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Deniz Ohde: „Ich stelle mich schlafend“ – Nach dem Korsett

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Deniz Ohde auf der Leipziger Buchmesse.
Deniz Ohde auf der Leipziger Buchmesse. dts/Imago Images © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Der angefasste und angepasste Körper: Deniz Ohde erzählt in „Ich stelle mich schlafend“ von einer Frau in einer toxischen Beziehung.

Am präzisesten gestaltet sich im neuen Roman von Deniz Ohde die Schilderung einer Skoliose-Behandlung – zunächst durch einen beinharten Sanatoriumsaufenthalt, dann mittels eines Korsetts. Hier zeigt und spiegelt sich auch vieles von dem, um das sich „Ich stelle mich schlafend“ dreht, wobei Drehungen bei einer Skoliose, einer Fehlbildung der Wirbelsäule, gleich ein Problem darstellen. Die 14-jährige Yasemin, der das Korsett angepasst wird, um bis zum Ende des Wachstums zu korrigieren, was zu korrigieren ist, lässt das unangenehme Prozedere stoisch über sich ergehen. „Verhalten: unauffällig freundlich“, heißt es ärztlicherseits über sie.

Fast zu offensichtlich, aber doch funktionstüchtig ist das Korsett ein Sinnbild für eine erzwungene Haltungsänderung, eine Disziplinierung, auch für eine medizinisch kalte, aber doch von allen wahrgenommene Bloßstellung und lieblose Berührung. Ein Angefasstwerden. „Das ist ein Job, den viele sich wünschen“, murmelt einer der beteiligten Männer bei der Vorbereitung.

Yasemin lernt nicht nur, aber erst recht hier, dass mit ihrem Körper Dinge getan werden, die sie nicht mag, die aber trotzdem sein müssen. Sie lernt, ruhig zu bleiben, „das Richtige“ zu tun, und „das Richtige“ hat sie sich nicht selbst ausgesucht, und auf bessere Zeiten zu warten, aber nicht mit ihnen zu rechnen. Ihr Körper passt sich an.

Als sie ausgewachsen ist und das Korsett nicht mehr braucht, ist das eine Befreiung, aber der Mensch, der hier befreit wird, fängt an, von Mann zu Mann zu geraten, freiwillig, aber auch getrieben. Yasemin kommt an, sie hat etwas zu bieten, sie mag es, dass man sie mag. Es gibt auch Männer, die ihr leid tun (nicht der seltenste Grund für sie). „Keiner musste sie ernsthaft zwingen“, heißt es später einmal, eine der vielen Stellen, an denen man beim Lesen stutzen wird. Und begreift, dass man gar nicht so viel über Yasemin und ihre Affären weiß, die sie in einem inneren „Register“ listet, wie einst Leporellos Leporello mit Don Giovannis Eroberungen.

Yasemin macht keine Eroberungen, denkt man dann vielleicht, und dass sie für Eroberungen zur Verfügung steht, und dass das ein Unterschied ist.

Das Korsett ist also der präziseste Teil in „Ich stelle mich schlafend“, Ohdes zweitem Roman, der nach dem erfolgreichen Debüt „Streulicht“ von hohen Erwartungen begleitet war. Passt zum Thema. Das Korsett sägt Yasemins Geschichte in zwei Teile, die Ohde aber durch viele Rückblenden ineinander verschränkt. Das Zweigeteilte liegt nicht am Korsett selbst, sondern daran, dass es die erste Geschichte mit Vito beendet. Am Ende ist die zweite Geschichte mit Vito ebenfalls vorbei, sehr endgültig.

Das Buch:

Deniz Ohde: Ich stelle mich schlafend. Roman. Suhrkamp, Berlin 2024. 248 Seiten, 25 Euro.

Es beginnt mit einer suboptimalen Teenagerliebe. Suboptimal, weil Vito ein komischer Typ ist. „Es war eine Verstrickung, keine Verliebtheit.“ Verdächtig auch, dass Vito zwar Gitarre spielt, aber immer bloß ein paar Takte „Polly“ von Nirvana, eine Geschichte über die Vergewaltigung einer 14-Jährigen (nach einem wahren Fall aus dem Jahr 1987), so dass Gewalt gegen junge Frauen eine Art Soundtrack zu „Ich stelle mich schlafend“ darstellt.

Die zweite Geschichte mit Vito, die viele Jahre später beginnt und die einzige richtig gute Beziehung Yasemins zu einem Mann beenden wird, ist von Anbeginn an nicht gut. „Du wolltest das“, sagt Vito. Dem kann sie nichts entgegensetzen.

„Ich stelle mich schlafend“ ist ein Roman über eine toxische Beziehung, aber es ist keine Analyse dieser Beziehung. Während man sich in den abgründigen Schlund dieser Geschichte hineinziehen lässt, bleibt doch alles vage. Yasemin selbst hält eine gewisse Distanz (das kommt einem aus „Streulicht“ bekannt vor). Ohde schildert sie als 1,80 Meter große Blondine mit blauen Augen, aber man erkennt anscheinend doch ihre türkische Herkunft, jedenfalls ist sie mit dem dümmsten Alltagsrassismus konfrontiert („er ist Marokkaner, das ist doch so ähnlich, oder?“). Yasemins innere Beschädigung, die sie so offensiv und zugleich wehrlos macht, wird jenseits der Korsett-Geschichte immer nur partiell ausgeleuchtet. Als mit dem einen Mann, der übrigens Herrmann heißt, endlich einmal vieles schön ist, macht sich Yasemin folgende innere Notiz: „Schlug sich zum letzten Mal 2015 ins Gesicht. Merzte die Lust zum Tode aus. Keine Faktenlage wäre ihr eingefallen, die sie sich zum Vorwurf hätte machen können. Zum Beweis wusch sie ihre Hände in Unschuld, bis die Haut an den Knöcheln aufsprang.“ So dass selbst wenn endlich einmal vieles schön ist, doch weiterhin etwas absolut nicht stimmt.

Vor allem liegt es daran, dass „Ich stelle mich schlafend“ in der dritten Person, aber doch ganz aus Yasemins Perspektive erzählt ist. Man weiß nicht mehr als sie, und sie hat wirklich Schwierigkeiten, die Situation (das heißt: sich) zu überschauen. Das lässt sich nachvollziehen (wie präzise in der Analyse dagegen etwa Terézia Moras „Muna“ als zutiefst verwandte Geschichte über eine toxische Beziehung). Irritierend trotzdem, dass man sprachlich immer wieder ins Stolpern geraten wird, vom „Instinkt“, den Yasemin sich „antrainiert“ hat, über das ständig wechselnde Vorhanden- und Abwesendsein von „Unschuld“, bis hin zu Bildern, bei denen man sich doch nicht ganz sicher ist, ob sie aufgehen. Als nach den guten Küssen mit Herrmann der erste sofort wieder gar nicht gute Kuss mit Vito folgt: „der gereinigte Mund: zur Seite geschoben, wie wenn man nach einem Schluck Wasser mit dem Handrücken die Lippen abwischt.“

Das sind zwar Irritationen, bei denen offen bleibt, ob Yasemins Unmittelbarkeit und Unausgeglichenheit dafür verantwortlich ist oder mehr sprachliche Genauigkeit der Autorin wünschenswert gewesen wäre, den Lesesog jedoch mindert das nicht. Eher, seltsam, steigert es sogar die Glaubwürdigkeit. Der uralte Trick, dass ganz am Anfang das Ende erzählt wird, aber keiner wird es zu diesem Zeitpunkt verstehen, funktioniert ausgezeichnet.

Auch gelingt es Ohde erneut, eine Geschichte so plastisch zu schildern, dass man hier und da autofiktionale Einzelheiten wird erkennen wollen. So fälschlicherweise wie in „Streulicht“.

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