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Ta-ta-ta-taa

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Seit jeher wurde herumgeklimpert und mit Glück kam dann der Einfall. Oder auch nicht.
Seit jeher wurde herumgeklimpert und mit Glück kam dann der Einfall. Oder auch nicht. © IMAGO/Zoonar

Die Hitparaden-Melodien werden immer einfacher, wie eine neue Studie zeigt – aber waren sie das nicht schon immer?

Einer neuen englischen Studie zufolge ist die Musik der Tophits seit 1950 immer einfacher geworden. Ein Duo an der Queen Mary University of London hatte dafür mehr als 350 Hits untersucht: Die Komplexität der Rhythmen und Tonhöhenarrangements (formerly known as Melodien) nahm demnach ab. Angesichts von Evergreens wie „Alle meine Entchen“ oder dem Anfang von Beethovens Fünfter ist das kaum zu glauben. Die Notenzahl pro Stück nahm hingegen zu.

Die Studie passt zu einer ähnlichen von 2023, bei der auch die Texte einbezogen wurden. Deren Komplexität war ebenfalls rückläufig. Wer jetzt höhnisch den Text von „Alle meine Entchen“ durchliest, sollte bedenken, dass es sich um ein Kinderlied handelt. Und wer kennt ad hoc das Wort für das, was die Enten tun? Ein Text kann geradeaus und doch tiefgründig sein. Das gilt auch für Tonhöhenarrangements. La-la-la-la-laa-laa.

All dies lässt sich erklären, etwa durch das Aufkommen von Disco, New Wave, Hip-Hop. Damit werden private Vorurteile bestätigt, die Profis wollen das Ergebnis aber nicht bewerten. Zu sagen, dass neuere Musik „schlecht“ sei oder ihr Publikum einen „schlechten Geschmack“ habe, sei unwissenschaftlich. Man kann die Tonhöhenarrangements auch für sich wirken lassen.

So, und wenn man jetzt genug gehört hat, bleiben noch einige Zeilen Platz, an den altmodischen, komplizierten Vorgang der Melodieerfindung zu erinnern. Auch früher klimperte man dafür auf der Tastatur, aber es mussten so viele Melodien her: Man klaute sie von sich und anderen, man würfelte sie aus. Seriösere Vorschläge macht Johann Mattheson (1681–1764) in seinem Vademecum „Der vollkommene Capellmeister“. Er rät dazu, dezent zu klauen, zu variieren und zu verzieren, wodurch praktisch etwas Neues entstehe, zumal dies unwillkürlich passieren könne, das Klauen.

Der aufgeklärte Mattheson weiß, dass sich Dinge nicht erzwingen lassen, gerade wenn man sich abmüht (da muss er dem Times mager echt nichts erzählen). „Hingegen kommt bisweilen, ohne großes Nachsinnen, ganz unschuldiger und natürlicher Weise ein Einfall, der unvergleichlich ist.“ Den Arbeitgebern ruft er zu, „Ehre, Lob, Liebe und Belohnungen“ trügen aufmunternd zu guten Erfindungen bei. So.

Mattheson war übrigens jener Duellgegner Händels, bei dem nur ein Knopf den Komponisten des „Messias“ (1741) vor Schlimmerem bewahrte. Man muss sich einmal vorstellen, Mattheson wäre der Mann gewesen, der Händel getötet hätte, und zwar 1704. Das erinnert daran, dass viel mehr nicht da ist als da ist. Dass wir Spielbälle des Schicksals sind. Ta-ta-ta-taa.

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