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„Der Diplomat“ bei den Nibelungenfestspielen in Worms – Zwischen den Blutbädern

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Brunhild (oben) weiß, wie man mit der Kriegerin Witta fertig werden kann. Foto: David Baltzer
Brunhild (oben) weiß, wie man mit der Kriegerin Witta fertig werden kann. © david baltzer / bildbuehne.de

„Der Diplomat“: Bei den Wormser Nibelungenfestspielen geht es an sich topaktuell zur Sache, verläuft sich aber in einem leicht bizarren gegenseitigen Abmurksen.

Im Kern zwei starke Setzungen, drumherum die Dramaturgie eines immer dölleren Mordens. Sie ist aber nicht ausgeflippt genug, um „Kill Bill“ zu sein, und nicht triftig genug, um uns ernsthaft etwas über das Leben zu lehren (außer dass es am Ende so oder so ans Sterben geht), und nicht grausig genug, um das Publikum im Anschluss verängstigt in die Wormser Nacht hinaustaumeln zu lassen. Die Frage ist nachher: Wer ist der oder die nächste, wie wird es geschehen? Zur Verfügung stehen Gift und Dolch und Dolch und Gift, ferner ausgefuchste Grifftechniken.

Hier aber die beiden starken Setzungen, die Feridun Zaimoglus und Günter Senkels jüngster Beitrag zu den Nibelungenfestspielen, „Der Diplomat“, zu bieten hat. Die Leiche Siegfrieds, der zu Beginn des Stückes bereits tot ist und für den in Worms eine außergewöhnlich echt wirkende Puppe auf der Bühne aufgebahrt wurde, blutet, seit Mörder Hagen an sie herantrat. Die Bühne von Palle Steen Christensen ist entsprechend in Blut getaucht, vorne und an den Seiten hat sich ekliger, rostroter Morast gesammelt. Das Ensemble wirft sich tapfer hinein, dass es nur so spritzt.

Aus Siegfrieds Leiche fließt es weiterhin heraus, das Blut, quillt, sprudelt. Am Hof von König Gunther und Königin Brunhild hat man sich daran gewöhnt, einerseits. Andererseits wird es – bei allen Gereiztheiten ist man sich da einig – weggeschrubbt, wenn Besuch ins Haus steht. Selbst der imposante Hagen, Thomas Loibl, hilft mit. Aber schon ist das Rinnsal wieder da. Man lebt mit der Schuld, aber nichts ist mehr schön, wenn es so ist.

Die zweite Setzung ist eine Sehnsucht nach Frieden, die nicht in den Gefilden vager Hoffnung bleibt. Hier steigt einer radikal aus dem blutigen Kriegsgeschäft aus, verzichtet dafür auf sein Recht und alle Ambitionen. Es wird übrigens nichts nutzen, aber das liegt dann nicht an ihm.

Der Titelheld ist Dietrich von Bern, im Nibelungenlied ein anständiger, randständiger Gefolgsmann. Auf der Bühne vorm Dom nun: der Diplomat. Er kämpft nicht mehr und blickt oft bekümmert und ernst in die Welt. Weil er sich davon Frieden verspricht, wirbt er für Etzel den Hunnenkönig am Wormser Hof um Siegfrieds verbitterte Witwe Kriemhild, Jasna Fritzi Bauer, die das eisenhart spielt.

Zaimoglu und Senkel erzählen also – gute Idee – vom Scharnier zwischen den beiden Teilen des Nibelungenlieds, dem Übergang von Siegfrieds Ermordung hin zur Rache der Witwe. Sie machen auch deutlich, geradezu überdeutlich, was ihren „Diplomaten“ mit dem Jahr 2024 verbindet: König Gunther in Worms, Marcel Heuperman als maßvoll karikaturesker Politiker, wird sowohl vom Gotenkönig in Rom als auch von Etzel militärisch bedrängt. Wird aber Dietrichs Appeasementpolitik die Welt befrieden oder bei den Tyrannen bloß neuen Hunger nach Macht und Land wecken? Obwohl dies bedeutungsvoll ausgesprochen wird, fängt „Der Diplomat“ dann jedoch gar nicht viel damit an. Stattdessen geht es nun ins Klein-Klein der Ränke, Rivalitäten und Effekte.

Zu allererst sieht man Dietrich in einer Schlacht jenseits des Nibelungenstoffes, Franz Pätzold als um seine Krone kämpfender Dietrich gegen die Kriegerin Witta. Das ist Marta Kizyma, die ihre Rolle als Schurkin vom Dienst sichtbar genießt und unter der in Worms bereits erfolgreich erprobten Regie von Roger Vontobel ungefähr alles macht, was unsereiner sich da ebenfalls vorstellen würde: Lächelnd Kehlen durchschneiden, zynisch züngeln, neckisch gucken, aber auch grimmig die Augenbrauen zusammenziehen. Beim Schwadronieren über die Unfähigkeit aller anderen nachlässig über die Bühne schlonzen. Aber sie kann sich das leisten. Und auch wenn es kaum zu glauben ist, dass das Teilchen, das Tina Kloempken (Kostüme) ihr entworfen hat, für totale Unverwundbarkeit sorgt, so funktioniert es doch bis kurz vor Toresschluss.

Witta ist eine bizarre Figur, optisch und intellektuell wie aus „Game of Thrones“ entstiegen und eine Art Brunhild-Ersatz. Brunhild selbst, Yohanna Schwertfeger, ist als vergewaltigte und zwangsverheiratete Ehefrau Gunthers zur Gewohnheitstrinkerin geworden. Witta soll sicher auch dem Nachteil entgegenwirken, dass Frauen in dieser Geschichte öfter die Opfer sind. Das haben wir jetzt davon. Wie alle astreinen Schurken und Schurkinnen ist Witta einerseits gelangweilt und unkonzentriert, zugleich aber engstirnig und geistig überfordert. Erst ist man vielleicht etwas enttäuscht, dann begreift man, dass Kizyma das perfekt darstellt. Auch wenn man zu diesem Zeitpunkt bereits etwas die Übersicht darüber verloren hat, wer wen warum töten will, hat es etwas für sich, dass es Brunhild ist, die ihr beikommt.

Das sind jetzt alles so Abschweifungen, aber zur Tücke des langen Abends gehört in der Tat ein Mangel an Fokussierung. Das Nibelungenlied ist keine griechische Tragödie, aber auch keine Soap mit Splatterelementen.

Wenig Eindruck hinterlässt die routiniert vor sich hin dräuende Musik von Matthias Herrmann und Keith O’Brien, die viel hätte rausreißen können. Wenig Eindruck hinterlässt unerwarteterweise auch die „Drud“, Etzels erste Frau als Dietrich drangsalierender Geist. Cynthia Cosima Erhardt singt gewissermaßen stumm, erleidet aber wahrhaft das Schicksal eines Gespenstes, das von den meisten nicht gesehen wird. Wenn nichts mehr geht, geht immer noch eine Großaufnahme auf den beiden Leinwänden – ein bewährtes Wormser Mittel, das diesmal oft bloß doppelt und irrsinnig gute Zähne beneiden lässt.

Viel Eindruck hingegen macht Kriemhilds Satz „Was kann ich schon tun?“, von Jasna Fritzi Bauer herrlich unschuldig rausgehauen. Man weiß ja, hoffentlich weiß man, was nachher (also nach dem Stück „Der Diplomat“) geschehen wird, als Gunther und seine Leute Königin Kriemhild an Etzels Hof besuchen. Dietrich, der Friedensstifter, leitet in „Der Diplomat“ völlig unwillentlich eines der größten Gemetzel der abendländischen Literatur ein. Da müsste es einem doch eiskalt den Rücken herunterlaufen.

Imposant das Feuer, in dem nachher Siegfrieds und Giselhers Leiche verbrannt werden (was, auch der zarte Giselher, Aniol Kirberg, kommt schon um? Ja). So will man einmal Brünnhildes Felsen im Wagnerschen „Ring“ umflammt sehen. Auch sonst gibt es Schauwerte unter Einbeziehung der illuminierten Domfassade.

Nibelungenfestspiele Worms: bis 28. Juli. www.nibelungenfestspiele.de

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