Amerika
Amerika
ZEITZEICHNER
Atak stellt in
dieser Serie
Comiclegenden
und Newcomer
vor und malt
sie – vielleicht
für die Ewigkeit
EINE SACHE FINDE ICH SEHR SCHADE. Da DVD. Doch auch die verschwand sang- und
existiert diese lange, fast endlose Liste an klanglos in der Ramschkiste.
amerikanischen Kultursymbolen – von Coca Das ist nicht gerecht. Für mich gehört
Cola über Jeans bis hin zu McDonald’s –, die Gumby (und seine Geschichten) zum Besten,
längst Einzug in den deutschen Alltag gehal- was die amerikanische Kultur je hervorge-
ten haben. Auf einige davon könnte man bracht hat. Würde dieser kleine Knetjunge
gerne verzichten, andere wiederum sind un- eines Tages Präsident der Vereinigten Staa-
entbehrlich geworden. Doch eine amerikani- ten werden, könnte die Menschheit aufat-
sche Kinderfernseh-Ikone, ein grünes, sym- men. Anstelle von Kriegstornados würden
pathisches Knetmännchen mit dem phanta- Liebeswolken die Erdkugel umwehen. Es
sievollen Namen »Gumby« hätte es auch gäbe einen paradiesischen Kinderzimmer-
verdient, hier bekannt zu werden. Frieden.
Die gleichnamige Animationsserie wurde Vielleicht, weil seine eigene Kindheit kei-
1961/62 kurzzeitig in der ARD ausgestrahlt. ne romantische Idylle war, erfand Art Clokey
Scheinbar, ohne nennenswerten Eindruck zu 1955 die grüne Knetfigur in Lebkuchenform.
hinterlassen. Es gibt eine diffuse Videokas- Er schuf Gumby, weil er Kinder liebe und sie
sette mit einigen älteren Folgen aus den »etwas Wertvolles auf den Bildschirm be-
80ern – ihr erging es genauso. Vor drei Jah- kommen« sollten, wie er einmal sagte.
ren erschien der Spielfilm »Gumby: The Art Clokey wurde 1921 in Detroit, Michi-
Movie«, 1995 entstanden, unter dem deut- gan, geboren. Als er zehn Jahre alt war, starb
schen Titel »Gumby und seine Freunde« als sein Vater, und der Junge zog zur Mutter
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wie »Wallace & Gromit« der britischen Aard- film, und diesmal waren
man Animation oder Tim Burtons Klassiker die gefilmten Objekte aus-
»Nightmare before Christmas« nicht vorstell- schließlich aus Lehm. Der Film trägt den Titel
bar. Viele Trickfilmer aus seinem Studio »Gumbasia« und ist ein überzeugendes
arbeiten heute für Pixar, Dreamworks oder Meisterwerk. Die Vorwegnahme all der MTV-
Disney. Musikclips aus den 80ern.
Als Student an der Universität Südkali- Heute noch wirkt er so frisch und lebendig,
fornien (USC) beschäftigte sich Clokey unter dass er, wenn es nach mir ginge, an jeder
dem Einfluss seines Mentors Slavko Vorka- Filmhochschule fünfmal am Tag den Stu-
pich, Leiter der Filmklasse, mit ersten Film- denten gezeigt werden sollte. Bei diesem kur-
versuchen. Von Vorkapich lernte er nicht nur zen Film von nicht mal vier Minuten stimmt
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In den USA wurde Gumby binnen kurzer Zeit TV-Liebling ne) in einer detaillierten, puppenstubenartigen
der Kinder. 223 Folgen entstanden insgesamt Welt problemlos miteinander auskommen.
Eine liebevolle Phantasiewelt für Kinder und
Erwachsene ohne eine Spur von Rassismus.
Sie erleben Abenteuer mit unheimlichen
Hexen, schwarzen Rittern, gemeinen Robo-
alles: die Abfolge der Bilder und Bewegun- tern, friedlichen Indianern, wilden Cowboys,
gen in der Korrespondenz mit den Rhyth- auferstandenen Dinosauriern. Generationen
men der wilden Jazzmusik. von Amerikanern wuchsen damit auf. Letz-
Der Filmproduzent Sam Engels war so tes Jahr feierte Gumby seinen fünfzigsten
begeistert, dass er Clokey anspornte, etwas Geburtstag mit einer riesigen Ausstellung in
Ähnliches aus Knetmaterial mit Figuren und San Francisco und einem neuen Gameboy-
Geschichten für Kinder zu machen. Aus kla- Spiel »Gumby vs. Astrobots«.
ren, einfachen Formen kreierte er für eine Clokey produzierte zusammen mit seiner
NBC-Sendung den grünen Gummi-Jungen ersten und der zweiten Frau und seinen
und seinen Freund, ein orangefarbiges Pferd Kindern insgesamt 223 Folgen. Heute führt
namens Pokey. der Sohn Joe Clokey das Familienunterneh-
Schon ein Jahr später, 1957, bekam der bieg- men fort und kümmert sich um das Archiv
same Held seine eigene Serie, The Gumby und die Vermarktungsrechte.
Show. In nur wenigen Jahren avancierte Auf der Verpackung einer neueren Gum-
Gumby zur TV-Lieblingsfigur der Kinder im by-Plastikfigur werden Gumbys Qualitäten
ganzen Land. Man kann spekulieren, ob es an angepriesen: »Er ist flexibel, hilfsbereit, opti-
der leichten Wiedererkennbarkeit oder an den mistisch, abenteuerlich, furchtlos, liebend
wundervollen, warmherzigen Geschichten und jedermanns Freund. Gumby vertritt das
lag. Selbst als Erwachsener ist man von den Gute in uns allen!«
einfachen, menschlichen Episoden gerührt. Warum diese wirklich pädagogisch wert-
Ähnlichkeiten mit der heilen DDR-Sand- volle Knetfigur es nicht in die teilweise so
männchenwelt kommen hoch. Aber das Fas- langweilige deutsche Flimmerlandschaft
zinierende besteht für mich darin, dass die geschafft hat, bleibt mir ein Rätsel. Mir jeden-
künstliche Figur Gumby mit seinen seltsam falls fehlt der grüne biegsame Held, denn wie
geformten Freunden (z.B. Prickle, ein gelber sein Erfinder Art Clokey schon sagte: »If
feuerspeiender Dinosaurier, Gumbys pinkfar- you’ve got a heart, then Gumby’s a part of
bige Schwester Minga, das blaue süße Super- you.« Wenn du ein Herz hast, ist Gumby ein
girl Goo und Groobee, eine brummende Bie- Teil von dir. I
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