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Matthew Perry und die Geschichte, von der er nicht glauben kann, dass er sie überlebt hat

Matthew Perry war jahrelang einer der berühmtesten, sympathischsten und bestbezahlten Menschen des amerikanischen Fernsehens. Das hat ihn fast umgebracht.
Matthew Perry

Matthew Perry über das Leben, seine Krankheit und die Wirkung von Ehrlichkeit.

Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie es sein könnte, Matthew Perrys beeindruckende, bestürzende und mitreißende Memoiren „Friends, Lovers, and the Big Terrible Thing“ zu lesen, möchte ich eine ganz spezielle Lesererfahrung teilen:

Einige Monate nach Vollendung seines Buches sollte Perry die Hörbuchversion dazu aufnehmen. Das war der Moment, in dem ihm auffiel, dass er, obwohl er das Buch selbst geschrieben hatte – und zwar wirklich selbst, die erste Hälfte in der Notes-App seines Handys, den Rest auf seinem iPad – es sich nie erlaubt hatte, es von Anfang bis Ende durchzulesen. Am nächsten Tag würde er die Worte in ein Mikro sprechen müssen. Vielleicht wäre es gut, sich darauf vorzubereiten. Er legte sich aufs Bett, vor ihm das iPad, und begann zu lesen.

Es sei „befreiend“ gewesen, das Buch zu schreiben. „Ich war vollkommen ehrlich“, sagt er. „Es kam einfach aus mir heraus und plötzlich stand was auf der Seite.“ Aber in diesem Moment realisierte der Autor, dass es eine Sache war, die wahre Geschichte von Matthew Perry zu Papier zu bringen. Aber eine völlig andere, sie zu lesen.

„Ich las“, erzählt er, „und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Ich dachte: ‚Oh Gott, dieser Mensch hat das schlimmste Leben überhaupt!‘ Dann kam die Erkenntnis, dass es meine eigene Geschichte war…“

Perry wollte diese Nacht nicht einmal in demselben Raum verbringen wie seine Worte.

„Ich musste wirklich schlafen“, sagt er, „also habe ich das iPad aus dem Raum verbannt. Es war zu nah, zu schmerzhaft.“

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Hemd, Zegna von Neiman Marcus, T-Shirt, Hiro Clark.


Ja, die Rede ist von Matthew Perry, dem Matthew Perry. Dem Mann, der vor einem Vierteljahrhundert den ewig liebenswerten, lustigen und leicht unsicheren Chandler in der erfolgreichsten Sitcom aller Zeiten, „Friends“, gespielt hat (und ihn angesichts ständiger Wiederholungen und Streaming-Optionen auch irgendwie noch immer spielt). Was bitte meint er also? Klar, so einiges hat man über die Jahre mitbekommen. Ein paar Alkoholprobleme. Ein paar Tabletten. Ein paar Kilos zu viel. Ein paar Kilos zu wenig. Eine anschließende Karriere, die weniger steil als durchwachsen war. Ganz realistisch betrachtet ist nichts davon überaus ungewöhnlich. Sollte sein Buch also nicht eher eine weitere gefällige Promi-Geschichte mit Wohlfühlfaktor sein, mit selektiv platzierten, sorgsam abgewägten Einblicken in die Gratwanderungen des Ruhms und der Enthüllungen über den Kampf gegen die inneren Dämonen?

Sicher. Absolut. Nun ja. Nicht wirklich. Also ja, aber nur in einem Paralleluniversum, in dem gefällige Promi-Memoiren Passagen wie diese enthalten:

Ich bin seit meinem 18. Geburtstag in Therapie, aber ganz ehrlich, zu diesem Zeitpunkt brauchte ich keine Therapie mehr. Was ich brauchte, waren zwei Schneidezähne und einen Kolostomiebeutel, der nicht kaputt geht. Wenn ich sage, dass ich in meiner eigenen Scheiße aufgewacht bin, dann meine ich 50 oder 60 Mal.


„Ich muss etwas Gesundes bestellen“, verkündet Perry. Wir sind zum Abendessen im Private Members' Club Soho House in West Hollywood verabredet, nicht weit entfernt von dem Haus in den Hollywood Hills, das er gemietet hat, bis die mehrjährigen Renovierungsarbeiten an seinem neuen Haus in Pacific Palisades – „fantastischer Meerblick, ein ziemliches Traumhaus“ – abgeschlossen sind.

Was immer Perry sonst für Sorgen haben mag, Geldsorgen sind es nicht. Gegen Ende der Serie erhielt jeder der sechs „Friends“-Stars mehr als eine Million US-Dollar pro Folge. Und er hat noch genug über. „Ich bin niemand, der einfach so eine Million Dollar für sinnlose Dinge auf den Kopf haut“, erklärt er. Aber, und wir kennen uns in diesem Moment seit genau drei Minuten, er erzählt mir auch von einer finanziell leichtsinnigen Aktion in großem Stil: Dem Kauf eines 966 Quadratmeter großen Penthouses in LA, das für seine Zwecke eigentlich völlig ungeeignet war, bis auf die Tatsache, dass es dem Apartment von Christian Bales Batman in „The Dark Knight“ ähnelte. Perrys Gedankengang, wenn man von Denken sprechen kann: „Bruce Wayne hatte ein Penthouse, also brauche ich auch eines.“ Er brauchte nicht lange, um zu merken, „dass es ein dummer Fehler war.“

Ich frage ihn, ob er zumindest eine Weile lang Spaß daran hatte.

„Vielleicht die ersten Tage, als ich mich darin verlaufen habe. Aber irgendwann fragte ich mich nur noch: ‚Warum hast du das getan?‘“

Auf Perrys Handy, das vor uns auf dem Tisch liegt, klebt ein Sticker mit dem traditionellen Batman-Logo. Perry, so stellt sich heraus, ist Batman-Fan. Großer Fan. Insbesondere der drei Christopher-Nolan-Filme. Er erzählt, dass es in seinem neuen Haus einen eigenen Batman-Raum geben wird („eine Matt-Cave“, witzelt er), mit Billardtisch, großem Fernseher, schwarzem Sofa und Regalen für seine gesammelten Batman-Schätze. Seine Antwort, als ich versuche, mehr über seine Batman-Begeisterung herauszubekommen, ist überraschend.

„Ich bin Batman“, sagt er.

Etwas verwirrt bitte ich ihn, das zu erläutern.

„Er ist ein reicher Einzelgänger“, antwortet er. „Und wir fahren beide coole schwarze Autos.“ (Perry ist in einem 2021 Aston Martin Vantage V8 Roadster selbst hierhergefahren, ein Modell, das er aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit zum Batmobil ausgewählt hat.) „OK, ich löse keine Kriminalfälle“, lenkt er ein. „Aber ich rette Leben.“

Er bestellt Hackbällchen als Vorspeise und einen Burger ohne Bun und Pommes, nur eine Frikadelle also und etwas Ketchup. Dann beginnt er zu erklären. Es gibt viel zu erklären.

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Jacke, Berluti. T-Shirt, Hiro Clark.

Das „Big Terrible Thing“ vom Titel seines Buches, das im Zentrum der Geschichte steht, ist seine Abhängigkeit. „Im Nachschlagewerk sollte unter dem Wort ‚Abhängiger‘ ein Bild von mir mit völlig konfusem Gesichtsausdruck sein“, steht da geschrieben.

„In dem Buch geht es darum, wie ich immer berühmter wurde, während ich mit dieser schrecklichen Abhängigkeit zu kämpfen hatte“, sagt er. „Es ist allen gewidmet, ‚die auch darunter leiden. Ihr wisst, wer ihr seid.‘ Ich möchte damit verdeutlichen, dass es alle treffen kann. Und ich möchte, dass sich die Betroffenen weniger allein damit fühlen.“ Die Aussage, dass er Leben rette, bezog sich auf sein langjähriges Engagement im öffentlichen wie auch privaten Bereich. Er möchte anderen Abhängigen helfen, auch wenn sein eigener Kampf noch nicht vorbei ist. „Es muss einen Grund geben, weshalb ich nach all dem Mist immer noch hier bin. Meine Schlussfolgerung war, dass ich ein Buch schreiben müsse, um anderen zu helfen, die die gleichen Dinge durchmachen oder durchgemacht haben“, erzählt er. „Außerdem wollte ich, dass alle wissen, wie schwierig es war, aufzuhören. Und dass sie nicht über Abhängige urteilen sollen. Denn es ist richtig, richtig hart.“

Oder wie es in seinem Buch steht: „Mein Verstand will mich umbringen, und ich weiß es.“

„Es geht hier nicht um einen Ego-Trip“, sagt er. „Es ist die nackte, ungeschönte Wahrheit über Abhängige. Über diejenigen, die es überlebt haben und es jeden Tag aufs Neue überleben. Es ist immer wieder erschreckend, wie anstrengend es Tag für Tag ist, sich von dieser Bestie zu befreien, die es sich im eigenen Kopf bequem gemacht hat.“


Das Mutige an Perrys Buch ist nicht, was er sagt oder wie und mit welcher Entschlossenheit er bestimmte Dinge benennt, sondern dass er sie überhaupt sagt.

Perry hat erst vor rund 18 Monaten mit dem Schreiben begonnen. Er saß auf der Rückbank eines Autos auf dem Weg in eine Einrichtung in Florida, um sich einer Traumatherapie zu unterziehen – „Traumacamp“ nennt er es. Im Prolog des Buches schreibt er: „Ich habe mein halbes Leben auf die eine oder andere Weise in Therapie- oder Entzugseinrichtungen verbracht.“ Es ist nur einer von vielen alarmierenden empirischen Indikatoren, die die Probleme seiner Vergangenheit beschreiben, denn es geht weiter: „Ich habe mehr als 7 Millionen Dollar für Entzug ausgegeben. Ich war bei 6000 AA-Meetings. Ich war 15 Mal in einer Entzugsklinik. Ich war in einer psychiatrischen Anstalt. Ich bin 30 Jahre lang zweimal die Woche zur Therapie gegangen…“ Und weiter: „Ich habe in meinem Leben mehr als 65 Entgiftungen durchgemacht.“ Oder „In den ‚Friends‘-Jahren hat mein Gewicht zwischen 57 und 102 Kilogramm geschwankt. Man kann den Verlauf meiner Sucht verfolgen, wenn man sich mein Gewicht von Staffel zu Staffel ansieht. Viele Kilos bedeuten Alkohol, wenige Kilos bedeuten Tabletten. Ein Kinnbart bedeutet viele Tabletten.“ Und: „Die meisten werden überrascht sein, wenn ich sage, dass ich seit 2001 überwiegend clean und trocken bin. Abgesehen von vielleicht 60 bis 70 kleineren Ausrutschern über die Jahre.“

Was Perry auflistet, ist der graduelle Fortschritt eines Niedergangs, über den er keine Kontrolle hatte. Da war zum Beispiel der erste alkoholische Drink mit Freunden im Garten, als er 14 Jahre alt war. Während sich seine Buddies übergeben mussten, entdeckte er etwas anderes: „Ich stellte fest, dass mich zum ersten Mal in meinem Leben nichts mehr störte. Die Welt ergab plötzlich einen Sinn; sie war nicht mehr verrückt und verwirrend. Ich fühlte mich vollkommen und mit mir selbst im Reinen… Und ich dachte: ‚Das hat mir gefehlt. So fühlen sich normale Menschen bestimmt immer.‘“ Dann kam der Jetski-Unfall auf dem Lake Mead zwischen der zweiten und dritten „Friends“-Staffel, als ihm im Krankenhaus eine einzige Tablette verabreicht wurde. „Als die Wirkung einsetzte, machte etwas in mir Klick“, schreibt er. „Diesem Gefühl bin ich die ganzen Jahre nachgejagt." Nur 18 Monate später nahm Perry 55 Vicodin-Tabletten am Tag.

Neben allem anderen, erzählt er, stand er vor einer logistischen Herausforderung. Jeden Morgen stellte sich ihm als Erstes die Frage, wie er sich die Tabletten für den Tag beschaffen konnte. „Ich war bestimmt bei acht Ärzten gleichzeitig. Mal habe ich ihnen Kopfschmerzen vorgespielt, mal Rückenschmerzen. Jeden Tag musste ich das tun.“ 
Oft sind wir am erfinderischsten, wenn die Verzweiflung am größten ist. Die Popkultur ist voll von Geschichten über Methoden, die verzweifelte mittellose Menschen anwenden, um an Drogen zu kommen. Privilegierte Menschen haben andere Möglichkeiten. Perry entwickelte eine ganz besonders ausgeklügelte Strategie.

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Vielleicht sehen wir uns nur folgende Story an, um das Ausmaß seiner surrealen Tricks und Verrenkungen in dieser Zeit zu verstehen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren, auf dem Höhepunkt von „Friends“, nahm er am Wochenende häufig Besichtigungstermine für exklusive Immobilien wahr, die er angeblich kaufen wollte. Vielleicht stimmte es sogar, vielleicht auch nicht, jedenfalls hatte er einen Hintergedanken. In einem günstigen Moment habe er sich kurz entschuldigt und sei ins Badezimmer gegangen, wenn gerade niemand in der Nähe war, erzählt er. „Hätte ich nach dem WC gefragt, hätten alle gewusst, dass ich im Bad war.“ Dort machte er eine Bestandsaufnahme der Hausapotheke der aktuellen Bewohner. Nicht immer mit Erfolg, aber oft genug fand er die verbotenen Früchte, nach denen er suchte. Jetzt musste er entscheiden, was und wie viel davon reif für die Ernte war. Er ging mit Bedacht vor, auf seine Weise. Er las die Packungsaufschriften. Wenn die Tabletten schon abgelaufen waren, nahm er gleich mehrere mit. Bei offenkundig neuen Verschreibungen nahm er nur wenige. „Man tut, was man tun muss“, sagt er. „Ich habe mich einfach darauf verlassen, dass niemand denken würde, Chandler habe die Hausapotheke durchsucht und etwas mitgehen lassen.“

Seines Erachtens schöpfte nie jemand Verdacht. Er tat alles dafür, um seinen schlechten Zustand, sei es aufgrund von Tabletten oder Alkohol, zu vertuschen. „Es war mein Geheimnis“, sagt er. „Etwas war mit mir nicht in Ordnung, aber ich wusste nicht, was es war. Aber ich konnte nicht aufhören, weil ich dachte, dass ich sonst verrückt werden würde.“ Wenn er glaubte, niemand ahnte etwas, machte er sich was vor. „Alle wussten Bescheid“, sagt er rückblickend. „Das ‚Friends‘-Team wusste Bescheid. Jennifer Aniston nahm mich eines Tages beiseite und sagte: ‚Wir wissen, dass du trinkst.‘ Ich fragte sie, woher sie das hat, und sie sagte: ‚Wir können es riechen.‘ Aber geändert hat sich nichts.“

Der nächste Entzug folgte, einer von vielen. Und damit eine jahrzehntelange Jo-Jo-Existenz. Zwischendurch gab es durchaus Zeiten, in denen es Perry verhältnismäßig gut ging. Im Juli 2018, nach einer Reihe katastrophaler Ereignisse, steigerte sich jedoch alles zu einem kolossalen Crescendo. Perry erlitt einen Darmdurchbruch, nachdem er aufgrund höllischer Schmerzen aus seiner damaligen Entzugsklinik in ein Krankenhaus gebracht worden war. Aufgrund der Medikamente, die er sowohl missbräuchlich als auch im Rahmen seiner Behandlung nahm, hatte er seit zehn Tagen unter Verstopfungen gelitten. Seiner Familie wurde mitgeteilt, die Chancen, die Nacht zu überleben, lägen bei zwei Prozent. Er war zwei Wochen lang im Koma und fünf Monate lang in stationärer Behandlung. Noch bewusstlos erhielt er einen Kolostomiebeutel – „ein Look, der selbst mir nicht gut stand“ – durch den feste Ausscheidungen sicher aus seinem Körper transportiert werden konnten, während sein Darm heilte. Wenn er denn funktionierte. „Manchmal wachte ich auf, weil der Beutel wieder einmal kaputt war und mein Gesicht, mein ganzer Körper und selbst das Bett nebenan voller Scheiße war. Wenn der Beutel kaputt geht, dann so richtig. Dann muss man jemanden holen.“

Neun Monate später sollte der Beutel operativ entfernt werden. Doch der erste OP-Versuch schlug fehl. Er erhielt einen vorübergehenden Ersatz: einen Ileostomiebeutel. „Zehnmal schlimmer. Dieser Beutel muss 18, 19 Mal am Tag gewechselt werden. Ileostomiebeutel führen zu vielen Suiziden. Die Leute kommen damit einfach nicht klar.“ Zum Glück war die nächste OP wenig später erfolgreich. „Inzwischen lebe ich schon lange ohne“, sagt er, „und bin sehr dankbar dafür.“ Die Narben aber sind geblieben. „Ich muss mich noch daran gewöhnen, wie mein Körper aussieht“, sagt er. „Ich betrachte die Narben mit Dankbarkeit, weil sie mein Leben gerettet haben. Aber all dieses vernarbte Gewebe wird den Rest meines Lebens, Tag und Nacht, präsent sein. Es ist, als würde ich konstant einen Sit-up mit spürbarer Dehnung machen.“ Perry merkt noch an, dass er in Verbindung mit diesem Krankenhausaufenthalt 14 Operationen hatte. Und beim Biss in ein Erdnussbutterbrot verlor er damals auch seine Schneidezähne und musste schließlich sämtliche Zähne erneuern lassen.

Hemd, Tom Ford von Neiman Marcus. T-Shirt, Hiro Clark.


Und Sie denken, Sie wüssten, wie die Geschichte ausgeht? Dass Perry nach einer solch brutalen und qualvollen Erfahrung, die ihn fast das Leben gekostet hätte, geläutert und von allen Dämonen befreit, das Krankenhaus verlassen und in die Welt zurückkehren würde?

Wenn Geschichten wie diese doch nur derartig klare Konturen hätten. In seinem Buch beschreibt Perry, was wirklich folgte:

Als ich nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus zum ersten Mal mein Hemd im Bad auszog, bin ich in Tränen ausgebrochen. Der Anblick war verstörend. Ich dachte, mein Leben sei vorbei. Eine halbe Stunde später hatte ich mich genug gefasst, um jemanden anzurufen, der mir Drogen besorgen konnte…

Als ich Perry auf diese Passage anspreche, wiederholt er etwas, das einer seiner Therapeuten gerne sagt: „Die Realität ist gewöhnungsbedürftig.“ Er wusste, was er überlebt hatte, und wollte trotzdem Drogen haben. „Es war mir egal“, sagt er. „Ich brauchte sie.“

Und so befand er sich nur wenig später in der nächsten Entzugsklinik, dieses Mal in der Schweiz. Dort, erzählt er, sei er beinahe ein zweites Mal gestorben. Bei einem chirurgischen Eingriff habe man ihm Propofol gegeben, bekannt als „das Medikament, das Michael Jackson umgebracht hat“, ergänzt er. Sein Herz hörte auf zu schlagen. Fünf Minuten lang, wie ihm später mitgeteilt wurde.

„Dieser Koloss von Mann lehnte über mir und hat mich reanimiert. Er brach mir acht Rippen und hat mein Leben gerettet“, erzählt Perry.

In der jüngeren Vergangenheit sehen die Dinge weitaus besser aus. Er ist immerhin fest entschlossen, nie wieder OxyContin zu nehmen, weil es sich in sein Gehirn eingebrannt hat, dass er sonst den Rest seines Lebens mit einem Kolostomiebeutel verbringen muss.

Darf ich fragen, wie lange sein letzter Rückfall zurückliegt?

„Das behalte ich für mich“, lautet seine Antwort. „Es ist eine Weile her.“

Ob er dem noch etwas hinzufügen wolle, frage ich weiter.

„Nur, dass es im Moment gut läuft. Ich verstehe inzwischen mehr und ich lasse mich nicht mehr so sehr von der Angst leiten. Zum Beispiel habe ich gelernt, dass ich jetzt damit umgehen kann, wenn Dinge schiefgehen. Ich bin belastbar. Ich bin tough. Und das soll auch bei den Lesern des Buches ankommen. Ich habe mich früher nie als starken Menschen gesehen, aber so langsam gelingt es mir.“

Perry verlässt das Soho House am Ende des Abends mit zwei Portionen Sticky Toffee Pudding – „der beste Nachtisch meines Lebens“ – für ein paar Bekannte, die bei ihm zu Hause auf ihn warten. Er will sich noch den in diesem Jahr erschienenen Film „The Batman“ zum vielleicht sechsten Mal ansehen – er ist selbst überrascht, dass es der Film in seinen Batman-Kanon geschafft hat. Aber am Ende wird es doch der Krimi von John Grisham, den er gerade liest. Auf dem Weg nach draußen kommen ihm einige Gäste entgegen. Ihr Gemurmel ist nicht zu überhören.

„Chandler, es ist Chandler…“

„Das passiert jeden Tag“, sagt er, offensichtlich genervt.

Wie es Perry damit geht, wie er von der Welt wahrgenommen wird, ist nicht einfach zu beantworten. Als er irgendwann zu mir sagt: „Es ist ein ziemlich ernstes Buch. Vielleicht werde ich danach ernster genommen“, frage ich ihn, ob er denn das Gefühl habe, nicht ernst genommen zu werden. Seine Antwort gibt einen Einblick in sein leidgeprüftes Inneres:

„Ja, schon, aber vielleicht werde ich ernster genommen, wenn man meine Sicht auf die Dinge hört. Die Chandler-Show, die Matthew-Perry-Show, der ganze Zirkus, der Typ, der immer Witze reißt – ich muss das nicht mehr sein. Das ist mir seit ungefähr zehn Jahren klar. Ich muss das wirklich nicht mehr machen. Vermutlich nervt es die Leute auch, also lasse ich es. Ich kann witzig sein, wenn ich es will, aber ich habe nicht das Bedürfnis dazu.“

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Ein ganz anderer Strang im Buch, angekündigt durch das „Lovers“ im Titel, handelt von Perrys Beziehungen – bei weitem nicht immer die angenehmste Lektüre. Perry stellt klar, dass er nur einmal verlassen wurde, eine Erfahrung, die er nicht besonders gut verkraftet hat: „Ich habe zu Hause Kerzen angezündet und mich bestimmt zwei Jahre lang mit Alkohol betäubt.“ Üblicherweise kam er dem zuvor und trennte sich, bevor es die andere tun konnte. Um eine Zurückweisung zu vermeiden, die, so seine Worte, „sein Ende“ gewesen wäre.

Perry erklärt es mir genauer: „Ich mache Schluss, weil ich unglaubliche Angst davor habe, dass meine Partnerin herausfindet, dass ich nicht gut genug bin, bedeutungslos bin, und zu viel Bestätigung brauche, und dass sie dann mit mir Schluss machen würde, was mich zerstören würde. Dann müsste ich Drogen nehmen, was meinen Tod bedeuten würde. Deshalb habe ich mit all diesen großartigen Frauen Schluss gemacht. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es zehn Frauen auf dieser Welt gibt, für die ich töten würde, um mit ihnen verheiratet zu sein; Frauen, mit denen ich zusammen war und Schluss gemacht habe. Doch für sie alle ging das Leben weiter. Sie haben geheiratet und Kinder bekommen. Man soll nicht in den Rückspiegel schauen, weil man dann das Auto gegen die Wand fährt. Aber ich habe in den Rückspiegel geschaut und feststellen müssen, dass alle weg sind. Sie sind glücklich und zufrieden, was mich freut, aber ich sitze ganz alleine im Kino. Einsamer geht es wohl nicht.“

Die meisten dieser Frauen, die für kurze Zeit Teil seines Lebens waren und dann wieder verschwanden, nennt Perry in seinem Buch nicht beim Namen, doch es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel erzählt er, wie er und Gwyneth Paltrow bei einer kurzen Begegnung im Sommer vor der Erstausstrahlung von „Friends“ „in einem Wandschrank rumgeknutscht“ haben. Als ich ihn bei unserem Abendessen darauf anspreche, sagt er: „Ich hoffe sehr, dass es für sie einfach eine lustige Story ist. Es wäre furchtbar, wenn mich Gwyneth Paltrow hassen würde.“ „Friends“-Fans werden sich wohl besonders für eine Beziehung interessieren, die nie stattgefunden hat. In seinem Buch schreibt Perry, dass Jennifer Aniston und er sich bereits drei Jahre vor dem Start der Serie über Bekannte kennengelernt hatten und dass er sie nach einem Date gefragt, aber einen Korb bekommen hatte. Später am Set habe er festgestellt, dass er immer noch „ziemlich in sie verschossen war“, schreibt er. „Es war immer etwas peinlich, wenn wir Hallo und Tschüss sagten. Irgendwann habe ich mich gefragt, wie lange ich wohl in ihre Richtung schauen kann. ‚Sind drei Sekunden schon zu lang?‘“

„Eigentlich war es eher lustig“, erzählt Perry, „weil sie so dermaßen desinteressiert war. Es war auch nicht so, als wäre ich schwer verliebt gewesen. Ich habe sie einfach ein bisschen angehimmelt, weil ich sie schön und toll fand. Irgendwann war das dann auch vorbei. Nach ihrer Hochzeit sagte ich mir, dass ich diesen Crush hier und jetzt beenden muss.“ (Historische Anmerkung: Anistons Beziehung mit ihrem zukünftigen Ehemann Brad Pitt begann vor der 5. „Friends“-Staffel.)

Hat er Aniston jemals davon erzählt?

„Nein.“

Was wird sie denken, wenn sie es erfährt?

„Vielleicht wird sie sich geschmeichelt fühlen, und sie wird es verstehen.“

Lisa Kudrow schrieb die Einleitung zu seinem Buch. „Ich war zum ersten Mal damit konfrontiert, wie es wirklich ist, mit dieser Abhängigkeit zu leben und sie zu überleben“, schreibt sie. Doch er sagt, dass seine anderen Co-Stars das Buch nicht gelesen hätten. „Das werden sie wohl auch nicht“, fügt er hinzu. Ich sehe ihn ungläubig an. „Warum sollten sie?“, fragt er. „Weil… who cares. Andere Abhängige wird es interessieren. „Friends“-Fans wird es interessieren. Aber dem Cast wird es ziemlich egal sein.“

Am längsten verweilt Perry auf seiner Beziehung mit Julia Roberts. Er fasst ihr anfängliches, ausgedehntes Flirten per Fax für mich zusammen: „Es war unglaublich romantisch.“ Über ihr gemeinsam verbrachtes Silvester 1995 in New Mexico sagt er: „Diesen Tag würde ich gerne immer und immer wieder erleben.“ Aber wie üblich beendete Perry die Sache. „Ich kann den irritierten Ausdruck auf ihrem Gesicht kaum beschreiben“, schreibt er.

Ich frage Perry, wie er wirklich mit ihr Schluss gemacht hat.

„Wir saßen in einem Auto und wurden von Paparazzi verfolgt“, antwortet er. „Und ich sagte: ‚Ich möchte Schluss machen.‘ Ich glaube, dass sie Gefallen daran hatte, sich zu mir, dem TV-Boy, herabzulassen. Und dann hat dieser TV-Boy einfach mit ihr Schluss gemacht. Der eigentliche Grund aber war meine Angst. Ich musste da raus.“

Und wie hat sie darauf reagiert?

„Sie war schockiert. Sie konnte es nicht glauben.“

Ist es noch einmal zu einem Gespräch gekommen?

„Nein.“

Laufen sie sich ab und zu über den Weg?

„Nein, ich bin ihr nie wieder begegnet. Vermutlich würde sie gespielt freundlich sein. Und bestimmt… natürlich ist das Leben auch für sie weitergegangen.“

Ob Roberts wisse, dass er in seinem Buch über diese Dinge schreibt, frage ich ihn.

„Nein, aber ich glaube, sie wird sich geschmeichelt fühlen, weil ich nur gut über sie spreche. Ich habe die Beziehung nur aus Angst beendet. Ich dachte, dass sie jeden Moment mit mir Schluss machen würde, und dass ich es wohl besser selbst tun sollte. Es war reine Angst und vielleicht dumm. Aber so war es eben.“


Für Perrys hart erarbeitetes Verständnis seines Leidenswegs ist es wichtig, dass es sich bei ihm nicht um eine Charakterschwäche handelt, sondern um eine Krankheit.

„Das ist es, was Alkoholismus ist“, sagt er. „Alkoholismus unterscheidet nicht zwischen einem Superreichen und jemandem, der in einer Sozialwohnung lebt. Es ist ihm völlig egal. Die Krankheit sucht sich diejenigen, die das entsprechende Gen haben. Und das möchte ich vermitteln.“ Auf gewisse Weise sind die schmerzhaftesten Passagen seines Buches jene, in denen er wiederholt aufzählt, auf was er alles verzichten würde, um nicht so sein zu müssen, wie er ist. „Ich würde auf mein ganzes Geld verzichten, den ganzen Ruhm, alles, nur um nicht mit dieser Krankheit, dieser Abhängigkeit leben zu müssen.“ Mir scheint, er drückt es immer wieder auf unterschiedliche Weisen aus, weil es den Leuten schwerfallen wird, ihm zu glauben. Er wünschte, sie würden es tun.

Meine nächste Frage lautet, was andere denn fälschlicherweise über ihn denken.

„Dass ich schwach bin“, antwortet er. „Dass ich nur feiern will. Dass ich keine Willensstärke habe. All die Dinge, die andere fälschlicherweise über Abhängige denken.“ Er malt sich oft eine Welt aus, in der man ihn weniger mit „Friends“ verbindet – „auch wenn ‚Friends‘ eine großartige Erfahrung war“ – als damit, dass er anderen geholfen hat, von ihrer Abhängigkeit loszukommen.

Dieser Tage spielt er oft Pickleball, trifft sich mit Freunden, macht Sport und geht ins Kino. Und manchmal schreibt er. Außer seinem Buch, das meines Erachtens eine größere Wirkung erzielen könnte, als er ahnt, hat er bereits fürs Fernsehen sowie ein Theaterstück geschrieben, das in London und New York aufgeführt wurde. Kürzlich schrieb er das Drehbuch für einen Film, „One Year Later“, bei dem er Regie führen will. Der Film handelt von einem Paar, das sich trennt, woraufhin die Frau „den Falschen“ heiraten will. Beim Schreiben sah er sich die Rolle des Richtigen spielen. „Dann ist mir aufgefallen, dass ich 20 Jahre zu alt für die Rolle bin“, sagt er lachend. „Es gibt Fehler, die 30-Jährige machen, aber nicht 53-Jährige.“ Damit meint er vermutlich typische 53-Jährige. „Ich aber schon!“, korrigiert er.

Perry ist der Meinung, er habe inzwischen genug dafür getan, um „diese innersten Ängste“ zu bekämpfen und die Fehler der Vergangenheit nicht die Zukunft bestimmen zu lassen. „Es hat Jahrzehnte gedauert, aber ich habe es geschafft“, sagt er. „Inzwischen glaube ich, dass nicht ständig Bestätigung brauche und nicht bedeutungslos bin.“ Und so kann er jetzt auch Folgendes sagen: „Ich weiß, dass meine nächste Beziehung, wenn alles passt, bedeutsam sein wird, weil ich nicht mehr mit diesen Ängsten lebe. Und ich freue mich darauf. Ich bin nicht aktiv auf der Suche, aber es wäre schön, wenn es passieren würde.“ Er sagt, er würde gerne eine Familie gründen. „Ich glaube, ich wäre ein toller Vater, und jetzt auch ein guter Ehemann. Früher nicht.“

Perry erzählt mir, dass er noch nie so zufrieden war wie heute. In Zahlen ausgedrückt, ist es eine 7 auf einer Skala von 1 bis 10. „Besser wird es wohl nicht mehr“, sagt er. „Nur ein Kind könnte die Zahl vielleicht noch höher pushen.“

Aber er verrät mir auch ein paar Dinge, die darauf hinweisen könnten, dass es vielleicht doch nicht so gut läuft.

„Es sind kleine Dinge“, sagt er. „Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht und ich nur sage: ‚Alles gut‘, dann ist nichts gut. Oder wenn ich einen ausgeprägten Kinnbart habe.“

Was gibt es noch für Anzeichen?

„Wenn ich zu dünn bin. Zu dick. Die Treppe runterfalle. Solche Dinge.“

Er beschreibt, was dann kommen könnte: „Wenn ich jetzt wieder OxyContin nehmen würde, was schon alleine wegen der Angst vor dem Kolostomiebeutel nicht passieren wird, aber angenommen, ich würde wieder Opiate, Narkotika, Vicodin oder Ähnliches nehmen, dann hätte ich einen sehr, sehr guten Monat, weil man einen Energieschub bekommt und sich fantastisch fühlt. Aber nach diesem guten Monat wäre ich komplett am Ende.“

Perrys Beschreibung klingt so alarmierend, dass es reflexartig aus mir herausbricht: “Bitte nicht!”

„Es wird nicht passieren“, antwortet er.

Chris Heath ist GQ-Korrespondent.

©Luc Coiffait

PRODUCTION CREDITS:
Fotos Ryan Pfluger
Styling Andrew Vottero
Haare Sierra Kener für 901 Artists
Grooming Sonia Lee für Exclusive Artists mit La Mer und Oribe
Tailoring Yelena Travkina
Produktion Annee Elliot Productions

ADAPTATION:
Anna Ahlers