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Jedem Gott, dem du auf Erden gedient hast,

trittst du (nun) von Angesicht zu Angesicht gegenüber.1


(TT 50, Harfnerlied III, Übersetzung J. Assmann)

Text von Angelika Zdiarsky für den Katalog der Ausstellung „Wege zur Unsterblichkeit“ im
Papyrusmuseum (14. Juni 2013 – 12. Jänner 2014)

Wissen für das Jenseits – Das Totenbuch der alten Ägypter


Die Sammlung von ca. 200 Sprüchen, die den ägyptischen Titel Sprüche vom Herausgehen
am Tage trägt, ist heute eher unter ihrem modernen Begriff Totenbuch bekannt. Lange Zeit
stand es im Fokus der Forschung und wurde sogar zur „Bibel der Ägypter“ erhoben. Mit der
Entdeckung der Pyramidentexte im Jahr 1880/81 verlagerte sich das Interesse der Fachwelt
jedoch auf diese um noch ein Jahrtausend ältere Sammlung religiöser Sprüche.

Bereits mit dem Ende des Alten Reiches vollzog sich ein Wechsel von den ursprünglich
exklusiv königlichen Pyramidentexten hin zu Texten, die heute als 1185 Sprüche umfassendes
Corpus der Sargtexte bekannt sind. Diese wurden typischerweise auf den Innen- und
Außenwänden der Beamtensärge des Mittleren Reiches angebracht, was letztlich auch ihre
moderne Bezeichnung bedingte. Im Unterschied zu den Pyramidentexten weisen manche
Sprüche der Sargtexte nun auch Vignetten auf – also dazu gehörige Abbildungen, die der
Illustration der Texte dienen, und die dadurch auch mittels Bildmagie wirksam werden
können. Etliche der Sprüche leben sogar im nachfolgenden Textcorpus des späteren
Totenbuchs weiter, der sich im Zuge einer Neuredaktion in Theben in der 2. Zwischenzeit
gebildet hatte, und dessen Spruchgut auf unterschiedlichen Textträgern (Grabwänden,
Papyrus, Mumienbinden, Objekten der Grabausstattung, etc.) bis in römische Zeit verwendet
wurde. Es sind jedoch vor allem die Handschriften auf Papyrus, die sich auf mitunter langen
Rollen in großer Anzahl aus dieser Zeitspanne erhalten haben. Diese Fülle an Belegen weist
darauf hin, dass es sich in der Geschichte Ägyptens wohl um einen der populärsten
Jenseitstexte handelte. Selbst wenn dieser Eindruck auf einer problematischen Überlieferung
basiert, da sich andere Totentexte abseits der Gräber nur bedingt oder in geringerer Zahl
erhalten haben2, unterstreicht alleine die Häufigkeit der erhaltenen Exemplare die Beliebtheit
dieses Spruchguts, das mehr als 1500 Jahre in Verwendung geblieben ist. Dennoch ist das

1
Assmann (2001: 107).
2
Leitz (2007: 167).
Totenbuch nur eines von vielen Jenseitsbüchern3 aus dem Alten Ägypten – wenn auch
sicherlich eines der bekanntesten.

Zur Forschungsgeschichte des Totenbuches


Eine präzise inhaltliche Auseinandersetzung mit den Texten des Totenbuches war erst nach
der Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion im Jahr 1822 möglich,
doch war man in Europa schon zuvor mit Aegyptiaca vertraut gewesen, die Totenbuchsprüche
überlieferten – freilich ohne diese als solche benennen zu können. So findet sich in einer
medizinischen Abhandlung zur Verwendung von Mumia als Arznei aus dem Jahr 15744 die
wohl älteste abendländische Darstellung von beschrifteten Mumienbinden5. Auch der
Universalgelehrte Athanasius Kircher beschreibt in seinem Werk Œdipus Aegyptiacus
offenabar die Vignette zu Tb 1486. Die erste vollständige Umzeichnung einer Totenbuchrolle
veröffentliche J. M. Cadet im Jahr 1805. Es handelt sich dabei um ein Manuskript in
hieroglyphischer Schrift aus ptolemäischer Zeit, das sich heute in Paris befindet (pCadet =
pParis BN 1-19). Auch die im Dunstkreis der napoleonischen Ägyptenexpedition entstandene
Description de l’Égypte enthält dieses und weitere Totenbücher im Faksimile. Die
zukunftsweisende Basis der wissenschaftlichen Bearbeitung schuf jedoch der deutsche
Ägyptologe Richard Lepsius im Jahr 1842, als er eine Turiner Handschrift (pTurin 1791)
unter dem Titel „Das Todtenbuch der Ägypter nach dem hieroglyphischen Papyrus in Turin“
veröffentlichte. Damit prägte er nicht nur den künftigen Titel eines ganzen Corpus und
drängte den altägyptischen Namen in den Hintergrund, sondern führte auch die bis heute
gültige Zählung der Sprüche (bei Lepsius noch „Kapitel“) ein. Mit der Idee, die weltweit
älteste Sammlung an religiösen Texten zu bearbeiten, wurde im Jahr 1874 die Herausgabe
einer Gesamtedition auf dem 2. Orientalistenkongress in London beschlossen. Ein Schüler
von Lepsius, der Genfer Edouard Naville, wurde mit dieser Aufgabe betraut. Er investierte
mehr als 10 Jahre der Forschung in diese Gesamtedition und brachte im Jahr 1886 seine
dreibändige Edition heraus. Auf Grund der Fülle an Material beschränkte er sich auf
Totenbücher aus dem Neuen Reich. In der Zwischenzeit hatte jedoch der Ägyptologe W.
Pleyte im Jahr 1881 einige Sprüche von Handschriften der Spätzeit bearbeitet und publiziert,
die Papyrus pTurin 1791 nicht tradiert. Da beide Forscher, sowohl Naville als auch Pleyte,
unabhängig voneinander konsequenterweise die von Lepsius begonnene Nummerierung

3
Hornung (1997) bietet einen guten ersten Überblick.
4
Strüppe (1574: ??); Gerner et al. (1995: 24-25).
5
Kockelmann (2008: 3)
6
Kockelmann (2008: 3); Kircher, Oedipus Aegyptiacus III, 420-425.
fortführten, sind die Spruchnummern 166 bis 174 heute für unterschiedliche Sprüche doppelt
vergeben. Natürlich ist die Liste von Wissenschaftern, die sich mit dem Totenbuchcorpus
beschäftigt haben, noch lange. Daher sei an dieser Stelle vor allem auf die umfassenden
Forschungen des so genannten Totenbuch-Projektes Bonn verwiesen7.

Das Totengericht und der Inhalt der Totenbuchsprüche


Nach dem Tod musste jeder Mensch gemäß den ägyptischen Jenseitsvorstellungen seine
Lebensführung vor einem Totengericht rechtfertigen, wobei der Urteilsspruch das weitere
Schicksal und den künftigen Platz im Jenseits bestimmte. Die bildliche Komposition des
Totengerichts zeigt zumeist denselben szenischen Aufbau: Der Totengott Osiris thront in der
Halle der beiden Wahrheiten zusammen mit einem 42-köpfigen Richterkollegium. Vor ihm
steht eine Waage mit einer Feder in der einen, und einem Herzen in der anderen Waagschale.
Es soll also das Herz des Verstorbenen als Organ des Denkens und Fühlens gegen die Feder
der Maat (Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit) Zeugnis ablegen – eine für den
Verstorbenen aus mehreren Gründen nicht ungefährliche Situation: einerseits ist die Balance
der Waage für seine weitere Existenz ausschlaggebend, andererseits hat er keinen direkten
Einfluss auf sein Herz, solange es sich außerhalb seines Körpers befindet. So beschwört der
Verstorbene auch in Tb 30 sein Herz eindringlich: „Mein Herz meiner Mutter, mein Herz
meiner Mutter, mein Herz meiner wechselnden Formen – Stehe nicht auf gegen mich als
Zeuge, tritt mir nicht entgegen im Gerichtshof, mache keine Beugung wider mich vor dem
Wägemeister! Du bist mein Ka, der in meinem Leib ist, mein Schöpfer, der meine Glieder heil
macht. Mögest du hervorgehen zu dem Guten, das uns dort bereitet ist! Mache meinen Namen
nicht stinkend für die Räte, welche Menschen zu Auferstehenden machen! Gut ist das für uns,
gut für den Verhörenden, eine Freude für den, der richtet. Sinne nicht auf Lügen gegen mich
zur Seite Gottes vor dem Größten Gott, dem Herrn des Westens! Siehe, erhoben bist du, so

7
Müller-Roth (2012: 103-104). Online unter: http://totenbuch.awk.nrw.de//
daß du gerechtfertigt bist! (es folgt die Ritualanweisung mit dem Hinweis, dass es sich um
einen sehr alten Spruch aus dem Alten Reich handelt): Zu sprechen über einem Käfer aus
grünem Stein, eingefaßt mit Weißgold, sein Ring aus Silber. Werde gegeben dem
Verstorbenen an seinen Hals. Dieser Spruch wurde in Hermupolis gefunden, unter den Füßen
der Majestät dieses Gottes, geschrieben auf einen Block aus oberägyptischem Sandstein, als
Schriftstück des Gottes selbst, in der Zeit des Königs Mykerinos, durch den Prinzen
Djedefhor, als er sich anschickte, die Tempel des Landes zu inspizieren.8 Dieser Spruch findet
sich oftmals auf der Unterseite von Herzskarabäen geschrieben, die als eine Art Ersatzherz in
den mumifizierten Körper gelegt wurden. Während nun das Herz auf der Waagschale liegt,
rezitiert der Verstorbene das sogenannte „Negative Sündenbekenntnis“ (Tb 125) und beteuert
seinen makellosen und einwandfreien Lebensstil. Ursprünglich lag der Idee einer letzten
Prüfung in Form des Totengerichts sicherlich eine ethische Konzeption zu Grunde, doch
wurde diese durch die Kenntnis um mythische Vorgänge und das aktive Nutzen dieses
Wissens ersetzt. Einerseits ist bereits die Darstellung des bestandenen Totengerichts im Sinne
der Bildmagie wirksam, andererseits wird der Verstorbene in den Texten mit dem
Namenszusatz „wahr an Stimme“ versehen, einem Zusatz der ebenfalls auf ein schon positiv
absolviertes Totengericht verweist. So wird eine ursprünglich als moralische Überprüfung
konzipierte Hürde umgangen und im Vorfeld gemeistert. Das Kennen der richtigen, funerären
Sprüche, die Beteuerung seiner Unschuld und die magischen Vorwegnahme ermöglichen also
im Diesseits, das jenseitige Schicksal zu seinen Gunsten zu beeinflussen. So liegt der
wesentliche Nutzen der Totensprüche also in der praktischen Hilfe und dem magischen
Beistand bei jenseitigen Gefahren, wobei das in den Texten manifestierte Wissen die Existenz
und die Versorgung des Verstorbenen in der Unterwelt sichern sollte. Viele der Sprüche
weisen inhaltliche Parallelen auf und sollen vor gleichgearteten Notlagen bewahren oder aber
Vergleichbares für den Verstorbenen erwirken (wie etwa Atemluft im Totenreich). Die
nachfolgende Zusammenstellung9 ermöglicht einen kursorischen Überblick über die
behandelten Themenkreise einiger Sprüche:

Tb 2-3: Für das Leben nach dem Sterben Tb 4: Gang vorbei auf dem oberen Weg der Erde
Tb 5: Keine Arbeit im Totenreich Tb 6: Uschebti-Spruch
Tb 7: Gang vorbei an der Sandbank des Apophis Tb 8-9: Spruch den Westen zu öffnen
Tb 10-11: Gegen den Widersacher im Totenreich Tb 12: Um aus dem Totenreich herauszugehen
Tb 13: Ein- und Austreten im Westen Tb 14: Um Ärger eines Gottes zu vertreiben
Tb 15: Sonnenhymnus Tb 16: Vignette dazu
Tb 18: Toter triumphiert vor allen Götter-Tribunalen Tb 19: Kranz des Triumphes
Tb 21-22: Spruch um Toten den Mund zu geben Tb 23: Mundöffnung

8
Hornung (1979: 96-97).
9
Hornung (1979); Hornung (1997: 26-28);
Tb 24: Holen von Zauber für den Toten im Totenreich Tb 25: Gegen das Vergessen des Namen des Toten
Tb 26-30: Sprüche vom Herz Tb 31-37: Gegen Krokodile, Schlangen, Käfer
Tb 38: Garantiert Atemluft Tb 39: Kampf gegen Apophis
Tb 40: Vertreibt „Eselverschlinger“ Tb 41: Gegen Schaden
Tb 42: Toter wird göttlich Tb 43: Bewahrung des Kopfes
Tb 44: Gegen das nochmalige Sterben im Totenreich Tb 45: Schutz vor Verwesung
Tb 46: Um im Totenreich am Leben zu bleiben Tb 47: Sicherung des Platzes im Totenreich
Tb 51-53: Gegen Umkehr des Verdauungsprozesses Tb 54-56: Garantiert Atemluft
Tb 57-63: Luft und Wasser im Totenreich Tb 64: Versuch das ganze Buch zusammenzufassen
Tb 65: Spruch, um Macht über den Feind zu haben Tb 66: Spruch, um herauszugehen am Tage
Tb 67: Spruch, das Grab zu öffnen Tb 68-70: Spruch, um herauszugehen am Tage
Tb 71: Lösung aus Totenreich, Bitte um Lebenszeit Tb 72: Erfüllung materieller Bedürfnisse
Tb 73: Variante zu Tb 9 Tb 74: Spruch, um aus der Erde herauszugehen
Tb 75: um in Heliopolis einen Sitz zu empfangen Tb 76-88: Verwandlung in verschiedene Gestalten
Tb 89: Wiedervereinigung von Ba und Körper Tb 90: um Unwirksamkeit im Spruch zu verhindern
Tb 91-92: Freie Bewegung Tb 93: gegen das Überfahren zum Osten
Tb 94: Ausstattung mit Schreibmaterial Tb 95-97: Spruch, um an der Seite Thots zu sein
Tb 98-99: Fährboot Tb 100-102 Mitfahren in der Sonnenbarke
Tb 103: Verstorbener im Gefolge der Hathor Tb 104: Tote wohnt zwischen den großen Göttern
Tb 105: Tote präsentiert sich seinem Ka Tb 106: Erfüllung materieller Bedürfnisse
Tb 107-109: Kennen der Seelen Tb 110: Opfergefilde
Tb 111-116: Kennen der Seelen Tb 117-119: Freier Zutritt ins Reich des Osiris
Tb 120: Variante zu Spruch 12 Tb 121: Variante zu Spruch 13
Tb 122: Eintreten nach Herausgehen Tb 123: Spruch, um in das große Haus einzutreten
Tb 124: Vorbereitung zum Abstieg vor das Tribunal Tb 125: Negatives Glaubensbekenntnis
Tb 126: Feuersee Tb 127: Sonnenlitanei
Tb 128: Hymnus an Osiris Tb 129: Variante zu Tb 100
Tb 130: Mitfahren in der Sonnenbarke Tb 131: Spruch, um an der Seite von Re zu sein
Tb 132: Spruch, um einen Mann umwenden zu lassen Tb 133-134: Mitfahren in der Sonnenbarke
Tb 135 Tb 136: Mitfahren in der Sonnenbarke
Tb 137: Beleuchtung des Jenseits Tb 138: Begrüßung die Götter von Abydos
Tb 139: Variante zu Tb 123 Tb 140
Tb 141-143: Opferlitanei Tb 144-147: Tore des Jenseits
Tb 148 : Sicherung der Nahrung Tb 151: Wichtigste Elemente der Bestattung
Tb 152: Sicherung des Platzes des Toten Tb 153: gegen Fangnetz zwischen Himmel und Erde
Tb 154: Überwindung des Zerfalls des Körpers Tb 155-160: Amulette
Tb 161: Sicherung der Atemluft Tb 162: Kopftafel
Tb 163: Tb 164:
Tb 165: Tb 166: Kopfstütze
Tb 167: Udjat-Amulett Tb 168: Eigenes Unterweltsbuch: Grüftebuch
Tb 169: Spruch, die Bahre aufzustellen Tb 170: Spruch, um die Bahre hochzuheben
Tb 171: Tote soll reines Gewand bekommen Tb 172: Vergöttlichung des ganzen Leibes des Toten
Tb 173: Verstorbener begrüßt als Horus den Osiris Tb 174: Toter soll durch Tor im Himmel gehen
Tb 175: Zwiegespräch über Jenseits Tb 176: Schutz vor Osten und seinen Schlachtstätten
Tb 177-178: Aufstieg zum Himmel Tb 179: Gegen Feinde
Tb 180: Sonnenlitanei Tb 181: Hymnen auf Osiris
Tb 182: Schutz und Regeneration des Toten Tb 183-185: Hymnen auf Osiris
Tb 186: Hathor Tb 187: Eintritt zur Götterneunheit
Tb 188: Ba herabsteigen zu lassen, Häuser zu bauen
und herauszugehen am Tage als Mensch

Einzelsprüche auf Objekten der Grabausstattung


Die Sprüche aus dem Corpus des Totenbuches können sich mitunter auf einzelnen Objekten
der Grabausstattung befinden oder werden mit solchen assoziiert. Berühmt ist vor allem Tb 6,
der Uschebtispruch, der sich häufig auf den kleinen Figurinen findet, die etwaige im Jenseits
anfallende Arbeiten für den Verstorbenen übernehmen sollen. Auch der bereits oben näher
betrachtete Tb 30B auf Herzskarabäen ist ein Beispiel für die Auskopplung eines Spruches
aus dem Totenbuchrepertoire. In der Spätzeit kamen scheibenförmige Objekte in Gebrauch,
die so genannten Hypocephali, die Tb 162 tragen konnten und, unter dem Kopf des
Verstorbenen platziert, neben Wärme und Licht auch Schutz garantierten. Dies sind nur einige
Beispiele dafür, wie einzelne Sprüche auf Grabausstattung geschrieben wurden.

Materialien und Komposition der Totenbücher


Der mittlerweile verschollene Sarg der Königin Mentuhotep aus der 13. Dynastie und das
Sargfragment des Prinzen Herunefer sind die frühesten Träger von Totenbuchsprüchen.10 Die
hier noch eher ungeordnet wirkenden Texte waren scheinbar zunächst exklusiv für
Angehörige der Königsfamilie konzipiert, zeigen aber bereits kurz darauf die ersten
Adaptionen. Die Quellen der 17. Dynastie und des beginnenden Neuen Reichs erscheinen
bald strukturierter und sind jetzt auch Privatpersonen zugänglich, wobei die Sprüche gerne
auf Leichentücher geschrieben werden, da durch Umwicklung der Mumie der magische
Schutz beim Verstorbenen potenziert werden konnte. Als Beispiel für ein königliches
Leichentuch kann das von Thutmosis III. gelten11, eine Stiftung von seinem Sohn Amenophis
II. Auf einer Länge von mehr als fünf Metern enthält es eine Zusammenstellung etlicher
Auszüge von Jenseitstexten, darunter auch Sprüche aus dem Repertoire des Totenbuches.
Zeitlich fällt in diese Phase der frühen 18. Dynastie neben dem Nutzen von beschriebenen
Leichentüchern in Privatbestattungen auch das vermehrte Aufkommen von Papyrusrollen mit
in Kursivhieroglyphen geschriebenen Totenbüchern. Sie werden zur typischen Grabbeigabe
bei nichtköniglichen Begräbnissen und Papyrus entwickelt sich in der folgenden Zeit zum
bevorzugten Medium für Totenbücher. Begünstigt wurde die neue Materialwahl der frühen
18. Dynastie vielleicht durch einen veränderten Sargtyp, denn menschenförmige Särge lösen
im beginnenden Neuen Reich die zuvor üblichen rechteckigen ab und bieten nun weniger
beschreibbaren Platz.12 Als repräsentativer Vertreter eines Totenbuches aus der 18. Dynastie
kann der Papyrus des Schreibers und Rinderzählers Sesostris (pReinisch) aus den Beständen
der Papyrussammlung gelten. Von seiner Totenbuchrolle mit bunt gestalteten Vignetten
haben sich etwa sechs Meter mit über 20 Sprüchen erhalten. Der Text ist in Kolumnen
angeordnet und in Kursivhieroglyphen geschrieben: der Fließtext in schwarzer, Überschriften
bzw. besonders hervorzuhebende Textpassagen in roter Tinte. Rot hatte durch seine
Signalwirkung auch eine apotropäische Komponente. Diese Schutzwirkung konnte beim

10
Geisen (2004); Parkinson, Quirke (1992).
11
Totenbuchprojekt Bonn, TM 133533, <totenbuch.awk.nrw.de/objekt/tm133533> mit Angabe weiterführender
Literatur.
12
Munro (2010: 55).
Schreiben der Namen von gefährlichen Wesen (etwa der Apophis-Schlange) genutzt werden.
Typisch in der Gestaltung ist auch die retrograde (d.h. rückläufige, gespiegelte) Wiedergabe
der Schriftzeichen, deren Hintergrund noch nicht gänzlich geklärt werden konnte. Die
mögliche Bandbreite an Erklärungen für das Verwenden der rückläufigen Schrift reicht von
einer bewussten Textgestaltung aus magischen oder religiösen Gründen hin zur Tradierung
eines ursprünglich unbeabsichtigten Fehlers, der beim Kopieren der Texte immer wieder
weitergeführt wurde.13 Fehler sind dem Schreiber auch beim Verfassen der
Totenbuchhandschrift des Sesostris unterlaufen, obwohl dieses bunt gestaltete Manuskript
einst sicher nicht billig gewesen ist, denn alleine die Farbpigmente für die Ausgestaltung der
Vignetten waren sehr teuer. Dennoch vergaß der Schreiber an zwei Stellen den Namen des
Verstorbenen einzufügen und den magischen Spruch somit zu personalisieren. Diese
Missgeschicke blieben jedoch nicht unbemerkt, denn der Schreiber korrigierte diese, indem er
den Namen nachträglich in der jeweiligen Nebenspalte einfügte. Nicht nur Fehler beim
Textkopieren lassen sich in den Handschriften fassen. Auch sozialgeschichtliche Phänomene
dieser Zeit werden deutlich. So sind die meisten Inhaber von Handschriften in der 18. und 19.
Dynastie männlich. Demnach scheint es auszureichen, wenn Frauen in den Handschriften
ihrer Männer erwähnt bzw. dargestellt werden, sodass der magische Schutz der Texte für sie
mit dem pars pro toto-Prinzip wirksam wird. Hier könnten durchaus finanzielle Überlegungen
eine Rolle gespielt haben, denn die Anschaffungskosten einer Totenbuchrolle waren mit
Sicherheit hoch. Ein anderes Erklärungsmodell findet sich vielleicht im Sozialgefüge des
Alten Ägypten, wo die Ehe gesellschaftlich als Normalzustand galt. Die Darstellung der
Ehefrauen in den Totenbuchpapyri könnte als ferner eine Vorsorge sein, dass die gewohnten
gesellschaftlichen Verhältnisse auch im Totenreich gelten. So überrascht nicht, dass sich die
einzige Abbildung von Pa-ichu, der Gattin des Sesostris, in der gemeinsamen Opferszene
findet und ihr Name nur einmal im darüber geschriebenen Opfertext angeführt wird. Vor dem
Hintergrund der einst teuren Handschriften, die sich nicht jeder leisten konnte, ist es umso
interessanter, dass viele Papyrusinhaber – zu ihrer Zeit sicher betuchte Würdenträger – ohne
oder mit wenigen Amtstiteln bezeichnet werden. Auch pReinisch kann zu dieser Gruppe von
Texten gezählt werden. Bei genauerer Betrachtung dominiert eindeutig die Namensnennung
von Sesostris ohne Titulatur. Bisweilen wird er als Schreiber bezeichnet, eine für sich
genommen wenig aussagekräftige Angabe, die eher Auskunft über seinen gesellschaftlichen
Status gibt und nur ein einziges Mal als Schreiber und Rinderzähler. Im Vergleich dazu ist
jedoch zu beobachten, dass sich der Namenszusatz „wahr an Stimme“, der sich auf das

13
Niwiński (1989: 13-17); Munro (1987: 200-201).
bestandene Totengericht bezieht, beinahe nach jeder Namensnennung findet. Die weltlichen
Titel von Sesostris scheinen also für seinen richtigen Platz im Jenseits weniger bedeutend
gewesen zu sein als die magische Vorwegnahme des bereits positiv absolvierten
Totengerichts. Fehlen nähere Angaben zur Titulatur oder haben sich bloß Bruchstücke eines
Manuskripts ohne weiteren Kontext erhalten, lassen einzig die kunstvolle Gestaltung von Text
und Vignetten den sozialen Status des einstigen Besitzers erahnen. Etwa im Fall eines
kleinen, bemalten Papyrusfragmentes aus den Beständen der Wiener Papyrussammlung: Auf
ihm ist nur der vordere Körperteil eines liegenden Schakals mit rotem Halstuch und
vergoldetem Halsband erhalten. Im Allgemeinen finden sich Vergoldungen in den
Manuskripten eher selten, sind aber nicht auf eine bestimmte Periode begrenzt, wie etwa im
Fall von gleich zwei weiteren ptolemäischen Beispielen aus den Beständen der
Papyrussammlung, die jeweils die Totengerichtsszene zeigen und goldene
Gestaltungselemente aufweisen.
Auch wenn die Texte des Totenbuchs insgesamt beinahe 15 Jahrhunderte hindurch in
Gebrauch waren, gab es durchaus Phasen, in denen nicht auf das Spruchgut zurückgegriffen
wurde. Eine solche Phase ist die Amarnazeit, wo das Erheben des Atonkultes zur
Staatsreligion und die Abkehr von Theben als religiösem und kultischem Machtzentrum auch
direkte Auswirkung auf die traditionellen Jenseitsvorkehrungen hatten und die Produktion der
Totenbuchrollen vollständig zum Erliegen kommt. Dennoch wurden die Texte in dieser
kurzen Zeitspanne nicht vergessen, da bereits bei der Grabausstattung von Tutanchamun ein
Rückgriff auf einzelne Sprüche aus dem Totenbuchrepertoire erfolgte und das Textgut der
Totenbücher in der Ramessidenzeit in privaten und königlichen Beisetzungen beliebt war.
Der gesellschaftliche und ökonomische Wandel in der 3. Zwischenzeit hat auch Einfluss auf
die Bestattungssitten, die nun im Hinblick auf Beigaben und Ausgestaltung der Gräber
reduzierter sind. Bei den nach wie vor beliebten Totenbuchhandschriften lässt sich zusätzlich
ein sozialer Wechsel bezüglich der Inhaber von Totenbüchern festhalten, denn nun weisen
immerhin 68% der Papyri14 weibliche Besitzer auf. Als neuer Typus von Totenbüchern treten
neben die traditionell in Kursivhieroglyphen geschriebenen Handschriften vermehrt auch
hieratisch beschriebene Papyri. Bei diesen ergibt sich eine zwangsläufige Anordnung des
Textes in Zeilen sowie eine Leserichtung von links nach rechts, da nur Hieroglyphen eine
variable Schriftrichtung erlauben. Für die Handschriften dieses neuen Typs sind einige
Merkmale charakteristisch: zumeist weisen sie nur eine Auswahl einzelner Sprüche auf,
wenige, das gesamte Register umfassende Vignetten und gegenüber den Totenbüchern des

14
Munro (2010: 63).
Neuen Reichs eine oftmals reduzierte Blatthöhe. Ihre magische Wirksamkeit entfalten die
zumeist kurzen Handschriften im Sinne des pars pro toto-Prinzips. Die Sorgfalt der
Ausführung bei diesen hieratischen, zumeist kurzen Totenbuchhandschriften weist auf eine
bewusste Auseinandersetzung mit den Texten hin. Im Gegensatz dazu lassen die zeitgleichen,
in Kursivhieroglyphen verfassten Totenbücher diese Sorgfalt in puncto Sprache und
Orthographie vermissen. Typischer Vertreter dieser neuen Totenbücher ist die Handschrift der
Herrin des Hauses und Sängerin des Amun, Aset-em-achbit, die sich heute in den Beständen
der Papyrussammlung findet. Der Text dieses Papyrus beginnt nach der Adorationsszene mit
Tb 134, dessen vorliegender Spruchtitel offenbar bewusst zum Auftakt der Rolle konzipiert
wurde: „Buchrolle, die am Begräbnistag ausgeführt wird; Eintreten nach dem Herausgehen
im Totenreich; einen Befähigten vervollkommnen und ihn sich gesellen lassen ... göttlich, der
im „Stillen Land“ ist; seinen Ba ungehindert aus der Unterwelt herausgehen lassen.“15
Rechts davon befindet sich die das ganze Register umfassende Adorationsszene, die leider
beinahe vollkommen verloren ist. Wie man sich diese Szene vorzustellen hat, zeigt ein
Papyrus aus Heidelberg16: die nach links blickende Verstorbene steht mit erhobenen Armen
vor einem voll beladenen Opfertisch. Ihr gegenüber befinden sich der thronende Totengott
Osiris und die Göttin Isis. Die Inschriften zu dieser Szene sind in sehr kräftigen, schwarzen
Hieroglyphen ausgeführt. In der 3. Zwischenzeit wurden solche Kurztotenbücher oftmals
durch eine weitere Papyrusrolle komplimentiert, da sich innerhalb der thebanischen
Oberschicht die neue Sitte etabliert hatte, mehrere Papyrusrollen als Grabausstattung in das
ewige Leben mitzunehmen. In der Regel enthielt einer davon Sprüche aus dem Totenbuch,
der andere Auszüge aus dem Amduat. Totenbuchrollen aus dieser Zeit können auf der sonst
unbeschriebenen Rückseite auch den Gesamttitel des Werkes anführen. Dies entstammt
möglicherweise der Notwendigkeit, die Texte besser unterscheidbar zu machen, da ja nun
zwei Rollen als Grabbeigabe mitgegeben wurden. Das Amduat, ein ursprünglich königliche
Jenseitstext, der die nächtliche Fahrt des Sonnengottes in den zwölf Nachtstunden von der
abendlichen Dämmerung bis zum Aufgang am frühen Morgen des nächsten Tages
thematisiert, ist vor allem in den dekorierten Königsgräbern des Neuen Reichs dokumentiert.
Die thebanische Amunspriesterschaft beansprucht das einst königliche Privileg in der 21.
Dynastie für sich und verwendet den Text des Amduat nun für Jenseitspapyri oder auf Särgen.
Zumeist wird in den Papyri jedoch nicht der gesamte Inhalt wiedergegeben, sondern man
konzentrierte sich auf die letzten vier Stunden und griff auf die Kurzfassung zurück, die
zuletzt in einer Seitenkammer des Grabes von Ramses II. belegt ist. Auffallend ist vor allem
15
Backes (2009: 23).
16
P. Heidelberg Ä.I. Hieratisch II
der große Spielraum bei der Ausführung der Handschriften mit abgekürzten, vermischten oder
erweiterten Bildelementen. In der 22. Dynastie sinkt die Beliebtheit jedoch wieder und es
werden vorwiegend Einzelmotive verwendet. Da nun zwei Totenpapyri den Verstorbenen ins
jenseitige Leben begleiten sollen, stellt sich umso mehr die Frage nach deren Positionierung
im Grab. Oftmals wurde eine Rolle zur Mumie gelegt, während die andere häufig in einer
Osirisstatuette verwahrt wurde. Solche Figuren, deren Basis oder Körper für die Aufnahme
des Papyrus ausgehöhlt war, wurden bis in die 22. Dynastie für Papyri verwendet.17 Die
Anfänge von eigenen Behältnissen zur Aufbewahrung von Papyrusrollen reicht bis in die 19.
Dynastie zurück. Die beiden einander ergänzenden Texte konnten jedoch durchaus
unterschiedlich deponiert werden, denn einen festen Platz für die Niederlegung gab es
offenbar schon im Neuen Reich nicht. Die unterschiedlichen zeitlichen und regionalen
Vorlieben sind letztlich nur durch dokumentierte Fundkontexte zu erschließen. Freilich sind
diese Informationen bei den meisten der heute bekannten Papyri verloren. Ein Leitmotiv
scheint jedoch die physische Nähe der Totenpapyri zum Verstorbenen zu sein – ein logischer
Hintergrund, da sich so der magische Schutz am besten entfalten konnte. Es ergeben sich
daher vielfältige Möglichkeiten, die Texte als Grabbeigabe zu positionieren: die Papyri
konnten auf dem Sarg, auf oder neben der Mumie oder an dieser befestigt werden. In der
Mumienwicklung verborgene Papyri mit Jenseitstexten sind auch noch in römischer Zeit
bekannt, wie etwa bei einer Mumie18 aus dem 2. Jh. n. Chr., die in ihrer äußeren
Leinenwicklung einen kurzen Totentext19 enthielt (siehe Abb. ## Detailaufnahme Mumie).
Einige Mumien in der ptolemäischen Zeit verdeutlichen besonders anschaulich den Wunsch,
die Texte so nah wie möglich beim Körper des Verstorbenen zu positionieren, sind sie doch
gleich in die Papyri eingewickelt worden.20 Dies erinnert auch an die schmalen
Mumienbinden21, die zumindest ab dem 4. Jh. v. Chr. immer beliebter werden und auf Grund
ihrer geringen Höhe oftmals meterlang waren. Auch aus den Anfängen der Totenbuchtexte
sind beschriebene Leichentücher bekannt, doch folgen die rund 1000 Jahre später
aufkommenden, zumeist schmalen Binden der Spät- und Ptolemäerzeit nun anderen Vorgaben
und imitieren Layout, Textanordnung und Vignettendarstellung der Papyrushandschriften
ihrer Zeit.22 Die wohl älteste abendländische Darstellung beschrifteter Mumienbinden stammt
aus dem Jahr 1574 und findet sich in einem medizinischen Traktat über die vielfältige

17
Niwinski (1989: 6-7).
18
Mumie aus dem Landesmuseum Klagenfurt AE II: Horak (1999: 60-61).
19
Hoffmann (1999: 61-62).
20
Munro (2010: 61).
21
Kockelmann (2008).
22
Kockelmann (2008: 91); Quirke (1999: 37).
Anwendung von ägyptischen Mumien als Arzneimittel (mumia).23 Seit dem 19. Jahrhundert
waren die Mumienbinden und die Totenbuchhandschrifen auf Papyrus begehrte
Sammlerstücke und wurden daher oft von den Mumien getrennt und manchmal zerschnitten.
Obwohl die beschriebenen Bandagen drei Jahrhunderte lang bis in spätptolemäische Zeit
verwendet wurden, ist die Information über etwaige Kriterien der Anbringung am Leichnam
durch die fehlenden Kontexte heute verloren. Die Anordnung der auf den Mumienbinden
angeführten Totenbuchsprüche richtet sich beinahe immer nach den Vorgaben der so
genannten Saitischen Rezension. Nachdem die Produktion der Totenbücher in der 23. bis 25.
Dynastie erliegt, erlebt das Spruchgut in der nachfolgenden 26. Dynastie, der Saitenzeit, eine
Wiederbelebung – allerdings waren die Texte einer rigiden Redaktion unterworfen worden.
Diese erbrachte eine nie zuvor angewandte Standardisierung und Kanonisierung bei der
Anordnung der Sprüche und Vignetten. Die Vorgaben der Saitischen Rezension sollten bis
zur endgültigen Abkehr von den Texten gültig bleiben. Handschriften aus der 26. Dynastie
verwenden charakteristischerweise die hieratische Schrift, während in der ptolemäischen Zeit
daneben auch wieder hieroglyphische Totenbücher (Kat.-Nr. Aeg 8345) produziert wurden,
wobei diese in vielen Handschriften sogar wieder retrograd ausgeführt werden. Trotz der
Kanonisierung der Texte lassen sich in der Gestaltung aber auch lokale Traditionen
feststellen, die auf Werkstätten zurückgeführt werden können. So ist etwa das so genannte
Totenbuch der n Taruma dem memphitischen Stil zuzuordnen. Neben Theben und Memphis
war auch Achmim eine produktive Stätte für Totenbücher. In der zweiten Hälfte der
ptolemäischen Zeit ist ein signifikanter Einbruch bei der Verwendung der Totenbücher zu
verzeichnen und bis zur Zeitenwende kommt es zur Aufgabe dieses traditionellen Spruchguts.
Die Motive, die zu dieser Entwicklung führten, sind letztlich nicht vollständig fassbar. Auf
jeden Fall treten nun andere funeräre Texte in den Vordergrund, wie etwa die Bücher vom
Atmen oder das Buch vom Durchwandeln der Ewigkeit. Motive aus dem Totenbuch leben
aber weiter und werden beispielsweise noch auf römischen Leichentüchern tradiert.

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Strüppe 1574; Germer et al. (1995: 24-25); Kockelmann (2008: 3).

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