Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 47

Entgrenzung der Mimesis Rosa

Eidelpes
Visit to download the full and correct content document:
https://ebookstep.com/product/entgrenzung-der-mimesis-rosa-eidelpes/
More products digital (pdf, epub, mobi) instant
download maybe you interests ...

Normative Entgrenzung Themen und Dilemmata der Medizin


und Bioethik in Deutschland 1st Edition Axel W. Bauer
(Auth.)

https://ebookstep.com/product/normative-entgrenzung-themen-und-
dilemmata-der-medizin-und-bioethik-in-deutschland-1st-edition-
axel-w-bauer-auth/

Zur Genese des Sozialen Mimesis Performativität Ritual


Christoph Wulf

https://ebookstep.com/product/zur-genese-des-sozialen-mimesis-
performativitat-ritual-christoph-wulf/

Mimesis a representação da realidade na literatura


ocidental Erich Auerbach

https://ebookstep.com/product/mimesis-a-representacao-da-
realidade-na-literatura-ocidental-erich-auerbach/

2286 Rosa Magaña

https://ebookstep.com/product/2286-rosa-magana/
O Governador Luís Rosa

https://ebookstep.com/product/o-governador-luis-rosa/

A Carne Rosa Montero

https://ebookstep.com/product/a-carne-rosa-montero/

Minha irmã Rosa Justine Larbalestier

https://ebookstep.com/product/minha-irma-rosa-justine-
larbalestier/

Sot vell Maria Rosa Camps

https://ebookstep.com/product/sot-vell-maria-rosa-camps/

Rosa branca floresta negra Eoin Dempsey

https://ebookstep.com/product/rosa-branca-floresta-negra-eoin-
dempsey/
Rosa Eidelpes
Entgrenzung der Mimesis
Georges Bataille – Roger Caillois – Michel Leiris
LiteraturForschung Bd. 35
Herausgegeben vom Zentrum für Literatur‑ und
Kulturforschung
Rosa Eidelpes

Entgrenzung der Mimesis


Georges Bataille – Roger Caillois – Michel Leiris

Kulturverlag Kadmos Berlin


Das dieser Publikation zugrunde liegende Forschungsvorhaben und die
Drucklegung wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter
den Förderkennzeichen 01UG0712 und 01UG1412 gefördert.
Diese Arbeit wurde 2014 am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften
der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über <http: /  / dnb.d-nb.de> abrufbar

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­­­
wertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2018,
Kulturverlag Kadmos Berlin. Wolfram Burckhardt
Alle Rechte vorbehalten
Internet: www.kulturverlag-kadmos.de
Umschlaggestaltung: Eva Lobenwein (www.dieeva.com)
Gestaltung und Satz: kaleidogramm, Berlin
Druck: booksfactory
Printed in EU
ISBN 978-3-86599-402-8
Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I. Metamorphosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1. Ethnologie und Ästhetik in der Zeitschrift Documents . . . . . . . 31


1.1. Ästhetik des Dokuments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
1.2. Materialismus des »Primitiven« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.3. De-Formationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.4. Transgressive Mimesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2. Ethnologie und Mimesis: Michel Leiris’ mimetische
Ethnographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.1. Afrika als Phantom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.2. Subjektive Ethnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.3. Ethnologische Mimesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.4. Mimesis und Theatralität (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3. Mimikry und Imagination: Roger Caillois’ Theorie der
Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.1. Das Imaginäre der Insekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.2. Empirische Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.3. Natürliche Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.4. Mimese und Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

II. Mimetische Exzesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

1. Sakrale Wissenschaft: Das Collège de Sociologie (I) . . . . . . . . . 91


1.1. Sakralsoziologie der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
1.2 Von der subjektiven zur kollektiven Ethnologie . . . . . . . . . 94
1.3. Phänomenologie des Sakralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
2. Wissenschaft und Magie: Das Collège de Sociologie (II) . . . . . . 104
2.1. Austreibung des wissenschaftlichen Geistes . . . . . . . . . . . . 104
2.2. Sur-Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
2.3. Ethnologische Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
2.4. Zauberlehrlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3. Gemeinschaft und Geheimgesellschaft:
Zur Politik des Sakralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
3.1. Sakrale Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
3.2. Politik des Sakralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
3.3. Politische Mimese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

III. Entgrenzung der Mimesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

1. Jenseits von Kunst und Literatur: Ästhetik des Mythos . . . . . . 138


1.1. Ethnologie der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
1.2. »Lebendige« Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
1.3. Neuverortungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
2. Ästhetik des Sakralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
2.1. Sakrale Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
2.2. Ästhetische Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
2.3. Ästhetische Transgression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
2.4. Sakrale Ansteckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
3. Theater und Ritual: Acéphale als sakrale Performance . . . . . . . 167
3.1. Simulakren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
3.2. Ritualisierung der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
3.3. Dramaturgien des Sakralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3.4. Mimesis und Theatralität (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

IV. Mimetische Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

1. Poetische Selbstopferungen: Batailles Sakralisierung


der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
2. Schreiben als Stierkampf: Leiris’ Poetologie der Corrida . . . . . 192
3. Die Steine schreiben: Caillois’ mineralogische Poetik . . . . . . . . 198

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Einleitung

Die Natur erzeugt Ähnlichkeiten;


man braucht nur an die Mimikry zu denken.
Die allerhöchste Fähigkeit zum Produzieren
von Ähnlichkeiten aber hat der Mensch.
Walter Benjamin1

Die Geschichte der europäischen Kultur ist das Ergebnis kultureller Ver‑
flechtungen.2 »Fremde Kulturen«,3 ob real oder imaginiert, faszinierten
die Europäerinnen4 seit jeher und stellen eine nicht wegzudenkende In‑
spirationsquelle der künstlerischen und literarischen Innovation dar. Mit
der Entstehung der Ethnologie als akademische Disziplin fand diese Fas‑
zination ein neues Medium. Zwar distanzierte sich die »Wissenschaft vom
kulturell Fremden«5 von historischen Vorstellungen, die um Figuren wie
diejenige des »Barbaren«, »Kannibalen« oder »(edlen) Wilden« kreisten,6

1 Benjamin: »Lehre vom Ähnlichen«, S. 204.


2 Vgl. Werberger: »Überlegungen zu einer Literaturgeschichte als Verflechtungsgeschichte«.
Für die Literaturwissenschaft bedeutet das, so Anette Werberger, dass sie sich in Zukunft
verstärkt der »Genese von literarischen Topoi, Poetik und Themen durch Kulturkontakt«
zuzuwenden hat, vgl. ebd., S. 109. Erhard Schüttpelz fordert in diesem Zusammenhang
eine Revision der Genealogiegeschichte moderner Literatur, sei diese doch einerseits immer
schon Erbin sogenannter »vormoderner« Gesellschaftsstrukturen (bspw. in Form von
Plot-Elementen und narrativen Strukturen), sowie andererseits Produkt eines expliziten,
historischen Ausschlusses von oralen Literaturformen – und schließlich auch Ergebnis der
Subversion solcher Ordnungsschemata und Hierarchien, vgl. Schüttpelz: »Weltliteratur«,
S. 347 ff.
3 Der Terminus »kulturell fremd« bzw. »fremde Kultur« wird hier und im Folgenden
in Anführungszeichen gesetzt, um zu markieren, dass »das Fremde« vor allem eine
Wahrnehmungskategorie ist, die sich im Verhältnis zum jeweils »Eigenen« definiert.
Zur Konstruktion des Fremden in der Anthropologie vgl. kritisch Fabian: Time and
the Other. Der pauschal verwendete Kulturbegriff suggeriert zudem eine ethnische und
soziale Homogenität von faktisch in sich heterogenen Gesellschaften bzw. geht von sich
antagonistisch gegenüberstehenden, kulturellen Entitäten aus und ignoriert die Tatsache,
dass es einen Zustand vor der kulturellen Fremdbegegnung nie gegeben hat, vgl. Welsch:
»Transkulturalität«.
4 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text in Bezug auf unbestimmte Personen‑
gruppen die weibliche Form gewählt, es sind jedoch alle Geschlechter gemeint.
5 Vgl. Kohl: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden.
6 Vgl. zur Kulturgeschichte von Fremddarstellungen u. a. Kohl: Entzauberter Blick und
Fink-Eitel: Die Philosophie und die Wilden.
8 Einleitung

um sich ihrem Gegenstand nun auf der Basis »objektiver« Theorien und
Methoden zu nähern. Doch die in der Moderne stetig wachsende ethnolo‑
gische Schriftproduktion trug selbst nicht unwesentlich dazu bei, dass die
Imaginationsprozesse rund um das »kulturell Fremde« eine nie gekannte
Produktivität erlebten: Es gibt kaum ein Sujet, das die kulturinteressierte
Öffentlichkeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts so
bezauberte, wie die »Naturvölker«. Die Figur des »Primitiven« avancierte
als Angehöriger vermeintlich zivilisatorisch unberührter Gesellschaften nun
zum Antipoden einer als ermattet erlebten westlichen Zivilisation.7 In den
Gemälden und Plastiken der Jahrhundertwende wurden durch die Aneig‑
nung visueller Formen des »Primitiven« neue künstlerische Darstellungs‑
weisen und Verfahren geschaffen – man denke an die Gemälde Gauguins
oder die Skulpturen von Max Ernst.8 Die dadaistische und expressioni‑
stische literarische Avantgarde experimentierte mit Lautmalerei und der
Montage von »Eingeborenensprachen« in die eigenen Texte.9 Und Pablo
Picasso beschrieb seinen Besuch im Pariser Musée du Trocadéro im Früh‑
jahr 1907 als Erweckungserlebnis, herbeigeführt durch die Übertragung
der magischen Kraft »primitiver« Artefakte. Die afrikanischen Masken im
ethnologischen Museum hätten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf
ihn ausgeübt und eine nachhaltige Verwandlung des eigenen, künstlerischen
Selbstverständnisses bewirkt:
Je voulais m’en aller. Je ne partais pas. Je restais. J’ai compris que c’était im‑
portant: il m’arrivait quelque chose, non ? Les masques, ils n’étaient pas des
sculptures comme les autres. Pas du tout. Ils étaient des choses magiques. […]
Contre tout ; contre des esprits inconnus, menaçants. […] J’ai compris: moi aussi,
je suis contre tout. Moi aussi, je pense que tout c’est inconnu, c’est ennemi !
Tout ! […] J’ai compris à quoi elle servait, leur sculpture, aux Nègres. […] J’ai
compris pourquoi j’étais peintre.
Ich wollte schon wieder gehen. Aber ich ging nicht. Ich blieb da. Ich merkte,
daß es wichtig war. Es geschah irgend etwas mit mir, oder? Die Masken waren
eben nicht Bilderwerke wie andere auch. Gar nicht. Sie waren etwas Magisches.
[…] Fürsprecher – gegen alles, gegen unbekannte, drohende Geister. […] Und
ich habe verstanden: auch ich stehe gegen alles. Auch ich meine, alles ist das
Unbekannte, das Feindliche! Alles! […] Ich habe verstanden, wozu sie ihre Pla‑
stiken brauchten […]. Ich habe verstanden, warum ich Maler war.10

7 Vgl. Schultz: Wild, irre und rein, S. 8.


8 Vgl. zum Primitivismus in der bildenden Kunst des Surrealismus Rubin (Hg.): Primitivism
in 20th Century Art, darin insbesondere Maurer: »Dada and Surrealism«.
9 Vgl. Schultz: Wild, irre und rein, S. 8. Für eine theoretische Annäherung an Formen von
Primitivismus in der Literatur vgl. Gess (Hg.): Literarischer Primitivismus.
10 Picasso zitiert nach Malraux: La tête d’obsidienne, S. 17−18 [deutsch: Das Haupt aus
Obsidian, S. 17−19].
Einleitung 9

Picasso durchlebte also nach eigenen Angaben beim Anblick der ihm
unbekannten religiösen Objekte11 eine weder intendierte noch bewusst
gesteuerte Transformation, in deren Verlauf er sich als der (imaginierten)
»fremden Kultur« ähnlich und sein eigenes Kunstschaffen als mit den
religiösen Praktiken der sogenannten »Primitiven« verwandt erkennt.12
Nach diesem eindrücklichen Erlebnis, so Picasso, habe er dann schließlich
sein berühmtes Gemälde Les Démoiselles d’Avignon gemalt.13
Auch die Schriften von Georges Bataille, Roger Caillois und Michel
Leiris sind ohne solche »Spiegel des Primitiven«14 nicht denkbar. Sie
suchten und fanden die Verwandtschaft mit den »Primitiven« allerdings
nicht nur bei Besuchen in ethnologischen Museen, sondern auch durch die
Lektüre von Schriften der wissenschaftlichen Ethnologie. Die Methoden,
Theorien und Kategorien der im Frankreich der 1930er Jahre gerade im
Entstehen begriffenen Disziplin15 bildeten den zentralen Ankerpunkt für
die Reflexionen der drei heute vor allem als Literaten bekannten Autoren,
die auch institutionell eng mit der akademischen Ethnologie verbunden
waren: Bataille arbeitete seit den 1920er Jahren als Archivar-Paläograph
im Münzkabinett der Bibliothèque nationale und befasste sich dort mit
numismatischen Funden (vergangener) außereuropäischer Gesellschaften.16
Eine seiner ersten Veröffentlichungen in einem ethnologischen Themenheft
über präkolumbianische Kunst trug den Titel »L’ Amérique disparue« und
war aztekischen Opferritualen gewidmet.17 Der Soziologe und Schriftsteller
Roger Caillois, der später zum Mitglied der Académie française gewählt
wurde, nahm in den 1930er Jahren an den religionssoziologischen Semi‑

11 Es handelt sich um religiöse Masken der Dogon, die von Picasso pauschal »Masken der
Neger« genannt werden. Zur Kritik an der »Deterritorialisierung« der afrikanischen Masken
in ethnologischen Museen im Zusammenhang mit der epistemischen »Allochronisierung«
der Ursprungsgesellschaften dieser Masken, das heißt ihrer raum-zeitlichen Distanzierung
von der eigenen Gegenwart (vgl. Fabian: Time and the Other), vgl. Íñigo Clavo: »Statues
also die, even … «. Dass die modische (und fetischisierende) Begeisterung für die »Natur‑
völker« nicht in der echten Begegnung mit diesen Gesellschaften, sondern in erster Linie im
Museumsbesuch ihren Ursprung hatte, kritisierte 1915 bereits Carl Einstein in Negerplastik,
vgl. Lethen: »Masken der Authentizität«, S. 228.
12 Vgl. zur Bedeutung dieser Episode für Picassos Werk auch Paudrat: »From Africa«,
S. 141−142.
13 Vgl. Malraux: La tête d’obsidienne, S. 18.
14 Die Spiegelmetapher stammt von Erhard Schüttpelz: Die Moderne im Spiegel des Primi-
tiven.
15 Zur Entstehungsgeschichte der französischen Ethnologie vgl. Copans / Jamin (Hg.): Aux
origines de l’anthropologie française, sowie meine Ausführungen in Kapitel I.1. und I.2.
16 Vgl. Surya: Georges Bataille, S. 143 f. und Mattheus: Georges Bataille, Bd. I, S. 130.
17 Vgl. Bataille: »Amérique perdue«. Bataille beschäftigte sich laut Aussage seines Freundes
und Kommilitonen an der École nationale des chartes, Alfred Métraux, schon seit 1914
mit ethnologischen Theorien. Vgl. Métraux: »Rencontre avec les ethnologues«, S. 677.
10 Einleitung

naren von Marcel Mauss und Georges Dumézil teil.18 Und auch Michel
Leiris verfolgte zeitlebens eine doppelte Laufbahn als Schriftsteller und
Ethnologe.19 Bataille, Caillois und Leiris prägten den zeitgenössischen Wis‑
senschaftsdiskurs der damals noch jungen französischen Ethnologie zudem
aktiv mit: Bataille und Leiris bestritten von 1929 bis 1931 die Redaktion
der Kunstzeitschrift Documents, die für viele der Ethnologinnen des 1925
gegründeten Institut d’Ethnologie ein wichtiges Medium zur Präsentation
erster Hypothesen und Forschungsergebnisse darstellte.20 Nach der letzten
Ausgabe von Documents nahm Michel Leiris als Ethnograph an der ersten
professionellen Feldforschungsmission des Institut d’Ethnologie teil und
verfasste dabei ein ethnographisches Reisetagebuch,21 das heute vielen
als Dokument einer selbstreflexiven Ethnographie avant la lettre gilt.22
Obgleich sich also in ihren Ansätzen durchaus auch die gängigen Motive
und Topoi des Avantgarde-Primitivismus wiederfinden,23 war Batailles,
Caillois’ und Leiris’ Auseinandersetzung mit dem ethnologischen Diskurs
ihrer Zeit doch weit intensiver:24 So betrieben Bataille und Leiris schon
in der Zeitschrift Documents eine Revision dominanter abendländischer
Kunst- und Kulturbegriffe auf der Basis der wissenschaftlichen Theorien
und Methoden der Ethnologie. Allerdings setzten sich Batailles, Caillois’
und Leiris’ Texte und Gruppenprojekte der 1930er immer auch über die
Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses hinweg. So schlug die junge
französische Ethnologie im außerakademischen Forschungskolleg namens
Collège de Sociologie, das die Kategorien der französischen Ethnologie
bzw. Religionssoziologie25 auf die europäische Moderne übertragen und

18 Vgl. Felgine: Roger Caillois, S. 87−88 und 98−99.


19 Zum Lebens- und Berufsweg von Michel Leiris vgl. Heinrichs: Ein Leben als Künstler
und Ethnologe.
20 Vgl. Hollier: »La valeur d’usage de l’impossible« sowie meine Ausführungen in Kapitel I.1.
21 Vgl. Leiris: »L’Afrique fantôme« [deutsch: Phantom Afrika].
22 Vgl. Mercier: »Présentation«, in: Leiris: Miroir de l’Afrique, S. 893.
23 Zur Analyse der primitivistischen Formensprache des Surrealismus vgl. Cheng: »Mask,
Mimicry, Metamorphosis«.
24 Jean Jamin konstatiert eine theoretische Spaltung der Surrealisten: Während die Breton-
Anhänger vor allem die Schriften Sigmund Freuds rezipierten, habe der Kreis rund um
Georges Bataille den Theorien und Konzepten der (französischen) Ethnologie näherge‑
standen. Vgl. Jamin »L’ethnographie mode d’inemploi«, S. 46. Auch Michaela Ott stellt
fest, es wären vor allem die »Randfiguren« des Surrealismus (wie Bataille, Caillois und
Leiris) gewesen, die sich in besonderem Maße der Wissenschaft der Ethnologie zuwandten.
Vgl. Ott: Schwarz hat so viele Farben, S. 219.
25 Die Disziplinenbezeichnungen »Ethnologie« und »Religionssoziologie« – letztere bezeichnet
in Frankreich als »Ethnologie der Religion« ein Teilgebiet der Ethnologie – werden im
Folgenden synonym verwendet. Im institutionellen Ausbildungsprozess der französischen
Ethnologie gab es keine strikten Trennlinien zur Soziologie bzw. waren die Grenzen auch
insofern fließend, als die zentrale Figur der französischen Soziologie, Émile Durkheim, in
seinem religionsethnologischen Spätwerk auch den theoretischen Diskurs der Ethnologie
mitbegründete. Vgl. Knoblauch: Religionssoziologie, S. 72.
Einleitung 11

Phänomene des »Primitiven« bzw. »Sakralen« in der eigenen Gegenwart


aufspüren wollte,26 eine erste avantgardistische Volte: Die am Ehesten als
›experimentell‹ zu bezeichnenden Forschungen des Collège de Sociologie
machte nämlich nicht nur die eigene Gesellschaft, sondern sogar das
Forschungskollektiv selbst zum Analysegegenstand.27
Diese Wende der ethnologischen Perspektive von den »Primitiven« zu
den »Modernen« stand in diametralem Gegensatz zum Positivismus der
zeitgenössischen französischen Ethnologie.28 Dort wurde das ›objektive‹
Sammeln von Daten(-Material) über die »Anderen« durch die nüchtern-
distanzierten Ethnologinnen zum Ideal erhoben.29 Diesem Bekenntnis zum
wissenschaftlichen Positivismus stand allerdings in den 1930er Jahren noch
der theoretische, nicht durch eigene Feldforschungen empirisch belegte
Diskurs der sogenannten »Lehnstuhlethnologie«30 gegenüber, der im Kern
um einen abstrakten Wissenskomplex kreiste: Das Konzept des sogenann‑
ten »Primitiven«. Mit den »Primitiven« wurden die Mitglieder völlig
unterschiedlicher, außereuropäischer und meist schriftloser Gesellschaften
bezeichnet und diese damit zugleich als phylo- und ontogenetische Vorstufe
der »Modernen« gefasst.31 Die Kategorie des »Primitiven« untermauerte
so zwar weiterhin Dichotomien und Hierarchien durch die Behauptung
einer entwicklungshistorischen Rückständigkeit der damit adressierten
Gesellschaften. Zugleich rückten diese aber als scheinbar vergangener Teil
der Entwicklungsgeschichte der eigenen Kultur nun wesentlich näher. Ge‑
genüber älteren Kategorien der Kulturgeschichte, wie den »Wilden« oder
den »Naturvölkern«, zeichnete sich das »Primitive« durch seine nur mehr

26 Vgl. Bataille u. a.: »Déclaration sur la fondation d’un Collège de Sociologie«.


27 Vgl. ebd., S. 27.
28 In Frankreich bildete sich die akademische Ethnologie im Vergleich zu Deutschland, England
und den Niederlanden erst spät heraus und musste sich disziplinär gegen die traditionell
starken, disziplinären Vorherrschaftsansprüche der »Lettres« behaupten – einer der Gründe
für die Ablehnung aller literarischen und künstlerischen Formen der Kulturbeschreibung,
vgl. Debaene: L’adieu au voyage, S. 111.
29 Vgl. Copans / Jamin: »Présentation« in: dies. (Hg.): Aux origines de l’anthropologie fran-
çaise, S. 50 ff. sowie meine Ausführungen in Kap. I.3.
30 Vgl. Stocking: »Colonial Situations«, S. 5.
31 Zur Karriere der Kategorie des »Primitiven« in der Anthropologie vgl. Frank: »Überleb‑
sel«, S. 160 ff., sowie die Analyse und Kritik von Johannes Fabian des grundlegenden
»Primitivismus« der Anthropologie: Fabian: Time and the Other. Erst in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts trat die Wissenschaft in ein Stadium der Selbstreflexion und
versuchte, auch, die Methoden der Ethnologie und Anthropologie grundlegend zu refor‑
mieren – bspw. in Form einer coevalness von Subjekt und Objekt der anthropologischen
Forschung. Vgl. Fabian: Time and the Other, S. 144. Zur Kritik an der »eurozentrischen«
Perspektive der Ethnologie vgl. auch Derrida: »La structure, le signe, et le jeu dans le
discours des sciences humaines«. Zu neueren, kooperativen und dezentralen Ansätzen
in der ethnologischen Forschung vgl. Bierschenk / Krings / Lentz (Hg.): Ethnologie im 21.
Jahrhundert, darin insbesondere Schlehe: »Wechselseitige Übersetzungen«.
12 Einleitung

relative Differenz zu den »Modernen« aus.32 Othering wurde mit dieser


Kategorie nicht durch die Ontologisierung von (kulturellen) Unterschie‑
den, sondern durch die Verweigerung von Gleichzeitigkeit betrieben. Man
dachte die »Primitiven«, so formulierte es Wolf Lepenies, »nicht länger in
ihrer prinzipiellen Andersheit«, sondern »als Stadien eines umfassenderen
welthistorischen Prozesses« – und damit als prinzipiell mit der eigenen
Kultur verwandt. Die kulturellen Grenzen wurden durchlässig und das
»wahre Afrika«, um es mit einer Formulierung des Schriftstellers Jean Paul
zu sagen, wanderte ins Innere der Europäer selbst.33 Die Verwandlungs‑
geschichte historischer Figuren des »kulturell Fremden« in die abstrakte,
ethnologische Kategorie des »Primitiven«, wie sie in der Ethnologie,
aber auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen zu beobachten ist,34
offenbart so zwar einerseits eine weit ins 20. Jahrhundert anhaltende
Verweigerung von echter Erkenntnis über die Pluralität und Komplexität
außereuropäischer Gesellschaftsformen. Sie verweist andererseits aber
auch auf eine epistemische Internalisierung des »Primitiven«. Dieses ist
dem Diskurs der Moderne nun nicht mehr äußerlich, sondern inhärent.35
Auch die Arbeiten von Bataille, Leiris und Caillois sind im Kontext
dieser epistemischen Integration des »Primitiven« zu lesen. Sie radikalisier‑
ten die Internalisierung allerdings, indem sie die Grenzziehung zwischen
kulturell »Eigenem« und »Fremdem« bzw. »Modernem« und »Primi‑
tivem« ganz verweigerten. Und sie stellten, teils implizit, teils explizit, die
methodischen Prämissen und Regeln der wissenschaftlichen Ethnologie
grundsätzlich in Frage, indem sie den ethnologischen Blick nicht mehr
auf die fremden Gesellschaften, sondern auf die »primitiven« Anteile in
der europäischen Kunst und Kultur sowie der eigenen Gesellschaft und
der eigenen Psyche richteten.
Zunächst waren die Schriften von Émile Durkheim, Marcel Mauss,
Lucien Lévy-Bruhl und anderen Ethnologen vor allem eine wichtige In‑
spirationsquelle. Besonders stark fasziniert zeigte man sich im Umfeld des
Surrealismus von dem mimetischen Charakter der dort analysierten »pri‑
mitiven« modes of thought.36 Diese Denkweisen wurden als der modernen

32 Vgl. Frank: »Überlebsel«, S. 160.


33 Vgl. Jean Paul: Selina oder Über die Unsterblichkeit, S. 1182.
34 Vgl. Frank: »Überlebsel«, S. 160 f.
35 Nach Michel Foucault wurde durch die Entstehung der Ethnologie so eine grundlegende
Revision der Regeln und Normen des abendländischen Wissens ausgelöst, die zu einer De‑
zentrierung des europäischen Selbstverständnisses und einer fundamentalen Erschütterung
der humanwissenschaftlichen Diskurse und Fächergrenzziehungen führte. Es handle sich
deshalb bei der Ethnologie um eine Art »Gegenwissenschaft«. Foucault: »Psychanalyse,
Ethnologie«, S. 388.
36 Vgl. Horton: Modes of thought.
Einleitung 13

Rationalität entgegengesetzt beschrieben und als Wahrnehmungsweisen


verstanden, welche die Welt nicht als Ensemble von distinkten Subjekten
und Objekten, sondern als Gewebe von Ähnlichkeits-, Ansteckungs- und
Verwandtschaftsbezügen fassen.37 So heben Marcel Mauss und Henri
Hubert38 im Anschluss an die Arbeiten James George Frazers hervor,
dass magische Praktiken ein »primitives« Denken in Similaritäten und
Kontakt- und Assoziationsketten voraussetzen.39 Die Macht der Magie
beruht bspw. auf Identifikation einer Person mit einem Teil des Körpers,
wie den Zähnen, Nägeln oder Haaren, mit deren Hilfe der oder die Magi‑
erin dann als Pars pro Toto über diese Person verfügen kann.40 Magische
Macht könne aber auch durch die Identifizierung von Subjekten mit
Gegenständen ausgeübt werden sowie über eine »Wesensverbundenheit«
verschiedener Gegenstände oder Subjekte, die als einander ähnlich wahr‑
genommen werden. Zugleich durchlaufe auch die Magierin selbst einen
Prozess des Sich-ähnlich-Machens und unterziehe sich einer körperlichen
bzw. affektiven Metamorphose. Gunter Gebauer und Christoph Wulf
fassen die Funktionsweise der Magie gemäß Mauss und Hubert folgen‑
dermaßen zusammen:
Soll bspw. mit einem magischen Akt Schrecken abgewehrt werden, so muß
sich der Zauberer so verhalten, als ob ihn selbst Angst befällt. Er muß zittern,
schreien und sich so darstellen, als habe ihn das Entsetzen gepackt; der Zauberer
muß sich also dem gefürchteten Gefühl mimetisch angleichen und es so vor den
Augen aller handhabbar machen.41

Das Denken in assoziativen Näheverhältnissen bzw. »sympathetischen


Ähnlichkeiten« (sympathie mimétique) zwischen Gegenständen, Tieren
und Menschen ist nach Mauss und Hubert das Grundprinzip der Magie.42
Wenn Magie deshalb von beiden als mimetische Praktik gefasst wird,43
so handelt es sich dabei allerdings um eine Form der Mimesis, die sich
weder auf optische Ähnlichkeit noch überhaupt auf die bloße Nachah‑
mung der Welt reduzieren lässt. Ziel der »magischen Mimesis« sei es
vielmehr, »durch die Nachahmung [von Ereignissen, R. E.] zu ihrer Rea‑

37 Vgl. bspw. Lévy-Bruhl: La mentalité primitive [deutsch: Die geistige Welt der Primitiven].
38 Mauss / Hubert: »Esquisse d’une théorie générale de la magie« [deutsch: »Entwurf einer
allgemeinen Theorie der Magie«].
39 Vgl. ebd., S. 56−67. Zur Problematik der bis heute in der Wissenschaft uneindeutigen
Definition von »Magie« und ihrer Funktion als diskursive »Kategorie der Ausgrenzung«,
vgl. Hanegraaf: »Magic«.
40 Vgl. Mauss / Hubert: »Esquisse d’une théorie générale de la magie«, S. 57.
41 Vgl. Wulf: »Mimesis«, S. 104.
42 Vgl. Mauss / Hubert: »Esquisse d’une théorie générale de la magie«, S. 60 ff.
43 Vgl. Wulf: »Mimesis«, S. 106.
14 Einleitung

lisierung beizutragen«.44 Magische Handlungen wollen die Wirklichkeit


beeinflussen und sind dem eigenen Anspruch nach so auch Vorahmung
von Geschehnissen.
Neben den Schriften von Mauss und Hubert spielten auch die Theo‑
rien des Ethnologen Lucien Lévy-Bruhl über die Gesetze der »primitiven
Mentalität« eine zentrale Rolle,45 die im Umfeld des Surrealismus zur
Pflichtlektüre gehörten.46 Lévy-Bruhl unterschied vom »logischen« Denken
der Modernen ein »vormodernes«, »prälogisches« Weltverhältnis, das die
Natur und die Dinge mit unsichtbaren Kräften und einem Eigenleben
ausstattet.47 Ähnlich wie in Mauss’ und Huberts Darstellung der Magie
skizziert Lévy-Bruhl eine spezifische Form des nicht-rationalen Denkens,
das die Subjekt-Objekt-Grenzen zugunsten der Vorstellung von einer
»mystischen Partizipation« an der Welt außer Kraft setzt.48
Wie wichtig Lévy-Bruhls Konzept der »primitiven Mentalität« im in‑
tellektuellen Umfeld des Surrealismus war, das macht noch Michel Leiris’
Vorwort zu seinem Reisetagebuch L’Afrique Phantôme deutlich: Leiris war
vor, aber auch noch während seiner Reise nach eigenen Angaben weniger
auf der Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis über als vielmehr von
der Sehnsucht nach einer Verschmelzung mit den Mitgliedern der verschie‑
denen Gesellschaften Nordafrikas, denen er auf seiner Reise begegnete,
getrieben – also dem Wunsch nach einer Immersion in die vermeintlich
»primitive Mentalität«, von welcher der Ethnograph vor seiner Abreise
in den Schriften Lévy-Bruhls gelesen hatte.49
Angesichts der Popularität der Ethnologie scheint es kein Zufall, dass sich
auch in der zeitgenössischen, kunst- und ästhetiktheoretischen Diskussion –
anders als die oft formulierte These vom »antimimetischen« Charakter der
künstlerischen und literarischen Moderne behauptet50 – im ersten Drittel
des 20. Jahrhunderts eine verstärkte Beschäftigung mit der Theorie der
Mimesis und eine Neuentdeckung kultureller und künstlerischer Praktiken
des Mimetischen beobachten lässt. Auch der Zeitgenosse Batailles, Caillois’
und Leiris’, Walter Benjamin, verfasst seine Reflexionen über das mime‑
tische Vermögen im engen Verweiszusammenhang mit anthropologischen

44 Vgl. Gebauer / Wulf: Mimesis, S. 479.


45 Vgl. u. a. Lévy-Bruhl: La mentalité primitive und ders.: La mythologie primitive.
46 Vgl. Albers / Pagni / Winter: »Einleitung«, in: dies. (Hg.): Blicke auf Afrika nach 1900,
S. 9−28. Vgl. zur Rezeption von Lévy-Bruhls Schriften im Surrealismus Tythacott: Surre-
alism and the Exotic, S. 56; zu Bretons Primitivismus vgl. Blachère: Les totems d’André
Breton.
47 Lévy-Bruhl: La mentalité primitive.
48 Vgl. ebd., S. 85 f.
49 Vgl. Armel: Michel Leiris, S. 283.
50 Vgl. in diesem Sinne bspw. Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne.
Einleitung 15

Theorien. 51 Und auch Benjamin versteht Mimesis nicht mehr als


künstlerisches Verfahren, sondern als anthropologisch begründetes
Vermögen und fundamentales Prinzip der menschlichen Existenz, als
»Rudiment des ehemals gewaltigen Zwangs, ähnlich zu werden und sich zu
verhalten«, und zugleich als »Gabe«, nicht nur existierende Ähnlichkeiten
zu erkennen, sondern deutend neue hervorzubringen.52 Dieses Vermögen
des ›Sich-Ähnlich-Machens‹ sei in der Moderne keineswegs abgestorben,
sondern in abstrakte (sprachliche) Formen überführt.53 Und schließlich
berufen sich noch Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der
Dialektik der Aufklärung (1944) auf die mimesistheoretischen Thesen der
französischen Ethnologie.54 Für Adorno und Horkheimer kann Mimesis im
20. Jahrhundert allerdings nur mehr eine von sich selbst entfremdete Mimesis
ans Verdinglichte sein, kehrt im Faschismus in regressiver Form wieder55

51 Tilman Lang geht davon aus, dass sich Benjamin in seiner Mimesis-Theorie auf den Magie-
Aufsatz von Mauss und Hubert gestützt hat. Vgl. Lang: Mimetisches oder semiologisches
Vermögen?, S. 107. Und Sigrid Weigel weist darauf hin, dass auch »[i]n Benjamins früher
Sprachtheorie […] die Bedeutungen von Mimesis und ›Magie‹ bzw. Unmittelbarkeit beinahe
synonym« verwendet wurden, vgl. Weigel: Entstellte Ähnlichkeit, S. 90.
52 Benjamin: »Über das mimetische Vermögen«, S. 210. Michael Taussig verortet Benjamin
ebenfalls im Kontext anthropologischer Theorien und stellt fest, dass es vor allem drei
Aspekte waren, die Walter Benjamin an der Mimesis besonders faszinierten: Die Möglichkeit
von Alterität oder »Anders-Werden«, die Dimension des Archaischen oder »Primitiven«
im mimetischen Vermögen und die Wiederkehr der Mimesis in der Moderne. Vgl. Taussig:
Mimesis and Alterity [deutsch: Mimesis und Alterität], S. 19 f. und ders: Walter Benjamin’s
Grave.
53 Spuren des mimetischen Denkens fand er vor allem in den »unsinnlichen Ähnlichkeiten«
der Sprache und Schrift, vgl. Benjamin: »Über das mimetische Vermögen« und »Über die
Sprache überhaupt und über die Sprache der Menschen«.
54 Vgl. Adorno / Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, S. 21 ff. Adorno und Horkheimer
fassen in der Dialektik der Aufklärung Mimesis als anthropologisches Vermögen und
Mimesis zunächst als Zwang – der Zwang, sich der Natur gleich machen zu müssen –,
den Mensch nur durch die Beherrschung der Natur kontrollieren kann, vgl. ebd., S. 15.
Mimesis wird von Adorno und Horkheimer allerdings historisiert und kritisiert: Ehemals
eine notwendige Technik im Überlebenskampf, ist in ihrer Theorie Magie die historisch
erste Stufe der Naturbeherrschung und wird schließlich von der Arbeit als instrumentelle
Rationalität abgelöst, vgl. ebd., S. 15 ff. Für Horkheimer und Adorno gehört die Magie
also zur Vorgeschichte der Mimesis, die zwischen der Nachahmung und Aneignung der
Welt angesiedelt ist: »Der Schamane bannt das Gefährliche durch dessen Bild. Gleichheit ist
sein Mittel.« Ebd., S. 22. In Adornos Ästhetischer Theorie erfährt Magie eine komplexere
Bewertung, insofern sie – im Medium der Kunst – einerseits das Potential zu einer nicht
rationalen bzw. wissenschaftlichen Erkenntnis, andererseits zur Täuschung und Angleichung
ans Verdinglichte birgt: »Die Aporie der Kunst, zwischen der Regression auf buchstäbliche
Magie, oder der Zession des mimetischen Impulses an dinghafte Rationalität, schreibt ihr
das Bewegungsgesetz vor; nicht ist sie wegzuräumen.« Vgl. Adorno: Ästhetische Theorie,
S. 87.
55 Im Faschismus werden »die Juden« zur Projektionsfläche für die unterdrückten Regungen,
diese »als völkische Rebellion kanalisiert« und die Idiosynkrasie zum politischen System
gemacht, vgl. Adorno / Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, S. 185.
16 Einleitung

und findet ein produktives Nachleben allein in der Kunst.56 Dagegen stellten
Caillois, Bataille und Leiris gerade das Potential mimetischer Praktiken,
Prozesse der Selbstentfremdung und Metamorphose zu initiieren, in den
Mittelpunkt. Im ethnologischen Diskurs implizieren mimetische Praktiken
immer auch die Transformation des mimetisch agierenden Subjektes, weil der
oder die Mimetikerin sich die Außenwelt durch die mimetische Anpassung
an diese Welt anzuverwandeln sucht. In einem solchen Verständnis von
Mimesis steht die Nachahmung zur Welt weniger in einer Repräsentations-
als vielmehr einer Kontinuitätsbeziehung: Mimesis bildet nicht ab, sondern
stellt ein Näheverhältnis her – bis hin zu dem Punkt, an dem Original und
Kopie einander ebenbürtig sind und die platonische Trennung zwischen
Mimesis und Methexis obsolet ist.57
Begriff und Konzept der Mimesis sind seit jeher wandelbar, entziehen
sich der Theorie und lassen sich deshalb nur vor dem historisch je spezi‑
fischen Kunst- und Weltverständnis zu verstehen.58 Für die Überlegungen
von Bataille, Caillois und Leiris, so die These dieses Buches, war eben
nicht der philosophische bzw. ästhetiktheoretische Diskurs zur künstle‑
rischen Mimesis in der Tradition Patons und Aristoteles Referenz, sondern
die mimetischen Praktiken der »Primitiven«, wie sie in zeitgenössischen
ethnologischen Schriften beschrieben wurden.59 Die Diskurse der Ethno‑
logie stellten so einerseits den Rahmen für theoretische Reflexionen über
Begriff und Konzept der Mimesis bereit. Sie boten andererseits auch An‑
knüpfungspunkte für das Experimentieren mit mimetischen Praktiken: Die
Faszination, die von den vermeintlich »Primitiven« ausging, kulminierte
nämlich in dem Wunsch, sich deren Weltzugänge selbst auf mimetische
Art und Weise anzueignen – bspw. in Form von Experimenten mit einem
kollektiven »sakralen« Ekstasezustand.60
Der Wunsch nach einer mimetischen Annäherung an das (vermeintliche
oder tatsächliche) fremde Gegenüber prägt, so stellt der Anthropologe Mi‑
chael Taussig fest, seit jeher die Begegnung mit dem »kulturell Fremden«.61
Im Rückgriff auf Walter Benjamins Thesen über das mimetische Vermögen

56 Vgl. Adorno: Ästhetische Theorie.


57 Vgl. Potolsky: Mimesis, S. 38.
58 Vgl. Gebauer / Wulf: »Einleitung«, in: dies. (Hg.): Mimetische Weltzugänge, S. 26.
59 Zu einem historischen Abriss über Theorien der Mimesis aus ästhetischer wie auch aus
anthropologischer Perspektive vgl. Wulf: »Mimesis« und Potolsky: Mimesis.
60 Dieses Mimen »primitiver« Denkformen kann, im Gegensatz zu einem auf die optische
Vorbildfunktion »primitiver« Objekte konzentrierten künstlerischen Primitivismus, auch
als »epistemologischer Primitivismus« bezeichnet werden. Vgl. Schüttpelz: »Zur Definition
des literarischen Primitivismus«, S. 22. Der »epistemologische« Primitivismus eigne beson‑
ders der Literatur – der aufgrund sprachlicher Differenzen oft die Möglichkeit direkter
Imitation fehlte, vgl. Gess: »Literarischer Primitivismus«, S. 2.
61 Taussig: Mimesis and Alterity [deutsch: Mimesis und Alterität].
Einleitung 17

konstatiert Taussig ein anthropologisch begründetes Begehren danach,


wie das fremde Gegenüber zu werden.62 Dieses »mimetische Begehren«
lasse sich sowohl in kolonialen als auch wissenschaftlich-ethnologischen
Formen63 des Kulturkontakts beobachten. Als »mimetisch« seien in die‑
sem Sinne nicht nur die magischen Bildnisse indigener Gesellschaften
zu bezeichnen, wie bspw. die Porträtschnitzereien, welche die mittela‑
merikanischen Cuna von den europäischen Kolonisatoren anfertigten.64
Auch aufseiten der Europäer stellt Taussig ein Begehren nach einem
sympathetischen Selbstverlust durch die Annäherung an die vermeintliche
»Wildheit« der Anderen fest – wenn auch kanalisiert in die Bahnen der
wissenschaftlichen Ethnologie: Die Ethnologinnen schafften sich ihrerseits
mithilfe von ethnographischen Aufzeichnungsmedien »magische« Kopien
des Fremden.65 Diese wechselseitige Imitation ist nach Taussig, bedingt
durch die Massenmedien, spätestens im 20. Jahrhundert zu einem glo‑
balen Gewebe aus hybriden Bildern angewachsen. Er diagnostiziert ein
allgegenwärtiges, sich verselbständiges, »mimetisches Begehren« nach
Alterität – und eine Steigerung des mimetischen Vermögens bis hin zu
einem »mimetischen Exzess«.66 Die Vorstellungen vom jeweils »Fremden«
sind nun nicht mehr unbedingt an konkrete Begegnung gebunden, son‑
dern können sich ihrerseits an Bildern entzünden.67 Im Zeitalter medialer
Bilderflut sei so aber letztlich nicht mehr auszumachen, wer Imitatorin
und wer Imitierter bzw. wer das Original und wer die Kopie sei.68 Als
Medium des Mimetischen, so lässt sich im Anschluss an die Thesen
Taussigs formulieren, fungierten im Umfeld des Surrealismus nicht nur
die audiovisuellen Medien und ethnologische Objekte,69 sondern auch die
Schriften der wissenschaftlichen Ethnologie, deren Lektüre das mimetische
Begehren der Pariser Avantgarde hervorrief. Den Höhepunkt der Insze‑

62 Vgl. ebd., S. 42−43.


63 Mimetische Praktiken spielen, so betont der Ethnologe Fritz Kramer, für die moderne
ethnologische Feldforschung eine zentrale Rolle: Die Situation der teilnehmenden Be‑
obachtung verlange der Forscherin eine mimetische Anpassung, das heißt die konkrete,
materielle und körperlich-sinnliche Angleichung an das fremde Gegenüber, ab. Sie sehe
sich dadurch unweigerlich sowohl mit der fremden als auch mit ihrer eigenen Fremdheit
konfrontiert – eine Erfahrung, welche zur Transformation tradierter Selbst- und Fremd‑
wahrnehmungsmustern und -repräsentationsformen führen und diese nachhaltig verändern
könne, vgl. Kramer: »Formen der Fremderfahrung«, S. 197−199.
64 Vgl. Taussig: Mimesis and Alterity, S. 43−43.
65 Vgl. ebd., S. 16 ff.
66 Ebd., S. 34.
67 Vgl. ebd., S. 191.
68 Vgl. ebd., S. 79.
69 Zur historischen Epistemologie einer am Anfang des 20. Jahrhunderts grassierenden,
primitivistischen Kommunikationstheorie (u. a. bei Bataille), die sich auf die Kräfte des
Heiligen bezog vgl. Hörl: Die heiligen Kanäle.
18 Einleitung

nierung dieses mimetischen Begehrens stellte in vielerlei Hinsicht das von


1937 bis 1939 von Bataille, Leiris und Caillois gemeinsam betriebene
Collège de Sociologie dar. Die selbsternannten »Sakralsoziologen« waren
vor allem an kollektiven Bewusstseinszuständen interessiert, die mit Émile
Durkheims Theorie des »Sakralen« in Zusammenhang stehen. Mit dem
»Sakralen« bezeichnete Durkheim nicht metaphysische Gottesbilder,
sondern kollektive geistige Vorstellungen, die aus dem Sozialen, nämlich
aus Zuständen besonders intensiver Sozialität, entspringen. Religion
ist nach Durkheim das Produkt eines den individuellen Verstand
übersteigenden Kollektivbewusstseins, das sich in Zuständen kollektiver
Erregung herausbildet und – darin Lévy-Bruhls »Prälogik« vergleichbar –
vom rationalen Denken des Individuums zu unterscheiden ist.70 Das
Collège de Sociologie nahm die bei Durkheim bereits angedeutete71
universelle Gültigkeit seiner religionssoziologischen Analysen beim
Wort. Die selbsternannten »Sakralsoziologen« suchten nicht nur nach
Phänomenen des Sakralen in der Gegenwart, sondern übten sich dazu auch
selbst in der kollektiven sakralen Ekstase, um sich so von Soziologen in
Schamanen bzw. »Zauberlehrlinge« (apprentis sorciers)72 und gemeinsam
in ein sakrales Kollektiv zu verwandeln73 – und so den Faschismus »mit
seinen eigenen Waffen« zu schlagen.74

70 Vgl. Durkheim: Les formes élémentaires de la vie religieuse [deutsch: Die elementaren
Formen des religiösen Lebens], S. 21. Im Unterschied zu Lévy-Bruhl fasste Durkheim
geistige Vorstellungen nicht als Ergebnis formaler mentaler Strukturen. Die scheinbar
irrationalen Vorstellungen entspringen vielmehr der Eigengesetzlichkeit kollektiver geis‑
tiger Prozesse, ebenso wie umgekehrt das logische Denken soziale Ursprünge hat. Vgl.
ebd., S. 339. Zu den Unterschieden zwischen Durkheim und Lévy-Bruhl in Bezug auf das
»primitive Denken« vgl. Gurvitch: »The Sociological Legacy of Lucien Lévy-Bruhl«.
71 Durkheims Studien zu den elementaren religiösen Formen australischer »Stammesgesell‑
schaften« weisen über ihren eigenen Gegenstand hinaus und deuten bereits eine Über‑
führung der Ethnologie in die universelle Anthropologie an: »Cette théorie […] vas nous
donner la clef d’un trait curieux de la mentalité humaine qui, s’il était plus marqué jadis
qu’aujourd’hui, n’a pourtant pas disparu et qui, en tout cas, a joué un rôle considérable
dans l’histoire de la pensée. / Diese Theorie […] wird uns den Schlüssel zu einem merkwür‑
digen Zug der menschlichen Geisteshaltung geben, der, wenn er heute auch nicht mehr so
deutlich ist wie ehedem, trotzdem noch nicht verschwunden ist und der auf alle Fälle eine
bedeutende Rolle in der Geistesgeschichte hat.« Durkheim: Les formes élémentaires de la
vie religieuse, S. 336 [deutsch: S. 321]. Aber auch Lévy-Bruhls Trennung zwischen einem
europäischen und einem »prälogischen« Geist ist, so stellt Fritz Kramer heraus, eher als
eine idealtypische Konstruktion zu verstehen bzw. als Beschreibung einer Tendenz, nicht
als anthropologische Konstante. Vgl. Kramer: »Notizen zur Ethnologie der Passiones«,
S. 156.
72 Vgl. Bataille: »L’Apprenti Sorcier« [deutsch: »Der Zauberlehrling«].
73 Vgl. Bataille u. a.: »Déclaration sur la fondation d’un Collège de Sociologie« sowie meine
Ausführungen in Kap. II.2.
74 Vgl. Caillois: »Le vent d’hiver«, S. 335 [deutsch: »Der Winterwind«, S. 295].
Einleitung 19

Der Exotismus dieses Projekts, mitten im Paris der 1930er Jahre


von selbsternannten Ethnologen zu »Primitiven« und zu einer sakralen
Gemeinschaft zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch das
Collège de Sociologie war mehr als nur ein exotistisches Gruppenexperiment
einer handvoll Literaten: Die »Sakralsoziologie« kann auch als Teil der
Geschichte der französischen Religionssoziologie bzw. als ihr Symptom
betrachtet werden, insofern sie in den 1930er Jahren bereits schwelende
epistemische Problematiken auf den Punkt brachte.75 Denn der dem
Entwurf einer auf die eigene Gesellschaft gerichteten »autoethnologischen«
Untersuchungsmethode war die Kritik der positivistischen Objektivität
der Ethnologie eingeschrieben – und artikulierte sich in der auf die Spitze
getriebenen Subjektivität der Sakralsoziologie.76 Und schließlich ging es
mit der Inszenierung »sakraler« Rituale, die im Rahmen des Collège
de Sociologie bzw. seines Parallelunternehmens Acéphale im Wald von
Marly getrieben wurde, auch darum, eine sakrale Form der Tragödie zur
Aufführung zu bringen und so die Literatur aus ihrer Beschränkung auf
das Symbolische zu befreien.
Dieses Buch nimmt die verschiedenen Fäden der Auseinandersetzung
Batailles, Caillois’ und Leiris’ mit dem zeitgenössischen ethnologischen
Diskurs auf. Dabei wird die These verfolgt, dass diese Auseinanderset‑
zung in verschiedener Hinsicht als Entgrenzung der Mimesis beschrieben
werden kann. Bereits in den frühen Schriften der drei Autoren lässt sich
eine Abgrenzungsbewegung von einem Verständnis von Mimesis beo‑
bachten, welches diese auf die künstlerische Nachahmung beschränkt.
Mimesis wird, vor dem Hintergrund der ethnologischen Diskurse über
die Formen »primitiven Denkens«, weder als imitatio noch als poietische
Neuschaffung, sondern vielmehr als intensive Form der Teilhabe an der
Welt gefasst. Auch das 1937 gegründete Collège de Sociologie verhan‑
delte in Form ästhetiktheoretischer Spekulationen über eine Substitution
der Kunst durch die mimetischen Kräfte des Sakralen implizit auch die
Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Der Blick auf
die literarischen und poetologischen Schriften von Bataille, Caillois und
Leiris zeigt schließlich, wie die Auseinandersetzung mit der Ethnologie
schließlich eine Form der poetischen Mimesis hervorbrachte. Der Akt des
Mimens entfernt sich in all diesen Entwürfen nicht nur von der bloßen

75 Auf den Beitrag Batailles, Caillois’ und Leiris’ sowie insbesondere des Collège de Socio‑
logie zur Ethnologiegeschichte machen u. a. aufmerksam: Petermann: Die Geschichte der
Ethnologie, S. 844 ff.; Moebius: Das Collège de Sociologie und Marroquín: Die Religi-
onstheorie des Collège de Sociologie.
76 Peter Bürger beschrieb bereits den Surrealismus als Versuch einer Überbietung der Mo‑
derne, vgl. Bürger: Der französische Surrealismus, S. 212.
20 Einleitung

Nachahmung des gemimten Objekts, sondern mündet mal in Destruktion


oder Selbstverlust bzw. Fusion mit diesem Objekt, ist aber nie auf die
bloße Imitation der materiellen Welt reduziert.
Untersucht werden ausgewählte Schriften und Gruppenprojekte von
Bataille, Caillois und Leiris, die im groben Zeitraum der 1930er Jahre
entstanden sind und sich explizit mit ethnologischen Konzepten und
Theorien auseinandersetzen. Diese Schriften und Projekte sind in vielerlei
Hinsicht symptomatisch für das weitere Werk der drei Autoren, die ihre
Auseinandersetzung mit der Ethnologie auch später noch fortführten.77
Sie sind zugleich exemplarisch für die epistemischen und ästhetischen
Verschiebungsprozesse, wie sie auch in anderen künstlerischen und lite‑
rarischen Zusammenhängen in der Kontaktzone zwischen Ethnologie und
Avantgarde zu beobachten sind:78 Die Öffnung der Kunst und Literatur
hin zu ihrem außereuropäischen »Anderen«, aber auch die Neuvermes‑
sung des Verhältnisses zwischen künstlerischem Subjekt und Objekt bzw.
zwischen Kunst und Welt.
Die Periode von 1929 bis 1939, auf die sich die folgende Untersuchung
konzentriert, wird dabei als Schauplatz79 eines Aufeinandertreffens von
wissenschaftlicher Ethnologie und künstlerisch-literarischer Avantgarde
verstanden, an dem sich beobachten lässt, wie wichtig die Integration des
»Primitiven« in die Ästhetiken und Poetiken, aber auch im Zusammenhang

77 Vgl. bspw. Bataille: L’économie à la mesure de l’univers (1946) [deutsch: Die Aufhebung
der Ökonomie]; Caillois: Instincts et société (1964) und Leiris: Cinq études d’ethnologie
(1969).
78 Michaela Ott analysiert bspw. den »Kulturtransfer« zwischen Afrika und dem (surrea‑
listischen) Paris in: dies.: Schwarz hat so viele Farben. Zur Verbindung von Surrealismus
und Ethnologie vgl. Clifford: »On Ethnographic Surrealism«.
79 »Schauplatz« mit Sigrid Weigel als eine Art kulturwissenschaftliche Momentaufnahme
gefasst, in der die Diskontinuität von Diskursen, ihre Umbrüche, Voraussetzungen und
Widersprüche deutlich werden, vgl. Weigel: Literatur als Voraussetzung der Kulturge-
schichte, S. 7. Schauplätze sind potentiell immer grenzoffen, und weder die intellektuellen
Verflechtungen der drei Autoren mit der Ethnologie noch die Sakralsoziologie lassen sich
auf die Jahre zwischen 1929 und 1939 beschränken. Carlos Marroquín weist darauf hin,
dass sich die Existenz des Collège de Sociologie als erkenntnistheoretisches Projekt nicht
allein auf die zweijährigen Vortragstätigkeiten beschränkt, sondern die Beschäftigung mit
einer Theorie des Sakralen auch die Aktivitäten vor 1937 – also neben Acéphale auch die
zahlreichen Artikel und Bücher der Collège-Teilnehmer zum Thema des Sakralen – umfasst
und das Ende der Gruppe überdauert, vgl. Marroquín: Die Religionstheorie des Collège
de Sociologie, S. 10. Zudem war das Collège de Sociologie polyphon, in sich heterogen
und unabgeschlossen, die Vorträge diskussionsoffen und die Enden des sakralsoziologi‑
schen Theoriegebäudes lose. Wenn im Folgenden nicht nur die allermeisten Beiträge der
vielen Teilnehmer des Collège de Sociologie wie auch die Unterschiede zwischen Batailles,
Caillois’ und Leiris’ Schriften zugunsten der Parallelen und Gemeinsamkeiten in den Hin‑
tergrund treten, dann mit dem Ziel, den größeren Spannungsbogen nachzuzeichnen, der
von den ersten Auseinandersetzungen mit dem Diskurs der Ethnologie zur Entgrenzung
der Mimesis im Collège de Sociologie und schließlich zur Literatur zurückführte.
Einleitung 21

mit kulturtheoretischen und (im Collège de Sociologie) sogar politischen


Überlegungen Anfang des 20. Jahrhunderts war.80 Diese Periode koinzidiert
nicht zufällig mit der Institutionalisierung der akademischen Ethnologie
in Frankreich. Gerade in ihrer Frühphase erschien die Ethnologie – ver‑
mutlich auch deshalb, weil die Regeln ihres wissenschaftlichen Diskurses
zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig gefestigt waren – besonders
vielversprechend für die Lösung ästhetischer bzw. ganz grundlegender,
»existentieller« Problemstellungen. 81 Der in diesem Zusammenhang
beobachtbare Registerwechsel ethnologischer Konzepte von der Wis‑
senschaft ins Feld der Avantgarde geht mit der Ausbildung neuer und
eigener Inszenierungsformen einher, deren Potentiale und Problematiken
im Folgenden im Fokus stehen.82 Diskutiert werden die verschiedenen
Weisen der Verfremdung und Umschreibung ethnologischer Theorien in
den Schriften und Projekten der drei Autoren. Diese Aneignungsformen
hatten sowohl die Neujustierung tradierter kultureller und ästhetischer
Kategorien mithilfe der Ethnologie zum Ziel als auch die Überbietung83
der akademischen Ethnologie, bspw. durch die Gründung eines Collège
de Sociologie. Und nicht zuletzt ging es auch um die Ausbildung neuer
Poetologien und literarischer Praktiken.
Die vorliegende Untersuchung setzt dabei bereits auf einer diskursiven
Metaebene ein: Den Reflexionen der drei Autoren – mit Ausnahme
von Leiris’ ethnographischer Reise durch Nordafrika84 – liegt nicht das
empirische Studium fremder Gesellschaftsformen zugrunde, sondern die
Auseinandersetzung mit den theoretischen Kategorien der Ethnologie.
Beschrieben wird also im Folgenden die über die Ethnologie vermittelte
Auseinandersetzung mit Konzepten des »kulturell Fremden« in Form
des (imaginierten) »Primitiven«. Unberücksichtigt bleibt dabei die Frage,
wie sich diese Konzepte ihrerseits zur Realität der jeweils beschriebenen
»fremden Kulturen« verhalten. Batailles, Caillois’ und Leiris’ Gebrauch

80 Erhard Schüttpelz diskutiert die Bedeutung der Kategorie des »Primitiven« für die litera‑
rische Moderne in seinem Buch Die Moderne im Spiegel des Primitiven und analysiert die
Adaption von fremden modes of thoughts durch die Literatur und Kunst als Ergebnis der
großangelegten ethnologischen Dokumentationen des 19. Jahrhunderts, vgl. Schüttpelz:
»Literaturgeschichte als Verflechtungsgeschichte«, S. 353.
81 Zur generell zu konstatierenden Auratisierung der französischen Ethnologie als neue
Universalwissenschaft und des Ethnologen als Universalgenie vgl. Debaene: L’Adieu au
Voyage, S. 75 ff.
82 Vgl. Vogl: »Für eine Poetologie des Wissens«, S. 125.
83 Vgl. zum Collège de Sociologie als Überbietungsunternehmen aus literatur- und kultur‑
soziologischer Perspektive: Bürger: Ursprung des postmodernen Denkens, S. 78−86.
84 Zu den – mit einem Ausdruck von Fritz Kramer (Verkehrte Welten) – »imaginären«
Anteilen bzw. dem Primitivismus, der in Leiris’ ethnographischen Aufzeichnungen trotz
der empirischen Konfrontation mit dem »Fremden« zutage tritt, vgl. meine Ausführungen
im Kapitel I.2.
22 Einleitung

der ethnologischen Begriffe und Figuren verweist nur mehr indirekt auf die
konkrete Alterität, auf die sie sich beziehen. Die ethnologischen Kategorien
werden vielmehr für erhoffte Transformationsprozesse in der französischen
Gegenwart und der eigenen, westlichen Subjektivität herangezogen und
die Ethnologie so natürlich in gewisser Weise von ihrem eigentlichen
Gegenstand entfremdet. Dennoch ist mit dem Etikett des »Primitivismus«
noch wenig über die Spezifik und Produktivität solcher Entfremdungs- und
Aneignungsprozesse gesagt. Denn jenseits jeder berechtigten Kritik an der
Exotisierung nichteuropäischer Gesellschaftsformen kann doch nicht in
Abrede gestellt werden, dass die Imitation und Inkorporierung von Konzepten
des »Fremden« stets ein wesentlicher Bestandteil kultureller, epistemischer
und ästhetischer Veränderungsprozesse in der abendländischen Geschichte
war und diese wesentlich vorantrieb, ja sogar ihren Kurs mitbestimmte.85
Interessanter als den Grad an Verkennung des Fremden zu bestimmen, der
sich ohnehin nicht vollständig rekonstruieren lässt, scheint es deshalb, dem
epistemischen Eigenwert nachzugehen, den die ethnologischen Kategorien
auch über die wissenschaftliche Ethnologie hinaus entwickelten, sowie den
dadurch ermöglichten, neuen und veränderten Perspektiven auf das eigene,
künstlerische und kulturelle Selbstverständnis.
Die Wahl einer solchen Forschungsperspektive trägt auch der Tatsache
Rechnung, dass die Verbindungslinien zwischen dem literarischen und
poetologischen Werk der drei Autoren und dem experimentellen, ethno‑
logischen Projekt einer »Sakralsoziologie« von der Forschungsliteratur
bisher nur ansatzweise beschrieben wurden.86 Das Collège de Sociologie
wurde lange Zeit zumeist als Exkurs bzw. Irrweg einiger avantgardistischer
Literaten wahrgenommen und erst spät wieder zum Gegenstand der (sozio­
logiegeschichtlichen) Forschung.87 Eine Analyse der ästhetik­theoretischen

85 Vgl. in diesem Sinne bspw. Torgovnick: Gone primitive, S. 245 ff.


86 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeiten von Denis Hollier, die
sich auf den literatursoziologischen Kontext der Arbeiten von Bataille, Caillois und Leiris
konzentrieren, vgl. u. a. Les dépossédés. Wegbereitend für die intellektuelle Verortung der
drei Autoren im Diskursfeld der Ethnologie sind die (ethnologiehistorischen) Arbeiten von
Jean Jamin, vgl. u. a. »Documents revue«. Zu den theoretischen Bezügen zur Ethnologie
in Batailles Werk vgl. auch den Sammelband von Lecoq / Leroy (Hg.): Écrits d’ailleurs.
Die Bedeutung des Opfers und des Sakralen als Topoi im literarischen Werk Batailles ist
allerdings oft beforscht worden, vgl. bspw. ffrench: After Bataille; ebenso die Verbindungen
zwischen Ethnographie und Literatur in Leiris’ Schriften, vgl. dazu im deutschsprachigen
Raum die Arbeiten von Heinrichs: Ein Leben als Künstler und Ethnologe; Irene Albers,
u. a. jüngst: Der diskrete Charme der Anthropologie und Regine Strätling: Figurationen.
Zum Zusammenhang von Soziologie und literarischem Schreiben bei Caillois vgl. u. a.
Massonet: Les labyrinthes de l’imaginaire dans l’œuvre de Roger Caillois.
87 Vgl. u. a. Richman: Sacred Revolutions und Falasca-Zamponi: Rethinking the Political,
sowie im deutschen Sprachraum zu den soziologischen und religionswissenschaftlichen
Bezügen der Sakralsoziologie auf Durkheim: Moebius: Die Zauberlehrlinge und Marro‑
quín: Die Religionstheorie des Collège de Sociologie.
Einleitung 23

Implikationen des Collège de Sociologie und seiner Bedeutung für die


literarischen Praktiken, Poetologien und ästhetischen Theorien der drei
Autoren blieb bisher Desiderat.88 Durch das Aufzeigen der theoretischen
und konzeptuellen Kontinuitätslinien, die sich von der ersten Beschäfti‑
gung mit ethnologischen Theorien über die sakralsoziologische Periode
und schließlich auch über das Ende des Collège de Sociologie hinaus
beobachten lassen, können sowohl die kultur- und ästhetiktheoretischen
Texte Batailles, Caillois’ und Leiris aus den 1930er Jahren als auch ihre
späteren poetologischen Entwürfe und literarischen Arbeiten neu per‑
spektiviert werden.
Eine neue Perspektive auf die Werke der drei Autoren scheint zudem
gerade im deutschen Sprachraum höchst an der Zeit. Roger Caillois,
wiewohl in Frankreich renommierter Literat und zu Lebzeiten Mitglied
der Académie française, ist hierzulande auch heute noch weitestgehend
unbekannt.89 Auch die Schriften von Michel Leiris erlebten im deutsch‑
sprachigen Raum eine überschaubare Rezeptionsgeschichte.90 Was Bataille
betrifft, so hat die zwar kontinuierliche, aber zuweilen problematische91
Lektüre seiner Schriften und die Ablehnung, die seinem Werk auch deshalb
entgegenschlug, den Blick oft geradezu verstellt: So hallt immer noch Jür‑
gen Habermas’ Kritik an Georges Batailles »Irrationalismus« und »Anti‑
modernismus« nach.92 Habermas blieb aber stets deutschen Problematiken
verhaftet und ließ französische Kontexte außen vor.93 Seine Diagnose,
Bataille versuche Wissenschaft zum »Metaphysikersatz« zu machen, wird

88 Eine erste Skizze der ästhetiktheoretischen Dimensionen des Collège de Sociologie lieferten
jüngst Irene Albers und Stephan Moebius im Nachwort der deutschen Übersetzung der
gesammelten Texte aus dem Collège de Sociologie, vgl. Albers / Moebius: »Nachwort«, in:
Hollier (Hg.): Das Collège de Sociologie.
89 Einigen Bekanntheitsgrad erlangte allerdings seine Soziologie der Spiele, vgl. Caillois: Les
jeux et les hommes [deutsch: Die Spiele und die Menschen], und wurde jüngst von Peter
Geble neu übersetzt. Insbesondere Peter Geble hat Teile von Caillois’ Werk ins Deutsche
übersetzt und durch seine Analysen zugänglich gemacht, vgl. bspw. Geble: »Soziologie
des Heiligen – heilige Soziologie«. Im kulturwissenschaftlichen Kontext wurden Caillois’
Schriften jüngst behandelt in: Von der Heiden / Kolb (Hg.): Logik des Imaginären.
90 Vgl. vor allem die Arbeiten von Heinrichs, Albers und Strätling, wie Anmerkung 86.
91 Vgl. die Texte von Gerd Bergfleth, der den Mythos- und Gemeinschaftsbegriff bei Ba‑
taille essentialisiert, bspw. Bergfleth: »Bataille und der Mythos« und ders.: »Blanchots
Dekonstruk­tion der Gemeinschaft«.
92 Vgl. Habermas: »Die Moderne – ein unvollendetes Projekt«, S. 25 und ders: »Zwischen
Erotismus und allgemeiner Ökonomie«.
93 Vgl. Stein: »The Use and Abuse of History«, S. 21. Eine Ausnahme bilden Peter Bürgers
literatursoziologische Verortungen Batailles am »Ursprung des postmodernen Denkens«.
Bürgers Schriften machen insbeesondere auf die Stellung Batailles im französischen Sur‑
realismus und seine Position zwischen »Hegel und dem Surrealimus« (und damit auch
zwischen den beiden Rheinufern) aufmerksam, behandeln Batailles’ Grenzgang zwischen
Ethnologie, Literatur und Primitivismus aber nur am Rande, vgl. u. a. Bürger: Ursprung
des postmodernen Denkens und ders.: Das Denken des Herrn.
24 Einleitung

weder dessen ambivalenter Haltung zu den epistemischen Prämissen der


Wissenschaft noch Batailles durchaus intensiver Auseinandersetzung mit
ethnologischen Konzepten gerecht. Habermas verfehlt zudem die intrin‑
sische Natur der Verbindungen zwischen Surrealismus und Ethnologie,94
wenn er, beide einander entgegenstellend, kritisiert, Bataille könne sich
die genuin modernen und surrealistischen Ursprünge seines Denkens nicht
eingestehen und müsse »diese mithilfe anthropologischer Erkenntnisse ins
Archaische verpflanzen«.95 Der Bezug auf die – genuin moderne – ethnolo‑
gische Kategorie des »Primitiven«, so kann gegen Habermas eingewendet
werden, war jedoch integraler Bestandteil des Surrealismus und aus diesem
nicht wegzudenken: Bataille erinnerte sich rückblickend zu Recht an das
»Primitive« als eigentlichen Kern der surrealistischen Erfahrungssuche.96
Zugleich entgeht Habermas, dass gerade der Primitivismus Batailles keine
einfache Rückkehr zum »Archaischen« vorsah, sondern vielmehr mit dem
Aufbrechen von Dichotomien und Fortschrittsnarrativen spielte, wenn er
das »Primitive« im europäischen Geist selbst verortet: Für Bataille war
das »Primitive« der Kultur der »Modernen« – vom Schlachthaus bis hin
zu den hohen Gefilden des wissenschaftlichen Denkens – immer schon
und immer noch inhärent.97 Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings,
dass das Experimentieren mit mimetischen Praktiken, wie es im Collège
de Sociologie bzw. in der Gruppe Acéphale betrieben wurde, politisch
ambivalent und in dieser Ambivalenz problematisch blieb.98 Der Versuch,
klassische politische Aktionsformen durch eine »sakrale« Politik zu erset‑
zen, war ebenso wie das Experiment mit mimetischen Praktiken letztlich
der Gefahr ausgesetzt, die bereits Peter Bürger in Bezug auf Batailles
Haltung zum Faschismus konstatierte: Nämlich dem Risiko, durch die
allzu intensive Einlassung auf den politischen Gegner von diesem letztlich
nicht mehr unterscheidbar zu sein.99 Doch nicht zuletzt, um solche Pro‑
bleme und Ambivalenzen besser fassen zu können, scheint es notwendig,
die theoretischen Überlegungen und konkreten Praktiken von Bataille,
Caillois und Leiris auf das diskursive Gefüge zurückzubeziehen, aus dem
sie erwachsen sind: Der Avantgarde-Primitivismus und die Theorien der
französische Ethnologie.

94 Vgl. Clifford: »On Ethnographic Surrealism«.


95 Vgl. Habermas: »Eintritt in die Postmoderne: Nietzsche als Drehscheibe«, S. 129.
96 Bataille: »La religion surréaliste«, S. 382.
97 Vgl. Richman: Sacred Revolutions, S. 196.
98 Vgl. Hollier: »Mimétisme et Castration 1937«, sowie meine Ausführungen in Kapitel II.3.
99 Bürger: »Die Faschismus-Analysen Batailles«, S. 53.
Einleitung 25

Das erste Kapitel dieser Arbeit untersucht die Artikel der Zeitschrift
Documents als Kreuzungspunkt von ethnologischen und avantgardis‑
tischen Diskursen, zeigt Unterschiede in den kulturtheoretischen und
ästhetischen Reflexionen über das »Primitive« bei Bataille und Leiris auf
und macht deutlich, dass der von Bataille in Documents skizzierte Ansatz
zu einer Ästhetik des informe als mimetische Strategie zu verstehen ist,
die er zudem maßgeblich im Rückgriff auf ethnologische Konzepte entwi‑
ckelte (Kapitel I.1.). Im Mittelpunkt von Kapitel I.2. stehen Michel Leiris’
unorthodoxe ethnologische Feldforschungen in Afrika, seine Begegnung
mit einem abessinischen Geisterkult und sein Versuch, die positivistischen
Feldforschungsmethoden der französischen Ethnologen zugunsten einer
mimetischen Form der Ethnologie hinter sich zu lassen und sich dabei
vom Ethnologen in einen »Besessenen« zu verwandeln. Roger Caillois
verschränkt seinerseits in seinen frühen Aufsätzen zur Mimese (mimétis-
me) evolutionsbiologische Diskurse mit den Theorien der französischen
Ethnologie und bringt die Mimese der Insekten mit den Funktionsprin‑
zipien der menschlichen Einbildungskraft in Zusammenhang, die er als
passiven, mimetischen Reflex der Angleichung des menschlichen Geistes
an die Außenwelt fasst (Kapitel I.3.).
Kapitel II analysiert das Forschungsprogramm des Collège de Sociologie
und fasst dieses nicht nur als Wende der ethnologischen Perspektive auf
die eigene Gesellschaft, sondern vor allem als »literarische«100 Aneignung
ethnologischer Diskurse (Kapitel II.1.) und Schauplatz eines »mimetischen
Exzesses« (Kapitel II.2.). Die problematischen Implikationen einer Politik
der kollektiven Ekstase, wie sie im Collège de Sociologie theoretisch disku‑
tiert wurde, sind Gegenstand des Kapitels II.3. ebenso wie die Ambivalenz
einer politischen Taktik, die darauf setzt, den Faschismus durch dessen
›mimetische Verdopplung‹ zu besiegen.
Kapitel III geht der Frage nach, welcher Stellenwert ästhetischen Fragen
im Collège de Sociologie noch zukam, nachdem die Gruppe zunächst die
Ablösung von Kunst und Literatur durch »lebendige Mythen« ausgerufen
hatte und symbolische Formen durch »sakrale« Inszenierungen wie den
Stierkampf und die Tragödie ersetzen wollte (Kapitel III.1.). Die Kategorie
des »Sakralen« wird bei Bataille und Leiris in erster Linie als transgressiv
gedacht und entzieht sich Durkheims strukturfunktionaler Bestimmung.
Sie wird zu einer Kategorie der ›mehr-als-ästhetischen‹ Erfahrung, durch
die vor allem tradierte (bürgerliche und surrealistische) Ästhetiken über‑
boten und Kunst zugleich aus ihrer Einhegung auf eine eigengesetzliche
Sphäre befreit werden sollte (Kapitel III.2.). Die Gruppe Acéphale, davon

100 Vgl. Vogl: »Für eine Poetologie des Wissens«, S. 125.


26 Einleitung

handelt Kapitel III. 3, verstand sich nicht nur als ›empirischer‹ Teil der
sakralsoziologischen Studien des Collège de Sociologie, sondern auch als
mise-en-scène eines »lebendigen Mythos« bzw. einer Tragödie. Acéphale
wird mit Blick auf das zeitgenössische Avantgardetheater als Inszenierung
einer »sakralen« Performance beschrieben und dabei dem Verhältnis von
rituellen und symbolischen Elementen in den Aktivitäten der Gruppe
nachgegangen. Und schließlich analysiert Kapitel IV den Transfer der
Kategorien des »Primitiven« bzw. des Sakralen sowie von mimetischen
Praktiken in die Literatur nach dem Ende der sakralsoziologischen Peri‑
ode. Untersucht wird Batailles »sakrale« Poetik, die auf den mimetischen
Vollzug eines literarischen (Selbst-)Opfers setzt, Leiris’ Programm für ein
autobiographisches Schreiben, das sich über die Mimesis an die sakrifi‑
zielle Dramaturgie des Stierkampfs entfaltet und Roger Caillois’ minera‑
logische Poetik, mit deren Hilfe sich der Autor im Schreiben den Steinen
anzuschmiegen suchte.
I.
Metamorphosen

Je plains les hommes qui n’ont pas rêvé, au moins une fois dans
leur vie, de se changer en l’un quelconque des divers objets qui les
entourent […]. Ils n’ont aucun désir de sortir de leur peau […].
Was für bedauernswerte Leute, die nicht wenigstens einmal im
Leben davon träumten, sich in eines der Dinge zu verwandeln,
die sie umgeben […]. Sie verspüren offenbar nicht den leisesten
Drang, aus ihrer Haut zu fahren […].1
Michel Leiris

Der französische Surrealismus wurde von Walter Benjamin einst als die
»letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz« bezeichnet und
ist oft als Krisenphänomen beschrieben worden: Als Ausdruck einer Krise
des Bürgertums, seines humanistischen Freiheitsbegriffs und des zentralen
Mediums seines kulturellen und geistigen Selbstverständnisses – der bür‑
gerlichen Literatur.2 Dem eigenen Anspruch war der Surrealismus nach
keine künstlerische oder literarische Bewegung, sondern zielte vielmehr
gerade auf die Überwindung der Trennung zwischen Kunst und Leben bzw.
zwischen Kunst und Politik.3 Was Benjamin am Surrealismus schätzte, war
der Versuch, eine revolutionäre Kunstpraxis zu etablieren und damit dem
entfremdeten Subjekt der arbeitsteiligen Moderne die Möglichkeit von
»Erfahrung« wiederzugewinnen bzw. in der kapitalistischen Warenwelt
die Energien für eine »profane Erleuchtung« freizusprengen.4 Zu diesem

1 Leiris: »Métamorphose«, S. 332 [deutsch: »Metamorphose«, S. 527].


2 Benjamin: »Der Sürrealismus«, S. 145 und ebd., S. 147, vgl. auch Behrens: »Der Sur­
realismus im letzten Jahrhundert«.
3 Vgl. Bürger: Der französische Surrealismus, S. 74.
4 Vgl. ebd., S. 186 sowie Benjamin: »Der Sürrealismus«, S. 149. Benjamin diagnostizierte
1929, die Strömung avisiere eine dialektische Verschränkung von politischem Handeln
und psychischem »Bildraum« und habe mit diesem »anthropologischen Materialismus«
den radikalsten Begriff von Freiheit ihrer Zeit hervorgebracht, vgl. ebd., S. 156−158. Eine
doppelte, auf die politische Revolution und zugleich die revolutionäre Transformation
des kollektiven Imaginären gerichtete Stoßrichtung attestierte dem Surrealismus vierzig
Jahre nach Benjamin auch Peter Bürger. Zwar erwies sich der Surrealismus für Bürger im
historischen Rückblick als in politischer Hinsicht gescheitertes und letztlich künstlerisches
Projekt. Dennoch gesteht auch Bürger der Bewegung zu, »[d]aß die surrealistische Poetik
ihrem Wesen nach gesellschaftskritisch ist«. Bürger: Der französische Surrealismus, S. 76.
28 Metamorphosen

Unternehmen gehörte auch ein fundamentale Zivilisationskritik. Im


Manifest »La révolution d’abord et toujours« in der Zeitschrift La
révolution surréaliste heißt es bspw.:

Nous sommes certainement des Barbares puisqu’une certaine forme de civili‑


sation nous écœure. Partout où règne la civilisation occidentale toutes attaches
humaines ont cessé à l’exception de celles qui avaient pour raison d’être l’intérêt,
›le dur paiement au comptant‹.
Wir sind mit Sicherheit Barbaren, da uns eine bestimmte Form der Zivilisation
anekelt. Überall dort, wo die abendländische Zivilisation herrscht, sind alle
menschlichen Bindungen aufgelöst, mit Ausnahme jener, deren Daseinsberech‑
tigung das Zinsinteresse ist, ›die harte Bargeldzahlung‹.5

Die radikale Absage an die »abendländische Zivilisation« und das


Bekenntnis zum »Barbarentum« richtete sich gegen den europäischen
Imperialismus und Kolonialismus – aber auch gegen die bürgerliche Idee
eines kulturellen Evolutionsprozesses, der von der »Vormoderne« zur
»Moderne« führte, sowie gegen die Vorstellung eines progressiven oder
gar teleologischen Geschichtsverlaufs.6 James Clifford diagnostiziert des‑
halb zu Recht, dass der Surrealismus im Kern von einem »Unbehagen«
(im Sinne Freuds) in und an der eigenen Kultur umgetrieben wurde – die
man entsprechend nach Kräften attackierte.7 Im Bekenntnis der Surrea‑
listen zum »Barbarentum« klingt allerdings auch eine alte abendländische
Tradition der kulturellen Selbstkritik an: Bereits in der Antike finden sich
in der europäischen Kulturgeschichte zahlreiche, faktographische und
fiktive literarische Entwürfe von (erfundenen oder tatsächlich existie‑
renden) »fremden Kulturen«, deren »Wildheit« bzw. »Archaik« einem
zivilisationsmüden Abendland entgegengesetzt wird,8 wobei den beschrie‑
benen »Barbaren«, »Wilden« bzw. »Primitiven« kein Eigen-, sondern nur
»Abstoßungswert« gegenüber der eigenen Kultur zukam.9 Auch für den

5 Breton u. a.: »La révolution d’abord et toujours!«, S. 31 [Übersetzung: R. E.].


6 Karlheinz Barck betonte in diesem Zusammenhang, dass zu den politischen Visionen des
Surrealismus neben der Kritik am Eurozentrismus und der Relativierung des westlichen
Kulturkanons auch der Entwurf einer »nicht ethno- und europozentrischen« Kulturge‑
schichte gehörte. Vgl. Barck: »Surrealistische Visionen des Politischen«, S. 525 und S. 536.
7 Vgl. Clifford: »On Ethnographic Surrealism«, S. 540 ff.
8 Vgl. Kohl: Abwehr und Verlangen, S. 8.
9 Vgl. ebd., S. 36. So bleibt auch die kulturelle Selbstkritik dieser Entwürfe letztlich euro‑
zentrisch und der kulturelle Bewertungsmaßstab westlich. Vgl. ebd. Karl-Heinz Kohl macht
allerdings zu Recht darauf aufmerksam, dass die (ethnologische) Untersuchung fremder
Gesellschaften immer ein Urteil über die eigene und damit einen eurozentristischen Blick
voraussetzt, und plädiert in diesem Sinne für »eine Form des reflektierten Eurozentrismus,
der sich der Unumkehrbarkeit des durch den europäischen Kolonialismus ausgelösten
Prozesses ebenso bewußt ist wie seiner in den Widersprüchen der eigenen Gesellschaften
wurzelnden erkenntnisleitenden Interessen«. Ebd., S. 141.
Metamorphosen 29

Surrealismus war die Bezugnahme auf »fremde Kulturen« vor allem Mittel
zur Kritik und Negation der eigenen Gesellschaft.10 An den bewunderten
kulturellen Artefakten, Ritualen und Mythen interessierte entsprechend
weniger ihr ursprünglicher Kontext bzw. die tatsächliche Realität außer‑
europäischer Lebenswelten, sondern ihr Potential zur künstlerischen und
kulturellen Revitalisierung eines zivilisationsmüden westlichen Subjekts.11
Auf der Suche nach alternativen Bewusststeinszuständen waren die »pri‑
mitiven Mentalitäten«, wie sie in der Ethnologie diskutiert wurden, das
Referenzmaterial. So begrüßte bspw. der Surrealist und spätere Collège de
Sociologie-Teilnehmer Jules Monnerot Lévy-Bruhls Konzept der mentalité
primitive, das einen vom Seelenleben des modernen Menschen radikal un‑
terschiedenen, »prälogischen« Bewusstseinsmodus beschrieb12 – kritisierte
allerdings Lévy-Bruhls dichotome Trennung zwischen der »primitiven«
und der »modernen« Geisteshaltung. Für die Surrealisten war die mentalité
primitive das Ideal eines auch für die Modernen wiederzugewinnenden
Geisteszustandes: »[…] ce qu’il [le concept, R. E. ] nous permet de trouver,
c’est nous-mêmes. / was es uns [das Konzept, R. E.] erlaubt zu finden, das
sind wir selbst.«13 Am ethnologischen Modell des »primitiven Denkens«
interessierte André Breton dessen vermeintliche Beweisfunktion für die
lebendige Existenz von anderen als rein rationalen Geisteszuständen, wie
er es in seiner begeisterten Besprechung von Monnerots Buch ausdrückte:
»Monnerot […] a d’ailleurs excellemment mis en évidence les affinités
de la pensée surréaliste et de la pensée indienne […] / Monnerot ist […]
der hervorragende[…] Nachweis der Verwandtschaft zwischen surrealis‑
tischem Denken und jenem der Indianer [gelungen]«.14
Gegen James Cliffords These, der französische Surrealismus sei in seinen
Anfängen vom selben Erkenntnisinteresse wie die Ethnologie getrieben
worden,15 lässt sich deshalb einwenden: Die Surrealisten partizipierten

10 Vgl. Schultz: Wild, irre und rein, S. 8.


11 Vgl. Tythacott: Surrealism and the Exotic, S. 569. Der Primitivismus der Avantgarden
bleibt so ex negativo auf den bürgerlichen Bezugsrahmen angewiesen, den er (angeblich)
gerade sprengen wollte, vgl. Schultz: Wild, irre und rein, S. 9−11.
12 Vgl. Lévy-Bruhl: La mentalité primitive.
13 Monnerot: La poésie moderne et le sacré, S. 99.
14 Breton: Entretiens (1913−1952), S. 248 [deutsch nach Maurer: »Dada und Surrealismus«,
S. 556].
15 Clifford verweist auf die starken intellektuellen (und persönlichen) Verbindungen, die
zwischen der surrealistischen Bewegung und der akademischen Ethnologie in der frühen
Phase ihrer Institutionalisierung bestanden und begründet damit seine These, Ethnographie
und Surrealismus hätten gemeinsam ein Amalgam, den »ethnographischen Surrealismus«
bzw. die »surrealistische Ethnographie« gebildet. Vgl. meine Ausführungen im Folgenden.
Die von Surrealismus und Ethnologie geteilte kulturkritische Grundhaltung zeichne sich
dabei, so Clifford, durch einen radikalen kulturellen Dezentrismus aus, der europäische
Hoheitsansprüche negierte und stattdessen die Idee kultureller Pluralität sowie eine radi‑
30 Metamorphosen

auch an einem etablierten Exotismus sowie an einem im frühen 20. Jahr‑


hundert verbreiteten, spezifisch modernen Primitivismus, der sich aus einer
synkretistischen Mischung von Vorstellungen über »fremde Kulturen«
speiste und sich diese eklektisch und zu künstlerischen Zwecken aneig‑
nete.16 Die Surrealisten waren dabei in erster Linie auf der Suche nach
Symbolen und (konstruierten) Gemeinplätzen wie dem »Magischen« und
dem »Naiven«.17 Wie die Kunstwissenschaftlerin Joyce Cheng analysiert,
ging es dabei allerdings zunehmend weniger um die direkte Imitation
»primitiver« Darstellungs- oder Sprachformen als noch im Dadaismus.18
Unter dem Eindruck ethnologischer Theorien über das »primitive Den‑
ken« wendete sich der Surrealismus in den 1920er und 1930er Jahren
zunehmend von der Imitation optischer Formen ab und stattdessen – auch
in der westlichen Tradition verankerten – Figuren der Verwandlung bzw.
Alterität zu.19 In den Werken von Salvador Dalí, Man Ray, André Masson
und anderen Künstlern aus dem Umfeld des Surrealismus dominieren sich
verflüssigende, traumartige Formen und die Auflösung des menschlichen
Körpers als ekstatische Erfahrung des Außer-sich-Seins (hors de soi).20 So
lässt sich nach Cheng durch die unterschiedlichen formalen Ausgestal‑
tungen hindurch vor allem ein charakteristisches Leitmotiv ausmachen:
Das Motiv der »mimetischen Metamorphose«.21
Um das Motiv der Metamorphose, Figuren der Verwandlung und
Zustände von Alterität kreisten auch Batailles, Caillois’ und Leiris’ Texte
der 1920er und frühen 1930er Jahre. Sie verstanden ihre Arbeiten im Un‑
terschied zu den Surrealisten aber nicht als künstlerische, sondern als wis‑
senschaftliche bzw. theoretische Auseinandersetzung mit der Ethnologie.
Im Zentrum standen Überlegungen zur Theorie und Praxis der Mimesis.

kale Form der Alteritätserfahrung zu etablieren suchte. Die zentrale Praktik sowohl des
Surrealismus als auch der frühen Ethnographie sei dabei das bedingungslose Sich-Aussetzen
an das (kulturell) Fremde gewesen. Vgl. ebd., S. 564.
16 Vgl. Schultz: Wild, irre und rein, S. 9. Zum Unterschied zwischen »Exotismus« und
»Primitivismus« vgl. ebd, S. 6−12.
17 Vgl. ebd., S. 10−11.
18 Vgl. ebd., S. 8.
19 Vgl. ebd.
20 Vgl. ebd. Die auffällige Konzentration auf Zustände der Verwandlung gehe dabei Hand
in Hand mit der zunehmenden öffentlichen Präsenz von ethnologischen Objekten, die
ihrerseits – wie die rituelle Maske – bereits in ihrem kulturellen Ursprungskontext mit
Verwandlungszuständen konnotiert waren, vgl. ebd., S. 65.
21 Vgl. Cheng: »Mask, Mimicry, Metamorphosis«, S. 68.
Ethnologie und Ästhetik in der Zeitschrift Documents 31

1. Ethnologie und Ästhetik in der Zeitschrift Documents

1.1. Ästhetik des Dokuments

Die Zeitschrift Documents erschien im Zeitraum von 1929 bis 1931 in


insgesamt 15 Ausgaben22 und versammelte zahlreiche Artikel, Berichte und
Rezensionen sowie umfangreiches Bildmaterial. Documents verstand sich
von Anfang an als interdisziplinäres Projekt, nämlich, wie der Untertitel
verkündete, als Zeitschrift für »Theorie, Archäologie, Kunst, Ethnogra‑
phie« (doctrines, archéologie, beaux-arts, ethnographie).23 Interdisziplinär
war auch die Zusammensetzung der Autorschaft: Veröffentlicht wurden
Beiträge von prominenten französischen und deutschen Ethnologinnen,
Kunstwissenschaftlern und Archäologen wie Marcel Griaule, Paul Rivet,
Georges-Henri Rivière, Carl Einstein,24 Leo Frobenius und anderen
mehr – aber auch Artikel der (angehenden) Schriftsteller Georges Bataille
und Michel Leiris, die aus dem Umfeld des (dissidenten) Surrealismus
stammten. James Clifford bezeichnete diese Mischung aus theoretischen
(ethnologischen bzw. anthropologischen) und kunst- und kulturkritischen
Reflexionen in Documents als Ausdruck eines spezifisch französischen,
»ethnographischen Surrealismus«.25
Tatsächlich unterhielt die französische Ethnologie, die Ende der 1920er
Jahren gerade erst auf dem Weg zur akademischen Etablierung war, enge
Verbindungen mit dem Surrealismus. Das Pariser Institut d’Ethnologie
wurde 1925 von Marcel Mauss, Lucien Lévy-Bruhl und Paul Rivet ge‑

22 Die Idee zu dem Projekt stammte wahrscheinlich von Bataille und Leiris und geht auf
die frühen 1920er Jahre zurück. Vgl. den Brief von Bataille an Leiris vom 20.1.1935 in:
Galletti (Hg.): L’Apprenti Sorcier, S. 119−24. Die Initiative zur tatsächlichen Gründung der
Revue kam von Bataille und seinem Kollegen im »Cabinet des Medailles« der Bibliothèque
Nationale, Pierre D’Espezel. Michel Leiris beteiligte sich als Redaktionssekretär ebenfalls
an Documents, Carl Einstein war ihr leitender Direktor, finanziert wurde Documents
aus den Mitteln eines Fonds des Kunsthändlers und Kunstkritikers Georges Wildenstein.
Georges Bataille, seines Zeichens Generalsekretär bzw. Geschäftsführer, steuerte nicht
nur die meisten Artikel bei, sondern wählte als Bildredakteur auch die Illustrationen aus
und war auch ansonsten hauptverantwortlich für die Stoßrichtung der Zeitschrift. Vgl.
Hollier: »La valeur d’usage de l’impossible«, S. VII [deutsch: »Der Gebrauchswert des
Unmöglichen«, S. 76].
23 Ab der vierten Nummer des ersten Jahrgangs änderte sich der Untertitel in: »Archéologie,
Beaux-Arts, Ethnographie, Variéties« (Archäologie, Kunst, Ethnographie, Varieté).
24 Vgl. zur eminent wichtigen Rolle Carl Einsteins, vor allem was die Verbindung von Eth‑
nologie und Kunstwissenschaft betrifft, die Einstein schon seit den 1920er Jahren betrieb
(vgl. u. a. Einstein: Negerplastik) u. a. die Beiträge in: Kiefer (Hg.): Die visuelle Wende der
Moderne, und Kröger / Roland (Hg.): Carl Einstein im Exil.
25 Vgl. Clifford: »On Ethnographic Surrealism«, S. 548 ff.
32 Metamorphosen

gründet.26 Im ersten Erscheinungsjahr von Documents begann zudem


die Neuorganisation des völkerkundlichen Musée du Trocadéro – eine
Tagesaktualität, die in den Artikeln der neuen Museumsleiter Paul Rivet
und Georges-Henri Rivière diskutiert wurde.27 Für Rivet und Rivière bot
Documents eine Art diskursives Testfeld zur Bekanntgabe und Erprobung
ihrer wissenschaftlichen Prämissen und Theoreme der neuen Wissen‑
schaft. Rivière informierte bspw. in der ersten Ausgabe der Zeitschrift
über die Organisationsprinzipien des neuen ethnologischen Museums,
dessen Ausstellungspraxis sich, so die Ankündigung Rivières, nicht an
ästhetischen Fragen orientieren, sondern vielmehr unter soziologischen
Gesichtspunkten interessante Alltagsgegenstände versammeln und diese
nach wissenschaftlichen Aspekten klassifizieren und arrangieren werde.28
Sein Artikel macht deutlich, dass die Ethnologen das Trocadéro nicht als
Musée des Beaux-Arts, also nicht als Ort für Kunstgenuss, verstanden wis‑
sen wollten: Die ausgestellten Objekte sollten gerade nicht als ästhetische
Gebilde rezipiert werden, sondern ihr ursprünglicher, technischer, sozialer
und ökonomischer Gebrauch in den Vordergrund treten.29 Der nicht nur
in der französischen Öffentlichkeit verbreiteten exotistischen Faszination
für »primitive« Kunstgegenstände versuchte Rivière den nüchternen Blick
der Wissenschaft entgegenzusetzen und so zugleich die französische Eth‑
nologie selbst als positive Wissenschaft auszuweisen, anschlussfähig an
die Erkenntnisse der Naturwissenschaften:

26 Vgl. Mauss: »L’ethnographie en France et à l’étranger«. Das Institut d’Ethnologie wurde


vom Kolonialministerium finanziert und sollte eine Intensivierung der ethnologischen
Untersuchungen ermöglichen, insbesondere derjenigen Studien, die in den französischen
Kolonialstaaten durchgeführt wurden. Neben der Ausbildung von professionellen Ethnolo‑
gen hatte das Institut d’Ethnologie auch zum Ziel, den Missionaren und Administratoren,
die bereits im Kolonialraum stationiert waren, einige grundlegende Methoden beizubringen,
um ihr »Verständnis der Eingeborenen« und die »Qualität ihrer ethnographischen Beob‑
achtungen« zu verbessern. Vgl. Jolly: »Marcel Griaule, ethnologue«, S. 151. Im Rahmen
der vom Kolonialministerium organisierten und finanzierten, ethnologischen Missionen
wurden dabei nicht nur ethnologische Studien durchgeführt, sondern ein großangelegter
Raub von Kunstgegenständen aus den Kolonien durchgeführt (vgl. dazu meine Ausfüh‑
rungen zur »Mission Dakar-Djibouti« in Kap. I.3.)
27 Vgl. Rivière: »Le Musée d’Ethnographie du Trocadéro« und Rivet: »L’étude des civilisations
matérielles«. 1937 erhält das Trocadéro seinen neuen Namen und heißt nun Musée de
l’Homme, vgl. dazu Leiris: »Du Musée d’Ethographie au Musée de l’Homme«. Ein Großteil
der Ausstellungsstücke ist heute Teil der Sammlung des Musée Quai Branly.
28 Vgl. zur Ausstellungspraxis im Trocadéro auch Falasca-Zamponi: Rethinking the Political,
darin das Kapitel »Against Aesthetics«, S. 63−103.
29 Vgl. Hollier: »La valeur d’usage de l’impossible«, S. XIV.
Ethnologie und Ästhetik in der Zeitschrift Documents 33

Si nous voulions céder à une logique rigoureuse, nous dirions que le Musée
d’Ethnographie, commençant là où finirait le Musée d’Histoire Naturelle, devrait
embrasser dans leur ensemble les civilisations primitives et archaïques ; – tandis
que les civilisations plus évoluées se partageraient entre le Musée des Beaux-
Arts, le Musée de Folklore et une manière de Conservatoire des Arts et Métiers.
Wenn wir einer strengen Logik folgen wollten, würden wir sagen, dass das
ethnographische Museum, das dort begänne, wo das naturhistorische Museum
enden würde, die Gesamtheit der primitiven und archaischen Zivilisationen um‑
fassen müsste; – wohingegen sich die am höchsten entwickelten Gesellschaften
zwischen Kunstmuseum, Heimatmuseum und einer Art Kunst- und Gewerbe‑
schule verteilen würden.30

Rivière und seine Kollegen betrachteten die Objekte des Trocadéro als
soziokulturelle und historische Zeugnisse bzw. eben »Dokumente« ohne
besonderen künstlerischen oder ästhetischen Wert. Für sie war bereits der
Titel der Zeitschrift Documents Ausdruck eines anti-ästhetischen Pro‑
gramms. Denis Hollier spricht gar von einem »anti-ästhetischen Kreuzzug«
der an Documents beteiligten Ethnologen.31
Zunächst teilten auch diejenigen Autoren von Documents, die wie
Georges Bataille und Michel Leiris der künstlerischen Avantgarde zuzu‑
rechnen sind, zumindest dem Bekenntnis nach die nüchterne Haltung der
Ethnologen. In der von Bataille verfassten Gründungsnotiz der Zeitschrift
wurde festgehalten, dass alle Gegenstände auf »streng wissenschaftliche«
Art und Weise zu behandeln seien:
Les œuvres d’art les plus irritantes, non encore classées, et certaines productions
hétéroclites, négligées jusqu’ici, seront l’objet d’études aussi rigoureuses, aussi
scientifiques que celles des archéologues […].
Die irritierendsten, noch nicht klassifizierten Kunstwerke sowie bestimmte, bis
jetzt vernachlässigte heteroklite Schöpfungen sollen Gegenstand ebenso strenger
und wissenschaftlicher Untersuchung werden wie in der Archäologie […].32

Wie in diesem Zitat deutlich wird, kontrastiert das Bekenntnis zur


»wissenschaftlichen Strenge« jedoch mit der »verstörenden« Wirkung,
die Bataille den ethnologischen und archäologischen Objekten zugleich
zuschreibt. Das »Dokument« ist in Batailles Verständnis weniger nicht

30 Rivière: »Le Musée d’Ethnographie du Trocadéro«, S. 58 [Übersetzung: R. E.].


31 Hollier: »La valeur d’usage de l’impossible«, S. XVI. Vgl. zur ethnologischen Diskussion
des Gebrauchswerts fremdkultureller Objekte auch den Wörterbucheintrag von Griaule:
»Poterie«, S. 236 und den Artikel von Rivet: »L’étude des civilisations matérielles«, S. 130.
32 Vgl. Leiris: »De Bataille l’impossible à l’impossible ›Documents‹«, S. 689 [deutsch: »Von
dem unmöglichen Bataille zu den unmöglichen Documents«, S. 71]. In ähnlicher Weise
plädiert auch Carl Einstein (in einer Rezension zu einer Ausstellung über Afrikanische
Kunst der Galerie Pigalle) für eine präzise, ethnologisch-historische Perspektive auf nicht-
europäische Kunstobjekte, vgl. Einstein: »À propos de l’exposition de la Galerie Pigalle«,
S. 104.
Another random document with
no related content on Scribd:
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the


free distribution of electronic works, by using or distributing this
work (or any other work associated in any way with the phrase
“Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of
the Full Project Gutenberg™ License available with this file or
online at www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and


Redistributing Project Gutenberg™
electronic works
1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand,
agree to and accept all the terms of this license and intellectual
property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to
abide by all the terms of this agreement, you must cease using
and return or destroy all copies of Project Gutenberg™
electronic works in your possession. If you paid a fee for
obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™
electronic work and you do not agree to be bound by the terms
of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only


be used on or associated in any way with an electronic work by
people who agree to be bound by the terms of this agreement.
There are a few things that you can do with most Project
Gutenberg™ electronic works even without complying with the
full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There
are a lot of things you can do with Project Gutenberg™
electronic works if you follow the terms of this agreement and
help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.
1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the
collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the
individual works in the collection are in the public domain in the
United States. If an individual work is unprotected by copyright
law in the United States and you are located in the United
States, we do not claim a right to prevent you from copying,
distributing, performing, displaying or creating derivative works
based on the work as long as all references to Project
Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will
support the Project Gutenberg™ mission of promoting free
access to electronic works by freely sharing Project
Gutenberg™ works in compliance with the terms of this
agreement for keeping the Project Gutenberg™ name
associated with the work. You can easily comply with the terms
of this agreement by keeping this work in the same format with
its attached full Project Gutenberg™ License when you share it
without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also
govern what you can do with this work. Copyright laws in most
countries are in a constant state of change. If you are outside
the United States, check the laws of your country in addition to
the terms of this agreement before downloading, copying,
displaying, performing, distributing or creating derivative works
based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The
Foundation makes no representations concerning the copyright
status of any work in any country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project


Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other


immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must
appear prominently whenever any copy of a Project
Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project
Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project
Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed,
viewed, copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United


States and most other parts of the world at no cost and with
almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it
away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg
License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org. If you are not located in the United
States, you will have to check the laws of the country where
you are located before using this eBook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is


derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to
anyone in the United States without paying any fees or charges.
If you are redistributing or providing access to a work with the
phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of
paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use
of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth
in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is


posted with the permission of the copyright holder, your use and
distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through
1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder.
Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™
License for all works posted with the permission of the copyright
holder found at the beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project


Gutenberg™ License terms from this work, or any files
containing a part of this work or any other work associated with
Project Gutenberg™.
1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute
this electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1
with active links or immediate access to the full terms of the
Project Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form,
including any word processing or hypertext form. However, if
you provide access to or distribute copies of a Project
Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or
other format used in the official version posted on the official
Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at
no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a
means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other
form. Any alternate format must include the full Project
Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,


performing, copying or distributing any Project Gutenberg™
works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or


providing access to or distributing Project Gutenberg™
electronic works provided that:

• You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
the use of Project Gutenberg™ works calculated using the
method you already use to calculate your applicable taxes. The
fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark,
but he has agreed to donate royalties under this paragraph to
the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty
payments must be paid within 60 days following each date on
which you prepare (or are legally required to prepare) your
periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked
as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation at the address specified in Section 4, “Information
about donations to the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation.”

• You provide a full refund of any money paid by a user who


notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that
s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
License. You must require such a user to return or destroy all
copies of the works possessed in a physical medium and
discontinue all use of and all access to other copies of Project
Gutenberg™ works.

• You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of


any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in
the electronic work is discovered and reported to you within 90
days of receipt of the work.

• You comply with all other terms of this agreement for free
distribution of Project Gutenberg™ works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project


Gutenberg™ electronic work or group of works on different
terms than are set forth in this agreement, you must obtain
permission in writing from the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3
below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend


considerable effort to identify, do copyright research on,
transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright
law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite
these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the
medium on which they may be stored, may contain “Defects,”
such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt
data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other
medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES -


Except for the “Right of Replacement or Refund” described in
paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark,
and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic
work under this agreement, disclaim all liability to you for
damages, costs and expenses, including legal fees. YOU
AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE,
STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH
OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH
1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER
THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR
ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE
OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF
THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If


you discover a defect in this electronic work within 90 days of
receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you
paid for it by sending a written explanation to the person you
received the work from. If you received the work on a physical
medium, you must return the medium with your written
explanation. The person or entity that provided you with the
defective work may elect to provide a replacement copy in lieu
of a refund. If you received the work electronically, the person or
entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund.
If the second copy is also defective, you may demand a refund
in writing without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set


forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’,
WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS
OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR
ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied


warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this
agreement violates the law of the state applicable to this
agreement, the agreement shall be interpreted to make the
maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable
state law. The invalidity or unenforceability of any provision of
this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the


Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the
Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™
electronic works in accordance with this agreement, and any
volunteers associated with the production, promotion and
distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless
from all liability, costs and expenses, including legal fees, that
arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project
Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or
deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect
you cause.

Section 2. Information about the Mission of


Project Gutenberg™
Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new
computers. It exists because of the efforts of hundreds of
volunteers and donations from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the


assistance they need are critical to reaching Project
Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™
collection will remain freely available for generations to come. In
2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was
created to provide a secure and permanent future for Project
Gutenberg™ and future generations. To learn more about the
Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your
efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the
Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project


Gutenberg Literary Archive Foundation
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-
profit 501(c)(3) educational corporation organized under the
laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by
the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal
tax identification number is 64-6221541. Contributions to the
Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax
deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and
your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500


West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact
links and up to date contact information can be found at the
Foundation’s website and official page at
www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to


the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation
Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without
widespread public support and donations to carry out its mission
of increasing the number of public domain and licensed works
that can be freely distributed in machine-readable form
accessible by the widest array of equipment including outdated
equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly
important to maintaining tax exempt status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws


regulating charities and charitable donations in all 50 states of
the United States. Compliance requirements are not uniform
and it takes a considerable effort, much paperwork and many
fees to meet and keep up with these requirements. We do not
solicit donations in locations where we have not received written
confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
determine the status of compliance for any particular state visit
www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states


where we have not met the solicitation requirements, we know
of no prohibition against accepting unsolicited donations from
donors in such states who approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot


make any statements concerning tax treatment of donations
received from outside the United States. U.S. laws alone swamp
our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current


donation methods and addresses. Donations are accepted in a
number of other ways including checks, online payments and
credit card donations. To donate, please visit:
www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project


Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could
be freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose
network of volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several


printed editions, all of which are confirmed as not protected by
copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus,
we do not necessarily keep eBooks in compliance with any
particular paper edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,


including how to make donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation, how to help produce our new
eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear
about new eBooks.

Das könnte Ihnen auch gefallen