Was hat Anstand mit der Kleidung

zu tun?
Ich bin interessiert und fasziniert, mehr über den Islam zu lernen und habe eben
euren Artikel über Frauen und Anstand gelesen. Er hat mich verwirrt und es gibt
einige Fragen, die ich hoffentlich hier stellen kann. Ich verstehe Anstand als ein
Verhalten – bescheiden sein, anspruchslos, wahrgenommen werden für die netten
Dinge, die man tut im Gegensatz zu seiner Erscheinung und wirklich altruistisch
sein – aber ich verstehe nicht, was das mit der Kleidung zu tun hat.

Der Artikel scheint zu implizieren, dass Frauen die nicht übergroße Kleidung
tragen, vielleicht auch noch Kopftuch/Schleier, und die ihre Arme und Beine
entblößen, dies ausdrücklich tun, um sexuelle Avancen hervorzurufen oder sexy
auszusehen. Und ich weiß wirklich nicht, wie man zu diesem Schluss kommt. Ist
es nicht so, dass egal, was man trägt – ob bescheiden, kulturell bewusst oder
freizügig - es eine Form von Selbstausdruck ist? Vielleicht denke nur ich, dass wir
alle für unser eigenes Verhalten verantwortlich sind und wenn jemand denkt,
mein ärmelloses Shirt – das ich getragen habe, weil ich es mag, oder weil es
draußen heiß ist, oder weil ich mich gut darin fühle oder es grade sauber war, egal
warum – sexy ist, dann ist das eine Reaktion, die unangemessen ist, nicht
unbedingt das Kleidungsstück. Und sagt der Artikel, dass Männer (und
zwangsläufig auch Frauen) sexuell so aufgeladen sind, dass sie sich nicht selbst
kontrollieren können oder eine Situation einschätzen und sich unangemessen
verhalten? Ist jeder so mit Sex beschäftigt, dass es alles ist, was wir denken, sehen
und sind?

Ich verstehe das Argument, dass es sehr schön ist, für etwas wahrgenommen zu
werden, was man ist, und nicht nur, wie man aussieht, aber diese Form der
“anständigen Bekleidung” wird oft schon bemerkt, bevor man die Person damit
bemerkt (besonders dort, wo es unpopulär und/oder im Westen). Und sicherlich
enthüllt sich dem Betrachter (egal wo) das Geschlecht, so dass die Frau sich
zwangsläufig “schüchtern” oder auf andere Weise unangenehm fühlt. Ich würde
wirklich gerne ein paar Gedanken dazu als Antwort hören.

P.S. Ich liebe “The world in pictures” auf dieser Seite. Sie sind großartig.

Ælfwine Mischler

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Salam, Freund.

Danke für deine Fragen. Ich weiß nicht, welchen Artikel genau du gelesen hast,
aber ich habe viele über dieses Thema gelesen und so kann ich einschätzen, was
für ein Inhalt dort stand.

Ich muss sagen, dass ich mit einigen Dingen übereinstimme. Aber ich will von
Anfang an klar machen, dass die islamischen Kleidungsvorschriften obligatorisch
für muslimische Frauen sind. Von einigen wurde behauptet, dass es ausreiche,
wenn eine muslimische Frau sich “bescheiden” kleidet, nach den Standards der
Gesellschaft, in der sie lebt und dass sie nicht ihr Haar bedecken müssen z.B., aber
dieses Argument wird nicht von Koran und Sunnah (Praxis des Propheten –
Friede und Segen sei auf ihm) und dem Konsens der islamischen Gelehrten im
Laufe der Zeit.

1. Lass mich beginnen, indem ich mit deinem Kommentar “Ich verstehe Anstand
als ein Verhalten … aber ich verstehe nicht, was das mit der Kleidung zu tun hat.”

Ich finde das seltsam, denn ich sehe jemandes Kleidung als sehr grundlegendes
Verhalten, von der Entscheidung an, welche Kleidung man kauft bis zur
Entscheidung, was man zu einer Gelegenheit anzieht, sogar im Haus. Früher, als
ich in die katholische High school ging, mussten wir Mädchen alle die gleiche
Uniform tragen, ein Rock, eine Bluse und Jacke und ob die Schulregeln oder
unsere Mütter es vorschrieben, die Röcke mussten alle dieselbe Länge haben,
genau bis zum Knie. Aber es gab Mädchen, die schoben ihre Röcke hoch zur Taille,
sobald sie aus dem Haus raus waren, damit mehr von ihren Beinen zu sehen war.
Sie wussten sicher, was sie taten, dass sie die Blicke der Jungen anzogen. Ihre
Unbescheidenheit war direkt damit verbunden, wie sie sich kleideten.

Geh in irgendein Shoppingcenter, Büro oder öffentlichen Ort und du wirst eine
Bandbreite von Kleidung von Frauen und Männern finden. (Lass uns nicht
vergessen, dass Männer auch die Verantwortung haben, sich anständig zu
kleiden.) Kannst du mir ehrlich sagen, dass du diese Menschen nicht zuerst
beurteilst, nicht mal ein wenig, je nachdem, was sie tragen? Ich rede hier nicht nur
über “Anstand”. Würdest du einen Anwalt trauen, der dich zum ersten Mal in
seinem Büro in Shorts und T-Shirt empfängt? Vertraust du einem Arzt, der einen
Mechanikeroverall trägt? Würdest du froh sein, wenn dein Ehemann eine
Privastsekretärin hat, die Miniröcke und weitausgeschnittene Tops trägt?

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Tatsache ist, dass Menschen sich normalerweise anders verhalten, wenn sie anders
gekleidet sind und bewusst oder nicht, wir neigen dazu, Menschen – Männer und
Frauen – nach der Art zu beurteilen, wie sie sich kleiden.

2. Du hast auch geschrieben, “Ist es nicht so, dass egal, was man trägt – ob
bescheiden, kulturell bewusst oder freizügig - es eine Form von Selbstausdruck
ist?”

Darin stimme ich absolut mit dir überein.

In einigen islamischen Gesellschaften, wo die Tradition vorschreibt, dass die Frau

eine bestimmte Form von Kleidung trägt – wie Chador oder Burka – gibt es
weniger Möglichkeiten des Selbstausdrucks. Aber selbst dort kann eine Frau
möglicherweise etwas tragen, was bestickt ist (vielleicht noch in derselben Farbe
wie die Kleidung), um erkannt zu werden und was sie darunter trägt, kann sie
zeigen, wenn sie andere Frauen besucht als Form des Selbstausdrucks.

In Gesellschaften, wo die Frauen einen weiten Bereich zur Wahl haben – wie hier
in Ägypten oder in westlichen Gesellschaften – ist ihre Kleidung definitiv eine
Form des Selbstausdrucks. Viele von uns hier entscheiden sich für weite, lange
Kleidung und Kopfbedeckungen in unterschiedlichem Stil, aber wie haben eine
Bandbreite an Farben und Wahlmöglichkeiten, wie verziert die Kleidung sein soll.
Und alle diese Wahlmöglichkeiten sagen etwas über uns und unsere soziale Klasse
– auch zu einem Teil unser Bekenntnis zum Islam – auch wenn für Außenstehende
die Botschaft nicht so klar ist.

3. Du hast auch geschrieben, “dass wir alle für unser eigenes Verhalten
verantwortlich sind und wenn jemand denkt, mein ärmelloses Shirt – das ich
getragen habe, … egal warum – sexy ist, dann ist das eine Reaktion, die
unangemessen ist, nicht unbedingt das Kleidungsstück.”

Ja, wir sind alle für unser eigenes Verhalten verantwortlich. aber Teil unseres
Verhaltens ist, wie wir uns kleiden. Eine wahrhaft bescheidene Frau würde ihre
ärmellose Bluse nur im Haus tragen oder mit einer Jacke drüber und sie würde
sicher gehen, dass sie was Sauberes im Haus hat, das sie draußen tragen kann.

Ich denke nicht, dass es fair ist zu sagen, wie du in deinem Beispiel, wenn jemand
denkt, deine ärmellose Bluse ist sexy, ist er für seine unangemessene Reaktion
verantwortlich. Wir wissen, dass bestimmte Kleidungsstile wahrscheinlich
bestimmte Reaktionen hervorrufen und wenn wir diese Reaktionen nicht wollen,
dann sollten wir diese Kleidung nicht tragen.

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4. “Und sagt der Artikel, dass Männer (und zwangsläufig auch Frauen) sexuell so
aufgeladen sind, dass sie sich nicht selbst kontrollieren können …? Ist jeder so mit
Sex beschäftigt, dass es alles ist, was wir denken, sehen und sind?”

Nein, nicht jeder ist so aufgeladen, dass er sich nicht mehr kontrollieren kann, aber
einige Menschen sind es. Da wir sie nicht immer erkennen, warum sollten wir sie
reizen? Nein, Sex ist nicht alles, was wir denken, sehen und sind, aber für viele
Menschen ist er ein großer Teil ihres Lebens.

Ich muss zugeben, dass ich auch immer etwas ungeduldig bin mit Artikeln, die
Frauen auf eine Art und Weise erzählen, sie müssen Hijab tragen, dass es sich
anhört, als ob Männer sich überhaupt nicht kontrollieren könnten.

Der Koran sagt uns, uns so zu kleiden, dass wir als Gläubige erkannt werden,
nicht nur, um nicht sexuell belästigt oder verletzt zu werden. Ich erinnere mich an
eine Mormonin, die ich vor einigen Jahren traf, sie mir sagte, dass sie auch eine
Kleidervorschrift haben, auch wenn sie nicht so streng ist wie die islamische.
“Aber ein einem heißen Sommertag, kannst du genau sagen, wer ein Gläubiger ist
und wer nicht.”, sagte sie.

5. Deine letzte Bemerkung war “Ich verstehe das Argument, dass es sehr schön ist,
für etwas wahrgenommen zu werden, was man ist, und nicht nur, wie man
aussieht, aber diese Form der “anständigen Bekleidung” wird oft schon bemerkt,
bevor man die Person damit bemerkt (besonders dort, wo es unpopulär und/oder
im Westen). Und sicherlich enthüllt sich dem Betrachter (egal wo) das Geschlecht,
so dass die Frau sich zwangsläufig “schüchtern” oder auf andere Weise
unangenehm fühlt.”

Ich denke, du sprichst hier zwei Punkte an. Ich werde mit dem zweiten beginnen,
dass sich “sicherlich …. sich dem Betrachter (egal wo) das Geschlecht” enthüllt.
Daran ist nichts Falsches. Tatsächlich ist es Muslimen verboten sich wie das andere
Geschlecht zu kleiden. Die meisten Menschen tragen Kleidung (oder wenigstens
eine Frisur), die ihrem Geschlecht entspricht und ich bezweifele, dass viele
Arbeitgeber glücklich wären, einen Angestellten zu haben (besonders einen
Mann), der wie das andere Geschlecht gekleidet auftaucht. Es gibt also keinen
Grund, warum eine Frau sich unwohl fühlt, weil die Leute sehen können, dass sie
eine Frau ist. Denk daran, dass der Koran uns aufträgt, dass Männer und Frauen
(in dieser Reihenfolge) ihre Kleidung über sich ziehen sollen und ihren Anstand
bewahren.

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Du hast recht, natürlich, wenn du sagst, dass eine Frau im Hijab zuerst für ihre
Kleidung bemerkt wird, bevor sie selbst bemerkt wird. Ich verstehe das so, dass du
meinst, sie wird als Ergebnis davon das Opfer von Vorurteilen.

Meine eigene Erfahrung beim Tragen von Hijab in den Vereinigten Staaten (vor
dem 11. September 2001) war positiv. Ich trug dort über 10 Jahre Hijab und ich
kann an einer Hand die dummen Kommentare, die deshalb kamen, abzählen. Die
meisten Menschen sahen es als eine Art religiöse Tracht – sie waren nicht immer
sicher, welche Religion – aber ich wurde oft mit extra Respekt behandelt wegen
meiner Kleidung.

Ja, traurigerweise haben die Geschehnisse von 9/11 das für viele muslimische
Frauen geändert. Dennoch haben nur wenige von uns den Hijab weggemacht, weil
wir darauf bestehen, dass es unser Recht ist, unsere Religion zu praktizieren und
uns dementsprechend anzuziehen. Also sind wir nun die Opfer von Vorurteilen,
so wie die Schwarzen und andere rassische oder ethnische Gruppen es sind oder
waren. Der Unterschied ist, dass während sie ihre Hautfarbe nicht ändern können,
könnten wir die Art uns zu kleiden ändern – aber sie meisten von uns tun das
nicht. Unser Hijab ist so weit Teil von uns geworden, dass wir ihn nie ablegen
könnten und wir stolz sind, ihn zu tragen.

Muslime müssen nun tun, was jene anderen getan haben, die Opfer von
Vorurteilen waren, um ihre Rechte zu bekommen: die Leute lehren, wer und was
wir sind; aktive Mitglieder unserer Gemeinden werden; unsere Fälle vor Gericht
bringen; uns für unsere Rechte einsetzen, etc. Es mag ein langer Kampf sein, aber
wir fassen Mut im Wissen, dass wir unserem Schöpfer gehorchen und Er uns für
unsere Anstrengungen belohnen wird.

Und eine Frau hat einiges an Spielraum in der Art des Hijabs, den sie trägt, also
muss sie nicht “exotisch” aussehen, während sie dennoch den islamischen
Kleidungsvorschriften Rechnung folgt.

Ich hoffe, diese Anmerkungen haben die Dinge für dich etwas geklärt, Meredith.
Ich hoffe, du wirst weiter über den Islam lernen. Wenn du weitere Fragen hast,
sende sie uns bitte.

Danke und Salam.

Quelle:
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