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Jahrbuch für Geschichte Band 25

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Jahrbuch für Geschichte Band 29

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Jahrbuch für Geschichte Band 36

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Jahrbuch für Geschichte Band 24

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Jahrbuch für Geschichte Band 28

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Ammianus Marcellinus Römische Geschichte Teil 3 Buch 22


25

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Geschichte der abendländischen Philosophie Band I


Antike 3 Auflage Anthony Kenny Manfred Weltecke

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Geschichte der abendländischen Philosophie Band II


Mittelalter 3 Auflage Anthony Kenny Manfred Weltecke

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Geschichte der abendländischen Philosophie Band IV


Moderne 3 Auflage Anthony Kenny Manfred Weltecke

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JAHRBUCH FÜR GESCHICHTE
A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N
DER DDR
ZENTRALINSTITUT FÜR GESCHICHTE

JAHRBUCH FÜR GESCHICHTE

Redaktionskollegium:
Horst Bartel, Rolf Badstübner, Lothar Berthold,
Ernst Engelberg, Heinz Heitzer, Fritz Klein,
Dieter Lange, Adolf Laube, Walter Nimtz,
Wolfgang Rüge, Heinrich Scheel,
Hans Schleier, Wolfgang Schröder

Redaktion:
Wolfgang Schröder (Verantwortlicher Redakteur),
Gunther Hildebrandt (Stellv.),
Dietrich Eichholtz, Jutta Grimann,
Gerhard Keiderling, Klaus Mammach,
Hans Schleier
ISSN 0448-1526

JAHRBUCH 25
FÜR GESCHICHTE

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
1982
Hinweis für Bibliotheken und ständige Bezieher:
Band 24 des Jahrbuchs für Geschichte wurde von Wolfgang Rüge unter dem Titel
„Studien zur Politik des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende
bis zum zweiten Weltkrieg" herausgegeben.

Redaktionsschluß: 15. Januar 1981

Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - 1 0 8 6 Berlin, Leipziger Straße 3—4


© Akademie-Verlag Berlin 1982
Lizenznummer: 202 • 100/84/82
Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg
Bestellnummer 753 833 4 (2130/25) • L S V 0285
Printed in G D R
DDR 2 5 , - M
Inhalt

Johannes Irmscher Friedrich August Wolf als Vertreter aufklärerischen Geschichts-


denkens 7

Günter Mühlpfordt Völkergeschichte statt Fürstenhistorie. Schlözer als Begründer

der kritisch-ethnischen Geschichtsforschung 23

Hans-Peter Jaeck Marx' „Kreuznacher Exzerpte" 73

Horst Schlechte Derelementaren


der Assoziationsgedanke bei Karl Marx und in den Anfängen
Arbeiterbewegung 111

Manfred Weien Bürgerlicher Parlamentarismus und Arbeiterbewegung. Zur


Entwicklung der Parlaments- und Wahlkampftaktik der inter-
nationalen Arbeiterbewegung von der Herausbildung der
II. Internationale bis zu ihrem Züricher Kongreß 139

Eckhard Müller „Sozialismus und Landwirtschaft". Eduard David und der


Agrarrevisionismus 181

Matthias John Karl Liebknecht im „Roten Rathaus". Sein Wirken in ständigen


und zeitweiligen Ausschüssen sowie in Deputationen der Ber-
liner Stadtverordnetenversammlung 1901—1913 215

Guntolf Herzberg Historismus: Wort, Begriff, Problem und die philosophische


Begründung durch Wilhelm Dilthey 259

Hans Schleier Karl Schmückles Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen


deutschen Historismus 305

Konrad Irmschler Zur Genesis der theoretisch-methodologischen Konzepte von


Sozial-, Struktur- und Gesellschaftsgeschichte in der bürger-
lichen Historiographie der BRD 341

Autorenverzeichnis 377
Abkürzungen

BzG Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung


DZfPh Deutsche Zeitschrift für Philosophie
GdA Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1966
GG Geschichte und Gesellschaft, Göttingen
GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Stuttgart
HZ Historische Zeitschrift, München
IML/CPA Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Moskau,
Zentrales Parteiarchiv
IML/ZPA Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin,
Zentrales Parteiarchiv
JbfW Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte
JbGUdSSR Jahrbuch für Geschichte der UdSSR und der volksdemokratischen
Länder Europas
JbG Jahrbuch für Geschichte
JbGSLE Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas
MEW Marx/Engels, Werke, 1956 ff.
StAD Staatsarchiv Dresden
StAP Staatsarchiv Potsdam
SW Sowj etwissenschaf t
WZ Wissenschaftliche Zeitschrift
Z£G Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
ZStAM Zentrales Staatsarchiv, Merseburg
ZStAP Zentrales Staatsarchiv, Potsdam

Die Werke Lenins werden nach der 40bändigen Ausgabe des Dietz Verlages, 1956—1965,
zitiert.

Soweit nicht anders angegeben, ist der Erscheinungsort Berlin.


Johannes Irmscher

Friedrich August Wolf


als Vertreter aufklärerischen Geschichtsdenkens

Wenn wir, Franz Mehring folgend, die europäische Aufklärung nach ihrem sozia-
len Gehalt als die „Selbstverständigung der bürgerlichen Klassen über ihre
Lebensinteressen"1 bestimmen, so ergibt sich aus einer derartigen Selbstver-
ständigung, daß der Geschichte im wissenschaftlichen Denken jener Epoche eine
gewichtige Funktion zufiel. In der Tat hat die Aufklärung, wohin auch immer
ihre Wirkungen reichten, eine Blüte der Geschichtsschreibung heraufgeführt, ja
die moderne bürgerliche Geschichtsschreibung recht eigentlich begründet. Vor-
dem stand die Historie entweder im Dienste des Staatsrechts, als dessen Neben-
und Ergänzungsdisziplin sie angesehen wurde, 2 oder sie hatte als ausgesprochene
oder unausgesprochene Ancilla der Theologie, die Quellen unkritisch-antiquarisch
ausschreibend und ihre theoretischen Konzeptionen aus dem alttestamentlichen
Danielbuch, der neutestamentlichen Apokalypse oder Augustinus' „Gottesstaat"
schöpfend, das auf die biblische Uberlieferung gegründete Geschichtsbild zu ver-
festigen.
„Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik . . . Es ist also die
Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist,
die Wahrheit des Diesseits zu etablieren."3 In solchem Sinne war die Geschichts-
forschung der Aufklärung gekennzeichnet durch die kritische Frage nach den
Ursprüngen der positiven Uberlieferungen in Staat, Recht und Religion und
zugleich durch die Suche nach der Wahrheit des Diesseits. Die um ihre Emanzi-
pation ringende Bourgeoisie reflektierte in ihrer Geschichtsschreibung ihr eigenes
ökonomisches und politisches Prozedieren in einem Zeitalter, das durch immer
neue Entdeckungen und Erfindungen den menschlichen Gesichtskreis ungeheuer
erweitert hatte. Sie suchte nach Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Entwick-
lung und fand Deutungen und Erklärungen des historischen Geschehens in der
bewußten, planmäßigen und berechnenden Wechselwirkung individueller Kräfte.
Die Forderung nach historisch begründeten Normen, die aus den Ideen des
Naturrechts, der natürlichen Moral und der natürlichen Religion hergeleitet

1 Mehring, Franz, Die Lessing-Legende. Zur Geschichte und Kritik des preußischen
Despotismus und der klassischen Literatur, Berlin 1953, S. 415.
2 Schilfert, Gerhard, Deutschland von 1648 bis 1789 (Vom Westfälischen Frieden bis
zum Ausbruch der Französischen Revolution), Berlin 19622, S. 150 f.
3 Marx, Karl, Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: MEW, Bd. 1, S. 378 f.
8 Johannes lrmscher

werden sollten, ergab sich aus den angedeuteten Kriterien mit Notwendigkeit. 4
Angesichts der unmittelbar gegenwartsbezogenen Orientierung der Geschichts-
schreibung der Aufklärung spielte die Antike in ihr nicht die erste Rolle; sie
gewann jedoch Bedeutung für das neue welthistorische Konzept, welches auf
Überwindung des aus dem Mittelalter überkommenen und vom Althumanismus
nur wenig korrigierten Geschichtsbildes und auf eine Säkularisierung 5 der ge-
samten Geschichte mit Einschluß der biblischen und antiken tendierte.
Erheblich größeres Gewicht noch als für die Prägung des Geschichtsbildes hatte
die Antike in der Aufklärung f ü r die Gestaltung des politischen Ideals und
Menschenbildes sowie für die Entwicklung der entsprechenden pädagogischen
Leitbilder. Dabei werden für die einzelnen Völker bemerkenswerte Differen-
zierungen sichtbar. 6 Im Frankreich des 17. Jh. bestritt man in Anbetracht des
Wachstums der industriellen Produktivkräfte, für deren technologische Um-
setzung die Schriften des Altertums keine Handhaben mehr zu geben vermochten,
den kulturellen Primat der Antike. Entsprechend wurde in der über lange Zeit
geführten „Querelle des anciens et des modernes" das ästhetische „Vorurteil des
Altertums" profund kritisiert. Gleichzeitig aber avancierte, bei Montesquieu
zum Beispiel, die Respublica Romana libera, die römische Republik, zum In-
begriff gesellschaftlicher Norm — als Gegènbild gegen den Traditionsbezug des
feudalabsolutistischen Staates auf das kaiserzeitliche Imperium —, und durchaus
folgerichtig drapierten sich die Akteure der Grande Révolution als „Brutusse,
Gracchusse, Publicólas". 7 Im ökonomisch und sozial fortgeschrittenen England,
das auf sein drängendes Problem der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der
Staatsordnung der Alten vergeblich nach Anregungen und Hilfen suchte, kon-
statierte demgemäß ernüchtert der Aufklärungsphilosoph Adam Ferguson:
„Mitten in unseren Lobpreisungen der Griechen und Römer werden wir . . . daran
erinnert, daß keine menschliche Einrichtung vollkommen ist." 8
Das Antikeverhältnis 9 der deutschen Aufklärung war wesentlich bestimmt durch
das als stammverwandt angesehene Griechentum. Winckelmann und Lessing und
nach ihnen die Klassiker Herder, Schiller und Goethe rühmten die Hellenen des
Altertums als geistig und körperlich voll entwickelte, freie und schöpferisch tätige
Bürger eines demokratischen Staates und entnahmen diesem in eine ferne Ver-
gangenheit versetzten Idealbild die Elemente, deren das progressive Bürgertum
zu seiner Selbstbefreiung bedurfte: Opposition und Widerstand gegen Feudalis-

4
Die knappgefaßte Übersicht von Troeltsch in: Realencyklopädie für protestantische
Theologie und Kirche, hrsg. von Albert Hauck, Bd. 2, Leipzig 18973, S. 231 f., vermag
noch immer Anregungen zu vermitteln.
b
Die — richtige — Formulierung bei Fueter, Eduard, Geschichte der neueren Historio-
graphie, hrsg. von Dietrich Gerhard und Paul Sattler, München/Berlin 1963®, S. 336.
« lrmscher, Johannes, Das Antikebild unserer Gegenwart. Tendenzen und Perspek-
tiven, Berlin 1979, S. 5 f.
7
Marx, Karl, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: MEW, Bd. 8. S. 116.
8
Ferguson, Adam, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Jena
1904, S. 260.
s
Zum Terminus vgl. lrmscher, Johannes, Probleme der Aneigung des antiken Erbes,
Berlin 1976, S. 8.
Friedrich August Wolf 9

mus und Klerisei sowie Diesseitigkeit, Demokratismus und Volksverbundenheit. 10


Daß das allen solchen Vorstellungen zugrunde liegende Antikebild in starkem
Maße idealisiert und stilisiert war, blieb seinen Repräsentanten nicht unbekannt,
da diese ja zu allermeist mit dem historischen Erkenntnisstand wohlvertraut
waren und dessen Mehrung mit Aufmerksamkeit verfolgten; das Antikebild
einer bestimmten Klasse für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort wird
indes nicht nur durch den Progreß der Fachwissenschaft, sondern gleichermaßen
durch Antikerezeption geprägt: die klassengebundene, reflektierte, auswählende
Aufnahme antiken Kultur- und Ideengutes im Dienste an Aufgaben der eigenen
Gegenwart. 11
Naturgemäß förderte ein so intensives, auf den gesellschaftlichen Fortschritt
orientiertes Antikeverhältnis, wie es die Aufklärung zumal in Deutschland an
den Tag legte, die gelehrte Beschäftigung mit dem griechisch-römischen Alter-
tum, die ihrerseits ebenso aus den Erfahrungen der Lebenspraxis Anregungen
empfing, wie sie selbst diese Praxis befruchtete. Dabei gehörte es zu den heraus-
ragenden Leistungen der Epoche, daß sie sich nicht damit begnügte, die einzelnen
Phänomene zu durchforschen und in ihre speziellen Zusammenhänge zu rücken,
sondern daß sie überdies nach dem Gegenstand, der Abgrenzung und der Ziel-
vorstellung altertumswissenschaftlicher Arbeit fragte. In Friedrich August Wolf
(1759—1824), der für seine Zeit zum Philologen par excellence geworden war 12 ,
gipfelten diese Bestrebungen. Ausgehend von den ideologischen Bedürfnissen der
Aufklärung, formulierte Wolf seine Konzeption der klassischen Studien; durch
sie wurde das Antikebild der deutschen Klassik fachwissenschaftlich fundiert
und damit das klassische Bildungs- und Persönlichkeitsideal wesentlich mit-
geprägt, gleichzeitig aber auch der Weg gewiesen auf die unter dem Signum des
bürgerlichen Historismus im Verlaufe des 19. Jh. erblühende griechisch-römische
Altertumskunde. 13
Friedrich August Wolf wurde am 15. Februar 1759 als Sohn eines wissenschaft-
lich interessierten Lehrers in Hainrode, einem südlich von Nordhausen an der
Hainleite gelegenen Dorfe, geboren.14 Er absolvierte, sich weitgehend auto-
didaktisch bildend, das Gymnasium in Nordhausen und bezog 1776 die Universität
Göttingen. Diese Wahl war zweifelsohne durch äußere Umstände bestimmt — für
den unbemittelten Lehrerssohn kam eben nur die nächstgelegene Hochschule in
Betracht 15 —, sie erwies sich indes zugleich für die geistige Entwicklung Wolfs
als bedeutsam. Denn die 1737 nach den Plänen des Freiherrn Gerlach Adolf von
lu
Dazu Hecht, Wolf gang, Das Persönlichkeitsideal von Aufklärung und Klassik, in:
Irmscher, Johannes, Das Ideal der allseitig entwickelten Persönlichkeit — seine Ent-
stehung und sozialistische Verwirklichung, Berlin 1976, S. 53 f.
11
Irmscher, Probleme, S. 7.
12
Vgl. den Titel der Biographie von Körte, Wilhelm, Leben und Studien Friedr. Aug.
Wolf's, des Philologen, 2 Bde., Essen 1833.
" Irmscher, Ideal, S. 57.
14
Ich nutze hier und im folg., ohne das im einzelnen anzugeben, Irmscher, Johannes,
Friedrich Avgust Vol'f — osnovatel' nauki i klassiCeskoj drevnosti, in: Vestnik drevnej
istorii, 1974, 3, S. 20 ff.
15
Körte, Bd. 1, S. 39.
10 Johannes Irmscher

Münchhausen im Dienste aufklärerischer Bildungskonzeptionen ins Leben ge-


tretene Georgia Augusta 16 wurde zur vornehmlichen Pflanz- und Pflegstätte des
sogenannten älteren Neuhumanismus, dessen Pädagogik den Altsprachenunter-
richt von der wesentlich formalen Eloquenz und bloßen Imitation des althuma-
nistischen Schulbetriebes auf die durch die antiken Klassiker vermittelten
Inhalte hinwandte. 17
Die Forderung nach einem auf Gleichheit beruhenden Zusammenleben in der
bürgerlichen Gesellschaft sollte durch die Beschäftigung mit der griechischen Polis
ihre historische Bestätigung finden, das Studium der Sprachen, oftmals in Ver-
bindung mit dem der Mathematik genannt, das selbständige, logische Denken an-
regen, die Lektüre der klassischen Schriftsteller Urteil, Geschmack, Geist und Ein-
sicht bilden. Die Altertumsstudien waren dazu bestimmt, allgemeine und, wie man
im Jargon der Zeit formulierte, elegante Bildung zu vermitteln in der Gestalt,
in der ihrer der zukünftige Gelehrte, Beamte, Geistliche oder Lehrer bedurfte.
Als Repräsentant der neuen Bildungsbestrebungen hatte an der Göttinger Uni-
versität von deren Gründung an Johann Matthias Gesner (1691—1761) gewirkt,
als klassischer Philologe18 nicht minder bedeutend denn als Pädagoge. Nach über-
aus erfolgreicher Tätigkeit als Lehrer und als Rektor, zuletzt an der Leipziger
Thomasschule, die er zur Musteranstalt entwickelte, rief Gesner in Göttingen das
Seminarium philologicum ins Leben, um die Verselbständigung der Philologie,
aber auch die Emanzipation des Philologenberufes von dem des Theologen voran-
zubringen. Der seiner selbst bewußt gewordene Philologe sollte seine Schüler an
die antiken Autoren heranführen als an „die größten und edelsten Seelen, die je
gewesen"19, um durch solchen intellektuellen Verkehr mit den Alten eigene
Leistungen in Philosophie und Wissenschaft, in den Künsten und in der Literatur
vorzubereiten.
Gesners 1763 ernannter Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl war Christian
Gottlob Heyne (1729—1812).20 Der Leinewebersohn aus dem damaligen Chemnitz
wurde nach entbehrungsreichen Lern- und Bildungsjähren zu einer der hervor-
ragendsten Gelehrtenpersönlichkeiten seines Säkulums, zum Ersten unter den
Philologen, zum Bahnbrecher des modernen Bibliothekswesens, zum Wissen-
schaftsorganisator von hohem Rang, aber auch, was nicht weniger gewichtig ist,
zum väterlichen Freund, Vertrauten und Schwiegervater des deutschen Jako-

,B
Die Materialien bei Rössler, Emil F., Die Gründung der Universität Göttingen, Göt-
tingen 1855; unzulänglich XJnger, Friedrich Wilhelm, Göttingen und die Georgia
Augusta, Göttingen 1861, S. 69 ff.
17
Rausch, Erwin, Geschichte der Pädagogik und des gelehrten Unterrichts, Leipzig
19052, S. 118 f.; Geschichte der Erziehung, Berlin 19677, S. 175 f.
•1B Bursian, Conrad, Geschichte der classischen Philologie in Deutschland von den An-
fängen bis zur Gegenwart, München/Leipzig 1833, S. 387 ff. Über Gesner als Vorgänger
Wolfs vgl. Wach, Joachim, Das Verstehen. Grundzüge einer Geschichte der herme-
neutischen Theorie im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Tübingen 1926, S. 65.
la
Zit. nach Rausch, S. 120.
w
Heeren, Arn. Herrn. Lud., Christian Gottlob Heyne, Göttingen 1813. Jubiläumsartikel
von Döhl, Hartmutj Schindel, Ulrich, in: Göttinger Tageblatt, 26.9.1979.
Friedrich August Wolf 11

biners Georg Forster, dem er auch dann noch die Treue hielt, als die meisten
andern sich von ihm abkehrten.21 Heyne baute das Gesnersche Seminarium
philologicum weiter aus; der ebenso für seine Aufgabe begeisterte wie in ihrer
Verfolgung wirksame akademische Lehrer suchte es zur Pflanzstätte von Philo-
logengenerationen, die seine Auffassungen in die Schulpraxis weitertrügen, zu
entwickeln; in der Tat gehörten neben Wolf, wovon noch die Rede sein wird, der
klassische Homerübersetzer und konsequente Verfechter der Aufklärung, Johann
Heinrich Voß, die Wegbereiter der Romantik August Wilhelm Schlegel und
Friedrich Schlegel sowie der Staatsmann und Sprachforscher Wilhelm von Hum-
boldt zu den Schülern Heynes. Gegenüber seinem Vorgänger richtete Heyne zu-
sätzlich die Aufmerksamkeit auf Archäologie und Kunst, äuf Mythologie und
Kulturgeschichte. Er hat damit die griechisch-römischen Studien in ihrer Totalität
erfaßt, sie dank dem ihm innewohnenden historischen Sinn vor antiquarischer
Erstarrung bewahrt22 und zugleich den nächsten Schritt zu ihrer Umfangs- und
Zweckbestimmung vorbereitet.
Im Sinne jener eben gekennzeichneten Bestrebungen ließ sich Friedrich August
Wolf, wohlwollenden Abmahnungen Widerstand leistend, 1777 in Göttingen als
Studiosus philologiae immatrikulieren.23 Er war nicht, wie spätere Legende es
wollte, der erste, der auf solche Klarheit drang24; und dennoch bedeutete es einen
einsichtsvollen Entschluß des 18jährigen, wenn er so nachdrücklich die Selb-
ständigkeit seines Faches demonstrierte25, das landläufig lediglich als Propä-
deutik für Theologie und Jurisprudenz angesehen wurde. Sein Studium betrieb
Wolf freilich in sehr wesentlichem Ausmaß privatim, und auch im Heyneschen
Seminar hat er nur ein paarmal hospitiert.26 Dessenungeachtet empfahl ihn der
Meister für das Pädagogium zu Ilfeld.27 Die nächste Station der schulpraktischen
Bewährung bildete die Stadtschule zu Osterode am Harz28, von der aus Wolf 1783
als Professor für Philologie und Pädagogik an die Universität Halle berufen
wurde. Deren Physiognomie hatte zu Beginn des Jahrhunderts die Aufklärungs-
philosophie von Christian Thomasius und Christian WolfE geprägt29, ferner der

21 lrmscher, Johannes, Georg Forster und Gibbon, in: Bursian, Jan/Vidman, Ladislav,
Antiquitas Graeco-Romana ac tempora nostra. Acta congressus internationalis ha-
biti Brunae diebus 12-16 mensis Aprilis MCMLXVI, Praha 1968, S. 143.
2 2 Ähnlich Wilamowitz-Moellendorff, U. von, Geschichte der Philologie. Nachdruck der
3. Aufl., Leipzig 1959, S. 45.
20 Seine eigene Begründung bei Reiter, Siegfried, Friedrich August Wolf. Ein Leben in

Briefen, Bd. 2, Stuttgart 1935, S. 339.


24 Kern, Otto, Friedrich August Wolf als hallischer Professor, in: Thüringisch-sächsische

Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 24,1936, S. 87 fi.


20 Amoldt, J. F. J., Fr. Aug. Wolf in seinem Verhältnisse zum Schulwesen und zur

Paedagogik, Bd. 1, Braunschweig 1861, S. 26.


'*> Ebenda, S. 29 f.
27 Ebenda, S. 30 f.

Ebenda, S. 60 ff.
Vgl. die Beiträge von Mende, Georg, Freydank, Hanns, Schubart-Fikentsdier, Ger-
trud, Mühlpfordt, Günter und Ahrbeck, Hans, in: 450 Jahre Martin-Luther-Uni-
versität Halle-Wittenberg, Bd. 2, Halle 1952, S. 1 ff.
12 Johannes Irmscher

weitwirkende Pietismus August Hermann Franckes 30 und endlich der Philan-


thropismus Johann Bernhard Basedows31, in Halle seit 1779 vertreten durch
Ernst Christian Trapp 32 , in dessen Professur Wolf zunächst eintrat. Wolf hat sein
akademisches Amt bis zum Jahre 1806, bis zur Schließung der Universität durch
Napoleon, innegehabt und in diesen Jahren eine fruchtbare, bleibende Ergeb-
nisse zeitigende Wirksamkeit entfaltet.
Friedrich August Wolf wollte in erster Linie Lehrer der studentischen Jugend
sein. Rückschauend äußerte er sich 1816 gegenüber Wilhelm vom Humboldt, das
Schreiben werde für den beschwerlich, „dem einmal der Mund fertiger oder doch
kühner geworden ist als die Feder, weil er aus seinen Alten den Labor scribendi
et laboris occultandi" (Die Mühe, zu schreiben und die Mühe zu verbergen)
„kennen und an den Schriftsteller mehr Ansprüche machen gelernt, als er selbst
erfüllen zu können hoffte", und er habe für seine Person „niemals Schriftsteller,
sondern Lehrer sein" wollen33; damit bestätigte er, was er 1794 in einem Briefe
an den Leidener Philologen David Ruhnken, den Princeps criticorum seiner
Epoche34, ausgesprochen hatte: „Docendo aliquanto plus quam scribendo de-
lector" 35 (Am Lehren habe ich erheblich mehr Freude als am Schreiben). Wolf
las für gewöhnlich 14 Wochenstunden im Sommer und 17 Wochenstunden im
Winter, wobei ihm der deutsche wie der lateinische Ausdruck mit gleicher
Leichtigkeit zur Verfügung stand.36 An die Stelle aufgespeicherter Gelehrsam-
keit, wie sie den traditionellen Lehrvortrag kennzeichnete, trat die eingängige,
anmutige Darstellung, die trotzdem mit scharfer Kritik und beißendem Spott
nicht sparte und immer neu eine stattliche Schar von Hörern anzuziehen ver-
mochte. Wolfs hohe Schätzung als Orator, der „das Einzelne an die Jugend me-
thodisch und eingänglich überliefere", weckte in Goethe, der zu Wolf seit dem
Sommer 1795 in freundschaftlichem Verkehr stand37, den Wunsch, Ohrenzeuge
jener Vorlesungen zu werden. Durch Wolfs Tochter vermittelt, hörte er daher
mehrfach, hinter einer Tapetentüre versteckt, die Vorträge des Meisters an und
fand dabei alles, was er von ihm erwartet hatte, „in Tätigkeit": „eine aus der
Fülle der Kenntnis hervortretende freie Überlieferung, aus gründlichstem Wissen
mit Freiheit, Geist und Geschmack sich über die Zuhörer verbreitende Mit-

M Vgl. die Beiträge von Selbmann, Erhard und Ahrbeck, Hans, ebenda, S. 59 ff.
31 Geschichte der Erziehung, S. 168 it.
32 Ahrbeck-Wothge, Rosemarie, in: Studien über den Philanthropismus und die Des-
sauer Aufklärung, Halle 1970, S. 85; Paulsen, Friedrich, Geschichte des gelehrten
Unterrichts an den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittel-
alters bis zur Gegenwart, Bd. 2, Leipzig 18972, S. 55 ff.
33 Wolf, Fr. Aug., Kleine Schriften in lateinischer und deutscher Sprache, hrsg. von

G. Bernhardy, Bd. 2, Halle 1869, S. 1019.


34 Wilamowitz-Moellendorff, S. 39.
351 Zit. nach Arnoldt, S. 112, und Reiter, Siegfried, Friedrich August Wolf, in: Neue Jahr-

bücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur, 7, 1904, S. 93.
38 Baumeister, A., Wolf, in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 23, Leipzig 1838,
S. 740 ff.
31 Bernays, Michael, Goethes Briefe an Friedrich August Wolf, Berlin 1868, S. 2.
Friedrich August Wolf 13

teilung". 38 In solcher Weise behandelte Wolf nahezu alle Gegenstände der Alter-
tumswissenschaft, die zentralen Dichter und Prosaiker, die Literaturgeschichte
insgesamt, aber auch politische Geschichte, Chronologie und die sogenannte Anti-
quitates („Altertümer"), d. h. die Materialien der verschiedenen Zweige der
Kulturgeschichte, ferner Mythologie und Numismatik, vor allem aber die in
unserm Zusammenhang wichtige Enzyklopädie der Philologie39, von der noch
weiter unten die Rede sein wird. Sein 1787 eröffnetes philologisches Seminar 40 ,
in dem als ein Novum die genaue, sinnfällige Übersetzung ins Deutsche gepflegt
wurde, gestaltete sich unter solchen Bedingungen zur wahrhaften Pflanzstätte
für zukünftige Gelehrte wie für zukünftige Gymnasiallehrer, deren Verselb-
ständigung gegenüber der Theologie als eine Forderung der Aufklärung nun-
mehr vollkommen vollzogen war. 41 Als Mitglied des Senats der Hallenser Alma
mater hatte Wolf häufig zu hochschulpolitischen Problemen gutachtlich Stellung
zu nehmen; seine Äußerungen über Fragen der studentischen Erziehung und
Ausbildung, über Eigenschaften und Aufgaben des akademischen Lehrers, über
die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, über die Körpererziehung
der Studenten wiesen mitunter weit über ihre Zeit hinaus. 1802 wurde Wolf dazu
noch das Amt des Oberbibliothekars, d. h. des Bibliotheksleiters, übertragen. Da
er vom eigenen Bildungsgang her die Selbsttätigkeit als das entscheidende Funda-
ment für die Entwicklung von Wissenschaftlerpersönlichkeiten erkannt hatte,
schuf er, auch darin seiner Epoche vorauseilend, günstige Voraussetzungen f ü r
die Bibliotheksbenutzung durch die Studenten, die er ermunterte, von ihren
Rechten ausgiebig Gebrauch zu machen.
Die schriftstellerische Tätigkeit Wolfs in Halle stand wesentlich unter delm
Signum seiner pädagogischen Aktivitäten. Zu seinen Vorlesungen ließ er Inhalts-
übersichten von zwei bis drei Bogen Umfang drucken 42 , um das aus der mittel-
alterlichen Universität überkommene mechanische Nachschreiben überflüssig zu
machen und die Studierenden zu produktiver Mitarbeit anzuregen. Auch die
lateinischen Vorreden zu den halbjährlich herausgegebenen Vorlesungsverzeich-
nissen43, die Wolf von 1784 bis 1806 als Professor der Beredsamkeit abzufassen
hatte, wurden wesentlich durch hochsehulpädagogische Aspekte bestimmt. Ein
Teil behandelte die Methode des Universitätsstudiums und der akademischen
Lehre, aber auch die späteren Programme philologischen Inhaltes, die kritisch
oder hermeneutisch erklärungsbedürftige Stellen antiker Autoren zum Ausgangs-
punkt nahmen, ließen das pädagogische Moment unverändert deutlich werden. 44

38
Grumach, Ernst, Goethe und die Antike. Eine Sammlung, Bd. 2, Potsdam 1949,
S. 943 f.
3» Baumeister, S. 741.
w
Wolfs „Idee eines Seminarii philologici" nach den Hallenser Rektoratsakten hrsg. von
Otto Kern: Friedrich August Wolf, Halle 1924, S. 33 fE.
41
Ahnlich auch Dilthey, Wilhelm, Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, Leipzig
19423, S. 163.
Vi
Baumeister, S. 741.
« Nachgedruckt in Wolf, Kleine Schriften, Bd. 1, S. 21-130.
« Arnoldt, S. 76 f.
14 Johannes Irmscher

Wolfs Initiativen kennzeichnete der Rationalismus der erzieherischen Bestrebun-


gen der Aufklärung. 45 In deren Zeichen standen auch die Textausgaben, die er, mit
Einleitungen 46 und teilweise mit Kommentaren versehen, zur Unterstützung
seiner Vorlesungen erscheinen ließ.47 Auch die Homerische Ilias sollte in solchem
Zusammenhang neu vorgelegt werden, und ebendieses Projekt gab die Ver-
anlassung zu den 1795 herausgekommenen „Prolegomena ad Homerum" — aus
der üblicherweise kurzgefaßten Präfation war angesichts der Problemfülle, die
der behandelte Text an die Philologie richtete, ein ganzes Buch geworden.
Das Werk zeugt von dem kritischen und zugleich von dem historischen Sinn auf-
klärerischen Denkens, den die Büste Lessings symbolisierte, das einzige Stand-
bild, das Wolfs Hörsaal zierte.48 Gewiß war die sogenannte Homerische Frage, die
Frage nach dem Dichter der unter dem Namen Homeros gehenden Epen und
ihrer Entstehungsart 49 , schon in der Antike aufgeworfen und als ein Beiwerk im
Verlaufe der französischen Quer elle des anciens et des modernes 1664 durch
François Hédelin d'Aubignac maßgeblich formuliert worden 50 ; für Deutschland
dagegen war sie neu und für die zumal durch Herder aufgeworfenen ästhetischen
Problemstellungen der deutschen Klassik höchst aktuell. Obgleich er lediglich die
Thematik, an der sich die Geister sogleich zu scheiden begannen, in allen ihren
Konsequenzen scharfsinnig vor Augen führte und keineswegs bereits probable
Wege zu ihrer Bewältigung wies, machte die Schrift Wolf zum unbestrittenen
Princeps der Philologen in seiner Zeit und brachte ihm ehrenvolle Berufungen
ein.51 Was aber war das Neue, das dem in höchst gelehrter Diktion abgefaßten,
in seiner Thematik allein den Fachmann ansprechenden Buch eine so breite Aus-
strahlung ermöglichte?
Zum ersten setzte Wolf bei der Vorarbeit für die Gestaltung des Homertextes das
historische Prinzip und damit ein wesentliches Postulat seiner Epoche durch; zum
zweiten aber behandelte er die Geschichte dieses Textes in den Zusammenhängen
mit der politischen sowie vor allem mit der Kulturgeschichte, deren Themen-
stellungen dem Zeitgeist entgegenkamen. Während vordem die Textkritik
wesentlich nach dem mehr oder minder ingeniösen Sprachgefühl des Forschers
gehandhabt worden war, fragte Wolf zumindest in bezug auf den Homer nach
den späteren Schicksalen seiner Textüberlieferungen und konstatierte in solchem
Zusammenhang, daß es nach der Qualität jener Uberlieferung unmöglich ist,
Homers dichterisches Werk „wieder auf den wahren und unverfälschten Text,
wie er ursprünglich aus seinem göttlichen Munde geflossen ist, zu bringen". 52
Was allein möglich sei, ist die „Herstellung eines nach den Vorschriften des ge-

4i
> Geschichte der Erziehung, S. 138.
40
Zum größten Teil nachgedruckt in Wolf, Kleine Schriften, Bd. 1, S. 131-424.
47
Baumeister, S. 742.
48
Arnoldt, S. 89.
49
Becher, Homeros, in: Irmscher, Johannes, Lexikon der Antike, Leipzig 19794, S. 241 f.
60
Schmid, Wilhelm/Stählin, Otto, Geschichte der griechischen Literatur, Bd. 1/1,
München 1929, S. 133 f.
81
Baumeister, S. 742 ff.; Kern, S. 106.
52
Wolf, Friedrich August, Prolegomena zu Homer, Leipzig 1908, S. 63.
Friedrich August Wolf 15

lehrten Altertums verbesserten Homertextes, und zwar nach Ausdruck, Inter-


punktion und Akzentuierung etwa in der Fassung, wie er, nach den bewährtesten
Rezensionen umgestaltet", „einem Longinus 53 oder einem anderen alten Kritiker,
welcher die Bücherschätze der Alexandriner mit Kenntnis und feinem Takt zu
benutzen wußte, einigermaßen gefallen haben würde". 54 Diese Homerrezension
der Alexandriner, die in der Tat die früheste Gestalt des Homertextes ist, welche
die moderne Philologie zu erfassen vermag 55 , wurde von Wolf auf ihre Anteze-
denzien hin untersucht. Dabei kam er für die Frühzeit zu der — heute nicht mehr
haltbaren — Auffassung, daß es vor dem Beginn der Olympiadenrechnung
(776 v. u. Z.) in Griechenland keine Schrift gegeben habe 56 , und schlußfolgerte
daraus, die Homerischen Gedichte seien nicht das Werk eines einzelnen Dichter-
genies und auch nicht schriftlich aufgezeichnet gewesen, „sondern zuerst von den
Dichtern im Gedächtnis ausgearbeitet und im Gesänge vorgetragen" und darauf
„durch Rhapsoden, welche sich mit der Erlernung derselben mit Hilfe einer be-
sonderen Kunst beschäftigten, durch den Vortrag unter das Volk gebracht"
worden. 57 Die Homeranalyse des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh. 58 hat die
Thesen Wolfs, die fruchtbare Ansatzpunkte abgaben, vielfältig modifiziert ; Wolfs
bleibendes Verdienst besteht darin, daß er von einer allein mit sprachlich-philo-
logischen Mitteln betriebenen Konjekturalkritik den Weg zur modernen Text-
geschichte wies, welche die Schicksale eines antiken Werkes in den jeweiligen
historischen Bedingungen begreift und das Einzelphänomen stets in diesem tun-
fassenden Zusammenhang behandelt. Nicht weniger fruchtbar erwies sich Wolfs
Hinweis auf die antike Volksepik als Vorstufe und Kontext Homerischer Dich-
tung, der die spätere vergleichende Epenforschung vorbereitete.
Die preußische Niederlage bei Jena und Auerstedt und die gleich darauf folgende
Schließung der Universität Halle durch den siegreichen Korsen brachten den
entscheidenden Knotenpunkt in Friedrich August Wolfs Wirken; denn mit dem
Fortfall der akademischen Lehrtätigkeit schien ihm das Lebenselement ent-
zogen.59 In dieser fatalen Situation bewährte sich die bereits apostrophierte
Freundschaft mit Goethe. Als Wolf in einem Briefe unverblümt seine Misere und
die daraus resultierende Verzweifelung dargelegt hatte, antwortete Goethe
unterm 28. November 1806 mit ermutigenden Worten: „Wie glücklich sind Sie
in diesem Augenblick vor Tausenden, da Sie so viel Reichtum in und bei sich
selbst finden, nicht nur des Geistes und des Gemüts, sondern auch der großen

M
Der griechische Rhetor Longinos lebte im 3. Jh. in Palmyra; die im 1. Jh. entstandene
literaturtheoretische Schrift eines Unbekannten „Über das Erhabene" wurde ihm
fälschlich zugeschrieben (Kuhnert bei Irmscher, Lexikon, S. 327).
54
Wolf, Prolegomena, S. 77.
» Schmid/Stählin, S. 172 f.
m
Wolf, Prolegomena, S. 99 ff.
" Ebenda, S. 92.
58
Schmid/Stählin, S. 134 ff.
ba
Baumeister, S. 745. Aber auch für die Universität blieb die Tradition der klassischen
Studien für längere Zeit unterbrochen; über ihre Wiederaufnahme vgl. Kern, Otto,
Die klassische Altertumswissenschaft in Halle seit Friedrich August Wolf, Halle 1928.
16 Johannes Irmscher

Vorarbeiten zu so mancherlei Dingen, die Ihnen doch auch ganz eigen an-
gehören." „Sie haben die Leichtigkeit, sich mitzuteilen, es sei mündlich oder
schriftlich. Jene erste Art hatte bisher einen größeren Reiz f ü r Sie, und mit Recht.
Denn bei der Gegenwirkung des Zuhörers gelangt man eher zu einer geistreichen
Stimmung als in der Gegenwart des geduldigen Papiers. Auch ist die beste Vor-
lesung oft ein glückliches Inpromptu, eben weil der Mund kühner ist als die
Feder. Aber es tritt eine andre Betrachtung ein. Die schriftliche Mitteilung hat
das große Verdienst, daß sie weiter und länger wirkt als die mündliche und daß
der Leser schon mehr Schwierigkeiten findet, das Geschriebene nach seinem
Modul umzubilden, als der Zuhörer das Gesagte."60
Doch wollte sich Goethe nicht mit unverbindlichen Floskeln begnügen, vielmehr
wußte er weiterführenden Rat: „Da Ihnen nun jetzt, mein Wertester, die eine
Art der Mitteilung, vielleicht nur auf kurze Zeit, versagt ist, warum wollen Sie
nicht sogleich die andere ergreifen, zu der Sie ein ebenso großes Talent und einen
beinah reichern Stoff haben? Es ist wahr, und ich sehe es wohl ein, daß Sie in
Ihrer Weise,-zu leben und zu wirken, eine Veränderung machen müßten; allein
was hat sich nicht alles verändert, und glücklich der, der, indem die Welt sich
umdreht, sich auch um seine Angel drehen kann! Neue Betrachtungen treten ein,
wir leben unter neuen Bedingungen, und also ist es auch wohl natürlich, daß
wir uns, wenigstens einigermaßen, neu bedingen lassen. Sie sind bisher nur ge-
wohnt, Werke herauszugeben und die strengsten Forderungen an dasjenige zu
machen, was Sie dem Druck überliefern. Fassen Sie nun den Entschluß, Schriften
zu schreiben, und diese werden immer noch werthafter sein als manches andre!
Warum wollen Sie nicht gleich Ihre Archäologie vornehmen und sie als einen
kompendiarischen Entwurf herausgeben? Behandeln Sie ihn nachher immer
wieder als Konzept, geben Sie ihn nach ein paar Jahren umgeschrieben heraus!
Indessen hat er gewirkt, und diese Wirkung erleichtert die Nacharbeit. Nehmen
Sie, damit es Ihnen an Reiz nicht fehle, mehrere Arbeiten auf einmal vor und
lassen Sie anfangen zu drucken, ehe Sie sich noch recht entschlossen haben! Die
Welt und Nachwelt kann sich alsdann Glück wünschen, daß aus dem Unheil ein
solches Wohl entstanden ist. Denn es hat mich doch mehr als einmal verdrossen,
wenn so köstliche Worte an den Wänden des Hörsaals verhallten." 61
Achtzehnmal hatte Wolf seine „Encyclopaedia philologica, in qua orbe universo
earum rerum, quibus litterae antiquitatis continentur, peragrato singularum
doctrinarum ambitus, argumenta, coniunctiones, utilitates, subsidia, denique recte
et cum fructu tractandae cuiusque rationes illustratuntur" 62 (Enzyklopädie der
Philologie, in welcher der gesamte Umkreis der in der antiken Literatur ent-
haltenen Gegenstände durchgegangen sowie Begriff, Inhalt, Zusammenhang
Hauptzweck und Hilfsmittel der einzelnen Studiengebiete und schließlich die
Art und Weise, ein jedes richtig und fruchtbringend zu behandeln, dargelegt
werden) in Halle vorgetragen. Daß seine Thematik ein hohes Maß an Aktualität
besaß, bewies einmal der Umstand, daß gegen den Willen ihres Autors Hörer der

w Bernays, S. 110.
m
Ebenda, S. 110 f.
"" Arnoldt, S. 80.
Friedrich August Wolf 17

Vorlesung gleichbenannte Grundrisse veröffentlichten 63 , und zeigte zum andern


Goethes wohlbegründeter Vorschlag. Wolf griff diesen daher unverzüglich aul
und brachte während des Winters 1806/07 — noch vor seiner im April 1807 er-
folgten Abreise nach Berlin64 — seine „Darstellung der Altertumswissenschaft
nach Begriff, Umfang, Zweck und Wert" 65 zu Papier. Für die Veröffentlichung
schuf sich Wolf, frühere Pläne aufgreifend, in Gestalt des freilich nur kurz-
lebigen „Museums der Altertums-Wissenschaft" ein eigenes Periodikum, f ü r
dessen Leitung er sich mit dem Berliner Gräzisten Philipp Buttmann verband. 66
Vorangestellt war dem ersten Bande, der 1807 in Berlin erschien, eine Widmung
an Goethe, den „Kenner und Darsteller des griechischen Geistes", in der mit
Emphase auf die Urverwandtschaft des Deutschen und des Hellenischen hin-
gewiesen und von daher speziell dem deutschen Gelehrten die Aufgabe gestellt
wurde, „überall der tiefere Forscher und Ausleger des aus dem Altertum fließen-
den Großen und Schönen" zu sein und zugleich solche Schätze zu gebrauchen,
„um unter dem Wechsel wandelbarer öffentlicher Schicksale den Geist seiner
Nation zu befruchten". 67 Es spricht aus dieser Introduktion sowohl das von Stolz
und Zuversicht getragene Streben nach nationaler Wiedergeburt in der Epoche
des staatlichen Niedergangs wie auch das Bedürfnis nach einer wissenschaft-
lich-theoretischen Begründung der ästhetischenPositionen der Weimar aner Klassik
in ihrer Spätphase 68 , zu denen sich Wolf bereits durch seine Mitarbeit an Goethes
Winckelmannschrift von 1805 — mit dem Beitrag „Winckelmann als Philologe" 69
— bekannt hatte. Und ebenso wie sich die Weimaraner Klassik bewußt war, daß
für ihr Voranschreiten die Aufklärungsliteratur den Grund gelegt hatte 70 , war
auch Wolfs Enzyklopädie der Altertumswissenschaft, welche das neue „Museum
der Altertums-Wissenschaft" einleitete, Forschungsergebnissen und Denk-
anstößen der Aufklärung, die sich mit den neugefundenen klassizistischen Aspek-
ten verbanden, in erheblichem Maße verpflichtet. Quae philologia videbatur,
philosophia fiebat 71 (Was Philologie zu sein schien, wurde Philosophie). Ausgangs-
punkt des Verfassers war die dem vorangegangenen antiquarischen Polyhistoris-
mus 72 durchaus fremde Frage nach rationaler Rechenschaft über Gegenstand,
Aufgaben und Zweck der Altertumsstudien. Die einen wollten sie „der Geschichte
und der sogenannten Sachkenntnisse halber" betrieben wissen, während andere

63
Wölf, Kleine Schriften, Bd. 2, S. 812; Bursian, S. 521. Erst nach Wolfs eigener Ver-
öffentlichung erschien überflüssigerweise Gürtler, J. D., Fr. Aug. Wolf's Vorlesung
über die Encyklopädie der Altertumswissenschaft, Leipzig 1831.
<* Baumeister, S. 745 f.
03
So der Titel nach Wolf, Kleine Schriften, S. 808.
Bursian, S. 540 Anm. 1.
Wolf, Kleine Schriften, S. 808 ff.
08
Vgl. dazu Dahnke, Hans-Dietridi/Höhle, Thomas, Geschichte der deutschen Literatur
1789 bis 1830, Berlin 1978, S. 192 f.
69
Goethe, Johann Wolf gang, Windtelmann und sein Jahrhundert, hrsg. von Helmut
Holtzhauer, Leipzig 1969, S. 237 ff.
" Dahnke/Höhle, S. 191.
71
So richtig Troeltsch, Ernst, Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie,
hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1925, S. 556.

2 Jahrbuch 25
18 Johannes Irmscher

„das Lesen und Verstehen der Schriftsteller in den Grundsprachen" als ihren
letzten Zweck ansahen und wieder andere jene Studien' nur im Hinblick auf ihre
Nutzbarkeit für Literatur und Wissenschaft der Gegenwart gelten lassen wollten;
Wolf dagegen beabsichtigte, sie „zu der Würde einer wohlgeordneten philo-
sophisch-historischen Wissenschaft" emporzuheben, was die vorhin erwähnte
Reflexion mit Notwendigkeit voraussetze. 73
Theoretische Grundlage des Verfassers war ein Wissenschaftsbegriii, welcher
„die Natur und den Menschen" gleichermaßen erfaßt. 74 Für die klassischen Stu-
dien selbst wählte er die Bezeichnung Altertumswissenschaft, weil es ihm — auch
das eine Einsicht der Aufklärung — als eine unerlaubte Einengung erschien, wenn
der Begriff „Philologie, als Literatur oder als Sprachenkunde genommen, und die
Studien, die zur Humanität, d. h. zur höheren Ausbildung reiner Menschlichkeit,
führten, auf ein paar Nationen", d. h. auf die Griechen und Römer beschränkt
wurden. 75 Trotzdem differenzierte Wolf hinsichtlich der Völker des Altertums.
Den Ägyptern, Hebräern, Persern etc. billigte er zwar Zivilisation auf verschie-
dener Stufe zu, während er sie im Unterschied zu Griechen und Römern von
„höherer eigentlicher Geisteskultur" ausgeschlossen glaubte; eine Schätzung der
orientalischen Völker „unter ihr Verdienst" wollte er unbedingt vermieden
wissen, andererseits fand er den „Trieb, sich auf mannigfaltige Art auszubilden"
und „das Leben des Menschen zur eigennutzlosen Beschäftigung seiner höheren
Kräfte" zu erheben, vornehmlich bei den Griechen und in begrenzterem Maße
auch bei den Römern vor.76 Dabei übersah er nicht, daß jene Möglichkeiten der
Selbstverwirklichung nur den freien Bürgern, nicht aber den Sklaven, deren
Zustand dem Altertum selbst als ein natürlicher erschienen sei, offenstanden 77 ;
heute wissen wir überdies, daß jene ideale Lebensform, deren formelle Be-
dingung innere und äußere Unabhängigkeit darstellen, zwar von den Denkern
der Antike postuliert wurde 78 , jedoch nur für eine verschwindend geringe Elite
innerhalb der freien Bürgerschaft realisierbar war. Idealisch überhöht, formu-
lierte Wolf in antikem Gewände eine wesentliche Seite jenes Menschenideals,
dem sich die Aufklärung und deren Gipfel, die Klassik79, zugleich verbunden
wußten 80 .

" Die wichtigsten Materialien darüber bei XJrlichs, L. v., Grundlegung und Geschichte
der klassischen Altertumswissenschaft, in: München, Iwan, von Handbuch der klas-
sischen Altertumswissenschaft, Bd. 1, München 18922, S. 76 ff.
73 Wolf, Kleine, Schriften, S. 810 ff.
74
Ebenda, S. 813 f.
75
Ebenda, S. 815.
'» Ebenda, S. 817 ff.
" Ebenda, S. 819 Anm. 1.
78 Welskopf, Elisabeth, Charlotte, Probleme der Muße im alten Hellas, Berlin 1962, S. 227.
vs
Formulierung im Sinne von Werner Krauß; vgl. Seiffert, Hans Werner, Zu Problemen
der deutschen Aufklärung, in: Aspekte der Aufklärungsbewegung in Lateinamerika,
Deutschland, Rußland und der Türkei, Berlin 1974, S. 22.
m Paulsen, S. 210, formulierte: „Die Altertumswissenschaft trat in eine Stellung, wie

sie früher die Theologie eingenommen hatte: sie galt als die Wissenschaft von dem
Höchsten und Wichtigsten, was es für den Menschen gebe."
Friedrich August Wolf 19

Aus den erwähnten Eigenschaften und Konzeptionen der beiden klassischen Völker
seien Leistungen erwachsen, die nach der Formulierung des Neuhumanisten Wolf,
welche ebensogut bei Winckelmann oder bei dem kontemporären Goethe hätte
stehen können, „in künstlerischer Hinsicht musterhaft und in wissenschaftlicher
wichtig sind". 81 Durch die Uberreste solcher Leistungen werden „wir Spätlinge
in den Stand gesetzt, mit, wo nicht vollständiger, doch begnügender Einsicht, in
gewissem Betracht sogar tiefer als die Alten selbst, in alles, was sie so denk-
würdig auszeichnete, ohne auffallende Unterbrechungen einzugehen und ihr Tun
und Leiden in den hauptsächlichsten Verhältnissen zu verfolgen", stellte er gemäß
dem historischen Verständnis der Zeit, welche, um Formulierungen des jungen
Marx aufzugreifen, zwar die beschreibende, noch nicht jedoch die dialektische
(erklärende) und die vergleichende Geschichtsschreibung kannte 82 , durchaus zu-
treffend fest. 83 Dieser Aufgabe vermochte nur eine Komplexdisziplin zu genügen,
eben die Altertumswissenschaft, wie jene Disziplin von Wolf zum ersten Male
bezeichnet wurde. Ihr Gegenstand mache „den Inbegriff der Kenntnisse und
Nachrichten" aus, „die uns mit den Handlungen und Schicksalen, mit dem poli-
tischen, gelehrten und häuslichen Zustande der Griechen und Römer, mit ihrer
Kultur, ihren Sprachen, Künsten und Wissenschaften, Sitten, Religionen, Na-
tionalcharakteren und Denkarten bekannt machen, dergestalt, daß wir geschickt
werden, die von ihnen auf uns gekommenen Werke gründlich zu verstehen und
mit Einsicht in ihren Inhalt und Geist, mit Vergegenwärtigung des altertümlichen
Lebens und Vergleichung des späteren und des heutigen zu genießen". 84
Aber es wäre f ü r Wolf, den von aufklärerischem Denken geleiteten Theoretiker
der Klassik, zu wenig gewesen, wenn die Beschäftigung mit der von ihm postulier-
ten Altertumswissenschaft lediglich Kenntnisse und Einsichten in vergangenes
Leben hätte vermitteln können; ihre Wirkung sollte weit tiefer gehen. Diese
Studien führen vielmehr, indem sie die Aufbietung unserer „Kräfte und Fähig-
keiten zu vereinter Tätigkeit" erheischen, „zu vollendeter Erhöhung aller unserer
Geistes- und Gemütskräfte" und zu einer „Vielseitigkeit des Denkens und
Empfindens", die „für uns Moderne eine schönere Stufe der Geisteskultur wird,
als es f ü r den Weltmann die Fertigkeit ist, um gewohnte Formen sich anzueignen,
die er eben seinen Absichten angemessen glaubt". 85 Die Altertumswissenschaft im
Wolfschen Verständnis sollte zu einer vollkommenen „Geistesbildung", zu einer
allgemeinen, nicht nur literarischen „Aufklärung" 86 führen, die „den moralischen
Menschen" mit größter Stärke anspricht. 87 Die Überzeugung der Aufklärung von

B1
Wolf, S. 825.
82
Jaeck, Hans-Peter, Empirie und Theorie in geschichtswissenschaftlicher Forschungs-
arbeit, in: Einführung in das Studium der Geschichte, Berlin 19793, S. 233.
83
Wolf, Kleine Schriften, S. 825 f.
Ebenda, S. 826. Von einer Reproduktion der Antike sprach, Wolf interpretierend,
Hettner, Hermann, Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert,
Bd. III/2, Braunschweig 18944, S. 328.
85
Wolf, Kleine Schriften, S. 886 f.
tt0
Ebenda, S. 868.
Ebenda, S. 884.


20 Johannes Irmscher

der menschen- und weltverändernden Kraft von Kunst und Wissenschaft88 ver-
band sich bei Wolf mit der Goetheschen Forderung: „Jeder sei auf seine Art
Grieche! Aber er sei's!"89
Wolfs Enzyklopädie hat jedoch nicht nur, wie Goethes beifällige Äußerungen be-
zeugen90, dem Antikebild der deutschen Klassik seine wissenschaftliche Fundie-
rung gegeben, sondern darüber hinaus den griechisch-römischen Studien bis
heute nachwirkend den Weg gebahnt. Er postulierte ihre Einheit und die Zusam-
mengehörigkeit ihrer Spezialdisziplinen als Teile eines großen Ganzen. In ihrer
Systematik, deren Erarbeitung ein Novum darstellte, begann er mit der philoso-
phischen Grundlage der Sprachbehandlung, an die sich die Grammatik und die
philologische Methodenlehre schlössen. Geographie und Uranographic bildeten
die Voraussetzung für die Geschichte, welche unter universalhistorischem Aspekt
erfaßt werden sollte. Es folgten die kulturgeschichtlichen Einzeldisziplinen („Anti-
quitäten")91, die Mythologie, die Literaturgeschichte nebst ihren Zweigen, die
Archäologie und Kunstgeschichte, die Numismatik und Epigraphik und endlich
die Geschichte und Bibliographie der Altertumsstudien.92 Bezeichnenderweise
wird das Christentum, dieses „eigene Produkt" der antiken Welt93, aus dem Profil
der Altertumswissenschaft — zu deren offenkundigem Nachteil94 — eliminiert;
genauso wie der wissenschaftliche Lehrer gegenüber dem Theologen verselbstän-
digt werden sollte, postulierte Wolf die Emanzipation der Philologie von der
Theologie, wobei zu berücksichtigen ist, daß von einer wissenschaftlichen Be-
handlung des Urchristentums erst später, nach dem Aufkommen der „deutschen
Bibelkritik" in der ersten Hälfte des 19. Jh., gesprochen werden kann.95
Die Konzeption einer griechisch-römischen Altertumswissenschaft jedoch als
einer komplexen Disziplin, die eine historische Epoche von außergewöhnlicher
Bedeutung in ihren Voraussetzungen, ihren Lebensäußerungen und ihrem Weiter-
wirken erfaßt und gleichzeitig in ihren humanistischen Inhalten und Werten
für die Kultur der eigenen Zeit erschließt, hat sich als überaus fruchtbar er-
wiesen. In unmittelbarer Fortsetzung Wolfs nahm sie sein früherer Schüler
und nachmaliger Berliner Kollege August Boeckh auf.96 Seine Enzyklopädie der
Philologie, in 26 Semestern vorgetragen und als Buch postum herausgegeben97,
stellt in mancher Hinsicht eine den veränderten Zeitverhältnissen gerecht ,wer-

88 Dazu Irmscher, Johannes, Johann Joachim Winckelmann und die Altertumswissen-


schaft heute, Halle 1968, S. 11 ff.
s» Grumach, Bd. 1, S. 69.
*» Ebenda, Bd. 2, S. 947.
U1 Z u r Benennung vgl. Irmscher, Johannes, Praktische Einführung in das Studium der
Altertumswissenschaft, Berlin 1954, S. 4 f., 25.
92 Wolf, Kleine Schriften, S. 894 f. Die Inhaltsübersicht auch bei Seilheim, Rudolf,
Friedrich August Wolf als Begründer der Altertumswissenschaft, in: 450 Jahre
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 2, S. 167.
93 Engels, Friedrich, Z u r Geschichte des Urchristentums, in: M E W , Bd. 22, S. 456.
Dazu Troeltsch, S. 557.
*» Engels, S. 455.
90 Irmscher, Johannes, August Boeckh und seine Bedeutung f ü r die Entwicklung der
Altertumswissenschaft, in: J b f W , 1971,Hl, S. 107 ff.
Friedrich August Wolf 21

dende Neubearbeitung der Wolfschen „Darstellung" dar. Angesichts des Ab-


klingens der Weimarer Klassik wurde jedoch die Orientierung auf das „Klas-
sische und Schöne"98 zunehmend aufgegeben und mit ihr zugleich die humanisti-
sche, menschenbildende Funktion des antiken Erbes; an ihre Stelle trat oftmals
eine rein positivistische99, wertungsfremde, ja mitunter wertungsfeindliche Be-
trachtung oder aber bloße grammatische Interpretation und Kritik.100 Der vor-
wärtsweisende Gedanke der Einheit der Altertumswissenschaft ist jedoch unge-
achtet des durch die archäologische Grabungstätigkeit seit dem vergangenen Jahr-
hundert stärker anwachsenden Quellenmaterials und der Vielzahl seit Wolf
und Boeckh neuentstandener Spezialdisziplinen lebendig geblieben, ja hat unter
solchen veränderten Bedingungen vollends seine Bewährungsprobe bestanden.
Mit der Übersiedlung Friedrich August Wolfs nach Berlin war seine große,
schöpferische Zeit vorüber. Dabei fehlte es nicht an Ehrungen und äußeren Erfol-
gen. Die Repräsentanten der patriotischen Bewegung im Bildungs- und Er-
ziehungswesens Preußens, das sich in der Errichtung der Berliner Universität,
in der Reorganisation der Akademie sowie in der Schaffung des humanistischen
Gymnasiums verkörperte, welches durch gründliches Studium der klassischen
Sprachen und Literaturen die fortschrittliche und vaterländische Erziehung zu
fördern suchte, bemühten sich um den berühmten Mann, der in Halle durch
Lehre und Publikation jener Bewegung vielfältig vorgearbeitet hatte. Mit Wil-
helm von Humboldt befreundet, wurde Wolf zum Visitator des Joachimsthal-
schen Gymnasiums berufen und 1810 zum Direktor der wissenschaftlichen Depu-
tation bei der Sektion des öffentlichen Unterrichts im Ministerium des Innern
ernannt.101 Hier hätte er Entscheidendes zur Entwicklung des Unterrichtswesens
beitragen können, aber bereits nach sechs Wochen trat er „aus Gesundheits-
rücksichten" zurück. An der Neugestaltung der Akademie nahm er anfänglich
lebhaften Anteil, wohl weil er erwartete, ihr Präsident zu werden; doch da er
sich weigerte, die aus dem neuen Statut vom 24. Januar 1812 erwachsenden
Pflichten anzuerkennen, mußte ihn die Institution in den Kreis der inaktiven
Ehrenmitglieder einreihen. Auch in der Universität zog er sich bald von den Ge^
schäften zurück, wenngleich seine Lehrerfolge auch in Berlin beachtlich blieben.
Alle solche Umstände, verbunden mit zunehmender Kränklichkeit und sich
steigender Verstimmung, die auch vor alten Freunden und ergebenen Schülern

Boeckh, August, Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften,


hrsg. von Ernst Bratuscheck, Leipzig 1877.
98 Dazu Irmscher, Einführung, S. 3.
Darüber mit kritischer Verachtung Croce, Benedetto, Zur Theorie und Geschichte
der Historiographie, Tübingen 1916, S. 248, oder auch Snell, Bruno, Der Weg zum
Denken und zur Wahrheit. Studien zur frühgriechischen Sprache, Göttingen 1978,
S. 105 f.
Landfester, Manfred, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und die hermeneutische
Tradition des 19. Jahrhunderts, in: Flashar, Hellmut/Gründer, Karlfried/Horstmann,
Axel, Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert. Zur Geschichte und Methodolo-
gine der Geisteswissenschaften, Göttingen 1979, S. 156.
1U1 Baumeister, S. 746.
22 Johannes Irmscher

nicht haltmachte, trieben Wolf in eine zunehmende Isolierung, ließen ihn die
Freude am Publizieren verlieren und sich selbst überleben102; „ich denke an mein
Alter und schäme mich, schon so viele Jahre älter als der mir liebste der
römischen Dichter zu sein, als Horaz", notierte er über sich selbst.103 Zu den
wenigen, die ihm trotz allem verbunden blieben, gehörte Goethe, der es 1820 als
höchst erfreulich empfand, „mit einem auf eigenen Grund und Boden gegrün-
deten Manne hin und wieder zu sprechen, zu streiten und sich zu verständigen".104
Goethe galt daher auch ein Besuch auf Wolfs Reise, die er im Frühjahr 1824
antrat, um an der französischen Riviera Erholung zu suchen. Diese Reise sollte
seine letzte sein; denn in Marseille ereilte Friedrich August Wolf am 8. August
1824 der Tod.105
lua
Bursian, S. 539.
1U3
Bei Körte, Bd. 2, S. 153.
Grumach, Bd. 2, S. 950 f.
105
Baumeister, S. 747.
Günter Mühlpfordt

Völkergeschichte statt Fürstenhistorie —


Schlözer als Begründer der kritisch-ethnischen Geschichts-
forschung
„Er galt für einen . . . Jakobiner. Er war . . .
ein kühner Verteidiger des Rechts." 1

Der Fortschritt der Wissenschaft ist seit der Antike nicht nur von schöpfe-
rischen Denkern, Entdeckern und Erfindern ausgegangen, sondern auch von den
großen Methodikern. Die Wegbahner der Heuristik erhöhten durch ihre ver-
besserten Erkenntnismittel die Qualität der Forschung und erschlossen ihr unbe-
kannte Bereiche. Wenn diese Pfadfinder der Wissenschaft zudem versierte Di-
daktiker waren, scharten sich viele Schüler um sie, für die ihre Anregungen zu
fruchtbringenden Impulsen wurden. Als schulebildende Lehrmeister erwuchsen
die Pioniere der Methodik zu Schlüsselfiguren der Wissenschaftsgeschichte.
Solche Zentralgestalten des geistigen Fortschritts waren f ü r die deutsche Aufklä-
rung z. B. Christian Wolff2, Johann David Michaelis und dessen Meisterschüler
August Ludwig Schlözer, drei Urheber und Bahnbrecher neuer, zweckmäßigerer
wissenschaftlicher Denk- und Arbeitsmethoden. Wolff, Michaelis und Schlözer
traten an die Spitze von Wissenschaftsschulen, die auf zahlreiche Fächer und
Länder wirkten.
David Michaels (1717—1791) entstammmte einer halleschen Gelehrtenfamilie, die
der Universität Halle namhafte Orientalisten gab. Dieser Hallenser in Göttingen
ist ein Musterbeispiel für die Filiation der Göttinger Aufklärung aus der mittel-
deutschen Aufklärung von Halle, Leipzig und Jena. Michaelis erhielt seine Aus-
bildung an den Franckeschen Stiftungen und an der Universität Halle und
wurde danach im bürgerlichen England und Holland weitergeformt. Der Göttin-
ger Professor der orientalischen Sprachen war ein geistiger Mittelpunkt von
außergewöhnlicher Ausstrahlung. Bei ihm, dem „Regenten von Göttingen", lief
eine Fülle von Wissenschaftsbeziehungen zusammen. Ob der Aufklärungs-
forscher über Orientalisten oder Theologen arbeitet, über Historiker, Philologen
oder Geographen, über Staats- und Rechtslehrer, Schriftsteller und Publizisten,
Naturforscher und Ärzte, über Universitätsgeschichte oder Zeitschriftenwesen —
überall stößt er auf den „Göttinger Michaelis". Als Mentor und Helfer seiner

1
Schlözer, Christian v., August Ludwig v. Schlözers öffentliches und Privatleben aus
Originalurkunden (im folg.: Originalurkunden), Bd. 1, Leipzig 1828, S. 447.
2
Vgl. Mühlpfordt, Günter, Christian Wolff. Ein Bahnbrecher der Aufklärung, in: 450
Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 2, Halle 1952, S. 31—39; ders.,
Christian Wolff. Ein Enzyklopädist der deutschen Aufklärung, in: JbG der deutsch-
slawischen Beziehungen und Geschichte Ost- und Mitteleuropas, Bd. 1, 1956, S. 66 bis
102; ders., Die Wölfische Schule, in: WZ Halle, 30,1981, 1, S. 63-75.
24 Günter Mühlpfordt

Studenten wie auch als Inspirator einer langen Reihe von Gelehrten verbreitete
Michaelis freieres Denken. Lessing und Friedrich August Wolf, beide Forster
und Bahrdt, Dobrovsky und ungezählte weitere Aufklärer standen mit ihm in
Verbindung oder unter seinem Einfluß. Mit Schlözer, dem Slawisten Dobrovsky
und dem Altphilologen Wolf kamen drei Baumeister ihrer Disziplinen von ihm
her. 3
Für den lutherischen Pfarrerssohn aus Franken 4 August Ludwig Schlözer
(1735—1809) wurde die selbstgesuchte Begegnung mit Michaelis zum stärksten
Bildungserlebnis. Michaelis lenkte sowohl die Wissensaneignimg wie den be-
ruflichen Werdegang seines Schützlings. Er erzog Schlözer zum Aufklärer, d. h.
zum prüfenden Selbstdenker, der nichts Überkommenes unbesehen übernahm.
Insbesondere vermittelte er ihm das Rüstzeug des kritischen Philologen und
Historikers mit den Verfahrensweisen vergleichender Sprach- und Völkerfor-
schung. Bei Michaelis lernte Schlözer die Quellen kritisch zu analysieren und den
Riesenstoff der Menschheitsgeschichte in den Griff zu bekommen, indem er ihn
nach Sprachgemeinschaften ordnete.
Auch für Schlözers Lebensweg wurde Michaelis bestimmend. Er zog und wies
den künftigen Novator der Geschichtsforschung zu dessen maßgeblichen Bil-
dungsstationen und Wirkungsstätten: nach Göttingen, Stockholm, Petersburg
und wieder Göttingen. Viermal gab Michaelis' so dem Leben Schlözers eine ent-
scheidende Wendung. Michaelis öffnete ihm die Tore nach Nord-und Osteuropa, wo
sich vor dem erkenntnishungrigen jungen Gelehrten ein weites Forschungsneuland
auftat, auf dem sich die vergleichend-quellenkritische Methode anwenden ließ.
So ist Schlözers Entwicklung ohne Michaelis undenkbar. 5
Erst auf einem von der Familientradition vorgeschriebenen Umweg über
Wittenberg gelangte Schlözer zu Michaelis: „1751 kam ich, 16 Jahre alt, nach
Wittenberg . . . Meine Vorfahren . . . hatten . . . in Wittenberg Theologie stu-
diert . . . In Wittenberg trieb ich . . . Philologie bei Hiller und Zeibig, Philosophie
nach Baumeister bei Hiller und Theologie bei Weimann und Hoffmann. Mein
erster Plan war, sodann nach Halle zu gehen . . . Aber da Hoffmann sehr oft"
gegen „Michaelis in Göttingen" polemisierte, „so ging ich . . . 1754 nach Göt-
tingen." 6 Das war der echte, eigenwillige Schlözer: Weil ein Aufklärer be-
schimpft wurde, wechselte der Student die Universität, um den Geschmähten zu
hören. Es war sein Rubikon — seine Entscheidung gegen die Barockscholastik und
für die Aufklärung.
Auch am neuen Studienort blieb Schlözer, was er seit früher Jugend war: ein
Zögling der Halle-Leipziger Aufklärung. Schon die Lieblingslektüre seiner

" Vgl. Winter, Eduard (unter Mitarbeit von Günter Mühlpfordt), Ketzerschicksale,
Berlin 1979, S. 294; Irmscher, Johannes, F. A. Wolf, in diesem Band, S. 7 ff.
4
Da Schlözers Heimat 1806 zu Württemberg kam, gilt der gebürtige Franke irrig als
Schwabe (vgl. Schwäbische Lebensbilder, Bd. 7, Stuttgart 1960).
s
Vgl. Feyl, Othmar, Beiträge zur Geschichte der Universität Jena, Jena 1960, S. 38.
6
Originalurkunden, 1, S. 463-468, 471, 16-27, 37 f., 51, 56, 59 f., 439, 443, 450-453;
Schlözer, August Ludwig, öffentliches und Privatleben. Von ihm selbst beschrieben,
1. (einziger) Bd., Göttingen 1802 (im folg.: Leben), S. 38.
Völkergeschichte 25

Kindheit war ein Buch aus Leipzig gewesen, die „Geographischen Fragen" von
Johann Hübner dem Älteren. Dieser höchst breitenwirksame, in fast alle euro-
päischen Schriftsprachen übersetzte Aufklärer Leipziger Observanz — der ge-
lesenste Lehrbuchautor seiner Ära — hat Hunderttausenden von jungen Menschen
und Erwachsenen im ausgehenden 17., im 18. und 19. Jh. das Weltbild der Auf-
klärung eingepflanzt. „Der Hübner" entzündete den lebhaften Geist des kleinen
Ludwig. „Gieriges Lesen von Hübners Geographie" erweckte bei ihm eine „un-
bändige Lust zu reisen und die weite Welt zu sehen". 7 So lenkte dieses Haus-
buch des Knaben Denken früh in globale Dimensionen.
Ideen und Lehren, Bücher und Zeitschriften aus Halle und Leipzig geleiteten
und begleiteten den Gymnasiasten und Studenten. Von seinen Wittenberger
Lehrern hinterließ nur der Wolffianer Hiller, der nach Friedrich Christian Bau-
meister las, dem beliebtesten Popularisator Christian Wolfis, nachhaltige Ein-
drücke bei ihm. Hiller gab ihm eine Empfehlung an Michaelis mit. So wechselte
er von dem einen Betreuer hallesch-aufgeklärter Richtung zum nächsten.
Obwohl Schlözers Wunsch, in Halle zu studieren, sich nicht erfüllte, hat er von der
halleschen wie auch von der Leipziger und Jenaer Aufklärung mehr aufgenom-
men als viele Absolventen dieser Hochschulen. Er wurde auf vielfältige Weise
vom mitteldeutschen Universitätsviereck Halle—Wittenberg—Leipzig—Jena ge-
formt.
Auch wo Schlözer sich in Göttingen nicht unter der Ägide von Michaelis befand,
waren seine Leitsterne Aufklärer von Halle-Leipziger Prägung. Die hallesche
Komponente vertraten unter seinen Göttinger Lehrern — neben Michaelis —
Achenwall, der Wolffianer Pütter und Ludwig Böhmer, die Leipziger Kompo-
nente Matthias Gesner, Heyne und Kästner. Achenwall undPütter bildeten ihn zum
Staatswissenschaftler aus, im Geist von Thomasius und Wolff, den beiden Säulen
der halleschen Aufklärung, sowie der Halle-Jenaer aufgeklärten Historiker,
Staats- und Rechtslehrer Burkhard Gotthelf Struve und Martin Schmeizel.8
Als Philologe war Schlözer „Hiller . . . Gesner und am meisten Michaelis" ver-
pflichtet, die sämtlich von der Halle-Leipziger Aufklärung herkamen. Als Hand-
bücher der Grammatik und Etymologie dienten ihm hauptsächlich hallesche
Drucke. Seine kritisch-philologische Methode eignete er sich bei „Gesner, Micha-
elis und Ihre" an, einem schwedischen Schüler von Michaelis' Vater Benedikt
in Halle.9 Die Anwendung der Quellenkritik und Sprachvergleichung auf die
Völkergeschichte Eurasiens übernahm Schlözer von Gottlieb Siegfried Bayer,
Leibniz und Reiske. Leibniz, Reiske und die aus der Hallen-Leipziger Aufklärung
hervorgegangenen Petersburger Akademieprofessoren Bayer, Gerhard Fried-
rich Müller, Eberhard Fischer und Stählin schritten ihm bei der Säuberung der
Geschichte Osteuropas und Nordasiens vc*n Geschichtslegenden voran. In Leibniz
und Bayer erblickte er die Wegbereiter seines neuen Geschichtsbildes von den
Völkern des Nordens und des Ostens. Dem Halle-Absolventen Fischer schuldete

7
Leben, S. 306, 175; Originalurkunden, 1, S. 463; vgl. Mühlpfordt, Günter, Der Vater
der Populärwissenschaft — Johann Hübner (zum Druck eingereicht).
8
Vgl. Feyl, S. 249-251.
9
Leben, S. 41-46, 77, 252; Originalurkunden, 1, S. 24, 37, 49,463, 467 f.
26 Günter Mühlpfordt

er reiches Material zur Völkergeschichte Nordosteuropas und Sibiriens, vorab der


Finnougrier.
So' war Schlözer hauptsächlich von den beiden Brennpunkten der mitteldeutschen
Aufklärung her profiliert. Der in Norddeutschland tätige Süddeutsche erscheint
daher seiner geistigen Herkunft nach primär als Aufklärer mitteldeutschen Ge-
präges. Unter den Fittichen der Göttinger Tochter der Halle-Leipzig-Jenaer Auf-
klärung entwickelte er sich zum selbständigen Forscher. Mit Recht nannte er
sich einen „Eleven von Halle" und Halle Göttingens „Mutter".10
Schlözers Verquickung von pragmatisch-kausaler Geschichtsforschung mit Länder-
kunde, Staatsrecht, Demographie und Statistik zur größeren Einheit der „poli-
tischen Wissenschaften" war ebenfalls durch die Aufklärung in Halle und Leip-
zig vorgegeben. Diese Leitidee von Cellarius und Hübner wurde auf Göttinger
Boden von Michaelis und dem Altphilologen Christian Gottlob Heyne, dem
Schwiegervater und väterlichen Freund Georg Forsters, weitergeführt. Schlözer
und der Geograph Anton Friedrich Büsching — ebenfalls ein Aufklärer
hallescher Provenienz in Göttingen, danach in Berlin — bauten sie zu einer
Grundlegung der neuen politischen Geschichtsschreibung und der Publizistik so-
wie der politisch-ökonomischen Geographie aus, zu einer mit Zeitgeschichte,
Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik verbundenen Staatenkunde. Schlözers
historisch-politische Zeitschriften sind Spiegelbilder dieser Ganzheit der Polit-
wissenschaften.
Auch süd- und norddeutsche Aufklärer trugen zur Festigung von Schlözers
Methode und Ideologie bei. Unter seinen Göttinger Lehrern sind hierfür Gat-
terer aus Nürnberg und Mosheim aus Lübeck zu nennen. Gatterer führte ihn in
historische Hilfswissenschaften ein, die seine Quellengrundlagen verbreiterten
(Urkundenlehre, Genealogie). Mosheim leitete ihn zu einer positiveren Sicht der
Ketzergeschichte und zu einem modifizierten Asienbild an.
Wesentlichen Anteil hatte an Schlözers Ideologie die westeuropäische Aufklä-
rung. Sein Fortschrittsgedanke basierte auf französischen und schottischen
Historikern und Theoretikern des Fortschritts (Fontenelle, Montesquieu, Turgot,
Condorcet und besonders Goguet11; Ferguson, Miliar und Robertson).12 Fergusons

w
Allgemeine Nordische Geschichte von August Ludwig Schlözer u. a., Halle 1771
(im folg.: Nord. Gesch.), Vorrede, S. 6; Text, S. 263, 287, 392; Leben, S. 177, 187;
Schwabe (vgl. Schwäbische Lebensbilder, Bd. 7, Stuttgart 1960).
11
Goguet, Antoine-Yves, De l'Origine des Loix, des Arts., des Sciences et de leur
Progrès, 3. Bde., Paris/Haag 1758, 6 Bde., Paris 1778; auch deutsch. Einfluß Goguets:
Leben, S. 135, und Schlözer, August Ludwig, Vorstellung der Universalhistorie, Bd. 2,
Göttingen/Gotha 17752, S. 293.
ri
Vgl. Schilfert, Gerhard, Schlözer als Historiker des Fortschritts, in: Lomonosov/
Schlözer/Pallas. Deutsch-russische Wissenschaftsbeziehungen im 18. Jh., hrsg. von
Eduard Winter/Conrad Grau/Peter Hoffmann/Heinz Lemke, Berlin 1962, S. 118-121,
127; ders., Aufklärerisches Geschichtsdenken, in: Ost und West in der Geschichte des
Denkens und der kulturellen Beziehungen. Festschrift Eduard Winter, redigiert von
Hubert Mohr und Conrad Grau, Berlin 1966 (im folg.: Ost und West), S. 232; 236;
ders., Schlözer, in: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, hrsg. von
Joachim Streisand, Bd. 1, Berlin 1963, 19692.
Völkergeschichte 27

„Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft" leitete die Klassen
aus den Eigentumsverhältnissen ab.13 Miliar erkannte in seinen „Bemerkungen
über den Unterschied der Stände" die Ständehierarchie als Klassenherrschaft
auch außerhalb der Staatsform.14 Der Voltairianer William ¿Robertson und
William Rüssel verfolgten den „Fortschritt der Gesellschaft in Europa". 15 Fer-
gusons „Geschichte des Fortschritts der römischen Republik" und Montesquieus
„unsterbliches Werk von den Ursachen der Größe und des Verfalls der Römer"
boten außerdem Modelle einer Volksgeschichte. Montesquieu wirkte auch durch
seinen Konstitutionalismus (Gewaltenteilung). Die englischen Deisten (Boling-
broke u. a.) und Voltaire nährten Schlözers Abneigung gegen die Hierokratie.16
An Voltaires „Esprit des nations" (1756) erinnert Schlözers „Vorstellung seiner
Universalhistorie" (1772) in ihrer Verbindung von Pragmatismus mit histo-
rischer Kritik und in ihrer Deutung der Geschichte als Kampf um den Fort-
schritt. Voltairianisch mutet ferner die scharfzüngige Diktion seiner rationa-
listischen Quellenkritik an.17
Die Einsichten der westeuropäischen Historiker des Fortschritts sind von
Schlözer und seiner Schule im Sinne der aufklärerischen Perfektibilitätsidee
vertieft worden. Schlözer erblickte die Gewähr für den wissenschaftlich-tech-
nischen und gesellschaftlichen Fortschritt in einer „Urkraft" des Menschen,
„seinem regen Triebe, sich zu vervollkommnen", im „Bedürfnis der Menschheit"
nach „Vervollkommnung". Auch Ansätze zur Klassenanalyse zeigen sich bei ihm
und seinen Schülern, besonders bei Reitemeier.18
Viel gaben Schlözer für seine Völkergeschichte des eurasischen Nordens und
Ostens die russischen Aufklärer Tatiäöev und Lomonosov sowie weitere russische
Gelehrte, besonders sein Mitarbeiter Basilov, ferner P. I. Ryckov, der Kam-
tschatkaforscher Kraseninnikov, Poletika, Scerbatov, Barkov u.a.19 In der Quellen-
kritik der frühen westslawischen Geschichte stützte er sich auf den deutsch-
böhmischen Historiker Dobner und den tschechischen Chronisten Häjek. In die
neuere Geschichte Polens drang er mit Hilfe polnischer Quellenausgaben tiefer
ein. Uber die Südslawen informierte er sich bei dem Slowenen PopoviC. Die Ge-

13 Ferguson, Adam, Essay on the History of Civil Society, London 1766; deutsch Leipzig
1768.
" Millar, John, Observations Concerning the Distinctions of Ranks in Society, London
1771; deutsch Leipzig 1772.
1S> Robertson, William, History of the Reign of Emperor Charles V., with a View on the

Progress of Society in Europe, 3 Bde., London 1769; deutsch, 3 Bde., Braunschweig


1771, 1792—942; Russel, William, The Progress of Society, 5 Bde., erweitere Aufl.,
London 1786.
16 Schlözer an die Konferenz der Petersburger Akademie der Wissenschaften (im folg.:

Arbeitsplan), 4. 6. 1764, in Schlözer und Rußland, hrsg. von Eduard Winter/Ludwig


Richter/Liane Zeil, Berlin 1961, S. 55.
" Vgl. Ikonnikov, V. S., Slecer, Kiev 1911, S. 60.
18 Schlözer, August Ludwig, Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre,
Göttingen 1793 (im folg.: Staatsrecht), S. 5,41; Reitemeier, Johann Friedrich, Geschichte
und Zustand der Sklaverei und Leibeigenschaft in Griechenland, Berlin 1789.
28 Günter Mühlpfordt

schichte der finnougrischen Völker lehrten ihn Arbeiten des norwegischen


Historikers Schöning besser verstehen.
Daß Schlözer 1755 nach Stockholm und 1761/62 nach Petersburg kam, war aber
wiederum das Werk von Vertretern der halleschen und Leipziger Aufklärung:
von Michaelis, der ihm in beiden Hauptstädten Stellen vermittelte, von Gerhard
Friedrich Müller, der einen Amanuensis suchte, um seine Quellensammlung zur
Geschichte Rußlands und Sibiriens für den Druck vorzubereiten, und von
Büsching, der als Verbindungsmann zwischen Petersburg und Göttingen fun-
gierte.20 Im Ostseeraum konnte Schlözer seine Sprachkenntnisse erweitern, bekam
Einblick in Wirtschaft und Verhältnisse und fand ausgiebig genutzte Gelegenheit
zur Eruierung von Zeugnissen der Geschichte. So waren die Jahre in Schweden
(1755—59) und Rußland (mit Unterbrechung 1762—67) — einschließlich der Vor-,
Zwischen- und Nachstudien in Göttingen — eine ideale Vorbereitung für einen
angehenden Historiker Nord- und Osteuropas.
Das zu werden, lag anfangs gar nicht in Schlözers Absicht. Es zog ihn in den
Orient — nach Indien und Arabien. Schweden und Rußland waren nur als Durch-
gangsstationen gedacht. Als sich ihm dort aber vielfältige Anwendungsmöglich-
keiten für die Quellenkritik boten, wuchs Schlözer in die Rolle des Nord- und
Osteuropahistorikers hinein. Es war ein riesiges Arbeitsfeld, voll ungelöster
Forschungsaufgaben, die er mit den Mitteln seiner kritisch-vergleichenden,
ethnisch differenzierenden Quellenforschung anpackte. Bei der Bearbeitung
russischer Quellen und bei der Darstellung weiträumiger Geschichtsabläufe öst-
licher Völker bewies er seine doppelte Gabe, einerseits minutiös zu zergliedern,
andererseits trans- und interkontinentale Zusammenhänge souverän zu über-
schauen. So reifte er in den „schwedischen" 50er und den „russischen" 60er Jahren
zum Völkerhistoriker großen Stils — zum ersten kritischen Fachvertreter der
Osteuropäischen Geschichte.
In Schweden machte Schlözer das Tagebuch des Generals Löwenhaupt, des Be-
siegten der Entscheidungsschlacht bei Poltava (1709), ausfindig. Dadurch bekam
er früh einen Begriff von der Stärke Rußlands.
1759—61 folgte seine zweite Göttinger Studienzeit, wieder unter Michaelis* Lei-
tung, mit dem Schwergewicht auf Geschichte und Staatenkunde bei Pütter und
Achenwall. Die Wendung zu den politischen Wissenschaften war'Vollzogen.
ls
(Denkschriften Schlözers), in: Schlözer und Rußland, S. 56, 191 passim; vgl. Winter,
Eduard, Schlözer und Lomonosov, in: Lomonosov/Schlözer/Pallas, S. 107—114; Zimin,
A. A., Schlözer und die russische Chronistik, ebenda, S. 132—137; Müller, Ludolf,
Schlözer und die Nestor-Chronik, ebenda, S. 138—149; Grau, Conrad, TatiSCev, Lomo-
nosov und Schlözer, ebenda, S. 150-161; ders., TatiSöev, Berlin 1963, S. 111.159,161 f.,
165; Mühlpfordt, Günter, Lomonosov und die mitteldeutsche Aufklärung, in: Studien
zur Geschichte der russischen Literatur des 18. Jh., hrsg. von Helmut Graßhoff/Ulf
Lehmann, Bd. 2, Berlin 1968, S. 135-231, 401-427; ders., Leipzig als Brennpunkt der
internationalen Wirkung Lomonosovs, ebenda, Bd. 3, Berlin 1968, S. 271—416, 576—600.
Vgl. Mühlpfordt, Günter, Büsching, in: ZfG, 2, 1954, Beiheft 1, S. 40 ff.; Mohrmann,
Heinz, Russich-deutsche Begegnungen, Berlin 1959, S. 25—29; Richter, Ludwig, Uber
Schlözers Beitrag zum deutschen Rußlandbild, in: Lomonosov/Schlözer/Pallas, S. 187 f.;
Hoffmann, Peter, Büschings „Wöchentliche Nachrichten", in: Ost und West, S. 312.
Völkergeschichte 29

Nach Rußland trieb Schlözer die „Neugier", dieses Reich kennenzulernen, von
dem er „viel sonderbare Nachrichten" hatte. Er schlug eine Professur an der
Universität Rostock-Bützow aus, um sich die Rußlandreise nicht entgehen zu
lassen. Das russische Volk trat nun in Schlözers Blickfeld: „Die Nation ... nahm
mich . . . f ü r sich mit Achtung ein . . . Welch tätige, rührige, gewandte Wesen
zeigten sich in allen Klassen . . . Was könnte . . . aus diesem Menschenschlag
werden, wenn er menschliche Freiheit ... bekäme!" In Petersburg spürte
Schlözer mit Feuereifer den Fundgruben der russischen und sibirischen Ge-
schichte, Sprachen und Landeskunde nach. In der „ungeheuren Kaiserstadt" er-
griff ihn der Drang, die Rätsel der Völker des Ostens zu lösen. Bewundernswert,
was er binnen kurzem an Chroniken, Sprachdenkmalen, Rechtsaltertümern und
Reiseberichten erkundete. 1762 wurde er auf Betreiben Müllers zum Adjunkt der
Petersburger Akademie der Wissenschaften ernannt und erlangte damit die An-
wartschaft auf eine Akademieprofessur. 21
Schlözers Petersburger Arbeitsplan vom Juni 1764 kommt an Genialität dem
Reisejournal Herders von 1769 nahe. Es war ein Programm fürs Leben. Schlözer
bewunderte den „Reichtum russischer Chroniken", auf den Rußland „stolz zu
sein Ursache hat". Anhand dieses Fundus wollte er alle wichtigen „Begebenheiten
und Veränderungen der russischen Nation" in ihrem historischen Kontext dar-
stellen. Ein derartiges Werk sei dringendes Gebot. „Europa wartet" voll „Un-
geduld" darauf, mit der „Geschichte eines Reiches" bekannt zu werden, „das
heutzutage eine so glänzende R o l l e . . . spielt." 22
Von der russischen Geschichte schweifte Schlözers Blick weiter zur gemein-
slawischen. Als unentbehrlich f ü r die kritisch-philologische Verwertung der
russischen Annalen erkannte der Michaelis-Schüler die vergleichende „Unter-
suchung der slavonischen Mundarten" (Sprachen), so, neben dem Russischen und
Altslawischen, die „der böhmischen, der polnischen". Polnisch hatte er schon
in Schweden zu lernen begonnen. Kaum konnte er Russisch, verfaßte er eine
russische Grammatik. Ab 1763 betrieb Schlözer — eingedenk der Lehre von
Michaelis, unklare Wörter „in den verwandten Dialekten" (Sprachen) aufzu-
suchen — systematisch das Studium der Slawinen, um die Geschichte aller sla-
wischen Völker in den Volkssprachen erforschen zu können. 23
Seine verblüffende Schnelligkeit im Sprachenlernen — Schlözer verstand 16 Spra-
chen — erreichte er mit der „Wurzelmethode", nach der vordem der hallesdie
Frühaufklärer Christoph Cellarius Wörterbücher angelegt hatte. Schlözer stellte
Stammwörter mit ihren Ableitungen zusammen und suchte dazu indogerma-
nische Verwandte im Griechischen, Lateinischen und Deutschen auf. Dieses ety-
mologische Verfahren erleichtert die Einprägung der Vokabeln. Geschult hatten
den Studenten in dieser „Sprachmethode, auf die ich, 15 Jahr alt, von selbst ver-
fallen war . . . Hiller . . . Gesner und am meisten Michaelis". Schlözer sah ihren
Vorzug darin, daß sie „durch Denken weiter als durch Memorieren führt". Daher
ordnete er den Wortschatz nach „Wurzel-(Stamm-)Wörtern", von denen er

21 Originalurkunden, 1, S. 66 f.; Leben, S. 74 f., 21.


Schlözer und Rußland, S. 49-65, 46, 52, 54,191.
~a Ebenda, S. 56; Originalurkunden, 1, S. 34.
30 Günter Mühlpfordt

„Wörtergenealogien" (Wortfamilien und -Sippen) ableitete: „Ich machte in allen


Sprachen auf radices Jagd. Hatte ich . . . 100 radices . . . , kosteten mich 400 deri-
vata (und noch weit mehr composita) wenig neue Mühe; ohne aufzuschlagen,
erriet ich ihre Bedeutung . . . Nach dieser Wurzelmethode griff ich nun auch das
Russische an", wo „unter 10 . . . Grundwörtern . . . 9 waren, die sich auch . . . im
Deutschen, Lateinischen oder Griechischen . . . fanden . . . Als mir die meisten
russischen radices geläufig waren, standen mir nun alle slavischen Dialekte . . .
offen." Das unentbehrliche Hilfsmittel dazu, den „russischen Cellarius, wo alle
Wörter unter ihren . . . Wurzeln, mit der lateinischen Bedeutung, standen", ver-
schaffte ihm Gerhard Friedrich Müller. Es war eine russische Bearbeitung des
Lateinlexikons von Cellarius durch Kirill Kondratovic.2''
Für Schlözers Völkergeschichte wurde sein vergleichend-etymologisches Spra-
chenstudium höchst fruchtbar. Er sah den Vorteil, den der Historiker hat,
wenn er „die Bücher . . . in ihrer Grundsprache lesen kann".25 Auch Katharina II.
war von der Wurzelmethode angetan. Die Zarin „stellte 2—300 russische Wurzel-
wörter zusammen" und ließ sie von Halles Zögling Pallas in „über 200 Sprachen
und Mundarten übersetzen". Das nannte sie ihr „Steckenpferdchen".26
Schlözers vergleichende Wortlisten zum Beweis der Verwandtschaft zwischen
Russisch/Altslawisch, Griechisch, Latein und Deutsch sind ein frühes Zeugnis der
Indogermanistik. Sie reihen ihn unter die Vorläufer der vergleichenden Sprach-
wissenschaften des 19. Jh. ein. Die gemeinsame Herkunft der griechischen, roma-
nischen, germanischen und slawischen Sprachen stand für ihn schon 1763 fest.
Auch die Zugehörigkeit des Baltischen, Iranischen, Armenischen, Phrygischen,
Thrakischen und Keltischen zur gleichen Sprachengruppe war ihm klar. „Von
den Germaniern in Island an bis zu den Persern" (noch fehlten die Inder) er-
streckte sich eine große Völkerfamilie.27
Um dem Wirrwarr bei der Schreibung russischer und altbulgarisch-kirchen-
slawischer Namen und Wörter abzuhelfen, ersann Schlözer eine Transkription
des kyrillischen Alphabets nach festen Regeln.28 Er empfahl und praktizierte auch
eine vereinfachte deutsche Rechtschreibung.
Doch sein überspanntes Selbstbewußtsein, das ihn zeitlebens in Zwistigkeiten
verwickelte, erweckte ihm auch in Petersburg Gegner. Statt als Handlanger
Müllers wollte er selbständig arbeiten. Sein Streit mit Müller und Lomonosov

'M Originalurkunden, 1, S. 451; Leben, S. 40 f., 43 ff. Vgl. zur schlözerschen Methode,
Sprachen mit Hilfe der Wortstämme und der Etymologie zu erlernen, Mühlpfordt,
Günter, Russische Wortkunde, Gotha 1948, 311 S. (russischer Wortschatz in 650 Wort-
familien).
2 3 Arbeitsplan, Beilage B, § 3, S. 61.

a> Katharina II. an Zimmermann, 20.5.1785, zit. nach Marcard, Heinrich Matthias,
Zimmermann und Katharina II., Bremen 1803, S. 309 f., Pallas, Peter Siemon, Lingua-
rum totius orbis vocabularia comparativa, 2 Bde., Petersburg 1787/89; vgl. Fulda,
Friedrich Karl, Wurzelwörter, Halle 1776.
Schlözer an Büttner, 19. 7. 1763, zit. nach Ost und West, S. 330; Nord. Gesch., S. 285,
316, 325.
*» Vgl. Mühlpfordt, Günter, Transkriptionsprobleme. Die korrekte Wiedergabe russischer
Namen, Berlin 1957, 176 S.
Völkergeschichte 31

eröffnete die lange Reihe persönlicher Auseinandersetzungen, bei denen Auf-


fassungsgegensätze mit Rivalitäten verwoben waren. Die Kontroverse mit Lomo-
nosov rührte in der Sache daher, daß Schlözer ähnlich anderen ausländischen
Rußlandhistorikern den Anteil Fremder ein der russischen Geschichte über-
betonte. Namentlich schrieb er die Gründung der altrussischen Staatswesen zu
Unrecht skandinavischen Warägern zu, wie Bayer vor und Kunik nach ihm
(„Normannentheorie").
Unterdes erwirkte Michaelis 1764 seine Ernennung zum Professor der Universität
Göttingen.29 Katharina II. berief Schlözer danach, an der Jahreswende 1764/65,
zum Akademieprofessor für russische Geschichte.30 Als das neue Akademiemit-
glied 1765 Petersburg zu längerem Arbeitsurlaub verließ — Kopf und Gepäck voll
Ideen und Materialien zur russischen Geschichte —, waren aus einem Jahr Ruß-
land, wie Schlözer vorgehabt hatte, fast vier geworden. Vier junge Russen reisten
mit ihm, um unter seiner Mentorschaft das Studium in Göttingen aufzunehmen.
Damit begann Schlözers Göttinger Lehr- und Betreuertätigkeit für Studenten aus
dem Russischen Reich, die vier Jahrzehnte währte. Daß deren Zahl in Göttingen
seit seiner Rückkehr sprunghaft anstieg, war hauptsächlich auf ihn zurück-
zuführen.
1766/67 weilte Schlözer nochmals in der neuen russischen Metropole. Jetzt nahm
er mit Hilfe Basilovs die Ausgabe russischer Quellen in Angriff, während sein
Mitarbeiter Gotthilf Stritter aus Nassau, den Michaelis vermittelt hatte, die By-
zantinoslavica erschloß. Wieder kehrte Schlözer mit Handschriftenschätzen reich
beladen heim. Die Jahre in Rußland zählte er zu seinen angenehmsten Er-
innerungen.31
1769 übernahm Schlözer ein Göttinger Ordinariat, zu dem ihm Michaelis und sein
Ruf als Rußlandkenner verhalfen.32 Auch Kassel begehrte ihn.33 Der Petersburger
Akademie der Wissenschaften blieb Schlözer verbunden. Mit ihren Sekretären
Stählin und Albrecht Euler führte er weiterhin eine wissenschaftliche Korrespon-
denz. Wie führende Halle-Leipziger Aufklärer (Wolff, Burkhard Mencke, Gott-
sched) Gelehrte für ein Wirken in Rußland gewonnen hatten34, warb er die Astro-

** Resolution Georgs III., 24.4.1764, zit. nach Frensdorf?, Ferdinand, Schlözer, Göttingen
1909, S. 13; Leben, S. 213, 296 f.; Originalurkunden, 1, S. 86; Schlözer und Rußland,
S. 7,48 f.
30
Büsching, Anton Friedrich, Gerhard Friedrich Müller, in: Ders., Lebensgeschichte
denkwürdiger Personen, Bd. 3, Halle 1785, S. 66 ff.; Leben, S. 119 f., 130 f.; Original-
urkunden, 1, S. 86.
'31 Leben, S. 121; Originalurkunden, 1, S. 64, 67,49,154.
32
Schlözer an Brandes, 10.10.1769, zit. nach Frensdorff, S. 14 ff.
133
Vgl. Grau, Conrad, Herder, die Wissenschaft und die Akademien, in: JbG, Bd. 19,1979,
S. 105.
Vgl. Mühlpfordt, Günter, Deutsch-russische Wissenschaftsbeziehungen in der Zeit der
Aufklärung, in: 450 Jahre Universität Halle-Wittenberg, 2, S. 169—197; ders., Die
Petersburger Aufklärung und Halle, in: Canadian-American Slavic Studies, 13, Winter
1979, 4, S. 488-509; Lehmann, Ulf, Der Gottschedkreis und Rußland, Berlin 1966,
S. 13, 21, 30, 49, 58; Mühlpfordt; Petersburg und Halle, in: JbGSLE, 25/2,1981.
32 Günter Mühlpfordt

nomen und Forschungsreisenden Georg Moritz Lowitz und Lexell f ü r die Peters-
burger Akademie. 35
In Petersburg und bei der Untersuchung russischer Chroniken begründete
Schlözer sein Ethos als „Wahrheitsforscher", der „nichts verschweigt und . . .
nichts verfälscht". Sein Credo, „der Wahrheit ewig treu und über Vorurteile und
Leidenschaften erhaben" 36 , zu befolgen, ist dem Reizbaren und oft recht sub-
jektiv Urteilenden nicht immer gelungen. Grundsätze und historiographische
Praxis klafften manchmal auch notgedrungen, aus Zensur- und Sicherheitsgrün-
den, auseinander.
Voll beherzigt hat Schlözer aber seine aufgeklärt-kritische Einstellung zur Uber-
lieferung. Gerade sie betätigte er systematisch zuerst im Umgang mit den Quellen
der Völkergeschichte des Nordens und Ostens. Er ersetzte dabei „alten Anti-
quarier-Glauben", d. h. leichtgläubig-unkritisches Ausschreiben und Ubernehmen,
durch „historische Kritik". Er verwarf alteingewurzelte Meinungen, die „bloß
auf Treu und Glauben" beruhten, ohne daß man sich von ihrer Berechtigung
überzeugt hatte. Die gängigen Schilderungen der älteren Geschichte seien viel-
fach nur „Mythologie, in Historie verkleidet".
Schlözer nahm zwei Arten von Geschichtsklitterern aufs Korn: die „Stoppler"
und die „Leichtgläubigen". „Stoppler" schalt er Pseudohistoriker, die, statt sich
auf Gesichertes zu beschränken, aus kritiklos abgeschriebenen Vorlagen unwahr-
haftige Geschichte „zusammenstoppelten". Unter den „Leichtgläubigen" verstand
er jene, die „Stopplern" vertrauten. 37
So erblickte Schlözer seine Aufgabe zunächst darin, „Fabeln auszumerzen", das
Gespinst der bisherigen, „mit Fabeln durchwebten Geschichte" zu zerstören, um
„die Wahrheit aus dem Gedränge der Irrtümer herauszureißen". 38 Oberstes Gebot
suspekten Quellenstellen und Geschichtsklitterern gegenüber war es f ü r ihn,
keinerlei fragwürdige Angaben zu übernehmen. Die Arbeit des Historikers müsse
mit dem Zweifel am Quellentext beginnen. „Prima lex historiae ne quid falsi
dicat." Lieber Lücken lassen als Irriges oder Fragliches behaupten. Dem ,Errare
humanum est', dem Sichabfinden mit dem Fehlerhaften galt Schlözers Kampf
nicht minder als dem ,Ignoramus et ignorabimus'. „Ein besiegter Irrtum" diene
dem Fortschritt „im Reich der Wissenschaften . . . ebensoviel . . . wie eine er-
rungene Wahrheit". 39
Indem Schlözer so den Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Überkommenen zum
Ausgangspunkt seiner Forschung erhob, wurde er ein Descartes der Geschichts-
wissenschaft. Gemeinsam war beiden die Infragestellung bisher anerkannter
Autoritäten und damit die Anzweifelung der herrschenden Lehren und Gewalten.

35 Schlözer und Rußland, S. 35, 212 f., 215, 222 f., 247.
Nestor. Russische Annalen in ihrer slavonischen Grundsprache verglichen, übersetzt
und erklärt, hrsg. von August Ludwig Schlözer, 5, Göttingen 1809, S. XXXII; Arbeits-
plan (1764), § 17, S. 59 f.
37 Nord. Gesch., Vorrede, S. 4, 6 f.; Text, S. 225.
Arbeitsplan (1764), § 6, S. 53.
39 Schlözer, August Ludwig v., Probe russischer Annalen, Bremen/Göttingen 1768, S. 51
(im folg.: Probe russischer Annalen).
Völkergeschichte 33

Dadurch lief Schlözers Kritik gleich dem Zweifel des Descartes auf die Be-
kämpfung der Adelsherrschaft und ihrer Fürstenregime hinaus.
Bei aller Schärfe seiner Kritik war Schlözer jedoch kein Skeptizist. Er verwahrte
sich gegen die Unterstellung, als vertrete er einen „historischen Skeptizismus".
Wie bei dem Frühaufklärer Bayle war seine Skepsis keine grundsätzlich-welt-
anschauliche, sondern eine zielgerichtet-partielle, objektiv antifeudale. Statt
eines alles relativierenden und herabsetzenden Skeptizismus stellte er den Fa-
beleien seiner Vorgänger einen gesunden, theoretisch vertieften Positivismus ent-
gegen. Eine weitere Maxime von Schlözers „Hauptreform", d. h. grundlegender
Neugestaltung der Geschichtswissenschaft (sein Ausdruck), lautete darum, jede
Zeit aus sich selbst zu verstehen.40
Von der Analyse schritt Schlözer zur Synthese. Er wollte die „Weltgeschichte . . .
reformieren", d. h. ein neues Geschichtsbild schaffen. Seit den Jahren in Rußland
datiert sein „Versuch, die Universalhistorie in Weltgeschichte umzubilden", in
eine „pragmatische", kausal demonstrierende, lehrhaft-nutzbringende, künst-
lerisch gestaltete und gegenwartsbezogene Geschichtsbetrachtung. In seinem
Petersburger Lehrgang der Menschheitsgeschichte berücksichtigte er auch Völker,
die von der konventionellen Universalhistorie vernachlässigt oder ignoriert wur-
den, namentlich die Gründer afroasiatischer und eurasischer Weltreiche: „die
Araber, Türken und Mongolen".41 Seine allgemeingeschichtlichen Vorlesungen in
Petersburg und ab 1770 in Göttingen baute er zu Leitfäden aus, die viel Anklang
fanden.42 Anhand von Schlözers Weltgeschichte aus dem Jahr 1772 wurden bei-
spielsweise schon 1773 in Halle Vorlesungen gehalten.43 Während der 80er Jahre
las dort Georg Forsters Vater Reinhold Geschichte und Geographie nach
Schlözer.44 Auch in Jena wurde Weltgeschichte im Anschluß an Schlözer vor-
getragen.45
Im Unterschied zu bloßer Faktologie und über die herkömmliche juristisch-
etatistische Fachhistorie hinaus erstrebte Schlözer Einsicht in die Gesetze der Ge-
schichte. Der aufklärerischen Idee vom Fortschritt als Weg zur „Vollkommenheit"
entsprechend lehrte er den gesetzmäßigen Aufstieg der Menschheit von Niederem
zu Höherem, ihre „sukzessive ... Veredlung" (fortschreitende Vervollkomm-
nung).46 Er gehörte damit, wenn ihm auch die tiefere Dialektik verschlossen blieb,

*> Nord. Gesch., Vorrede, S. 6 f.; Text, S. 40.


« Staatsrecht, S. 28,123; Arbeitsplan (1764), § 3, S. 52; Leben, S. 135 f.
42 Schlözer, August Ludwig, Vorstellung seiner Universalhistorie, 2 Bde., Göttingen
1772 f. (im folg.: Vorstellung); 17752 als: Vorstellung der Universalhistorie (mit A n -
hang: Ideal der Weltgeschichte);3 1785—89; als: Weltgeschichte, 2 Bde. Neuaus-
gabe 1792-1801; Originalurkunden, 1, S. 451 f.; Schilfert, Schlözer, S. 116 f.
u Hallische Gelehrte Zeitungen, 1773, S. 264.

44 Universitätsarchiv Halle, Rep. 3, Jahrestabellen 1782—84; Wöchentliche Hallische A n -

zeigen, April 1781, Nr. 18, S. 277, und Oktober 1781, Nr. 42, S. 661; vgl. Hoare, Michael E.,
Reinhold Forster, Melbourne 1976, S. 224 f., 228; Mühlpfordt, Günter, Deutsche Prä-
jakobiner. Bahrdt und die beiden Forster, in: ZfG, 28,1980,10, S. 970-989.
Vorlesungsverzeichnis Jena, 1789, in: Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-
zeitung, 1789, Sp. 475.

3 Jahrbuch 25
34 Günter Mühlpfordt

zu den frühen Verkündern des Entwicklungsgedankens in den Gesellschafts-


wissenschaften.
Von der damals dominierenden staatsrechtlich-dynastischen Geschichtsschreibung
hatte Schlözer sich bereits in seiner schwedischen Zeit abgewandt. Seine Erstlings-
schriften aus jenen Jahren betrafen Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte.47
Schlözer wollte zeitlebens nicht so sehr „Könige . . . Thronveränderungen, Kriege
und . . . Allianzen" beschreiben, als vielmehr die Fortschritte der Völker in Wirt-
schaft und Verfassung, Wissenschaft und Kunst darstellen. Besonders fesselten
ihn die gesellschaftlichen Zustände.
An die Stelle devoter Hofhistoriographie trat bei Schlözer die quellen- und ge-
sellschaftskritische Untersuchung der Verhältnisse von Handel und Wandel,
Ständen und Reformen, geistiger und materieller Kultur, einschließlich der
Technik. Die Völker waren vor den Fürsten d#, stellte er fest, die Historiker aber
behandeln die Fürsten und deren Kriege vor den Völkern.48 Deshalb forderte er
weniger Kriegs- und mehr Kulturgeschichte, statt bloßer Fürsten- wirkliche
„Völkerhistorie", die „ein Volk nach ( = in — G. M.) allen seinen Revolutionen
( = Umwälzungen — G. M.) und Situationen" in seinen „merkwürdigen Begeben-
heiten und Veränderungen" schildert.49 Schlözer rügte Geschichtsschreibung „im
Geschmack der AnnoDominiMänner" (Annalisten), weil Chronisten und Histo-
riker „nur Schlachten, Thronveränderungen und Biographien der Herrscher ver-
zeichneten, nicht aber, wie ein Volk zu seiner Justiz- und Finanzverfassung, zu
seinen Erbpatriziern und seiner Armut usw. gekommen sei". Wichtiger als „Con-
queranten und Weltverwüster" seien für das Fortschreiten der Menschheit weit-
schauende „Gesetzgeber und andere Wohltäter der Nationen" gewesen. Habe doch
„die stille Muse eines Genies und die sanfte Tugend eines Weisen oft größere
Revolutionen angerichtet als der Sturm allmächtiger Wüteriche, ein glücklicher
Vernunftschluß die Welt oft mehr verschönert als . . . Millionen Krieger sie ver-
wüstet haben".
Deshalb trat Schlözer „dem verderblichen Geschmacke an Mordgeschichten" ent-
gegen. Er teilte den Vorwurf gegen die herkömmliche dynastisch-außenpolitische
Geschichtsschreibung, „bei allen Staaten zuwenig Aufmerksamkeit auf . . . Kon-
stitution und innere Beschaffenheit" zu richten. Die innere Geschichte war ihm
wichtiger als die äußere. Der Historiker habe den „ununterbrochenen Fortgang
des menschlichen Geistes von Entdeckung zu Entdeckungvon „Erfindung"
zu Erfindung bis zur „jetzigen Kultur" zu verfolgen.50

48 Vorstellung, Bd. 1, 1772, 17752, S. 1 f.; Originalurkunden, 1, S. 452, 455; vgl. Schilfert,
Schlözer, S. 115, 117, 119, 121, 125, 127; ders., Aufklärerisches Geschichtsdenken,
S. 234.
Schlözer, August Ludwig, Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten, Rostock
1761 (Schwedisch von Schlözer, Stockholm 1758); ders., Neueste Geschichte der Gelehr-
samkeit in Schweden, 5 Stücke, Rostock 1756-1760 (Zeitschrift).
48 Schlözer, August Ludwig, Theorie der Statistik, Göttingen 18Ö4, S. 92; Nestor, 2,
Göttingen 1802, S. 33; Originalurkunden, 1, S. 57, 453; vgl. Zimin, S. 135 f.
49 Haigold, Johann Joseph (Pseudonym Schlözers), Neuverändertes Rußland, Bd. 1, Riga
17713, Vorerinnerung, S. 3; Nord. Gesch., S. 286; Arbeitsplan, S. 52.
Völkergeschichte 35

Schlözer war überzeugt, daß ethnische Gemeinschaften dauerhafter sind als


Fürstenstaaten und wichtiger als feudale Wirren. Deshalb gliederte er den ge-
schichtlichen Stoff nach Völkern statt nach Monarchien. Uber der vergänglichen
Hausmacht der Dynastien stand ihm die fortzeugende Geschichtskraft der Völker.
Im Gegensatz zu Juristen- und Historikerschulen seiner Zeit und zur späteren
Ranke-Schule lehrte er den Primat der inneren Entwicklung des Volksganzen
vor der Außenpolitik der Regierungen.
Abweichend von Verfechtern eines geographisch-klimatologischen Determinis-
mus wie Montesquieu schätzte Schlözer die ethnischen Faktoren auch höher ein
als die geographischen. Er erklärte die Südslawen für „Nordländer",, obwohl bei
ihnen „Luft und Klima südlich" sind.
Somit begriff Schlözer die Geschichte primär als „historische Völkerkunde". Ihm
bedeutete die Menschheitsgeschichte eine Summe von Volksgeschichten. Eine
Weltgeschichte habe den „Blick auf das Ganze unserer Völkerkunde" zu richten,
eine Nationalgeschichte alle Stände des Volkes zu umfassen. Eine russische Ge-
schichte solle sich also nicht mit Zaren und Bojaren begnügen, sondern die
„russische Nation in ihrer natürlichen Verbindung", in ihrem historischen Zu-
sammenhang beschreiben, d. h. die Gesamtentwicklung des Volkes. In einer Ära
monarchistischer und territorialistischer Staatsdoktrinen stellte Schlözer den
volks- und nationalgeschichtlichen Aspekt obenan. Volk und Nation sind bei ihm
und anderen Aufklärern Synonyme. 51
Die Betonung des Ethnos als sprachlich-historische Einheit rückte dessen gesell-
schaftliche Differenzierung gegenüber den Gemeinsamkeiten des Volksganzen
und der Sprachfamilie etwas in den Hintergrund. Demzufolge erscheint in
Schlözers Völkergeschichte das Soziale oft mehr als Bestandteil des Ethnischen
denn als selbständige geschichtliche Kategorie. Im Rahmen seiner Staatenkunde,
namentlich in der Verfassungsgeschichte und -theorie, hat er dagegen die Volks-
gesellschaft als in sich zerklüftete Ständegesellschaft begriffen. Darin schenkte er
den sozialen Faktoren stärkere Beachtung.
Auf Grund seiner komparatistisch-linguistischen Schulung erkannte Schlözer die
genetische Zusammengehörigkeit der slawischen Völker wie auch die der finno-
ugrischen so klar wie kein Historiker vor ihm. Umgekehrt trennte er Völker, die
infolge Symbiose, Namensanklang oder antikisierender Namensübertragung als
zusammengehörig angesehen, gleichgesetzt oder verwechselt wurden, aber ver-
schiedenen Sprachfamilien angehören, z. B. Letten und Esten, Protobulgaren und
Südslawen, Illyrer und Serbokroaten, Goten von Geten, Wenden von Wandalen,
Mongolen und Turkvölker, Hunnen und Ungarn. Demographische Namen, die
keine sprachliche Gemeinsamkeit ausdrücken (Indianer, Sibirier), verwarf er. So
handhabte er die vergleichende Ethnographie und Etymologie als historische
Hilfswissenschaften.

i50 Staatsrecht, S. 11; Vorstellung, Bd. 1, S. 30, 33; Allgemeine Literaturzeitung, 1789,
Bd. 2, Sp. 345; vgl. Schlözer, Karl v., Ehrenrettung Schlözers, Lübeck 1846, S. 1;
Schaumkell, Ernst, Geschichte der deutschen Kulturgeschichtsschreibung, Leipzig 1905,
Neudruck Leipzig 1970, S. 63.
01 Nord. Gesch., Vorrede, S. 3; Text, S. 286; Arbeitsplan, S. 52; Staatsrecht, S. 151,158.


36 Günter Mühlpfordt

Ein Schulbeispiel der ethnischen Geschichtsbetrachtung lieferte Schlözers „Nor-


dische Geschichte" (1771), die er für sein bestes Werk hielt.52 Darin bot er eine
„ethnographische Vorstellung dieses Weltteils nach seinen Stammvölkern" (Vor-
rede, S. 6). In den „Begriff der nordischen Geschichte" bezog er alle Länder östlich
und nördlich von „Elbe und Donau" sowie Südosteuropa ohne Griechenland ein,
um so die „europäische Geschichte in zwei große Hälften zu zerlegen" (Vorrede,
S. 2 f.). Das Kernstück des Werkes, seinen „Abriß der nordischen Geschichte",
unterteilte Schlözer demgemäß nicht nach geographischen oder politischen Ge-
sichtspunkten, sondern nach dem Sprachprinzip in „skandinavische Geschichte",
„slavische"„ „lettische" (mit litauischer und altpreußischer), „finnische" (mit est-
nischer, wolgafinnischer u. a.), „ungrische" und „walachische" (rumänische; S. 209
bis 262).
Um die „slavische Geschichte" nicht zu zerreißen, rechnete er auch die Ukrainer,
die West- und selbst die Südslawen zur nordischen Geschichte. Er bezog die
Slawen auf dem Balkan wie auch die „in Italien und Ungarn in eine nordische
Geschichte" ein „wegen der natürlichen Verbindung ihrer Geschichte mit der
übrigen slavischen" (S. 212 f.). „Die Slaven sind unstreitig ein nordisches Volk,
und da die Methode befiehlt, alle Zweige eines Völkerstammes beisammen zu
lassen", gehören auch die Balkanslawen „in die nordische Geschichte . . . Ihre Be-
gebenheiten sind mehr in die nordische als in die südliche europäische Geschichte
eingeflochten" (Vorrede, S. 3).
Damit deutete Schlözer die Vorstellung von einem „nordischen", d. h. nord- und
osteuropäischen Staatensystem ethnologisch um. Nach jener seit dem 16. Jh. ver-
breiteten und durch den Großen Nordischen Krieg (1700—21) gefestigten Auf-
fassung waren Rußland und Polen nicht östliche, sondern nordische Länder. Von
Rußland sprach man im 18. Jh. allgemein als einem nordischen Land. Auch Hol-
land mit seiner starken Stellung im Handel des Nord- und Ostseeraumes galt
manchem als nordischer Staat.
Acht Jahre nach Ludwig August Schlözer veröffentlichte Christoph Adelung seine
deutsche Fassung eines englischen Werkes von J. Williams über die „Nordischen
Reiche, nämlich die Niederlande, Dänemark, Schweden, Rußland und Polen"
(Leipzig 1779). Diesem Buch kam das durch Schlözers Nordische Geschichte er-
weckte Interesse zugute.
Als Träger der nordischen Geschichte sah Schlözer das germanisch-baltisch-
slawisch-finnougrisch-rumänische Völkergefüge an. Er erweiterte damit den Be-
griff nach dem ethnischen Prinzip in zwei Richtungen: im Süden um die süd-
lichen West- und Ostslawen, die Ungarn, Rumänen und Südslawen, im Osten,
entsprechend der Verbreitung des russischen Volkes und ugrischer Stämme, um
Sibirien. Somit gab Schlözer dem geographischen und politischen Terminus
„nordisch" einen neuen, völkergeschichtlichen Inhalt und eurasische Dimen-
sionen, indem er Südosteuropa (ohne Griechen, Albaner, Türken u. a.) und Nord-
asien einbezog.
Seit seinen Reisen über die Ostsee fanden die Völker slawischer Sprache Schlözers
besondere Aufmerksamkeit. Zum besseren Verständnis der inneren und äußeren
!K!
Originalurkunden, 1, S. 456.
Völkergeschichte 37

Entwicklung Rußlands studierte er auch die der Bulgaren und „die Historici der
benachbarten Völker . . p o l n i s c h e , böhmische, ungrische".53 Für seinen ersten
Vortrag vor der Göttinger Sozietät der Wissenschaften wählte er ebenfalls das
Slawentum als Thema. 54
In seiner „Nordischen Geschichte" unterschied Schlözer neun „slavische Haupt-
dialekte oder . . . Hauptnationen": „Russisch, Polnisch, Böhmisch, Lausitzisch,
Polabisch, Windisch, Kroatisch, Bosnisch und Bulgarisch". Das „Bosnische" setzte
er mit dem „Serbischen" gleich (S. 330—334). Diese Gliederung der Slawinen be-
hielt er auch 30 Jahre später in seinem „Nestor"-Kommentar bei.55
Die Geschichte der slawischen Völker teilte Schlözer in „24 Spezialgeschichten"
ein. Dieses „slavische Völkersystem", die „weite Enzyklopädie slavischer Ge-
schichte", ordnete er in sieben regionale Gruppen: „russische, polnische, böh-
mische, deutsche, illyrische, ungrische und türkische Slaven" (S. 222, 241, 253). Die
Dreiheit von Ost-, West- und Südslawen war noch nicht erkannt. Unter den
„russischen Slaven" verstand Schlözer alle Ostslawen, mit den „kosakischen" als
Sonderform. „Deutsche Slaven" waren für ihn die im Deutschen Reich ansässigen,
von den Abodriten bis zu den Slowenen. Als „ungrische Slaven" galten die Slo-
waken, als „illyrische" die Serbokroaten, als „türkische" (im engeren Sinne) die
Bulgaren.
Die slawische sei der „interessanteste Teil der nordischen Geschichte". Schlözer
gebrauchte oft das kürzere Adjektiv „slavisch" an Stelle des damals üblichen,
dreideutigen „slavonisch", das er häufig auf das Kirchenslawische und mitunter
auf die kroatische Landschaft Slawonien beschränkte. Wenn gegenwärtig auch
in den angelsächsischen Ländern, von Nordamerika aus, „Slavic" das ältere Wort
„Slavonic" verdrängt, so geht das letztlich auf Schlözer zurück. Die Entstellung
„sclavonisch" lehnte er wegen des irreführenden Anklangs an „Sklave" ebenso
ab wie die Verzerrung von „Tataren" zu „Tartaren" (nach lateinisch tartarus
,Hölle'; S. 221, 231, 238).
Imponierend fand Schlözer die große Verbreitung der Slawen. „Nächst den
Arabern" habe „kein Volk . . . seine Sprache, seine Macht und seine Kolonien
(Siedlungsgebiete — G. M.) so erstaunlich weit ausgebreitet". Von der Adria bis
zum Eismeer, von der Ostsee „bis nach Kamtschatka in der Nähe von Japan . . .
trifft man überall slavische Völker" (S. 221 f.).
Die Hypothesen von einer Herkunft der Slawen aus Asien lehnte Schlözer ab.
Er hielt sie für „eingeborne Europäer". Auf Grund der „Nestor"-Chronik nahm
er eine frühgeschichtliche „Wanderung der Slaven von der Donau her nach Polen
und Rußland" an. Auch „Rußlands Slaven stammen ursprünglich von der Donau
her", meinte er deshalb, trotz seiner These vom nördlichen Charakter dieser
Völkerfamilie (S. 222, 253).
Als erstes der slawischen Völker behandelte Schlözer das größte, das russische.
Die Bedeutung der Kiever Rus als ostslawischer Gesamtstaat war ihm bewußt

M Arbeitsplan, § 14 f., S. 57 f.
64Schlözer, Ludwig August, Memoriae Slavicae (Archiv der Göttinger Akademie der
Wissenschaften; Auszug: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1766, S. 649—656).
^ Nestor, 1, Göttingen 1802, S. 46 f.
38 Günter Mühlpfordt

(S. 222). Er würdigte auch den „hohen Grad der Kultur, der Rußland im 11. und
12. Jh. beglückte" (S. 331).
Außerordentlich schätzte Schlözer die „ungemein reichen . . . Quellen russischer
Geschichte" (S. 223). Die wertvollste von ihnen, die „Nestor"-Chronik, wurde ihm
zur Lebensaufgabe. Er erkannte sie als Fortsetzungswerk vieler Autoren. „Der
erste russische Annalist Nestor . . . schrieb zu Ausgang des 11. Jh. . . . seine Chro-
nik ward . . . bis in das 17. Jh. fortgesetzt . . . Keine Nation kann sich eines glei-
chen Schatzes . . . rühmen." Auch von anderen Schriftdenkmalen aus Rußlands
Vergangenheit hatte Schlözer eine hohe Meinung. Er begriff die rechtsgeschicht-
liche Relevanz der mittelalterlichen Gesetzsammlung „Russkaja Pravda" (Russi-
sches Recht), deren Ausgabe in Basilovs Bearbeitung er veranlaßte. Die Abfassung
der „Chroniken, Stufenbücher, Geschlecht- und Dienstregister" in der Landes-
sprache schien ihm ein „wichtiger Vorzug, den die russischen Annalen vor allen
übrigen europäischen aus dem Mittelalter haben. Denn alle (? — G. M.) diese sind
lateinisch; wie viel Originelles und Nationelles aber geht verloren, wenn ein ein-
fältiger Mönch . . . in der Sprache eines fremden Volks . . . daherstottern muß!"
Die Russen seien die ersten Kontinentaleuropäer des Mittelalters gewesen, die in
der eigenen Sprache Geschichte schrieben (S. 222 f.). 56
Das bezog sich auf das Kirchenslawische (Altslawisch auf bulgarischer Grund-
lage), das als Schriftsprache „seit Peters I. Zeiten" durch die russisch-ostslawische
Volkssprache abgelöst wurde. Schlözer war beeindruckt vom raschen Aufstieg
der russischen „Redesprache" zur „Büchersprache" im 18. Jh. Er pries „Reichtum
und Biegsamkeit" des Russischen (S. 331). Die gleichen Eigenschaften haben er
und sein Schüler Alexander von Humboldt der deutschen Sprache nachgerühmt. 57
Gemeint waren in beiden Fällen großer Wortschatz ünd hohe Flexions- und Wort-
bildungsfähigkeit.
Besondere Sympathie hegte Schlözer für die „Ukrainer, die das musikalische
Volk in Rußland sind". An Katharinas II. Sekretär „Teplov, einem Ukrainer . . .
entzückte mich die liberale Denkungsart". 58 Ein Studienthema Schlözers war die
Wiedervereinigung des Kernstückes der Ukraine mit Rußland im 17. Jh. 5 9 „Die
Geschichte dieser Kleinrussen (Ukrainer) hat überaus viel Ähnliches mit den
Schicksalen der Deutschen in Siebenbürgen." 60 Damit war der lange Kampf bei-
der gegen äußere Bedrohung (Tataren, Osmanen) und innere Bedrückung ge-
meint, besonders aber ihre Selbstverwaltung im Rahmen größerer Staaten.

158 Probe russischer Annalen, 1768, S. 167—175.


w Staatsrecht, S. XI; Humboldt, Alexander v., Ansichten der Natur, Bd. 2, Tübingen
1808, S. 26 (18262; 18493).
M Leben, S. 178,172 f.

'£,M Vgl. Mühlpfordt, Günter, Die Wiedervereinigung der Ukraine mit Rußland, in: ZfG,
2,1954, Beiheft 1, S. 47, 56-62.
60 Leben, S. 133. Auf Bitten von Siebenbürger Sachsen geschrieben: Schlözer, August
Ludwig, Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 3 Bde., Göttingen 1795-97. Bis
heute als Urkundenpublikation wertvoll, demonstriert dieses Werk Schlözers kritisch-
ethnische Methode an einem Mehrvölkerterritorium; Neudruck: ders., Kritische
Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Vorwort von Harald
Zimmermann, Wien/Köln/Graz 1980.
Völkergeschichte 39

Viel befaßte sich Schlözer mit dem polnischen Volk. So veröffentlichte er


eine eigene russische Schrift über die polnischen Königswahlen. 61 In zwei preis-
gekrönten Abhandlungen von 1766 und 1770 verwies Schlözer den angeblichen
Stammvater der Polen, Lech, ins Reich der Fabel. Seine Widerlegung des Lech-
Mythos fand den Beifall polnischer Aufklärer, die seine zweite Arbeit 1774 und,
als selbständige Publikation, 1779 polnisch herausbrachten.62
Es war symptomatisch für das Fortschreiten der Aufklärung in Polen, daß im
Streit um Lech der Bürger Schlözer über den Fürsten Jablonowski triumphierte.
Schlözers „Nordische Geschichte" suchte auch die „so sehr mißhandelte alte Ge-
schichte von Polen" ins rechte Licht zu rücken (Vorrede, S. 8). Die mittelalterliche
polnische Chronistik beurteilte er unter Wert und hyperkritisch.63 Dagegen wußte
er die Quellendrucke polnischer Piaristen des 18. Jh. zu würdigen (S. 225 f.).
Wie Schlözer die „teutsche Libertät" als Reichsanarchie, mit Hunderten von
Zwergdespotien und Magistratsoligarchien, enthüllte, so die Herrschaft der auf
ihr „Elementum libertas" und ihr Liberum veto stolzen Schlachta als suppressive
Magnatenoligarchie.64 Selbst in Horten der Freiheit, den Republiken an Hoch-
und Niederrhein, spürte er unterdrückende Oligarchien auf. Sein Kampf galt der
Unterdrückung, wo immer er sie antraf, in Republiken wie in Monarchien, in
patrizischen wie in aristokratischen Oligarchien, unter der Grund- wie unter der
Gutsherrschaft. Schlözer ging bis hart an die Grenze des Erlaubten. Oft kaustisch
nahm er „kleine Despoten", klein- oder mittelstaatliche Oligarchien und ferne

61
Ders., O izbranii korolej v Pol'Se, 2 Stücke, Petersburg 1764; vgl. Winter, Eduard, Pol-
nische Königswahlen, in: Innsbrucker historische Forschungen, Bd. 1, 1978, S. 61 ff.
b2
Schlözer, August Ludwig, Über die polnische Geschichte, in: Sammlung der ge-
krönten Preisschriften, Danzig 1767; ders., De Lecho, in: Acta Societatis Jablonovianae,
1, Leipzig 1771; Wywöd historyczno-krytyczny przez Schlözera [Historisch-kritischer
Beweis Schlözers], Warszawa 1779; vgl. Kud&lka, M., Spor Gelasia Dobnera [Der
Kampf Gelasius, Dobners], Praha 1964, S. 44—55. Während Schlözer bei der Verwer-
fung der legendären Urväter Lech und Cech Dobner folgte, widersprach er dessen
Hypothesen von einer asiatischen Urheimat der Slawen und vom vermeintlich sla-
wischen Charakter der Protobulgaren. Es gehört zu seinen Verdiensten um die Ethno-
geneseforschung, daß er am europäischen Ursprung der Slawen festhielt und seinen
Standpunkt gegen Dobners auf einer falschen Etymologie beruhende Ziehen-These
(Herkunft aus Iran/Kaukasien) zur Anerkennung brachte (s. Vävra, Jaroslav, Auf-
klärungsgeschichtsschreibung, in: Historica, 19, Praha 1980, S. 175—186). Über Schlözers
„Hauptrolle" in den Kontroversen um die altpolnische, alttschechische und alt-
russische Geschichte urteilt Vävra: „Im ganzen Streit um . . . Herkunft und Anfänge
der Slawen und Tschechen war das Auftreten A. L. Schlözers am wichtigsten" (S. 175,
179). Vävra nennt Schlözers kritische Quellenanalysen eine „bahnbrecherische Tat"
(S. 189). Vgl. Kurdybacha, Lukasz, Schlözer und Polen, in: Lomonosov/Schlözer/Pallas,
S. 203—212; Suchodolski, Bogdan, Nauka polska w okresie Oswiecenia [die polnische
Wissenschaft in der Epoche der Aufklärung], Warszawa 1953, S. 692; Maslanka, Julian,
Mity historyczne w literaturze polskiego Oswiecenia [Historische Mythen in der Lite-
ratur der polnischen Aufklärung], Wroclaw 1968, S. 47 ff.; Merian, E., Die Jablonow-
skische Gesellschaft, in: Kulturelle Beziehungen DDR—VR Polen, Rostock (1976),
S. 131 ff.; Grabski, Andrej F., Deutsche und polnische Geschichtsschreibung der Auf-
klärung, in: Zeitschrift für Slawistik, 24,1979, 6, S. 817.
40 Günter Mühlpfordt

Monarchien unter Beschuß. Den europäischen Mächten gegenüber mußte er nach-


sichtiger sein. Nur gegen die Versailler „Despotie", den Widerpart seines Hofes,
konnte er schweres Geschütz auffahren. Der aufmerksame Leser verstand, daß
Schlözer auf jeden „Despotismus" und auf alle gesellschaftlichen Übel zielte.
Schlözers zweierlei Maß erinnert an jene Utopisten, die den Schauplatz in ferne
Länder, in den Kosmos, in vergangene Zeiten oder in die Tierwelt verlegten, um
Zustände im eigenen Lande attackieren zu können. Doch wäre ihm die Wut an-
gegriffener kleiner Machthaber schon 1780—82 beinahe zum Verhängnis ge-
worden, da die Duodezpotentaten die großen Herren gegen ihn als „Aufwiegler"
und „Aufrührer" aufputschten.
Auch gegenüber den mächtigsten aufgeklärten Monarchen — Friedrich II., Josef II.
und Katharina II. — wahrte Schlözer die Lauterkeit seines Publizistenamtes. Er
gab sich nicht dazu her, die Zerstückelung des polnischen Staates zu recht--
fertigen. So gern er Reformminister seiner Lesers Josef II. geworden wäre, der
Aufforderung des Wiener Hofes, eine historische Apologie der habsburgischen
Annexion Galiziens zu schreiben, kam er nicht nach.65
Die zweite Teilung Polens (1793) wurde von Schlözer aufs schärfste verurteilt. Er
charakterisierte sie als Raub am „Eigentum der Völker", als ein Verbrechen gegen
das „Menschen- und Völkerrecht". Sie schaffte „ein grauenvolles Dunkel".
Hier griff Schlözer die beiden stärksten feudalen Großmachtregierungen an,
hier sprach er ganz als radikaler Aufklärer und bürgerlicher Demokrat.
Schlözer protestierte 1793, wie Robert Arnold bemerkte, im Stile „der Radikalen"
unter den deutschen Aufklärern gegen die Aufteilung Polens. Mit der gleichen
Argumentation wie der deutsche Jakobiner Georg Friedrich Rebmann brand-
markte er sie als „Greuel". Mutig zwei Großmachtregime — die zaristische und
die preußische Regierung — anklagend, prangerte Schlözer „bei der zweiten Tei-
lung ganz ä la Rebmann öffentlich die . . . Gewalttaten der Mächte" an
(Arnold).66
Wenn Schlözer bei der Kontroverse um Lech ein autoritatives Wort sprechen
konnte, so verdankte er dies seinen böhmischen Gewährsmännern Dobner und
Häjek. Schlözer erhärtete die Beweisführung Dobners, daß Lech eine Erfindung
des 14. Jh. war.
Gleich Dobner räumte er auch mit dem sagenhaften Cech am Anfang der tschechi-
schen Geschichte auf. Den tschechischen Abschnitt seiner Nordischen Geschichte
begann er: „Die Böhmen sind ein Hauptvolk unter den Slaven . . . Sie selbst
nennen sich Tschechen" (S. 227). Entsprechend seinen Transkriptionsgrundsätzen
schrieb Schlözer bereits „Tschechen", statt, wie bis ins frühe 20. Jh. üblich,

Nestor, 1, Göttingen 1802, S. 15.


64
Schlözer an Johannes Müller, 13.9.1772, in: Briefe an Johannes v. Müller, 1839, S. 37;
Staatsanzeigen, 16,1791, S. 355.
10
Originalurkunden, 1, S. 217, 276.
00
Staatsanzeigen, 18,1793, S. 399 ff.; Arnold, Robert Franz, Deutsche Polenliteratur, Halle
1900, S. 150 f.; vgl. Lemke, Heinz, Schlözers Kritik an der polnischen Verfassung vom
3. 5. 1791, in: Lomonosov/Schlözer/Pallas, S. 221 f.; Mühlpfordt, Günter, in: Deutsche
Literaturzeitung, 83, März 1962, Sp. 194.
Völkergeschichte 41

„Czechen". Zu den „böhmischen Slaven" (Slawen der böhmischen Länder) zählte


er nach allgemeiner Gepflogenheit die mährischen. Über den Mährerstamm der
Hannaken verfaßte er eine Preisschrift.
Als nahe Verwandte der „böhmischen" sah Schlözer die „ungrischen Slaven" an.
Der „ungrisch-slavische Dialekt" sei eine „Varietät" des „böhmischen". „Ungrische
Slaven" nannte Schlözer, wie erwähnt, die Slowaken zum Unterschied von den
Tschechen. Bei der Differenzierung der slawischen Nationalitäten innerhalb des
Königreichs Ungarn dagegen kennzeichnete er die Slowaken als „böhmische
Slaven". In einer Übersicht über die Gespanschaften (Komitate) Ungarns gab er
an, wo „böhmische Slaven" wohnten. In sechs Gespanschaften rangierten die
„böhmischen Slaven" als stärkstes Bevölkerungselement an erster Stelle. Schlözer
benutzte auch den damals im Deutschen wenig gebräuchlichen Volksnamen „Slo-
waken", mit dem Adjektiv „slowa(c)kisch" (S. 249 f., 331 f.). Wie beim Namen
der Tschechen führte er die heutige deutsche Schreibung ein. Im 16.—18. Jh. be-
diente man sich sonst der Formen „Schlawacken", „schlawackische Sprache"
u. ä.67
An den Sitzen der Slowaken, nördlich der Donau im Karpatenraum suchte
Schlözer, der „Nestor"-Chronik folgend, die Urheimat der Slawen. Daher sah er
die Slowaken als Ureinwohner an, als slawisches Urvolk. Die von ihm für glaub-
würdig erachtete Wandersage der russischen Annalen vom donauländischen Ur-
sprung der Slawen gab seinem Wort bei den Slowaken erhöhtes Gewicht. Diese
konnten sich danach als Autochthonen betrachten. Audi deshalb fand Schlözer
bei ihnen starken Widerhall. So rühmte der slowakische Erwecker Jän Kollär
Schlözer als Freund der Slawen. 68
Uber die Südslawen flössen Schlözers Informationen spärlicher. Doch wußte er,
besonders dank seinem slowenischen Gewährsmann und Korrespondenten Sieg-
mund Popovic, auch über sie Bescheid. Später stand er mit dem slowenischen
Begründer des Austroslawismus Kopitar und dem Serben Stratimirovid in Ver-
bindung. Schlözer unterschied vier nach heutigen Begriffen südslawische Spra-
chen: „Windisch" (Slowenisch), „Kroatisch", „Bosnisch . . . oder Serbisch" und
„Bulgarisch".69

61
Chronik der Hutterischen Brüder, hrsg. von Friedrich Zieglschmid, Ithaca, New York,
1943, S. 470 ff.; Geschicht-Buch der Hutterischen Brüder, hrsg. von Rudolf Wolkan,
Alberta, Canada, 1923, ad 1572; Bergbaukunde, 1, 1789, S. 1; vgl. Teich, Mikulas,
Ignaz von Born, in: Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa im 18. Jh., (West-)
Berlin 1976, S. 203.
88
Schlözer kam dem Gebiet nahe, wo heute die ältesten Sitze der Slawen gesucht
werden (Nordhang der Karpaten); vgl. Udolph, Jürgen, Slavische Gewässernamen.
Zur Urheimat der Slaven, Heidelberg 1979, 640 S.; Eichler, Ernst, (Rez.), in: Namen-
kundliche Informationen, 37, Leipzig 1980, S. 37—41, und in: Zeitschrift für Slawistik,
25, 1980, 5, S. 759 ff.; Tibenski, Jän, Sdhlözers Bedeutung für die in der Slowakei
herrschenden Ansichten, in: Lomonsov/Schlözer/Pallas, S. 235—240; Rosenbaum, Karol,
Herder. Zur Herder-Rezeption in Ost- und Südosteuropa, Berlin 1978 (im folg.: Herder-
Rezeption), S. 101.
Ba
Nord. Gesch., S. 240, 333 f.; vgl. Peukert, Herbert, Deutsche Südslawen-Klassifi-
kationen, in: Ost und West, S. 344—346.
42 Günter Mühlpfordt

Daß die Protobulgaren, „die alten nichtslawischen Bulgaren", ein Turkvolk aus
Asien waren, wurde durch Schlözer in Mitteleuropa bekannt. Die Slawisierung
der Urbulgaren verstand er als Aufgehen von Eroberern in einer zahlenmäßig
überlegenen unterworfenen Bevölkerungsmasse (S. 253, 334). Schlözer verwies
auf den Ursprung des Kirchenslawischen, der Sprache, „in der die russischen
Annalen und alle Kirchenbücher der Russen geseihrieben sind . . . in der Bulgarei"
(S. 331). Die bulgarische Geschichte bildet bei Schlözer den südlichsten Teil der
„nordischen", wobei ihm das Fragwürdige der Einbeziehung der Balkanslawen
in diese bewußt war (S. 241, 253, 212).
Serben und Kroaten wurden von Schlözer als ein Volk angesehen. Ihren Wohn-
sitzen und geschichtlichen Schicksalen nach schied er die Serbokroaten in „dal-
matische", „slavonische", „kroatische", „bosnische", „serbische" und „ragusische"
(S. 237—241). Die antikisierend-geographische Bezeichnung „Illyrisch" für das
Serbokroatische lehnte er ab, ebenso den Namen „Illyrier" für Kroaten und
Serben (S. 330). Das Serbische lobte er, nach Popovic, als „zierlichsten aller slavi-
schen Dialekte" (S. 334).
Die slowenischen Mundarten faßte Schlözer als „Windisch" zusammen. Die Nähe
des Slowenischen zum Serbokroatischen sah er unter dem Einfluß von Popovic
nicht. Doch verwarf er dessen falsche Ansicht, daß die Slawen im Deutschen
Reich (Winden und Wenden) von den übrigen Slawen zu trennen seien. Der Be-
hauptung Popovics, das Windische stehe dem Angelsächsischen, also Nieder-
deutschen, näher, das eigentliche Slawisch aber dem Griechischen, stellte Schlözer
seine These von der Einheit des gesamten Slawentums entgegen (S. 231 f., 331,
333 f.).
Demzufolge brachte Schlözer die „südlichen oder österreichischen Wenden" (Slo-
wenen) nicht mit den „nördlichen oder lausitzischen" (Sorben) in Zusammenhang.
Er erkannte vielmehr das Sorbische als selbständige Sprache. Dabei betonte er,
daß Ober- und Niedersorbisch, „die beiden Mundarten in der Ober- und Nieder-
lausitz", trotz ihres „beträchtlichen Unterschieds" ein Ganzes bilden (S. 331,
333).
So entwarf Schlözer als erster Historiker ein linguistisch-ethnographisch fundier-
tes Gesamtbild von der verbreitetsten Sprachfamilie des östlichen Europa und
Nordasiens. Er war ein deutscher Verkünder slawischer Gemeinsamkeit.
Schlözer sah auch, daß von allen nichtslawischen Sprachfamilien die baltische
den Slawinen am nächsten steht. Seien „Slawen, Deutsche und Griechen Cousins
im 2. Glied, so . . . vielleicht Letten und Slawen . . . im 1. Glied" (S. 316).70 Daher
faßte Schlözer das Balto-Slawische als einen großen Komplex auf (S. 277). Zu den
„lettischen" Völkern zählte Schlözer „Litauer, Preußen, Kuren und eigentliche
Letten" (S. 241). Die Jatwinger ließ er außer acht. Die Balten („Letten") waren
für ihn der dritte „Hauptast" der nord- und osteuropäischen Geschichte neben
Germanen und Slawen (S. 213). Bedenkt man die Bedeutung des Großfürsten-
tums Litauen und die Verbreitung baltischer Stämme im binnenländischen Ost-
europa in älterer Zeit, ist dem zuzustimmen.
w
Vgl. Donnert, Erich, Schlözer und die baltischen Völker, in: Lomonosov/Schlözer/Pal-
las, S. 193.
Völkergeschichte 43

Dabei beachtete Schlözer, daß Letten und Esten sprachlich „ganz verschiedene
Völker" sind, weil Estnisch und Livisch zu den ostseefinnischen Sprachen ge-
hören (S. 245, 287). Als einer der ersten konstatierte er den weiträumigen finno-
ugrischen Sprachstamm (S. 263, 301—315). Finnen und Ungarn sind verwandt,
belehrte er seine erstaunten Zeitgenossen (S. 437, 246 f). Darin fußte er auf
Leibniz, vor allem aber auf Eberhard Fischers Abhandlung „De origine Un-
grorum" und auf dessen „Sibirischer Geschichte" (S. 252).71
Entgegen den verbreiteten Thesen über eine Abkunft der alten Madjaren von
Hunnen, Awaren, Kumanen, Tataren, Mongolen, Slawen oder Pannoniern de-
monstrierte Schlözer anhand des Sprachvergleichs, daß sie aus dem eurasischen
Norden stammten, wo ihre Sprachverwandten noch heute leben. Selbst zwischen
Ungarisch und Lappisch stellte er Verwandtschaft fest. Sein ungarischer Schüler
Gyarmathi bewies „Die Verwandtschaft der ungarischen Sprache mit den finni-
schen" im einzelnen.72 Auch in dieser Frage war Schlözer seinen meisten Zeit-
genossen voraus. Noch anderthalb Jahrzehnte nach seiner Nordischen Geschichte
behauptete sein Göttinger Kollege Meiners, die Ungarn seien Slawen, während
dessen Rezensent sie ebenso verfehlt für „ein mongolisches Volk" hielt. 73 So hat
Schlözer in die umstrittene Abstammung der Madjaren Licht gebracht. Deshalb
verehrten ihn viele Ungarn.
Auch im Blick auf die rumänische Geschichte bewies Schlözer Originalität. Gleich
anderen betonte er die „lateinischen" Elemente des Rumänischen, vermutete aber
ein dem Protobulgarischen verwandtes Substrat (S. 222, 240, 252). Den slawischen
Einschlag im Wortbestand bemerkte er nicht. Wie Schlözer eine gute russische,
eine vergleichende slawische Grammatik und entsprechende Wörterbücher
wünschte, so bezeichnete er eine „walachische Sprachlehre" und dazu ein Wörter-
buch als Desiderate, um Ursprung und Charakter des Rumänischen zu klären
(S. 287, 330 f.). Die altslawische Wandersage bei „Nestor" legte er dahin aus, daß
die Vorfahren der Rumänen im 5. Jh. die Slawen aus ihrer Urheimat an der
Donau nach Osteuropa abgedrängt hätten (S. 222). Schlözer rühmte die „glän-
zende" Geschichte der Moldau. Es sei eine lohnende Aufgabe für die Historiker,
mit Hilfe der Chroniken der Moldau „die europäische Staatengeschichte mit der
moldauischen zu bereichern" (S. 253). Ungeachtet der Trennung in zwei Fürsten-
tümer ging er von der ethnischen Einheit des Rumänentums aus (Summarien,
S. 3); denn Walachei und Moldau „werden von einerlei Volke bewohnt, das Eine
Sprache . . . redet" (S. 252). Die Priorität des Volkstums vor feudalstaatlicher Zer-
rissenheit galt ihm für die Rumänen wie für alle Völker.
Ebenso modern mutet Schlözers Sicht von Nordasien an. „Steigen wir über den
Ural", lud er seine Leser ein. Finnougrische Stämme und Samojeden (Nenzen)
finden sich auch in Sibirien. Russen siedeln „bis nach Kamtschatka" (S. 344, 285,

Vgl. Tibensk'Q, S. 239-241.


72
Schlözer an Hell, zit. nach Borzsdk, I., Budai, Budapest 1955, S. 34; Gyarmathi, S.,
Affinitas linguae Hungaricae cum Unguis Fennicae originis, Göttingen 1799; vgl.
Finno-ugry i slavjane, Leningrad 1979.
73
Meiners, Christoph, in: Göttingisches Historisches Magazin, Bd. 2, 1787, S. 213 £C.;
anonyme Rezension in: Allgemeine Literaturzeitung, 1789, Bd. 2, Sp. 282 f., 291.
44 Günter Mühlpfordt

294—300, 222). Deshalb hat Schlözer bewußt die europäischen Schranken der tra-
ditionellen „nordischen Geschichte" überschritten und — als „Neuerung" — „Si-
birien oder den asiatischen Norden mit einbezogen" (Vorrede, S. 4). Acht Zöglinge
der Halle-Leipziger Aufklärung — je vier aus hallescher und Leipziger Schule —
dienten ihm in der Sibirienkunde als Gewährsmänner: Eberhard Fischer, Steller,
Messerschmidt und Pallas von Halles Absolventen, Siegfried Bayer, Gerhard
Friedrich Müller, Leibniz und Stählin von denen Leipzigs.74 Manches entnahm er
dem russischen Forscher Kraseninnikov, dessen Beschreibung der Halbinsel
Kamtschatka er 1766 besprach. 75
Unter dem „asiatischen Norden" oder „Sibirien" verstand Schlözer „alle die Län-
der, welche die Russen" zwischen Ural und Stillem Ozean „erobert haben". Die
russische Erschließung Sibiriens wertete er als hochbedeutsamen Beitrag zur
„Aufklärung unsers Zeitalters", weil Europas Blickfeld, das vordem nur bis an
Don und Wolga reichte, dadurch auf „die Welten jenseits des Ural" ausgedehnt
werde. Mehr als „Alexanders Feld- und Räuberzüge", so Schlözer, erweiterten
die russischen Züge nach Sibirien seit Jermak (1581) die „Weltkunde", die Kennt-
nis der Erde. Darin stehe der Kosak Jermak über Alexander von Makedonien.
„Die Entdeckung des nördlichen Asiens" sichere „der russischen Nation eine
Stelle unter den größten Weltentdeckern" (S. 391 f.).
Schon nach sechs Wochen in Petersburg hatte Schlözer eine Schatzkammer der
Sibirienkunde aufgespürt: Daniel Gottlieb Messerschmidts Aufzeichnungen über
seine Forschungsreise. 76 Der „Abriß des asiatischen Nordens" in der „Nordischen
Geschichte" ist im wesentlichen ein Auszug aus Eberhard Fischers „Sibirischer
Geschichte", deren Drude Schlözer veranlaßte. 77 Fischer überließ ihm ferner eine
Sammlung von Sprachproben aus Sibirien zur Veröffentlichung. 78 Auch sonst hat
sich Schlözer als Herausgeber und Rezensent um die Sibirienkunde verdient ge-
macht.79 Er ahnte die gewaltige Perspektive Russisch-Asiens: „Sibirien . . . könnte
. . . Millionen Menschen mehr ernähren" (S. 393). Heute ernährt es 24 Millionen.
Wenn der Prager Slawist Julius Dolansky auf der Berliner wissenschafts-
geschichtlichen Tagung im Mai 1960 Schlözer einen Kolumbus Osteuropas f ü r die
Mittel- und Westeuropäer nannte, so ist Schlözer für diese auch ein Kolumbus
Sibiriens geworden: Er war ein deutscher Jermak, der den Gesichtskreis der
Mitteleuropäer bis zur Beringstraße zwischen Asien und Amerika weitete. So
74
Vgl. Kindermann, Karl, Zu Schlözers Sibirienforschung, in: Ost und West, S. 332 bis
340.
75
Schlözer, August Ludwig, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1766, S. 689—194; vgl.
Richter, S. 172,176 f.
/B
Schlözer an Büttner, 29.1.1762, zit. nach Ost und West, S. 326—329; vgl. Messerschmidt,
Daniel Gottlieb, Forschungsreise durch Sibirien 1720—27, hrsg. von Eduard Winter/
Günther Jarosch/Georg Uschmann, bearb. von Günther Jarosch, 5 Bde., Berlin 1962
bis 1977.
v/
Fischer, Johann Eberhard, Sibirische Geschichte, 2 Bde., Petersburg 1768; Auszug:
Nord. Gesch., S. 391-436.
78
Ders., Quaestiones Petropolitanae, hrsg. von A. L. Schlözer, Göttingen 1770.
/a
Laxmann, Erik, Sibirische Briefe, hrsg. von A. L. Schlözer/Johann Beckmann, Göt-
tingen 1769.
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and thrives best in Oklahoma, a fact which leads Waugh to call it the
“Oklahoma” plum. All who know the species agree that it is a near
approach to Maritima in many of its characters. This plum is very
variable and some of its forms seem not to have been well studied.
As a fruit plant Gracilis is hardly known in cultivation though Torrey
says it is cultivated in the region of its habitat under the name Prairie
Cherry. The wild fruit is used more or less locally and is sometimes
offered for sale in the markets of western towns. The quality is about
the same as that of the wild Americanas and under cultivation would
probably improve. The small size of plant and fruit are the most
unpromising characters though the species is also much subject to
black-knot.

24. PRUNUS RIVULARIS Scheele


1. Scheele Linnaea 21:594. 1848. 2. Gray Pl. Wright. 1:67. 1852. 3. Hall
Pl. Texas. 9. 1873. 4. Coulter Cont. U. S. Nat. Herb. 2:101. 1891. 5.
Waugh Bot. Gaz. 26:50-52. 1898. 6. Bailey Ev. Nat. Fr. 223. 1898.

Shrub three to seven feet high; branches angular, smooth, shining, ash-
colored, rough; lenticels small, crowded; leaves oblong-ovate or
sometimes ovate, rarely lanceolate, apex acute, margins coarsely or
doubly serrate, glabrous above and sparingly pubescent below; petioles
glandular, grooved, pubescent; flowers in lateral umbels, in pairs or
several-flowered; fruit about one-half inch in diameter, oblong-oval, cherry-
red; skin thick, smooth and tough, acid.

The preceding description is largely compiled from the authors


given in the references, the writer having seen only herbarium
specimens. The species is included here largely upon the authority
of Professor C. S. Sargent of the Arnold Arboretum and W. F. Wight,
who know the plant as described by Scheele in the field. Gray
described the plant as “verging to Americana.” Bailey says “it
evidently bears the same relation to Prunus americana that Prunus
watsoni does to the Chickasaw plum.” Waugh is “convinced that
Prunus rivularis Scheele is nothing more than one of the more
distinct sub-divisions of the multiform hortulana group.”[144] T. V.
Munson writes me that the Waylandi plums belong in this species.
My own opinion is, from the herbarium specimens examined, from
correspondence and conversation with those who have seen the
plant in the field, that Scheele’s species is a good one and quite
distinct from the species named by Bailey, Waugh and Munson as
allied to it. It is to be looked for along the streams and bottom-lands
in the neighborhood of San Antonio and New Braunfels, Texas. The
plum is locally known as the Creek plum and in common with other
plums is gathered for home consumption. The species seems to
offer but few possibilities for the fruit-grower.
CHAPTER II
PLUM CULTURE.

Ten states produced over 82 per ct. of the plum crop of the United States in 1899. The census of 1900
shows that in the preceding year the total crop in the country was 8,764,032 bushels of which California,
Oregon, New York, Washington, Michigan, Iowa, Texas, Arkansas, Ohio and Kansas, named in order of
yield, produced 7,429,248 bushels. All other states yielded 1,334,784 bushels. Of these ten states,
three, California, Oregon and Washington, holding first, second and fourth places in production, use by
far the greater parts of their crops for prunes. Four others, Iowa, Texas, Arkansas and Kansas, grow the
native and Triflora varieties almost exclusively. New York with a crop of 313,668 bushels in 1899,
Michigan with 213,682 bushels the same year and Ohio with 81,435 bushels, grew the main crop of
Domesticas for the states in which plums are not made into prunes.
At the end of the Nineteenth Century the plum ranked third in commercial value among orchard
products, being surpassed by the apple and the peach. The increase in number of trees and bushels of
fruit for the whole country for the decade ending with 1899 was remarkable, being for trees 334.9 per ct.
and for bushels of fruit 243.1 per ct. These great increases were due to very large planting of plums for
prunes on the Pacific Coast and to the widespread distribution during these ten years of native and
Triflora varieties. It is very doubtful if the percentage of increase has been nearly so great during the
present decade. It is likely that the development of rapid transportation and refrigerator service between
the great plum-growing region of the far West and the markets of the East has caused a decrease in
trees and production in the eastern states.
Plum-growing, as with the growing of all fruits, is confined to localities geologically, climatically and
commercially adapted to the industry. If we take New York as an example we find that plums are grown
largely only in ten of the sixty-one counties, according to the census of 1900. These with the number of
trees in each are as follows: Niagara 184,133, Ontario 92,917, Seneca 59,205, Monroe 57,246,
Schuyler 48,336, Orleans 41,985, Yates 32,742, Albany 32,373, Erie 30,281, Wayne 30,047. Over 62
per ct. of all the trees in the State are in these counties and probably they produce more than 90 per ct.
of the plums sent to market.
A canvass of the acreage of four hundred plum-growers in New York shows that the following in order
named are the leading commercial varieties: Bradshaw, including Niagara, which is identical, Reine
Claude including its several near variations, Italian Prune, German Prune, Lombard, Shropshire, Grand
Duke, Washington and Gueii. Abundance and Burbank are as widely distributed as any of these, chiefly
owing to the zeal with which nurserymen have sold these varieties, but are seldom grown exclusively in
commercial plantations, and their popularity is now on the wane as is also the case with Red June which
has been largely planted. Varieties of native plums are hardly grown in New York though now and then
they are found in home collections and there are a few small commercial plantations of them.
The fruit of the native and Triflora plums is so inferior to that of the Domestica sorts for market and
domestic purposes, that varieties of these are not likely to take the place of the Domestica plums.
Producers and purchasers are now familiar with the possibilities of the natives and of the Orientals and
have not been greatly attracted by them in New York. It is true, however, that the natives have been
chiefly represented by Wild Goose and the Trifloras by Abundance and Burbank—scarcely the best that
these groups of plums can produce. It is true, too, that the varieties have been greatly over-praised and
that they now suffer from the reaction. Yet the Domesticas command the market and their reliableness in
the orchard gives them a popularity in this region which other plums cannot for a long while trench upon.
This brings us to a discussion of the conditions under which plums are now grown in North America
and more particularly in New York. Of these, climate, with this fruit, should be first discussed, outranking
all others in importance.

CLIMATE
Climatic conditions determine the culture of the plum not only for a region but for a locality; not only as
to whether it is possible to grow plums at all but as to whether this fruit can be grown with reasonable
prospects of commercial success in competition with other localities. The constituents of climate which
are important in plum-growing are temperature, rainfall and air currents, the last two being largely
dependent upon the first. The relationship existing between plums and these factors of climate are fairly
well known for they have received attention from the very beginning of plum culture.
There are four phases of temperature that need to be considered in order to get a clear insight into
the climatic conditions which govern production of fruit crops. These are, the daily, monthly and annual
changes in temperature and the extremes in temperature. Of these the daily and annual changes are of
little importance. All plants are very adaptable to daily variations in climate and are little affected by
them. Annual variations are shown by statements of the annual mean temperatures but such statements
are of small value to fruit-growers as they may be the result of averaging very divergent temperatures or
temperatures very close together. The monthly mean, however, is a very fair criterion of climate for fruit-
growing, especially when given with the amount and distribution of rainfall.
But far more important than any of the above phases are the extremes in temperature and more
particularly of cold. A plant can not be grown profitably where the temperature, even occasionally, falls
below the point where winter-killing results to tree or bud, or where the blossom is injured by frost.
Extremes of heat are disastrous usually only when long continued. For each fruit, too, there must be a
total amount of heat available to carry it from the setting of the fruit to maturity, in which respect varieties
of any fruit may differ materially. Of the injurious effects and of the necessary amounts of heat, however,
we know but little.
These general considerations of temperature lead us to their application to the plum and especially to
a discussion of the most important of the several factors—hardiness.
Hardiness to cold, a matter of prime importance with all fruits, is especially so with the plum because
of the many different species, each with its own capacity for withstanding cold. As the different species
are taken from their natural habitat to other regions, there to become acclimatized, and as new forms
originate by hybridization, the matter becomes more complicated and more important. Waugh[145] has
investigated the hardiness of plums and we publish a table given by him showing the hardiness of
representative varieties of the species most generally cultivated. We have taken the liberty of adding a
few plums not given in the original table and have also made some changes in the nomenclature of the
groups.

Table Showing the Hardiness of Representative Varieties of Plums at Various Places.

h—hardy; hh—half-hardy; t—tender.

W.
Ohio Indiana Illinois Kansas Colorado Nebraska New Vermont Ontario Maine Wisconsin Iowa Minn
York
Americana Plums:
De Soto h h h h h h h h h h h h h
Hawkeye h h h h h h h h h h h h h
Wolf h h h h h h h h h h h h h
Domestica Plums:
Lombard h h h h h h h h h h h h h
Reine Claude h h h h h h h h hh h hh h t
Bradshaw h h t hh h h h hh hh hh hh hh t
Arctic h h h h h h h h h h h h h
Hortulana Plums:
Moreman h h h h h h h h h ? h hh t
Golden ? h h h h ? h h? ? ? hh h t
Beauty
Wayland h h h h h ? h h ? ? hh hh t
Insititia Plums:
Damsons h h h h h h h h h h h h h
Munsoniana Plums:
Pottawattamie h h h h h h h h hh t h h h
Newman h h h h ? ? h ? t t hh t t
Robinson h h h h ? ? h ? t t t hh t
Nigra Plums h h h h h h h h h h h h h
The Simon Plum h h h h hh hh h hh hh t t t t
Triflora Plums:
Abundance h h h h hh h h h h hh hh hh t
Burbank h h h h h h h h h hh hh hh t
Satsuma hh h h hh t h hh hh hh t t hh t
Kelsey t ? t hh t t t t t t t t t

A few general statements in addition to the above table will help to make plain the comparative
hardiness of the different groups of cultivated plums. The Nigras may be rated as the hardiest of the
plums to be considered though the Americanas are but slightly less hardy. The plums of these species
are the hardiest of our tree-fruits and are able to resist nearly as much cold as any other cultivated plant.
The Insititias, as represented by the Damsons, at least, come next hardiest after the above species, with
varieties of Domestica, as Arctic, Lombard and Voronesh, nearly as hardy. So far as resistance to cold is
concerned the Domestica plums as a class are less hardy than the apple, ranking in this respect with
the pear. Of the Domesticas the Reine Claude plums are as tender to cold as any though some consider
Bradshaw as more tender. Between these last sorts and the hardiest varieties there is a great range in
capacity to endure cold, as would be expected with so large a number of varieties originating in widely
separated climates. The Triflora plums vary more in hardiness than any other of the cultivated species.
Speaking very generally they are less hardy than the Domesticas, the hardiest sorts, Burbank and
Abundance, being somewhat hardier than the peach, while the tenderest varieties, of which Kelsey is
probably most tender, are distinctly less hardy than the peach. Of the remaining plums, the Hortulana,
Munsoniana and Watsoni groups, there are great diversities in opinion as to hardiness. Probably all of
the varieties in these last groups are as hardy as the peach with a few sorts in each more hardy than the
peach. It is to be expected from the more northern range of the wild prototypes that the Hortulana and
Watsoni plums are somewhat hardier than Prunus munsoniana.
The rainfall is of comparatively small concern to plum-growers in America, since, with now and then
an exception, in eastern America it is sufficient under proper cultivation, and on the Pacific Coast the
crop is largely grown under irrigation. Summarized statements of annual rainfall are of little or no
importance since almost all depends upon the distribution of the amount throughout the year and upon
the manner in which it falls. Monthly and seasonal “means” of precipitation, as in the case of
temperature, may be of considerable importance in determining the desirability of a locality for plums.
Air currents are of local or regional occurrence and though not often the determinant of profitable
culture of plums have sometimes been important factors in choosing a location to grow this fruit. The
occurrence, direction, moisture condition and temperature are the attributes of air currents usually
considered. The failure of many plums to grow in the prairie region of the Mississippi Valley and the
Great Plains is no doubt due in some measure to winter winds. The problem of varietal adaptation is
more or less complicated in any region by the nature of the air currents.
An extremity of any of the constituents of what we call “weather” endangers the plum crop at
blossoming time. In New York stresses of weather are probably the predominating causes of the non-
setting of fruit on plum trees which bear an abundance of blossoms. This is well shown in a study of the
relations of weather to the setting of fruit made by the New York Agricultural Experiment Station in which
it is held that several phases of weather at blossoming time cause the loss of plum crops.[146] Thus late
frosts, wet weather, low temperature, strong winds and wide daily ranges in temperature were factors in
the loss of fruit crops in all of the failures during a period of twenty-five years. Quite as significant was
the fact that in all of the years during this period when there was sunshine and warm, dry weather during
blossoming time there were good crops of fruit.
Locations for growing the different varieties of plums are selected with reference to general and local
climate. As regards general climate, latitude, altitude and proximity to large bodies of water are the chief
determining characters; as regards local climate, the lay of the land has most to do as a determinant.
Again, varieties are selected with reference to time of blooming, that they may escape in some degree
injurious climatal agencies. Lastly, varieties are selected having greater capacity, from one cause or
another, to withstand injurious weather. With all varieties it is found that cultural treatment to induce
strong vitality helps a tree to withstand stresses of harmful weather at blossoming time.
The above considerations show that the blossoming dates of plums should be known for the proper
culture of this fruit. In the following table averages of the blooming dates of varieties of plums for the
eight years just past, 1902 to 1909, inclusive, are given.
In making use of these dates, consideration must be given to the environment of the orchards at
Geneva. The latitude of the Smith Astronomical Observatory, a quarter of a mile from the Station
orchards is 42° 52′ 46.2″; the altitude of the orchards is from five hundred to five hundred and twenty-
five feet above the sea level; the soil is a stiff and rather cold clay; the orchards lie about a mile west of
Seneca Lake, a body of water forty miles in length and from one to three and one-half miles in width and
more than six hundred feet deep. The lake has frozen over but a few times since the region was settled,
over a hundred years ago, and has a very beneficial influence on the adjacent country in lessening the
cold of winter and the heat of summer, and in preventing early blooming.
The dates are those of full bloom. They were taken from trees grown under normal conditions as to
pruning, distance apart, and as to all other factors which might influence the blooming period.
An inspection of the table shows that there is a variation of several days between the time of full
bloom of the different varieties of the same species. These differences can be taken advantage of in
selecting sorts to avoid injury from frost. The same table shows the ripening season of the plums
growing on the Station grounds. Now and then the late and very late plums given in the table may be
caught by fall frosts in the colder parts of New York or in regions having a similar climate.

Table Showing Blooming Dates and Season of Ripening.

The “blooming date” is that of full bloom.


Under season of ripening “very early” is from July 15 to August 10; “early,” August 10 to August 20; “mid-season,” August
20 to September 10; “late,” September 10 to September 20; “very late,” September 20 to October 1.

Blooming date Season of ripening


May Very Mid- Very
Early Late
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 early season late
P. americana:
De Soto * *
Hawkeye * *
New Ulm * *
Ocheeda * *
Oren * *
Rollingstone *
Stoddard * *
Surprise * *
Wolf * *
Wood * *
Wyant * *
P. cerasifera:
De Caradeuc * *
Golden Cherry * *
P. domestica:
Agen * *
Altham * *
American * *
Arch Duke * *
Autumn Compote * *
Arctic *
Bavay * *
Béjonnièrs * *
Belgian Purple * *
Belle * *
Bradshaw * *
Bryanston * *
Chambourcy * *
Champion * *
Cling Stem * *
Clyman * *
Czar * *
Dawson * *
Diamond * *
Doretts * *
Duane * *
Early Rivers * *
Early Orleans *
Early Royal * *
Early Tours * *
Empire * *
Englebert * *
Esjum Erik * *
Field * *
Freeman * *
Furst * *
German Prune * *
Giant * *
G. No. 4 * *
Golden Drop * *
Golden Gage * *
Goliath * *
Grand Duke * *
Gueii * *
Guthrie Late * *
Hand * *
Harriet * *
Hector * *
Hudson * *
Hungarian * *
Ickworth * *
Imperial Epineuse * *
Imperial Gage * *
Italian Prune * *
Jefferson * *
Kirke * *
Lafayette * *
Large English * *
Late Orleans * *
Late Muscatelle * *
Lombard * *
Lucombe * *
Middleburg * *
Miller No. 1 * *
Miller Superb * *
Missouri Green * *
Gage
Morocco * *
Mottled Prune * *
Newark * *
Nicholas * *
Ottoman Seedling * *
Oullins * *
Pacific * *
Palatine * *
Paul Early * *
Pearl * *
Peters * *
Pond * *
Purple Gage * *
Quackenboss * *
Red Date * *
Sannois *
Saunders * *
Sheldrake * *
Shipper * *
Smith Orleans * *
Spaulding * *
Stanton * *
St. Catherine * *
Sugar * *
Tennant * *
Tobias Gage * *
Tragedy * *
Transparent * *
Ungarish * *
Union * *
Uryany * *
Victoria *
Voronesh * *
Warner * *
Washington * *
Wyzerka * *
Yellow Egg * *
Yellow Gage * *
York State Prune * *
P. hortulana:
Golden Beauty * *
Wayland * *
World Beater * *
Hybrids:
America * *
Ames * *
Apple * *
Bartlett * *
Climax * *
Downing * *
Golden * *
Hammer * *
Japex * *
Juicy * *
Marianna * *
Milton * *
Shiro * *
Sophie *
Wickson * *
P. insititia:
Black Bullace * *
Crittenden * *
Freestone * *
French * *
Frogmore * *
King of Damsons * *
Late Mirabelle *
Mirabelle * *
Reine des * *
Mirabelles
Shropshire * *
Sweet Damson * *
White Bullace *
P. hortulana mineri:
Forest Garden * *
Maquoketa * *
P. munsoniana:
Arkansas * *
Newman * *
Poole Pride * *
Pottawattamie * *
Robinson *
Wild Goose * *
P. nigra:
Cheney * *
P. triflora:
Abundance * *
Burbank * *
Chabot * *
Engre * *
Earliest of All * *
Georgeson * *
Hale * *
Long Fruit * *
Maru * *
Ogon *

THE POLLINATION OF PLUMS.


One of the discouragements in plum-growing is the uncertainty which attends the setting of the fruit in
some varieties even though the trees bear an abundance of blossoms. Blooming, the prelude of fruiting,
had little significance to the fruit-grower until the discovery was made that many varieties of several
fruits were unable to fertilize themselves and that failures of fruit crops were often due to the planting of
infertile varieties. Investigations as to the self-sterility of pears, plums and grapes have shown
blossoming-time to be one of the most important life periods of these fruits. The knowledge obtained by
workers in this field has to some degree modified the planting of all orchard-fruits and of none more than
of the plums. Indeed, it is held by many that it is hardly safe to plant any excepting the Domestica and
Insititia plums without provision for cross-pollination.
A variety is in need of cross-pollination when the pollen from its own blossoms does not fecundate the
ovules of the variety. There is a delicate and complicated procession during the process of fruit
formation and the life of the fruit may be jeopardized by any one of a number of external or internal
influences. These deleterious influences are most often unfavorable weather or defects in the
reproductive organs of the plants themselves. Of the latter, in the plum there are several rather common
ones which cause self-sterility, as impotency of pollen, insufficiency of pollen, defective pistils and
difference in the time between the maturity of the pollen and the receptiveness of the stigmas.
It is held that the main cause of the infertility in plums is impotency of pollen on the pistils of the same
variety. The pollen may be produced in abundance, be perfect as regards appearance, and potent on
the pistils of other varieties but wholly fail to fecundate the ovaries of the variety from which it came. The
most marked examples of such impotency are to be found in the native plums though the Triflora sorts
are generally accredited with being largely self-sterile and the Domesticas somewhat so. The proof
offered to show the impotency of plums is for most part the records of fruit setting under covered
blossoms. In this method of testing the impotency of pollen there are several sources of error and the
figures given by experimenters probably greatly exaggerate the infertility of plums, but since the
experience of plum-growers generally affirms the results in some measure it is well to hold that the
native plums at least should be so planted as to secure cross-pollination. It is doubtful if the Domestica
and Triflora plums are self-sterile and yet the question is an open one as regards some varieties of
these species.
There is great difference in the quantity of pollen produced by the several groups of plums but it is
very doubtful if insufficiency of pollen is a factor of any considerable importance in the self-sterility of this
fruit. Yet the matter is worth attention because of its bearing upon the selection of pollinizers. Of the
several botanic groups, speaking somewhat generally, the Americanas and Nigras bear most pollen; the
Munsoniana plums are abundant pollen bearers; the Trifloras seldom show a shortage but bear rather
less than the others named; the Domesticas produce pollen abundantly; while the hybrid groups are the
most capricious of all the plums in this respect, some varieties bearing much and others but little pollen.
Probably the amount of pollen which the flowers of any tree produce is somewhat modified by the
climate in which the tree is growing, by the weather and by the vigor of the tree.
Waugh[147] and Goff[148] have shown that self-sterile plums often have abnormal pistils or pistils too
weak for the development of fruits. Not infrequently flowers of the plum are without pistils, as
occasionally, but less rarely, occurs with the stamens and petals. These abnormalities cannot be very
general causes of self-sterility in plums, however, as varieties, or even trees, cannot often be found
which are not fruitful if other varieties are growing near them. It is very doubtful if even so much as fifty
per ct. of abnormal flowers, seriously jeopardizes a plum crop, as the trees bear, if they blossom at all,
several times as many flowers as they can mature plums. But a high percentage of abnormal flowers
nearly always indicates a general weakness in fruit-setting.
Another cause often assigned for the failure of plums to set fruit is the difference in time of maturity of
stamens and pistils. It is claimed that when these organs do not mature simultaneously the plums do not
set unless pollen is supplied from some other source. The task of taking notes at blossoming time on
more than three hundred varieties of plums on the grounds of this Station has given abundant
opportunity to observe the comparative degrees of maturity of pistils and stamens in varieties of this
fruit. In general the pistils mature first, often three or four days before the stamens. Rarely the pollen is
disgorged before the stigmas are receptive. But stigmas remain receptive, weather conditions being
favorable, for several days and the pollen from all anthers is not shed at once and is produced with such
seeming prodigality as to almost insure the retaining of a sufficient amount to pollinate late-maturing
stigmas. In view of these considerations, premature or retarded ripening of either pistils or stamens does
not seem of great significance in the setting of fruit.
From the statements just made it may be seen that the main cause of the failures to set fruit when
trees bloom freely must be ascribed to the failure of pollen to fertilize the pistils of the flowers of the
same variety. The solution of the problem of self-sterility in the main, then, is to so plant that varieties will
be mutually cross-fertilized. In the selection of varieties for such cross-pollination two factors must be
considered, simultaneity of blossoming and sexual affinity.
It is evident, if cross-fertilization is to play an important part in fruit-growing, in planting to secure it
kinds must be chosen which come into blossom at the same time as those they are expected to fertilize.
The table on pages 106 to 109 shows the sorts that bloom together or nearly enough so to make cross-
pollination possible. It will be found upon examining the table that, under normal conditions and during
the average season, varieties of any one species overlap sufficiently for the above purpose unless it be
the very early and very late varieties. Variations due to locality and to season must be expected but
within the bounds of New York these will be slight. If the table is used for other regions than New York it
must be borne in mind that the farther south, the longer the blossoming season; the farther north, the
shorter the season. Properly interpreted the table of dates should be a useful guide as to the
simultaneity of blooming.
Varieties of plums seem to have sexual affinities. That is, some varieties will fertilize each other very
well and some will not, even though they belong to the same species. There seems to be little definite
knowledge as to the sexual affinities of plums and it is not, therefore, possible to lay down exact rules for
the selection of pollinizers for individual varieties. In the current discussions of cross-pollination it is
probable that the importance of “affinities” is over-rated, and yet the subject is worthy of consideration.
Waugh and Kerr have given this subject considerable attention for native and Japanese plums and have
recommended a list of pollinizers for the several species.[149] The Domesticas and Insititias, the above
writers hold, are best cross-pollinated by varieties from the same species if cross-pollination is essential.
The subject cannot be closed without the expression of the opinion that the lack of cross-pollination
as a cause of the uncertainties in the setting of fruit has been over estimated in the planting of plum
orchards. This expression of doubt is made because there are serious disadvantages in the planting of
mixed orchards of any fruit and the question as to whether these do not outweigh the advantages must
ever be considered.

LOCATIONS AND SOILS FOR PLUMS.


The plum is comparatively easy to suit in the matter of location of orchards, as is shown by the
exceedingly wide range of this fruit in New York. Plums are grown with eminent success on the elevated
and sloping lands adjoining the Great Lakes, the Central Lakes of western New York and on both banks
of the Hudson. Unquestionably there are many other localities than those named about the waterways
of the State and also upon the elevated lands in the western interior formed by morainic hills, and upon
the slopes of the mountains in eastern New York. Upon any land in the State suited to general farm
crops, where the severity of winter is tempered by the lay of the land or proximity to water, and where
late spring frosts are infrequent, plums may be grown. The early blooming plums, the Trifloras in
particular, require more or less consideration as to the slope of land, a northern exposure to retard
blooming-time being best. With other species the direction of the slope makes little difference, though a
slope for air and water drainage is always better than a dead level.
The plum is now thriving in New York, and in the country at large, in a great diversity of soils. The
chief requisite for the genus in general seems to be good drainage. Given this condition, some sort of
plums can be grown on almost any soil found in America not wholly prohibitive of plant growth. Plums
can be found which will stand rather more water than any other of the tree-fruits, and since plums can
be grafted on several stocks, each having its own adaptation to soils, the adaptability of the genus is still
further increased. Yet the several species have somewhat decided soil preferences.
The Domesticas and Insititias, the plums now almost exclusively grown in New York, grow most
satisfactorily, all things considered, on rich clay loams. The plum orchards in this State on such soils
contain the largest and most productive trees and produce the choicest fruit from the standpoints of
size, appearance and quality. Yet there are exceptions in which exceedingly fine Domestica plums are
grown on light loams. The Station collection of about two hundred varieties of European plums is on stiff
clay, but well drained, and the results are uniformly good. The Americanas and Nigras grow very well on
much the same soils as the European sorts, speaking from the experience on the grounds of this
Station, for varieties of these species are not generally grown in New York. Beyond question the Triflora
plums, next most widely grown in New York after the Domesticas, are giving the best results on light
soils—those most favorable for the peach. The ideal soil for this species is a sandy or gravelly loam but
they are growing well on soils having either more sand or more clay than the ideal types. The Hortulana
and Munsoniana plums incline to the comparatively light types of soils named as being best for the
Trifloras rather than to the heavier lands on which the European plums are most commonly grown.
Plum-growers are well aware of the necessity of good drainage for this fruit but few seem to realize
the importance of warmth in a plum soil. The plum, in common with all stone-fruits, grows best, as a
rule, on soils having the power to absorb and retain heat, or if the soil have not these properties the
location and the cultivation should be such as to provide as far as possible for “bottom heat.”

STOCKS AND PROPAGATION.


A discussion of stocks naturally follows one of soils, for the two are intimately related. The plum can
be successfully grown on various stocks and for this reason the practices of nurserymen are diverse,
depending upon the cost of the stocks, the ease with which they may be budded or grafted and the
adaptability of the tree to the stocks. Unfortunately there is little experimental data to show which of the
several stocks is best for the different plums and since growers seldom know what stocks their plums
are growing upon they can give almost no information as to the desirability of propagating on this stock
or that. Nurserymen know the stocks best adapted to their purpose and from them we have sought
information.
A letter of inquiry sent to representative nurserymen in all parts of the United States as to the relative
merits of the several stocks for the different species of plums shows that plum propagators in different
regions use somewhat different stocks. In New England and the North Atlantic States, the Myrobalan
seems to be almost the universal choice, the exception being a few propagators who claim that the
Japanese sorts should be worked on the peach, especially for sandy soils, and a few others who are
using Americana stocks for the American species.
In the Atlantic states south of Pennsylvania and in the Gulf states to the Mississippi the preferences
are very diverse, with the majority of the nurserymen in this region favoring the peach, Myrobalan
following as a close second choice. For light soils it would seem that the peach is always to be preferred
for this great region. The opinions expressed by the veteran plum-grower, J. W. Kerr of Denton,
Maryland, on this subject are worth printing in full. He says:

“In this locality for all varieties of the Domesticas that unite thoroughly with it, the peach is preferable as a
stock. There are, however, a good many varieties of Domesticas that refuse to unite firmly with the peach. For
these the Marianna or the Myrobalan gives best results. For all of the Japanese plums the peach has proved
most satisfactory, when the trees are propagated by root-grafting on the whole-root plan. Nearly forty years of
experimenting and testing stocks of various kinds gives me a decided preference for the peach as a stock for
native plums; results doubtless would be different in colder climates and soils than this, but long and critical
experience has conclusively demonstrated the superiority of this stock when used as indicated for the
Japanese.”
In the interior region between the Atlantic and Gulf States and the Mississippi, the Myrobalan is used
almost exclusively for the European plums and most largely for the other species. Several nurserymen
from this region, however, state that the St. Julien is better than the Myrobalan for the Domesticas and
Insititias but object to them because the stocks cannot be obtained as cheaply. The peach is generally
recommended for the Triflora sorts and the statement is several times repeated that the Americanas
would be preferred for the native species if stocks of this species could be obtained readily.
In the northern states of the Mississippi Valley, all nurserymen agree that plums must be worked on
Americana stocks. In this region the hardy natives only are grown.
South of the northern tier in the states of the plains the Myrobalan is used almost exclusively for the
European species, most largely for the Trifloras, with the peach second for this species, and Americana
stocks for the native species. Stark Brothers of Louisiana, Missouri, large growers of nursery stock in
this region, express the opinion that “the right stock for native plums is yet to be found.” In Oklahoma,
Texas and New Mexico the Marianna is mentioned by several nurserymen as desirable, and is, from
these statements, rather more commonly used for stocks in these states at present than in any other
region.
On the Pacific Coast propagators use Myrobalan and peach in about equal quantities—the first
named for heavy soils and the last for the lighter soils. The native plums are not grown in this region.
The almond is mentioned as being desirable in California under some conditions. Some plum-growers in
the states of the Pacific propagate their own trees from suckers.
The information given by nurserymen shows that by far the greatest number of plums in the country
are grown on Myrobalan stocks. In New York this stock is used almost exclusively. In Europe the writer
found that the nurserymen hold that this is a dwarfing stock, and that the trees on it are shorter-lived
than on some other stocks. In the nurseries in New York, plums in general, but more especially the
Europeans, are larger and finer trees at two years, the selling age, grown on Myrobalan roots than trees
grown on other stocks. Nurserymen lodge but two complaints against it; these are that in the South it
suckers badly and in the cold states of the Great Plains the roots are killed by the winters. Its
advantages from the tree-growers’ standpoint are: Cheapness of the stock, which is usually imported
from France, large handsome trees in the nursery, ease of budding and a good union with nearly all
varieties. Some growers complain that certain varieties overgrow this stock making in the end a badly
mal-formed trunk. The Myrobalan plums are very variable, a fact which finds record in nearly all the
characters of tree and fruit and this is somewhat against it as a stock. It is for this reason that there are
so many “true” and “false” Myrobalans among nurserymen. Many importers hold that this stock is grown
in France from cuttings. Such it seems was the old practice but now, if information from France is
correct, most of these stocks are grown from seed. Hansen reports that in South Dakota this stock is
worthless because it winter-kills. He says[150] “in experiments at this Station a very small per cent. of
Myrobalan stocks survived the first winter and these died the ensuing summer.” It is likely that this stock
would suffer in the coldest parts of New York.
In this region the St. Julien is probably the next most common stock in plum orchards though trees on
it are for most part old, as its use is on the decrease. There is a wide-spread opinion among plum-
growers that this is a much better stock for Domestica and Insititia plums than any other. On St. Julien
stocks varieties of these species, it is claimed, with much to substantiate the claim, produce trees that
are longer-lived, thriftier, hardier, deeper feeders, sprout less and are less susceptible to changes in
soils. The chief objections to this stock are: It is more expensive, sometimes scarcely obtainable in
France; difficult to bud; the young trees do not make as good growth as on the Myrobalan stocks; and
the yearlings are much more susceptible to fungi while in the nursery row, though the latter troubles can
be remedied wholly or in part by spraying. Hansen, in the reference given above, says that “the St.
Julien and European Sloe (Prunus spinosa) both winter-killed” in South Dakota when used as stocks.
The St. Julien stock is propagated from layers when properly grown in France[151] but much undesirable
stock is now raised from seed. There are fruiting trees of this stock about the nurseries in the
neighborhood of this Station which show it to be an Insititia of the Damson type, a type likely to come
fairly true to seed yet not sufficiently so as to make seed-grown trees desirable.
The Horse plum was formerly used as a stock by nurserymen a great deal but is now wholly
superseded. Indeed, it is so nearly lost to the trade as to make it almost impossible to really know what
the plum of this name is. Some describe it as a small-fruited Domestica, others as an Insititia similar to
the St. Julien, but the majority of the trees shown by old nurserymen in the nursery region of New York,
about the only place in which the stock was used, show it to be a Cerasifera but not Myrobalan. Some of
the named varieties of Cerasifera probably sprung from sprouts of this stock. It seems to have had no
qualities which would make it worth while to attempt to re-establish the stock.
The testimony of a large number of nurserymen is in favor of the peach as a stock for plums. Budded
on the peach, plums of many varieties are grown very successfully on the warm sandy and gravelly soils
so well suited to the peach. This stock enables the tree to make a quick growth and come into bearing
early, and the roots do not produce sprouts. The budding with the peach is easily done, the young trees
make a vigorous growth in the nursery and plums on peach roots can probably be grown at a less cost
than on any other stock. Triflora plums in particular make excellent trees worked upon peach stock, the
roots are as hardy as the tops and the union is sufficiently congenial to make the resulting tree long-
lived. For the Domestica and Insititia plums the peach stock is not so valuable, for with some varieties a
good union is not secured and the roots are less hardy than the tops. Among the varieties which
nurserymen say will not unite with the peach are: Lombard, Damsons, Yellow Egg and Washington.
Peach borers are sometimes troublesome when plums are budded on peach stocks.
Mr. Kerr, in his statement regarding stocks, on page 115, says that it is his practice to whip-graft the
plum on “whole-root” peach roots obtaining eventually the plum on its own roots. This method is
certainly well adapted to Mr. Kerr’s conditions but whether it would do in heavier soils and a colder
climate is doubtful. One would suspect that some varieties of Domesticas and Insititias at least would
sprout badly.
In the South, more particularly Texas and the Southwest, Marianna stocks find favor, though their use
seems to be on the decrease. The advantages of this stock are such as appeal to the nurserymen
rather than to the plum-grower. These are that the Marianna readily strikes root from cuttings and the
growth in the nursery is all that can be desired. Cuttings strike more easily in the South than in the
North, hence its popularity in the first named region.
For the colder parts of the Great Plains and as far east as to include Wisconsin, Americana seedlings
are the only stocks that will withstand the winter. In this region Americana stocks are, of course, used
only for the native plums and data seem to be lacking as to whether other plums cultivated for their fruit
could be grown on this stock or not. The W. & T. Smith Company of Geneva report that they are now
using Americana seedlings for native plums for their eastern trade, speaking of them as follows: “We
think we get a larger growth and a better root system by using the native (Americana) stocks. We also
consider that the Flowering Almonds, Prunus triloba and Prunus pissardi, make a better growth on
native stocks.” From the last statement one would suspect that it would be feasible to grow other
orchard plums than the native species on this stock. As yet Americana seedlings are expensive, and
until they cost less their use in competition with the Myrobalan and peach stocks will be almost
precluded. The chief fault of the Americana stock is that the trees sucker rather badly.
Besides the plants discussed above various nondescript members of the genus Prunus are used as
stocks for cultivated plums under particular circumstances or for particular purposes. Seedlings of
Munsoniana plums are supposed to be preeminently adapted for low wet lands. J. W. Kerr believes that
seedlings of Prunus hortulana are excellent stocks for native plums as they never sucker.[152] The Sand
plum (Prunus angustifolia watsoni) offers possibilities as a stock for dwarfing larger growing species.
According to Hansen,[153] who reviews the literature and describes several experiments of his own, the
western Sand cherry (Prunus besseyi) dwarfs varieties worked upon it and has the merits of being
extremely hardy and of producing trees which bear early and abundantly. As stated in the discussion of
Subcordata, stocks of this plum have been used on the Pacific Coast and discarded because it dwarfs
trees and suckers badly. According to Wickson,[154] the apricot and almond are sometimes used as
stocks for plums in California and in some instances with considerable success.
Lastly, suckers are not uncommonly used by plum-growers for certain varieties. Thus in the western
part of New York, the plum-growing region of the East, several varieties as the Reine Claudes and some
of the Damsons are propagated from sprouts taken from the base of old trees. This method can be
used, of course, only when the trees are grown upon their own roots. The writer was told by plum-
growers in Germany and France that most of the plums in gardens and small plantations, constituting
the majority of the plums in the two countries, were propagated from suckers. This method has small
merit except that it enables a grower to get a few trees cheaply and perhaps gives a better tree of some
varieties for a heavy soil. Beyond question it gives trees with a tendency to sucker—an undesirable
attribute.
In the horticultural literature of the time recommendations for top-working plums are rather frequent. It
is true that many varieties of plums grow slowly and make crooked growths, especially in the nursery,
but in the attempts at grafting in New York the failures are more conspicuous than the successes. If top-
working is decided upon, the earlier in the life of the tree it is done, the better. For the Domesticas at
least, the Lombard is probably the best stock. The method of top-working is to graft in early spring or
bud in late summer. Grafting ought to be used more often than it is to renew the tops of injured trees, as
the difficulties in doing this are not much greater than in the case of apples.

PLUM ORCHARDS AND THEIR CARE.


Plum trees in New York are set from twelve to twenty feet apart. The amount of room given seems to
depend mostly upon the custom in the locality, though, as all agree, it should depend upon the soil and
the variety. The deduction which plum-growers are drawing from these experiences is that the plum
should have more room than is generally given it, therefore, wider plantings are more the rule now than
formerly. Little attention has been paid to mixed planting for cross-pollination in this State, as the
Domesticas are planted almost exclusively and seem under orchard conditions to be self-fertile.
In this region plum trees are usually planted two years from the bud, the exception being the
Japanese which are sometimes set at a year from the bud. Plum trees in the past have been headed at
three or four feet above the ground but the tendency now is to head them lower—half the above
distances, and in orchards so planted there seems to be no inconvenience in tilling with modern
implements. In the commercial orchards of the State the heads are formed of four or five main branches
and in the case of the Domesticas and Insititias about a central trunk but with the Trifloras the leader is
often removed leaving a vase-formed head. After the head is formed the subsequent pruning is simple,
consisting of cutting out injured and crossed branches and heading-in long, whip-like growths. The
Trifloras receive more pruning than the European varieties, as much of the fruit is borne on the growth of
the previous season and it is necessary to keep the bearing wood near the trunk. It is the custom to cut
rank growing Trifloras severely but the value of such a procedure is doubtful, as the more such a plum is
pruned the more it will need pruning in the years to follow. A better plan seems to be to curtail the food
and prune as little as possible, though on rich soils the tree would probably grow out of all bounds
unless cut back somewhat year after year.
About the only cultivated native plums to be found in New York, if a few Wild Goose trees here and
there are excepted, are on the grounds of this Station. Experience here demonstrates that, prune as you
will, certain varieties of the native species will remain crooked, ungainly and unkempt. Pruning some
varieties is necessary in order to permit pickers to get into the dense, thorny heads; heading-in such
varieties would make their tops wholly impenetrable.
In common with all tree-fruits the best plum orchards are tilled. Such tillage usually consists of plowing
in the spring followed by frequent cultivation until the middle of August, at which time a cover-crop of
clover, oats or barley is sown. The plum seems to require more water than other tree-fruits—it often
thrives in comparatively moist land and fails on sandy soils where the peach would grow luxuriantly.
Cultivation to save moisture is very necessary for the plum in the experience of New York growers.
Grass and grain have proved ruinous in most orchards where tried, though cultivated crops between
young trees to pay for keep until fruiting-time are very generally planted. The claim is made by some,
and with a show of reason, that there is less of the brown-rot in tilled orchards than in neglected ones for
the reason that the mummied fruits which carry the fungus through the winter are buried by plowing and
with shallow cultivation, at least, do not come to light and life.
Plum-growers very generally recognize the several distinct and valuable purposes which cover-crops
serve in orchards. They protect the tree from root-killing, from cold, keep the soil from washing, add
humus and, with legumes, nitrogen to the soil, modify the physical structure of the soil and hasten
seasonal maturity of the tree. There is one other function which is not so often taken into account. Plum
orchards in which cover-crops are regularly grown, even though the crop be not a legume, need less
fertilizers than those in which no such crop is grown. There are several reasonable suppositions as to
why there should be such an effect, but one not usually given sufficient consideration is that cover-crops
make available much plant food in the soil. Each plant in the crop collects food from soil and air, most of
it otherwise unavailable, and turns it over to the trees.
A discussion of fertilizers naturally follows. Present practices in the use of fertilizers with the plum, as
with other fruits, are very diverse. It is impossible to ascertain what considerations have governed the
applications of fertilizers in the plum orchards of New York or what the results have been. Too often, it is
to be feared, fertilizers have been used as “cure-alls” for any or all of the ills to which trees are heirs. Out
of the mass of conflicting data as to the effects of fertilizers on plums, the most apparent fact is that
much of the fertilizers for this fruit is wasted; this in face of the fact that plums want rich soils. But the
plum crop is mostly water, the foliage remains on the ground, the trees grow several years before
fruiting, their growing season is from early spring until late fall, the roots go deep and spread far, the
trees transpire large amounts of water, hence may thrive on diluted solutions of plant food, and now and
then there is an off year in bearing for the trees to recuperate.
It does not follow from the above consideration that plums never need fertilizers, but it does seem
plain that they need rather less than truck or farm crops and that applications of plant food must be
made with exceedingly great care if fertilizing is to be done without waste. There is a growing disposition
on the part of plum-growers to experiment very carefully and know that they are getting the worth of their
money before using any considerable quantity of fertilizers for their trees.
Thinning the fruit should be a regular practice with plum-growers, but it is the operation in the growing
of this fruit about which growers are most careless both as to whether it is done at all and in the manner
of doing. Many growers in New York, realizing the great necessity of thinning certain varieties of Triflora,
as Burbank and Abundance, follow the practice very regularly with plums of this group; but the
Domesticas are seldom well thinned, though some of them, of which Lombard is a conspicuous
example, ought nearly always to have anywhere from one-fifth to half of the fruit removed. Growers of
some of the native varieties in regions where these sorts are grown say that under cultivation some
kinds of these plums will bear themselves to death if a part of the crop be not removed in most years.
Those growers in New York who thin, do the work as soon as possible after the June drop has taken
place.

HARVESTING AND MARKETING.


Plum trees in this climate begin to bear when set from three to five years. The Triflora varieties will
bear soonest, the Old World varieties next in order, say at four years from setting, and the native sorts,
as a rule, come in bearing last. At eight or ten years of age, prolific varieties of the Triflora and
Domestica sorts bear in a good year about three bushels of fruit; the Insititia and native varieties, on the
Station grounds, at least, do not bear as much, though most of the plums of these two groups bear more
regularly than the first named groups.
Plums in this State, and east of the Mississippi generally, are picked and put upon the market just
before they reach edible condition; while farther away they must be picked much greener. It is the
practice in the East to pick while still somewhat green because the fruit so picked is best handled at this
stage of maturity and the brown-rot fungus is likely to destroy much of the crop if left until fully matured.
Some of the Triflora sorts, Abundance, Burbank and October, for example, are picked from a week to
ten days before ripe and yet develop very good color and flavor. The Domesticas need not be, and are
not, picked quite so green. In picking, great diversity exists as to ladders, receptacles, and manner of
conveyance from orchard to packing house. These need not be discussed here, nor need the methods
of picking be spoken of further than to say that while good growers consider it vital not to bruise the fruit
nor destroy the delicate bloom, if such injuries can be avoided, pickers in general are not nearly as
observant of these important details as they should be.
The plum crop is sent to market, for most part in New York, in six, eight and ten-pound grape baskets
with the preference at present for the smallest of these baskets. Occasionally some fruit is packed in
four pound baskets. Rarely, and always to the disadvantage of both producer and consumer, plums go
to market in the packages in which the fruit is picked. Indeed, it is seldom advantageous to pack the fruit
in the field, it being far better to convey it to the packing house where the preparations for shipping may
be more carefully made, as the package and the manner of packing advertise the product. Plums
coming to this State from the far West are often wrapped individually in tissue paper as a help in safe
shipping and to add to their attractiveness but the fruit grown in the State is seldom, if ever, so treated,
though it is possible that choice specimens could be profitably wrapped. Of the sorting, grading, facing
and marking the packages, little need be said except that they are too rarely well done in present
methods, though there is a steady improvement in attending to these important matters.
Few plums are stored longer than a week at most in common storage and three weeks or a month is
quite the limit for most varieties in cold storage. Late plums and in particular some of the prunes might
well be stored longer than is now the custom if proper precautions are taken, as is shown by the
experience at this Station where a considerable number of the Domestica and Insititia varieties are
annually kept in common storage for a month or longer without unusual precautions. Some of the new
varieties offered to growers, as Apple and Occident, are recommended as keeping for several weeks
after picking. There is a most marked difference in the keeping qualities of this fruit and it is certain that
varieties can now be selected for long keeping and that there is a fine opportunity for breeding sorts that
will keep even longer than any we now have.
Marketing, the actual selling, is a business quite by itself, and since it is one which has changed
greatly in the past few years and is destined to change even more in the near future, a few observations
on the subject are worth putting on record. A well developed local market is undoubtedly the best selling
place for the plum producer, as in it the sales are directly to the consumer, eliminating expensive
middlemen. The westward spread of manufacturing industries, the workers in which use up the western-
grown fruit, is making better local markets for eastern plums, a point worth noting, for many New York
plum-growers have ceased planting, indeed have been removing trees, fearing western competition.
By far the greater part of the plum crop now finds its way to consumers through the following costly
distributive system: 1st. Local buyers who ship to centers of consumption. 2nd. Transportation
companies. 3rd. Commission companies who collect and distribute the crop in consuming centers. 4th.
Retailers who parcel out the quantities and the qualities demanded by the consumer. The great defect in
handling the crop is, that there are too many men and too much machinery to do the work cheaply—
moreover, the risks of depreciation are great, and the fruit is not handled on a large scale chiefly
because of a lack of capital by the grower or local buyer. These defects in the present distribution of
plums in New York make the price received by the grower about half that paid by the consumer and the
selling of the crop a more or less speculative business. The plum industry, as is the case with all fruits, is
greatly hampered by the present marketing systems.
Unfortunately there is yet but a small outlet for surplus plums as manufactured products. As a rule the
commercial outlook is best for those fruits of which the surplus can be turned into by-products. The only
outlet for the plum in the East is in canning, as this region is unable to compete with the West in the
making of prunes[155] and as the several plum products of the Old World are not in demand in the New
World. Beyond question there are a number of products, as preserves, jellies from the native plums,
glacé fruits, plum butter, marmalades and the like, which could be made profitable for the markets and
thus a great help in utilizing surplus plums.

DISEASES.
Plums are subject to a considerable number of fungus diseases, several of which are often virulent,
the virulence depending on locality, season, weather and variety. Happily for the plum industry,
knowledge of plant pathology has made such advancements in recent years that nearly all of the
diseases of this fruit are now controlled by preventive or remedial measures.
One of the commonest and most striking of the diseases of the plum is black-knot[156] (Plowrightia
morbosa (Schw.) Saccardo) characterized by wartlike excrescences on shoots and branches. In early
summer these knots are dark green, soft and velvety, but as the fungus ripens in the fall the color
changes to a carbon-like black and the knots become hard and brittle. The disease is usually confined to
one side of the twig or branch so that death of the affected part does not ensue at once. Black-knot is an
American malady, at one time confined to the eastern part of the continent where in some localities its
ravages forced the abandonment of plum-growing. The fungus is now endemic to wild or cultivated
plants in practically all the plum-growing regions of the continent, but it is still epidemic only in the East,
the South and West being practically free from the disease. Unless especially virulent black-knot is
controlled by cutting out the diseased wood. Usually eradication is not possible without several prunings
during a season.
Much has been made of the supposed immunity of some varieties of plums to black-knot. In the
vicinity of this Station, where the disease is always present and often rampant, the differences in
immunity are not very marked in varieties of the same species. The Trifloras are less attacked, however,
than any other group of plums, and the Insititias rank next in immunity. No variety of the Domesticas has
yet proved to be free from the disease but strong claims are made that Middleburg and Palatine are
relatively free.
Next in order of seriousness among the diseases which attack cultivated plums is the brown-rot[157]
(Sclerotinia fructigena (Persoon) Schroeter) known also very commonly as the ripe-rot and sometimes
as peach-blight. The disease is most conspicuous on the ripe fruits of the various drupes and is
popularly supposed to be confined to the fruits alone. Such is not the case, for it also attacks, and very
vigorously oftentimes, the flowers and shoots. The presence of the disease on the fruits is known by a
dark discoloration of the skin which is afterward partly or wholly covered by pustule-like aggregations of
grayish spores. The decayed fruits may fall to the ground, or as is more usual in the case of plums, they
hang to the tree and as the juice evaporates become shriveled mummies, each mummy being a
storehouse of the fungus from which infection spreads the following season. The twigs, flowers and
leaves are known to be suffering from inroads of the parasite when they are blackened as if nipped by
frost. In warm, damp weather the rot spreads with great rapidity and fruits touching in clusters or in
boxes stored for shipping are well placed to spread the epidemic. Destruction of the mummy-like fruits
and all other sources of infection, and spraying with bordeaux mixture are now practiced as preventives,
but so far as the crop is concerned with but indifferent success. A better remedy than we now have is
eagerly looked for by growers of fruits.
The hosts of this fungus show varying degrees of susceptibility to it, the peach and the sweet cherries
being more subject to it than plums. Similarly, among plums some species and varieties are more
susceptible than others. Thus the Trifloras and Americanas, the latter especially in the South, are injured
more by the brown-rot than other species. The idiosyncrasies of varieties in this regard are best shown
in the discussions of the individual sorts.
Several interesting and sometimes destructive diseases of plums are caused by various species of
the fungal genus Exoascus.[158] The most common of these, and the most striking and destructive, is
plum-pockets (Exoascus pruni Fuckel), which causes prominent deformities of the fruit. These give the
disease the common name or less frequently “bladders” and “curl.” The fungus attacks the developing
fruits at an early stage of their growth and causes the production of a spongy mass in the fleshy tissue
which greatly enlarges and distorts the plum. The stone in a diseased plum is but rudimentary or very
often not at all developed. Less prominently but quite as frequently, the leaves are attacked, showing as
they unfold more or less red or yellow with a very decided curling and arching of the leaf-blade. The
disease usually spreads from the leaves to the shoots, the infected shoots with their rosettes of mal-
formed leaves giving the tree a most unsightly appearance. Prevention at present consists of removing
the diseased parts and spraying with bordeaux mixture when the buds begin to swell. Munsoniana and
Hortulana plums seem to be most susceptible to this disease. Atkinson[159] has described several
species of Exoascus on the different species of wild plums, some of which are liable to be found on the
cultivated varieties of the native plums. They are all very similar to Exoascus pruni, differing chiefly, in
the eyes of the layman, in forming smaller pockets. Sturgis[160] records an attack of one of the leaf-curl
fungi, distinct from the plum-pockets fungus, on varieties of Triflora in Connecticut, which seemed to him
to be of scientific and economic importance.
The leaves of the different species of cultivated plums are attacked by several fungi which produce
diseased spots on the foliage, which for most part drop out, causing a shot-hole effect. These diseases
pass under such descriptive names as “shot-hole fungus,” “leaf-spot,” and “leaf-blight.” The fungus
probably responsible for most of this trouble is best known as the shot-hole fungus[161] (Cylindrosporium
padi Karsten). The Domestica and Triflora varieties are very susceptible to this fungus, which, on the
foliage of the first, causes spots for most part, while on the latter the spots on the leaves are nearly
always followed by holes. Varieties of the native species, especially those of Americana and Nigra, are
relatively free from this disease. Another of these shot-hole fungi is Cercospora circumscissa
Saccardo[162], much less common than the former, but still to be considered and especially on the
foliage of Americana. All of these diseases of the foliage are prevented to some degree by the proper
use of bordeaux mixture, which, on the Triflora plums at least, must be used with great care to avoid
injury. Cultivation has a salutary effect as it destroys the diseased leaves which harbor the fungi.
Another disease of plum foliage, occurring rarely on the fruit, is the plum-leaf rust[163] (Puccinia pruni-
spinosae Persoon) which produces so considerable a number of spore cases on the underside of the
leaves as to give the foliage a brownish cast and to cause defoliation in severe infections. The fungus is
most apparent in the fall and most troublesome in warm, moist climates. Bordeaux is used as a
preventive.
Stewart and Rolfs have shown that trunks and branches of plums affected by sunscald in New York
are almost invariably infested by a fungus[164] (Valsa leucostoma Persoon) which in the Old World is
known as the “die back” of the peach. The disease manifests itself on plums chiefly by affected areas
much depressed at the boundary between the living and the dead bark, these areas usually, not always,
having connection with sunscald injuries on the trunk. The disease is accompanied by more or less
gumming.
In common with nearly all rosaceous plants, in nearly all countries, the plum is sometimes seriously
injured by the powdery mildew[165] (Podosphaera oxyacanthae DeBary). The affected leaves have a
grayish appearance caused by the parts of the fungus which project beyond the leaf tissue; when badly
diseased the leaves are more or less arched and curled. Mildew is seldom prevalent enough on plums
to require treatment.
The crown gall,[166] (Bacterium tumefaciens Smith and Townsend) is a parasite on all of the fruits of
the order Rosaceae and is especially common on nursery stock, attacking plums in many soils but
rarely, however, to the great injury of the plant. These galls are perennial structures of very varying
duration. They are to be found on the roots, usually at the collar of the plant, and vary from the size of a
pea to that of a man’s fist, forming at maturity, rough, knotty, dark-colored masses. Means of prevention
or cure are not established though all agree that soils may be inoculated with the disease from infected
stock; hence the necessity of discarding diseased trees at transplanting time.
Smith found in Michigan and Clinton in Connecticut a disease of the fruit called bacterial black
spot[167] (Pseudomonas pruni Smith) of the same generic origin as the crown gall but widely different in
nature. The writers and the growers who found the infected fruit, saw the disease only on the Triflora
plums. It attacks the green fruits which show conspicuous, black-purple, sunken spots sometimes as
large as half an inch in diameter. The injuries are usually isolated and quite superficial but nevertheless,
spoil the fruit.
The plum in common with other stone-fruits often suffers from an excessive flow of gum, for which
trouble the name gummosis[168] is now generally applied. The disease is to be found wherever plums
are grown but it is much more destructive on the Pacific than on the Atlantic seaboard. So far as is now
known gummosis is secondary to injuries caused by fungi, bacteria, insects, frost, sunscald, and
mechanical agencies. The disease is least common in species and varieties having hard wood; on trees
on soils favoring the maturity of wood; under conditions where sun and frost are not injurious; and,
obviously, in orchards where by good care the primary causes of gumming are kept out. Stewart[169] has
recorded an interesting case of gum-pockets in the fruit, but could assign no cause.
Mechanical injuries from the sun, frost and hail are troubles with which nearly all plum-growers must
contend at one time or another. In this region the Reine Claude and Triflora plums suffer much from
sunscald but none are wholly immune, though Lombard is possibly most so. These injuries from the
elements of weather are often mistaken for diseases, and are so often followed by fungal parasites and
insects as to make it difficult to distinguish the primary from the secondary trouble. Low-heading of the
trees is the best preventive of these trunk injuries.
Plums are somewhat subject to attacks of the well-known peach scab[170] (Cladosporium carpophilum
Thumen). The scab appears in numerous, small, sooty, circular spots of brownish color, often confined
to one side of a fruit but in other cases distributed over the whole surface. None of the cultivated species
are free from the disease but the Munsoniana, and Hortulana varieties are most susceptible to it. Pear
blight,[171] (Bacillus amylovorus (Burrill) DeToni) commonly thought of as a disease of the pear and
apple has been found on various plums, and the yellows of the peach, cause unknown, is often quite
destructive to Triflora plums. According to Smith the peach rosette,[172] cause unknown, attacks both
wild and cultivated plums in the South and is quickly fatal. The disease was prevalent on the wild
Angustifolias, on two varieties of Triflora, Kelsey and Botan, but the observer had not seen rosette on
varieties of Domestica.
Waugh describes a trouble which he calls “flyspeck fungus”[173] found on fruits sent from the Southern
States, in which small areas are thickly dotted with black spots; also a fruit-spot on plums from Texas
caused, as he states, by an undetermined Phoma.[174] Starnes of Georgia describes a malady of the
Triflora plums called “wilt,”[175] cause unknown, which he states is the most serious obstacle to the
culture of this plum in the South. In this peculiar disease the foliage passes directly from a green,
healthy state into a wilted and then parched condition, the death warrant being signed when a tree is
once affected. In Oregon and Washington the Italian Prune is subject to a leaf-curl[176] which begins in
mid-summer and curls the leaves conduplicately without withering but shriveling somewhat. As the
season advances the leaves turn yellow and many of them drop. Neither cause nor cure is known.
Smith described a plum-blight[177] of native plums in Georgia which “destroys large branches or even
whole trees in mid-summer in the course of a few weeks.”

INSECTS.
Cultivated plums furnish food for a great number of insects. Many of the destructive insect pests of the
several cultivated species of Prunus are known to have come from the wild plants of the genus, but
others, and possibly the majority, come from over the seas. No less than forty species of insects may be
enumerated as pests of the plum and many more can be counted as occasional parasites on one or
another of the species. Of the formidable pests the plum curculio is probably the most troublesome. The
plum curculio[178] (Conotrachelus nenuphar Herbst) is a rough, grayish snout-beetle somewhat less
than a quarter of an inch in length, an insect so familiar to fruit-growers as hardly to need a description.
The female beetle pierces the skin of the young plums and places an egg in the puncture. About this
cavity she gouges out a crescent-shaped trench, the puncture and trench making the “star and
crescent” of the Ottoman Empire, hence the common name of the beetle, “The Little Turk.” The egg-
laying process may be repeated in a number of fruits and from each egg a larva hatches within a week
and burrows to the stone, making a wormy fruit. Most of the infested plums drop. In years past plum-
growers relied upon jarring the beetles from the trees in the early morning, but the treatment was too
expensive, and poisoning with an arsenate is now the chief means of combating the pest. Rubbish and
vegetation offer hiding places for the insects and hence cultivated orchards are more free from curculio.
Thin skinned varieties are damaged most by the insect but there are no “curculio-proof” plums.
A larger snout-beetle than the curculio, the plum gouger[179] (Anthonomus scutellaris LeConte),
occasionally does much damage to plums. The work of the gouger may be told from that of the curculio
by the absence of the crescent cut about the puncture made for the egg, and from the fact that the
larvæ of this pest chiefly infest the stone and those of the other insect the flesh of the plum. The
remedies are the same for the two insects though the gouger is more easily destroyed.
Among the several borers which are more or less destructive to species of Rosaceae only the peach
borer[180] (Sanninoidea exitiosa Say.) may be counted as a troublesome pest of the plum. The larvæ of
this insect are frequently to be found in both wild and cultivated plum trees and must be combated in
nearly all plum orchards east of the Rocky Mountains. The prevention of the work of the borer is best
accomplished by thorough cultivation, the use of coverings of tar and poisonous washes and mounding
the trees. Destruction is effectively carried out only by digging out the borer with knife or wire. The lesser
peach borer[181] (Sesia pictipes Grote & Robinson) attacks the plum and in New York has been found

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