1. Startseite
  2. Sport
  3. Fußball

Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel: „Bei Ilkay wird mir warm ums Herz“

Kommentare

Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel.
Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel. © IMAGO / Team 2

Er hat die EM nach Deutschland geholt: Was sagt Reinhard Grindel jetzt über den Verband, das Team und das Turnier? Und was denkt er über Mesut Özil? Ein Interview von Jan Christian Müller.

Herr Grindel, was ist los in Ihrem Heimatverein Rotenburger SV bei dieser Europameisterschaft. Brennt das Feuer der EM-Begeisterung im Klub?

Das wäre schön. Aber unser Vereinsheim ist leider abgebrannt. Wir haben eine Menge zu kämpfen mit einer etwas schwerfälligen Kommunalverwaltung, um das Vereinsheim möglichst schnell wieder aufzubauen.

Dann ist also nix los beim Rotenburger SV?

Unsere Pläne wurden in der Tat über den Haufen geworfen. Wir sind leider kein gutes Beispiel für großartige Euro-Aktionen.

Wie schauen Sie als Ex-Verbandschef auf die Europameisterschaft?

Wir haben Wort gehalten. Es ist ein nachhaltiges Turnier, für das mit politischer und wirtschaftlicher Stabilität gesorgt ist. Die Stadien waren alle schon da. Wir brauchten keinen Hektar zu versiegeln. Die Modernisierungen kommen den Klubs zugute. An manchen Standorten wurde der Nahverkehr ausgeweitet.

Sie erwähnen den Fernverkehr lieber nicht?

Natürlich bekomme ich mit, dass an der Infrastruktur in Deutschland manches verbesserungsbedürftig ist: Autobahnen, Gleise, digitale Infrastruktur.

Den größten Kummer der Fans verursacht die Bahn. Auch bei Ihnen?

Ich habe bei Bahnfahrten meist großes Glück gehabt. Aber ich weiß auch, was andere erleben. Wir haben auf den Gleisen, ebenso wie bei den Autobahnen, massiven Nachholbedarf. Da müssen wir besser werden in Deutschland.

Wie gefällt Ihnen die Stimmung bei der EM?

Wir waren immer davon ausgegangen, dass die Stimmung ausnehmend gut sein würde. Das bestätigt sich jetzt. In der Mitte Europas in Zeiten, in denen es eine Tendenz zur Nationalisierung gibt, sind die Begegnungen von Fans ganz unterschiedlicher Herkunft unendlich wichtig.

Was erhoffen Sie sich davon?

Dass wir mit einer Euro nicht alle Probleme zwischen den Balkanstaaten würden lösen können, ist natürlich wahr. Aber auch hier gilt: Jede einzelne Begegnung zwischen denen, die sich sonst nie treffen würden, kann für ein besseres Miteinander zwischen den Staaten einen kleinen Beitrag leisten.

Zur Person

Reinhard Grindel war von April 2016 an drei Jahre lang Präsident des Deutschen Fußball-Bunds. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete holte mit seinem Team um Tunierdirektor Philipp Lahm im September 2018 die Europameisterschaft 2024 gegen Mitbewerber Türkei nach Deutschland. Ein halbes Jahr später trat Grindel zurück und kritisierte sich selbst für „wenig vorbildliches Handeln“ in Zusammenhang mit der umstrittenen Annahme einer Luxusuhr als Geschenk eines ukrainischen Oligarchen. (jcm)

Turnierdirektor Philipp Lahm möchte, dass die EM 2024 sowohl Europa als auch Deutschland eint. Ist dieses Ziel nicht zu hoch gehängt?

Sportlicher Erfolg der deutschen Mannschaft würde die Herzen sicher noch weiter öffnen. Bisher ist es weitgehend ausgesprochen friedlich geblieben. Man sollte das Turnier politisch nicht überhöhen. Ich baue darauf, dass sich gerade aus den Kontakten junger Leute viele kleine Brücken bauen lassen.

Das war allerdings auch Ihre Hoffnung nach der WM in Russland.

Ich habe mich sehr engagiert, dass es zu etlichen Treffen im Kleinen kommt. Leider können diese Begegnungen auf der menschlichen Ebene nicht ausgleichen, was an Fehlentwicklungen in der Politik passiert. Wir spüren in Russland, dass gerade viele junge Leute mit der Politik Putins überhaupt nicht übereinstimmen. Das ist wichtig, wenn wir nach vorne schauen, wie eine Struktur in Russland nach einem Krieg aussehen könnte. Da braucht es Menschen, die eine andere Vorstellung als Putin haben und stark genug sind, ihre Vorstellungen in einer Zivilgesellschaft durchzusetzen, die anders tickt als die aktuelle Führung.

Fährt Reinhard Grindel derzeit mit einem Deutschlandfähnchen am Auto rum?

Nein, ich trage nur den Sticker der Uefa. Aber ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn andere das tun. Ich habe in Stuttgart auch türkische und ungarische Fahnen an Autos gesehen und finde das gut.

Sind Sie bei allen Spielen auf Einladung des DFB dabei?

Ich bin vom DFB zu keinem Spiel eingeladen, was wohl steuerliche Gründe hat. Zum Eröffnungsspiel war ich von der Uefa eingeladen, weil ich dort Vizepräsident war und noch gute Kontakte pflege, zum Spiel gegen Ungarn vom ungarischen Verband, für das Spiel gegen die Schweiz in Frankfurt hatte ich mir Karten persönlich gekauft. Das Viertelfinale gegen Spanien schaue ich in der Kneipe „Lütt Döns“ in Hamburg.

Tut es noch weh, diese EM lediglich als Randfigur verfolgen zu können?

Ich vermisse den Kontakt zu einigen Kollegen in der Uefa-Exekutive. Dort war das Verhältnis immer ausgesprochen herzlich.

Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Nachnachfolger Bernd Neuendorf?

Wir kennen uns aus unserer gemeinsamen journalistischen Zeit während der Bonner Republik seit mehr als 30 Jahren. Wir haben ein ordentliches Verhältnis. Aber klar: Wir stammen aus unterschiedlichen Parteifamilien. Deshalb sind die Begegnungen nicht so überschwänglich, dass wir uns um den Hals fallen würden.

Neuendorf tritt zurückhaltend auf und lässt die Mannschaft weitgehend in Ruhe. Ist das gut so?

Das ist sehr schlau. Als Präsident ist man kein guter Berater für den Bundestrainer oder die Spieler. Ich habe es so gehalten, die sportpolitischen Themen abzudecken und so die Mannschaft und den Trainer davon zu entlasten.

Sie haben 2018 davon abgesehen, dass Mesut Özil nach dessen Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auf Ihre Anordnung hin aus dem WM-Kader gestrichen wird, obwohl Sie dafür waren. Warum haben Sie den damaligen Bundestrainer Joachim Löw in dieser Frage entscheiden lassen?

Stellen Sie sich vor, was los gewesen wäre, wenn ich mich durchgesetzt hätte. Dann wäre gesagt worden, ich hätte dem Team das kreative Herz herausgerissen. Womöglich hätte der eine oder andere unter Hinweis auf meine Tätigkeit als CDU-Innenpolitiker gesagt, ich würde mich auch aus integrationspolitischen Gründen so verhalten und an Mesut Özil abarbeiten. Das wäre die völlig falsche Vorgehensweise gewesen. Hätte Özil allerdings das Treffen mit Bundespräsident Steinmeier abgelehnt, hätte er nicht mit nach Russland fahren können.

Löw hatte lange keinen Kontakt zu Özil, ehe die beiden sich dann doch ausgesprochen haben. Wären Sie dazu auch bereit und würden es begrüßen, wenn Özil und Deutschland wieder Freunde würden, oder ist Ihnen das egal?

Egal ist es mir auf keinen Fall. Was seinerzeit nämlich zu wenig berücksichtigt wurde: Die Frage, ob man für oder gegen Erdogan ist, ist in vielen migrantisch geprägten Fußballvereinen ein Riesenthema. Auch deshalb mussten wir Wert darauf legen, dass ein deutscher Nationalspieler sich im türkischen Wahlkampf nicht auf eine Seite stellt. Wenn Mesut Özil erkennen ließe, dass er sich den Werten des DFB wieder annähert und eine kritische Haltung gegenüber Erdogan einnimmt, dann wäre sicherlich ein Gespräch hochwillkommen.

Was würden Sie sich davon erhoffen?

Vor allem auch ein Signal an die migrantisch geprägten Vereine, dass man sich gerade in einem so sensiblen politischen Themenbereich auf den Fußball konzentrieren sollte und die Politik aus dem Vereinsheim heraushält. Wenn Mesut Özil dafür ein Zeichen setzen würde, wäre das wertvoll. Aber nach allem, was man beobachtet, ist er davon meilenweit entfernt.

Der aktuelle Kapitän der deutschen Nationalmannschaft heißt Ilkay Gündogan und war seinerzeit ebenfalls beim Erdogan-Foto dabei. Wie sehen Sie seine Rolle im DFB-Team?

Bei Ilkay wird mir warm ums Herz, weil ich weiß, was er unmittelbar nach diesem Foto getan hat, um falsche Eindrücke zu beseitigen. Er hat sich klar zu den Werten des DFB und den grundlegenden Prinzipien in Deutschland bekannt. Mir haben die Pfiffe in Leverkusen beim Testspiel vor dem WM 2018 gegen Saudi-Arabien total leidgetan.

Er wurde bei jedem Pass ausgepfiffen und saß danach völlig demoralisiert in der Kabine...

Ja. Umso mehr freut mich, dass er Kapitän geworden ist und sportlich auch in der Nationalmannschaft jetzt das zeigt, was er in seinen Vereinsmannschaften schon lange präsentiert.

Im DFB spricht zuletzt vor allem Andreas Rettig klug über Politik und warnt beispielsweise davor, den Rechten auf den Leim zu gehen. Wie beurteilen Sie dessen Arbeit?

Dass der Fußball ganz klar gegen rechtsextremistische Tendenzen Flagge zeigt, ist völlig in Ordnung. Was ich mir von Andreas Rettig wie im Übrigen auch von Alexander Wehrle (Aufsichtsrat der DFB GmbH, die Red.) mehr wünschen würde: Dass sie den Fokus nicht nur auf den Profifußballfußball, sondern stärker auf die Amateurverbände richten, dass sie zudem nicht unglaubliche finanzielle Mittel in den DFB-Campus stecken. Wenn wir in einem Bereich noch Weltspitze sind, dann mit unserem Netzwerk an Vereinen. Die brauchen die gesamte Unterstützung durch den Fußballverband.

Fallen sich nicht um den Hals: Reinhard Grindel (l.) und Bernd Neuendorf.
Fallen sich nicht um den Hals: Reinhard Grindel (l.) und Bernd Neuendorf. © Imago / Future Image

Aber haben Sie nicht das Gefühl, dass Rettig und Neuendorf genau darauf doch mehr achten?

Wir müssen genau schauen, was mit zusätzlichen Einnahmen aus Werbeverträgen passiert. Zu meiner Zeit sind diese gesteigerten Einnahmen vor allem den Landesverbänden zugutegekommen. Ich würde mich freuen, wenn das auch in Zukunft so passieren würde.

Der teure DFB-Campus wurde allerdings zu Ihrer Zeit als Schatzmeister und später als Präsident geplant. Ist er zu groß und zu teuer geworden?

Ich habe im Architektenwettbewerb für eine kleinere Lösung votiert. Die Entscheidung war dann aber sehr stark von Oliver Bierhoff (Ex-DFB-Geschäftsführer, die Red.), Wolfgang Niersbach (damals DFB-Präsident, die Red.) und Bernhard Peters (Mitglied der Auswahlkommission, die Red.) geprägt. Aber ich möchte jetzt auch nicht besserwisserisch rüberkommen. Tatsächlich war allerdings geplant, dass dort mehr sportliches Leben stattfindet. Hinzu kommt die personelle Aufrüstung der Akademie. Die eine oder andere Personalstelle wäre als Vereinsberater in den Landesverbänden besser aufgehoben, als noch den dritten oder vierten Sportpsychologen oder Teammanager einzustellen, um die Mannschaften irgendwie besser zu machen.

Es gibt dort noch nicht mal einen Fanshop. Das hätten Amerikaner und Engländer an einem solchen Standort niemals versäumt.

Es war ursprünglich geplant, dass der Campus komplett abgeriegelt ist, damit die Nationalmannschaften sich in Ruhe auf Spiele vorbereiten können. Insoweit war ich etwas überrascht, als ich kürzlich bei Ihnen gelesen habe, dass Oliver Bierhoff Weihnachtsmärkte und andere Veranstaltungen dort durchführen will. Aber warum nicht? Und gerne mit Fanshop.

In Frankfurt sitzen drei Ex-Funktionäre wegen des Sommermärchenskandals als Angeklagte vorm Landgericht. Können Sie für die EM 2024 ausschließen, dass eine ähnliche Brühe Jahre später hochkocht?

Absolut! Das kann ich vollkommen ausschließen. Das Einzige, was wir bei den Reisen mit Philipp Lahm zu den einzelnen Exekutivmitgliedern der Uefa mitgebracht haben, waren Trikots der deutschen Nationalmannschaft und ein Ordner mit unserer Bewerbung in Kurzfassung.

Glauben Sie, dass das Frankfurter Landgericht herauskriegt, was vor mehr als 20 Jahren mit den 6,7 Millionen Euro, die von einem Konto eines Anwalts von Franz Beckenbauer aus der Schweiz in mehreren Raten nach Katar geflossen sind, tatsächlich passiert ist?

Darauf hatte ich gehofft. Diejenigen, die wissen, wofür das Geld eingesetzt worden ist, behalten das bislang aber für sich: der katarische Funktionär Bin Hammam, Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter, Ex-Generalsekretär Urs Linsi, Günter Netzer, auch Beckenbauers damalige rechte Hand Fedor Radmann wollen nicht sagen, wofür das Geld eingesetzt worden ist. Das ist zutiefst bedauerlich. Es wäre für die Glaubwürdigkeit des DFB von entscheidender Bedeutung, wenn das Gericht der Wahrheit näherkäme.

Günter Netzer hat es allerdings abgelehnt, im Prozess als Zeuge auszusagen.

Netzer hat viele Jahre in seiner Tätigkeit für Infront mit dem DFB gute Geschäfte gemacht. Es wäre ein Gebot der Fairness, dass er alles sagt, was er weiß. Ich habe ihn in meiner Präsidentschaft klar wissen lassen, dass ich für sein Verhalten kein Verständnis habe, nachdem er ja auch schon bei unseren Nachforschungen mit der Kanzlei Freshfields geschwiegen hat.

Aus der EM geht die Uefa mit 1,75 Milliarden Euro Überschuss heraus, der DFB mit lediglich 15 Millionen für seine Unterstützung bei der Organisation. Ist das fair?

Ich habe gehört, dass darüber nach der Europameisterschaft noch einmal gesprochen wird und der DFB möglicherweise noch einen Nachschlag erwarten kann. Unabhängig davon haben wir schon im Vorfeld profitiert als DFB. Denn die Sponsorenverträge konnten nur in diesem Umfang abgeschlossen werden, weil eine Euro vor der Tür stand. Und nicht zu vergessen: Die Uefa verteilt ihren Gewinn weitreichend an alle Nationalverbände, von denen viele nahezu komplett von dieser Unterstützung abhängig sind.

Auch interessant

Kommentare

Teilen