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Frühneuhochdeutsch

(1350 - 1650)
Kurze Charakteristik,
historisch-sozialer
Hintergrund,
phonematische,
morphematische,
syntagmatische und
lexematische Aspekte
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Zum Begriff „Neuhochdeutsch“

Nach dem Vorschlag Wilhelm Scherers (1878)


wird heute allgemein zwischen dem Mhd. und
dem Nhd. eine eigenständige Periode
„Frühneuhochdeutsch“ angesiedelt. In dieser
Periode entwickeln sich unter völlig neuen
soziokulturellen Verhältnissen (Entwicklung der
Städte, Ostbesiedelung, Buchdruck und
Reformation Luthers) die Grundlagen der
späteren nhd. Schreib- und Verkehrssprache.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Kurze Charakteristik

 Wenn uns das Ahd. hauptsächlich durch den geistlichen


Stand vermittelt wird, in der Form verschiedener
Mundarten, und das Mhd. im Wesentlichen als die einem
Ideal nachstrebende oberdeutsch gefärbte Sprache des
höfischen Rittertums, dann ist das Fnhd. in erster Linie
von den Sprachen der Städte geprägt.
 Das Fnhd. bildet den Anfang der langen Entwicklung
zur deutschen Gemeinsprache, von einer Vielfalt an
Schreibdialekten über einige große überlandschaftliche
Schreibsprachen hin zu einer gemeinsamen
Schriftsprache auf ostmitteldeutscher Grundlage.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Mehrere Faktoren haben zu dieser Entwicklung
beigetragen wie der Einfluss der großen Kanzleien,
die Erfindung des Buchdrucks und die damit
verbundene Wirkung des gedruckten Wortes. Wichtig
war auch die Tatsache, dass es auf verschiedenen
Sachgebieten mehr deutsche Texte zu lesen gab und
dass mehr Leute lesen konnten. Schließlich hat Martin
Luther, besonders durch seine Bibelübersetzung,
eine große Rolle gespielt.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Das Fnhd. ist die Sprache einer Übergangszeit. Es gibt
keine Einheitlichkeit, weder in der Orthografie noch in
der Flexion und Syntax, sondern mehrere Varianten
existieren oft nebeneinander, sogar im selben Text. Im
Wortschatz gibt es teils regionale, teils sozial bedingte
Unterschiede.
 Vom Mhd. unterscheidet sich das Fnhd. durch die
Ausspracheveränderungen der Vokale: fnhd.
Diphthongierung, Monophthongierung,
Vokaldehnung, Vokalkürzung, Vokalrundung und
-entrundung sowie Vokalsenkung.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Historisch-sozialer Hintergrund

 Das Aufkommen der Städte führt zu Beginn der


fnhd. Zeit zum Wandel der feudalen agrarischen
Gesellschaftsordnung des Mittelalters. Neue
Aufgaben im Rechts- und Verwaltungswesen
sowie die Entwicklung der Diplomatie erfordern
eine breitere Bildungselite. Es kommt zu einer
Welle von Universitätsgründungen in wichtigen
Städten.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Ein Streben nach verwaltungs- und
verkehrsmäßiger Vereinheitlichung zwischen
Dialekten führt im 14. Jh. in Städten mit weiten
Handelsverbindungen zu den ersten
überregionalen Kanzleisprachen.
 Übergang vom Pergament zu dem billigeren
Papier Ende des 14.Jh. und Erfindung des
Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch
Johannes Gutenberg 1436.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Gründung neuer Druckereien und Verbreitung
des gedruckten Wortes führen schließlich zur
Entstehung verschiedener Druckersprachen und
zur Vereinheitlichung der Orthografie und der
Sprachformen.
 Im frühen 17. Jh. erscheinen die ersten
Tageszeitungen, ein wichtiger Faktor der
sprachlichen und kulturellen Konsolidierung.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Unter dem Einfluss der Kanzlei- und
Druckersprachen bilden sich auf deutschem
Boden 5 größere Schreibsprachen heraus:
1) die mittelniederdeutsche Schreibsprache,
2) die Kölner Schreibsprache,
3) die ostmitteldeutsche Schreibsprache,
4) die südöstliche Schreibsprache (das Gemeine
Deutsch) und
5) die südwestliche Schreibsprache.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Die Reformation, Martin Luthers Tätigkeit und
besonders seine Bibelübersetzung tragen
wesentlich zur Herausbildung einer
gemeindeutschen Literatursprache bei.
 Der Humanismus ist neben der Reformation die
zweite große geistige Strömung des 16. Jh.
Obwohl die Humanisten die Stellung des Lateins
noch mehr befestigten, förderten sie in
Deutschland ein Interesse an der eigenen
Vergangenheit und Sprache.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Zerfall des alten Reichsgebietes in Einzelterritorien nach
dem Tod Friedrichs II. 1250. Die politische und
wirtschaftliche Zersplitterung führte zur verspäteten
Entwicklung einer deutschen Nationalsprache.
 Die Gegenreformation und die Aufteilung in drei
politisch-religiöse Lager (Lutheraner, Calvinisten und
Katholiken) führten auch zu einer kulturellen Spaltung.
Der 30-jährige Krieg hatte katastrophale humanitäre und
wirtschaftliche Folgen. Darüber hinaus verstärkte er die
Kleinstaatlichkeit und politische Zersplitterung im
Heiligen Römischen Reich.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Das phonologische System des Fnhd.
 Frühneuhochdeutsche Diphthongierung
 Frühneuhochdeutsche Monophthongierung
 Dehnung kurzer Vokale in offenen betonten und
geschlossenen Silben
 Kürzung langer Vokale vor mehrfacher Konsonanz
 Entrundung der Vokale
 Frühneuhochdeutsche Vokalrundung
 Frühneuhochdeutsche Vokalsenkung
 Weitere Entwicklung des Umlauts
 Assimilation und Dissimilation der Konsonanten

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Frühneuhochdeutsche Diphthongierung

Der Prozess beginnt bereits im 12. Jh. im


Südbairischen. Die mhd. Monophthonge [i:],
[u:], [y:] werden im Nhd. zu [ai], [au] und [ɔy]:

mhd. zît  nhd. ?


mhd. mûs  nhd. ?
mhd. niun  nhd. ?

Merkworte: mhd. mîn niuweȥ hûs  nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
mhd. zît  nhd. Zeit
mhd. mûs  nhd. Maus
mhd. niun  nhd. neun

mhd. mîn niuweȥ hûs  nhd. mein neues


Haus

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Frühneuhochdeutsche Monophthongierung
Dieser Lautwandel beginnt schon in der mhd. Zeit, etwa ab
1100. Die mhd. Diphthonge ie, uo, üe werden im Nhd.
zu den Langvokalen [i:], [u:], [y:] monophthongiert, z.
B.:

mhd. lieb  fnhd. ?;


mhd. huon  fnhd. ?;
mhd. süeȥe  nhd. ?

Merkworte: mhd. lieben guoten brüeder  nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
mhd. lieb  fnhd. līb, lieb;
mhd. huon  fnhd. hū(h)n;
mhd. süeȥe  nhd. süß
mhd. lieben guoten brüeder  nhd. liebe
gute Brüder

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Dehnung kurzer Vokale

Kurze Vokale in offener Silbe werden gedehnt:


mhd. lëben  fnhd. lēben,
mhd. wonen  fnhd. wō(h)nen,
mhd. lẹwe  nhd. ?
mhd. vride  fnhd. frīd, friede.
Auch Vokale in geschlossenen Silben werden
häufig gedehnt
1) in Analogie zu flektierten Formen mit kurzen
Vokalen in offener Silbe:
mhd. sunes  fnhd. sūnes; mhd. sun  fnhd. sūn, ?;

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
2) vor bestimmten Konsonanten, v. a. vor r, l, m, n
und Konsonantenverbindungen, v. a.
r + Konsonant:
mhd. für  fnhd. fǖr; mhd. hẹr  fnhd. hēr  nhd. ?;
mhd. wol  fnhd. wōl  nhd. ?; mhd. art  fnhd. ārt
 nhd. ?
Vor r + Konsonant bleibt jedoch oft der
kurze Vokal erhalten:
nhd. bergen, fertig, Herz.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
3) bei unterschiedlichem Stammvokal in Formen des
gleichen Wortes:
mhd. sprach, sprâchen  fnhd. sprāch, sprāchen.
In manchen Fällen ist die Dehnung nicht eingetreten,
besonders vor t, m und den Endungen -er, -el. Meist
sind die Konsonanten dabei verdoppelt worden,
besonders seit dem 16. - 17. Jh.:
mhd. himel  fnhd. himel  nhd. ?;
mhd. wëter  fnhd. weter  nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Regelmäßig unterbleibt die Dehnung vor sch
und ch. In beiden Fällen handelt es sich
um ursprüngliche Doppelkonsonanz, d. h. hier
liegt eigentlich keine offene Silbe vor:
ahd. fiskâri  fnhd., nhd. ?;
ahd. brëchan  fnhd., nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Kürzung langer Vokale

Lange Vokale vor mehrfacher Konsonanz werden in der


fnhd. Zeit gekürzt, v. a. im Ostmitteldeutschen und
Ostfränkischen. Dieser Wandel tritt besonders vor ht
(cht), ft sowie vor r + Konsonant ein:
mhd. dâhte  fnhd. dachte;
mhd. klâfter  fnhd. klafter;
mhd. lêrche  fnhd. lerche.
Vor st unterbleibt die Kürzung oft, z. B.:
mhd. Ôster  nhd. ?;
mhd. trôst  nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Die Kürzung erfasst teilweise auch die Monophthonge, die
erst durch die fnhd. Monophthongierung entstanden
sind:
mhd. lieht  fnhd. ?; mhd. nüehtern  fnhd. ?
Die Kürzung tritt auch dann ein, wenn die mehrfache
Konsonanz durch Komposition entstanden ist:
mhd. brâmber  fnhd. brambör, bramber  nhd. ?;
mhd. hôchzît  fnhd. ?; mhd. hêrlîche  fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Die Kürzung tritt im mitteldeutschen Gebiet auch
vor einfacher Konsonanz ein: vor t und m sowie
vor den Endungen -er, -el, -en.
mhd. muoter  fnhd. ?; mhd. iemer  fnhd. ?;
mhd. wâfen  fnhd. ?
Selten tritt die Kürzung vor anderen Konsonanten
ein, z. B.:
mhd. slôȥ  fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Entrundung der Vokale

Die gerundeten Monophthonge und Diphthonge


[œ], [ø], [y], [y:], [oi], [üe] werden in vielen
Gebieten entrundet und fallen daher mit den
Phonemen [ε], [e:], [ı], [i:] und [ai] zusammen:
mhd. eröugnen  nhd. ?;
mhd. müeder  nhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Vokalrundung

Die Rundung von ursprünglich ungerundeten


Vokalen erfasst vorwiegend oberdeutsche
Mundarten. Ursache für diese Labialisierung ist
vermutlich der Einfluss benachbarter Laute.
 Mhd. e  ö nach w, vor Labialen, sch und l:
fnhd. zwoͤlf, schwöster, woͤllen, hoͤben, troͤschen.
In die Schriftsprache aufgenommen wurden u. a.
Hölle. Löffel, Löwe, löschen, schöpfen,
schwören, zwölf.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Mhd. i  ü nach w, vor sch und
Nasalverbindung, besonders vor Doppelnasal:
fnhd. zwüschen, schwümmen, wüschen, fünden.
Dieser Wandel zeigt sich am stärksten
im Alemannischen.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Vokalsenkung

Mhd. u und ü werden im Mitteldeutschen oft zu


o und ö gesenkt:
mhd. vrum  fnhd. ?
Besonders häufig setzt sich dieser Wandel
vor Nasalen und Nasalverbindungen durch:
mhd. sun  fnhd. ?;
mhd. künec  fnhd. ?;
mhd. sunst  fnhd. ?;
mhd. sumer  fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Aber auch in anderer Nachbarschaft ist
diese Entwicklung festzustellen, v. a.
vor r, l plus Konsonant:

mhd. mügen  fnhd. ?;


mhd. burse  fnhd. ?;

Vom mitteldeutschen Raum aus sind viele Formen in die


Schriftsprache eingedrungen, v. a. wenn der Vokal vor
m(m) und n(n) steht, z. B. Nonne, Sonne, Trommel.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Weiterentwicklung des Umlauts

 Der Umlaut wird mehr und mehr


gekennzeichnet, sodass die Phonemopposition
auch ihren grafischen Ausdruck findet:
fnhd. mutter - mütter.
Die Opposition [a] ↔ [e] wird meist durch die
Grafeme a und ä markiert.
 Der Umlaut erhält stärker als im Mhd. eine
grammatische Funktion, v. a. bei der
Pluralbildung der Substantive und der
Komparation der Adjektive:
mhd. nagele  nhd. ?
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Der Umlaut betrifft zunächst nicht alle Substantive mit
umlautfähigem Vokal oder es gibt anfangs noch keine
Bezeichnung des Umlauts. Bei Substantiven mit dem en-
Plural schwankt der Sprachgebrauch bis in die
Gegenwart:
Bogen / Bögen, Wagen / Wägen.
Beim en-Plural kommen im 17.Jh. neben den umlautlosen
Pluralformen auch die Formen mit Umlaut. Die Formen
mit und ohne Umlaut konkurrieren oft miteinander:
gartner / gärtner, kramer / krämer, rauber / räuber,
traumer / träumer. In vielen Wörtern hat sich der Umlaut
in der Schriftsprache nicht durchgesetzt: Hauer,
Klausner, Maurer, Zauberer.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Entwicklungen im Konsonantismus

 Konkurrenz von b und p in der Schreibung. In


die Schriftsprache wurden u. a. folgende Wörter
mit p übernommen: pochen, Polster, Posaune,
prangen, Prügel, purzeln, putzen.
Die zwischenvokalische Geminata bb erscheint
oft als pp: crippe, rappe „Rabe“, rippe, üppig.
Doppelformen führen zur
Bedeutungsdifferenzierung bei rappe / rabe,
knappe / knabe.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Vor allem im Oberdeutschen wird d vor r zu t:
mhd. drabant  fnhd. ?; mhd. drucken  fnhd. ?
 Das mhd. g geht in weiten Teilen des
Mitteldeutschen in j am Wortanfang und gh oder
ch im Wortinnern über:
mhd. gut  fnhd. (md.) ?; mhd. gar  fnhd. (Nürnb.) ?;
mhd. sagen  fnhd. (md.) ?;
mhd. nachvolgen  fnhd. (md.) ?
Einige Formen sind in die Schriftsprache
übernommen worden: jäh, jählings, mancher,
mancherlei.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Durchsetzung der Affrikate [pf] im Wortanlaut. Während
der gesamten fnhd. Zeit finden sich Formen mit
unverschobenem [p]. Unter niederdeutschem und
mitteldeutschem Einfluss dringen einige Wörter mit
anlautendem [p] in die Schriftsprache ein: pellen,
plunder, plündern, pocke, pöckeln. Im In- und Auslaut
nach m sowie in der Gemination ist die Verschiebung
zur Affrikata im Md. zum großen Teil unterblieben. Eine
Reihe von Wörtern ist mit unverschobenen Formen
schriftsprachlich geworden: klappern, Knüppel, Lippe,
Stempel.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Das mhd. tw (ahd. dw) wird im Fnhd. zum zw
oder kw:
mhd. twalm → fnhd. ?;
mhd. twarc → fnhd. ?;
mhd. twër → fnhd. ?;
mhd. twërch → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
mhd. twalm → fnhd. qualm;
mhd. twarc → fnhd. quark;
mhd. twër → fnhd. kwer;
mhd. twërch → fnhd. zwerch.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Die Epithese des t. Es tritt oft an das Ende eines
Wortes, besonders nach unbetonter Silbe:
mhd. mâne → fnhd. ?;
mhd. ieman → fnhd. ?;
mhd. nirgen → fnhd. ?
Die Epithese ist auch im mittelbaren Auslaut, beim
ersten Teil der Komposita festzustellen:
mhd. anderhalben → fnhd. ?;
mhd. allen halben → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
mhd. mâne → fnhd. mond;
mhd. ieman → fnhd. iemant;
mhd. nirgen → fnhd. nirgent(s);
mhd. anderhalben →
fnhd. anderthalben;
mhd. allen halben →
fnhd. allenthalben.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Ebenso erscheint t als Gleitlaut in
Ableitungen zwischen auslautendem n
und anlautendem l des Suffixes, z. B.:
eigentlich, ordentlich, namentlich.
 Im Anlaut vor Vokalen und im Inlaut zwischen Vokalen
sowie zwischen sonoren Konsonanten und Vokalen setzt
sich der stimmhafte [z]-Laut durch. Im Inlaut nach
kurzem Vokal und neben Konsonanten, v. a. in der
Verbindung st, sp, sowie im Auslaut entwickelt sich ein
stimmloser [s]-Laut. Im Anlaut vor Konsonanten [l, m, n,
w, p, t] wird [s] zum [ ʃ ]:

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
mhd. swërt → fnhd. ?;
mhd. snê → fnhd. ?;
mhd. sprëchen → fnhd. ?;
mhd. stein → fnhd. ?
Im In- und Auslaut nach [r] wird [s] oft zu [ ʃ ]:
bursche, herrschen, kirsche.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Das h zwischen Vokalen innerhalb eines Morphems
verliert auch weiterhin seinen Wert als Hauchlaut und
wird zum Dehnungszeichen.
mhd. sehen [zɛhən] → fnhd. ?;
mhd. nâhe [na:hə] → fnhd. ?
Das ch im Auslaut verliert oft seinen Lautwert:
mhd. schuoch → fnhd. ?; mhd. sach → fnhd. ?
Nach hellen Vokalen entwickelt sich
der velare Reibelaut [x] zum palatalen [ç]:
mhd. rëcht [rεxt] → fnhd.?;
mhd. niht [nıxt] → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Vor s geht der Reibelaut in den Verschlusslaut
[k(g)] über: fuchs, sechs.
 w fungiert bis ins Mhd. als Halbvokal. Zu Beginn
der fnhd. Zeit ist w meist schon labiodentaler
Reibelaut [v], der nun in Opposition zum
stimmlosen Reibelaut [f] steht. Im Inlaut wird [v]
nach [a:] zu [u] vokalisiert. Diese Entwicklung
wird dann in den Auslaut übertragen:
mhd. brâwe → fnhd. ?; mhd. klâwe → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Nach anderen langen Vokalen fällt w im Inlaut
in der Regel aus:
mhd. bûwen → fnhd. ?; mhd. niuweȥ → fnhd. ?
In der Schriftsprache erhalten bleibt inlautendes w nur in
ewig und Löwe.
 Das mhd. j entwickelt sich weiter vom Halbvokal zum
stimmhaften palatalen Reibelaut. Inlautend zwischen
Vokalen fällt j in der Regel aus und wird oft durch h
ersetzt:
mhd. næjen → fnhd. ?; mhd. blüejen → fnhd. ?;
mhd. glüejen → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
In dieser Position kommt es nur bei Wörtern
niederdeutscher Herkunft vor: Boje, Koje.
 Weit verbreitet ist der Wandel von j zu g vor
Konsonanten. Besonders nach r setzt er sich z.
T. in der Schriftsprache durch:
mhd. schẹrje → fnhd. ?;
mhd. mẹtzjer → fnhd. ?

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Das n vor g und k entwickelt sich zum velaren Nasal.
Infolge der Assimilation des folgenden Verschlusslautes
entsteht das Phonem [ŋ].
 Zum alveolaren [r] des Mhd. kommt in der fnhd. Zeit das
uvulare [ʀ] hinzu. Die Aussprache ist zunächst
landschaftlich bedingt, in der fnhd. Zeit dringt das [ʀ]
allmählich weiter vor.
 Beim Übergang vom Mhd. zum Fnhd. und besonders in
der fnhd. Zeit selbst tritt häufig die Assimilation von
Konsonanten auf. Viele von ihnen sind in die
Schriftsprache eingegangen. Die Dissimilation kommt nicht
so oft vor.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Morphologie und Syntax

 In der fnhd. Zeit ist die Herausbildung des


Deklinationssystems der Substantive im
Wesentlichen abgeschlossen. Der starke Deklinationstyp
wird infolge der Vereinheitlichung der Deklination der
Maskulina und Neutra zu einem der Haupttypen.
 Die feminine Einheitsdeklination mit der Nullflexion im
Singular setzt sich endgültig in der nhd. Zeit durch.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Bei der Pluralbildung der Substantive setzt sich das Endungs-e
weiter durch.
 Im Fnhd. entwickeln sich auch die Pluralsuffixe -e(n) und -er. Das
Pluralsuffix -er dehnt sich fast auf alle Neutra aus: der Nachbar ‒
die Nachbarn, das Auge ‒ die Augen, das Bild – die Bilder.
 Unter dem Einfluss des Niederländischen verbreitet sich im
Deutschen das Pluralsuffix -s: der Uhu ‒ die Uhus, der Papa ‒ die
Papas, die Wenns und Abers, die Gutentags.
 Parallel mit der Entwicklung der Pluralsuffixe gewinnt auch der
Umlaut als Pluralmerkmal der Substantive an Bedeutung.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Im Fnhd. vollzieht sich ein beträchtlicher Wandel im System des
Ablauts. Diesen Wandel bewirken fnhd. Diphthongierung,
Monophthongierung, Vokaldehnung und Vokalkürzung. Darüber
hinaus kommt es im 16. ‒ 17. Jh. zum Ausgleich zwischen Prät.
Sg. und Prät. Pl. der Verben.

mhd. nhd.
ich half ‒ wir hulfen ich half ‒ wir halfen
ich sang ‒ wir sungen ich sang ‒ wir sangen
ich reit ‒ wir ritten ich ritt ‒ wir ritten

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Seit dem 15. Jh. beginnt die Entwicklung des Futurs. Die
Umschreibung der Zukunft mit werden + Partizip I verbreitet sich
seit dem 13. Jh.: Diu werdent mîn stimme hœrend „Sie werden
meine Stimme hören“.
 Im 14. ‒ 15. Jh. wird statt des Partizips I auch schon der Infinitiv
gebraucht: Sêlic sint, die reiniu herɀe habent, wan sie unser werdent
sehen „Selig sind diejenigen, die ein reines Herz haben, denn sie
werden uns sehen“.
 Beide Umschreibungen der Zukunft bleiben längere Zeit
gleichberechtigt. Im 16. Jh. beginnt sich das Futur II mit dem Verb
werden zu entwickeln.
 Im 15. ‒ 16. Jh. dehnt sich das Futur auf den Konjunktiv aus.
Allerdings ist sein Gebrauch im 16. Jh. noch selten und nimmt erst
im 17. ‒ 18. Jh. zu.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Die syntaktische Struktur fnhd. Texte kennzeichnet sich durch
größere Komplexität als in früheren Epochen. Die Sätze werden
länger, mit einem größeren Anteil der Satzgefüge.
 Im Fnhd. ist auch schon die moderne Wortfolge der deutschen
Sprache erkennbar ‒ mit dem Verb in der Zweitstellung und der
Reihenfolge anderer Satzglieder entsprechend ihrer Wichtigkeit im
Satz ‒ dem wichtigsten Satzglied am Ende.
 In der fnhd. Zeit wird die Wortstellung in der attributiven Wortgruppe
im Allgemeinen hin zur heutigen Norm geordnet. Die Voranstellung
attributiver Adjektive, Partizipien und Pronomen setzt sich
weitgehend durch: Do macht man ein gros feur auf dem marckt .
„Da legte man auf dem Marktplatz ein großes Feuer an“.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Im Laufe der fnhd. Sprachperiode wird auch der differenzierte
Gebrauch flexionsloser und flektierter Formen der Adjektive
und Partizipien im Prädikativ und in attributiven Wortgruppen
zur Regel. Die Tendenz zur Monoflexion, die den Gebrauch starker
und schwacher Formen der Adjektive derzeit prägt, zeigt sich erst
um die Wende des 18. Jh.
 Die Wortfolge der fnhd. Zeit ist von der heutigen Norm noch weit
entfernt. Wichtige Kennzeichen der gegenwärtigen Wortstellung wie
verbale Klammer und Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz
haben sich noch nicht durchgesetzt. Dazu kommt es erst in der nhd.
Zeit.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Im Fnhd. erfolgt auch der endgültige Übergang von der
Doppelnegation zur Gesamtnegation. Die Doppelnegation, die in
der ahd. und mhd. Sprachperiode noch typisch war, kommt im 16.
Jh. außer Gebrauch.

mhd. nhd.
Wârumbe negêst du niht Warum gehst du nicht
ɀe dem lande? zum Ufer?
Ir nieman enmach Niemand kann ihr
widerstân . widerstehen .

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Die fnhd. Sprachperiode ist durch eine intensive
Entwicklung von Satzverbindung und Satzgefüge
gekennzeichnet.
 Die Tendenz zur Endstellung des Prädikats im
Nebensatz verstärkt sich. Die wichtigsten Gründe dafür
dürften im wachsenden Bedürfnis nach grammatischer
Normung der deutschen Sprache sowie im Einfluss des
Kanzleilateins und der humanistischen lateinischen
Bildung liegen. Im ausgehenden 16. und im 17. Jh. setzt
sich die Endstellung des finiten Verbs im Allgemeinen
durch.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
fnhd. nhd.
Und wen is auff den abend kompt und „Und wenn der Abend kommen wird
ir seen werdet, das si wolgetrunken und ihr werdet sehen, dass sie viel
haben, so gebet ein zeichen. getrunken haben, gebt uns ein
Zeichen“.
Da namen sie einander bei den „Da nahmen sie einander bei den
Händen, damit sie nit voneinander Händen, damit sie einander nicht
kämen. verlieren“.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Wortschatz in der fnhd. Zeit

Beim Wortschatz sind mehrere Faktoren


zu nennen, die auf unterschiedliche Weise
zur Anreicherung des Lexikons beitragen:
1) die landschaftliche Gebundenheit der
Territorialsprachen,
2) ein realistisch-nominalistischer Grundzug der Zeit,
3) der gesellschaftlich-wirtschaftliche Fortschritt,
4) die Sprachgewalt Luthers,
5) der Einfluss der klassischen Sprachen.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Über die Territorialsprachen kommt es zum
Nebeneinander zahlreicher Heteronyme:
Niederdeutsch Mitteldeutsch Oberdeutsch
Pott Topf Hafen
Tischler Tischler Schreiner
Pferd Gaul Ross

In der weiteren Entwicklung konnten sich manche dieser


Heteronyme mit neutraler Denotation allgemein
durchsetzen (Topf, Pferd). Andere machten eine
Bedeutungsveränderung durch (Tischler, Schreiner)
oder erhielten soziale Konnotationen.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Ein realistisch-nominalistischer Grundzug
der Zeit führt zu genauerer Beobachtung der
Umwelt und zu exakterer Kennzeichnung von
Einzelerscheinungen. Das bewirkt die
Verwendung von Synonymen und Metaphern.
So, z. B. bei Johann von Tepl, Ackermann aus
Böhmen:
jagen, hetzen, birsen, beizen, züchtigen, strafen,
bessern; kotfaß, stankhaus, leimtigel, harnkrug (für
den Leib des Menschen).
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Besonders literarische Texte zeigen bald
eine Vorliebe für die Häufung
sinnverwandter Ausdrücke und für
die asyndetische Reihung von Wörtern
oder Satzgliedern. Hierher rührt auch die
spätere Forderung nach lexikalischer Varianz
in normativen Poetiken.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Gleichermaßen werden nun ältere,
unzeitgemäße Wörter verdrängt, z. B. diet durch
volk, barn durch kind, kopf durch haupt. Manche
Wörter verändern ihre Bedeutung:
mhd. kriec „Widerstand, Streit“ → nhd. Krieg „Kampf“;
mhd. hövesch „höfisch“ → nhd. hübsch, höflich;
mhd. edel „adelig“ → nhd. edel „vornehm“.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
 Der gesellschaftlich-wirtschaftliche
Fortschritt bewirkt eine Zunahme der Nomina
agentis, v. a. mit handwerklichen
Berufsbezeichnungen (Böttcher, Gerber, Brauer;
Buchdrucker, Buchbinder; Schuster etc.).
Ebenfalls ist hier der Ersatz der alten
Beinamengebung durch die Einführung fester
Familiennamen zu erwähnen (nach Kriterien
wie Beruf, Herkunft, Abstammung, Wohnplatz u.
a.). Besonders wichtig ist die Ausbildung von
Fach- und Sonderwortschätzen mit starkem
Lehneinfluss, aus denen dann zahlreiche
Elemente in die Allgemeinsprache übergehen.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Luthers Schriften verdankt der deutsche
Wortschatz eine ganze Reihe von
Neubildungen und auch den Erhalt älteren
Wortguts. Im „Deutschen Wörterbuch“ der
Brüder Grimm wurde Luthers Sprachgebrauch
stark berücksichtigt. Zu nennen sind hier einmal
noch erhaltene bildkräftige Neologismen wie
Feuereifer, friedfertig, gastfrei, Glaubenskampf,
Herzenslust, Lückenbüßer, Lästermaul,
Machtwort, Morgenland, Sündenbock,
wetterwendisch.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Von Luther stammen viele Schlagwörter der
reformatorischen Bewegung, z. B. evangelium,
wort gottes, glaube, gnade, christenmensch und
aus der Polemik hervorgegangene
Schimpfwörter papist, schwarmgeist,
werkheiliger, ertzgotteslästerer, beichthengst,
arschhummel, eselfurzbabst, seeltyrann. Aber
auch die typische Verwendung zahlreicher
Würz- oder Modalwörter geht auf Luther zurück:
ja, doch, denn, nun, nur, allein, sonst, schon etc.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
Von Polenz nennt außerdem eine Reihe
ursprünglich dialektaler Ausdrücke wie Splitter,
schüchtern, Spuck, Motte, Knochen, lüstern,
Scheune, bange, Wehklage sowie
niederdeutsche und mitteldeutsche Wörter, die
sich durch Luthers Bibelübersetzung gegen
oberdeutsche durchsetzen konnten: Lippe
gegen Lefze, Peitsche gegen Geißel, Ziege
gegen Geiß, Ufer gegen Gestad.

D. Koroljow. Geschichte der


deutschen Sprache.
Um der Anschaulichkeit willen gebrauchte Luther
viele volksläufige Wendungen, vor allem
Redensarten und Sprichwörter, die so zum
Gemeingut der deutschen Sprache werden
konnten: sein Licht unter den Scheffel stellen,
sein Scherflein beitragen, ein Stein des
Anstoßes sein, ein Dorn im Auge sein, mit
Blindheit geschlagen sein, herrlich und in
Freuden leben, der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, niemand kann zwei Herren dienen, bleibe
im Lande und nähre dich redlich usw.
D. Koroljow. Geschichte der
deutschen Sprache.
 Die klassischen Sprachen Latein und Griechisch
erhielten durch die Humanisten neue Geltung. Es kam
zu zahlreichen Entlehnungen außerhalb der bereits
erwähnten Fachsprachen:
Latein Griechisch
Universität Akademie
Kollege Bibliothek
Professor Gymnasium
Text Pädagoge
diskutieren Apotheke
protestieren Technik
Despot
Pathologie

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deutschen Sprache.
Recht aufschlussreich ist der Beitrag einzelner
Wissenschaften aus dem 15. und 16. Jh.:
Philosophie: Logik, Definition, Deduktion;
Mathematik: dividieren, multiplizieren, addieren;
Medizin: Medizin, Medikament, Kur, Patient, Skelett;
Sprachwissenschaft: Verb, Deklination,
Konjugation, Periode, Etymologie.
Bis heute schöpfen vor allem die westlichen Zivilisations-
und Fachsprachen aus lateinisch-griechischem Wort-
und Wortbildungsmaterial. Produktiv wurden antike
Elemente auch in der Studentensprache: Kommers,
Karzer, Moneten, Jux, Luftikus, Schwulität, burschikos.

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deutschen Sprache.
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deutschen Sprache.

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