Reisen

Côte d’Azur: Katja Eichinger über den Ort, an dem Quiet Luxury und protziger Bling harmonisch zusammenleben

Autorin Katja Eichinger ist der Côte d’Azur verfallen. Für VOGUE geht sie ihrer Liebe für den legendären Küstenabschnitt auf den Grund und analysiert die Mischung aus Protz, Kult und Eleganz. Lassen Sie sich mitreißen!
Katja Eichinger schreibt in ihrem neuen Buch Das große Blau über ihren Sehnsuchtsort  Côte dAzur.
"Kaum ein anderer Küstenstreifen hat so viele Menschen aus Politik, Literatur, Kunst, Mode, Musik und Film angezogen. Dieses kleine Stück Erde ist getränkt mit ihren Legenden", schreibt Katja Eichinger über ihren Sehnsuchtsort, die Côte d’AzurChristian Werner

Die Côte d’Azur ist perfekt zum Urlaub machen – findet unter anderem unsere Autorin Katja Eichinger. Es ist nicht nur das traumhafte Meer, das sie immer wieder dort hinzieht.

Das Meer ist kobaltblau. Am Horizont geht es fast nahtlos in den wolkenlosen Himmel über. Die Palmen vor meinem Fenster zittern leicht im Nachmittagswind. Ein Schwarm grüner Papageien fliegt über sie hinweg. Die Luft duftet nach Eukalyptus und Zedern. Ich atme auf. Endlich bin ich wieder da. Endlich wieder in Cannes, endlich wieder an der Côte d’Azur. Endlich wieder eintauchen in das strahlende Blau des Horizonts, das Yves Klein zum Kunstwerk erklärte und in seinen monochromen Bildern verewigte.

Und wie immer frage ich mich: Warum habe ich diesen magischen Ort nur jemals verlassen? Die Côte d’Azur, die azurblaue Küste, auch französische Riviera genannt, beschreibt den Abschnitt der Mittelmeerküste von Cassis bis zur italienischen Grenze, einschließlich St. Tropez, Cannes, Antibes, Nizza und Monaco. Kaum ein anderer Küstenstreifen hat so viele Menschen aus Politik, Literatur, Kunst, Mode, Musik und Film angezogen. Dieses kleine Stück Erde ist getränkt mit ihren Legenden.

An der Rezeption hängen die goldenen Schlüssel für eine Nacht in prominenter Lage.

Christian Werner

Die Côte d’Azur war nicht schon immer das Ziel aller Urlaubsträume

Im einzigartigen Licht der Côte d’Azur strahlt aber nicht nur das Seidene, also die Kunst, das Schöne und Bewundernswerte, sondern eben auch das Halbseidene. "A sunny place for shady people", hat der britische Autor und Spion W. Somerset Maugham einmal über Monaco gesagt, und der Satz trifft auf die gesamte Küste zu.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts galt es als völlig abwegig, die Sommermonate unter der strahlend heißen Sonne der Côte d’Azur zu verbringen. Die Pariser Bourgeoisie bevorzugte früher für ihre Sommer die französische Atlantikküste. Die Normandie galt als chic. Dort war es zwar nicht selten etwas klamm und windig, aber so lief man auch nicht Gefahr, seine elegante Blässe zu verlieren. Nein, an die Côte d’Azur fuhr man im Winter und spielte Tennis oder ging ins Casino mit den russischen und englischen Aristokrat:innen, die hierher vor Kälte und Schneematsch geflüchtet waren.

Das änderte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er-Jahren, als das amerikanische Ehepaar Sara und Gerald Murphy entnervt seinen verregneten Urlaub an der Atlantikküste abbrach und einer Einladung des amerikanischen Jazz-Komponisten Cole Porter ans Cap d’Antibes folgte. Hier entdeckten sie azurfarbenes Wasser, Pinienhaine und das unendliche Blau des Himmels. In den darauffolgenden Sommern luden die Murphys ihre Pariser Freund:innen mit dazu ein, etwa Pablo Picasso, Dorothy Parker, Gertrude Stein, Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald. Die Sommersaison an der Côte d’Azur und das Lebenskonzept vom sonnendurchfluteten Hedonismus ward erfunden.

Exklusiv: Mit Blick auf das Mittelmeer Tennis spielen.

Christian Werner

Coco Chanel hat den sonnengebräunten Look der Côte d’Azur exklusiv gemacht

Etwa zur gleichen Zeit schipperte Gabrielle "Coco" Chanel auf der Jacht ihres immens reichen Liebhabers, dem Herzog von Westminster, die Côte d’Azur entlang. Braun gebrannt kehrte sie danach nach Paris zurück und löste damit eine Moderevolution der Upperclass aus: Plötzlich galt nicht mehr vornehme Blässe, sondern gebräunte Haut als Inbegriff von Luxus und Eleganz, was man zuvor als ordinär oder gewöhnlich verbuchte, verband man sie doch mit dem Landvolk und Menschen, die in der Sonne harte Arbeit verrichten mussten. Die Matrosen und Fischer, denen Chanel begegnet war, inspirierten sie dazu, den klassischen Riviera-Look zu erschaffen: weite Hosen, gestreifte Hemden und Espadrilles. Das, was vorher als durchschnittlich, für manche vielleicht sogar als vulgär empfunden wurde, galt plötzlich als elegant.

Bettenburgen und Luxusboutiquen liegen hier nah beieinander.

Christian Werner

Heute noch verkörpern diese Stilelemente den klassischen Riviera-Look und stehen gepaart mit Goldschmuck und Perlen für zeitlose Eleganz. Dass auch Modeschmuck und künstliche Perlen elegant sein können, ist ebenfalls Chanel zu verdanken. Sie erklärte, dass Schmuck eine Frau schmücken sollte, anstatt zu demonstrieren, wie vermögend sie sei. Bei ihrer Vorliebe für Perlen war Chanel übrigens möglicherweise von Sara Murphy inspiriert, die ihre Perlenketten auch tagsüber am Strand La Garoupe am Cap d’Antibes trug, weil sie überzeugt war, dass das Côte-d’Azur-Licht diesen noch stärkeren Glanz verleihen würde. Heute befindet sich an selbigem Strand das legendäre Strandlokal "Keller Plage".

Während draußen die Rolls-Royce-, Bentley- und Maserati-Limousinen auf dem Parkplatz strotzen, drängen sich auf den dicht an dicht gestellten Liegestühlen all die, die einen Strandbesuch als gesellschaftliches Ereignis betrachten. Auf den Tischen türmen sich die Meeresfrüchte-Etageren, und der Roséwein fließt. Die Männer tragen Bermudashorts, Borsalinos und pastellfarbene Leinenhemden – dazu natürlich eine dicke Armbanduhr. Zeit ist schließlich Geld, und an der Côte d’Azur ist Zeit gern mal ganz besonders teuer.

Typisch Côte d’Azur: Protzige Sportwagen

Christian Werner

Aber egal, was einem da am Arm tickt, Hauptsache, das Hemd ist pastellfarben. Es gibt außerdem eine weitere Form des Statussymbols: chirurgisch modellierte Gesichter. Die Ästhetik der großen Lippen, großen Augen, hohen Wangenknochen und glatten, ebenmäßigen Haut, wie wir sie früher von Computerspielen kannten und die heute von den Fotofiltern der sozialen Medien propagiert wird, ist hier allgegenwärtig. Modetechnisch gehört dazu bei den Frauen noch das obligatorische Designer:innen-Hippiekleid mit Strohhut, XL-Sonnenbrille und Tote Bag mit Markenlogo.

An der Côte d’Azur wird gern gezeigt, was man hat – oder doch nicht?

Diese Kombination ist gewissermaßen der neue Côte-d’Azur-Look, wie er um die Jahrtausendwende von Kate Moss zum Trend gemacht wurde. Es ist der Einheitslook des globalen Luxustourismus und nicht nur an der Côte d’Azur, sondern auch an Orten wie Bali, St. Barth oder auf den Malediven vorzufinden. So eine Statusschlacht der Designer-Logos ist natürlich alles
andere als subtil. Auch die Beispiele der plastischen Chirurgie, die man am Strand La Garoupe oder anderswo an der Côte d’Azur vorfindet, haben oftmals etwas Exzessives.

Auch typisch Côte d’Azur: Selfie-Tourismus im fein ausgewählten Urlaubs-Look

Christian Werner

Aber genau darin liegt der Spaß, exakt das macht das Ganze so unterhaltsam. Denn perfekte Zurückhaltung und Kontrolliertheit wirken eben sehr schnell sehr langweilig. Modeschöpfer:innen greifen immer wieder gern in die Kiste des vermeintlich Verbotenen, also der Stilelemente, die als zu billig, zu groß, zu verschnörkelt, zu auffällig gelten und dadurch eben als peinlich oder vulgär wahrgenommen werden. Durch den Kontrast zu klassischer Eleganz entsteht etwas Neues – etwas, was unsere Aufmerksamkeit weckt, unsere Sinne kitzelt und uns die Tatsache genießen lässt, dass wir am Leben sind.

Die Côte d’Azur verkörpert dieses Wechselspiel im Reinformat. An ihren Strandpromenaden findet sich genau die interessante Mischung aus Quiet Luxury aka nautischer Lässigkeit in Form von weißen Leinenhosen, dezenten Loafern und überteuerten Kaschmirpullovern auf der einen und Bling, Protz, tosenden Sportwagen und Markenlogos auf der anderen Seite. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Dichte der gigantischen Superjachten so hoch.

In der Bucht von St. Tropez schwimmen während der Hauptsaison Hunderte von Millionen Euros dieser weißen CO2-Schleudern im Wasser. Die Mob-Wife-Ästhetik ist gerade ein auf TikTok populärer Modetrend; der nicht unproblematische Begriff bezieht sich auf den stereotypisierten Look von Gangsterboss-Gattinnen und beinhaltet Animal-Prints, Pelze, schweren Goldschmuck, roten Lippenstift und voluminöse Föhnfrisuren. Ein Look, der in Cannes kein vorbeiziehender Trend, sondern vor allem im Sommer (abgesehen vom Pelz) Teil des Straßenbilds ist. Eleganz und Kitsch leben hier eben eng beieinander.

Davon gibt es viel zu sehen: alteingesessene Refugien für die Upperclass

Christian Werner

Die atemberaubenden Aussichten, die blumengetränkte Luft, die wunderbaren Kunstbeispiele der klassischen Moderne und all die Geschichten und Überbleibsel von Literat:innen wie F. Scott Fitzgerald, Françoise Sagan, James Baldwin, Aldous Huxley oder Bertolt Brecht (der, wie viele andere, während der Nazi-Herrschaft in den 1930er-Jahren eher unfreiwillig an die Küste kam und in dem Dorf Sanary-sur-Mer, in dem bedeutende Werke der Exilliteratur entstanden, einen kurzzeitigen Zufluchtsort fand) bestehen hier ebenso wie die protzigen Superjachten und andere Auswüchse des exzessiven Blings. Diese Gegensätze können unter dem alles überstrahlenden Horizont scheinbar mühelos nebeneinander existieren. Wenn die Côte d’Azur also eins vermitteln kann, dann dass Widersprüche kein Problem darstellen müssen – sondern dass sie uns vielmehr bereichern können.

Katja Eichingers neues Buch "Côte d’Azur: Das große Blau" ist gerade bei Blumenbar erschienen.

Christian Werner

Dieser Artikel ist Teil unserer aktuellen VOGUE-Ausgabe für Mai. Seit Samstag, 27. April ist sie im Handel oder online – zum Beispiel hier – erhältlich.

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