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Rachel Cusk: „Parade“ – Das Recht, das letzte Wort zu verweigern

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Rachel Cusk.
Rachel Cusk. © AFP

Kunst ist die Möglichkeit, nicht zu tun, was man tun soll – trotzdem zeigt sich „Parade“ von Rachel Cusk als fesselnder, funkelnder Text.

Der neue Roman von Rachel Cusk, im Mai erst im englischsprachigen Original erschienen, heißt „Parade“. Eine Parade kommt beiläufig auch vor, vor allem paradieren aber Episoden vorüber und Künstlerinnen und Künstler namens G. „Parade“ verweigert eine stringente Handlung, aber nicht ein Thema.

Es geht, das wird bei einem Buch der Kanadierin nicht überraschen, um Beziehungen, zwischen Frauen und Männern, Eltern und Kindern. Interessanterweise werden diesmal aber nicht nur immer mindestens ein Künstler oder eine Künstlerin dabei sein (G, von Genie?). Auch die Beziehungen werden sich über die Kunst definieren, die Kunst ist es, mit deren Hilfe man sich hier zu verstehen versucht. Nicht, dass das viel nutzen würde, um das gleich dazu zu sagen. Eher scheint es zu einem Missverständnis nach dem anderen zu führen.

Jener G etwa, der eines Tages anfängt, die Welt umgekehrt zu malen (wie Baselitz): Maßt er sich mit diesem radikalen Perspektivwechsel (hin zur Perspektive einer Frau?) etwas an oder versteht er seine Frau endlich? G ist übrigens der Meinung, dass Frauen nicht malen können.

Die Beziehungen in „Parade“ führen geradezu vor, wie die Kunst macht, was sie will. Wie die Künstlerinnen und Künstler machen, was sie wollen. Ihre Umgebung ist es dann, die interpretiert und reflektiert und projiziert. Das kann sie machen, die Umgebung, aber das ist dann ihre Geschichte.

Manche Menschen, überlegt eine der Ich-Erzählerinnen in einer der Episoden, seien eben „bereitwillig das Risiko eingegangen, etwas zu schaffen, ohne verstanden zu werden.“ Das Bild, das die Erzählerin auf diesen Gedanken bringt, stammt von einem Schwarzen, der selbstverständlich ebenfalls G heißt und von dem man erfährt, dass er in seiner Zeit ganz beiseite blieb. Später – eine der feinen Kunstbetriebssarkasmen in „Parade“ – sei er oft mit Künstlerinnen zusammen ausgestellt worden: Passt doch, dachte man sich da anscheinend – „als sei Marginalität an sich eine Identität, unveränderlich.“

Nicht verstanden zu werden: Es ist in Ordnung so, „Parade“ beklagt es nicht, stellt es auch nicht in Frage, im Gegenteil: „Die Kunst ist ein Pakt von Individuen, die der Gesellschaft das letzte Wort verweigern.“ Das ist ein Satz, der sich als Schlüssel verwenden lässt, nicht weil „Parade“ sich dadurch erschließen könnte, sondern weil man begreift, dass es Zeit ist, sich zurückzulehnen. „Parade“ ist ein leserabweisendes Stück Literatur, in sich geschlossen, wie es sich für ein Kunstwerk gehört – laut Cusk, aber es ist einiges dran. Und man kann es trotzdem oder gerade darum staunend und vergnügt lesen.

Eine doppelte Verkehrung der Welt im ersten und auch griffigsten der drei Abschnitte: Da ist der schon erwähnte G, der nun alles auf dem Kopf malt und seine Frau damit irritiert und berührt und frappiert. Da ist außerdem eine Ich-Erzählerin, die in einer äußerst prägnanten, unvergesslichen Szene auf der Straße von einer anderen Frau geschlagen wird und benommen zu Boden geht. „Die Welt steht Kopf“, kommentiert eine Freundin der Frau sinnfällig – während sich die Frau von G, als sie die umgedrehten Bilder zum ersten Mal sieht, fühlt, „als hätte jemand sie geschlagen“.

Das Buch

Rachel Cusk: Parade. Roman. A. d. Eng. v. Eva Bonné. Suhrkamp, Berlin 2024. 172 Seiten, 25 Euro.

Völlig anlass- und grundlos hat die andere Frau zugeschlagen, eine klassische Verrückte, wie sie sich in den Straßen der Städte aufhalten. Allerdings dreht sie sich (aus sicherem Abstand) so provozierend oder forschend noch einmal um, als überprüfe sie das Gelingen ihres Werks. Die Frau leidet aber vor allem darunter, dass es eine Frau war, die sie schlug. „Glaubte ich, von einer Frau geschlagen zu werden, könnte, anders als von einem Mann geschlagen zu werden, meine Schuld sein? Dem Schlag eines Mannes hätte ich keine Bedeutung zuschreiben können, ich hätte niemals einen Grund dafür gefunden, aber Bedeutung zuzuschreiben war jetzt meine Pflicht ... .“ G fängt unterdessen an, seine Frau zu malen. In seinen Bildern hält er sie gefangen.

Gewalt, direkte, latente, enorm komplizierte, platte, subtile, zieht sich auch durch die anderen Episoden, in denen die Gs nun in immer vielfältigeren Identitäten malen, schreiben, Filme machen. Einige sind berühmt geworden, andere nicht. Eine Malerin G muss ihre Tochter zwangsläufig über viele Stunden ihrem Mann und einem Kindermädchen überlassen. Der Mann fotografiert die Tochter ohne Unterlass. Keine Kunst. Die Fotos erscheinen G obszön. Als der Mann einige Zeit fort ist, arrangieren sich die Frauen neu, bei seiner Rückkehr findet er „die Atmosphäre weiblicher Laxheit“ vor und macht sich sofort daran, „seine Autorität wiederherzustellen“.

In etlichen „Parade“-Episoden stecken Romane, die von Cusk und ihrer Kunst der Literaturwelt verweigert werden. Künstler und Künstlerinnen mögen einem ohnmächtig vorkommen, innerhalb des Kunstwerkes verfügen sie aber über eine Allmacht, die die Menschen mit losen Ende sitzen lässt, wenn sie es will.

Auch ist das eine kuriose Allmacht. In einem der wenigen, dafür aber ausführlichen Dialoge in „Parade“ (natürlich geht es um Kunst) erinnert eine scheidende Museumsdirektorin daran, dass kleine Kinder ihren Kot stolz vorzeigen. Sie müssen erst lernen, dass er „widerlich ist und verborgen werden muss, und da habe ich mich plötzlich gefragt, ob diese Botschaft bei künstlerischen Menschen einfach nie angekommen ist“. Klar, lacht ihr Gegenüber, das sei doch genau ihre Aufgabe, „sehen wir uns ihre Scheiße, wie Sie es nennen, nicht aus diesem Grund an? Weil wir uns für unsere eigene schämen?“

Cusks ökonomischer, extrem verdichteter Sprache kommt dieses Buch entgegen, bei dem es sich nicht zuletzt um ein dramaturgisches Experiment handelt: Wie weit vom Plot abgehoben kann ein Roman noch fesseln und funkeln? Sehr weit, sehr, sehr weit? Auch jeder Satz geht in der Verknappung und Konzentration ein Risiko ein.

Unter den Kunstwerken, die manchmal erfunden wirken, manchmal nicht, ist wiederum manches, das sich von selbst versteht. Eine Frau, die sich vorbeugt, um einem Kind zuzuwinken, wird zwar umständlich als kunsthistorische Rarität beschrieben. Aber „die Seltenheit der Liebe hatten wir auch so erkannt“.

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