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Dalad Kambhu im Interview: Die Chefköchin über Geschlechterklischees in der Gastronomie und ihr Verständnis von Genuss

Noch bevor die Schließung ihres Berliner Restaurants "Kin Dee" fest stand, hat VOGUE mit Chefköchin Dalad Kambhu über die Herausforderungen in der Gastronomie gesprochen.
Ehrliches Essen Chefköchin Dalad Kambhu im Interview
Robert Rieger

Chefköchin Dalad Kambhu im VOGUE-Interview.

Den einen Aha-Moment habe es bei ihr nie gegeben. Köchin zu werden habe sich vielmehr allmählich so ergeben, erzählt uns Dalad Kambhu an einem kalten Wintertag via Zoom. Die gebürtige Texanerin, die in Bangkok aufwuchs und später in New York unter anderem Marketing und Mode studierte, sitzt da gerade auf Mallorca. Wenige Monate nach unserem Gespräch wird Dalad Kambhu die Schließung ihres Restaurants "Kin Dee" in Berlin-Tiergarten bekannt geben. "Die Idee, Köchin zu sein, war mir schlicht zu weit hergeholt", sagt sie. Ihr damaliger Gedanke: "Chefs sind ja eh alles Männer." Erst der Anstoß ihres Mentors habe ihr schließlich das Selbstvertrauen gegeben, an ihre Fähigkeiten zu glauben. Etwas, das sie bis heute in der männerdominierten Branche braucht.

Chefköchin Dalad Kambhu im VOGUE-Interview

VOGUE: Erinnern Sie sich an das erste Gericht, das Sie gekocht haben?

Dalad Kambhu: Tomatensalat. (lacht) Meine Mutter hatte damals eine Menge Dekozeitschriften zu Hause. In einer davon war dieses Rezept für Tomatensalat. Ich war noch ein Kind und wollte einfach Englisch üben. Also habe ich mich an dem Rezept versucht. Es war ganz simpel – mit Tomaten, Olivenöl, Essig, weißen Zwiebeln und etwas Salz –, aber sehr lecker.

2017 haben Sie dann in Berlin das "Kin Dee" eröffnet. Was war rückblickend damals die größte Herausforderung für Sie?

Zu erkennen, dass ich alleine die Macht habe, das zu tun, was ich tun will. Als Frauen wachsen wir in einer Gesellschaft auf, in der es verschiedene Erwartungen an die Geschlechter gibt. Wenn eine Frau tough und entschlossen ist, wird sie als schwierig, kompliziert oder bösartig bezeichnet. Wir werden mit so vielen unrealistischen und unfairen Normen gemessen! Noch dazu zog ich damals nach Berlin, in ein Land, dessen Sprache ich nicht sprach. Und dann dort von Menschen darüber belehrt zu werden, wie ich thailändisches Essen zu kochen habe, war eine schreckliche Erfahrung.

Gemäß Geschlechterklischees ist Kochen Frauensache – die meisten Chefköche sind jedoch Männer. Woran liegt das?

Frauen mögen zwar in der Geschichte immer gekocht haben, Männer waren aber die ersten, die daraus eine Karriere und eigene Branche gemacht haben. Sie waren es, die die Regeln festgelegt haben – und damit eine Kultur, die Geschlechterparität untergräbt. Die Barrieren für uns Frauen sind größer und die Standards, mit denen wir gemessen werden, höher. Nur ein Beispiel: In den vergangenen Jahren war ich sehr krank, weil ich zu viel gearbeitet habe. Ich war völlig ausgebrannt. Also habe ich weniger gearbeitet, war zwei Tage die Woche in der Küche. Ich kenne viele männliche Chefköche, die unter normalen Umständen nicht öfter da sind – aber nur bei mir hat man diese Entscheidung infrage gestellt. Wir leben in einer Welt, die sexistisch und rassistisch ist – und solange wir nicht aktiv versuchen, das zu ändern, machen wir uns in gewisser Weise mitschuldig.

Die Realität in meiner Branche ist, dass Aggressor:innen, die ihre Macht missbrauchen, nicht selten am meisten gelobt werden. Mit all den Kriegen und den schrecklichen Dingen, die derzeit in der Welt passieren, müssen wir uns daran erinnern, für die Menschen einzutreten, die weniger privilegiert sind. Und Women of Color sind noch immer das letzte Glied in der Kette. Man könnte meinen, wir haben es schon weit gebracht – aber wir haben noch so viel vor uns. Und dazu gehört eben auch, keine Angst zu haben, Aggressor:innen zu kritisieren. Auch, wenn es Frauen sind.

2019 erhielten Sie einen Michelin-Stern – als erstes asiatisches Restaurant in Deutschland und eine von wenigen Küchenchefinnen.

Schrecklich, oder? Nicht wegen der Auszeichnung für mich und das "Kin Dee", sondern weil ich nicht die Erste hätte sein sollen. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Schritt für uns alle, für Frauen, Women of Color und Thailänder:innen, zu spät kam.

Hat sich Ihr Kochstil seither verändert?

Mein Kochstil hat sich immer verändert. Ich glaube, jede:r gute Köch:in sucht stetig Veränderung und Verbesserung. Man wird selbstsicherer, vertraut mehr auf die eigene Intuition. Wir laden aber auch immer wieder Thais, die wir kennen, als Test-Esser:innen ein. Und wenn sie sagen, mein Essen ist lecker, dann ist das gut. Ich bin bei meinen Gerichten aber auch definitiv ehrlicher geworden – und einfacher, weil ich verstehe, wie unser Abfallsystem die Umwelt schädigt. Unsere Zutaten stammen zum Großteil aus der Region Berlin – lediglich zehn Prozent importieren wir aus Asien. Ich wünsche mir einfach, dass die Leute regionalere Produkte essen. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher mit unseren Industrieprodukten, wird es bald überhaupt kein gutes Essen mehr geben.

2023 wurden Sie bei der Vergabe der Michelin-Sterne nicht mehr berücksichtigt. Empfinden Sie das als Rückschlag?

Nein, weil wir nichts falsch gemacht haben. Auch viele Branchen-Insider:innen können nicht nachvollziehen, warum uns der Stern entzogen wurde. Laut ihnen sei unser Essen sogar besser geworden. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich kein Fake Food anbieten möchte. Ich sehe nicht ein, mich zu kolonialisieren. Bei mir gibt es thailändisches Essen. Ich habe es satt, in thailändische, indische oder koreanische Restaurants zu gehen, die Essen so servieren, als wäre es French Cuisine. Ich frage mich wirklich: Was ist der Zweck von solchen Institutionen wie dem Guide Michelin? Geht es darum, gutes Essen in allen Kulturen und in allen Facetten anzuerkennen, oder geht es darum, zu standardisieren, was eine Riege weißer Männer unter gutem Essen versteht? Und überhaupt: Unser Restaurant ist in Berlin. Es ist die Stadt der Freiheit, der Kultur und der Jugend. Wenn man hier Essen serviert, kann man nicht 200 Euro verlangen. Was würde das für die Berliner:innen tun? Ich weigere mich, Teil dieses Systems zu sein.

Dieser Artikel erschien zuerst in der VOGUE-Ausgabe für März 2024.

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