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Die höchsten Sprünge

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Mikhail Baryshnikov 1988 als Apollo.
Mikhail Baryshnikov 1988 als Apollo. © afp

Der grandiose Tänzer Mikhail Baryshnikov wird 70 Jahre alt.

Das Material ist zwar oft unscharf und grisselig, aber das ungeheure Können des Mikhail Baryshnikov ist auf Film festgehalten, seit er auf der berühmten Leningrader Waganowa-Ballettakademie war. Da folgt er den Vorgaben seines Lehrers Alexander Puschkin, hochernst, konzentriert und schon mit jenen dunklen Ringen um die großen Augen, die ihn bis heute ein wenig geheimnisvoll machen. Mit 18 schon wurde er Solotänzer des Kirow, seine Leichtfüßigkeit und Sprungstärke rissen das Publikum hin. Und taten es auch im Westen, wohin ihm sein Ruf vorausgeeilt war, zum Beispiel im kanadischen Toronto. Kanadier organisierten 1974 diskret seine Flucht – sie machte damals fast weltweit Schlagzeilen – und beherbergten ihn erst einmal. Asyl beantragte er dann in den USA.

Wenn man überlegt, welcher Tänzer, welche Tänzerin ungefähr seiner Generation es zum Weltstar gebracht hat, dann fällt einem nur noch der zehn Jahre ältere Rudolf Nurejew ein. Elf Tage lang, so ist es überliefert, brütete Baryshnikov in seinem Versteck, dann tauchte er im Ballettsaal des National Ballet of Canada auf und trainierte mit. Übrigens hatte er gegenüber seinen Fluchthelfern darauf bestanden, den letzten Gastspielabend mit Kollegen des Bolschoi noch zu absolvieren. Es soll ein besonders seelenvoller Auftritt gewesen sein.

Später erzählte er auch, er habe von da an kein Russisch mehr gesprochen. Jedenfalls eroberte er die USA im Sturm. Er tanzte selbstverständlich noch die großen klassischen (Prinzen-)Rollen, unter anderem für das New York City Ballet, seine fantastische Technik ist auf Lehrvideos festgehalten, jetzt, da er all die Sprünge und Drehungen selbstverständlich nicht mehr so ausführen kann. Aber früh schon muss ihm auch klargeworden sein, dass er es mit seiner Ausstrahlung auch beim Film versuchen könnte. 1977 spielte er an der Seite von Shirley MacLaine, 1985 kam „White Nights“ heraus, eine Variante seiner eigenen Geschichte. Er tanzte mit Liza Minnelli, er wurde von Frank Sinatra angekündigt als „dieser fantastische junge Mann“.

Von Anfang an hatte Baryshnikov beteuert, seine Entscheidung, sich in Toronto abzusetzen, sei nicht politisch, sondern künstlerisch motiviert gewesen. Und tatsächlich hat er sich bis heute moderne Stücke auf den Leib schreiben lassen: Sie wurden bescheidener, was ihre körperlichen Anforderungen betraf, waren aber nicht weniger originell und charmant. Er hat auch eine eigene zeitgenössische Company gegründet, das White Oak Dance Project. Mit ihr tourte er noch Ende des neunziger Jahre, bezauberte zum Beispiel in Ludwigsburg mit Soli, die präzise, ausdrucksstark, elegant und trotzdem auch mit hinreißend Lässigkeit getanzt waren.

Inzwischen, heute wird er 70 Jahre alt, spielt er nicht mehr Tänzer, sondern russische Innenminister, russische Künstler, sich selbst, wie er „Doll & Em“ in der britischen Serie am Broadway hilft. Aber Baryshnikov wird, egal, was er noch schauspielerisch leistet, der bedeutendste Tänzer des 20. Jahrhunderts bleiben.

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