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Ernst Niekisch - Wikipedia
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Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in Berlin (West)) war ein deutscher
Politiker (USPD, SPD, ASP, SED, zuletzt parteilos) und politischer Schriftsteller. Er war einer der
führenden Köpfe des Nationalbolschewismus, der den Strasser-Flügel der NSDAP
beeinflusste. Niekisch wandte sich öffentlich gegen Adolf Hitler und organisierte als
„Nationalrevolutionär“ Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1937 wurde er verhaftet
und 1939 vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats und Tätigkeit für eine verbotene Partei zu
lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Nach Kriegsende trat er der SED bei, die er allerdings
nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 in der DDR zunehmend kritisierte, bis er 1955 aus ihr
austrat.
Leben
Kaiserreich
Ernst Niekisch war das erste von sechs Kindern des Feilenhauermeisters August Niekisch
(1858–1934) und dessen Ehefrau Maria, geb. Schnell (1867–1937).[1] Die Familie, zu der im
Laufe der nächsten Jahre fünf Töchter kamen, siedelte 1891 von Schlesien ins bayerisch-
schwäbische Nördlingen über. Der Vater hatte dort die kleine Werkstatt seines früheren
Lehrherren gekauft und machte sich selbstständig. In Nördlingen stieß die Familie auf eine
anti-preußische Stimmung, darunter und unter der bürgerlichen Borniertheit der
Nachbarskinder und Klassenkameraden litt Niekisch während seiner gesamten Schulzeit.
Er besuchte die Volks- und dann die Realschule und wechselte dann an die Nördlinger
Präparandenanstalt. Anschließend absolvierte er das Lehrerseminar in Altdorf bei Nürnberg
und war 1907 als Volksschullehrer in verschiedenen Dörfern der Nördlinger Umgebung
tätig.[2] 1908 leistete er Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger, danach siedelte er nach
Augsburg über, wo er als Lehrer arbeitete. Während des Ersten Weltkrieges versah er seinen
Kriegsdienst hinter den Frontlinien bei der Rekrutenausbildung. Noch während des Krieges,
1917, wurde er Mitglied der SPD.
Weimarer Republik
1918/19 war er Vorsitzender des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates in München. Er war
von 1919 bis 1922 Mitglied der USPD und Abgeordneter im Bayerischen Landtag, daneben
war er Stadtverordneter von Augsburg. Wegen seiner Beteiligung an der Münchner
Räterepublik wurde er wegen Beihilfe zum Hochverrat zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt,
die er vom 10. Februar 1920 bis 29. August 1921 in der Haftanstalt Niederschönenfeld
gemeinsam mit Ernst Toller und Erich Mühsam verbüßte.
Nach der 1922 erfolgten Vereinigung der USPD mit der SPD im Bayerischen Landtag war er
stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion. 1923 legte Niekisch sein Mandat nieder,
ging nach Berlin und wurde zum Sekretär des Deutschen Textilarbeiterverbandes gewählt.
Um einem Parteiausschluss zuvorzukommen, trat Niekisch am 22. Juli 1926 aus der SPD aus
und wurde Mitglied der Alten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (ASP). 1926 bis zu
ihrem Verbot in der Zeit des Nationalsozialismus (Dezember 1934) gab Niekisch die teilweise
von dem Grafiker und Maler A. Paul Weber illustrierte Zeitschrift Widerstand. Zeitschrift für
nationalrevolutionäre Politik heraus, in der unter anderem auch Ernst Jünger und dessen
Bruder Friedrich Georg Jünger sowie Gustav Sondermann publizierten. Die Zeitschrift
erschien im von seiner Frau Anna geleiteten Widerstandsverlag, der auch das pro-sowjetische
Periodikum Entscheidung, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Buch, herausgab.
Außerdem war er zeitweise Redakteur der Tageszeitung Volksstaat der ASPD.[4] 1928 begann
seine Zusammenarbeit mit A. Paul Weber.
Beeinflusst wurde Niekisch unter anderem von dem Vordenker der Jungkonservativen Arthur
Moeller van den Bruck, der in seinem Werk Das Dritte Reich 1923 eine zukünftige Verbindung
von Sozialismus und Nationalismus propagierte und ein autoritäres Deutsches Reich ohne
Parteien anstrebte, das sich gegen die liberalen westlichen Staaten – insbesondere gegen die
Vereinigten Staaten – zur Sowjetunion hinwenden sollte. Auch Niekisch entwickelte das
Programm einer „nationalen Wiedergeburt Deutschlands“ und setzte sich für ein Europa unter
deutscher Führung mit starker Verbindung nach Osten bis nach China ein. Seine Abgrenzung
von der westlichen parlamentarischen Demokratie beschrieb er 1926 mit den Worten:
„Westlerisch sein heißt: mit der Phrase der Freiheit auf Betrug
ausgehen, mit dem Bekenntnis zur Menschlichkeit Verbrechen in
die Wege leiten, mit dem Aufruf zur Völkerversöhnung Völker
zugrunde richten.“[5]
„Wo Wirtschaft ist, da ist der Jude obenauf; […] Der Jude liebt es,
seine existenzielle Gebundenheit an die ökonomische Ratio zu
verschleiern; er möchte das gute Verhältnis, das er zu dieser
unterhält, dem Zufall in die Schuhe schieben.“[9]
„Drittes Reich“
1932 veröffentlichte er die Schrift Hitler – ein deutsches Verhängnis, worin er vor einer
Machtübernahme durch Adolf Hitler, den er für „zu legalistisch“ hielt,[11] warnte. Ab 1933
versuchte er, sozialistische Gruppen und nationalkonservative Widerstandsgruppen
zusammenzuführen. Nach der Machtübergabe unterhielt er weiterhin Kontakte u. a. mit Ernst
Jünger, was diesem während einer Hausdurchsuchung durch die Geheime Staatspolizei
(Gestapo) zum Vorwurf gemacht wurde. Niekisch setzte seine Tätigkeit gegen die
Nationalsozialisten fort, 1934 wurde die Zeitschrift Der Widerstand verboten. Anfang 1937
traf er sich in Paris konspirativ mit dem aus Deutschland emigrierten Nationalbolschewisten
Karl Otto Paetel und mit dem damaligen Angestellten in der Nachrichtenabteilung des
Reichsluftfahrtministeriums Harro Schulze-Boysen, der sich nach einer
nationalrevolutionären Phase vor 1933 für prosowjetische Organisationen engagiert hatte.
Am 22. März 1937 wurde Ernst Niekisch wegen konspirativer Tätigkeit von der Gestapo
verhaftet und am 10. Januar 1939 vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats und Fortführung
einer politischen Partei zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Er wurde im Zuchthaus
Brandenburg inhaftiert, wo er schwere körperliche Schäden erlitt. Er erblindete nahezu.
Nach 1945
Nach seiner Befreiung durch die Rote Armee ging Niekisch zurück nach Berlin. Er wohnte von
1945 bis zu seinem Tod im Bezirk Wilmersdorf (britischer Sektor, später West-Berlin).[12] Er
trat in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein und wurde 1946 Mitglied der SED
und der VVN. Er war Mitglied des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung
Deutschlands und war aktiv in dessen Gründungsphase beteiligt.[13] Auf dem Ersten
Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin im Oktober 1947 sprach Niekisch vor einem
kritischen Publikum. Seine Einschätzungen zu „Eliten“, zur Freiheits- und Planidee jedoch
brachten seiner Rede großen Beifall: „Freiheit hat jeder zu dem, was die Menschheit
erhöht.“[14] 1947/48 beteiligte er sich an interzonalen Debatten der Gesellschaft Imshausen
über die Neuordnung Deutschlands. 1948 wurde er Professor der Soziologie an der
Humboldt-Universität in Ost-Berlin, wo unter anderem Heinz Maus und Werner Maser seine
Assistenten waren. Ein Verehrer Niekischs war der rechts-intellektuelle Publizist Wolfgang
Venohr. Durch die Teilung der Stadt war Niekisch 1948 zu einem Grenzgänger im Raum Berlin
geworden.
Im Jahr 1949 wurde Niekisch als Mitglied des Volkskongresses Abgeordneter der ersten
Volkskammer der DDR. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes vom 17.
Juni 1953 legte er alle politischen Ämter nieder. Im Februar 1955 trat er aus der SED aus.
Mit seinem erstmals 1953 gestellten und vom Bezirksamt Wilmersdorf abgelehnten Antrag
auf Entschädigung scheiterte Niekisch nach einem achtjährigen Prozess vor dem
Bundesgerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht und der Europäischen Kommission für
Menschenrechte.
Rezeption
Bis in die Gegenwart verwenden die „Nationalen Sozialisten“ (auch „Autonome Nationalisten“)
Zitate aus nationalrevolutionären Schriftstücken von Ernst Niekisch in ihren Texten und auf
Transparenten.[16] Aber auch von Linken wurde er, der 1962 in die Fördergesellschaft des SDS
eingetreten war,[17] positiv rezipiert: Wolfgang Abendroth nannte ihn „furchtloser Streiter
gegen die Barbarei“, Jürgen Seifert charakterisierte das Niekisch-Denken als vom „Geist, der
die Rote Kapelle möglich machte“.[17]
Sebastian Haffner bezeichnete Niekisch 1980 als „letzten großen Preußen“ und den
„wirklichen Gegenspieler Hitlers“[18] und kommt zur Auffassung: „der wahre Theoretiker der
Weltrevolution, die heute im Gange ist, ist nicht Marx und nicht einmal Lenin. Es ist
Niekisch.“[19]
Michael Pittwald (2002) findet bereits in der Anfangszeit von Niekischs politischer Karriere
„einige der wichtigsten Elemente der nationalrevolutionären Ideologie Niekischs: völkisches
Denken, das sich in Niekischs Staats- und Sozialismusauffassungen manifestiert und von
ihm mit Begriffen wie ‚Volkstum‘, ‚völkischer Staat‘, ‚Schicksalsgemeinschaft‘,
‚Kriegssozialismus‘ oder auch ‚Arbeiterschaft‘ beschrieben wird“. Weiter nennt Pittwald als
zentrale Elemente den „Krieg als Vater deutscher Staatlichkeit bzw. Vermittler sowie
Einheitsstifter zwischen Staat, Herrschaft und Bevölkerung“, eine „Überhöhung des Staates“,
die „Vorliebe für das von Niekisch stets mit Deutschland gleichgesetzte Preußen“ und „die
Zuschreibung und Ausformulierung einer künftigen Rolle Deutschlands als der
(Hegemonial-)Macht“. Niekischs Ziel sei – nach Abrechnung mit inneren Feinden,
erfolgreichem Kampf gegen das „französische Europa“ (mit Russlands Hilfe), Errichtung
eines „deutsch beherrschten Mitteleuropas“ und Neuordnung des Ostraums – ein
„Endimperium“ gegen „Veramerikanisierung“ und „asiatisches Chaos“. Die Feindbilder der
„Widerstandsbewegung“ Niekischs seien das „römische“ Abendland, das Gleichheitsprinzip,
Liberalismus, Feminismus, städtisches statt ländliches Leben sowie die Juden gewesen.
Pittwald beschreibt zusätzlich Ferdinand Lassalle und Johann Gottlieb Fichte mit deren
Kombination des Nationalen und Sozialen als geistige Vordenker Niekischs.[20]
Wegen seiner geopolitischen Ostorientierung wird Niekisch von Alexander Geljewitsch Dugin
in die Nähe des Eurasismus gestellt.[21]
Schriften
Herausgaben
Literatur
Abgerufen von
„https://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Ernst_Niekisch&oldid=241645101“
Diese Seite wurde zuletzt am 28. Januar 2024
um 19:39 Uhr bearbeitet. •