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Hilfe, der Instagram-Algorithmus denkt, ich sei ein Alpha-Mann

Früher wurden unserer Autorin Harry Potter und Hundebabys ausgespielt, heute gleicht ihre Explore-Page auf Instagram einem Lehrbuch in toxischer Männlichkeit. Das ist erheiternd, verstörend, aber vor allem: eine existierende Realität.
Neuer InstagramAlgorithmus Mein digitales Leben als AlphaMann
The Good Brigade

VOGUE-Autorin Valerie Präkelt über den veränderten Instagram-Algorithmus und ihr digitales Leben als Alpha-Mann.

Anfang dieses Jahres, am 9. Februar, kündigte Instagram in einem Blogpost an, dass es einige Änderungen im Algorithmus geben würde: Wolle man künftig weiterhin politische Inhalte von Accounts angezeigt bekommen, denen man nicht folgt, so müsse man das über einen Klick in der App bestätigen. Insbesondere für politische Akteur:innen und Aktivist:innen war das eine Nachricht mit Gewicht. Sie sahen darin die Gefahr, dass ihr Content bald keinerlei Reichweite mehr bekäme.

Ich schenkte der Nachricht weniger Aufmerksamkeit. Bis ich einen Tag später die App öffnete und einen gänzlich neuen Explore-Feed vorfand. Das ist die Seite, auf der Nutzer:innen Inhalte vorgeschlagen werden, die der Algorithmus als für sie relevant einschätzt. Hier hatte mich bisher eine wohlig-warme Mischung aus Hundewelpen, Interiordesign, nostalgischen Filmzitaten und ein bisschen Politik erwartet. Mein Algorithmus bediente meine Stereotype meisterhaft.

Nun waren die Harry-Potter-Videos und Hundebabys weg. Meine Explore-Page schien so, als hätte sie jemand auf null gesetzt. Ich sah dort generische Videos von entlegenen Bergketten. Das war schön, aber auch ein bisschen fad. Also stellte ich in der App ein, dass ich auch weiterhin politischen Content sehen wollte.

Von da an ging es mit meiner Explore-Page steil bergab. Ich bekam Schlagzeilen der “Bild”-Zeitung ausgespielt und Fotos von Männern, die vor schnellen Autos posierten. Ich öffnete eins der Bilder, oben mit dem Hinweis "Vorschläge für dich" versehen, das eine Frau mit großen Brüsten zeigt. Darauf stand: "Wenn ein Mann jeden Tag auf Brüste schaut, verlängert sich sein Leben um bis zu fünf Jahre." Ich markierte den Post mit "Kein Interesse" und machte mich ein bisschen lustig darüber. Wo war ich gelandet? In einer Mario-Barth-Show? Ich verglich meine Explore-Page mit denen meiner Freund:innen. Wie gut der Algorithmus sie alle zu kennen schien! Hundetraining, Kindererziehung, Seenotrettung, Modeschauen – das war dort zu sehen.

Vorschläge für dich: Eine Frau im Bikini. Über ihr eine Comicblase mit Text: "Mit dieser Figur kann ich alles tragen." Mann daneben sagt: “Dann trag den Müll raus.”

Ergänzend dazu schickte mir mein Explore-Feed proteinreiche Ernährungstipps und sogar Fanseiten des wegen Menschenhandels, Vergewaltigung und Steuerhinterziehung angeklagten Andrew Tate. Also die Sorte Männer, an der sich die Autorin Tara-Louise Wittwer auf ihrem Profil @wastarasagt so klug und humoristisch abarbeitet, während sie toxische Männlichkeit dekonstruiert und Frauenhass entlarvt.


Vorschläge für dich: Ein Schwarzweißfoto zeigt einen Mann. Er fasst einer Frau an den Po. Sie schaut verwegen in die Kamera. Darauf steht in Serifen: „Ironie des Lebens. Während du eine andere Frau ansiehst, sieht jemand anders deine an.“


Der Alpha-Mann

War ich, zumindest in den Augen meines Algorithmus’, etwa zum Alpha-Mann geworden? Die Autorin Veronika Kracher fasst den Begriff des Alphas im “Missy”-Magazin folgend zusammen: "Alpha-Männer begreifen sich selbst als diejenigen, die an der Spitze der Männlichkeitspyramide stehen. Der Begriff basiert auf der Vorstellung eines "Alpha-Wolfes", der sein Rudel anführt."

In meinem Leben sind mir schon einige unangenehme Männer begegnet. Sie starrten mir am Strand auf die Brüste, als ich gerade erst welche hatte. Sie langten mir auf dem Oktoberfest ins Dirndl und im Club an den Po. Sie erklärten mir, wie Dinge funktionieren; die Arbeit, der Sport, die Welt; oder warum Kondome "einfach keinen Spaß" machen. Waren das alles Alpha-Männer? Wer weiß. Nicht jeder will ein Rudel führen, manchmal reicht es schon, eine Frau kleinzuhalten.

Ich landete auf dem Profil von David Sutcliffe. "Gilmore Girls"-Fans kennen ihn als "Christopher", der abwesende Vater von Rory Gilmore. Heute hat er die Schauspielerei an den Haken gehängt und vermarktet sich als Life-Coach, relativiert die Stürmung des Kapitols in Washington und trifft für seinen Podcast auch schon einmal Über-Alpha Andrew Tate zum Interview. Letztes Jahr hat Sutcliffe in seinem Podcast außerdem erklärt, dass er finde, man solle Frauen das Wahlrecht wieder entziehen.


Vorschläge für dich: Das Bild zeigt einen blutigen Leoparden. Darauf der Spruch: “Wenn du denkst sie ist feucht wie ein Wasserfall und du dann das Licht an machst (sic).”


Der Instagram-Algorithmus

Ich möchte, dass die Alpha-Memes und -Männer aus meinem Algorithmus verschwinden. Ich frage bei Meta, dem Mutterkonzern von Instagram, nach einem Interview. Eine nette Pressesprecherin will sich kümmern, ich hake nach, werde vertröstet. Am Ende bekomme ich kein Interview, weil man das "kapazitär" gerade nicht stemmen könne.

Ich muss ein bisschen über die Wortwahl schmunzeln, ich habe nämlich auch keine Kapazitäten mehr für meinen Explore-Feed. Was aber habe ich erwartet? Dass sich Instagram-Chef Adam Mosseri höchstpersönlich nach einem Interview mit mir meiner Explore-Page annimmt und mich zurück in die butterbierweiche Harry-Potter-Welt schickt?

Stattdessen rufe ich Dr. Hannes-Vincent Krause an. Er ist Psychologe und Wirtschaftsinformatiker und Wissenschaftler am Berliner Weizenbaum Institut. Krause hat seine Dissertation zum Wohlbefinden von Nutzer:innen auf Social Media geschrieben. Ich frage ihn, wozu es eigentlich einen Algorithmus gibt. "Wenn wir im Kontext von Social Media von Algorithmen sprechen, meinen wir meistens Recommender-Algorithmen. Der bestimmt, welchen Content wir bei der Nutzung der
Plattform zu Gesicht bekommen."

Krause erklärt mir, dass Recommender-Algorithmen auf Social Media zwei Ziele verfolgen. "In erster Linie sind sie ein Tool der Plattform-Providenden, das unsere User-Experience erhöhen soll. Angenehme Nutzung bedeutet in der Regel auch mehr Zeit, mehr Interaktion, mehr Daten und damit auch mehr Umsatz für die datenbasierten Geschäftsmodelle der Provider." Algorithmen hätten aber auch einen zweiten, ganz pragmatischen Zweck: "In einer Zeit der digitalen Informationsflut funktioniert der Algorithmus wie ein Gate-Keeper. Er ist darauf trainiert, dass wir in unserer limitierten Zeit vor allem den Content zu sehen bekommen, der maximal relevant für uns ist."

Der Wissenschaftler kann sich gut vorstellen, dass es sich in meinem Fall schlichtweg um einen
Bug handelt, der mit der Umstellung im Februar einherging. "Der Algorithmus würde in seinem Kernziel scheitern, wenn er dir etwas vorschlägt, mit dem du so gar nichts anfangen kannst." Ein Fehler im System? Vom zeitlichen Ablauf her macht das Sinn.

Alphas, Rudeltiere, Wolfsmänner: Die Geister des Internets sind plötzlich überall

Wir sprechen darüber, ob sich mein neuer Algorithmus auf mein Wohlbefinden ausübt. Während in Deutschland die Fußball-EM der Männer läuft, fallen mir auf einmal ständig unangenehme Männer im öffentlichen Raum auf. Die Gruppe junger Männer, die auf dem Sportplatz neben meinem Haus zwei Tennisspielerinnen angrölt, der ältere Mann, der vor mir seinen Penis zum Pinkeln am Baum auspackt, obwohl die öffentliche Toilette nur ein paar Meter entfernt ist. Ein anderer, der uns auf dem Gehweg nicht ausweicht und dann hinterherpöbelt. Alphas, Rudeltiere, Wolfsmänner:
Die Geister des Internets sind plötzlich überall.


Vorschläge für dich: "Eure Blicke treffen sich im Unverpackt-Laden am Gleitmittelsilo."


Schon lange hat mir kein Mann mehr gesagt, dass ich doch einmal lächeln soll. Ich bekomme keine Dick-Picks auf Instagram geschickt. Viele meiner männlichen Freunde gendern im alltäglichen Sprachgebrauch konsequenter als ich, niemand kommentiert meinen Körper. Menschen in meinem Umfeld teilen sich die Kindererziehung. Das ist gut für mich persönlich – hat mich aber auch vergessen lassen, dass Alpha-Männer kein Phänomen der Vergangenheit sind. In Großbritannien hat jüngst die Polizei vor dem wachsenden Einfluss misogyner Internetaccounts auf Teenager gewarnt.

Anfangs fand ich meine Explore-Page einfach albern, irgendwann habe ich mich angegriffen gefühlt. Habe den Algorithmus personalisiert; als würden die Andrew Tates dieser Welt mir höchstpersönlich ihre Inhalte schicken. Das stimmt nicht. Aber: Er wird nicht nur mir ausgespielt, sondern – wie es sich für den Recommender-Algorithmus gehört –, genau dort, wo er voraussichtlich auf offene Ohren treffen wird. Hier liegt das Problem: Der Content, den ich sehe, ist echt.

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