehme
hilfegruppe.
etwas mit einem 2. Ich verlasse
2. Ich treibe Sport. Freund. schnellstens den
Ort des Glücksspiels.
3. Ich pflege meine 3. Ich spreche über
Freundschaften und meinen „Spieldruck“. 3. Ich begrenze den
Hobbys. Schaden durch soforti-
4. Ich besinne mich auf
ges Handeln.
4. Ärger und Frust meine Kraftquellen.
fresse ich nicht in 4. Ich hole mir Hilfe und
5. Ich bin stolz auf meine
mich hinein. verschweige nichts.
bisherigen
5. Ich stelle mich Erfolge. 5. Ich nehme meinen
meinen Problemen. Rückfall ernst,
6. …
betrachte ihn aber
6. …
7. … nicht als Katastrophe.
7. …
… 6. …

7. …

Ich tue das alles


für mich!

Tab. 6.7 (Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW)

6.3.3.5 Bearbeitung der personalen Anfälligkeit


6.3.3.5.1 Triadisches Bedingungsgefüge
Zur dauerhaften Bewältigung einer Glücksspielproblematik ist es erforderlich, die
Störungen des Selbstwertes, der Gefühlsregulation und der Beziehungsgestaltung
als Bestandteil der glücksspielerspezifischen Vulnerabilität (vgl. Kapitel 3.4.2) zu
bearbeiten. Daneben kann es erforderlich sein, bestehende komorbide Störungen
(vgl. Kapitel 2.4) psychotherapeutisch und/oder medikamentös (vgl. Kapitel 6.5.2)
zu behandeln.
94
Die bei Glücksspielsüchtigen bestehende Selbstwertproblematik (Vierhaus et
al., 2012), insbesondere auf dem Hintergrund der gestörten Vater-Sohn- (bzw.
Vater-Tochter-)Beziehung (Kagerer, 1998), äußert sich in einer starken Diskrepanz
zwischen den nach außen gezeigten Verhaltensmustern und der dazu diametral
erlebten inneren Befindlichkeit. Fordert man den Betroffenen zu einer Selbst-
charakterisierung auf, indem er sich selbst aus der Sicht eines Außenstehenden
beschreiben soll, so werden am häufigsten Merkmale wie Unruhe, Verschlossen-
heit, Dominanz, Unehrlichkeit und Aggressivität genannt, wohingegen bei der Be-
schreibung der inneren Befindlichkeit am häufigsten Merkmale wie Verletzbarkeit,
Sehnsucht nach Zuwendung, Nervosität, Selbstunsicherheit und Ängstlichkeit
thematisiert werden. Daraus ergibt sich ein kräftezehrender Spannungszustand in
der Person des pathologischen Glücksspielers. Innere Unsicherheit wird durch ein
dominant-selbstsicheres Auftreten überspielt, Nähe- und Geborgenheitswünsche
werden unter einem sozial distanzierten Verhalten verborgen und die innere Unru-
he wird durch nach außen gezeigte Gelassenheit überdeckt.
Bezogen auf die Störung der Gefühlsregulation stehen zunächst die klinisch
sichtbare physiologische Unruhe und der starke Aktionsdrang von behandlungs-
bedürftigen Glücksspielern im Mittelpunkt. Es wird angenommen, dass glücks-
spielanfällige Personen chronisch über- oder untererregt sind. Das persistierende
Glücksspielverhalten erklärt sich danach bei einer psychophysiologisch unterer-
regten Person durch die Beseitigung dieses unangenehmen Mangelzustandes oder
bei übererregten Personen als Ausdruck ihres Bedürfnisses nach Reizsuche. Der
Aktionsdrang von Glücksspielern zu Beginn einer Behandlung stellt demnach den
Versuch dar, bedrohliche Gefühle abzuwehren. Die Behandlung erfordert deshalb
die Unterbrechung dieser Überaktivität, um zu einer verbesserten Gefühlswahrneh-
mung zu gelangen. Als Reaktion klagen die pathologischen Glücksspieler zunächst
über den unangenehmen Zustand der Langeweile oder es wird der zunehmende
„Spieldruck" thematisiert. Dies weist auf die Funktion des Glücksspielens hin, un-
angenehme Gefühle der Einsamkeit, Angst vor Ablehnung und Aggressivität kurz-
fristig zu überdecken. Zur Bearbeitung der gestörten Gefühlsregulation bietet sich
daher bei allen Formen der Glücksspielsucht ein Emotionstraining an (siehe Kapitel
6.3.3.5.2).
Hinsichtlich der glücksspielertypischen Beziehungsstörung, die sich als einseitige
Austauschorientierung im Sinne der individualistisch-kompetitiven Vergrößerung
des eigenen Vorteils interpretieren lässt, können problematische Beziehungsmus­
ter durch gruppendynamische Interaktionsübungen thematisiert werden. Eine
geeignete Methode ist die sogenannte Quadratübung, die kooperatives bzw. kompe-
titives Verhalten in Kleingruppen aktualisiert. Die Teilnehmer erhalten nach einem
festgelegten Plan Bausteine, die durch stummen Austausch zu gleich großen Qua­
95
draten zusammenzufügen sind. Da nur eine gemeinsame Lösungsmöglichkeit
besteht, kann es im Verlauf zu Einzellösungen kommen, die andere Teilnehmer
blockieren. Dieses Verfahren führt aufgrund seines Spielcharakters zu einer Hand-
lungsaktivierung. Es werden rasch Besonderheiten des individuellen Interaktions-
verhaltens deutlich. Viele pathologische Glücksspieler zeigen zu Beginn dieser
Übung ein hektisches, leistungsorientiertes Verhalten, bei dem sie intensiv auf ihre
Position konzentriert sind. Es fällt Beobachtern deshalb nicht schwer, auftretende
Gefühle von Ärger, Überlegenheit, Rückzug und Genugtuung wahrzunehmen und
diese zurückzumelden, sodass individuell unterschiedliche Probleme der Bezie-
hungsgestaltung verdeutlicht werden können.

6.3.3.5.2 Emotionstraining
Der Konsum von Suchtmitteln und süchtiges Verhalten dienen wesentlich der
Modulation von Gefühlen, d. h., der Konsum und Missbrauch von psychotropen
Substanzen oder exzessives Suchtverhalten ist durch die Vermeidung unangeneh-
mer Gefühle oder das verstärkte Erleben angenehmer Gefühle motiviert. Süchtiges
Verhalten kann daher eher bei Personen entstehen, die eine geringe Toleranz ge-
genüber unangenehmen Gefühlszuständen besitzen oder in ihrer gefühlsmäßigen
Erlebnisfähigkeit eingeschränkt sind. Die Behandlung von Suchtpatienten beinhal-
tet deshalb immer auch eine Verbesserung der Wahrnehmung und des Ausdrucks
von Gefühlen (Schröder, Petry, 2003). Pathologische Glücksspieler zeigen entspre-
chend eine besondere Rückfallgefährdung beim Umgang mit negativen Gefühlen
und bei sozialen Konflikten.
Verhaltenstherapeutische Trainingsprogramme zum Aufbau sozialer Kompetenzen
enthalten in der Regel einen therapeutischen Baustein zur Verbesserung der Kom-
munikationsfähigkeit, der sich auf die Verbesserung der Gefühlsregulation bezieht.
Ausgangspunkt dieser Trainings ist die (Un-)Fähigkeit, Gefühle zu benennen, d. h.
differenziertere sprachliche Bezeichnungen für angenehme Gefühle wie Freude
(Begeisterung, Heiterkeit, Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Stolz, gute Laune) oder unan-
genehme Gefühle wie Ärger (Wut, Unzufriedenheit, Beleidigtsein, Zorn, Gereiztheit)
zu finden. Dabei ist es möglich, von einem einfachen Modell mit zwei orthogonalen
Grunddimensionen zur Einordnung von Gefühlen auszugehen: Die bestehende
Erregung (Hemmung versus Erregung) und die Affekttönung (Lust versus Unlust),
sodass sich Gefühle hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit in einem Kreis in Bezug auf die
jeweilige Ausprägung dieser dimensionalen Merkmale anordnen lassen.
Beim Erlernen grundlegender Fertigkeiten der Gefühlswahrnehmung und des
Gefühlsausdrucks kann zum Anwärmen in der Gruppe auf Pantomimetechniken,
die sich der Körpersprache bedienen, zurückgegriffen werden. Eine in diesem Fall
96
geeignete Übung trägt z. B. den Namen „Fratzen-Weitergabe“. Hierbei stehen die
Gruppenteilnehmer im Kreis. Die Aufgabe lautet, dass jedes Gruppenmitglied der
Reihe nach eine Fratze mit dem eigenen Gesicht formt und der jeweilige Nachbar
diese genau nachbilden muss. Sobald ihm dies gelungen ist, was durch ein Kopf-
nicken bestätigt wird, verwandelt er die Fratze, bevor er sie an seinen Nachbarn
weitergibt.
Daran anschließend eignet sich die Übung „Gefühle erraten“, um die Gefühls-
wahrnehmung und den Gefühlsausdruck zu verbessern. Dabei soll ein Gruppen-
mitglied ein vorgegebenes Gefühl darstellen, das von den übrigen Gruppenmitglie-
dern zu erraten ist. Wer es zuerst errät, ist der nächste Darsteller. Diese Übung
lässt sich auch durch Einbeziehung aller Gruppenmitglieder realisieren. Dabei
sitzen sich zwei Gruppen gegenüber, die jeweils im Wechsel einen vorgegebenen
Gefühlszustand darstellen, bis die Gegengruppe ihn erraten hat. Dazu werden
Karteikarten verwandt, auf denen unterschiedliche Gefühle wie Schmerz, Scham,
Freude, Schuld, Lustigkeit, Trauer, Enttäuschung, Missmut, Neid, Furcht, Hilflosig-
keit, Angst, Glücklichsein, Stolz, Ekel, Mut, Tatkraft, Wut, Fröhlichkeit, Verliebtheit,
Geborgenheit, Neugier, Erstaunen etc. notiert sind.
Darauf aufbauend können mithilfe sogenannter „Erlebnisaktivierender Verfahren“
spezielle Gefühlsbereiche angesprochen werden. So kann z. B. zur Wahrnehmung
aggressiver Gefühle bzw. deren Hemmung die nichtsprachliche Übung des „Ein-
dringens“ angewandt werden, bei der ein außenstehendes Gruppenmitglied in einen
geschlossenen Kreis von fest untergehakten Personen eindringen muss. Die dabei
erlebten Gefühle bzw. auftretenden inneren Barrieren lassen sich aufarbeiten, in-
dem zugrunde liegende „negative emotionale Schemata“ bewusst gemacht und mit
den Methoden der kognitiven Umstrukturierung bearbeitet werden. Beim Vorliegen
einer komorbiden psychischen Störung können neben diesem allgemeinen Emoti-
onstraining speziell hierfür entwickelte Trainingsprogramme eingesetzt werden.

6.3.3.6 Geld- und Schuldenmanagement


Auf den zentralen Stellenwert des Geldes für die Entwicklung der Glücksspielpro-
blematik wurde innerhalb des Phasenkonzeptes zum „zwanghaften Glücksspielen“
von Custer und Milt (1985) bereits hingewiesen. Dieses Konzept betont die sich
verändernde Bedeutsamkeit des Geldes innerhalb der Glücksspielerkarriere.
Das Grundprinzip des Geld- und Schuldenmanagements besteht zunächst darin,
die unmittelbare und selbst kontrollierte Veränderung des finanziellen Verhaltens
und des Umgangs mit Schulden zu fördern. Das Vorgehen zielt darauf, die im Laufe
der Glücksspielerkarriere eingetretene „Geldentwertung“, die dazu führt, dass Geld
nur noch als Mittel zur Aufrechterhaltung des Glücksspielverhaltens fungiert (so­
97
genanntes Spielgeld), stufenweise abzubauen und die kurzfristige Orientierung an
dem jeweils unmittelbar vorhandenen Geld aufzuheben. Vor allem im Rahmen der
ambulanten Beratung und Behandlung ist ein zweistufiges Vorgehen erforderlich.
Zunächst kann aufgrund der anfänglich starken Rückfallgefährdung eine fremd­
kontrollierte Geldverwaltung erforderlich sein. Erst im Verlauf der Therapie kann
mit zunehmender Stabilisierung der Glücksspielabstinenz ein schrittweise selbst
kontrollierter Umgang mit Geld einsetzen. Im geschützten Setting einer Klinik
kann dies mit Unterstützung von Soziotherapeuten systematisch trainiert werden.

Geldverwaltung durch Dritte

Vorteile: Nachteile:

▶ bringt Ruhe in das Familiensystem ▶ starker Einschnitt in die Autonomie


▶ sichert das Überleben (der Familie) ▶ keine gleichberechtigte Beziehung
▶ kann Abstinenzphasen verlängern ▶ kann starke Frustration auslösen
(Rückfallgefahr)

„Intelligente“ Lösungen suchen:


▶ Nicht täglich kleine Beträge auszahlen (Taschengeld). Das kann als demütigend
erlebt werden, besser Wochenbeträge überweisen.
▶ Extrakonto für persönliches Budget einrichten, das nicht überzogen werden kann.
▶ Laufzeit partnerschaftlich aushandeln.

Als Behandlungsmethode wird das „Prinzip des frei verfügbaren Einkommens"


mit dem Grundsatz der aufgeschobenen Befriedigung eingesetzt. Diese konkrete
Vorgehensweise besteht zunächst in einer detaillierten Haushaltsanalyse. Nach
der Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben steht nur der verbleibende
Restbetrag zur Verfügung. Bezogen auf die Verschuldung wurde von den Ano-
nymen Spielern das „Prinzip der unmittelbaren Rückzahlung“ begründet. Dies
bedeutet, dass selbst bei einem geringen finanziellen Spielraum auch kleinere
Beträge an private und öffentliche Gläubiger geleistet werden.
Unter motivierenden Gesichtspunkten kann es notwendig sein, eine langfristige
positive Orientierung zum Sparen aufzubauen. Dazu bietet sich das Konzept des
„Goldene-Gans-Kontos“ an. Danach zahlt man sich selbst ein „Gehalt“, indem
man 10 % seines Einkommens auf ein Sonderkonto überweist, auf dem die „Gans
auf Dauer goldene Eier legt“ (Zinseszins). Natürlich sollte die Höhe dieser Spar-
98
rate individuell festgelegt werden, im Extrem reicht ein sehr kleiner, symbolischer
Betrag aus. Dieser ermöglicht dennoch das Erleben, wieder ein eigenes, zunächst
bescheidenes Sparbuch zu besitzen, und später bei relevanten Beträgen eine
langfristige Vermögensanlage aufzubauen.
Eine Ergänzung dieses Ansatzes bietet die „holländische Geizbewegung", die z. B.
die Frage stellt: „Haben Sie beim Duschen das Licht an?" und konstatiert, dass
Duschen im Dunkeln, am besten zu zweit, Wasser und Energie spart und auch
noch gut für den Blutdruck ist. Die Geizbewegung vermittelt Grundprinzipien
wie das sogenannte Halbierungsprinzip, wonach man z. B. beim Haare waschen
auch mit der Hälfte des Haarwaschmittels auskommt, oder die Methode des „er-
staunten Zwerges", der aus einer distanzierten Sicht die alltägliche Haushaltsfüh-
rung analysiert und z. B. beim Kochen immer wieder hinterfragt, ob das eine oder
andere unter Energiesparaspekten notwendig ist.
Unter Bezug auf die Entwicklung der Kreditaufnahme und Verschuldung innerhalb
der Allgemeinbevölkerung lässt sich feststellen, dass die Verschuldung von be-
handelten Glücksspielern nicht nur weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt,
sondern auch im Vergleich mit anderen Suchtkranken stark erhöht ist (vgl. Tabelle
6.8). Neben der hohen Suizidalität und Straffälligkeit ist die hohe Verschuldung ein
besonders charakteristisches Merkmal von pathologischen Glücksspielern.

Hauptdiagnose und Verschuldung bei Klienten ambulanter


Beratungs- und Behandlungsstellen der Zugänge in 2010

Ausmaß der Verschuldung (in Euro)

Hauptdiagnose keine bis bis bis über


Schulden 10.000 25.000 50.000 50.000
in % in % in % in % in %
Alkohol (n=46.220) 72,3 18,3 5,0 2,4 2,0
Opioide (n=13.537) 41,5 43,7 10,0 3,2 1,6
Cannabinoide (n=11.385) 69,9 24,6 3,7 1,2 0,6
Sedativa/Hypnotika (n=744) 73,0 14,9 7,0 2,3 2,8
Kokain (n=1.515) 46,5 34,3 9,5 5,7 4,0
Stimulanzien (n=2.633) 59,1 32,6 5,6 1,4 1,3
Essstörungen (n=769) 89,1 8,5 1,0 0,4 1,0

Pathologisches
Spielverhalten (n=3.897) 32,3 34,5 15,0 10,8 7,4

Tab. 6.8 (Aus: Pfeiffer-Gerschel et al., 2011)


99
Entsprechend ist die Verschuldung auch ein wesentliches Ausgangsmotiv zum Auf-
suchen einer Beratung oder Behandlung bei Glücksspielsüchtigen. In der Regel be-
steht deshalb die Perspektive einer über viele Jahre reichenden Entschuldung, wobei
bei einer hohen Verschuldung oder einem geringen Einkommen auch das private
Insolvenzrecht in Betracht zu ziehen ist, sofern die Schulden nicht durch Straftaten
entstanden sind.
Die Orientierung auf den Abtrag von Schulden ist langfristig nur durchzuhalten,
wenn zusätzlich ein positives Ziel im Sinne einer genussreichen Lebensgestaltung
besteht, auf das man sofort hinarbeiten kann. Deshalb sollte die Regel gelten, im-
mer nur 50 % des Geldes, das man erübrigen kann, zur Abtragung der Schulden zu
verwenden, während die übrigen 50 % schrittweise angespart werden. Wiederum
sollte die Abtrags- bzw. Sparrate den individuellen Bedingungen angepasst werden.

6.4 Berufliche Rehabilitation


Arbeitslosigkeit ist sowohl ein Risikofaktor (Meyer et al., 2011) als auch Folge (we­gen
Abwesenheit, Lohnpfändungen etc.) eines pathologischen Glücksspielverhaltens.
Mitarbeiter von Glücksspielanbietern (Croupiers, Spielhallenpersonal, Personal in
Lottoannahmestellen) sind besonders gefährdet, eine Glücksspielproblematik zu
entwickeln. Eine weitere Risikogruppe stellen Mitarbeiter in Berufen dar, die mit
Bargeld Umgang haben (Bankangestellte, Verkaufsfahrer) oder die zeitliche Frei-
räume zur Teilnahme an Glücksspielen haben (Schichtarbeiter, Taxifahrer, Polizei-
beamte etc.). Als psychische Risikofaktoren sind Unzufriedenheit mit dem Beruf und
Über- oder Unterforderungen empirisch belegt (vgl. Meyer, Bachmann, 2011).
Der beruflichen Wiedereingliederung kommt daher bei pathologischen Glücksspie-
lern eine besondere Bedeutung zu. Alle Möglichkeiten zur beruflichen Rehabilita-
tion, einschließlich Umschulungsmaßnahmen bei einer besonderen beruflichen
Gefährdung (Umgang mit Bargeld, Tätigkeit im Glücksspielbereich), sollten genutzt
werden. Die berufliche Rehabilitation ist primär im Sozialgesetzbuch SGB IX geregelt
und umfasst verschiedenste Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dazu gehören
Hilfen zur Erhaltung und Erlangung eines Arbeitsplatzes, zur Berufsvorbereitung,
zur Ausbildung, Anpassung und Weiterbildung und sonstige Hilfen, wie z. B. Kraft-
fahrzeughilfen. Die Leistungen können auch in Form von Existenzgründerzuschüs-
sen und Leistungen an Arbeitgeber als Ausbildungs- und Eingliederungszuschüsse
erfolgen. Träger der Leistungen sind die Rentenversicherungen, wenn die versiche-
rungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, die Bundesagentur für Arbeit und auch
die Sozialhilfe. Bei Aufklärung, Antragstellung und Klärung der Zuständigkeiten sind
die Mitarbeiter der Suchtberatungsstellen oder der soziotherapeutischen Abteilun-
gen der Fachkliniken behilflich.
100
Die Adaption als letzte Phase der medizinischen Rehabilitation für Suchtkran-
ke wurde nach Urteilen des Bundessozialgerichtes (BSG) im Jahr 1994 durch
die Rentenversicherungsträger etabliert. Stationäre Adaptionseinrichtungen für
Suchtkranke sollen nach § 15 (2) des Sozialgesetzbuches SGB VI einen beson-
deren Beitrag zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung der in dieser
Hinsicht desintegrierten Patienten leisten. Die „Empfehlungen der Spitzenver-
bände der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die medizinische
Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspielen“ von 2001 (s. Kapitel 9; VDR,
2001) weisen bei der Auflistung von Rehabilitationsleistungen kurz auf die Mög-
lichkeit zur Adaption in begründeten Einzelfällen hin. Die Begründung ist in der
besonderen Rückfallgefährdung bei wohnungs- und arbeitslosen Glücksspielern
zu sehen. Die Maßnahmen sollen von der Erwerbsfähigkeit zur Erwerbstätigkeit
der Betroffenen führen. Dazu gehören interne Arbeitstrainings in Form von Be-
lastungserprobungen und der Arbeitstherapie, um allgemeine Arbeitsfähigkeiten
wiederherzustellen und eine berufliche Perspektive zu erarbeiten. Für pathologi-
sche Glücksspieler, die in der Regel bereits über diese Fähigkeiten verfügen, sind
eher Maßnahmen zur direkten beruflichen Wiedereingliederung wie externe Ar-
beitserprobungen und Berufspraktika von Bedeutung. In diesem Prozess können
die oben beschriebenen Leistungen zur beruflichen Rehabilitation in Kooperation
mit einem Reha-Berater der Rentenversicherungsträger und/oder einem Fallma-
nager der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden (Heide, 2001).
Inzwischen existieren bundesweit Adaptionseinrichtungen, die pathologische
Glücksspieler aufnehmen und sowohl personell in der Lage sind, diese spezielle
Klientel als Einzelfälle zu behandeln, als auch entsprechende institutionelle Rah-
menbedingungen (Sicherstellung der Glücksspielabstinenz, Umgang mit Geld,
Schuldenregulierung) zu gewährleisten.
Die berufliche Rehabilitation hat auch aus psychotherapeutischer Sicht einen
besonderen Stellenwert. Es fällt pathologischen Glücksspielern aufgrund ihrer
Persönlichkeit und den häufigen komorbiden Störungen schwer, Verhaltensände-
rungen in die Alltagsrealität umzusetzen. Der berufliche Bereich ist für sie dabei
noch am unproblematischsten, da sie in der Regel über gute intellektuelle Kom-
petenzen und vielfältige berufliche Erfahrungen verfügen. Geregelte Einnahmen
aus einer Berufstätigkeit sind auch für die Schuldenregulierung von zentraler
Bedeutung. Somit bietet die berufliche Wiedereingliederung besonders gute Aus-
sichten, um rasch Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
101
6.5 Pharmakotherapie (Thomas Brück)
6.5.1 Medikamentöse Ansätze zur Glücksspielsucht
Die medikamentöse Behandlung der Glücksspielsucht im engeren Sinne hat
bislang nur eine untergeordnete Bedeutung erlangt. Es wurde jedoch schon eine
Reihe von Studien zu dieser Fragestellung durchgeführt, allerdings sind die un-
tersuchten Fallzahlen häufig gering und die Ergebnisse zum Teil uneinheitlich.
Ausgehend von den dargestellten neurobiologischen Grundlagen (siehe Kap. 3.1.2)
lassen sich grundsätzlich verschiedene Ansätze zur Pharmakotherapie ableiten
(Leung, Cottler, 2009).
Die meisten Studien wurden zu den Antidepressiva vom SSRI-Typ veröffentlicht.
Die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sollen das genannte Serotonindefizit
ausgleichen und so einen Effekt auf Glücksspielverhalten bzw. Suchtverlangen
haben. Die vorliegenden Ergebnisse sind bislang nicht Erfolg versprechend; die
Bedeutung dieser Medikamente für die Behandlung einer komorbiden depressiven
Störung ist jedoch unumstritten.
Der Einsatz von Stimmungsstabilisatoren (z. B. Valproat oder Lithium), die im All-
gemeinen Effekte auf Impulsivität und Affektlabilität haben und in einzelnen Studi-
en zum Teil günstige Effekte bei der Behandlung der Glücksspielsucht zeigten, hat
sich jedoch ebenfalls in dieser Indikation bislang nicht durchgesetzt.
Neuroleptika könnten durch ihre Blockierung der dopaminergen Transmission
Einfluss auf das dopaminerge Belohnungssystem nehmen. Allerdings fehlen hier
bislang aussagekräftige Untersuchungen.
Opioidantagonisten wie Naltrexon blockieren die Ausschüttung von Endorphinen
und haben sich bei stoffgebundenen Süchten teilweise als wirksam hinsichtlich
der Reduktion des Suchtverlangens und Suchtverhaltens gezeigt. Bei der Glücks-
spielsucht gibt es mittlerweile, abgeleitet aus mehreren Studien, ebenfalls Hinwei-
se auf einen Effekt dieser Substanz, jedoch kann bislang noch keine allgemeine
Empfehlung für den Einsatz dieser Medikation bei dieser Indikation ausgespro-
chen werden.
Obwohl demnach aus einzelnen Studien Ansätze zu einer möglichen Phar-
makotherapie abgeleitet werden können, gibt es zurzeit keine anerkannte
und allgemein empfehlenswerte spezifische medikamentöse Behandlung der
Glücksspielsucht. In einzelnen, therapieresistenten Fällen wären individuelle Be-
handlungsversuche mit einer der genannten Substanzen denkbar, wobei es sich
um Off-Label-Verordnungen handelt.
102
6.5.2 Medikamentöse Behandlung komorbider Störungen
Die Pharmakotherapie der komorbiden Störungen kann dagegen bei entsprechen-
der Indikation sinnvoll und notwendig sein. Die Indikationsstellung zur pharma-
kologischen Behandlung der komorbiden psychischen Störung richtet sich nach
der allgemein gültigen Vorgehensweise, unabhängig vom Vorliegen der Such-
terkrankung. Bei Vorliegen einer medikamentenpflichtigen depressiven Störung
oder einer Angststörung wäre allerdings am ehesten der Einsatz eines Serotonin-
Wiederaufnahmehemmers (SSRI) zu empfehlen, um eventuell zusätzlich positive
Effekte im Hinblick auf die Impulskontrolle zu erzielen.
Bei Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist die medi-
kamentöse Behandlung zum Beispiel mit Methylphenidat zu prüfen. Besteht die
Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis oder eine bipolare
affektive Störung, ist in der Regel eine medikamentösen Behandlung mit Neuro-
leptika bzw. Stimmungsstabilisatoren notwendig. Bei Persönlichkeitsstörungen
sind medikamentöse Behandlungsansätze ebenfalls möglich, wobei vorwiegend
Antidepressiva, Neuroleptika oder Stimmungsstabilisatoren infrage kommen. Die
Behandlung der komorbiden Störungen sollte demnach differenziert erfolgen und
gemeinsam mit dem Betroffenen in einem Gesamttherapieplan besprochen und
geplant werden. Auf mögliche Nebenwirkungen der Psychopharmaka ist hinzu-
weisen.
Exkurs: Parkinsonmedikation und Glücksspielsucht:
Morbus Parkinson ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns, die typischer­weise
mit der Symptomtrias Tremor, Rigor und Akinesie einhergeht. Grundlage
der Erkrankung ist eine zunehmende Degeneration von dopaminergen Neuronen
in der Substantia nigra und dem Striatum. Untersuchungen haben gezeigt, dass
bei Parkinsonerkrankungen das Risiko für die Entwicklung eines pathologischen
Glücksspielverhaltens erhöht ist. Zumeist entwickelt sich die Glückspielsucht erst
nach Manifestation der Parkinsonerkrankung. Zusammenhänge bestehen jedoch in
erster Linie zu der Einnahme von bestimmten Parkinsonmedikamenten, vor allem
den Dopaminagonisten wie Pramipexol oder Ropirinol. Hier wurden mittlerweile meh-
rere Fallberichte veröffentlicht (Spengos et al., 2006; Weintraub et al. 2010). Die Medi-
kation stimuliert zentrale dopaminerge Neurone, die auch mit dem oben dargestellten
Belohnungssystem verbunden sind. Offensichtlich ist dabei das Ausmaß der Glücks-
spielsymptomatik abhängig von der Einnahme höherer Dosen von Dopamin­agonisten.
Mit dem Absetzen der auslösenden Medikation scheint laut einiger Fallberichte das
Glücksspielverhalten reversibel zu sein, wenn der Zusammenhang eindeutig ist. Mit
der Medikation können auch andere Störungen der Impulskontrolle als Nebenwirkun-
gen auftreten, wie zum Beispiel eine Hypersexualität oder Essattacken.
103
Obwohl die Glücksspielsucht insgesamt eine seltene, jedoch ernst zu nehmende
Nebenwirkung einer Parkinsonmedikation ist, können einige Empfehlungen zur
Vorgehensweise bei entsprechender Symptomatik genannt werden. Um einen Zu-
sammenhang mit der Medikation zu eruieren, sollte immer eine sorgfältige Anam­
nese durchgeführt werden. Ein Absetzen oder Umsetzen der Medikation sollte in der
Praxis nicht leichtfertig erfolgen, da die Parkinsonsymptomatik sich hiermit signifi-
kant verschlechtern kann. Sie sollte nur unter fachärztlicher Kontrolle erfolgen. Die
Indikation einer psychotherapeutischen Behandlung der Glücksspielproblematik
sollte individuell abgeklärt werden. Da die beschriebenen Nebenwirkungen der
Medikation schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben können, sollten Par-
kinsonpatienten gezielt nach Anzeichen von Impulskontrollstörungen befragt und
über die seltenen Nebenwirkungen aufgeklärt werden.

6.6 Angehörige und Bezugspersonen


Problematisches und pathologisches Glücksspielverhalten belastet auch das
Umfeld der Betroffenen. Familienangehörige, Freunde und manchmal auch Ar-
beitskollegen und Vorgesetzte bekommen die negativen Auswirkungen zu spüren.
Schätzungen zufolge sind pro Glücksspielsüchtigem acht bis zehn Personen aus
dem sozialen Umfeld mitbetroffen. Sie leiden unter den negativen Auswirkungen
der Erkrankung (massive finanzielle Probleme, Vertrauensverlust, evtl. Wohnungs-
und Arbeitsplatzverlust, Inhaftierung des Glücksspielsüchtigen etc.) und brauchen
in diesen oft extremen Stresssituationen Hilfe und Unterstützung.
Die Gruppe der Angehörigen wird von der professionellen Suchthilfe – zwar noch
zögernd aber zunehmend – ins Blickfeld genommen. So gibt es vermehrt Ange-
bote zur Einbeziehung von Angehörigen in die Behandlung der Glücksspielsüchti-
gen (Paar- und Familiengespräche) und auch Angebote, die sich an Angehörige
speziell richten. Dies ist in mehrfacher Hinsicht notwendig und begrüßenswert:
Angehörige stellen häufig den ersten Kontakt zum Suchthilfesystem her; sie kön-
nen ein suchtförderndes Verhalten entwickeln; sie sind selbst erheblich belastet
und suchen aktiv Unterstützung. Sehr häufig frequentiert werden niedrigschwel-
lige Angebote wie Foren und Hotlines. So registrierte die Infoline Glücksspielsucht
der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht in Nordrhein-Westfalen in den
Jahren 2005 bis 2012, mit Ausnahme des Jahres 2012, jeweils mehr Anrufe von
Angehörigen (Partnern, Eltern, Kindern) als von Glücksspielsüchtigen selbst
(Füchtenschnieder-Petry, Hayer 2012). Auch in Internetforen zum Thema Glücks-
spielsucht gibt es viele Anfragen von Angehörigen, die deutlich machen, mit wel-
cher Bandbreite Glücksspielsuchtprobleme eines Partners oder eines Kindes
verbunden sind. Viele beschreiben, wie lange es gedauert hat, bis sie überhaupt
bewusst wahrgenommen haben, dass etwas nicht stimmt. Einige geben sich hier-
104
für selbst die Schuld und zweifeln an ihrer Wahrnehmung. Beiträge aus dem Fo-
rum Glücksspielsucht (www.forum-gluecksspielsucht.de) illustrieren dies ein-
drücklich:

„Hallo, mein Mann hat sich zu seiner Spielsucht bekannt und geht zur Beratung.
Meine Frage: Was genau kann ich jetzt tun um ihn auf seinem (eigentlich eher unse-
rem) Weg zu unterstützen? Wir haben viel geredet, was seit Ewigkeiten nicht mehr
so war und ich bin fest entschlossen es mit ihm zusammen durchzustehen. Also
wer kann mir helfen?“
(Mucki1997 am 14. Oktober 2008 um 09:11 Uhr)

„ICH BIN UNENDLICH TRAURIG, GETROFFEN, VERLETZT. Ich brauche auch Hilfe! Bis
vor zwei Wochen war mir Spielsucht noch fast ein Fremdwort – weil ich blind war.“
(Wikki am 06. November 2011 um 21:19 Uhr)

„Hallo, ich brauche bitte euren Rat, da ich verzweifelt bin und jetzt wirklich Angst
habe, dass unsere Ehe vor dem Aus steht. Ich bin seit 4 Jahren mit meinem Mann
zusammen und seit 1 Jahr sind wir verheiratet. Als ich meinen Mann kennen lernte,
hat er gleich mit offenen Karten gespielt und mir gebeichtet dass er gerne in Casino
Automaten zockt. Ich war froh, dass er es mir zwar gesagt hat, aber wenn ich ehr-
lich bin, habe ich mir nicht wirklich Gedanken darüber gemacht. Vielleicht war das
auch mein Fehler, dass ich damals nicht reagiert habe.“
(Kader85 am 12. November 2011 um 07:56 Uhr)

„Mein Mann ist spielsüchtig. Er macht Sportwetten. Auch bei uns war es ähnlich wie
bei euch. Er hat nicht verheimlicht, dass er oft online wettet. Er hatte vor 4 Jahren
(als wir zusammen kamen) nicht mal seine Kto-Auszüge versteckt. Ich fand das mit
dem Wetten auch übertrieben, habe es aber als schräges Hobby abgetan. Ich bin nie
auf die Idee gekommen mal in seine Kto-Auszüge zu schauen. Auch nicht als wir vor
1 1/2 Jahren geheiratet haben! Das werfe ich mir vor.“
(Wikki am 12. November 2011 um 14:01 Uhr)

„Ich habe vor 1 Jahr herausgefunden, dass mein Mann spielt. Ich denke, das geht
schon länger so. Wir beide gehen arbeiten, müssten also gut über die Runden kom-
men, leider sieht das nicht so aus und dann habe ich zuerst gedacht, es liege an mir,
doch meine Schwester hat mir dann gesagt, nein, das kann nicht sein. Ihr habt ein
größeres Loch in eurer Haushaltskasse und so kam es, dass ich einmal genauer
hingeschaut habe und musste dann leider feststellen, dass mein Mann mich schon
seit längerer Zeit belügt und betrügt, in dem er mir immer irgendwelche Geschich-
ten erzählt - wo angeblich das Geld hin ist.“
(Taschi am 24. November 2012 um 13:32 Uhr)
105
In Regionen, in denen Angehörigen von Glücksspielsüchtigen spezifische ambu-
lante Hilfsangebote gemacht werden, werden diese auch angenommen. In Bayern
z. B. hat die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS) das
psychoedukative Programm ETAPPE entwickelt, in mehreren Beratungsstellen
erprobt und inzwischen auch evaluiert. Das Apronym ETAPPE ist die Abkürzung
für „Entlastungstraining für Angehörige pathologischer und problematischer
Glücksspieler – psychoedukativ“. Es handelt sich dabei um ein Gruppenprogramm,
das insgesamt acht Bausteine umfasst. Die Themen reichen von Basisinforma­
tionen über Glücksspielsucht, Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten, Infor­
mationen über Strategien zur Bewältigung von Stresssituationen, Umgang mit
Rückfällen bis hin zu Informationen zum Umgang mit Geld und Schulden. Ziel
des Entlastungstrainings ist die Reduktion der Belastung durch die Vermittlung
von Informationen sowie die Förderung individueller Bewältigungsfähigkeiten. Die
Ergebnisse der ersten Nachbefragungen zeigen, dass dieses Ziel erreicht wird.
Die Belastung durch das Glücksspielen des Partners / Kindes nimmt durch die
Teilnahme am Programm ETAPPE signifikant ab (Buchner, 2013). Das inzwischen
erarbeitete Manual zum Programm enthält neben umfangreichen Hintergrundin-
formationen auch Materialien für die Gruppenarbeit.
In Nordrhein-Westfalen wurde im Rahmen eines Modellprojektes von der Sucht-
hilfe Aachen ebenfalls ein Gruppenprogramm für Angehörige von Glücksspiel-
süchtigen entwickelt. Es umfasst sechs Gruppenabende mit ähnlichen Themen.
Auch hier konnte die Evaluation zeigen, dass die Angehörigen von der Teilnahme
am Programm profitieren. Das Gesamtmaß der psychischen Belastung verbesser-
te sich bei den Teilnehmern signifikant (Latz, 2012). Kritisiert wurde lediglich die
kurze Dauer des Gruppenprogramms.
Inwieweit die positiven Ergebnisse derartiger Programme stabil bleiben, müssen
künftige Katamnesen zeigen. Aus Sicht der teilnehmenden Angehörigen waren
insbesondere die Themen „Rückfall“ und „Umgang mit Warnsignalen“ wichtig,
was noch einmal verdeutlicht, mit welch großen Ängsten und Unsicherheiten die
Rückfälligkeit des Partners oder Kindes verbunden ist.

6.6.1 Das „Co-Abhängigkeits“-Konzept


In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand in der Selbsthilfebewegung
der Vereinigten Staaten das „Co-Abhängigkeits“-Konzept. Es wurde in Deutsch-
land in den 1970er bis 1980er-Jahren insbesondere durch populärwissenschaftli-
che und Ratgeberliteratur bekannt. Das Konzept, für das keine eindeutige Defini-
tion vorliegt, besagt im Kern, dass Angehörige suchtkranker Menschen – ähnlich
wie Kopiloten den Piloten unterstützen – die Suchtentwicklung des Suchtkranken
106
unterstützen und fördern und so eine zusätzliche beiderseitige Abhängigkeit ent-
steht. Hiervon würden die Angehörigen profitieren, indem sie durch die Verantwor-
tungsübernahme für das Leben des Partners eigene Defizite überdecken könnten.
Während sich die professionelle Suchtkrankenhilfe von diesem Ansatz gegenwär-
tig löst, weil er teilweise dogmatischen Charakter angenommen hat, Angehörige
von Suchtkranken stigmatisiert und vor allem empirisch keine Bestätigung findet
(Klein, 2000), ist er in der Selbsthilfebewegung nach wie vor verbreitet. Die zur AA-
Bewegung gehörenden GamAnon-Familiengruppen (GAMblers ANONymous Fa-
mily Groups) beschreiben „Co-Abhängige“ als Personen, die sich mehr um andere
als sich selbst kümmern und sich nur schwer vorstellen können, „dass irgend
jemand auf der Welt sie um ihrer selbst willen mögen könnte, deswegen machen
sie sich mit ihrer Helferrolle unentbehrlich“ (https://www.gam-anon.org, Zugriff:
29.06.2022).
Als Merkmale der „Co-Abhängigkeit“ werden genannt:
▶ „Co-Abhängige“ brauchen es, gebraucht zu werden.
▶ Sie suchen Bestätigung bei anderen.
▶ Sie können sich nicht abgrenzen.
▶ Sie leben oft in „Klammerbeziehungen" oder in der „perfekten Ehe".
▶ Sie wollen es allen recht machen.
▶ Sie wollen um jeden Preis gefallen.
▶ Sie haben kein Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.
▶ Sie machen sich unentbehrlich.
▶ Sie nehmen alles persönlich.
▶ Sie übernehmen für andere Verantwortung.
▶ Sie sind nicht in Kontakt mit ihren Gefühlen oder verzerren sie.
Klein (2000) hat unter Rückgriff auf empirische Arbeiten darauf hingewiesen, dass
Angehörige von Suchtkranken stressbedingt überdurchschnittlich leiden und Stö-
rungen entwickeln können, dass eine pauschale Etikettierung als psychisch ge-
stört jedoch unzutreffend ist. Von Uhl und Puhm (2007) wurde zusätzlich betont,
dass bei der Beurteilung von Reaktionen auf Suchtprobleme bei Angehörigen
jeweils die sozialen Lebensbedingungen berücksichtigt werden müssen. Wenn
eine Angehörige den betroffenen Partner gegenüber dem Arbeitgeber entschul-
107
digt, kann dies auch alleine der Existenzsicherung der ganzen Familie dienen. Die
Autoren legen zudem dar, dass die ungenauen Definitionen des Begriffs „Co-Ab-
hängigkeit“ eine Vermengung von Begrifflichkeit und empirischen Behauptungen
enthalten. Sie schlagen vor, statt von „co-abhängigem“ Verhalten von suchtför-
derndem Verhalten zu sprechen. Inzwischen hat sich eine stärker systemische
Betrachtungsweise durchgesetzt (vgl. Kap.6.6.3).

6.6.2 Typische Problemfelder


In vielen Familien nimmt der finanzielle Aspekt der Glücksspielproblematik zu-
nächst den größten Raum ein. Das ist verständlich, denn nicht selten wirken sich
die finanziellen Folgen der Glücksspielsucht negativ auf die Lebensqualität der
gesamten Familie aus. Nachdem der erste Schock über hohe Schulden überwun-
den ist, übernehmen insbesondere Eltern und Großeltern häufig die Schulden
der Betroffenen bzw. stellen das Geld leihweise zur Verfügung. Auch Ehepartner
bürgen für Kredite, lösen eigene Sparkonten auf oder verkaufen Wertgegenstände.
Diese Unterstützung ist verbunden mit der Hoffnung, dass die Belastung für den
Glücksspieler nachlässt, wenn die Schulden erst mal weg sind, sodass er dann
nicht mehr spielen muss. Manche haben auch die nicht unberechtigte Angst, dass
der Partner oder das Kind kriminell werden und hoffen, dies durch die Übernahme
von Schulden oder den Ausgleich des Kontos abwenden zu können. Mit dem Geld
unterstützen Angehörige in der Regel allerdings nicht die geliebte Person, son-
dern den glücksspielsüchtigen Anteil dieses Menschen. Nicht selten müssen sich
Angehörige im Verlauf einer Therapie den Vorwurf anhören: „Warum hast du mich
auch so lange mit Geld unterstützt und mir all meine Geschichten geglaubt?“.
Daher wird Angehörigen, die mit einer Glücksspielproblematik im familiären Um-
feld konfrontiert sind, die Empfehlung gemacht, kein Geld zu leihen und keine
Schulden oder Bürgschaften zu übernehmen und auf keinem Fall die eigene Kre-
dit- oder EC-Karte zur Verfügung zu stellen (BZgA, 2009).
Wenn von dieser klaren Regelung im Sinne von „Kein Kapital zum Glücksspielen!“
abgewichen wird, akzeptiert der Angehörige indirekt, dass der Partner, das Kind
oder der Freund weiter am Glücksspiel teilnimmt.
Viele Familien versuchen, das „Glücksspielerproblem“ vor der Umgebung zu ver-
heimlichen, was durchaus im Sinne des aktiven Glücksspielsüchtigen ist, da er da-
durch in keine Erklärungsnot kommt und ihm weitere Geldquellen erhalten bleiben.
Das Fehlen charakteristischer Auffälligkeiten macht es für Angehörige außer-
ordentlich schwer, die Teilnahme an aktuellen Glücksspielen oder Rückfälle zu
erkennen. Dieser Umstand verstärkt das Misstrauen gegenüber dem Betroffenen.
108
Jede nicht kontrollierbare Abwesenheit kann deshalb beim Angehörigen bereits
Auslöser für neue Sorgen und Ängste sein.
Für Angehörige kann es entlastend sein, sich Folgendes bewusst zu machen:
▶ Ängste und Misstrauen sind verständlich und nachvollziehbar, dennoch ist es
unmöglich, alles zu überwachen und zu kontrollieren und den Partner oder das
Kind vor einem Rückfall zu beschützen,
▶ der Glücksspieler wird mit Sicherheit Wege finden, die Überwachung zu
unterlaufen und
▶ Glücksspieler sind äußerst erfindungsreich, wenn es um zwei Dinge geht:
erstens um die Beschaffung von Geld und zweitens um das Verheimlichen
des Glücksspielens.

Dort, wo es durchzuhalten ist, sollte eine klare und konsequente Position bezogen
werden. In der Praxis bedeutet dies: Zum Suchtverhalten eine eindeutige Abgren-
zung vorzunehmen, dem Menschen gegenüber jedoch ein positives Angebot zu
unterbreiten. Unter diesem Blickwinkel sollte alles unterlassen werden, was den
Versuch der Loslösung vom Suchtverhalten verhindert oder verzögert. Der mitbe-
troffene Angehörige sollte konsequent bleiben und sich nicht als Suchtstabilisie-
rende Ergänzung „einspannen“ lassen.
Ein wichtiger Punkt ist die Glaubwürdigkeit der mitbetroffenen Angehörigen.
Androhungen („Wenn du noch einmal spielst, dann …“), die nicht wahr gemacht
werden, sind nicht förderlich für das Familienklima. Es empfiehlt sich, nur Konse-
quenzen anzudrohen, die auch einzuhalten sind. Wer wöchentlich mit Scheidung
oder Auszug droht, ohne dies umzusetzen, verhält sich nicht viel anders als ein
Süchtiger, der dauernd verspricht: „Jetzt höre ich aber wirklich auf!“. Besser ist
es, sich kleine Schritte zu überlegen, die zu bewältigen sind, und zu signalisieren,
dass das, was man sagt, auch ernst zu nehmen ist. Ein solches Verhalten tut so-
wohl dem eigenen Selbstvertrauen als auch der Beziehung zum suchtkranken
Partner gut.

6.6.3 Gemeindeorientierte Familientherapie


Inzwischen besteht ein psychotherapeutischer Ansatz für Angehörige von Sucht-
kranken (Meyers, Smith, 2007), der vor dem Hintergrund einer Gemeindeorien-
tierung psychosoziale, motivationale, klassisch verhaltenstherapeutische und
medikamentöse Interventionen verbindet. Das Ziel ist die indirekte Motivierung
des Suchtkranken zur Behandlung durch einen Angehörigen angeregt und die
Verbesserung der Lebensqualität betroffener Familienmitglieder. Der Ansatz er-
109
weist sich im Vergleich zu konfrontativen Strategien und den Vorstellungen von
„Co-Abhängigkeit“ empirisch als überlegen.

Gemeindeorientiertes familientherapeutisches Training

▶ Motivierung des Angehörigen zur Veränderung


▶ Analyse des Verhaltens des Suchtkranken durch den Angehörigen
▶ Strategien gegen Gewalt durch den Suchtkranken
▶ Kommunikationstraining des Angehörigen
▶ Positive Verstärkung (Belohnung) des nichtsüchtigen Verhaltens
des Betroffenen
▶ Negative Verstärkung (Bestrafung) des süchtigen Verhaltens
des Betroffenen
▶ Verbesserung der Lebensqualität des Angehörigen
▶ Behandlungsangebote an den betroffenen Suchtkranken
Tab. 6.9 (Meyers, Smith, 2007)

6.6.4 Kinder von glücksspielsüchtigen Eltern(teilen)


Auch Kinder, die gemeinsam mit einem Glücksspielsüchtigen in der Familie le-
ben, sind belastet. Die Familienatmosphäre kann als angespannt, unberechenbar
und willkürlich beschrieben werden (Zobel, 2008, 2008a). Da die Glücksspielsucht
eine sehr unauffällige Sucht ist (man riecht nichts, man sieht nichts), hält sich in
vielen betroffenen Familien der Glaube, die Kinder würden von diesem Problem
nichts mitbekommen. Dabei wird übersehen, dass Kinder sich zwar zunächst nicht
erklären können, worauf die Spannungen in der Familie zurückzuführen sind,
dennoch nehmen sie diese wahr. Sie nehmen die Geldknappheit wahr, die vielen
gebrochenen Versprechen, die Gefühlsschwankungen, die gereizte Stimmung und
die Streitereien zwischen den Eltern. Einige Kinder solidarisieren sich in so einer
schwierigen Familiensituation innerlich mit dem vermeintlich Schwächeren – in
der Regel dem glücksspielenden Vater – und erleben in Bezug auf den anderen
Elternteil einen Loyalitätskonflikt. Andere sind eher mit der Mutter solidarisch.
Sie fühlen sich verpflichtet, sie zu trösten und kopieren deren Verhaltensweisen,
indem sie zum Beispiel nach einem Rückfall mit dem glücksspielenden Vater
nicht sprechen. Dieses Klima ist nicht förderlich, um angemessene Strategien zur
110
Lösung von Konflikten zu erlernen. Zudem geben sich Kinder oft die Schuld an
den familiären Problemen und versuchen, auf ihre Art zur Lösung der Konflikte
beizutragen, womit sie maßlos überfordert sind. Es kann aber auch sein, dass sie
kurzfristige Vorteile für sich suchen und die Eltern gegeneinander ausspielen.
Über erwachsene Kinder von Alkoholikern ist bekannt, dass die Probleme ihres
Elternhauses viele ein Leben lang begleiten (Zobel, 2008). Sie sind selbst erheblich
suchtgefährdet, haben Probleme mit dem Selbstwertgefühl, kümmern sich eher
um andere als um sich selbst und neigen nicht selten zu komplizierten Beziehun­
gen. Es spricht einiges dafür, dass diese Verhaltensweisen auch auf Kinder aus
Familien mit einem glücksspielsüchtigen Elternteil zutreffen (Hayer et al., 2006).
Zobel (2008) weist unter Bezugnahme auf empirische Untersuchungen darauf hin,
dass das Vorbild glücksspielender Eltern für Jugendliche nicht abschreckend
wirkt. Vergleicht man das Glücksspielverhalten von Eltern und ihren Kindern, dann
spielen demnach Jugendliche insbesondere dann, wenn auch ein Elternteil spielt:
Spielt mindestens ein Elternteil, dann tun dies ebenfalls 54 % der Jugendlichen.
Nehmen die Eltern dagegen nicht an Glücksspielen teil, spielen nur 26 % der Ju-
gendlichen. Kinder aus Familien mit einem pathologisch spielenden Elternteil
stellen somit eine Risikopopulation für die Entwicklung eines problematischen
Glücksspielverhaltens dar (Zobel, 2008).

6.7 Katamnese
Aufgrund sehr großer methodischer Unterschiede sind die berichteten „Erfolgs-
quoten" der Untersuchungen in Deutschland kaum miteinander vergleichbar.
Insbesondere beim Vergleich zwischen Kliniken für Abhängigkeitserkrankungen
und psychosomatischen Einrichtungen finden sich unterschiedliche Zugangswei-
sen. So beziehen sich die Fachkliniken für Abhängigkeitserkrankungen vor allem
auf die Glücksspielabstinenz als „Erfolgskriterium" (Katamnesestandards der
Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie), während die psy-
chosomatischen Fachkliniken das Erreichen individueller Behandlungsziele und
die Veränderung persönlicher Befindlichkeiten und Kompetenzen betonen.
Aufgrund der vorliegenden Angaben muss sich die summarische Darstellung in
Tabelle 6.6 auf das Kriterium der Glücksspielabstinenz beschränken. Betrachtet
man die Ergebnisse metaanalytisch, ergibt sich für die neun bislang veröffentlich-
ten Studien zur stationären Behandlung in Deutschland eine ungewichtete durch-
schnittliche Erfolgsquote über die Gruppen zwischen 64,3 % (Berechnungsformel
3 = alle Antwortenden) und 46,1 % (Berechnungsformel 4 = Gesamtstichprobe als
Bezug) mit einer hohen Streubreite (Petry, 2001).
111
Katamnesen zur stationären Behandlung pathologischer Glücksspieler
in Deutschland

Schwarz, Lindner Petry Schwicke- Petry Glier,


Autor Lindner rath et al. et al. Finger
(1990/1992) (1996) (1995) (1996/1998) (2000) (2000)

B3 % 71,4 75,0 73,3 75,6 41,5 39,1 69,6 61,7 71,8


Erfolgsquote
B4 % 62,5 66,7 46,4 43,1 35,4 18,8 28,1 60,4 53,8

B3 = alle Antwortenden / B4 = Gesamtstichprobe

Streubreite der ermittelten Erfolgsquoten 18,8 % – 75,6 %

Streubreite der Ausschöpfungsquoten 35,4 % – 97,9 %

Tab. 6.10 (Petry, 2001)

Zur ambulanten Behandlung liegt eine erste deutsche multizentrische Unter-


suchung vor (Tecklenburg, 2008), die ähnlich positive Resultate zeigt. Eine erste
multizentrische Katamnese zur stationären Behandlung in Deutschland wurde
gerade abgeschlossen (Premper et al., 2012).

Literatur:
Adams, Michael (2010): Außenansicht: Wo der Kunde krank sein muss. In: Süddeutsche Zeitung vom
20.10.2010.
Bergler, Edmund (1957): The psychology of gambling. New York: Hill & Wang (Reprint 1985).
Bondolfi, Guido et al. (2002): Pathological gambling: An increasing and underestimated disorder.
In: Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, 153 (3), 116-122.
Buchner, Ursula G. et al. (2013): Angehörigenarbeit bei pathologischem Glücksspiel: Das psycho­edukative
Entlastungstraining ETAPPE. Göttingen: Hogrefe.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2012): Glücksspielverhalten und problematische
Glücksspielsucht in Deutschland (2007, 2009 und 2011): Ergebnisse aus drei repräsentativen Bevöl­
kerungsbefragungen 2007, 2009 und 2011. Köln. Internet: https://www.bzga.de/forschung/studien/
abgeschlossene-studien/studien-ab-1997/gluecksspiel/, Zugriff: 29.06.2022.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2009): Glücksspielsucht: Erste Hilfe für Angehörige.
Köln. (Broschüre)
Caplan, Gerald (1964): Principles of preventive psychiatry. New York: Basic Books.
Custer, Robert; Milt, Harry (1985): When luck runs out: Help for compulsive gamblers and their families.
New York: Facts On File Publications.
Cox, W. Miles; Klinger, Eric (2011): Handbook of motivational counseling: Goal-based approaches with
addiction and other Problems. Chichester (UK): John Wiley.
112
Denzer, Petra et al. (1996): Pathologisches Glücksspiel: Klientel und Beratungs-/Behandlungsangebot
(Ergebnisse der multizentrischen deskriptiven Studie des Bundesweiten Arbeitskreises Glücksspiel-
sucht). In: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 1996.
Geesthacht: Neuland, 279-295.
Eidgenössische Spielbankenkommission (2021): Sozialschutz und Spielsucht. Internet: https://www.esbk.
admin.ch/esbk/de/home/spielbankenaufsicht/spielsucht.html Zugriff: 29.06.2022.
Füchtenschnieder-Petry, Ilona; Hayer, Tobias (2012): Evaluation der Hotline Glücksspielsucht NRW:
Analysen zum Anruferprofil. Berlin. Vortrag auf dem Deutschen Suchtkongress am 5.12.2012.
Gordon, Robert S. (1983): An operational classification of disease prevention. In: Public Health Report
(1998), 2, 107-109.
Hansen, Marianne; Rossow, Ingeborg (2008): Adolescent gambling and problem gambling: Does the total
consumption model apply? In: Journal of Gambling Studies, 24, 135-149.
Hayer, Tobias et al. (2006): Kinder von pathologischen Glücksspielern: Lebensbedingungen, Anforderun-
gen und Belastungen. In: Abhängigkeiten, 12 (2), 60-77.
Heide, Martin (2001): Der Weg zur beruflichen Wiedereingliederung Suchtkranker in der Adaption.
In: Fachverband Sucht (Hrsg.): Rehabilitation Suchtkranker – mehr als Psychotherapie!
Geesthacht: Neuland, 210-220.
Hurrelmann, Klaus et al. (2003): Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen – Verbreitung
und Prävention. Abschlussbericht an das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des
Landes Nordrhein-Westfalen. Bielefeld. Unveröffentlichter Forschungsbericht.
Kagerer, Peter (1998): Zur Vater-Sohn-Problematik bei Glücksspielsüchtigen. In: Füchtenschnieder, Ilona;
Witt, Horst (Hrsg.): Sehnsucht nach dem Glück: Adoleszenz und Glücksspielsucht.
Geeshacht: Neuland, 34-48.
Kalke, Jens et al. (2011). Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich: Empirische Ergebnisse zum
Spielverhalten der Bevölkerung und zur Prävention der Glücksspielsucht. Freiburg: Lambertus.
Klein, Michael (2000): Alkohol und Familie. Forschung und Forschungslücken. In: Kruse, Gunther et al.
Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln. Bonn: Psychiatrie Verlag, 139-158.
Latz, Kristina (2012): Angehörige pathologischer Glücksspieler: Wirksamkeit von Gruppeninterventionen.
Köln, Katholische Fachhochschule. Unveröffentlichte Masterarbeit.
Leung, Kit Sang; Cottler, Linda B. (2009): Treatment of pathological gambling. Current Opinion in
Psychiatry, 22 (1), 69-74.
Meyer, Christian et al. (2011): Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung,
Komorbidität, Remission und Behandlung. Greifswald und Lübeck. Unveröffentlichter Forschungs­bericht.
Meyer, Gerhard (2006): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2006. Geesthacht: Neuland, 114-128.
Meyer, Gerhard (2011): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2011. Geesthacht: Neuland, 109-127.
Meyer, Gerhard (2012): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich: Pabst, 125-141.
Meyer, Gerhard; Bachmann, Meinolf (2011): Spielsucht: Ursachen, Therapie und Prävention von
glücksspielbezogenem Suchtverhalten.. Heidelberg: Springer.
Meyers, Robert J.; Smith, Jane E. (2007): CRA-Manual zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit:
Erfolgreicher behandeln durch positive Verstärkung im sozialen Bereich. Bonn: Psychiatrie Verlag.
(Amerikanisches Original 1995)
113
Miller, William R.; Rollnick, Stephen (2004): Motivierende Gesprächsführung. Freiburg: Lambertus.
(Amerikanisches Original 2002)
Petry, Jörg (2001): Übersicht aller katamnestischer Studien zur ambulanten und stationären
Behandlung von „Pathologischen Glücksspielern“ in Deutschland. In: Verhaltenstherapie & Verhaltens­
medizin, 22, 103-121.
Pfeiffer-Gerschel, Tim et al. (2011): Deutsche Suchtkrankenhilfestatistik 2009: Ein Überblick der
wichtigsten Ergebnisse. In: Sucht, 57 (6), 421-430.
Premper, Volker et al. (2012): Multizentrische Katamnese bei pathologischem Glücksspielen.
In: Sucht, 58, Suppl. 1, 74.
Priestley, Philip et al. (1978): Social skills and personal problem solving: A handbook of methods.
London: Tavistock.
Scarfe, Adrian (2001): Das Telefonhilfekonzept. In: Füchtenschnieder, Ilona; Hurrelmann, Klaus (Hrsg.):
Glücksspiel in Europa. Vom Nutzen und Schaden des Glücksspiels im europäischen Vergleich.
Geesthacht: Neuland, 104-108.
Schröder, Harry; Petry, Jörg (2003): Störung des Selbstregulationssystems und Emotionstraining bei
stofflichen und stoffungebundenen Süchten. In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 26 (1), 19-22.
Spengos, K. et al. (2006): Reversible Glücksspielsucht unter Pramipexol. In: Nervenarzt, 77, 958-960.
Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland. In Kraft getreten am 1. Januar 2008.
Internet: www.fst-ev.org/fileadmin/pdf/gesetze/Gesetz 2008-01-03
GI%C3%BCcksspielstaatsvertrag.pdf (Zugriff: 20.2.2013)
Tecklenburg, Hans-Jürgen (2008): Ergebnisse des Evaluationsprojektes in Schleswig-Holstein. Vortrag
auf der 20. Jahrestagung des Fachverbandes Glücksspielsucht vom 27.–28. November 2008 in Hamburg.
Uhl, Alfred (2009): Absurditäten in der Suchtforschung. In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung,
32 (3/4), 19-39.
Uhl, Alfred; Puhm, Alexandra (2007): Co-Abhängigkeit – ein hilfreiches Konzept? In: Wiener Zeitschrift
für Suchtforschung, 30 (2/3), 13-20.
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR (2001): Empfehlungen der Spitzenverbände der
Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem
Glücksspielen. Frankfurt/M. Unveröffentlichte Empfehlung.
Vierhaus, Marc et al. (2012): Zur Validität des Modells zur psychischen Vulnerabilität der Glücksspiel-
sucht. In: Sucht, 58 (3), 183-193.
Weintraub, D. et al. (2010): Impulse control disorders in Parkinson disease. A cross-sectional study of
3090 Patients. In: Archives of Neurology, 67, 589-595.
Williams, Robert et al. (2007): Prevention of problem gambling. In: Smith, Garry et al. (Eds.): Research
and measurement in gambling studies. Amsterdam: Elsevier, 399-435.
Zobel, Martin (2008): Wenn Eltern zu viel trinken: Hilfe für Kinder und Jugendliche aus Suchtfamilien.
2. Auflage. Bonn: BALANCE buch + medien verlag.
Zobel, Martin (2008a): Kinder von pathologischen Spielern. In: Klein, Michael (Hrsg.): Kinder und
Suchtgefahren. Stuttgart: Schattauer, 140-148.
Zollinger, Manfred (1997): Geschichte des Glücksspiels: Vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg.
Wien: Böhlau.
7 Differenzielle Ansätze
114

Der methodische Grundansatz der differenziellen Psychologie besteht darin, dass


Individuen, die in bestimmten Merkmalen von der Regel abweichen, hinsichtlich
charakteristischer Merkmalsvariationen untersucht werden. So kann es gelingen,
Hinweise auf Gesetzmäßigkeiten zu finden, die allgemeine Gesetze über das
menschliche Erleben und Verhalten überlagern. Im klinischen Anwendungsfeld
lässt sich entsprechend die Behandlungseffektivität verbessern, wenn es gelingt,
innerhalb eines Störungsbildes systematische Unterschiede zwischen speziellen
Untergruppen zu finden und daraus differenzielle Behandlungsstrategien abzulei-
ten. Die bei Glücksspielsüchtigen relevanten Merkmale für diese Strategie betref-
fen das Geschlecht, das Alter, die ethnische Herkunft und das Vorhandensein
spezieller komorbider Störungen. Inzwischen haben sich Behandlungsangebote
vor allem im stationären Bereich entwickelt, die sich in Abweichung von der
glücksspielerspezifischen Behandlung, welche sich auf mehrheitlich junge,
deutschstämmige männliche Glücksspieler bezieht, gezielt an spezielle Unter-
gruppen richten. Dazu gehören Behandlungsangebote speziell für Frauen und für
Männer, für jüngere und ältere Glücksspieler, verschiedene Migrantengruppen,
wie russischsprachige und türkischsprachige (auch mit geringen deutschen
Sprachkenntnissen) oder nicht deutschsprachige Patienten aus Nachbarländern
(französischsprachige Schweiz, Frankreich, Luxemburg) sowie Glücksspieler mit
häufigeren (Persönlichkeitsstörungen) und weniger häufigen (ADHS, Polytoxiko-
manie, Psychose, geistige Behinderung) komorbiden Störungen (Petry, 2009,
2013). Im Folgenden werden zwei Problembereiche, Gender und Ethnie, heraus-
gegriffen.

7.1 Gender (Monika Vogelgesang)


In unserem Kulturraum findet sich eine zahlenmäßig wesentlich geringere Reprä-
sentanz von Glücksspielerinnen im klinischen Setting und in der Bevölkerung. So
weist die Deutsche Suchthilfestatistik von 2009 (Pfeiffer-Gerschel et al., 2011) in
Bezug auf das pathologische Glücksspielen als Hauptdiagnose eine Geschlechter-
verteilung von 1,6 % Frauen zu 4,7 % Männer in der ambulanten und von 0,5 %
Frauen zu 2,4 % Männer in der stationären Beratung/Behandlung auf. Die PAGE-
115
Studie (vgl. Kapitel 2.1; Meyer et al., 2011) ergibt für die Lebenszeitprävalenz ein
Verhältnis von 0,2 % Frauen zu 1,7 % Männer und für die 12-Monatsprävalenz 0,1 %
Frauen zu 0,6 % Männer. Im Folgenden wird die kleinere Gruppe von weiblichen
Glücksspielern und deren Behandlung genauer beschrieben.

7.1.1 Frauenspezifisches Störungsbild


Die Glücksspielsucht wird entsprechend viel mehr mit Männern als mit Frauen
in Verbindung gebracht. Dem entspricht, dass das Stereotyp des Glücksspielers
in überzeichneter Form Eigenschaften darstellt, die als typisch männlich gelten.
Konträr dazu wird die Glücksspielerin von ihrer Umgebung und auch von sich
selbst beurteilt. Eine alles auf eine Karte setzende Risikobereitschaft, eine rast-
lose Getriebenheit sowie eine innere Losgelöstheit von zwischenmenschlichen
Bindungen widersprechen, im Gegensatz zum männlichen Klischee, zutiefst dem
Bild, wie eine Frau und insbesondere eine Mutter sein sollte.
Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, warum das pathologische Glücks-
spielen geschlechtsspezifisch unterschiedlich auftritt, ist der krasse Widerspruch
zu den gültigen weiblichen Rollenanforderungen bei gleichzeitiger Überzeichnung
verschiedener Männlichkeitsstereotype als ein wesentliches verursachendes
Agens einzustufen.
Eine Analyse der Charakteristik dieser Klientel ergibt erhebliche Unterschiede in
der Vorgeschichte und der Funktionalität der Störung. Die pathologischen Glücks-
spielerinnen bilden die mit am häufigsten und schwersten traumatisierte klinische
Population. Das Glücksspielen wird hier meist zur Ablenkung von depressiven und
angstvollen Gefühlen bis hin zur Abwehr von traumabezogenen Intrusionen, d. h.
Bildern, Flashbacks oder Alpträumen, in denen das Trauma wiedererinnert oder
-erlebt wird, eingesetzt.
Dieser spezifische Hintergrund des pathologischen Glücksspielens bei Frauen
muss in der Therapie Beachtung finden. Sie sollte in Zentren stattfinden, die
ausreichend viele pathologische Glücksspielerinnen behandeln. Die Behandlung
teilt mit der Vorgehensweise bei männlichen pathologischen Glücksspielern das
Primat der Glücksspielabstinenz. Die Interventionstechniken und -inhalte sind
jedoch den spezifischen Erfordernissen dieser meist hochtraumatisierten Klientel
anzupassen.
Die folgende Darstellung zu Unterschieden von männlichen und weiblichen
Glücksspielsüchtigen fasst Untersuchungsergebnisse zusammen, bei denen je-
weils 100 weibliche und männliche Glücksspieler miteinander verglichen wurden
(Vogelgesang, 2010, 2011).
116
Mit einer Differenz von zehn Jahren in der Erstmanifestation bestätigte die Un-
tersuchung die international immer wieder berichtete Auffälligkeit, dass Frauen
sig-nifikant später als Männer mit dem Glücksspielen beginnen und dass ihr
Krankheitsverlauf dann rascher progredient ist, d. h., sie kommen nach einer kür-
zeren Erkrankungsdauer in klinische Behandlung. Ein Anfangsgewinn spielt bei
ihnen bezüglich der Krankheitsentwicklung eine erheblich geringere Rolle als bei
den Männern (14 % der Frauen versus 23 % der Männer).
Eine Analyse der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren des patholo­
gischen Glücksspielens ergab, dass bei den Frauen die Vermeidung von Trauer
und Angst im Vordergrund stand, gefolgt von Gefühlen der Insuffizienz und Über-
forderung, während bei den Männern Inferioritätsgefühle und der Wunsch nach
Entspannung zum Glücksspiel führten. Dieses Ergebnis entspricht den in der
Literatur dargestellten Beobachtungen einer höheren Komorbidität, insbesondere
Depressionen sowie Angststörungen bei Glücksspielerinnen (Premper, 2006).
Hinsichtlich der Art des gewählten Glücksspiels zeigte sich, dass in der Bundes-
republik sowohl männliche als auch weibliche Glücksspieler Automatenspiele
bevorzugen. Im angloamerikanischen Raum gewonnene Erkenntnisse, wonach
Männer eher strategische Spiele favorisieren, konnten auch in anderen klinischen
und epidemiologischen Untersuchungen für die deutsche Population nicht bestä-
tigt werden (Premper, 2006).
In Bezug auf die Intensität des Glücksspielens verbrachten die Frauen mit im
Mittel 4,3 Spieltagen in der Woche (gegenüber 3,9 Spieltagen bei Männern) und
durchschnittlich 4,6 Glücksspielstunden pro Spieltag (gegenüber 3,7 Stunden bei
der männlichen Stichprobe) deutlich mehr Zeit mit dem pathologischen Glücks-
spielen. Aus ihrer geringeren mittleren Schuldenhöhe kann jedoch auf geringere
bzw. weniger riskante Einsätze geschlossen werden. Dies deckt sich mit den Er-
kenntnissen, dass Frauen generell mit Geld weniger riskant umgehen als Männer.
Weiterhin ist bei der Beurteilung der Verschuldung zu bedenken, dass Frauen
allgemein weniger Geld verdienen und für sie somit die Belastung durch eine
Verschuldung relativ höher als bei den Männern einzuschätzen ist.
Die ähnlich hohen Anteile an Arbeitslosen (43 % bei den Frauen versus 44 % bei
der männlichen Gruppe), Obdachlosen (4 % bei den Frauen versus 3 % bei den
Männern) und Migranten (19 % bei der weiblichen Stichprobe versus 17 % bei den
Männern) zeigen, dass der soziodemografische Hintergrund der männlichen und
weiblichen Glücksspieler in der Untersuchung vergleichbar war. Die Quote der
Vorstrafen lag bei den Männern in Konkordanz zur Allgemeinbevölkerung deutlich
höher. Die Delinquenz diente bei beiden Geschlechtern in der Regel der Geldbe-
schaffung, um weiter spielen zu können.
117
Deutliche Geschlechterunterschiede finden sich in Bezug auf die vergangene und
aktuelle psychische Belastung, insbesondere durch traumatische Erfahrungen in
der Kindheit und aktuellen Partnerschaft und der bestehenden Komorbidität.

Geschlechtervergleich von anamnestischen und aktuellen Problemfaktoren

Geschlecht
(N = 100) (N = 100) Signifikanz

Vorgeschichte

Schwere Vernachlässigung in der Kindheit 22 % 11 % p = .036

Sexueller Missbrauch 37 % 4% p < .001

Körperliche Misshandlungen 29 % 15 % p = .028

Traumata im Erwachsenenalter 23 % 7% p = .002

Psychische Störungen der Mutter 28 % 19 % p > .05

Mütterliche Gewalttätigkeit 14 % 1% p < .001

Heimaufenthalte in der Kindheit/Jugend 17 % 8% p = .054

Dauer des Heimaufenthaltes 4,94 Jahre 2,63 Jahre p = 0.2

Anamnestische Suizidversuche 30 % 9% p < .001

Komorbidität

Komorbide Depression 64 % 38 % p < .001

Komorbide Tabakabhängigkeit 82 % 82 %

Komorbide Alkoholabhängigkeit 24 % 25 %

Komorbide Angststörung 27 % 6% p < .001

Komorbide Persönlichkeitsstörung 40 % 34 % p = .005

Partnerschaft

Körperliche Gewalt in der Partnerschaft 15 % 1% p < .001

Tab. 7.1 (Vogelgesang, 2011)


118
Die oben dargestellten Spezifika pathologischer Glücksspielerinnen verdeutli­
chen, dass bei dieser Störung, zumindest bezogen auf den untersuchten klini­
schen Bereich, typische Geschlechtsunterschiede bestehen:
▶ Die pathologische Glücksspielerin ist in der Regel älter und psychisch kränker
als ihr männliches Pendant.
▶ Sie hat meist eine problematische Kindheit mit einer hohen Quote an elterlichen
psychischen Störungen und Gewalttätigkeit hinter sich. Lange Heimaufenthalte
sind keine Seltenheit.
▶ Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit traumatisiert und meist depressiv. Häufig
leidet die Glücksspielerin unter einer Persönlichkeitsstörung, dabei nicht selten
unter emotionaler Instabilität und oft auch unter einer Angstproblematik.
▶ Das pathologische Glücksspielen entwickelt sich nicht im frühen Erwachsenen­
alter aus einem Zeitvertreib heraus, sondern zu einem späteren Zeitpunkt
sekundär zur Vermeidung unerträglicher Gefühle der Trauer, Insuffizienz und
Angst.
▶ Die Störung ist relativ rasch progredient und nimmt einen großen Teil der Zeit
in Anspruch.

7.1.2 Frauenspezifische Behandlung


Wendet man sich der Therapie des pathologischen Glücksspielverhaltens zu, so
ist bemerkenswert, dass diese aufgrund der vorherrschenden Zahlenverhältnisse
und des vorrangig angenommenen Glücksspielerstereotyps bis dato meist voll-
ständig auf Männer ausgerichtet ist. Dabei wird von einem eher etwas jüngeren
Mann ausgegangen, der sich, zwischen Inferioritätsgefühlen und Narzissmus
schwankend, durch den schnellen materiellen Erfolg in seinem Selbstwertgefühl
bestätigt wissen möchte. Problematische Vaterbeziehungen, Schwierigkeiten, eine
reife und erwachsene Männerrolle zu übernehmen und Bindungsprobleme sind
hier immer wiederkehrende Themen in der Therapie, die somit viele Elemente der
„Männerarbeit“ aufweist.
Aufgrund der differenten Charakteristika der pathologischen Glücksspielerinnen,
die im Wesentlichen auf ihre hochproblematischen Kindheitsverhältnisse mit
gravierenden Traumatisierungserfahrungen und konsekutiver Entwicklung der
verschiedensten Folgeprobleme zurückzuführen sind, kann die auf Männer zu­
geschnittene Therapie nicht unadaptiert auf diese Gruppe übertragen werden.
119
Dies ist insofern besonders problematisch, da sich nicht nur die Selbsthilfean-
gebote, sondern auch die Therapieprogramme gegen pathologisches Glücks-
spielverhalten, ähnlich wie bei der Therapie von Abhängigkeitserkrankungen,
schwerpunktmäßig auf ein Gruppensetting beziehen. Hier können dysfunktionale
interpersonelle Verhaltensmuster identifiziert und neue soziale Umgangsweisen
ausprobiert werden. Patientinnen mit Glücksspielproblematik können hiervon
besonders profitieren, da bei ihnen in der Regel gravierende zwischenmenschliche
Probleme bestehen, welche teilweise die Problematik mit verursachten und teil-
weise als deren Folge entstanden sind. Hierbei seien insbesondere anklammern-
des bzw. vernachlässigendes sowie emotional-instabiles, ängstlich-vermeidendes
und manipulatives Verhalten genannt.
Sowohl die Selbsthilfeangebote als auch die frauenspezifisch orientierte Therapie
des pathologischen Glücksspielverhaltens stehen vor dem Problem, einerseits aus
inhaltlichen Gründen auf die Gruppentherapie nicht verzichten zu können, ande-
rerseits jedoch in aller Regel zeitgleich nicht genügend pathologische Glücksspie­
lerinnen zu betreuen, um ein entsprechendes Angebot, das ausschließlich auf
Frauen zugeschnitten ist, vorzuhalten.
Bei einem solchen spezifischen Behandlungsangebot für Glücksspielerinnen im
Rahmen einer stationären Entwöhnungsbehandlung oder einer psychosomati­
schen Rehabilitation werden bei bestehender Gemischtgeschlechtlichkeit die be­
troffenen Patientinnen nur ausgewählten Gruppen zugeteilt, in denen die Frauen
keinen Minderheitenstatus haben. Die Gruppenleitung kann in diesem Fall weib-
lich sein. Weitere Glücksspielergruppen sind in diesem Setting ausschließlich von
Männern belegt und werden auch von männlichen Therapeuten geleitet. Zusätzlich
zu den sonstigen Programmpunkten werden die pathologischen Glücksspielerin­
nen frauenspezifischen Gruppentherapieeinheiten zugeteilt, in denen sie sich ohne
potenzielle gegengeschlechtliche Irritationen z. B. über sexuelle Missbrauchser-
fahrungen, Schuld- und Schamgefühle, weibliches Rollenverhalten und Partner-
schaftsprobleme austauschen können. Auch eine Körperwahrnehmungsgruppe
ausschließlich für Frauen gehört zu dem Angebot. Den Männern stehen indikative
Männergruppen offen. Zusätzlich zu den erwähnten Gruppenangeboten sind noch
einzeltherapeutische Sitzungen notwendig, um auf die individuellen Aspekte der
betroffenen Frauen in einem entsprechenden Schutz- und Beziehungsrahmen
ausreichend eingehen zu können.
Die Therapie des pathologischen Glücksspielens richtet sich nach dessen ursäch-
lichen und aufrechterhaltenden Bedingungen. Die oben genannte Untersuchung
bestätigte die Beobachtung von Lesieur (1988), dass das Glücksspielen bei Frauen
120
häufig als Mittel fungiert, um unerträgliche Gefühle, die insbesondere mit aus der
Kindheit stammenden Störungen in Verbindung stehen, zu vermeiden. Für die Be-
troffenen ist der glücksspielspezifische Erlebniszustand, der sie die bedrückenden
Erfahrungen und Umstände ihres Lebens vergessen lässt, entscheidend.
Bei einem Teil der Glücksspielerinnen fungiert das Glücksspielen auch als Mög-
lichkeit, in einer von Männern dominierten Welt scheinbar auf gleicher Ebene mit
diesen konkurrieren und somit Ohnmachtsgefühle überwinden zu können. Einige
dieser Frauen fallen auch durch die Übernahme sonstiger männlicher Rollenste­
reotype auf: Sie geben sich betont burschikos, aktiv-expansiv und vermeiden
„typisch weibliche Gefühlsduseleien“. Die „männlich-konkurrierende“ Glücks-
spielerin möchte beweisen, dass sie der „bessere Mann“ ist. Die Ursachen dieses
Strebens können vielfältig sein, sind jedoch häufig mit anamnestischen Traumata
verbunden. Sie reichen von einer fundamentalen Unsicherheit als Frau bis zu einer
Identifikation mit dem Täter.
Glücksspielerinnen verspielen das eigene Geld, sie borgen sich Geld von Freun-
den, Verwandten und sogar von den eigenen Kindern. Um an finanzielle Mittel zu
kommen, verkaufen sie sich manchmal sogar selbst, sie fälschen häufig Unter-
schriften und Schecks. Unerträgliche Schuld- und Schamgefühle wegen dieser
Fehlverhaltensweisen sowie das Bewusstsein, als Frau und ggf. auch als Mutter
gescheitert zu sein, lassen die Frauen in einem „Circulus vitiosus“ in weiteres
Glücksspielen flüchten, wobei immer wieder die Hoffnung „mitspielt“, durch Ge-
winne bisherige Verfehlungen wiedergutmachen zu können. Die männlich-expan-
sive Glücksspielerin orientiert sich vordergründig zwar nicht an den klassischen
weiblichen Rollenanforderungen, dennoch führen auch bei ihr Glücksspielverluste
über negative Emotionen wie z. B. Wut und Ärger, sowie deren konsekutiven Drang,
sich nun erst recht beweisen zu müssen, zu einem imperativ erlebten Drang, das
Glücksspielen fortzusetzen.
Im Zusammenhang mit überwältigenden negativen Emotionen, besonders in
Form von übergroßen, gegen die eigene Person gerichteten aggressiven Gefühlen,
können sicher auch die bei pathologischen Glücksspielerinnen häufigen Depres­
sionen, Angststörungen und stoffgebundenen Süchte eingeordnet werden.
Aus diesen frauenspezifischen Aspekten ergeben sich folgende relevante
Themenbereiche in der Therapie:
▶ Aufbau eines Gefühls der Sicherheit und Stabilität
▶ Traumatherapie
▶ Bearbeitung der komorbiden Störungen
121
▶ Abbau von Schuld- und Schamgefühlen
▶ Bearbeitung der gravierenden Probleme aus der Herkunftsfamilie
▶ Bearbeitung von Problemen mit aktuellen Bindungspartnern
sowie ggf. einer Einsamkeitsproblematik
▶ Klärung der weiblichen Rollenanforderungen
▶ Ermutigung zu einem freundschaftlichen Umgang mit sich selbst
▶ Etablierung aktiver und adäquater Problemlösungsstrategien
Grundlegend für eine erfolgreiche Behandlung ist selbstverständlich der Aufbau
einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Es ist für die betroffene Frau
häufig eine ganz neue und immer eine heilsame Erfahrung, zu spüren, dass sie
in der Therapie als Mensch und Frau – ohne Vorbehalte und ohne Vorleistungen
erbringen zu müssen – akzeptiert sowie in ihrer oft tragischen Situation verstan-
den und angenommen wird. Diese menschliche Akzeptanz beinhaltet selbstver-
ständlich nicht automatisch die Billigung der mit dem pathologischen Glücksspie-
len assoziierten Fehlverhaltensweisen. Für die Gruppentherapie gilt dementspre-
chend, dass auch hier eine vertrauensvolle offene Arbeitsatmosphäre und eine
ausreichende Gruppenkohäsion im Sinne der instrumentellen Gruppenbedingun­
gen gefördert werden müssen, um eine psychotherapeutische Wirksamkeit zu
gewährleisten.

7.2 Ethnie
7.2.1 Ethnische Herkunft und Glücksspielkultur
Laut Duden wird unter Migration die „Wanderung von Individuen oder Gruppen
im geografischen oder sozialen Raum“ verstanden. Diese einfache Beschreibung
erfasst nicht die damit verbundene innere Problematik.
Deshalb muss die erste Forderung an einen Therapeuten sein, dass er seine gro-
ben Wahrnehmungsraster überprüft und sich nicht an einer möglichen äußeren
Fremdheit orientiert, sondern die innere Konflikthaftigkeit, wie sie mit Migration
verbunden sein kann, wahrnimmt. Dabei kann er auf einen zunächst fremd er-
scheinenden dunkelhäutigen indischen Migranten der zweiten Generation mit
punkig grün gefärbtem Haar und pfälzischem Dialekt treffen. Dieser Patient zeigt
sich rasch in der Lage, den für Glücksspielsüchtige typischen Vater-Sohn-Konflikt
zu bearbeiten, der daraus resultiert, dass der Vater den mit seiner Migration
verbundenen sozialen Abstieg nicht verkraften konnte und durch überhöhte und
unangemessene Forderungen an den Sohn zu verarbeiten suchte. Er selbst hat
122
im Gegensatz dazu keinerlei Probleme mit seinem Migrantenstatus, da er im
Sinne Chambers ein Prototyp der sich verbreitenden „Großstadtästhetik“ ist, der
verschiedenste kulturelle Einflüsse, wie sie sich in der heutigen Popkultur aus­
drücken, integrieren konnte (Chambers, 1996).
Das aufgezeigte Beispiel macht deutlich, dass Suchterkrankungen bei Migran-
ten einem komplexen Gefüge von Bedingungen entspringen. Hierzu gehören das
Herkunftsland – wobei wiederum zwischen Stadt und Land zu unterscheiden ist
–, der Zeitpunkt der Migration und die Dauer des Aufenthaltes in Deutschland, die
Religionszugehörigkeit und Sprachkompetenz, die Schicht- und Geschlechtszu-
gehörigkeit, die Werte und Normen der familiären und sozialen Bezugsgruppen
und die individuelle Mentalität und soziale Identität, die in dem Migrationsprozess
erworben wurde. Die dadurch bedingte Mannigfaltigkeit kultureller Erscheinungs-
formen erfordert vom Suchttherapeuten ein besonderes Feingefühl für die Bedürf-
nisse dieser Gruppen, d. h. das Bewusstsein, dass sich ihre Einstellungen, Werte
und Normen von denjenigen der einheimischen Bevölkerung unterscheiden. Der
Migrationsprozess und die damit zusammenhängenden Suchtprobleme dürfen
aber nicht nur als Resultat eines Konfliktes zwischen zwei Kulturen verstanden
werden, auch wenn im klinischen Einzelfall durchaus entsprechende intrapsychi-
sche Konflikte vorliegen können. Darüber hinaus muss die große Bedeutsamkeit
der ungünstigen Lebensbedingungen von Migranten im Sinne einer gesellschaft-
lichen Marginalisierung und des Wegfalls von protektiven Faktoren als mögliche
Ursachen für Suchtprobleme beachtet werden.
Für den Suchttherapeuten stellt sich deshalb zunächst die Aufgabe, spezielle
Kompetenzen zu erwerben, um die äußeren Probleme von Migranten zu verste-
hen, wie die unsichere Rechtssituation von außereuropäischen Migranten und
Asylsuchenden, die schlechteren schulischen und beruflichen Voraussetzungen
vieler Migranten und vorhandene Sprachbarrieren. Dabei müssen Zugangsschwel-
len in dem psychosozialen Versorgungsangebot überwunden werden, die auf der
einen Seite mit Nichtwissen der Betroffenen sowie Tabus bezogen auf Suchtpro-
bleme in Migrantenfamilien, und auf der anderen Seite mit Vorurteilen gegenüber
suchtkranken Migranten zu tun haben, wie z. B. dealenden Drogenabhängigen.
Bezogen auf die Glücksspielproblematik liegen bisher kaum empirische Daten
über Migranten vor, sodass an dieser Stelle vorrangig klinische Eindrücke und
Falldarstellungen angeführt werden.
Von den beratenen und behandelten Glücksspielsüchtigen umfasst die Gruppe
der Migranten ca. 12 %, wobei es sich neben grenznahen Migranten aus den
Niederlanden und Luxemburg um osteuropäische, d. h. vorwiegend deutsch­
stämmige Einwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion,
123
oder Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien handelt. Die Mehrzahl umfasst
Migranten aus dem mediterranen Raum, d. h. aus EU-Ländern wie Italien und Spa-
nien. Die größte Gruppe stellen jedoch türkische Migranten dar. Einzelne Patienten
kommen aus dem Iran oder aus dem nordafrikanischen Raum, die vor allem aus
Algerien über Frankreich eingewandert sind. Bedenkt man die erhöhte Zugangs-
schwelle zu einer psychotherapeutischen Behandlung, so scheinen glücksspiel-
süchtige Migranten im Vergleich mit der Bevölkerungsstruktur etwas überreprä-
sentiert, während ihre Herkunft dem Anteil der verschiedenen Ausländergruppen
an der Bevölkerung ungefähr entspricht, da die Mehrheit aus der Türkei, dem
ehemaligen Jugoslawien und aus Italien stammt. Die aussagekräftigste Bevölke-
rungsbefragung (Meyer et al., 2011) konnte inzwischen belegen, dass Personen
mit Migrationshintergrund ein erhöhtes Risiko für problematisches und pathologi-
sches Glücksspielen aufweisen.
Bezogen auf die soziodemografischen Merkmale von glücksspielsüchtigen Migran-
ten zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung mit beratenen und behandelten
Glücksspielsüchtigen deutscher Nationalität. Es handelt sich auch vorwiegend um
jüngere, männliche Geldautomatenspieler. Tendenzielle Abweichungen zeigen sich
darin, dass die Migranten vergleichsweise etwas älter und familiär bzw. partner-
schaftlich stärker eingebunden sind sowie hinsichtlich ihres problembehafteten
Glücksspielmediums häufiger Kasino- oder Kartenspiele ausüben.
Zur besseren Erläuterung wird nachfolgend ein Fallbeispiel exemplarisch genauer
beschrieben.

7.2.2 Klinisches Fallbeispiel


Als Repräsentant der größten Untergruppe von behandlungssuchenden Migranten
soll abschließend ein türkisch-deutscher Glücksspielsüchtiger beschrieben werden.
Bensel (2007) beschreibt in Ergänzung zu den Belastungen der Migration und
bestehenden Sprachbarrieren die Unterschiede des Werte- und Bezugssystems
von türkischstämmigen Glücksspielern im Vergleich zu unserem mitteleuropäi-
schen Kulturraum, die in der Behandlung zu berücksichtigen sind. Er zählt dazu
die patriarchalischen Rollenbilder, die besondere Bedeutung von Ehre und Stolz
sowie Gefühle der Scham, die Orientierung an Aussagen des Korans, das externa-
le Krankheitsverständnis („Es ist der Teufel, der mich wieder zum Spielen verleitet
hat…“; Bensel, 2007, S. 170) und die entsprechenden Erwartungen an den Thera-
peuten als wissender Fachmann. Der Therapeut ist bei türkischstämmigen Pati-
enten gefordert, die Familienangehörigen, insbesondere den Vater, einzubeziehen,
die Lehren des Koran für die Behandlung zu nutzen und zu vermeiden, dass durch
zu starke Konfrontationen die Ehre und der Stolz des Patienten verletzt werden.
124

Bei Herrn T. liegt ein pathologisches Glücksspielverhalten bei narzisstischer Per-


sönlichkeit mit depressiver Reaktion vor. Eine stoffgebundene Suchtproblematik
besteht nicht. Herr T. ist zu Beginn seiner stationären Behandlung 39 Jahre alt. Er
ist im Alter von fünf Jahren aus der Türkei nach Deutschland übergesiedelt, be-
sitzt inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit und spricht perfekt deutsch. Die
Mutter wird als emanzipierte Frau beschrieben. Sie hatte in der Türkei Hebamme
gelernt und ist als erstes Familienmitglied in die Bundesrepublik übergesiedelt,
wo sie eine Stelle als Hebamme gefunden hatte. Hintergrund ihrer Emigration
bildete die Glücksspielproblematik ihres Ehemannes, der Major bei der türkischen
Armee war, und seine außerehelichen Frauenbeziehungen, die zu einer zweijäh-
rigen Trennung geführt hatten, als der Patient neun Jahre alt war. Sein Vater ist
im Alter von 74 Jahren wenige Monate vor der Behandlung verstorben. Seine drei
älteren Schwestern sind alle erfolgreich in medizinischen Berufen. Der älteste
Bruder war als Arzt tätig und ist für seine Familie völlig überraschend pathologi-
scher Roulettespieler geworden. Herr T. hat die Mittlere Reife auf dem Gymnasium
abgeschlossen, sich damals zum Ziel gesetzt, professioneller Fußballer zu wer-
den, was dann jedoch an einer Verletzung gescheitert ist. Er hat eine Ausbildung
zum Industriekaufmann, hat in diesem Beruf auch langjährig bei verschiedenen
Firmen gearbeitet und hat überdurchschnittlich viel verdient. Zuletzt hat er als
Autohändler gearbeitet.
Herr T. berichtet zu seiner Glücksspielproblematik, dass er während der Schulzeit
bereits mit Freunden gepokert habe, später auch in türkischen Gaststätten. Da-
nach sei er häufiger in Spielhallen gegangen, da er als halb professioneller Fuß-
ballspieler häufiger Handgelder erhalten habe. Als er wegen einer Knieverletzung
seine Träume vom Profifußball habe aufgeben müssen, sei er auf Kasinoautoma-
ten umgestiegen und habe zuletzt vorwiegend Roulette gespielt. Sein Glücksspiel-
verhalten habe sich verstärkt, nachdem sich seine Ehefrau von ihm zunehmend
distanziert habe. Zunächst habe er versucht, sich in der Ehe anzupassen, indem
er seine türkische Mentalität aufgegeben und sich zunehmend angepasst habe.
Er sei dann jedoch immer unzuverlässiger geworden, was dazu geführt habe,
dass seine Frau eine Beziehung zu einem anderen Mann hatte. Er habe danach
ein zunehmendes Bedürfnis entwickelt, seine Frau zu kontrollieren, habe dabei
seine Glücksspielleidenschaft verborgen und es sei, nachdem er ihr die Verun-
treuung einer größeren Geldsumme gestanden habe, zur Trennung gekommen.
Inzwischen läuft das Scheidungsverfahren und Herr T. ist zu seiner Mutter zurück-
gekehrt. Er befürchtet, dass er auch den Kontakt zu seiner zehnjährigen Tochter
verlieren könnte.
125

Als ursprüngliche Motive für sein Glücksspielverhalten nennt er die erlebte Anre-
gung und den Abbau von Spannungen, später die Verarbeitung der Kränkungen,
die aus dem Scheitern seiner ehelichen Beziehung resultieren. Zum Schluss habe
er sein Glücksspielverhalten als Selbstzerstörungsprozess erlebt. Ein zentrales
Motiv sei für ihn gewesen, Kontrolle auszuüben und Machtphantasien auszuleben.
Er berichtet angeberisch getönt von ausgeprägten Kontrollillusionen: So habe
er sich, bezogen auf Geldspielautomaten, Computerpläne besorgt und berichtet,
dass er damit die Automaten habe knacken können. Als er dies erreicht habe,
habe ihn das nicht weiter interessiert, sodass er zum Roulette gewechselt sei.
Dort sei sein Bestreben allein darauf gerichtet gewesen, das „schwarze Tuch“ zu
sehen, d. h. die Bank zu sprengen.
Als Folgen der Glücksspielproblematik bestehen seit mehreren Jahren häufige
Magengeschwüre und zunehmende depressive Reaktionen. Herr T. wirkt im Ge-
sprächskontakt teilweise selbstmitleidig, er weint häufig und berichtet von ausge-
prägten Schuldgefühlen gegenüber seiner Frau und seiner Herkunftsfamilie. Herr
T. ist zum Behandlungszeitpunkt arbeitslos. An seiner letzten Arbeitsstelle habe er
eine größere Geldsumme unterschlagen, sodass ihm noch ein Gerichtsverfahren
drohe. Die Gesamtverschuldung beläuft sich auf ca. 100.000 Euro.
Bezogen auf seine türkische Herkunft und seine Bezugsgruppe berichtet er zum
Glücksspielverhalten, dass er die Glücksspielsituation in der Türkei persönlich
kaum kenne. Er wisse lediglich, dass dort vor allem Karten- und Brettspiele in
Teestuben und heutzutage in Gaststätten gespielt würde, teilweise auch um hö-
here Beträge in Hinterzimmern. Das vom Koran vorgegebene Glücksspielverbot
(Der Koran, Sure 5, Vers 90: „Oh ihr, die ihr glaubt, siehe, der Wein, das Spiel, die
Bilder und die Pfeile sind ein Greuel von Satans Werk. Meidet sie; vielleicht er-
geht es Euch wohl.“ und Vers 91: „Der Satan will nur zwischen euch Feindschaft
und Hass werfen durch Wein und Spiel und euch abwenden von dem Gedanken
an Allah und dem Gebet. Wollt ihr deshalb nicht davon ablassen?“) sei in seiner
Heimat wenig wirksam. Weiterhin berichtet er von eigenen Erfahrungen mit der
türkischen Glücksspielerszene in Deutschland, die sich in nur von türkischen
Männern besuchten Gaststätten abspiele. Dort sei auch sein Vater nach seiner
Übersiedlung aktiv als Glücksspieler aufgetreten und habe als ehemaliger Major
hohen Respekt besessen. Zu seiner spezifischen Sozialisation berichtet Herr T.,
dass er streng mit Achtung vor den Erwachsenen erzogen worden sei, was das
Verhältnis zum Vater geprägt habe. Die Beziehung zu ihm sei sehr liebevoll ge-
wesen, er habe ihm auch verziehen, dass er die Familie und ihn vorübergehend
verlassen habe.
126

Herr T. berichtet über seinen inneren Konflikt als Migrant, dass er sich als „Tür-
ke mit deutschem Pass“ erlebe. Er leide unter dieser kulturellen Spannung, da
er nicht wisse, „wer er sei oder wo er hingehöre“. Bezogen auf seine türkische
Herkunft erläutert er dies am Beispiel der Beerdigung seines Vaters kurz vor der
Behandlung. Er habe damals die Pflicht gehabt als Sohn, den Vater nach islami-
schem Glauben ins Grab zu legen. Er habe dies als ausgeprägten Erwartungs-
druck erlebt, da er mit der rituellen Handlung nicht vertraut gewesen sei und
habe sich innerlich sehr zerrissen gefühlt. Bezogen auf sein Leben in Deutschland
berichtet er von keinen spezifischen Diskriminierungen, beklagt jedoch die fehlen-
de spontane Gastfreundschaft. Er erläutert dies bezogen auf seine therapeutische
Wohngruppe, für die er ein türkisches Essen gekocht habe. Für ihn sei das etwas
ganz Selbstverständliches gewesen. Er habe jedoch sehr viel Dank bekommen
und auch Gegengeschenke, was er ablehne, da in Deutschland soziale Beziehun-
gen immer nur auf einen Ausgleich hinausliefen, also immer mit erwarteten Ge-
genleistungen verbunden seien.
Dieser letzte Mentalitätsunterschied wird während eines psychotherapeutischen
Marathons durch eine Übung deutlich, bei der die Aufgabe bestand, die äußere
Selbstdarstellung auf ein Blatt Papier zu notieren und unabhängig davon die in-
nere Befindlichkeit auf einem anderen Blatt festzuhalten. Diese Aufzeichnungen
wurden danach als Innen- und Außenkreis angeordnet, um die glücksspielerty-
pische spannungsreiche Gegensätzlichkeit zwischen nach außen gezeigtem Ver-
halten und innerem Erlebniszustand erfahrbar zu machen. Neben Herrn T. nimmt
auch ein zweiter türkischer Migrant an der Übung teil. Beide teilen in der Nachbe-
sprechung mit, dass sie die Übung für sich überhaupt nicht „verstanden“ hätten.
Sie hatten unabhängig voneinander spontan auf ein einziges Blatt Papier ihren
aktuellen Gefühlszustand in ganz ähnlicher Art formuliert. Inhaltlich ging es dabei
um Enttäuschungen über die fehlende emotionale Offenheit, da viele Menschen
in Deutschland sich nach außen anders darstellen würden, als sie sich innerlich
fühlten, sodass sie kein Vertrauen in Beziehungen hätten. So schreibt Herr T.:
„Ich kann Menschen nicht leiden, welche hinter guten Taten oder Äußerungen
oder Gesten (Küssen, Drücken) immer etwas skeptisch sind und irgendwelche
Vorteilnahme sehen“.
Im Zentrum der Behandlung besteht zu Beginn die erfolgte Trennung von der
Partnerin. Herr T. fühlt sich entmachtet und ist wütend aufgrund der erlebten
Zurückweisung. Herr T. zeigt eine hohe Anspruchshaltung und ist dabei sehr ei-
genwillig. Er konkurriert mit dem Therapeuten und übernimmt gegenüber den
Mitpatienten die Rolle des Hilfreichen und Verständnisvollen. Es fällt ihm schwer,
127

die eigene Hilflosigkeit und Schwäche zuzulassen und er möchte als „guter Kerl“
dastehen. Im Laufe der Behandlung wird ihm seine innere Hilflosigkeit, Bedürftig-
keit und Zerrissenheit im Rahmen seiner türkisch-deutschen Identität bewusst. Er
neigt dabei zu depressiv-selbstmitleidigen Reaktionen und weicht in angeberische
Größenfantasien aus. Dabei fällt es ihm schwer, die Trennung von der Ehefrau zu
akzeptieren. Hilfreich sind ihm sportliche Aktivitäten, um sein Selbstwertgefühl zu
steigern und depressive Phasen zu bewältigen. Im weiteren Behandlungsverlauf
gelingt es ihm besser, die Trennungssituation zu bewältigen. Eine Aufarbeitung
der glücksspielertypischen Vaterproblematik gelingt nicht, da er den Vater idea-
lisiert, sodass ihm das Fehlen einer männlichen Identifikationsfigur während der
Kindheit und die spätere Übernahme von Verhaltensmustern seines Vaters, wie
seine zwischenzeitliche Unzuverlässigkeit und das Glücksspielverhalten, nicht be-
wusst werden. Bezogen auf die materielle Situation erfolgt eine detaillierte Schul-
denaufstellung, aber keine weitergehende Verbesserung der materiellen Situation.
Zum Entlassungszeitpunkt besteht aufgrund der Verschuldung, dem drohenden
Gerichtsverfahren, der Trennung von der Ehefrau und zunehmenden Entfremdung
von der Tochter sowie der Arbeitslosigkeit eine extrem belastende Lebenssitua-
tion. Herr T. wird die bereits vor der Behandlung bestehende ambulante Behand-
lung bei einer Suchtberatungsstelle fortsetzen.
128
Literatur:
Bensel, Wolfgang (2007): Implizite Krankheitsvorstellungen bei ausländischen Glücksspielern.
In: Gesprächspsychotherapie und Personenzentrierte Beratung, 38 (3), 167-172.
Chambers, Iain (1996): Migration, Kultur und Identität.Tübingen: Stauffenburg.
(Amerikanisches Original 1994)
Denzer, Petra et al. (1996): Pathologisches Glücksspiel: Klientel und Beratungs-/Behandlungsangebot
(Ergebnisse der multizentrischen deskriptiven Studie des Bundesweiten Arbeitskreises Glücksspiel-
sucht). In: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 1996.
Geesthacht: Neuland, 279-295.
Lesieur, Henry (1988): The female pathological gambler. In: Eadington, William (Ed.): Gambling research:
Proceedings of the seventh international conference on gambling and risk taking. Reno: Bureau of
Business and Economic Research, University of Nevada, 230-258.
Meyer, Christian et al. (2011): Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung,
Komorbidität, Remission und Behandlung. Greifswald und Lübeck. Unveröffentlichter Forschungsbericht.
Petry, Jörg (2009): Das Störungsbild der „Glücksspielsucht“ und seine Behandlung. In: Die Psychiatrie,
6 (3), 132-138.
Petry, Jörg (Hrsg.) (2013): Differenzielle Behandlungsstrategien bei pathologischen Glücksspielern.
Freiburg/Br.: Lambertus.
Pfeiffer-Gerschel, Tim et al. (2011): Deutsche Suchtkrankenhilfestatistik 2009: Ein Überblick der
wichtigsten Ergebnisse. In: Sucht, 57 (6), 421-430.
Premper, Volker (2006): Komorbide psychische Störungen bei Pathologischen Glücksspielern.
Lengerich: Pabst.
Vogelgesang, Monika (2010): Traumata, traumatogene Faktoren und pathologisches Glücksspielen: Eine
genderspezifische Analyse. In: Psychotherapeut, 55 (1), 12-21.
Vogelgesang, Monika (2011): Pathologisches Glücksspielen bei Frauen: Ablenkung von Depression und
Angst. In: Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen-
psychotherapeuten, 1, 36-39.
8 Literatur 129

8.1 Weiterführende Fachliteratur


Bergler, Edmund (1957): The psychology of gambling. New York: Hill & Wang. (Reprint 1985)
Füchtenschnieder-Petry, Ilona; Petry, Jörg (2010): Game Over: Ratgeber für Glücksspielsüchtige
und ihre Angehörigen. 2. Auflage. Freiburg: Lambertus.
Gebhardt, Ihno et al. (Hrsg.) (2008): Glücksspiel in Deutschland: Ökonomie, Recht, Sucht.
Berlin: De Gruyter.
Giżycki, Jerzy; Górny, Alfred (1970): Glück im Spiel zu allen Zeiten. Zürich: Stauffacher.
Meyer, Gerhard; Bachmann, Meinolf (2011): Spielsucht: Ursachen, Therapie und Prävention von
glücksspielbezogenem Suchtverhalten. Heidelberg: Springer.
Meyer, Gerhard et al. (Ed.) (2009): Problem gambling in Europe. Challenges, prevention and intervention.
New York: Springer.
Petry, Jörg (2003): Glücksspielsucht: Entstehung, Diagnostik und Behandlung. Göttingen: Hogrefe.
Petry, Jörg (Hrsg.) (2013): Differenzielle Behandlungsstrategien bei pathologischen Glücksspielern.
Freiburg/Br.: Lambertus.
Petry, Nancy (2005): Pathological gambling: Etiology, comorbidity, and treatment.
Washington, DC: American Psychological Association.
Raylu, Namrate; Oei, Tian Po (2010): A cognitive behavioural therapy programme for problem gambling:
Therapist manual. Hove (UK): Routledge, Chapman and Hall.
Smith, Garry et al. (Eds.) (2007): Research and measurement issues in gambling studies.
Amsterdam: Elsevier.
Tretter, Felix (2009): Systemisches Denken in Suchtforschung und -praxis. Von der linearen über die
zirkuläre Kausalität zur Netzwerkperspektive. In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 32 (3/4), 71-83.
Uhl, Alfred (2009): Absurditäten in der Suchtforschung. In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung,
32 (3/4), 19-39.
Walker, Michael B. (1992): The psychology of gambling. Oxford: Pergamon.
West, Robert (2010): Theory of Addiction. Oxford (UK): Blackwell.
Whelan, James P. et al. (2007): Problem and pathological gambling. Cambridge, MA: Hogrefe & Huber
Publishers.
130
8.2 Romane und Tatsachenberichte
Fröhling, Ulla (1993): Droge Glücksspiel. Betroffene erzählen von einer heimlichen Sucht.
Frankfurt/M. Fischer Taschenbuch.
Fuchs, Doris (2005): Glücksfalle. Hohenems: Hämmerle Verlag.
Jacobs, Rayda (2009): Bekenntnisse einer Spielerin. München: btb Verlag.
Lindt, Nicolas (2010): Der Spieler von Zürich. Ein Bericht. 2. Auflage.
Zürich: Zürcher Oberland Buchverlag.
Riesen, Heinrich (2009): Gestatten, der Bankräuber, den Sie suchen. Geständnisse eines Spielsüchtigen.
Bonn: Retap Verlag.
Schmidt, Klaus F. (2009): Nichts geht mehr. Vom Sodastream-Multimillionär zum Hartz-IV-Empfänger.
Murnau am Staffelsee: Mankau Verlag.
Schuller, Alexander (2008): Jackpot. Aus dem Leben eines Spielers. Eine wahre Geschichte. Überarb.,
aktualis. und erw. Neuauflage. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe.
Thannen, Raimund von der (2001): Einmal Hölle und zurück. Auf dem Jakobsweg vom Spielcasino
nach Lourdes. Hard: Hecht Verlag.
Tillmann, Anke (2003): Verspieltes Glück. Mein Mann ist spielsüchtig. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe.
Varnholt (2001): Protokoll einer Selbstzerstörung. Aachen: Karin Fischer Verlag.
9 Materialien 131

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS)


Die DHS hat im Rahmen des Bundesmodellprojektes „Frühe Intervention beim
pathologischen Glücksspielen“ verschiedene Arbeitshilfen entwickelt, die sich
insbesondere an Beraterinnen und Berater richten, für die das Arbeitsfeld Glücks-
spielsucht relativ neu ist. Es liegen Arbeitshilfen zu folgenden Themen vor:
▶ Beratung bei Glücksspielproblemen
▶ Umgang mit Geld und Schulden
▶ Spieldruck und Rückfall
▶ Glücksspiele und kognitive Verzerrungen
Darüber hinaus wurden Broschüren zum Thema Glücksspielen für Migrantinnen
und Migranten erarbeitet. Für Betroffene gibt es das Heft „Wenn Glücksspielen
zum Problem wird!“ in Deutsch/Arabisch und Deutsch/Türkisch. Für ­Fachkräfte,
Ehrenamtliche und Angehörige haben wir das deutschsprachige Begleitheft
„Glücksspielen – Suchtrisiko bei jungen Migranten“ entwickelt. Darin werden
­neben wichtigen Hintergrundinformationen auch konkrete Praxistipps und Hilfe-
stellungen genannt.
Die Materialien stehen auf der Homepage der DHS als Download kostenfrei zur
Verfügung (www.dhs.de).

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)


Über die Homepage der BZgA (www.bzga.de) können Flyer und Broschüren
zu folgenden Themen kostenlos bestellt oder direkt heruntergeladen werden:
▶ Wenn Spiel zur Sucht wird
▶ Spiel nicht bis zur Glücksspielsucht
▶ Total verzockt?! Infos zur Glücksspielsucht
für Jugendliche und junge Erwachsene
▶ Glücksspielsucht – Erste Hilfe für Angehörige
132
Koordinations- bzw. Landesfachstellen Glücksspielsucht
der Länder
(Anschriften siehe S.149)
Nahezu alle Koordinationsstellen bzw. Landesfachstellen haben inzwischen eigene
Materialien entwickelt, die in der Regel über die jeweilige Homepage bestellt wer-
den können. Exemplarisch wird hier auf die Materialien der Landeskoordinierungs-
stelle Glücksspielsucht NRW verwiesen (https://www.gluecksspielsucht-nrw.de/):
▶ Flyer und Postkarten zur Kampagne „Ich mach das Spiel nicht mit“
▶ Zielgruppenspezifische Flyer, Broschüren und Notfallkarten wie
▶ „Nichts geht mehr?!" (Broschüre für Angehörige)
▶ „Ich spiel’ nicht mehr mit!" (Flyer für glücksspielsüchtige Frauen)
▶ „Frauen spielen anders" (Broschüre für glücksspielsüchtige Frauen)
▶ „Selbsthilfegruppen für Glücksspielsüchtige und Angehörige“ (Broschüre)
▶ „Ich kann auch anders!" (Notfallkarte für Glücksspielsüchtige)
▶ „Ich sorge für mich" (Notfallkarte für Angehörige)
▶ Videos zum Download
▶ Interviews mit Glücksspielsüchtigen und Angehörigen
▶ Interviews mit glücksspielsüchtigen Frauen
▶ Experteninterview zum Thema „Frauen und Glücksspielsucht“
133
CCCC-Questionnaire
In Anlehnung an den vier Items umfassenden Cage-Fragebogen zur Diagnostik
des Alkoholismus, der sich als valides Screeningverfahren bei der Diskriminie­rung
zwischen normalem Alkoholkonsum und Alkoholabhängigkeit bewährt hat, lässt
sich ein entsprechender Kurztest zum Fehlen oder Vorhandensein einer Glücks-
spielsucht anwenden. Es lassen sich vier glücksspielerspezifische Merkmale (can-
not quit, chasing, craving und consequences) erfassen (Petry, 1996).
Die Auswertung des so konstruierten „CCCC-Questionnaire“ erfolgt, indem bei
zwei oder mehr positiven Antworten (Cut-off-Point) die vorläufige Diagnose „Pa-
thologisches Glücksspielen“ gestellt wird. Empirische Daten zu den Testgütekrite-
rien liegen bisher nicht vor. Im Sinne eines stufenweisen Vorgehens sollte deshalb
eine quantitative Absicherung mit dem testtheoretisch konstruierten „Kurzfrage-
bogen zum Glücksspielverhalten“ erfolgen.

Richtig Falsch

1. Ich kann mit dem Glücksspielen erst aufhören, wenn ich kein
Geld mehr habe!

2. Verlieren ist eine persönliche Niederlage, die ich wettmachen


möchte!

3. Ich denke oft an das Glücksspielen und verspüre einen inneren


Spieldrang!

4. Zur Geldbeschaffung habe ich schon andere Menschen belogen


und betrogen!
© Jörg Petry, Beltz Verlag, 1996
134
Spezielle Anamnese zum pathologischen Glücksspielverhalten

Name:
Datum:

Art des Glücksspiels/bevorzugter Glücksspielort


(Geldspielautomaten in Spielhallen, Kasinospiele, Geldwetten, Karten- und Würfelspiele,
Lotto-Toto, Geschicklichkeitsspiele um Geld, Börsenspekulation):

Beginn, Verlauf
(Erstkontakt, Einstiegsbedingungen, Problembeginn, Verlaufsform, Höhepunkte):

Häufigkeit, Intensität
durchschnittliche tägliche Glücksspieldauer:

maximale tägliche Glücksspieldauer:

durchschnittliche Glücksspieltage pro Woche:

höchster Tagesverlust:

gleichzeitiges Glücksspielen an mehreren Automaten bzw. Tischen:

Wann wurde zuletzt vor der Behandlung gespielt:


135

Motive und Wirkungen


(Gefühle vor/bei/nach dem Glücksspielen und bei Gewinnen/Verlusten: Nervenkitzel,
Ablenkung, Aggressionen, Euphorie, Depressionen):

Glücksspielbedingte Nachteile/Beeinträchtigungen
(z. B. Schulden, Vorstrafen, Vereinsamung, Depressivität und Suizidalität,
psychosomatische Störungen):

Psychophysiologische Reaktionen bei Einstellung des Glücksspielverhaltens


(körperliche Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Depressivität, Kopfschmerzen,
Magenbeschwerden):

Selbstkontrollversuche
(gescheiterte Kontrollversuche, glücksspielfreie Zeiten):

Vorbehandlungen wegen des Glücksspielens


(ambulant, stationär, Selbsthilfegruppen, wenn ja, welche):

Implizites Krankheitskonzept
(Externalität versus Internalität, subjektives Suchtmodell versus psychodynamisches
Verständnis):

Abstinenz-/Änderungsmotivation
(bezogen auf das Glücksspielverhalten und die bestehende Verschuldung):

© Jörg Petry, Hogrefe Verlag, 2003


136
Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und Rentenver­
sicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologischem
Glücksspielen (VDR, 2001)
1) Pathologisches Glücksspielen als Krankheit
2) Voraussetzungen für die Rehabilitation von Pathologischen
Glücksspieler(inne)n
3) Rehabilitationsziele bei Pathologischem Glücksspielen
4) Rehabilitationsleistungen bei Pathologischem Glücksspielen
5) Anforderungen an stationäre Rehabilitationseinrichtungen mit einem
speziellen Angebot für pathologische Glücksspieler
6) Anforderungen an ambulante Rehabilitationseinrichtungen mit einem
speziellen Angebot für pathologische Glücksspieler
7) Nachsorge bei Pathologischem Glücksspielen
Anhang: Auszug aus der ICD-10

Vorbemerkung:
Diese Empfehlungen sind nicht nur dazu gedacht, die Krankenkassen und Ren-
tenversicherungsträger bei ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit der
medizinischen Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspielen zu unterstüt-
zen. Sie richten sich auch an andere Institutionen, die Hilfen für Pathologische
Glücksspieler(innen) anbieten, insbesondere an die Beratungsstellen. Diese erfül-
len hier eine wichtige Funktion, vor allem in der Vorbereitung und Nachsorge für
medizinische Leistungen zur Rehabilitation.
1) Pathologisches Glücksspielen als Krankheit
Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Erfahrun-
gen aus der medizinischen Rehabilitation handelt es sich beim Pathologischen
Glücksspielen um ein eigenständiges Krankheitsbild innerhalb der psychischen
Störungen. Das Pathologische Glücksspielen ist also weder einfach eine Suchter-
krankung noch lediglich eine psychosomatische Störung und bedarf damit ggfs.
auch einer entsprechenden Rehabilitation mit glücksspielerspezifischen Behand-
lungsangeboten.
Das Pathologische Glücksspielen unterscheidet sich beispielsweise dadurch von
stoffgebundenen Suchterkrankungen, dass die Trennung in Entgiftung und Ent-
wöhnung, die der Sucht-Vereinbarung zugrunde liegt, hier nicht möglich ist. Die
bestehenden Empfehlungsvereinbarungen zur Rehabilitation Abhängigkeitskran­
ker beziehen sich auf Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit als stoff-
gebundene Suchtformen und gelten daher für das Pathologische Glücksspielen
137
nicht. Bei Pathologischem Glücksspielen handelt es sich um ein andauerndes
und wiederkehrendes fehlangepasstes Glücksspielverhalten, das nosologisch als
Impulskontrollstörung eingeordnet, gleichzeitig jedoch als Abhängigkeitssyndrom
operationalisiert wird. Betrachtet man die Glücksspieler(innen), die derzeit in Be-
ratung/Behandlung sind, handelt es sich dabei fast ausschließlich um männliche
Patienten, deren Altersschwerpunkt bei 30 Jahren liegt. Sie spielen über mehrere
Jahre mit hoher Intensität vor allem an gewerblichen Geldspielautomaten und
zeigen erhebliche Auffälligkeiten wie hohe Verschuldung, erhöhte Suizidtendenz
und häufige Delinquenz. Hinzu kommen häufig psychische und/oder psychoso-
matische Störungen. Bei einer beträchtlichen Teilgruppe (derzeit etwa ein Viertel)
besteht zusätzlich eine stoffgebundene Abhängigkeit.
2) Voraussetzungen für die Rehabilitation von Pathologischen
Glücksspieler(inne)n
Für die Bewilligung einer medizinischen Rehabilitation ist zuständig
a) der Rentenversicherungsträger, wenn die persönlichen und versicherungsrecht-
lichen Voraussetzungen nach §§ 9 bis 11 SGB VI (§§ 7 und 8 ALG) erfüllt sind
und kein gesetzlicher Ausschlusstatbestand gegeben ist,
b) die Krankenkasse, wenn die Voraussetzungen nach (a) nicht vorliegen, jedoch
die Voraussetzungen der §§ 27 und 40 SGB erfüllt sind.
Wenn pathologische Glücksspieler(innen) eine Rehabilitationsleistung der Ren-
tenversicherung erhalten sollen, kommt es bezogen auf die persönlichen Voraus-
setzungen (vgl. § 10 SGB VI) vor allem darauf an, ob ihre Leistungsfähigkeit im
Erwerbsleben erheblich gefährdet oder bereits gemindert ist. Hinzukommen muss
die Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Erwerbsprognose.
Wenn pathologische Glücksspieler(innen) eine Rehabilitationsleistung der Kran-
kenversicherung erhalten sollen, kommt es darauf an, ob sie notwendig ist, einer
drohenden Behinderung oder Pflegebedürftigkeit vorzubeugen, sie nach Eintritt
zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten (vgl. § 11 Abs. 2
SGB V).
Rehabilitationsbedürftigkeit setzt zunächst voraus, dass die in dem Diagnose-
klassifikationssystem ICD-10 niedergelegten Kriterien für das „Pathologische
Spielen" (ICD-10 F63.0) erfüllt sind. Die ICD-10 unterscheidet das Pathologische
Spielen (F63.0) als abnorme Gewohnheit beziehungsweise Störung der Impuls-
kontrolle von der Beteiligung an Glücksspielen oder Wetten (Z72.6) als Problem
mit Bezug auf die Lebensführung. Pathologisches Spielen besteht danach in
138
„häufigem und wiederholtem episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung
des betroffenen Patienten beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen,
materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt." (Siehe Abdruck der
ICD-10-Kriterien im Anhang).
Über die vorgenannten Kriterien hinaus sind bei der sozialmedizinischen
Beurteilung insbesondere folgende Faktoren zu berücksichtigen:
• Dauer und individueller Verlauf der Störung,
• Schwere der Glücksspielsymptomatik (unter Zuhilfenahme
z. B. des Kurzfragebogens zum Glücksspielverhalten, KFG1),
• individuelle Psychopathologie,
• psychiatrische Komorbidität,
• Anzahl und Art der Vorbehandlungen,
• Suizidversuche,
• Arbeitsunfähigkeitszeiten,
• Verschuldung,
• erhebliche Gefährdung oder Verlust der sozialen Integration
(Arbeitsplatz, Wohnung, Partnerschaft),
• Straffälligkeit.
Eine medizinische Rehabilitation ist dann nicht indiziert, wenn ein symptomati-
sches Glücksspielverhalten vorliegt und die psychische Grundstörung durch eine
ambulante psychiatrische oder psychotherapeutische Intervention angemessen
behandelt werden kann.
Rehabilitationsfähigkeit: Der pathologische Glücksspieler muss bei Beginn der
Rehabilitationsleistung in der Lage sein, aktiv an den therapeutischen Maßnah-
men teilzunehmen. Dazu gehört ein Mindestmaß an körperlicher und psychischer
Belastbarkeit, aber auch an Introspektions- und Verbalisierungsfähigkeit. Dies
kann insbesondere dann fehlen, wenn eine Psychose oder eine erhebliche Minder-
begabung mit sekundärer Glücksspielproblematik vorliegt. Eine Kontraindikation
für eine medizinische Rehabilitation liegt dann vor, wenn die Behandlung einer
anderen akuten Erkrankung zunächst vorrangig ist (z. B. bei akuter Suizidalität,
ausgeprägter schwerer depressiver Störung oder akuter Manie).
Für die Beurteilung der Erfolgsprognose spielt die beim Versicherten vorhandene
Abstinenz- und Änderungsmotivation eine große Rolle. Ein Hinweis auf das Vorlie-
gen einer solchen Motivation kann darin bestehen, dass der Versicherte, z. B. mit
Unterstützung einer Beratungsstelle, bereits konkrete Schritte zur Schuldenregu-
lierung unternommen hat. Bei pathologischen Glücksspielern, die bei der Reha-

1
in: Petry, J. (1996): Psychotherapie der Glücksspielsucht. Weinheim: Psychologie Verlags Union, S. 299ff.
139
Antragstellung noch in Haft sind oder denen der Vollzug einer Haftstrafe droht,
ist eine eingehende Prüfung der Abstinenz- und Änderungsmotivation besonders
wichtig, wenn die Erfolgsprognose beurteilt werden soll.
Rehabilitationsprognose: Bei Krankheiten oder Behinderungen, die selbst bei
einer erfolgreichen Behandlung des Pathologischen Glücksspielens einer Wie-
dereingliederung in das Erwerbsleben auf Dauer entgegenstehen, ist eine Reha-
bilitation zu Lasten der Rentenversicherung ausgeschlossen (fehlende positive
Erwerbsprognose). Es ist aber davon auszugehen, dass bei vielen pathologischen
Glücksspielern durch eine Rehabilitationsleistung bei gefährdeter Erwerbsfähig-
keit deren Minderung abgewendet und bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese
wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.
Ein Sozialbericht – analog zu dem bei Abhängigkeitskranken – kann für die Beur-
teilung von Rehabilitationsbedürftigkeit, -fähigkeit und -prognose sehr hilfreich
sein, wird aber nicht in allen Fällen vorliegen. Im Einzelfall kann zur Überprüfung
der persönlichen Voraussetzungen für die Rehabilitation auch ein Vorgespräch in
einer Rehabilitationseinrichtung angezeigt sein.
3) Rehabilitationsziele bei Pathologischem Glücksspielen
Ziele der medizinischen Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspielen sind:
- Glücksspielabstinenz zu erreichen und zu erhalten,
- körperliche und seelische Störungen weitgehend
zu beheben oder auszugleichen
- und die möglichst dauerhafte (Wieder-)Eingliederung
in das Erwerbsleben zu erreichen.
Wichtig für die Erhaltung der Glücksspielabstinenz ist die Rückfallprophylaxe. Dies
gilt auch für die Motivation zur und Vorbereitung der Schuldenregulierung, soweit
dies nicht schon vor der Rehabilitation geschehen ist, sowie der Aufbau eines
angemessenen „Geldmanagements".
4) Rehabilitationsleistungen bei Pathologischem Glücksspielen
Grundsätzlich ist die Behandlung von pathologischen Glücksspielern sowohl in
Sucht- als auch in psychosomatischen Rehabilitationseinrichtungen möglich.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass ein angemessenes glücksspielspezifisches
Behandlungsangebot (siehe Zf. 5 und 6) vorhanden ist. Es können ambulante und/
oder stationäre Rehabilitationsleistungen angezeigt sein.
140
Eine ambulante Rehabilitation kommt bei Pathologischem Glücksspielen insbe-
sondere in Betracht, wenn folgende Kriterien zutreffen:
- Das soziale Umfeld des pathologischen Glücksspielers hat eine unterstützende
Funktion. Eine stabile Wohnsituation ist vorhanden. Der pathologische Glücks­
spieler ist beruflich noch so ausreichend integriert, dass spezifische Leistungen
zur Vorbereitung einer beruflichen Wiedereingliederung voraussichtlich nicht
erforderlich sind.
- Der pathologische Glücksspieler besitzt die Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit, zur
regelmäßigen Teilnahme und zur Einhaltung des Therapieplans im Rahmen der
ambulanten Rehabilitation.
- Der pathologische Glücksspieler ist gewillt und in der Lage, während der am­
bulanten Rehabilitation Glücksspielabstinenz einzuhalten. Ein einzelner Rück-
fall während der ambulanten Rehabilitation hat aber nicht zwangsläufig einen
Wechsel der Rehabilitationsform zur Folge.
- Auch bei einem langen und/oder intensiven Störungsverlauf oder bei Arbeitslo-
sigkeit kann die Indikation für eine ambulante Rehabilitation bestehen, soweit im
übrigen die obigen Kriterien erfüllt sind.
Umgekehrt kommt eine stationäre Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspie-
len insbesondere in Betracht, wenn folgende Kriterien zutreffen:
- Das soziale Umfeld des pathologischen Glücksspielers hat keine ausreichende
unterstützende Funktion (mehr). Eine stabile Wohnsituation ist nicht vorhanden.
Der pathologische Glücksspieler benötigt voraussichtliche spezifische Leistun­
gen zur Vorbereitung der beruflichen Wiedereingliederung.
- Dem pathologischen Glücksspieler fehlt die Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit, zur
regelmäßigen Teilnahme und zur Einhaltung des Therapieplans im Rahmen der
ambulanten Rehabilitation.
- Der pathologische Glücksspieler ist nicht gewillt oder nicht in der Lage, während
einer ambulanten Rehabilitation Glücksspielabstinenz einzuhalten.
Jenseits der symptomatologischen Ebene können im Einzelfall sehr verschiedene
Konfliktkonstellationen identifiziert werden, die ein flexibles Vorgehen in unter-
schiedlichen Settings erfordern:
Pathologische Glücksspieler mit bestehender stoffgebundener Abhängigkeit
werden in einer Einrichtung mit glücksspielerspezifischem Behandlungsange-
bot rehabilitiert, die auch Abhängigkeitskrankheiten behandelt (Gruppe A im
Diagramm). Umgekehrt ist für Patienten, bei denen neben dem Pathologischen
Glücksspielen eine spezielle psychische Störung besteht, die für sich genommen
141
eine psychosomatische Rehabilitation erfordert, das psychosomatische Behand-
lungssetting, ebenfalls mit glücksspielerspezifischem Behandlungsangebot, ge-
boten (Gruppe D im Diagramm).
Nach dem Ergebnis der Studie von Petry & Jahrreiss für den VDR2 lassen sich
im Übrigen zwei Gruppen pathologischer Glücksspieler unterscheiden, von de­ne­n
die eine eher Merkmale einer Persönlichkeitsstörung, insbesondere vom
narzisstischen Typ, aufweist und die andere eher Merkmale einer depressiv-
neurotischen Störung oder einer Persönlichkeitsstörung vom selbstunsicher/
vermeidenden Typ. Die erste Gruppe (Gruppe B im Diagramm) ist Suchtkranken
ähnlicher als die zweite Gruppe, die dafür psychosomatisch Kranken ähnlicher ist
(Gruppe C im Diagramm). Eine psychiatrische/psychodiagnostische Abklärung ist
erforderlich und ermöglicht in der Regel diese Unterscheidung für den einzelnen
Versicherten.
Zur Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen können insbesondere
folgende Merkmale beitragen:
In der ersten Gruppe häufiger zu finden sind:
• Merkmale einer (insbesondere narzisstischen) Persönlichkeitsstörung,
• fortgeschrittene Glücksspielproblematik mit suchttypischer Eigendynamik,
wobei der Patient selbst seine Symptomatik eher im Sinne eines impliziten
Suchtkonzeptes verarbeitet hat,
• Straffälligkeit,
• verminderte Verhaltenskontrolle als Hinweis auf eine gestörte Impulskontrolle.
In der zweiten Gruppe häufiger zu finden sind:
• Merkmale einer depressiv-neurotischen Störung oder einer Persönlichkeits­
störung vom selbstunsicher/vermeidenden Typ,
• Suizidalität,
• hoher Leidensdruck,
• umschriebener Konfliktfokus, bei dem das Glücksspielverhalten als Reaktion
auf eine Belastungssituation oder als neurotischer Konfliktlösungsversuch zu
verstehen ist.
Für Glücksspieler, die eher der ersten Gruppe (B) zugeordnet werden können, ist
in der Regel ein Behandlungsangebot besonders geeignet, das gezielt auf ihr im-
plizites Suchtkonzept und die bei ihnen vorhandene suchttypische Eigendynamik

2
Petry, J. & Jahrreiss, R. (1999): Stationäre Rehabilitation von „Pathologischen Glücksspielern“: Differential-
diagnostik und Behandlungsindikation. Kurzfassung des abschließenden Forschungs­berichtes an den
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. Deutsche Rentenversicherung
4/1999, S. 196-218.
142
der Störung eingeht. Die verminderte Verhaltenskontrolle macht oft ein größeres
Ausmaß an äußeren Strukturvorgaben erforderlich.
Umgekehrt ist für Glücksspieler, die eher der zweiten Gruppe (C) zugeordnet wer-
den können, ein Behandlungsansatz besonders angezeigt, der konkret an ihren
depressiv-neurotischen Störungen und an der oft vorhandenen Selbstwertproble-
matik ansetzt und der den hier in der Regel starken Leidensdruck berücksichtigt.

Das folgende Diagramm fasst diese Überlegungen zusammen:

Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D

Beschreibung: Beschreibung: Beschreibung: Beschreibung:


Pathologische Pathologische Pathologische Pathologische
Glücksspieler Glücksspieler, Glücksspieler, die Glücksspieler
mit zusätzlicher die Merkmale Merkmale einer mit zusätzlicher
stoffgebundener einer Persönlich­ depressiv-neuro­ psychischer
Abhängigkeit keitsstörung, tischen Störung Störung, die für
insbesondere vom oder einer Persön­ sich genommen
narzisstischen Typ, lichkeitsstörung eine
ausweisen vom selbstunsi- psychosomati­sche
cher/vermeiden- Rehabilitation
den Typ aufweisen erfordert

wenn eine medizinische Rehabilitation angezeigt ist

Rehabilitation: Rehabilitation: Rehabilitation: Rehabilitation:


in einer eher in einer eher in einer psy­ in einer psycho­
Einrichtung für Einrichtung für chosomatischen somatischen
Abhängigkeits­ Abhängigkeits­ Rehabilitations­ Rehabilitations­
erkrankungen mit erkrankungen mit einrichtung mit einrichtung mit
glücksspieler­ glücksspieler­ glücksspieler­ glücksspieler­
spezifischem spezifischem spezifischem spezifischem
Behandlungs­ Behandlungs­ Behandlungs­ Behandlungs­
angebot angebot angebot angebot
143
Über diese typologische Einordnung der pathologischen Glücksspieler hinaus
sind bei der Entscheidung über die angemessene Rehabilitationseinrichtung auch
folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
- Ausmaß der sozialen Desintegration (Arbeitsplatz, Wohnung, Partnerschaft)
- Alter, Geschlecht, Familiensituation
- psychosozialer Entwicklungsstand
- Straffälligkeit
- Missbrauch psychotroper Substanzen,

da sich daraus der Bedarf für besondere Behandlungsangebote ergeben kann,


den nicht alle Rehabilitationseinrichtungen erfüllen können.
Wenn eine Rehabilitationseinrichtung über beide Möglichkeiten verfügt, kann die
Entscheidung, ob die Rehabilitation eines Versicherten an eine Sucht- oder eine
Psychosomatik-Abteilung angebunden werden soll, auch – nach der Eingangsdia-
gnostik und in Abstimmung mit dem Rehabilitationsträger – erst in der Rehabilita-
tionseinrichtung selbst getroffen werden.
Auch wenn ein angemessenes glücksspielerspezifisches Behandlungsangebot
vorhanden ist, sieht die stationäre medizinische Rehabilitation von pathologischen
Glücksspielern im Rahmen einer Suchtklinik anders aus als im Rahmen einer
psychosomatischen Fachklinik. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die pa-
thologischen Glücksspieler immer nur eine Minderheit der Rehabilitanden einer
Einrichtung darstellen werden und die glücksspielerspezifischen Behandlungsele-
mente nur einen Teil der Rehabilitationsbehandlung darstellen. Mit Abstrichen gilt
dies auch für die ambulante Rehabilitation von pathologischen Glücksspielern.
Über die Dauer der medizinischen Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspie-
len entscheidet der Rehabilitationsträger, bei Verlängerungen in der Regel auf
Vorschlag der Rehabilitationseinrichtung. Da bei stationär zu rehabilitierenden pa-
thologischen Glücksspielern das Störungsbild einen hohen Schweregrad auf­weist
und der Umfang der notwendigen Behandlung erheblich ist, dauert die sta­tionäre
Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspielen in der Regel acht bis zwölf Wo-
chen (ggf. mit entsprechendem Behandlungszeitbudget für die Reha-Klinik), un-
abhängig davon, zu welcher der oben skizzierten Gruppen A, B, C oder
D der Rehabilitand gehört. Bei Vorliegen einer zusätzlichen behandlungsbedürfti-
gen stoffgebundenen Abhängigkeit richtet sich die Dauer jedoch vorwiegend nach
dem für die Behandlung dieser Störungen notwendigen Zeitraum. Die Dauer der
ersten Kostenbewilligung sollte mindestens vier Wochen betragen.
144
Bei ambulanter Rehabilitation entscheidet der Rehabilitationsträger über die
im Einzelfall angemessene Behandlungsdauer unter Berücksichtigung des Be-
handlungskonzeptes der Einrichtung. In begründeten Einzelfällen kann auch für
pathologische Glücksspieler – unabhängig von der Wahl der primären Rehabilita­
tionseinrichtung – eine (interne oder externe) Adaption erforderlich sein.
5) Anforderungen an stationäre Rehabilitationseinrichtungen mit einem
speziellen Angebot für pathologische Glücksspieler
Wenn pathologische Glücksspieler stationär rehabilitiert werden müssen, brau-
chen sie ein angemessenes und glücksspielerspezifisches Behandlungsangebot.
Die Rehabilitationseinrichtung muss ein wissenschaftlich begründetes Therapie-
konzept für das Pathologische Glücksspielen vorlegen, das u. a. Aussagen zum
diagnostischen Vorgehen, zu den therapeutischen Zielen und zu den Leistungen
einschließlich der Leistungsdauer enthält. Das glücksspielerspezifische Behand-
lungsangebot muss mindestens folgende Elemente umfassen:
- störungsspezifische Gruppenpsychotherapie im Umfang von drei Sitzungen
(je 90 Minuten) pro Woche, bei Bedarf im Co-Therapeutensystem,
- regelmäßige Einzelgespräche,
- regelmäßige Einzel- und Gruppenberatung sowie -training zum angemessenen
Umgang mit Geld und der Schuldenproblematik,
- Sicherstellung der Glücksspiel- und Suchtmittelabstinenz für alle Patienten
der Klinik durch Hausordnung und Vereinbarung mit den Patienten (einschl.
entsprechender Kontrollen).
Daneben sind die übrigen, für die Rehabilitation von psychosomatischen oder
Abhängigkeitserkrankungen erforderlichen Leistungsangebote vorzuhalten (z. B.
ärztliche Behandlung, indikative Gruppenangebote, Soziotherapie, Entspannungs-
training, Sport; Arbeit mit Angehörigen bzw. Bezugspersonen). Für Rehabilitanden
der Rentenversicherung besonders wichtig sind dabei ausreichende berufsorien-
tierte Behandlungselemente (z. B. Belastungserprobung, Arbeitstherapie, Kompe-
tenztraining).
Als Teil der Qualitätssicherung sind regelmäßige, glücksspielspezifische Katam­
nesen zum Rehabilitationserfolg erforderlich.
Die Einrichtung muss über genügend Erfahrung mit der Rehabilitation bei Pa-
thologischem Glücksspielen und entsprechend qualifiziertes Personal verfügen.
Um glücksspielerspezifische Gruppenangebote realisieren zu können, wird eine
Mindestzahl von ca. 50 Patienten pro Jahr benötigt. Da das Pathologische Glücks-
145
spielen im Rehabilitationsgeschehen der Kranken- und Rentenversicherung quan-
titativ keine große Rolle spielt, bedeutet dies, dass die stationäre Rehabilitation bei
dieser Störung in Schwerpunkteinrichtungen (und nicht flächendeckend in jeder
Region) stattfinden sollte.
6) Anforderungen an ambulante Rehabilitationseinrichtungen mit einem
speziellen Angebot für pathologische Glücksspieler
Die ambulante Rehabilitationseinrichtung muss ein wissenschaftlich begründetes
Therapiekonzept vorlegen, das u. a. Aussagen zum diagnostischen Vorgehen, zu
den therapeutischen Zielen und zu den Leistungen einschließlich der Leistungs-
dauer enthält. Das glücksspielerspezifische Behandlungsangebot muss mindes­
tens folgende Elemente umfassen:
- störungsspezifische Gruppenpsychotherapie (mindestens sechs Teilnehmer)
im Umfang von mindestens einer Sitzung (100 Minuten) pro Woche, bei Bedarf
im Co-Therapeutensystem,
- regelmäßige Einzelgespräche, mindestens einmal innerhalb von zwei Wochen,
Sicherstellung der Glücksspielabstinenz bei allen behandelten Glücksspie-
lern und Sicherstellung der Suchtmittelabstinenz bei stoffgebundener Sucht­
problematik durch Vereinbarung mit den Patienten (einschl. entsprechender
Kontrollen).
Daneben sind die übrigen, für die ambulante Rehabilitation erforderlichen Leis-
tungsangebote vorzuhalten (z. B. ärztliche Behandlung, indikative Gruppenangebo-
te, Entspannungstraining, Sport). Auch in der ambulanten Rehabilitation sind bei
Bedarf für Rehabilitanden der Rentenversicherung ausreichende berufsorientierte
Hilfen zur Verfügung zu stellen (z. B. Hilfestellung bei Vermittlung in einen Arbeits-
platz).
Als Teil der Qualitätssicherung sind regelmäßige, glücksspielspezifische Katam­
nesen zum Rehabilitationserfolg erforderlich. Die Einrichtung muss genügend
Erfahrung mit der Rehabilitation bei Pathologischem Glücksspielen vorweisen
können.
Zum Behandlungsangebot der Einrichtung muss die Arbeit mit Angehörigen bzw.
Bezugspersonen gehören. Für das notwendige Geld- und Schuldenmanagement
soll darüber hinaus die Zusammenarbeit mit einer Schuldnerberatungsstelle oder
einer ähnlichen Einrichtung stattfinden.
In der Einrichtung muss ein Psychiater regelmäßig und verantwortlich mitar-
beiten. Die Einrichtung muss über mindestens einen approbierten (ärztlichen
146
oder psychologischen) Psychotherapeuten (bzw. Psychotherapeutin) verfügen,
der/die für die glücksspielerspezifischen psychotherapeutischen Behandlungs-
elemente zur Verfügung steht3. Daneben muss ein(e) Sozialarbeiter(in) in der
Einrichtung mitarbeiten. Mindestens drei therapeutische Mitarbeiter(innen)
müssen hauptamtlich in der Einrichtung tätig sein. Die psychotherapeutischen
Mitarbeiter(innen) müssen über Erfahrungen in der Behandlung pathologischer
Glücksspieler oder über eine sich darauf beziehende Fortbildung4 verfügen. Für
die notwendigen ergänzenden Angebote müssen geeignete Fachkräfte zur Verfü-
gung stehen. Daneben ist eine regelmäßige externe Supervision erforderlich.
Als ambulante Rehabilitationseinrichtungen, die pathologische Glücksspieler
behandeln, kommen sowohl Beratungs-/Behandlungsstellen in Frage, die sich
ausschließlich pathologischen Glücksspielern widmen (aber ggfs. im Verbund
mit einer anderen Beratungs-/Behandlungsstelle arbeiten), als auch Beratungs-/
Behandlungsstellen, für die pathologische Glücksspieler nur eine von mehreren
Klientengruppen darstellen. Rehabilitationskliniken, die pathologische Glücksspie-
ler behandeln, können ebenfalls ambulante Rehabilitationsleistungen bei diesem
Störungsbild erbringen. Sollen auch pathologische Glücksspieler der Gruppe A
(Pathologische Glücksspieler mit zusätzlicher stoffgebundener Abhängigkeit)
ambulant rehabilitiert werden, muss die Einrichtung nach § 5 der Empfehlungs-
vereinbarung Ambulante Rehabilitation Sucht (EVARS) anerkannt sein.
Empirisch begründete Aussagen zum aktuellen Bedarf an ambulanten Rehabilita-
tionseinrichtungen für Pathologisches Glücksspielen können noch nicht getroffen
werden. Die Erfahrungen der Rehabilitationsträger und -einrichtungen sprechen
aber dafür, dass zumindest in Ballungsräumen ein solcher Bedarf vorhanden ist,
zumal diese Einrichtungen dann auch Aufgaben der Nachsorge nach stationärer
Rehabilitation wegen Pathologischen Glücksspielens wahrnehmen könnten. Be-
ratungsstellen, die seit vielen Jahren einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die
Beratung/Behandlung pathologischer Glücksspieler gelegt haben, sollten nach
Möglichkeit – ggf. über Übergangsregelungen – in die ambulante Rehabilitation
bei Pathologischem Glücksspielen einbezogen werden.

3
Hier sind ggfs. Übergangsregelungen für schon lange in der Suchttherapie tätige
Sozialarbeiter(innen) mit indikationsübergreifender Weiterbildung vorzusehen.
4
Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) arbeitet an einem
entsprechenden Curriculum.
147
7) Nachsorge bei Pathologischem Glücksspielen
Grundsätzlich ist eine Nachsorge auch beim Pathologischen Glücksspielen für vie-
le Rehabilitanden sinnvoll. Sie kann z. B. als Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe,
aber auch als strukturierte Nachsorge durch eine Beratungs-/Behandlungsstelle
durchgeführt werden. Sie sollte – wenn erforderlich – im unmittelbaren Anschluss
an die stationäre Rehabilitation beginnen, wenn die Rehabilitationseinrichtung
eine Nachsorge-Empfehlung ausspricht. Obwohl das Pathologische Glücksspie-
len nicht unter die bestehenden Empfehlungsvereinbarungen zur Rehabilitation
Abhängigkeitskranker fällt, kommt die Finanzierung einer erforderlichen Nach-
sorge für pathologische Glücksspieler analog zu dem vom jeweiligen Rehabili-
tationsträger praktizierten Verfahren bei der Nachsorge Abhängigkeitskranker
(z. B. analog zur Empfehlungsvereinbarung Ambulante Rehabilitation Sucht) in
Betracht. Entsprechende Einrichtungen müssen Erfahrungen in der Beratung bei
Pathologischem Glücksspielen nachweisen und ein geeignetes Nachsorgekonzept
vorlegen. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird die strukturierte Nachsorge an
Beratungs-/Behandlungsstellen für Suchtkranke stattfinden.
Bei behandlungsbedürftigen psychischen Störungen (z. B. Depressionen) kann
nach der stationären Rehabilitation eine ambulante Psychotherapie im Rahmen
der vertragsärztlichen Versorgung angezeigt sein.

Anhang:
Auszug aus der ICD-10
ICD-10 (1993): Internationale Klassifikation psychischer Störungen.
Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien. Weltgesundheitsorganisation.
2. korrigierte Auflage. München: Urban & Schwarzenberg
148
Anhang:
Auszug aus der ICD-10
ICD-10 (1993): Internationale Klassifikation psychischer Störungen.
Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien. Weltgesundheitsorganisation.
F63 Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
In dieser Kategorie sind verschiedene nicht an anderer Stelle klassifizier-
bare Verhaltensstörungen zusammengefasst. Sie sind durch wiederholte
Handlungen ohne vernünftige Motivation gekennzeichnet, die nicht kontrol-
lierbar werden können und die meist die Interessen des betroffenen Patien-
ten oder anderer Menschen schädigen. Der betroffene Patient berichtet von
impulshaftem Verhalten. Die Ursachen dieser Störung sind unklar, sie sind
wegen deskriptiver Ähnlichkeiten hier gemeinsam aufgeführt, nicht weil sie
andere wichtige Merkmale teilen.
Exkl.: Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle,
die das sexuelle Verhalten betreffen (F65.-)
Gewohnheitsmäßiger exzessiver Gebrauch von Alkohol
oder psychotropen Substanzen (F10-F19)
F63.0 Pathologisches Spielen
Die Störung besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaften Glücks-
spiel, das die Lebensführung des betroffenen Patienten beherrscht und
zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und
Verpflichtungen führt.
Zwanghaftes Spielen
Exkl.: Exzessives Spielen manischer Patienten (F30.-)
Spielen bei dissozialer Persönlichkeitsstörung (F60.2)
Spielen und Wetten o.n.A. (Z72.6)

Quelle: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR (2001): Empfehlungen der Spitzenverbände


der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation bei Pathologi­
schem Glücksspielen. Frankfurt/M.: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.
10 Adressen- und Kontaktverzeichnis
149

10.1 Koordinations- bzw. Landesfachstellen Glücksspielsucht


der Länder
Baden-Württemberg Brandenburg
Referat 55 Landeskoordinierung Glücksspielsucht
Ministerium für Soziales, Gesundheit Brandenburgische Landesstelle für
und Integration Baden-Württemberg Suchtfragen e. V.
70173 Stuttgart, Else-Josenhans-Str. 6 14467 Potsdam, Behlertstr. 3a, Haus H1
www.spass-statt-sucht.de Tel. +49 331 581380-0
[email protected]
Bayern www.spielsucht-brandenburg.de
Landesstelle Glücksspielsucht
in Bayern Bremen
80686 München, Edelsbergstr. 10 Bremer Fachstelle Glücksspielsucht
Tel. +49 89 5527359-0 28359 Bremen, Grazer Str. 2
[email protected] Tel. +49 421 218-68708
www.lsgbayern.de [email protected]
www.verspiel-nicht-dein-leben.de www.gluecksspielsucht-bremen.de

Berlin Hamburg
Präventionsprojekt Glücksspiel Automatisch verloren!
pad gGmbH 20097 Hamburg, Repsoldstr. 4
13086 Berlin, Charlottenburgerstr. 2 Tel. +49 40 28499180
Tel. +49 30 84522112 [email protected]
[email protected] www.automatisch-verloren.de
www.faules-spiel.de
150

Hessen Nordrhein-Westfalen
Projekt Glücksspielsucht Landesfachstelle
Hessische Landesstelle für Glücksspielsucht NRW
Suchtfragen e. V. (HLS) 33602 Bielefeld, Niederwall 51
60325 Frankfurt/Main, Zimmerweg 10 Tel. +49 521 3995589-0
Tel. +49 69 71376777 [email protected]
[email protected] www.gluecksspielsucht-nrw.de
www.hls-online.org
Rheinland-Pfalz
Mecklenburg-Vorpommern Koord. Fachstelle Prävention
Landesfachstelle Glücksspielsucht MV der Glücksspielsucht und
19053 Schwerin, Lübecker Str. 24a Medienabhängigkeit
Tel. +49 385 7851560 Sozialraumentwicklung /
[email protected] Suchtprävention
www.gluecksspielsucht-mv.de Landesamt für Soziales, Jugend
und Versorgung
Niedersachsen 55118 Mainz, Rheinallee 97–101
Glücksspielsucht – Prävention und Tel. 06131 967-705
Beratung www.suchtprävention.rlp.de/program-
Niedersächsische Landesstelle für me/praevention-der-gluecksspielsucht/
Suchtfragen
30159 Hannover, Grupenstr. 4 Saarland
Tel. +49 511 626266-0 Landesfachstelle Glücksspielsucht
[email protected] Saarland
www.gluecksspielsucht- Haus der Caritas
niedersachsen.de 66111 Saarbrücken, Johannisstr. 2
Tel. +49 681 30906-90
[email protected]
www.gluecksspielsucht-saar.de
151

Sachsen
Projekt Koordination Prävention
Glücksspielsucht
SLS e.V.
01099 Dresden, Glacisstr. 26
Tel. +49 351 8045506
[email protected]
www.slsev.de

Schleswig-Holstein
Koordinierungsstelle
Glücksspielsuchthilfe und
Medienabhängigkeit
Landesstelle für Suchtfragen
Schleswig-Holstein e. V.
24119 Kronshagen, Schreberweg 10
Tel. +49 431 657394-40
[email protected]
www.lssh.de/gluecksspiel

Thüringen
Thüringer Fachstelle GlücksSpielSucht
fdr Fachverband Drogen- und
Suchthilfe e. V.
99091 Erfurt, Dubliner Str. 12
Tel. +49 361 3461746
[email protected]
www.gluecksspielsucht-thueringen.de
152
10.2 Landesstellen Bremische Landesstelle für
für Suchtfragen Sucht­fragen (BreLS) e. V.,
c/o Ambulante Suchthilfe Bremen
Landesstelle für Suchtfragen 28195 Bremen, Bürgermeister-Smidt-
der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Str. 35
in Baden-Württemberg e. V. Ansprechpartnerin: Melanie Borgmann
70173 Stuttgart, Stauffenbergstr. 3 Tel. 0 162 2627755
Ansprechpartner: Dr. John Litau [email protected]
Tel. +49 711 61967-0 www.brels.de
Fax +49 711 61967-67
[email protected] Hamburgische Landesstelle
www.lss-bw.de für Suchtfragen e. V.
20095 Hamburg, Burchardstr. 19
Koordinierungsstelle Ansprechpartnerin: Tanja Adriany
der bayerischen Suchthilfe Tel. +49 40 30386555
80336 München, Lessingstr. 1 [email protected]
Ansprechpartnerin: Bettina Lange www.landesstelle-hamburg.de
Tel. +49 89 536515
Fax +49 89 5439303 Hessische Landesstelle
[email protected] für Suchtfragen e. V.
www.kbs-bayern.de 60325 Frankfurt a.M., Zimmerweg 10
Ansprechpartnerin:
Landesstelle Berlin Susanne Schmitt
für Suchtfragen e. V. Tel. +49 69 71376777
10585 Berlin, Gierkezeile 39 Fax +49 69 71376778
Ansprechpartnerin: Angela Grube [email protected]
Tel. +49 30 34389160 www.hls-online.org
Fax +49 30 34389162
[email protected] Niedersächsische Landesstelle
www.landesstelle-berlin.de für Suchtfragen e. V.
30159 Hannover, Grupenstr. 4
Brandenburgische Landesstelle für Ansprechpartner: Michael Cuypers
Suchtfragen (BLS) e. V. Tel. +49 511 626266-0
14467 Potsdam, Behlertstr. 3a, Haus H1 Fax +49 511 626266-22
Ansprechpartnerin: Andrea Hardeling [email protected]
Tel. +49 331 581380-0 www.nls-online.de
Fax +49 331 581380-25
[email protected]
www.blsev.de
153
Suchtkooperation NRW, Landesstelle für Suchtfragen
c/o Landschaftsverband Rheinland im Land Sachsen-Anhalt
Dezernat 8 39112 Magdeburg, Halberstädter Str. 98
50663 Köln Ansprechpartnerin:
[email protected] Helga Meeßen-Hühne
Ansprechpartnerin: Dr. Anne Pauly Tel. +49 391 5433818
Tel. +49 221 809-7794 Fax +49 391 5620256
Fax +49 221 809-6657 [email protected]
https://suchtkooperation.nrw/ www.ls-suchtfragen-lsa.de

Landesstelle für Suchtfragen Landesstelle für Suchtfragen


Rheinland-Pfalz e.V. Schleswig-Holstein e. V.
c/o Diakonisches Werk der 24119 Kronshagen, Schreberweg 10
Evangelischen Kirche der Pfalz Ansprechpartner: Kai Sachs
Ansprechpartnerin: Anette Schilling Tel. +49 431 657394-40
67346 Speyer, Karmeliterstr. 20 Fax +49 431 657394-55
Tel. +49 6232 664-254 [email protected]
Fax +49 6232 664-142 www.lssh.de
[email protected]
www.liga-rlp.de Thüringer Landesstelle
für Suchtfragen e. V.
Saarländische Landesstelle für 99096 Erfurt, Steigerstr. 40
Suchtfragen e. V., Ansprechpartner: Sebastian Weiske
c/o Caritas-Zentrum Saarpfalz Tel. +49 361 7464585
66424 Homburg, Schanzstr. 4 Fax +49 361 7464587
Ansprechpartner: Andreas M. Heinz [email protected]
Tel. +49 6841 9348512 www.tls-suchtfragen.de
Fax +49 6841 9348519
[email protected]
https://www.liga-saar.de/ausschuesse/
landesstelle-fuer-suchtfragen/

Sächsische Landesstelle gegen


die Suchtgefahren e. V.
01099 Dresden, Glacisstr. 26
Ansprechpartner: Dr. Olaf Rilke
Tel. +49 351 8045506
Fax +49 351 8045506
[email protected]
www.slsev.de
11 Beratungstelefone
154

Die bundesweite Telefonberatung zur Glücksspielsucht der Bundeszentrale für


gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet täglich Betroffenen, Angehörigen und
Multiplikatoren kompetente Ansprechpartner sowie fachlich fundierte Informati­
onen rund um den Themenbereich Glücksspielsucht.
Tel. 0800 1372700 (kostenfreie Servicenummer)
Tel. 0180 1372700 (3,9 Cent/Min aus dem Festnetz, Mobilfunknetz max. 42 Cent/Min)
(Montag – Donnerstag von 10.00 – 22.00 Uhr, Freitag – Sonntag von 10.00 – 18.00 Uhr)

Bei der Infoline Glücksspielsucht NRW, die von der Landeskoordinierungsstelle


Glücksspielsucht in Nordrhein-Westfalen betrieben wird, erhalten Glücksspiel-
süchtige, ihre Angehörigen und am Thema Interessierte professionelle Beratung
von erfahrenen Suchtberaterinnen und -beratern bzw. Suchttherapeutinnen und
Suchttherapeuten.
Tel. 0800 0776611 (kostenfreie Servicenummer)
(Montag – Freitag von 10.00 – 18.00 Uhr )

Die Landesstellen Glücksspielsucht in Bayern und im Saarland und die Landes­


koordinierungsstelle Glücksspielsucht Nordrhein-Westfalen bieten gemeinsam
ein Beratungstelefon in türkischer Sprache für Glücksspielsüchtige und ihre An-
gehörigen an.
Tel. 0800 3264762 (kostenfreie Servicenummer)
(Montag von 18.00 – 20.00 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 20.00 – 22.00 Uhr)

Die Abteilung Glücksspielsucht der Niedersächsischen Landesstelle für Sucht­


fragen betreibt eine russischsprachige Glücksspielberatung.
Tel. +49 511 7014664
(Montag von 16.00 – 18.00 Uhr)
12 Nützliche Internetadressen 155

https://www.check-dein-spiel.de/
Portal zum Thema Glücksspielsucht der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit Onlineberatungsangebot, Selbsttest und
Wissenstest.
https://innen.hessen.de/Buerger-Staat/Gluecksspiel/Gluecksspiel-in-Deutsch-
land/Fachbeirat
Fachbeirat Glücksspielsucht – eine unabhängige Einrichtung zur Beratung
der Länder.
www.gluecksspielsucht.de
Fachverband Glücksspielsucht e. V. (fags)
www.forum-gluecksspielsucht.de
Forum für Glücksspielsüchtige und ihre Angehörigen
www.forum-gewerberecht.de
Forum Gewerberecht / Rubrik Spielrecht

Von Betroffenen für Betroffene:


www.anonyme-spieler.org
Anonyme Spieler Deutschland
156
Die DHS

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) mit Sitz in Hamm ist der
Zusammenschluss der in der Suchtprävention und Suchthilfe bundesweit tätigen
Verbände. Dazu gehören die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, öffent-
lich-rechtliche Träger der Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe. Die DHS koordi-
niert und unterstützt die Arbeit der Mitgliedsverbände und fördert den Austausch
mit der Wissenschaft.
Die Geschäftsstelle der DHS in Hamm gibt Auskunft und vermittelt Informationen
an Hilfesuchende, Experten, Medien- und Pressefachleute sowie andere Interes-
sierte.

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS)


Postfach 1369, 59003 Hamm
Westenwall 4, 59065 Hamm
Tel. +49 2381 9015-0
Fax +49 2381 9015-30
[email protected]
www.dhs.de
Die DHS im Internet (www.dhs.de)
Über die Internetseite der DHS sind alle wichtigen Daten, Fakten und Publikatio-
nen zu Suchtfragen verfügbar. Fachinformationen (Definitionen, Studien, Statis­
tiken etc.) und Fachveröffentlichungen sind einzusehen und zu einem Großteil
auch herunterzuladen. Gleichzeitig besteht ein Zugang zu allen Broschüren und
Faltblättern. Die Einrichtungsdatei ermöglicht den schnellen Zugang zu Hilfeange-
boten der Beratungs- und Behandlungsstellen und der Selbsthilfe in Deutschland.
Beratungs- und Einrichtungssuche
(www.suchthilfeverzeichnis.de und www.dhs.de)
Auf der Internetseite www.suchthilfeverzeichnis.de finden Sie eine Adressdaten-
bank mit allen Einrichtungen der Suchthilfe in Deutschland.
157
DHS-Publikationen, Informationsmaterialien
Die DHS gibt zahlreiche Publikationen für Fachleute und Betroffene heraus. Viele
dieser Materialien können auch in größerer Stückzahl über die Deutsche Haupt-
stelle für Suchtfragen oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) bestellt werden:
www.dhs.de

Bibliothek der DHS


Die Bibliothek der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) ist eine
öffentlich zugängliche wissenschaftliche Fachbibliothek. Der Bestand steht der
interessierten Öffentlichkeit zur persönlichen und beruflichen Information, zum
Studium und zur Weiterbildung zur Verfügung.
Der Bibliotheksbestand umfasst über 42.000 Titel und wächst kontinuierlich um
ca. 1.000 Medieneinheiten pro Jahr. Er gliedert sich in zwei Bereiche:
d
 en „aktuellen“ Bestand (Erscheinungsjahr: ab 1950)
das historische Archiv (Erscheinungsjahr: ab 1725)

Über die Internetseite www.dhs.de ist der gesamte Bestand der Bibliothek online
recherchierbar.
158
Die BZgA

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist eine obere Bundes-
behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Sie
nimmt für den Bund Aufgaben der Prävention und Gesundheitsförderung wahr. Als
Fachbehörde für Prävention und Gesundheitsförderung entwickelt sie Strategien
und setzt diese in Kampagnen, Programmen und Projekten um.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)


Maarweg 149–161
50825 Köln
Tel. +49 221 89920
Fax +49 221 8992300
[email protected]
www.bzga.de
BZgA-Info-Telefon
Das BZgA-Info-Telefon beantwortet Fragen zur Suchtvorbeugung. Bei Abhängig-
keitsproblemen bietet das BZgA-Telefon eine erste persönliche Beratung mit dem
Ziel, Ratsuchende an geeignete lokale Hilfe- und Beratungsangebote zu vermitteln.

BZgA Publikationen,
Informationsmaterialien
Die Ergebnisberichte der repräsentativen Bevölkerungsbefragungen zu Glücks-
spielverhalten und Glücksspielsucht der BZgA aus den Jahren 2007, 2009 und
2011 sowie weitere Informationsmaterialien zum Thema Glücksspielsucht
können auf www.bzga.de eingesehen, heruntergeladen und bestellt werden.
159
BZgA-Infotelefon zur Suchtvorbeugung
Tel. +49 221 892031

(Preis entsprechend der Preisliste ihres Telefonanbieters)


Montag – Donnerstag von 10.00 – 22.00 Uhr und
Freitag – Sonntag von 10.00 – 18.00 Uhr

Sucht & Drogen Hotline


Tel. 01806 313031

0,20 €/Anruf aus dem deutschen Festnetz und aus dem Mobilfunknetz.
Dieser Dienst wird unterstützt von NEXT ID.)
Montag – Sonntag vo n 0.00 – 24.00 Uhr
Impressum

Herausgeber Auflage (Code)


© Deutsche Hauptstelle 5.15.10.22
für Suchtfragen e. V.
ISBN 978-3-937587-05-9
Westenwall 4, 59065 Hamm
Tel. +49 2381 9015-0 Diese Broschüre wird von der
Fax +49 2381 9015-30 Deutschen Hauptstelle für Suchtfra-
[email protected], www.dhs.de gen e. V., Postfach 1369, 59003 Hamm
Redaktion ([email protected]) und der Bundeszentrale
Dr. Raphael Gaßmann für gesundheitliche Aufklärung, 50819
Gabriele Bartsch Köln ([email protected]) kostenfrei
Armin Koeppe abgegeben. Sie ist nicht zum Weiter-
Christa Merfert-Diete verkauf durch die Empfängerin/den
Empfänger oder Dritte bestimmt.
Autoren/-innen Best.-Nr.: 33221206
Dr. Jörg Petry, Bielefeld
Ilona Füchtenschnieder-Petry, Bielefeld Gefördert von der Bundeszentrale für
Dr. med. Thomas Brück, Neunkirchen gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im
Dr. med. Monika Vogelgesang, Auftrag des Bundesministeriums für
Neunkirchen Gesundheit

Alle Rechte vorbehalten


5. Auflage, Oktober 2022
Gestaltung
STADTLANDFLUSS, Frankfurt
Druck
klimaneutral gedruckt.
Warlich Druck Meckenheim GmbH,
Am Hambuch 5, 53340 Meckenheim
Westenwall 4 | 59065 Hamm
Tel. +49 2381 9015-0
[email protected] | www.dhs.de

Gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung


im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit ISBN 978-3-937587-05-9

Das könnte Ihnen auch gefallen