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Ein Trend voller Risiken: „Hat man einmal Steroide genommen, ist man so gut wie erledigt“

Im Internet und in Fitnessstudios ist der Konsum von leistungssteigernden Substanzen allgegenwärtig, effektiv und normal geworden. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung?
Steroide Bilder von Männern mit breiter muskulöser Brust
©A. Abbas/Magnum Photos; Illustration von Michael Houtz

Lange führten Steroide zusammen mit anderen leistungssteigernden Substanzen ein Schattendasein. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Jemand in Ihrem Leben nimmt wahrscheinlich leistungssteigernde Drogen. Ich kann diese Behauptung einfach so aufstellen, weil ich selbst vor Kurzem herausgefunden habe, wie viele Menschen in meinem Umfeld genau das tun. Vielleicht hat die Frau, die Sie gerade auf Tinder kennengelernt haben, eben ihr erstes Peptidpaket bestellt – Peptide versprechen, die Haut straffer und damit jünger aussehen zu lassen. Oder es ist Ihr Arbeitskollege, der vor Präsentationen Betablocker nimmt – sie sollen Stresshormone unterdrücken. Vielleicht erzählt Ihnen derselbe Kollege, er habe „T“ – also Testosteron – genommen und fühle sich, als könne er tausend E-Mails beantworten und hätte noch immer genügend Kraft, um einen Marathon zu laufen. „Du musst das Zeug so schnell wie möglich ausprobieren.“

Meine Neugierde angesichts der plötzlichen Allgegenwart von körperverändernden Mitteln erklärt auch, wie ich Nick kennengelernt habe. Nick ist ein 33 Jahre alter, gut aussehender, tätowierter weißer Mann. Zur Jeans trägt er eine Workwear-Jacke. Er sieht aus, als könnte man ihn in einem teuren Café antreffen, und nicht wie jemand, der zeitweise täglich Steroide gespritzt hat – oder gar wie eine Person, die mit ihnen gedealt und sie in ihrer Küche „zubereitet“ hat. Schon gar nicht wirkt er wie jemand, der sie sich direkt in die Brust gespritzt hat.

Warum sind alle auf Steroiden?

Vor einem Jahrzehnt lebte Nick bei seinen Eltern in Südkalifornien. Er arbeitete als Handwerker, in seiner Freizeit flüchtete er sich ins Fitnessstudio. „Training war das Einzige, was ich wirklich gut konnte“, sagt er rückblickend. „Ich fühlte mich wie ein Lauch, wenn ich nicht im Gym war.“

Damals hatte er Erektionsprobleme, seiner Meinung nach war das auf die Antidepressiva zurückzuführen, die er zu der Zeit nahm. Ein Arzt unterzog ihn einem Bluttest, und es stellte sich heraus, dass Nicks Testosteronspiegel niedrig war. Um seine Werte zu erhöhen, versuchte Nick, seine Ernährung umzustellen. Er nahm fermentierten Lebertran zu sich, ein Öl, das hauptsächlich aus der Leber von Kabeljau und Schellfisch gewonnen wird. Er aß Paranüsse und Butter von Kühen, die mit Gras gefüttert wurden. Dann verschrieb ihm der Arzt eine Testosteron-Ersatztherapie, kurz TRT. Dabei wird Testosteron unter ärztlicher Aufsicht injiziert, um einen bestehenden Hormonmangel auszugleichen.

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Nick begann, sein Aussehen zu lieben – und wurde süchtig

Es dauerte nicht lang, bis Nick sich selbst Injektionen verabreichte – und ihre Wirkung spürte. Er fühlte sich energiegeladen, war motivierter und genoss die Veränderungen, die sein Körper durchmachte. Jahrelang hatte er sich einen muskulösen Körper gewünscht. „Ich weiß noch, dass eine meiner ersten Freundinnen meinte, ich sähe dünn aus“, erinnert er sich. „Als ich die Highschool verließ, wog ich bei einer Körpergröße von 177 Zentimetern 55 bis 60 Kilogramm. Ich musste immer daran denken, dass sie damals meinte, wie gut ich aussehen würde, wenn ich mehr als 70 Kilo wiegen würde.“ Dann hörte Nick durch einen Kumpel aus dem Fitnessstudio von SARMs – selektiven Androgenrezeptormodulatoren. Darunter versteht man Substanzen, die in ihrer Wirkung anabolen und androgenen Steroiden ähneln. Damals handelte es sich um eine recht neue Kategorie experimenteller Medikamente, die angeblich den Muskelaufbau fördern –allerdings ohne die potenziellen negativen Nebenwirkungen von anabolen Steroiden. Also bestellte Nick die Substanzen online.

Dank des Trainings, eines Ernährungsplans, mithilfe des Testosterons und der SARMs bekam Nick nach kurzer Zeit eine kräftige Brust und eine breitere Taille. Im Fitnessstudio konnte er mehrere Wiederholungen lang 180 Kilogramm stemmen. Er fühlte sich stark und liebte sein neues Aussehen. Wir sitzen vor einem Coffeeshop im Osten von Los Angeles, als Nick mich darum bittet, nicht seinen richtigen Namen zu nennen. Andere Personen, die ebenfalls anonym bleiben wollten, werden im Folgenden mit ihren Vornamen oder Initialen genannt. Ich bitte Nick, mir ein Foto aus seiner Zeit auf Steroiden zu zeigen. Er runzelt die Stirn und starrt auf die andere Straßenseite. Er habe alle Fotos gelöscht. Sie anzusehen mache ihn depressiv, denn leider habe er es damals nicht bei SARMs belassen. „In der Finanzwelt spricht man von der Herausforderung, erkennen zu können, wann etwas genug ist“, sagt er. „Mit Steroiden ist es dasselbe.“

Vom Hausarzt zu TikTok: Medizinische Versorgung verändert sich

In der breiten Bevölkerung führen leistungssteigernde Mittel nach wie vor ein Schattendasein. Doch das wird wohl nicht mehr lange so bleiben, schließlich verändert sich derzeit unser Verständnis von medizinischer Versorgung. Viele Substanzen, die lange Zeit undenkbar schienen, schwappen in den Mainstream hinüber. Cannabis wird längst in der Krebstherapie eingesetzt. Psychiater:innen erproben Psychedelika. MDMA dient als Mittel zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Kluft zwischen der Akzeptanz von einst tabuisierten Ideen und dem Vertrauen in institutionelle Medizin wird immer größer. In den USA wird Medizin nicht mehr mit dem Besuch einer Arztpraxis gleichgesetzt. Viele tippen ihre Beschwerden in die Suchmaschine ein, schauen sich auf YouTube um, scrollen durch TikTok oder gehen gleich in die Notaufnahme.

Diese Entwicklung scheint den Konsum von leistungssteigernden Drogen befeuert zu haben. Die Vorteile sind offensichtlich: größeres Muskelwachstum, schnellere Erholung, mehr Energie. Zu den möglichen Nachteilen gehören jedoch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leberschäden und Unfruchtbarkeit. Bei Männern kann es auch zur Hodenatrophie kommen. In den sozialen Medien berichten Betroffene, dass ihre Hoden nach der Einnahme von Steroiden geschrumpft seien.

Aber vielleicht ist es das wert? Schließlich leben wir in einem Zeitalter, in dem offenbar jede Person genau den Körper haben kann, den sie sich wünscht. Wir leben im Zeitalter von Ozempic – ein Diabetes-Medikament, das auch als „Abnehmspritze“ gilt, weil es den Appetit zügelt. Körperoptimierung ist nichts mehr, das sich nur Prominente leisten können. Das Thema ist niedrigschwelliger, kostengünstiger und damit auch für eine breitere Masse zugänglich geworden. Falls Sie in letzter Zeit in den sozialen Medien unterwegs waren, hatten Sie vielleicht auch schon das Gefühl, nicht mehr hinterherzukommen.

Leistungssteigernde Mittel gehören zum Alltag vieler Menschen

Im Frühling dieses Jahres habe ich mich in meinem eigenen Freundeskreis umgehört und eine ganze Reihe von Substanzen kennengelernt, die mir bisher nicht bekannt waren. Chris, 41 Jahre
alt, gibt beispielsweise etwa tausend Dollar im Monat für eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln aus. Darunter ist Dehydroepiandrosteron, das am häufigsten vorkommende Steroidhormon im menschlichen Körper. Es soll unter anderem den Körperfettanteil verringern.

„Ich will nicht ewig leben“, sagt er. „Ich versuche nur, mich so gut wie möglich zu fühlen.“ Jane, 33 Jahre alt, hat sich Peptide verschreiben lassen, nachdem sie in einem Podcast davon gehört hatte. Sie nimmt Sermorelin, das verspricht, ihre Körpermuskelmasse zu erhöhen und gleichzeitig das Körperfett zu reduzieren. Jane hat ihre Spritzen immer dabei, auch wenn sie auf Reisen ist. „Ich habe Angst, dass ich in der Sicherheitskontrolle am Flughafen gefragt werde, was das alles ist. Deshalb habe ich immer einen Arztbrief bei mir.“ M. D., 37 Jahre alt, fing vor zwei Jahren an, Gewichte zu heben. Schon bei seinem zweiten Training sagte ihm der Trainer im Fitnessstudio, dass er seine Ziele viel schneller erreichen könnte – wenn er bereit wäre, Steroide zu nehmen. Er sagte das ganz lässig und unaufgeregt. „Es war wirklich beängstigend“, erinnert sich M. D.

Doch viele, die auf diese Weise angesprochen werden, reagieren neugierig. War der Konsum leistungssteigernder Mittel früher ein Geheimtipp unter Profisportler:innen, sind SARMs, Wachstumshormone sowie anabole und androgene Steroide heute einer breiteren Masse an Konsument:innen zugänglich – und das online wie offline. Die Beweggründe haben nichts mehr mit sportlichem Ehrgeiz zu tun. Statt an Bodybuilding-Wettbewerben teilzunehmen, geht es diesen Menschen darum, die Kontrolle über ihr Aussehen zu gewinnen.

Die Risiken der körperlichen Selbstverwirklichung sind hoch

Das Zeitalter der körperlichen Selbstverwirklichung kommt nicht ohne Risiken aus. Nick erzählt von einem golfballgroßen Knoten, der eines Tages unter seiner Haut erschien, als er sich eine Injektion setzte. Er hatte eine neue Stelle auf seinem linken Oberschenkel ausprobiert und eine lange Nadel benutzt. Als Nick unter der heißen Dusche versuchte, die Beule mit seinen Fingerknöcheln einzuebnen, erlitt er einen Kreislaufzusammenbruch, Herzrasen und Kurzatmigkeit. Als er es Minuten später in die Küche geschafft hatte, wurden seine Beine steif, und er konnte nicht mehr gehen. Er legte sich auf den Boden, wickelte sich in eine Decke ein und blieb stundenlang dort liegen; eiskalt, schwitzend, panisch. Ein befreundeter Rettungssanitäter erklärte ihm später, dass er wahrscheinlich einen septischen Schock erlitten hatte. Dennoch rammte er sich am nächsten Tag erneut eine Spritze in die Brust.

Es wirkt, als käme jeden Tag ein neues Präparat oder Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, scheint ein neuer Optimierungstrend das Internet zu dominieren. Also, ja: Jemand in Ihrem Leben nimmt wahrscheinlich leistungssteigernde Mittel. Und die meisten dieser Menschen wissen nicht, welche langfristigen Folgen das haben kann. Victoria Felkar, die sich als Forscherin im Bereich Frauengesundheit und Steroidhormone mit der Branche befasst, erzählte mir, was ich auch bei meinen Gesprächen mit Konsumierenden und Expert:innen oft gehört habe: „Diese Welt gleicht dem Wilden Westen.“

Online existieren zahlreiche Foren, in denen User:innen Tipps und Warnhinweise zu Steroiden austauschen. Der dort herrschende Fachjargon kann auf Neulinge einschüchternd wirken, lässt sich jedoch schnell verinnerlichen. Die „Performance-Enhancing Drugs“ (PEDs) werden in „Zyklen“ eingenommen, die Phase der Einnahme wird auch als „Kur“ bezeichnet. Zudem spricht man bei der Einnahme anaboler Steroide von „Stacking“. Darunter versteht man die taktische Dosierung verschiedener Substanzen, die weder die Leber noch den Geldbeutel zu stark belasten soll.

Die Foren, in denen viele junge und mittelalte Männer anonyme Bilder aus dem Fitnessstudio hochladen, sind voller Geschichten, die vom Zu- und Abnehmen handeln, aber auch von Haarausfall oder Problemen im Job. Wenn ein jüngeres Mitglied darüber nachdenkt, mit der „Kur“ anzufangen, teilen erfahrenere Foristen ihre Ratschläge. Sie ermahnen die Neulinge, sich weiterzubilden und das Buch „ Anabolics“ von William Llewellyn zu lesen. Im Allgemeinen sind die Gespräche offen und ausführlich. Auch über die Risiken wird in den Foren gesprochen – seien es nun Aknepickel oder Leberkrankheiten.

Anabole Steroide und Testosteron sind verboten – in den USA und in Deutschland

Es gibt jedoch ein Problem: Anabole Steroide und Testosteron gehören zu den Substanzen, denen die Behörden in den USA ein hohes Missbrauchspotenzial nachsagen. Das bedeutet, dass der Besitz auch nur einer einzigen Ampulle Testosteron ohne Rezept eine Straftat darstellt. In Deutschland ist es ähnlich. Auch wenn der Gebrauch außerhalb des organisierten Sports zwar grundsätzlich nicht verboten ist, sind der Erwerb und Besitz anaboler Steroide in „nicht geringen Mengen“ ohne Rezept illegal. Das regelt hierzulande das Anti-Doping-Gesetz. Darin heißt es, dass es verboten sei, Dopingmittel herzustellen, sie in den Verkehr zu bringen oder zum Zweck des Dopings im Sport bei einer anderen Person anzuwenden. Was zudem oftmals unterschätzt wird, sind die potenziellen Nebenwirkungen, die einige dieser Präparate, insbesondere die neueren, online vertriebenen Stoffe, auf unseren Körper haben können – kurz- und langfristig.

Was mich in den vielen Gesprächen mit Menschen überrascht hat, die auf ebendiese Mittel setzen, war die Vielfalt der Beweggründe. A. B., ein 23-jähriger Kalifornier, der sich im Alter von 19 Jahren seiner ersten Testosteron-„Kur“ unterzogen hat, sagt, er habe „jede Sekunde davon geliebt“. (Auch Arnold Schwarzenegger offenbarte im vergangenen Jahr, dass er einst auf Testosteron und das Steroid Dianabol gesetzt hatte.) Zu dieser Zeit hatte A.B. gerade eine schlimme Trennung hinter sich gebracht, auch sein Job zog ihn runter. „Das Fitnessstudio war das Einzige, was mich am Laufen hielt“, sagt er. Heute nimmt er keine Drogen mehr – auch weil er einen Job gefunden hat, der ihm Spaß macht. „Wenn es wieder schlimmer wird und ich das Gefühl habe, ganz unten zu sein, werde ich wahrscheinlich wieder damit anfangen“, gibt er zu. Für die einen sind diese Medikamente also ein Mittel, um wieder auf die Beine zu kommen.

Warum Konsument:innen ganz einfach an die verbotenen Substanzen kommen

Der 49-jährige T.B., der ebenfalls in Kalifornien lebt, sagt, dass Testosteron für ihn „richtig angewendet, alles besser macht“. Er nahm es unter ärztlicher Aufsicht ein und berichtet von tieferem Schlaf, einem besseren Stoffwechsel und weniger Muskelkater. Er bemerkte aber auch, wie blitzartig sich seine Stimmung verändern kann. In der Zeit, in der er kein Testosteron nahm, fühlte er sich müde und nahm an Gewicht zu. Außerdem „schrumpfen deine Eier“, sagt er. „Nicht besonders viel, aber doch so, dass dir die Veränderung auffällt.“

Konsument:innen wie T. B. gehören einer neuen Generation von Hormonliebhabenden an. Er sagt: „Richtig eingesetzt, macht Testosteron alles besser.“

Foto: privat

D. C., ein 23-Jähriger aus dem ländlichen West Virginia, sagt, er habe keine Probleme damit gehabt, an die Mittel zu kommen. Seit er mit 18 oder 19 angefangen habe, sie einzunehmen, habe er ein halbes Dutzend Zyklen mit Testosteron hinter sich gebracht. „Wenn du in ein normales Fitnessstudio gehst, wirst du damit wahrscheinlich auffallen. Aber in einem altmodischen, heruntergekommenen Kraftsportstudio haben wahrscheinlich alle, die du fragst, etwas genommen.“ Auf die Frage, ob er medizinisches Fachpersonal konsultiert habe, antwortet er, dass er mit einem Krankenpfleger darüber gesprochen habe. „Die Antwort ist immer, dass man es nicht nehmen soll“, sagt er. „Nicht gerade hilfreich also, weil ich das sowieso ignoriere.“

Eine:r der Konsument:innen, mit denen ich spreche, ist selbst Arzt. M. B., ein 41-jähriger Mann aus Missouri, erzählt mir, dass er schon im Alter von 32 Jahren damit begonnen habe. Seitdem hat er viele Präparate ausprobiert, darunter menschliche Wachstumshormone und Insulin. Letzteres erwarb er rezeptfrei bei einer Einzelhandelskette, die es in den meisten US-Bundesstaaten verkauft. Auch Nick erzählt, dass er Insulin einfach im Laden gekauft habe: „Es ist wahrscheinlich das gefährlichste Anabolikum, das man einnehmen kann, und es ist das am einfachsten erhältliche. Es ist lächerlich.

In Deutschland ist Insulin verschreibungspflichtig und darf nur in Apotheken ausgegeben werden. „Als Mediziner kenne ich das Kosten-Nutzen-Verhältnis fast aller modernen Arzneimittel“, sagt M.B. „Es gibt kein Medikament ohne Nebenwirkungen.“ Hat er seinen Kolleg:innen von seinem Konsum erzählt? Nur seiner Frau, seinem Trainer, und ein paar Trainingspartner:innen wüssten davon. „Im Moment ist es unwahrscheinlich, dass ich damit aufhören werde. Es sei denn, meine Gesundheitswerte verändern sich. Ich lebe gesund – kein Tabak, kein Alkohol. ich komme ohne übermäßiges Koffein oder Fast Food aus. Das ist also mein einziges Laster.“

Viele stören sich an den Klischees über Menschen, die Steroide nehmen

Mehrere der Männer, mit denen ich gesprochen habe, stören sich an den Klischees, die mit dem Steroid-Konsum verbunden sind. Die Menschen in der Szene, mit denen sie sich angefreundet haben, seien nicht aggressiv und äßen auch nicht ausschließlich Fleisch. „Unter ihnen ist ärztliches Fachpersonal, das sind Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, Unternehmer:innen, Angestellte in der Buchhaltung oder in einer Anwaltskanzlei“, sagt ein 32-Jähriger namens J. R. Er lebt in North Carolina und arbeitet als Administrator in einem der erwähnten Foren. „Unter ihnen sind hingebungsvolle Ehemänner und engagierte Väter. Das sind Männer, die sich in Biochemie und wissenschaftlicher Literatur besser auskennen als die meisten Leute, mit denen ich zur Uni gegangen bin.“

Alex Tilinca fühlt sich im Bodybuilding als trans Mann akzeptiert. „Es ist ein Sport, bei dem auch Hormone im Spiel sind – das verbindet uns miteinander.“

Foto: privat

Eine weiteres Vorurteil, das sich während meiner Recherche als falsch erwies, ist jenes, nachdem diejenigen, die leistungssteigernde Mittel und insbesondere Steroide zu sich nehmen, homophobe Heteros seien. Viele Menschen aus der LGBTQIA+-Community setzen ebenfalls auf die vielversprechenden Stoffe. Zudem gibt es in Bodybuilding- Kreisen viel Sympathie für die trans Gemeinschaft. Schließlich verteidigen trans Personen häufig das Recht, den eigenen Körper mit Hormonen zu verändern.

Alex Tilinca ist ein 23-jähriger trans Mann aus Long Island. Als Fitness-Coach trainiert er hauptsächlich trans Männer, viele von ihnen interessierten sich für Bodybuilding. „Es ist ein Sport, bei dem Hormone im Spiel sind – das verbindet uns miteinander“, sagt er. „Die Leute in der Bodybuilding-Welt sind sehr empfänglich für trans Männer.“ Auf seinem eigenen Weg hat Tilinca das Fitnessstudio als einen Ort der Akzeptanz kennengelernt, an dem er einfach er selbst sein konnte. „Die Männer dort waren diejenigen, die mich unterstützt haben. Sie wussten, dass ich trans bin. Sie halfen mir zu lernen, wie man richtig trainiert.“

Warum Steroide gerade jetzt immer beliebter werden

Sie fragen sich, warum Steroide gerade jetzt an Popularität gewinnen? Dann fragen Sie sich doch, wann Sie das letzte Mal im Fitnessstudio waren und nicht mindestens ein Smartphone gesehen haben, mit dem jemand beim Training gefilmt wurde. Die sozialen Medien vergrößern den Wunsch, unser Aussehen zu verändern – und die Kontrolle über unsere Körper zu haben.

Auf Instagram lassen bekannte Steroidkonsument:innen wie der „Liver King“ vor einem Millionenpublikum ihre Brustmuskeln spielen. Auf TikTok macht der bekennende Testosteron-Konsument und 70-jährige Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy Jr. Klimmzüge. Auf den Plattformen werden Leistungssteigerungen zur Schau gestellt, es sind die Orte, an denen sich Neugierige von (bearbeiteten) Fotos inspirieren lassen, (zwielichtige) Substanzen kennenlernen und erfahren, wo sie diese (illegal) kaufen können, bevor sie schließlich Oben-ohne-Spiegel-Selfies teilen, um ihre durch die Substanzen gewonnene Muskelmasse zu präsentieren. Vielleicht ist der Begriff „leistungssteigernde Mittel“ an sich schon veraltet – weshalb einige Expert:innen damit begonnen haben, von „leistungs- und imagefördernden Stoffen“ zu sprechen.

Angesichts des immer noch bestehenden Stigmas und des Risikos einer Gefängnisstrafe geben die wenigsten Menschen, die leistungssteigernde Drogen verwenden, zu, dass sie es tun – vor allem, wenn sie eine große Follower:innenschaft haben und ihr Einkommen proportional zu ihrem Publikum wächst. Kenneth Boulet hat sich eine Fangemeinde aufgebaut, indem er Fitnessmessen besucht und die Stars vor der Kamera fragt, ob sie „natürlich“ seien oder nicht. Im Mai dieses Jahres wurden auf TikTok mehr als 20.000 Videos mit dem Hashtag „natty or not“ gepostet, zu Deutsch: natürlich oder nicht. Als sich Boulet in seinen Zwanzigern zum Feuerwehrmann ausbilden ließ, nahm er selbst Steroide. Heute versucht er, von ihrem Gebrauch abzuraten, und fordert einen ehrlichen Umgang mit dem Thema – indem er zeigt, welche Internet-Persönlichkeiten leistungssteigernde Mittel benutzen.

Kenneth Boulet setzt sich mit seiner Social-Media-Reihe „Natürlich oder nicht“ für einen ehrlichen Umgang mit Steroiden ein.

Foto: privat

„Sie konsumieren es in verrückten Mengen und behaupten dann, sie seien natürlich“, sagt er verärgert. Doch er gibt zu, dass er den Reiz nachvollziehen kann. „Das Gefühl, wenn man einen Zyklus durchläuft, ist unglaublich. Das ist der Teil, der süchtig macht“, erklärt er, „aber man kann diesen Zustand nicht aufrechterhalten.“ Er wolle das Bewusstsein für die Problematik schärfen und jungen Leuten zeigen, dass sie sich nicht mit dem vergleichen können, was sie online sehen. „Es gibt nichts, was ich mehr verabscheue als eine Nachricht von einem 16-Jährigen, der darüber nachdenkt, Steroide zu nehmen, weil er so aussehen will wie sein Lieblings-Influencer“, sagt Boulet. Doch seine Botschaft könne auch missverstanden werden, das gibt er zu. „So viele Profisportler:innen und Schauspieler:innen haben mir geschrieben und mich nach Tipps gefragt – die Leute wären schockiert, wenn sie das sehen würden.“

Der perfekte Hollywood-Körper ist nicht natürlich

Hollywood ist eine der Instanzen, die Schönheitsideale etabliert. Verkörpert werden diese von Darsteller:innen, die stillschweigend Mittelchen einnehmen, um diesen Bildern entsprechen zu können. In dem 2023 erschienenen Buch „MCU: The Reign of Marvel Studios“ schätzt ein Professor für Physiotherapie an der University of Southern California, dass 50 bis 75 Prozent der Marvel-Stars schon eine Form von leistungssteigernden Mitteln eingenommen haben. Ein Fernsehschauspieler erzählte mir, dass er Kreatin genommen habe, um sich auf oberkörperfreie Filmszenen vorzubereiten. Und er habe gehört, dass einige seiner Schauspielerkollegen Testosteron verwenden. „Es gibt keine Drogentests am Set“, sagt Lars Wallin, der in West Hollywood auch Stars trainiert. „Das Einfachste, um diesen Trend zu stoppen, wäre, Drogentests durchzusetzen und diejenigen zu entlassen, die positiv getestet werden.“ Aber wer in der Branche hätte einen Anreiz, so etwas zu tun?

Im vergangenen Dezember brach der „Reacher“-Hauptdarsteller Alan Ritchson sein Schweigen. In der Krimi-Thriller-Serie verkörpert er einen ehemaligen U.S. Soldaten. Wie er der britischen „Men’s Health“ erzählte, hat die Arbeit für die erste Staffel seinen Körper „zerstört“, er trug eine Schulterverletzung davon. „Ich möchte nicht nach jeder Staffel operiert werden müssen – und Testosteron hilft mir dabei.“

V.S. ist in seinen 30ern. Als er das erste Mal Steroide nahm, war er gerade 19 Jahre alt. „Das College ist eine Zeit, in der man sich mit allen anderen vergleicht“, sagt er. „Ich war immer ein schmächtiger Kerl und dachte, es wäre cool, wenn ich das ändern könnte.“ Er bestellte mehrere Präparate im Internet – und wurde schon bald kräftiger. Er hatte einen „besseren Körperbau“ und Fremde machten ihm plötzlich Komplimente. Er vergleicht Steroide mit dem Spiel „Grand Theft Auto“ und dem Verwenden von Cheat-Codes. Wenn man einmal damit gespielt hat, warum sollte man es dann noch ohne spielen wollen?

Die meisten müssen ihr ganzes Leben lang eine Ersatztherapie machen

V. S. nahm acht Jahre lang leistungssteigernde Drogen. Heute lebt er in Florida, macht eine Testosteron-Ersatztherapie – und wird diese sein Leben lang fortführen müssen. Eine Vorstellung, die er nur schwer akzeptieren kann. „Ich werde mich wie ein Loser fühlen, wenn ich eine Frau und Kinder habe, wir verreisen wollen und Daddy seine Nadeln einpacken muss.“ Besonders junge Konsument:innen gehen häufig davon aus, dass sie diese Stoffe nur vorübergehend einnehmen werden und somit nur mit den kurzfristigen Folgen umgehen müssen. Doch leider funktioniert das so nicht. Männer, die Steroide nehmen, unterdrücken damit die körpereigene Produktion von Testosteron und das manchmal langfristig. Ein Kraft- und Konditionstrainer in Ohio erklärt es so: „Wenn man diesen Schritt einmal gemacht hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Leben lang so bleiben wird.“ Und V. S. bekräftigt: „Hat man einmal Steroide genommen, ist man so gut wie erledigt. Von diesem Punkt an gibt es kein Zurück mehr.“

V. S. arbeitet heute mit einem Arzt namens Thomas O’Connor zusammen, der sich auf die Betreuung von Patient:innen spezialisiert hat, die leistungssteigernde Drogen einnehmen oder eingenommen haben. Online teilt er seine Erfahrungen als „Anabolika-Doc“. Das Fachgebiet, sagt er, habe er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen gewählt. „Ich bin ein 60-jähriger Mann. Ich habe in meinen 20ern Steroide genommen. Als ich in meinen 30ern war, musste ich aufhören – und seitdem nehme ich Testosteron. Ich kann nichts Positives über Steroide sagen.“ O’Connor sagt, mehr als 500 seiner Patient:innen hätten eine Dialyse gebraucht, zudem habe er Dutzende betreut, die später Selbstmord begingen. Meist handelte es sich um junge Männer, darunter auch Teenager. „Das sind ganz normale Typen, die den Wunsch haben, kräftig auszusehen. Die Medikamente wirken, und jetzt kann man sie einfach im Internet kaufen. Es ist normal geworden, weil es so einfach ist, sie zu bekommen.“

Viele fangen mit dem Konsum an, weil ihnen etwas fehlt

E. O. macht eine Testosteron- Ersatztherapie, früher hat er Anabolika genommen. „Viele Männer“, sagt er, „fangen damit an, um ein Loch in ihrem
Ego zu stopfen.“


Foto: privat

Viele derer, die O’Connor betreut, haben mit dem Konsum begonnen, bevor diese Stoffe einer breiten Masse bekannt wurden. E. O., 41 Jahre alt, ist einer von ihnen. Er arbeitet in New England im Finanzwesen und unterzieht sich ebenfalls einer Testosteron-Ersatztherapie. Als er Ende 20 war, fühlte er sich wegen seiner Verpflichtungen ausgebrannt: die Familie, der Stress auf der Arbeit. Er begann, Testosteron-Präparate einzunehmen, und geriet in die „Mehr ist mehr“-Falle. Um kräftiger zu werden, experimentierte er zusätzlich mit Anabolika. Plötzlich passierten seltsame Dinge – die nicht immer schlecht waren. Frauen sprachen ihn im Supermarkt an und wollten seine Oberarme anfassen. Auf einer Konferenz wurde er mit dem Sicherheitsdienst verwechselt. Rückblickend versteht er die Unsicherheiten besser, die jemanden zum Konsum treiben können. „Ich glaube, es ist eine Frage der Persönlichkeit“, sagt er. „Viele Männer fangen damit an, um ein Loch in ihrem Ego zu stopfen.“

Andere seien auf der Suche nach dem verloren gegangenen Gefühl von Jugendlichkeit, erklärt Jessica Cho, Ärztin für integrative Medizin mit einer Praxis in Los Angeles. Viele ihrer neuen Patient:innen fragten sie: Können Sie mir das Gefühl zurückgeben, wieder 18 Jahre alt zu sein? „Einige der größten Kämpfe in meinem Beruf führe ich mit Männern, die Testosteron nehmen wollen“, sagt sie. Was Patient:innen manchmal nicht verstünden, sei, dass Testosteron nicht isoliert wirkt. Das Hormonsystem ähnelt einem Orchester, in dem die Hormone zusammenarbeiten, um ein Gleichgewicht herzustellen. Sie beobachte, dass viele Männer Nierenprobleme bekommen, weil sie zu viel Eiweiß und zu viele Nahrungsergänzungsmittel einnähmen. „Sie nehmen irrsinnige Mengen zu sich und schädigen damit ihre Nieren.“ Laut Forschenden in den Niederlanden besteht eine Verbindung von Steroidkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem wird vermutet, dass die Einnahme von Steroiden mit Stimmungs- und Angststörungen zusammenhängt.

Zu wenig Aufklärung und fundiertes Wissen über den Steroidkonsum

Im Jahr 2022 dokumentierte die „Washington Post“ die Fälle von mehr als zwei Dutzend jung verstorbener Bodybuilder:innen. Gleich mehrere Expert:innen erklärten, dass es in der Medizin allgemein an Aufklärung über leistungssteigernde Mittel mangele. Hinzu komme, dass es einfach nicht genügend empirische Daten und keine umfangreichen medizinischen Studien gibt, die Ärzt:innen zurate ziehen könnten. Dadurch ist der oder die durchschnittliche Konsument:in – insbesondere diejenigen, die neu in dieser Welt sind und einen Drang nach Optimierung verspüren – anfällig für sogenannte „Bro Science“, also für unfundiertes Laienwissen, in dessen Rahmen die Erfahrungen des Einzelnen mehr wert zu sein scheinen als die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien.

Doch welche Folgen könnte die Allgegenwart der beschriebenen Stoffe nach sich ziehen? Im Idealfall mehr Aufklärung, genauere Informationen – in einer besseren Welt könnte eine erwachsene Person eine informierte Entscheidung über die Verwendung dieser Stoffe unter ärztlicher Aufsicht treffen. Unter der gegenwärtigen Gesetzeslage bleibt das jedoch eine Utopie. Nach einer Reihe von Interviews sagte ich eines Abends zu meiner Frau: „Ich glaube, das sind die traurigsten Geschichten, die ich je recherchiert habe.“

Neues Experiment: Eine Olympiade mit leistungssteigernden Mitteln

Denn trotz der Warnungen der Ärzteschaft scheint die Begeisterung für Anabolika nur weiter zuzunehmen. Sollten sich die Organisator:innen mit ihren Plänen durchsetzen, wird nächstes Jahr in den USA eines der wilderen Normalisierungsexperimente stattfinden: die Enhanced Games, deren Eröffnung unter anderem von dem Milliardär und Biohacker Peter Thiel unterstützt wird. Hinter der Veranstaltung steckt eine Art olympischer Wettbewerb in den Disziplinen Schwimmen, Gewichtheben und Leichtathletik, bei dem die Teilnehmenden unter ärztlicher Aufsicht Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Im Grunde handelt es sich um eine Sportveranstaltung, bei der transparent mit der Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten umgegangen wird. Aron D’Souza, Mitbegründer der Enhanced Games, erklärt den Hintergrund seiner Veranstaltung mit einer 2017 von der Welt-Anti-Doping-Agentur in Auftrag gegebenen Studie, für die man bei zwei internationalen Sportveranstaltungen mehr als 2000 Athlet:innen befragt hatte.

Sie ergab, dass mehr als 43 Prozent der Teilnehmenden der einen und rund 57 Prozent der anderen Veranstaltung im zurückliegenden Jahr gedopt hatten. In einer Erklärung gegenüber GQ weist das Internationale Olympische Komitee darauf hin, dass es eine „Null-Toleranz-Politik“ verfolge, „um Betrug zu bekämpfen und jede:n zur Rechenschaft zu ziehen, der oder die die Verwendung oder Bereitstellung von Dopingmitteln verantwortet“. Nichtsdestotrotz lautet das Ziel der Enhanced Games, das Schattendasein dieser Stoffe im Leistungssport zu beenden.

„Jede Normalisierung hilft“, sagt Christian Angermayer, neben D’Souza einer der Mitbegründer der Spiele. Er verweist auf die gesellschaftliche Akzeptanz bestimmter Substanzen gegenüber anderen trotz der gesundheitlichen Folgen für Konsumierende. Als Beispiel nennt er die Risiken des Alkoholkonsums im Vergleich zum Gebrauch von Anabolika. (Alkohol hat in diesem Vergleich die schädlicheren Folgen.) Als ich nach ihren Erfahrungen mit solchen Stoffen frage, sagt Angermayer, er habe sie unter strenger ärztlicher Anleitung und Aufsicht eingenommen. D’Souza denke darüber nach, damit anzufangen, wolle aber warten, bis die medizinischen Gutachten der Enhanced Games vorlägen.

Nick bekam Muskeln – und wurde paranoid

Nick hätte eine medizinische Aufsicht helfen können. Sein anfänglicher Konsum von SARMs war eine Flucht aus dem Alltag. Die ersten Spritzen kaufte er von jemandem im Fitnessstudio. Nach der Injektion entwickelten sich jedoch klumpige Verformungen unter seiner Haut. „Ich konnte mit meinem Auto nicht mehr über unebene Straßen fahren, ohne zusammenzuzucken.“ Selbst gemachte Steroide sind eine Kombination aus Hormonpulver, Alkohol und einem Trägeröl. Das Pulver wird aufgelöst und zu einer Lösung erhitzt. Nick vermutet, dass die Medikamente, die er gekauft hatte, nicht richtig zubereitet waren. „Wenn man Steroide nicht lange genug kocht, wird aus dem Pulver keine Flüssigkeit“, erklärt er.

Das hielt ihn jedoch nicht davon ab weiterzumachen – und auch weitere Substanzen zu nehmen. Er zählt einige der Drogen, die er in dieser Zeit nahm, mit einer Selbstverständlichkeit auf, als handele es sich um Underground-Hardcore-Bands. Anavar, Metandienon, NPP. Je nach Präparat nahm er zeitweise mehr als tausend Milligramm pro Woche ein. Er bekam Muskeln – und wurde paranoid. Außerhalb des Fitnessstudios fühlte er sich extrem lethargisch. Trotzdem überwog ein Gefühl: „In dem Moment, in dem du ein Gewicht anfasst, bist du ein Gott. Alle zwei bis drei Wochen kamen beim Bankdrücken 10 bis 20 Kilogramm dazu. Es war der Wahnsinn.“

Der Werdegang von Body Buildern: Volles Haar, Irokesenschnitt, Glatze

In der Zwischenzeit färbte eine der Drogen seinen Schweiß und sein Sperma gelb. Sein Haaransatz ging so weit zurück, dass er sich einen Irokesen schnitt. „Das ist der Werdegang von Bodybuildern: volles Haar, Irokesenschnitt, Glatze.“ Außerdem litt er unter so schlimmer Akne, dass er anfing, mehrmals pro Woche ins Sonnenstudio zu gehen – hauptsächlich, um mit der Bräune seine Pickel zu kaschieren.

Schließlich begann Nick, seine eigenen Steroide zu kochen – um Geld zu sparen, aber auch, um es zu verdienen. Die Herstellung einer Flasche Steroide kostete ihn etwa sechs Dollar, verkaufen konnte er sie für 50 bis 90 Dollar. Das Kochen des Pulvers erwies sich allerdings als nicht einfach; die erste Charge brodelte in der Küche über. Als er nach Los Angeles zog, erzählte ihm ein Freund von einem Mann in Hollywood, der auf Bestellung kochte, wenn man ihm das Hormonpulver lieferte. Nick traf sich mit dem Mann, bezahlte ihn und übergab ihm die Ware. Eine Woche später „kam der Kerl mit fast tausend Flaschen in einem Müllsack zu Starbucks. Ich fahre also am helllichten Tag den Sunset Boulevard entlang. Die Flaschen rollen klirrend umher, und ich denke daran, dass ich, wenn ich erwischt werde, eine lebenslange Haftstrafe am Hals habe.“

Doch Nick hatte nicht das nötige Temperament, um mit den Flaschen zu handeln. Er nutzte die Vorräte für sich selbst und verschenkte den Rest. Bald erreichte er, auf dem Küchenboden liegend, seinen Tiefpunkt. „Ich hatte wahrscheinlich Steroide im Wert von 20.000 bis 30.000 Dollar im Haus, die ich eigentlich verkaufen wollte. Ich hatte Hormonpulver aus China herumliegen. Und während ich den Notruf wählte, dachte ich an die Konsequenzen für meine Familie.“

Noch heute nimmt Nick eine Vielzahl von Peptiden ein und macht eine Testosteron-Ersatztherapie, die er wohl sein Leben lang brauchen wird. Er erinnert sich daran, wie er sich ohne Testosteron fühlte: „Ich hatte keinen Lebenswillen. Du willst nicht essen, du willst mit niemandem schlafen. Du willst nichts tun.“ Mittlerweile genießt er es, neue Aktivitäten wie Tanzen, Klettern und Jujutsu auszuprobieren. „Ich denke immer noch, dass es cool ist, muskulös zu sein. Aber viele dieser Typen bekommen sonst nichts hin. Außerdem darf man keine coolen Klamotten tragen“, sagt er lachend. „Das ist eine Regel: Je kräftiger du wirst, desto dümmer sind deine Klamotten.“

Was rät er jungen Menschen, die leistungssteigernde Drogen konsumieren? „Macht eine Therapie“, sagt er und meint damit nicht etwa Hormone, sondern eine Psychotherapie. „Nehmt die Herausforderung an, den Körper, den ihr habt, lieben zu lernen. Geht ein gutes Jahr lang einmal pro Woche zur Therapie und arbeitet hart. Es ist genau wie im Fitnessstudio: Was man investiert, bekommt man auch wieder zurück“, sagt er. „Das klingt so klischeehaft und abgedroschen. Ich habe immer gespuckt, wenn ich so einen Scheiß gehört habe. Ich dachte, es sei etwas Ehrenhaftes, sich selbst so zu hassen, dass man seinen Körper um jeden Preis verändern will.“

Nicks Stimme ist klar und klingt doch verzweifelt. „Ich wäre fast gestorben und musste einen Weg finden, mich selbst zu lieben“, sagt er. „Ich hoffe nur, dass ein junger Mensch, der das hier liest, früh genug aufhört und nie wieder damit anfängt.“

Rosecrans Baldwin schreibt regelmäßig für GQ und ist der Autor des Bestsellers „Everything Now: Lessons From the City-State of Los Angeles“.


Eine Version dieses Artikels erscheint in der neuen GQ. Die Juniausgabe der GQ ist ab dem 13. Juni im Handel und wird hier online erhältlich sein.