Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht 66. Sitzung

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Plenarprotokoll 17/66

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

66. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 27: Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 7029 C


Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . 7031 B
Hightech-Strategie 2020 für Deutschland
(Drucksache 17/2691) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . 7032 C
7011 A
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7034 C
7011 B
Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 7036 C
7013 A
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7038 B
7014 C
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 7015 C Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 7039 D

Krista Sager (BÜNDNIS 90/ Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7041 A


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7017 A Dieter Jasper (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7042 D
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . 7018 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 7043 D
Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7020 D
Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 7021 D Tagesordnungspunkt 29:
Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7022 C a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 7023 D Ausschusses für Kultur und Medien

Krista Sager (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7025 B Christoph Poland, Rita Pawelski,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weite-
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 7025 D rer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7026 A
Helga Daub, Reiner Deutschmann,
Patrick Meinhardt, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP: Kul-
Tagesordnungspunkt 28:
turtourismus in Deutschland stär-
Große Anfrage der Abgeordneten Garrelt ken
Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett,
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
Schmidt (Aachen), Heinz Paula, Sören
SPD: Ökonomische Wirkung der Konjunk-
Bartol, weiterer Abgeordneter und der
turpakete
Fraktion der SPD: Potenziale von
(Drucksachen 17/1616, 17/2568) . . . . . . . . . . 7027 A
Kultur und Tourismus nutzen – Kul-
Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 7027 A turtourismus gezielt fördern
Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7028 B (Drucksachen 17/676, 17/1966, 17/2940) 7044 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 31:


Ausschusses für Kultur und Medien zu der
Unterrichtung: Grünbuch Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
Erschließung des Potenzials der Kultur- FDP: Beitrittsantrag der Republik Serbien
und Kreativindustrien zur Prüfung an die Europäische Kommis-
KOM(2010) 183 endg.: Ratsdok. 9073/10 sion weiterleiten
hier: Stellungnahme gegenüber der (Drucksache 17/3190) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7062 B
Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit
(Drucksachen 17/2071 Nr. A.39, 17/2941) 7044 C
Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7044 D
Zusatztagesordnungspunkt 9:
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 7046 A
Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Günter
Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7046 C Gloser, Dietmar Nietan, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD: Glaubhafte
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7048 A
Unterstützung für Serbiens Beitrittsantrag
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 7048 C zur Europäischen Union
(Drucksache 17/3175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7062 C
Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7048 D
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . 7049 B in Verbindung mit
Markus Tressel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7050 B
Zusatztagesordnungspunkt 10:
Christoph Poland (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7051 B
Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . 7051 C (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von
Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 7052 D Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Serbiens Beitrittsgesuch an die Europäi-
sche Kommission weiterleiten – Gesamte
Tagesordnungspunkt 30:
Region im Blick behalten
Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, (Drucksache 17/3204) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7062 C
Cornelia Möhring, Diana Golze, weiterer Ab-
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 7062 D
geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ar-
beit familienfreundlich gestalten Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7064 A
(Drucksache 17/3189) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7053 D
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 7065 C
in Verbindung mit Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 7066 D
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7068 A
Zusatztagesordnungspunkt 8:
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7068 D
Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin
Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnungspunkt 32:
NEN: „Kinder, Küche und Karriere“ –
Vereinbarkeit für Frauen und Männer bes- a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller
ser möglich machen (Köln), Katja Keul, Ute Koczy, weiterer Ab-
(Drucksache 17/3203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7053 D geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: 10 Jahre UN-Resolution
Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 7054 A 1325 – „Frauen, Frieden, Sicherheit“ –
Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7055 A Nationaler Aktionsplan für eine gezielte
Umsetzung
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 7056 C (Drucksache 17/2484) . . . . . . . . . . . . . . . 7070 A
Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7058 A b) Antrag der Fraktion der SPD: 10 Jahre
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7059 B und Sicherheit“
(Drucksache 17/3176) . . . . . . . . . . . . . . . 7070 A
Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 7060 B
Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7061 C in Verbindung mit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 III

Zusatztagesordnungspunkt 11: Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . 7072 D


Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7074 C
Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer Ab- Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 7075 B
geordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Verpflichtung zur UN-Resolution 1325 Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 7076 C
„Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhal-
ten – Auf Gewalt in internationalen Kon- Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7077 D
flikten verzichten
(Drucksache 17/3205) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7070 B
Anlage 1
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7070 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 7079 A
Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 7071 B
Anlage 2
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7072 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7080 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7011

(A) (C)

Redetext

66. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ven und hochwertigen Produkten. Der überwiegende


Die Sitzung ist eröffnet. Teil der deutschen Unternehmen hat deshalb Weitblick
bewiesen und die Forschungs- und Entwicklungsausga-
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und begrüße
Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. ben auch im Krisenjahr nicht angetastet, und das, ob-
Wir können gleich in die Tagesordnung einsteigen. wohl das BIP überdurchschnittlich stark zurückgegan-
gen ist. Die Investitionsbereitschaft ist deshalb so
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: beeindruckend, weil die historische Erfahrung einen
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Rückgang der Investitionen erwarten ließ. Die tatsächli-
gierung che Planung zeigt dagegen konstante Investitionsausga-
ben. Erste Schätzungen für das vergangene Jahr – mit
Hightech-Strategie 2020 für Deutschland Blick auf das 3-Prozent-Ziel – gehen von einer Quote
– Drucksache 17/2691 – von mehr als 2,8 Prozent aus. Das ist eine äußerst posi-
(B) Überweisungsvorschlag:
tive Entwicklung für Deutschland. (D)
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Voraussetzung für stabile und über längere Zeiträume
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sich positiv entwickelnde Phasen ist das Zusammen-
Ausschuss für Kultur und Medien spiel, in diesem Fall von Wissenschaft, Wirtschaft und
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinvier- Politik. Das ist das eigentliche Grundprinzip, die Grund-
tel Stunden zu debattieren. – Ich sehe, damit sind Sie struktur der Hightech-Strategie: Staat, Wirtschaft und
einverstanden. Dann können wir so verfahren. Wissenschaft bilden eine Allianz und sind in der Lage,
zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen zu
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat treffen. Deshalb gab es einen überwältigenden Konsens
das Wort für die Bundesregierung Frau Bundesminister in diesem Haus dafür, dass gerade in solchen Zeiten Bil-
Professor Dr. Annette Schavan. dung und Forschung der Vorrang vor allem anderen ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geräumt wird. Deshalb haben sich – das wird jetzt deut-
lich – die Konjunkturprogramme rentiert. Es war richtig,
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- die Schwerpunkte auf Bildung und Forschung zu legen.
dung und Forschung: Wir können jetzt sagen – viele sagen das, wenn sie auf
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Deutschland schauen –: Nach der Krise sind wir stärker
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Innovationen als vorher.
garantieren Wettbewerbsvorteile. Das gilt für unser
Land insgesamt und für die Unternehmen in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
land im Besonderen. Ein ressourcenarmes Land wie Die EU-Kommission hat die Wachstumsprognose
Deutschland – wir haben in diesem Hohen Hause oft da- nach oben geschraubt. Danach erhöht sich die deutsche
rüber diskutiert – ist auf technologische Meisterleistun- Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 3,4 Prozent. Das
gen angewiesen. Technologisch fortschrittliche Unter- Weltwirtschaftsforum hält Deutschland für die wettbe-
nehmen können sich wegen des harten internationalen werbsfähigste Volkswirtschaft der Euro-Zone. Der Auf-
Innovationswettbewerbs einen Verzicht auf Forschung
schwung verläuft in Deutschland schneller und stärker
und Entwicklung nicht leisten.
als in den meisten anderen Industrienationen. Gute Bil-
Der eigentliche Wettbewerbsvorteil der deutschen dung, starke Forschung und eindrucksvolle Innovations-
Unternehmen liegt nicht im Preis, sondern in innovati- kraft, das sind die Fundamente des Aufschwungs.
7012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) Wir konsolidieren den Haushalt und geben gezielte Fachaufgaben zu rücken. Die Ausgestaltung der High- (C)
Wachstumsimpulse. Um aus Wissen und Ideen mög- tech-Strategie ist deshalb Sache aller Ressorts. Das ist
lichst effizient Innovationen und wirtschaftliches Wachs- gleichsam roter Faden des Regierungshandelns: Wie
tum zu machen, brauchen wir einen klaren Fahrplan. sind die Entscheidungen und Prozesse, die wir auf den
Dieser Plan ist die Hightech-Strategie. Mit ihr setzen wir Weg bringen, unter dem Gesichtspunkt von Zukunftsfä-
unsere nationale Innovationsstrategie der vergangenen higkeit und Stärkung von Innovationskraft zu bewerten?
Legislaturperiode fort. Mehr Qualität, mehr Effizienz in
das Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Mit erfolgreichen Initiativen wie dem Spitzencluster-
Politik zu bringen und die Rahmenbedingungen für wettwerb oder „KMU-innovativ“ haben wir Maßstäbe
Innovationen in der Wirtschaft zu verbessern – das sind gesetzt. International ist die Hightech-Strategie viel be-
die zentralen Ziele dieser Strategie. Im nächsten Schritt achtet. Deshalb werben wir auch im Ausland verstärkt für
wird es darauf ankommen, die Erfahrungen, die wir mit unseren Ansatz und verzahnen nationale und europäische
der Hightech-Strategie gemacht haben, in eine europäi- Forschungs- und Innovationspolitik enger miteinander.
sche Innovationsstrategie einzubringen, über die der Mit Europa 2020 und der Innovationsunion haben Kom-
Wettbewerbsfähigkeitsrat im November diskutieren und mission und Europäischer Rat einen anspruchsvollen
der Europäische Rat im Dezember dieses Jahres ent- Prozess angestoßen. Vorbild für das, was jetzt auf der eu-
scheiden wird. ropäischen Ebene als europäische Innovationsstrategie
beraten wird, ist unsere Hightech-Strategie.
Neue Technologien, neue Dienstleistungen und auch
gesellschaftliche Veränderungen sind die eigentlichen In- Die europäische Innovationspolitik orientiert sich stär-
novationstreiber. In der fortgeschriebenen Hightech-Stra- ker als je zuvor und zu Recht an den globalen Aufgaben
tegie richten wir die Innovationspolitik noch stärker an und nimmt innovationsfördernde Rahmenbedingungen in
ganz konkreten Aufgaben und auch Bedürfnissen der den Blick. Deutschland wird dank seiner Erfahrungen mit
Menschen aus. Deshalb konzentrieren wir uns auf fünf der Hightech-Strategie zu dieser neuen Forschungs- und
Schwerpunkte: Klima und Energie, Gesundheit, Kommu- Innovationspolitik in Europa maßgeblich beitragen.
nikation, Mobilität und Sicherheit. Das sind die Bedarfs- Deutschland hat die innovative Kraft, Vorreiter zu sein.
felder, auf denen sich die wichtigsten Menschheitsfragen Das gilt im Hinblick auf die Maßnahmen, die in den ver-
des 21. Jahrhunderts entscheiden werden. Deshalb sind gangenen Jahren bereits auf den Weg gebracht worden
das unsere Schwerpunkte in der Hightech-Strategie. sind. Das gilt aber auch für Maßnahmen, die wir, auch
wenn es schwierig ist und wenn innerhalb der Fraktionen
Übrigens werden zu dem Instrumentenkasten, der mit und der Regierung unterschiedliche Akzente gesetzt wer-
der Hightech-Strategie verbunden ist, in den nächsten den, noch anpacken müssen.
(B) Monaten und Jahren auch verstärkt Bürgerdialoge ge- (D)
hören. Wir müssen reden, kommunizieren, die öffentli- Wie Sie wissen, zählt für mich dazu – neben institutio-
che Kommunikation über die großen Zukunftsprojekte, neller Förderung, neben Projektförderung im Bereich der
die mit der Hightech-Strategie verbunden sind, herstel- Forschungspolitik und neben dem, was schon auf den
len. Das macht moderne Innovationspolitik aus. Wir er- Weg gebracht worden ist –, auch im Blick zu behalten,
fahren ja im Moment an einer Reihe von Stellen in dass wir speziell für kleine und mittelständische Unter-
Deutschland: Zu guter Politik gehört auch gute Kommu- nehmen steuerliche Anreize für Forschung und Ent-
nikation. Deshalb gehört zu guter Forschungspolitik wicklung brauchen. Dies muss unser nächstes Thema
auch, Lust und Leidenschaft auf Zukunft, auf die großen sein.
Zukunftsprojekte zu wecken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das ist schwierig; darüber haben wir auch gestern im
Zu den Zukunftsprojekten, zu den Leuchttürmen ge- Haushaltsausschuss gesprochen. Aber die Sache wird
hört zum Beispiel die CO2-neutrale, energieeffiziente rund, wenn wir auf dieser Ebene Instrumente schaffen,
und klimaangepasste Stadt – diese Beschreibung ist et- um noch stärkere Anreize für Investitionen in Unterneh-
was kompliziert –, kurz Nachhaltigkeitsstadt genannt. men zu schaffen. Denn wir wissen: Dass wir im Jahre
Sie ist nicht nur eine Vision, sie ist der Prototyp für die 2009 2,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung
Zukunftsprojekte. Wichtig ist der Gesamtkontext, die ausgegeben haben, ist gut; das ist eine ausgesprochen po-
Herstellung eines systemischen Zusammenhangs. Die sitive Entwicklung. Aber wir wollen das 3-Prozent-Ziel
Nachhaltigkeitsstadt steht in einem engen Zusammen- erreichen. Das schaffen wir nur durch konsequente Inves-
hang mit dem Fortschritt des Zukunftsprojektes „Intelli- titionen seitens der Unternehmen.
genter Umbau der Energieversorgung“. Wo es solche
Vielen Dank.
klaren inhaltlichen Schnittmengen gibt, werden wir sie
nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es gehört zum Markenkern der Hightech-Strategie,
alle Ressorts hinter einer gemeinsamen Idee zu versam- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
meln. Konzeption und Umsetzung der Hightech-Strate- Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für
gie sind vom gemeinsamen Willen der ganzen Bundesre- die SPD-Fraktion.
gierung getragen. Es geht darum, Innovationen und das,
was in diesem Kontext relevant ist, in das Zentrum der (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7013

(A) Florian Pronold (SPD): Thema der steuerlichen Forschungsförderung gesagt (C)
Guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren! haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD begrüßt, dass (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
die Hightech-Strategie, die wir in der Großen Koalition GRÜNEN]: Sehr vergnüglich!)
gemeinsam begonnen haben, fortgesetzt wird. Ich denke,
damit Deutschland Weltspitze bleibt, ist es wichtig, dass Wenn ich den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, ha-
wir sehr viel Geld in den Forschungsbereich stecken. Es ben Sie sich darin festgelegt. Wir haben vor einigen Mo-
darf aber nicht dabei bleiben, dass man nur Leuchttürme naten in einer Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion ge-
baut, sondern man muss auch überprüfen: Was passiert nau zu diesem Punkt nachgefragt. Denn in diesem Hause
damit? Man darf also nicht zu viel Weihrauch über die besteht große Einigkeit darin, dass wir auch steuerliche
aktuellen Projekte gießen, ohne auch zu überprüfen: Was Forschungsförderung brauchen. Ich erinnere an den
konkret geschieht auf den fünf Schwerpunktfeldern, und „Deutschland-Plan“ von Frank-Walter Steinmeier.
was versteckt sich dahinter?
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Eine neue Innovation hätten wir gebraucht, als vor ei- GRÜNEN]: Vor der Wahl wolltet ihr noch
nigen Monaten der Elektromobilitätsgipfel der Bundes- nicht!)
regierung stattfand. Man hätte ein neues Weitwinkelob-
– Das stimmt nicht. Der „Deutschland-Plan“, liebe Kol-
jektiv gebraucht. Auf der Bühne drängten sich nämlich
legin, kam eindeutig vor der Bundestagswahl heraus,
so viele Minister, dass man sie nur schwer auf ein Foto
falls Sie sich daran erinnern.
bekommen hat.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: GRÜNEN]: Vor der Wahl hat die SPD unseren
Wir haben viele gute Leute!) Antrag abgelehnt!)
Es ist gut, dass wir für die Förderung der Elektromo- Auch die SPD-Fraktion ist immer dafür eingetreten,
bilität eine Menge Geld ausgeben. Aber die spannende dass wir kleine und mittelständische Unternehmen ent-
Frage ist doch: Was passiert jetzt? sprechend fördern.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Sehr viel Gutes!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe
Wird das Elektroauto der Zukunft tatsächlich in Dingol- von der CDU/CSU und der FDP)
fing, Ingolstadt oder Stuttgart gebaut? Oder geht es wie Aber wir brauchen eine punktgenaue Förderung. Die
im Märchen Des Kaisers neue Kleider? Durch all die Schwierigkeit auf diesem Gebiet ist, dass man nicht mit
entsprechenden Kommissionen wird zusätzliche Büro- der „steuerlichen Gießkanne“ alle fördern, sondern ge- (D)
(B)
kratie geschaffen, und man hört, dass die Forschungsgel- währleisten sollte, dass die Mittel punktgenau bei klei-
der bisher hauptsächlich verwendet wurden, um unter- nen und mittelständischen Unternehmen ankommen.
schiedliche Papiere auszutauschen. Man weiß aber nicht:
Wie geht es in den Modellregionen weiter? Es ist doch (Axel Knoerig [CDU/CSU]: Aber wie?)
wichtig, dass mit dem Geld tatsächlich etwas auf den Die spannenden Fragen sind, wie das gemacht wird
Weg gebracht wird und dass nicht nur so getan wird, als und was dann kommt. Da das im Koalitionsvertrag steht,
würde man Aktivitäten ergreifen. Das muss nachweisbar haben wir eine Anfrage gestellt. Die Antwort auf die An-
geschehen. frage lautete: Daran ist derzeit nicht gedacht.
(Beifall bei der SPD) (Zuruf von der FDP: Derzeit!)
Die Evaluierung der Hightech-Strategie steht bis Wenn die Ministerin heute den Appell an die eigene
heute aus. Es ist wichtig, dass man nicht nur darüber redet, Koalition richtet, es doch zu tun, wäre es endlich mit
sondern auch nachprüft, ob das Ganze richtig eingesetzt Blick auf die staunende Öffentlichkeit an der Zeit, zu sa-
wird. Man sollte auch darauf verzichten, Dinosauriertech- gen, wie sie das tun möchte und was dadurch passiert.
nologie weiterhin als Brückentechnologie auszugeben Denn das ist eine Möglichkeit, tatsächlich Bürokratie ab-
und zu fördern. Die Schwerpunktsetzung, die Sie vorge- zubauen und etwas für die kleinen und mittleren Unter-
nommen haben – dass Sie wieder Klientelpolitik machen nehmen zu tun, um wirklich für Innovation zu sorgen.
und die Atomenergie weiterhin fördern, Das ist die Aufgabe.
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Mein Aber wir hören nichts außer Appellen. In dieser De-
Gott! Nicht schon wieder! – Weitere Zurufe batte gibt es sehr viele Ankündigungen. Der Kollege
von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Hagemann wird sicherlich in seiner Rede auf einige
anstatt konsequent auf erneuerbare Energien zu setzen –, Punkte eingehen, wie ich ihn kenne.
ist ein Defizit. Aber ganz wichtig ist, dass wir hier nicht gemäß Des
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kaisers neue Kleider handeln. Bei der Elektromobilität
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE und der steuerlichen Forschungsförderung scheint mir
GRÜNEN) die schwarz-gelbe Koalition ganz nach diesem Märchen
vorzugehen. Das scheint Ihr Drehbuch zu sein. Wie bei
Frau Ministerin, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie Des Kaisers neue Kleider steht dann Schwarz-Gelb ir-
– wohl in Richtung Ihrer eigenen Koalition – etwas zum gendwann nackt da. Deswegen wäre es mit Blick auf die
7014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Florian Pronold
(A) Ästhetik gut, wenn Sie alle noch ein bisschen ins Fit- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
nessstudio gingen, damit die Auswirkungen auf die Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Profes-
Wahlbevölkerung nicht allzu dramatisch sind. sor Dr. Martin Neumann.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von
der CDU/CSU und der FDP: Das haben wir Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
nicht nötig! – Unverschämtheit! – Angeber!)
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
Das Wichtige dabei ist jedoch nicht, dass dann die und Kollegen! Ein wichtiges Kernanliegen der christ-
schwarz-gelbe Koalition nackt dasteht, sondern dass das lich-liberalen Koalition ist es, Deutschland zu einer Bil-
Schwierigkeiten für die Arbeitsplätze in Deutschland mit dungsrepublik und zu einem attraktiven und innovativen
sich bringt. Forschungsstandort zu machen. Mit den Haushalten
2010 und 2011 – das sehe ich etwas anders als Sie, Herr
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Hören Pronold – zeigen wir an der Stelle sehr deutlich, wo hier
Sie auf mit Ihrer Rede! Das reicht jetzt!) Prioritäten gesetzt werden.
Wenn wir mit Forschung und Entwicklung nicht wei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
terkommen und wenn nicht mehr gemacht wird, als
Weihrauch zu verbreiten und Leuchttürme in den Raum Mit der Weiterentwicklung der Hightech-Strategie
zu stellen, wird diese Sache schwierig für den Wirt- liegt uns nun endlich ein Gesamtkonzept vor, in dem
schaftsstandort Deutschland. Wir alle sind uns doch ei- deutlich dargestellt wird, wo es in Zukunft hingehen soll.
nig, dass wir in Deutschland schneller und besser entwi- Das große Potenzial der deutschen Wissenschaft und
ckeln und produzieren müssen, um an der Weltspitze zu auch der deutschen Wirtschaft muss gezielt aktiviert
bleiben. Umso wichtiger ist es, dass Sie nicht durch das werden, um Lösungen für die zukünftigen globalen He-
aktuelle politische Handeln Ihre Hightech-Strategie kon- rausforderungen und Probleme zu erarbeiten; denn nur
terkarieren. so investieren wir in die Zukunft unserer Kinder.
Dass es immer etwas mehr sein könnte, glaube ich Ih-
Frau Ministerin, Sie haben gerade von der klima-
nen gerne. Ich denke, es ist schon wichtig, an dieser
gerechten Stadt gesprochen. Auch hier liegt ein wichti-
Stelle festzustellen, dass wir den Weg in die richtige
ges Zukunftspotenzial. Aber was machen Sie denn prak-
Richtung beschreiten. Es gibt vier Bedarfsfelder mit ent-
tisch in den Haushaltsdebatten gerade? Was ist mit der
sprechend deutlicher Schwerpunktsetzung. Mit dieser
CO2-Gebäudesanierung? Sie haben angekündigt, die
(B) Mittel dafür sollten gekürzt werden. Jetzt soll das ein deutlichen thematischen Ausrichtung muss es Deutsch- (D)
land gelingen, zukünftige Leitmärkte zu entwickeln und
Stück weit korrigiert werden. internationale Wettbewerbsvorteile zu schaffen.
Um eine klimagerechte Stadt zu entwickeln, brauchen Das Konzept beinhaltet aber mehr als nur die Festle-
wir auch einiges beim Stadtumbau. Schön ist, wenn der gung der Schwerpunkte. Ich halte es für außerordentlich
Titel für die Forschung aufgestockt wird. Aber was ist wichtig, dass es auch gelungen ist, in diesem Konzept
mit der Städtebauförderung? Glauben Sie denn, dass wir darzustellen, dass es notwendig ist, die Akteure zusam-
eine klimagerechte Stadt vernünftig hinbekommen, menzubringen. Die Zusammenarbeit von Wirtschaft
wenn Sie die Städtebauförderung kaputtmachen und und Wissenschaft an der Stelle ist der Schlüssel zu wei-
wenn Sie den Kommunen vor allem das notwendige teren Erfolgen.
Geld nehmen, um genau diese Innovation, die wir jetzt
erforschen, in ein paar Jahren umzusetzen? So wird das Ich möchte an dieser Stelle nur hervorheben: Unter
nie etwas. So kann das nicht funktionieren. dem Stichwort Validierungsförderung ist es uns erst-
mals gelungen, den Kreis zwischen der Grundlagenfor-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schung und der Forschung in angewandten Systemen tat-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sächlich zu schließen. So kann endlich der Weg von der
LINKEN) Produktentwicklung zu marktreifen Produkten verkürzt
und somit der Ablauf beschleunigt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Hightech-Strategie muss mehr als eine (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Strategie sein. Dabei darf es nicht nur um schöne haus-
haltspolitische Ansätze gehen, sondern man muss das, Wir haben damit endlich auch eine Lücke geschlossen
was man sich vorgenommen hat, in praktische Politik und für deutsche Wirtschaftsunternehmen Wettbewerbs-
umsetzen. Was im Haushalt im Bereich Forschung und vorteile geschaffen und natürlich auch zusätzliche Ar-
Entwicklung gemacht wird, widerspricht fundamental beitsplätze möglich gemacht. Nicht nur die großen
den Ansätzen, die in anderen Bereichen des Haushalts Unternehmen profitieren von der Hightech-Strategie,
verfolgt werden. Sie erfüllen das, was Sie im Bereich sondern vor allem auch die kleinen und mittelständi-
Forschung und Entwicklung an die Wand malen, durch schen Unternehmen. Diese etwa 4,5 Millionen kleinen
Ihre praktische Politik nicht mit Leben, sondern konter- und mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen
karieren es. investieren beträchtliche Summen in ihre Forschungs-
bereiche und sind sehr innovationsfreudig. Diese Inno-
(Beifall bei der SPD) vationskraft muss weiter gestärkt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7015
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
(A) Im Rahmen der Maßnahmen der Hightech-Strategie für die Innovationsrepublik Deutschland und für die Zu- (C)
werden beispielsweise auch in meinem Wahlkreis Cott- kunft unseres Landes.
bus/Spree-Neiße bereits jetzt 33 Projekte im Bereich
Ich bedanke mich.
Forschung und Entwicklung gefördert. Insgesamt erhal-
ten die Träger 26 Millionen Euro. Beispielsweise wird (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dort an einer neuen Generation von Solarzellen gearbei-
tet. Es geht im Kern auch darum, nicht nur irgendwel- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
chen Ideen nachzugehen, sondern wir orientieren uns Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte für
ganz stark an der Thematik Gesamtenergieeffizienz. Das die Fraktion Die Linke.
ist auch im Rahmen der Energieforschung ein ganz
wichtiger Punkt. (Beifall bei der LINKEN)

Das Bedarfsfeld Klima und Energie hat deshalb aus Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
forschungspolitischer Sicht einen besonders hohen Stel- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahr
lenwert; 2006 verkündete die Ministerin erstmals die Hightech-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Strategie. Dieses Paket war genau genommen schon von
der Vorgängerregierung geschnürt worden. Allerdings
denn gerade an dieser Stelle konzentrieren sich Techno- bekam das Ganze jetzt einen schicken und einprägsamen
logieoffenheit und Nachhaltigkeit in der Forschung. Das Aufkleber. Das reichte damals, weil sich an den Inhalten
ist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine nachhaltige und Adressaten nicht sehr viel geändert hatte.
und sichere Energieversorgung.
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das
Der Forschungsbedarf – das sagte ich bereits – ist ge- ist falsch!)
waltig. Es gibt eine ganze Reihe von Schwerpunktfel-
Deutschland sollte Hightech-Wachstums-Wunderland
dern, die ich aus Zeitgründen nicht alle nennen möchte.
werden.
Es geht um Transport, es geht um intelligente Netze, es
geht um das Thema Fusionsforschung, und es geht um Es war in dem Konzept ziemlich deutlich zu erken-
die gezielte CO2-Vermeidung, um nur einige zu nennen. nen, dass die geförderten Technologien den Global
Es geht dabei nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Pronold, Playern unter den deutschen Unternehmen auf den Leib
um Dinosaurier, sondern es geht darum, die Modelle tat- geschneidert worden waren. Mit öffentlichen Geldern
sächlich so zu entwickeln, dass sie auch mit Blick auf wurde klassische Industrieforschung massiv unter-
die Gesamtenergiebilanz nachhaltig sind. stützt, obgleich das eigentlich gerade für die Liberalen
(B) eine Kernaufgabe innovativer Unternehmensentwick- (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lung sein müsste. Mancher Lobbyist dürfte sich heute
der CDU/CSU) noch die Hände reiben.
Wir brauchen – das will ich an dieser Stelle hervorhe- Aber man ging in dieser Strategie sogar noch einen
ben – diesen Richtungswechsel tatsächlich dringend, um Schritt weiter. Man bediente vor allem diejenigen, die
endlich den Innovationsrückstand in der Energiefor- schon länger der Kanzler Lieblinge gewesen sind. So
schung, der ja vor allen Dingen aus den Zeiten von Rot- geht nämlich mindestens ein Drittel der Fördergelder in
Grün stammt, wieder aufzuholen. Richtung Automobilindustrie, und das kann, wie wir
gesehen haben, sehr schnell zur Sackgasse werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Priska Hinz [Herborn] (Beifall bei der LINKEN)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn!)
Man wollte mit dieser Strategie nicht nur neue Märkte
In der Energieforschung brauchen wir ein Innova- beherrschen. Nein, Sie wollten mit dieser Strategie
tionsniveau von etwa 1,5 Milliarden Euro. Im Koalitions- künstlich neue Leitmärkte schaffen, und zwar mit
vertrag wurden für Bildung und Forschung zusätzliche In- Steuergeldern. Insgesamt ging es um die Poleposition
vestitionen vereinbart. Wir haben gute Voraussetzungen, Deutschlands im Kampf um die Exportweltmeister-
weil wir über ein breit gefächertes Forschungssystem schaft, wenn sich Europa laut Lissabon-Strategie zum
verfügen, sodass es auch vonseiten der Wissenschaft wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschafts-
weitere Impulse geben wird. Diese Impulse schaffen raum der Welt aufstellte.
dann auch Freiräume für Innovationen. 2006 haben Sie große Ziele verkündet: 1,5 Millionen
Wer frühzeitig die Potenziale neuer Technologien und neue Arbeitsplätze sollten entstehen. Inzwischen ist die
ihre möglichen Anwendungsfelder erkennt, kann seine Innovationseuphorie etwas schaumgebremst. Dafür
Innovationspolitik entsprechend ausrichten. Nur durch sorgte eine Krise, die Quittung ungerechter Reichtums-
innovative Ideen, eine fundierte Grundlagenforschung verteilung und einseitiger Reichtumsanhäufung war.
und die Unterstützung neuer Wege zur Entwicklung in- (Beifall bei der LINKEN)
novativer Produkte können moderne Arbeitsplätze ent-
stehen. Die riesigen Summen wurden nämlich in Finanz-
marktspekulationen gepumpt, weil dort die Renditen hö-
Ich betone an dieser Stelle – damit komme ich zum her sind als bei realen wirtschaftlichen Investitionen. Es
Schluss –: Die Koalition setzt somit ein starkes Zeichen ist völlig klar, dass diese Mittel dann fehlen, um den
7016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Petra Sitte


(A) längst überfälligen Umbau der ressourcenfressenden und Die Hightech-Strategie bleibt so einseitig, weil in den (C)
expansiven Wirtschaftsentwicklung zu vollziehen. Da- Beratungsgremien wie der Forschungsunion „Wirt-
her ist es auch nicht verwunderlich, dass die Hightech- schaft – Wissenschaft“, im Bio-Ökonomie-Rat, beim In-
Strategie bis heute von dieser Logik geprägt ist. Übri- novationsdialog der Kanzlerin oder auch in der eben erst
gens konnte die Bundesregierung bis heute nicht nach- gegründeten Nationalen Plattform Elektromobilität zahl-
weisen, wie viele Arbeitsplätze durch die Hightech-Stra- reiche Wirtschaftslobbyisten sitzen, und diese richten
tegie entstanden sind. Wissenschaft nach ihren konkreten Interessen strate-
gisch aus. Was fehlt, sind fast durchgängig Vertreterin-
Die Linke hat bereits 2006 kritisiert, dass bei Ihnen nen und Vertreter der Zivilgesellschaft. So kommen bei-
Wachstum vor Nachhaltigkeit kommt. Trotz Konzentra- spielsweise von den 148 Mitgliedern der Arbeitsgruppe
tion auf wenige Themenfelder, wie Sie vorhin ausgeführt der Nationalen Plattform Elektromobilität 111 aus der
haben, und vielversprechender Titel in der neuen Strate- Industrie. Umwelt- und Verbraucherverbände durften
gie bleibt es dabei: Technologien allein – so sehr sie – raten Sie einmal! – lediglich drei Vertreterinnen und
auch als Hightech daherkommen mögen – lösen viele Vertreter entsenden.
globale Grundkonflikte nicht.
Schließlich werden die Hightechlinien vor allem
(Beifall bei der LINKEN) – das verwundert uns nicht – von Männern aufgelegt. In
Sie können bestenfalls befristet Symptome deckeln, und den genannten Beratungsgremien ist weniger als ein
das auch nur dann, wenn sich die betreffenden Länder Drittel weiblich. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass
diese tollen Entwicklungen überhaupt leisten können. die Technologiefixierung der Hightech-Strategie vor al-
Ein gleichermaßen notwendiger Bestandteil einer High- lem männlichen Denkmustern folgt? Frauen würden
tech-Strategie ist Forschung, die die sozialen, kulturellen nachgewiesenermaßen viele gesellschaftliche Probleme
und ökologischen Ursachen für Konflikte untersucht und anders angehen. Vielleicht wären es nicht zuerst Assis-
gesellschaftliche Bedingungen zu deren Lösung konzi- tenzsysteme und Pflegeroboter, die Forscherinnen als
piert. Das können und müssen Sie dann verzahnen mit Antwort auf die Alterung unserer Gesellschaft geben
Anwendungsbedingungen für Technologien in diesen würden. Hightechentwicklung konsequent als Vereinfa-
Ländern. Die Bedingungen unterscheiden sich eben bei- chung von Technologien zu denken, um diese so auch
spielsweise zwischen Europa und Afrika deutlich. Die- robuster sowie anwendungs- und alltagstauglicher zu
ser Ansatz fehlt in diesem Konzept gänzlich, genauso machen, ist kein Ziel Ihrer Technologiepolitik.
wie das gesamte Forschungsfeld nachhaltiges Wirtschaf- „Demokratie heißt Entscheidung durch die Betroffe-
ten. nen.“ So jedenfalls hat es Carl Friedrich von Weizsäcker
(B) (Beifall bei der LINKEN) gesehen. Forschung in der Demokratie braucht demokra- (D)
tische Forschungspolitik. Da haben Sie noch verdammt
Dass Chancen vergeben werden – das ist vorhin ange- viel nachzuholen.
klungen –, zeigt sich sehr deutlich im Bereich der Ener-
gieforschung. Dass Energieversorgung auf erneuerbare (Beifall bei der LINKEN)
Energien umgestellt und Energieeffizienz drastisch und Dazu gehören nun einmal auch die Träger der For-
schnell verbessert werden muss, gehört zu den Grundbe- schungsleistungen. Deshalb muss ich Sie erneut daran
dingungen, um den Klimawandel zu verzögern. Wie erinnern, dass die Förderung des wissenschaftlichen
aber reagiert diese Regierung? Sie gibt für die Erfor- Nachwuchses eine von fünf Säulen der Hightech-Strate-
schung fossiler und nuklearer Energieträger 290 Millio- gie von 2006 war. Ich habe mich in den letzten Monaten
nen Euro aus. Für erneuerbare Energien und Effizienz- mehrfach mit Nachwuchsforschern und -forscherinnen
technologien stellt sie nur 190 Millionen Euro bereit. getroffen. Deren Erfahrungsberichte, aber auch Statisti-
Offensichtlich haben auch hier die Energiemonopolisten ken belegen eindeutig, dass sich die Situation des Nach-
gewonnen. Das ist nun wahrlich keine High-Performance wuchses in den letzten Jahren deutlich verschlechtert
Ihres Zukunftsdenkens. hat. Der Trend, mehr Stipendien statt Stellen zu verge-
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista ben, muss endlich gestoppt werden.
Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN)
Im gleichen Licht spiegelt sich das Sicherheitsfor- So steuert nun beispielsweise die Deutsche Forschungs-
schungsprogramm. Ihre Logik ist: Der demokratische gemeinschaft mit sinnvollen Änderungen in der Förder-
Verfassungsstaat wird bedroht von Terror, Cyberkrimi- praxis gegen diesen Trend. Kein Umdenken lässt sich
nellen und näher kommenden Kriegsherden. Vor dieser dagegen aus der Neufassung der Hightech-Strategie er-
Kulisse sollen Hochtechnologien zu Abwehr und Über- kennen; denn da wird der wissenschaftliche Nachwuchs
wachung samt daraus entstehenden neuen Märkten auf- noch nicht einmal erwähnt. Wer hier ständig von Fach-
gerüstet werden. So versprechen beispielsweise Körper- kräftemangel redet und ihn beklagt, muss jungen, enga-
scanner zwar leichtere Kontrollen auf Flughäfen. Aber gierten Menschen auch in diesem Bereich echte Chancen
wirklich sicherer wird es in dieser Welt nicht. Ganz ab- eröffnen.
gesehen davon, dass die Italiener gerade diese Scanner
als untauglich wieder abmontieren, wissen wir doch: (Beifall bei der LINKEN)
Viele Wege führen nach Rom.
Schließlich – das darf nicht fehlen – wird die innova-
(Beifall bei der LINKEN) tive Forschung durch das Kooperationsverbot erheb-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7017
Dr. Petra Sitte
(A) lich beschränkt. So gibt es in Deutschland beispielsweise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C)
46 Ministerien, die sich in irgendeiner Weise mit Ener- Zuruf von der FDP: Lenken Sie nicht von Ih-
gieforschung auseinandersetzen. Außeruniversitäre For- ren eigenen Fehlern ab!)
schungseinrichtungen und Universitäten können eben
Das macht die Sache extrem teuer, das bringt hohe Mit-
nach Art. 91 b des Grundgesetzes nicht direkt miteinan-
nahmeeffekte. Die Großkonzerne profitieren von zahl-
der kooperieren. Sie müssen mühsam bürokratische, ver-
reichen Projektförderprogrammen, und sie sind Profis
tragliche Umwege gehen. Professor Jäckle, Vizepräsi-
bei der Steuergestaltung. Sie hätten hier lieber das ma-
dent der Max-Planck-Gesellschaft, appellierte unlängst
chen sollen, was die Grünen schon in der letzten Legisla-
an uns Parlamentarier: Wissen muss der Anwendung vo-
turperiode gefordert haben: Konzentration auf kleine
rausgehen.
und mittlere Unternehmen. Das ist zielgenau und ver-
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass das Ko- braucht weniger Mittel.
operationsverbot in der Anwendung völlig unnötige Bar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
rieren baut. Deshalb – lassen Sie mich das abschließend
sagen – muss es endlich, auch im Interesse leistungsfähi- Sie beziehen die Großkonzerne mit ein und würden des-
ger Forschung, fallen. halb die meisten Mittel für Autokonzerne und Pharma-
konzerne einsetzen. Es gäbe ein starkes Nord-Süd-Ge-
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. fälle, und Ostdeutschland würden Sie dabei gar nicht
(Beifall bei der LINKEN) erreichen.
Sie sind jetzt zweimal an Ihrem Klienteldenken ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: scheitert, einmal an den Hotels und der FDP und zum
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die anderen an den Großkonzernen.
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Krista
Sagers Märchenstunde!)
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hören Sie endlich mal auf die Grünen, dann klappt es
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem auch mit der steuerlichen Forschungsförderung und den
zentralen Vorhaben Ihrer Hightech-Strategie für die Ver- Haushältern.
besserung der Rahmenbedingungen für kleine und mitt-
lere Unternehmen, die hochinnovativ sind, nämlich bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
der steuerlichen Forschungsförderung, sind Sie kläg- Die Expertenkommission Forschung und Innovation
lich gescheitert, und zwar an sich selber. hat mehrmals angemahnt: Wir brauchen mehr Budget- (D)
(B)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN transparenz bei der Hightech-Strategie, und wir brau-
und bei der LINKEN) chen vor allen Dingen eine Evaluierung der Instrumente.
Davon ist auch nach sechs Jahren keine Rede. Im Ge-
Die bittere Wahrheit ist ganz einfach: 1 Milliarde Euro genteil: Bei Ihrer Hightech-Strategie überhaupt zu einem
an Steuergeschenken für Hoteliers war Ihnen schlicht differenzierten Überblick und zu einer differenzierten
wichtiger. Bewertung zu kommen, wird immer schwieriger. Da-
durch wird auch die qualitative Bewertung, ob diese
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hightech-Strategie eigentlich die Antwort auf die ökolo-
Zuruf von der FDP: Sie sind Ideologin!) gischen Herausforderungen gibt, immer schwieriger.
Da war einfach kein Geld mehr für die steuerliche For- Aber Transparenz ist offensichtlich auch gar nicht ge-
schungsförderung übrig. wollt. Wenn fast 35 Prozent der Energieforschungsmittel
aufgebracht werden müssen, um kerntechnische For-
Ich finde es interessant, dass eine Partei, die glaubt, schungsanlagen zurückzubauen, dann ist das eine teure
sie hätte den Fortschritt geradezu gepachtet, die erste ist, Vergangenheitsbewältigung.
die dieses Vorhaben für diese Legislaturperiode für beer-
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das
digt erklärt. Die Kollegen von der CDU tun ja wenigs-
haben Sie doch alles blockiert!)
tens noch so, als wollten sie jetzt mit den Haushältern in
die nächste Runde gehen. Die Ministerin selber sagt ja Uns diese Ausgaben als Zukunftsausgaben unterzuju-
immerhin noch: Wollen wir das mit der Hotelierssubven- beln, ist schlicht eine gewaltige Mogelpackung.
tionierung nicht noch einmal überdenken? – Aber die
FDP hat dieses Projekt wegen der Hoteliers tatsächlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
beerdigt. Wenn 29 Prozent der Energieforschungsmittel in die
Fusionsforschung fließen,
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das ist
nicht wahr! Alles Märchen!) (Patrick Meinhardt [FDP]: Ganz wichtige
Forschung!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie
haben sich die Auseinandersetzung mit den Haushältern obwohl wir wissen, dass sie in den nächsten 30, 40 Jah-
künstlich schwer gemacht, und zwar dadurch, dass Sie ren keinen Beitrag zur Energieversorgung leisten wird,
die Großkonzerne in die steuerliche Forschungsförde- dass sie auf zentrale, große Anlagen ausgerichtet ist, die
rung einbeziehen wollen. sehr teuer sein werden, und in ein dezentrales System er-
7018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Krista Sager
(A) neuerbarer Energien mit intelligenten Netzen gar nicht Ein anderer Kritikpunkt der sogenannten EFI-Gutach- (C)
hineinpassen wird, ter ist die mangelnde Fokussierung. 17 Hightechsekto-
ren sind einfach zu viel. Was machen Sie jetzt? Sie ver-
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Woher
teilen Ihre 17 Hightechsektoren auf fünf Bedarfsfelder
wissen Sie das?)
und sieben Schlüsseltechnologien. Es gibt nicht einen
dann ist auch das keine Ausrichtung auf die ökologi- einzigen guten alten Bekannten aus den 17 Hightechsek-
schen Herausforderungen, und es ist keine wirkliche toren, den man dort nicht wiederfindet. Sie erfinden neue
Ausrichtung dieser Strategie auf Zukunftsmärkte. Überschriften, aber nehmen keine Fokussierung vor.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Anspruch und Wirklichkeit driften bei Ihnen fundamen- Jetzt frage ich mich aber: Warum tun Sie sich bei der
tal auseinander. Fokussierung, bei der Budgettransparenz, bei der Orien-
tierung auf innovative kleine und mittlere Unternehmen,
(Patrick Meinhardt [FDP]: Mit Fundamentalis- bei der Orientierung auf ökologische Herausforderungen
mus kennen Sie sich aus!) und bei den wissensintensiven Dienstleistungen eigent-
In der Forschungspolitik wollen Sie intelligente Netze lich so schwer? Die Ausrichtung der Hightech-Strategie
und erneuerbare Energien fördern; aber durch Ihre reale findet vorrangig durch Experten der sogenannten For-
Politik der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke schungsunion statt, die gleichzeitig die entschiedensten
verstopfen Sie die jetzigen Netze. Das führt dazu, dass Lobbyisten der großen, starken Traditionsbereiche sind.
die erneuerbaren Energien in Deutschland Marktanteile Das ist Eon, das ist BASF, das ist BMW, das ist Bayer,
abgeben werden. das ist Boehringer. Keine Frage, auch sie haben ihren
Stellenwert für Arbeitsplätze in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Warum (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]:
wiederholen Sie immer wieder dieses Mär- Wirklich? Gut erkannt!)
chen? Das ist ein Märchen!) Aber wenn sie die Hightech-Strategie dominieren und
Die Expertenkommission Forschung und Innovation, ausrichten, dann haben es neue Innovationsfelder, dann
die Sie selber eingesetzt haben, hat mehrfach darauf hin- haben es hochinnovative kleine Unternehmen einfach
gewiesen, dass wir zu wenig Dynamik bei den Spitzen- schwer. Das zeigt doch Ihre steuerliche Forschungspoli-
technologien und vor allen Dingen bei den wissensinten- tik: Sie machen lieber überhaupt nichts, bevor Sie ir-
siven Dienstleistungen haben. Die wissensintensiven gendjemandem von den Großen einmal auf die Zehen
Dienstleistungen sind in Ihrer Hightech-Strategie aber treten, indem Sie sich auf kleine und mittlere Unterneh-
(B) men konzentrieren. (D)
seit Jahren vollkommen unterbelichtet. Für diesen Be-
reich haben Sie in der Vergangenheit gerade einmal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
17,5 Millionen Euro ausgegeben. In Ihrem eigenen For-
schungsbericht nimmt dieses Thema nur eine halbe Seite Zum Schluss möchte ich noch etwas zum 3-Prozent-
ein. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind aber Ziel sagen. Auch dieses Jahr werden wir das 3-Prozent-
von entscheidender Bedeutung bei der Frage: Wie kön- Ziel nicht erreichen, obwohl der Bund mehr Geld für
nen wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Wertschöpfung Forschung und Entwicklung ausgibt. Das liegt daran,
auch in Deutschland stattfindet? Technik können inzwi- dass die Länder leider hinterherhinken. Das liegt auch
schen auch die anderen, und sie können sie meistens bil- daran, dass Sie ihnen durch Ihre Steuerpolitik die Basis
liger. In der Verbindung von komplementären wissens- für Investitionen in Frühförderung, Schule und Hoch-
intensiven Dienstleistungen mit technologischen Stärken schule entziehen. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir den
liegt eine ganz große Chance. Ländern die Basis für die Bildungsausgaben entziehen,
dann können wir das durch die beste Hightech-Strategie
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Sie in Deutschland nicht kompensieren; denn die Zukunft
sorgen doch dafür, dass es hier nicht funktio- fängt bei der Bildung in den Bundesländern an.
niert!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie wird in Deutschland aber leider nicht ergriffen, und sowie bei Abgeordneten der SPD)
das ist ein mentales Problem, das sich auch in Ihrer
Hightech-Strategie fortsetzt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Heinz
Patrick Meinhardt [FDP]: Das mentale Pro- Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
blem haben die Grünen in dieser Republik!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie sollten sich im Hinblick auf die Zukunft Ihrer
Hightech-Strategie vielleicht einen kleinen Merkzettel
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
machen: Es gibt auch Innovationen ohne einen Motor. In
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
diese Richtung sollten Sie einmal weiterdenken.
Herren! Liebe Frau Sager, Sie haben mit großer Ent-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlossenheit dargestellt, was alles so schrecklich falsch
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- läuft. Insbesondere klingt es bei Ihnen so, als ob wir hier
KEN) einen Gegensatz zwischen großen Unternehmen einer-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7019
Dr. Heinz Riesenhuber
(A) seits und kleinen und mittleren Unternehmen anderer- halte das für richtig, vernünftig und klug in der Gesamt- (C)
seits aufbauen sollten. Wir brauchen aber alle. strategie.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wo ist sie denn?)
Die Stärke Deutschlands besteht auf der einen Seite
darin, dass wir mit sehr großen Unternehmen erfolgreich Ich fand es prima, dass Frau Schavan vor dem For-
in den Weltmärkten sind, und auf der anderen Seite da- schungsausschuss in der letzten Diskussion zum Haushalt
rin, dass wir einen vielfältigen und differenzierten Mit- sehr deutlich gesagt hat, dass unsere Forschungsstrategie
telstand haben. Die Strategie der letzten Jahre zeigt: Nir- künftig drei Säulen haben muss: die Projektförderung,
gends sind so starke Steigerungen zu verzeichnen wie die institutionelle Förderung und die steuerliche For-
beim Mittelstand, und nirgends waren wir so erfolgreich schungsförderung. Daran werden wir herzlich arbeiten –
wie beim forschenden Mittelstand. mit der Unterstützung unseres freundschaftlich und brü-
derlich verbundenen Koalitionspartners.
Schauen Sie sich die Zahlen an – wenn auch Geld
manchmal nicht alles ist; Intelligenz ist durchaus zusätz- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
lich hilfreich –: der FDP)
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und – Dieser klatscht mit der gleichen Begeisterung. Niemand
der FDP – Florian Pronold [SPD]: War das soll daran zweifeln, dass wir das gemeinsam schaffen
Selbstkritik?) werden. Aber auch die Opposition ist dazu herzlich ein-
geladen.
Die Mittel für die Förderung des Mittelstands sind in
den letzten Jahren von 600 Millionen Euro auf 950 Mil- Was wir in den ersten vier Jahren der Hightech-Strate-
lionen Euro erhöht worden. Das Programm ZIM hat sich gie erreicht haben, ist ein Sprung über die Erwartungen
besonders in den neuen Bundesländern bei der Zusam- hinaus und über die Krise hinweg. Die Ausgaben des
menführung von unterschiedlichen alten Programmen Bundes sind gestiegen. Wir haben die Forschungsausga-
glänzend bewährt. Es ist technologieoffen. Es ist für je- ben des Bundes um ein Drittel erhöht, von 9 Milliarden
den da. Es ist breit aufgestellt. ZIM-SOLO – so heißt es, Euro auf 12 Milliarden Euro im Jahr. Herr Röspel, den
wenn Einzelprojekte gefördert werden – haben wir in ich heute hier nicht in leiblicher Gestalt unter uns sehe,
den alten und neuen Bundesländern stark aufgestellt. Die hat hier in einer Debatte vor der Sommerpause darauf
Dynamik hat gezündet. Der Mittelstand hat seine For- hingewiesen, dass die Forschungsausgaben unter
schungskapazitäten in den letzten Jahren noch stärker Schröder so wunderbar gestiegen seien. Unter Schröder
ausgeweitet als die großen Unternehmen. Das ist der Er- stiegen die Ausgaben für Forschung in sieben Jahren um
(B) folg einer gezielten Strategie in Kooperation mit den Un- 700 Millionen Euro. In der letzten Legislaturperiode un- (D)
ternehmern, die allein einstehen und kämpfen für ihre ter unserer Regierung sind diese Ausgaben innerhalb
Sache, die Ideen und Unternehmungsgeist haben. von vier Jahren um 3 Milliarden Euro gestiegen.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zuruf von der FDP: Aha!)
Dann müssen Sie das aber auch fördern!) Wir haben in der Tat den Aufbruch Deutschlands in
die Wissensgesellschaft zu einem herausragenden
Da helfen wir und schaffen wir die Voraussetzungen.
Thema gemacht. Für diese Periode haben wir für Bil-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dung und Forschung einen Mittelaufwuchs von jeweils
6 Milliarden Euro vorgesehen. Wir investieren in die
Ich bin dankbar und glücklich, dass wir damit rechnen Bildung, weil wir die Menschen brauchen, die For-
können, dass Sie von der SPD uns bei der steuerlichen schung können, die Wissenschaft können, die Technik
Forschungsförderung mannhaft unterstützen werden. können, die die Welt so verstehen, dass sie sie gestalten
(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: können.
Wo bleibt die denn?) Wir investieren in die Forschung mit dem Willen, die
Ich finde das uneingeschränkt positiv. Wir haben jetzt Stärke aufzubringen, etwas zu machen, was andere noch
ein Jahr in dieser bürgerlichen Koalition die Zukunft nicht können. Nur so bewahren wir unseren Wohlstand
Deutschlands gestaltet. Wenn wir nicht noch Aufgaben in einer offenen und kompetitiven Welt. Das ist die Auf-
hätten, die wir erledigen müssen, könnten wir aufhören, gabe, von der wir auszugehen haben.
zu regieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) Messen Sie das einmal am Erfolg! Wir sind immer
Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der The- noch führend in der Umwelttechnik: 16 Prozent Welt-
men. Wir arbeiten daran, marktanteil.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Klaus Hagemann [SPD]: Noch!)


Wo ist das denn im Haushalt?) – Wir sind an der Spitze, jawohl! Wir werden weiter da-
ran arbeiten. – Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch eine
und zwar in der Form, dass die mittelständischen Unter-
Viertelstunde zusätzlich geben,
nehmen auf die Forschung bezogen dreimal so stark ge-
fördert werden sollen wie die großen Unternehmen. Ich (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
7020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Heinz Riesenhuber


(A) dann erkläre ich dem Kollegen das im Einzelnen. Das ist die Herzlichkeit, in der man dort miteinander umgeht – (C)
ein Angebot, keine Drohung, Herr Kollege. über alle Ressorts hinweg.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Sie beklagen, dass sechs Minister zum Thema Elek-
der FDP) tromobilität antreten. Das ist doch nichts anderes als ein
Ausweis dafür: Wir alle stehen zusammen, wenn es gilt,
Wir müssen doch einmal anerkennen, wo wir stehen die Herausforderungen zu meistern. Auch in den soge-
in der Lasertechnik, in der Automobilindustrie, im Ma- nannten technikfernen Ressorts haben wir begriffen,
schinenbau, in der Chemie! Die Voraussetzungen sind dass die Chance darin liegt, Deutschland als Wissensge-
gut. sellschaft in einer offenen Welt stark und lebendig zu
halten, sodass alle Freude daran haben, an der neuen
Die Hightech-Strategie ist ein vernünftiger Ansatz. Welt selbst mitzugestalten, auch die Grünen und die So-
Frau Sager, die Konzentration auf die fünf globalen zialdemokraten. Hier stehen wir in brüderlicher Verbun-
Herausforderungen, die hier mehrfach zitiert worden denheit für die Zukunft Deutschlands, wenn auch man-
sind, hat ihren Sinn. Bei der Vielfalt und Fülle von Wis- che auf etwas irrigen Wegen.
senschaft, die überall entsteht, ist nicht alles gleicherma-
ßen zu fördern. Der Markt regelt vieles. Dafür gibt es un- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
sere technologieoffenen Programme und sicherlich bald der FDP)
auch die steuerliche Forschungsförderung. Es geht da-
rum, das auf Ziele und Problemlösungen hin auszurich- Was daraus entstehen kann, ist eine Zukunft, in der
ten, sodass wir das mitgestalten, was ich immer als ein wir erfolgreich sind. Es geht darum, die Zukunft zu er-
Anliegen der Grünen für die künftige Welt verstanden finden, für uns und für andere, indem wir einen Beitrag
habe: eine humane Welt, in der wir langfristig leben kön- leisten zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Erde,
nen, in der wir nachhaltig Wirklichkeit gestalten, in der bei der die Menschen mit Freude in die Zukunft gehen
wir verantwortlich mit begrenzten Ressourcen umgehen und sich nicht immer nur verhaken, wie das in den Ta-
und in der wir Frieden dadurch garantieren, dass wir gesdebatten des Deutschen Bundestages mitunter der
durch eine offene und starke Entwicklung unserer Tech- Fall ist. Es gilt, in einem gemeinsamen Geist Zukunft zu
nik und unserer Gesellschaft allen Völkern und Men- gestalten – mit fröhlicher Zuversicht, wie sie dieser Re-
schen in der Welt Chancen geben. Das ist die Aufgabe, gierung in hervorragender Weise zu eigen ist.
an der wir arbeiten. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
der FDP – Lachen bei der SPD und dem
Nun gibt es verschiedene Zukunftsprojekte. Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
werden sie noch im Einzelnen zu definieren haben. Viele
(B) sind schon genannt worden, etwa die nachhaltige Stadt (D)
oder die Elektromobilität. Ich fand es auch prima, dass Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
hier gesagt wurde: Man soll im Alter ein selbstbestimm- Nun hat das Wort die Kollegin Andrea Wicklein für
tes Leben führen können. Gell? die SPD-Fraktion.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)

Freunde, wir alle werden mal alt werden. Das Alter be- Andrea Wicklein (SPD):
ginnt jeweils 15 Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem ich
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
gerade stehe.
Kollegen! Lieber Professor Riesenhuber, ich bewundere
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre schauspielerischen Talente wirklich sehr. Wir disku-
tieren jedoch heute über sehr ernsthafte Fragen, nämlich
Klug zu überlegen, wie das Ganze anzulegen ist, nicht über folgende zentralen Fragen für die Entwicklung un-
nur im Pharmabereich, nicht nur in der Medizintechnik, seres Landes: Kann Deutschland auch in Zukunft seinen
sondern auch bei der sozialen Teilhabe, in den Infra- technologischen Vorsprung halten? Können wir die He-
strukturen – wo es zum Beispiel in dem Projekt rausforderungen meistern, denen sich eine Industrie-
„1 000 Wohnungen mit innovativer Technik“ darum nation wie Deutschland zukünftig stellen muss?
geht, auch im hohen Alter ein Leben in Menschlichkeit,
Selbstbestimmung und mit Freude an sinnerfüllten Tä- Die Hightech-Strategie betrachtet diese Fragen aus
tigkeiten möglich zu machen –, das ist eine der Aufga- forschungspolitischer Sicht. Wirklich spannend wird es
ben, für die die Strategie aufgelegt wurde. aber erst dort, wo die Erkenntnisse der Forschung tat-
sächlich Eingang in den Wertschöpfungsprozess finden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wirtschaftspolitisch geht es um die richtigen Rahmen-
bedingungen, damit dieser Transfer von Forschung in
Wir haben durchaus noch dicke Bretter zu bohren, die Wirtschaft gelingt.
aber unsere Stärken sind die brüderliche Verbundenheit,
die Eintracht und die Standfestigkeit unserer Bundes- Worauf kommt es an? Was fehlt aus unserer Sicht an
regierung, der Strategie der Bundesregierung, und was muss stärker
gewichtet werden? Für uns Sozialdemokraten ist klar:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen wird da-
chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE ran gemessen, ob es gelingt, immer wieder neue innova-
GRÜNEN) tive Produkte zu entwickeln. Ihre Produktivität darf also
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7021
Andrea Wicklein
(A) nicht nur daran gemessen werden, ob möglichst viele der Verteilungskampf längst im vollen Gange. Wo ist (C)
Arbeitsplätze freigesetzt werden, vielmehr bemisst sich denn da die Strategie der Bundesregierung? Meines Er-
Erfolg heute daran, wie effizient man mit den immer achtens hätte die Sicherstellung der Rohstoffe als sechs-
knapper werdenden Ressourcen umgeht und wie man tes Bedarfsfeld in Ihre Hightech-Strategie aufgenommen
mit weniger Energie, auf weniger Fläche und mit weni- werden müssen.
ger Rohstoffen produziert.
Die Hightech-Strategie muss nicht zuletzt die Rah-
Vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Kräfte- menbedingungen dafür schaffen, dass dynamische
verhältnisse auf dem globalen Markt müssen wir die Hochtechnologiefelder nicht in die Schwellenländer ab-
technologische Führerschaft bei der Lösung dieser Auf- wandern. Wichtig bleibt dabei vor allem, die KMU zu
gaben verteidigen. China wird nach Prognosen der unterstützen, die sich stark in Forschung und Entwick-
Weltbank schon in 17 Jahren die USA als größte Wirt- lung engagieren wollen. Deshalb ist das Zentrale Inno-
schaftsnation der Welt überholen. Indien, Brasilien und vationsprogramm Mittelstand unverzichtbar; das sieht
Russland werden in 40 Jahren Deutschland an Wirt- die SPD genauso. Deshalb fordern wir die Bundesregie-
schaftskraft um ein Vielfaches übertreffen. Der Aufhol- rung auf, dafür zu sorgen, dass die nicht ausgeschöpften
prozess der Schwellenländer verläuft in einem rasanten Mittel aus dem Konjunkturpaket dem ZIM auch weiter-
Tempo, weil sie massiv in Forschung, Innovation und hin zur Verfügung stehen. Ergänzt werden muss diese
die Ausbildung ihrer Menschen investieren. Dem müs- wichtige Projektförderung durch eine steuerliche FuE-
sen wir etwas entgegensetzen. Förderung. Das hat die Bundesregierung, wie wir heute
gehört haben, bereits ad acta gelegt. Der neue Impuls für
Der Erfolg des Hightechstandortes Deutschland wird mehr Forschung in den Unternehmen bleibt also leider
davon abhängen, ob es uns gelingt, Innovationspolitik aus.
aus einem Guss zu machen, wie es uns die Experten des
„Gutachtens zu Forschung, Innovation und technologi- Ich wiederhole: Wir brauchen eine Innovationspolitik
scher Leistungsfähigkeit Deutschlands“ mit auf den Weg aus einem Guss. Wir brauchen mehr Anreize für die For-
gegeben haben. Hightech ist kein Selbstzweck. Eine schung in den Unternehmen. Wir brauchen intelligente
Hightech-Strategie braucht klar abgesteckte Ziele. Lei- ressourcenschonende Technologien, um den Rohstoffbe-
der fehlen diese in Ihrer Strategie. Ein klares Ziel könnte darf von morgen zu sichern. Wir brauchen dringend eine
sein, die Führerschaft in der Effizienzrevolution zu über- Strategie, um dem demografischen Wandel gerecht zu
nehmen, wie es Frank-Walter Steinmeier ausgedrückt werden und Bildung und Qualifikation der Menschen in
hat. den Mittelpunkt zu stellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ganz herzlichen Dank.
(B) Dazu müssen aber Voraussetzungen geschaffen werden. (Beifall bei der SPD) (D)

Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei dem


Umgang mit dem demografischen Wandel zu. Dazu Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
haben Sie, Frau Ministerin, nichts gesagt. Wo sind denn Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Röhlinger
Ihre Strategien zum Umgang mit der zunehmenden für die FDP-Fraktion.
Überalterung und dem daraus resultierenden Fachkräfte-
mangel? Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
eine Hightech-Strategie zu entwickeln, ohne diesen we-
sentlichen Fakt zu berücksichtigen. Natürlich ist die Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Nachwuchssicherung die Voraussetzung für unsere tech- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
nologische Leistungsfähigkeit. Aber so, wie wir unsere Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute in Anwe-
Anstrengungen verstärken müssen, jungen Menschen senheit von Herrn Professor Riesenhuber über Strategien
technologieaffine Bildung schmackhaft zu machen, so für Forschung zu sprechen, ist für mich eine ganz beson-
müssen wir gleichzeitig die Erfahrungen der Älteren nut- dere Freude. Ich will vor diesem Hohen Haus diesbezüg-
zen und alles dafür tun, dass diese auch zukünftig Leis- lich ein Geheimnis lüften: Herr Professor Riesenhuber
tungsträger unserer Gesellschaft sein können. war einst Bundesminister für Forschung und Technolo-
(Beifall bei der SPD) gie und in dieser Funktion in Jena auf dem Beutenberg,
und zwar an der Stelle, wo heute das Max-Planck-Insti-
Die SPD-Fraktion hat deshalb gefordert, in den Haushalt tut, das Leibniz-Institut, das Fraunhofer-Institut und wei-
2011 des Bundeswirtschaftsministeriums einen eigenen tere Institute stehen. Ich war damals der Oberbürger-
Titel zur Bewältigung des demografischen Wandels in meister dieser Stadt. Mir war daran gelegen, das
der Wirtschaft aufzunehmen. Die Koalitionsfraktionen Potenzial, das in dieser Stadt seit Generationen vorhan-
haben diesen Antrag leider abgelehnt. den war, auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Lieber
Herr Professor Riesenhuber, dass wir nun in diesem Ho-
Eine weitere wesentliche Herausforderung mit erheb- hen Hause als Redner einander ablösen, zeigt, dass zu
licher Tragweite für die Wirtschaft ist der zunehmende diesem Zeitpunkt Strategien entwickelt worden sind, die
Rohstoffmangel und der immer schärfer werdende Kon- dazu geführt haben, dass es in dieser Stadt vorwärtsge-
kurrenzkampf darum. China schränkt aktuell den Export gangen ist. Ansonsten stünde ich heute nicht hier,
von Spezialrohstoffen, den sogenannten seltenen Erden,
ein, die für wichtige Hochtechnologiebranchen unent- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie wären im-
behrlich sind, und auf dem afrikanischen Kontinent ist mer noch Oberbürgermeister!)
7022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Peter Röhlinger


(A) und unserem Land ginge es nicht so gut. schaft gibt heute pro Jahr über 5,5 Milliarden Euro mehr (C)
aus als 2005.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Nun sehe ich, dass das Licht blinkt. Die Präsidentin
Ich kann mich gut erinnern, dass es im Jahre 1990 so
hat sich noch nicht zu Wort gemeldet; aber ich weiß,
schien – das wurde uns glauben gemacht –, als befänden
dass ich meine Ausführungen beenden sollte. Lassen Sie
wir uns an einem Übergang zur Informations- und
mich zusammenfassen: Heute ist ein guter Tag, weil wir
Dienstleistungsgesellschaft. Die Realität sieht Gott sei
uns im Hohen Hause über diese Dinge unterhalten kön-
Dank anders aus. Die Bundesrepublik Deutschland, im
nen. Wir gehen auf eine gute Zeit zu.
Herzen von Europa gelegen, ist eine starke Industriena-
tion. Wir sind Jobmotor geworden. Wir sind mit der (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir sind auf ei-
Krise schneller fertig geworden als andere Länder. Dabei nem guten Weg!)
ist festzuhalten: Die Bruttowertschöpfung in diesem
Land liegt zu 25 Prozent in der materiellen Produktion Ich bin so weit optimistisch, dass dies unter der christ-
und zu 25 Prozent in der Dienstleistungswirtschaft. Das lich-liberalen Regierung besonders gut gelingen wird.
ist ein gesundes Verhältnis und ein gutes Zeichen für die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hohe Disponibilität unseres Landes in den vergangenen
Jahren. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Da wir gerade über Disponibilität sprechen, möchte Das Wort hat nun der Kollege Klaus Hagemann für
ich noch auf eines hinweisen: Die Kraft, derer es be- die SPD-Fraktion.
durfte, diese Situation zu meistern, wurde aus der hohen
(Beifall bei der SPD)
Bildung und der Motivation der Bürger geschöpft. Dies
gilt auch für die neuen Bundesländer; das wird häufig
unterschätzt. Auch die Bürger der DDR waren gebildet. Klaus Hagemann (SPD):
Wir waren nicht nur gebildet, sondern obendrein auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
noch geschult: Wir haben mit einem hohen Abstrak- Damen und Herren! Herr Professor Riesenhuber, ich
tionsvermögen auf Durchzug geschaltet, wenn die Rot- kann nicht so wie Sie in lyrischer Perfektion und epi-
lichtbestrahlung angestellt wurde; aber wenn es um wis- scher Breite schildern, worum es geht, und nicht – wie
senschaftliche Fakten ging, haben wir sehr aufmerksam Sie es getan haben – Wunsch und Wolke darstellen.
zugehört und es uns gut gemerkt. (Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Wir sind
Wie ist der gegenwärtige Stand? uns in der Sache einig!)
(B) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Der Durchzug In einem Punkt hat die Kollegin Sitte recht: Die High- (D)
kommt!) tech-Strategie, über die wir beraten, ist eine Weiterent-
wicklung der rot-grünen Forschungspolitik unter
Führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirt- Edelgard Bulmahn und Bundeskanzler Gerhard
schaft haben sich im Jahr 2010 in der Forschungsunion Schröder. Frau Sitte, da haben Sie völlig recht.
Wirtschaft–Wissenschaft zusammengetan. Erst gestern
konnten wir die Vorstellung der Ergebnisse der Exper- (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Es geht noch
tenkommission Forschung und Innovation, EFI, erleben. weiter!)
Nun sind beide Gremien heute in den Reden nicht so gut Ich bin dankbar, dass wir in der Zeit der Großen Koali-
weggekommen. Mein Eindruck ist: Es war eine kluge tion die Strategie weiterentwickeln konnten, hier mehr
Entscheidung der vorhergehenden Regierungen, sich des Geld zur Verfügung stellen und entsprechende Konzepte
Rates von Experten zu bedienen. vorlegen konnten.
(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Patrick Meinhardt [FDP]: Wahrnehmungsaus-
Sie sollten es aber auch beherzigen!) blendung!)
– Liebe Frau Sager, wir bedienen uns, um so gut aus der Zuvor hatte Herr Rüttgers, bis 1998 Forschungsminister
Krise herauszukommen, natürlich auch der Leistungen – da muss ich mich an die jetzige Koalition wenden –,
vorhergehender Regierungen. die Mittel für Bildung und Forschung deutlich abge-
(Florian Pronold [SPD]: Vor allem der Leis- senkt. Erst unter Edelgard Bulmahn konnten die Gelder
tungen von Frank-Walter Steinmeier und Olaf wieder aufgestockt werden;
Scholz!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Es wäre doch töricht, so zu tun, als hätte das die bürgerli- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
che Koalition allein geschafft. Sie dürfen davon ausge-
das sei hier deutlich herausgestellt. Dadurch konnten wir
hen, dass wir die Chancen, die wir jetzt haben, mit be-
die Lissabon-Strategie umsetzen.
sonderer Vehemenz nutzen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Das werden Sie in
In der Forschung gibt es sehr positive Entwicklungen.
30 Jahren noch genauso erzählen! Es ist dann
Allein die Wirtschaft hat ihre Aufwendungen für For-
genauso falsch!)
schung und Entwicklung in den letzten fünf Jahren von
1,7 Prozent auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Der Spitzencluster-Wettbewerb, die Zusammenar-
erhöht. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Die Wirt- beit von Universitäten mit anderen Hochschulen sowie
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7023
Klaus Hagemann
(A) Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft, ist ein Er- Herr Professor Neumann, Sie haben die Validierungs- (C)
folg. Hier steht genügend Geld zur Verfügung; da muss forschung erwähnt.
etwas Positives herauskommen. Ich kann das in meiner
(Patrick Meinhardt [FDP]: Tolle Sache!)
Region, im Rhein-Neckar-Raum, immer wieder be-
obachten. Die Exzellenzinitiative hat frischen Wind in – Ja. – Aber dazu wird nichts vorgelegt. Es fehlen kon-
die Universitäten gebracht; das sagen die Universitäten krete Vorschläge und die notwendigen Mittel, obwohl
selbst. Auch das ist sicherlich positiv herauszustellen. die SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode kon-
Auch diese Initiative wurde von Edelgard Bulmahn an- krete Vorschläge gemacht hat. Es gibt nur große Ankün-
gestoßen. digungen, aber es geschieht nichts auf diesem Sektor. Es
geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in Produkte
Es gibt aber auch eine Menge Schatten – auch darauf
umzusetzen und die Forscher dabei zu unterstützen und
möchte ich jetzt hinweisen –: Beim Vollzug, Herr
zu begleiten.
Meinhardt, ist es oft so, dass es nicht ordentlich organi-
siert wird. Es werden zu viele Erwartungen geweckt. Es Ein anderes Beispiel sind die nationalen Gesundheits-
wird zu viel Luft hineingeblasen. So haben Sie, Frau zentren. Sie sind eine sinnvolle Einrichtung, Frau Minis-
Ministerin, im Jahr 2006, als die Hightech-Strategie ge- terin. Wir haben das unterstützt und im Haushaltsaus-
startet wurde, gesagt: 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind schuss dafür gekämpft. Woran scheitert es, dass es flott
zu erwarten. – Wir haben nachgefragt, wie es damit aus- vorangeht? Es fehlen einige wenige W3-Professuren; es
sieht, und haben erfahren, dass sich die Zahl der Arbeits- fehlen Planstellen. Beim Finanzminister konnten Sie die
plätze im forschungsnahen Bereich in einer Größenord- vorgesehenen Planstellen für den Haushalt 2011 nicht
nung zwischen 10 und 100, aber nicht von 1 Million durchsetzen. Dadurch können unter anderem Leitungs-
bewegt. Eine etwas geringere Prognose wäre sinnvoll funktionen nicht besetzt werden. Frau Ministerin, die
gewesen. Wir erwarten, dass in wenigen Monaten 500 Millionen Euro, die in Ihrer Amtszeit für Investitio-
– wenn der Vollzug beendet sein wird – durch die Eva- nen genehmigt worden waren, konnten aber nicht ausge-
luation nachgewiesen wird, wo die 1,5 Millionen Ar- geben werden, sie sind von Ihrem Ministerium nicht in-
beitsplätze entstanden sind. vestiert worden. In diesem Bereich müssen Sie handeln
und nicht so viel ankündigen.
Herr Riesenhuber hat gesagt: Wir brauchen sie alle,
große und kleine Betriebe. Das ist richtig. Das ZIM, ein (Beifall bei der SPD)
ordentliches Programm, wurde von der Großen Koali-
tion gestartet. Aber wir haben auch ein anderes Pro- Zur Verschiebung von Forschungseinrichtungen. Man
gramm gestartet, nämlich die Forschungsprämie, Frau hat das Institut für Meeresforschung zwischen der Helm-
Ministerin Professor Schavan. Es wurden von Ihnen holtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft hin-
(B)
große Erwartungen geweckt. und hergeschoben. Den Wissenschaftsrat hat man dazu (D)
nicht befragt. Man hat noch nicht einmal das betroffene
(Patrick Meinhardt [FDP]: Es war ein Flop!) Institut gefragt. Der Gewinn ist wissenschaftlich gese-
hen gleich null. Doch es gibt einen Gewinner: Das ist
– Es war ein Flop, Herr Meinhardt, völlig richtig. – Schleswig-Holstein. Damals wurde die Landesregie-
100 Millionen Euro wurden gefordert, ganze 14 Millio- rung gebraucht, um die Mehrheit für das Wachstumsbe-
nen Euro sind abgeflossen. Das ganze Projekt ist zwi-
schleunigungsgesetz im Bundesrat zu sichern.
schenzeitlich beerdigt worden. Es wurde falsch angegan-
gen. Daran möchte ich erinnern. Das ist keine nachhaltige Politik. Das sind zu viele
Ankündigungen. Das wollen wir so nicht hinnehmen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Unter Ihrer Regie- Hoffentlich ist der „Wissenschaftszug“ nicht Symbol für
rungsbeteiligung!) Ihre Politik. Er ist eine tolle Einrichtung der Max-
An dieser Stelle sei noch das Technikum erwähnt. Auch Planck-Gesellschaft. Er ist voriges Jahr durch Deutsch-
das ist eingestellt worden. land getourt und hat junge Menschen für Wissenschaft
begeistert. Wo steht er jetzt? Auf dem Abstellgleis in
Zur Elektromobilität. Die ökonomische Wirkung der Potsdam-Rehbrücke. Hoffentlich ist das nicht das Ziel
Konjunkturpakete wurde bereits deutlich dargestellt. Ihrer Forschungs- und Wissenschaftspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es war
sinnvoll, dass Konjunkturpakete geschnürt wurden, auch Danke schön.
für Elektromobilität. 70 Millionen Euro wurden im (Beifall bei der SPD)
Konjunkturprogramm I veranschlagt.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Das kann man im Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Detail genau prüfen!) Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für
Im Konjunkturpaket II waren es 500 Millionen Euro. Sie die CDU/CSU-Fraktion.
waren immer gegen Konjunkturprogramme. Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das in der Großen Koalition auf den Weg gebracht.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht, dass die Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Werkstoff- und Materialforschung ausgebaut werden Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
soll. Im Haushaltsansatz für das nächste Jahr ist vorgese- Die Hightech-Strategie begründet eine neue Qualität.
hen, dass die Projektmittel heruntergefahren werden. Erstmals haben wir ein nationales Gesamtkonzept. Die
7024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Albert Rupprecht (Weiden)


(A) wichtigsten Akteure des Innovationsgeschehens in Bayern steht für eine wunderbare Natur. Bayern steht für (C)
Deutschland setzen eine gemeinsame Strategie um, und Tradition und Fortschritt zugleich. Hätten SPD und
das mit einem Mitteleinsatz wie nie zuvor. Seit 2005 hat Grüne in den vergangenen Jahrzehnten in Bayern regiert,
der Bund die Forschungs- und Entwicklungsausgaben wären wir noch heute arm wie eine Kirchenmaus.
um sage und schreibe 33 Prozent erhöht. Auch die Wirt-
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
schaft zieht mit. Sie hat ihren Anteil trotz Wirtschafts-
Sehr richtig!)
krise um 20 Prozent erhöht. Das ist entscheidend. Wir
müssen die Wirtschaft mit im Boot haben, wenn aus der Sie waren praktisch gegen alles, was den heutigen Wohl-
Hightech-Strategie letztendlich Wohlstand für Deutsch- stand Bayerns begründet. Sie waren gegen den Rhein-
land entstehen soll. Main-Donau-Kanal,
Eine erfolgreiche Hightech-Strategie braucht zudem (Peter Friedrich [SPD]: Wackersdorf!)
eine breite gesellschaftliche Grundlage. Wir kommen
gegen den Schnellen Brüter in Garching,
auch deswegen schneller als fast alle anderen Industrie-
staaten auf der Welt aus der Wirtschaftskrise heraus, (Florian Pronold [SPD]: Wackersdorf!)
weil wir in Deutschland eine Infrastruktur haben, die
gegen den neuen Flughafen in München,
stimmt, und einen Geist haben, der stimmt. Das Land der
Tüftler und Techniker hat eine Infrastruktur, um die es (Peter Friedrich [SPD]: Transrapid!)
weltweit beneidet wird. Bei uns gibt es ordentliche Stra-
gegen den Ausbau der Autobahnen,
ßen, Häfen, Flughäfen, Stromnetze und Schienennetze.
Unser Rechtsstaat und unsere parlamentarische Demo- (Florian Pronold [SPD]: Transrapid!)
kratie bieten ein hohes Maß an Verlässlichkeit. For-
schung und Innovation können in Deutschland gedeihen, gegen die Forschungsneutronenquelle, gegen Wasser-
weil man dem Land, den Menschen und den Institutio- kraftwerke usw. Sie waren immer dagegen.
nen vertrauen kann. Wir werden die Hightech-Strategie nur dann zu einem
nachhaltigen Erfolg führen, wenn wir die Forschungser-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gebnisse und die Innovationen auch verwerten können.
Widersprüchlichkeit, Beliebigkeit und Wankelmütig-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
keit hingegen machen dieses Vertrauen kaputt. Es ist
kaum zu glauben: Grüne fordern seit Jahrzehnten vehe- Dazu bedarf es aber der Bereitschaft, langfristige und
ment, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wenn auch große Projekte zu stemmen. Dazu bedarf es der Be-
es aber ernst wird, stehen sie in der ersten Reihe, um reitschaft zum Risiko. Wir brauchen eine Risikokultur.
(B) Bahnstrecken und Bahnhöfe zu verhindern. Zukunftsverweigerung, Irrationalität und Antistimmung (D)
bringen uns keinen Zentimeter weiter.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
NEN]: Das ist totaler Unfug! – Gegenruf des Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/ Sehr richtig!)
CSU]: Das ist die Wahrheit!)
Die Grünen sind auch im Jahr 2010 nicht über ihren his- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
torischen Ursprung als Antibewegung hinausgekommen. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pronold?
Die SPD ist 15 Jahre für Stuttgart 21 – auch hier, im
Deutschen Bundestag –, aber wackelt wie ein Fähnchen
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
im Wind, sobald der erste Widerstand auftaucht.
Später.
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Lächerlicher Haufen! – Peter Friedrich [SPD]: (Florian Pronold [SPD]: Haben wir Angst
Herr Mappus beim Baustopp! Der wackelt im davor?)
Wind!) Wir brauchen Visionen, die zeigen, wofür wir stehen.
Sie reden von der Energiewende, kritisieren aber den Deswegen fokussieren wir die Hightech-Strategie auf die
zwingend notwendigen Ausbau der Stromnetze. Wir globalen Herausforderungen. Die großen Fragen der
brauchen für den Transport von Wind- und Sonnenener- Menschheitsgeschichte erfordern Visionen: Klima, Ener-
gie 3 500 Kilometer Hochspannungsleitungen. Ohne Lei- gie, Gesundheit und Ernährung, Mobilität, Sicherheit
tungen gibt es keine Energiewende. Der Strom kommt und Kommunikation. Allein in der Gesundheitsfor-
eben nicht aus der Steckdose. Wir brauchen in diesem Zu- schung geben wir zwischen 2011 und 2014 ganze 6 Mil-
sammenhang Infrastruktur in großen Dimensionen. liarden Euro im Kampf gegen Krebs, Herzinfarkt, Alz-
heimer und andere Krankheiten aus.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Axel Knoerig [CDU/CSU]: Sehr gut!)
60 Prozent der Deutschen würden nach Umfragen
Die Verbesserungsvorschläge zur Strategie aus dem
gerne in Bayern leben.
EFI-Gutachten beziehen sich vor allem auf die stärkere
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verwertung von Forschungsergebnissen durch die Wirt-
NEN]: Was ist das denn für eine Umfrage?) schaft. Das nehmen wir sehr ernst. Deswegen haben wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7025
Albert Rupprecht (Weiden)
(A) das Programm zur Validierungsförderung gestartet. Herr wünscht, aber es ist ein sehr gutes Mittel, um die Bürger (C)
Hagemann, da Sie gesagt haben, dass man nichts davon auf Fragen, die sie stark betreffen und bei denen ein ge-
hört: Es ist existent und mit Mitteln ausgestattet. wisses Misstrauen besteht, selbst die Antwort geben zu
lassen. Ich frage mich, warum Sie diesen Weg in Baden-
(Patrick Meinhardt [FDP]: So ist es!)
Württemberg nicht gehen. Stattdessen jammern Sie hier
Wir schaffen neue Technologiecampus. über das, was dort stattfindet.
Wir haben erste Verbesserungen bei der Wagniskapi- (Patrick Meinhardt [FDP]: Machen wir am
talfinanzierung beschlossen. Weitere Schritte müssen 27. März 2011!)
folgen. Im Übrigen war dies eines der Themen, bei de- Im Übrigen sind gerade in Niedersachsen oft CDU-
nen die Sozialdemokraten in der Großen Koalition mas- Oberbürgermeister an der Spitze der Gegenbewegung,
siv geblockt haben. wenn es um Trassenführung von Stromleitungen geht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wir Grünen haben gesagt, dass wir das Geld ausgeben
Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wobei ha- sollten, um neue Trassen, neue Netze unterirdisch zu
ben wir geblockt? Bei der Validierung?) verlegen, weil das auf mehr Akzeptanz bei den Bürge-
rinnen und Bürger stößt.
Nach wie vor gilt die Vereinbarung, die im Koalitions-
vertrag steht – Frau Ministerin Schavan hat es angespro- Wenn Sie meinen, immer noch so tun zu können, als
chen –, dass wir in dieser Legislaturperiode in die steuer- wären die Grünen die Zukunftsverweigerer,
liche Forschungsförderung einsteigen wollen. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Die Hightech-Strategie wird von der Fachwelt hoch So schaut es aus!)
gelobt. Sie ist ein historischer Meilenstein der For- haben Sie offensichtlich nicht mitbekommen, dass die
schungspolitik in unserem Land. Sie wird sich aber nur von Ihnen selbst eingesetzte Expertenkommission „For-
dann voll entfalten können, wenn es eine Bereitschaft schung und Innovation“ Solartechnologie zu den neuen
zum Risiko, eine Risikokultur in Deutschland gibt. Spitzentechnologien zählt. Sie sind mit der Verlängerung
Herzlichen Dank. der Laufzeiten von Atomkraftwerke gerade dabei, den
erneuerbaren Energien in Deutschland die Marktchan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) cen zu nehmen, weil Sie mit Atomstrom die Netze ver-
stopfen und den Spitzentechnologien mit großer Zukunft
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: das Leben schwer machen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Krista Sager. (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-
Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Realitäts-
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verweigerung ist das! Unglaublich!)
Sehr geehrter Herr Kollege, ich finde es bemerkens-
wert, dass Sie die Diskussion über die Hightech-Strate- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gie dazu nutzen, Ihre Verärgerung über die Stuttgarter Herr Kollege Rupprecht, bitte.
Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck zu bringen.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Sie tun auch noch so, als wären diese Bürgerinnen und Frau Kollegin Sager, wir nehmen jede Frau, jeden
Bürger von den Grünen ferngesteuert. Mann, jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Rent-
ner, der in Stuttgart Sorge hat, sehr ernst. Deswegen su-
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: chen und führen wir das Gespräch. Das, was Sie gerade
So überschätzen wir Sie nicht!) dargestellt haben, war überhaupt nicht die Aussage mei-
In Stuttgart geht es offenkundig nicht um einen Techno- ner Rede. Die Aussage meiner Rede war, dass sich die
logiestreit, sondern um das Misstrauen gegenüber der Grünen nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung nicht
Politik. Es ist offensichtlich so, dass die Bürgerinnen weiterentwickelt haben und nach wie vor die Partei sind,
und Bürger darüber nachdenken, dass die Bahn ihre Ver- die letztendlich Deutschland blockiert, Großprojekte
pflichtungen im ländlichen Raum zunehmend weniger verhindert und nicht die Bereitschaft zum Risiko hat.
wahrnimmt, (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
(Patrick Döring [FDP]: Was durch nichts SES 90/DIE GRÜNEN – Krista Sager [BÜND-
belegbar ist!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen wer-
den ferngesteuert von den Grünen!)
dass viele Strecken, die die Menschen für ihre Mobilität
Wir werden, ob im Energiebereich, im Verkehrsbe-
brauchen, immer schlechter oder stillgelegt werden und
reich oder wo auch immer, allein durch ungefährliche
gleichzeitig an einer Stelle ein Großprojekt gebaut wird,
dezentrale Kleinprojekte die Probleme dieser Welt nicht
das immer teurer wird. Die Bürgerinnen und Bürger fra-
lösen. Wenn wir technologischen Fortschritt wollen,
gen nach Kosten und Nutzen.
wenn wir die Probleme der Welt lösen wollen, dann
Als Hamburgerin weiß ich, dass ein Volksentscheid braucht es Dezentralität, Kleinstrukturiertheit, Subsidia-
nicht immer das Ergebnis hat, das sich eine Regierung rität, aber auch die Kraft der Langfristigkeit, es braucht
7026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Albert Rupprecht (Weiden)


(A) die Großprojekte. Überregionale Schienenverkehrs- ihnen möchte ich für ihre Forschungs- und Entwick- (C)
stränge sind Großprojekte. Stromleitungen durch das lungsarbeit einen herzlichen Dank aussprechen.
Land sind Großprojekte. Kernfusion ist ein Großprojekt.
Dem, der wie Ihre Kollegin Hinz sagt, dass Kernfusion (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
im nächsten Jahr nichts bringt, sage ich: Okay, vielleicht
Mittelständische Unternehmen sind Vorreiter des
bringt es in den nächsten drei, vier Jahren noch nichts.
technologischen Fortschritts und Beschäftigungsmotor
Meine kleine Tochter ist anderthalb Jahre alt. Ich
für unsere Wirtschaft. Denn im Mittelstand entstehen
möchte, dass meine Tochter noch mit 60 Jahren von der
viele der Innovationen, welche die Industrie zu weltwei-
Politik, die wir heute, im Jahr 2010, machen, profitiert.
ten Exportschlagern ausbaut. Das ist die Einheit von In-
Meine Aussage ist: Die Grünen sind ein Wolf im Schafs-
dustrie und Mittelstand, von der Sie, Herr Professor
pelz, der sich in den letzten 30 Jahren nicht von der An-
Riesenhuber, gerade gesprochen haben. Ich hoffe, dass
tibewegung wegentwickelt hat, sondern immer noch
auch bei der Kollegin Sager das eine oder andere Argu-
dem alten Geist frönt.
ment angekommen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir unterstützten die Hightech-Strategie 2020 mit der
Förderinitiative „KMU-innovativ“ für kleine und mittel-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ständische Unternehmen. Wir spüren, dass diese Regie-
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Axel rungspolitik in unseren Regionen und Wahlkreisen
Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. ankommt. In meinem Wahlkreis Diepholz-Nienburg
werden durch diese Programme Unternehmen aus der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wasserwirtschaft, dem Klimaschutz, der Fertigungstech-
nologie, der Pflanzenforschung, der Sicherheitsbranche
Axel Knoerig (CDU/CSU): und der Luftfahrttechnik gefördert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Mit der heutigen Diskussion über die Information und Kommunikation sind die Grundlage
Hightech-Strategie der Bundesregierung wollen wir dar- für Innovation. Aus diesem Grund hat die Bundesregie-
stellen, wie sich die Rahmenbedingungen für Innovatio- rung eine Förderberatung des Bundes eingerichtet. Da-
nen weiter verbessern. Innovationen haben keinen mit kommen die mittelständischen Unternehmungen
Selbstzweck. Sie sollen den Menschen nutzen. Das ge- schnell, einfach und unbürokratisch an die Förderpro-
schieht dadurch, dass vorhandene Produkte verbessert gramme der Hightech-Strategie.
oder neue entwickelt werden. Eine gute Forschungs- und
Mithilfe der Hightech-Strategie wollen wir Deutsch-
(B) Innovationspolitik ist der Garant für neue Wertschöp- land in Europa zum Schrittmacher für marktfähige Lö- (D)
fungsketten in unserer Volkswirtschaft. Doch dafür
braucht man einen langen Atem. sungen machen. Die Strategie „Europa 2020“ für intelli-
gentes, nachhaltiges und integratives Wachstum nimmt
Kurzfristige Effekte können in bis zu drei Jahren er- die Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung auf.
zielt werden, beispielsweise durch Forschungs- und Ent- Die Europäische Kommission startet jetzt mit der Inno-
wicklungskooperationen und die Bildung von regionalen vationsunion eine Initiative zur Forschungs- und Innova-
Wirtschafts- und Forschungsnetzwerken. Mittelfristige tionspolitik. Damit greifen unsere Validierungsprozesse
Effekte treten nach bis zu sechs Jahren auf; sie zeigen auf die europäische Ebene durch. Auf diese Weise wol-
sich in der kommerziellen Verwertung von Produkten len wir sicherstellen, dass innovative Ideen grenzüber-
oder der Bildung strategischer Allianzen von Unterneh- schreitend in wachstums- und beschäftigungswirksame
mungen. Bis zu zehn Jahre brauchen wir, um technische Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Das
Veränderungen auf Zukunftsmärkten spürbar durchzu- ist ein Erfolg, der unser aller Lebensqualität verbessert
setzen. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist und unseren Arbeitsmarkt mit zukunftsfähigen Ausbil-
auf dieses lange Zeitfenster ausgerichtet. dungs- und Arbeitsplätzen bereichert.
Das dokumentiert eindrucksvoll der Innovations- Ich halte fest: Die konservativ-liberale Bundesregie-
report des Deutschen Industrie- und Handelskammerta- rung hat mit der Hightech-Strategie einen Mehrwert in
ges aus dem Jahre 2009. Dieser belegt, dass 30 Prozent der Forschungspolitik in Europa erzielt.
der deutschen Unternehmen Innovationen auf eine ver-
besserte Forschungs- und Innovationspolitik zurück- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
führen. Frau Ministerin, sehr geehrte Frau Professor
Schavan, das ist Ihr Verdienst und sehr wohl auch das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Verdienst Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
Ministerium. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich schließe die Aussprache.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Leistungen der Praktiker nicht verschweigen, zum Bei- Drucksache 17/2691 an die in der Tagesordnung aufge-
spiel die der Techniker, der Chemielaboranten, der Mit- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind sie damit ein-
arbeiter in den Forschungseinrichtungen, den Hochschu- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
len, den Universitäten und den Unternehmen. Auch so beschlossen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7027
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: gensreichen Arbeit der wirtschaftsverständigen Sozial- (C)
demokratie.
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion doch nicht Ihr Ernst!)
der SPD
Das Schlimme ist, dass die schwarz-gelbe Koalition und
Ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete speziell der Wirtschaftsminister keine Strategie haben.
– Drucksachen 17/1616, 17/2568 – Deshalb geht es nicht nur darum, rückwärts, sondern
auch nach vorn zu schauen.
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinvier-
tel Stunden zu debattieren. – Ich sehe, damit sind Sie Ich will Folgendes in Erinnerung rufen: Die Konjunk-
einverstanden. Dann können wir so verfahren. turpakete und der Schirm über die Finanzwelt sind in
eine Strategie eingebettet. Ich darf an den „Deutschland-
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Plan“ von Frank-Walter Steinmeier erinnern. Es gibt in
ner dem Kollegen Wolfgang Tiefensee für die SPD- diesem Hause von Schwarz-Gelb und speziell vom Wirt-
Fraktion das Wort. schaftsminister nichts Vergleichbares. Es wird nur he-
rumgedoktert.
(Beifall bei der SPD)
In seiner Regierungserklärung sagte der Herr Wirt-
Wolfgang Tiefensee (SPD): schaftsminister im April: Wir erleben in Deutschland ein
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Wirtschaftswachstum und beobachten ein Jobwunder. –
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind die Ausführungen unseres Wirtschaftsminis-
Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete ist ters. Er beobachtet. Er greift nicht ein, wo er beherzt ein-
atemberaubend gut. Die ökonomische Wirkung der Re- greifen müsste, sondern steht daneben und beobachtet.
gierungsarbeit von Schwarz-Gelb ist atemberaubend Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
schlecht. Erstens. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei Abge- der wesentliche Baustein im Konjunkturpaket und der
ordneten der CDU/CSU und der FDP) Treiber für das Wirtschaftswachstum. Was macht die
Bundesregierung, und wogegen stemmt sich der Wirt-
Wir diskutieren in einer sehr schwierigen Phase. Es schaftsminister nicht? Dieses CO2-Gebäudesanierungs-
ist an der Zeit, dass wir mit dem Vorurteil aufräumen, programm wird massiv gekürzt. Das ist eine Politik ge-
Schwarz-Gelb und speziell die FDP mit dem Wirt- gen den Mittelstand. Ich wünsche mir, dass der
(B) schaftsminister, Herrn Brüderle, stünden für eine strate- Mittelstand aufwacht und sagt: Halt, so geht das nicht. (D)
gische Wirtschaftspolitik und würden den aktuellen Er-
fordernissen entsprechend handeln. Vor allen Dingen (Beifall bei der SPD)
müssen wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelb
Ich sage in allem Ernst: Wenn wir bei diesem Programm
und speziell die FDP stünden für den Mittelstand und für kürzen – es hilft auch nicht, es jetzt zwangsweise ein bis-
die Kommunen. Das ist falsch, und das muss geradege-
schen aufzustocken – und es nicht verstetigen, werden
rückt werden.
wir nicht nur die negativen Entwicklungen beim Klima
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben, werden wir nicht nur die erneuerbaren Energien
DIE GRÜNEN) nicht vorantreiben, sondern vor allem dem Mittelstand
schaden.
Wir erleben einen konjunkturellen Aufschwung. Das
IWF prognostiziert 3,3 Prozent Wachstum des BIP. Das Zweitens. Auf der gleichen Linie liegt Ihr Vorgehen
ist nicht zu erwarten gewesen. Das ist grandios. Aber im Bereich der Städtebauförderung. Auch die Städte-
was erleben wir? Wir erleben, dass sich der Wirtschafts- bauförderung ist Wirtschaftsförderung pur für den Mit-
minister mit diesen Federn schmückt. Er sagt zum Bei- telstand. Aber was macht Schwarz-Gelb? Die Förderung
spiel, diese Wirtschaftsentwicklung sei exportgetrie- wird auf die Hälfte gekürzt – sowohl jetzt als auch in der
ben, das könne unmöglich etwas mit der SPD zu tun Mittelfristplanung. Durch eine solche Politik werden Ar-
haben. beitsplätze vernichtet und die Wirtschaft belastet. Das ist
keine kluge Wirtschaftspolitik.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Hat es ja
auch nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr verehrter Herr Minister – lieber Herr Staatssekretär,
bitte richten Sie es ihm aus –, Drittens. Schauen Sie sich das Kurzarbeitergeld an.
Das ist der eigentliche Grund, das Fundament für den
(Zuruf von der SPD: Wo ist er denn?)
Wirtschaftsaufschwung. Was erleben wir bei Schwarz-
wie kann man sich in dieser Art und Weise irren und Ur- Gelb? Was erleben wir beim Wirtschaftsminister? Erst
sache und Wirkung verwechseln? Gerade durch die ist er dagegen; er will sich nicht einmischen und tritt
Konjunkturpakete, gerade durch unser beherztes Han- massiv gegen den Mindestlohn auf. Jetzt aber, da es
deln ist dieser Aufschwung möglich gewesen, der so- wohlfeil ist, fordert er einen Lohnzuwachs. Die ganze
wohl exportgetrieben ist als auch im Inland stattfindet. Zeit herrscht Ruhe; er verschränkt seine Arme und
Das ist die Wirkung der Konjunkturpakete und der se- schaut zu. Aber dann, wenn es ihn eigentlich überhaupt
7028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Wolfgang Tiefensee
(A) nichts angeht, kommt er aus der Deckung und fordert et- chen ausführen! Das würde mich jetzt im De- (C)
was zulasten Dritter. Das ist schlechte Wirtschaftspoli- tail interessieren!)
tik. Herr Brüderle, kümmern Sie sich um die Arbeits-
plätze, wie wir das mit dem Konjunkturpaket gemacht Andere europäische Staaten wie Frankreich beneiden
haben. uns, weil wir alles richtig gemacht haben. Ich habe in
den vergangenen Wochen mit französischen Handwer-
(Mechthild Rawert [SPD]: Er hört es jetzt lei- kern gesprochen, die mir das bestätigt haben.
der nicht!)
Aber auch die Handwerkskammer in meinem Wahl-
Es gibt eine weitere Baustelle, nämlich die Förde- kreis Bielefeld liefert den Beweis für den Erfolg. Wir ha-
rung der neuen Technologien. Schauen Sie sich die ben in diesem Herbst hervorragende Ergebnisse in den
Elektromobilität an. Das ist das Zukunftsthema. Auch Konjunkturumfragen erzielt. Das sind die besten Da-
hier können in hohem Maße Arbeitsplätze entstehen. ten seit der Wiedervereinigung – und das bei fast allen
Was macht Schwarz-Gelb? Was macht der Wirtschafts- Gewerken.
minister? Er zeigt keine Perspektive auf, er kürzt bzw.
lässt zu, dass gekürzt wird, in der Hoffnung darauf, dass (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
mit dem Geld, das die Stromkonzerne zur Verfügung Das Handwerk in Ostwestfalen-Lippe entwickelt sich
stellen, vielleicht eine geringfügige Aufstockung mög- dank der Konjunkturpakete und der sich daraus entwi-
lich ist. ckelnden Wachstumskräfte zur Jobmaschine.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser (Ute Kumpf [SPD]: Volle Kraft voraus! – Wei-
Art des Zuschauens, des Gewährenlassens und des Ein- terer Zuruf von der SPD: Neue Landesregie-
greifens an den falschen Stellen können wir keine Wirt- rung!)
schaftspolitik machen. Nehmen Sie die unsinnigen Teile
dieses unsäglichen Wirtschaftsbeschleunigungsgesetzes Die bereits positive Entwicklung im Frühjahr wurde im
zurück, und konzentrieren Sie sich darauf, die gute Ar- Herbst nochmals übertroffen. Dies gilt für ganz NRW,
beit, die in den Konjunkturpaketen zum Ausdruck für den ländlichen Raum und das Ruhrgebiet.
kommt, zu verstetigen und sie den modernen Erforder- Ein Zeichen des Erfolges ist aber auch die Ausbil-
nissen anzupassen. Um es mit einem Satz zu sagen: Hö- dungsquote im Bund. Betriebe – gerade im Handwerk –
ren Sie auf, von Ihrer Wirtschaftskompetenz und von bilden aus, wenn die Auftragslage stimmt, und sie
Ihrer Mittelstandsfreundlichkeit zu schwadronieren, son- stimmt wieder. Es wird wieder mehr ausgebildet. Es gibt
dern schauen Sie sich ab, wie man Konzepte macht, keine Lehrstellenlücke im Handwerk, und wir erwarten
nämlich bei der Sozialdemokratie. in diesem Jahr 160 000 neue Ausbildungsplätze.
(B) (D)
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Geisterfahrt! –
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Da muss er Das sind gute Nachrichten auch für unsere jungen Men-
selber lachen!) schen.
Deutschland war von der Krise besonders betroffen:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Rückgänge beim Export, Einbrüche beim Umsatz und
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Strothmann drohender Arbeitsplatzabbau. Wir haben darauf schnell
für die CDU/CSU-Fraktion. und zielführend reagiert und mit den Konjunkturpaketen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die richtigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Der Er-
folg gibt uns recht.
Lena Strothmann (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von Die Kurzarbeit bewahrte uns vor hoher Arbeitslosig-
uns hätte vor einem Jahr erwartet, dass wir in Deutsch- keit. Unsere Betriebe konnten im Vorfeld des sich ab-
land ein Wirtschaftswachstum von circa 3 Prozent errei- zeichnenden Fachkräftemangels ihre gut ausgebildeten
chen und dass die Arbeitslosenzahl auf 3 Millionen und Fachkräfte halten.
bald sogar auf unter 3 Millionen sinkt? Deutschland
steht gut da. Die Wirtschaft wächst, der Arbeitsmarkt er- Die Einführung der Abwrackprämie und die Kfz-
holt sich, und auch die Haushaltskonsolidierung ist wie- Steuerbefreiung führten zu einem Boom. Viele haben ge-
der auf einem guten Weg. Wir haben in der Krise die rade diese Maßnahme abgelehnt, da im Anschluss der
Konjunkturpakete beschlossen; sie zeigen jetzt ihre öko- Untergang der deutschen Kfz-Branche und gähnende
nomische Wirkung. Aber wer A sagt, muss auch B sa- Leere in den Werkstätten orakelt wurde. Aber nichts von
gen. Wir haben dafür zusätzliche Schulden gemacht, und alledem ist eingetreten. Die Sorge war unberechtigt. Die
die müssen wir nun abbauen. Automobilindustrie meldet gute Verkaufszahlen, und die
Handwerker berichten von ausgelasteten Werkstätten.
Wir haben die Krise dank der Konjunkturpakete, aber
auch dank des politischen Geschicks unserer Kanzlerin (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Jawohl!)
Angela Merkel gemeistert.
Die Verdopplung des Steuerbonus für Handwerker-
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leistungen hatte sogar Mehrfacheffekte: Davon hat nicht
NEN]: Das müssen wir jetzt aber mal ein biss- nur der Handwerker durch mehr Aufträge profitiert, son-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7029
Lena Strothmann
(A) dern vor allen Dingen der private Auftraggeber. Nicht zu (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
vergessen ist auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit. NEN]: Aber das fahren Sie doch runter!)
Besonders richtig und wichtig war die Aufstockung Hier werden ökonomische und ökologische Ansprüche
der Fördermittel für energetische Gebäudesanierung vereint. Wer also eine Fortführung der Konjunkturpakete
und energieeffizientes Bauen. Das ist ein enormer Bei- fordert, kann sich unserem Energiekonzept gerne an-
trag zum Klimaschutz und meiner Ansicht nach keine schließen.
Subvention. Nicht zu vergessen: Für jeden Euro Förder- Herzlichen Dank.
mittel werden weitere 12 Euro privat investiert, wie das
Bauministerium bestätigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Insgesamt bedeutet das die Sicherung von 290 000 Ar- Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Michael
beitsplätzen – eine wahre Erfolgsstory. Schlecht das Wort.
Ähnlich nachhaltig wirken die zusätzlichen Investitio- (Beifall bei der LINKEN)
nen der öffentlichen Hand in Infrastruktur. Damit wurde
die Auftragslage im Baugewerbe stabilisiert. Die Locke- Michael Schlecht (DIE LINKE):
rung der Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
hat viele Investitionen zeitlich beschleunigt. Das Konjunkturpaket I im Jahre 2008 war ein schlechter
Scherz. Es hat nämlich überhaupt nichts gebracht. Dann
Auch Bielefeld hat in besonderer Weise davon profi- hat die damalige Bundesregierung aufgrund massiven
tiert. Viele Pläne für notwendige Investitionen waren be- Drucks von außen, gerade auch von den Gewerkschaften
reits vorbereitet, – ich habe das damals noch von der anderen Seite aus
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir sind miterlebt –, Ende 2008/Anfang 2009 ein zweites Kon-
hier nicht im Stadtrat Bielefeld!) junkturpaket aufgelegt, das man zwar in der Tat so nen-
nen konnte, aber in seiner Bedeutung außerordentlich
weil die Stadt seit 2001 die Sanierung ihrer Schulen sys- begrenzt war.
tematisch durchgeführt hat. Wo andere Kommunen noch
debattierten, wurde dank der Konjunkturpakete in Biele- Für dieses zweite Konjunkturpaket waren 25 Milliar-
feld längst gearbeitet, renoviert und investiert. den Euro pro Jahr vorgesehen, von denen aber gerade
einmal 9 Milliarden Euro sinnvoll ausgegeben wurden,
(B) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir sind indem Länder und Kommunen besser ausgestattet und (D)
hier im Bundestag und nicht im Stadtrat Biele- investive Impulse gegeben wurden. Rund 10 Milliarden
feld!) Euro des Konjunkturpaketes II wurden vor allem für
Steuersenkungen verpulvert. Der Konjunktur hat das in
Die Konjunkturpakte haben aber nicht nur eine wirt- der Tat kaum etwas gebracht. Es war jedoch außeror-
schaftliche, sondern auch eine psychologische Bedeu- dentlich profitabel und lukrativ für Besserverdienende.
tung. Während Geringverdiener durch das Konjunkturpaket
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Für Biele- um gerade einmal 150 Millionen Euro entlastet wurden,
feld!) entfiel auf die Spitzenverdiener das Zehnfache, nämlich
1,5 Milliarden Euro. Das war nicht nur ungerecht, son-
In weiten Teilen der Bevölkerung war die Krise über- dern auch ökonomischer Schwachsinn.
haupt nicht spürbar, und die Menschen in unserem Land
haben weiter konsumiert. Dieses besonnene Verhalten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
der Menschen und die Konjunkturpakete haben Schlim- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
meres verhindert. Jetzt ist der Aufschwung da. NIS 90/ DIE GRÜNEN])
Denn bekanntermaßen tragen Menschen mit geringen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und mittleren Einkommen ihr Geld fast vollständig in
Wir haben aber auch immer gesagt, dass wir rechtzei- die Geschäfte und konsumieren. Reiche tragen es auf die
tig die Exit-Strategie einleiten müssen. Jetzt müssen wir Bank, zocken oder verzocken es. Dies ist bekannterma-
aus Teilen der Konjunkturpakete aussteigen. ßen einer der Gründe für die schwere Wirtschafts- und
Finanzkrise, die wir erlebt haben und deren Auswirkun-
(Garrelt Duin [SPD]: Sie wollen doch aus al- gen noch längst nicht überwunden sind.
lem aussteigen!)
Nun will die Bundesregierung aus diesem zaghaften
Es muss klar sein: Eine zeitweilige Konjunkturhilfe darf Konjunkturpaket wieder aussteigen. Mehr noch: Sie will
keine Dauersubvention werden. Erfolgreiche Maßnah- mit einem 80-Milliarden-Euro-Kürzungsprogramm, be-
men, die wir bereits vor der Krise durchgeführt haben, ginnend mit dem nächsten Jahr, die wirtschaftliche Ent-
wollen wir natürlich fortführen. Gerade Elemente mit wicklung strangulieren. Herr Brüderle sagt in seiner
hohem Nachhaltigkeitspotenzial wollen wir beibehal- rheinland-pfälzischen Fröhlichkeit natürlich: Das ist über-
ten. Dazu gehören die zukunftsgerichteten Maßnahmen haupt kein Problem. Wir haben ja einen Aufschwung
in unserem Energiekonzept. Ich nenne nur das Gebäude- XXL. – Das Wort von einem neuen Wirtschaftswunder
sanierungsprogramm als Baustein. ist, glaube ich, auch schon gefallen. Die wirtschaftliche
7030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Michael Schlecht
(A) Lage ist jedoch höchst wackelig und in keiner Weise so deutlichen Steigerung der Binnennachfrage, und das ist (C)
risikolos, wie es hier immer dargestellt wird. Das Plus in keiner Weise erkennbar. Wir leiden nach wie vor da-
im ersten Halbjahr 2010 ging zu einem Drittel auf den runter, dass sich in den letzten zehn Jahren die Löhne in
Lageraufbau zurück. Herr Tiefensee, die Bedeutung des Deutschland außerordentlich gedrückt entwickelt haben.
auch von Ihnen als so glorreich geschilderten Konjunk- Wir hatten in den letzten zehn Jahren eine Reallohnsta-
turpaketes ist – um das zu relativieren – außerordentlich gnation. Diese Reallohnstagnation ist für die binnenwirt-
minimal. Wie gesagt, der Lageraufbau hatte im ersten schaftliche Entwicklung natürlich außerordentlich pro-
Halbjahr dieses Jahres eine viel größere Wirkung. blematisch.
Der Rest kommt ein ganz kleines bisschen aus dem Herr Tiefensee, da Sie die sozialdemokratischen wirt-
Konjunkturpaket. Entscheidend ist aber in der Tat – hier schaftspolitischen Weisheiten so gelobt haben, möchte
muss ich fast Herrn Brüderle gegen Sie verteidigen, Herr ich darauf eingehen: Dass die Binnennachfrage so desas-
Tiefensee – der Export; das hat Herr Brüderle schon trös ist und die Reallohnentwicklung stagniert, ist Folge
richtig beobachtet. Dass der Export so gut läuft, hängt der Agenda 2010 mit Befristungen, Leiharbeit, Minijobs
aber vor allen Dingen mit den Konjunkturpaketen der sowie mit Hartz IV und dem Arbeitslosengeld II. Das ist
Chinesen und der US-Amerikaner zusammen. der Skandal, den man immer wieder sehr deutlich benen-
nen muss, vor allen Dingen, wenn man sich eine solche
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!) Lobhudelei anhören muss.
Die Chinesen haben 14 Prozent ihres Bruttoinlandspro- (Beifall bei der LINKEN)
duktes in die Konjunktur investiert, die US-Amerikaner
7 Prozent. Bei uns bewegte sich das Konjunkturpaket in Wir brauchen hier dringend eine Umkehr. Wir brau-
einer Größenordnung von gerade einmal 2 bis 2,5 Pro- chen eine Erhöhung der Löhne, aber zuallererst einen
zent. Die wirtschaftliche Verbesserung, die zurzeit zu gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.
verzeichnen ist, ist kein Resultat der Konjunkturpakete (Beifall bei der LINKEN)
in Deutschland, sondern vor allen Dingen ein Resultat
der Konjunkturpakete der Chinesen und der US-Ameri- Im Grunde genommen brauchen wir mehr als Konjunk-
kaner; das muss man sehr deutlich sehen. turprogramme. Wir benötigen eine nachhaltige Um-
steuerung auf binnenwirtschaftliche Dynamik und Logik.
(Beifall bei der LINKEN) Dazu gehört zuallererst, dass die öffentliche Hand ein
Es ist eigentlich eine Schande für ein Land wie Deutsch- Zukunftsprogramm in der Größenordnung von jährli-
land, das nicht gerade arm ist, dass man im Grunde ge- chen Mehrausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro
nommen versucht, von den Konjunkturpaketen anderer auflegt.
(B) Länder zu profitieren. Nein, hier müsste etwas ganz an- (Zuruf von der FDP: Schon mal was vom (D)
deres gemacht werden. Schuldenberg gehört?)
Als Risikoszenario kommt hinzu, dass in Europa auf Wir wollen, dass in Zukunft jedes Jahr 30 Milliarden
massiven Druck der Bundesregierung – die Kanzlerin Euro mehr in Erziehung und Bildung fließen, damit un-
brüstet sich immer damit – viele Länder, Griechenland, sere Kinder, und zwar alle Kinder, endlich wieder opti-
Portugal, Spanien usw., gezwungen werden, große Kür- male Chancen haben.
zungspakete aufzulegen. Europa ist aber der Hauptab-
satzmarkt für deutsche Exporte. Wenn die Länder, die (Patrick Döring [FDP]: Fangen Sie doch in
eine große Bedeutung für unseren Export haben, ihre Berlin mal an!)
Wirtschaft strangulieren, dann wird das erhebliche Aus- – Dass in Berlin Probleme bestehen, hat damit zu tun,
wirkungen auf die deutschen Exporte haben. Das birgt dass Sie dafür verantwortlich sind, dass auf bundespoli-
enorme Risiken, genauso wie die wirtschaftliche Ent- tischer Ebene
wicklung in China und den USA; denn die dortigen gi-
gantischen Konjunkturprogramme können nicht unend- (Patrick Döring [FDP]: Sie regieren doch
lich fortgesetzt werden. Deshalb wird das Wachstum hier!)
wieder zurückgehen. Das ist bei allen, die sich gutachter-
in den letzten zehn Jahren Reichen und Vermögenden
lich äußern, vollkommen unbestritten. Ob es zu einem
300 Milliarden Euro geschenkt worden sind. Sie wissen
neuen Einbruch kommt, ist in der Tat offen. Aber es be-
doch auch, dass über die Finanzausstattung der Länder
stehen Risiken. Man muss diese Risiken sehen und ihnen
vom Bund entschieden wird. Dort ist stranguliert wor-
auch begegnen. Das findet momentan überhaupt nicht
den, und das ist der Skandal.
statt. Die Risiken werden von der Regierung komplett
negiert. Ich habe auch von Ihnen von der SPD nichts ge- (Beifall bei der LINKEN)
hört, das man im Fokus haben müsste. Wirtschaftsminis-
Wir wollen natürlich auch, dass in den Ländern und
ter Brüderle hat in seiner altbekannten Fröhlichkeit über-
Kommunen jedes Jahr 50 Milliarden Euro mehr für den
haupt keinen Blick dafür.
sozial-ökologischen Umbau ausgegeben werden. Es
Es ist zumindest vollkommen klar – das ist auch das muss endlich Schluss damit sein, dass in vielen Städten
Votum vieler anderer, die sich damit befassen –: Es ist 30-km/h-Schilder aufgestellt werden, weil die Löcher im
viel zu früh, das Ende der Krise auszurufen. Wir müssen Straßenbelag mittlerweile zu groß sind. Es muss Schluss
vielmehr wachsam sein und müssten eigentlich eine damit sein, dass Deutschland von unten, von der Kanali-
ganz andere Politik einleiten. Zum Ende einer Krise ge- sation her, verrottet, weil die Stadtkämmerer kein Geld
hört nämlich ein selbsttragender Aufschwung mit einer haben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7031
Michael Schlecht
(A) All das würde 2 Millionen Arbeitsplätze bringen, was Das muss man ganz klar sagen. Wir wären nie so weit (C)
dringend notwendig ist, weil die von Ihnen immer so gegangen, es so zu machen wie Gerhard Schröder, der
fröhlich verkündeten Arbeitslosenzahlen natürlich ge- etwa drei Wochen nach Amtsantritt gesagt hat, die etwas
türkt sind. Die stimmen nicht. niedrigeren Arbeitslosenquoten seien seiner Politik ge-
schuldet. Er meinte im Nachsatz, man habe bereits im
(Beifall bei der LINKEN) Vorgriff auf seine Regierung investiert. So weit wären
Wir haben mindestens 4 oder 5 Millionen Arbeitslose, wir nicht gegangen. Aber nach einem Jahr ist klar:
wenn man realistisch rechnet. Die sogenannte stille Re- Schwarz-Gelb wirkt.
serve rechne ich Ihnen hier, weil ich heute großzügig (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
bin, gar nicht vor. SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Ab-
geordneten der SPD)
All das ist auch finanzierbar. Wir brauchen eine mas-
sive Umsteuerung in der Steuerpolitik. Ich sage Ihnen Das zeigt sich bei der Arbeitslosigkeit und an der wach-
nur eine entscheidende Hausnummer: Wir müssen senden Wirtschaft.
Reiche und Vermögende, die zehn Jahre „gepampert“
Das Entscheidende bei den Konjunkturprogrammen
worden sind, endlich wieder stärker zur Kasse bitten.
ist, dass diese Bundesregierung nicht auf interventionis-
Wir wollen die Wiedereinführung der Vermögensteuer tische Strohfeuer setzt, sondern auf eine nachhaltige För-
vor allen Dingen bei Millionären und Milliardären. Es ist derung, auf Investitionen in Bildung, Wissenschaft und
möglich, mit einer 5-prozentigen Besteuerung mindes- Forschung.
tens 80 Milliarden Euro jährliche Mehreinnahmen zu er-
zielen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen wei- (Garrelt Duin [SPD]: Wo denn?)
tere steuerpolitische Maßnahmen darlegen, mit denen Auch unter Berücksichtigung des Konsolidierungs-
man endlich zu einer Sanierung, zu einer deutlich besse- zwangs, insbesondere der Schuldenbremse, haben wir
ren finanziellen Ausstattung der öffentlichen Hand kom- hier maßgebende Entscheidungen getroffen, in die Zu-
men könnte. kunft dieses Landes, in die Zukunft unserer nachfolgen-
Ich danke Ihnen. den Generationen zu investieren. Das ist tatsächlich
sinnvolle langfristige Konjunkturpolitik und kein einma-
(Beifall bei der LINKEN) liges Strohfeuer.
Weiterhin setzen wir auf antizyklische Fiskalpolitik.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dauerhafte staatliche Subventionen verzerren den Wett-
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Lindner bewerb, verursachen hohe Kosten und stehen effizienten
(B) für die FDP-Fraktion. Marktmechanismen im Wege. In dieser Phase ist es rich- (D)
tig und vernünftig, auf die Stabilisierung unserer
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Staatsfinanzen zu setzen. Bei allen Umfragen, bei allen
der CDU/CSU) Erhebungen in der deutschen Wirtschaft wurden in den
letzten Monaten, im letzten Jahr die hohe staatliche Ver-
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): schuldung und die Gefahren, die sich daraus für die ge-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn samte Euro-Zone entwickelt haben, als zentrales Pro-
man meinem Vorredner von der Linken zugehört hat, blem identifiziert.
hätte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssen, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
wir hätten nicht ein Wachstum, sondern eine Rezession NIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wollen Sie
von 3 Prozent. Lieber Kollege Schlecht, das Einzige, auch Steuern senken! Die FDP will doch die
was noch gefehlt hätte, wäre, dass Sie uns hätten weis- Schulden erhöhen!)
machen wollen, dass unser Wirtschaftswachstum von
knapp 3 Prozent auf Konjunkturprogramme in Nordko- Es ist richtig, dass wir hier trotz der Schwerpunktsetzun-
rea und Venezuela zurückgeht. gen bei Bildung und Forschung einen klaren Blick auf
die Rückführung der staatlichen Defizite gerichtet ha-
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – ben.
Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ist das
schwach!) (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Kann der Staatssekretär nicht mal zu-
Wir sind hier auf richtigem Kurs; das muss ich auch hören!)
dem Kollegen Tiefensee sagen. Ein Wachstum von – Der Staatssekretär hört selbstverständlich zu.
3 Prozent,
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nein, tut er nicht! Er ist im Gespräch!)
NEN]: Die FDP ist auf einem 5-Prozent-
Kurs!) Er sitzt da und ist völlig gespannt, was ihm sein liberaler
Koalitionspartner so zu erzählen hat.
ein Sinken der Arbeitslosigkeit auf etwa 3 Millionen –
das ist dank einer vernünftigen, liberal-konservativen (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Politik dieser Bundesregierung erfolgt. NEN]: Man sieht die Anspannung förmlich! –
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Staatssekretär
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ist ein guter Mann!)
7032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Martin Lindner (Berlin)


(A) Wir sind uns auch völlig einig: Wir sind eine ge- (Garrelt Duin [SPD]: Was ist mit der Mehr- (C)
schlossene Bundesregierung, die in den letzten Monaten wertsteuersystematik?)
gezeigt hat, was geht.
die zu einem solideren Aufkommen gerade der Kommu-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen beitragen, aber zu einer Vereinfachung der gesamten
Steuersystematik führen.
Wir haben in den letzten Wochen so viel angeschoben,
wie Sie in Ihrer gesamten rot-grünen Bundesregierungs-
zeit insgesamt nicht angeschoben haben: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegen Tiefensee?
NEN]: Ach ja? – Garrelt Duin [SPD]: Das ist
ja wohl ein Witz!) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Wir haben die Staatsfinanzen stabilisiert, Hartz IV refor- Ja. – Herr Tiefensee, bitte.
miert, ein Energiekonzept auf den Tisch gelegt,
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wolfgang Tiefensee (SPD):
NEN]: Das Energiekonzept hat diesen Namen Vielen Dank für die Möglichkeit, zu fragen. – Herr
nicht verdient!) Dr. Lindner, Sie haben die einzelnen Programme des
Konjunkturpaketes in die Nähe von Strohfeuern gerückt.
die Bundeswehrreform angeschoben. Sie hätten sich Sie haben deutlich gemacht, dass nach Ihrer Wirtschafts-
doch nicht träumen lassen, dass wir all das innerhalb von politik diese Programme endlich seien, und haben ge-
Wochen auf den Weg bringen. sagt, man müsse zu einer Kontinuität außerhalb dieser
Meine Damen und Herren, es war richtig und ver- Programme kommen, wenngleich die Programme wich-
nünftig, die Konjunkturprogramme so anzulegen, dass tig und gut seien.
sie Impulse setzen, aber dass sie in den nächsten ein, Bei der energetischen Gebäudesanierung ist das
zwei Jahren auch sanft wieder auslaufen. Herr Tiefensee, Finanzvolumen auf zunächst 400 Millionen Euro, dann
da besteht der gravierende Unterschied zwischen uns. auf 900 Millionen Euro gekürzt worden. Staatssekretär
Konjunkturpakete können und müssen im Einzelfall Mücke spricht davon, dass in diesem Jahr und in den fol-
sinnvoll eingesetzt werden. Da sind wir nicht ideolo- genden Jahren jeweils 3 Milliarden Euro nötig seien.
gisch und sagen nicht: Auch in solch dramatischen Pha- Herr Bundesminister Röttgen spricht davon, dass 2 Mil-
sen, wie wir sie gerade in den letzten Jahren hatten, liarden Euro nötig seien. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir
spielt der Staat keine Rolle. – Er spielt eine Rolle. Wenn einer Meinung, dass genau das, was ich angesprochen
(B) er sie langfristig ausfüllt, ist das auch sinnvoll. Der Un- habe, nötig ist, nämlich dass diese Programme nicht ab- (D)
terschied zwischen Ihnen und uns hat sich in Ihrer Rede gebrochen werden, wie Sie es wollen, sondern verstetigt
gezeigt. Sie haben gefragt, warum dieses oder jenes Pro- werden?
gramm nicht fortgeführt wird. Wir müssen in einer Phase
der wirtschaftlichen Erholung – ich gebe den Vorred- Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
nern recht, dass sie noch nicht zu Ende ist – die Ressour- Kollege Tiefensee, ich sehe eine ganze Reihe von an-
cen ausschöpfen, um in späteren Abschwungphasen über deren Feldern, in denen es ebenfalls durchaus wün-
genug Mittel zu verfügen, um wieder anzuschieben. schenswert wäre, mehr Mittel einzusetzen. Bei der steu-
Aber wir können solche Programme nicht ad infinitum erlichen Forschungsförderung beispielsweise habe ich
fortsetzen, wie Sie sich das wünschen, so sinnvoll die ganz persönlich den Eindruck, dass man da noch etwas
Programme im Einzelnen auch sein mögen. Langfristi- tun könnte. Ich glaube auch, dass wir bezüglich der In-
ges Ziel muss sein, durch gescheite Rahmenbedingun- frastruktur des Staates noch mehr machen könnten. Wir
gen dafür zu sorgen, dass sich dieser Aufschwung, der haben eine ganze Reihe von Ideen, die – da werden wir
sich am Ende dieses Jahres so drastisch zeigt, in den uns relativ schnell einig sein – durchaus sinnvoll sind.
nächsten Jahren verstetigt und solide fortsetzt. Aber wir haben andererseits den Druck der notwendigen
Meine Damen und Herren, die Verstetigung des Auf- Konsolidierung der Staatsfinanzen. Die Einführung der
schwungs und die Kräftigung der Wirtschaft sind auch Schuldenbremse haben nicht allein die FDP und die
für das Gedeihen des Sozialstaats entscheidend. Hier Union beschlossen, sondern auch die SPD,
müssen wir Grundlagen erwirtschaften, die wir im An- (Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP])
schluss wieder verteilen können. Bei Ihnen – das ist auch
bei meinem Vorredner wieder deutlich geworden – ist in einer Zeit, in der Sie noch nicht in einer Art Populis-
die Reihenfolge umgekehrt. Für uns kommt zuerst die mus light wie ein Rohr im Winde durch die Gegend trie-
ökonomische, dann die soziale Leistungsfähigkeit. Bei ben, sondern noch Verantwortung getragen haben. Wenn
Ihnen scheint das jedes Mal umgekehrt zu sein. Sie jetzt an unserer Stelle wären, würden Sie nicht an-
ders handeln.
Wir haben noch einiges vor. Wir brauchen eine steu-
erliche Systematisierung. Das ist selbstverständlich. Hier (Garrelt Duin [SPD]: Doch! Ganz sicher!)
geht es nicht darum, im Einzelfall riesige Entlastungen Auch Sie müssten sich ebenso wie wir den Zwängen und
zu erreichen. Vielmehr geht es darum, einzelne Steuern,
dem Druck der Haushaltskonsolidierung beugen.
beispielsweise die Gewerbesteuer, zu betrachten und zu
überlegen, ob man sie nicht durch andere, sinnvollere (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Steuern ersetzen kann, der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-
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Dr. Martin Lindner (Berlin)
(A) Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ma- lässlichkeit zu demonstrieren, für alle Partner, die an sol- (C)
chen noch mehr Schulden!) chen Projekten beteiligt sind.
Natürlich wollen wir die Programme fortsetzen. Es ist ja (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nicht so, dass diese Programme auslaufen. Wir haben
4,9 Milliarden Euro für die Umweltprämie vorgesehen, Wir brauchen weiterhin – auch das haben wir ge-
zeigt – ein sinnvolles Energiekonzept statt Ideologien.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das Konzept ist aber
NEN]: Jetzt falle ich aber vom Glauben ab!
nicht sinnvoll! Das ist Ideologie pur!)
Die FDP war doch gegen die Abwrackprä-
mie!) – Sie betreiben Ideologie! Sie suggerieren den Men-
schen, dass es möglich sei, hier in Deutschland Kern-
3,1 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den
kraftwerke abzuschalten mit der Folge, dass es das Pro-
Kommunen und Ländern, 1,3 Milliarden Euro zusätzli-
blem nicht mehr gibt
che Investitionen des Bundes. Das haben wir doch alles,
und es läuft auch weiter. Wir sind hier aber nicht in einer (Bettina Hagedorn [SPD]: Nein! Wir haben ei-
Art Wüsch-dir-was-Kino, in dem jeder sein Lieblings- nen Atomkonsens, den Sie aufgekündigt ha-
programm bekommt. ben!)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Was ist mit dem völlig ignorierend, dass um uns herum Kernkraftwerke
„Wünsch dir was“ für Hoteliers?) erhalten und sogar neue gebaut werden. Da ist es doch
pure Ideologie, zu sagen: Wir schalten Biblis und Neckar-
Meine Damen und Herren, ich war bei der steuerli- westheim ab,
chen Systematisierung stehen geblieben, die ein dringen-
des Erfordernis ist; die Verknappung und Konzentration (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist keine Ideo-
von Regeln ist ein weiteres Erfordernis. Wir müssen ins- logie, das ist vernünftig!)
besondere mehr für unsere Exportwirtschaft tun, auch
weil wir wissen, dass wir uns im Export in den nächsten lassen zu, dass in Frankreich die Kraftwerke laufen, und
Jahren großen Herausforderungen zu stellen haben; die lassen die ausländischen Kernkraftwerksbetreiber die
Amerikaner wie auch die Chinesen und andere werden Gewinne machen.
mit Macht auf den Markt drängen. Wir müssen der Ex- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
portwirtschaft helfen, ihre Spitzentechnologieprodukte, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger
zum Beispiel im Maschinenbau, noch leichter und besser Unsinn! Sie haben doch überhaupt keine Ah-
ins Ausland verkaufen zu können. nung! Erzählen Sie nicht so einen Mumpitz
(B) hier!) (D)
Wir brauchen Verfahrensbeschleunigung. Wir le-
ben in einem Lande, in dem es nicht nur 12- bis 15-jäh- Das ist Ihre Politik. Sie betreiben das Geschäft ausländi-
rige Planfeststellungsverfahren und Raumordnungsver- scher Kraftwerksbetreiber. Wir betreiben Politik im
fahren für Infrastrukturprojekte gibt. In diesem Land Sinne des deutschen Verbrauchers.
muss man teilweise auch drei Jahre auf einen ersten Ter-
min beim Verwaltungsgericht warten. Das schädigt und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
hemmt die Wirtschaft. Bettina Hagedorn [SPD]: Sie strangulieren die
erneuerbaren Energien!)
(Zuruf von der SPD: Stuttgart 21!)
– Niemand tut das. Es gibt eine Vorrangeinspeisung,
– Wenn Sie hier schon wieder „Stuttgart 21“ dazwi- Frau Kollegin, und das wissen Sie genau.
schenrufen: Natürlich brauchen wir auch Infrastruktur.
Seit ich denken kann, hat es Demonstrationen gegen je- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
des Infrastrukturprojekt gegeben. Ich bin in München NIS 90/DIE GRÜNEN]: Plappern Sie nicht
aufgewachsen. Gegen den Flughafen waren damals dauernd die Argumente der Atomlobby nach!)
mehr als 50 000 auf der Straße. Ebenso war man gegen – Ja, jetzt sind wir endlich wieder da! Jetzt kommt die
die Startbahn West, gegen Mutlangen. Sie waren immer Trinitas der Teufelei: Rüstungslobby, Atomlobby und
dabei. – was habe ich vergessen? –
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wackersdorf!) NEN]: Pharmalobby! – Weitere Zurufe)
– Wackersdorf. – Es spielt gar keine Rolle; Autolobby. Zum Schluss kommt noch der Satan selbst:
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wenn es eine Rolle Ackermann.
spielt, schon!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
wenn es um Kraftwerke, Autobahnen, Flughäfen usw. Das ist Ihre einfache Welt, aber so einfach ist die Welt da
geht, finden sich in diesem Land immer genug, die sich draußen nicht.
irgendwie dagegen positionieren. Wir brauchen diese
Projekte aber trotzdem. Wenn dieses Land eine Zukunft (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
haben will, werden wir solche Projekte auch zukünftig NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist Ihre ein-
realisieren müssen. Es gilt, auch in solchen Fragen Ver- fache Welt!)
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Dr. Martin Lindner (Berlin)


(A) Weiterhin bedarf es sinnvoller Anreize, in Arbeit zu worden sind und weiterhin solide auf dem vierten Platz (C)
kommen und nicht in Sozialsysteme; auch das haben wir stehen. Auch das ist ein Zeichen dieser Koalition.
gezeigt. Es war richtig und wichtig, dass sich diese Ko-
alition gestern Abend darauf geeinigt hat, die Zuver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dienstmöglichkeiten im Hartz-IV-Bezug zu erweitern
und die Regelsätze nicht dramatisch zu erhöhen. Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Kollege, Sie müssen nun zum Schluss kommen.
der CDU/CSU)
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Auch das ist ein Unterschied. Wir wollen, dass die Leute
in Arbeit kommen. Wir wollen sie nicht dauerhaft ali- Für all dies – moderate, vernünftige Lohnpolitik, ver-
mentieren. Sie stellen sich ja eine Art Daueralimentation nünftige Fiskalpolitik, Investitionen in Forschung und
vor. Bildung – steht diese Bundesregierung und steht unser
Bundesminister Brüderle. Wir stehen für den Auf-
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir wollen, schwung in Deutschland.
dass die Leute Löhne bekommen!)
Herzlichen Dank.
Das ist purer Populismus. Von den Parteien, die Hartz IV
eingeführt haben, hört man jetzt das lauteste Geschrei. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
Legen wir einmal Ihre Zahlen zugrunde: Sie fordern chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
420 Euro Mindestregelsatz – davon brauche ich gar GRÜNEN)
nicht zu reden – und gleichzeitig 7,50 Euro bzw.
8,50 Euro Mindestlohn. Rechnen Sie sich das doch ein- Präsident Dr. Norbert Lammert:
mal aus! Eine Familie mit zwei Kindern im Hartz-IV- Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae,
Bezug steht dann dauerhaft finanziell besser da als eine Bündnis 90/Die Grünen.
Familie, in der man arbeiten geht. Das ist purer Populis-
mus. Den machen wir nicht mit. Das unterscheidet uns.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-
Widerspruch bei der LINKEN) schätzter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie zuhören.
Das haben die Menschen gewählt, und das bekommen Bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich auf Stutt-
sie jetzt auch; ganz klar. gart 21 eingehen, weil auch Sie, Herr Lindner, Stuttgart 21
angesprochen haben. Seit Tagen hören wir ja von Ihnen
(B) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- dieses Lamento: Dagegen sein wäre das Einzige, was (D)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei 5 Prozent sind wir könnten.
Sie in den Umfragen! Die Menschen erkennen
das langsam!) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das
stimmt doch!)
– Sie können sich die Umfragen täglich im Badezimmer
oder Schlafzimmer aufhängen; entscheidend in Deutsch- Ich sage Ihnen eines: Man kann auch für etwas sein, in-
land – das muss ich Ihnen ganz klar sagen – sind Wahlen dem man gegen etwas ist.
und nicht Umfragen. Wir haben einen Regierungsauftrag (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
für vier Jahre. Den werden wir wahrnehmen. Danach
– das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen – werden Natürlich sind wir dagegen, 10 Milliarden Euro in der
wir auch wiedergewählt. Erde zu verbuddeln. Natürlich sind wir für eine zu-
kunftsfähige Verkehrsinfrastruktur. Natürlich sind wir
Die größte Herausforderung ist, für eine Integration
dafür, dass die 10 Milliarden Euro sinnvoll eingesetzt
auch der ausländischen Zuwanderer in den Arbeits-
werden. Aber diskreditieren Sie nicht Zehntausende von
markt zu sorgen. Es wird wirklich eine der großen He-
Menschen, die auf Demonstrationen gehen und sagen:
rausforderungen für diese Koalition sein, in den nächs-
Dieses Projekt ist falsch. Wir wollen etwas anderes. –
ten Jahren dafür zu sorgen, dass wir nicht Zuwanderung
Das ist keine Dagegen-Haltung, sondern es ist ein Ein-
in die Sozialsysteme, sondern Zuwanderung in den Ar-
treten für eine zukunftsfähige, moderne Politik. Seien
beitsmarkt bekommen.
Sie da vorsichtig!
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herr Kollege. und bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner
[Berlin] [FDP]: Quatsch!)
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Die Konjunkturpakete – wir haben sie in weiten Tei-
Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland – dazu len positiv begleitet, auch wenn wir herbe Kritik an Ein-
werden wir große Anstrengungen unternehmen – sowie zelmaßnahmen hatten – waren eine teure Angelegenheit:
eine vernünftige Lohn- und Gehaltspolitik. Es hat sich 100 Milliarden Euro. Wir haben heute mit enormen Ver-
nämlich gezeigt, dass wir durch moderate Lohnerhöhun- schuldungsproblemen zu tun. Vor allem gibt es Risiken
gen in der Vergangenheit im verarbeitenden Gewerbe in- aus Bankenrettung und Unternehmensbürgschaften, die
nerhalb der Europäischen Union wettbewerbsfähig ge- noch nicht richtig dargestellt sind.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7035
Kerstin Andreae
(A) Wir haben uns nicht grundsätzlich gegen Konjunktur- Atomausstieg gekippt. Sie sagen nun, mit dem Atomaus- (C)
programme gestellt, aber wir haben immer gesagt: Kon- stieg hätten Sie einen Weg zu den erneuerbaren Energien
junkturpolitische Maßnahmen müssen eine doppelte beschritten.
Rendite haben. Sie müssen die konjunkturelle Lage sta-
bilisieren bzw. verbessern, aber sie müssen vor allem da- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Genau!)
hin gehend wirken, dass hin zu mehr Nachhaltigkeit Unterhalten Sie sich einmal mit den Vertretern von Ver-
umgesteuert wird. Durch sie muss die Möglichkeit eröff- bänden und Betreibern erneuerbarer Energien! Warum
net werden, einen neuen Pfad einzuschlagen. Dieser sehen sie das denn ganz anders?
neue Pfad heißt Ökologisierung und Modernisierung der
Wirtschaft hin zu Zukunftstechnologien, hin zu Zu- (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist
kunftsmärkten. Wir müssen anerkennen, dass wir auf Ihre Lobby! Entschuldigung! Von denen be-
einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen kommen Sie Spenden!)
leben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Konjunktur- Sie sehen es deswegen anders, weil Sie mit Ihrem Ener-
politik immer unter der Maßgabe der Ökologie diskutie- giekonzept zu einer Deindustrialisierung Deutschlands
ren. Das haben Sie in weiten Teilen nicht gemacht. Das beitragen, weil die Produzenten erneuerbarer Energien
kritisieren wir an den Konjunkturprogrammen, die Sie Deutschland verlassen werden – entsprechende Anlagen
aufgelegt haben. lohnen sich nämlich hier nicht mehr –,
China ist zwar kein Vorzeigemodell für uns, hat aber
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
in seinen Konjunkturprogrammen einen Schwerpunkt
Das sind Hunderttausende von Arbeitsplät-
auf Ökologie gelegt, deutlich stärker als Deutschland.
zen!)
Warum hat man das dort gemacht? Man hat es deswegen
gemacht, weil das wirtschaftspolitisch langfristig mehr weil Sie die Monopolgewinne der großen Atomkonzerne
Erfolg nach sich zieht. Hier haben Sie eine enorme verstetigen und den Wettbewerb kaputtmachen.
Chance verpasst.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie sind
Sie haben für die Abwrackprämie 5 Milliarden Euro lobbyabhängig! Da ist die ganze Solarwirt-
in die Hand genommen, ohne damit ökologische Len- schaft, von der Sie Spenden kriegen! Wir ma-
kungswirkungen zu verbinden. Sie hätten diese Prämie chen keine Lobbypolitik, wir machen Politik
doch auf verbrauchsarme Autos ausrichten können. für das Volk!)

Beim Kurzarbeitergeld hatten Sie am Anfang eine – Herr Lindner, ich würde Ihnen als Vertreter der FDP
(B)
kluge Idee, als Sie sagten: Wir verbinden Kurzarbeit mit empfehlen, erstens ganz vorsichtig sein, über Spenden- (D)
Qualifizierung. Dies haben Sie dann irgendwann empfänger zu reden,
klammheimlich einkassiert. Damit haben Sie eine (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das sind
enorme Chance verpasst, während der Zeit der Kurz- Ihre Spender! Natürlich!)
arbeit Qualifizierung in den Vordergrund zu stellen. Da-
mit hätten Sie einen Teil dazu beitragen können, die und zweitens ganz vorsichtig zu sein, über Lobbypolitik
Wirtschaft auf einen neuen Pfad auszurichten und neue zu reden. Sie können den Anspruch, Wettbewerbspartei
Technologien zu implementieren. Dieses Vorhaben ha- zu sein – ich weiß nicht, warum Sie den jemals für sich
ben Sie einkassiert. Auch hier haben Sie eine Chance reklamiert haben –, völlig einsammeln. Sie sind eine
verpasst. Partei der Konzerne, der Atomlobby,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Lindner [FDP]: Ackermann!)
Jetzt geht es um die Frage: Führen wir diese Konjunk- der Pharma- und der Hotellobby. Sie haben keine Politik
turprogramme fort? Ich bitte wirklich darum, dass wir zugunsten des Wettbewerbs gemacht.
das sehr intensiv diskutieren. Wir können die Konjunk-
turprogramme nicht einfach fortsetzen. Das macht kei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nen Sinn, und das können wir uns auch nicht leisten. Wir und bei der SPD)
brauchen jetzt strukturelle Veränderungen. Wir brauchen Ich sage Ihnen, an welcher Stelle Sie strukturelle Ver-
Strukturprogramme und keine Konjunkturprogramme. änderungen vornehmen müssen: beim Fachkräfteman-
Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir haben, gel.
um an ganz entscheidenden Stellschrauben zu drehen
und tatsächlich strukturelle Veränderungen in der Wirt- (Christian Lindner [FDP]: Das habe ich vorhin
schaft zu bewirken. Ich will Ihnen im Einzelnen sagen, schon gesagt!)
wie Sie das tun könnten.
Sie haben den Fachkräftemangel zwar angesprochen; es
Sie, Herr Lindner, sagten ja, Sie hätten umfangreiche handelt sich dabei aber um ein weites Feld. Verbinden
Programme aufgelegt und sich gute Ideen einfallen las- wir es doch einmal mit dem Thema Kurzarbeit. Der
sen. Ich frage mich: Was haben Sie denn gemacht? Sie letzte Tag der Kurzarbeit ist auch der erste Tag des Fach-
haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den kräftemangels. Sie müssen anerkennen, dass die Unter-
Weg gebracht. Das finden die Leute nicht wirklich toll. nehmen durch den Fachkräftemangel keine Möglichkeit
Das haben wir im Einzelnen diskutiert. Sie haben den mehr haben, offenen Stellen zu besetzen.
7036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Kerstin Andreae
(A) Wir brauchen ein langfristiges Konzept. Was machen Das Problem ist, dass sich Ihr Verhalten eines Tages (C)
wir mit der Bildung? Was machen wir mit den Menschen, rächen wird. Wir müssen uns einmal anschauen, wo der
die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben? Was machen Aufschwung herkommt. Wir haben eine enorme Export-
wir mit den älteren Beschäftigten? Was machen wir mit abhängigkeit. Wir müssen strukturelle Veränderungen
den Ressourcen, die wir hier im Land haben? Was machen vornehmen, die unser Land stabilisieren und stärken.
wir ganz konkret für die IT-Firma, die gern einen indi- Wir müssen die Binnennachfrage thematisieren und die
schen Programmierer einstellen würde, es aber nicht kann, Unternehmen in den Wettbewerbsstrukturen des Welt-
weil sie keine 66 000 Euro für sein Jahresgehalt bezahlen markts in Position bringen. Das alles machen Sie aber
kann? Dazu sagen wir: Senkung der Einkommens- nicht. Sie berauschen sich stattdessen an den exportge-
schwelle für Hochqualifizierte auf 40 000 Euro! In die- leiteten Wachstumszahlen. Nächstes Jahr wird Ihnen das
sem Punkt sehen wir uns im wunderbaren Einklang mit bitter auf die Füße fallen.
der FDP.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Christian Lindner [FDP]: Sehen Sie! Gute
Frau Kollegin.
Leute!)
Diese Senkung wurde im Sommer sowohl von Herrn Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Brüderle als auch von Herrn Lindner gefordert. Wir ha- Dann treffen wir uns wieder hier und ich will sehen,
ben sie am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss und im wie Sie das dann erklären.
Innenausschuss gefordert. Wer aber hat sie abgelehnt?
Die FDP. Ankündigungspolitik, sonst nichts. Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick
Döring [FDP]: Erinnern Sie sich mal an Ihre Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zeit in der Koalition! Das liegt noch nicht Ernst Hinsken ist der nächste Redner für die CDU/
lange zurück!) CSU-Fraktion.
Ich möchte ein weiteres Beispiel für Ihre Ankündi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
gungspolitik nennen: Die kleinen und mittleren Unter- neten der FDP)
nehmen ächzen unter den bürokratischen Belastungen.
Was aber machen Sie? Sie wollten eigentlich den Nor- Ernst Hinsken (CDU/CSU):
menkontrollrat stärken. Sie wollten den Normenkon- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
trollrat – Fahne hoch – schon in Oppositionszeiten im- Lassen Sie mich kurz auf das replizieren, was von mei- (D)
(B)
mer stärken. Man wollte herausfinden, wie hoch die nen Vorrednern gesagt worden ist. Herr Tiefensee, Sie
Belastungen für die Unternehmen sind. Wir haben uns haben mich ein bisschen enttäuscht – bei mir stehen Sie
gesagt, dies jetzt gemeinsam mit Ihnen anzugehen. Sie in sonst immer hoch im Kurs –: Sie sollten eine Rede zur
der Regierung und wir in der Opposition hätten die Stär- Großen Anfrage, die Sie gestellt haben, halten, haben
kung des Normenkontrollrats auf den Weg bringen kön- aber völlig am Thema vorbeigeredet.
nen. Der Gesetzentwurf ist aber in der Versenkung ver-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
schwunden.
Bei Ihnen, Herr Schlecht, möchte ich Nachsicht üben.
Was ist noch in der Versenkung verschwunden? Auch Sie sind erst seit einem Jahr im Deutschen Bundestag.
das Entflechtungsgesetz ist in der Versenkung ver-
schwunden. Ich frage deshalb: Wie gehen wir eigentlich (Lachen bei der LINKEN)
mit monopolistischen Strukturen um? Haben wir ein Lärm erzeugen und keine Substanz haben bringt uns
scharfes Schwert, angesichts dessen wir sagen können: aber nicht weiter. Es wäre also auch bei Ihnen ange-
Ja, wir wollen in diesem Bereich mehr Wettbewerb und bracht, sich ein bisschen mehr in die Materie zu bege-
werden ihn einfordern? Minister Brüderle sagt, das In- ben.
strument der Entflechtung sei grundsätzlich in Ordnung.
Aber das Gesetz verschimmelt in der Schublade. Das ist Verehrte Frau Kollegin Andreae, Sie haben selbst ge-
Ankündigungspolitik. sagt, dass Sie die Konjunkturprogramme in weiten Tei-
len positiv begleitet haben. Bei der Abstimmung waren
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie aber dagegen.
Bei der Umsatzsteuer-Strukturreform haben Sie mit (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der 1 Milliarde Euro einen ordnungspolitischen Sünden- NEN]: Aber das habe ich, bitte schön, auch er-
fall begangen, Stichwort Hotellobby. Grundsätzlich hät- klärt!)
ten Sie an die komplizierte Umsatzsteuer herangehen
können. Was aber ist passiert? Eingesammelt, Ankündi- – Ja, das haben Sie nebenbei erwähnt. – Es stünde Ihnen
gungspolitik. Stellen Sie sich also nicht hierhin und be- gut an, sich einmal vom Chefberater von BMW und
haupten, Sie würden große Programme machen. Dieser Rewe, Herrn Joschka Fischer, dem früheren Vorsitzen-
Aufschwung geht nicht auf Ihre Kappe. Die schwarz- den Ihrer Fraktion, beraten zu lassen, der seine Meinun-
gen vielleicht in der Zwischenzeit geändert hat, um über-
gelbe Wirtschaftspolitik berauscht sich an Wachstums-
haupt in solch eine Position zu kommen.
zahlen, Sie tun aber nichts für positive strukturelle Ver-
änderungen. (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7037
Ernst Hinsken
(A) Ich meine schon, dass wir stolz sein können, weil wir Es liegt auf der Hand: Der Bund schiebt den Bildungsbe- (C)
allen Unkenrufen zum Trotz die zwei größten Krisen der reich – über diese subsidiäre Hilfe hinaus – mit Investi-
Nachkriegszeit bewältigt haben. Wir sind besser durch tionen in Höhe von insgesamt 4 Milliarden Euro weiter
die Krise gekommen, als wir befürchtet hatten. Ein wei- an.
terer erfreulicher Aspekt kommt hinzu: Die Konjunk-
turerholung festigt sich zunehmend. Dazu haben gerade Herr Staatssekretär Dr. Scheuer, es gab weitere rich-
die zwei Konjunkturprogramme einen wichtigen Beitrag tige Weichenstellungen am laufenden Band: allein
geleistet. Herr Schlecht, die Programme haben eben 2 Milliarden Euro für den Ausbau von Verkehrswegen,
auch die Binnenkonjunktur angekurbelt. 750 Millionen Euro für die energetische Sanierung von
Bundesliegenschaften, 650 Millionen Euro für Investi-
Ich möchte der Vollständigkeit wegen darauf verwei- tionen in den Ministerien, 500 Millionen Euro für die
sen, dass wir zusammen mit der SPD in der Großen Ko- Modernisierung der Informations- und Kommunika-
alition die Weichen richtig gestellt haben. tionstechnologie.
(Garrelt Duin [SPD]: Unser Reden! Sehr gut!) Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht vergessen:
Warum werden wir denn momentan weltweit gelobt, Die steuerlichen Maßnahmen im Rahmen dieser Kon-
etwa vom Internationalen Währungsfonds und von der junkturprogramme waren eine kleine Einkommensteu-
EU-Kommission? Warum werden wir momentan welt- erreform. Wir haben alle Bürger einbezogen, alle haben
weit um dieses Jobwunder beneidet? Warum werden wir davon profitiert. Der Eingangssteuersatz wurde von
weltweit an verschiedener Stelle immer wieder gefragt, 15 auf 14 Prozent gesenkt, der Grundfreibetrag für eine
wie wir Deutsche das gemacht haben? Warum wird uns vierköpfige Familie auf über 28 000 Euro angehoben.
weltweit nachgeeifert? Weil die Bundesregierung unter Weil uns Kinder einfach viel bedeuten, haben wir zusätz-
Angela Merkel auf diesem Gebiet hervorragende Politik lich das Kindergeld um einmalig 100 Euro erhöht. Das
betrieben hat. Das soll nicht unter den Tisch gekehrt kann sich sehen und hören lassen. Es war die Regierung
werden, sondern das verdient Anerkennung. Wir alle unter Angela Merkel. Das soll heute im Mittelpunkt mei-
sollten stolz darauf sein. ner Ausführungen stehen dürfen.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Konjunkturprogramme hatten ein Gesamtvolu- Weil die jetzige Bundesregierung weiterhin eine rich-
men von 23,5 Milliarden Euro. Herr Schlecht, jetzt pas- tige Politik macht, sinken die Arbeitslosenzahlen Mo-
sen Sie einmal gut auf: nat für Monat. Aktuell sind es gerade noch 3 Millionen.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Jawohl!) Nach allem, was wir hören, wird die magische 3-Millio-
(B) nen-Grenze zum Winter hin sogar noch geknackt wer- (D)
Erstens. Die Wiedereinführung der degressiven Ab- den. All das stimuliert den privaten Konsum.
schreibung für Maschinen für die Jahre 2009 und 2010
sowie die Ausweitung der steuerlichen Absetzbarkeit Werte Frau Kollegin Andreae, richtig gehandelt
von Handwerksleistungen für Privathaushalte mit einem wurde auch durch die Auflage des Kurzarbeitergeldes.
Volumen von circa 5 Milliarden Euro waren die richti- Dadurch blieben mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze
gen Maßnahmen für Handwerk und Mittelstand. Es war erhalten. Was ein Arbeitsplatz bedeutet, kann der am
goldrichtig, denn dadurch wurde die Investitionsbereit- meisten schätzen, der keinen mehr hat. Die Menschen
schaft der mittelständischen Unternehmen erhöht. Das danken es uns. Sie sagen: Jawohl, ihr von der Regierung
wollten wir; zu guter Letzt haben wir es erreicht. habt das richtig gemacht. Ihr habt uns – auch bildhaft
ausgedrückt – über den Winter geholfen. Jetzt sind wir
Zweitens – dies wurde vor allen Dingen von Frau wieder in festen Arbeitsverhältnissen.
Kollegin Andreae angesprochen –: die Abwrackprä-
mie. Dafür haben wir wiederum 5 Milliarden Euro zur Ich will bei dieser Gelegenheit auch darauf verwei-
Verfügung gestellt. Auch die Abwrackprämie war rich- sen, dass es für mich als Regionalpolitiker besonders
tig. wichtig war, dass die Bundesregierung insbesondere den
strukturschwachen Regionen unter die Arme greift und
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein Zeichen setzt. So wurden allein im Jahr 2009 zusätz-
Weil ihr keinen Strukturwandel wollt?) lich 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe
Das kann man erst jetzt, im Nachhinein betrachtet, dop- „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ aus-
pelt und dreifach feststellen. gegeben.
Drittens: die Bereitstellung von weiteren 10 Milliar- (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/
den Euro für Zukunftsinvestitionen in den Jahren 2009 CSU])
und 2010. Damit gelang der große Wurf. Bei diesem
Konjunkturprogramm bilden die Investitionen in Bil- – Kollege Lämmel, ich bedanke mich für den Beifall. Ich
dung und Forschung das Herzstück. Es handelt sich um weiß, dass die Bürger in Ihrem Wahlkreis davon profi-
das größte Investitionsprogramm für Bildung, das es je tiert haben.
in Deutschland gegeben hat.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Garrelt
(Klaus Barthel [SPD]: Darum wird es jetzt Duin [SPD]: Der hat Sie doch gerade hinters
gestoppt, oder?) Licht geführt! Ausgerechnet Lämmel!)
7038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Ernst Hinsken
(A) Dadurch wurde verhindert, dass die großen Bereiche Großen Koalition die genannten Vorhaben auf den Weg (C)
beispielsweise in den Grenzregionen durch die Krise in gebracht haben.
Mitleidenschaft gezogen wurden.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So sind wir halt!)
Schlicht auf den Nenner gebracht: Es waren Glücks-
griffe für die ganze Nation. Das Machbare wurde getan. – Einzelne von Ihnen sind so, Sie zum Beispiel, aber
Gerade durch die Konjunkturprogramme wurden zwei nicht alle.
Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen konn- Meine erste Botschaft ist: Die Konjunkturpakete ha-
ten sinnvolle Projekte in Angriff genommen werden, die ben deutlich gemacht, wie richtig und wichtig politi-
dringend der Verwirklichung bedurften. Zum anderen sches Handeln ist. Es ist nicht so, wie die FDP über Jahre
konnten Arbeitsplätze vor Ort geschaffen bzw. gehalten hinweg immer wieder erzählt hat: Wirtschaft wird in der
werden. In meinem Heimatland Bayern beispielsweise Wirtschaft gemacht, und in der Politik solle man sich am
laufen die Konjunkturprogramme bestens. Ich war vor besten heraushalten. Wenn wir uns in dieser massiven
Ort und werde demnächst wieder vor Ort sein, Herr Lan- Krise herausgehalten und nicht diese Kraftanstrengung
desgruppenvorsitzender Dr. Friedrich, um mit den Men- unternommen hätten, dann sähe es in Deutschland gänz-
schen zu reden, um zu erfahren, woran es mangelt. lich anders aus. Es ist gut, dass wir Ihnen nicht gefolgt
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: sind, es ist gut, dass Sie nicht regiert haben, als die Krise
Sehr gut!) auf dem Höhepunkt war, meine sehr geehrten Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP.
Ich möchte mich bei der Bundesregierung und bei der
Staatsregierung dafür bedanken, dass unbürokratisch ge- (Beifall bei der SPD)
handelt wurde und dass man schnelle Entscheidungen Es ist richtig, dass die positive Entwicklung, die sich
herbeiführen konnte, die uns Gott sei Dank in die Vor- zurzeit in vielen Branchen niederschlägt, sehr stark vom
derhand gebracht haben. Export abhängt. Deswegen und aufgrund der Tatsache,
dass die Konjunkturpakete zum Ende dieses Jahres aus-
Präsident Dr. Norbert Lammert: laufen, müssen wir uns jetzt überlegen, was noch getan
Herr Kollege, – werden kann.
Jede Analyse, die sagt, dass wir eine Stärkung der
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Binnennachfrage brauchen, ist richtig. Herr Brüderle
Ich weiß Bescheid, Herr Präsident. hat gestern erstaunlicherweise gesagt – man muss fast
Mitleid mit ihm haben, weil er seitdem so viel Haue be-
(B) Präsident Dr. Norbert Lammert: kommt –, dass ein wichtiges Element zur Stärkung der (D)
– das wäre ein hervorragender Schlusssatz gewesen. Binnennachfrage höhere Löhne sind. In diesem Zusam-
menhang hat er sogar einen einzelnen Tarifabschluss ge-
(Heiterkeit) lobt. Das ist eine sehr späte Erkenntnis und eine aus sei-
nem Mund überraschende Aussage, aber damit allein ist
Ernst Hinsken (CDU/CSU): es nicht getan. Wer nur auf die jetzt anstehenden Tarifab-
Ich komme zum Schluss. – Insgesamt gesehen wur- schlüsse wartet, gleichzeitig aber ausblendet, dass wir im
den die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, die Bereich der Leiharbeit endlich den Grundsatz der glei-
richtigen Programme aufgelegt und richtige Politik ge- chen Bezahlung brauchen, und ausblendet, dass wir in
macht. Der Wille zum Erfolg ist da. Das sind die Zauber- ganz vielen Bereichen endlich Mindestlöhne brauchen,
worte der Gegenwart und der Zukunft. Wenn wir das der wird der Herausforderung Stärkung der Binnennach-
berücksichtigen, wie es die Antwort der Bundesregie- frage nicht ausreichend gerecht.
rung auf die Große Anfrage vorsieht, dann bin ich der
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin
festen Überzeugung, dass wir den Mitbürgerinnen und
Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mitbürgern die Ängste nehmen können, den Arbeitsplatz
eines Tages zu verlieren. Was wir dringend brauchen, sind Investitionen. Ich
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. freue mich, dass der Kollege Döring anwesend ist, weil
ich auf ihn Bezug nehmen will. Sie haben noch im
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sommer ein sogenanntes Investitionsbeschleunigungs-
gesetz angekündigt. Im internationalen Vergleich und im
Präsident Dr. Norbert Lammert: Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn und Part-
Das Wort erhält der Kollege Garrelt Duin für die nern hat Deutschland eine der niedrigsten Investitions-
SPD-Fraktion. quoten. Das muss uns über das Ende dieses Jahres hi-
naus mit Sorge erfüllen. Dazu haben Sie, Herr Döring,
(Beifall bei der SPD) gesagt:
Wir müssen jetzt schnell ein umfassendes Gesetzes-
Garrelt Duin (SPD):
paket schnüren, um die wirtschaftliche Erholung zu
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen sichern, Investitionen zu erleichtern …
und Kollegen! Lieber Kollege Hinsken, ich bin Ihnen
dankbar, dass Sie mit deutlicher Euphorie noch einmal Das haben Sie im Juni eingefordert. Jetzt sind vier Mo-
darauf hingewiesen haben, dass wir gemeinsam in der nate herum, aber passiert ist nichts. Es kommt nichts.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7039
Garrelt Duin
(A) Ich zeige Ihnen einmal eine Darstellung der Arbeits- herausragende Ergebnisse erzielt haben. Ich frage nicht (C)
planung des Bundeswirtschaftsministeriums; Frau Sie, Herr Hinsken – Sie sind da standhaft –, sondern die
Andreae hat zu Recht darauf hingewiesen. Regierungskoalition insgesamt: Wie kann man in einer
konjunkturellen Situation wie dieser überhaupt auf die
(Der Redner hält ein Schaubild hoch) Idee kommen, die Mittel massiv zu kürzen? Wir brau-
Hier stehen fünf Punkte. Zwei davon sind internationale chen keine Kürzung bei der GRW-Förderung, sondern
Zwangsvereinbarungen, die man mitmacht. Dann steht eine Verstetigung, damit der Aufschwung, den wir alle
da das ERP-Wirtschaftsplangesetz; auch das ist Stan- begrüßen, auch in allen Regionen Deutschlands ankom-
dard. Aus diesem Ministerium kommt nichts an Initiati- men und die positive Förderung fortgeführt werden
ven, auch nicht das, was Sie von der Koalition selbst for- kann.
dern, obwohl das für den Standort Deutschland wichtig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
wäre. Es passiert einfach viel zu wenig. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Patrick Döring [FDP]: Warten Sie einmal ab!) Wir unterstützen Sie, Herr Hinsken. Ich hoffe, dass auch
Deswegen sind wir in dieser Debatte herausgefordert, alle anderen das begreifen.
auf das hinzuweisen, was man tun kann. Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle hat gesagt,
Herr Hintze, es gibt eine Reihe von guten Elementen, man könnte jetzt aus allem aussteigen, was durch die
die Begleitmaßnahmen der Konjunkturpakete waren. Da Konjunkturpakete auf den Weg gebracht wurde.
sie nicht der europäischen Reglementierung unterliegen (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr unter-
und dementsprechend nicht zum Ende dieses Jahres aus- stützt sie, aber ihr unterlegt sie nicht! Ihr redet
laufen müssen, könnten sie fortgeführt werden. Warum immer nur und gebt Geld aus!)
tun Sie im Bereich der Bürgschaftsbanken nichts, um die
Eigenkompetenz der Bürgschaftsbanken beizubehalten? Denn – so war sein Bild – wenn es nicht mehr regnet,
Das würde den KMUs helfen. Warum denken Sie nicht könne man den Regenschirm zuspannen. Das ist ein
darüber nach, wie wir die Laufzeit der Vereinfachungs- schönes Bild. Herr Brüderle nutzt gerne schöne Bilder;
regelung beim Vergaberecht verlängern können? Warum das möchte ich gar nicht kritisieren. Er betätigt sich ja
wird nicht darüber nachgedacht, wie wir die Mittel, die quasi als konjunkturpolitischer Wetterfrosch, um die
wir für den Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügung weitere Entwicklung vorherzusagen.
gestellt haben – das wäre im Interesse der Kommunen –,
weiterhin ausreichen können? Warum wird die auch von Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ihnen, Frau Strothmann, gelobte Verbesserung der steu- Aber das können Sie jetzt nicht mehr weiter ausfüh-
(B) erlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen nicht ren. (D)
fortgeführt? Warum wird darüber nicht gesprochen?
All diese Elemente haben sich bewährt. Dabei geht es Garrelt Duin (SPD):
nicht um ein neues Programm mit einem Volumen von Unsere Botschaft ist: Werfen Sie den Schirm nicht
100 Milliarden Euro, wie die Linkspartei es fordert, son- weg, sondern lassen Sie uns die Dinge nutzen, die gut
dern schlichtweg darum, aus ordnungspolitischen Grün- waren und die wir weiterführen können, ohne weitere
den die Dinge fortzuführen, die sich in den letzten zwei Neuverschuldung zu verursachen, um für die mittelstän-
Jahren bewährt haben. dischen Unternehmen etwas zu tun.
Verschließen Sie doch nicht die Augen. Sagen Sie (Patrick Döring [FDP]: Das ist die eierlegende
doch nicht einfach: Wir machen jetzt eine Exit-Strategie; Wollmilchsau! – Gegenruf der Abg. Bettina
das muss jetzt alles zu Ende sein, weil die Krise vorbei Hagedorn [SPD]: Nee, nee! Das geht schon!)
ist. Schauen Sie sich die Dinge an, die gut funktioniert Denn sie tragen diesen Aufschwung. Deswegen ist nicht
haben, die gut für die Kommunen sowie die kleinen und Tatenlosigkeit gefordert, sondern Engagement – hier in
mittelständischen Unternehmen waren. Führen Sie diese Deutschland, aber auch auf der europäischen Ebene.
fort, und beenden Sie sie nicht zum Ende dieses Jahres!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]:
Über das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schon Virtuelles Geld!)
gesprochen worden. Deswegen will ich diesen Punkt
überspringen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Hinsken, weil Sie die regionale Wirtschaftsför- Dr. Matthias Heider ist der nächste Redner für die
derung erwähnt haben, möchte ich auf dieses Thema zu- CDU/CSU-Fraktion.
rückkommen. Ich halte das ebenso wie Sie – ich weiß,
dass Sie so denken – für ein ganz entscheidendes Instru- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ment. Wenn wir uns die Zahlen des Wirtschaftsministe- neten der FDP)
riums anschauen, dann wissen wir, dass wir mit dem
Instrument der GRW-Förderung in den Bereichen Be- Dr. Matthias Heider (CDU/CSU):
schäftigung und Lohnentwicklung, in all den Bereichen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
die für die Binnennachfrage von großer Bedeutung sind, Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten befürchtet,
7040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Matthias Heider


(A) Herr Duin, dass die Große Anfrage der SPD offenbar nur damit gerechnet, dass die Ausrüstungsinvestitionen in (C)
darauf abzielt, noch ein paar Fleißkärtchen für die dama- diesem Jahr 8 Prozent übersteigen. Das zeigt: Die Unter-
lige Regierungsbeteiligung einzuheimsen. Aber dass Sie nehmen haben Vertrauen in diesen Aufschwung. Ich
hier heute Morgen die Leistungen der Arbeitnehmer und könnte es auch kurz machen und sagen: „Alles wird bes-
der Unternehmer in der Krise in Zweifel ziehen, dass Sie ser“, so wie es das Institut der deutschen Wirtschaft in
den Aufschwung kleinreden, überrascht uns dann doch. dieser Woche in seiner Schlagzeile festgestellt hat. Das
Wirtschaftswachstum wird sich im nächsten Jahr, wahr-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- scheinlich bei etwas gedrosseltem Tempo, um 2 Prozent
neten der FDP – Garrelt Duin [SPD]: Wo ha- fortsetzen. Herr Kollege Schlecht, es gibt in der Wirt-
ben Sie das gehört?) schaft Wellenbewegungen; es geht etwas rauf und etwas
Sie werden in den nationalen Parlamenten Europas un- runter. Das gehört zum Wirtschaftsleben dazu.
glaubliches Staunen für solche Reden, wie Sie sie heute Zur Krisenbewältigung gehört auch – meine Damen
gehalten haben, ernten. und Herren, geben Sie jetzt acht –, dass wir in diesem
Liest man die Große Anfrage der SPD, ereilt einen Frühjahr die Stützungsmaßnahmen im Hinblick auf den
sehr schnell die Erkenntnis, dass die Zeit über die Euro beschlossen haben. Da sich die SPD-Fraktion für
Grundlage Ihrer Anfrage bereits hinweggegangen ist. Im ihre Beteiligung an den Konjunkturpaketen hier auf die
Mai dieses Jahres, als Sie Ihre Anfrage formuliert haben, Schulter klopfen lässt, möchte ich feststellen: Sie haben
sprachen Sie von einem prognostizierten leichten rein gar nichts dazu beigetragen, dass das Vertrauen in
Wachstum für 2010. Die Dynamik hat Sie überholt. Ich den Euro und die europäische Solidarität wiederherge-
gebe zu: Die heute vorliegenden Schätzungen von rund stellt wurde
3,5 Prozent Wirtschaftswachstum übertreffen unsere (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Erwartungen. Aber sie verdeutlichen die zentrale Er-
kenntnis: Konjunktur und Wirtschaftswachstum kann und die Wirtschaftsstandorte Europa und Deutschland in
man nicht im Parlament beschließen. einer schwierigen Phase gefestigt wurden.
Politik hingegen kann in der wirtschaftlichen Krise (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau! Da wa-
Folgendes leisten: Sie kann Risiken aus dem konjunktu- ren Sie gerade nicht mehr an unserer Seite, und
rellen Fahrwasser ziehen, die gesamtwirtschaftliche Ak- schon haben Sie Fehler gemacht!)
tivität stimulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Un-
Alle Konjunkturpakete helfen nichts, meine Damen und
ternehmen fördern. Diese Aspekte zusammen schaffen
Herren von der Opposition, wenn man sich bei einer so
ein Gegengewicht zum konjunkturellen Abschwung.
zentralen Frage wie der Sicherung der Stabilität des Eu-
Wir, die Regierungskoalition, werden dafür sorgen, dass
ros in die Büsche schlägt.
(B) ein innovations- und investitionsfreundliches Klima ge- (D)
schaffen wird, das über den Tag hinaus seine Wirkung In der Krise war es wichtig, dass wir den Unterneh-
zeigen wird. men mit rund 10 Milliarden Euro im Rahmen von Bürg-
schaften und Krediten unter die Arme gegriffen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der Deutschlandfonds mit seinen Förderprogrammen
Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort zu Recht hat Tausenden von Unternehmen geholfen. Nicht große
die großen Erfolge der einzelnen Maßnahmen auf: Um- Millionenbeträge waren hier ausschlaggebend, sondern
welt- bzw. Abwrackprämie, Verlängerung der Kurzar- die Breitenwirkung. Zahllose Darlehen zwischen 20 000
beiterregelung, Vereinfachung des Vergaberechts. All Euro und 100 000 Euro haben vielen mittelständischen
das ist schon genannt worden. Ich betone, dass die Ko- Unternehmen in der Krise Luft zum Atmen gegeben.
alition der Vorgängerregierung kluge Entscheidungen Jetzt aber müssen wir umschwenken, von einem ret-
getroffen hat, von denen Beschäftigte und Unternehmer, tenden Feuerwehreinsatz zu einer substanziellen Wirt-
von denen wir alle heute profitieren. Zur Wahrheit ge- schaftsförderung; ab heute geht es wieder um den
hört aber auch, dass die jetzige Regierung diese Politik Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein hervorragendes In-
klug fortgesetzt hat. Mit dem Wachstumsbeschleuni- strument dafür ist die Forschungs- und Entwicklungsför-
gungsgesetz hat die christlich-liberale Koalition Fami- derung, zum Beispiel im Rahmen des Zentralen Innova-
lien und Unternehmen mit einem Bündel von Maßnah- tionsprogramms für den Mittelstand.
men um zusätzliche 8,5 Milliarden Euro entlastet.
Die Projektförderung des ZIM ist auf die Innovations-
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- entwicklung mittelständischer Betriebe ausgerichtet, die
NEN]: Die, die nichts haben, haben auch weniger in großen Forschungsabteilungen stattfindet,
nichts gekriegt!) sondern eher in anwendungsspezifischen Projekten.
Auch das hat dazu beigetragen, dass der aktuelle Kon- Deswegen ist es gut und richtig, dass die Finanzplanung
sumindex der GfK das höchste Ergebnis seit Mai 2008 nicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Aufsto-
ausweist. ckung der ZIM-Mittel auf deutlich über 500 Millionen
Euro vorsieht.
Neben dem Export, der dieses Jahr um rund 16 Pro-
zent steigen wird, steigt erfreulicherweise auch die hei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
mische Nachfrage. Auch die aktuellen Lohnabschlüsse Das ist kluge Strukturpolitik, so wie wir sie verstehen.
lassen die Hoffnung zu, dass sich dieser Trend verstetigt.
Eine echte Trendwende erkennen wir auch bei den In- Die SPD fordert jetzt in breitem Umfang weitere Stüt-
vestitionen. Zu Beginn des Jahres hat noch niemand zungsmaßnahmen über 2010 hinaus. Wo das sinnvoll er-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7041
Dr. Matthias Heider
(A) scheint, handelt die Bundesregierung. Wo die staatlichen Anfrage weder hinterfragt noch beleuchtet, sondern eher (C)
Eingriffe jedoch eine dauerhafte Verzerrung des Wettbe- verschleiert. Da wird alles in eine Soße gerührt.
werbs bedeuten, müssen wir sie jetzt, in der Auf-
schwungphase, abbauen. Dann findet man auch spannende Widersprüche, was
die Zukunft angeht. Auf der einen Seite heißt es, man
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wolle jetzt – wörtliches Zitat –: „den Rückzug aus der
expansiven Finanzpolitik“ einleiten. Einige Zeilen wei-
So wie das Pendel in Zeiten der Krise in Richtung Aus- ter steht aber, es sollten die Spielräume für weitere Steu-
gabenpolitik schlägt, so gehört das Zurückpendeln zu ersenkungen genutzt werden. Was denn jetzt?
einer Konsolidierungspolitik. Dies leistet die Regierungs-
koalition mit dem Haushalt 2011 und einem Zukunftspa- Wir hören in diesen Tagen von Herrn Brüderle den
ket. Dies dient der Festigung unseres Wirtschaftsstandor- Vorschlag, die Löhne zu erhöhen.
tes. Ich darf sagen: Ich sehe die Bundesregierung im
Gegensatz zu Ihnen auf einem guten Weg. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Da bin ich vom Stuhl gefallen!)
Vielen Dank.
Frau Merkel warnt im Handelsblatt vor Lohndumping
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – aus China in der Europäischen Union. Man muss die
Garrelt Duin [SPD]: Das überrascht uns beiden Herrschaften fragen – inhaltlich sind wir uns ja
nicht!) einig –, was sie tun. Sie müssen endlich wieder Ordnung
und Fairness am Arbeitsmarkt durchsetzen, damit die
Präsident Dr. Norbert Lammert: Löhne steigen können.
Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
SPD-Fraktion.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
(Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das machen
sie schon selbst! Tarifverhandlungen nennt
Klaus Barthel (SPD):
man das!)
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Denn mit Leiharbeit, mit Befristungen, mit Minijobs,
Kollegen! Ich will auf unsere Große Anfrage und die mit Ausweitung von Prekarität und mit Niedriglohn
Antwort der Bundesregierung eingehen. Viele der Fra- kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Deswegen muss
gen, die wir uns sehr gut überlegt haben, bleiben unbe- in der Koalition jetzt endlich die Frage entschieden wer-
antwortet. Ihre Antworten sind mit Worten wie „dürfte“, den: Wollen Sie zum Beispiel in der Zeitarbeit einen
(B) „könnte“, „sollte“ usw. bestückt, und Ihre Lieblingsfor- Mindestlohn, oder wollen Sie Equal Pay? Das Ergebnis (D)
mulierung lautet: „Die Bundesregierung geht davon aus ist: Sie blockieren sich, und es kommt gar nichts. Wir
…“. Es wurde die Chance vertan, das Konjunkturpaket fordern, dass in der Leiharbeit beides kommt.
im Hinblick auf die Wirkungen einzelner Maßnahmen
zu durchleuchten. Das kann mit Unfähigkeit zu tun ha- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ben, das kann aber auch Absicht sein. Denn Ihr Interesse DIE GRÜNEN)
daran, dass man sich das Konjunkturpaket genauer an-
Gestern wurden Fragen der Mindestlöhne und des
schaut, dürfte durchaus gebremst sein.
Weiterbildungssektors hier diskutiert. Ich nenne ergän-
Wenn man zum Beispiel danach fragt, was die Steu- zend die Post und viele andere Bereiche. Wenn es keine
erermäßigung für die Hotellerie im Verhältnis von Kos- Mindestlöhne gibt, dann werden Sie das Lohnniveau ins-
ten und Nutzen bringt, stellt man fest: Es bleibt nicht viel gesamt nicht erhöhen können. Ganz im Gegenteil: Der
übrig. Sinnvolle Maßnahmen wie die Städtebauförde- Strudel geht immer weiter nach unten.
rung werden gestrichen, obwohl jeder Euro, den der
Staat hierfür zur Verfügung gestellt hat, Investitionen in (Patrick Döring [FDP]: Tarifautonomie!)
Höhe von 8 Euro nach sich gezogen hat. Das ist span- Bei der Kurzarbeit ist der entscheidende Punkt – da-
nend. rüber ist heute noch gar nicht viel geredet worden – gut
Ich kann gut verstehen, dass sich Herr Ramsauer fol- dokumentiert, nämlich dass sie ein riesiger Erfolg war.
gendermaßen zur Halbierung der Mittel für die Städte- Aber entscheidend ist doch, dass Kurzarbeit nur auf der
bauförderung äußert – ich zitiere aus einer Ausgabe der Basis von geordneten Verhältnissen in den Betrieben,
Bayerischen Staatszeitung von vor einer Woche; liebe von Normalarbeitsverhältnissen, von Betriebsräten, von
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, insbeson- Gewerkschaften und von Mitbestimmung funktioniert.
dere von der CSU, hören Sie bitte zu –: Insofern bin ich Das funktioniert eben nicht im gesamten prekären Sek-
über jede Stimme eines Bundestagsabgeordneten wie der tor.
des Nürnberger Abgeordneten Michael Frieser (CSU) Das führt im Ergebnis dazu, dass nur die Kernsekto-
froh, der diese Kürzung nicht hinnehmen will, betont ren – das war uns wichtig; das ist überhaupt nicht zu
Ramsauer. Er werde sich dafür einsetzen, dass noch ein- mindern – davon profitiert haben, während der gesamte
mal verhandelt wird. prekäre Bereich davon aber nicht profitiert hat.
(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])
(Patrick Döring [FDP]: Nicht jedes Unterneh-
Dabei geht es um sinnvolle Maßnahmen, die gewirkt men, das keinen Betriebsrat hat, hat nur prekär
haben. Aber genau so etwas wird in der Antwort auf die Beschäftigte!)
7042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Klaus Barthel
(A) Zum Beispiel sind die Auswirkungen auf die Ge- darf hier herrscht, stimmt und dass zum Beispiel die vor- (C)
schlechter sehr unterschiedlich. Frauen haben von diesen gesehenen Investitionen durch die Kommunen mehrfach
Maßnahmen kaum profitiert. Das war zu weniger als überzeichnet wurden.
30 Prozent der Fall, während zu mehr als 70 Prozent die
Das alles soll am Ende dieses Jahres auslaufen. Ich
Männer davon profitiert haben.
denke, hier gibt es viel zu tun. Die Europäische Union
Wir beklagen den Erfolg der Kurzarbeit nicht, aber es bewegt sich in dieser Frage jetzt ja sogar wieder. Wir
gibt noch etwas nachzuarbeiten. Das muss bei solch ei- öffnen uns für eine Fortsetzung gezielter strukturpoliti-
ner Evaluation auch erwähnt werden. Bei der Fortset- scher und konjunktureller Maßnahmen, und diesen
zung dieser Programme muss es in Zukunft um Qualität Spielraum, der sich hier wieder auftut, sollte die Bundes-
und weniger um Quantität gehen. Es muss um Industrie- regierung nutzen, um da, wo es sinnvoll ist, die Kon-
politik gehen. Auf Ihre Positionen hierzu bin ich sehr ge- junktur zu stützen und den Aufschwung zu verstetigen.
spannt; denn die Bundesregierung antwortet auf kon-
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin
krete Fragen ausweichend, zum Beispiel auf die Fragen,
Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
wie es mit dem Breitbandausbau oder mit den Netzen im
Bereich der Energiepolitik weitergehen soll. Dabei for-
dert die Europäische Kommission, dass 1 Billion Euro in Präsident Dr. Norbert Lammert:
Europa investiert wird. Sie hatten vor geraumer Zeit einen vorletzten Satz an-
gekündigt.
Die Bundesregierung weicht auch der Antwort auf die
Frage aus, wie es mit der Mobilität weitergehen soll.
Klaus Barthel (SPD):
Mehr noch: Bei der Mobilität werden der Bahn jährlich
Es waren viele Kommas dazwischen.
500 Millionen Euro entzogen, die sie eigentlich für In-
vestitionen braucht. In keinem dieser Bereiche sagen
Sie, wie es weitergehen soll. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja. Wir werden das im Protokoll präzise so festhalten,
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das um möglichen präjudizierenden Wirkungen entgegenzu-
stimmt doch gar nicht!) treten.
Vielmehr ist von „könnte“, „müsste“ und „sollte“ die (Otto Fricke [FDP]: Er ist kein Haushälter! Da
Rede. muss man Verständnis haben!)
Nun zur Weiterentwicklung der Dienstleistungswirt- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
schaft bzw. zum Abbau von Prekarität. Sie finden zum Kollege Dieter Jasper für die CDU/CSU-Fraktion.
(B) Beispiel eine Analyse der ILO, der Internationalen Ar- (D)
beitsorganisation, die ich hier zitieren will: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Uno-Organisation empfiehlt den Regierungen Dr. Dieter Jasper (CDU/CSU):


eine stärkere Konzentration auf die Arbeitsmärkte Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
auch deshalb, und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ökono-
– bitte hören Sie genau zu – mische Wirkung der Konjunkturpakete“, das ist das
Thema heute. Zur Erinnerung: Was war die Ausgangssi-
weil sie einen weltweiten Vertrauensverlust in die tuation? In der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise
Regierungen und die politischen Systeme als Folge der Bundesrepublik Deutschland hat die unionsgeführte
der Arbeitslosigkeit beobachtet. „Der soziale Zu- Bundesregierung zwei Konjunkturpakete aufgelegt,
sammenhalt steht auf dem Spiel“, heißt es in dem mit denen geholfen werden sollte, die Folgen dieser
Bericht. In drei Vierteln der 82 Staaten, in denen es Krise abzumildern. Das Bruttoinlandsprodukt – auch das
entsprechende Umfragen gab, haben die Menschen zur Erinnerung – ist um 4,9 Prozent eingebrochen. Die
den Eindruck, dass Lebensstandard und Lebensqua- Wirtschaft hatte die schwerste Rezession der Nach-
lität sinken. kriegsgeschichte zu bewältigen.
Die Bundesrepublik Deutschland gehört dazu. Durch das Konjunkturpaket I aus dem Jahre 2008,
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Aber erst „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ ge-
seit einem Jahr!) nannt, werden Investitionen und Aufträge von Unterneh-
men, privaten Haushalten und Kommunen in einer Grö-
Sie müssen den Kommunen jetzt auch einmal erklä- ßenordnung von rund 50 Milliarden Euro gefördert. Das
ren, wie Sie die öffentlichen Investitionen verstetigen Konjunkturpaket II aus dem Jahre 2009, „Pakt für Be-
wollen, während sie gleichzeitig ausbluten. schäftigung und Stabilität in Deutschland“ genannt, um-
fasst weitere Maßnahmen mit einem Umfang von weite-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ren 50 Milliarden Euro. Wichtige Impulse zur Stützung
Herr Kollege. der Binnenkonjunktur und zur nachhaltigen Stärkung
des Landes wurden gesetzt.
Klaus Barthel (SPD): Wie stehen wir heute da? Erneut waren es die kleinen
Vorletzter Satz. – Wir haben beim Konjunkturpro- und mittelständischen Unternehmen und ihre Mitarbei-
gramm gesehen, dass die Angabe darüber, welcher Be- ter, die sich in dieser Zeit als Rückgrat der deutschen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7043
Dr. Dieter Jasper
(A) Wirtschaft und als stabilisierender Faktor erwiesen ha- Stützung in einer Phase konjunktureller Schwäche ge- (C)
ben. Gestärkt durch die Maßnahmen der beschriebenen dacht.
Konjunkturprogramme konnte ein Weg aus der Krise ge-
Eine unnötige Verlängerung der Geltungsdauer dieser
funden werden.
Maßnahmen oder gar ein Ausbau dergleichen führt zu
Deutschland weist im laufenden Jahr ein Wirtschafts- Wettbewerbsverzerrungen und hebelt wichtige Markt-
wachstum von 3,3 Prozent auf. Die größte Volkswirt- mechanismen aus. Es darf nicht vergessen werden, dass
schaft des Euro-Raums lässt alle anderen klassischen die 100 Milliarden Euro, die in die Hand genommen
europäischen Industriestaaten hinter sich. Dies ist insbe- worden sind, nicht auf der hohen Kante lagen. Für diese
sondere durch den unerwartet kräftigen Anstieg der Auf- 100 Milliarden Euro musste ein Kredit aufgenommen
tragszahlen in der Industrie begründet, dem Herzen der werden, der inklusive Zinsen zurückzuzahlen ist.
deutschen Wirtschaft. Zum sechsten Mal innerhalb von Es wäre fahrlässig, weitere konjunkturelle Stützungs-
acht Monaten ist die Zahl der Auftragseingänge gegen- maßnahmen zu fordern und diese auf Pump zu finanzie-
über dem Vormonat gestiegen. ren. Die Solidität und die Nachhaltigkeit der Staats-
Vor allem durch die verbesserte Kurzarbeiterregelung finanzen müssen wieder erste Priorität haben. Natürlich
wurde den Unternehmen und ihren Mitarbeitern Sicher- ist es leichter, weiterhin Versprechungen und Zusagen zu
heit und Stabilität gegeben. Die Unternehmer konnten machen, diese über Kredite zu finanzieren und die Rück-
ihre Mitarbeiter in den Krisenjahren weiter beschäftigen, zahlung den kommenden Generationen zu überlassen.
Entlassungen wurden vermieden, und besonders das Auf diese Art und Weise haben wir inzwischen einen
Ziel, die Fachkräfte zu binden, konnte erreicht werden. Schuldenberg von über 1,7 Billionen Euro aufgebaut.
Das ist gerade bei der jetzt zu verzeichnenden konjunk- Das kann nicht der richtige Weg sein. Diesen Weg wol-
turellen Erholung von besonderer Bedeutung. Hinzu ka- len wir auch nicht gehen.
men zahlreiche Neueinstellungen. Somit haben wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
heute eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von
7,2 Prozent. Wir müssen sparen, und wir müssen vor allen Dingen
konsolidieren. Die im Grundgesetz verankerte Schulden-
Auch die Geldwertstabilität ist gegeben. Die Infla- bremse und das daraus resultierende Sparpaket der Bun-
tionsrate, der „Taschendieb des kleinen Mannes“, wie sie desregierung ermöglichen es, die Neuverschuldung in
genannt wird, liegt bei rund 1 Prozent. Die Lage im Fi- den nächsten Jahren zurückzufahren. Solide Staatsfinan-
nanzsektor hat sich entspannt. Das Kredit- und Bürg- zen sind die beste Gewähr für eine positive wirtschaftli-
schaftsprogramm im Rahmen des Wirtschaftsfonds che Entwicklung unseres Landes. Kernthemen der deut-
Deutschland hat dazu beigetragen, dass die Kreditver- schen Wirtschaftspolitik müssen Fiskalkonsolidierung, (D)
(B)
sorgung auch in der Krise sichergestellt wurde. Schuldenabbau und Strukturreform sein. Investitionen in
Forschung, Entwicklung und Bildung sind nötig und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) müssen weiterhin gefördert werden.
In einzelnen Branchen sind natürlich Liquiditätspro-
bleme zu beobachten, aber ich kann nicht erkennen, dass Präsident Dr. Norbert Lammert:
es eine allgemeine Kreditklemme gibt, wie in vielen Me- Herr Kollege Jasper, gestatten Sie eine Zwischenfrage
dien propagiert wird. der Kollegin Vogler?
Durch diesen Dreiklang aus gutem Wachstum, niedri-
Dr. Dieter Jasper (CDU/CSU):
gen Arbeitslosenzahlen und geringer Inflation zeigt sich,
dass die Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung und Gerne.
zur Konjunkturstützung offensichtlich gegriffen haben.
Diesen Erfolg kann die unionsgeführte Bundesregierung Präsident Dr. Norbert Lammert:
deutlich für sich verbuchen. In schwierigen Zeiten ist es Bitte.
gelungen, richtige und zukunftsweisende Entscheidun-
gen zu treffen. Kathrin Vogler (DIE LINKE):
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Kollege Jasper, würden Sie uns bitte erklären,
der FDP) inwieweit das von Ihnen genannte Sparpaket der Bun-
desregierung, das in erster Linie die Schwachen trifft,
Welche Handlungsoptionen haben wir? Wir haben
(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)
die schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Finanz-
krise überwunden, aber es wird noch einige Zeit dauern, Auswirkungen auf den Mittelstand hat, weil es ja die
bis die Euro-Zone wieder das Vorkrisenniveau erreicht Binnenkaufkraft beeinträchtigt, wenn die sozial Schwa-
hat. Viele dauerhafte steuerliche Entlastungen für private chen in diesem Land weniger Geld zum Ausgeben ha-
Haushalte und Unternehmen werden auch zukünftig ben, und wie das Ganze im Verhältnis zu dem steht, was
Wachstum und Beschäftigung sichern. Hier sei exempla- Sie gerade gelobt haben, dass nämlich durch die Erhö-
risch die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerks- hung der Kinderfreibeträge und durch die steuerliche
dienstleistungen oder die Erhöhung der Kinderfreibe- Absetzbarkeit von Handwerksleistungen vor allem die
träge genannt. Andere Maßnahmen waren schon im Besserverdienenden, die Menschen mit höherem Ein-
Vorfeld befristet angelegt und nur als vorübergehende kommen gefördert worden sind?
7044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Dr. Dieter Jasper (CDU/CSU): Potenziale von Kultur und Tourismus nut- (C)
Danke für die Frage. Ich habe es ja gerade darzustel- zen – Kulturtourismus gezielt fördern
len versucht. Für mich ist es so, dass die beste Gewähr
– Drucksachen 17/676, 17/1966, 17/2940 –
für eine prosperierende Wirtschaft solide Staatsfinanzen
sind. All das, was gerade von Ihrer Seite immer wieder Berichterstattung:
gefordert wird, ist nicht finanzierbar. Dafür wären Kre- Abgeordnete Christoph Poland
dite erforderlich. Unser Weg muss es aber sein, die Ulla Schmidt (Aachen)
Staatsfinanzen zu regulieren. Wir müssen konsolidieren, Helga Daub
damit die Dinge, die wir uns leisten wollen, auch finan- Dr. Lukrezia Jochimsen
zierbar sind. Wir müssen sparen. Das ist für mich der Agnes Krumwiede
einzig richtige Weg.
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – richts des Ausschusses für Kultur und Medien
Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Frage nicht be- (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung
antwortet!)
Grünbuch
Welches Fazit ist trotz allem zu ziehen? Die ökono- Erschließung des Potenzials der Kultur- und
mischen Wirkungen der Konjunkturpakete sind grund- Kreativindustrien
sätzlich positiv. Die staatlichen Maßnahmen haben dazu KOM(2010) 183 endg.: Ratsdok. 9073/10
beigetragen, dass sich unsere Wirtschaft erholt hat und hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
wir auf einem guten Weg sind, unsere alte Stärke wieder gierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des
zu erreichen. Wir besitzen eine hohe Wettbewerbsfähig- Grundgesetzes
keit auf europäischer und auf internationaler Ebene.
– Drucksachen 17/2071 Nr. A.39, 17/2941 –
Kritische Punkte sind, wie angemerkt, die Finanzie-
rung dieser Konjunkturpakete durch Kredite ebenso wie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
die jetzt lauter werdenden Forderungen nach Verlänge- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
rung und Ausbau staatlicher Unterstützungen. Der Staat ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
hat in der Krise Sicherheit und Vertrauen geschaffen und Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
in schwierigen Zeiten Rückhalt gegeben. Jetzt sind die Kollegin Rita Pawelski für die CDU/CSU-Fraktion das
Unternehmer und ihre Mitarbeiter grundsätzlich wieder Wort.
in der Lage, ihre erfolgreiche Arbeit selbstständig fort-
zusetzen und den weiteren Weg aus der Krise eigenver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(B) antwortlich zu gehen. neten der FDP) (D)
Eine prosperierende Wirtschaft ist die entscheidende (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-
Voraussetzung für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Eckardt)
In diesem Sinne wird die CDU/CSU gemeinsam mit den
Kollegen von der FDP eine erfolgreiche Wirtschaftspoli- Rita Pawelski (CDU/CSU):
tik für die Menschen in unserem Lande machen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Danke schön. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Touris-
mus in Deutschland boomt. In diesem Jahr sind bislang
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mehr Reisende in unser Land gekommen als vor der Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise. 15 Millionen ausländische
Präsident Dr. Norbert Lammert: Gäste besuchten uns in den ersten sieben Monaten dieses
Ich schließe die Aussprache. Jahres. Das sind 11,4 Prozent mehr als 2009. Viele die-
ser Menschen kommen zu uns und in unsere Städte, um
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf: unsere einzigartige Kultur kennenzulernen.
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Im Bereich Kulturtourismus gab es eine Steigerungs-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien rate von über 30 Prozent. Ich denke, das ist eine sehr
(22. Ausschuss) gute Nachricht für unser Land,
– zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Poland, Rita Pawelski, Wolfgang Börnsen
(Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der weil es im Ausland immer beliebter wird, und für die Ar-
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- beitsplätze im gesamten Tourismusgewerbe. Das ist
ten Helga Daub, Reiner Deutschmann, Patrick auch eine gute Nachricht für unsere Städte, die mit ihrer
Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Einzigartigkeit im kulturellen Bereich werben.
Fraktion der FDP Gerade Städtetouren werden immer beliebter. Im ers-
Kulturtourismus in Deutschland stärken ten Halbjahr stieg die Zahl der Übernachtungen um
stolze 9 Prozent. So könnte man jetzt sagen: „Es läuft
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt doch alles wunderbar“, aber wir wissen, dass Tourismus
(Aachen), Heinz Paula, Sören Bartol, weiterer eine flüchtige und sensible Sache ist. Vor jeder Planung
Abgeordneter und der Fraktion der SPD oder Buchung eines Urlaubs müssen sich die Anbieter
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7045
Rita Pawelski
(A) aufs Neue einem harten Wettbewerb stellen. Der Urlau- sie Deutschlands ganze Vielfalt, sein reiches kulturelles (C)
ber vergleicht; er prüft Angebote und Leistung. Darum Erbe und seine einzigartigen Kulturangebote kennenler-
ist es nicht gottgegeben, dass der Tourismusboom in nen. Wir wollen, dass Deutschland ein beliebtes Kultur-
Deutschland anhält. Er muss jedes Jahr, jeden Tag und reiseland bleibt.
jede Stunde neu erkämpft werden. Daher halte ich nichts
von einer Bettensteuer, die einige Städte derzeit anstre- Die Deutsche Zentrale für Tourismus leistet dazu ei-
ben. nen sehr wichtigen Beitrag, einen richtig guten Beitrag.
Sie lockt mit Kunst und Kultur sehr erfolgreich Gäste an,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zum Beispiel in das Musikland Niedersachsen. Dort gibt
neten der FDP) es mit den „PartiTouren Niedersachsen“ – das ist nicht
mit Partytouren zu verwechseln; es geht hier nicht um
Sie ist völlig kontraproduktiv, wenn sie lediglich dazu Trinken und Feiern, sondern um Musik – ein Vorzeige-
dient, das Stadtsäckel zu füllen, aber nicht in touristische beispiel dafür, wie Kultur und Tourismus Hand in Hand
Projekte investiert wird; denn das merken die Gäste. Sie gehen können. Die Zahl solcher Beispiele nimmt erfreu-
fühlen sich abgezockt und suchen im nächsten Urlaub licherweise deutschlandweit zu. Aber leider ist das noch
ein anderes Domizil, vielleicht in einem anderen Land. immer die Ausnahme. Es gibt nach wie vor Berührungs-
ängste im Verhältnis von Kultur zu Tourismus. Es man-
Die Bettensteuer wird damit begründet, dass man da-
mit den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hotelüber- gelt an Vernetzung.
nachtungen kompensieren wolle. So ganz stimmt das (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wahrlich
nicht; denn in Wahrheit würden die Städte mit ihrer schade!)
neuen Steuer erheblich mehr einnehmen, als sie verlie-
ren. In Köln zum Beispiel verspricht man sich durch die Es gibt Informationsdefizite, vor allem in Marketingfra-
neue Steuer Mehreinnahmen in Höhe von 20 Millionen gen, und es bestehen ganz konkrete Vermarktungs-
Euro. Die Ausfälle durch die Steuersenkung für Hotels hemmnisse. Wir werden das ändern.
betragen aber nur 19 Millionen Euro, und dies nicht für
Köln, sondern für alle Städte und Kommunen in Ich freue mich daher sehr, dass mein Angebot zur
Deutschland zusammen. Man könnte deshalb auf den überfraktionellen Zusammenarbeit in dieser Frage auf-
Gedanken kommen, dass irgendjemand im Mathematik- gegriffen wurde und wir heute einen Antrag verabschie-
unterricht nicht aufgepasst hat. Man könnte es auch als den, der von fast allen Fraktionen dieses Hauses getra-
moderne Piraterie bezeichnen. gen wird. Kultur verbindet auch parteiübergreifend.

Ich gebe zu, dass ich die Reduzierung des Mehrwert- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Kulturpoliti-
(B) steuersatzes im Hotelgewerbe anfangs sehr kritisch gese- ker haben Kultur!) (D)
hen habe. Wahr ist aber, dass die zusätzlichen Mittel von Das ist doch eigentlich schön.
den Hoteliers nicht in die eigene Tasche gesteckt, son-
dern in Projekte des Tourismus bzw. des Kulturtouris- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
mus investiert werden. neten der FDP)
Laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverban- Mit unserem gemeinsamen Antrag stellen wir die Wei-
des DEHOGA geben die Hotels 717 Millionen Euro für chen richtig. Wir wollen, dass Kulturtourismus in
Investitionen aus. Sie schaffen über 5 700 neue Arbeits- Deutschland noch erfolgreicher wird. Bund, Länder und
plätze. Sie senken zum Teil die Übernachtungspreise und Kommunen werden ein gemeinsames Konzept für den
erhöhen die Löhne der Beschäftigten. Kurzum – wir ha- Kulturtourismus entwickeln. Darum kann ich es gar nicht
ben gerade über den konjunkturellen Aufschwung ge- nachvollziehen – das sage ich ganz ehrlich –, dass sich die
sprochen –: Auch die Hotels tragen zum Aufschwung in Länder 2011 aus der Inlandsvermarktung verabschieden.
unserem Land bei. Wir wollen Landesgrenzen mit einer einheitlichen Platt-
form für kulturtouristisches Marketing überwinden. Das
Ich erinnere daran, dass der Tourismusbereich der Internetangebot der DZT soll zu einer Onlineanlaufstelle
drittstärkste Arbeitsmarkt in unserem Land ist. Darum ausgebaut werden. Kulturcluster sind zu fördern.
kann ich den Städten nur raten: Bedenken Sie bei Ihrer
Entscheidung die Konsequenzen einer Bettensteuer.
Meiner Ansicht nach ist das der falsche Weg; denn wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sollten unsere Gäste nicht mit neuen Steuern und Abga- Frau Kollegin!
ben abschrecken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rita Pawelski (CDU/CSU):
Ich komme gleich zum Schluss. – Es soll einen regel-
Nein, wir müssen sie weiterhin für unsere schönen Land- mäßigen Wettbewerb „Kulturregion Deutschland“ ge-
schaften und unsere Kultur begeistern. Wir müssen sie ben. Die Informationen über Fördermöglichkeiten wer-
für unsere Theater, Opern, unsere Schlösser und Burgen den noch intensiver dargestellt.
sowie unsere 12 000 Schaufeste und Volksfeste begeis-
tern. Wir müssen ihnen Lust auf mehr Deutschland ma-
chen. Wir alle wollen doch, dass sie bei uns bleiben. Wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wollen doch, dass sie wiederkommen. Wir wollen, dass Frau Kollegin!
7046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Rita Pawelski (CDU/CSU): – inklusive der Nischenkultur – fördern. Das wird das (C)
Ich bin sicher: Unser Antrag wird positive Effekte ha- Kennzeichen für eine wirkliche Förderung des Kultur-
ben. Aber der schönste Effekt ist: Wir werden dem Aus- tourismus sein.
land zeigen, dass wir ein modernes, offenes Land sind, –
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Hinsken würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
Frau Kollegin! stellen. Möchten Sie die zulassen? – Bitte schön.

Rita Pawelski (CDU/CSU): Ernst Hinsken (CDU/CSU):


– mit vielen sympathischen, gastfreundlichen, offenen Vielen Dank, Frau Kollegin Schmidt, dass ich diese
Menschen. Zwischenfrage stellen kann. – Ich möchte nur von Ihnen
wissen, ob Ihnen bewusst ist, dass die Forderung, die
Danke für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe zu senken, ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – stimmig von der SPD-Landtagsfraktion im Lande Bay-
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine sehr gute ern erhoben wurde, und zwar vor den Wahlen.
Rede!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wie bewerten Sie es, wenn man vor den Wahlen anders
Ich hatte gar keine Geduld. als nach den Wahlen spricht, wie Sie das heute tun? Das
ist Ihrer nicht würdig.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich wollte gerne
noch eine halbe Stunde zuhören! So gut war (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Hier haben wir
die Rede!) die Forderung aber nicht gestellt!)

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Schmidt Ich kenne bessere Seiten an Ihnen.
für die SPD-Fraktion.
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD):
(Beifall bei der SPD) Herr Kollege, viele hier im Saal haben gefordert, dass
bei einer Reform der Mehrwertsteuer auch die Reduzie-
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): rung der Mehrwertsteuersätze für das Hotel- und Gast-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stättengewerbe in Betracht gezogen werden müsse. Ich
Liebe Kollegin Pawelski, auch uns wäre es lieber, dass habe – auch im Wahlkampf – immer gesagt: Dem werde
(B) die Kommunen in einer Situation wären, in der sie keine (D)
ich nur zustimmen, wenn es gleichzeitig eine Reduzie-
Bettensteuer fordern müssten. Das setzt aber voraus, rung der Mehrwertsteuersätze für Medikamente und me-
dass diese Bundesregierung und die sie tragenden Koali- dizinische Produkte gibt; denn das gehört dazu.
tionsfraktionen alles dafür tun, dass unsere Kommunen
auf sichere finanzielle Füße gestellt werden. Sie schimp- (Zuruf von der FDP: Das hätte noch mehr ge-
fen über die Bettensteuer und entlasten gleichzeitig die kostet!)
Hoteliers um 1 Milliarde Euro, die dann den Kommunen Deswegen müssen wir uns, auch im Hinblick auf das,
fehlt. was jetzt auf europäischer Ebene angegangen wird, fra-
(Rita Pawelski [CDU/CSU]: 19 Millionen!) gen: Wie können wir eine sinnvolle Reform der Mehr-
wertsteuersätze auf den Weg bringen? Zum Beispiel geht
Sie machen es sich zu einfach. Sie betreiben Klientel- es dabei auch um die Forderung, Mehrwertsteuersätze
politik zulasten der Kommunen. für die Produkte zu reduzieren, die Kinder betreffen, und
vieles andere mehr. Das gehört in einen Zusammenhang.
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Falsche Rech-
Sie aber haben eine ganz spezielle Klientel bedient, die
nung!)
Sie im Wahlkampf unterstützt hat. Das haben Sie noch
Das führt dazu, dass Kommunen manchmal Schritte ge- eingeschränkt gemacht – es kann keiner von Ihnen sa-
hen müssen, die sie selber nicht gut finden. Auch das ge- gen, dass das eine glückliche Lösung ist –, weil Sie ge-
hört zur Wahrheit. merkt haben, dass es zu teuer wird, wenn Sie noch für
weitere Bereiche Senkungen der Mehrwertsteuersätze
Die zur Abstimmung stehende Initiative zum Kultur-
vornehmen. Das ist Klientelpolitik und hat nichts mit
tourismus ist, wie ich meine, ein konsequenter Schritt
Versprechungen und Wahlkampfaussagen zu tun, die
nach den Anträgen von SPD und Grünen sowie der Gro-
sich grundsätzlich auf das Problem der Mehrwertsteuer-
ßen Koalition in den letzten Legislaturperioden. Ich bin
sätze beziehen. Insofern bleibe ich – wie Sie mir das un-
sehr froh darüber, dass wir in den Diskussionen, die wir
terstellen – redlich.
in den letzten Wochen geführt haben, deutlich machen
konnten, dass die Förderung des Kulturtourismus mehr Ich wünsche mir, dass Sie auch bei anderen Produk-
ist, als nur das Potenzial für Wachstum und Beschäfti- ten fragen, was eigentlich den Menschen in diesem Land
gung zu entfalten. Kultur hat einen Eigenwert auch jen- nutzt. Wenn sich am Schluss einer Mehrwertsteuerre-
seits der ökonomischen Verwertung. Ich bin davon über- form herausstellt, dass für Familien alles teurer wird, an-
zeugt, dass sie nur dann ein Gewinn für den Tourismus dererseits aber bestimmte Interessen bedient werden,
ist, wenn wir sie in ihrer gesamten Breite und Vielfalt dann ist sie nicht gut.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7047
Ulla Schmidt (Aachen)
(A) (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Stimmt doch gar ist sicher keine intellektuelle Herausforderung, das zu (C)
nicht!) begreifen.
So viel zu dieser Frage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
wir das bürgerschaftliche Engagement stärken, dass wir
Ich möchte auf unsere jetzige Diskussion zurückkom- in die Qualifikation der Beschäftigten investieren wol-
men. In unserem gemeinsamen Antrag fordern wir die len, damit wir genügend Fachkräfte zur Verfügung ha-
Bundesregierung auf – ich zitiere –, ben, und dass wir uns gemeinsam darauf verständigen
… das baukulturelle Erbe durch das UNESCO- konnten, dass Barrierefreiheit in allen Bereichen eine
Welterbeprogramm … zu erhalten und zu nutzen, wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Kulturange-
um die gewachsenen Identitäten von historischen bote genutzt werden können; denn auch Behinderte, Fa-
Städten und Kulturlandschaften zu bewahren, zu milien und ältere Menschen, deren Zahl wächst, sollen
entwickeln … teilhaben können.
Und wir fordern dazu auf, das bauhistorische Erbe in
historischen Stadt- und Ortskernen zu fördern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Schmidt, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Gleichzeitig beschließen Sie Kürzungen beim Herrn Fricke zulassen?
UNESCO-Welterbeprogramm, bei der Städtebauförde-
rung und beim Denkmalschutz. Es kann doch nicht sein,
dass unsere Forderungen, die wir gemeinsam beschlie- Ulla Schmidt (Aachen) (SPD):
ßen, schon Makulatur sind, ehe sie überhaupt den Bun- Ich möchte meine Rede jetzt zu Ende bringen.
destag verlassen haben.
Wichtig ist, dass wir die anstehenden Aufgaben nicht
(Beifall bei der SPD) nur als eine deutsche Frage betrachten. Wir müssen sie
auch im europäischen Kontext diskutieren. Deshalb be-
Ich weiß sehr wohl – auch aus den Debatten dieser grüßen wir sehr, dass mit dem Grünbuch zur Kultur- und
Woche –, dass von Ihren Fraktionen ein Antrag einge- Kreativwirtschaft der EU-Kommission eine Diskussion
bracht wurde, die Kürzungen zu reduzieren. Aber Fakt über eine solche Strategie eingeleitet wurde. Deutsch-
bleibt doch, dass für die Städtebauförderung 120 Millio- land kann als Teil Europas von einer sehr offenen Dis-
nen Euro weniger zur Verfügung stehen, als es noch im kussion profitieren. Ich muss allerdings sagen, dass wir
Rahmen des Haushaltes 2009, der von einem sozialde- es kritisch sehen, dass in dem vorliegenden Grünbuch
mokratischen Minister verantwortet wurde, der Fall war, die öffentliche Kulturförderung allein unter dem Begriff
und es ist Fakt, dass für das UNESCO-Welterbepro- „Kultur- und Kreativwirtschaft“ behandelt wird. Wir (D)
(B)
gramm 6 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen. müssen auch in den kommenden Diskussionen sehr auf-
Jeder und jede in diesem Raum weiß, dass im schlimms- passen, dass hier keine ökonomistische Einengung ge-
ten Fall diese 120 Millionen Euro nur ein Drittel der Kür- schieht.
zungen sind, die tatsächlich auf die Städte zukommen; Ich rate dazu, darauf zu achten, dass immer auch die
denn gleichzeitig fallen die Kofinanzierungen der Länder marktunabhängige Förderung kultureller Vielfalt be-
und Kommunen weg. Jeder weiß, dass privates – auch dacht wird. Ich glaube, in aller Namen zu sprechen,
finanzielles – Engagement oft daran geknüpft wird, wie wenn ich sage, dass wir gut daran tun, wenn wir die Vor-
viel vonseiten der Kommunen, der Länder oder des Bun- schläge der Kommission von Anfang an in einem Kon-
des gegeben wird. text diskutieren, der breiter ist, als es im vorliegenden
Angesichts dessen appelliere ich hier an Sie: Lassen Grünbuch geschieht, und dass wir den Ausbau der kultu-
Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Entschei- rellen und medialen Bildung als wesentlichen Punkt mit
dung in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschus- einbringen. Ich bitte die Bundesregierung, die auf der
ses rückgängig gemacht wird. Ich sage Ihnen hier unsere Ministerebene verhandelt, dies von Anfang an in ihre
Unterstützung auch im Hinblick auf die Diskussionen Strategie zu integrieren.
mit unseren Haushältern zu. Herr Hagemann – er sitzt im Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir wollen die
Moment hinter mir – wird dies mittragen. volle Entfaltung der Potenziale des Kulturtourismus. Wir
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wo wollen den Ausbau und die Förderung des gesamten kul-
kommt denn die Deckung her? Wo kommt turellen Angebots in unserem Land einschließlich der
denn das Geld her?) Nischenkultur. Aber wir wollen auch eine bessere so-
ziale Absicherung der Kultur- und Kreativschaffenden,
– Man muss überlegen, woher man es nimmt. und das nicht nur in Deutschland, sondern auch auf der
(Otto Fricke [FDP]: Nein! Konkret!) europäischen Ebene. Wir müssen das im Rahmen einer
gemeinsamen Strategie angehen. Es ist gut, dass zumin-
– Herr Fricke, Sie haben dem Haushaltsausschuss lange dest wir, die Mitglieder des Kulturausschusses, uns da-
genug vorgesessen. Wir sagen: Man muss Ausschau hal- rauf verständigt haben, dass wir diese Punkte gemein-
ten, wo man in den Haushalten sinnvoll sparen kann. sam in die europäische Diskussion einbringen. Ich
Man kann aber nicht beschließen, etwas Bestimmtes zu glaube, wir haben gute Chancen, dass wir das, was wir in
fördern und auszubauen, und gleichzeitig weniger Geld diesem Antrag gemeinsam fordern, in die Praxis umset-
dafür zur Verfügung stellen. Das verträgt sich nicht. Es zen.
7048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Ulla Schmidt (Aachen)


(A) Vielen Dank. Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): (C)
Herr Kollege Fricke, weil ich verantwortungsvolle
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Politik machen möchte, habe ich angesichts der jetzigen
der LINKEN)
Haushaltssituation nicht gefordert, die Mehrwertsteuer
auf Medikamente auf den halben Satz zu reduzieren;
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: denn ich weiß, dass eine solche Reduktion nur möglich
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem ist, wenn eine Reform der gesamten Mehrwertsteuer un-
Kollegen Otto Fricke. ter Betrachtung des Gesamthaushaltes auf den Weg ge-
bracht wird.
Otto Fricke (FDP): (Otto Fricke [FDP]: Dann machen wir eine
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Kommission!)
Schmidt, es ist immer sehr schön, zu sagen: Dafür muss
man doch Geld finden; dafür sollte man doch Geld ha- Deswegen bleibe ich dabei: Wenn Sie so vieles für wün-
ben; da sollte man nicht so eine ökonomistische Sicht schenswert, aber nicht umsetzbar halten, ist es umso
haben. – Ich darf Sie auf ein paar Fakten aufmerksam schlimmer, dass Sie für eine kleine Klientelgruppe
machen. Wenn Sie aus Ihrer politischen Sicht sagen: 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, die Sie für an-
„Die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe zu ermäßi- dere wichtige Dinge – für Bildung, Städtebauförderung,
gen, war falsch“, dann ist das Ihr Recht. Wenn Sie sagen: das Programm „Soziale Stadt“, kulturelle Bildung –
„Das hat die Kommunen zu viel gekostet“, dann ist das nicht haben. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Das
ebenfalls Ihr Recht. bleibt Klientelpolitik, und es war unredlich, das zu Be-
ginn des Jahres zu beschließen.
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Wenn Sie aber gleichzeitig sagen: „Ich verlange eine re- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke
duzierte Mehrwertsteuer bei Medikamenten“, was eine [FDP]: Aber einen konkreten Vorschlag kön-
Überlegung wert ist, dann hätten Sie aber auch auf Fol- nen Sie nicht machen! Immer nur ein Argu-
gendes hinweisen müssen: Den Kommunen würde damit ment!)
mindestens das Vierfache, eher das Sechsfache von dem
weggenommen, was eine Mehrwertsteuerabsenkung für
das Hotelgewerbe zur Folge hat. Das hätte der Fairness Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
halber dazugesagt werden müssen. Die Kollegin Helga Daub hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
Wenn Sie sagen, die Kommunen müssten mehr Geld
(B) für die Städtebauförderung bekommen, dann sage ich Ih- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
nen: Das würde auch ich mir wünschen. Ebenso würde der CDU/CSU)
ich mir wünschen, dass wir noch Abermillionen für Kul-
tur, den Humus unserer Gesellschaft, ausgeben könnten. Helga Daub (FDP):
Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass wir für Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-
Bildungspolitik mehr Geld zur Verfügung hätten. Das nen! Als ich heute in diesen Saal gekommen bin, bin ich
kann aber nicht dazu führen, dass Sie sagen, man müsse davon ausgegangen, dass der Kulturtourismus sich nicht
eben eine Lösung finden. So können Sie keine konkrete dazu anbieten würde, sich parteipolitisch zu beharken.
Politik machen. Die letzten Minuten konnten einen vom Gegenteil über-
zeugen.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Über Stuttgart 21 kann man streiten!) (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Herr Fricke hat
es wieder geschafft!)
Der Kollege Hagemann, der im Haushaltsausschuss im-
mer hart streitet, weiß genau, dass das mit Blick auf die Aber gut, wenn es denn sein muss.
Schuldenbremse konkret gefasst werden muss. Es kann Gleichwohl bin ich froh, dass wir jetzt etwas vorlie-
nicht sein, dass ein Teil des Parlamentes dafür zuständig gen haben, was wir gemeinsam erreicht haben. Das zeigt
ist, Forderungen zu stellen, während der andere Teil für doch, dass man bei gewissen Punkten über Parteigrenzen
die Kärrnerarbeit zuständig ist und entscheiden muss, hinweg gut zusammenarbeiten kann. Schließlich ist Kul-
woher das Geld genommen werden soll. turtourismus ein wichtiges Thema. Ich freue mich ganz
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber besonders, dass wir die Initiative gemeinsam mit der
den Banken Milliarden geben! – Gegenruf der SPD und mit den Grünen bei Enthaltung der Linken be-
Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was ist das schließen konnten. Das ist ein schöner Erfolg für den
denn für ein Zusammenhang?) Kulturtourismus in Deutschland.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das konkret gefasst Wir nehmen hier übrigens eine Spitzenposition in
hätten. Europa ein, denn wir liegen – hinter Frankreich – an
zweiter Stelle. Der Städtetourismus boomt; Frau
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pawelski hat das vorhin schon angesprochen. Gerade da
liegt ein großes Potenzial für den Kulturtourismus. Aber
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: das Bessere ist der Feind des Guten. Das heißt, wir müs-
Frau Schmidt zur Erwiderung. sen uns weiterhin anstrengen, Konkurrenzen, Hemm-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7049
Helga Daub
(A) nisse und strukturelle Probleme schnellstmöglich abzu- Städte prosperieren, in denen sich die „kreative (C)
bauen. Klasse“ wohlfühlt.
Kultur und Touristik – das ist mittlerweile eine Sym- So beginnt das Manifest Not in Our Name – Nicht in un-
biose, ohne dass sich, wie es früher oft der Fall war, den serem Namen – Marke Hamburg! vom Oktober 2009.
Kulturschaffenden alleine bei dem Gedanken an eine
Vermarktung durch den Tourismus die Schneidezähne Die Verfasser, eine Gruppe von Künstlern und Kultur-
kräuseln. Mit „Vermarktung“ meine ich an dieser Stelle schaffenden, darunter Rocko Schamoni und Peter Loh-
allerdings Teilhabe, die Möglichkeit, die Kultur breiten meyer, fordern eine menschliche Stadt, die nicht allein
Schichten zu öffnen und zur Verfügung zu stellen. Da- nach den Regeln optimaler Kapitalverwertung funktio-
rauf gründet sich unsere Forderung an die Bundesregie- niert, eine Stadt, in der die Bewohner mit ihren vielfälti-
rung, der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur gen Interessen im Mittelpunkt stehen, eine Stadt, in der
in Deutschland“ zu folgen und die Schaffung einer Platt- Kunst und Kultur nicht nur eine attraktive Dekoration
form für strategisches kulturpolitisches Marketing von zur Aufwertung eines kulturtouristischen Standorts sind.
Bund und Ländern unter Einbeziehung der Dachver-
Dieses Manifest Nicht in unserem Namen hat eine
bände aus Kunst, Kultur und Tourismus zu prüfen.
landesweite Diskussion über die Vermarktung von Städ-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten angestoßen und zu einer Protestbewegung weit über
der CDU/CSU) Hamburg hinaus geführt. Durch den Protest wurde in
Hamburg das Künstlerquartier „Gängeviertel“ gerettet.
Ziel muss sein, das kulturelle und nicht zuletzt das wirt- Aber die Stadtpolitik setzt weiter auf die kulturtouristi-
schaftliche Potenzial besser auszuschöpfen. Außerdem sche Marke Hamburg. Sie schließt das Altonaer Mu-
hat Kulturtourismus durchaus auch eine soziale Kompo- seum – wer kommt schon nach Altona? – und setzt auf
nente; das sollten wir nicht vergessen. das Gigantomanieprojekt Elbphilharmonie; das wird ein
Daher sollte die Bundesregierung auch das Gespräch Touristenmagnet.
mit den Ländern und den Kommunen aufnehmen. Ich
(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Wird es auch!)
bin genauso enttäuscht darüber, Frau Pawelski, dass die
Länder sich ab 2011 aus der Inlandsfinanzierung zurück- Die Stadtpolitik korrigiert sich nur dort, wo der Bürger-
ziehen. Wenn sie es denn täten, um ihrerseits Kultur- protest nicht mehr zu vernachlässigen ist. Der Bürger-
arbeit zu betreiben, wäre das nicht so schlimm. Die Er- protest nimmt zu – siehe Stuttgart 21! –, und wir haben
fahrungen weisen aber in eine andere Richtung. Es ist zu das sehr ernst zu nehmen.
befürchten, dass die Mittel im allgemeinen Haushalt ver-
(Beifall bei der LINKEN – Rita Pawelski
(B) schwinden, und das wäre schade. [CDU/CSU]: Oh, ich wusste es! Auf Sie kann (D)
(Zuruf von der FDP: Das ist leider wahr!) man sich immer verlassen! – Christoph Poland
Das Gespräch muss gesucht werden. Selbstverständlich [CDU/CSU]: Da fahren die Kulturtouristen
muss das alles unter Wahrung der Interessen der Kom- natürlich hin, zum Bahnhof! – Otto Fricke
munen und auch der Länder geschehen. [FDP]: Sie hätten auch noch den Ostbahnhof
als Hauptbahnhof behalten!)
Wir haben in dem zusammengeführten Antrag – Sie
alle haben ihn gelesen – viele, aber allesamt umsetzbare Ich habe den Künstlerprotest ganz bewusst an den Be-
Forderungen in Bezug auf Strategie, Barrierefreiheit, ginn dieser Rede gesetzt, damit wir im Parlament heute
Marketing und verbesserte Zusammenarbeit zusammen- nicht nur, wie so oft, das Wunder der prosperierenden
gestellt. Highlights wie „RUHR.2010“ – das war nun Kultur- und Kreativwirtschaft, den Städtetourismus-
wirklich ein Highlight – haben gezeigt, wie man so et- boom, beschwören. Die arbeitsmarkt- und beschäfti-
was machen kann. Ich freue mich, dass wir diesmal ge- gungspolitische Bedeutung ist unstrittig, aber Kultur ist
meinsam vorgehen. Wir sind auf einem guten Weg. Ich mehr als eine Ware. Sie ist ein öffentliches Gut und we-
hoffe, wir gehen diesen Weg weiter – für unser Land und sentliches Moment von Lebensqualität.
die vielen Menschen, die unser schönes Land besuchen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla
Danke. Schmidt [Aachen] [SPD])
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Davon sollten wir ausgehen, wenn wir über Kulturwirt-
schaft und über Kulturtourismus reden. Wir müssen da-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bei auch die soziale Seite und die Lage der Kreativen be-
Luc Jochimsen hat jetzt das Wort für die Fraktion Die achten.
Linke. Gerade dieser soziale Aspekt fehlt in dem nunmehr
(Beifall bei der LINKEN) zusammengeführten Antrag zum Kulturtourismus, der
von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, SPD und
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Bündnis 90/Die Grünen getragen wird. Die Linke hatte
im Kulturausschuss mehrfach versucht, diesen Mangel
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
zu beheben und zu erreichen, dass wenigstens noch ein,
Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Öko- zwei Sätze zur sozialen Lage der Kreativen und Kultur-
nom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die schaffenden eingefügt werden – leider vergeblich. Des-
7050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) wegen – weil das fehlt – stimmen wir nicht zu, sondern Ergebnis ist solide, auch wenn wir uns an der einen oder (C)
werden uns bei der Abstimmung enthalten. anderen Stelle mehr gewünscht hätten. Das möchte ich
an dieser Stelle gar nicht verhehlen.
Wir sind dafür, den Kulturtourismus besser zu för-
dern, und können viele Forderungen unterschreiben. Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die uns
Aber wer Kulturtourismus fördern will, muss auch und wichtig erscheinen:
gerade gute Arbeitsbedingungen für die betroffenen Be-
rufsgruppen schaffen und dafür sorgen, dass die kultu- Die alte Weisheit „Ohne Moos nichts los“ gilt auch in
relle Infrastruktur in den Ländern und Kommunen in ih- diesem Bereich. Deshalb war es uns ein zentrales Anlie-
rer Vielfalt erhalten bleibt. Sie ist nämlich die Basis für gen, dass der Finanzierungsaspekt im Antrag nicht aus-
den Kulturtourismus. geblendet wird. Er ist ein zentrales Thema in diesem
Bereich. Es wurde vorhin schon angesprochen: Wir
(Beifall bei der LINKEN) mussten die angespannte Haushaltslage berücksichtigen.
Deshalb ist wichtig, dass sich das Parlament heute mit Ich möchte jetzt zwar nicht wieder von der Mehrwert-
der Entschließung zum Grünbuch „Erschließung des steuerabsenkung sprechen – das hat die Kollegin
Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“ der Euro- Schmidt eben ausreichend getan –, aber darauf hinwei-
päischen Kommission äußert. Darin heißt es: sen, dass wir einen verstärkten Dialog zwischen Bund,
Ländern und Kommunen insbesondere über Finanzie-
Die Attraktivität der Branche der Kultur- und Krea- rungsfragen brauchen. Ich möchte noch einmal betonen:
tivwirtschaft kann auf Dauer nur gewährleistet wer- Die Finanzierungsfrage ist eine zentrale Frage, wenn-
den, wenn die Einkommen der Künstlerinnen und gleich im Antrag natürlich auch andere Faktoren ange-
Künstler und künstlerisch Kreativen angemessen sprochen werden, die ebenfalls sehr wichtig für den Aus-
sind. bau des Kulturtourismus sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass diese Bessere Koordinierung löst keine finanziellen Nöte,
heute nicht angemessen sind und dass die Tendenz eher wir können aber durch eine bessere Koordinierung Pro-
dahin geht, dass sie immer geringer werden, als dass sie bleme effektiver anpacken oder gar dafür sorgen, dass
angemessener werden. Insofern müssen wir stärker als Probleme gar nicht erst entstehen. Wir alle wissen aber
bisher an die Kreativen, die durch ihre Kultur unsere auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Kultur und Tou-
Städte attraktiv machen, denken. rismus sind freiwillige Aufgaben. Das macht es beson-
Deswegen stimmen wir der Entschließung ohne Wenn ders „attraktiv“ für die öffentliche Hand, hier den Rot-
und Aber zu; beim Antrag enthalten wir uns. stift anzusetzen. Wir alle haben in den letzten Wochen
unrühmliche Beispiele mitbekommen. Ich erinnere nur
(B) Vielen Dank. an die auslaufende Förderung für die Tourismuszentra- (D)
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla len in Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Aus un-
Schmidt [Aachen] [SPD]) seren kommunalpolitischen Erfahrungen wissen wir alle
ebenfalls, dass die Schließung von Theatern und Museen
vielerorts zur Debatte steht. Diese Probleme müssen wir
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sehr ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass die Mit-
Jetzt spricht der Kollege Markus Tressel für telansätze für bestehende Förderprogramme nicht redu-
Bündnis 90/Die Grünen. ziert werden.

Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich freue mich, dass wir heute wieder über das Thema Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, befürchte
Kulturtourismus diskutieren. Er ist wichtig für die kultu- ich, dass das trotz dieses Antrages an einigen Stellen
relle und touristische Entwicklung Deutschlands. Des- passieren wird.
halb freue ich mich ganz besonders, dass wir heute auf
einer weitgehend gemeinsamen Basis diskutieren kön- Die Kollegin Schmidt hat in diesem Zusammenhang
nen. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich beto- einen Bereich angesprochen, auf den auch ich eingehen
nen. möchte: das UNESCO-Welterbeprogramm. Wir können
nicht auf der einen Seite im Antrag festschreiben, dass
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wir unsere Welterbestätten ausbauen bzw. entsprechend
SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der schützen wollen, und auf der anderen Seite zugleich die-
SPD und der FDP) ses wichtige Programm auslaufen lassen. Eine solche
In einem Punkt waren wir uns ja auch schon im Fe- Vorgehensweise läuft einer zentralen Forderung dieses
bruar einig: Deutschland muss die Synergien von Touris- Antrages zuwider. Das finde ich außerordentlich schade.
mus und Kultur stärker nutzen. Das ist nicht nur ökono- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
misch folgerichtig, sondern auch kulturell. Deshalb – das und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
kann ich für meine Fraktion sagen – haben wir uns, ge- LINKEN)
meinsam auch mit den Sozialdemokraten, bemüht, die
interfraktionellen Verhandlungen über einen gemeinsa- Wir brauchen also – das zeigt dieses Beispiel – deut-
men Antrag positiv abzuschließen. Ich glaube, man kann lich mehr Konsequenz in der finanziellen Absicherung
mit Blick auf das heute vorliegende Papier sagen: Das unserer kulturellen Schätze. Hier sind wir an einem zen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7051
Markus Tressel
(A) tralen Punkt: Ohne diese Schätze und auch ohne ihre weitergeben, ihr Personal besser schulen und ihre Häu- (C)
Pflege gibt es keinen Kulturtourismus. Dass dieser zum ser auf Vordermann bringen.
Erliegen kommt, wäre genau das Gegenteil von dem,
was wir uns alle gemeinsam wünschen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Kreativwirtschaft wächst und wächst. Ihr weiterer Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Ausbau darf nicht an finanziellen Engpässen scheitern, Frau Jochimsen zulassen?
weil sie für den Kulturtourismus wichtig ist. Deswegen
ist es an dieser Stelle wichtig, bestehende Förderinstru- Christoph Poland (CDU/CSU):
mente der EU oder anderer offensiver an die Akteure he- Bitte.
ranzutragen. Wir freuen uns darüber, dass wir das in dem
gemeinsamen Antrag verankern konnten und damit eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bresche dafür schlagen konnten, dass die Arbeit dort
Bitte schön.
verbessert werden kann.
Summa summarum: Wir haben festgestellt, dass ge- Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
meinsam vieles besser geht, auch wenn es an einigen Stel- Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen. Gesetzt den
len noch mehr Klarheit bräuchte. Ich glaube, mit dem Er- Fall, wir hätten dem Antrag an der Stelle, an der wir ihm
gebnis der gemeinsamen Arbeit können wir trotzdem einfach nicht folgen konnten, weil wir fanden, dass die
zufrieden sein. Hier geht es um ein Zeichen an die Länder soziale Frage nicht genug beachtet wird, dennoch zuge-
und Kommunen. Kulturtourismus ist eine Chance. Aus- stimmt: Geben Sie mir recht, dass Sie dann dafür gesorgt
gaben in diesem Bereich lohnen sich, Einsparungen rä- hätten, dass wir Linke von dem Antrag ausgeschlossen
chen sich. Nach diesem Prinzip sollten wir auch im Bund werden, weil Sie grundsätzlich überhaupt keinerlei frak-
handeln. tionsübergreifende Anträge zusammen mit meiner Frak-
Vielen Dank. tion machen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der stimmt doch gar nicht!)
FDP) Stellen Sie sich also bitte nicht hierhin und beklagen,
dass es keine gemeinsamen Anträge gibt. Sie schließen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: uns grundsätzlich von fraktionsübergreifenden Anträ-
Christoph Poland hat jetzt das Wort für die CDU/ gen aus – da können wir machen, was wir wollen –,
(B) CSU-Fraktion. (D)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Denken Sie
einmal nach, warum!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
egal ob wir übereinstimmen oder nicht. Selbst wenn wir
Christoph Poland (CDU/CSU): Anträge einbringen und Sie sie inhaltlich übernehmen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und zu sogenannten interfraktionellen Anträgen machen,
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab: Wir werden wir ausgeschlossen. Sagen Sie also bitte nicht, es
haben einen gemeinsamen Antrag auf den Tisch gelegt, habe keine Gemeinsamkeit gegeben; denn nach Ihrer
der in sehr guten Verhandlungen zwischen CSU, CDU, Ansicht darf es überhaupt keine Gemeinsamkeit mit der
FDP, SPD und Grünen verhandelt worden ist. Auch Herr Linksfraktion geben.
Tressel hat dies betont. Aber, Frau Jochimsen, es geht (Beifall bei der LINKEN – Rita Pawelski
hier nicht um Kultursozialismus. [CDU/CSU]: Richtig!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Christoph Poland (CDU/CSU):
Wir mussten schon in den Antragsberatungen feststellen: Frau Jochimsen, inhaltlich gibt es durchaus einige
Sie sind bei Kultur immer nur dann dabei, wenn andere Übereinstimmungen. Aber Sie haben sich von den Ver-
dafür zahlen. handlungen selbst ausgeschlossen, indem Sie darauf be-
(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: standen haben, dass es bei einem solchen Antrag immer
Das geht eben nicht!) um soziale Dinge gehen müsse.

Noch heute ist wahr, was Adenauer einmal gesagt hat: (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]:
Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist die Richtig! In diesem Fall, ja!)
Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen. Aber das ist nicht der Inhalt dieses Antrags. Deswegen
gibt es keine gemeinsame Verhandlungsbasis.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU)
Ich werde Ihnen in meiner Rede einige Beispiele nen- Ich möchte Ihnen einige Beispiele aus meinem Wahl-
nen, die zeigen, wie Kulturtouristen auch durch die Ho- kreis nennen, die zeigen, wie man mit degressiver Förde-
telförderung angelockt werden, weil nämlich Hotels, rung leben kann. Mit einer Anschubfinanzierung der
wenn sie klug sind, die Kostenersparnis an Touristen Stadt entstand der Ueckermünder Musiksommer auf
7052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Christoph Poland
(A) dem Ueckermünder Marktplatz; dies ist eine schöne Sa- schönen Stadtzentren, die wir ausgebaut haben und trotz (C)
che. Nach zwei Jahren hat sich das allein getragen. Die einiger Sparmaßnahmen weiter ausbauen werden.
Unternehmen der Stadt zahlen die Ausgaben aus eigener
Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Städte- und
Tasche, weil sie merken, dass diese touristische Attrak-
Kulturtourismus zählt zu den wichtigsten Segmenten des
tion ihnen nutzt.
Deutschland-Tourismus. Es gibt Orte, die allmählich be-
Ich nenne ferner das Kulturzentrum Alte Kachelofen- kannt werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben.
fabrik in Neustrelitz. Jedes Jahr wird das dazugehörige
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Neustrelitz
Kino von Bernd Neumann mit einem Preis ausgezeich-
zum Beispiel!)
net. Das angeschlossene Öko-Hotel strahlt weit über die
Grenzen der Stadt hinaus. Oder nehmen Sie die Aktion – Richtig! Danke für den Tipp. Ich wollte eigentlich gar
„Mecklenburgische Seenplatte wasserREICH – barriere- nicht so heimatnah argumentieren. – Mein Beispiel ist
ARM“. Hier weisen wir Multiplikatoren darauf hin das Hans-Fallada-Haus in Carwitz. Nach der Aufnahme
– dies haben wir auch in dem Antrag festgehalten –, wie ins Blaubuch haben sich dort Sponsoren und Unterneh-
wir dem Ruf nach Barrierefreiheit gerecht werden. mer gefunden, die die Einrichtung des Originalesszim-
Für den Kulturtourismus gilt: Großstädte und Klein- mers des Dichters Hans Fallada bezahlt haben. Das ging
städte sowie ländliche Räume profitieren von der zuneh- ohne irgendwelches Geld von öffentlichen Stellen.
menden Nachfrage. Ich habe hierzu ein Beispiel für Ber- Ich selbst lebe Kulturtourismus. Ich mache auch Ge-
lin herausgesucht. Letztens hat die Zeitung Die Welt von schenkreisen. Zum Beispiel fahre ich mit meinem Thea-
wunderbaren Zahlen berichtet: Allein im Jahr 2008 hat terförderverein übernächste Woche für drei Tage nach
der Tourismus in Berlin 9 Milliarden Euro Umsatz er- Chemnitz. Ich verschenke Reisen und fahre selber bei-
zielt. Ein großer Teil der Besucher reist wegen der Kul- spielsweise zu den Störtebeker-Festspielen oder zu den
tur, der Theater, der Konzerte, der Schlösser und der Mu- Schlossgartenfestspielen. Oder nehmen Sie die Passions-
seen hierher. spiele in Oberammergau – ich war in diesem Jahr dort –:
(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Und wegen des 2,5 Millionen Euro der Einnahmen bleiben in der Ge-
Bundestags!) meinde. Die Friseure haben auch noch Hochkonjunktur,
weil sie jetzt die Haare – die vielen „Jesus-Frisuren“
– Sicher auch wegen des Bundestages und des schönen werden nicht mehr benötigt – abschneiden. Wir haben
Regierungsviertels. – Von den 9 Milliarden Euro ver- die Nibelungen-Festspiele in Worms, die Musikfest-
bleibt 1 Milliarde Euro im Stadtsäckel. Berlin hat einen spiele in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Hol-
Kulturetat von 370 Millionen Euro. Unter dem Strich stein und auf Usedom sowie das Weltmusikfestival in
muss die Stadt Berlin also nichts draufzahlen: Die Kultur Rudolstadt.
(B) (D)
rechnet sich von alleine.
Ich möchte mit Augustinus enden:
Sie haben schon im Zusammenhang mit unserem An-
trag zur Kultur- und Kreativwirtschaft erfahren, dass die Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine
Kultur ein zuverlässiger Jobmotor ist. Ich will nur zwei Seite davon.
Zahlen nennen: Die Zahl der Arbeitsplätze ist hier in den Das ist ein guter Leitspruch für den Kulturtourismus.
letzten zehn Jahren um 3 Prozent gestiegen. Wenige
Branchen sind so erfolgreich wie die Kulturwirtschaft. Vielen Dank.
825 000 Beschäftigte werden zu diesem Bereich gezählt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frau Jochimsen, die Beschäftigten können sich von ihrer
Arbeit ernähren; die meisten werden nicht schlecht be-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
zahlt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft zieht mit der
Chemiewirtschaft gleich und übertrumpft die Automo- Reiner Deutschmann hat das Wort für die FDP-Frak-
bilwirtschaft. Auch der Kulturtourismus profitiert von tion.
der Kreativwirtschaft. (Beifall bei der FDP)
Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag hervorheben,
der uns sehr wichtig war: bürgerschaftliches Engage- Reiner Deutschmann (FDP):
ment. Es gibt zwei Säulen, die den Kulturtourismus im Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Wesentlichen tragen: die Wirtschaft sowie das bürger- Damen und Herren! Die Prognosen der Wirtschaftswei-
schaftliche Engagement bzw. das Ehrenamt. sen sagen der deutschen Wirtschaft in diesem und auch
im nächsten Jahr solide Wachstumszahlen voraus, wäh-
Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl der Kulturreisen;
rend andere Länder noch in starkem Maße mit den Fol-
das haben wir heute schon gehört. Laut World Travel
gen der Wirtschafts- und Finanzkrise kämpfen. Gleich-
Monitor ist die Zahl der Kulturreisen nach Deutschland
zeitig sinkt die Arbeitslosenquote auf den niedrigsten
um 30 Prozent gestiegen. Es ist kein Wunder, dass das
Wert seit Anfang der 90er-Jahre.
kulturelle Deutschland so beliebt ist. Ich weise in diesem
Zusammenhang nur auf die 33 UNESCO-Welterbestät- Wenn man sich die Gründe für diesen Aufschwung
ten hin; wir haben vorhin davon gehört. Wir können von ansieht, dann erkennt man, dass auch die Kultur- und
der Küste bis zum Bodensee gehen, von der Stralsunder Kreativwirtschaft zu diesem Erfolg beiträgt. Selbst in
Altstadt bis zur Klosterinsel Reichenau: Überall kom- der jüngsten Wirtschaftskrise sank der Umsatz der Kul-
men Menschen in unsere romantischen Städte und in die tur- und Kreativindustrie vergleichsweise nur leicht um
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7053
Reiner Deutschmann
(A) 3,5 Prozent, während der Rückgang in der Gesamtwirt- (Beifall der Abg. Helga Daub [FDP]) (C)
schaft 8,5 Prozent betrug.
Ein Fundament jeder Kreativität ist für uns Liberale
(Jens Ackermann [FDP]: Hört! Hört!) der Schutz des geistigen Eigentums. Dort, wo Ideen und
geistige Leistungen nicht mehr ausreichend geschützt
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind, wird es über kurz oder lang einen Rückgang an
ist im letzten Jahr sogar um rund 24 000 auf 787 000 ge- Kreativität geben. Kreativität muss sich lohnen, auch in
stiegen. Form einer angemessenen Vergütung. Daher verdient die
(Jens Ackermann [FDP]: Genau!) kreative Leistung unsere besondere Aufmerksamkeit.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch die Eu- Vielen Dank.
ropäische Union der Erschließung dieses Potenzials an- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nimmt. Schließlich arbeiten in der EU über 5 Millionen
Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damit
leisten sie einen Beitrag zum EU-Bruttoinlandsprodukt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
von circa 2,6 Prozent. Ich schließe die Aussprache.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Die Kultur- und Kreativindustrie hilft beim Struktur-
Drucksache 17/2940 zu dem Antrag der Fraktion der
wandel. Dort, wo alte Industrien niedergehen, blühen
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/676 mit dem Titel
neue kreative Unternehmen auf. Das Ruhrgebiet als Kul-
turhauptstadt – RUHR.2010 – zeigt, wie auch Kultur „Kulturtourismus in Deutschland stärken“ und zu dem
helfen kann, den notwendigen Strukturwandel zu bewäl- Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1966
tigen. Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb. Gute mit dem Titel „Potenziale von Kultur und Tourismus
Ideen zu haben, war immer ein Standortvorteil Deutsch- nutzen – Kulturtourismus gezielt fördern“. Der Aus-
lands. Aufstrebende Länder wie China und Indien haben, schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die ge-
was Kreativität und Innovation angeht, inzwischen im- nannten Anträge zusammenzuführen und in der Aus-
mer öfter die Nase vorn. Hier muss Europa wieder auf- schussfassung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschluss-
schließen. empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustim-
(Jens Ackermann [FDP]: Sehr richtig!) mung durch die vier einbringenden Fraktionen, dagegen
(B) hat niemand gestimmt, die Fraktion Die Linke hat sich (D)
Das Grünbuch der Europäischen Union zur Erschlie- enthalten.
ßung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien
dient der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbe- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
dingungen. Ziel ist es, wichtige Triebkräfte zu unterstüt- schusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/2941
zen und gleichzeitig Hemmnisse abzubauen. Das betrifft zu dem Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kul-
den Ausbau der Infrastruktur, zum Beispiel durch flä- tur- und Kreativindustrien“. Der Ausschuss empfiehlt, in
chendeckende Versorgung mit Breitbandinternet sowohl Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß
im ländlichen als auch im städtischen Raum, genauso Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz anzunehmen. Wer stimmt
wie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-
der CDU/CSU) mig angenommen.

Hier leistet das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativ- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 sowie Zusatz-
wirtschaft des Bundes mit seinen acht Regionalbüros punkt 8 auf:
eine sehr wichtige Arbeit. 30 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wir unterstützen mit unserem Entschließungsantrag Wunderlich, Cornelia Möhring, Diana Golze,
vom 7. Juli ausdrücklich die Initiative der EU-Kommis- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
sion. Das Potenzial der Kultur- und Kreativindustrien ist LINKE
einfach zu groß und zu wichtig, als dass man diese Ent-
Arbeit familienfreundlich gestalten
wicklung dem Zufall überlassen sollte. Wir brauchen
vielmehr einen systematischen Ansatz, um das Wachs- – Drucksache 17/3189 –
tum dieses Wirtschaftszweiges weiter zu befördern.
Überweisungsvorschlag:
Ohne Frage: Kreativität hängt auch immer von guter Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Bildung ab. Das betrifft nicht nur die Naturwissenschaf- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ten, sondern genauso den kulturellen Bereich. Auch hier Ausschuss für Arbeit und Soziales
ist die Ebene der Europäischen Union noch stärker ge-
fordert. Ohne Kreativität gibt es keine Innovationen, und ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
ohne Innovationen gibt es kein Wirtschaftswachstum. Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab-
7054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Kinder sind 16 Stunden am Tag auf den Beinen und (C)
GRÜNEN halten sich nicht an Öffnungszeiten. Das heißt, wir
müssen es den Eltern ermöglichen, dass sie ihre Be-
„Kinder, Küche und Karriere“ – Vereinbar-
rufs- und Familienzeiten so einrichten, dass sie
keit für Frauen und Männer besser möglich
nicht 10 Jahre lang auf dem Zahnfleisch gehen und
machen
keiner Aufgabe mehr gerecht werden.
– Drucksache 17/3203 –
Was macht denn eine Mutter mit einem Schulkind,
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
die plötzlich im Dreischichtsystem arbeiten soll?
Ausschuss für Arbeit und Soziales Was macht die Mutter von drei Kindern, welche
verschiedene Kitas besuchen, und deren Mann
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat- möglicherweise in der IT-Branche bis in den Abend
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. arbeitet.
Dann ist das so beschlossen.
Zitat Ende. Jetzt dürfen Sie klatschen. Damals haben Sie
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege an dieser Stelle auch geklatscht.
Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Es
(Beifall bei der LINKEN)
hängt immer davon ab, wie man das sagt!)
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Getan hat sich allerdings in dieser Hinsicht nicht viel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die Linke fordert deshalb erneut einen gesetzlichen An-
Kollegen! Ein Intro zur Kinderbetreuung lasse ich ein- spruch auf Teilzeit bzw. auf Normalschichtbetrieb. Die-
mal weg. Die Grünen werden da gleich sicher entspre- sen Problemen ist man seit Jahren noch nicht gerecht
chende Ausführungen zu ihrem Antrag machen, welcher worden. Man kann doch nicht nur auf freiwillige Verein-
im Übrigen eine schöne Ergänzung unseres Antrags ist. barungen zwischen Betriebsrat, Belegschaft und Unter-
nehmer setzen.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist doch eine
tolle Allianz!) (Miriam Gruß [FDP]: Doch, kann man! – Ge-
genruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE
In unserem Antrag geht es darum, Rahmenbedingun- LINKE]: Genau das funktioniert nicht! Das
gen mit dem Ziel zu schaffen, Elternschaft lebbar zu ma- wissen Sie doch!)
chen und den Bedürfnissen junger Familien besser zu
entsprechen. Es geht um den Kündigungsschutz und um – Nein, das kann man nicht, Frau Gruß. Sie verstehen
(B) bessere Möglichkeiten des beruflichen Wiedereinstiegs das nicht. – Es gibt sicherlich etliche Betriebe, welche (D)
mit anschließender Rücksicht auf die familiäre Situation. das schon umsetzen, auch in Kenntnis der Tatsache, dass
Weil im Regelfall alle Kinder mit sechs Jahren einge- zufriedene Arbeitnehmer einen geringeren Krankenstand
schult sind, fordern wir, den Kündigungsschutz entspre- aufweisen und am Ende einer solchen Personalpolitik
chend zu erweitern. Das ist der Kern unserer Aussage eine sogenannte Win-Win-Situation steht.
zum Kündigungsschutz.
(Miriam Gruß [FDP]: Das ist so!)
(Beifall bei der LINKEN)
Ich spreche von den Unternehmen, die einen Mehr-
Ich muss betonen, dass es nicht um eine sechsjährige schichtbetrieb ohne Rücksicht auf Familien durchführen.
Auszeit geht, erst recht nicht nur von Müttern; wir reden Das sind die Fälle, die einer gesetzlichen Regelung zu-
von Eltern. Dass die Berufsrückkehr ein wesentlicher geführt werden müssen.
Punkt ist, haben wir im Ausschuss schon mehrfach fest-
gestellt. Es geht um eine entsprechende Qualifizierung (Beifall bei der LINKEN)
für den Wiedereinstieg in den Beruf. Wir alle wissen Bereits vor über zwei Jahren haben wir von der Lin-
doch, dass der Wiedereinstieg, beispielsweise nach einer ken ähnliche Forderungen an die Regierung gestellt.
dreijährigen Pause, ausgesprochen schwierig ist. Diese wurden abgelehnt. Das Ergebnis Ihrer Politik ist
Die Förderung der Berufsrückkehr ist ein wesentli- beschämend, wie wir alle dem Familienmonitoring 2010
cher Punkt unseres Antrags. Im Ausschuss ist schon vor entnehmen können. Diesbezüglich verhält sich die Re-
langer Zeit übereinstimmend festgestellt worden, dass gierung wie auch sonst. Am vorletzten Montag hatten
dies der Knackpunkt ist, der geregelt werden muss. Des- wir im Familienausschuss ein Expertengespräch zum
halb soll der Anspruch auf berufliche Weiterbildungs- Kinder- und Jugendbericht. Das Fazit der Experten war:
maßnahmen begründet werden. Darüber hinaus sollen Die Kinderarmut steigt seit Jahren, und die Regierung
Eltern, welche Elternzeit nehmen, bei kurzer Vertre- macht im Grunde nichts dagegen. – Bei der Arbeitssitua-
tungszeit bevorzugt berücksichtigt werden, um den Kon- tion der Alleinerziehenden ist es ähnlich.
takt zum Betrieb aufrechtzuerhalten.
Wir zeigen in unserem Antrag die flankierenden Maß-
Probleme mit dem Mehrschichtbetrieb greifen wir in nahmen auf, die erforderlich sind, um eine familien-
unserem Antrag ebenfalls auf. Dazu – jetzt wird es inte- freundliche Politik in diesem Land zu betreiben. Uns
ressant – hat die CDU/CSU, namentlich Frau Dr. Eva geht es um eine Politik für Familien, bei der der so oft
Möllring, schon vor über anderthalb Jahren im Aus- zitierte Dreiklang stimmt und nicht in einer schwarz-
schuss ausgeführt – ich zitiere –: gelben Kakofonie endet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7055
Jörn Wunderlich
(A) (Miriam Gruß [FDP]: Also, das nehmen Sie (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Fakten!) (C)
bitte zurück!)
– Wir sagen, dass wir den Ausbau schaffen. Wir werden
Wir haben keine Erkenntnisprobleme. Die Regierung am Ende sehen, ob wir das hinbekommen. Ich bin fest
hat Umsetzungsprobleme. Das ist erstaunlich; denn sie davon überzeugt.
hat keine Umsetzungsprobleme, wenn es darum geht,
das Elterngeld für Hartz-IV-Eltern anzurechnen; wir (Zuruf der Abg. Christel Humme [SPD])
konnten der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung Wir werden, Kollegin Humme, zum Beispiel in Bayern
entnehmen, dass die Argen schon entsprechende Be- schon ein Jahr vor der Zeit unser Ausbauziel erreichen.
scheide verschicken. Außerdem hat sie keine Umset- Das alles ist eine Frage der richtigen Prioritätensetzung.
zungsprobleme, wenn es darum geht, Wasserwerfer ge-
gen Kinder einzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Otto Fricke [FDP]: Und der richti-
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
gen Regierungskoalition!)
(Beifall bei der LINKEN – Dorothee Bär
[CDU/CSU]: Unglaublich! Was für ein Ge- Wie ist es denn in Ihrem Heimatland?
schwätz!) Wir müssen konstatieren, dass die Vereinbarkeit von
Erwerbsarbeit und Familie kein rein frauenspezifisches
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Phänomen ist, auch wenn die Frauen die entsprechenden
Dorothee Bär hat das Wort für die CDU/CSU-Frak- Probleme immer noch am drängendsten spüren. Eltern
tion. wollen neben dem Ausbau der Kinderbetreuung – natür-
lich müssen Plätze vorhanden sein und muss die Qualität
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stimmen – vor allem in den ersten Jahren eines – das
wird in Umfragen immer wieder bestätigt –: Sie wollen
Dorothee Bär (CDU/CSU): viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das gilt nicht nur
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! für Mütter, sondern, Gott sei Dank, im besonderen Maße
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für uns als auch sehr stark für Väter.
CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unserem
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Koalitionspartner, der FDP-Fraktion, ist der zentrale
der FDP)
Schwerpunkt unserer Familienpolitik die nachhaltige Fa-
milienpolitik, die wir seit einiger Zeit machen. Das war ja nicht immer so.
(B) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Davon merkt (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke (D)
man nur nichts!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ich möchte jetzt nichts Beleidigendes sagen. Diejeni- – Ja, das ist doch wunderbar. Ich freue mich, wenn Väter
gen, die es merken können, merken es auch, Herr Kol- Verantwortung übernehmen; Zeit ist nun einmal die mo-
lege Wunderlich. derne Leitwährung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) neten der FDP)
Das kann natürlich nur im Zusammenspiel von fami-
Dieser Bewusstseinswandel konnte sich nur langsam
lienfreundlichen Arbeitsbedingungen und einer qualita-
durchsetzen, weil vor allem viele Männer immer noch
tiv guten sowie natürlich auch – das ist uns besonders
berufliche Nachteile fürchten, wenn sie sich für ihre Fa-
wichtig – einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung gelin-
milie mehr Zeit nehmen wollen. Deswegen brauchen wir
gen. Ich denke, darin stimmen wir mit den Antragsstel-
eine Arbeitswelt, die den Müttern und den Vätern fami-
lern überein. Wir alle wissen, dass junge Paare heutzu-
lienfreundliche Möglichkeiten bietet. Wir brauchen un-
tage verstärkt beides möchten. Sie möchten eine Familie
bedingt auch einen Bewusstseinswandel in folgender
gründen, Kinder bekommen und, wenn möglich, im Be-
Hinsicht: Es sollen nicht ausschließlich diejenigen in hö-
rufsleben – das gilt für beide – tätig sein. Deswegen hat
here Positionen befördert werden, deren berufliche Leis-
die unionsgeführte Bundesregierung bereits in der letz-
tung nach der Anwesenheit bemessen wird. Ich spreche
ten Legislaturperiode den Anstoß für den massiven Aus-
mich gegen eine reine Anwesenheitskultur insofern aus,
bau der Kinderbetreuungsplätze gegeben.
als es nicht von großer Bedeutung sein sollte, dass
An dieser Stelle unterscheiden wir uns nun in unseren abends um 22 Uhr in den Büros noch das Licht brennt.
Ansichten. Denn anders als die beiden Antragsteller sind Es darf nicht sein, dass diejenigen, die um 17 oder 18 Uhr
wir fest davon überzeugt, dass das angestrebte Ausbau- ihr Kind aus einer Krippe, aus dem Kindergarten abho-
ziel erreicht werden wird. Wir arbeiten die ganze Zeit len, bei Beförderungen übergangen werden. Diesem Pro-
daran. Wenn man sich beispielsweise den ersten Evalua- blem müssen wir uns stellen, darum müssen wir uns
tionsbericht zum KiföG anschaut, sieht man, dass uns kümmern. Es geht nicht nur darum, Vereinbarkeit von
dieser in unserer Zuversicht bestätigt. Deswegen kann Familie und Beruf herzustellen, sondern es geht auch
ich nicht verstehen, warum hier von den beiden Fraktio- sehr stark darum, Vereinbarkeit von Familie und Karriere
nen, die Anträge gestellt haben, so viel Schwarzmalerei herzustellen. Das ist gerade für Frauen noch ganz beson-
betrieben wird. ders schwierig.
7056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Miteinander und kein Gegeneinander brauchen. Wir set- (C)
Frau Bär, würden Sie eine Zwischenfrage der Kolle- zen weiterhin auf Verständnis und freiwillige Maßnah-
gin Dittrich zulassen? men, nicht auf Druck. Ich kann Ihnen sagen: Die christ-
lich-liberale Bundesregierung ist nicht nur auf einem
guten, sondern sogar auf einem sehr guten Weg.
Dorothee Bär (CDU/CSU):
Nein. – Wir brauchen auch kein Gegeneinander als Vielen Dank.
Folge staatlichen Zwangs, wie er sich teilweise aus Ihren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Anträgen ergeben würde. Da ist die Linke wieder einmal
ganz vorne mit dabei, indem sie sagt, der Staat müsse je-
den strangulieren und immer alles regulieren. Wenn man Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
diesen Zwang einführen würde, würde man ganz be- Gabriele Hiller-Ohm hat das Wort für die SPD-Frak-
wusst in Kauf nehmen, dass am Ende weniger Arbeits- tion.
plätze zur Verfügung stehen als vorher. (Beifall bei der SPD)
Es muss doch jedem klar sein, dass es viel wichtiger
ist, für beide Seiten diesen Nutzen herauszuarbeiten. Für Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
eine Firma ist es natürlich viel besser, wenn die Mitar- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen
beiter motiviert sind. Denn diejenigen, die zum Beispiel der Linken! Ich spreche zu Ihrem Antrag „Arbeit fami-
zu Hause kleine Kinder haben, verrichten ihre Arbeit lienfreundlich gestalten“. Herr Kollege Wunderlich, Sie
wesentlich glücklicher, weil sie wissen, dass sie einen haben Ihrem Namen wirklich alle Ehre gemacht. Über
Chef oder – das wäre auch einmal schön – eine Chefin Ihren Antrag kann man sich nur wundern.
haben, der oder die sich kümmert und sagt: Ich akzep- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich hoffe im-
tiere das, du kannst selbstverständlich um 17 Uhr gehen; mer noch auf Einsicht und Verstand bei den
denn ich weiß, du erledigst dieselbe Arbeit wie die, die anderen!)
länger bleiben. – Wenn ich diesen Firmen sagen würde,
dass wir diesen staatlichen Zwang einführen, würde ich Zu Ihrer Information: An einer Verbesserung der Ver-
genau das Gegenteil erreichen. Da tragen auch die Tarif- einbarkeit von Familie und Beruf haben sich ganze Ge-
partner Verantwortung. Das haben die Grünen, Gott sei nerationen die Zähne ausgebissen. Meine sind, wie Sie
Dank, in ihrem Antrag erkannt. sehen können, noch drin.
Wir haben schon einiges getan. Mit der „Allianz für (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Viel-
die Familie“ und dem Unternehmensprogramm „Er- leicht sind sie ja nicht mehr echt!)
(B) folgsfaktor Familie“ hat das Familienministerium ge- Der Verwirklichung Ihres Anspruchs stehen nicht nur (D)
meinsam mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirt- beinharte Unternehmensinteressen, sondern obendrein
schaft und den Gewerkschaften ein ganz konkret und auch eingefahrene Rollenbilder entgegen. In Ihrem An-
praxisnah arbeitendes Forum geschaffen. Ergänzt wird trag finde ich dazu gerade einmal drei Forderungen.
das Ganze durch die „Lokalen Bündnisse für Familie“, Armselig ist das.
in denen sich die Akteure vor Ort ebenfalls um familien-
freundliche Arbeitsbedingungen kümmern. Ich stimme Ihnen zu: Ein umfassender Kündigungs-
schutz ist super. Aber er sollte, bitte schön, für alle El-
Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass sich Fami- tern gelten. Was, so frage ich Sie, nützt Eltern der von
lienbewusstsein in Unternehmen nicht nur für die Fami- Ihnen geforderte Kündigungsschutz bis zur Vollendung
lien auszahlt, sondern auch für die Betriebe selbst. Das des sechsten Lebensjahres des Kindes, wenn sie keinen
ist auch ein Wettbewerbsvorteil. Diejenigen Unterneh- sicheren Job haben?
mer, die ganz bewusst auf Familien und Eltern junger
(Miriam Gruß [FDP]: Ja! So ist es!)
Kinder setzen, wissen, was für ein wahnsinniges Organi-
sationstalent sie sich damit zusätzlich einkaufen. Das Die Hälfte der im letzten Jahr neu geschlossenen Ar-
muss ein großer Vorteil und darf kein Nachteil sein. Hier beitsverträge war befristet.
müssen auch die Kommunen mit ins Boot geholt wer-
(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Wer hat das
den. Denn dieses Thema betrifft nicht nur den Bund und
denn ermöglicht? Das waren doch Sie!)
die Länder, sondern auch die Kommunen. In den Kom-
munen müssen allerdings die richtigen Prioritäten ge- Frauen und junge Männer sind hiervon überdurch-
setzt werden. schnittlich betroffen.
Frau Kollegin Ernstberger, manche Kommunen in (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist das
Oberfranken, zum Beispiel Gemeinden mit 1 000 Ein- Ergebnis Ihrer Politik!)
wohnern, schaffen es, von 6 Uhr früh bis 22 Uhr abends
Wir fordern deshalb: Schluss mit der sachgrundlosen
Kindergartenplätze anzubieten, weil es dem Bürgermeis-
Befristung!
ter vor Ort wichtig ist und die richtigen Rahmenbedin-
gungen gesetzt werden. Die Vereinbarkeit von Familie (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
und Erwerbsarbeit ist von elementarer Bedeutung. In bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
dem gerade geschilderten Fall hat der Freistaat Bayern GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]:
übrigens unbürokratisch gehandelt und die Kommune Ja, klasse! Schön, dass Sie unsere Forderungen
unterstützt. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir ein aus der letzten Legislatur aufnehmen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7057
Gabriele Hiller-Ohm
(A) Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche dem, was Sie erreichen wollen. Es würde noch mehr be- (C)
können sich viele junge Männer und Frauen leichter für fristete Arbeitsverhältnisse und Minijobs in Deutschland
Kinder und Karriere entscheiden. geben, wenn man den Forderungen Ihres Antrags nach-
kommen würde.
Außerdem befinden sich Frauen, darunter zahllose
Mütter, zunehmend in prekären Beschäftigungsverhält- Toll, aber eben auch völlig realitätsfern ist Ihre Forde-
nissen. Inzwischen haben fast 5 Millionen Frauen einen rung eines Initiativrechts für Eltern mit Kindern im Alter
Minijob. Insgesamt ein Drittel aller erwerbstätigen von unter zwölf Jahren zur Gestaltung der regulären Ar-
Frauen arbeitet für einen Niedriglohn. beitszeit und eines ebenso langen Rechtsanspruchs, in ei-
nem Mehrschichtbetrieb nur die Normalschicht zu fahren.
(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Tja! Wie
kommt denn das?) Keine Frage ist, dass die Arbeitswelt familienfreund-
licher gestaltet werden muss. Arbeitgeber müssen ihren
Eine Familie ernähren kann man davon nicht; das leuch- Anteil dazu leisten. Es ist nicht hinnehmbar, dass topaus-
tet allen ein. gebildete Frauen heute im Durchschnitt 23 Prozent we-
(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Ja! Aber da- niger verdienen als Männer.
für haben doch Sie gesorgt!) (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE
Über 600 000 Familien sind auf aufstockende Sozialleis- LINKE])
tungen angewiesen. Davon sind fast 40 Prozent Alleiner- Damit werden alte Rollenmuster zementiert. Wir fordern
ziehende. Meine Damen und Herren, das ist beschä- ein Entgeltgleichheitsgesetz, um diesen unhaltbaren Zu-
mend. stand zu überwinden. Davon finde ich in Ihrem Antrag
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ergebnis rot- nichts.
grüner Arbeitsmarkt- und Familienpolitik!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –
Wir fordern existenzsichernde Löhne und einen gesetzli- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es gab
chen Mindestlohn, um diese Schieflage auf dem Arbeits- zu Ihrer Regierungszeit auch schon diesen Zu-
markt zu überwinden. stand! Sie haben nichts gemacht!)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Jörn Außerdem sind wir Politikerinnen und Politiker in
Wunderlich [DIE LINKE]: Es wird auch Bund, Ländern und Kommunen gefordert, die Grundla-
Zeit! – Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] gen für einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeitswelt
meldet sich zu einer Zwischenfrage) zu schaffen. Meine Partei setzt sich seit Jahren für ver-
besserte Betreuungsstrukturen ein.
(B) Warum schreiben Sie zu diesem Thema nichts in Ihrem (D)
Antrag? (Zuruf von der LINKEN: Das reicht nicht
aus!)
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie
haben das bisher abgelehnt!) Wir haben das Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz
ab dem ersten Lebensjahr durchgefochten. Wir wollen
– Bitte? dieses Recht zu einem Recht auf Ganztagsbetreuung
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil ausweiten, für Alleinerziehende ab sofort.
Sie das bisher abgelehnt haben!) Wir haben ein 4-Milliarden-Euro-Programm zum Aus-
bau der Ganztagsschulen auf den Weg gebracht. Diese
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anstrengungen müssen wir gerade jetzt fortsetzen. Sie
Frau Hiller-Ohm, möchten Sie eine Zwischenfrage von der FDP sollten sich dem anschließen.
des Kollegen Kurth zulassen? (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wir
dürfen noch nicht einmal Fragen stellen, sollen
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): uns dann aber anschließen?)
Auf gar keinen Fall.
(Heiterkeit – Zurufe von der FDP: Ui! Ui!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
– Herr Kollege, Sie haben doch gar keinen Antrag einge-
bracht. Warum wollen Sie dann eine Frage stellen?
Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kön- Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken,
nen wir doch wohl trotzdem! – Otto Fricke wird seinem Titel, dem wichtigen Thema „Arbeit famili-
[FDP]: Weil es sein Recht ist, Frau Kollegin! enfreundlich gestalten“, nicht gerecht. Das ist eigentlich
Sie haben ein komisches Verständnis von De- schade.
mokratie! – Miriam Gruß [FDP]: Wir haben
das Recht dazu!) (Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich fürchte, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
mit Ihrer Forderung nach einem Kündigungsschutz für Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Eltern kleiner Kinder bis zur Vollendung ihres sechsten
Lebensjahres erreichen Sie genau das Gegenteil von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
7058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Miriam Gruß (FDP): schen Telekom, die über 50 verschiedene Arbeitszeitmo- (C)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und delle hat und somit als Dax-Konzern auch bei der Fami-
Herren! Ich freue mich, auch in dieser Woche wieder lienfreundlichkeit im Betrieb eine Vorreiterrolle spielt.
über Themen debattieren zu dürfen, die uns gerade als
Aber auch die kleinen und mittelständischen Unter-
christlich-liberaler Koalition sehr am Herzen liegen. Die
nehmen, die inhabergeführten Unternehmen, setzen sich
Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt auch in unse-
mit ihren Mitarbeitern zusammen und finden Vereinba-
rer Koalition eine ganz große Rolle.
rungen, damit qualifizierte Beschäftigte Kind und Karri-
(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) ere unter einen Hut bekommen können. Es funktioniert
also heute schon.
Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD tun wir sehr viel da-
für. Sie hätten in den letzten elf Jahren Ihrer Regierungs- Deswegen: Wir haben nichts davon, jetzt die Unter-
beteiligung die Chance dazu gehabt, haben aber wenig in nehmen zu belasten, weil jede Belastung von Unterneh-
dieser Richtung unternommen. men wieder Arbeitsplätze kosten kann.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
der CDU/CSU)
Das ist das Letzte, was die Unternehmen in diesen Zei-
Wir hingegen setzen auf den klassischen Dreiklang. ten brauchen.
Die Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Wir
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
wissen, dass wir einen anderen Ansatz haben, den Fami-
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Fern
lien das zu geben, was sie brauchen.
jeder Realität!)
Sie nehmen den Familien erst einmal das Geld weg,
– Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben, aber in der
schicken es durch einen gigantischen Umverteilungsme-
Welt, in der ich lebe, funktioniert es und wird es bereits
chanismus und geben es großgönnerhaft wieder aus.
gelebt.
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: In welcher
NEN]: Albern! – Jörn Wunderlich [DIE
Welt leben Sie? – Zuruf: Parallelwelt!)
LINKE]: Das steht im Regierungsprogramm! –
Weitere Zurufe von der SPD, der LINKEN Ein weiteres Merkmal dieser schwarz-gelben Regie-
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung ist es, insbesondere auch die Männer ins Blickfeld
zu nehmen.
Sie versuchen bei jeder Gelegenheit, Ihren ständigen
Forderungen nach einem Mindestlohn Gehör zu ver- (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)
(B) schaffen. Aber ein Mindestlohn bringt nichts, wenn die (D)
Wir wollen nicht sagen, dass Frauen keine Förderung
Familien danach keinen Arbeitsplatz mehr haben, weil
mehr bräuchten. Wir wissen um die Entgeltungleichheit.
ein Mindestlohn eingeführt wurde.
Wir wissen auch um einen möglichen Karriereknick bei
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Frauen, wenn sie beispielsweise ein Kind bekommen.
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In ganz Aber wir wollen auch bewusst Männern die Chance ge-
Europa geht es, nur in Deutschland nicht!) ben, Familienzeit zu nehmen.
Aber wir als schwarz-gelbe Koalition verzeichnen (Zustimmung des Abg. Patrick Kurth [Kyff-
eine Arbeitslosigkeit, die so niedrig wie nirgendwo sonst häuser] [FDP])
in Europa ist. Wir haben einen wirtschaftlichen Auf-
Ich weiß, wovon ich rede. Bei mir zu Hause ist es bei-
schwung, der international spitze ist.
spielsweise inzwischen so: Mein Mann ist aus dem Be-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- ruf ausgestiegen, und wir leben das Modell. – Von daher
ruf von der LINKEN: Aber was für Arbeits- kann ich Ihnen nur sagen: Es wird in Deutschland inzwi-
plätze sind das denn?) schen gelebt.
Durch Ihre Regierungsbeteiligungen in den letzten (Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Jahren haben wir ein Gebilde bekommen, das europa-
Hier bringen neue Gesetze nichts, sondern wir brauchen
weit auch spitze ist. Wir geben unheimlich viel Geld für
Familienfreundlichkeit, die gelebt wird. Darauf setzt
die Familien aus, stellen aber fest, dass es nicht zielge-
diese schwarz-gelbe Regierungskoalition.
nau ankommt. Deswegen setzen wir weiterhin darauf,
dass die familienpolitischen Leistungen evaluiert werden (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
müssen, um zu erreichen, dass sie tatsächlich bei den Fa-
Die Infrastruktur ist natürlich wichtig. Wir wissen, die
milien ankommen.
Familien müssen entsprechende Möglichkeiten haben.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Seit vier Jahren Wir als Staat sorgen auch für diese Möglichkeiten. Frau
evaluieren Sie nun schon ohne Ergebnis!) Bär hat bereits darauf hingewiesen, dass wir es in Bay-
ern bereits bis 2012 schaffen, dass es einen durchsetzba-
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktioniert
ren Rechtsanspruch geben wird. Auch diese Koalition
heutzutage doch schon in den meisten Unternehmen.
setzt darauf, dass wir die Infrastruktur verbessern.
Wir kennen viele Unternehmen, in denen das bereits ge-
lebt wird. Das ist nicht nur bei Großkonzernen, die ich Gerade heute können Sie vom Familienministerium
ausdrücklich loben möchte, der Fall, wie bei der Deut- hören, dass wir 4 000 neue Erzieherstellen schaffen. Ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7059
Miriam Gruß
(A) rade in sozialen Brennpunkten wollen wir den Betreu- geld. Das ist ungerecht und meiner Meinung nach auch (C)
ungsschlüssel verbessern, weil wir als schwarz-gelbe unzeitgemäß.
Koalition wissen: Die Infrastruktur ist das eine, die Qua-
lität ist das andere. – Ein besonderer Ausdruck von Qua- Viele Eltern – das ist heute auch schon angesprochen
lität ist natürlich ein besserer Betreuungsschlüssel. Da- worden – wollen sich Erwerbsarbeit und Familienarbeit
rauf setzen wir, und dafür nehmen wir auch Geld in die fair und partnerschaftlich teilen. Deshalb brauchen wir
Hand. endlich ein flexibles Teilelterngeld ohne doppelten An-
spruchsverbrauch.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ganz nebenbei sind wir die erste Koalition, die die und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Bildung massiv fördert: angefangen bei der frühkindli- der SPD)
chen Bildung bis hin zur weiterführenden Bildung und
zu den Hochschulen. Wir nehmen dafür insgesamt Diese richtige Idee hatte die Ministerin ja auch schon
12 Milliarden Euro in die Hand und sind damit bei den einmal, aber wie fast alle anderen familienpolitischen
Bildungsausgaben zum ersten Mal spitze in Europa. Wir Maßnahmen, die groß im Koalitionsvertrag angekündigt
wollen die OECD-Bedingungen hier erfüllen, und wir waren, ist auch das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver-
werden sie auch erfüllen. Wir sagen: Auch in Zeiten schoben worden. Damit die Ministerin mit „mehr Ver-
sparsamer Haushalte investieren wir da, wo es nötig und einbarkeit“ einmal ernst machen könnte, dürfte sie eben
dringend geboten ist, also da, wo sich jeder Cent, den keine Ankündigungsministerin bleiben.
wir ausgeben, später tausendfach auszahlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben an sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
der Stelle nichts zu bieten. KEN)

(Widerspruch bei der LINKEN und dem Es ist absolut richtig: Für eine gute Vereinbarkeit von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beruf und Familie braucht man Zeit, Infrastruktur und
Geld.
Wir handeln, und wir investieren insbesondere in die
Bildung und in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Thema Infrastruktur. Beim Ausbau der Kindertages-
Damit sind wir spitze. stätten und der Ganztagsschulen sind wir eben noch
nicht so weit gekommen, wie hier immer postuliert wird.
Vielen Dank. Ich fordere die Bundesregierung auch an dieser Stelle er-
neut auf, endlich eine solide und ordentliche Bedarfs-
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn erhebung zu machen. (D)
Wunderlich [DIE LINKE]: Wie war das im
Mittelteil? Oberpeinlich!) Frau Bär, es geht nicht darum, dass wir nicht glauben,
dass man das bis 2013 für 35 Prozent der Kinder tatsäch-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lich schaffen kann.
Jetzt hat Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen das (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir werden mehr
Wort. schaffen!)
Das haben wir nie gesagt. Wir haben immer gesagt: Wir
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gehen davon aus, dass es auch mehr als 35 Prozent der
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Kinder sein können. Darüber machen Sie sich offen-
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die sichtlich keine Gedanken;
Bundesfamilienministerin, die heute leider nicht hier ist,
hat im August den schönen Satz „Zeit ist die Leitwäh- (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Doch, natürlich!)
rung moderner Familienpolitik“ geprägt.
denn es ist kein Geld dafür da, falls es für mehr Kinder
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wow!) als für diese 35 Prozent einen Bedarf gibt. Das ist eben
das, was wir kritisieren. Deshalb und doch nicht auf-
Ich finde diesen Satz richtig. Das Problem ist nur und grund dessen, was Sie hier gesagt haben, brauchen wir
Fakt ist auch: Diese Bundesregierung ist ausgesprochen eine Bedarfserhebung.
geizig, wenn es um diese Leitwährung geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dorothee Bär
bei der SPD und der LINKEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Lassen Sie sich überraschen,
[CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!) Frau Dörner!)
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: das Teilelterngeld. Schon heute, im Oktober 2010, ist das Sondervermögen
Wenn heute beide frischgebackenen Elternteile nach der in NRW überzeichnet.
Geburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten, dann verlängert
sich der Bezugszeitraum des Elterngeldes eben gerade Ich stimme meinen Vorrednern auch völlig zu, dass es
nicht. Verglichen mit einem Paar, bei dem ein Elternteil dringend notwendig ist, endlich den Rechtsanspruch da-
zu Hause bleibt und der andere weiter Vollzeit arbeitet, hin gehend zu erweitern, dass er auch für die Ganztags-
bekommen diese Eltern insgesamt also weniger Eltern- betreuung gilt.
7060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Katja Dörner
(A) Eltern brauchen, bezogen auf ihren Arbeitsplatz, vorstellen, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie (C)
mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Nach der und Beruf den Arbeitgeber zu wechseln. Familien-
Elternzeit in erzwungener Teilzeit und auf einer wenig freundlichkeit ist vielen heute sogar wichtiger als ihr Ge-
qualifizierten Stelle stecken zu bleiben, das ist ein realer halt. Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage beschäf-
Erfahrungswert vieler junger Eltern, insbesondere von tigt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf die
Müttern. Deshalb ist es absolut überfällig, das Recht auf Deutschen derzeit mehr als die Gesundheitsreform oder
Teilzeit, das wir heute schon im Teilzeit- und Befris- Steuersenkungen. Es ist also ein brennendes Thema.
tungsgesetz verankert haben, um ein Rückkehrrecht auf
eine Vollzeittätigkeit zu ergänzen. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
heißt Flexibilität und Zeit. Zeit ist der entscheidende
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Faktor für ein glückliches und zufriedenes Familienle-
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ben. Sie alle wissen, das ist gar nicht so einfach; denn
der SPD) auch der Arbeitgeber verlangt von seinem Mitarbeiter
Flexibilität, Mobilität, Einsatz und Verfügbarkeit, also
Den Vorschlag der Linken, den Kündigungsschutz auf
auch Zeit – Zeit für Schichtdienst, Zeit für Überstunden.
den Zeitraum bis zur Vollendung des sechsten Lebens-
Zeit und Flexibilität wollen also zum einen die Betriebe
jahres eines Kindes auszuweiten, müssen wir aus unserer
von den Mitarbeitern. Das ist zum anderen aber auch
Sicht durchaus kritisch diskutieren; denn wir wollen
das, was die Familien gerne von den Betrieben wollen.
nicht, dass es letztlich dazu kommt, dass junge Eltern
Das ist für Alleinerziehende besonders schwer, und man
eher weniger eingestellt werden. Ich glaube, das ist ein
fragt sich, wie das zusammenpassen soll.
Problem, das man ernsthaft diskutieren muss. Wenn es
dazu käme, dann ist eben niemandem gedient. In meinen Augen ist der erste Schritt getan. Die Un-
ternehmen haben erkannt: Gerade in der jetzigen Zeit, in
Ich denke, wir müssen tatsächlich noch grundlegen-
der es an Fachkräften mangelt, können sie von ihren
der ansetzen; das ist schon angesprochen worden. Wenn
Mitarbeitern nicht Flexibilität verlangen, ohne ihnen
wir zur Kenntnis nehmen, dass mehr als die Hälfte der
ebenfalls mehr Flexibilität zu gewähren. Wer also seine
Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen Menschen unter
guten Mitarbeiter halten will, der muss familienfreund-
36 Jahre sind, und wenn wir wissen, dass zwei Drittel
lich sein.
der Leute um die 30 sich von einem befristeten Job zum
nächsten hangeln, dann sehen wir, dass die Herausforde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rungen an die Politik deutlich größer sind als das, was
die Regierungskoalition sich anzupacken traut. Die Unternehmen haben erkannt: Familienfreundlich-
keit zahlt sich aus. Vier von fünf Unternehmen bestäti-
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen, dass sie durch Familienfreundlichkeit konkrete be- (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- triebswirtschaftliche Vorteile haben. Die Erkenntnis,
KEN) dass Familienfreundlichkeit wichtig ist, ist also bei Ar-
Die Forderungen, die aktuell im Ausschuss für Arbeit beitnehmer und Arbeitgeber vorhanden. Also sind auch
und Soziales diskutiert werden, nämlich die sachgrund- alle gefordert, und zwar mit Unterstützung der Politik.
lose Befristung und die Befristung auf Probe abzuschaf- Ich denke, mit Schuldzuweisungen kommen wir da nicht
fen, halte ich – auch im Zusammenhang mit unserer weiter. Hier müssen einfach alle ran.
heutigen Debatte – für ausgesprochen wichtig und viel- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
versprechend.
Ansatzpunkte gibt es viele. Viele sind auch schon ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie nannt worden. Ich will drei gerne noch einmal anspre-
der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) chen.
Ich bin gespannt auf die Beratungen in den Ausschüs- Ein Punkt ist eine gute Betreuungsinfrastruktur. Liebe
sen. Ich hoffe doch, dass die Bundesregierung endlich Kollegen, ich komme aus einer sehr ländlichen Region,
von der reinen Ankündigungspolitik wegkommt und und ich kenne die Fragen und die Unsicherheiten junger
sich aufmacht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen. Frauen, die schwanger sind oder sich Kinder wünschen
Vielen Dank. und die keine feste Zusage für einen Betreuungsplatz
nach der Geburt haben, sehr gut. Diese jungen Menschen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hängen wirklich in der Luft. Zum Glück wird das von
bei der SPD und der LINKEN) Monat zu Monat besser; das kann man wirklich be-
obachten, gerade bei uns im ländlichen Raum. Der Kita-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ausbau geht zügig voran. 2013 gibt es den Rechts-
Jetzt hat Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion anspruch auf einen Kitaplatz. Das ist Fakt, und daran
das Wort. wird nicht gerüttelt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb bitte ich Sie, liebe Kollegen von den Grünen,
ganz herzlich: Hören Sie bitte mit Ihrer Panikmache auf,
dass für den Ausbau nicht genug getan werde!
Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Kollegen! Vier von fünf Arbeitnehmern können sich neten der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7061
Nadine Schön (St. Wendel)
(A) Hören Sie auf mit den Kassandrarufen! Das bringt kei- Dieser Chef ist ein Vorbild für seine Mitarbeiter. Er (C)
nem etwas. Das Ziel ist klar. Der Weg ist klar. Die Situa- trägt wesentlich dazu bei, dass der Betrieb insgesamt fa-
tion wird von Monat zu Monat besser. Liebe Kollegen, milienfreundlicher wird.
ich glaube, darauf können wir stolz sein.
Das sind die kleinen, aber sehr deutlichen Zeichen,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass sich in der Arbeitswelt etwas bewegt. Ich glaube,
neten der FDP) das ist eine gute Nachricht an diesem Freitagnachmittag.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, und ich
Allein mit einer guten Betreuungsinfrastruktur ist es
hoffe, dass Sie es im Kreise Ihrer Familie verbringen
allerdings nicht getan. Echte Familienfreundlichkeit geht
können.
darüber hinaus. Echte Familienfreundlichkeit bedeutet,
die individuelle Situation des Arbeitnehmers in den Danke schön.
Blick zu nehmen. Dazu gehört, dass Babypausen und
Pflegezeiten gemeinsam organisiert werden. Dazu gehö- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ren Fortbildungsangebote während der Elternzeit und neten der FDP)
Hilfen beim Wiedereinstig. Dazu gehören auch bisher
unübliche Arbeitszeitmodelle wie die 30- oder 35-Stun- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
den-Woche. Hier ist Kreativität von Unternehmen und Nicht dass Sie denken, Sie könnten jetzt schon gehen.
Mitarbeitern gefragt. Jetzt hat nämlich Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion
das Wort.
Meine Kollegin Dorothee Bär hat bereits auf das Un-
ternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ hingewie- (Beifall bei der SPD)
sen. Darin gibt es kreative Ansätze von Telearbeit bis
zum Eltern-Kind-Büro, die übrigens auch in unseren Stefan Schwartze (SPD):
Ministerien intensiv umgesetzt werden. Maßgeblich Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
sind, denke ich, die Kreativität und Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vereinbarkeit von
Menschen und die Initiativen in den Betrieben. Sozialis- Familie und Beruf ist in den letzten Jahren das eine oder
tisch anmutende Zwänge wie ein sechsjähriges Kündi- andere erreicht worden. Immer mehr Menschen erken-
gungsverbot brauchen wir nicht, liebe Kollegen der Lin- nen, wie wichtig das Thema für unsere Gesellschaft ist.
ken. Dafür waren viele Entscheidungen grundlegend: der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Rechtsanspruch auf die Betreuung ab dem ersten Le-
Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz süffisant ge- bensjahr und das Elterngeld, das dazu geführt hat, dass
sagt! Das gefällt mir! – Gegenruf der Abg. sich jetzt ein Viertel der Väter Zeit für die Betreuung ih-
(B)
Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das sind die typi- rer Kinder nimmt. Damit wurde die partnerschaftliche (D)
schen Reflexe!) Betreuung massiv gestärkt.
Es ist wichtig, dass wir die Strukturen ändern. Noch In manchen Chefetagen hat sich auch die Einstellung
viel wichtiger ist aber, dass sich in den Köpfen etwas än- geändert, aber hauptsächlich deswegen, um den Fach-
dert. Solange in unseren Betrieben noch eine Anwesen- kräftebedarf zu sichern. Bis zur wirklichen Vereinbarkeit
heitskultur vorherrscht und man ab einer gewissen von Familie und Beruf liegt aber noch ein weiter Weg
Ebene schief angeschaut wird, wenn man um 17 Uhr das vor uns.
Büro verlässt, solange Elternzeit von Männern belächelt
Unser Ziel ist es, dass Paare sich wirklich partner-
wird, so lange wird sich nichts Entscheidendes ändern.
schaftlich um Erziehung oder Pflege kümmern. Unser
Hier lohnt sich ein Blick über die Grenze, um zu se- Ziel ist es, dass arbeitende Mütter und betreuende Väter
hen, was möglich ist. Versuchen Sie einmal, in Norwe- Normalität werden.
gen um 18 Uhr ein Meeting zu vereinbaren. Keine
Wer wissen will, wie die Lebenswirklichkeit aussieht,
Chance: Um 17 Uhr fällt dort der Hammer. Dann wird
der muss nur einmal mit den Menschen in den Betrieben
der PC heruntergefahren, und dann werden erst einmal
reden. Wie ist die Reaktion des direkten Vorgesetzten,
die Kinder von der Kita abgeholt. Es ist aber durchaus
wenn sie ihm erklären: „Das Projekt kann ich nicht über-
üblich, den Laptop um 22 Uhr wieder einzuschalten. Das
nehmen; ich gehe in Elternzeit“? Wer hat sich schon ein-
ist uns noch ziemlich fremd, aber ich denke, es ist ein
mal mit dem Chef darüber unterhalten, dass er flexiblere
gutes Beispiel. Familienfreundlicher als unser System ist
Arbeitszeiten braucht, weil er pflegebedürftige Angehö-
das allemal. Wir können uns dort ruhig etwas abschauen.
rige zu Hause hat? Haben Sie den Kollegen schon ein-
Familienfreundlichkeit muss vorgelebt werden. Vor mal erklärt, dass Sie dienstags immer vertreten werden
ein paar Tagen habe ich mit einem jungen Mann gespro- müssen, weil Sie das Kind vom Sport abholen müssen?
chen, dessen Chef ein halbes Jahr Elternzeit nimmt. Als Ich glaube, bei diesen Fragen erfährt man ganz schnell,
seine Freundin davon erfahren hat, wollte sie wissen, ob wie die Lebenswirklichkeit in den Betrieben aussieht,
auch er sich das vorstellen kann. Er hat erzählt, dass er eine Lebenswirklichkeit, unter der ganz besonders
zuerst geschluckt hat. Dann hat er aber erlebt, dass sein Frauen zu leiden haben. Sie werden in Teilzeitarbeit ge-
Chef die Elternzeit als bereichernd empfunden hat und drängt und verlieren dadurch jede Aufstiegsperspektive.
dass es kein Problem mit der weiteren Berufskarriere Viele finden nach der Erziehung der Kinder keinen fes-
gab. Dann ist ihm die Antwort nicht mehr schwergefal- ten Arbeitsplatz mehr und landen in prekärer Beschäfti-
len. gung. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass
7062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Stefan Schwartze
(A) Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als Beitrittsantrag der Republik Serbien zur Prü- (C)
Männer. fung an die Europäische Kommission weiter-
leiten
Ganz wichtig für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Aber eben- – Drucksache 17/3190 –
falls ganz wichtig ist es, die Zeit zu haben, sich um pfle- ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta
gebedürftige Angehörige zu kümmern. Zapf, Günter Gloser, Dietmar Nietan, weiterer
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgeordneter und der Fraktion der SPD
der LINKEN) Glaubhafte Unterstützung für Serbiens Bei-
trittsantrag zur Europäischen Union
Die Pflege von Angehörigen beansprucht die Menschen
oft viel mehr als die Kinderbetreuung. Auch für die – Drucksache 17/3175 –
Pflege gilt es bei diesem Thema Antworten zu finden. ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise
Das ist ein Bereich, der uns in den vorliegenden Anträ- Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von
gen noch nicht deutlich genug herausgestellt ist und über Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und
den wir in den Ausschussberatungen weiter diskutieren der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werden. Wir warten auf das angekündigte Eckpunktepa-
pier der Ministerin Schröder zur Pflegezeit. Auch hier ist Serbiens Beitrittsgesuch an die Europäische
es bisher bei der Ankündigung geblieben. Alles, was bis- Kommission weiterleiten – Gesamte Region im
her dazu aus dem Ministerium zu hören war, ist mehr als Blick behalten
enttäuschend. – Drucksache 17/3204 –
Wir brauchen für die Vereinbarkeit von Familie und Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, hierzu
Beruf flexiblere Arbeitszeiten. Wir brauchen eine ausrei- eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen
chende Infrastruktur, die den Eltern eine wirkliche Wahl- Widerspruch. Dann verfahren wir so.
freiheit gibt und die den Rechtsanspruch auf Betreuung
wirklich umsetzt. Die Partnermonate beim Elterngeld Ich bin sicher, dass insbesondere der Geschäftsführer
sind auszubauen, und der doppelte Anspruchsverbrauch der FDP-Fraktion seinem Kollegen Dr. Rainer Stinner
bei gleichzeitiger Elternteilzeit ist abzuschaffen. zuhören möchte, dem ich jetzt gerne das Wort gebe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bitte, Herr Stinner.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(B) GRÜNEN) (D)
Hier wird stattdessen das Elterngeld für ALG-II-Emp- Dr. Rainer Stinner (FDP):
fänger gestrichen. – Das sind nur einige Punkte. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Präsidentin, erlauben Sie mir zu Beginn dieser De-
Unser Ziel ist es, die alte Rollenverteilung zwischen batte, in der es um Serbien geht, den serbischen Bot-
Mann und Frau zu überwinden. schafter auf der Tribüne zu begrüßen. Herr Botschafter,
ganz herzlichen Dank! Es ist gut, dass Sie Interesse an
(Otto Fricke [FDP]: Die gibt es doch gar nicht dieser Debatte im Deutschen Bundestag zeigen.
mehr!)
(Beifall)
Wir brauchen echte Partnerschaftlichkeit sowie Zeit für
Kinder und Pflege. Wir scheitern, wenn Schwarz-Gelb Ohne jeden Zweifel ist Serbien ein besonders wichti-
das alte Rollenbild durch die Einführung des Betreu- ges Land auf dem westlichen Balkan. Es ist auf dem
ungsgeldes zementiert. Weg hin zu Europa. Deswegen haben wir über dieses
wichtige Land häufig auch kontrovers diskutiert. Wir
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wissen von den Schwierigkeiten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist völlig klar: Wir haben hier gemeinsam – das
zeigen auch die Anträge, die ähnlich sind; ich werde auf
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Unterschiede kurz eingehen – das Bestreben, dass Ser-
Ich schließe die Aussprache. bien ein demokratisches, rechtsstaatliches, friedliches
europäisches Land in einer friedlichen Europäischen
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Union wird und eine gute Nachbarschaft zu allen Nach-
den Drucksachen 17/3189 und 17/3203 an die in der Ta- barn pflegt. Das ist unser gemeinsames Ziel, auf dessen
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Erreichung wir gemeinsam mit Serbien hinarbeiten.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
Auf diesem beschwerlichen Weg nach Europa gab es
ist das so beschlossen.
– keine Frage – viele Hindernisse, aber es gibt auch Fort-
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zu- schritte. Ein Fortschritt ist ohne jeden Zweifel die ge-
satzpunkte 9 und 10 auf: meinsame UN-Resolution zum Thema Kosovo, die vor
einigen Wochen zwischen Serbien und der Europäischen
31 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Union hart erkämpft worden ist. Wir wissen, das ist für
CSU und der FDP Serbien ein großer Sprung gewesen, eine harte Entschei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7063
Dr. Rainer Stinner
(A) dung. Wir würdigen diese und nehmen sie als ein Zei- kommen, muss aber wissen, dass die Grenzen auf dem (C)
chen Serbiens auf dem Weg zu Europa, das wir aus- Balkan gezogen sind und unverändert bleiben.
drücklich begrüßen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir haben in der dritten Forderung in unserem Antrag
Wir können aber auch, liebe Kolleginnen und Kolle- deutliche Fortschritte bezüglich der Lösung offener Fra-
gen, an diesem Beispiel erstmals – ich sage bewusst gen eingefordert. Das ist durchaus noch milde. Andere
„erstmals“ – Handlungsfähigkeit der Europäischen fordern in ihren Anträgen, dass alle Probleme gelöst sein
Union in außerpolitischen Dingen konstatieren. Eine müssen. Aber wir wollen ja die Hürden auch nicht zu
übereinstimmende gemeinsame Aktion von Außen- hoch machen. Wir wollen jedoch deutlich sagen, dass
minister Westerwelle, Herrn Feith und Frau Ashton hat natürlich vor dem übernächsten Schritt, dem Beginn der
dazu geführt, dass Serbien diesen wichtigen Schritt ge- Beitrittsgespräche, einige Probleme gelöst werden müs-
gangen ist. Ich möchte dem Außenminister ganz, ganz sen. Das haben wir sehr, sehr deutlich gemacht.
herzlich für diese Initiative danken.
Damit – das betone ich – machen wir Serbien nicht
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zur Geisel des Kosovos. Wir fordern Fortschritte bei den
Bemühungen von Serbien, und wir werden genau be-
Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere gute trachten, wie sich Serbien und der Kosovo hier verhal-
Nachricht aus Serbien, die viele von uns nicht wahrneh- ten. Serbien ist nicht die Geisel des Kosovos, sondern
men: Serbien hat eine außerordentlich effiziente Admi- Serbien ist für seine eigenen Handlungen und Taten sel-
nistration und ist besser als viele andere Länder in der ber verantwortlich, und das werden wir sehr, sehr genau
Lage, den Beitrittsprozess schnell und effizient abzu- beobachten.
wickeln. Das ist nicht überall der Fall. Auch das nehmen
wir sehr, sehr gern zur Kenntnis. Lassen Sie mich in den verbleibenden Sekunden noch
auf die vorliegenden Anträge eingehen. Die Zielrichtung
Nachdem nun Serbien diesen Schritt gemacht hat, ist ist völlig eindeutig; wir sind alle einer Meinung. Im An-
es an uns, an den Europäern, auch einen weiteren Schritt trag der SPD habe ich einen Satz gefunden, den ich nicht
zu gehen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Die verstehen kann, Herr Gloser. Da schreiben Sie tatsäch-
Anträge der Kolleginnen und Kollegen der anderen lich:
Fraktionen haben denselben Sinn.
Die Verhandlungen über einen Beitritt sind noch in
Wir müssen dazu sehr deutlich sagen: Es handelt sich diesem Jahr aufzunehmen.
um ein schrittweises Vorgehen. Jetzt geht es um den ers-
(B) ten Schritt, nämlich die Weiterleitung an die Europäische Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Die SPD-Fraktion (D)
Kommission. Dann kommt der zweite Schritt, nämlich kann doch nicht ernsthaft der Meinung sein – die SPD
die Beimessung eines Kandidatenstatus für Serbien. Und hat Außenminister Steinmeier gestellt; die SPD-Fraktion
dann kommt der dritte Schritt, die Aufnahme von Bei- betreibt seit Jahren Außenpolitik –, dass die Beitrittsver-
trittsverhandlungen. Die beiden anderen Schritte liegen handlungen zwischen dem 9. Oktober und dem 31. De-
jetzt noch vor uns, zuerst muss der Europäische Rat den zember dieses Jahres aufgenommen werden sollten. Herr
ersten Schritt gehen. Gloser, da muss Ihnen irgendwo ein Fehler passiert sein.
Ich glaube nicht, dass Sie der Meinung sind, dass das
Bei diesem Prozess wird die Europäische Union ganz möglich und sinnvoll ist. Wir müssen diesen Antrag also
genau hinschauen. Die Europäische Union und wir alle, ablehnen.
meine Damen und Herren, werden genauer hinschauen
als bei früheren Beitrittsprozessen. Das mag nicht ge- (Beifall des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/
recht sein; aber wir müssen aus den Beitrittsprozessen CSU])
lernen. Wir möchten unter allen Umständen vermeiden,
dass Probleme wie die, die wir mit Zypern, zum Teil mit Frau Beck – ich schätze Sie außerordentlich; wir ar-
Rumänien und Bulgarien, aber auch in Bezug auf den beiten sehr eng zusammen –, im Antrag der Grünen kann
Grenzkonflikt zwischen Slowenien und Kroatien hatten, man ein häufiges Phänomen entdecken: Ganz egal, was
noch einmal auftreten. Sie machen, es muss der Name Bosnien-Herzegowina
auftauchen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wir möchten vermeiden, dass ungelöste Probleme in die sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP])
EU hineingetragen werden. Deshalb werden wir genauer
hinschauen. Jeder in Serbien, Herr Botschafter, muss das
verstehen, so schmerzhaft es eventuell auch sein mag. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Stinner, könnten Sie Ihre Sympathieer-
Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag bür- klärungen für eine einzelne Kollegin – sie finden leider
den wir Serbien keine neuen Bedingungen auf. Die Be- außerhalb Ihrer Redezeit statt – vielleicht einem vertie-
dingungen sind klar. Außenminister Westerwelle hat es fenden privaten Gespräch anvertrauen?
sehr deutlich gesagt: Die Grenzen des Balkans sind ge-
zogen. Damit ist ein Datum gesetzt, über das wir nicht (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
hinweggehen wollen und können. Wir wollen es auch DIE GRÜNEN]: Das musste mal gesagt wer-
nicht, wir wollen das als Datum sehen. Serbien ist will- den!)
7064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Dr. Rainer Stinner (FDP): reicht, dass Serbien gemeinsam mit den 27 EU-Mitglie- (C)
Ja, das mache ich ausführlich, Herr Präsident. dern eine konstruktive Resolution einbrachte und – das
ist wichtig – einen Dialog mit dem Kosovo zusagte. Es
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass wir aus ist gut, dass Deutschland in diesen Verhandlungen eine
Gründen der Nichtfokussierung auch diesen Antrag ab- positive Rolle gespielt und zum europäischen Erfolg we-
lehnen müssen. Ich fordere Sie auf und wünsche mir, sentlich beigetragen hat.
dass Sie dem sehr guten Antrag der Union und der FDP
heute zustimmen. Wir sind uns alle einig. Lassen Sie uns (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das gemeinsam zum Ausdruck bringen. Dann geht vom – Es ist immer schön, wenn Sie die Zwischentöne wahr-
heutigen Nachmittag eine gute Botschaft aus. nehmen.
Schönen Dank. Die beiden genannten Beispiele belegen, dass Europa
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gegenüber Serbien eine klare, einheitliche, aber auch un-
missverständliche Politik verfolgen muss und dann auch
mit einer rationalen und konstruktiven Politik Serbiens
Präsident Dr. Norbert Lammert:
rechnen kann. Aber ich will hier auch ansprechen: Es
Nun hat der Kollege Günter Gloser für die SPD-Frak- gibt Defizite in der Entwicklung Serbiens, die sich nega-
tion das Wort. tiv auf die weitere Annäherung an die Europäische
Union auswirken können.
Günter Gloser (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Erstens nenne ich in diesem Zusammenhang die For-
Kollegen! Serbiens Wunsch, auf dem Weg zu einer Voll- derung nach einer vollständigen Zusammenarbeit mit
mitgliedschaft in der Europäischen Union voranzukom- dem Internationalen Strafgerichtshof. Die serbische Re-
men, hat – dieses Signal der SPD-Fraktion, sehr geehrter gierung muss noch überzeugender nachweisen, dass sie
Herr Botschafter, können Sie aufnehmen – unsere volle tatsächlich alles tut, um Mladic zu finden und an den
Unterstützung. Die Europäische Union hat auf ihrem Strafgerichtshof auszuliefern.
Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki 2003 allen Staaten Zweitens. Das derzeitige Maß an Korruption in Ser-
des westlichen Balkans eine europäische Perspektive bien ist nicht europafähig. Die negativen Erfahrungen in
versprochen. Serbien hat seither in der Tat eine bemer- anderen Ländern, leider auch innerhalb der Europäi-
kenswerte Entwicklung gezeigt, die unsere Anerken- schen Union, zeigen deutlich, dass hier nur eine Null-
nung verdient. toleranzpolitik gelten kann. Korruption schadet der Wirt-
Die nationalistische Politik Milosevićs und deren schaft; sie trifft aber auch die Schwächsten in der
(B) Vollstrecker Karadzić und Mladić haben tiefe Spuren in Gesellschaft und ist für einen demokratischen Rechts- (D)
Serbien, aber auch in den Nachbarländern hinterlassen. staat einfach nicht akzeptabel.
Unsere Politik muss darauf abzielen, die vorhandenen Deshalb können wir auch nicht wegsehen, wenn aus-
Wunden zu heilen und alles zu tun, damit sich solche ländische Investoren sich, wie jüngst die Verlagsgruppe
Tragödien nicht wiederholen. der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, nach erhebli-
chen Investitionen mit Hinweis auf Korruption wieder
Was aber ist die richtige Politik gegenüber Serbien?
aus Serbien zurückziehen. Ich kann und will diesen Ein-
Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen.
zelfall hier nicht weiter bewerten. Aber die serbische Re-
Erstens. Richtige und erfolgreiche Politik der Euro- gierung muss wissen, dass solche Fälle gerade in einem
päischen Union war es, im Jahre 2008 das Stabilisie- EU-Kandidatenland besonders genau verfolgt werden.
rungs- und Assoziierungsabkommen gegen starke Be- Serbien muss für Investitionssicherheit und für Fairness
denken einiger, wenn auch weniger EU-Mitgliedstaaten auf seinem Markt sorgen.
zu unterzeichnen; denn damit wurde zwei Wochen vor
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
den serbischen Wahlen ein klares Zeichen für einen eu-
FDP)
ropäischen Kurs Serbiens gesetzt. Die Wählerinnen und
Wähler in Serbien haben das verstanden und ihrerseits Meine Damen und Herren, sprechen wir noch einmal
eine proeuropäische Regierung gewählt. Im Dezem- deutlich von den Interessen der Europäischen Union und
ber 2009 hat die Regierung in Belgrad einen Antrag auf Deutschlands in diesem Fall. Unser erstes Interesse ist
EU-Mitgliedschaft gestellt. Diese Entwicklung zeigt, Frieden und Sicherheit in unserer Nachbarschaft. Weil
dass die Entscheidung von 2008 kein gefährliches Ein- die Länder des westlichen Balkans inzwischen eine En-
knicken der Europäischen Union war, sondern das rich- klave mitten in der Europäischen Union bilden und weil
tige Zeichen zur richtigen Zeit. Das ist auch ein Beleg dort noch vor kurzem blutige Kriege stattfanden, gilt das
dafür, dass die Europäische Union als Ganzes hand- für Serbien und seine Nachbarn in ganz besonderem
lungsfähig sein kann, wenn es darauf ankommt. Maße.
Zweitens. Der Internationale Gerichtshof hat in einem Wenn es um die Nachbarschaft von Serbien und Ko-
Gutachten festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklä- sovo geht, sollte der Vorschlag des ehemaligen Bot-
rung des Kosovo nicht gegen internationales Recht ver- schafters Ischinger aufgegriffen werden. Ischinger erin-
stößt. Serbien wollte daraufhin zunächst im Rahmen der nerte an den Grundlagenvertrag zwischen den beiden
Vereinten Nationen Neuverhandlungen über den Status deutschen Staaten von 1972. Dieser hatte seinerzeit mit-
des Kosovo fordern. Die Europäische Union hat aber er- ten im Kalten Krieg eine pragmatische und wirksame
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7065
Günter Gloser
(A) Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutsch- heute sicherlich noch nicht konkret genannt werden (C)
land und der DDR möglich gemacht. Das sollte in naher kann.
Zukunft in ähnlicher Weise auch für Serbien und Kosovo
Vielen Dank.
möglich sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
Wir haben ein großes Interesse an einer positiven bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-
wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Entwick- NISSES 90/DIE GRÜNEN)
lung in Serbien und der Region. Dort liegt nicht nur ein
bedeutendes Potenzial für die deutsche und die europäi-
sche Wirtschaft. Besonders für das soziale Gefüge Euro- Präsident Dr. Norbert Lammert:
pas ist es von entscheidender Bedeutung, dass das ekla- Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die
tante Wohlstandsgefälle in Europa durch nachholende CDU/CSU-Fraktion.
Entwicklung gerade in Südosteuropa gemildert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Welche weiteren Mittel stehen uns zur Verfügung, um
positiv auf diese Entwicklung einzuwirken? Neben der Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Diplomatie und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
es vor allem die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaf- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Bundes-
ten, die wir aktiv fördern müssen. Leider sollen an man- tag hat schon eine beeindruckende Gabe, wesentliche
cher Stelle im Auswärtigen Amt Bereiche, die mit Kri- historische Ereignisse mit aktuellen Debatten zu ver-
senprävention, kulturellem Austausch und Förderung knüpfen.
von zivilgesellschaftlichen Kontakten zu tun haben, eher
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
reduziert als konzeptionell ausgebaut werden. Wir brau-
NEN]: Donnerwetter!)
chen mehr Jugendaustausch, mehr Studienstipendien
und mehr Deutschunterricht in den zukünftigen EU-Mit- Am 8. Oktober 1912 – Herr Sarrazin, Sie als angehender
gliedstaaten. Wir brauchen auch mehr Kulturprojekte, Historiker werden das wissen –
die dem Austausch zwischen Deutschland und Südosteu-
ropa Tiefe und den Beziehungen Belastbarkeit verleihen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Das wäre eine Aufgabe für das Auswärtige Amt: die hat das Osmanische Reich eine Kriegserklärung von
Entwicklung eines Konzeptes für einen neuen Stabili- Montenegro erhalten. Der erste Balkankrieg brach aus.
tätspakt der Zivilgesellschaften in Südosteuropa. Am 8. Oktober 1991 hat das kroatische Parlament seine
Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt. Heute, 19 Jahre
(Beifall bei der SPD)
(B) später, debattieren wir über die Weiterleitung des Bei- (D)
Viele Vereine, Stiftungen, aber auch private Initiati- trittsantrags Serbiens.
ven sind auf diesem Feld schon tätig. Unterstützen wir Wir als Regierungsfraktion sprechen uns eindeutig für
sie, ermutigen wir sie und binden wir sie ein in eine Stra- die EU-Perspektive des westlichen Balkans aus.
tegie für den gemeinsamen europäischen Weg Serbiens
und der südosteuropäischen Staaten! (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein Zi-
tat aus dem neuen Buch des britischen Historikers Timo- Daran arbeiten wir. Das ist ganz entscheidend für eine
thy Garton Ash. Ursprünglich stammen diese Sätze aus friedliche Zukunft.
der Schlussbetrachtung zu einem Aufsatz, den er im Jahr Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Mut bei der
2000 geschrieben hat; jetzt hat er sie in einer Nachbe- Erweiterung bewiesen. Jetzt ist eine gewisse Müdigkeit
merkung zu dem Buch aktualisiert. Ash sagt – ich zi- eingetreten. Der Mut wurde sicherlich auch in Teilen
tiere; damit kein Missverständnis entsteht –: enttäuscht, weil 2007 zwei Staaten die Beitrittskriterien
Ich stimme denen zu, die sagen, wir in Europa soll- nicht eingehalten haben; wir waren nicht kritisch genug.
ten uns das strategische Ziel setzen, alle Staaten des Jetzt steht an, dass wir den Prozess der Aufnahme
westlichen Balkans einschließlich Serbiens und Serbiens in die Europäische Union aufmerksam und kri-
Montenegros bis zum 28. Juni 2014 zu Mitgliedern tisch begleiten. Es geht noch nicht um die Aufnahme,
der Europäischen Union zu machen, dem hunderts- sondern es geht darum, dass die Europäische Kommis-
ten Jahrestag der Ermordung Erzherzog Franz sion darüber berät und den Ratschlag abgibt. In den
Ferdinands in Sarajevo, die das Fass zum Überlau- knappen und wohlformulierten Punkten unseres An-
fen brachte und den Ersten Weltkrieg auslöste. Es trags, der sich weitestgehend mit den Anträgen der ande-
wird sich zeigen, ob das heutige Europa zu einer ren Fraktionen deckt, machen wir deutlich: Vor einem
solchen historischen Vorstellungskraft und strategi- Beitritt, auch schon vor dem Avis, müssen bestimmte
schen Risikobereitschaft fähig ist. Dinge geklärt werden.
Dieses strategische Ziel – wenn auch vielleicht nicht Wir als Europäer brauchen eine ganz klare Sicht auch
mit dem im Zitat genannten Datum – hat sich die Euro- nach außen. Wir haben uns jetzt lange mit der Wirt-
päische Union und haben sich viele Völker auf dem schaftskrise und mit unserer Binnenkonstitution beschäf-
westlichen Balkan zu eigen gemacht. Wir sollten dieses tigt. Wir sprechen heute nicht ohne Grund über die Auf-
strategische Ziel unterstützen, auch wenn das Zieldatum nahme Serbiens. Das ist ein Recht, das uns mit dem
7066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Roderich Kiesewetter
(A) Lissabon-Vertrag eingeräumt worden ist. Da können wir (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem (C)
als Parlament etwas bewegen. Auch das ist ein Fort- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
schritt in der parlamentarischen Demokratie, den wir be-
Der entscheidende Punkt ist, dass wir auch Anreize
grüßen müssen.
schaffen, die das begleiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
Es gibt Fortschritte. Serbien hat in beeindruckender DIE GRÜNEN]: Selbst wenn Frankreich un-
Weise deutlich gemacht, dass es bereit ist, mit dem Ko- verantwortlicherweise mauert!)
sovo über den Bereich nördlich des Ibar zu sprechen.
Deutschland ist ein souveräner Staat und verfolgt eine
Ich will ein paar weitere Meilensteine nennen. Warum interessengeleitete werteorientierte Außenpolitik. Ich
sollte Serbien in die Europäische Union? Es ist klar: Es glaube, dass wir hier Lösungen aufzeigen können.
hat europäische Wurzeln. Es gehört zu Europa. Es sind
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
auch nicht nur die wirtschaftliche Kraft und die Verwal-
mich abschließend noch einen Punkt ansprechen. Wenn
tungseffizienz, die mitgebracht werden – das wurde
wir gemeinsam im Parlament für die Weiterleitung dieses
schon angesprochen –; ein demokratisch verfasstes Ser-
Beitrittsantrags stimmen, ist damit noch lange nicht ge-
bien wird eine Bereicherung für Europa sein und wird im
sagt, dass Serbien bald Mitglied der Europäischen Union
Hinblick auf das, was es historisch verursacht hat, aus-
wird. Wir brauchen eine Gesamtperspektive. Diese muss
gleichend wirken.
aus einem Geben und Nehmen bestehen. Das bedeutet,
Im Dezember 2009 wurde die Bahnlinie von Belgrad mit kritischem Blick Serbiens Verhältnis zum Kosovo zu
nach Mostar eröffnet; Kooperation von Serbien. Im verfolgen. Das bedeutet aber auch, Segregations- oder gar
März hat das Parlament von Serbien die Schuld beim Separationsbemühungen der Republika Srpska zu be-
Massaker von Srebrenica anerkannt. Am 11. Juli nahm kämpfen. Das bedeutet auch Zusammenarbeit mit dem
Tadic an dem Gedenken in Srebrenica teil, was eine sehr Internationalen Gerichtshof. Natürlich hat Serbien bereits
große Geste war. Am 9. September wurde glasklar, dass 42 der 44 angeklagten Kriegsverbrecher ausgeliefert,
Serbien mit den Staaten der Europäischen Union die An- aber bezüglich der kritischen Fälle Mladić und Hadzić be-
erkennung des Kosovos, zumindest des Gutachtens, teilt. stehen noch Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, wie das
Das sind entscheidende Fortschritte, die wir fördern soll- Schicksal dieser beiden Herren ist, aber wir wissen, dass
ten, indem wir sagen: Über den Antrag muss in positiver sie das Schicksal von Millionen beeinflusst haben. Des-
Weise entschieden werden. – Wenn uns das gelingt, ist halb wollen wir hier Klarheit. Darauf haben wir auch ei-
das auch ein Zeichen unseres Parlaments. nen Anspruch. Das wird der Schlüssel für den Beitritt
(B) sein. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Serbien ist
auf dem halben Weg zwischen Vergangenheit und Zu-
Natürlich sind Hinderungsgründe vorhanden. Es gibt kunft. Mit der Annahme des vorliegenden Antrags haben
Stolpersteine. Aber wir sind auch dazu da, Serbien zu wir als Parlament es in der Hand, den weiteren Prozess
helfen und zu begleiten. Die Stolpersteine liegen in der aufmerksam und kritisch zu begleiten, mit Sticks and
Bekämpfung der organisierten Kriminalität, in der Ver- Carrots bzw. Zuckerbrot und Peitsche. Aber auch Ser-
waltungsreform, sicherlich auch im Selbstverständnis bien selbst hat es in der Hand. Ich glaube, wir haben
des Parlaments Serbiens; in Klammern: Rücktrittserklä- deutlich gemacht, in welche Richtung der Weg gehen
rungen. Da gibt es noch viel zu tun. Wir müssen unserer- muss.
seits aber auch darauf achten, dass die Mittel, die die EU
für die Aufnahme bereitstellt, besser abfließen. Es gibt Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
zurzeit ein Aufnahmeproblem. Dem könnten wir mit (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem
Twinning-Projekten sicherlich begegnen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Reise unseres Außenministers war Balsam und
ein Heilmittel für die Perzeption im Balkan. Unsere Präsident Dr. Norbert Lammert:
deutsche Außenpolitik hat wieder aktiv Bewegung in die Das Wort hat nun der Kollege Thomas Nord für die
Balkanpolitik gebracht. Dafür müssen wir dem Außen- Fraktion Die Linke.
minister dankbar sein. Ich habe bei meinen Besuchen im
Frühjahr und in der letzten Woche in Albanien erlebt, (Beifall bei der LINKEN)
welche Auswirkungen dieser Besuch gehabt hat.
Thomas Nord (DIE LINKE):
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Visa-
erleichterungen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ ehrter Herr Botschafter! Ich teile – das wird vielleicht
DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) den einen oder anderen überraschen – vieles von dem,
was Herr Kiesewetter hier über die historische Situation
für Bosnien und Albanien noch in diesem Jahr in Kraft
gesagt hat.
treten. Die Bedingungen sind eingehalten. Damit schaf-
fen wir eine Perspektive für die Region und auch An- (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Das kann man ja
reize. nicht mehr umdeuten! Das ist halt so!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7067
Thomas Nord
(A) – Gerade in Geschichtsfragen kann man, wie Sie wissen, Union, darunter solche, die wir scharf kritisieren wie die (C)
sehr unterschiedlicher Meinung sein. In dieser sind wir Umsetzung der Bedingungen des IWF bei der Bewälti-
offensichtlich gemeinsam einer Meinung. gung der Krise. Damit dürfte die Bundesregierung aber
eher weniger Probleme haben.
(Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) Für uns gibt es aber auch positive Belege – dies
wurde beispielsweise schon von Herrn Kiesewetter ge-
Die Einleitung von Beitrittsverhandlungen zwischen
sagt –, zum Beispiel den Beschluss des serbischen Parla-
Serbien und der EU bietet auch aus unserer Sicht eine
ments zum Massaker in Srebrenica oder die aktiven Be-
historische Chance, einen sehr alten Konflikt, der viel
mühungen, gemeinsam mit Kroatien Kriegsfolgen zu
Leid verursacht hat, dauerhaft zu beenden. Daher ist die
überwinden. Es müsste im Interesse der Bundesregie-
Linke für die Weiterleitung des Beitrittsantrags Serbiens
rung sein, der serbischen Seite die Durchsetzung dieser
an die Europäische Kommission. Wir wollen, dass sich
politischen Linie zu erleichtern.
die Bundesregierung dafür im Rat und bei den übrigen
Mitgliedsländern einsetzt. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mit der Verknüpfung der Beitrittsverhandlungen an
Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ die Forderung nach Anerkennung eines unabhängigen
DIE GRÜNEN]) Staates Kosovo durch Serbien wird aber das Gegenteil
Wie die SPD wollen wir, dass bei den Beitrittsver- erreicht. Die Bundesregierung steht mit dieser Politik in
handlungen mit Serbien ausschließlich die Kopenhage- einer traurigen Kontinuität. Warren Christopher sagte
ner Kriterien gelten und keine weiteren Bedingungen ge- mit Blick auf die Anerkennung von Slowenien und
stellt werden. Die Anträge der Koalitionsfraktionen und Kroatien1991:
der Grünen aber lassen erkennen, dass dies für Serbien Beim gesamten Anerkennungsprozess … wurden
nicht so gelten soll. Auch der Antrag der SPD bleibt hier
schwere Fehler gemacht … die Deutschen tragen
leider unklar.
eine besondere Verantwortung.
Es entspricht nicht unserer Auffassung, dass die Auf-
nahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien mit der Diesen Fehlern folgten Bürgerkriege und der völker-
Anerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat ver- rechtswidrige Krieg gegen Rest-Jugoslawien durch die
knüpft werden darf. Wir halten trotz des Gutachtens des NATO, den unsere Partei abgelehnt hat.
Internationalen Gerichtshofes die Unabhängigkeitserklä- (Beifall bei der LINKEN)
rung des Kosovos für nicht mit dem Völkerrecht verein-
(B) bar, Die entstandenen politischen Verhältnisse zum Bei- (D)
spiel in Bosnien-Herzegowina sind nach wie vor insta-
(Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] bil. Die jetzigen Wahlen haben nichts daran geändert.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die OSZE spricht nach 15 Jahren militärischer und zivi-
weil sie letztlich dazu beiträgt, einseitige Grenzverände- ler Präsenz in Bosnien-Herzegowina von einer Stabili-
rungen zu legitimieren. sierung des Wahlprozesses. Das ist nach 15 Jahren wirk-
lich ein bemerkenswerter Fortschritt. Richtig wäre, die
(Beifall bei der LINKEN) Kräfte zu stärken, die für Aussöhnung und Neuanfang
Mit dem zentralen Satz des Gutachtens, das Völker- sowie eine proeuropäische Politik stehen.
recht enthalte kein Verbot von Unabhängigkeitserklärun- Der Deutsche Bundestag sollte deutlich machen – dies
gen und das Kosovo habe deshalb nicht gegen allgemei- tut er heute hier –, dass Serbien heute nicht mehr das Ser-
nes internationales Recht verstoßen, wurde aus unserer bien von Slobodan Milosević ist. Es setzt sich für friedli-
Sicht die Büchse der Pandora geöffnet. Wer solche Aus- che Konfliktlösungen ein und sucht den Dialog und die
sagen begrüßt, darf sich über die Sprüche von Milorad Verständigung. Diese Regierung braucht Unterstützung
Dodik und anderen Nationalisten nicht wundern. Der in ihrer Außenpolitik, keine Ansagen oder Diktate.
Außenminister wird noch oft und nicht nur auf dem Bal-
kan erklären müssen, warum für diese nicht gilt, was für Soll der Beitrittsprozess Erfolg haben, muss er von in-
den Kosovo rechtens sein soll. neren Überzeugungen und der Bereitschaft, tradierte
Sichtweisen und Emotionen zu überwinden, geleitet sein.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Weil es einen Völkermord
gab! – Gegenruf von der LINKEN: Was gab es Präsident Dr. Norbert Lammert:
denn in der Türkei?) Das ist ein sehr guter Schluss.
Wir unterstützen die Forderung – das schließt gut an –,
dass Serbien uneingeschränkt mit dem Internationalen Thomas Nord (DIE LINKE):
Strafgerichtshof zusammenarbeiten soll. Gleichwohl leh- Mir scheint, die serbische Regierung hat das schon
nen wir die Verknüpfung dieser Forderung mit der Ent- begriffen. Hier bin ich mir nicht immer ganz sicher.
scheidung über die Weiterleitung des Beitrittsantrags ab.
Danke schön.
Die jetzige serbische Regierung unternimmt große
Anstrengungen für eine Annäherung an die Europäische (Beifall bei der LINKEN)
7068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: derungen für die Verhandlungen über die Zukunft des (C)
Nun hat die Kollegin Beck für die Fraktion Kosovo formuliert. Dort wurde nicht nur die Abtretung
Bündnis 90/Die Grünen das Wort. des Gebiets von Nord-Mitrovica gefordert; wir kennen
diese Forderung, sie überrascht uns nicht. Dort wurde
auch die Abtretung des Gebiets der Stadt Pec gefordert.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Pec ist mit etwa 170 000 Einwohnern die zweitgrößte
NEN):
Stadt des Kosovo. Sie müssen auch solche Tatsachen zur
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kenntnis nehmen, um ein realistisches Bild davon zu be-
Auch wir Grüne begrüßen, dass Serbien die Tür in die kommen, was wir auf den nächsten Etappen von Serbien
Europäische Union noch ein Stückchen weiter aufge- zu erwarten haben. Der Weg wird noch sehr lang sein.
macht worden ist. Wir erkennen die Schritte Serbiens an:
die Srebrenica-Resolution im serbischen Parlament, die Ganz kurz ein Wort zu den Einlassungen des verehr-
wirklich mit einem Risiko behaftet war, den Besuch von ten Kollegen Stinner zu Bosnien. Ja, ich erwähne Bos-
Präsident Tadic in Srebrenica in diesem Sommer – auch nien, weil wir den Blick auf die gesamte Region des
ich bin dort gewesen – und das Einlenken bei der UN- Westbalkans richten müssen. Noch einmal: Bei Serbien
Resolution zum Kosovo. Zu diesem Erfolg hat der deut- tendieren wir dazu, die Türen aufzumachen und Kondi-
sche Außenminister beigetragen. Ich hoffe, dass er dran- tionen, die einmal aufgestellt worden waren, beiseitezu-
bleiben wird; denn es ist vollkommen klar, dass die schieben, weil wir Serbien auf dem Weg in die EU unter-
Steine nur zu einem kleinen Teil aus dem Weg geräumt stützen wollen. Bei Bosnien gibt es diese Sichtweise
worden sind. Es werden noch viele Steine auftauchen. nicht, obwohl wir die Verantwortung für die Misere tra-
Insofern sollte sich das Außenministerium eher auf eine gen, in der dieses Land aufgrund des Entitätenvotums
Art Pendeldiplomatie einstellen statt auf einen einmali- steckt, das dem serbischen Präsidenten Dodik die Mög-
gen Besuch. lichkeit gibt, Bosnien in unverantwortlicher Weise zu
blockieren. Das müssen wir, wenn wir noch einen Fun-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken historisches Gedächtnis haben, bei unserer Politik
Die Differenz, die wir haben, ist, dass es in der Au- berücksichtigen. Deswegen erwähne ich hier Bosnien
ßenpolitik eine Unsitte gibt, nämlich unangenehme immer wieder.
Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, wenn politi-
sche Entscheidungen getroffen worden sind. Noch ein- Präsident Dr. Norbert Lammert:
mal: Wir halten es politisch für richtig, Serbien die Tür Frau Kollegin.
in die Europäische Union zu öffnen. Aber wir sollten
nicht darüber hinweggehen, dass sich Serge Brammertz Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) inzwischen wieder deutlich kritischer über eine weniger (D)
NEN):
gute Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung äu- Ein Satz noch. – Wenn jetzt Frankreich aus innenpoli-
ßert, um die beiden letzten großen Kriegsverbrecher, tischen Gründen die Visumliberalisierungen für Bosnien
nämlich Mladić und Hadzić, zu fassen. Man muss sagen, und Albanien blockiert, obwohl die EU-Kommission
dass ein Staat, der in die Europäische Union will, doch festgestellt hat, dass alle Forderungen erfüllt worden
nicht über Jahre hinweg behaupten kann – Serbien hat sind, ist das ein politischer Skandal, gegen den sich
7,5 Millionen Einwohner! –, dass er nicht in der Lage ist, Deutschland mit aller Deutlichkeit wenden muss.
diese beiden Kriegsverbrecher zu finden. Das stellt die
Reife des Justizwesens und der Polizei dieses Landes in- Schönen Dank.
frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass der serbi- bei der CDU/CSU und der FDP)
sche Arbeitsminister Rasim Ljajić vom Vorsitz des Na-
tionalkomitees für Zusammenarbeit mit Den Haag zu- Präsident Dr. Norbert Lammert:
rückgetreten ist, weil er selbst nicht mehr von der Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Ernsthaftigkeit des Bemühens der serbischen Regierung Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.
überzeugt war, die Kriegsverbrecher Mladić und Hadzić (Beifall bei der CDU/CSU)
zu finden.
All das sollten wir durchaus ansprechen, auch wenn Florian Hahn (CDU/CSU):
wir die Tür aufmachen wollen. Das schadet gar nicht. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wie gesagt: Es ist nicht besonders hilfreich, das unter Serbien ist ein fester Bestandteil der europäischen Kul-
den Teppich zu kehren. tur- und Staatengemeinschaft. Die Entwicklungen in
Serbien haben dadurch nicht nur unmittelbare Auswir-
Jetzt zum Kosovo. Man kann sich nicht darauf ausru-
kungen auf die Länder in Südosteuropa, sondern auch
hen, dass die Regierung in Belgrad Minister Westerwelle
direkte Rückwirkungen auf die Länder der Europäischen
zugesagt hat: „Wir arbeiten an einer Lösung des Pro-
Union, damit auch auf Deutschland. Daher ist es richtig
blems mit.“ Am 3. Oktober, also kurze Zeit nach dem
und wichtig, dass sich Deutschland intensiv um seine
Besuch von Westerwelle, ist der serbische Patriarch
Beziehungen zu Serbien kümmert.
Irinej als Erzbischof von Pec eingeführt worden. Die ge-
samte serbische Regierung war bei diesem Festakt anwe- Es ist gleichermaßen bedeutsam, dass Deutschland
send. Was hat sie dort formuliert? Sie hat dort ihre For- seinen Einfluss nutzt, um vielfache positive Entwicklun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7069
Florian Hahn
(A) gen in Serbien politisch wie wirtschaftlich zu unterstüt- Die gezeigte Bewegung der serbischen Regierung in der (C)
zen. Dies gilt insbesondere für den Freistaat Bayern, der für sie extrem heiklen Kosovo-Frage sollte honoriert
aufgrund seiner geografischen Lage und seines politi- werden.
schen und wirtschaftlichen Gewichts ein besonderes
Interesse an den Entwicklungen in Südosteuropa, Mit unserer Weiterleitungsempfehlung rückt Serbien
insbesondere in Serbien, hat. So wurde anlässlich des dem Beitritt ein Stück näher. Daher meine ich, dass wir
40-jährigen Bestehens der Ständigen Kommission Bay- ehrlicherweise eine weitere, in der Debatte schon ge-
ern-Serbien erst am vergangenen Montag zwischen dem nannte, sehr wichtige politische Frage jetzt und immer
Ministerpräsidenten Horst Seehofer und dem serbischen wieder anschneiden sollten, nämlich die der uneinge-
Präsidenten Boris Tadic eine noch intensivere Zusam- schränkten Kooperation Serbiens mit dem Internationa-
menarbeit vereinbart. len Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Ich
habe mich am Anfang zu Kroatien geäußert, weil wir im
Mit unserer Aufforderung an die Bundesregierung, in Hinterkopf behalten sollten, dass wir bzw. die EU im
der nächsten Sitzung des Rates für eine Weiterleitung Falle Kroatiens die Frage der Auslieferung von Ange-
des Beitrittsgesuchs Serbiens an die Europäische Kom- klagten an den Internationalen Strafgerichtshof zu einem
mission zu stimmen, bleiben wir unseren Aussagen von bestimmten Zeitpunkt des Beitrittsprozesses zur Nagel-
Thessaloniki treu, dass grundsätzlich jedes Land der Re- probe gemacht haben. Wir müssen uns bewusst sein,
gion des westlichen Balkans die Perspektive eines Bei- dass in dem teilweise politisch noch vergifteten Klima in
tritts zur Europäischen Union hat. der Region genau beobachtet wird, ob wir gleiche Maß-
stäbe an die Länder anlegen. Deshalb halte ich es für
Kroatien hat die Chance ergriffen und sich dem richtig und wichtig, auch Serbien unsere Prioritäten von
NATO- und dem EU-Beitrittsprozess unterzogen, im Anfang an klar anzusagen. Die uneingeschränkte Zu-
Hinblick auf die NATO bereits erfolgreich. Ich sage sammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafge-
deshalb „unterzogen“, weil wir aus den Erweiterungs- richtshof mit dem Ziel der Auslieferung der wegen
erfahrungen, insbesondere aus den Fällen Rumänien und Kriegsverbrechen angeklagten Personen Mladic und
Bulgarien, gelernt haben. Wir haben den Erweiterungs- Hadzic gehört für uns zu diesen Prioritäten.
prozess durch die Einführung von Benchmarks an-
spruchsvoller gestaltet – manche sagen auch: verschärft –, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
weil wir uns eben nicht mehr nur mit Erfolgen auf dem neten der FDP)
Papier bzw. mündlichen Zusagen zufriedengeben woll-
ten, sondern nur mit konkret verwirklichten, nachprüfba- In diesem Sinne bitte ich Sie um die Zustimmung und
ren Fortschritten. Unsere klare Aussage in diesem Zu- wünsche dem serbischen Volk auf seinem Weg in die
europäische Staatengemeinschaft Glück und Gottes Se-
(B) sammenhang war und ist: Die Beitrittskriterien müssen gen. (D)
unsererseits klar definiert und von Beitrittsländern strikt
erfüllt werden. Es gibt keine politischen Rabatte, aber Herzlichen Dank.
auch keine politisch motivierten Sanktionen. So begrüße
ich ausdrücklich die Resolution der UNO-Vollversamm- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lung vom 10. September dieses Jahres, in der zu einem
Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo aufgerufen Präsident Dr. Norbert Lammert:
wird.
Ich schließe die Aussprache.
Die von Serbien selbst eingebrachte Resolution befür-
wortet Verhandlungen – nicht über den staatsrechtlichen Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Status des Kosovo, der für Deutschland und für die aller- Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache
meisten Staaten inzwischen feststeht – über praktische 17/3190 mit dem Titel „Beitrittsantrag der Republik Ser-
Fragen des Zusammenlebens. Wir alle können nachvoll- bien zur Prüfung an Europäische Kommission weiterlei-
ziehen, dass diese Resolution in Serbien selbst auch auf ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
Widerspruch stößt. Hier gilt es, Überzeugungsarbeit zu gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den
leisten. Hier gilt es, den Menschen in Serbien deutlich zu Stimmen der Mehrheit der Koalition angenommen.
machen, dass nur ein friedliches Miteinander das Land Zusatzpunkt 9. Hier geht es um die Abstimmung über
als einen gleichberechtigten Partner in Europa sichtbar den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3175
und verankert sein lässt. mit dem Titel „Glaubhafte Unterstützung für Serbiens
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Beitrittsantrag zur Europäischen Union“. Wer möchte
neten der FDP) diesem Antrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist mit Mehrheit abge-
Die Resolution ist ein klares Signal, dass Serbien auf lehnt.
Kooperation setzt und auf dem Weg in die Integration in
die EU ist. Ich möchte Minister Guido Westerwelle aus- Wir kommen zum Zusatzpunkt 10. Hier geht es um
drücklich danken. Seine Gespräche haben Serbien von den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
den Vorteilen eines proeuropäischen Kurses überzeugen Drucksache 17/3204 mit dem Titel „Serbiens Beitrittsge-
können. such an die Europäische Kommission weiterleiten – Ge-
samte Region im Blick behalten“. Wer stimmt für diesen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
der FDP) Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
7070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b die sich in der Nähe aufhielten, nicht ein – mal wieder (C)
sowie den Zusatzpunkt 11 auf: nicht.
32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Margot Wallström, die UNO-Sonderbeauftragte zum
Müller (Köln), Katja Keul, Ute Koczy, weiterer Thema „Sexuelle Gewalt in Konflikten“ – dieses Amt
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ gibt es inzwischen immerhin –, erklärte zwar, dass die
DIE GRÜNEN UN die kollektive Verantwortung dafür hätten, dass die
10 Jahre UN-Resolution 1325 – Frauen, Frie- Massenvergewaltigungen nicht rechtzeitig gestoppt wur-
den, Sicherheit – Nationaler Aktionsplan für den, und die UNO hat dieses Mal Versäumnisse ihrer
eine gezielte Umsetzung Soldaten eingeräumt; dennoch zeigt dieses Beispiel, dass
auf internationaler Ebene immer noch viel zu wenig pas-
– Drucksache 17/2484 – siert, obwohl es die UN-Resolution 1325 gibt und die
Überweisungsvorschlag: Folgeresolution, die Resolution 1820, klipp und klar
Auswärtiger Ausschuss (f) zum Schutz der Frauen und Mädchen vor sexueller Ge-
Verteidigungsausschuss walt auffordert. Es gibt keinen Aufschrei der internatio-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
nalen Gemeinschaft oder der Öffentlichkeit. Wenn wir
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und so etwas lesen, steht das in der Regel auf Seite drei oder
Entwicklung vier. Ich meine, wir dürfen nicht länger wegschauen,
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union wenn solche schrecklichen Verbrechen passieren. Dieser
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zustand der Straflosigkeit im Kongo, in Darfur und an-
derswo ist unerträglich und muss beendet werden. Wir
10 Jahre UN-Resolution 1325 „Frauen, Frie- müssen alle Anstrengungen unternehmen, um ihn zu be-
den und Sicherheit“ enden.
– Drucksache 17/3176 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
Überweisungsvorschlag: der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss Wir müssen dafür sorgen, dass die Verantwortlichen,
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Beispiel im Fall Kongo, von der kongolesischen
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
oder der internationalen Justiz zur Rechenschaft gezogen
Entwicklung werden. Genau das will man mit der Resolution 1325 er-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union reichen. Deshalb ist es so entscheidend, dass diese Reso-
lution und die Folgeresolutionen endlich zentraler Be-
(B) ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia standteil der internationalen Politik werden. Davon kann (D)
Möhring, Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer
auch zehn Jahre nach ihrer Verabschiedung leider keine
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rede sein.
Verpflichtung zur UN-Resolution 1325
„Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhalten – Sicherlich, es hat einige Verbesserungen gegeben.
Auf Gewalt in internationalen Konflikten ver- Auf internationaler Ebene hat die Geschlechterperspek-
zichten tive in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei-
spiele dafür sind die Einsetzung der UN-Sonderbeauf-
– Drucksache 17/3205 – tragten – das erwähnte ich eben – und die Einrichtung
Überweisungsvorschlag: von UNWomen, die neue Einheit für Geschlechterge-
Auswärtiger Ausschuss (f) rechtigkeit. Auch in der Europäischen Union hat es Wei-
Verteidigungsausschuss chenstellungen für eine stärker geschlechtersensible
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Friedens- und Sicherheitspolitik gegeben.
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir
mit der Umsetzung der Resolution 1325 auf globaler und
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nationaler Ebene noch ganz am Anfang stehen. Noch
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre einmal: Solche UN-Resolutionen leben davon, dass wir,
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. die einzelnen Mitgliedstaaten, sie umsetzen. Dafür tra-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst gen wir die Verantwortung. Wir müssen diese Resolutio-
die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/ nen mit Leben füllen und dafür sorgen, dass sie nicht be-
Die Grünen. schriebenes Papier bleiben.
Diese Resolution ist aus meiner Sicht ein Meilenstein
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens-
NEN): und Sicherheitspolitik; denn zum ersten Mal in der Ge-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schichte der UNO gibt es eine völkerrechtlich verbindli-
Ende Juli wurden in der kongolesischen Provinz Nord- che Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Friedenspro-
Kivu innerhalb von vier Tagen 242 Frauen und Kinder zessen. Kofi Annan hat die Mitgliedstaaten bereits 2005
von FDLR und Mai-Mai-Milizen vergewaltigt. Im Laufe aufgefordert, nationale Aktionspläne zu ihrer Umsetzung
des August kam es sogar zu weiteren 260 Vergewalti- vorzulegen. Schweden ist 2006 vorangeschritten. Sogar
gungen. Dennoch schritten die UNO-Blauhelmsoldaten, afrikanische Länder wie Liberia und die Elfenbeinküste
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7071
Kerstin Müller (Köln)
(A) haben eigene nationale Aktionspläne. Insgesamt gilt das ländische Gäste zu uns kommen, aber auch im Ausland (C)
aber nur für 19 Staaten. Das ist eine blamable Zahl, wenn darauf achten müssen, dass eine zentrale Forderung un-
man bedenkt, dass die UNO 192 Mitgliedstaaten hat. serer wertegebundenen deutschen Außenpolitik die Ver-
wirklichung der Frauenrechte sein muss; dafür müssen
Ich finde es sehr bedauerlich, dass auch die Bundes-
wir eintreten.
regierung bisher keinen nationalen Aktionsplan vorge-
legt hat. Sie haben die Krisenregionen, um die es geht, ange-
sprochen. Ich glaube, dass gerade in den vergangenen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagen deutlich geworden ist, wie dringend diese Frage
und bei der LINKEN) ist. Ich erinnere an die Berichterstattung der Internatio-
Sie alle wissen, dass ich schon seit einigen Jahren nal Herald Tribune von vor ein paar Tagen über Massen-
dafür streite, dass wir einen solchen nationalen Aktions- vergewaltigungen in Dörfern im Ost-Kongo, wo auch
plan bekommen. Ich glaube, dass nicht nur die skandina- vor einer 80-jährigen Frau, Anna Mburano, nicht haltge-
vischen Länder, sondern dass auch Länder wie Deutsch- macht worden ist; sie ist nicht verschont worden. Dabei
land in einer solchen Frage vorangehen müssen. Die handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Dies ist einer
Bundeskanzlerin streitet für einen deutschen Sitz im Si- der spektakulären Fälle, die die internationale Presse
cherheitsrat, und auf jeder internationalen Veranstaltung schlaglichtartig immer mal wieder beschäftigen, aber
wird die Fahne des Multilateralismus hochgehalten. Da- nicht dazu führen, dass es eine kontinuierliche Bericht-
her kann es nicht sein, dass wir uns bei so einer zentralen erstattung, gar ein kontinuierliches Interesse gibt.
Resolution immer noch weigern, einen nationalen Ak- Vor diesem Hintergrund ist die Resolution wichtig. Es
tionsplan vorzulegen. ist auch wichtig, dass wir gerade dort, wo es darauf an-
kommt, für dieses wichtige Thema, für die Verwirkli-
Präsident Dr. Norbert Lammert: chung der Rechte der Frauen, einstehen. Mein Kollege
Frau Kollegin. Hartwig Fischer, der, ich glaube, insgesamt neunmal im
Kongo war, ist einer der Garanten dafür, dass die Union
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dies auch in Afrika tut und nicht unter den Tisch fallen
NEN): lässt. Lieber Hartwig Fischer, herzlichen Dank für das
Wir brauchen einen solchen nationalen Aktionsplan, große Engagement und deine Arbeit im Kongo. Diese
damit diese Resolution mit Leben gefüllt wird. wollen wir in der AG „Außen“ der Union, aber auch im
ganzen Bundestag weiter fortsetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) Noch ein letzter Satz. Ein solcher nationaler Aktions- (D)
plan bedeutet auch nicht mehr Bürokratie. Wir brauchen Es gibt auch positive Beispiele, dass wir die Rechte
messbar formulierte Ziele, Fortschrittsberichte, Zeitvor- von Frauen durchsetzen können. Diese sollten wir am
gaben. Die UNO und die EU haben diesbezüglich Indi- heutigen Tage nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich
katoren beschlossen. Ich freue mich, dass die SPD in- möchte – auch vor dem Hintergrund der Ereignisse am
zwischen für einen nationalen Aktionsplan ist. Ich würde gestrigen Tag – an dieser Stelle unseren Einsatz in Af-
mir sehr wünschen – die Resolution wird jetzt zehn Jahre ghanistan hervorheben. Deutsche Soldatinnen und Sol-
alt; es wird viele Veranstaltungen dazu geben –, dass daten treten mit ihrem Leben dafür ein, dass die Rechte
auch die Koalitionsfraktionen sich dazu durchringen und der Frauen in Afghanistan verwirklicht und durchgesetzt
wir in Deutschland einen nationalen Aktionsplan be- werden. Deshalb haben sie nach den schweren Ereignis-
kommen und so unseren Teil dazu beitragen, diese Reso- sen von gestern unseren vollen Respekt und unsere volle
lution mit Leben zu füllen. Anerkennung verdient.

Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜND-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NIS 90/DIE GRÜNEN])
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nahezu jede internationale Organisation hat auf die
Missstände in der Zeit der Taliban-Herrschaft in Afgha-
Präsident Dr. Norbert Lammert: nistan hingewiesen. Als die Taliban 1996 in Kabul ein-
Nächster Redner ist der Kollege Mißfelder für die marschiert sind, haben sie verboten, dass Mädchen zur
CDU/CSU-Fraktion. Schule gehen, dass junge Frauen an die Universität ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen. Damals, im Jahre 1996 und in den folgenden Jah-
ren, gab es 4 000 Studenten in ganz Afghanistan. Zu die-
ser Zeit hatte keine einzige Frau Zugang zu universitärer
Philipp Mißfelder (CDU/CSU):
Bildung. Daher ist es beachtlich, dass von den heute ins-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gesamt 50 000 jungen Menschen in Afghanistan, die die
Herren! Die Kollegin Müller hat zu Recht auf die grund- Möglichkeit haben, unter dem Schutz der internationalen
sätzliche Bedeutung der UNO-Resolution hingewiesen. Gemeinschaft zu studieren, immerhin 7 000 Frauen sind;
Auch wir unterstützen sie sehr deutlich. Auch wir mei- wünschenswert wären natürlich mehr. Ein Garant dafür
nen, dass sie in der täglichen Außenpolitik mit Leben ge- ist die Bundeswehr mit ihrem Einsatz in Afghanistan.
füllt werden muss. Ich glaube, dass wir Parlamentarier
bei unseren Gesprächen hier in Deutschland, wenn aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
7072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Philipp Mißfelder
(A) Eine Geschichte aus Afghanistan ging in den vergan- Wie Sie wissen, gestalten sich die Verhandlungen ge- (C)
genen Wochen um die Welt. Robina Jalali, die bei den rade in diesem Punkt sehr schwierig. Meines Wissens ist
Olympischen Spielen in Peking als Sprinterin eine die Bundesregierung daran nicht direkt beteiligt. Des-
enorme Leistung vollbracht hat, ist jetzt auch zur Wahl halb können wir nur die Initiative ergreifen, indem wir in
für das Parlament in Afghanistan angetreten. So eine Si- Gesprächen insbesondere mit unseren amerikanischen
tuation wäre zu Zeiten der Taliban-Herrschaft nicht Partnern darauf hinweisen, dass Frieden in Afghanistan
möglich gewesen. zwar unser Ziel ist, aber natürlich kein Frieden, der
leichtfertig auf dem Rücken der Frauen erreicht wird. In-
Es ist leider immer noch nicht klar, ob sie dem Parla- sofern stimme ich der Intention Ihrer Frage zu und unter-
ment letztendlich angehören wird oder nicht. Leider ist stütze das Anliegen, das dahintersteckt, grundsätzlich
die Situation so, dass man ihr nicht nur im Wahlkampf sehr gerne. Das habe ich in der Vergangenheit getan, und
viel Glück und Erfolg wünschen musste, sondern auch das werde ich auch zukünftig tun. Herzlichen Dank, dass
jetzt bei der Auszählung; so bedauerlich das auch ist. auch Sie in diesem Bereich so aktiv sind!
Die Perspektive, dass Frauen in Afghanistan überhaupt
in politische Verantwortung kommen können, sollten wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
unterstützen, und wir sollten im Hinblick auf die weite- Stellt man das Thema Frauenrechte in den großen Zu-
ren Debatten hier in diesem Haus das Thema Afghanis- sammenhang unserer Außenpolitik, so bin ich der Mei-
tan nicht unter den Tisch fallen lassen. nung: Dies ist ein zentraler Punkt einer wertegebunde-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen und gleichzeitig interessengeleiteten Außenpolitik.
Sie muss auch zielorientiert sein. Bei all dem, worüber
wir diskutieren, müssen wir das konkrete Ziel vor Augen
Präsident Dr. Norbert Lammert: haben, die Situation der Frauen zu verbessern.
Herr Kollege Mißfelder, wollen Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Müller beantworten? Dass es dabei hilfreich ist, in eine große Diskussion
über Gender Mainstreaming einzutreten und parallel zu
den bisher bestehenden Strukturen eine neue Bürokratie
Philipp Mißfelder (CDU/CSU): zu schaffen, möchte ich stark bezweifeln. Lassen Sie uns
Ja, natürlich gerne. lieber zielorientiert und effektiv daran arbeiten, dass die
Rechte der Frauen verwirklicht werden, als irgendwel-
che Bürokratiemonster aufzubauen. Sie wissen, was die
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
CDU/CSU- und die FDP-Fraktion generell von Gender
NEN):
Mainstreaming halten. Wir haben damit sehr große
(B) Herr Kollege Mißfelder, da Sie über Afghanistan Schwierigkeiten. Gender Mainstreaming als zentralen (D)
sprechen, würde ich gerne eine Nachfrage stellen. Im Punkt herauszustellen – Sie haben es in Ihrer Rede nicht
Juni dieses Jahres fand dort die Jirga statt. Über getan; aber in manchen Papieren schwingt das zum Teil
20 Prozent der mehr als 1 600 Teilnehmer waren Frauen; mit –, bringt uns, wie ich glaube, nicht weiter. Unser ge-
fast 400 Delegierte waren also Frauen. Allerdings kamen meinsames Ziel, die Rechte der Frauen durchzusetzen,
sie mit ihren Anliegen nicht zu Wort. Im Anschluss gab verfolgen wir effizienter und zielorientierter, wenn es
es einen Aufruf von zehn afghanischen Frauenorganisa- weniger Bürokratie gibt, wir dieses Thema dafür aber zu
tionen. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie sich einer zentralen Aufgabe unserer Politik machen.
große Sorgen um die Friedensverhandlungen, die jetzt
mit den Taliban geführt werden, machen und dass sie Herzlichen Dank.
nicht bereit sind, hinzunehmen, dass die Rechte, die sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
in den letzten zehn Jahren mühsam erkämpft haben, jetzt
zugunsten eines möglichen sogenannten Friedensvertra-
ges mit den Taliban oder gar mit Hekmatjar aufgegeben Präsident Dr. Norbert Lammert:
werden. Angelika Graf ist die nächste Rednerin für die SPD-
Fraktion.
Ich frage Sie: Sind auch Sie der Meinung, dass die in-
ternationale Gemeinschaft und auch die Bundesregie- (Beifall bei der SPD)
rung gegenüber der Karzai-Regierung deutlich machen
müssen, dass die Frauen- und Menschenrechte bei die- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD):
sen Verhandlungen nicht zu kurz kommen dürfen, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
sie nicht verhandelbar sind? Kollegen! Das Thema „Frauen in Afghanistan“ muss
man, wie ich denke, sehr differenziert betrachten: auf der
Philipp Mißfelder (CDU/CSU): einen Seite die Bildungssituation, auf der anderen Seite
die Rechtssituation. Nicht alles ist ein Erfolg. Deswegen
Frau Kollegin Müller, herzlichen Dank für Ihre Frage. sollte man sich, wie gesagt, differenziert und ausführlich
– Ich glaube, ich kann Einigkeit feststellen, dass eine der mit diesem Thema beschäftigen, nicht nur anlässlich ei-
roten Linien in den Verhandlungen mit den sogenannten ner Debatte.
moderaten Taliban – was auch immer das bedeuten soll –
ganz klar ist, dass die Frauenrechte geschützt werden Am letzten Wochenende war ich im Auftrag der Par-
müssen, zumindest diejenigen, die schon erkämpft wor- lamentarischen Versammlung des Europarates in Bos-
den sind. nien-Herzegowina, genauer gesagt: in Sarajevo.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7073
Angelika Graf (Rosenheim)
(A) Bei meinem letzten Besuch in Sarajevo im Jahr 1996 Gleichzeitig ist aber auch auf den zähen Prozess der (C)
habe ich mit vom Krieg sehr schwer traumatisierten Umsetzung dieser Resolutionen hinzuweisen. Als Re-
Frauen gesprochen. Sie waren Opfer von Gewalt, auch aktion darauf hat zum Beispiel die UN im Juli 2010 und
von schwerer sexualisierter Gewalt. im Rahmen der UN-Reform die Einheit für Geschlech-
tergerechtigkeit, UNWomen, beschlossen. UNWomen
Nach meiner Wahrnehmung liegt das Trauma dieses soll sich auch um die Umsetzung der Resolution 1325
Krieges immer noch über dem ganzen Land und insbe- und der mit ihr verbundenen Resolutionen bemühen.
sondere über dieser Stadt.
Ein wichtiger Partner sollte dabei auch die NATO
Ich sage Ihnen auch: 8 der 14 Wahllokale, die ich dort sein. All ihre Operationen müssen im Einklang mit die-
besucht habe, waren von Frauen geleitet. Insbesondere sen UN-Resolutionen stehen. Darauf wies die zuständige
die jungen unter diesen Frauen waren unglaublich tough UN-Sonderberichterstatterin zur sexuellen Gewalt in
und ganz fest entschlossen, eine Zukunft in einer Demo- Konflikten, Margot Wallström, auf einer von ihr eingela-
kratie zu haben. Das ist ein gutes Beispiel für die ver- denen Konferenz alle hochkarätigen NATO-Repräsen-
schiedenen Aspekte dieser UN-Resolution 1325, deren tanten hin.
Verabschiedung sich am 31. Oktober zum zehnten Mal In diesem Zusammenhang steht auch die aktuelle Ini-
jährt. tiative unserer ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin,
Die SPD-Fraktion hat das zum Anlass genommen, Ulla Schmidt, und des britischen Berichterstatters Lord
dies einerseits in der heutigen Debatte zu würdigen und Jopling. Dabei geht es darum, die Inklusion des Gender-
andererseits unsere Forderungen bezüglich der Weiter- Mainstreaming-Ansatzes weiterzubringen, der übrigens
entwicklung und der Umsetzung dieser wichtigen Reso- kein Bürokratiemonster, sondern ein ganz normales
lution zur Diskussion zu stellen. Konzept ist, sowie die Resolution 1325 in das neue stra-
tegische Konzept der NATO und ihrer Partner einzubin-
Ich gebe unumwunden zu, dass ich es bedauerlich den.
finde, dass zumindest bisher kein Antrag von der Koali- (Beifall bei der SPD)
tion vorliegt, an dem man auch sehen könnte, in welche
Richtung Sie sich entwickeln wollen. Ich gebe auch zu, Wenn das realisiert werden könnte, wäre das ein riesi-
dass ich es peinlich finde, dass eine Resolution, die di- ger Schritt. Die Realität zeigt nämlich – Kerstin Müller
rekt etwas mit den Menschenrechten zu tun hat, dem hat das schon angesprochen –, dass der Fortschritt wie so
Auswärtigen Ausschuss zur federführenden Bearbeitung oft eine Schnecke ist.
überwiesen wird. Ich weiß nicht, woran das liegt. Viel- Die Bilanz für beide Ebenen der Resolution ist sehr
(B) leicht können Sie mir das erklären. Vielleicht liegt es ja gemischt. Auf der formalen Ebene, innerhalb der UN, (D)
auch an der AG „Menschenrechte“ in der Union und de- sieht es nicht gut aus. Die Integration der Frauen in die
ren Qualität. friedensschaffenden bzw. konfliktbeendenden Prozesse
(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was?) ist trotz der 50-Prozent-Frauenquote der Vereinten Na-
tionen immer noch beklagenswert mangelhaft.
Grundsätzlich halte ich die Resolution für einen wich- Laut GTZ nahmen neben 78 407 Männern nur 1 794
tigen Meilenstein für eine geschlechterbewusste und ge- Frauen an solchen Friedensmissionen teil. Noch verein-
schlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Das zelter haben Frauen die Leitung solcher Friedensmissio-
ist auf zwei Ebenen der Fall. Einerseits stärkt sie die Be- nen inne. Das wird weder dem Ziel, das mit der Resolu-
deutung von Frauen als Akteure für Frieden, Sicherheit tion verfolgt wird, noch dem schon erwähnten Gender-
und Entwicklung. Andererseits vergisst sie auch nicht, Mainstreaming-Ansatz gerecht, und schon gar nicht der
dass Frauen als Opfer von sexueller Gewalt in Kriegs- Bedeutung, die den an den Konflikten beteiligten Frauen
und Krisensituationen besonderer Berücksichtigung, be- zukommt.
sonderer Behandlung und besonderen Schutzes bedür-
fen. Auf der Ebene der Konflikte ist die Realität noch er-
schreckender. Die GTZ dokumentierte neulich, dass in
In den letzten zwei Jahren sind zur Resolution 1325 51 Ländern sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Kon-
noch drei notwendige ergänzende Resolutionen hinzuge- flikten ausgeübt wird. Dabei sind 90 Prozent aller Verge-
kommen. Die Resolution 1820 aus dem Jahr 2008 betont waltigungen Massen- und Mehrfachvergewaltigungen,
noch einmal die Bedeutung der sexuellen Gewalt und und 70 Prozent dieser Frauen sind nach einer Vergewal-
stellt fest, dass sie eine Bedrohung für den Frieden und tigung mit HIV infiziert. Aber es wird über das Schicksal
für die Sicherheit der Nationen sowie der internationalen dieser Frauen berichtet und nicht wie in früheren Jahren da-
Gemeinschaft darstellt. Die Resolution 1888 aus dem rüber geschwiegen. Spätestens seit es die internationalen
Jahre 2009 sieht in der Konsequenz konkrete Maßnah- Strafgerichtshöfe gibt, ist die internationale Gemeinschaft
men zur Bekämpfung von sexueller Gewalt vor. Die Re- dafür sensibilisiert, dass sexualisierte Gewalt häufig als
solution 1889, die ebenfalls aus dem Jahr 2009 stammt, Kriegsstrategie verwendet wird. Kerstin Müller hat die
wiederholt den Anspruch auf eine stärkere Beteiligung Situation im Kongo und die Straflosigkeit in all diesen
von Frauen an politischen Prozessen. Ich hoffe, dass da- Konflikten angesprochen. Das ist eines der Hauptpro-
mit die Rolle und Bedeutung der Frauen für Frieden und bleme. Wenn die Täter nicht zur Verantwortung gezogen
Sicherheit in Konflikten noch weiter ins Bewusstsein der werden, dann werden sie mit dieser Strategie weiterma-
internationalen Akteure gerückt sind. chen. Massenvergewaltigung ist eine Strategie, die im-
7074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Angelika Graf (Rosenheim)


(A) mer häufiger und brutaler angewandt wird. Werden die Marina Schuster (FDP): (C)
Vergewaltigungen massenhaft und strategisch eingesetzt, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
dann werden die soziale Textur, die Infrastrukturen und Kollegen! Fast auf den Tag genau ist es jetzt zehn Jahre
die reproduktiven Ressourcen einer Gesellschaft zumeist her, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die
für mehrere Generationen zerstört. UN-Resolution 1325 beschlossen hat. Wenn man den
Debatten hier gefolgt ist, kann man eines sagen: Wir sind
Ein gutes Beispiel dafür, wie lange man diese Pro- uns einig. Es war sehr wichtig, dass es zu dieser Resolu-
zesse mit sich herumträgt und wie schwer sie die Betrof- tion gekommen ist und dass die Rolle, die die Frauen im
fenen belasten, sind die sogenannten Trostfrauen. Die ja- Kontext von Frieden und Sicherheit haben, erstmals an-
panische Armee hat koreanische Frauen zu Tausenden erkannt worden ist.
versklavt und massenhaft vergewaltigt. Bis heute gibt es
keine Anerkennung ihres erlittenen Unrechts durch eine Die Forderungen in der Resolution sind sehr umfang-
Entschuldigung oder eine wirkliche Wiedergutmachung. reich. Es hat in der Folge auch Kritikpunkte gegeben;
Sie müssen noch immer darauf warten. Irgendwann erle- denn die Frage ist, wie diese Forderungen ganz konkret
digen sich solche Dinge biologisch; aber das ist nicht umgesetzt werden. Es gab daraufhin weitere Resolutio-
das, worauf wir warten sollten. Ich denke, man muss hier nen; sie wurden von meinen Vorrednerinnen schon ange-
wirklich etwas tun. sprochen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Die Frage ist: Was ist in diesen zehn Jahren gesche-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hen? Wenn wir uns die Situation in den jeweiligen Kon-
fliktländern anschauen, dann müssen wir feststellen,
Vergessen dürfen wir auch nicht, dass Frauen nicht nur dass eine flächendeckende Wirkung leider ausgeblieben
in akuten Konfliktsituationen Opfer werden. Häufig geht ist. Wenn wir insbesondere auf die Länder Subsahara-
ihr Elend auf der Flucht, in Flüchtlingslagern und in der afrikas schauen: Im Tschad, im Sudan und auch in der
Langzeitfolge in einer von Gewalt zerfressenen Gesell- Demokratischen Republik Kongo ist Gewalt gegen
schaft weiter. Deswegen wollen wir umfassende Ansätze Frauen nach wie vor auf der Tagesordnung. Die jüngsten
und ein an Langfristigkeit orientiertes Maßnahmenpaket, Meldungen – Kerstin Müller hat es erwähnt – können
und deswegen wollen wir einen nationalen Aktionsplan. uns nur mit Entsetzen und Abscheu erfüllen. Das Bei-
spiel Kongo zeigt, dass die körperliche und seelische
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gewalt gegen Frauen seit Jahren zum teuflischen Instru-
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE mentenkasten gehört. Tag für Tag werden die Menschen-
GRÜNEN) rechte dort mit Füßen getreten. Frauen haben ganz be-
(B) sonders darunter zu leiden. (D)
Ich bedauere, dass es so lange gedauert hat, bis wir zu
diesem Beschluss gekommen sind. Ich denke aber, dass Es gibt aber auch positive Beispiele, die mir Hoff-
das dringend notwendig war, um zu sehen, wie die ein- nung machen. Von einem Beispiel möchte ich berichten.
zelnen Länder diese wichtige Resolution umsetzen. Ver- Ich hatte die Möglichkeit, die Bundeskanzlerin im Jahre
gleichbarkeit ist hier ein wichtiges Stichwort. All die 2007 nach Liberia zu begleiten. In diesem Land hat es
Punkte, die uns hier beschäftigen, müssen zusammenge- 14 Jahre lang Bürgerkrieg gegeben; nahezu 70 Prozent
führt werden; denn ich denke, es muss ein gemeinsames aller Liberianerinnen wurden Opfer von Vergewaltigun-
Vorgehen gegen die weltweite Seuche der sexualisierten gen. Die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf setzt deswe-
Gewalt gegen Frauen geben. gen beim Wiederaufbau, bei dem Weg nach vorne auf
Frauen. Sie hat eine Justizministerin und auch eine Poli-
Ich danke Ihnen, dass Sie mir so lange zugehört ha- zeichefin ernannt; denn es ist ganz wichtig, dass Frauen
ben, und dem Herrn Präsidenten danke ich, dass er mich eine Vorbildfunktion haben und vorangehen. Deutsch-
so lange hat reden lassen. land ist aktiv in der dortigen Polizeiausbildung. Immer
mehr Frauen haben sich für eine Karriere bei der Polizei
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
entschieden. Ich habe mit den Polizistinnen sprechen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin
können. Sie haben gesagt: Wir wollen nicht mehr Opfer
Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
werden. Wir wollen dafür sorgen, dass wir uns wehren
NEN]: Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich
und andere schützen können. – Das zeigt, dass es gute
auch länger geredet!)
Beispiele gibt. Aber es braucht auch den Willen und die
Unterstützung der jeweiligen Länder vor Ort.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Auch bei den Vereinten Nationen hat sich einiges ge-
Wie schön, dass das endlich auch einmal ins Protokoll tan; das ist von den Vorrednerinnen und Vorrednern
kommt. schon angesprochen worden. Bei den Vereinten Natio-
nen wird es eine Abteilung geben, die erst einmal alle
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
Maßnahmen bündelt und deren Ziel es ist, für eine Um-
CDU/CSU)
setzung der Resolution 1325 zu sorgen. Da gibt es noch
Nun hat die Kollegin Marina Schuster für die FDP- viel zu tun. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und
Fraktion das Wort. Sicherheitspolitik sind Richtlinien erlassen worden, die
Gleichstellungsaspekte im Krisenmanagement berück-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sichtigen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7075
Marina Schuster
(A) Interessant finde ich die Wende, die die SPD inner- Ich denke, daran wird ein leichter Bewusstseinswandel (C)
halb von zwei Jahren gemacht hat. erkennbar.
(Christoph Strässer [SPD]: Das kriegt ihr in Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen,
zwei Jahren nicht hin! Ihr bleibt immer stur Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwa-
auf demselben Weg! Steuern senken – immer schen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit
wieder!) Blut abgewaschen werden.
Ich kann mich noch gut erinnern: Der letzte Bericht der So Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau den Frie-
Bundesregierung zu dieser Resolution ist aus dem Jahre densnobelpreis bekam. Heute hat sie viele Schwestern in
2007. Wir haben diesen Bericht damals im Auswärtigen allen Kontinenten. Millionen von Frauen setzen sich
Ausschuss – Kerstin Müller kann sich erinnern; er war weltweit für die Überwindung von Gewalt, für Men-
auch damals, unter einem SPD-Kanzler, schon federfüh- schenrechte und soziale Gerechtigkeit ein. Sie tun das
rend im Auswärtigen Ausschuss – diskutiert. Da war von beharrlich, gewaltfrei und oft unter großen Gefahren, so
der SPD noch nichts davon zu hören, dass man eine na- wie die argentinische Mutter, die immer noch nach ihren
tionale Umsetzungsstrategie, einen Aktionsplan fordert. verschwundenen Kindern sucht, die kurdische Journalis-
tin, die Rundfunksendungen in ihrer Muttersprache pro-
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Das hin- duziert, oder die israelische Ärztin, die in die Westbank
dert nicht am Denken! – Zuruf von der FDP: fährt, um dort kranke Palästinenser und Palästinenserin-
Nur wenn sie in der Opposition sind, dann nen zu behandeln. Ihnen ist zu verdanken, dass wir heute
können sie fordern! Das kennen wir ja!) die Resolution „Frauen, Frieden und Sicherheit“ beraten
Ich kann mich deswegen sehr gut an die Diskussion erin- können, die der UN-Sicherheitsrat vor zehn Jahren ver-
nern, weil man, wenn man diesen Bericht gelesen hat, abschiedet hat.
nur feststellen konnte: Es fehlte damals wirklich der rote (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Faden. Ich frage mich nämlich, wie eine Veranstaltung Dr. Rolf Mützenich [SPD] und Kerstin Müller
der finnischen Gleichstellungsministerin mit einem Kul- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
turmanagementkurs in der Türkei zusammenpasst und
was das mit der UN-Resolution zu tun hat. Frauen und Mädchen werden nicht erst in Kriegen zu
Opfern. Häusliche Gewalt und sexuelle Misshandlung
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sind weltweit für viel zu viele bitterer Alltag. Wie wir
Ich freue mich auf den neuen, bald erscheinenden Be- gerade in sehr drastischen Beispielen gehört haben, wird
richt. Ich freue mich auf die Prioritäten und vor allem sexuelle Gewalt im Krieg oder Bürgerkrieg aber auch als
(B) auf den Ausblick, was die zukünftigen Maßnahmen an- Waffe eingesetzt. Die Kollegin Müller hat das sehr ein- (D)
geht. Fakt ist: Wir müssen international mehr für die dringlich mit deutlichen Beispielen geschildert. Verge-
Umsetzung tun. Wir müssen es international gemeinsam waltigung und Zwangsprostitution sollen die Gegnerin-
bündeln, vor allem auch innerhalb der Europäischen nen und Gegner demütigen und die Kampfmoral der
Union. Wir brauchen neben der Schulung des Personals Truppe heben. Auch dann, wenn die Waffen endlich
eine bessere Einbindung von Frauen. Eines ist mir be- schweigen, ist für viele Frauen noch lange nicht Frieden.
sonders wichtig: Wir brauchen die Bereitschaft, den Wil- Wir wissen, dass in Nachkriegsgesellschaften Gewalt
len und die Unterstützung der jeweiligen Konfliktländer, gegen Frauen geradezu allgegenwärtig ist. Es ist das
dies auch durchzusetzen. Darauf müssen wir bei den Ge- Verdienst von mutigen Frauen wie Monika Hauser von
sprächen vor Ort immer wieder hinwirken, so schwierig Medica Mondiale, die ich an dieser Stelle ausdrücklich
das auch ist. Ich warne davor, zu meinen, dass man mit erwähnen möchte, dass diese Verbrechen nicht länger
einer deutschen Monitoringstelle, wie es die Grünen for- unter den Teppich gekehrt werden.
dern, groß vorwärtskommen würde. Es braucht interna- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
tionale Anstrengungen. Das ist langwierig und auch zäh. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
Aber diesen Weg müssen wir weitergehen. ten der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Überlebenden haben ein Recht auf unsere Solida-
rität. Ihr Leid darf nicht missbraucht werden, um erneute
Präsident Dr. Norbert Lammert: Gewalt zu rechtfertigen. Blut kann nämlich nicht mit
Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler, Blut abgewaschen werden.
Fraktion Die Linke. Die UN-Resolution 1325 verpflichtet uns, Frauen und
(Beifall bei der LINKEN) Mädchen besonders vor Gewalt und Krieg zu schützen.
Mir macht es Sorgen, dass diese Pflicht immer öfter als
Vorwand für neue Gewaltanwendung und Militärein-
Kathrin Vogler (DIE LINKE): sätze missbraucht wird. Der wirksamste Schutz vor Ge-
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin- walt ist und bleibt die Vorbeugung und damit die Verhin-
nen! Ich bin ganz besonders erfreut, dass sich zu diesem derung von Krieg. Dafür tut diese Bundesregierung viel
Thema überwiegend männliche Kollegen im Plenum be- zu wenig.
finden.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das ist doch klar!) NIS 90/DIE GRÜNEN)
7076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

Kathrin Vogler
(A) In Ihrem Haushaltsplanentwurf kürzen Sie die Mittel Peter Beyer (CDU/CSU): (C)
für die zivile Krisenprävention um bis zu 30 Prozent, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
während die Ausgaben für die Bundeswehr um weitere Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hoffnung,
400 Millionen Euro steigen sollen. Das ist doch Wahn- dass das Ende des Kalten Krieges zu vermehrter Ach-
sinn. Das kann man nicht mehr rechtfertigen. tung der Menschenrechte führen würde, hat getrogen.
Religiös motivierter Fanatismus, Nationalismus und
(Beifall bei der LINKEN)
Rassismus sind traurige Realität in der Welt. Genannt
Frau Schuster, Sie haben gerade den Bericht der Bundes- seien nur Afghanistan unter der Terrorherrschaft der Ta-
regierung zur Umsetzung der Resolution 1325 von 2007 liban, der Genozid in Ruanda oder die schrecklichen
kritisiert. Aber im aktuellen Bericht der Regierung zur Bürgerkriege im zerfallenden Jugoslawien.
zivilen Krisenprävention findet sich zum Thema Ge- Häufig leiden Frauen und Kinder in besonderem Maße
schlechtergerechtigkeit nur Politlyrik. Das ist die Sache unter kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Resolu-
nicht wert. tion 1325 weist in die richtige Richtung. Es ist angemes-
(Christoph Strässer [SPD]: Da ändert sich die sen, hier von einem Meilenstein zu sprechen – Kollegin
FDP nicht!) Kerstin Müller hat vorhin dieses Wort im gleichen Zu-
sammenhang richtigerweise verwendet –; denn es ist
Frauenorganisationen fordern zum zehnten Jahrestag dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahre
der Resolution, dass wir endlich ernst machen und kon- 2000 erstmals in seiner Geschichte gelungen, völker-
kret werden sollen: mit einem Aktionsplan, klaren Zeit- rechtliche Vorgaben zu treffen, die die Beteiligung von
vorgaben und den entsprechenden personellen und Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden be-
finanziellen Mitteln. Das mit dem Argument der Büro- rühren. Die Resolution vermittelt politisch die nicht zu
kratisierung abzubügeln, finde ich unredlich, Herr unterschätzende Verpflichtung der Staaten der UN, die
Mißfelder. in der Resolution aufgestellten Forderungen umzuset-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zen. Auch die Rechtsprechung der durch die UN einge-
NIS 90/DIE GRÜNEN) setzten internationalen Strafgerichtshöfe hat zumindest
einem Teil der Opfer Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Deshalb haben wir als Linke diese Forderung in unserem Die Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und
Antrag aufgegriffen. Wir wollen, dass die Bundesrepu- Ruanda haben durch ihre Arbeit entscheidend an der An-
blik Deutschland in internationalen Konflikten grund- erkennung der Bereiche des humanitären Völkerrechts
sätzlich auf militärische Gewalt verzichtet und konse- und des Völkerstrafrechts mitgewirkt, die zum ersten
quent auf zivile Konfliktbearbeitung setzt. Mal umfassenden Schutz vor sexueller Gewalt in be-
(B) waffneten Konflikten bieten. (D)
(Beifall bei der LINKEN)
Der Kompass des deutschen Engagements stimmt.
Aus meinen eigenen Erfahrungen mit dem Zivilen
Deutschland hat beispielsweise bei der Einrichtung des
Friedensdienst in Palästina und Israel weiß ich, dass Pro-
neuen UN-Büros für Frauen maßgebliche Unterstützung
jekte, die die Sicht der Frauen ausblenden, wenig Er-
geleistet. Dieses Büro wird Anfang kommenden Jahres
folgsaussichten haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir
seine Arbeit aufnehmen. Dort sollen mehrere Einheiten,
die Frauen- und Friedensorganisationen hier und in den
die mit der Förderung von Frauenrechten befasst sind, zu
Konfliktregionen aktiv beteiligen und ihre Kreativität,
einer Einheit zusammengeführt werden. Das neue UN-
ihre soziale Fantasie und ihre Erfahrungen noch stärker
Frauenbüro soll nach dem Beschluss der Vollversamm-
als bisher einbeziehen.
lung durch einen eigenen Untergeneralsekretär vertreten
werden. Das ist ein Fortschritt bei der Stärkung der Frau-
Präsident Dr. Norbert Lammert: enrechte. Im Übrigen ist das auch ein Beleg für die Re-
Frau Kollegin! formfähigkeit der Organisation Vereinte Nationen. Dop-
pelstrukturen werden dabei beseitigt. Das System der
Kathrin Vogler (DIE LINKE): UN insgesamt wird leistungsfähiger und effizienter.
Ich komme zum Schluss. – Die irrwitzige Vorstellung, Auch hierzulande ist die Entwicklung erfreulich. Das
dass man nur genügend Frauen zum Militär holen Prinzip des Gender Mainstreaming, also die Verwirkli-
müsste, um den Krieg zu humanisieren, lehnen wir als chung der Gleichstellung, ist in der deutschen Politik
Linke allerdings ab. Krieg lässt sich nicht humanisieren. fest verankert, nicht nur weil eine Frau an der Spitze un-
Wir sollten ihn alle gemeinsam abschaffen. serer Regierung steht. Deutschland hat sich in den Ge-
Ich danke Ihnen. samtprozess mit viel Pragmatismus eingebracht und ge-
hört zu der überschaubaren Anzahl derjenigen Länder,
(Beifall bei der LINKEN) die regelmäßig über den Fortgang der Umsetzung aus-
führlich berichten. So sind bei der Bundeswehr mittler-
Präsident Dr. Norbert Lammert: weile alle Laufbahnen für Frauen geöffnet. Am Zentrum
Peter Beyer ist der letzte Redner zu diesem Tagesord- für Internationale Friedenseinsätze sind mittlerweile
nungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. zwei Drittel des ausgebildeten Personals weiblich.
Frauen leisten einen wesentlichen Beitrag zu Krisenprä-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung in
neten der FDP) internationalen Friedens- und Beobachtungseinsätzen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7077
Peter Beyer
(A) Nun ist es aber nicht so, als gäbe es nichts zu verbes- So hat sich Slobodan Milosević viele Jahre lang an der (C)
sern. Deutschland ist auf einem guten Weg, den Forde- Macht gehalten, und Sie sind darauf hereingefallen. Ihr
rungskatalog der UN-Resolution 1325 weiter auszubauen Herr Gysi hat den Massenmörder Milosević einst vor
und zu vertiefen. Die Anforderungen an die Menschen- laufender Kamera hofiert, als sich die internationale
rechtspolitik müssen in einer diffus gewordenen Umwelt Staatengemeinschaft schon längst von diesem abge-
jedoch noch steigen. Die Beobachtungs- und Dokumen- wandt hatte. Die Widersprüche in Ihrer Menschenrechts-
tationsmöglichkeiten bei Menschenrechtsverletzungen, politik kann dieser Antrag jedenfalls nicht kaschieren.
die Zusammenarbeit mit internationalen Menschen-
rechtsorganisationen sowie das Anreiz- und Sanktions- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Worüber
instrumentarium der freiheitlichen Staaten und auch der diskutieren wir hier eigentlich?)
internationalen Institutionen wie der UN selbst müssen Damit keine Zweifel aufkommen – Herr Präsident,
an die weltpolitische Situation zu Beginn des 21. Jahr- ich komme zum Schluss –: Die internationale Stärkung
hunderts angepasst werden. Es gilt, ihre Wirkung zu ver- der Frauenrechte ist für die Arbeit der Bundesregierung
feinern und zu verstärken. auch mit Blick auf die Vernetzung der Ministerien unter-
Für uns Deutsche ist es eine ethische Pflicht, bei der einander von besonderer Bedeutung; denn Menschen-
Formulierung und Durchsetzung einer weltweiten Men- rechte sind kein Luxus für gute Zeiten, sondern der Kern
schenrechtspolitik eine leitende Rolle zu übernehmen. unseres politischen Selbstverständnisses.
Dieser besonderen Bedeutung werden die drei vorliegen- Ich danke.
den Anträge nicht gerecht. Die Grünen jedenfalls sind,
zumindest was die Forderung nach einem nationalen Ak- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
tionsplan angeht, konsequent. Es ist ihre alte Forderung. Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Kein Satz über
Anders verhält es sich bei der SPD. Als Sie noch in der die Frauen!)
Regierungsverantwortung waren, hat Ihr Außenminister
Steinmeier keinen nationalen Aktionsplan zur Resolu-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
tion 1325 installiert, geschweige denn auch nur für erfor-
derlich gehalten. Ich schließe die Aussprache.

(Christoph Strässer [SPD]: Stimmt! – Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Richtig! auf den Drucksachen 17/2484, 17/3176 und 17/3205 an
Nun wissen wir, dass das notwendig ist, und die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
fordern das!) schlagen. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden. –
Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
(B) Steinmeier hatte recht; denn das bestehende Bündel an (D)
Maßnahmen greift. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Der Antrag der Linken fällt noch weiter ab. Sie brin-
gen Ihre übliche Litanei und sprechen von Verquickung Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
zivilen Engagements und militärischer Einsätze. Vorhin destages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2010, 13 Uhr,
haben wir an dieser Stelle über die EU-Perspektive Ser- ein. Dann werden wir mit einer Regierungserklärung zu
biens debattiert. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, Europa beginnen.
wäre Slobodan Milosević noch heute am Ruder.
Ich wünsche Ihnen ein schönes, offenkundig sonniges
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist eine Wochenende. Das gilt auch den Besucherinnen und Be-
Verleumdung! Unglaublich!) suchern. Genießen Sie Berlin! Die Stadt ist bei diesem
Ich zitiere aus einer großen deutschen Tageszeitung vom Wetter noch attraktiver als ohnehin. Alles Gute!
8. Oktober 2000 – das war heute vor genau zehn Jahren –: Die Sitzung ist geschlossen.
Auf Zeit spielen, bluffen, sich diplomatisch geben und
dann wieder mit rücksichtsloser Brutalität zuschlagen. – (Schluss: 14.51 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7079

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 08.10.2010 Kretschmer, Michael CDU/CSU 08.10.2010

Alpers, Agnes DIE LINKE 08.10.2010 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ 08.10.2010
DIE GRÜNEN
Binder, Karin DIE LINKE 08.10.2010
Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 08.10.2010
Binninger, Clemens CDU/CSU 08.10.2010 DIE GRÜNEN

Bülow, Marco SPD 08.10.2010 Laurischk, Sibylle FDP 08.10.2010

Burchardt, Ulla SPD 08.10.2010 Liebich, Stefan DIE LINKE 08.10.2010**


Ehrmann, Siegmund SPD 08.10.2010 Dr. Lötzsch, Gesine DIE LINKE 08.10.2010
Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 08.10.2010 Dr. Lotter, Erwin FDP 08.10.2010
Land), Axel E.
Marks, Caren SPD 08.10.2010
Freitag, Dagmar SPD 08.10.2010
Menzner, Dorothee DIE LINKE 08.10.2010
Friedhoff, Paul K. FDP 08.10.2010
Möller, Kornelia DIE LINKE 08.10.2010
Fritz, Erich G. CDU/CSU 08.10.2010*
(B) Niebel, Dirk FDP 08.10.2010 (D)
Dr. Geisen, Edmund FDP 08.10.2010
Özoguz, Aydan SPD 08.10.2010
Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 08.10.2010
Oswald, Eduard CDU/CSU 08.10.2010
Götz, Peter CDU/CSU 08.10.2010
Pflug, Johannes SPD 08.10.2010
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 08.10.2010
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 08.10.2010
Golze, Diana DIE LINKE 08.10.2010
Remmers, Ingrid DIE LINKE 08.10.2010
Griese, Kerstin SPD 08.10.2010 Liselotte

Günther (Plauen), FDP 08.10.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 08.10.2010


Joachim
Schreiner, Ottmar SPD 08.10.2010
Dr. Hendricks, Barbara SPD 08.10.2010
Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 08.10.2010
Höger, Inge DIE LINKE 08.10.2010**
Senger-Schäfer, DIE LINKE 08.10.2010
Hörster, Joachim CDU/CSU 08.10.2010* Kathrin

Homburger, Birgit FDP 08.10.2010 Dr. Solms, Hermann FDP 08.10.2010


Otto
Kauder, Volker CDU/CSU 08.10.2010
Spahn, Jens CDU/CSU 08.10.2010
Klöckner, Julia CDU/CSU 08.10.2010
Dr. Steinmeier, Frank- SPD 08.10.2010
Kober, Pascal FDP 08.10.2010 Walter
Krestel, Holger FDP 08.10.2010 Strenz, Karin CDU/CSU 08.10.2010*
7080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010

(A) Ausschuss für Arbeit und Soziales (C)


entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter
Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 08.10.2010 Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe
DIE GRÜNEN – Drucksachen 16/13829, 17/591 Nr. 1.19 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung


Toncar, Florian FDP 08.10.2010
Bericht der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 08.10.2010 e. V. zum Sachstand über die Reduzierung der Träger-
zahl bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften
Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 08.10.2010** und
Stellungnahme der Bundesregierung
Werner, Katrin DIE LINKE. 08.10.2010* – Drucksachen 16/13908, 17/591 Nr. 1.23 –

Widmann-Mauz, CDU/CSU 08.10.2010


Annette

Wieczorek-Zeul, SPD 08.10.2010 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben


Heidemarie mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
Zöllmer, Manfred SPD 08.10.2010 ner Beratung abgesehen hat.
Helmut
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Auswärtiger Ausschuss
sammlung des Europarates
Drucksache 17/2224 Nr. A.1
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Ratsdokument 10070/10
sammlung der OSZE Drucksache 17/2408 Nr. A.1
EuB-EP 2037; P7_TA-PROV(2010)0149

Anlage 2
Finanzausschuss
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Drucksache 17/2580 Nr. A.3
Ratsdokument 10822/10
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 17/2580 Nr. A.4
(B) (D)
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Ratsdokument 11046/10
Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
zu den nachstehenden Vorlagen absieht:
Haushaltsausschuss
Drucksache 17/859 Nr. A.7
Finanzausschuss Ratsdokument 6254/10
Drucksache 17/2071 Nr. A.13
– Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Ratsdokument 9433/10
Drucksache 17/2994 Nr. A.32
Bericht nach § 99 Bundeshaushaltsordnung über den
Ratsdokument 12699/10
ermäßigten Umsatzsteuersatz – Vorschläge für eine
künftige Ausgestaltung der Steuerermäßigung
– Drucksachen 17/2290 (neu), 17/2548 Nr. 1.4 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/178 Nr. A.23
Bericht über die aktualisierten Stabilitäts- und Konver- Ratsdokument 14738/09
genzprogramme 2009/2010 der EU-Mitgliedstaaten Drucksache 17/1821 Nr. A.16
– Drucksachen 17/2536, 17/2971 Nr. 1.3 – Ratsdokument 9247/10
Drucksache 17/2408 Nr. A.18
Ratsdokument 9388/10
Drucksache 17/2408 Nr. A.26
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Ratsdokument 11620/10
Verbraucherschutz

– Unterrichtung durch die Bundesregierung


Ausschuss für Bildung, Forschung und
Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse der Technikfolgenabschätzung
Evaluation des Verbraucherinformationsgesetzes Drucksache 17/2994 Nr. A.56
– Drucksachen 17/1800, 17/2373 Nr. 1 – Ratsdokument 12614/10
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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