1. Startseite
  2. Kultur
  3. Kunst

Mona Lisa geklaut

Kommentare

Leonardo Da Vincis Gemälde der Mona Lisa wird von vielen begehrt.
Leonardo Da Vincis Gemälde der Mona Lisa wird von vielen begehrt. © afp

Vor 100 Jahren wurde die Mona Lisa aus dem Pariser Louvre gestohlen. Paris war in Aufruhr und hielt Gedenkgottesdienste für das verschwundene Gemälde ab. Auch Picasso galt als Verdächtiger.

Von Kai Posmik

Maximilien Paupardin ist an diesem Dienstagmorgen im August 1911 genervt. Dem korpulenten Museumswärter des Louvre bereitet die seit Wochen über Paris liegende Hitze Probleme. Nun stört ihn auch noch ein Maler, der die Mona Lisa festhalten will, wie sie im Salon Carré hängt. Doch ihr Stammplatz ist leer. Auf die Frage, wo sie denn sei, antwortet Paupardin: „Wird fotografiert, vermute ich.“

Dass Maler in Frankreichs meistbesuchtem Museum recht ungezwungen ihrer Tätigkeit nachgehen, ist schon eine Besonderheit. Die Sache mit den Fotografen ist allerdings einzigartig. Der Direktor des Louvre will das Fotografieren bedeutender Kunstschätze fördern. Das soll unter anderem der Fahndung im Falle eines Diebstahls dienen. Jeder Vertragsfotograf des Louvre kann einfach ein Gemälde abhängen und im Fotoatelier des Museums davon seine Bilder machen. Der Wärter Paupardin sorgt sich also nicht um die Mona Lisa. Erst als sich der Maler Stunden später erneut über das fehlende Gemälde beschwert, bequemt er sich Richtung Fotoatelier. Dort jedoch ist es nicht. Erst danach eilt er zum Büro des Museumsdirektors.

Immer wieder falscher Alarm - jetzt ernst

Zunächst glaubt die Leitung des Louvre noch an ein Missverständnis. Immer mal wieder hatte es falschen Alarm bei Leonardo da Vincis Meisterwerk gegeben. Doch das Gemälde lässt sich einfach nicht finden. Das Museum schaltet die Polizei ein. Der Louvre wird abgesperrt und durchsucht. Als man den leeren Rahmen des Bildes entdeckt, wird schnell klar, dass der Diebstahl tags zuvor stattgefunden haben muss – am Montag, dem Ruhetag. Der 21.?August 1911 wird als Tag des bis dahin größten Kunstraubs aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Bald ertönt aus dem Mund jedes Pariser Zeitungsverkäufers: „La Jaconde, c’est partie!“ (La Jaconde ist fort!).

La Jaconde nennen die Franzosen da Vincis bekanntestes Porträt. Denn es zeigt wahrscheinlich Lisa del Giocondo, Ehefrau eines Florentiner Kaufmanns. Lange war Leonardos Mona Lisa nur ein Frauenporträt unter vielen. Doch die Romantiker des 19. Jahrhunderts verehren das Bild und machen es so bekannt. Fast jeden Tag legt ein Verehrer Blumen oder ein Gedicht vor der kühlen Schönen ab. Nun ist Paris schockiert über den dreisten Raub. Die Stadt kennt kein anderes Thema mehr.

Gedenkgottesdienste für die verschwundene Schöne

Gedenkgottesdienste finden statt, Zeitungen loben Belohnungen für die Rückgabe aus. Paris trauert und ist entsetzt, wie schlampig man im Louvre mit Frankreichs Schätzen umgeht. Dass kein Bild an der Wand befestigt ist, erklärt der Museumsdirektor mit der Angst vor Bränden. So ließen sich die Bilder leichter evakuieren. Die Pariser spotten über die unfähigen Wärter, von denen sich natürlich keiner einer Schuld bewusst ist. Die Polizei verhört Hunderte Beschäftigte des Museums, überzeugt, dass der Diebstahl nur mit Fachwissen möglich gewesen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass einhundert Hauptschlüssel zirkulieren, mit denen sich alle Türen öffnen lassen. Der Museumsdirektor wird fristlos gefeuert.

Die Befragung der Beschäftigten im Louvre verläuft enttäuschend. Die Polizei spekuliert auf eine Bande, die im Auftrag eines reichen Kunstsammlers arbeitet. Nachdem die Ermittler anfangs noch von einem schnellen Fahndungserfolg ausgehen, geraten die Untersuchungen nach einer Woche an einen toten Punkt. Am 30. August erscheint jedoch im Paris Journal ein Artikel, der Bewegung in die Ermittlungen bringt. Ein junger Mann hat der Zeitung eine kleine vorchristliche iberische Statue zugespielt, die er aus dem Louvre gestohlen hatte.

Der Mann nennt sich Baron d’Ormesan und prahlt, wie einfach es gewesen sei, sich im Museum zu bedienen. Noch weitere Statuen habe er entwendet, berichtet die Zeitung weiter. Zwei davon verkaufte er an einen Pariser Maler. Der Baron prophezeit, dass sein „Diebeskollege“ auch bald die Mona Lisa zurückbringen würde. Für die Pariser Polizei ist klar, dass der Aufschneider Mitglied der gesuchten Diebesbande ist. Identifiziert man, wer hinter dem Baron steckt, würde man über kurz oder lang auch die Mona Lisa wiederfinden.

Die Geschichte im Paris Journal sorgt unterdessen bei zweien der schillerndsten Pariser Künstler für Panik: Pablo Picasso und Guillaume Apollinaire. Maler der eine, Dichter der andere, mischen sie seit einiger Zeit die Pariser Kunstszene auf. Beide wissen, dass hinter dem Baron d’Ormesan der Belgier Géry Pieret steckt, ein Taugenichts und Abenteurer, der oft in Apollinaires Wohnung übernachtet hat. Seinen Namen hat er sich aus einem Erzählband Apollinaires gestohlen. Es wird nur eine Frage von Tagen sein, bis die Polizei dahinterkommt. Und das ist ein Problem, denn in Picassos Wandschrank liegen zwei kleine Statuen aus dem Louvre. Er ist der Maler, der in dem Artikel als Käufer des Diebesgutes genannt wird. Gegen die Zusicherung von Anonymität bringt Picasso die Skulpturen schließlich in die Redaktion des Paris Journals. Am 6. September berichtet die Zeitung darüber.

Polizei holt Picasso ab

Inzwischen hat die Polizei herausgefunden, dass Apollinaire mit dem Dieb der Statuen bekannt ist. Am 7. September wird er verhaftet. In den Verhören gibt er zu, Géry Pieret zu kennen, bestreitet aber, den Diebstahl der Statuen in Auftrag gegeben oder gar etwas mit dem Verschwinden der Mona Lisa zu tun zu haben. Im Bestreben, sich zu entlasten, zieht er seinen Freund Picasso mit in die Sache hinein.

Am 9. September wird auch der Maler von der Polizei abgeholt. Vor Angst zittert Picasso so sehr, dass ihm seine Geliebte und Muse Fernande das Hemd knöpfen muss. Picasso und Apollinaire werden vor Gericht zu einer Gegenüberstellung gebracht. Picasso und Apollinaire vor Gericht, das ist ein Ereignis. Zumal sie jammern und um Gnade flehen. Picasso behauptet zunächst sogar, Apollinaire nicht zu kennen. Später beschuldigen sie sich gegenseitig, in den Diebstahl der Statuen verwickelt zu sein. Doch es sind nicht nur diese Statuen, um die es dem Gericht geht. In ihrer radikalen Hinwendung zur Moderne haben sich beide oft verächtlich über die Alten Meister geäußert. Apollinaire unterzeichnete sogar einen Aufruf, den Louvre niederzubrennen.

Doch bei allem Verdacht, den beide auf sich gelenkt haben, darf Picasso schließlich unter der Auflage, Paris nicht zu verlassen, nach Hause. Ein paar Tage später wird auch Apollinaire aus der Haft entlassen. Die Aufregung um den Diebstahl legt sich, die Mona Lisa gerät langsam in Vergessenheit. Als bereits niemand mehr mit ihrem Auftauchen rechnet, löst sich der Fall schließlich ohne Zutun der Polizei. Im Dezember 1913 bietet der Italiener Vincenzo Peruggia Leonardos Bild einem Kunsthändler in Florenz zum Kauf an. Peruggia wird verhaftet und gesteht den Diebstahl. Er hatte das Bild in seiner Wohnung in Paris aufbewahrt, nur wenige hundert Meter vom Louvre entfernt, in dem er als Glaser arbeitet. Zusammen mit zwei Komplizen ließ er sich sonntags im Museum einschließen und verließ am folgenden Ruhetag in Handwerkerkleidung das Museum – die Mona Lisa unter dem Arm.

Zurück in die Heimat

Als Beschäftigter des Louvre wurde Peruggia sogar von Polizisten verhört, ohne jedoch aufzufallen. Nach den Motiven gefragt, sagt Peruggia, er wollte die Mona Lisa stehlen, damit sie wieder in ihre Heimat Italien zurückkommt. Finanzielle Interessen dürften bei dem Italiener jedoch wahrscheinlicher gewesen sein. Bis heute hält sich die Version, Peruggia habe im Auftrag eines argentinischen Geschäftsmanns gehandelt, damit dieser nach dem Diebstahl sechs Kopien der Mona Lisa an reiche Amerikaner als das Original verkaufen konnte. Doch diese Auffassung ist umstritten, weil sie nur auf einer einzigen Quelle beruht, einem Artikel eines amerikanischen Journalisten.

Die Freundschaft von Pablo Picasso und Guillaume Apollinaire bricht nach den Ereignissen des Septembers 1911 auseinander. Beide entfremden sich. Picasso äußert sich in einem Zeitungsinterview 1959 noch einmal zum Diebstahl. Vor allem dass er seinen Freund vor dem Gericht verleugnete, bedauerte er: „Ich schäme mich heute noch.“

Auch interessant

Kommentare

Teilen