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„Die Riesen vom Berge“ in Wiesbaden: Ach Zwiebel, ach Unglück

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Unbestimmt in Raum und Zeit: „Die Riesen vom Berge“. Foto: Karl und Monika Forster
Unbestimmt in Raum und Zeit: „Die Riesen vom Berge“. Foto: Karl und Monika Forster © Karl und Monika Forster

Superbunt und schön: Ingo Kerkhof gelingt mit Luigi Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ am Staatstheater Wiesbaden ein versöhnlicher Abschied von den Laufenberg-Jahren.

Es gibt Schauspieler, die träumen vom Tod auf der Bühne, und falls das zu viel verlangt ist, von einem Finale wie dem Shakespeares mit „The Tempest“ oder Luigi Pirandellos in den unvollendeten „Riesen vom Berge“. Die hatten jetzt Premiere in Ingo Kerkhofs Regie am Staatstheater Wiesbaden und segnen Uwe Eric Laufenbergs Intendanz aus. Schön, dass „I giganti della montagna“, uraufgeführt nach Pirandellos Tod 1936, ihr nach dem blöden Zwist noch so einen konsonanten Schlussakkord geben.

Fast wie bei Shakespeare tritt ein „Zauberer“ auf mit Namen Cotrone, dem Matze Vogel schlicht gewandet in lauernder Dreitagebart-Art dunkle Energie verleiht. Der sizilianische Nobelpreisträger (1934) situierte sein quasi-letztes Stück unbestimmt in Raum und Zeit: zwischen Fabel und Wirklichkeit.

Zwei Gruppen stoßen aufeinander. Einmal Cotrones Kollektiv aus Missfits, deren Villa in den Bergen mit dem Zwiebel- und Unheils-Namen „La scalogna“ auf Hana Ramujkics Bühne zum Zimmer schrumpft. Es hat bessere Zeiten gesehen, Balken blitzen durch die Decke, der Verputz liegt in Trümmern. Und doch enthüllt der arme Raum immer neue Panoramen und Kunstwelten.

Zu den unangepassten „Scalognati“ gehören der Intellektuelle (zugleich Kerkhofs Regisseurs-Alter-Ego) Cotrone, dazu Tom Gerber als alte Frau la Sgricia mit Riesenhut (und Dramaturgen-Ich), Benjamin Krämer-Jenster als glatzköpfig quengelnder Zwerg Quaquèo mit Sonnenbrillen und Lina Habicht als rotäugiges Männchen Milordino. Sie alle machen auf Gespensterhaus, um Leute, die Gesellschaft, fernzuhalten. So sind sie bleich und freakig eingeführt, da taucht die zweite Gruppe auf: eine im Auftrag der Poesie wandernde Komödiantentruppe, deren Niedergang sich dem morbiden Enthusiasmus der Gräfin Ilse (Klara Wördemann) verdankt, die durchweg Kleider für schöne Frauen trägt. Nachdem sie einen Poeten in den Tod trieb, quält sie alle damit, sein ums Verrecken erfolgloses Stück der Welt nahezubringen. Obacht: statt aus einem Werk Pirandellos wird aus „Alkestis“ zitiert, außerdem tauchen Elisabethaner-Anklänge auf.

Eine lustige Orgienszene

Ilses Mann in Wollmütze (Christian Klischat) müht sich um sie; der Kehrvers „Ilse, Ilse, keiner willse“ stimmt so gar nicht. Dann sind da Diamante, die künstlich einfältige Erzählerin im steinbesetzten Goldbustier (Kostüme: Britta Leonhardt), Cromo aus dem Charakterfach mit Hut (Christian Erdt) und Merlin Brown von der Schauspielschule als „l’attor giovine“ Spizzi, den Myriam Lifka als Street-Hiphopper choreografiert. In der lustigen Orgienszene offeriert er auch Liebesdienste. Bei Interesse: bitte zum Bühneneingang!

Zwischen diesen Trupps, die die Poesie und Welt retten und in ein Theater des Unbewussten samt getanzten Marionettenaktionen rutschen (schöne Bilder für Pirandellos kühnen Text), bilden sich auch Paare Ähnlicher: wie Lena Hilsdorfs kleine Frau im großen Mantel Battaglia und Habichts Rotauge oder die zwei Glatzen. Eine Sonderrolle hat Felix Kroll, der als hochbegabter Musiker ständig das Akkordeon schwingt oder Piano jazzt.

Obwohl Kerkhof im Geiste Pirandellos allerhand Theater-im-Theater und böse Schauspieler-Fragebögen einstreut, ist dies eine superbunte, schön und wissend arrangierte Arbeit von Graden, die den Abschied erschwert.

Staatstheater Wiesbaden: 12., 15., 16., 18., 20., 23., 29. Juni. www.staatstheater-wiesbaden.de

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