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Mrz 2009

Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik

Diskurs
Das Grundeinkommen in der gesellschaftspolitischen Debatte
Gesprchskreis

Sozialpolitik

Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung

Das Grundeinkommen in der gesellschaftspolitischen Debatte

Stephan Lessenich

WISO Diskurs

Friedrich-Ebert-Stiftung

Inhalt

Vorbemerkung

1. Die Krise der Arbeitsgesellschaft und die Renaissance der Grundeinkommensdebatte 2. Die fnf Giganten der Gegenwart und die Zukunft des Sozialstaats 3. Money for nothing? Das Grundeinkommen als Chiffre gesellschaftspolitischen Wandels 4. Sozialdemokratie, Vorsorgender Sozialstaat und Grundeinkommen 5. Pessimismus des Verstands, Optimismus des Willens: Politik mit dem Grundeinkommen 6. Literatur 7. Informationen zum Autor 32 35 40 17 26 10 4

Diese Expertise wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-EbertStiftung verffentlicht. Die Ausfhrungen und Schlussfolgerungen sind von dem Autor in eigener Verantwortung vorgenommen worden.
Impressum: Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Gestaltung: pellens.de Godesberger Allee 149 53175 Bonn Fax 0228 883 9205 www.fes.de/wiso Druck: bub Bonner Universitts-Buchdruckerei ISBN: 978-3-86872-053-2

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Vorbemerkung

Die vorliegende Expertise geht auf die Debatte zum Vorsorgenden Sozialstaat zurck, die wir im Rahmen des Gesprchskreises Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung gefhrt haben. Auslser fr die Vergabe einer Expertise war die Kritik an dem Konzept zum Vorsorgenden Sozialstaat: Im Rahmen dieser Diskussion wurden Argumente vorgetragen, die das Verhltnis von Staat und Brger problematisierten: Im Zentrum dieser Argumente standen die Thesen, dass die Interventionen des Sozialstaates auf die Strkung der Eigenverantwortung und Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens ausgerichtet sind. Alle und alles msse sich dem gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohl unterordnen. Es wrde sich um eine Neuausrichtung der Sozialpolitik handeln, die in erster Linie auf die Herstellung von Marktfhigkeit abzielt. Auch die Bereiche Bildung und Familie mssten sich diesem Ziel unterwerfen. Diese Neuausrichtung werde begleitet von einem mehr oder minder sanften Zwang auf die Brger, ihr Verhalten im Sinne der sozialpolitischen Ziele und Manahmen auszurichten. Dies aber, so die weitere Argumentation, bedarf eines Gegenentwurfs zum Wertekanon des Konzeptes eines Vorsorgenden Sozialstaates. Bei diesem Gegenentwurf mssen die sozialen und materiellen Voraussetzungen dafr geschaffen werden, die verbrgten Freiheits- und Beteiligungsrechte aller zu garantieren, offen und neutral gegenber den Lebensentwrfen zu sein

und der brchiger werdenden Existenzsicherung durch geschtzte Erwerbsarbeit gerecht zu werden. Nicht in allen, aber doch einigen Konzepten zum Bedingungslosen Grundeinkommen scheint es sich um eine solche Gedankenfhrung zu handeln: Es geht keineswegs nur um die Bestimmung einer existenzsichernden Einkommenshhe, sondern es geht um das Verhltnis von Brger und Staat. Da wir die Argumente der Vertreter eines Bedingungslosen Grundeinkommens ernst genommen haben und uns mit ihnen auseinander setzen wollten, haben wir Professor Lessenich von der Universitt Jena darum gebeten, eine Expertise zu erstellen, die wir mit mehreren Workshops begleitet haben. Es ging bei dieser Vergabe nicht darum, Konzepte zum Bedingungslosen Grundeinkommen blo aufzulisten und ihre Unterschiede oder hnlichkeiten zu beschreiben. Vielmehr sollte herausgearbeitet werden, wie die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen in die sozialpolitische Landschaft einzuordnen ist. Es sollte auch beleuchtet werden, wie sich die Grundideen zum Vorsorgenden Sozialstaat und Bedingungslosen Grundeinkommen zueinander verhalten. Wir bedanken uns an dieser Stelle beim Autor fr seine konstruktive Zusammenarbeit. Peter Knig Leiter des Gesprchskreises Sozialpolitik

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Alle Wirklichkeit ist die Utopie von gestern alle Utopie ist die Wirklichkeit von morgen. Franz Oppenheimer (1925)1

1. Die Krise der Arbeitsgesellschaft und die Renaissance der Grundeinkommensdebatte

Das Grundeinkommen ist zurck. Nach einem langen Jahrzehnt der Abwesenheit hat es zuletzt erneut Eingang gefunden in den Argumentationsund Deutungshaushalt der deutschen Sozialstaatsdebatte. Anders als es in der Sozial(politik)geschichtsschreibung die Regel ist, lsst sich der Ausgangspunkt der jngsten diskursiven Wiederbelebung der Grundeinkommensidee im deutschen Kontext recht eindeutig identizieren: Es war die Agenda 2010 bzw. konkret Hartz IV, sprich die nach Selbsteinschtzung der politischen Initiatoren grte Sozialreform der bundesdeutschen Geschichte bzw. die, selbst nach Meinung der dem Reformpaket grundstzlich wohl gesonnenen Medien, grte Krzung von Sozialleistungen seit 19492 , die der Diskussion um das Grundeinkommen hierzulande neuen Auftrieb gegeben hat. Wenn nun die Friedrich-Ebert-Stiftung fnf Jahre nach Gerhard Schrders Regierungserklrung zur sozialdemokratischen (bzw. damals rotgrnen) Strategie, um wieder an die Spitze der wirtschaftlichen und der sozialen Entwicklung in Europa zu kommen3, eine Expertise zur gesellschaftspolitischen Bedeutung des Grundeinkommens in Auftrag gibt, dann trgt sie damit letztlich den sozialen, politischen und diskursiven Konsequenzen von Hartz Rechnung. Denn wie immer man sich zu den unter diesem (auf unglckliche Weise personalisierten bzw. persona-

lisierenden) Etikett rmierenden Arbeitsmarktreformen auch persnlich und/oder politisch positioniert haben und positionieren mag: In gewissem Sinne lsst sich durchaus berechtigter Weise behaupten, dass sozialpolitisch seither in Deutschland die Wiederholung dieser im Zeichen von 9/11, Finanzmarktkrise und Barack Obamas Wahlsieg mittlerweile recht abgegriffenen Formel sei entschuldigt nichts mehr ist, wie es einmal war.4 Die vorliegende Expertise hat es sich zur Aufgabe gestellt (bzw. stellen lassen), in einem ohnehin verminten Gelnde gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung, das durch die anhaltenden Konfrontationen rund um Sinn und Zweck, Wohl und Wehe der Hartz-Reformen politisch-emotional noch weiter aufgeladen worden ist, selbst Position zu beziehen. Dies allerdings in einer spezischen Weise: mit dem Ziel nmlich, die jngere Grundeinkommensdebatte moderierend zu sondieren und zu fokussieren. Die Fremdwortlawine des letzten Halbsatzes hat ihren guten Sinn, denn sie bringt in drei Worten auf den Punkt, woran sich die nachfolgende Studie seitens des Auftraggebers wie seitens der sich rund um die Grundeinkommensidee rankenden Diskursgemeinschaft messen lassen will (und wird messen lassen mssen): Sie will vorsichtig erkunden (sondieren), also auskundschaften und Auskunft darber geben, worum es bei der wis-

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Franz Oppenheimer, System der Soziologie, Bd. 2: Der Staat, Stuttgart: Fischer, 2. unvernd. Au. 1964, S. 730. Vgl. Soldt 2003. Zentrale Passagen des damaligen Kanzlers historischer Bundestagsrede vom 14. Mrz 2003 lassen sich im Wortlaut nachlesen in Heft 5/2003 der Bltter fr deutsche und internationale Politik (S. 616624). Christine Trampuschs Titel Sozialpolitik in Post-Hartz Germany (fr ihren 2005 erschienenen, die politischen Hintergrnde der Reform beleuchtenden Beitrag) ist insofern auch wenn man ber dessen neudeutsche Brechung streiten mag glcklich gewhlt.

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senschaftlich-politischen Debatte um das Grundeinkommen eigentlich geht. Sie will auf diese Weise den Streit um die Grundeinkommensproblematik auf ihren Brennpunkt hin ausrichten (fokussieren), also den Meinungs-, Deutungsund Positionierungskampf scharf stellen und die Strahlkraft der Debatte in ihrem gesellschaftspolitisch zentralen Punkt vereinigen: in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Zukunft von Sozialstaat und Demokratie in einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft. Schlielich will sie dies in zweifacher Hinsicht moderierend tun, nmlich in einer den allzu hug konfrontativen, wechselseitig delegitimierenden und desavouierenden Schlagabtausch von Befrwortern und Gegnern migenden Weise und in einer Form, die darauf angelegt ist, die bislang gngige Diskussions-Struktur monologischer Selbstvergewisserungen beider Seiten zu berwinden und deren destruktive Lust an der feindseligen Beschuldigung in eine produktive Praxis dialogischer Bezugnahme zu berfhren.5 Und all dies geschieht, in einem nicht dienstfertigen Sinne, im Dienste der Sozialdemokratie, was heien soll: zwar nicht im Namen, aber doch im Interesse einer gleichermaen realistischen, innovativen und emanzipatorischen sozialpolitischen Praxis der sozialdemokratischen Bewegung. Damit ist (und sei) auch gleich vorab gesagt, was die vorliegende Expertise nicht bietet, bieten kann und bieten will: Zum einen eine umfassende Ideen- und Sozialgeschichte des Grundeinkommenskonzepts und seiner Trger, zum anderen einen systematischen berblick ber die in der gegenwrtigen Debatte kursierenden Spiel- und Lesarten desselben. Zu beiden Gegenstnden gibt es ein reichhaltiges Angebot qualitativ hochwertiger und leicht zugnglicher Literatur, die es an dieser Stelle nicht zu duplizieren gilt.6 Vielmehr

werde ich mich im Folgenden zum einen auf die Rekonstruktion der jngeren Diskursgeschichte des Grundeinkommens beschrnken und mich zum anderen ganz bewusst auf die (Moderation der) Auseinandersetzung mit der starken Variante desselben dem bedingungslosen Grundeinkommen konzentrieren. Denn nur in der Gegenberstellung des deutschen Sozialstaatsmodells und der sozialdemokratischen Politikkonzeption mit dem ideellen und materialen Gehalt einer derartig radikalen sozialpolitischen Innovation, wie es das Bedingungslose Grundeinkommen wre, kann die hier vorgelegte Studie ihr Erkenntnisziel so fokussieren, wie es die gegenwrtige Lage herausfordert: im Sinne nmlich der Sondierung der Mglichkeiten und Grenzen einer Vernderung des gegenwrtigen sozialstaatlichen Vergesellschaftungsmodus.

Die Grundeinkommensdebatte gestern und heute


Die erste intensive ffentliche Debatte um die Grundeinkommensidee wurde im Westdeutschland der 1980er Jahre gefhrt. Ein Blick auf den sozialgeschichtlichen Kontext jener Debatte frdert zwei wesentliche Faktorenbndel ihrer gesellschaftlichen Ermglichung zutage: Zum einen die soziokonomische Konstellation einer nach dem Zweiten Weltkrieg neuartigen Erfahrung strukturell verfestigter Massenarbeitslosigkeit, der betrieblichen Implementation neuer, nach-fordistischer Produktionskonzepte sowie der verbreiteten sozialwissenschaftlichen Rede wenn auch mit rhetorischen Fragezeichen versehen vom Ende der Arbeitsteilung7 oder gar der Arbeitsgesellschaft8; zum anderen die soziopolitischen Phnomene des Aufschwungs der so genannten

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Vgl. hierzu grundlegend Zima 1989 sowie, auf den operativen Prozess wissenschaftlich-politischer Wissensvermittlung bezogen, Kalbitzer 2006. Vgl. aus der Flle der (gerade auch neueren) Literatur zur Geschichte der Grundeinkommensidee z.B. Vanderborght & Van Parijs 2005 oder Vobruba 2006, fr eine Synopse der unterschiedlichen Angebote im Wettbewerb der Konzepte z.B. Strengmann-Kuhn 2007 oder Netzwerk Grundeinkommen 2008. Beide Funktionen erfllt auch das Diskussionspapier Das Grundeinkommen in der deutschen Debatte, das Bjrn Wagner im Januar 2008 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat und das der vorliegenden Expertise als Materialanhang dient. Vgl. die bahnbrechende industriesoziologische Studie gleichen Titels von Kern & Schumann 1984. Symptomatisch hierfr und die sozialwissenschaftliche Debatte des gesamten Jahrzehnts prgend waren die Verhandlungen des Bamberger Soziologentages von 1982 (vgl. Matthes 1983).

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Neuen (feministischen und kologischen) Sozialen Bewegungen, der zunehmenden gesellschaftlichen Relevanz post-materialistischer Einstellungs- und Deutungsmuster und schlielich als institutionalisierter Ausdruck beider Tendenzen des politischen Erfolgs der GRNEN als (zumal in der Retrospektive deutlich erkennbar) sptbrgerlich-wohlstandsgesellschaftliche Partei neuen Typs. Buchtitel wie Befreiung von falscher Arbeit, Freiheit von Armut oder gar Wege ins Paradies9 knden vom libertr-emanzipatorischutopischen Charakter der im mainstream der sptbundesrepublikanischen Grundeinkommensdiskussion kursierenden Konzeptionen: Worum es hier im Kern ging, war die berwindung der industriell-kapitalistischen Vergesellschaftungsform mitsamt ihrer Arbeits- und Lebensweisen. Eine andere Lebenswelt ist mglich, so knnte man das sptere Credo der globalisierungskritischen Bewegung rckwirkend auf die gewissermaen in kleinerem Mastab denkenden und operierenden links-alternativen Theoretiker des Grundeinkommens ummnzen. Der Stand der Produktivkrfte in den fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften ermgliche so die ber allfllige politische Differenzen hinweg wirksame Grundberzeugung der Protagonisten eine radikale Begrenzung des gesellschaftlichen Reichs der Notwendigkeit, und das Grundeinkommen sollte als verteilungspolitischer Hebel des bergangs nicht nur in eine andere Republik (einer der zentralen negativen Kampfbegriffe der bundesdeutschen politischen Kultur), sondern in eine andere Gesellschaft wirken. Der Fall der Berliner Mauer vor nunmehr fast zwei Jahrzehnten entzog dieser originr westdeutschen Debatte ebenso jh wie nachhaltig den Boden. Bekanntermaen hat die Implosion der staatssozialistischen Gesellschaftsformation alle anti-, post- oder sonstwie nicht-kapitalistischen Gesellschaftsentwrfe fr mindestens ein Jahrzehnt in der tiefstmglichen Versenkung ffentlichen Desinteresses verschwinden lassen. Fr die Grundeinkommensidee bestanden ber diese

baisse gesellschaftskritischer Konzeptionen aller Art hinaus aber besonders schlechte Voraussetzungen politischer Nachfrage. Nicht nur, dass die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten (und, wenngleich in deutlich geringerem Mae, die Gesellschaftstransformation in den Lndern Mittel- und Osteuropas) den ffentlichen Aufmerksamkeitshaushalt der 1990er Jahre weitgehend in Anspruch nahm und nicht nur, dass im Zeichen der Globalisierung und eines jahrelang multimedial wtenden Standort-Diskurses Knappheitsfragen die politische Agenda in einem Mae und auf eine Weise dominierten, dass irgendwelchen Grundeinkommensbltentrumen praktisch jegliche Chance zur Artikulation genommen war. Ein weiterer, vielleicht entscheidender Punkt kam hinzu: Mehr noch als die alte Bundesrepublik konnte die untergegangene DDR als Arbeitsgesellschaft par excellence gelten mit entsprechenden Prgewirkungen auf Mentalitten und Dispositionen der so genannten neuen Bundesbrger.10 Mit der deutschen Einheit feierte die in manchen politischen und (mehr noch) akademischen Milieus tot oder wenigstens im Sterben liegend geglaubte Erwerbsarbeitsgesellschaft in hchst widersprchlicher Weise (un)frhliche Urstnd: Der massive, gesellschaftshistorisch einmalige Verlust an (industriellen) Arbeitspltzen in Ostdeutschland bestrkte die arbeitsgesellschaftlichen Normen, Normalittsannahmen und Identikationsmuster gleichsam ex negativo zuallererst natrlich im Osten selbst, letztlich aber in Deutschland insgesamt. Doch mit Hartz IV, der Agenda 2010 und dem aktivierenden Sozialstaat nahm die Geschichte der Grundeinkommensdebatte eine neuerliche, unverhoffte Wendung. Die Ankndigung11 und nachfolgende Durchsetzung von Leistungskrzungen und einer Politik des Frderns und Forderns von erwerbsfhigen Erwerbslosen hatte politisch-soziale Konsequenzen von ungeahnter Reichweite und zwar jenseits der bloen Reorganisation der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Nicht nur hat sich (was fr sich selbst genommen schon von erheblicher Tragweite wre) das

9 Vgl. zu den entsprechenden Titeln Schmid 1984, Opielka & Zander 1988, Gorz 1983. 10 Vgl. hierzu beispielsweise Kohli 1994 und Hoffmann 2005.

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Parteiensystem der Bundesrepublik entlang der Konikte um die Hartz-Reformen neu konguriert. Diese Verschiebung parteipolitischer Frontlinien (und die andauernde Krise der SPD nach Schrder)12 war zudem Ausdruck und ihrerseits Katalysator einer zunehmend breiteren gesellschaftlichen Thematisierung neuer sozialer Fragen von Armut und sozialer Ungleichheit, Prekaritt und Exklusion, Spaltung und Unsicherheit, abgehngten Unter- und abstiegsgefhrdeten Mittelschichten.13 All diese Themen erweisen sich nun aber als Nhrboden einer unverhofften Renaissance der Debatten um das Grundeinkommen Debatten, die erkennbar weniger als in den 1980er Jahren akademischer Natur sind, sondern von einer erstaunlich breiten und lebendigen Infrastruktur aueruniversitrer und nicht-wissenschaftlicher Initiativen, Kampagnen und Vernetzungen getragen werden.14 Obwohl autonome Politik eher in den Achtzigerjahren als heute angesagt war, vermitteln diese Initiativen derzeit deutlich mehr den Eindruck einer autonomen Bewegung fr ein Grundeinkommen15 ein organisationspolitischer Sachverhalt, der fr die Eigenstndigkeit und Dauerhaftigkeit der neuen Grundeinkommensdebatte spricht.

Jenseits des Freund-Feind-Schemas: Ein vorsichtiger Versuch der Verstndigung


Was die damit seit einigen Jahren (wieder) lebendige Debatte um das Grundeinkommen allerdings wesentlich und vermutlich sogar mehr noch als in Zeiten ihrer letzten, ersten bundesdeutschen Hochkonjunktur kennzeichnet, ist

ihr hochgradig konfrontativer Stil. Auf beiden Seiten des Grabens zwischen Verfechter(inne)n und Gegner(inne)n der Grundeinkommensidee wird starkes rhetorisches Geschtz aufgefahren, und zumal wie gewohnt insbesondere dann und dort, wenn und wo innerhalb des linken politischen Spektrums, das uns hier vorrangig interessieren soll, gestritten wird. Beide Koniktparteien sind schnell bei der Hand mit Vorwrfen und Verdchtigungen (besonders beliebt hier natrlich das wechselseitige NeoliberalismusVerdikt), mit Unterstellungen und Disqualizierungen (gerne wird etwa das Urteil gefllt, die Gegenseite habe Marx nicht richtig verstanden oder erst gar nicht gelesen), ja auch mit kollektiven Ausgrenzungsversuchen und Herabwrdigungen bis hin zur persnlichen Entwertung. Wiewohl bisweilen unertrglich (und auch inakzeptabel), lsst sich diese Heftigkeit und zum Teil Erbittertheit der Debatte analytisch durchaus verstehen: als Ausdruck eines Kampfes nmlich zwischen zwei linken, je fr sich mit ernsthaft progressivem und emanzipatorischem Anspruch anund auftretenden Sozialmilieus. Dass das eher gewerkschaftsnahe, erwerbsgesellschaftlich orientierte Milieu dabei tendenziell die noch dickeren (Verbal-)Keulen gegen das eher postmateriell-libertre Milieu (bzw. dessen Erben) schwingt als umgekehrt16, ist in dieser Perspektive ebenfalls nachvollziehbar. Denn die aufstrebenden (hug jungen) Propagandist(inn)en des Grundeinkommens gefhrden in gewissem Sinne etablierte, ja durchaus: herrschende Positionen, sie greifen mit dem Schwung des Parvenus kollektive Grundberzeugungen und etablierte Deutungsmuster der anderen Seite als traditio-

11 Wir werden Leistungen des Staates krzen, Eigenverantwortung frdern und mehr Eigenleistung von den Betroffenen fordern mssen, so die unfrohe Botschaft des damaligen Bundeskanzlers im Mrz 2003 (vgl. o., Fn. 3). 12 Vgl. dazu die ausfhrliche Analyse von Nachtwey 2008 und die brillante Polemik von Minkmar 2008. 13 Die wenn man so will boomende Literatur zur politischen Soziologie sozialer Ungleichheit im neuen Wohlfahrtsstaat ist ein Symptom dieser neuen sozialen und gesellschaftspolitischen Lage(n). Vgl. aus der Flle der einschlgigen Titel z.B. Kronauer 2002, Castel 2005, Bhnke 2006, Bude & Willisch 2006, Lessenich & Nullmeier 2006, Vogel 2007, Bude 2008, Bude & Willisch 2008, Lessenich 2008, Paugam 2008, Castel & Drre 2009. 14 Kristallisationskern dieser Bewegung ist das im Jahr 2004 gegrndete Netzwerk Grundeinkommen (www.grundeinkommen.de), das seinerseits mit dem seit 1986 existierenden Basic Income Earth Network (BIEN) vernetzt ist. 15 Vobruba 2006, S. 178. 16 Die Sammeletiketten fr beide Lager mssen notwendig plakativ und unterkomplex bleiben und sollen nach Absicht des Verfassers, auch wenn sich dies in der Rezeption nie vermeiden lassen wird, mglichst wenig normativ-wertende Assoziationen transportieren. Die vorsichtig vergleichende Aussage zum Kaliber der Geschtze auf beiden Seiten beruht selbstverstndlich auf der persnlichen Beobachtung und Wahrnehmung des Konikts und ist damit durchaus diskutabel.

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nalistisch, konservativ oder gar gestrig an und stellen deren Legitimitt damit grundlegend in Frage. So wird vielleicht verstndlich (wenn auch nicht gut), dass die linken Gegner des Grundeinkommens dieses als Weg ins Nirvana, als Strategie sozialstaatlich alimentierter Exklusion, als gefhrliche, ja fatale Politik der Stilllegungsprmien fr die berssigen dieser Gesellschaft oder die Zitate sind relativ wahllos ausgesucht als neurmisch-modernes Arrangement von Brot und Spielen (dis)qualizieren.17 Da lsst sich die Gegenseite dann umgekehrt nicht lange bitten, legt ebenfalls die harten Bandagen an und sieht die Funktionre der sozialen Ordnung in Gedanken schon auf dem Appellplatz der Arbeit die Fahne hissen.18 So gefhrt, und sei es auch nur in Gedanken, bilden und zeichnen sich in der jngeren (linken) Debatte um das (bedingungslose) Grundeinkommen doch eher die Umrisse einer intellektuellen Brgerkriegsordnung als jene einer produktiven Diskursformation ab. Die vorliegende Expertise tritt nun mit dem Anspruch an, diese erkennbar auer fr die Protagonisten offenkundig hochgradig unproduktive Auseinandersetzung nicht einfach zu reproduzieren (und damit bereits verfestigte Konfrontationslinien gar noch weiter zu vertiefen). Auf die (Selbst-)Verstndigung des wenn man dies nach Hessen denn so sagen darf linken Lagers hinsichtlich der Notwendigkeiten und Mglichkeiten zuknftiger Sozialstaatsreform zielend, sucht sie eine konstruktive Wendung der Grundeinkommensdebatte zu befrdern.19 Der auftraggebenden Institution gem wird in diesem Kontext die (in einer umgangssprachlichen Form vielleicht am treffendsten formulierte) Frage, was die Sozialdemokratie denn mit der Idee des

Grundeinkommens anfangen soll, den Rahmen und Fluchtpunkt der Analyse darstellen. Entsprechend sollen im Folgenden auch inhaltliche wie strategische Anknpfungspunkte der Grundeinkommensidee an das Konzept des vorsorgenden Sozialstaats eruiert werden, wie es sich im Zuge der jngsten Programmdiskussion der SPD herauskristallisiert hat. Schon in den 1980er Jahren bestand ein wesentlicher und politisch vermutlich der wichtigste Erfolg der damaligen Grundeinkommensdebatte in der Sensibilisierung sozialdemokratischer Akteure fr die Bedeutung einer Politik der (im Kontext des Bismarckschen Sozialversicherungsmodells eigentlich systemwidrigen) sozialen Mindestsicherung.20 Und auch heute, so die (nun eben nicht mehr) geheime Hoffnung der Studie, sind es kurz- und mittelfristig ja vielleicht solcherart kleine, aber sozial wie sozialpolitisch hchst bedeutsame Schritte, die durch die ernsthafte Auseinandersetzung mit der im Grundeinkommen symbolisierten Idee eines groen Sozialreformwurfs angestoen werden knnten. Dieser Storichtung entsprechend werden die weiteren Ausfhrungen weniger einer normativen als vielmehr einer (mglichst strikt) analytischen Herangehensweise folgen und, ganz klassisch-soziologisch, statt von moralphilosophischen berlegungen von den sozialen Tatsachen ausgehen: von jenen sozialen Herausforderungen des Sozialstaats21 bzw. der sozialstaatlich vermittelten Gesellschaftsordnung, die gegenwrtig wissenschaftlich und politisch unter der Diagnostik einer wachsenden Ungleichheit und Unsicherheit der Lebensverhltnisse verhandelt werden.21 Dieser Realittsschwenk der Diskussion22 muss und soll keineswegs heien, allen zumeist normativ-moralisch grundierten Utopien einer

17 Zu den Zitaten vgl. Ernst 2007, Busch 2007, Schroeder 2008 (S. 59f.), Krtke 2007. 18 So z.B. Engler 2007. 19 Nachtrag Februar 2009: Vgl. in diesem Sinne jetzt auch den zumindest formal dialogisch angelegten Band von Neuendorff et al. 2009. 20 Wenn die Diskussion damals berhaupt einen politischen Effekt gehabt hat, dann den: Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die bis dahin auf eine strikte Anbindung von Sozialleistungen an abhngige Erwerbsttigkeit festgelegt waren, ffneten sich angesichts solcher viel weiter gehender Vorschlge zumindest der Idee eines Einbaus von Grundsicherungselementen in die bestehenden Sicherungssysteme. (Vobruba 2006, S. 184). Zu Geschichte und Reform der Bismarckschen Wohlfahrtssysteme vgl. jetzt auch Palier & Martin 2008. 21 Vgl. Fn. 13 zur einschlgigen soziologischen Literatur sowie als Versuch einer Systematisierung der Debatte Dyk & Lessenich 2008. 22 Wie ihn zurecht Georg Vobruba (2006, S. 184) einfordert.

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anderen (sozialen) Welt abzuschwren.24 Worum es vielmehr geht, ist der im Folgenden aus der soziologischen Beobachterperspektive unternommene Versuch, den utopischen Gehalt der Grundeinkommensidee im Lichte der realen gesellschaftlichen Verhltnisse und Bedingungen zu diskutieren, und das heit (um nur die vielleicht wichtigsten Faktoren notwendiger und letztlich unhintergehbarer Realittsnhe zu nennen): im Wissen um die institutionelle Logik und Schwerkraft des bestehenden sozialstaatlichen Arrangements, um die herrschenden gesellschaftlichen Macht- und politischen Krfteverhltnisse sowie nicht zuletzt um die Sorgen und Nte25, Interessen und Erwartungen, Vorstellungen und Praktiken der Menschen. Es sind dies die realen begrenzenden oder aber gegebenenfalls auch ermglichenden Faktoren der Auseinandersetzung um das Grundeinkommen, bei der es im Kern um eine einfache gesellschaftspolitische Alternative geht: um den Gegensatz von entweder staatsbrgerschaftlich universellen, bedingungslosen oder aber erwerbsgesellschaftlich gebundenen, bedingten materiellen (und davon ausgehend immateriellen) Teilhaberechten. Machen wir uns nichts vor: Dieses

gesellschaftspolitische Entweder-Oder kann nicht leichthin26 in ein sozialpolitisches, zivilgesellschaftliches oder sonstwie konstruiertes Und umdeniert werden. Doch unterhalb derartiger Homogenisierungsvisionen (um nicht zu sagen: -ideologien) erscheint es durchaus mglich, alte und neue, erwerbsgesellschaftlich und staatsbrgerschaftlich gerahmte Deutungsmuster moderner Sozialstaatlichkeit miteinander ins Gesprch zu bringen26 und damit eine sozial-politische Bewegung anzustoen bzw. zu befrdern, durch die ein Arrangement des Neuen im Alten am Horizont des Mglichen auftaucht. Um eine solche, wie auch immer geartete Verknpfung, Verkoppelung, Vernetzung des Alten und des Neuen wird es zuknftig hart zu ringen, zu streiten und, ja: zu kmpfen gelten ohne sich jedoch auf jenes Feld der Feindschaft ziehen zu lassen, auf dem jede linke Position, sei sie nun revolutionr oder reformistisch gemeint, unweigerlich ihren emanzipatorischen Charakter verlieren muss.28 Zur Realisierung dieses groen Ziels soll und will die vorliegende Studie einen wie sagt man doch gerne kleinen, bescheidenen Beitrag leisten.

23 Schon das dieser Studie als Motto vorangestellte Zitat des liberalen Sozialisten Franz Oppenheimer sollte einer solchen Deutung entgegenstehen. 24 Die hier verwendeten Anfhrungszeichen sollen allein auf den gngigen Sonntagsredencharakter der politischen Inanspruchnahme dieses menschlichen Faktors verweisen. 25 Will heien: durch sozialwissenschaftlich-grospurigen Voluntarismus oder Dezisionismus. 26 Zu Idee und Realisationsformen eines solchen, wissenschaftlich vermittelten kritischen Dialogs der Diskurse vgl. zusammenfassend Kalbitzer 2006, S. 297ff. (s.o., Fn. 5). 27 Vgl. hierzu den wenngleich ratlosen, so doch ermutigenden Beitrag von Zelik 2008.

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2. Die fnf Giganten der Gegenwart und die Zukunft des Sozialstaats

Der Sozialstaat steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nach dem Ende der langen Nachkriegszeit, vor groen Herausforderungen. Man muss nicht in die allfllige Rede von einer Krise des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements einstimmen29, um darauf hinzuweisen, dass der in den vergangenen drei Jahrzehnten vollzogene Wandel des kapitalistischen Vergesellschaftungsmodus den Sozialstaat als konstitutiven Teil dieser Vergesellschaftungsprogrammatik unter massiven Vernderungsdruck gesetzt hat. Der entgrenzte, exible, wissensbasierte und nanzmarktgetriebene Kapitalismus des spten 20. Jahrhunderts, der gegenwrtig mit noch offenem Ausgang zum Gegenstand massiver, international koordinierter staatlicher Sorgearbeit geworden ist,30 hat das auf den nationalen, standardisierten, industriellen Kapitalismus zugeschnittene Nachkriegsmodell des (west-)europischen Sozialstaats zunehmend alt aussehen31 lassen. Zwar ist es keineswegs so, als habe sich wie marktliberale (und evidenzresistente) Kritiker des Sozialstaats im Zweifelsfall immer noch gerne behaupten das berkommene sozialpolitische Institutionensystem in der Vergangenheit als vllig rigide, sprich vernderungsresistent und reformunfhig, erwiesen.32 Doch hat dieses Institutionensystem, das in seiner Funktionslogik durch und durch von den Ar-

beits- und Lebensweisen der hochindustriellen Gesellschaftsformation der Nachkriegszeit geprgt ist (und die Arbeits- und Lebensweisen dieser so genannten fordistischen ra umgekehrt mageblich geprgt hat), in der Tat mit dem Tempo der soziokonomischen und soziokulturellen Vernderungen in jngerer Zeit nicht mithalten knnen.33 Der Sozialstaat hinkt dem Wandel der kapitalistischen Produktionsweise und der durch diesen Wandel sich stellenden (um es ganz klassisch auszudrcken) sozialen Frage hinterher bzw. genauer, im Plural einer pluralistischen Gesellschaft formuliert, den neuen sozialen Fragen unserer Zeit: Offensichtlich verlaufen der Wandel der Lebensbedingungen und der Wandel des Sozialstaates nicht deckungsgleich.34

William Beveridges Five Giants der Nachkriegszeit


Die Frage, die sich in diesem Kontext stellt, lautet also nicht, ob der institutionelle Wandel des Sozialstaats im postfordistischen, sptindustriellen Zeitalter weitergeht, sondern vielmehr, in welche Richtung der Sozialstaat sich in Zukunft bewegen wird und soll. Getreu der bereits explizierten soziologischen Perspektive dieser Experti-

29 Gute analytische Grnde sprechen dafr, den Sozialstaat als inhrent krisenhaft zu verstehen, was an seiner strukturellen (und eben strukturell problematischen) Ausgleichs- und Vermittlungsfunktion zwischen konomischen Erfordernissen des kapitalistischen Produktionssystems und politischen Forderungen des demokratischen Reprsentationssystems liegt. Vgl. dazu, im Anschluss an die Sptkapitalismus-Theorie von Offe (2006), Lessenich 2008 (S. 70f.). 30 Zu den einzelnen Elementen dieser Kurzcharakterisierung des neuen Kapitalismus knnte man ebenso eine eigene Expertise schreiben wie zur wundersamen und widersprchlichen Wiederkehr des Staates in den Zeiten des Neoliberalismus. Da beides hier offensichtlich nicht mglich ist, mssen nicht nur die Leser, sondern muss auch der Verfasser an dieser Stelle mit derartigen Verkrzungen (und dem etwaigen rger darber) leben. 31 Die Diagnose vom Veralten des sozialstaatlichen Arrangements geht auf Kaufmann (1997) zurck. 32 Diese gngige sozialpolitische Reformstau-Diagnose der 1990er Jahre habe ich fr den deutschen Fall ausfhrlich zu widerlegen versucht, vgl. Lessenich 2003a. 33 Aus institutionalistischer bzw. instutionenpolitischer Sicht ist dies alles andere als berraschend und eigentlich nur schwerlich jener politischen Moralisierung und Skandalisierung zugnglich, auf die marktliberale Interessen in den vergangenen Jahrzehnten man muss sagen: nicht nur in den anglophonen Lndern, sondern auch hierzulande uerst erfolgreich gesetzt haben. 34 Fehmel 2007, S. 3.

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se sind es die sozialen Herausforderungen des Sozialstaates, die im Zentrum der hier zu vollziehenden wissenschaftlichen Supervision der neueren Grundeinkommensdebatte stehen. Betrachtet man diese Herausforderungen in ihrer Breite und ihrer Tragweite, dann erscheint die Erinnerung an die berhmten, von William Beveridge dereinst identizierten Five Giants der Nachkriegszeit nicht ganz weit hergeholt ebenso wenig wie die im Weiteren praktizierte, analoge Rede von den fnf Giganten gegenwrtiger Sozial(staats)reform (und damit zuknftiger Sozialpolitikgeschichte). Zur Erinnerung: Beveridge35 legte Ende 1942 im Auftrag der britischen Regierung unter dem Titel Social Insurance and Allied Services einen auch als Beveridge Report (welt)bekannt gewordenen Plan zur Reform des britischen Wohlfahrtsstaats vor, der nach 1945 unter der LabourRegierung Attlees Zug um Zug (allerdings, wie nicht nur in Deutschland blich, nicht unbedingt eins zu eins) umgesetzt wurde. Entstanden auf dem Hhepunkt des Zweiten Weltkriegs, ersonnen und durchgefhrt unter den spezischen historischen Bedingungen eines allgemein als nationale politische Aufgabe erachteten sozialen Wiederaufbaus nach Beendigung der Kriegshandlungen, war der Beveridge-Plan ein beeindruckendes, bis heute wohl einzigartiges Dokument umfassender ffentlicher Sozialverantwortung. Er wurde getragen nicht nur durch die gleichsam kaum zu vermeidende kollektive Einsicht aller politischen Akteure in die materiale Notwendigkeit staatlicher Sozialhilfen, sondern auch von einem lodernden Idealismus in Bezug auf die Schaffung einer neuen, gerechten Gesellschaft, fr die zu kmpfen es sich gelohnt haben sollte. Jobs, homes, health, education, and a decent standard of living: Das war, um es in eine mglichst kurze Formel zu bringen, das Versprechen fr den typischen britischen Arbeiterhaushalt, der Leib und Leben fr Krone und Vaterland eingesetzt

(und womglich gar verloren) hatte.36 Wie an der Auistung der Zielgren erkennbar, sollte der neue britische Wohlfahrtsstaat der im Grunde genommen auch erst seither als solcher bezeichnet werden kann nicht allein auf der Umgestaltung der Einkommenstransferleistungen, sondern auch und vor allen Dingen auf der Neuausrichtung von sozialen Diensten und sozialer Infrastruktur beruhen. Das Beveridge-Modell moderner Sozialstaatlichkeit ging ber einen bloen Fokus auf Geldzahlungen zugunsten einer umfassenden (heute wrde man wohl sagen: total quality management-) Perspektive auf die Verbesserung der Lebenslage sozialer Akteure hinaus. Die problematisierenden Konzepte, mit denen Beveridge damals den grundlegenden Reformbedarf des zuknftigen Sozialstaates ins Bewusstsein von Politik und Publikum rief, sind als die so genannten ve giants die fnf sozialpolitischen Grundbel seiner Zeit in die Sozialpolitikgeschichte eingegangen: Want, Ignorance, Disease, Squalor, Idleness. Gegen jedes dieser Riesenbel schlug Beveridge ein eigenes Instrument sozialpolitischer Bearbeitung vor und erst dieses gesamte Instrumentarium schien ihm hinreichende Garantien fr eine effektive Politik des sozialen Fortschritts zu bieten. Ein Wohlfahrtsstaat, der seinen Namen verdiene, knne sich nicht auf Programme zur Sicherung eines angemessenen (Mindest-)Einkommens in den typischen Notlagen der Lohnarbeiterexistenz konzentrieren oder gar darauf beschrnken selbst wenn, wie es Beveridge grundstzlich forderte, der Zugang zu diesen sozialen Sicherungssystemen offen gestaltet, also von der britischen Tradition der stigmatisierenden Bedrftigkeitsprfung (means testing) abgelassen und zum Prinzip des universellen Rechtsanspruchs bergegangen werde. Want, verstanden als Mangel an monetren Mitteln zur unmittelbaren Sicherung des alltglichen Lebensunterhalts (sprich: Armut), sei nur ein Teil der riesigen sozialen Pro-

35 William Henry Beveridge (1879-1963), konom und Parteignger der Liberalen, ursprnglich leitender Staatsdiener in der britischen Arbeitsverwaltung und sodann langjhriger Direktor der renommierten London School of Economics, ist Zeit seines Lebens prototypisches Beispiel einer Karriere an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik gewesen. 36 Die soziologische Reformulierung des Beveridge-Plans, die fundamentale Bedeutung fr die weitere Wohlfahrtsstaatsforschung erlangt hat, stammt von Thomas H. Marshall (1949).

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bleme der Zeit, und eine auf die Bekmpfung dieses bels zugeschnittene Sozialversicherung daher auch nur ein Teil der Problemlsung.37 Groe Gruppen der britischen Bevlkerung und damit die britische Gesellschaft litten zudem an Unwissenheit (bzw. mangelnder Bildung Ignorance), Krankheit (bzw. mangelndem Gesundheitsschutz Disease) und Schmutz (womit mangelhafte Wohnverhltnisse gemeint waren Squalor), was folglich intensive politische Anstrengungen im Sinne einer Garantie des universell-egalitren, also freien und gleichen Zugangs zu ffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, ffentlichen Gesundheitsdiensten und ffentlich gefrdertem Wohnraum notwendig mache.38 All diese Manahmen sollten schlielich im Kontext einer neuartigen Verantwortung der ffentlichen Hand fr eine Politik der Vollbeschftigung, also des freien und gleichen Zugangs zur Erwerbsarbeit, stehen einer aktiven Politik gegen das bel der Arbeitslosigkeit also. Dass Beveridge diesen Giganten auf dem Weg zum sozialen Wiederaufbau allerdings nicht Unemployment oder Joblessness nennt, sondern als Idleness sprich: Miggang bezeichnet, ist in der Tat bezeichnend. Denn diese Begriffswahl verweist nicht nur auf die lange, auch damals noch lebendige britische Tradition einer liberalen Armenpolitik, der die arbeitsfhigen Armen als undeserving poor, d.h. als eine der ffentlichen Hilfe unwrdige Population, galten. Sie ist ber den britischen Fall hinaus39 Ausweis der tiefen kulturellen Verankerung einer erwerbsgesellschaftlich geformten und wohlfahrtsstaatlich institutionalisierten Arbeitsethik, die in der Redewendung vom Miggang als

aller Laster Anfang berhistorisch-alltagsweltlichen Ausdruck gefunden hat und noch heute erkennbar die Grenzen, bzw. genauer: eine der wesentlichen Grenzen jeglichen sozialpolitischen Universalismus markiert. Wir werden uns im Folgenden mit dem im Beveridge-Plan aufscheinenden, erwerbsgesellschaftlichen Deutungsmuster des Miggangs noch ausfhrlicher beschftigen (mssen), denn eben an dieser Deutung entznden sich (nicht nur hierzulande) auch heute noch die argumentativen Schlachten der Grundeinkommensdebatte.

Am Ende der langen Nachkriegszeit: Die fnf Riesen der Gegenwart


Es muss nicht eigens betont werden, dass die sozialen Herausforderungen der Gegenwart gnzlich anderer Natur und Qualitt sind als jene, die (der seit 1946 in den Adelsstand erhobene) Sir William Beveridge zur Mitte des 20. Jahrhunderts vor Augen hatte. Wir bewegen uns denken, handeln und argumentieren heute in den hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften in einem Kontext nicht von Zerstrungen der materiellen Infrastruktur und wirtschaftlicher Unterversorgung weiter Teile der Bevlkerung, sondern im Rahmen eines historisch nie dagewesenen, in der Breite wirksam gewordenen, die individuellen wie kollektiven Lebensfhrungsmuster tiefgreifend prgenden gesellschaftlichen Wohlstands. Not und materieller Mangel durch fehlende Produktionsmglichkeiten gehren der Vergangenheit an, die ungeheuren (und sich nach wie vor fortsetzenden) Produktivitts-

37 Daher der Titel Social Insurance and Allied Services in der deutschen bersetzung der Zeit: William H. Beveridge, Der Beveridgeplan. Sozialversicherung und verwandte Leistungen. Bericht, Zrich: Europa-Verlag 1943. [O]rganisation of social insurance should be treated as one part only of a comprehensive policy of social progress. Social insurance fully developed may provide income security; it is an attack upon Want. But Want is only one of ve giants on the road of reconstruction and in some ways the easiest to attack. The others are Disease, Ignorance, Squalor and Idleness. (Beveridge 1942, S. 6) 38 Nachdem bereits 1944 der Education Act verabschiedet worden war, unternahm die neue Labour-Regierung nach ihrem erdrutschartigen Wahlsieg 1945 innerhalb weniger Jahre die gesetzliche Umsetzung diesbezglicher Manahmen, u.a. mit dem Family Allowances Act 1945, dem National Insurance Act 1946, dem National Health Service Act 1946 (1948 in Kraft getreten), dem National Assistance Act 1948, dem Children Act 1948 sowie dem Housing Act 1949. 39 Vgl. z.B. fr den US-amerikanischen Kontext Katz 1989. 40 Das Bewusstsein dieser grundlegenden Vernderungen ist denn auch der systematische Ausgangspunkt fr die berlegungen der Grundeinkommensbefrworter zur gesellschaftlichen Angemessenheit sowie zur prinzipiellen Finanzierbarkeit ihrer Idee; vgl. Bischoff 2007, S. 55 (auch fr das Zitat im Text).

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steigerungen der vergangenen Jahrzehnte haben Beveridges Gesellschaftsutopie Freedom from Want in den fortgeschrittenen Marktkonomien des Westens realisierbar werden lassen.40 Und dennoch: In eben diesem Rahmen, auf eben diesem Entwicklungsstand der sptindustriellen Gesellschaft erleben wir gegenwrtig die Wiederkehr in neuem Gewand der sozialen Fragen, die Renaissance sozialer Ungleichheiten und Ungleichheitserfahrungen, die Rckkehr der Unsicherheit in die Mitte der Wohlstandsgesellschaft.41 Diese Prozesse haben viel mit dem bereits angesprochenen Wandel vom fordistischen zum exiblen Kapitalismus zu tun, nicht weniger aber auch mit dem bislang nur angedeuteten, eben jenen Wandel sozialpolitisch nachvollziehenden, selektiven Umbau des Sozialstaats von einem sorgenden zu einem gewhrleistenden, von einem auf abstiegsvermeidende Statussicherung des Normalarbeitnehmers zielenden zu einem auf die quasi-unternehmerische Eigenverantwortung und Selbstsorge exibler Arbeitskrfte setzenden institutionellen Arrangement.42 Dieser bergang entfaltet sehr ungleiche Wirkungen an unterschiedlichen Orten der Gesellschaft. Der Entzug der Statussicherung hat in der Mitte der Gesellschaft andere Konsequenzen als in deren Randlagen dort geht es um die Prekaritt des Wohlstands, hier um die Verfestigung der Armut.43 An beiden bzw. an vielen Orten aber in der Mitte wie an den Rndern, im verunsicherten Facharbeitermilieu wie im expandierenden Niedriglohnsektor, in prekren Wohlstandslagen wie im abgehngten Prekariat44,

in der Zone der Vulnerabilitt wie in jener der Entkoppelung45 erhalten die sozialen Fragen gegenwrtig eine Dringlichkeit, eine Dynamik und eine Relevanz, wie sie ihnen zuletzt vielleicht tatschlich vor ber einem halben Jahrhundert, an der Schwelle zum Zeitalter der langen Nachkriegsprosperitt, zu eigen waren.46 In diesem, mit Blick auf Beveridges Zeiten zugleich eingeschrnkten wie doch auch wieder gleichgerichteten Sinne soll hier von den fnf Riesen auf dem Weg zur Rekonstruktion des Sozialstaats der Gegenwart die Rede sein. Anders als bei Beveridge sollen allerdings der spezischen Ausgangssituation fortgeschrittener Wohlfahrtsstaatlichkeit Rechnung tragend die gigantischen Zukunftsaufgaben unserer Zeit von vornherein positiv bestimmt werden, somit nicht Mngellagen, sondern Zielbestimmungen als Schlagworte der Sozialreform dienen: Arbeit, Bildung, Partizipation, Autonomie, Mue. Arbeit. Die letzte (und zugleich oberste) Bezugsgre des Beveridge-Plans ist auch und anders kann es gar nicht sein die erste des Sozialstaats der Zukunft. Die Lohnarbeit als Strukturmerkmal der kapitalistischen Vergesellschaftung, die Zentralitt der Erwerbsarbeit fr die individuelle und kollektive Lebensfhrung, fr die Denk- und Handlungsweisen in dieser Gesellschaft sind soziale Tatsachen ersten Ranges; sie lassen sich nicht wegdiskutieren. Doch ebensolche Tatsachen sind auch selbst wenn man berzogene Krisendiagnosen nicht teilen mag der Strukturwandel der Erwerbsarbeit, die langsame Erosion der Normalarbeit, die in den letzten

40 Das Bewusstsein dieser grundlegenden Vernderungen ist denn auch der systematische Ausgangspunkt fr die berlegungen der Grundeinkommensbefrworter zur gesellschaftlichen Angemessenheit sowie zur prinzipiellen Finanzierbarkeit ihrer Idee; vgl. Bischoff 2007, S. 55 (auch fr das Zitat im Text). 41 Vgl. dazu die in Fn. 13 und 22 angegebene Literatur sowie ergnzend die wunderbare wohlfahrtsstaatliche Zeitdiagnostik von Berthold Vogel (2004). 42 Auch dieser Umbau ist Gegenstand einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher Analysen geworden. Vgl. stellvertretend fr viele andere, die diesen Prozess unter dem Stichwort des aktivierenden Sozialstaats verhandeln, z.B. Trube & Wohlfahrt 2001, Lessenich 2003b, Ullrich 2004. 43 Vogel 2004, S. 41. 44 Dieses kunstvolle, zu berraschender ffentlicher Bekanntheit gelangte Synonym fr die soziale Materialitt der Unterschicht in der bundesdeutschen Gesellschaft ist bekanntlich im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung kreiert worden (vgl. Neugebauer 2007, S. 82ff.). 45 So die in der wissenschaftlichen Diskussion mittlerweile gngigen Begrifichkeiten der Sozialstrukturanalyse Robert Castels (vgl. z.B. Castel 2000b). 46 Mit seiner Themenwahl (Unsichere Zeiten. Herausforderungen gesellschaftlicher Transformationen) hat jngst der 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft fr Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universitt Jena eben diesen sozialen Tatsachen Rechnung zu tragen versucht.

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Jahrzehnten vollzogenen Vernderungen in den Mglichkeiten, Bedingungen und Formen abhngiger Beschftigung, die Ausweitung von persnlichen Selbstverwirklichungsansprchen an die (und in der) Erwerbsarbeit, die Tendenzen auch eines erweiterten Verstndnisses und zwar nicht allein in so genannten alternativen Milieus von gesellschaftlich sinnvoller Ttigkeit jenseits der Erwerbsarbeit. Man sollte beide Seiten nicht gegeneinander ausspielen wollen: Wir leben in einer Gesellschaft, die durch und durch Erwerbsgesellschaft ist, aber ihren Charakter als solche erkennbar verndert. Gesellschaftlich bzw. gesellschaftspolitisch relevante Vorstellungen einer zuknftigen sozial(staatlich)en Ordnung werden an dieser Doppeldiagnose nicht vorbeikommen eine konstruktive Debatte um das Grundeinkommen dementsprechend ebenso wenig. Sie wird sich vielleicht an Robert Castels als Schlussfolgerung seiner groen Chronik der Lohnarbeitsgesellschaft gezogene Deutung eines nicht blo akuten, sondern aller Voraussicht nach auch in Zukunft anhaltenden Platzmangels in der Sozialstruktur gesellschaftlich ntzlicher, anerkannter und gesicherter Positionen orientieren knnen47 und an der daraus sich ergebenden Herausforderung, die Zahl und/oder das Spektrum solcher Positionen zuknftig so zu erweitern, dass jeder Mensch in der Struktur sozialer Arbeitsteilung (seinen) Platz ndet. Bildung. Dass Bildung eine der riesigen konstruktiven Aufgaben der Sozialstaatsreform sein wird, drfte heute auerhalb jedes Zweifels stehen. Auch wenn man erneut, wie bei der erwerbsgesellschaftlichen Krisendiagnostik, die pauschale Rede vom bergang in die Wissensgesellschaft durchaus nicht ohne Weiteres teilen mag, so kann doch die Erwartung als gesichert gelten, dass Bildung als Zuteilungsmechanismus gesellschaftlicher Lebenschancen in Zukunft an

Bedeutung eher noch gewinnen wird. Zwar sollte man sich in diesem Zusammenhang wiederum keine naive Vorstellung von einem bildungspolitischen Positivsummenspiel machen, in dem Bildung fr alle zu etwas anderem als (bestenfalls) einem neuen gesellschaftlichen Rolltreppeneffekt48 fhren knnte: denn Bildung ist denitionsgem ein positionales Gut, das nur bei ungleicher Verteilung (den jeweils Bessergebildeten) Wettbewerbsvorteile garantiert, und auch in Zukunft werden sich die Distinktionspraktiken der brgerlichen Mittelschichten in auerordentlichen Bildungsrenditen widerspiegeln.49 Dessen ungeachtet drfte aber eben auch (und weit mehr noch als zu Beveridges Zeiten) gelten, dass ohne Bildung alles nichts ist und dass, ganz gleich ob nun innerhalb oder auerhalb des Erwerbsarbeitssystems, der Zugang zu den oben bezeichneten Positionen gesellschaftlich ntzlicher, anerkannter und gesicherter Lebensfhrung allein ber ein (wachsendes) Ma an institutionell garantiertem und zertiziertem Bildungserfolg mglich sein wird. Auch diese soziale Herausforderung zuknftiger Sozialpolitik wird die weitere Grundeinkommensdebatte zu bercksichtigen haben. Partizipation. Beveridges Modell eines modernen Sozialstaats beruhte auf der Idee des freien und gleichen Zugangs zu ffentlichen Leistungen, Diensten und Gtern und damit auf dem Prinzip universeller Partizipation. Die vorausgehenden Ausfhrungen zum Arbeits- und Bildungsregime des Sozialstaats der Zukunft haben deutlich werden lassen, dass die Frage allgemeiner Zugangs-, Beteiligungs- und Teilhaberechte auch weiterhin Dreh- und Angelpunkt staatlicher Sozialpolitik sein wird. Beveridges Vorstellung sozialpolitisch vermittelter Partizipation war nun allerdings insofern von allenfalls halbierter Universalitt, als sie rund um die Sozialgur des mnn-

47 Im Prekrwerden der Beschftigung und im Anstieg der Arbeitslosigkeit wird zweifellos ein Platzmangel in der Sozialstruktur sichtbar, wenn man Pltze als Positionen versteht, an die gesellschaftliche Ntzlichkeit und ffentliche Anerkennung geknpft sind. (Castel 2000a, S. 359; Hervorhebung im Original.) 48 Vgl. dazu Castel 2005, S. 45: Auf einer Rolltreppe fahren alle nach oben, whrend die Distanz zwischen den Stufen, auf denen sich die Personen, d.h. die verschiedenen sozialen Gruppen, benden, gleichbleibt. 49 Nach wie vor unbertroffen in ihrem aufklrerischen Potenzial hinsichtlich der individuell unhintergehbaren feinen Unterschiede sozialer Distinktionspraktiken sind die bildungssoziologischen Arbeiten Pierre Bourdieus (vgl. z.B. Bourdieu 2001).

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lichen, weien Arbeiters konstruiert war.50 Der sozialen Herausforderung einer Gewhrleistung gleicher, und d.h. nicht zuletzt auch geschlechtergerechter und herkunftsneutraler gesellschaftlicher Teilhabemglichkeiten ist die Grundeinkommensidee in offenbar idealer Weise gewachsen: Denn gerade durch das Prinzip seiner bedingungslosen Gewhrung ist das Grundeinkommen in hchstem Mae inklusiv im Sinne eines in der Tat universellen Brgerrechts der Partizipation am arbeitsteilig produzierten gesellschaftlichen Reichtum. Damit ist aber zugleich auch schon die Grenze des Grundeinkommensuniversalismus benannt: Als staatsbrgerschaftlich gerahmte Teilhabegarantie ist auch das bedingungslose Grundeinkommen strukturell exklusiv im Sinne eines systematischen Ausschlusses aller NichtMitglieder vom Genuss dieses staatsbrgergemeinschaftlichen Kollektivguts. Die Debatte um das Grundeinkommen wird auch um diesen performativen Widerspruch seiner Programmatik kreisen mssen ebenso wie um die Welt der Verteilungspolitik berschreitende Fragen nach industriellen Teilhaberechten, also nach wirtschaftsdemokratischen Ansprchen auf Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen. Autonomie. Sozialpolitik kann prototypisch hierfr mag eben die politische Intention des Beveridge-Plans stehen verstanden werden als die Herstellung institutioneller Bedingungen fr individuelle Handlungsspielrume.51 Die Tatsache, dass solcherlei Spielrume im Kontext der kapitalistischen Vergesellschaftungsform prinzipiell durch sozialstaatliche Interventionen und Institutionen zu erffnen und offen zu halten sind, gilt es zunchst weder empathisch als potenziell systemtranszendierend zu berhhen noch herablassend in ihrer realen Bedeutung fr die Lebensqualitt der Menschen zu unterschtzen: Ein paar Sorgen los zu sein, aus sozialpolitisch

vermittelter Zukunftssicherheit begrenzte Autonomiegewinne zu ziehen das sind die Freiheiten der Leute im Wohlfahrtsstaat.52 Wie die Grundeinkommensidee in diesem Lichte relativ zum bestehenden Sozialstaat zu beurteilen ist, bezeichnet somit ein wichtiges Element im Deutungskampf sozialpolitischer Alternativen. Das Grundeinkommen kann als eine Radikalisierung der sozialstaatlichen Gewhrleistung individueller Optionen des selbstbestimmten Ausstiegs aus bzw. Widerspruchs in sozialen Abhngigkeitsbeziehungen verstanden werden.53 Es lsst sich aber auch, weniger anspruchsvoll, als eine funktional intelligente Ermglichung von (zum Beispiel und gerade auch erwerbsbezogener) Flexibilitt durch materielle Sicherheitsgarantien begreifen womit die Grundeinkommensidee unvermutet in die konzeptionelle Nhe zu gnzlich anti-utopischen Diskussionen rund um eine Politik der Flexicurity54 rckt. Dass beide Varianten im Bereich des durch das Grundeinkommen bezeichneten Deutungsraums liegen, verweist auf die strukturellen Mglichkeiten eines Dialogs zwischen den antagonistischen Positionen in der Debatte; dass ein solcher Dialog sich allerdings auf reichlich dnnem Eis bewegt, soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Mue. Das zeigt sich im Fall der letzten hier hervorzuhebenden sozialen Herausforderungen des Sozialstaats vielleicht am eindrcklichsten. Beveridges starkes Pldoyer fr den Kampf gegen Arbeitslosigkeit als Bekmpfung der idleness der Faulheit, Trgheit, Unttigkeit der Menschen lsst einen tiefen Einblick in die Deutungswelt nicht nur des damaligen Ratgebers seiner Majestt, sondern auch noch der Sozial(staats)reformer der heutigen Zeit zu. Trgheit, Unttigkeit, Passivitt55: So lautet auch noch (oder wieder) die der aktivierenden Wende der Sozialpolitik des vergangenen Jahrzehnts zugrunde lie-

50 Nicht umsonst zhlt die britische, zusammen mit der deutschen, zu jenen europischen Gesellschaften, in denen das male breadwinner model sozialhistorisch am tiefsten verankert ist; vgl. hierzu Daly 2000. 51 Diese gewinnbringende analytische Perspektive ist hierzulande insbesondere von Vobruba (vgl. z.B. 2003) vertreten worden. 52 Vobruba 2003, S. 155. 53 Vgl. dazu Brtt 2008. 54 Vgl. als berblick hierzu Kronauer & Linne 2005. 55 Und bisweilen eben auch noch, wie damals, Faulheit wenn z.B. ein sozialdemokratischer Kanzler von der BILD-Zeitung zum Interview gebeten wird.

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gende Problemdiagnose weshalb die institutionelle Mobilisierung der Menschen zu Bewegung, Ttigkeit, Aktivitt zur Leitidee der sozialstaatlichen Reformprogrammatik des beginnenden 21. Jahrhunderts geworden ist.56 Das Menschenbild strukturell passiver, aktivittsaverser, arbeitsscheuer Subjekte sitzt tief, ist fest in den Einrichtungen und Regularien des Sozialstaats der Erwerbsgesellschaft verankert57 eines Sozialstaats, der andererseits doch strukturell auf die Arbeitsbereitschaft, den Leistungswillen, die Aktivierbarkeit seiner Brgerinnen und Brger setzt. Wie passt beides zusammen? Wie stellt sich der Sozialstaat der Zukunft zur Frage des Miggangs? Und wo liegen die Grenzen zwischen dem Miggang (als, wir verwiesen bereits darauf, aller Laster Anfang) auf der einen und der Mue auf der anderen Seite als spezischer Form menschlicher Aktivitt, die in einem funktionalen Zusammenhang mit Arbeit und Bildung, Partizipation und Autonomie, d.h. mit dem hier skizzierten Herausforderungssyndrom des So-

zialstaats steht? Mue erscheint heute, in der sich rastlos beschleunigenden Gesellschaft des exiblen Kapitalismus,58 als ein notwendiges Komplement individuellen Engagements in Arbeit und Bildung, als eine materiale Voraussetzung der Mglichkeit von Partizipation und Autonomie. Und doch kommt sie unweigerlich in den Ruch der Systemfeindschaft es ist dies vielleicht der entscheidende Hintergrund der Hartnckigkeit, Intensitt und nicht selten eben auch Unvershnlichkeit der neu-alten Debatte um das Grundeinkommen. Fr die Zukunft dieser Debatte erscheint es mir entscheidend, diesen (nur scheinbar rein normativen) Dissens um Mue und Miggang wirklich auszutragen. Er ist, so lsst sich argumentieren, tatschlich der archimedische Punkt im Kampf um das Grundeinkommen verstanden als der Kampf um die Formen und Mechanismen einer in emanzipatorischer Absicht betriebenen Vernderung der sozialen Ordnung im wohlfahrtsstaatlich verfassten Kapitalismus.

56 Vgl. zur soziologischen Analyse dieser sozial-politischen Konstellation ausfhrlich Lessenich 2008. 57 Es liegt als Deutungsmuster etwa der Arbeitshaus-Tradition des britischen Wohlfahrtsstaats, aber eben auch den Frsorgepolitiken in Deutschland zugrunde und es ist leitende Grundannahme der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie, derzufolge die Marktsubjekte jederzeit Arbeitsleid und Freizeitfreud (bzw., in verfeinerter Kombinatorik, Einkommensnutzen und Opportunittskosten) gegeneinander abwgen. 58 Vgl. hierzu Rosa 2005 und, als lebensweltliche bersetzung der vernderten Temporalstrukturen der Gegenwart, Rosa 2009.

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3. Money for nothing? Das Grundeinkommen als Chiffre gesellschaftspolitischen Wandels

Die Idee des Grundeinkommens kursiert in der ffentlichen Debatte in den unterschiedlichsten Varianten. Hug genug liegt die Problematik einschlgiger Diskussionen denn auch schon darin begrndet, dass schlicht unklar bleibt, ber welches konkrete Konzept eigentlich gerade gestritten wird. Im Folgenden mchte ich allerdings explizit undifferenziert und bewusst unterkomplex bleiben und mich auf die Idee selbst in ihrer einfachsten Gestalt konzentrieren, auf die Grundform des Grundeinkommens gewissermaen.59 Dies deswegen, weil mir auf diese Weise am ehesten die zentralen Aspekte der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um das Grundeinkommen identiziert werden zu knnen scheinen und die angestrebte Moderation dieser Auseinandersetzung so am besten auf genau jene Aspekte konzentriert werden kann. Was meint also im Kern die Idee vom Grundeinkommen? Das Grundeinkommen stellt eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zur Zeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grundsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhngig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass Arbeitsleistung oder Arbeitsbereitschaft verlangt wird. So beschreibt das Netzwerk Grundeinkommen, die organisierte Interessenvertretung der Grundeinkommensbefrworter in Deutschland, den Gegenstand seiner ffentlichen Lobby-

arbeit kurz und bndig.60 Drei Prinzipien sind demnach wesentlich fr die Charakterisierung der Grundeinkommensidee drei Prinzipien, die sich auch als drei negative Freiheiten bestimmen lassen: die Freiheit von Unterhaltsbeziehungen, die Freiheit von Bedrftigkeitsprfungen und die Freiheit von Arbeitszwngen. Der Anspruch auf Grundeinkommen soll, so die Idee, unabhngig von mglicherweise bestehenden Unterhaltsverpichtungen (des Ehegatten, der Eltern oder seitens erwachsener Kinder), unabhngig von (jedenfalls vorgngigen) Einkommensprfungen und unabhngig auch von der (vorherigen oder aktuellen) Erwerbsbeteiligung des Empfangsberechtigten gelten. Ohne Rcksicht auf Familienstand und Haushaltsform, Einkommenslage und Erwerbssituation soll jedem Brger und jeder Brgerin ein durch die ffentliche Hand auszuzahlender monetrer Mindestbetrag zukommen: Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das bedingungslos jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft gewhrt wird.61 Es ist das harmlos anmutende Wort bedingungslos, das letztlich den zentralen Bezugspunkt des gesamten Konikts um das dann eben Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) markiert. Zwar sind selbstverstndlich auch Finanzierungsfragen (nach dem Motto: wer soll das bezahlen?) beliebter Gegenstand heftiger Auseinandersetzung; aber dass das Finanzvolumen einer Grundeinkommensreform absehbar so gro geraten wrde, liegt ja im Kern an nichts anderem als an der intendierten Bedingungslosigkeit

59 Zum berblick ber die unterschiedlichen in der Debatte kursierenden Konzepte gibt es, darauf wurde bereits verwiesen, hinreichend Literatur; vgl. o., Fn. 6, sowie insbesondere die Literaturstudie von Bjrn Wagner im Anhang zu dieser Expertise. 60 Vgl. www.grundeinkommen.de/die-idee. 61 Vgl. ebd. (Fn. 60).

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der Leistung.62 Auch ist die Hhe des individuellen Grundeinkommensanspruchs immer wieder ein wichtiger Streitpunkt63 wobei der Stellenwert des Bedingungslosigkeits-Kriteriums mit der Hhe des Grundeinkommenssatzes steigt und fllt, denn fr Bedarfe oberhalb dieses Betrags besteht ja logischerweise doch wieder Abhngigkeit des Empfngers von privaten Unterhaltsleistungen, anderen Einkommensquellen bzw. Vermgensbestnden oder aber eben letztlich von eigener Erwerbsttigkeit. Schlielich wird das Bedingungslose des Grundeinkommens teilweise auch wieder eingeschrnkt, jedenfalls mit Bezug auf die dem Konzept zufolge eigentlich abzulehnende Einkommensprfung die nmlich gegebenenfalls ex post (durch die Hintertre gewissermaen) wieder Einzug halten kann, denn natrlich wird das Grundeinkommen mit dem Steuer- und Beitragssystem abgestimmt64. Aber wie dem auch immer sei: Der Hauptstein des Anstoes in der Debatte um das Grundeinkommen ist die Bedingungslosigkeit seines Bezugs.65 Und in diesem Kontext ist es wiederum vor allem anderen die von Seiten der Grundeinkommensbefrworter zur Schau gestellte Ablehnung des klassisch erwerbsgesellschaftlichen Vorbehalts sozialstaatlichen Leistungsbezugs, die im Zentrum des Konikts steht: der Bruch mit der (mittelbaren oder unmittelbaren) Abhngigkeit des Anspruchs auf Sozial(transfer)leistungen von der individuellen Arbeitsleistung und Arbeitsbereitschaft des Begnstigten. Dieser ideen- und funktionslogische Gegensatz zum Prinzip der Ar-

beitnehmersozialversicherung stellt die Grundlogik des deutschen Sozialstaatsmodells gewissermaen auf den Kopf und erweist sich eben deswegen als das eigentliche Skandalon der Grundeinkommensdebatte. Unter Grundeinkommensbefrwortern hat es sich eingebrgert, diese Idee einer Abkehr vom Erwerbsvorbehalt sozialer Sicherung unter der Formel der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen zu verhandeln. Dass diese Formulierung zumindest missverstndlich ist, sei der weiteren (hier gewissermaen stellvertretend fr die beiden Koniktparteien zu fhrenden) Diskussion kurz vorausgeschickt. Einerseits nmlich knnte man eben diese Entkoppelungsleistung als bereits durch die bestehenden sozialen Sicherungssysteme erbracht ansehen denn was macht der real existierende Sozialstaat anderes, als jedenfalls bestimmten Personen in bestimmten Lagen unter bestimmten Bedingungen arbeitsloses Einkommen zu zahlen? So gesehen, gbe es bereits zahllose institutionelle Anknpfungspunkte fr die Realisierung der Grundeinkommensidee, und die Essenz einer Politik des Grundeinkommens lge schlicht und einfach nicht mehr und nicht weniger in der Universalisierung dieser gngigen sozialstaatlichen Praxis. Andererseits mag man darauf hinweisen, dass eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen volkswirtschaftlich betrachtet schlechterdings unmglich ist.66 Jedenfalls solange wir uns in einer arbeitsteiligen Geldwirtschaft bewegen, lsst sich denitionsgem kein arbeitslo-

62 Wir wollen uns dieser Teil- bzw. Unterkontroverse um das Grundeinkommen hier denn auch nicht ausfhrlicher widmen. Die Berechnungen des Finanzbedarfs eines Grundeinkommens hngen nicht nur von dessen angestrebter Hhe ab, sondern u.a. auch von den jeweiligen Vorstellungen und Annahmen ber die im Gegenzug einzusparenden Leistungen des gegenwrtigen sozialen Sicherungssystems, ber die parallele Reform der Steuergesetzgebung, ber die Arbeitsanreizeffekte des Grundeinkommenswesens u.v.a.m. Auch wenn sich dies in der Debatte in aller Regel nur schwer vermitteln lsst: Die Finanzierungsfrage als solche ist in der Tat eine nachrangige; sie wird im Zuge der weiteren Erwgungen allerdings in anderem Gewand immer wieder auftauchen und sich in den Vordergrund drngen. 63 In den gngigen Konzepten reicht die Hhe des Grundeinkommensanspruchs fr erwachsene Personen vom Arbeitslosengeld II-Niveau bis hin (im Modell der Linkspartei) zu einem Betrag von 950 Euro. Dabei wird die Ausprgung dieser Variable gerne je nach Standort im politischen Spektrum als operationales Unterscheidungskriterium entweder zwischen rechten und linken oder aber zwischen realistischen und utopischen Entwrfen reklamiert (ggf. werden beide kategorialen Unterscheidungen dann auch noch miteinander kombiniert). Ganz so einfach scheint uns die Sache aber dann doch nicht zu liegen. 64 Vgl. www.grundeinkommen.de/ueber-uns. Entsprechend sind manche Konzepte z.B. nach dem Modus der Negativen Einkommenssteuer angelegt was die Kompatibilitt entsprechender Modelle mit dem gegenwrtigen Steuer- und Transfersystem durchaus erhht. 65 Die Vorbedingung der Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft verhandeln wir spter. 66 Wenn man sie nicht ganz anders deutet als widersprchliche Verknpfung beider Momente im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise, nmlich als institutionalisierter Zwang zur unbezahlten Mehrarbeit fr die einen, als garantiertes Recht und wohleingebte Praxis der Aneignung von arbeitslosen Einkommen, Besitz- und Vermgenseinkommen[,] fr die anderen (Krtke 2007, S. 155).

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ses Einkommen erzielen, sprich jedes Einkommen muss irgendwo durch Arbeit (also auch durch irgendjemanden) erwirtschaftet werden bzw. worden sein (und dann umverteilt werden).67 Letztlich und genau genommen geht es also bei der (vermeintlichen) Entkoppelung von Arbeit und Einkommen in Gestalt des Bedingungslosen Grundeinkommens um das in gewissem Sinne technische Problem der Aufhebung bzw. auch nur der Lockerung des Nexus von Erwerbsarbeitsleistung und Transfereinkommensanspruch auf Individualebene. Damit nhern wir uns bereits erkennbar jenem Feld der Verstndigung rund um die Grundeinkommensidee, das es in dieser Studie abzustecken gilt. Und gleichwohl hrt man auch unter diesen spezizierten Umstnden einen Gegner des Grundeinkommens nach wie vor die Frage stellen: Also doch money for nothing? Wir werden uns in den folgenden Abschnitten dieser Kernfrage der Debatte widmen und sie mit einem doppelten Nein beantworten. Auf dieser Grundlage kann sodann ein erster, vorluger Dialog der Grundeinkommensidee mit dem sozialdemokratischen Konzept des vorsorgenden Sozialstaats inszeniert werden.

Das Grundeinkommen im Kapitalismus: Szenen einer Ehe


Die Frage nach der (sozio)logischen Angemessenheit des benannten Deutungsmusters einer Geldleistung ohne Gegenleistung (money for nothing) verweist noch ehe wir auf die angekndigte (doppelte) Antwort kommen auf eine weitere ernsthafte Kritik an der Grundeinkommensidee. Denn das Grundeinkommen ist per

denitionem als ein zwar gigantisches und anspruchsvolles, letztlich aber eben doch auch bloes Instrument monetrer Umverteilung angelegt: Aus dem Pool gesellschaftlich verfgbarer Einkommen wird jedem Menschen bedingungslos ein Anspruch auf Zuweisung eines bestimmten Geldbetrags als nanzielle Grundausstattung der je individuellen Lebensfhrung zuteil. So weit, so gut68 und bestechend einfach. Damit ist jedoch auch klar, dass die strukturellen Grnde gesellschaftlicher Ungleichheit, die sozialen (konomischen, politischen) Ursachen etwa von ungleicher Einkommensverteilung (von der Vermgensverteilung gar nicht zu reden) und sozialer Unterversorgung, durch die Idee und Praxis des Grundeinkommens zunchst zumindest unberhrt bleiben. Die Produktions-, Macht-, Herrschaftsverhltnisse im real existierenden Kapitalismus, so lautet denn auch die Fundamentalkritik der Grundeinkommensidee von linker Seite, gerieten durch die Fixierung der Problemlsung auf die Distributionssphre nicht nur auer Betracht, sondern gewissermaen auch auer Frage. Doch keineswegs allen (linken) Grundeinkommensentwrfen fehlt der Sinn frs konomische69. Bisweilen wird gerade an der spezischen Form der gesellschaftlichen Organisation des Produktionsprozesses angesetzt und das strukturelle Zurckbleiben der Lohneinkommen hinter den Kapitaleinkommen thematisiert, um aus der Not eine Tugend zu machen: Mit wachsender Produktivitt besteht die Mglichkeit, dass ohne damit die Befriedigung der Bedrfnisse aller in Frage zu stellen das Volumen an entfremdeter Lohnarbeit schrumpft und der Anteil des Arbeitslohns am Einkommen abnimmt70 vermittelt

67 Vgl. in diesem Sinne auch schon Welzmller 1985. In Lehrbchern der konomik rmiert diese Einsicht ab und an unter dem Lehrsatz There is no such thing as a free lunch (von nichts kommt nichts). Wenn man dies nicht als grundstzliche Desavouierung der Grundeinkommensidee lesen will und um eben solche dialogblockierende Totschlagargumente soll es hier ja gerade nicht gehen , wird man daraus eine Reorientierung der Grundeinkommensdebatte ableiten mssen: Die Frage, die im Mittelpunkt einer Debatte eines Grundeinkommens stehen muss, lautet insofern weniger, ob es wnschenswert und realisierbar ist, Arbeit und Einkommen zu entkoppeln, sondern vor allem, wie sowohl Arbeit als auch Einkommen gesamtgesellschaftlich verteilt werden und was unter Arbeit berhaupt zu verstehen ist. (Wagner 2008, S. 37f.) Ganz in diesem Sinn werden wir die Debatte weiterzutreiben versuchen. 68 Dies ist als bloe Redewendung zu verstehen. Wie erlutert will diese Studie ja, um das Ziel der wechselseitigen Verstndigung nicht zu gefhrden, wertende Aussagen so weit wie mglich vermeiden (oder aber als solche kenntlich machen). 69 So der polemische Vorwurf von Ernst (2007), der gewissermaen die Spiegelverkehrung einer einstmals populren Kritik an der Sozialdemokratie darstellt: die Grundeinkommensbefrworter, so heit es jetzt im bertragenen Sinne, knnten nur mit Geld umgehen. 70 Vanderborght & Van Parijs 2005, S. 90.

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ber ein schrittweise zu erhhendes (arbeitsloses) Grundeinkommen. Dies ruft dann allerdings wieder die Kritik der Gegenseite an dem Widerspruch hervor, einerseits die (hinter der sich zusehends verschlechternden Position der Lohnarbeit stehenden) gesellschaftlichen Krfteverhltnisse als Datum hinzunehmen, andererseits aber (mit der Annahme einer mglichen Umverteilung zunehmend grerer Teile des Sozialprodukts gem den Bedrfnissen) illusionre Vorstellungen ber die Macht des Kapitals bzw. genauer des Kapitalverhltnisses zu hegen: Ohne die kapitalistische Produktionsweise zu verndern, ohne die Lohnarbeit bzw. den Arbeitsmarkt aufzuheben, wird der Hebel eines radikal anderen Verteilungsmodus angesetzt.71 Ohne nun wiederum Seitenhiebe auf einen sich darin uernden brgerlichen Radikalismus72 zu verteilen wird man dieser Kritik im Kern Recht geben mssen: Fr eine wirkungsvolle antikapitalistische Strategie springt das Grundeinkommensparadigma (analytisch wie politisch) zu kurz. Zur berwindung kapitalistischer Ungleichheiten bzw. der kapitalistischen Mechanismen sozialer Ungleichheitsproduktion taugt das Grundeinkommen allein (auch wenn einige seiner Propagandisten auf entsprechende indirekte Effekte setzen) sicherlich nicht; das Grundeinkommen verlsst nicht per se bzw. allenfalls eben ideell, nicht aber faktisch den Bezugs- und Beziehungsrahmen des kapitalistischen Vergesellschaftungsmodus. Das gilt brigens ( propos Szenen einer Ehe) in gleicher Weise auch fr das Grundeinkommen und seine Bedeutung in Bezug auf ein weiteres Strukturmoment gesellschaftlicher Ungleichheit: das Geschlechterverhltnis. Analog zum Kapitalverhltnis muss man

auch hier konstatieren: Ein Grundeinkommen mildert zwar die Abhngigkeiten und Armutsrisiken von Frauen, lsst jedoch die Ursachen geschlechtsbezogener Ungleichheiten zunchst unangetastet.73 Diese liegen ebenso in den Strukturen der Organisation gesellschaftlicher Arbeit wie in tief verankerten kulturellen Leitbildern begrndet, die durch das Grundeinkommen allenfalls mittelbar und langfristig berhrt wrden. Geld allein macht also nicht glcklich oder auch nur gleich. Wohlgemerkt: Hier soll keineswegs oder mehr noch: soll gerade nicht behauptet werden, dass eine derart schlichte Formel die Weltsicht des durchschnittlichen Grundeinkommensbefrworters zutreffend beschreibe. Dass das Bedingungslose Grundeinkommen das wundersame Allheilmittel fr alle Sorgen und Nte, Unvollkommenheiten und Ungerechtigkeiten der Welt oder auch nur dieser Gesellschaft sein knnte, wird von seinen Verfechtern selbst in aller Regel gar nicht gesagt. Hug aber und eben deshalb hier die Thematisierung des entsprechenden Deutungsmusters wird die Grundeinkommensidee von ihren Verchtern in genau dieser Weise aufgenommen und in die ffentliche Debatte zurckgespiegelt. Das aber ist, wie zuvor bereits angedeutet, genau die Crux der Grundeinkommensdebatte (und der Ausgangspunkt dieser Expertise): Sie wird in hohem Mae von Fehlwahrnehmungen und -deutungen sowie (ungewollten) Falschdarstellungen bis hin zu veritablen (und strategischen) Sinnentstellungen der Gegenposition geprgt.74 Gerade dieses Muster der Auseinandersetzung soll hier jedoch vermieden werden, um der aktuellen Kontroverse um das Grundeinkommen jene produktive Wendung zu geben, die es erlaubt, die Debatte um das

71 Krtke 2007, S. 155. 72 Alles andere als verstndigungsorientiert nennt Krtke das Grundeinkommen in diesem Sinne eine der klassischen halben Revolutionen, die dem brgerlichen Radikalismus immer von Neuem einfallen (2007, S. 155), um sodann fortzufahren: Da den brgerlichen Radikalen und ihren linken Brdern und Schwestern im Geiste die kapitalistische Produktionsweise ein Buch mit sieben Siegeln genannt der Markt ist, lieben sie vermeintlich einfach[e] Radikallsungen fr alle sozialen bel, die der gute alte Kapitalismus hervorbringt. Nach dem Motto: Wir leben schon im beruss oder noch naiver Geld ist genug da, verfallen sie auf eine gigantische Umverteilung. (S. 155f.) 73 Pimminger 2008, S. 4. Vgl. hierzu auch ausfhrlich Worschech 2008. 74 Und erneut ist hier dem persnlichen Eindruck Ausdruck zu geben, dass die an Bsartigkeit grenzenden Entstellungspraktiken nur in Bibelgeschichten werden Tausende von Menschen mit sieben Fischen gesttigt (Ernst 2007) vornehmlich von Seiten der erklrten Grundeinkommensgegner ausgehen und hug von einer wenig ernsthaften Auseinandersetzung mit den Positionen und Konzepten der Befrworter zeugen.

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zu fhren, was tatschlich der Fall ist, was tatschlich hinter der Grundeinkommensidee steckt. In diesem Sinne lsst sich an diesem Punkt gleichsam ex negativo feststellen: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist nichts fr Systemberwinder.75 Dies kann man je nach persnlich-politischem Gusto aufrichtig bedauern, spitz kritisieren oder mit Erleichterung quittieren. Man sollte es aber jedenfalls, so oder so, zur Kenntnis nehmen und zur Grundlage der weiteren Debatte erklren. Dann nmlich lsst sich die Idee des BGE als ein wichtiges, aber doch eben nur ein Element einer Strategie sozialstaatlichen Wandels und gesellschaftlicher Vernderung verstehen. Die zuvor angedeuteten Grenzen des BGE als Instrument der Geschlechteregalitt knnen hier Pate (oder Patin) stehen fr die politisch-strategisch aus einem solchen Verstndnis zu ziehenden Schlussfolgerungen: Damit ein Grundeinkommen, das aus geschlechterpolitischer Sicht insbesondere aufgrund seiner Neutralitt gegenber normativen Leitbildern und Lebensformen besonders ansprechend ist, seine emanzipatorische Wirkung fr Frauen und Mnner in der Realitt tatschlich entfalten kann, braucht es (neben einer tatschlich existenz- und teilhabesichernden Hhe des Grundeinkommens) also umfassende gleichstellungspolitische Anstrengungen.76 Genau dies gilt analog auch fr die oben identizierten relevanten Felder gesellschaftlicher Teilhabe: Damit ein Grundeinkommen seine emanzipatorische Wirkung tatschlich entfalten kann77, braucht es mit Blick auf die Partizipation und Autonomie in Arbeit, Bildung und Mue umfassende nicht allein auf die Geschlechterdifferenz zentrierte gleichstellungspolitische Anstrengungen.

Fr eine Reform des Sozialstaats in emanzipatorischer Absicht bedarf es also, um es auf einen einfachen Nenner zu bringen, einer Strategie namens Grundeinkommen plus. Erweitert um die geschlechter- und minderheitenpolitische Dimension, erinnert dies nicht nur auf den ersten Blick an Beveridges Programm ffentlicher Sozialreform fr die Nachkriegszeit. Want, so der Grndervater des modernen britischen Wohlfahrtsstaats, is only one of ve giants on the road of reconstruction and in some ways the easiest to attack.78 Einkommensumverteilung auch die Schaffung eines kleineren, ja selbst eines greren Bereichs bedingungsloser Zuweisung von Transfereinkommen kann nur ein Baustein einer progressiven Agenda der Sozialstaatsreform sein. Ein differenziertes sozialpolitisches Instrumentarium zur institutionellen Garantie des gleichen und freien Zugangs aller Brgerinnen und Brger zu Arbeit, Bildung, Partizipation, Autonomie und Mue bezeichnet die vielen anderen Bausteine, die einen neuen Sozialstaat erst im Ganzen ausmachen wrden.79 Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann die soziale Wirksamkeit dieses vielgliedrigen Reforminstrumentariums materiell fundieren; es macht dessen weiteren Elemente aber keineswegs verzichtbar oder berssig. Denn eine grundeinkommensbewehrte Freiheit von freedom from want ist noch lange nicht gleichbedeutend mit der Gewhrleistung der durch die soziale Konstellation der Gegenwart herausgeforderten Freiheit zu: zu einem lebenswerten Leben in Gesellschaft. Grundeinkommen plus und damit eine Reform des Sozialstaats im Geiste Beveridges ist freilich nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite mchte ich, in Relativierung des soeben

75 Das Konzept eines radikalen Reformismus (vgl. Esser et al. 1994) etwa geht davon aus, dass grundlegende gesellschaftliche Transformationen gerade nicht ber den Staat und Staatsintervention, sondern nur ber eine Politisierung der Zivilgesellschaft zu erreichen sind. 76 Pimminger 2008, S. 4. 77 Die von Pimminger hervorgehobene Neutralitt der Grundeinkommensidee gegenber den realen Lebensfhrungsmustern der Subjekte wissen im brigen auch manche ihrer schrfsten Kritiker zu schtzen. So sieht z.B. Krtke in der von ihm konstatierten konomieblindheit der Befrworter jedenfalls den relativen Vorteil, dass auf diese Weise einige der stets geleugneten bel der gegenwrtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unordnung greller beleuchtet werden, als es den Ideologen lieb sein kann: die faktische Unfreiheit, die vielen Zwnge und Zwangslagen, die den Arbeitsmarkt bestimmen, die vielfltige Spaltung der Gesellschaft, der Terror, den die zum reinen Disziplinierungs- und Kontrollinstrument umgebauten Sozialstaatsagenturen ausben (2007, S. 156). 78 Beveridge 1942, S. 6 (vgl. Fn. 37). 79 Vgl. zu einem solchen umfassenderen Reformentwurf z.B. die Konzepte des demokratischen Sozialstaats (Lessenich & Mhring-Hesse 2004, Lessenich 2005) oder von Sozialpolitik als soziale Infrastruktur (AG links-netz 2003, Widersprche 2005).

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Gesagten, mit der Formel Beveridge minus etikettieren. Sie verweist darauf, dass Lord Beveridges alte Programmatik, im Lichte der Grundeinkommensidee besehen, der erwerbsgesellschaftlichen Konstellation der Gegenwart entsprechend aktualisiert werden muss. Und sie fhrt uns zu der berlegung, ob die hier als ehefrmig beschriebene Verbindung zwischen Kapitalismus und Grundeinkommen nicht doch auch (und vielleicht eher) Zge einer unehelichen Beziehung trgt.

Das Grundeinkommen und die Widersprche der Leistungsgesellschaft


Beveridges Entwurf einer wohlfahrtsstaatlichen Nachkriegsordnung war durchdrungen von der Logik des Industrialismus bzw. von den kulturellen Prgungen einer industriegesellschaftlichen Arbeitsethik. Deutlich wird dies in der spezischen Semantik der Unttigkeit, mit der er den sozialen und sozialpolitischen Giganten der Arbeitslosigkeit adressierte. Arbeitslosigkeit erscheint in Beveridges Wohlfahrtsprogrammatik nicht allein als Problem des systematischen Entzugs von Chancen der Partizipation am System gesellschaftlicher Arbeitsteilung, sondern eben auch als eines der Ermglichung (und womglich Befrderung) gesellschaftlich unerwnschter Verhaltensweisen und Lebensfhrungsmuster (darauf zielte seine Rede vom Miggang idleness). Auch so gesehen wirkt der BeveridgePlan auf eine Weise seltsam aktuell. Denn die politischen Begrndungsdiskurse der Hartz-Reformen ebenso wie die gngigen (rechten wie linken) Kritiken der Grundeinkommensidee besttigen den Eindruck, dass dieses doppelte Deutungsmuster von Erwerbslosigkeit als soziales Schicksal wie auch als persnliches Verschulden, als Problem nicht allein eines strukturellen Ausschlusses, sondern mindestens ebenso sehr der individuellen Selbstexklusion der Betroffenen in der ffentlichen Debatte auch der Bundes-

republik nach wie vor hchst lebendig ist. Dabei erscheint es allerdings in hohem Mae fraglich, ob die stark verhaltenspsychologische Grundierung der Diskussion, die Motivationsmngel und Mobilittsdezite der Erwerbslosen in den Mittelpunkt der Problemdiagnose stellt, den Strukturproblemen der heutigen Erwerbsgesellschaft tatschlich angemessen ist. Nicht allein und nicht einmal vorrangig normativ, sondern auch und gerade (was hier ja erklrtermaen im Vordergrund stehen soll) analytisch vermag die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens dadurch fr sich einzunehmen, dass sie eben diesen Strukturproblemen als solchen Rechnung trgt und in der Konzeption eines zuknftigen Sozialstaates mit einem von industriegesellschaftlichen Normierungen befreiten Menschenbild operiert. Jede gesellschaftliche Formation hat ihre eigenen Mythen, Fraglosigkeiten und Legitimationsformeln. Im Industriezeitalter wurden viele kulturelle Werte mit der Absicht geschaffen zu suggerieren, dass schwere Arbeit gut sei, eine besondere Kultur habe und dass es sich lohne, diese Kultur zu erhalten.80 Diese tief in der Entwicklung der Lohnarbeitsgesellschaft verwurzelten und in ihren Strukturbildungen verankerten kulturellen Deutungsmuster und Wissensbestnde werden bis heute81 immer wieder legitimatorisch angerufen, diskursiv aktualisiert und institutionell reproduziert: das Wissen um den Wert des hart Arbeitens, um die Belohnungswrdigkeit von Leistung, um die funktionale Bedeutung der Leistungstrger dieser Gesellschaft. Die sozial-politische Normalisierung einer spezischen, nmlich der lohnarbeitsgesellschaftlichindustriellen Leistungsethik schliet die positive Diskriminierung bestimmter Formen der Ttigkeit zu Lasten anderer, leistungsgesellschaftlich als minderwertig erscheinender, konstitutiv mit ein. Im lohnarbeitszentrierten Sozialstaat insbesondere in seiner deutschen bzw. kontinentaleuropischen Variante des Sozialversicherungsstaats82 ndet diese leistungsgesellschaftliche Norm ihren institutionellen Niederschlag, in

80 Bischoff 2007, S. 56. 81 Und nicht zuletzt in der Sozialdemokratie; vgl. Draheim & Reitz 2004. 82 Vgl. Riedmller & Olk 1994.

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Form zahlreicher Elemente des Lohnarbeitsvorbehalts beim Zugang zu seinen Programmen ebenso wie in Gestalt des regulativen Ideals der Leistungsgerechtigkeit als Bestimmungsprinzip seiner Transferzahlungen.83 Die kritische Auseinandersetzung mit der industriegesellschaftlichen Leistungsphilosophie und ihren Widersprchen lsst sich an dieser Stelle nicht fhren84; wohl aber gilt es, auf einige Irrationalitten des Bezugs auf die Kategorie der Leistung (bzw. der Leistungsbereitschaft) als sozialpolitische Legitimationssemantik in der gegenwrtigen erwerbsgesellschaftlichen Konstellation hinzuweisen. Dazu zhlen beispielsweise die seit den 1980er Jahren sozialpolitisch nur langsam und vorsichtig aufgebrochene Restriktion der Leistungs-Zuschreibung auf die Verausgabung von Arbeitskraft in Form von Erwerbsttigkeit (im Unterschied zu Haushalts- und sonstigen gesellschaftlich ntzlichen und notwendigen Ttigkeiten); die Nichtbercksichtigung der sozialen Gelegenheitsstrukturen des Leistungseinsatzes im Rahmen von Erwerbsarbeit, die bekanntermaen ungleich verteilt und im Zeichen verfestigter Massenarbeitslosigkeit und vernderter Qualikationsanforderungen noch selektiver geworden sind (so dass die Mglichkeiten der lohnarbeitsvermittelten Leistungserbringung auch fr Leistungswillige in hohem Mae kontingenten Bedingungen unterliegen und, entgegen dem geradezu klassischen Vorurteil, eben nicht oder allenfalls in begrenztem Umfang bloer persnlicher Disposition nach dem Motto wer (arbeiten) will, der kann auch); oder die Enttuschung der subjektiven Erwartungen der Leistungsbereiten angesichts der um sich greifenden Umstellung gesellschaftlicher Gratika-

tionsmechanismen von der Belohnung von Leistung auf die Honorierung von Erfolg85. Die institutionalisierte Beschrnkung des Leistungsbegriffs auf erwerbsfrmige Ttigkeiten, die allfllige Anrufung eines (interessanterweise: geradezu bedingungslosen) Leistungswillens, die (in aller Regel kontrafaktische) Problemdeutung fehlender Arbeitsbereitschaft: All dies ist Ausdruck einer protestantisch-industriellen Arbeitsund Leistungsethik, die historisch gleichermaen in marktliberale wie sozialistische Denkweisen und Ordnungsvorstellungen Eingang gefunden hat und die von beiden Seiten die ideologischkulturelle Basis fr einen bis zum Ressentiment steigerbare[n] Einwand gegen ein Brgerrecht auf allgemeines Grundeinkommen bildet.86 Diese Ethik der industriellen Leistungsgesellschaft grndet wiederum in einer skeptischen Anthropologie, derzufolge der moderne Mensch zu einer arbeitsethisch angemessenen, der erwerbsgesellschaftlichen Ordnung entsprechenden Lebensweise angehalten und angeleitet werden muss was fr staatliche (Sozial-)Politik zu der Funktionszuschreibung fhrt, als Honorierungsmechanismus ordentlicher Lebensfhrung einerseits und Disziplinierungsinstrument willensschwacher Subjekte andererseits zu operieren.87 Gegen eine solche kulturelle Distanz gegenber dem Anderen der Erwerbsgesellschaft setzt die Grundeinkommensidee das Vertrauen in die grundstzliche Ttigkeitsbereitschaft (und -bedrftigkeit) der Menschen. Sie setzt zudem auf ein prinzipielles Zutrauen in die normative Kraft und damit in die selbstverstrkende Dynamik institutioneller Reformen, die eine Abkehr vom Leistungsethos der Industriegesellschaft beinhalten, sprich: in die soziale Akzeptanz von (nach

83 Vgl. dazu grundlegend Vobruba 1990. 84 Vgl. dazu frh schon, im Kontext arbeits- und betriebssoziologischer Fragestellungen, Offe 1970; in diesem Sinne jetzt auch Dubet 2008. 85 Vgl. zu dieser Entwicklung, von der die ffentlichen Diskussionen um Managergehlter und Bonuszahlungen knden, gesellschaftsdiagnostisch Neckel 2008. Diese Umstellung erfolgt keineswegs zufllig, sondern liegt in der Logik des exiblen Kapitalismus und seiner politisch-sozialen Rechtfertigungsordnung und ist mit der aktuellen Finanzmarktkrise, wie man angesichts eines medial produzierten post-neoliberalen Zeitenwendeoptimismus womglich glauben knnte, keineswegs Geschichte. 86 Vgl. Offe 2005, S. 139; hnlich Blaschke 2007, S. 58. 87 Vgl. hierzu Manow (2001, S. 192), der die Bedeutung dieses Menschenbilds insbesondere fr den bildungsbrgerlich-protestantisch geprgten Ordoliberalismus der Freiburger Schule nachweist was schon die Problematik einer sozialdemokratischen Strategie erahnen lsst, die sich zum wahren Reprsentanten und Hter der Sozialen Marktwirtschaft zu erklren sucht. Siehe dazu den folgenden Abschnitt 4.

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berkommenen, industrialistisch geprgten Mastben) leistungslosen Einkommen in einer Gesellschaft, deren Sozialstaat seinen Brgerinnen und Brgern soziale Teilhaberechte zunehmend weniger nach Kriterien der bloen Erwerbsleistung gewhrt.88 Gegen die Ablehnung des Rechts auf freie Mahlzeiten in der Erwerbsgesellschaft setzt sie schlielich die nur mittelbar leistungszentrierte Vorstellung von den durch die Leistungen frherer Generationen geschaffenen und von diesen gewissermaen als open source zur Verfgung gestellten, insofern geschenkten gesellschaftlichen Hintergrundsbedingungen, die [es] den so genannten Leistungstrgern ohne deren Verdienst und Zutun erlaub[en], ein nur scheinbar durch individuelle Arbeitsanstrengung allein verdientes Einkommen zu erzielen.89 Ergnzt und komplettiert wird die leistungsgesellschaftliche Unglubigkeit einer grundeinkommensfreundlichen Position dann letzten Endes in der Tat durch ein dezidiert nicht-normatives Argument: Geht man nmlich gut soziologisch von der Logik funktionaler Differenzierung moderner Gesellschaften aus, so hat das Leistungsprinzip seinen Platz in der Wirtschaft, im gesellschaftlichen System der Produktion und des Austausches von Gtern (und Dienstleistungen), im sozialen Teilsystem des knappheitsbestimmten, preisregulierten Leistungsaustausches nicht jedoch (und eben: gerade nicht) in den Systemen der sozialen Sicherung individueller Existenzen gegen Risiken des Abfalls oder Ausfalls der individuellen Leistungsfhigkeit bzw. der Nicht-Nachfrage und entsprechend NichtHonorierung individueller Leistungsbereitschaft in dem und durch das Wirtschaftssystem. Moder-

ne Sozialpolitik das Leistungssystem des Sozialstaats kann als fundamentales Moment der Gewhrleistung funktionaler Differenzierungsprozesse, als Instrument institutionalisierter Interdependenzunterbrechung zwischen der Wirtschaft der Gesellschaft einerseits und der Existenzsicherung von Individuen in Gesellschaft andererseits verstanden werden.90 In diesem spezisch system-theoretischen Sinne liee sich dann von einer Struktur der Entkoppelung sprechen allerdings nicht von Arbeit (oder Leistung) und Einkommen auf der Individualebene, sondern von Wirtschaft und Sozialem auf der Ebene systemischer Funktionslogiken. Und es liee sich daraus schlieen, dass Kapitalismus und Grundeinkommen, Leistungsprinzip in der Marktkonomie und Teilhabeprinzip im Sozialstaat, sich weder logisch ausschlieen noch ineinander aufgehen, sondern gewissermaen in wilder Ehe zusammenleben oder jedenfalls zusammenleben knn(t)en. Als Zwischenergebnis unserer Abwgungen knnen wir demnach zweierlei festhalten: Zum einen stellt das bedingungslose Grundeinkommen nur eine Dimension einer progressiv-emanzipatorischen Reformprogrammatik des Sozialstaats im Kapitalismus dar doch kann eben die Bedingungslosigkeit der Minima als eine in die Grundeinkommensidee eingelagerte gesellschaftspolitische Utopie gelten, die in die Richtung einer nachhaltigen berwindung der industriegesellschaftlichen Halbierung des Sozialstaats, der bislang gngigen industrialistischen Quotierung seiner Leistungsversprechen, weist. Zum anderen geht es bei der Grundeinkommensidee nicht schlicht und einfach um eine Politik des money for nothing: weder auf der input-

88 Das institutionalistische Argument lautet hier, dass real existierende sozialpolitische Ordnungslogiken gesellschaftliche Vorstellungen von sozialpolitisch Mglichem, Wnschenswertem und Akzeptablem [prgen]; und zwar sowohl bei den politischen Akteuren als auch in den Bevlkerungen. Der sozialpolitische Status Quo generiert bei Politik und Publikum sozialpolitische Gerechtigkeitsvorstellungen, die afrmativ auf ihn zurckwirken. (Vobruba 2006, S. 182) Was fr Vobruba selbst die Unwahrscheinlichkeit politischer Umbaumanahmen in Richtung Grundeinkommen (ebd.) im deutschen Sozialstaat anzeigt, lsst sich alternativ auch im Sinne ihrer empirischen Plausibilitt interpretieren angesichts zahlreicher bereits existenter Elemente nicht leistungsbezogener Sozialleistungsansprche. Dazu unten mehr. 89 Vgl. Offe 2005, S. 141. Das Argument liee sich zudem querschnittlich auf die in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auch von den heute lebenden, leistungsgesellschaftlich Unterprivilegierten hergestellten Rahmenbedingungen individuellen erwerbsbiographischen Erfolgs erweitern (vgl. dazu das strukturanalog angelegte Argument zum Grundeinkommen als Demokratiepauschale bei Kipping 2006). Zur so genannten TINSTAAFL-Formel s.o., Fn. 67. 90 Vgl. zu dieser Interpretation weiterfhrend Vobruba 1992, S. 114ff., und Huf 1998, S. 92ff.

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Seite (wenn man nmlich die fr den Bezug des Grundeinkommens erbrachte Leistung der Brger und Brgerinnen jenseits einer industrialistisch verzerrten Arbeitsethik in den Blick nimmt) noch in der output-Dimension (wo sich zeigt, dass das Grundeinkommen allein bestenfalls einige wenige Probleme materieller Unterversorgung lst, im Rahmen einer umfassenden, neobeveridgeanischen Gesamtstrategie sozialstaatlichen Umbaus jedoch zahlreiche positive externe Effekte zeitigt oder jedenfalls zeitigen kann). Bei-

de differenzierenden Befunde mssen eigens hervorgehoben werden, weil sie das weite Feld falscher Erwartungen Hoffnungen oder Befrchtungen , die in der ffentlichen Diskussion mit der Idee des Grundeinkommens verbunden oder in Verbindung gebracht werden, deutlich eingrenzen und damit den Boden bereiten fr eine gesellschaftspolitische Debatte, die (eben als nicht bloe Scheindebatte) diesen Namen auch verdient.

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4. Sozialdemokratie, Vorsorgender Sozialstaat und Grundeinkommen

Warum nun sollte sich gerade die Sozialdemokratie von der Idee des Grundeinkommens angesprochen fhlen? Wieso sollte gerade jene politische Bewegung, die historisch aufs engste und scheinbar untrennbar mit der industriellen Gesellschaftsformation und deren arbeits- und leistungsethischen Wertmustern verbunden gewesen ist, sich ernsthaft mit der sozialstaatlichen Reformkonzeption einer erwerbsfreien, leistungslosen Grundausstattung aller Brgerinnen und Brger auseinandersetzen? Die bisherigen Ausfhrungen dieser Expertise rufen (hoffentlich) die spontane Gegenfrage auf den Plan: Weshalb sollte es gerade die Sozialdemokratie sein, die sich dieser politischen Herausforderung und den sozialen Herausforderungen, die ihr zugrunde liegen, entzieht oder gar verweigert? Es ist nicht nur die zuletzt (erneut) offenkundige politische Attraktivitt der Grundeinkommensidee, ihre Mobilisierungsfhigkeit nicht mehr nur in gesellschaftlichen Randsegmenten alternativer Subkulturen, die auch die Sozialdemokratie hellhrig machen sollte. Es sind vielmehr die real existierenden Anknpfungspunkte des Grundeinkommens91 zur sozial- und gesellschaftspolitischen Programmatik der SPD, die es politisch produktiv erscheinen lassen, beide Seiten in einen Dialog ber die Mglichkeiten (und Grenzen) zuknftiger emanzipatorischer Sozialreform treten zu lassen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bendet sich an einem (nicht nur, aber fr den hier interessierenden Kontext mageblich relevanten) sozialpolitischen Scheideweg. Wie sie auf die sozialen Herausforderungen des Sozialstaats reagieren wird, auf die fnf Giganten eines Sozialstaats, der nicht lnger im Kontext von Kriegszerstrungen und Nachkriegsprosperitt

operiert, sondern im Zeichen eines beschleunigt sich (und die Lebensweisen der Menschen) umwlzenden, exiblen Kapitalismus, ist offen trotz und vielleicht auch wegen der jngsten programmatischen Festlegungen der Partei. Das Konzept des Vorsorgenden Sozialstaats, das seit Ende 2007 das sozialdemokratische Verstndnis zukunftsweisender Sozialpolitik umschreibt, ist wie dies bei parteiprogrammatischen Formelbegriffen so blich ist politisch deutungsoffen. Ob der Vorsorgende Sozialstaat der Zukunft eine vorsichtig modernisierte Variante seines (vermeintlich vor allen Dingen) versorgenden Vorlufermodells sein wird (bzw. soll) oder aber ein radikal erneuertes Arrangement einer vor allem anderen investiven, die Wirtschaftssubjekte zu Marktlichkeit und Markterfolg befhigenden Sozialpolitik oder aber doch ein irgendwie geartetes Drittes , ist auch programmatisch nicht wirklich, praktisch-politisch aber berhaupt nicht ausgemacht.

Die sozialdemokratische Programmatik im Wandel


Zu Beginn dieses Jahrzehnts und im Grunde genommen bis in die spten Debatten zu einem neuen Grundsatzprogramm der Partei hinein wollte es so scheinen, als wrde sich ber die Rede vom Vorsorgenden Sozialstaat die zweite soeben genannte Option durchsetzen. Noch der Bremer Entwurf des neuen Parteiprogramms stand eindeutig fr eine (nicht nur sozialpolitische) Parteinahme fr eine Neue Mitte der sozialen Aufsteiger und Aufstiegsbereiten, fr eine stark sozialliberal geprgte Ausrichtung der Partei und ihrer Politik an den sozialen Milieus der Lei-

91 Bzw. des sozialreformerischen Gehalts der Grundeinkommensidee, wie er hier analytisch herausgearbeitet werden sollte.

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stungsfhigen, Produktiven, Wettbewerbsgeeigneten, Eigenverantwortlichen92. Kritiker dieses Kurses (bzw. dieser intendierten Kursnderung) einer neuen Sozialdemokratie hielten dieser, jenseits aller Monita im Detail, im Kern vor, dem gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsarrangement eines exiblen Kapitalismus keine wirksamen Fesseln und Bremsen, Grenzziehungen und Korrektive entgegenhalten zu wollen, sondern dieses im Wesentlichen mit einer dezidiert produktivistischen (Sozial-)Politik, mit einer neu-modernen Philosophie von der durchnormten Tchtigkeits- und Anstrengungsgesellschaft93 zu begleiten. Davon ist im nunmehr gltigen Hamburger Programm der SPD nicht mehr viel zu sehen und zu spren. Aktivierung und Eigenverantwortung, die im Bremer Entwurf noch als die alles dominierenden, allein legitimen Leitideen knftiger sozialdemokratischer Sozialpolitik rmierten, kommen nun programmatisch allenfalls noch am Rande vor; der Begriff des aktivierenden Sozialstaats, lange Jahre in aller (jedenfalls in aller medial prsenter) Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen Munde, lsst sich eigentlich nur noch per Suchprogramm aufnden.94 Die alleinige sozialpolitische Programmlast trgt nunmehr das Konzept des Vorsorgenden Sozialstaats, das seinerseits viel weniger als noch im Bremer Entwurf aus einer retrospektiven Nega-

tivstilisierung des altdeutschen, blo versorgenden Sozialstaats, aus der Kritik an dessen Mngeln und Schwchen, entwickelt wird,95 sondern stattdessen eine strker zukunftsgerichtete, auf die Herausforderungen einer Zeit der rasanten Vernderung (6)96 Bezug nehmende Begrndung erfhrt. Es stellt zudem auch die Momente der Prvention, der Risikopolitik und der (damit zusammenhngenden) Selbstsorge und Eigenttigkeit der Menschen keineswegs so eindeutig in den Vordergrund, wie es der Begriff selbst vermuten lassen wrde. Ohne den irrefhrenden Dualismus von traditionell/traditionalistisch und modern/modernisierend zu bemhen, lsst sich damit wohl sagen, dass der letztlich von der Partei verabschiedete Programmtext erheblich strker klassisch gehalten [ist] als der Entwurf wenige Monate zuvor.97 Klassisch am Hamburger Programm und damit ein weiterer Unterschied zum Bremer Entwurf ist auch das (bleibende) Bekenntnis zu Begriff und Idee des demokratischen Sozialismus. Und gleichwohl: Die programmatische Unentschiedenheit und Uneindeutigkeit beginnt schon hier, auf hchster Ebene gesellschaftspolitischer Leitbegriffe. Denn einerseits bekrftigt das Programm eindrcklich eine ber hundertjhrige Geschichte sozialdemokratischer Grundwerte: Der demokratische Sozialismus bleibt fr uns die Vision einer freien, gerechten, solida-

92 Walter 2008, S. 78. Zum Bremer Entwurf vgl. SPD 2007a. 93 Walter 2008, S. 78. Auf den Bremer Entwurf beziehen sich auch noch die mehr oder weniger zurckhaltend kritischen Diskussionsbeitrge von Fehmel 2007 und Nachtwey 2007. Franz Walter (2008) hingegen wird rckblickend in seiner Einschtzung der neuen Sozialdemokraten deutlicher: Die neue Sozialdemokratie will sich dabei nicht mehr mit der Sentimentalitt der frheren Solidarsprache beschweren, sie hlt auch nichts mehr von dem Empathiebegehren der Willy-Brandt-SPD. Die gewandelte SPD argumentiert verlangender, ihre Postulate klingen khl, hart und technologisch. Der Vorsorgende Sozialstaat, heit es in oft auffllig zackigen Imperativen, msse prventiv in die Menschen investieren. (S. 67f.) Kultur, Autonomie, Eigensinn, die Freiheit zum Nein all dies kommt bei den Programmatikern des Vorsorgenden Sozialstaats in der Sozialdemokratie substanziell nicht mehr vor. Der gefrderte normierte Mensch im Gehuse des Vorsorgestaats hat die Picht zu Chancenerfllung, Leistung und Erfolg. (S. 69) 94 Er fristet nun ein Schattendasein in Kapitel 3.3 Solidarische Brgergesellschaft und demokratischer Staat auf S. 32 des Programms: Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Brgerinnen und Brger durch Volksbegehren und Volksentscheide. Damit kommt dem Begriff keinerlei strategischer Stellenwert mehr zu; seine Platzierung in einem vollkommen sozialpolitikfernen Kontext lsst den Eindruck entstehen, als habe die Redaktionskommission schlicht seine Streichung (auch) an dieser Stelle bersehen. 95 So viel strker auch noch nach Hamburg etwa bei Schroeder 2008. ber dessen Negativbild des berkommenen Versorgungsstaats liee sich trefich streiten; allein mit Blick auf die Integrationspolitik dort allerdings in umso dramatischerer Weise scheint mir diese retrospektive Deutung ohne Weiteres akzeptabel zu sein. 96 Im Weiteren beziehen sich alle in Klammern gesetzten Zahlenangaben auf die jeweilige Fundstelle des Zitats im Hamburger Programm (vgl. SPD 2007b). 97 Walter 2008, S. 86. Das Hamburger Programm ist nicht wie es eine Zeit lang aussah eine Zielvorgabe allein fr die leistungsstarken Wettbewerbs-, Chancen- und Bildungsfhigen in der Neuen Mitte. Es ist doch noch einmal das Dokument und der Anspruch einer linken Volkspartei mit Ausgriff auch nach unten. (Ebd., S. 87)

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rischen Gesellschaft, deren Verwirklichung fr uns eine dauernde Aufgabe ist. (16f.) Auf der anderen Seite verpichtet sich die Sozialdemokratie ausdrcklich und mindestens ebenso emphatisch der Werteordnung des bundesdeutschen Produktions- und Verteilungsmodells: Im 20. Jahrhundert ist mit der sozialen Marktwirtschaft ein herausragendes Erfolgsmodell geschaffen worden (42), ein Modell, das gegenwrtig durch die globalen Finanz- und Kapitalmrkte, die keine Grenzen mehr kennen (43), in seinem Bestand gefhrdet sei. Man mag die Ideenwelt des demokratischen Sozialismus fr das globalkapitalistische Zeitalter nicht mehr angemessen halten oder man mag mehr Vorsicht anraten bei der Adoption des im autoritren Liberalismus der Zwischenkriegszeit wurzelnden Ordnungsdenkens der Sozialen Marktwirtschaft. So oder so aber gilt, dass die Verwirklichung des demokratischen Sozialismus und die Verteidigung der bewhrte[n] Ordnung (43) eines sozialen Kapitalismus sich auf der Zielebene politisch-strategischen Handelns schlicht und einfach widersprechen. Dieser fundamentale programmatische Zielkonikt ist im Grunde symptomatisch fr die berchtigte Zwiespltigkeit im sozialdemokratischen Seelenhaushalt98 aber auch fr ein gewisses ideelles Dezit, das im Programmhaushalt eher notdrftig mit einer doppelten Sonderanleihe bei der Vorkriegssozialdemokratie zum einen, der Nachkriegschristdemokratie zum anderen zu decken versucht wird. Als hnlich uneindeutig und dnnhutig in seiner ideellen Fundierung erweist sich das nunmehr grundsatzprogrammatisch geadelte Konzept des Vorsorgenden Sozialstaats. Die zentralen Ziele des vorsorgenden Sozialstaates sind Sicherheit, Teilhabe und Emanzipation (57): So heit es in dem entsprechenden Passus des Hamburger Programms99 kurz und knapp und stark, denn [v]orsorgende Sozialpolitik will Sicherheit, Teilhabe und Emanzipation fr alle verwirklichen (ebd.). Doch wird die Zielbe-

stimmung unterhalb dieser obersten Formelebene rasch ambivalent, wird doch etwa die postulierte Teilhabe fr alle mal als Gleichheit der Teilhabe (15), mal als gerechte Teilhabe (5) ausbuchstabiert und dann wieder in die Zielgre gleiche Lebenschancen (67)100 bersetzt. Zugleich fhlt sich der Programmtext offenkundig immer wieder zu der Hervorhebung des Sachverhalts herausgefordert, dass jeder einzelne Mensch eine nicht an Dritte delegierbare Verantwortung fr sein Leben (14) trage, dass der Vorsorgende Sozialstaat als Sozialstaat fr alle durchaus niemanden aus der Verantwortung fr das eigene Leben [entlsst] (56). Aus diesen in ihrer ideellen Grundierung sozialliberal changierenden Passagen spricht das sozialdemokratische Ringen um die zeitgemen programmatischen Antworten auf die gesellschaftlichen Entwicklungen (13) in aller Deutlichkeit als ein Ringen mit der Welt ebenso sehr wie mit sich selbst.

Der Vorsorgende Sozialstaat im Lichte der Grundeinkommensidee


Die konzeptionelle Unentschiedenheit bzw. positiv gewendet strategische Offenheit der sozialdemokratischen Idee eines Vorsorgenden Sozialstaats lsst eine erste Sondierung von Anknpfungspunkten dieser Konzeption an die in dieser Expertise identizierten fnf Giganten der zuknftigen sozialstaatlichen Entwicklung sowie von mglichen Schnittstellen der Hamburger Programmatik zur Grundeinkommensidee als nicht nur analytisch interessanten Schritt, sondern auch als einen praktisch relevanten und weiterfhrenden Akt sozialpolitischer Verstndigung erscheinen. In rezeptionsstrategisch gebotener Krze soll diese Sondierungsaufgabe hier bernommen werden. Zunchst ist bemerkenswert, dass die Sozialdemokratie an prominenter Stelle im Hambur-

98 Walter 2008, S. 87. 99 Es ist dies Abschnitt 3.7 Der vorsorgende Sozialstaat (SPD 2007b, S. 55-60). 100 So ganz am Ende des Textes, wenn die Zieltrias des Vorsorgenden Sozialstaats in Sicherheit, Teilhabe und gleiche Lebenschancen (SPD 2007b, S. 67) transformiert wird, die Emanzipation als Wertbezug also nicht mehr vorkommt.

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ger Programm im ersten Absatz der unter dem Titel Fortschritt und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert stehenden Einleitung die Freedom from Want-Rhetorik des Beveridge-Plans101, geschlechter- und minderheitenpolitisch erweitert, paraphrasiert: Fr die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen unabhngig von Herkunft und Geschlecht, frei von Armut, Ausbeutung und Angst. (5) Dass zur politischen Garantie eines Lebens frei von Armut, Ausbeutung und Angst nach Aussage des Programms unter anderem die Herstellung von mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen (15) gehrt, lsst ein Grundeinkommen ebenso wir bleiben vorsichtig in den Bereich des Denkmglichen geraten wie der Gedanke an die mgliche Bedingungslosigkeit eines etwaigen Grundeinkommensanspruchs durch folgende programmatische Sentenz angeregt wird: Die Wrde des Menschen ist unabhngig von seiner Leistung und seiner wirtschaftlichen Ntzlichkeit. (14) Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum und kann auch nicht darum gehen, virtuellintellektuelle Koalitionen zu schmieden, wo realiter noch es sei an die eingangs dargelegte Debattenlage erinnert weitgehend Abschottung, Sprachlosigkeit und Unverstndnis herrschen. Es geht vielmehr, dies sei an dieser Stelle vorsichtshalber nochmals wiederholt, um die analytische Erffnung eines Sprachraums und eines Verstndigungsrahmens, innerhalb dessen mgliche konzeptionelle Schnittmengen, Gemeinsamkeiten und Komplementaritten von sozialdemokratischer Sozialstaatsprogrammatik und grundeinkommensorientierten Reformentwrfen material ausgelotet werden knnen (sollten). In diesem, gewissermaen propdeutischen Sinne lsst sich jedenfalls auch eine im Hamburger Programm aufscheinende sozialpolitische Problemdiagnose der Sozialdemokratie konstatieren, die mit der hier entwickelten Systematik der fnf Giganten zumindest teilkompatibel ist. Dies zeigt sich in exemplarischer Weise im Bereich der arbeitspolitischen Herausforderungen des Sozialstaats. Zunchst trifft sich hier der

sozialdemokratische Problemaufriss mit jener Diagnostik des Umbruchs, auf die sich auch Befrworter der Grundeinkommensidee beziehen: Unsere Arbeitsgesellschaft bendet sich in einem tief greifenden Wandel. Das traditionelle Normalarbeitsverhltnis verliert an Bedeutung. Wer gering qualiziert oder nicht mehr jung ist, wird oft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. . Nicht jede und jeder kann durch eigene Arbeit den eigenen Lebensunterhalt bestreiten. (9f.) Erkennbar lassen sich diese Feststellungen allerdings unterschiedlich ausdeuten, wenn es um daraus abzuleitende sozialpolitische Schlussfolgerungen geht im Sinne des Vorrangs fr eine Politik der Arbeitsmarktinklusion ebenso wie im Sinne der Prferenz fr eine Politik der arbeitsmarktexternen Existenzsicherung, die Raum lsst bzw. gibt auch fr den (gesicherten) Lebensunterhalt ergnzende Arbeit auerhalb der Lohnarbeit. Dass die sozialdemokratische Programmatik sich allerdings nach wie vor einem engen, erwerbsgesellschaftlichen Arbeitsbegriff verpichtet fhlt und damit dann doch eindeutig fr die erstgenannte Politikvariante optieren muss , zeigt sich in dem Gute Arbeit fr alle berschriebenen Abschnitt des neuen Grundsatzprogramms: Jede Frau und jeder Mann hat das Recht auf Arbeit. Arbeit ist der Schlssel fr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie gibt Lebenssinn und Anerkennung. Arbeit verhindert soziale Ausgrenzung und ermglicht ein selbstbestimmtes Leben. Arbeitslosigkeit dagegen, meist nicht selbst verschuldet, verletzt die Menschenwrde, grenzt aus und kann krank machen. (51) Was sich zunchst prinzipiell durchaus fr Arbeit auch jenseits der Lohnarbeit reklamieren liee (dass sie institutionell entsprechend gerahmt Teilhabe, Lebenssinn, Anerkennung, Integration, Selbstbestimmung zu gewhrleisten vermag), erweist sich im klassisch erwerbszentrierten Bezug auf die Kategorie der Arbeitslosigkeit dann doch als von den Normalittsvorstellungen der Lohnarbeitsgesellschaft geprgt. Erst ganz am Ende des hier zitierten Abschnitts heit es denn auch, in einem Anug politisch korrekter Pichtbung:

101 Vgl. Beveridge 1942, S. 7.

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Auch ehrenamtliche und gesellschaftlich wertvolle Arbeit jenseits der Erwerbsarbeit gilt es zu frdern. (52) Somit wird man mit Blick auf den Arbeitsbegriff programmatische Anstze einer ffnung des Arbeitsbegriffs feststellen knnen, die aber zugleich wieder erwerbsgesellschaftlich verschttet werden. Deutlich offenere Flanken der sozialdemokratischen Programmatik zu einer nicht allein auf einen bedingungslosen monetren Einkommenstransfer beschrnkten Konzeption des Grundeinkommens plus scheinen sich hingegen hinsichtlich der sozial(staatlich)en Herausforderungen Bildung, Partizipation und Autonomie abzuzeichnen. Bildung gilt der Sozialdemokratie des Vorsorgenden Sozialstaats nicht nur als zentrales Element der Sozialpolitik (56), sondern mehr noch: Bildung entscheidet unsere Zukunft, sie ist die grte soziale Frage unserer Zeit. (60) Zwar ist auch hier nicht eindeutig, worauf die neue Bildungseuphorie (nicht nur) der Sozialdemokratie zielt: auf die Subjekte der (anzustrebenden) Bildungsgesellschaft, die sich dank Bildung selbstbestimmt Ziele zu setzen und Trume zu verwirklichen (ebd.) vermgen oder auf den wirtschaftlichen Wert der Bildungspolitik, da Bildung eine wirtschaftliche Produktivkraft von schnell wachsender Bedeutung (ebd.) darstellt. Doch zielt die Hamburger Programmatik letztlich explizit auf eine inklusive Politik der Bildung fr alle (61) und damit auf Partizipation: Ausgrenzung durch mangelnde Bildungschancen ist Unrecht. (Ebd.) berhaupt deniert sich Gerechtigkeit sozialdemokratisch ber das Prinzip gleicher Teilhabe nicht nur im Sinne der Bildungspartizipation, sondern auch des Zugangs zu Arbeit, sozialer Sicherheit, Kultur und Demokratie, zu allen ffentlichen Gtern (15). Stellt dies eine durchaus in hohem Mae grundeinkommenskompatible Denition eines zentralen sozialdemokratischen Grundwerts dar, so gilt hnliches fr die Hamburger Bestimmung des Freiheitsbegriffs als die Mglichkeit, selbstbestimmt zu leben (15) eine Mglichkeit, die tatschlich nur dem- bzw. derjenigen gegeben ist, der (die) sich sozial ausreichend gesichert wei (ebd.). Der Vorsorgende Sozialstaat, so heit es programmatisch, erffne den Menschen gleiche

Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben (5). Mit der an anderer Stelle zu ndenden Wendung er befhigt die Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu meistern (56), schlgt der Programmtext zwar wieder den Bogen zurck zu einer klassischen Arbeits- und Leistungsrhetorik. Gleichwohl aber ist die Wahlverwandtschaft der sozialdemokratischen Freiheitskonzeption mit den in die Grundeinkommensidee eingelassenen Vorstellungen persnlicher Autonomie unverkennbar. Die vielleicht interessantesten Anstze fr ein mgliches crossover von Vorsorgendem Sozialstaat und Grundeinkommensidee nden sich allerdings mit Bezug auf diejenige soziale und sozialpolitische Herausforderung der Zukunft, die hier in Abgrenzung zu Beveridges Konzeption des Nachkriegswohlfahrtsstaats vielleicht provokativ mit dem Begriff der Mue bezeichnet wurde. Auch in diesem Fall ergibt sich eine unmittelbare Nhe beider Konzeptionen allerdings nur, wenn man die weitreichende programmatische Festlegung der Sozialdemokratie auf ein Menschenrecht auf freie Zeit (vgl. 54) nicht (nur) eng erwerbsgesellschaftlich liest und versteht. Das Hamburger Programm jedenfalls ist erneut nicht eindeutig, ob die Verwirklichung dieses Rechts nur bei den arbeitenden Menschen als problematisch erachtet wird, sprich: ob es im Kern als Arbeitnehmerrecht konzipiert wird. Auf diese Deutung lassen Formulierungen schlieen, die sich sinngem in die sozialwissenschaftliche Diagnose zunehmender Grenzverschiebungen zwischen Arbeit und Leben einschreiben: Wer Arbeit hat, sieht seine Lebensqualitt hug durch steigenden Druck, hrtere Konkurrenz und die Anforderung bedroht, immer verfgbar zu sein. (9) Doch mit (fehlender) Mue als sozialer Herausforderung steht mehr im Raum als Fragen der Qualitt des (Lohn-)Arbeitsverhltnisses: Mue lsst sich als materiale (bzw. material zu ermglichende) Voraussetzung jenes umfassenderen gesellschaftlichen Partizipationszusammenhangs verstehen, der im selben Hamburger Programm wie gesehen mit der gleichen Teilhabe aller Menschen auch an Bildung, Kultur und Demokratie umschrieben wird und an Sozialitt jenseits der Er-

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werbsarbeit: Die Menschen suchen Anerkennung, das Gefhl, gebraucht zu werden, nicht nur im Beruf. Sie leben in und von den Beziehungen in der Familie, zu Partnern, Kindern und Freunden. Dazu brauchen sie Zeit. Wirklich reich sind Menschen nur in einer Gesellschaft, die ihnen mehr selbstbestimmte und freie Zeit gibt. (19) Ein hieraus logisch zu schlieendes Menschenrecht auf freie, selbstbestimmte Zeit kme der Idee des Grundeinkommens ihren lebensweltlichen Implikationen und Weiterungen schon reichlich (gewissermaen: verdchtig) nahe. Der dem vorigen Zitat nachfolgende Satz ist allerdings erneut dazu geeignet, das sozialdemokratisch postulierte Recht auf (um im Bild zu bleiben) Grundzeit als eines zu deuten, das den Beschftigten vorbehalten bleiben soll zielt die Kritik an einem Leben ausschlielich nach der Stoppuhr, im Rhythmus pausenloser Verfgbarkeit (19), doch offenbar auf Zumutungen (in) der Lohnarbeit. Auch hier msste zur Debatte stehen, ob sich die Sozialdemokratie auf eine Konzeption sozialer Rechte verstndigen kann, die unabhngig von dem Faktum und der Form der Erwerbsbeteiligung Geltung erlangen. Dass zu dieser Idee auch im Hamburger Programm noch eine gewisse kulturelle Distanz angelegt ist, zeigen leistungs- und arbeitsethische Merkstze wie Leistung muss anerkannt und respektiert werden (16) oder Nur wer Chancen hat, wird sich anstrengen (56), die darauf verweisen, dass eine Universalisierung sozialer Teilhaberechte im Sinne der Grundeinkommensidee nach wie vor

klassische sozialdemokratische Vorbehalte zu berwinden haben wird. Wir wollen den programmatischen Dialog an dieser Stelle nicht weiterfhren. Ohnehin mag die hier gewhlte Vorgehensweise die Kritik auf sich ziehen, dass ein Abgleich der sozialdemokratischen Programmatik mit der sozialpolitischen Praxis der Partei das operativ instruktivere Vorgehen gewesen wre. Doch nicht darum ging es hier erklrtermaen, sondern vielmehr um die konzeptionelle Vermessung dieser Programmatik im Lichte der Herausforderungen des Sozialstaats und der Idee eines (bedingungslosen) Grundeinkommens. Was dabei deutlich geworden sein drfte, ist die programmatische Ambivalenz, die Uneindeutigkeit und Unentschiedenheit der Sozialdemokratie: Einer Erwerbsgesellschaft im Wandel begegnet sie mit einer reformpolitischen Positionierung, der man die Verankerung im leistungsgesellschaftlichen Industrialismus durchaus anmerkt, in der sich aber eindeutig Gegentendenzen einer postindustriellen, universalistischen Sozialpolitik abzeichnen, die ihren emanzipatorischen Anspruch nicht an den Grenzen des Erwerbssystems enden lsst. Eine solchermaen konturierte Programmatik lsst jedenfalls eine offene und konstruktive Auseinandersetzung mit der Idee des Grundeinkommens jenseits bloer Phantomdebatten mglich erscheinen. Im Ringen um die zeitgemen programmatischen Antworten auf die gesellschaftlichen Entwicklungen bekennen wir uns zum freien Meinungsstreit. (13) Wohlan: Er sollte mglichst bald begonnen werden.

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5. Pessimismus des Verstands, Optimismus des Willens: Politik mit dem Grundeinkommen
Die Zielsetzung der vorliegenden Expertise war bescheiden und anspruchsvoll zugleich: Die Konturen nicht eines Konsenses zwischen Verfechtern und Verchtern der Grundeinkommensidee, wohl aber des Feldes einer mglichen dialogischen Verstndigung zwischen ihnen galt es nachzuzeichnen. Zudem sollte es darum gehen, vielleicht nicht die Herzen, aber doch die Hirne der Sozialdemokratie fr eine gesellschaftspolitische Debatte zu ffnen, die mit dem und vermittelt ber das Grundeinkommen zugleich elementare Fragen der Zukunft der Sozialpolitik sowie der sozialstaatlich verfassten Gesellschaftsordnung verhandelt. Ich mchte die folgenden Schlussbemerkungen auf einige wenige Punkte konzentrieren, die mir mit Blick auf den zuknftigen politischen Umgang mit der Grundeinkommensidee inner- wie auerhalb der Sozialdemokratie von zentraler Bedeutung zu sein scheinen. Erstens scheint das Geheimnis des ffentlichen Erfolgs der Grundeinkommensidee ihrer breiten Resonanz in Medien und sozialen Bewegungen Ausdruck nicht zuletzt auch der programmatischen Leere auf Seiten der deutschen Linken (verstanden als nicht parteipolitisch gebundener Sammelbegriff) zu sein. Das Grundeinkommen fungiert in der jngeren Debatte als Chiffre gesellschaftspolitischen Wandels, als Metapher fr institutionelle Innovation und konzeptionelle Kreativitt Pfunde, mit denen auf der linken Seite des politischen Spektrums hierzulande nicht gerade gewuchert wird. Das Grundeinkommen ist zudem eine sozialstaatlich geprgte alternative Antwort auf die Krise des Sozialstaats102 ein politisches Angebot nicht zur Delegitimierung, Erosion oder berwindung des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, sondern zu seiner ideellen und institutionellen Erneuerung. All dies macht das Grundeinkommen zu einem attraktiven Gegenstand der gesellschaftspolitischen Debatte einer Debatte, der sich die Sozialdemokratie nicht entziehen sollte. Zweitens liegt der Charme des Grundeinkommens in der Kombination von revolutionrer Idee und potenziell zumindest reformistischer Praxis. Denn es ist keineswegs so, dass das Grundeinkommen nur ganz oder gar nicht zu haben wre.103 Als Leitidee zuknftiger Sozialreform verstanden, knnte es durchaus zum Fluchtpunkt einer Politik der kleinen Schritte werden, als eine normative Leitlinie fungieren, die eine modulare Reform von Teilbereichen der sozialen Sicherung strukturiert104, beispielsweise zunchst der Alterssicherung in Form einer Garantierente, sodann des Arbeitslosengelds, des Kindergelds usw.105 Diese einzelnen Grundeinkommensmodule wren nicht sogleich Brckenkopf fr eine andere Gesellschaft106, sondern zunchst einmal Sttzpfeiler eines anderen Sozialstaats. Aber als solche htten sie durchaus ein transformatives Potenzial, denn die soziale Dynamik einer durch

102 Storz 2007. 103 So aber lautet einer der radikalen Vorbehalte etwa Krtkes: Leider eignet sich das bedingungslose Grundeinkommen nicht fr die Art der Reformpolitik, die in kapitalistischen Demokratien mglich ist. Es Schritt fr Schritt, im gewohnten Schneckentempo einzufhren, wrde nur ein gewaltiges Durch- und Nebeneinander von ganz unterschiedlichen Sozialleistungen zustandebringen. Um zu einem Grundeinkommen zu kommen, muss man wohl oder bel springen hinein in ein anderes System, das den althergebrachten Sozialstaat vollkommen ersetzt. (2007, S. 155) 104 Opielka 2007, S. 10. 105 Vgl. dazu auch Strengmann-Kuhn 2007. Immerhin ist es ja jedenfalls nicht so, dass der gegenwrtige Sozialstaat nicht selbst ein gewaltiges Durch- und Nebeneinander von ganz unterschiedlichen Sozialleistungen (Krtke 2007, S. 155; vgl. Fn. 102) darstellen wrde. 106 Kipping 2006.

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die Grundeinkommensidee inspirierten politischen Reformstrategie des Sozialstaats ist a priori in der Tat unvorhersehbar. Drittens und propos soziale Dynamik steht und fllt die Grundeinkommensidee mit ihrer Akzeptanz in der Bevlkerung. Eine Diagnose in dieser Hinsicht muss gegenwrtig uneindeutig ausfallen. Einerseits werden die sozialpolitischen Prferenzen sozialer Akteure nicht zuletzt durch die bestehenden sozialpolitischen Institutionen geprgt: Ein Sozialstaat, der nach Magabe des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit konstruiert ist, operiert auch mit einer entsprechenden Rechtfertigungsordnung und schafft sich ber die Zeit ein Fundament funktionaler (in besagtem Fall: leistungsorientierter) Werthaltungen. Doch soziale Phnomene der jngeren Zeit wie die Rckkehr von Unsicherheitserfahrungen oder die offene Politisierung von Verteilungsfragen107 haben das normative Fundament des deutschen Sozialstaats in Bewegung versetzt. Insofern scheint es, als sei eine (gradualistische, modulare) Politik mit dem Grundeinkommen nicht ganz aussichtslos eine Politik, die sich ber ihre schrittweise Institutionalisierung nach und nach auch die Basis ihrer sozialen Akzeptanz schaffen knnte. Viertens aber gilt es eine Frage zu thematisieren, ber die nicht nur die gegenwrtige Sozialpolitik, sondern auch die Propagandisten ihrer grundlegenden Umgestaltung gerne (oder jedenfalls: ohne erkennbare Bauchschmerzen) hinwegsehen: die Frage des Grenzregimes des Sozialstaats der Zukunft.108 Die im Grundeinkommen verkrperte Idee universell garantierter Teilhabechancen stellt eine normativ anspruchsvolle Konzeption dar zumal in Zeiten zunehmender (und zunehmend globaler) Armuts- und Arbeitsmigration. Die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung ber die Grenzen und Grenzziehungen

sozialstaatlicher Leistungsverbrgungen wird ein existenzieller Prfstein einer in welcher Weise auch immer vernderten Politik mit dem Sozialstaat sein. Die Debatte um das Grundeinkommen wird sich dieser Problematik auf Dauer nicht verschlieen knnen. Fnftens gilt es, dem Entstehungskontext der vorliegenden Expertise entsprechend, abschlieend die Sozialdemokratie zu adressieren. Die Zukunft ist offen, betont die SPD in ihrem neuen Grundsatzprogramm zweimal, am Anfang und am Ende.109 Die Zukunft ist offen und die sozialpolitische Programmatik der Sozialdemokratie ebenfalls. Mit dem Vorsorgenden Sozialstaat ist noch keine wenigstens vorlug endgltige Festlegung getroffen worden, in welche Richtung die sozialpolitische Reise der Sozialdemokratie in den kommenden Jahren gehen wird. Die Zukunft des Sozialstaats ist offen und eben deshalb gilt: Die Sozialdemokraten werden sich irgendwann wohl entscheiden mssen.110 Die Debatte um das Grundeinkommen steht auch und gerade paradigmatisch fr diese sozialpolitische Entscheidungssituation, in der die ernsthafte, konstruktive Auseinandersetzung mit Alternativen, mit Innovationen, selbst mit utopischen Entwrfen des Neuen auf die sozialdemokratische Agenda rcken msste. Gegenwrtig ndet das Grundeinkommen Anschluss an die konventionelle Politik allenfalls via PDS/ Die Linke.111 Der Expertisenauftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, der hiermit erfllt ist, knnte und sollte diese Situation verndern. Politik braucht Sozialwissenschaft. Denn der wissenschaftlich khlere Blick, der von unmittelbaren Handlungsverpichtungen abstrahieren kann, ist die Grundlage jener Analyse, ohne die wir den richtigen Weg nicht nden werden.112 Was das vorliegende sozialwissenschaftliche Produkt fr die Wahl des richtigen Weges

107 108 109 110 111 112

Offe 2005, S. 150. Vgl. hierzu Lessenich 2006. (Madsen, 2007). Vgl. SPD 2007b, S. 5 und S. 67. Walter 2008, S. 89. Vobruba 2006, S. 184. So Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz in seiner Rede (Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in einer exiblen Arbeitswelt) auf dem 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft fr Soziologie am 10. Oktober 2008 in Jena. Im Internet unter http://www.bmas.de.

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leisten kann, sei dahingestellt. Was zu leisten es sich vorgenommen hat, ist die Befrderung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Suche nach neuen Wegen sozialstaatlicher Politik das Feld zu bereiten fr eine dialogisch gefhrte gesellschaftspolitische Debatte um die Zukunft des Sozialstaats. Dem Hamburger Programm der SPD gelten Wissen und Ideen als Produktivkrfte113 warum sollten nicht auch das Wissen um die Notwendigkeit eines anderen

Sozialstaats und die Idee des Grundeinkommens als Produktivkrfte einer offenen und nachhaltigen gesellschaftspolitischen Debatte wirken knnen? Pessimismus des Verstands, Optimismus des Willens so lautet ein Diktum Antonio Gramscis114, das mit Blick auf diese Frage einschlgig erscheint: Die Erfahrungen der bisherigen Grundeinkommensdebatte stimmen den Beobachter nicht eben optimistisch aber der Wille zur Vernderung stirbt zuletzt.

113 SPD 2007b, S. 47. 114 Antonio Gramsci, Gefngnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 1, Hamburg: Argument (Heft 1, 63, Bd. 1, S. 136).

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WISO Diskurs

Friedrich-Ebert-Stiftung

Informationen zum Autor

Prof. Dr. Stephan Lessenich Institut fr Soziologie Friedrich-Schiller-Universitt Jena [email protected] http://www.stephan-lessenich.de

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ISBN: 978-3-86872-053-2

Neuere Verffentlichungen der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik


Projekt Zukunft 2020
Eine soziale Zukunft fr Deutschland Strategische Optionen fr mehr Wohlstand fr alle WISO Diskurs Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik Renaissance der Stadt Durch eine vernderte Mobilitt zu mehr Lebensqualitt im stdtischen Raum WISO Diskurs Gesprchskreis Sozialpolitik Gerechtigkeit fr Generationen Eine gesamtwirtschaftliche Perspektive WISO Diskurs Gesprchskreis Arbeit und Qualizierung Erwerbslosigkeit, Aktivierung und soziale Ausgrenzung Deutschland im internationalen Vergleich WISO Diskurs Arbeitskreis Arbeit-Betrieb-Politik Entscheidend ist im Betrieb Qualizierte Mitbestimmung als Herausforderung fr Gewerkschaften und Politik WISO Diskurs Europische Wirtschafts- und Sozialpolitik Europas Sozialpolitik als schwieriger Aushandlungsprozess Akteure und Handlungsoptionen unter besonderer Bercksichtigung der Arbeitszeitpolitik WISO Diskurs Gesprchskreis Migration und Integration Bedingungen erfolgreicher Integration Integrationsmonitoring und Evaluation WISO Diskurs Frauen- und Geschlechterpolitik Gender in der Pege Herausforderungen fr die Politik WISO Diskurs

Projekt Zukunft 2020


Eine Wachstumsstrategie fr Deutschland WISO direkt

Wirtschaftspolitik
Die globale Finanzmarktkrise kein Fall fr Sparpolitik WISO direkt Wirtschaftspolitik Ordnungspolitischer Vorrang fr die Finanzierung der Realwirtschaft WISO direkt Wirtschaftspolitik Geld- oder Finanzsektorpolitik: Wer trgt die Hauptschuld an der Finanzkrise? WISO direkt Arbeitskreis Mittelstand Mittelstandsfrderung auf dem Prfstand Erfolgskriterien gesucht WISO direkt Gesprchskreis Verbraucherpolitik Ethik ein neuer Luxusartikel? Verantwortlicher Konsum in Politik und Gesellschaft WISO direkt

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