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Alltagsdeutsch

Manuskript und Wortschatz

Warum Schäfer vom Aussterben bedroht sind

Wer in Deutschland Schafe hält, tut das meist aus Leidenschaft. Geld verdient
man damit kaum mehr. Daher entscheiden sich nur noch wenige junge Leute für
den traditionsreichen Beruf.

Die Schäferei hat eine jahrtausendealte Tradition, denn Schafe sind wunderbare
Nutztiere, die Wolle, Fleisch und Milch liefern und Grünflächen abweiden. Es gibt
Wanderschäferinnen und -schäfer, die mit ihren Tieren auf verschiedene, frei
zugängliche Weidegebiete ziehen, und Schäferinnen und Schäfer, die ihre Tiere vom
Frühjahr bis zum Herbst auf der Weide haben und im Winter im Stall unterbringen. Zu
letzteren gehört Frank Hanel aus der Nähe von Berlin. Schon früh stand für ihn fest,
dass er diesen Beruf ausüben möchte. Seit 1983 ist er mit großer Leidenschaft dabei.
Für ihn ist die schönste, aber auch arbeitsreichste Zeit, wenn die weiblichen Schafe
lammen. Das ist in der Regel in den Wintermonaten oder im Frühjahr der Fall. Dann
sind die Nächte ziemlich kurz, erzählt Frank Hanel:

„Ich bin seit viere hier im Stall. Und dann fällt das Frühstück erst mal aus, weil, man
muss warten, bis die Damen fertig sind. Aber [es ist] auch sehr schön, wenn so ein
Lämmchen zur Welt kommt, und [es] zeigt uns so diesen Kreislauf der Natur.“

Die Muttertiere, die Hanel liebevoll seine ‚Damen‘ nennt, nehmen keine Rücksicht auf
die Nachtruhe. Seit vier Uhr in der Früh steht der Schäfer zusammen mit einer
Auszubildenden und seinem Sohn im Stall und kümmert sich um die Neugeborenen.
Nur zum Lammen sind die Tiere im Stall, sonst stehen sie draußen auf den Wiesen. Ein
großer weißer Pyrenäen-Berghund folgt Frank Hanel auf dem Fuße. Er hat ein halbes
Dutzend davon. Denn diese sogenannten Herdenschutzhunde verteidigen die Tiere
vor Raubtieren wie Wölfen – anders als Hütehunde, die eine Herde zusammenhalten
sollen. Wölfe stellen in Deutschland inzwischen eine große Gefahr dar, weil sie sich
immer mehr ausbreiten.

Obwohl Frank Hanel gut auf seine Schafe aufpasst und seinen Beruf mit Leidenschaft
ausübt: Finanziell lohnt sich die Schäferei für ihn kaum noch. Anders als früher. Bis
2005 gab es nämlich die sogenannte Weidetierprämie, die Schäferinnen und Schäfern
einen festen Betrag von fast 40 Euro pro Mutterschaf und Jahr garantierte. Dann

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wurde sie abgeschafft. Damals hatte Frank Hanel 1900 Mutterschafe, zwei angestellte
Schäfer – und rund 30.000 Euro Lohnkosten im Jahr:

„Und die hat damals diese Mutterschaft primär abgefedert. Du wusstest: 1000 Schafe,
dann kannst du einen Angestellten bezahlen. Und wenn für dich was übrigbleiben soll,
müssen es ein paar Schafe mehr sein.“

Je mehr weibliche Schafe, desto größer die Herde. Je größer die Herde, desto mehr
Einkommen für den Schäfer. So konnte vorrangig, primär, ein großer Teil der
Lohnkosten gedeckt werden. Sie wurden abgefedert, abgemildert. Doch seit vielen
Jahren schon können Hanel und seine Kolleginnen und Kollegen von der Schäferei
kaum mehr leben. Ihr Einkommen liegt mit weniger als sechs Euro pro Stunde noch
unter dem offiziellen Mindestlohn. Denn deutsche Schafprodukte wie Wolle und
Fleisch sind auf dem internationalen Markt nicht konkurrenzfähig. Diese Erfahrung hat
auch Schäfer Florian Preis aus Duisburg gemacht:

„Ich mit meinen Merino-Landschafen, da die qualitativ schon die beste Wolle haben,
kriege ich noch über einen Euro pro Kilo. Und Kollegen von mir, die andere Rassen
haben, die kriegen halt noch deutlich weniger Geld pro Kilo. Das ist dann 45 bis 65
Cent pro Kilo. Die verkaufen die schon teilweise gar nicht mehr, sondern die
verbrennen die oder schmeißen die direkt auf die Deponie.“

Merinowolle ist eine hochwertige, sehr feine, wärmende Wollart, die auf der Haut
getragen werden kann, weil sie nicht kratzt. Doch die Preise sind immer weiter in den
Keller gerauscht, vor allem wegen der Konkurrenz aus Staaten wie China,
Neuseeland, Australien oder südamerikanischen Ländern. So kommen beispielsweise
auf 220 Tonnen neuseeländischer Wolle pro Monat hierzulande nur zehn Tonnen
deutsche Wolle pro Jahr, also nicht mal eine Tonne monatlich. Der Rohstoff aus Down
Under als Massenprodukt ist reiner, etwas weicher, effizienter produziert und deshalb
sogar billiger. Manche der deutschen Schafhalterinnen und -halter vernichten die
Wolle dann lieber, werfen sie sogar in den Müll, schmeißen sie auf die Deponie. Frank
Preis’ Wolle geht nach China, wird dort weiterverarbeitet und landet in Bettwaren,
Polsterungen, Teppichen oder in der Textilindustrie. Produkte, die zum Teil wieder auf
den europäischen Markt kommen und dort teuer verkauft werden.

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Ähnlich wie bei der Wolle sieht es mit deutschem Lammfleisch aus. Auch hier wird eher
Tiefkühlware aus Ländern wie Neuseeland und Australien importiert, die dann – je
nach Qualität – für teures Geld im Supermarkt zu kaufen ist. Frank Hanel ist verärgert:

„Und ich bekomme hier 2,50 [Euro] – wenn ich Glück hab – und im Sommer sogar bloß
1,90 [Euro] fürs Kilo lebend. Da läuft wirklich was schief. Und da könnte man als
Verbraucher versuchen, den Markt zu fragen: ‚Hey Freunde, ich möchte frisches,
deutsches Lammfleisch.“
Für Frank Hanel läuft hier einiges schief, funktioniert nicht so, wie es sein sollte. Statt in
der Region erzeugtes, frisches Lammfleisch zu einem fairen, angemessenen Preis zu
kaufen, setzen Verbraucherinnen und Verbraucher lieber auf Importware, die von
weit herkommt. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Zumal Lammfleisch hierzulande laut
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung immer öfter auf den Tisch
kommt.

Während die Einnahmen mit den Jahren sanken, stiegen die Kosten immer weiter – für
die Pacht von Weideland, Diesel für Traktoren, die Berufsgenossenschaft, dazu die
teuren Herdenschutzhunde gegen die Wölfe. Auch die Agrarsubventionen der EU für
Grünlandpflege bringen nicht genug ein: Schafe eignen sich nämlich sehr gut zur
Pflege fast aller Grünflächen, weil sie Gräser und Kräuter fressen, die Flächen so
natürlich ‚mähen‘. Auch werden sie schon seit Jahrhunderten auf Hochwasserdeichen
eingesetzt, weil sie den Boden mit ihren Hufen verdichten, wegen ihres im Vergleich
zu anderen Weidetieren aber geringeren Körpergewichts nicht beschädigen. Doch
trotz der Vielseitigkeit des Nutztiers reicht das Geld hinten und vorn nicht. Und so
verwundert es nicht, dass Schäfer Florian Preis desillusioniert feststellt:

„Ich kenn wenig junge Leute, die es noch machen wollen. Ich mache es mit
Leidenschaft weiterhin. Ich mache es auch solang’, bis ich den hier machen muss. Es
ist mit Sicherheit ein aussterbender Beruf, weil, es hat keiner Bock drauf. Man verdient
halt nicht viel dabei, man wird halt nicht reich dabei.“

Die Altersstruktur der noch aktiven Berufsschäferinnen und Berufsschäfer gibt ihm
recht. Sie liegt im Schnitt bei über 50 Jahren. Nachwuchs ist nicht in Sicht, er hat keinen
Bock, keine Lust auf diesen Beruf. Im Jahr 2016 gab es noch 18.000 Schafhalter und 989
Berufsschäfer – mit weiter sinkender Tendenz. Die Zahl der Wanderschäfer liegt unter
30. Somit besteht die Gefahr, dass ein sehr alter Beruf in Deutschland ausstirbt. Florian

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Manuskript und Wortschatz

Preis jedenfalls will durchhalten bis zu seinem Tod, bis er – wie er mit einer
entsprechenden Geste deutlich macht – den hier machen muss. Und vielleicht setzt bis
dahin ja ein Umdenken in der Gesellschaft ein – hin zu mehr Nachhaltigkeit und
Naturverbundenheit. Dann hätte bestimmt auch der Beruf des Schäfers wieder eine
Zukunft.

Autorin: Beatrice Warken*

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* Mit Beiträgen von Vanja Budde und Tim Schauenberg zum Thema

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Glossar

etwas ab|weiden – das Gras oder andere Pflanzen auf einer bestimmten Fläche
fressen

lammen – (bei Schafen, Ziegen) ein Jungtier gebären

Mindestlohn, - löhne (m.) – der Lohn, den jemand laut Gesetz mindestens für seine
Arbeit bekommen muss

etwas kratzt (jemanden) – hier: etwas reizt wegen seiner Beschaffenheit die Haut
und ist unangenehm (für jemanden)

in den Keller rauschen – hier redensartlich für: schnell und tief sinken

Down Under (aus dem Englischen) – umgangssprachlich für: Australien und


Neuseeland

landen – hier: enden; ankommen

Polsterung, -en (f.) – der weiche Teil von Möbeln wie Sesseln oder Sofas; das Material,
mit dem die weichen Teile von Möbeln gefüllt sind

auf etwas setzen – hier: sich auf etwas Bestimmtes verlassen; überzeugt davon sein,
dass etwas Bestimmtes richtig ist

Pacht, -en (f., meist Singular) – eine befristete, vertraglich vereinbarte Nutzung von
etwas (z. B. Land) gegen ein Entgelt

Berufsgenossenschaft, -en (f.) – eine Art Versicherung, die Menschen unterstützt, die
einen bestimmten Beruf haben

Deich, -e (m.) – ein hohes, langes Bauwerk aus Erde und Gras, das das Land vor
Hochwasser und Sturmfluten schützt

ver|dichten – hier: dafür sorgen, dass der Boden fest wird

desillusioniert – so, dass jemand entmutigt, enttäuscht ist

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