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Die Verhetzung einer Generation

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Eine Aufnahme der Hitlerjugend aus dem Jahr 1936.
Eine Aufnahme der Hitlerjugend aus dem Jahr 1936. © imago

Eine Studie zur NS-Publikationen im Beltz-Verlag: Forscher kommen zur Frankfurter Buchmesse.

Die Nazis mussten ihre Propaganda nicht ausschließlich selbst machen, Verleger und Autoren haben das teilweise für sie übernommen. Ohne die Mitarbeit der Bevölkerung und der Wirtschaft wäre der Nationalsozialismus nicht möglich gewesen. Jeder in der Gesellschaft, vor allem Unternehmen, die die öffentliche Meinung prägen, trägt Verantwortung; heute wie damals“ – dieses Bekenntnis von Nils Rübelmann aus der Verlegerfamilie zeigt eindrücklich, wie groß das Interesse und Engagement bei Beltz war, die bisher wenig beleuchtete NS-Zeit des traditionsreichen pädagogischen Fachverlags aufzuarbeiten. Nun liegt der Abschlussbericht der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität vor, die Beltz mit der detaillierten Untersuchung des Verlagsprogramms von 1933 bis 1944 beauftragt hatte. Der 1841 im thüringschen Langensalza nahe Erfurt gegründete Verlag prägte in den 1930er-Jahren mit mehr als 1000 Fachbüchern und weiteren Publikationen die pädagogische Diskussion.

Rund elf Prozent, insgesamt 178 Titel, die zwischen 1933 bis 1944 erschienen, stufte die Frankfurter Forschergruppe als ideologisch belastet ein, obwohl Beltz kein NSDAP-Verlag war und dies unter ökonomischen Gesichtspunkten auch nicht notwendig war. „Der Verlag hat sich wie viele andere auch systemkonform mit dem NS-Staat arrangiert“, so die Bilanz von Benjamin Ortmeyer, Professor im Fachbereich Erziehungswissenschaften und Herausgeber des Forschungsberichts „NS-ideologische Publikationen des Beltz-Verlags 1933 - 1944“.

Die Indoktrination umfasste ein breites Spektrum: Gerade zu Beginn des NS-Regimes, von 1933 bis 1935, veröffentlichte Beltz die meisten ideologisch verbrämten Schriften. Neben Biografien rechter Identifikationsfiguren wie Adolf Hitler und Leo Schlageter waren Marschlieder, Gedichte und Erzählung für Jugendliche und Darstellungen der deutschen Geschichte sowie Lehrmaterialien für den Unterricht mit NS-Propaganda gespickt. Bis 1938 zielten ein Großteil der Publikation auf Lehrer, die Propaganda-Materialien an die Hand geliefert bekamen, um ihren Schülern Judenfeindschaft, militaristische Erziehung und die NS-Erziehungslehre einzutrichtern. Während des Zweiten Weltkriegs wurden weiterhin Lehrbücher und Unterhaltungsliteratur für Jugendliche gedruckt.

Ece Kaya, die Leiterin der NS-Foschungsstelle, bezeichnet die 178 Publikationen als erschreckende Dokumente: „Nicht nur plumpe NS-Propaganda zu Hitler und Horst Wessel sind erschienen, auch in Deutsch- und Geschichtsbücher wurde die NS-Propaganda wohldosiert hineingebracht.“ Es handele sich um eine „systematische Indoktrination“, die an Lehrer und Schüler, aber auch an Jugendliche gerichtet war und von penetranter Judenfeindlichkeit und Nationalismus sowie von der Vorbereitung junger Menschen auf den Opfertod im Krieg dominiert war.

Die Forschergruppe ermittelte und begutachtete anhand von Katalogen der Deutschen Nationalbibliothek 1645 Publikationen vom Beltz-Verlag und stufte 178 Titel als ideologisch belastet ein. Da der Verlag nach den Kriegswirren die Sowjetische Besatzungszone verließ und eine Nachfolgefirma in Weinheim bei Heidelberg gründete, standen den Forscher so gut wie keine Unternehmensakten zur Verfügung. Aus diesem Grund ist es den Wissenschaftlern nicht möglich, Angaben zu den Auflagenstärken oder Tantiemen für die Autoren zu machen.

Vor dem Hintergrund des von den Nationalsozialisten betriebenen Euthanasie-Programms und der Ermordung hunderttausender behinderter Menschen, darunter auch viele Kinder, ist die in den Publikationen propagierte, nationalsozialistische „Rassenhygiene“ ein erschütternder Beweis, wie gegen Juden, so genannte „Zigeuner und Entartete“ gehetzt wurde. Auch Mädchen wurde etwa 1939 in der Broschüre „Menschen mühen sich um lebendiges Erbgut“ eingeimpft, die Rassenreinheit zu wahren und „artfremdes und erbschädigendes Blut“ zu meiden. Benjamin Ortmeyer weist darauf hin, dass sich führende NS-Ideologen dabei während ellenlanger pseudo-wissenschaftlicher Diskussionen über die Rassenlehre in unauflösbare Widersprüche verstrickten. Schließlich habe man den Begriff der „Rassenseele“ erfunden, um das Problem zu kaschieren, „wenn in einer Schulklasse blonde und dunkelhaarige Kinder saßen“.

Insbesondere auch der rassistisch untermauerte Nationalismus wurde Lesern in vielen Veröffentlichungen eingehämmert: die deutsche Jugend, die deutsche Frau, die deutsche Arbeit, das deutsche Vaterland, der deutsche Bauer, der deutsche Soldat.

Bei Beltz publizierten nicht nur untergeordnete Studienräte, sondern auch einer der größten Judenhasser, Johann von Leers, sowie viele spätere Professoren der Bundesrepublik Deutschland, darunter Fritz Blättner, Wolfgang Scheibe und einer der bekanntesten Autoren bei Beltz: Peter Petersen. „Man kann ihn auch als Vater   aller Probleme der Reformpädagogik bezeichnen“, so Ortmeyers Kommentar.

Der Pädagoge sprach sich etwa 1936 in dem Werk „Die Führungslehre im Unterricht“ für die Herstellung von Zucht und Disziplin durch gruppenpsychologische Manipulation aus. In „Pädagogik der Gegenwart“ (1937; bei Beltz bis 1973 weiter im Programm) entwickelt der Autor die Idee einer „Volksgemeinschaft“ von der Schule bis zu Wehrmacht, SA, SS und dem Führer. Auch Petersen berühmteste Schrift, der „Kleine Jenaplan“, wurde ab 1934 mit NS-Ideologie angereichert. Bis heute erscheint das Werk ohne Entfernung oder Hinweis auf immer noch vorhandene fragwürdige Passagen im Beltz-Verlag. Dank der Forschungsarbeit, die die rassistischen und antidemokratischen Arbeiten von Peter Petersen wieder ins öffentliche Bewusstsein rückte, benannten sich mehrere Schulen in Deutschland um.

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