Anna Carina S.'s Reviews > Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer by Haruki Murakami
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2,5 Sterne

Oh! Darling
Please believe me
I’ll never do you no harm
Believe me when I tell you
I’ll never do you no harm

Oh Darling
If you leave me
I’ll never make it alone…

[Beatles]

Murakami beweist mit diesem Buch wieder einmal seinen Blick und Hingabe für die Außenseiter der Gesellschaft. Leise Menschen, die im Lärm der Anderen untergehen. Die Beschädigten, voller Schmerz und Angst, vor sich selbst. Angst einen anderen zu beschädigen.
Er entführt uns in eine Art Nirwana der Friedfertigkeit. Das Buch ist von Anfang bis Ende ein Rückzug aus der Realität in die Illusion. Die Logik, die in der die Welt der Sprache angesiedelt ist, deren Grenzen, die Grenzen meiner Welt ausmachen, setzt Murakami aus.
Der Junge im Yellow-Submarine-Pullover liest Wittgensteins tractatus parallel zur isländischen Sagenwelt.
Die Ratio weicht der Intuition.
Die Welt der symbolischen Ordnung, der Sprache und Kultur, der sozialen Ordnung fordert ihren Tribut. Fragmentierung des Selbst, ein Gefühl des Mangels, Verlust des direkten Zugangs zu den wahren Wünschen und Bedürfnissen.
Dieser Mangel wird in voller Anerkennung von Murakami bespielt.
Und jetzt wird es problematisch. Ein Fosse in „Der Andere Name“ hat das gleiche Ziel: Hinein ins Reale, ran ans Unaussprechliche, Unmögliche. Auflösung der symbolischen Ordnung. Dafür müssen unsere Figuren feststecken, eine innere Erstarrung durchleben. In Mumis Fall durch das Nirwana der Friedfertigkeit bespielt. Dies muss zur Folge haben, dass die Welt in vereinfachte, dichotome Kategorien unterteilt ist. Fosse löst dies auf höchster literarischer Sprach- und Stilebene. Murakami löst dies, indem er uns eine Fahrt auf dem Kinderkarussel gewährt.
Es kommen solche Dialoge dabei rum:
„Vielleicht sehnten Sie sich tief in ihrem Herzen danach, die Stadt zu verlassen und auf diese Seite zurückzukehren.“
„Das würde also bedeuten, dass dieser Wille der stärker ist als mein eigener, nicht außerhalb von mir war, sondern in mir selbst?“
„Das ist natürlich nur eine haltlose persönliche Vermutung von mir. Aber nach Ihrer Geschichte kann ich es mir nicht anders vorstellen. Wahrscheinlich sind Sie freiwillig in diese unheimliche Stadt gegangen und aus freien Stücken zurückgekehrt. Diese Feder, die Sie zurückkatapultiert hat, muss eine besondere Kraft in Ihnen selbst sein. Der starke Wille tief in Ihnen hat dieses große Kommen und Gehen möglich gemacht. Auf einem Gebiet, das über Ihre Logik und Vernunft hinausreicht.“
„Woher wissen Sie das?“
„Das ist nur meine persönliche Meinung. Vielleicht stimmt es nicht. Aber ich habe es irgendwie im Urin (auch wenn es zweifelhaft ist, dass die Seele eines Verstorbenen Urin birgt).
Ja, so könnte es gewesen sein. Natürlich passiert es nicht jedem. Aber irgendwo und irgendwann kann es passieren. Wenn man einen starken Willen und ein reines Herz hat.“


Das Buch unterfordert maßlos. Es funktioniert aber über weite Strecken.
Insbesondere dort, wo wir in die Lebensgeschichten der Figuren abtauchen, den Jungen mit dem Yellow-Submarine-Pullover verfolgen, die Winterstimmung, die Atmosphäre in der Bibliothek in uns aufsaugen. Es ist so pastell: uneindeutig, zart, schwebend, fluffig, liebevoll, friedvoll.
Murakami verweigert sich sprachlich dem Schmerz. Er will heilen, weiß aber nicht wie.
Man gleitet fröhlich auf dieser rosa Zuckerwatte vor sich hin, bis „der Lauch im Bett“, einen mit einem Gongschlag zurückholt oder vor Zuckersirup triefende Tränke (Weisheiten) eines wirren Mirakulix gereicht werden – Sprachkitsch vom Feinsten.
Murakami arbeitet erstaunlich plakativ die Symbolik heraus. Ich kenne es von seinen Büchern, dass ich seinen magischen Realismus in der Imagination oft nicht kapiere. Er lässt es für sich stehen. Hier erklärt er ihn. Dies führt ua. zu diesen äußerst skurrilen Dialogen und Gedanken, die sich kindlich, naiv, vereinfacht darstellen. Ich verweise hier auf meinen Punkt des Feststeckens und der Konsequenz daraus zu Vereinfachen. Er muss dies so anlegen, um die Dauerflucht ins Imaginäre aufrechtzuerhalten. Dadurch verliert er den Anspruch und literarische Qualität. Den Preis den er für seine stilistischen, sprachlichen Entscheidungen zahlt, wie er die Vermittlung des Unbewussten angeht, das der Symbolisierung widersteht, ist meines Erachtens zu hoch.

Das Buch ist in 3 Teile gegliedert. Mit Teil 1 stolpert er äußerst unbeholfen in die Stadt mit der Mauer. Fällt mit der Tür ins Haus. Da rumpelt es sprachlich und kompositorisch übelst hart.
Teil 2 ist der längste und geglückt. Die von mir erwähnten Ausreißer ausgenommen.
Teil 3 schließt in sich das Buch rund ab und tunkt mich zum Ende nochmal tief in eingekochten Sprachkitsch, der klassisch philosophische Ideen in sprühendes, wirr tanzendes Konfetti der Selbstfindung verwandelt.

Ich muss mal warten wie gut das Buch einwirkt und was es noch mit mir macht, um über 3 Sterne nachzudenken. 2 Sterne sind hart. Ich weiß.
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Reading Progress

January 8, 2024 – Shelved
January 12, 2024 – Started Reading
January 12, 2024 –
page 42
6.56% "Von den bisher gelesenen Mumi Büchern, ist das der schwächste Einstieg.
Er fällt mit der Tür ins Haus oder in die Stadt mit der Mauer und den Traumleser Fähigkeiten.
Das weist massive Parallelen zu „Hardboiled Wonderland“ auf.
Sprachlich und Stilistisch wirkt das grad ziemlich messy auf mich um nicht zu sagen einfältig😒🥺"
January 13, 2024 –
page 230
35.94% "Bin etwas ratlos, was ich zu dem Buch sagen soll. Habe den Eindruck, dass die Geschichte jetzt erst beginnt oder in Fahrt kommt. Große Teile die zuvor in der Stadt mit der Mauer spielen sind in Abwandlung sehr nah an den Abläufen von Hardboiled Wonderland dran. Fühle mich daher etwas veräppelt. Sprachlich ist das auf Kinderbuchniveau. Wunder mich wie viel des Unbewussten erklärt und interpretiert wird."
January 14, 2024 –
page 240
37.5% "Nur schnell nach 10 Seiten vom letzten Update entfernt: bin versöhnt! Mumi entblättert sich in seiner zarten Skurrilität wie ich ihn kenne.
Herrlicher Dialog zum sauren Kakibaum 🤭"
January 14, 2024 –
page 344
53.75% "Das Pastellcover passt. Teil2 liest sich:zart, uneindeutig, fluffig, leicht, friedvoll.
Selbst eine nicht so nette Lebensgeschichte wird in plätscherndes erquickliches Quellwasser verwandelt. Was stört ist der Lauch im Bett.
Ich lese es gern,hab nach wie vor ehr das Gefühl ein Kinderbuch zu lesen.
Geht Bewusstsein ohne Gehirn?Panzer um Herzen und es ist besser Dinge nicht zu wissen die man nicht wissen muss."
January 15, 2024 –
page 363
56.72% "Nachdem man sich Muffinkrümel vom Schoß gebürstet hat, denkt man dieses:
„Die Wirtin… sie hätte sich leicht jünger machen können, hätte sie gewollt, aber anscheinend war es ihr die Mühe nicht wert. Das gefiel mir.“
Von solchen Nebensächlichkeiten wimmelt das Buch. Mich hüllt das immer mehr in flauschige Schwebezustände. Bald hat er mich über die Schwelle zum Unaussprechlichen geweht 🫠"
January 15, 2024 –
page 381
59.53% "Ja,ich bin lästig und 20 Seiten später völlig wach und kuriert! Unsägliches Gesülze über die Suche nach verlorenen Sehnsüchten, Liebe und verlorenen Herzen. Was für eine passive Ergebenheit.Hilfe!
„Wenn sie fest auf etwas vertrauen,dann wird sich ihr Weg von ganz allein abzeichnen.Das wird einen drohenden heftigen Sturz verhindern oder zumindest den Aufprall stark abmildern“
Hegel,fang mich auf!😩"
January 16, 2024 –
page 469
73.28% "Hurra! Endlich lecker Essen beim Mumi.
Er kocht mal wieder Spaghetti (wie im Aufziehvogel) mit Knoblauch, Champignons und Tintenfisch. Dazu Salat mit Garnelen und Grapefruit und einen Chablis🤤😋

Grad liest es sich sehr angenehm. Dichte Szenen um den Yellow-Submarine-Pullover Teenager M. und nun mit der Besitzerin des Cafés,mit den Blaubeermuffins,zum Abendessen."
January 16, 2024 –
page 631
98.59% "Zum Schluss nochmal Fahrt auf dem Kinderkarussell mit Mirakulix, der Wirr die Zutaten für den Zaubertrank des Selbstvertrauens zusammenwirft. Muskeln anspannen und ab in die Arme von uns selbst.

Die Bewertung wird nen Brett.
Mein lieber Schwan🙄🫠😵‍💫"
January 16, 2024 – Finished Reading

Comments Showing 1-13 of 13 (13 new)

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message 1: by Great-O-Khan (new)

Great-O-Khan Hm, vielleicht sollte ich doch erst "Hard-boiled Wonderland" lesen, das hier als Taschenbuch herumfliegt? Oder gleich den Fosse? Fragen über Fragen. Zumindest bleibt es spannend. Danke für die schöne Rezension!


Anna Carina S. Thomas wrote: "Hm, vielleicht sollte ich doch erst "Hard-boiled Wonderland" lesen, das hier als Taschenbuch herumfliegt? Oder gleich den Fosse? Fragen über Fragen. Zumindest bleibt es spannend. Danke für die schö..."

Ich kann schon mal sagen, dass es ganz klar eine Parallelerzählung dazu ist. Es ist überhaupt nicht nötig, evtl. sogar hinderlich für dieses Buch "Hardboiled Wonderland" gelesen zu haben.
Mir hat Hardboiled Wonderland ja extrem gut gefallen.
Jedenfalls sind Fosse, Hardboiled und die Stadt und ihre Mauer so unterschiedlich in ihrer Herangehensweise und Stimmung die sie erzeugen, dass ich da echt nach Bauchgefühl und aktueller emotionaler Befasstheit oder Bedürfnis entscheiden würde😉


message 3: by Marion (new)

Marion Super Rezension ! Hard-Boiled war eines meiner wenigen Lese-High-Lights. Irgendwie spricht mich die "Stadt und ihre ungewisse Mauer " nicht so an und nach deiner Rezi noch weniger. @Thomas - Vielleicht solltest nur Hard-Boiled lesen, das aber auf jeden Fall


message 4: by Viktoria (new)

Viktoria Soll man überhaupt Murakami gelesen haben? Er hat mich eh schon nicht sonderlich angesprochen, was ich so hier an Rezensionen geleden und auf Youtube geschaut habe. Nach diesem Fallbeispiel habe ich erst echt Schreck bekommen:)


message 5: by Great-O-Khan (new)

Great-O-Khan Das Buch wird am 2. Februar auch im Literarischen Quartett besprochen. Da bin ich ja mal gespannt.


Alexander Carmele Das Buch hat so viele freundlich-dümmliche Stellen. Es strotzt vor naiver Geselligkeit und wuseliger-wattebausch Höflichkeit, aber die Sprache, diese Sätze, diese Verknüpfungen. Sie gelingen nur in den dichten kleinen Facetten und Geschichten innerhalb der Geschichte. Beim Rahmen hakt es für mich. 2 Sterne finde ich gar nicht zu wenig. Literarisch gesehen. Es ist narrativ gesehen rührend hilflos.


Anna Carina S. Thomas wrote: "Das Buch wird am 2. Februar auch im Literarischen Quartett besprochen. Da bin ich ja mal gespannt."

Ui, na das schau ich mir an😁


Anna Carina S. Danke Marion 😀
@Viktoria: Ich schwöre ja auf "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" mit der Message: "Es muss Menschen geben, die beruhigend wie Fahrstuhlmusik sind". Da schlägt er auch schon die leisen Töne an. Der magische Realismus ist dort sehr dezent.
Aber es ist in der Tat schwierig was von Murakami zu empfehlen. Wenn man ihn nicht spürt, sind die Bücher nix und wirken nur missgestimmt.


message 9: by Alexandra (new)

Alexandra Meine Wunschliste wird kleiner auch dafür bedanke ich mich herzlich


Anna Carina S. Alexandra wrote: "Meine Wunschliste wird kleiner auch dafür bedanke ich mich herzlich"

Oh man. So mies war das jetzt auch nicht. Ich hab das wirklich gern gelesen. Im übrigen schält Alexanders Langversion auf seinem Blog nochmal nen weiteren Aspekt heraus, den ich etwas in meiner Fokussierung auf andere Themen, unter den Tisch gekehrt habe. Wenn nicht ständig das Gefühl gehabt hätte im Phantasialand auf dem seichten Kinderspielplatz gewesen zu sein.


Günter "Das Buch unterfordert maßlos." Großartig!


Ernst Weil vereinzelt die Frage aufgetaucht ist, muss man Murakami überhaupt gelesen haben, sage ich herzblutend nein.
Ich kann alle Einwände bestens nachvollziehen (zugegeben bei der Fosse-Assoziation bin ich etwas aus der Kurve geschlittert, aber das werde ich noch nachzuvollziehen weiter versuchen), die „wattebauschige Höflichkeit“, die naiv-dümmlichen Dialoge und und und …

Aber mir persönlich würde ein Riesenstück literarischer Seele fehlen, hätte ich Murakami für mich nicht entdeckt. Und es war keine Liebe auf den ersten Blick. Mich hat er erst mit 1Q84 gepackt. Zuvor hatte ich bereits den Erzählband Der Elefant verschwindet, Gefährliche Geliebte und Hard Boiled Wonderland gelesen, hat mir alles gut gefallen, aber noch nicht derart begeistert. 1Q84 war bei mir der Schlüssel und damit war ich vollends drin in seiner Phantasiewelt. Mit der Konsequenz das ich seither alles gelesen habe, was es von ihm auf deutsch übersetzt gibt, manches auch auf Englisch und zudem das meiste auch noch als Hörbuch gehört. Deshalb fiebere ich auch immer auf alle Neuerscheinungen hin.

Was ich in Murakami-Büchern finde, ist eine Art Zauber der ihnen innewohnt, eine angenehme, wohlige Stimmung, in die sie mich versetzen. Er ist einfach ein moderner Romantiker, aus dem Leben eines Taugenichts bereichert durch die Realitätsverschiebungen, die seinen Geschichten oft diesen spannungsgeladenen geheimnisvollem Touch verleihen. Mal etwas subtiler, dezenter wie in Südlich der Grenze, westlich der Sonne oder Die Pilgerjahre…, manchmal etwas krasser wie in 1Q oder Hard Boiled.

Wie auch immer, was ich bei ihm suche, das hat er für mich auch in der Stadt und ihrer ungewissen Mauer erzeugt, aber ich würde auch sagen, für den Einstieg ist es vielleicht nicht allererste Empfehlung, dann vielleicht doch lieber die Pilgerjahre, wie Anna Carina schon erwähnte.


message 13: by Anna Carina (last edited May 10, 2024 06:42AM) (new) - rated it 2 stars

Anna Carina S. Ernst wrote: "Weil vereinzelt die Frage aufgetaucht ist, muss man Murakami überhaupt gelesen haben, sage ich herzblutend nein.
Ich kann alle Einwände bestens nachvollziehen (zugegeben bei der Fosse-Assoziation ..."


Schön deine Liebeserklärung an Mumi.
„ Er ist einfach ein moderner Romantiker, aus dem Leben eines Taugenichts bereichert durch die Realitätsverschiebungen, die seinen Geschichten oft diesen spannungsgeladenen geheimnisvollem Touch verleihen.“
So nehme ich ihn auch wahr.
Mit 1Q84 ging’s auch für mich los.
Es gibt Bücher mit denen bespielt er mich zu 100% und andere, wie dies hier plätschern etwas an mir vorbei. Habe aber noch nie ein Buch mit Verärgerung von ihm gelesen. Auch schlechtere Wertungen erfolgen bei mir immer mit einem Seufzer liebevollen Wohlwollens.


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