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Die Ausstellung „Städel Frauen“ in Frankfurt: Weibliches Muskelspiel

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Louise Breslau, „Jeune femme et chrysanthèmes – Porträt von Mina Carlson-Bredberg“, 1890. Foto: Kulturmuseum St. Gallen, Michael Elser
Louise Breslau, „Jeune femme et chrysanthèmes – Porträt von Mina Carlson-Bredberg“, 1890. Foto: Kulturmuseum St. Gallen, Michael Elser © Kulturmuseum St. Gallen, Michael Elser

Das Städel Museum Frankfurt deckt ein Netzwerk von Künstlerinnen um 1900 auf, das zwischen Paris und Frankfurt agierte und zahlreiche Talente hervorbrachte.

Eigentlich schickte es sich ganz und gar nicht für eine Dame, sich im verruchten Pariser Nachtleben herumzutreiben. Doch die deutsche Malerin Ida Gerhardi (1862–1927) kümmerte sich nicht darum. Sie zog mit Künstlerkolleginnen durch die Tanzhäuser und fing nächtliche Szenen im postimpressionistischen Stil ein. In Deutschland wurden ihre Werke in einer Ausstellung abgehängt.

Die Schweizerin Annie Stebler-Hopf (1861–1918) provozierte einen Skandal mit ihrem Bild „Am Seziertisch“ von 1890: Ein Chirurg ist darauf zu sehen, der einen Männerkörper aufschneidet. Im Pariser Salon empörte man sich. Frauen durften noch lange nicht an Kunstakademien studieren, und erst recht verwehrte man ihnen das Aktstudium. Ein solches Werk konnte nur eine „Leichenfantasie“ sein, noch dazu „unkünstlerisch und unweiblich“!

Louise Breslau (1856–1927), eine der einflussreichsten Malerinnen ihrer Zeit in Paris, legte es selbstbewusst auf einen Vergleich mit Edgar Degas an: Ihr Werk „Junge Frau und Chrysanthemen“ war im Aufbau augenfällig ähnlich zu Degas’ „Frau neben einer Vase mit Blumen“.

Wie sollte man das verstehen? Als strategische Provokation? Als weibliches Muskelspiel? Wenn man die Ausstellung „Städel | Frauen“ im Frankfurter Städel Museum gesehen hat, kennt man die Antwort. Von ihrem Weg abbringen ließen sich die in der Schau vorgestellten Frauen trotz ihres Ausschlusses von Akademien, gesellschaftlicher Erwartungen und Vorurteilen gegenüber ihrem Talent jedenfalls nicht. Sie fanden alternative Wege, um sich künstlerisch ausbilden zu lassen. Sie unterstützten sich gegenseitig, und sie knüpften professionelle Netzwerke.

Eines dieser Netzwerke, das die Frankfurter Künstlerin Ottilie W. Roederstein (1859–1937) zum Mittelpunkt hat, haben die Kuratorinnen und der Kurator der Ausstellung, Eva-Maria Höllerer, Aude-Line Schamschula und Alexander Eiling jetzt rekonstruiert. Dabei sind sie auf weitere 25 bemerkenswerte Künstlerinnenpersönlichkeiten gestoßen, die sie nun dem Publikum näherbringen.

Eigentlich seien es mehr Künstlerinnen und das Netzwerk größer gewesen; viel zu groß, ein „Fass ohne Boden“, wie Höllerer sagt. Aber man schränkte sich fürs Erste ein, um eine nachvollziehbare Ausstellung zu machen. Das ist auf fantastische Weise gelungen: Die Schau führt eindrücklich vor Augen, wie groß der blinde Fleck der Kunstgeschichtsschreibung in Bezug auf Malerinnen und Bildhauerinnen tatsächlich ist. Mit künstlerischer Qualität hat diese Lücke nichts zu tun, das machen die Werke der „Städelfrauen“ deutlich.

Ausgangspunkt der Forschungen war die Roederstein-Ausstellung des Städel im Jahr 2022 und das seit 2019 im Museum verwahrte Roederstein-Jughenn-Archiv. Es enthält Korrespondenzen, Fotografien und weitere Dokumente aus dem Nachlass der Künstlerin. Für die Ausstellung wurden diese in detektivischer Arbeit entschlüsselt, Beziehungen zu anderen Künstlerinnen sichtbar gemacht und deren Werke teilweise per Zeitungsannonce gesucht – eine Art Fahndung nach Gemälden. Noch immer warten die Kurator:innen auf weitere Hinweise zu Bildern, damit die Forschung weitergeht und unter anderem Werkverzeichnisse angelegt werden können. Die Zeit ticke, sagt Eiling, bevor Werke und Archive für immer verschwänden.

Zwei Hauptorte stellten sich als Knotenpunkte von Roedersteins Netzwerk heraus: Frankfurt und Paris. In der französischen Kunstmetropole herrschte in den 1880ern ein freiheitlicheres Klima als in Deutschland. Künstlerinnen konnten dort in privaten „Damenakademien“ lernen und lebten oft in Wohngemeinschaften, weil es sich für eine Frau nicht gehörte, alleine zu wohnen. Louise Breslau war eng mit Roederstein befreundet. Auf ihrem „Porträt der Freunde“ von 1881 hält sie sich und ihre Künstlerinnen-WG mitsamt zotteligem Hündchen auf dem Tisch fest. Das Bild ist ein schöner Opener der Ausstellung, es will sagen: Es geht hier nicht um Konkurrenz, sondern um Zusammenhalt, auch um Freundschaft.

Wie eng die Frauen in Paris miteinander arbeiteten, wie sehr sie sich gegenseitig halfen, ist an zwei – sich sehr ähnlich sehenden – Porträts mit demselben Titel, „Offizier des algerischen Schützenregiments“ (um 1887–1889), zu erkennen, die in der Ausstellung nebeneinanderhängen. Gemalt wurde ein Bild von Elizabeth Nourse (1859–1938) und das andere von Roederstein.

Die Frauen teilten sich von 1887 bis 1898 eine Atelierwohnung in Paris und studierten im Damenatelier bei Carolus Duran und Jean-Jacques Henne. Die Gemälde müssen bei einer gemeinsamen Porträtsitzung entstanden sein. Die Künstlerinnen schätzten sich sehr und kritisierten sich gegenseitig beim Malen. Denn auch im liberaleren Paris war es so, dass Frauen nur einmal in der Woche, ihre männlichen Kollegen hingegen zwei- bis dreimal in der Woche von den Meistern korrigiert wurden. Roederstein und Nourse feierten trotz der schwierigen Ausgangslage große Erfolge in Paris. Roederstein stellte ab 1883 regelmäßig im Pariser Salon aus.

Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in Paris erlernt hatten, nahmen die Künstlerinnen oft mit in ihre Heimat und gaben sie an den weiblichen Nachwuchs weiter. Die in Zürich geborene Roederstein zog 1891 nach Frankfurt, wo sie mit der Hanauer Künstlerin Marie Bertuch (1851–1932) ein privates Schülerinnenatelier eröffnete. Ein Jahr später arbeitete und lehrte Roderstein in ihrem Privatatelier am Städel.

Die Frankfurter Städelschule war auf dem Gebiet der Gleichberechtigung wegbereitend: Bis 1919 war Frauen in Deutschland eigentlich ein Studium an staatlichen Akademien verwehrt. Doch an der Städelschule gab es schon seit 1869 „Damenklassen“, in denen eine Handvoll Studentinnen unterrichtet wurde. Seit 1904 gewährte die Schule Frauen den gleichen Zugang zu allen Klassen wie Männern.

Louise Schmidt (1874–1942) schaffte es sogar schon 1893, als erste Frau in die Bildhauerklasse aufgenommen zu werden. Die Bildhauerei galt wegen der körperlichen Arbeit und dem Staub als „unweiblichste aller Künste“. Außerdem wurde Frauen die Fähigkeit zum räumlichen Denken abgesprochen, sagt Kuratorin Eva-Maria Höllerer. In der Ausstellung ist Schmidts Skulptur „Sonnenanbeter“ von 1900 zu sehen, ein männlicher Akt in Marmor mit einer herrlichen Rückenpartie. Schmidt wurde 1912 Leiterin eines „Meisterateliers für Damen in der Bildhauerei“ – und die erste weibliche Lehrkraft an der Städelschule. Ihre spätere Nähe zu nationalsozialistischen Ideen macht sie allerdings zu einer zwiespältigen Persönlichkeit.

Zu Roedersteins Studentinnen in Frankfurt gehörten unter anderem Hanna Bekker vom Rath (1893–1983) und Pauline Kowarzik (1852–1929), die nicht nur Malerin, sondern auch Sammlerin war. Ihr verdankt das Städel Museum ein bedeutendes Konvolut zeitgenössischer Kunst, das sie dem Museum für eine monatliche Leibrente überließ. Kowarzik wurde als erste Frau in die Ankaufskommission der Städtischen Galerie im Städel Museum berufen.

Die Porträtistin Mathilde Battenberg (1878–1936) lernte ebenfalls bei Roederstein, die ihr als Mentorin ein Stipendium in Paris vermittelte. Eines ihrer in der Ausstellung präsentierten Porträts von 1915 zeigt einen lässigen, Schwarzen Mann in verzierter Kleidung. Nachforschungen des Städel haben ihn als den aus der Karibik stammenden Peter Carl MacKay identifiziert, der in Europa als bezahltes Modell an Kunstschulen, als Erdnusshändler oder im Zirkus arbeitete und dabei mit den kolonialen Fantasien der Europäer spielte.

Neben Roedersteins Städel-Atelier war auch der private Unterricht von Wilhelm Trübner bei weiblichen Kunststudierenden beliebt. Das Städel Museum präsentiert Werke der Frankfurterin Eugenie Bandell (1858–1918) und Alice Trübner (geborene Auerbach) (1874–1916). Für die Künstlerinnen sei es jedoch oft schwer gewesen, aus dem Schatten ihres Lehrers herauszutreten, berichtet das Kuratorenteam. Ähnlich sei es den talentierten Frauen der Max-Beckmann-Klasse gegangen, deren Werke im letzten Raum der chronologisch angelegten Ausstellung zu sehen sind.

Ein Ausnahmetalent war Erna Auerbach, die sich an der nach Bauhaus-Prinzipien umgebauten Frankfurter Kunstgewerbeschule ausbilden ließ. Parallel promovierte sie im Fach Kunstgeschichte. In ihrem Gemälde „Frauenbildnis in Schwarz“, vermutlich einem Selbstbildnis, ist eine modisch gekleidete, lässige, Zigarette rauchende Frau zu sehen, die den neuen, emanzipierten Frauentyp der 1920er Jahre repräsentiert. Doch die goldenen Zeiten für unabhängige Frauen währten nicht lange. Schon bald wurden feministische Errungenschaften durch den Nationalsozialismus zunichtegemacht.

Man kann sich fragen, warum man es bis heute nicht geschafft hat, diese anerkannten Künstlerinnen wieder ins Bewusstsein zurückzuholen. Alexander Eiling hat dafür zwei Erklärungen: Zum einen wurde in der Nachkriegszeit hauptsächlich die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierte Kunst wiederher- gestellt – und das war hauptsächlich Kunst von Männern. Zum anderen hätten Frauen früher oft für den Markt gemalt, um Geld zu verdienen. Sie waren kaum in der Avantgarde präsent – was auch am gesellschaftlichen Korsett lag. Die heutige Auffassung von Kunst sei aber sehr an einem Avantgardedenken ausgerichtet, sagt Eiling. Künstlerinnen fielen in der Geschichte mehrfach durchs Raster. Die Ausstellung „Städel | Frauen“ soll nun einen Beitrag dazu leisten, den weiblichen Teil der deutschen und internationalen Kunstgeschichte zu würdigen und diesen bemerkenswerten Künstlerinnen den Platz einzuräumen, der ihnen gebührt.

Städel Museum , Frankfurt:

bis 27. Oktober. staedelmuseum.de

Erna Auerbach, „Frauenbildnis in Schwarz“, 1932. Foto: Historisches Museum Frankfurt/Foto: Horst Ziegenfusz
Erna Auerbach, „Frauenbildnis in Schwarz“, 1932. Foto: Historisches Museum Frankfurt/Foto: Horst Ziegenfusz © Historisches Museum Frankfurt, Foto: Horst Ziegenfusz
Mathilde Battenberg, Ottilie W. Roederstein und Ida Gerhardi (v. l.) in Roedersteins Pariser Atelier, 1904. Foto: Stadtarchiv Hofheim /Jughenn-Archiv
Mathilde Battenberg, Ottilie W. Roederstein und Ida Gerhardi (v. l.) in Roedersteins Pariser Atelier, 1904. Foto: Stadtarchiv Hofheim /Jughenn-Archiv © Horst Ziegenfusz/Stadtarchiv Hofheim /Jughenn-Archiv

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