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Maryse Condé ist gestorben – Von Guadeloupe in die Welt

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Maryse Condé, 2021.
Maryse Condé, 2021. © AFP

Zum Tod der französischen Schriftstellerin Maryse Condé, die 90 Jahre alt wurde.

Maryse Condé, 2018 in Stockholm mit dem alternativen Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, zählte zu den bedeutendsten Stimmen der frankophonen Literatur. Mehr als 70 Romane, Essays und Theaterstücke sind von ihr publiziert worden. Mit 90 Jahren ist die Autorin am Dienstag gestorben, wie ihr Mann Richard Philcox mitteilte.

Das Leben der kämpferischen Autorin war von politischen Umbrüchen geprägt. Als Maryse Boucolon wurde sie am 11. Februar 1934 in Pointe-à-Pitre geboren und wuchs mit sieben Geschwistern in einem gebildeten gesellschaftlichen Umfeld auf. Ihre Mutter war eine der ersten Schwarzen Grundschullehrerinnen ihrer Generation, ihr Vater gründete die spätere Banque Antillaise.

1953, mit 19 Jahren, zog Maryse zum Studium nach Paris. Hier verkehrte sie in Kreisen revolutionärer Intellektueller. Auf Guadeloupe hatte sie noch gegen das Werk von Frantz Fanon „Schwarze Haut, weiße Maske“ protestiert. Jetzt lernte sie ihre eigene Betroffenheit entdecken und brauchte – wie sie selbst rückblickend erzählt hat – Zeit, bis sie sich aus dieser Entfremdung befreien konnte.

In ihren beiden autobiografischen Romanen („Mein Lachen und Weinen. Wahre Geschichten aus meiner Kindheit“ und „Das ungeschminkte Leben“) erzählt sie bewegend von dem Bruch, den der Weg von Guadeloupe über Paris in die Welt für sie bedeutete. Nicht nur entdeckte sie erstmals, wie stark in der Metropole der 50er Jahre gesellschaftliche Akzeptanz an Herkunft und Hautfarbe gebunden war, sondern auch, was es bedeutete, als schwangere Frau vom Partner verlassen allein in Paris zurückzubleiben. Sie heiratete dort 1958 den aus Guinea stammenden Schauspieler Mamadou Condé und siedelte später auch nach Afrika um.

Hier erlebte sie als unmittelbare Augenzeugin die Höhen und Tiefen der Unabhängigkeitsbewegungen Westafrikas. Sie spricht von den „Halseisen des Neokolonialismus“, in denen Afrika noch gefangen sei. Condés authentische Erfahrungen fließen vielfältig in ihr Werk ein und geben einen einzigartigen persönlichen Einblick in die zum Teil desillusionierenden Prozesse dieser Zeit.

Maryse Condé hat sich mit „Haut und Haaren“ den Zeitläuften ausgeliefert. Sie arbeitet nach ihrer Scheidung als alleinstehende Frau in verschiedenen Orten Westafrikas, begegnet Malcolm X und Che Guevara und erlebt 1966 in Accra (Ghana) den Militärputsch mit. Dort wird sie unter Spionageverdacht ausgewiesen und schafft es nach kurzer Haft, mit ihren inzwischen vier Kindern nach London auszureisen, wo sie später für BBC Afrique als Journalistin tätig wird.

Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit sind die Impulse, die für das wechselhafte Leben richtungsgebend wurden und auch ihr literarisches Werk prägen. Condé hat einen scharfen Blick und exponiert sich außerhalb des Schutzwalls, den Experten westlicher Medien, Hilfsorganisationen und Botschaften für sich in Anspruch nehmen können. Sie profitiert aber vom Austausch mit diesen privilegierten Intellektuellen, die später unter anderem als Präsidenten in ihren Heimatstaaten Karriere machen.

En passant beschreibt die Autorin nicht nur ihre eigene aufwühlende Lebensgeschichte, sondern auch Teile der afrikanischen Zeitgeschichte. Ihr Werk ist zudem verknüpft mit Hinweisen auf Schlüsselwerke der afrikanischen und postkolonialen Gegenwartsliteratur, die oft nicht ins Deutsche übersetzt oder ganz vergessen wurden.

Nach Aufenthalten in den USA kehrt Condé aus gesundheitlichen Gründen nach Frankreich zurück. Von dort aus setzt sie sich weiter für die Unabhängigkeit ihrer Heimatinsel ein und publiziert 2021 mit 87 Jahren ihren letzten Roman, „L’Évangile du nouveau monde“ („Das Evangelium der neuen Welt“, btb 2023).

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