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„Kibogos Himmelfahrt“ von Scholastique Mukasonga: Wer fortkann, überlebt

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Scholastique Mukasonga.
Scholastique Mukasonga. © AFP

Die ruandische Schriftstellerin Scholastique Mukasonga und ihr Roman „Kibogos Himmelfahrt“.

Missbrauch von Macht wirkt besonders grausam, wenn er sich gegen Kinder richtet. Die 1956 in Ruanda geborene Autorin Scholastique Mukasonga beginnt ihren Roman „Kibogos Himmelfahrt“ mit einem solchen Gewaltakt. In irritierend nüchterner Direktheit heißt es gleich zu Beginn: „Kamanzi, unser Unterhäuptling kam, um die Kinder zu holen. Der Kolonist hatte ihn dafür bezahlt.“ Es folgt jedoch keine konfrontative Anklage. In ruhigem, bisweilen märchenhaftem Ton analysiert Mukasonga vielmehr, wie sich anhand äußerer Einflussnahme in dem ruandischen Dorf lange, bevor in Ruanda 1994 an den Tutsi einer der grausamsten Völkermorde der Zeitgeschichte stattfand, Zwietracht ausgebreitet hat.

Der Roman basiert auf einer ruandischen Legende. Königssohn Kibogo, so die Überlieferung, ist von Sehern zum Opfer erwählt worden, um Ruanda vor einer Hungersnot zu retten. „Dieser Kigobo hieß auch Akayézu“, heißt es im Buch, „er trug ein schönes weißes Kleid, so wie die Padri, und er beherrschte die Sprache, in der die Padri bei der Messe mit ihrem Imana redeten“. Auch Kigobo sei, ähnlich wie es die christliche Lehre über Jesus sagt, in den Himmel aufgestiegen, und man erwarte seine Wiederkehr.

Erzählungen ruandischen und christlichen Ursprungs vermischen sich und rivalisieren zugleich miteinander. Am Beispiel des zwischen diese Fronten geratenden Jungen Kabwa, der voller Wissensdrang allen Lehren gegenüber offen ist, wird die destruktive Wirkung dieser Konkurrenz nachvollziehbar.

Scholastique Mukasonga passt ihren Erzählton, der von Übersetzer Jan Schönherr nuancenreich ins Deutsche übertragen worden ist, teilweise dieser kindlichen Perspektive an und rückt so nah an das Leben der Menschen im Dorf heran. Man erlebt, wie die Missionare tiefer und tiefer einen Keil in die Dorfgemeinschaft treiben. Verstärkt wird diese Spannung noch durch Wissenschaftler, die sich diese Region für ehrgeizige Projekte der Afrikaforschung auserkoren haben.

Der naive Blick Kabwas wird ergänzt durch die dezent eingeführte Perspektive eines kollektiven „Wir“. Es ordnet den Wandel, der sich im Dorfalltag vollzieht, ein und macht die im Hintergrund wirksamen Konkurrenzen zwischen ruandischem Volksglauben, christlicher Lehre, wissenschaftlichen Ambitionen, Freimaurertum und kommunistischen Bewegungen ironisch kritisch transparent.

Das Buch

Scholastique Mukasonga:Kibogos Himmelfahrt. Roman. A. d. Franz. v. Jan Schönherr. Claassen, Berlin 2024. 144 S., 23 Euro.

Mit diesem Roman wendet sich die Autorin ihren Erinnerungen an die frühe Kindheit zu. Bereits mit vier Jahren hatte sie ihre Heimatregion aufgrund ethnischer Unruhen verlassen müssen. Überleben, so hatte es ihr Vater erklärt, sei nur durch Bildung und das Verlassen der Heimat möglich. Sie errang in der ruandischen Hauptstadt Kigali einen der wenigen, für Angehörige der Tutsi-Minderheit reservierten Internatsplätze und absolvierte anschließend eine Ausbildung als Sozialarbeiterin. 1973 wurde sie jedoch als Tutsi-Angehörige der Schule verwiesen.

Mukasonga flieht nun vor ethnischen Übergriffen nach Burundi und gelangt 1992 nach Frankreich. Zwei Jahre später explodieren in Ruanda die vielschichtigen gesellschaftlichen Spannungen und führen zum Genozid an den Tutsi. 37 Mitglieder von Mukasongas Familie kamen ums Leben.

Seit 2006, zwei Jahre, nachdem sie ihre Heimat erstmals wieder besuchen konnte, schreibt Scholastique Mukasonga am Beispiel der eigenen Familiengeschichte über die Geschichte Ruandas. Ihr Werk wurde international vielfach ausgezeichnet. Für ihren auf Deutsch unter dem Titel „Die heilige Jungfrau vom Nil“ (Wunderhorn 2014) erschienenen Roman, den Atiq Rahimi auch verfilmt hat, erhielt sie den Prix Renaudot. 2021 wurde sie mit dem Simone-de-Beauvoir-Preis für die Freiheit der Frauen ausgezeichnet. „Kibogos Himmelfahrt“ steht auf der Shortlist des Internationalen Literaturpreises, der am heutigen Freitagabend im Haus der Kulturen der Welt in Berlin vergeben wird.

„Meine Bücher sind Gräber aus Papier“, erklärt die Schriftstellerin 2019 in einem Gespräch mit Koumba Kane in „Le Monde“. So versuche sie, die familiäre Tradition zu wahren und im Schreiben die Erinnerung an die Ermordeten in ihrer Heimat wach zu halten.

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