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Aroa Moreno Durán: „Ruths Geheimnis“ – Wenn die Traurigkeit ans Licht kommt

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Aroa Moreno Durán. Foto: Jairo Vargas Martín
Aroa Moreno Durán. Foto: Jairo Vargas Martín © Jairo Vargas Martín

Nach Franco: Die Spanierin Aroa Moreno Durán legt ihren beklemmenden Roman „Ruths Geheimnis“ vor. Es geht um drei Generationen baskischer Frauen – und um das Verschweigen des Schmerzes.

Immer dieser Nebel, der Nieselregen und das beklemmende Grau. Pasaia heißt dieses baskische Industrie- und Hafenstädtchen, das mondäne San Sebastían liegt wenige Kilometer westlich, die französische Grenze ist auch nicht weit. Alte Industrieschlote, rostige Kräne, eine dezimierte Fischerflotte und dieser Ría, dieser Flusslauf, der sich mit den Gezeiten wandelt. „Er bringt Leben und auch den Tod“, sagte die in Madrid geborene Erfolgsautorin Aroa Moreno Durán in einem Interview mit dem spanischen Sender RTVE am Ort der Handlung.

Hier also, in Pasaia, spielt ihr zweiter Roman. Und wie auch in „Die Tochter des Kommunisten“, der die Geschichte einer vor dem Franco-Regime in die damalige DDR geflüchtete Familie und deren dunklen Flecken nacherzählt, hat auch das semifiktionale Buch „Ruths Geheimnis“ die Entwurzelung der Menschen zum Thema – konkret die Geschichte dreier baskischer Frauen und Mütter, die verschwiegenen, an die Nachfolgegeneration weitergegebenen Traumata, die Fluchten, die Lebenslügen.

Auf Spanisch heißt der sprachlich feinsinnige, auch in der Übersetzung überzeugende Roman „La bajamar“, die Ebbe. Wenn das Wasser geht, kommt das Traurige ans Tageslicht, hier ein Leichnam. Der kleine Matías, der Bruder von Ruth, ist kurze nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs (1936-39) beim Spielen ertrunken („Niemand hatte ihnen das Schwimmen beigebracht“), das erzählt man sich jedenfalls. Und die alte Ruth erzählt Jahrzehnte später, als sich die Gegenwart für sie langsam in Luft auflöst, die Erinnerungen aber geblieben sind, ihrer Enkelin Adirane: „Er war der lebendigste tote Bruder der Welt.“

Als das passierte, waren Ruth und ihre Schwester Amelia schon lange fort, von ihren Eltern mit hunderten anderen Kindern auf ein Flüchtlingsschiff vor den heranrückenden faschistischen Truppen in Sicherheit gebracht. Kurz zuvor hatten die Flugzeuge der deutschen Legion Condor das nahe Guernica vernichtet. „Einen Monat lang weinen ist viel für ein Mädchen, das gerade neun geworden ist, auf einem Schiff, von dem man nicht wusste, in welchem Hafen es anlegen würde“, erinnert sich Ruth. Die Schwestern landen in Belgien bei einer reizenden Pflegefamilie. Das erste Mal im Leben Schokolade, Spielsachen, Herzenswärme.

Das Buch

Aroa Moreno Durán: Ruths Geheimnis. Roman. A. d. Span. v. Marianne Gareis. btb, München 2024. 222 Seiten, 24 Euro.

Zurück im franquistischen Spanien dann, als die Nazis Belgien überrennen. Das karge Leben an der Ría geht weiter. Muss ja. „Glücklicherweise hatten wir Fisch. Aber iss Du mal morgens, mittags und abends Fisch. Dann weißt Du, wie gut er Dir schmeckt“. Ruth wird Mutter, Adriana kommt zu Welt. Als das Mädchen jung ist und auf der Uni, sind im Baskenland die sogenannten bleiernen Jahre angebrochen. Die Diktatur ist in Auflösung, die Terrorbande ETA mordet, und Adriana lässt sich mit einem der ihren ein – Adirane kommt zur Welt und weiß lange nicht, wer ihr Vater ist.

Dann, selbst an der Uni, erfährt sie es und klagt die Mutter an: „Als es hieß, ich sei die Tochter von was, eines Terroristen? Wie sollte ich mir das erklären? Und von welchem? (...) Hat sie mir mit ihrem Schweigen, mit ihrer Feigheit gesagt, wenn Du was wissen willst, dann musst Du das selber entscheiden? Als wäre ihr Part bereits erledigt. Was sollte ich denn anfangen mit dieser Schuld?“

Die Schuld, die Angst, alles wird weitergegeben. Und da sind sie nun in diesem kalten Haus – Adirane hat ihren ungeliebten Mann und ihre fünfjährige Tochter in Madrid sitzen lassen – und kommen sich doch näher. Irgendwie. Sie merken, dass nicht nur das Schweigen sie miteinander verbindet. Das ist zwar nicht versöhnlich, allemal aber mehr als nur diese Traurigkeit.

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