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Lisa Sandlins „Der Auftrag der Zwillinge“ – Jesus singt, neue Knäste werden gebaut

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Ein kalifornisches Gefängnis, 1971. Foto:Michael Rougier/The Life picture Collection
Ein kalifornisches Gefängnis, 1971. Foto:Michael Rougier/The Life picture Collection © IMAGO/Pond5 Images

Lisa Sandlins dritter Delpha-Wade-Kriminalroman „Der Auftrag der Zwillinge“.

Nach dem Originaltitel des neuen Kriminalromans der amerikanischen Schriftstellerin Lisa Sandlin forschend, des dritten in ihrer Delpha-Wade-Serie, stößt man auf die Angabe, dass „Der Auftrag der Zwillinge“ im Original „The People Store“ heißt, aber in den USA noch nicht erschienen ist. Das ist angesichts vieler Auszeichnungen für Sandlin seltsam, auch wenn gleich vorausgeschickt werden soll, dass dies der schwächste der bisher drei Delpha-Wade-Bände ist, er doch ein paar Längen und Umständlichkeiten hat.

Liegt die Zurückhaltung vielleicht daran, dass diese Romane gedämpft sind im Ton, dass sie die Action-Glätte eines echten Pageturners, die Konsumierbarkeit der meisten Spannungsbestseller vermissen lassen? Sandlin, die eigentlich mit Short Stories bekannt geworden ist, baut immer wieder Erwartungen auf, um sie dann zu enttäuschen. Dafür erdet sie ihre Krimis, lässt sie wirklichkeitsnäher erscheinen als das meiste in diesem Genre. Sie ist ihren Figuren zugewandt, aber sie überhöht sie nicht.

Die Vorgeschichte der als Sekretärin engagierten Delpha Wade, die im Laufe von „Der Auftrag der Zwillinge“ zur echten Ko-Detektivin wird, ist so originell wie dunkel: In Notwehr hat sie einen Mann getötet (sie oder er, hieß es), war 14 Jahre lang im Gefängnis, ist immer noch vielen Auflagen unterworfen – darf sich etwa nicht in einer Kneipe aufhalten, weil es dort Alkohol gibt, darf keine anderen Ex-Häftlinge treffen. Vor allem Männer reagieren sehr hässlich, wenn sie von ihrer Tat erfahren. Natürlich finden sie, die Schlampe sei selbst schuld, sie hat einen hoffnungsvollen jungen Mann um seine Zukunft gebracht. Womöglich hat die „gemeine Mörderin“ alles geplant.

Mit der Regel „keinen Kontakt zu anderen Ex-Häftlingen“ gerät Delpha gleich in Konflikt, als eine der Zwillinge McClung auftaucht, die einst Zirkusartistinnen, dann flinke Taschendiebinnen waren. Die Frau glaubt, dass ihre Schwester im Gefängnis langsam vergiftet wird. Phelan Investigations in Gestalt von Tom Phelan und Delpha Wade mögen doch bitte helfen, doch bitte irgendwas tun. Über Umwege versuchen es die beiden, aber es sind mühsame Umwege. Zum Beispiel der, eine riesige, schlecht gelaunte Insassin zu bestechen, denn möglicherweise ist sie es ja …

Das Buch:

Lisa Sandlin: Der Auftrag der Zwillinge. Thriller. A. d. Engl. von Andrea Stumpf. Suhrkamp, Berlin 2024. 366 S., 17 Euro.

Und dann kommt auch noch ein befreundeter Bewährungshelfer mit Fotografien zu Tom Phelan, mit Belegen dafür, dass im Männerknast halb-heimlich Medikamentenversuche und „Forschungsstudien“ an den Insassen gemacht werden. Halb-heimlich, denn die Beteiligten und Profiteure lassen die Männer vorher irgendwas unterschreiben – ohne dass diese wohl genau verstehen, auf was sie sich da einlassen. Auf das wiederholte Röntgen ihrer Hoden etwa, um zu schauen, wie sich das auf die Fruchtbarkeit auswirkt. Und ob es vielleicht später mal zu behinderten Kindern führt. Die Firma, die dahintersteckt, heißt auch noch „Love Power“.

Lisa Sandlin, und das ist für die Atmosphäre dieses Krimis entscheidend, lässt ihre Geschichte im Dezember 1973 spielen. Der Watergate-Skandal steuert auf seinen Höhepunkt zu. Der Rassismus ist höchst lebendig. Delpha geht mit einer Bekannten ins Kino und schaut sich „Jesus Christ Superstar“ an, einen Film, der sie so bewegt, dass sie gar nicht merkt, wie andere Leute empört rausgehen aus dem Saal angesichts eines singenden Jesus, eines Judas mit Chorusgirls an der Seite. Delpha kennt keine Hippies (wir sind in Beaumont, Texas), „aber ein paar von den Leuten sahen aus wie die auf den Fotos in Zeitschriften, die sie durchgeblättert hatte.“

Telefonnummern werden aus Telefonbüchern herausgesucht, Briefe getippt (von „Sekretärin“ Delpha), Fotos müssen erstmal entwickelt werden, da kann es noch so eilig sein. Und in den USA beginnt die Zeit der privaten Knäste, weil geschäftstüchtige Leute begreifen, dass das eine risikoarme Wette auf die Zukunft ist – immer werden Menschen eingesperrt.

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