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Tony Rizzi mit „Shows You (Maybe) Missed“ – Jedem seine eigene Tragödie

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Tony Rizzi, goldumweht. Foto: Maciej Rusinek
Tony Rizzi, goldumweht. Foto: Maciej Rusinek © Maciej Rusinek

„Shows You (Maybe) Missed“ von Tony Rizzi im Frankfurter Gallustheater.

Tänzer-Choreograf Tony Rizzi, der jetzt am Frankfurter Gallustheater in der Reihe „Frei:GeTanzt“ sein Solo „Shows You (Maybe) Missed“ vorstellte, kennt die abstrakten Höhen moderner Tanzkunst. Er hat sie unter William Forsythe im Ballett Frankfurt, aber auch in Kooperationen mit Jan Fabre mitgestaltet oder als kundiger Zuschauer miterlebt. Seine Originalität als Künstler geht indessen etwas andere Wege. Rizzi kennt und „kann“ alle Purismen der Form, ließ sich aber nie darauf festlegen, sondern schaufelte als Erzähler von spielerisch-kauzigem Humor eher Substanz auf die Bühne, weshalb Zugänglichkeit seine Kunst definiert. Sein neunzigminütiges Solo bestätigt das.

„Shows You (Maybe) Missed“ bringt in Worten, Film- und Bildzitaten und in Kostümen nachgestellt, was der Titel ansagt: drei nie zuvor in Frankfurt gezeigte Stücke von Fabre, Robert Wilson und Pina Bausch, die Rizzi nachhaltig beeindruckten. Also tut er, was er am besten kann: in den Goldtopf des Schönen greifen und hervorzaubern, was er mit uns teilen will. Als Klammer und Abrundung dient ihm eine Hommage an seinen Ende 2017 verstorbenen Vater, den Mikrowellenpionier Peter Rizzi.

Stück Nummer eins, auch bei Rizzi zeitlich dominant: Jan Fabres im Original 24-stündige Mutter aller Bühnenepen, „Mount Olympus: To glorify the cult of tragedy“ von 2015. Einen mit dieser Multi-Tragödie verbundenen Skandal ignorieren wir. Indem Fabre das Publikum zu 24 Stunden Tragödien-Collage lockte, überbot er Athens Dionysien von vor 2500 Jahren, deren tragische Trilogien von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang spielten. Rizzi schlummert eingangs unter Zikadenklängen (wie in Athen?) als Schläfer auf einem Rollsessel, so wie sich auch Fabres Zuschauer und 27 Darsteller (darunter Rizzi) zeitweise in Schläfer verwandelten.

Rohes Fleisch als Requisite

Solch Extremtheater lässt Traum und Wachen verschwimmen. Während Raffaele Irace von der Bühne Videos dazuspielt, erzählt uns Rizzi sehr menschlich von den aufgetragenen Togen bei Fabre, seiner „glorification“ der Geschlechtsteile, den als Requisite genutzten Stücken rohen Fleisches, der Nähe von Schlaf und Tod, dem ekstatischen Zucken und Schütteln, einer Callas-Medea, mythischen Lehmgestalten und und und. Viele Kritiker und Kritikerinnen waren zwiespältig im Urteil über Fabres Werk und sprachen ironisch von archaischem Vitalismus, was Rizzis Enthusiasmus aber nicht schmälert. Gut so.

Es folgt die Erinnerung an Robert Wilsons „Life and Death of Marina Abramovic“ (2012), dort mit der realen Performance-Päpstin im Zentrum. Lustig, wie sich Rizzi über den Zeitlupen- und Design-Minimalismus Wilsons amüsierte, dazu tanzte und festhielt, wie Abramovic ihm, der auch hier mitwirkte, Kommentare gab.

Dann geht Rizzi schon zu Pina Bauschs „Sweet Mambo“ über, einem kurz vor ihrem Tod entwickelten Stück, dessen Wiederaufnahme 2022 den Generationsumbruch im Ensemble illustrieren sollte. Rizzi beginnt damit, wie er die Bausch in Paris traf, und fokussiert sich darauf, wie die blitzjunge Naomi Brito 2022 in die Rolle der Vorgängerin Regina Advento trat, um unter 50- bis 70-jährigen Bausch-Veteranen ihr Spiel mit dem ins Publikum gehauchten Namen „Redschiiina“ zu treiben. Endlich dann Vater Rizzi, den wir uns platzhalber schenken. Atme, Publikum, atme, lautet Rizzis Schlusssegen: jeder habe seine eigenen Tragödien zu genießen.

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