Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Composable Enterprise Agil Flexibel Innovativ Gamechanger Für Organisation Digitalisierung Und Unternehmenssoftware 4th Edition August Wilhelm Scheer
Composable Enterprise Agil Flexibel Innovativ Gamechanger Für Organisation Digitalisierung Und Unternehmenssoftware 4th Edition August Wilhelm Scheer
https://ebookstep.com/product/nachhaltigkeit-und-digitalisierung-
nachhaltiges-und-verantwortungsvolles-business-im-kontext-von-
digitalisierung-und-innovation-katrin-marquardt/
https://ebookstep.com/product/vollstandige-logarithmische-und-
trigonometrische-tafeln-zum-theil-in-neuer-anordnung-durch-
zusatze-erweitert-und-mit-ausfuhrlichen-erlauterungen-versehen-e-
f-august/
https://ebookstep.com/product/digitale-
dienstleistungsinnovationen-smart-services-agil-und-
kundenorientiert-entwickeln-1st-edition-volker-stich/
https://ebookstep.com/product/digitalisierung-im-filialsystem-
prozesse-und-module-fur-umsetzung-und-fuhrung-german-edition-
riedl/
Über Jahrespunkte und Feste insbesondere das
Weihnachtsfest Wilhelm Hartke
https://ebookstep.com/product/uber-jahrespunkte-und-feste-
insbesondere-das-weihnachtsfest-wilhelm-hartke/
https://ebookstep.com/product/tourismus-und-authentizitat-zur-
gesellschaftlichen-organisation-von-auseralltaglichkeit-robert-
schafer/
https://ebookstep.com/product/daten-und-informationsqualitat-die-
grundlage-der-digitalisierung-knut-hildebrand/
https://ebookstep.com/product/digitalisierung-und-
industrie-4-0-eine-relativierung-1st-edition-peter-mertens/
August-Wilhelm Scheer
Composable
Enterprise: agil,
flexibel, innovativ
Gamechanger für Organisation,
Digitalisierung und
Unternehmenssoftware
4. Auflage
Composable Enterprise:
agil, flexibel, innovativ
August-Wilhelm Scheer
Composable Enterprise:
agil, flexibel, innovativ
Gamechanger für Organisation,
Digitalisierung und
Unternehmenssoftware
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillier-
te bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Springer Vieweg
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020, 2023
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich
vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar-
beitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem
Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung
unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen
Zeicheninhabers sind zu beachten.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem
Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder
die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler
oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in
veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist
ein Teil von Springer Nature.
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Professor Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer gilt als einer der prägendsten Wis-
senschaftler und Unternehmer der deutschen Informationstechnik. Die von ihm entwickel-
te ARIS-Methode zur Enterprise Architecture und Prozessmanagement wird international
eingesetzt.
Seine Bücher zur Wirtschaftsinformatik haben das Fach wesentlich beeinflusst und sind
in mehrere Sprachen übersetzt. Schwerpunkt seiner Forschung liegt im Informations-, In-
novations- und Geschäftsprozessmanagement. Darüber hinaus ist Scheer Herausgeber der
Fachzeitschrift IM+io.
Er ist Gründer mehrerer erfolgreicher IT-Unternehmen. Seit 2010 ist Scheer Allein-
gesellschafter der IDS Scheer Holding GmbH. Zu dem Unternehmensnetzwerk mit über
1300 Mitarbeitern gehören als größere Unternehmen die Scheer GmbH, die imc AG und
die Scheer PAS GmbH. Weiter gehören zu dem Unternehmensnetzwerk Beteiligungen an
mehreren Start-Up-Unternehmen. 2014 hat Scheer das gemeinnützige Forschungsinsti-
tut „August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH (AWSi)“
gegründet.
Scheer war über einen Zeitraum von 20 Jahren Mitglied des Aufsichtsrats der SAP AG.
Von 2007 bis 2011 war er Präsident des Branchenverbandes Bitkom e. V. Als Unternehmer
und Protagonist der IT arbeitete und arbeitet er als unabhängiger Politikberater.
Scheer ist zudem versierter und angesehener Jazz-Baritonsaxophonist und fördert Kul-
tur und Wissenschaft mithilfe der von ihm 2001 gegründeten August-Wilhelm Scheer
Stiftung für Wissenschaft und Kunst. Er ist Inhaber zahlreicher nationaler und interna-
tionaler Ehrungen. 2017 wurde Scheer in die Hall of Fame der Deutschen Forschung
aufgenommen.
Seine Interpretation des Composable Enterprises ist seine Vision zur Gestaltung zu-
kunftsorientierter digitalisierter Unternehmen, die er auch in den eigenen Unternehmen
umsetzt.
V
Vorwort zur vierten, wesentlich neu gestalteten
Auflage
Die vierte Auflage dieses Buches hat mit „Composable Enterprise“ einen neuen Titel
gegenüber dem vorherigen Titel „Unternehmung 4.0“ bekommen. Der Zusatz 4.0 als
Kennzeichen einer Digitalisierung wird inzwischen in vielen Zusammenhängen inflatio-
när verwendet. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Erst wenn die Digitalisierung einen
konkreten Nutzen nachweist, ist sie erfolgreich. Dazu wird in dieser Auflage dem von der
Gartner Group eingeführten Begriff „Composable Enterprise“ als Ziel einer Digitalisie-
rungsstrategie gefolgt.
Ein Composable Enterprise ist fähig, durch Anwendung moderner Informationstechnik
sein Businessmodell und seine Businessprozesse aus Komponenten flexibel zusammenzu-
setzen und dabei doch ganzheitlich zu arbeiten.
Dadurch kann das Unternehmen schnell auf neue Situationen reagieren, neue Prozesse
einführen oder austauschen. So kann es neue Produkte, Dienstleistungen, Partner, Liefe-
ranten usw. schnell wechseln oder neue hinzufügen. Composable ist damit der Gegensatz
zu monolithisch, das für starr und unflexibel steht.
Der Begriff reicht von der Strategieebene bis zur Implementierung der Anwendungs-
systeme. Das Unternehmen ist deshalb von der Geschäftsstrategie bis zu den IT-Systemen
„composable“.
Das Konzept „Composable Enterprise“ spricht wichtige Anforderungen an ein moder-
nes Unternehmen an und ist deshalb ein wertvoller Kompass für dessen IT-Entwicklung.
Die zentralen Komponenten der Informationssysteme des Composable Enterprise sind
die Plattformarchitektur mit der losen Kopplung von kleinen, weitgehend autonomen Soft-
wareeinheiten, den „Packed Business Capabilities“. Diese Komponenten bilden gegenüber
zentralen, monolithischen und starr integrierten Systemen ein neues Paradigma für die
Anwendungsentwicklung.
Grundgedanken einer Plattformarchitektur werden an praxisnahen Systemen und An-
wendungsfällen erörtert. Als Demonstrationsobjekt wird mit der „Application Composi-
tion Platform“ ein konkretes System verwendet, das in über 10 Jahren von den Unterneh-
men des Verfassers entwickelt wurde und von dem Unternehmen Scheer PAS weiterent-
wickelt und vertrieben wird. Die über 10-jährige Entwicklungszeit bestätigt die Erfahrung
des Verfassers, dass wirksame Innovationen eine lange Forschungs- und Vorlaufzeit benö-
tigen.
VII
VIII Vorwort zur vierten, wesentlich neu gestalteten Auflage
Danksagungen
Für intensive Gespräche zu dem Thema der Application Composition Platform danke ich
Dr. Wolfram Jost, Chief Technology Officer (CTO) der IDS Scheer Holding GmbH. Er hat
die Architektur der Plattform maßgeblich gestaltet und ist für mich immer ein wichtiger
und kritischer Diskussionspartner.
Robert Mueller, CEO der Scheer PAS GmbH und Jürgen Rombach, Geschäftsführer
der Scheer PAS GmbH sowie allen an der PAS-Entwicklung beteiligten Softwareinge-
nieuren danke ich für Anregungen zu diesem Buch, die sie mir durch ihre Arbeit gegeben
haben.
Weiter danke ich für Unterstützungen Dr. Dirk Werth, Tobias Greff, Dr. Christian Linn,
Dr. Andreas Kronz und Dr. Olaf Homburg.
Mario Baldi, CEO der Scheer GmbH, Christian Wachter, CEO der imc AG, Sven
Becker, Vorstand der imc AG sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unter-
nehmungen des Scheer Netzwerkes danke ich für ihren großen Einsatz, Ideen erfolgreich
in Produkte und am Markt umzusetzen.
Besonders danke ich Sandra Ehlen für das sorgfältige Anfertigen der Abbildungen, die
Organisation des Verlagsprozesses und ihre freundliche Geduld. Lucie Bender und Vera
Chase danke ich für das umsichtige Korrekturlesen.
Bei Rosemarie Clarner, Geschäftsführerin der Scheer Unternehmen, bedanke ich mich
für die 25-jährige vertrauensvolle Zusammenarbeit und für die stetige Motivation.
Im Jahre 1983 wurde der PC von dem TIME MAGAZIN als „Maschine des Jahres“
ausgezeichnet, obwohl normalerweise nur wichtige Menschen benannt werden. Damit
wollte man bereits zu diesem Zeitpunkt die hohe Bedeutung des Computers herausstellen.
Seitdem sind rund 20 Moore’sche Zyklen über die Entwicklung der Informationstechnik
hinweggegangen, bei denen sich die Leistungsfähigkeit jeweils verdoppelte. Damit hat
sich die Leistungsfähigkeit um das Millionenfache erhöht. Deshalb schlägt nun Quantität
in Qualität um; es entstehen Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Produkte und Prozes-
se, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. Schlagwörter wie „Industrie 4.0“ oder
„Software is eating the world“ (Andreessen 2011) sowie die Diskussion der künstlichen
Intelligenz belegen die hohen Erwartungen, die von Wissenschaftlern und praktischen Ex-
perten an die Veränderungskraft der Digitalisierung gerichtet sind. Viele Veränderungen
im privaten Bereich sind durch Social Media und Internet offensichtlich.
Abb. 1 Time Magazin 1983 und Moore’sche Zyklen. (Quelle: Time, USA LLC. 1983)
XI
XII Aus dem Vorwort zur ersten bis dritten Auflage
In diesem Buch werden digitale Veränderungen von Unternehmen behandelt. Sie zei-
gen den tiefgreifenden Einfluss auf Strukturen und sollen den Leser zur Entwicklung von
Konzepten seines eigenen Unternehmens inspirieren.
Im Vordergrund steht die Betrachtung und Bewertung organisatorischer Auswirkungen
der Digitalisierung, sodass technische Aspekte nur so tief behandelt werden, wie es zum
Verständnis des Veränderungsprozesses erforderlich ist.
Literatur Einleitung
Andreessen, M. (20. August 2011). Why Software is eating the world. The Wall Street
Journal.
Inhaltsverzeichnis
XIII
XIV Inhaltsverzeichnis
5 Development . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5.1 Entwicklung der Packed Business Capabilities . . . . . . . . . . . . . . . 86
5.2 Modellgestütztes Customizing von Standard-Unternehmenssoftware . 89
5.3 Projektsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5.4 Schulung der Anwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhaltsverzeichnis XV
Zusammenfassung
Der Begriff Composable Enterprise ist von der Analysten-Organisation Gartner einge-
führt worden und bezeichnet ein Unternehmen, das aufgrund seiner Informationssysteme
agil, flexibel und innovationsfreudig ist. Die Komponenten des Informationssystems wie
Packaged Business Capabilities und Application Composition Platform, die den Para-
digmenwechsel von einer monolithischen Architektur zu der des Composable Enterprise
begründen, werden vorgestellt. Gleichzeitig wird das Erfordernis für eine dezentral-pro-
zessorientierte Organisationsstruktur begründet.
In dem grafischen Lifecycle-Konzept der Abb. 1.11 wird der Innovationsprozess des
Composable Enterprises mit den Stufen Innovationsidee, Prozessdefinition, Plattform-
architektur, Entwicklung, Ausführung, Prozessanalyse bis zur Prozessverbesserung be-
schrieben. Die 8 Stufen bilden den Leitgedanken für die Kap. 1–8 des Buches. Die gra-
fische Darstellung des Lifecycles der Abb. 1.11 mit seiner Beschreibung sind gleichzeitig
eine Kurzfassung dieser 8 Kapitel. Die in der Abb. 1.11 verwendeten grafischen Dar-
stellungen der einzelnen Phasen werden bei den Zusammenfassungen jedes Kapitels zur
Orientierung wiederholt.
Die Abb. 1.1 demonstriert die erste Phase des Lifecycles als Unternehmensanalyse und
gleichzeitig den Inhalt dieses ersten Kapitels.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 1
A.-W. Scheer, Composable Enterprise: agil, flexibel, innovativ,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42483-1_1
2 1 Das Composable Enterprise als neues Paradigma
Die Situation der Informationsverarbeitung vieler Unternehmen kann durch folgende Ei-
genschaften beschrieben werden:
Bei der „Unternehmung 4.0“ war in den vorhergehenden Auflagen die generelle Be-
tonung der Digitalisierung das Leitmotiv. Es wurden Einflüsse der Informationstechnik
auf neue Businessmodelle untersucht und neue Techniken zur Automatisierung von Ge-
schäftsprozessen vorgestellt. Dabei fehlte aber eine klare Definition des Zielsystems, auf
die alle Maßnahmen ausgerichtet werden sollen. Denn Digitalisierung ist kein Selbst-
zweck, sondern muss ihren Nutzen nachweisen. Ein Digitalisierungsprojekt, bei dem le-
diglich die bestehenden Geschäftsprozesse eins zu eins in eine neue Technologie überführt
werden, z. B. von einem Inhouse-System in eine Public Cloud Lösung, endet sonst häufig
mit dem Ergebnis: „Projekt in Time, in Budget, in Quality beendet – aber NO Benefit für
das Unternehmen“.
Dieser Situation muss sich die Digitalisierungsstrategie im Unternehmen stellen und
ihren Beitrag zur Unternehmenstransformation leisten. Dieses erfordert einen Paradig-
menwechsel für Ziel, Architektur und Anwendungen der Informationsverarbeitung.
Der Nutzen der Digitalisierung liegt nicht allein in dem Einsatz einer neuen Technik, son-
dern in organisatorischen Änderungen und neuen Geschäftsmodellen, die von ihr inspiriert
werden und sich in Kostenreduktionen und/oder Umsatzsteigungen auszahlen.
Diese monetären Effekte beruhen auf Eigenschaften, die ein Unternehmen befähigen,
schnell neue Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen.
Solche Eigenschaften sind vor allem Agilität, Flexibilität sowie Innovationsfreude. Ihre
Forderung ist nicht neu, sie bekommt aber eine zunehmende Bedeutung im Wettbewerb.
Agilität bezeichnet die Eigenschaft, rege zu sein, neue Wege frei von Angst zu be-
schreiten und ist damit eine aktive, suchende Vorgehensweise, die auch als Discovery
bezeichnet wird.
Flexibilität bezeichnet eine anpassungsfähige, also schnell adaptierende und reagieren-
de Haltung. Beide Eigenschaften sind erforderlich, um innovationsfreudig zu sein, also
offen und suchend nach neuen Ideen zu sein und sie umsetzen zu wollen.
Dazu muss das Unternehmen wenig komplex sein, da Komplexität den genannten
Eigenschaften entgegensteht. Monolithische Unternehmen mit einer Vielzahl ineinander
verwobenen Untergliederungen und Prozessen unter zentraler Führung sind komplex. De-
zentrale, unternehmerisch und autonom arbeitende modulare Einheiten mit lockerer Kopp-
lung unterstützen dagegen die Anforderungen an Einfachheit.
Der häufig verwendete Begriff Resilienz, der die Widerstandsfähigkeit gegenüber An-
griffen von außen zum Ausdruck bringt, fügt eine weitere Eigenschaft hinzu.
4 1 Das Composable Enterprise als neues Paradigma
Das Konzept des „Composable Enterprise“ erfüllt die Forderungen nach Agilität, Flexibi-
lität, Innovationsfreudigkeit, geringer Komplexität und Resilienz. Die Eigenschaft „com-
posable“ wird am besten mit „zusammensetzbar“, „montierbar“, „kombinierbar“ oder
eben „komponierbar“ übersetzt.
Der Begriff Composable Enterprise wurde zuerst von der internationalen Analystenor-
ganisation Gartner um das Jahr 2020 in mehreren Forschungsbeiträgen eingebracht und
erfreut sich zunehmender Beachtung auch in der Praxis.
Die Gartner Group definiert das Composable Enterprise wie folgt:
„A composable enterprise is an organization that can innovate and adapt to changing business
needs through the assembly and combination of packaged business capabilities“ (Gartner,
2021).
Zur Umsetzung der Eigenschaften des Composable Enterprise dienen vornehmlich seine
Informationssysteme. Deren Architektur wird von Gartner durch die Abb. 1.2 beschrieben.
Innerhalb des großen Fünfecks wird die technische Architektur für die Anwendungs-
inhalte angedeutet. Die Begriffe am Außenkranz bezeichnen die Sicht des Anwenders auf
die Systeme und die Unternehmensumgebung.
Obwohl die Abbildung auf den ersten Blick einfach aussieht, enthält sie wesentliche
Aussagen, die Anregungen für die weiteren Ausführungen dieses Buches geben. Dieses
gilt insbesondere für die Einführung der Definition von Packaged Business Capabilities
(PBCs) und die Betonung der Bedeutung einer Plattformarchitektur.
Das Business Ecosystem beschreibt das wirtschaftliche Umfeld des Unternehmens, das
Anforderungen an Flexibilität und Agilität bestimmt, aber auch Chancen für Innovationen
des Unternehmens bietet.
Mit der umfassenden Ausgestaltung der Grundidee des Composable Enterprise wird in
dieser Arbeit aber gegenüber dem Gartner Modell ein eigenständiger Weg verfolgt.
Zur Entwicklung der PBCs und ihre Komposition zu Anwendungen wird das Prozess-
wissen benötigt, das in Form von Prozessmodellen bereitgestellt wird.
Das Composable Enterprise ist ein Konzept, mit dem die Aufgaben einer Unternehmung
möglichst einfach und schnell auf allen Ebenen aus modularen unternehmerischen Fä-
higkeiten zusammengesetzt, verbessert und innoviert werden können. Es reicht von der
Unternehmensstrategie über die organisatorische Gestaltung bis zur IT-Ausführung.
Bei den Darstellungen von Gartner werden lediglich allgemeine Ratschläge zur Ent-
wicklung einer Unternehmensstrategie für das Composable Enterprise gegeben. Von die-
sen wird in einem großen inhaltlichen Schritt zur Informationstechnik gewechselt. Hin-
weise auf konkrete organisatorische Strukturen des composable Unternehmens fehlen aber
bisher.
Ein neues Informationssystem nutzt aber wenig, wenn es nicht zur Organisationsstruk-
tur passt. Bei einer starren Unternehmensstruktur gehen dann Agilität und Flexibilität des
Informationssystems durch Diskussionen über Zuständigkeiten und Abstimmungsrunden
zwischen verschiedenen Organisationseinheiten verloren. Deshalb ist der Zusammenhang
zur zweckmäßigen organisatorischen Strukturierung des Composable Enterprise wesent-
lich. Kenntnisse über organisatorische Kriterien und Begründungen liefern dem für die
Informationssysteme zuständigen CIO (Chief Information Officer) in strategischen Dis-
kussionen überzeugende Argumente für das Composable Enterprise.
1.2.1 Organisationsstrukturen
Bei einer funktionalen Organisation richtet sich die Aufbauorganisation an den Kern-
funktionen des Unternehmens aus, bei einer objektbezogenen Organisation nach den zu
bearbeitenden Produktgruppen und Absatzgebieten.
Bei einer zentralen Organisation sind alle gestalterischen Funktionen und Entschei-
dungskompetenzen in einer Zentrale gebündelt. Nachgelagerte Einheiten haben lediglich
ausführende Tätigkeiten. Bei einer dezentralen Organisation besitzen produkt- oder ge-
bietsbezogene Einheiten eigene Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse.
Bei einer Ressourcenoptimierung richtet sich der Prozessfluss nach den Ressourcen,
um diese hoch auszulasten. Bei einer Prozessorganisation werden die Ressourcen nach
den Arbeitsschritten des Prozesses angeordnet, um kurze Durchlaufzeiten zu erzielen.
In Abb. 1.4 ist eine funktionale, zentrale und ressourcenoptimierende Organisations-
struktur abgebildet.
Alle Aufträge durchlaufen die zentralen Funktionen Vertrieb, Logistik (Einkauf), Leis-
tungserstellung (Produktion) bis zur buchhalterischen Erfassung und Zahlung des Kunden.
Dieser häufig verwendete anschauliche Prozess vom Auftragseingang bis zur Bezahlung
wird auch als „order to cash“ bezeichnet. Zwei Abläufe für Ausprägungen zweier Pro-
duktgruppen A und B sind in Abb. 1.4 angegeben und zeigen gegenseitige Blockaden und
Rücksprünge.
Die funktionalen Einheiten sind für alle Produktgruppen zuständig. Dadurch können
ihre Kapazitäten bei Auftragsschwankungen einzelner Produktgruppen gut ausbalanciert
werden. Da alle Funktionen zentral angesiedelt sind, ist sichergestellt, dass alle gleichar-
tigen Tätigkeiten bei den Produktgruppen auch in gleicher Weise durchgeführt werden.
Diese Organisation besitzt allerdings erhebliche Nachteile. Wegen der gegenseitigen
Behinderung heterogener Aufträge bei den gleichen Ressourcen entstehen lange Durch-
laufzeiten. Sie erfordert wegen der Komplexität einen hohen Koordinationsbedarf. Sie
Abb. 1.5 Objektbezogene, dezentrale (modulare) Prozessorganisation mit zentralen Diensten zur
Ressourcenoptimierung
Die Module bilden damit weitgehende autarke „Unternehmen“ innerhalb des Gesamt-
unternehmens mit eigener Leitungsinstanz des Process Owners.
Die Einheiten können schneller auf Kundenwünsche eingehen oder neue Produktinno-
vationen an den Markt bringen. Gleichzeitig sind die jeweiligen Prozesse auf homogenere
Objekte bezogen und damit gegenüber dem Gesamtprozess über alle Produktgruppen und
Gebiete hinweg wesentlich weniger komplex. Dieses Prinzip der Vereinfachung durch
Segmentierung wird auch in anderen Zusammenhängen in diesem Buch eine große Rolle
spielen.
Aus verhaltensökonomischen Erkenntnissen kommt hinzu, dass die Mitarbeiter wegen
der höheren Autonomie, ihrer stärkeren kommunikativen Einbeziehung und leichteren
Rückkopplung zu ihrem Arbeitsergebnis stärker motiviert sind. Sie identifizieren sich
mehr mit ihrer Arbeit, sehen ihren Sinn (purpose) und entfalten Einfallsreichtum und
Kreativität (Wildemann, 1998, S. 37 ff.).
Diese Argumente spielen im Zeichen des Fachkräftemangels und der geänderten Ar-
beitseinstellungen der Y-Z-Generationen eine große Rolle.
Mit dem Konzept „Zentrale Dienste“ werden in Abb. 1.5 für übergreifende Funktionen
die Ressourcenoptimierung durch Nutzung von Synergien bei gleichartigen Vorgängen
unterstützt. Dies bedeutet, dass zentral zur Verfügung gestellte Ressourcen von mehreren
modularen Einheiten genutzt werden können, ohne dass deren operative Prozesse darunter
leiden. Dieses gilt häufig für die mehr kaufmännischen Funktionen wie Einkauf, Perso-
nalabrechnung oder Rechnungswesen. Bei zentraler Bearbeitung kann z. B. die stärkere
Marktmacht bei Preisverhandlungen mit Lieferanten genutzt werden.
Diese Mischung zwischen dezentralen Modulen und zentralen Diensten kann sich
in einem Unternehmen auf unterschiedlichen Organisationsebenen wiederholen. Dieses
wird in Abb. 1.6 gezeigt. Zunächst ist die klassische Darstellung des Organigramms
der Abb. 1.5 durch eine Netzwerk-Darstellung aufgelöst. Hierdurch soll anstelle der
Hierarchie der Servicegedanke der Unternehmenszentrale stärker betont werden.
Um die Geschäftsführung mit den zentralen Diensten sind die dezentralen Module
gleichberechtigt angeordnet.
Die Module nutzen die zentralen Dienste und entwickeln eigene wertschöpfende Pro-
zesse.
Dieses Netzwerkmodell kann sich in den Organisationsmodulen fraktal, also selbst-
ähnlich, wiederholen. Innerhalb der Module werden dazu wiederum selbstständige Or-
ganisationseinheiten gebildet, die dem gleichen Prinzip von zentralen und dezentralen
Funktionen folgen, wie dieses in Abb. 1.6 gezeigt ist.
Dieses kann sich bis auf die Ebene des Arbeitsplatzes fortsetzen, indem jeweils zentra-
le Prozesse definiert sind, gleichzeitig aber auch individuelle Prozesse gestaltet werden.
Dieses Wiederholungsprinzip der Selbstähnlichkeit wurde von Warnecke bereits 1992 in
seinem Buch „Die fraktale Fabrik“ (Warnecke, 1992) herausgestellt und wird in dieser
Arbeit häufig angewendet. Obwohl es für die Fabrikorganisation entwickelt worden ist, ist
es eine gute Leitlinie für die Gestaltung des Composable Enterprise.
1.2 Organisationsstrukturen des „Composable Enterprise“ 11
Eine zentrale Funktionsstruktur wie die der Abb. 1.4 neigt zu einem zentralen monolithi-
schen Anwendungssystem für alle Produktgruppen und Marktgebiete. Änderungen in den
Anwendungssystemen müssen dann mit den Anforderungen aller Produktgruppen und
Gebiete abgestimmt werden. Dieses zeigt die Abhängigkeit zwischen Organisations- und
Anwendungsstruktur.
Die Organisationsstruktur des Composable Enterprise der Abb. 1.5, 1.6 mit stärkerer
Agilität und Flexibilität erfordert deshalb auch eine flexiblere Anwendungsarchitektur des
IT-Systems.
Die Beziehung zwischen den PBCs und einer IT-Anwendung ist vom Typ n:m (vgl.
Abb. 1.7). Das bedeutet, dass eine Anwendung aus mehreren PBCs bestehen kann und
eine PBC in mehreren Anwendungen verwendet werden kann. Eine Anwendung kann
einen gesamten organisatorischen (betriebswirtschaftlichen) Prozess abbilden oder in ei-
nem Prozess werden mehrere Anwendungen aufgerufen. Auch die Beziehung zwischen
Anwendung und Prozess ist somit vom Typ n:m.
Die Verbindung zwischen Anwendungen zu einem Prozess wird durch das betriebs-
wirtschaftliche Prozesswissen in Form von Prozessmodellen hergestellt. Alle technischen
Verbindungen zwischen PBCs und Anwendungen werden durch API- und/oder EDA-
Technologie über die Integrationsfunktion der Application Composition Platform reali-
siert. Diese Schnittstellen werden in dieser Arbeit durch die fett schwarz ausgezogenen
Kanten dargestellt.
Abb. 1.8 zeigt eine mögliche Anwendungsarchitektur für die Organisationsstruktur der
Abb. 1.5.
Die Anwendungen der Organisationseinheit „Zentrale Dienste“ werden durch die
Shared Services abgebildet, auf die alle Anwendungen der dezentralen Einheiten über die
Plattform zugreifen.
Alle Komponenten sind auf der gleichen Hierarchieebene angeordnet. Dies gilt im
Prinzip auch für die Shared Services, die in Abb. 1.7 lediglich zur Annäherung an die
Zentralen Dienste in das Zentrum gezeichnet sind.
Elementare Bausteine für Anwendungen sind die PBCs, die die fachlichen Inhalte für
eine Aufgabe als autonome Softwarekomponenten enthalten und sich durch API- und/oder
EDA-Schnittstellen nach außen öffnen. Sie stellen die Bausteine der Anwendungen dar
und sind über die Plattform verfügbar. Sie sind in Abb. 1.8 durch einen Fächer darge-
stellt.
Die PBCs werden entsprechend dem Bauplan eines Prozessmodells über die Compo-
sition-Funktion der Plattform zu Anwendungen zusammengefügt oder komponiert. Die-
ses ist lediglich bei der Anwendung 1 durch drei PBCs grafisch angedeutet. Auch wird
Abb. 1.8 Mögliche Anwendungsarchitektur des Composable Enterprise aus Abb. 1.4
1.2 Organisationsstrukturen des „Composable Enterprise“ 13
das User Interface als Grundlage der User Experience der Anwendung hinzugefügt. Die
Anwendungen sind entweder bereits Geschäftsprozesse oder werden organisatorisch zu
übergreifenden Geschäftsprozessen gebündelt. Die Bündelung wird in Abb. 1.8 durch ro-
te Umrandung dargestellt. Die Umrandung der Anwendungen mit den Shared Services zu
Prozessen wird aus Gründen der Übersichtlichkeit fortgelassen; sie ist in der Regel bei
allen Prozessen gegeben und wird über die Plattform technisch realisiert.
Für die Produktgruppe A ist in Abb. 1.8 lediglich ein einziger Geschäftsprozess defi-
niert, der aus zwei Anwendungen besteht, die aus den PBCs komponiert werden.
Für die Produktgruppe B sind zwei Geschäftsprozesse definiert, die jeweils aus einer
für die Gruppe B zentralen und einer individuellen Anwendung bestehen. Die zentra-
le Anwendung ist dann ein Shared Service für die Produktgruppe B. Damit wird die
Wiederholung von zentralen und dezentralen Funktionen bei den weiterführenden Orga-
nisationseinheiten herausgestellt.
Durch die API- und EDA-Schnittstellen und die Plattform können PBCs neu verbun-
den, ersetzt, entfernt oder eingefügt werden, so dass die dezentralen Prozesse schnell
geändert werden können. Die Schnittstellen werden durch die stark ausgezogenen schwar-
zen Umrandungen gekennzeichnet.
In Abb. 1.9 ist der Bezug zu dem Beispiel fortgelassen und die prinzipielle Anwen-
dungslogik dargestellt. Sie zeigt, wie sich die dezentralen Anwendungen um die zentralen
Shared Services ranken. Die Shared Services repräsentieren dabei häufig die klassischen
Funktionen von ERP-Systemen.
Die dezentralen Anwendungen werden durch die Plattform aus den PBCs und dem
Prozesswissen gebildet.
Eine dezentrale Anwendung kann auf der Ebene eines organisatorischen Prozessmo-
duls als quasi eigener „Shared Service“ zentral eingesetzt werden, um die sich dann
wiederum individuelle Anwendungen ranken. Damit wird der Ansatz einer fraktalen Or-
ganisation betont. Dieses ist in Abb. 1.9 angedeutet.
Die Sicht des Benutzers ist auf die Prozesse und Anwendungen gerichtet. Die PBCs
sind technische Bausteine und bleiben ihm verborgen. Die Infrastruktur wird durch die
Cloud dargestellt, die alle Elemente über die Plattform miteinander verbindet.
Auch externe Anwendungen von Kunden, Lieferanten oder Partnern verbinden sich
über das Internet mit dem Cloud-basierten Informationssystem und greifen über das API-
Management auf Daten und Dienste des Unternehmens zu.
Die Einführung des Composable Enterprise ist ein mehrjähriges Projekt, da bei ei-
nem bestehenden Unternehmen nicht gleichzeitig alle Systeme ersetzt werden können.
Trotzdem kann in neu eingeführten organisatorischen Prozesseinheiten oder in besonders
dringend nach mehr Flexibilität verlangenden Bereichen sofort begonnen werden. Hier ist
dann die Integrationsmöglichkeit zu bestehenden Altsystemen der Shared Services über
die Plattform besonders wichtig.
Der Gedankengang von einer agilen, flexiblen und innovationsoffenen Unternehmens-
struktur über die Application Composition Platform als Enabler bis zu der composable
Anwendungsarchitektur wird in Abb. 1.10 zusammengefasst.
Abb. 1.10 Verbindung von Organisation, Plattform und Anwendungen. (Quelle: Adobe Stock, Pure-
Solution)
1.3 Der Composable Enterprise Lifecycle 15
Nach der Begründung des Konzeptes des Composable Enterprise mit den Konsequenzen
für Organisation und Anwendungsarchitektur wird es mit einem Lifecycle-Konzept ver-
bunden. Das Lifecycle-Konzept reicht von der Entwicklung einer Innovationsidee über die
Prozessmodellierung und Enterprise Architecture, dem Aufbau der Application Compo-
sition Platform, der Anwendungsentwicklung, dem Operational Performance Support der
Ausführung, dem Process-Monitoring und -Mining bis zur kontinuierlichen Verbesserung
der Innovation und ihrer Anwendungssysteme.
Abb. 1.11 fasst die Phasen in einem Kreislaufbild zusammen.
Diesen Phasen wird nach Vorstellung des Lifecycles jeweils ein ausführliches Kapitel
gewidmet. Der Leser kann deshalb auch zunächst die Langfassungen der Kapitel lesen
und den Lifecycle-Abschnitt als Zusammenfassung nutzen.
In der ersten Phase der Entwicklung zum Composable Enterprise wird der Bedarf für
grundsätzliche Veränderungen in Organisation, Businessmodellen und Informationssyste-
men analysiert. Anlass dafür geben globale politische Entwicklungen, Marktveränderun-
gen oder neue Ideen für Innovationen. Einige Beispiele wurden am Anfang des Kapitels
genannt. Die Unternehmensanalyse zeigt dann die Notwendigkeit, flexibler, agiler und in-
novationsfreudiger zu werden, also mit der Transformation zum Composable Enterprise
durch Dezentralisierung, PBCs, Plattformarchitektur und komponierbarer Anwendungs-
architektur zu beginnen.
Abb. 1.11 Composable Enterprise Lifecycle. (Quelle: Adobe Stock, PureSolution und Gorodenkoff)
Das Composable Enterprise als neues Paradigma
1.3 Der Composable Enterprise Lifecycle 17
Bei dem Inside-out-Vorgehen stehen dagegen die eigenen Erfahrungen und die eige-
nen Ideen und Fähigkeiten des Unternehmens im Vordergrund. Sie werden kontinuierlich
ergänzt und verfeinert. Sprunghafte Innovationen sind dann eher selten.
Das Outside-in-Denken fällt schwer, da man gewohnt ist, seine eigenen Ideen in den
Vordergrund zu stellen.
Viele Innovationen beruhen aber auf Änderungen der Beziehungen des Unternehmens
zu Partnern außerhalb des Unternehmens, also zu den Kunden, Lieferanten, Bewerbern
und Geschäftspartnern. Ihre Erfahrung mit dem Unternehmen, seinen Produkten und
Dienstleistungen bestimmen den Geschäftserfolg. Es ergeben sich Fragen wie: welche
Erlebnisse hat ein Kunde mit dem Produkt, besitzt er die Aufnahmefähigkeit für neue
Funktionen, die ihm angeboten werden? Welche Erfahrungen macht ein Lieferant mit
dem Unternehmen? Wie wird das Unternehmen für Bewerber attraktiver? Kann die Part-
nerschaft zu externen Stakeholdern verstärkt werden?
Das sind Fragen, durch deren Beantwortung neue Businessmodelle entstehen, wie be-
kannte digitale Unternehmen, wie z. B. Airbnb oder Uber, zeigen.
Airbnb ist nicht von einer bestehenden Hotelkette gegründet worden, sondern von Stu-
denten, die überlegt haben, welche Dienste ein Kunde zum Übernachten in einer fremden
Stadt bei einem begrenzten Budget benötigt: ein sauberes Zimmer mit einem akzeptablen
Service und einer überprüfbaren Qualität. Dieses muss dann nicht ein professionelles Ho-
tel sein, sondern kann auch ein Zimmer bei einer vertrauenswürdigen Privatperson sein.
Ein einfacher digitaler Suchvorgang verbindet dann Bedarf und Angebot und die Bewer-
tung der Services bietet die Vertrauensbasis.
Aus solchen Überlegungen, unterstützt durch Kreativitätstechniken wie „Design
Thinking“, können neue Businessmodelle entwickelt werden (Meinel & Krohn, 2022).
Der „Composable“-Gedanke bezieht sich dann auf Fragen, aus welchen eigen- oder
fremderstellten Geschäftsmodulen sich die Leistung zusammensetzen soll. Das Montieren
neuer Produkte oder Dienstleistungen aus bereits am Markt befindlichen Komponenten
kann die Innovationsgeschwindigkeit gegenüber einer reinen Eigenentwicklung erheblich
steigern. Dieses setzt voraus, dass die IT-Systeme der Geschäftsprozesse die Eingliede-
rung von Geschäftsmodulen unterstützen.
Je mehr „composable“ deshalb ein Unternehmen bei der Informationsverarbeitung ist,
umso mehr kann es flexibel agieren, indem z. B. neue Partner, Geschäftsteile oder Prozesse
hinzugenommen oder ausgetauscht werden.
Ergebnis der Überlegungen ist dann ein Businessplan für eine Innovation.
Bei der Beschreibung der Geschäftsprozesse steht die Reihenfolge der Funktionen, in
der sie ausgeführt werden, im Vordergrund. Aber auch die verantwortlichen Organisati-
onseinheiten, die verwendeten Daten und erzeugten Leistungen oder Produkte gehören
zur Prozessbeschreibung. Zudem müssen die Prozesse in ein Rahmenkonzept, eine En-
terprise Architecture (EA), eingeordnet werden, um Überlappungen, Inkonsistenzen und
weiße Flecken der Prozesslandschaft zu entdecken.
Mit dem ARIS-Haus hat der Verfasser eine Enterprise Architecture (EA) und mit den
ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK) eine Modellierungssprache für Geschäftsprozes-
se entwickelt, die international eingesetzt werden. Die Sichten des ARIS-Hauses aus
Organisation, Daten, Funktionen, Produkten und Prozessen bilden den Rahmen der En-
terprise Architecture, um ein Unternehmen in seiner Struktur und seinen Tätigkeiten zu
beschreiben.
Für jede der Sichten werden halbformale grafische Beschreibungssprachen eingesetzt.
Auch die Methode BPMN zur Beschreibung von Geschäftsprozessen wird unterstützt.
EA-Konzepte werden bereits seit längerem angewendet, sind zwischenzeitlich etwas
zurückgenommen, werden aber aufgrund der Komplexität umfassender digitaler Transfor-
mationsprojekte wieder in den Fokus der unternehmensweiten Informationsverarbeitung
gerückt. Eine EA schafft Übersicht über vorhandene Systeme, beschreibt also die Aus-
gangssituation für eine digitale Transformation und verbindet sie mit dem Zielbild.
Es ist möglich, ein EA-Modell weitgehend aus generierten oder von Beratungsunter-
nehmen und Softwareanbietern bezogenen Prozessmodellen automatisch zu füllen, sodass
sein Erstellungs- und Pflegeaufwand reduziert werden.
Prozessmodelle bilden Unternehmensabläufe digital ab und können deshalb als digitale
Zwillinge (Digital Twins) des Unternehmens bezeichnet werden. Mit ihnen werden z. B.
die Auswirkungen alternativer Prozesse simuliert. Die Prozessmodelle können durch digi-
tale bildhafte Darstellungen, wie sie für Produkte und Fabriken bereits gebräuchlich sind,
ergänzt werden. Dieses führt perspektivisch zu dem Ansatz Metaverse. Hiermit wird eine
digitale Parallelwelt bezeichnet, die zwar z. Zt. mehr für konsumnahe Anwendungen dis-
kutiert und entwickelt wird, aber auch für die Unternehmenswelt sinnvoll ist. Simulation,
Virtual Reality, Augmented Reality und Avatare von Menschen verbinden dann virtuelle
mit realer Welt.
Zur digitalen Umsetzung der Geschäftsprozesse des Composable Enterprise wird die Ap-
plication Composition Platform eingesetzt. Sie stellt Funktionen zur Prozessautomatisie-
rung, zur Integration, zur Entwicklung der PBCs und zu ihrer Komposition bereit.
Die Plattform ist die Entwicklungsumgebung des Entwicklers für die PBCs und die
Anwendungen. Eine PBC ist eine weitgehend autarke Programmeinheit, die auch als
Building Block, Modul oder Service bezeichnet werden kann. Die Autarkie bezieht sich
darauf, dass nur eine geringe Abhängigkeit zu Funktionen und Daten außerhalb der Ein-
1.3 Der Composable Enterprise Lifecycle 19
heit bestehen soll und eine eigene interne Datenverwaltung besteht. Dieses macht die
PBCs in ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit voneinander unabhängig.
Aus den PBCs werden die Anwendungen zusammengestellt (komponiert). Die Anwen-
dungen werden weiter zu Prozessen gebündelt.
Die Anwendungen und Prozesse sind die Schnittstellen für den Benutzer, wobei diesem
die darunterliegenden technischen Funktionen der Plattform und die PCBs verborgen sind.
Zur Definition der Geschäftsprozesse ist in der Plattform ein Modellierungstool als
Designer installiert.
Workflow-Funktionalität der Plattform unterstützt die Ausrichtung auf eine Geschäfts-
prozessorganisation.
Eine zentrale Funktion der Plattform ist die Integration und Montage der PBCs zu
Anwendungen und Geschäftsprozessen.
Die Integration der PBCs sowie die Integration externer Komponenten wird über APIs
und/oder Event-Schnittstellen realisiert.
Eine konsequente API-Strategie unterstützt auch die Zerlegung bestehender monolithi-
scher Systeme in Building Blocks. Hersteller eher monolithischer Unternehmenssoftware
wie SAP planen, ihre Systeme auf einer Business Technology Platform aufzusetzen, so
dass eine Verbindung zwischen der Landschaft aus Alt- bzw. ERP-Systemen mit dem
Composable-Ansatz hergestellt wird.
Zur Softwareentwicklung stellt die Application Composition Platform neben Program-
miersprachen (Professional Coding, auch als Pro-Code bezeichnet) eine Low-Code-Um-
gebung mit einem Durchgriff auf eine Standardprogrammiersprache bereit. Mit Low-Code
werden einfach zu erlernende grafische Beschreibungssprachen bezeichnet, aus denen
automatisch ausführbarer Code generiert wird. Hierzu werden auf der Application Com-
position Platform eine grafische und formularorientierte Beschreibungssprache (z. B. als
Ausschnitt einer Modellierungssprache wie EPK oder BPMN) bereitgestellt. Mit Low-
Code können Mitarbeiter aus Fachabteilungen User Interfaces für die Experience eines
Systems und einfache Anwendungen entwickeln. Damit wird das Problem des IT-Fach-
kräftemangels gemildert.
Mit der Funktion Composition werden PBCs zu Anwendungen und Anwendungen zu
Prozessen zusammengestellt.
Weiterhin gehören Funktionen zum Monitoring der auszuführenden Prozessinstanzen
und Process Mining zum Standard einer Application Composition Platform. Schnittstellen
zu übergreifenden Analysefunktionen und KI-Algorithmen unterstützen eine intelligente
Prozessautomatisierung. Die Plattform als Cloud-Lösung beschleunigt leichtere Imple-
mentierung, leichteres Management und Ressourcenskalierung einer Anwendung. Die
Clouddienste werden über das Internet oder mobil angeboten.
Die beschriebenen Funktionen einer Application Composition Platform sollten in in-
tegrierter Form bereitgestellt werden. Dadurch ist sichergestellt, dass die Entwickler alle
Funktionen in der gleichen Umgebung zur Verfügung haben. Geschäftsprozesse werden
dann in der gleichen Methodik beschrieben wie Integrationsprozesse oder Entwicklungs-
20 1 Das Composable Enterprise als neues Paradigma
prozesse von APIs. Dieses ist bei der „Scheer PAS Plattform“ des Unternehmens Scheer
PAS GmbH in Saarbrücken Leitlinie der Architektur.
Bei allen Schritten steht das Prinzip der Composability im Vordergrund; es muss also
gewährleistet sein, dass PBCs und damit Anwendungen bis Prozesse einfach hinzugefügt,
geändert oder entfernt werden können.
In einem Softwarecontainer werden alle von der Anwendung benötigten Hilfen wie
Betriebssystemfunktionen und Daten zur Verfügung gestellt. Damit ist die Anwendung
auf beliebiger Hardware ablauffähig und autark.
Mit den beschriebenen Fähigkeiten der Application Composition Platform können in
der nächsten Phase die konkreten Anwendungen entwickelt werden.
Die drei Objekte PBCs, Prozesse und Applications bilden zusammen mit der Platform,
der Cloud-Infrastruktur und der Verbindung zu der Außenwelt mit Kunden und Partnern
die Anwendungsarchitektur.
Bei größeren Projekten ist ein enges Projektmanagement wichtig, damit die geplante
Zeit, Qualität und das Budget nicht aus dem Ruder laufen. Negative Beispiele sind hier
zur Genüge bekannt.
Auch das Reskilling und Upskilling der späteren Benutzer ist entscheidend für den
Projekterfolg. Schon vor dem Betrieb eines Systems muss dafür gesorgt werden, dass die
künftigen Anwender in der Lage sind, die neuen Geschäftsprozesse und Systeme zu ver-
stehen, um sie richtig ausführen zu können. Wenn das nicht geschieht, können die Systeme
zwar technisch einsatzfähig sein, aber nicht effektiv genutzt werden. Zur Qualifizierung
der Mitarbeiter bieten sich digitale Lernhilfen an1 .
Die fertigen Building Blocks werden in einem Katalog zusammengestellt und veröf-
fentlicht. So wird Doppelentwicklungen vorgebeugt.
Das aus den Building Blocks orchestrierte Anwendungssystem steht dann dem Anwen-
der zur Prozessbearbeitung zur Verfügung.
Ein Containeransatz macht Building Blocks unabhängig von technischen Trägersyste-
men der IT.
1
Von der vom Verfasser gegründeten imc AG werden hierzu eine Lernplattform sowie digitale In-
halte und intelligente Entwicklungswerkzeuge für Inhalte angeboten.
22 1 Das Composable Enterprise als neues Paradigma
Aus den Prozessdaten der Logdateien können in Real-Time die Prozesszustände wie
Zeiten, zuständige Bearbeiter und Arbeitsergebnisse der einzelnen Prozessinstanzen er-
kannt werden. Mit diesem Monitoring können z. B. Abweichungen zu den geplanten Vor-
gaben erkannt werden.
Bei Zeitverzögerungen kann durch Algorithmen in Real-Time ein neuer Ablauf vorge-
schlagen werden, um den Zeitverzug aufzuholen. Der Algorithmus verhält sich dann wie
ein Navigationsinstrument eines Autos, das bei einer Straßensperrung für einen Fahrer
automatisch eine individuelle neue Streckenführung vorschlägt.
Bei auftretenden Problemen können während der Fallbearbeitung dem Bearbeiter Hil-
festellungen (Support) durch auf die Situation bezogene Informationen oder Schulungs-
unterlagen gegeben werden.
Sowohl aus den Anwendungs- als auch aus den Prozessdaten der Logdateien können wert-
volle Auswertungen generiert werden, die zunächst zu neuen Erkenntnissen (Insights)
führen, aber in der nächsten Phase auch zur Prozessverbesserung genutzt werden.
Zur automatischen Auswertung der Anwendungsdaten öffnet sich das Feld der „Analy-
tics“, das ein ganzes Bündel statistischer Verfahren bereithält. Besonders interessant sind
KI-Verfahren. Sie können Datenbestände automatisch nach in ihnen enthaltenen Mustern
analysieren und Ausreißer erkennen. Dieses wird z. B. erfolgreich zur Betrugserkennung,
Reisekostenprüfung und zu automatischen Marktanalysen eingesetzt.
Aus den Prozessdaten der Instanzen eines Zeitraums kann durch Algorithmen des
Process Minings das dazu passende reale Prozessmodell automatisch generiert werden
(Model Discovery). Das generierte Modell kann mit dem geplanten Prozessmodell vergli-
chen werden, um Abweichungen festzustellen (Model Comparison).
Das generierte Modell zeigt die in dem Zeitraum tatsächlich durchgeführten Prozess-
abläufe in komprimierter Form. Die Anzahl der dabei durchlaufenen Wege können durch
nachträgliches (simuliertes) Durchlaufen der realen Instanzen an dem Modell gezählt wer-
den, um Standardabläufe und Ausreißer zu erkennen.
Process Monitoring, Model Discovery und Model Comparison wurden bereits im Jahr
2000 mit dem Produkt ARIS-PPM (Process Performance Manager) der IDS Scheer AG
entwickelt und in den Markt eingeführt. Die Konzepte wurden inzwischen von einer breiten
Community aus Wissenschaft und Anwendern weiterentwickelt und erfahren seit dem Jahr
2010 auch durch neue Produkte wie Celonis und SIGNAVIO besondere Aufmerksamkeit.
Sowohl aus der Analyse von Anwendungsdaten als auch aus Prozessdaten können Anre-
gungen für Verbesserungen abgeleitet werden.
Literatur 23
Literatur
Gartner (2021). Future of applications: Delivering the composable enterprise ID: G00465932 (S.
3–4).
Gaughan, D., Natis, Y., Alvarez, G., & O’Neill, M. (2020). Future of applications: delivering the
composable enterprise.
Meinel, C., & Krohn, T. (2022). Design Thinking in der Bildung, Innovation kann man lernen.
Weinheim: Wiley.
Warnecke, H.-J. (1992). Die Fraktale Fabrik. Berlin-Heidelberg: Springer.
Wildemann, H. (1998). Die modulare Fabrik: Kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentie-
rung (5. Aufl.). München: TCW.
Wildemann, H. (2008). Modulare Unternehmensorganisation, Leitfaden zur Einführung föderalisti-
scher Organisationsprinzipien in Unternehmen (S. 2). München: TCW.
Weiterführende Literatur
Zusammenfassung
Es werden die Chancen für das „Composable Enterprise“ durch seine Innovationsfreu-
digkeit behandelt und damit das Konzept in den Gesamtzusammenhang der Unterneh-
mensentwicklung gestellt. Dabei wird der „Outside-in“-Ansatz als besonderes Merkmal
erfolgreicher Innovationen herausgestellt und die Eigenschaften eines Geschäftsmodells
gekennzeichnet. Auf die Gefahren des Innovator’s Dilemma, zu lange an bewährten erfolg-
reichen Konzepten festzuhalten, wird hingewiesen. Um den Gedankenfluss des Lifecycle-
Konzeptes nicht zu stören, werden die Ausführungen zur Innovation zunächst knapp gehal-
ten. Wegen der Bedeutung der Innovation für das Composable Enterprise wird das Thema
in Kap. 9 mit der Diskussion wichtiger Innovationstreiber weitergeführt.
Die Abb. 2.1 stellt den Zusammenhang zu dem Lifecycle-Modell der Abb. 1.11 her.
Abb. 2.1 Innovationen führen zu neuen Businessmodellen. (Quelle: Adobe Stock, PureSolution)
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 25
A.-W. Scheer, Composable Enterprise: agil, flexibel, innovativ,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42483-1_2
26 2 Innovationsfreude als Merkmal des Composable Enterprise
2.2 Geschäftsmodellinnovationen
Besonders wirksame Innovationen beziehen sich auf das Geschäftsmodell eines Unter-
nehmens, das auch zu neuen Geschäftsprozessen führt.
Unter einem Geschäftsmodell wird vereinfacht die Art und Weise verstanden, wie ein
Unternehmen sein Geld verdient. Dazu gehört z. B. ein Erlös-Modell, das beschreibt, wer
die Erlöse für ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt. Diese auf den ersten Blick
einfache Frage ist in der digitalen Welt bereits komplizierter. Beispielsweise bekommen
die Nutzer von sozialen Medien Leistungen des Providers quasi kostenlos, da der Anbieter
die Erlöse durch Werbeeinnahmen von Dritten erzielt. Hier wird somit über Bande gespielt
und dies macht die Frage der Erlöszuordnung komplizierter, als es auf den ersten Blick
scheint. Weitere Aspekte eines Geschäftsmodells sind die Beschreibung der benötigten
Ressourcen und die Angabe wichtiger Partner.
Eine differenzierte Beschreibung weiterer Komponenten findet sich in (Osterwalder &
Pigneur, 2011). Dort werden insgesamt 9 Bausteine für ein Geschäftsmodell beschrieben.
Diese werden nachfolgend aufgeführt und ein Kurzkommentar mit Bezug zur Digitalisie-
rung hinzugefügt:
(1) Kundensegmente
Bei der Digitalisierung ist eine Grundfrage, ob das Unternehmen den B2B-, den B2C- oder
den B2B2C-Markt bedienen will. Generell besteht ein starker Trend zur Unterstützung des
Endkunden.
(3) Verkaufskanäle
Bei der Digitalisierung besteht die Forderung nach Omni-Channel-Funktionalität, bei de-
nen alle Kanäle wie stationärer Vertrieb, Telefon-, Computer-, Internet-, Callcenter- und
Mobil-Verbindungen integriert sind.
(4) Kundenbeziehungen
Diese werden in der digitalen Welt durch die Nutzung sozialer Medien intensiviert.
(5) Einnahmequellen
Diese betreffen die bereits angesprochenen komplexen Erlösmodelle von Plattformunter-
nehmen.
(6) Schlüsselressourcen
Bei exponentiell wachsenden digitalen Unternehmen werden Ressourcen so gering wie
möglich gehalten. Insbesondere sollen keine zeit- und kapitalintensiven materiellen Res-
28 2 Innovationsfreude als Merkmal des Composable Enterprise
sourcen in Form von Anlagen oder Gebäuden erstellt oder ein großer Mitarbeiterstamm
aufgebaut werden, da dieses die Wachstumsgeschwindigkeit beeinträchtigen würde.
(7) Schlüsselaktivitäten
Diese beschreiben die Kernprozesse des Geschäftsmodells und definieren damit auch den
Ressourcenbedarf.
(8) Schlüsselpartnerschaften
Hier gilt es, in der digitalen Welt viele Aktivitäten auszulagern (Outsourcing), um das
Wachstum zu beschleunigen. Gleichzeitig kann durch Partnerschaften die Wertschöp-
fungskette zum Kunden erweitert werden.
(9) Kostenstruktur
Die Digitalisierung führt durch den Ersatz von Materie durch Information zu tendenziell
geringeren Kosten als die analoge Welt. Dieses ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil bei
der Einführung digitaler Produkte.
Die Beschreibung von Osterwalder und Pigneur ist praxiserprobt und vermittelt gute Ein-
sichten in die Struktur von Geschäftsmodellen. Ihre Elemente werden deshalb im Weiteren
häufig angesprochen.
Typisch für die Digitalisierung ist die Entwicklung disruptiver Geschäftsmodelle. Ein
disruptives Geschäftsmodell bezeichnet den Fall, dass ein gegebenes Produkt oder eine
gegebene Dienstleistung durch die Digitalisierung völlig neu definiert wird, bestehende
Anbieter ihre wirtschaftlichen und technischen Kompetenzen verlieren und neue Anbieter
auftreten, die die bisher erfolgreichen bedrängen. In Abb. 2.2 ist dies am Beispiel des
Prozesses des Fotografierens zu sehen. In der analogen Welt benötigte man früher eine
Kamera und einen Film. Man konnte dann ein Motiv fotografieren, musste allerdings mit
der Entwicklung des Films so lange warten, bis dieser vollständig abgelichtet worden
war. Dann musste der Film zum Entwickeln in ein Fotogeschäft gebracht werden, wobei
Wartezeiten entstanden. Nach Erhalt der Abzüge wurden diese in ein Album geklebt. Bei
benötigten weiteren Abzügen – etwa zum Versand an Freunde – mussten diese erneut von
einem Fotogeschäft angefertigt und anschließend per Post versendet werden.
Dieser Prozess ist heute in sich zusammengefallen. Bei einem Smartphone ist das Foto-
grafieren lediglich eine von vielen Funktionen. Sie ist quasi ständig verfügbar und Bilder
können sofort angesehen, gespeichert und per Knopfdruck in alle Welt versendet werden.
Diese disruptive Innovation hat zu weitreichenden Veränderungen des Marktes geführt.
Das Weltunternehmen Kodak, mit zigtausend Mitarbeitern, musste im Jahr 2012 Konkurs
anmelden. Das Internetunternehmen Instagram zur Nachbearbeitung und zum Teilen di-
gitaler Fotos und Videos wurde hingegen im gleichen Zeitraum für rund eine Milliarde
US-Dollar an das Unternehmen Facebook verkauft. Dabei betrieben weniger als 20 Mit-
arbeiter den Online-Dienst. Eine besonders bittere Pointe ist dabei, dass das Unternehmen
Kodak im Besitz der Patente für die digitale Fotografie war, diese aber nicht erfolgreich
verwerten konnte. Hier wurde es Opfer des Innovator’s Dilemma Effektes.
Abb. 2.3 zeigt weitere Beispiele für digitale oder stark digital unterstützte Geschäfts-
modelle, die klassische analoge Produkte bedrängen.
Nur flexibel aufgestellte Unternehmen wie das Composable Enterprise können diesen
Wettbewerb bestehen.
Literatur
Christensen, C. M. (1997). The innovator’s dilemma: When new technologies cause great firms to
fail. Boston: Harvard Business School Press.
Osterwalder, A., & Pigneur, Y. (2011). Business Model Generation: Ein Handbuch für Visionäre,
Spielveränderer und Herausforderer. Frankfurt am Main: Campus.
Von der Process- und Enterprise-Architecture zum
digitalen Unternehmenszwilling im Metaverse 3
Zusammenfassung
Die Nutzung von Innovationspotenzialen für neue Geschäftsideen erfordert die Kenntnis
der bestehenden Ausgangssituation, also der bestehenden Geschäftsmodelle und -prozes-
se. Nur dann können schnell Änderungen oder Erweiterungen angefügt werden.
Dieser Schritt trifft in vielen Unternehmen auf eine häufig über Jahrzehnte gewachse-
ne Prozess- und IT-Landschaft aus heterogener Hard- und Software ohne ausreichende
Dokumentation.
Diese Landschaft muss gegebenenfalls soweit nachdokumentiert werden, dass die
Schnittstellen zwischen Alt- und Neusystemen definiert werden können. Nur so kann
die Transformation gelingen und Voraussetzung für ein composable Enterprise sein.
Methoden wie ARIS-EPK und BPMN werden dazu vorgestellt und an einem Beispiel
demonstriert.
Die Erweiterung der Prozessmodellierung führt zur Beschreibung der gesamten Un-
ternehmenszusammenhänge in einer Unternehmensarchitektur (Enterprise Architecture).
Dazu wird das ARIS-Haus als Rahmenkonzept herausgestellt und Wege zur automatischen
Erstellung und Pflege einer EA gezeigt.
Technologien wie digitale Zwillinge und die virtuellen Welten des Metaverse eröffnen
dazu fantasievolle Perspektiven.
Ausführungen, die sehr speziell sind oder sich auf konkrete Systeme beziehen, sind
durch Kursivschrift kenntlich gemacht. Der mehr an einem Überblick interessierte Leser
kann diese Teile überspringen, ohne den inhaltlichen Leitfaden zu verlieren.
Die Abb. 3.1 stellt den Zusammenhang zum Lifecycle der Abb. 1.11 her.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 31
A.-W. Scheer, Composable Enterprise: agil, flexibel, innovativ,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42483-1_3
32 3 Von der Process- und Enterprise-Architecture zum digitalen Unternehmenszwilling
Abb. 3.1 Process Model; Enterprise Architecture. (Quelle: Adobe Stock, PureSolution und Goro-
denkoff)
3.1 Geschäftsprozessmodellierung
Ein Geschäftsprozess ist eine Folge von Funktionen zur Erzeugung eines Mehrwertes
für eine Organisation und seine Kunden. Typische Beispiele sind die Kundenauftrags-
abwicklung (order to cash) oder die Produktentwicklung. Die Prozessorganisation, also
die Gestaltung von Geschäftsprozessen von ihren Startereignissen bis zu ihren Abschlüs-
sen, als „end to end“ bezeichnet, hat seit Anfang der 1990er Jahre den Erfolg des IT-
Einsatzes in Unternehmen begründet und das bis dahin bestehende IT-Paradoxon gelöst
(Solow, 1988). Dieses besagte, dass in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den
USA entgegen der Erwartung eine negative Korrelation zwischen den Aufwänden für IT
und der Produktivitätsentwicklung beobachtet wurde.
Der Grund dafür war nach Meinung des Verfassers, dass die bestehende funktionale
Organisation beim Einsatz der IT nicht angepasst wurde. Es wurden zwar einzelne Funk-
tionen unterstützt oder sogar automatisiert, aber es entstanden hohe Kosten für die häufig
manuelle Datenübertragung zwischen den Funktionen, redundante Datenhaltungen und
Doppelarbeiten durch das Nebeneinander von digitalen Funktionen und der bestehenden
Papierorganisation.
Erst die ganzheitliche Unterstützung der Prozesse durch integrierte Datenbanken und
darauf aufbauende ERP-Systeme ermöglichten die Verschlankung der Prozesse, die Zu-
sammenführung verschiedener Tätigkeiten an den Arbeitsplätzen sowie die Verringerung
von Datenübertragungen und haben inzwischen dramatische Produktivitätssteigerungen
erzeugt.
Bei der Digitalisierungsstrategie des Composable Enterprise dürfen deshalb keine halb-
herzigen Entscheidungen getroffen werden, sondern konsequent Geschäftsmodell, Ge-
schäftsprozesse, Organisation und Anwendungssysteme aufeinander ausgerichtet werden.
Bereits in den 1980er Jahren wurden „bottom up“ bei der Implementierung von IT-
Systemen die Vorteile der Organisation ganzheitlicher Prozesse erkannt. Dabei war der
Begriff Prozess noch nicht gebräuchlich und er wurde z. B. als Vorgangskette bezeichnet
(Scheer, 1984). Dazu wurden konkrete Methoden zur Modellierung von Geschäftsprozes-
Another random document with
no related content on Scribd:
Fig. 125.—elevation of house.