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„Dreigroschenoper in Bad Hersfeld – Das ist der Mond über Bad Hersfeld

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„Die Dreigroschenoper“ in Hersfeld. Foto: Johannes Schembs/BHF
„Die Dreigroschenoper“ in Hersfeld. Foto: Johannes Schembs/BHF © fotosachse.com

Die „Dreigroschenoper“ eröffnet die Festspiele in der Stiftsruine.

Es ist immer schön, wenn die Stiftsruine in Bad Hersfeld als wesentliche Protagonistin des Abends in Szene gesetzt wird. Bei der „Dreigroschenoper“ von Kurt Weill, Bertolt Brecht und, wie man heute etwas deutlicher miterwähnt, Elisabeth Hauptmann kann man sich das zunächst schwer vorstellen. Aber es fängt gleich ganz gut an. Ein lotterhaftes Etablissement namens „Sinner’s Inn“ (Sünders Einkehr könnte eine deutsche Wirtin ihr Lokal nennen) hat sich mit Leuchtreklame und Rotlicht eingerichtet im ehemaligen Gotteshaus – einem romanischen Bau, der katholischerseits schon gut 200 Jahre aufgegeben war, als er 1761 im Zuge des Siebenjährigen Krieges abbrannte (angezündet wurde, weil die fliehenden Franzosen ihre Vorräte nicht dem Feind überlassen wollten).

Es geht also um einen gebeutelten, ab einem bestimmten Moment des Verfalls aber in diesem so beklagenswerten wie attraktiven Zustand konservierten Ort – und triftiger noch als die kleine blasphemische Frechheit ist darum, dass auch die Welt der „Dreigroschenoper“ mit Zuständen gepflegten Zerfalls spielt. Eine gepflegte Rumpelbude in die andere gepflegte Rumpelbude gesteckt, und hinten hat Volker Hintermeier den prächtigen Vollmond von Soho tiefgehängt. Theoretisch könnte er sich im Laufe der Festspiele am Hersfelder Nachthimmel doppeln, aber so sah es auch gut aus.

„Die Dreigroschenoper“ ist bizarrerweise eine typische Festspielveranstaltung geworden. Das Glamoureuse eines Festivalpremierenpublikums, immer ein wenig kumpanenhaft, dient sozusagen dazu, offenzulegen, dass es sich hier am Ende um eine Revue mit tollen Songs handelt. Auch Kapitalisten und Kapitalistinnen lachen sorglos über den Satz „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“, vielleicht auch deshalb, weil beides ein bisschen theoretisch ist. Wer bricht heute in eine Bank ein, wer gründet heute eine Bank.

Michael Schachermaier, Regie, und Lukas Mario Maier, musikalische Leitung, schauen auch nicht sehr stramm auf die ohnehin etwas westentaschenhaft wirkenden antikapitalistischen Anteile. Eher interessiert sie, und daran führt auch kein Weg vorbei, die Parodie auf bürgerliche Theater- und Lebensideale, für die interessanterweise ja weniger der Realist Peachum und seine Frau stehen, sondern – in einer Rückkehr des Konservativen übrigens, das auch heute viele Familien erleben – Töchterlein Polly und ihr Mackie. Sprechen Götz Schulte und Katharina Pichler als Ehepaar Peachum also mit den Stimmen der Vernunft, fordert Gioia Osthoff als Polly Romantik und Liebe im Leben wie ein Kind ein Gummibärchen und eine weitere Folge „Biene Maja“ am Nachmittag. Sie singt, aber sie quäkt und quietscht und plärrt auch.

Mackie kann ihr aber nicht widerstehen, bis er einer anderen Frau und dann wieder einer anderen Frau nicht widerstehen kann. Simon Zigah ist kein Haifisch, auch wenn er böse werden kann, aber meist ist er ein Sympathikus, schlimmstenfalls ein sanfter Gangsta in ausgesuchten Garderoben (Kostüme: Alexander Djurkov Hotter). Es darf nicht schlecht für ihn ausgehen. Tut es auch nicht. Witzig und irgendwie fair, dass man auch einmal zu groß sein kann: Während Mackie im Gefängnis sitzt – vergitterte Rollcontainer sind zur Hand –, schlüpfen seine wütenden Geliebten zwischen den Stäben hinein und hinaus.

Die Hersfelder Lesart ist also nicht politischer, als sie zwangsläufig sein muss, sie ist stattdessen resolut und eine veritable Rockoper. Der kräftige E-Gitarren-Einsatz ist umso solider, als die riesige Bühne unter freiem Himmel feinen Bänkelgesang in alle Winde verwehen muss. Also wird kräftig in die Saiten gegriffen, auch wird gut gesungen, aber in dem Rahmen, der der „Dreigroschenoper“ bekommt. Es ist keine Oper und es ist kein Gala-Abend, wie auch der schönste Tag im Leben von Polly und Mackie nicht durch bürgerlichen Glanz, sondern allein durch den Kanonensong unvergesslich wird.

Oliver Urbanski ist der Langhaarpolizist, der ihn mit Mackie zusammen in einer bei aller Ausgelassenheit finster nächtlichen Szene darbietet. Als eine Art Gaststar ist Anna Loos als Seeräuber-Jenny zu sehen (die sich im Laufe des Sommers immer wieder einmal mit Lilo Wanders abwechseln wird), eine Anti-Polly in Coolness und Distanz.

Es trifft sich gut, dass in Bad Hersfeld so ein Rest von Drauflos und Wird-schon-Werden mitschwingt. Allzu prächtig ausgestattete „Dreigroschenopern“ sind bereits schmählich gescheitert. Dass am Ende mitgeklatscht wurde wie im Schlagerzelt war zwar peinlich, aber auch wieder einleuchtend. Womöglich hält gerade eine Aufführung ohne Zeigefinger und Zusatzinfo einem Theaterpublikum 2024 noch immer einen Spiegel vor, der ihm womöglich bloß wie ein Zerrspiegel vorkommt.

Bad Hersfelder Festspiele in der Stiftsruine: „Die Dreigroschenoper“ mit Terminen bis 17. August. www.bad-hersfelder-festspiele.de

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