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Alltagsdeutsch

Manuskript und Wortschatz

Bayrische Lebensart

In Bayern ticken die Uhren anders – und das nicht nur in der Politik, sondern
auch bei Essen und Vergnügen. Der Bayer ist stolz auf seine Lebensart, die im
Rest von Deutschland meist auf Unverständnis stößt.

Im Hofbräuhaus, Am Platzl 9, mitten in der Münchner Innenstadt, gehen nicht nur


Japaner, Amerikaner, Franzosen und Italiener aus und ein, sondern auch diejenigen,
die in Deutschland jenseits des sogenannten „Weißwurstäquators“ leben. Und
natürlich die Einheimischen selbst. Das Hofbräuhaus ist Bayerns berühmtestes
Wirtshaus. Bereits 1589 wurde es gegründet, weil Herzog Wilhelm der V. und sein
Gefolge so viel Bier tranken, dass es ihnen ratsam erschien, ein eigenes „Bräuhaus“ zu
haben. Im Hofbräuhaus bekommt man nicht nur „Schmankerln“, besondere bayrische
Leckerbissen. Man wird auch in die heimische Blasmusik und die heimischen Tänze
eingeführt. Was zur bayrischen Lebensart unbedingt noch dazugehört, sagt
Hofbräuhaus-Wirt Michael Sperger, einer der Chefs des Brauhauses:

„Selbstverständlich Bier, ohne Bier geht gar nix in Bayern. Bier prägt überhaupt die
ganze bayrische Mentalität. A bisserl gemütlicher wie die normalen Menschen, und
des is einfach vom Bier, des hat das Bier schon bewirkt, dass man da a bisserl
gemütlicher is und net so aufbrausend vielleicht; aber auch a bisserl – wie die oalten
Münchner – a bisserl grantig, erst amol obwarten, was da kommt; erst amol schaun,
was des alles is, und dann tut man erst amol sich öffnen.“

Gemeinsam Bier zu trinken, sorgt laut Michael Sperger für eine gemütliche
Atmosphäre: Wer dazu neigt, aufbrausend zu sein, schnell zornig zu werden, wird
etwas ruhiger. Und mancher – auch der eine oder andere oalte, alteingesessene,
einheimische Münchner, der grantig, schlecht gelaunt und mürrisch wirkt – wird etwas
fröhlicher, öffnet sich. Mittags strömen viele Münchnerinnen und Münchner zur
„Brotzeit“ ins Hofbräuhaus. Neben Brot, Käse und allerlei Würsten gehört dazu auch
ein in einem Glaskrug serviertes helles Bier, eine Moaß“. Die Maß, eine alte bayrische
Maßeinheit für Flüssigkeiten, entspricht einem Liter. Echte Bayern erkennt man daran,
dass sie nur mit einer Hand den schweren Bierkrug halten und daraus trinken. Nicht-
Bayern brauchen dazu meist beide Hände. Spätestens kurz vor Mittag sollte auch sie
gegessen worden sein: die „Weißwurscht“. Sie muss eben ganz frisch sein. Was
empfiehlt Michael Sperger denn nach zwölf Uhr zum Essen?

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Alltagsdeutsch
Manuskript und Wortschatz

„Heut’ is es a typisch bayrisch des Kesselfleisch. Wir ham schlachtfrische Innereien von
Schweinen, die heut’ früha noch gelebt ham, die san mittags schon auf der
Speisekarten. Also ’n Kopf und Innereien, des is also a Herz und a Zunge und a
Schweinekopf. Des is also a großes bayrisches Schmankerl: a schlachtfrisches
Kesselfleisch.“

Das Besondere des „Kesselfleischs“ ist, dass es aus verschiedenen Teilen eines
Schweines, das am selben Tag geschlachtet wurde, frisch zubereitet wird. Diese Teile,
etwa Innereien wie Herz und Zunge, sind schlachtfrisch. Alle Teile werden in einen
Kessel, einen großen Topf, mit leicht siedendem Wasser getan und gewürzt. Im
Hofbräuhaus sorgen mehr als 1oo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein
ausgeklügelter Bedienungsservice und in der Küche ein modernes Fließbandsystem
dafür, dass maximal bis zu 3500 Gäste auch satt werden. Beim Bierzapfen bringt ein
spezielles Pumpensystem eine Zeitersparnis, weil automatisch genau eine Maß in den
Krug gefüllt wird. Beliebt ist die „Schwemme“, das eigentliche Wirtshaus – unter
anderem auch wegen der traditionellen Blasmusiker und der „Schuhplattler“.

„Schuhplatteln“ ist ein typischer Männertanz, bei dem man sich mit flachen Händen
rhythmisch, möglichst schnell und ohne sich zu verheddern auf die Krachledernen,
die Lederhosen, die Füße und die Beine klatscht. Die „Krachledernen“ gehören zu dem,
was man in München nicht nur bei offiziellen Empfängen der bayrischen
Landesregierung anzieht, oder wenn man in die Oper, ins Theater oder aufs
Oktoberfest geht: der Tracht. Und Tracht wird in München noch original
maßgeschneidert – bei Ursula Fröhmer in ihrer Schneiderei „Tracht und Heimat“. Sie
weiß auch, wie die traditionelle Lederhose beschaffen sein muss:

„Eine echte richtige Lederhose is Hirschleder, kann auch Rehleder sein, kann auch
noch Gamsleder sein, sämisch gegerbt, das ist eine besondere Gerbart, wo das Leder
also dann sehr dauerhaft in der Farbe ist und auch sehr weich is. Und dann sollte die
Lederhose, wenn sie bestickt is, handbestickt sein.“

Eine original bayrische Lederhose sollte aus Leder gefertigt sein, das von einem
Hirsch, einem Reh oder einer Gämse – bairisch: Gams – stammen kann. Das ist eine Art
Bergziege, die in den Alpen zu Hause ist. Was wichtig ist für den Charakter der Hose,
ist die Art und Weise, wie das Leder verarbeitet, gegerbt, wurde. Bei der
Sämischgerbung steht am Ende ein weiches Leder, weil tierische Fettsubstanzen wie

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Manuskript und Wortschatz

Fischtran verwendet werden. Das Leder wird mit dem Fett eingerieben, gefaltet und
ein paar Stunden gestampft und gestoßen. Anschließend folgen noch weitere
Arbeitsschritte, bis es fertig verarbeitet ist. Viele Lederhosen tragen eine Stickerei. Wer
sich hier auskennt, kann an der Stickerei sogar erkennen, wie alt die Hose ist und aus
welcher Gegend derjenige kommt, der sie trägt. Gerne verwendet werden Motive wie
Weinlaub, Eichen und Hirsche. Weltweit am bekanntesten ist, so Ursula Fröhmer, die
Miesbacher Tracht:

„Bei der Frau also ’n schwarzen Mieder mit ’nem silbernem Gschnür, hat also dann
vorne Münzen und paar andere Sachen noch hängen, und hat dann blaues oder rotes
Gwand, also ’n Rock und ’n Spenzer an, und ’n Hut auf und weiße Einsätze mit Spitzen.
Also die Tracht, glaub ich, braucht man niemand beschreiben, denn die kennt wirklich
jeder – von China bis Australien, also überall kennt man’s eigentlich.“

Die Frau trägt ein sehr enges, schwarzes Oberteil, ein Mieder. Daran ist eine
Verschnürung angebracht, ein Gschnür. Es besteht aus einer Kette, an der unter
anderem, möglichst antike, Münzen hängen. Der restliche Teil der Kleidung, des
Gwands, besteht aus einem Rock und einem Spenzer, einer kurzen, eng anliegenden
Jacke. Um die Schultern liegt ein Kragen mit Spitze, kunstvollen, dekorativen
Elementen, die aus Garn oder Stoff bestehen. Und wer so richtig fesch ausschauen
möchte, der zieht eine „Kropfkette“ an. Das ist eine silberne Schmuckschließe, die
vorne am Hals sitzt. Ein wichtiges Teil – nicht nur der Miesbacher Männertracht – ist
der Gamsbart auf dem Hut. Gamsbärte sind die Barthaare der Gämsen. Besonders
wertvoll sind sie, wenn sie sehr dicht und lang sind.

Aber ob eine Nicht-Bayerin, ein Nicht-Bayer nun Lederhosen anzieht oder Kropfketten,
eine Maß Bier einarmig stemmen kann und sich die richtigen bayrischen Schmankerl
aussucht, an einem wird man sie beziehungsweise ihn immer erkennen: an dem „r“.
Denn das leicht rollende bayrische „r“ ist angeboren – und nur eine echte Bayerin, ein
echter Bayer kann es auch aussprechen.

Autorin: Sigrun Stroncik

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Manuskript und Wortschatz

Glossar

anders ticken – umgangssprachlich für: anders sein

Weißwurstäquator (m.; nur Singular) – scherzhaft für: eine gedachte Linie zwischen
Bayern und dem übrigen Deutschland, die etwa entlang der Donau verläuft

Gefolge, - (n.) – die mehrköpfige Begleitung einer hochgestellten Persönlichkeit

siedend – so, dass etwas eine Temperatur um die 100 Grad Celsius hat

ausgeklügelt – sehr gut überlegt; klug konstruiert

(sich) verheddern – hängen bleiben, sich verwickeln

Tracht, -en (f.)/ Trachtenmode (f., nur im Singular) – die traditionelle Kleidung, die
Menschen in einer bestimmten Region tragen, z. B. zu Festen

maßgeschneidert – so, dass etwas jemanden genau passt (z.B. Kleidung)

stampfen – etwas fest drücken

fesch – schick und flott

Kropf, Kröpfe (m.) – eine dicke Stelle am Hals, die jemand bekommt, wenn die
Schilddrüse zu groß wird, ein Organ, das Hormone produziert

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