Richtig atmen

Einfach mal durchatmen

Atmen, kann man da was falsch machen? Sagen wir so: Man kann auf jeden Fall vieles besser machen – und dadurch Schlaf, Konzentration oder sogar das Selbstvertrauen positiv beeinflussen
Richtig Atmen
Stocksy

Atmen ist die einfachste Sache der Welt. Ein echter No-Brainer – zumindest, wenn man gesund ist. Dann atmet der Körper in schöner Regelmäßigkeit ein und aus, ob man nun daran denkt oder nicht. Doch Hotels, Fitnessstudios und Spas werben derzeit mit Atem-rhythmus-Massagen und Atem-therapie-Sitzungen, als wäre es eine hippe Trendsportart. Im Gym treffen sich Sportler zum Power-Atemkurs, in Yogastudios entspannen die Schüler gemeinsam beim Pranayama, den Atemübungen, die Körper und Geist verbinden sollen. Manche Firmen – allen voran Gwyneth Paltrows Lifestyle-Kosmos Goop – engagieren sogar Atem-Gurus für ihre Mitarbeiter. Auch die Forschung interessiert sich plötzlich verstärkt für den Atem und versucht, dessen Wirkung mit Studien dingfest zu machen. Kurzum: Was in der traditionellen chinesischen Medizin oder beim Yoga seit Jahrtausenden bekannt ist, wird bei uns gerade wiederentdeckt. Die richtigen Atemtechniken können Schmerzen erträglicher machen, Ängste und Depressionen lindern, uns schneller einschlafen lassen, die Konzentration steigern, das Herz entlasten und die Gefühle beim Sex intensivieren. Kostenlos und ohne Nebenwirkungen.


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Der Atem ist eine lebenserhaltende Funktion und läuft so automatisch ab wie der Herzschlag, die Regulierung der Körpertemperatur oder die Verdauung. Weil unser Körper den Sauerstoff, den wir einatmen, nicht speichern kann, machen wir am Tag über 20 000 Atemzüge. Dabei inhalieren wir über 6000 Liter Luft. Versagt die Atmung, bleiben uns nur wenige Minuten Überlebenszeit. Das Atemzentrum – Gruppen von Nervenzellen im Hirnstamm – arbeitet deshalb unermüdlich, um unsere Atemfrequenz an Umwelt und Bedürfnisse anzupassen. Wir prusten im Kino los, niesen beim Staubwischen oder keuchen, wenn wir zwei Stufen auf einmal nehmend in den vierten Stock hetzen. Der Körper ruft diese und andere Atemmuster von selbst ab. Wir müssen eigentlich nichts dafür tun. Das Tolle am Atem: Anders als Puls oder Verdauung können wir diesen bewusst steuern. Und so Einfluss auf Blutdruck, Stoffwechsel und sogar den Herzschlag nehmen. Das macht ihn zum perfekten Erste-Hilfe-Tool. Ruhiger zu atmen kann wirklich beruhigen.

Atmen wir denn alle falsch?

Nein. Richtig zu atmen bedeutet in erster Linie, dass der Körper ausreichend Sauerstoff bekommt und genügend Kohlendioxid loswerden kann. Solange man keine Atemwegserkrankung oder körperliche Einschränkung hat, sich nicht unter Wasser oder auf über 2500 Meter Höhe befindet, funktioniert das von allein sehr gut. Trotzdem gibt es Dinge, die uns aus dem Rhythmus bringen, und der Atem trägt nach außen, was in uns vorgeht – und das nicht nur, wenn wir genervt seufzen oder beim Sex hörbar ausatmen: Angst, Stress und Wut lassen uns schnell oder flach atmen. Wenn wir bedrückt sind, uns etwas auf den Schultern lastet, bleibt im engen Brustkorb gefühlt kaum noch Raum, um durchzuatmen. Doch auch Rauchen, Luftverschmutzung, Shape-wear und falsche Haltung können die Atmung aus dem Takt bringen. Die Atmung zu beobachten hilft, sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen: Ist sie sehr schnell? Keuchend? Stockt sie? All das sind Signale, das eigene Tempo zu drosseln, zum Beispiel durch Atemübungen, Meditation, Sport oder einen Spaziergang.

Und wie atme ich richtig?

Ein optimaler Atemrhythmus ist immer der jeweiligen Situation angepasst. Studien zufolge gibt es jedoch eine Atemtechnik, die in Ruhe ideal ist: sechs Atemzüge pro Minute. Sie fordern das Zwerchfell mehr als die üblichen zwölf bis achtzehn. Die Atmung wird dadurch gleichmäßiger. Obwohl man weniger atmet, kommt in den Lungenbläschen mehr Sauerstoff an. Auch der venöse Rückstrom verbessert sich: Das Herz muss nicht mehr so heftig pumpen, um das sauerstoffarme Blut aus Fingerspitzen und Zehen abzutransportieren – eine Entlastung. Außerdem entspannt diese langsame, bewusste Atmung.

Praktiziert man sie täglich für mindestens zehn Minuten, ist das wie eine Meditation. Zusätzlich kann man mit Sport Lunge und Atemmuskulatur kräftigen, z. B. beim Radfahren, weil dabei die Arme auf den Lenker gestützt sind, was die Brustmuskulatur entlastet – und man tiefer einatmen kann. Wer regelmäßig ein paar Bahnen schwimmt, stärkt seine Lungen, weil er durch die Lage im Wasser gegen einen leichten Widerstand anatmet. Beim Rudern wird die Brustmuskulatur gekräftigt, und durch die Bewegung saugt man die Luft geradezu in die Tiefen der Lunge. Und wer regelmäßig Yoga übt, bleibt nicht nur flexibel, sondern lernt auch, die Atmung bewusster einzusetzen und selbst unter Belastung ruhig zu atmen.


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Sich entspannter atmen

Das funktioniert mit der sogenannten Vollatmung. Dabei sitzt man mit aufrechter Wirbelsäule und lockerem Bauch auf einem Stuhl oder im Schneidersitz auf dem Boden. Eine Hand liegt auf der Brust. So fühlt man, wie sich der Brustkorb mit der Einatmung ausdehnt und mit der Ausatmung zurücksinkt. Die Schultern sollten dabei entspannt sein und nicht beim Einatmen nach oben ziehen. Nach drei Atemzügen legt man die andere Hand auf den Bauch. Dieser sollte mit der Einatmung gegen die Handfläche schieben und sich beim Ausatmen zurückziehen. Je bewusster man in den Bauch atmet, desto deutlicher wird diese Bewegung. Nach drei weiteren Atemzügen platziert man die Hände an der Taille, sodass Daumen und Zeigefinger auf den unteren Rippen liegen. Mit dem Einatmen schieben sich die Rippen nach außen. Die entspannte Ruheatmung beinhaltet all diese Bewegungen, bezieht also Brustkorb, Bauch und Flanken mit ein. Sie funktioniert am besten im Sitzen oder Stehen, weil sich das Zwerchfell, unser wichtigster Atemmuskel, dann kräftig nach unten zieht und so die Lunge voll-machen kann. Im Liegen atmen wir zwar auch entspannt, aber flacher.

Sich konzentrierter atmen

In ihrem Buch „What happened“ beschreibt Hillary Clinton, wie Wechselatmung ihr half, im Wahlkampf die Nerven zu behalten. Bei dieser Übung aus dem Yoga atmet man, das sagt schon der Name, abwechselnd durch das linke und rechte Nasenloch ein und aus. Das soll beim Fokussieren helfen.

Sich mutig atmen

Die Nummer für den Notfall: 4-4-4-4. Wenn sich Angst bemerkbar macht, atmet man innerlich bis vier zählend durch die Nase ein, hält dann bis vier zählend den Atem an und atmet bis vier zählend durch die Nase wieder aus. Mindestens vier Minuten so zu at-men kann helfen, den Herzschlag zu beruhigen und damit die Gedankenspirale zu durchbrechen.

Sich in den Schlaf atmen

Der Dodow ist eine handtellergroße batteriebetriebene Lampe, die mit pulsierendem, blauem Licht den Atemrhythmus vorgibt: sechs Atemzüge in der Minute für schnelleres Einschlafen. Dafür muss man allerdings mit Rückenlage, Lichtkegel an der Decke und der langsamen Atmung zurechtkommen. Insbesondere Letztere benötigt Übung, kann aber schön schläfrig machen. Im Zweifel auch ohne unterstützende Lampe.

Sich in Ekstase atmen

Während die meisten Menschen beim Sex mit Partnern eher gelöst durch den Mund atmen, halten viele die Luft beim Masturbieren an. Das könnte mit den ersten sexuellen Erfahrungen zu tun haben: Solange Jugendliche noch bei den Eltern wohnen, muss der Orgasmus schnell und leise ablaufen. Alles wird angespannt: Beckenboden, Bauch, Zwerchfell. Sogar die Stimmlippen machen dicht wie ein Druckventil. Pffff-faaaah! Das Gehirn merkt sich diese Abkürzung – auch, wenn der Höhepunkt sich so vielleicht eher mechanisch anfühlt und nicht wie die perfekte Welle. Tief Richtung Becken zu atmen, selbst während der Orgasmus gerade heranrollt, kann ein wenig Übung erfordern – und an-fangs dazu führen, dass man ihn verstolpert. Die verbesserte Sauerstoffversorgung soll aber zu einem intensiveren Empfinden beitragen, weil sie in einen entspannten Erregungszustand versetzt, der auch deutlich länger an-dauern kann. Man erlebt den Sex dann womöglich ekstatischer (die Nachbarn eventuell auch).