Interview

Kathrin Anselm von Airbnb über Frauen in Führungspositionen: "Ich sehe den Wandel und gestalte diesen aktiv mit"

Kathrin Anselm ist Wegbereiterin für eine neue Generation an weiblichen Führungskräften – und hat nicht nur die eigene Karriere im Fokus. Mit VOGUE hat sie über ihre Erfahrungen gesprochen.
Airbnb
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Kathrin Anselm, Managing Director bei Airbnb, über die Herausforderungen und den Wandel für Frauen in Führungspositionen

Dass sich für Frauen in der Wirtschaftswelt in den vergangenen Jahren viel getan hat, ist klar. Dass das allerdings noch nicht genug ist und dass die Gender-Pay-Gap und männlich geprägte Strukturen noch immer der Alltag sind, leider auch. Noch immer sind Frauen auf C-Level eher die Ausnahme als die Regel. Noch immer verdienen Frauen weniger als Männer und müssen sich im Job mehr beweisen – ein Gefühl, das sich auch bei Frauen wie eine Art Glaubensgrundsatz verankert hat.

Einer Frau, der es schon früh gelang, einen Wandel mit anzustoßen, ist Kathrin Anselm. Ihr Werdegang ist sehr beeindruckend: Sie startete ihre Karriere bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman, sammelte Konzernerfahrung als Geschäftsführerin bei ProSiebenSat.1 und wechselte dann in die Start-up-Szene, indem sie die Dating-Plattform One2like mitbegründete, die später vom Marktführer Parship übernommen wurde. In ihrer aktuellen Position als Managing Director bei Airbnb ist Kathrin Anselm für die Regionen DACH, CEE und CIS verantwortlich.

Als Kathrin Anselm zu Airbnb wechselte, wusste sie nicht, welche Herausforderungen ihr bevorstehen würden – denn nur ein halbes Jahr nach ihrem Wechsel zu der Reiseplattform hatte die Corona-Pandemie die Tourismusbranche fest in der Hand, 80 Prozent Umsatzeinbruch waren die Folge. Doch das Unternehmen nutzte die Chance gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen und legte 2020 einen der erfolgreichsten Börsengänge des Jahres hin.

Kathrin Anselm im VOGUE-Interview

Wenige weibliche Vorbilder, Mansplaining und auch sexuelle Manipulation: Wir haben mit Kathrin Anselm über ehemalige und aktuelle Herausforderungen für Frauen im beruflichen Umfeld gesprochen, über neue, flexible Denkweisen und warum es höchste Zeit ist, sich von "Typisch männlich/typisch weiblich"-Klischees endgültig zu verabschieden.

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VOGUE: Sie können auf eine sehr beeindruckende Karriere zurückblicken – von der Unternehmensberatung über Konzernerfahrung bis zum Start-up und heute Managing Director von Airbnb. Wie schafft man es in so eine Position?

Kathrin Anselm: Mittlerweile arbeite ich seit 25 Jahren und kann auf eine ziemliche Historie zurückblicken. Mein Weg hat zu einer Art Dreiklang zusammengefunden: Von der Analystin bei der Unternehmensberatung über meine erste Geschäftsführerrolle bei ProSiebenSat.1 und schließlich der Start-up-Erfahrung. Das war ein gewagter Sprung, bei dem ein Geschäftsfreund damals zu mir meinte: Jetzt bist du Mitte 30, entweder du bleibst jetzt in München und heiratest oder du kommst nach Berlin und machst ein Start-up. Und ich habe mich Ende 2009 für Berlin entschieden und Starters in unterschiedlichsten Rollen begleitet. Als im Juni dann das Angebot von Airbnb kam, war ich nicht auf der Suche nach einer festen Stelle, aber ich war sofort begeistert, auch weil ich Airbnb-Nutzerin der ersten Stunde bin.

Wenn wir auf die Anfänge Ihrer Karriere blicken: Wie hat Sie der Job als Unternehmensberaterin Ende der 90er-Jahre geprägt?

Ende der 1990er-Jahre war eine Unternehmensberatung mit der beste Weg für eine Topkarriere. Bei Oliver Wyman war die Frauenquote in Deutschland bei gerade mal 5 Prozent, und es gab genau eine Frau auf Partnerlevel. Mich hat die Beratung auf der Skill-Ebene sehr geprägt, da ich mir ein Toolkit aufgebaut habe, das ich heute noch nutze.

Wie kann man sich das vorstellen?

Zum einen das analytische Denken und auf der Basis von Zahlen, Fakten und Logik Entscheidungen treffen zu können. Zum anderen habe ich hier Hypothesen-getriebenes Denken gelernt. Du musst mit starken Hypothesen in die Themen gehen und diese dann zügig durchtesten mit Daten, Gesprächen etc. Das hilft massiv in Positionen mit Führungsverantwortung. Und das Dritte: Man entwickelt eine Problemlösungskompetenz. Das muss man, denn alle erwarten das von einem. Und den Grundstein für dieses Selbstvertrauen habe ich in dieser Zeit gelegt.

Also bitte keine Angst vor männlich besetzten Skills wie analytischem Denken haben?

Es ist schrecklich, dass wir heute immer noch in männlich und weiblich besetzen Skills denken. Es gibt genügend Männer, die nicht gut mit Zahlen sind, aber denen wird es einfach zugetraut, weil Jungs nun mal gut in Mathe sein sollen – so werden wir alle geprägt. In den meisten kommerziellen Rollen, egal ob Junior oder Senior, ob Mann oder Frau, ist es wichtig, Spaß an Zahlen zu haben und auf Zahlen basierte Entscheidungen zu treffen.

Bei mir hatte diese Unterschätzung des Umfelds meiner analytischen Fähigkeiten die Folge, dass ich immer das Gefühl hatte, ich muss auch ein Data Scientist sein. Heute weiß ich: Es reicht aus, diese Zahlen lesen zu können, Muster erkennen und Schlussfolgerungen ableiten zu können. Dafür muss man sich mit den richtigen Expert:innen umgeben.

Welche Herausforderungen sind auch heutzutage für Frauen immer noch stärker als für Männer?

Mittlerweile sind in all diesen Branchen die Quoten von Frauen höher geworden als Ende der 1990er-Jahre. Das ist super, aber auch heute beobachte ich immer noch Herausforderungen, wenn auch in abgeschwächter Form, die Frauen in diesen Feldern begleiten. Es gab damals sehr wenige weibliche Vorbilder, Frauen, die andere Frauen inspirieren – das hat gefehlt, und auch heute sind es noch zu wenige. Ebenfalls typisch: Men explaining things to me – damals wie heute. Als junge Frau ist das eine riesige Herausforderung, denn "Mann" möchte sich von keiner jungen Frau etwas erzählen lassen.

Und das Dritte, und ich möchte es ehrlich ansprechen, sind sexuelle Übergriffe und Manipulation. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, angefangen von Fragen zu meinem Partnerstatus oder meiner Familienplanung über subtile Spitzen über mein Aussehen, wie z.B. meine langen Beine, bis hin zu körperlichem Anfassen – da war alles dabei. Viele Frauen suchen dann die Schuld bei sich selbst, und dagegen muss man sich unbedingt wehren! Das Gute ist, dass ich den Wandel bei all diesen Aspekten sehe und diesen aktiv mitgestalte. Das ist mein ultimativer Job als Frau in einer C-Level-Position. Und das fängt schon bei Kleinigkeiten an, etwa dass ich Headhuntern immer Frauen empfehle, bis hin zu der Tatsache, dass ich vor allem für Frauen als Mentorin agiere.

Wie können Sie diesen Wandel auch bei Airbnb vorantreiben?

Bei Airbnb klicken meine Werte mit denen des Arbeitgebers wie nie zuvor. Bei Airbnb setzen wir auf gleichberechtigte Repräsentation, wir möchten Geschlechterparität, aber auch Diversität bei Ethnien bis hin zur sexuellen Orientierung. Um das zu erreichen, setzten wir uns das als Ziel, wie auch andere klassische Business Goals – ich bin eine entschiedene Freundin der Quote. Gleichzeitig schaffen wir bei Airbnb auch eine Infrastruktur, die Gleichberechtigung ermöglicht, wie eine finanzielle Unterstützung bei der Betreuung der Kinder, beim Erziehungsurlaub oder beim Social Freezing.

Bei Ihrem ersten Start-up haben Sie eine Dating-Plattform mitbegründet. Wie waren Ihre Erfahrungen als Frau in der Gründerszene?

Das war 2010, und schon damals wie heute hatten von Frauen geführte Start-ups den kleinsten Teil am Venture Capital. Unser Vorteil war, dass wir damals ein Mann-Frau-Duo waren, und das hat beim Finanzierungsthema sehr geholfen. Zugang zu Kapital ist häufig an männliche Geldgeber geknüpft, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Machtposition auch gern ausgenutzt wird.

Woher nimmt man den Mut für einen so komplett neuen Karriereschritt?

Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich komme aus einem relativ bescheidenen Zuhause mit Wurzeln in der Landwirtschaft, in dem Unternehmertum eher misstrauisch beäugt wurde. Ich bin immer noch nicht der risikofreudigste Mensch, aber was mich angetrieben hat, und das haben mir meine Eltern auch mitgegeben: dass finanzielle Unabhängigkeit vor allem als Frau alles ist. Und Ende der 90er-Jahre kam die durch einen Job, in dem du hart arbeitest, Exposure hast, Risiken eingehen, dich durchbeißen musst. Und auch, und das stimmt auch heute noch, dass die großen Gehaltssprünge und die besten Erfahrungen nur durch mutige Wechsel kommen. Daraus habe ich meinen Mut gezogen.

Wenn man so erfolgreich ist, was geht einem dann kurz vor einem neuen Job, einer neuen Herausforderung durch den Kopf?

Bei Airbnb war ich positiv aufgeregt. Ich habe auch immer Respekt vor der Rolle und ein Grummeln im Bauch. Ich bin in Sorge, ob das alles klappt. Als Strategie schreibe ich viel Tagebuch und debattiere dort mit mir selbst. Was über die Zeit aber definitiv besser geworden ist, ist das Imposter-Gefühl. Ich bin im März fünfzig geworden, und das ist das Schöne am Älterwerden: Diese Grundzuversicht, dieses Urvertrauen, dass ich alles in mir habe, um Krisen, Herausforderungen bewältigen zu können, das kommt jetzt besser durch.

Und wie ist es mit dem Gefühl, dass man als Frau alles besser machen und sich immer doppelt beweisen muss?

Das Gefühl hatte ich lange. Es wird signifikant weniger, weil wir immer mehr Frauen in wichtigen Rollen haben – auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben. Meine Karriere hat dieses Gefühl, sich immer mehr beweisen zu müssen, von Mitte 20 bis über 40 begleitet. Dieser Glaubenssatz wurde mir tief eingepflanzt, vielleicht von meinem Zuhause, aber auch sehr stark von Gesellschaft, Schule, Uni, den ersten beruflichen Erfahrungen.

Was sind in der Branche gerade die größten Herausforderungen?

Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, aber dieses Wachstum bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich. Eine unserer Herangehensweisen ist deshalb, den Massentourismus zu entzerren und durch gute Inspiration Reisende für andere Ziele zu begeistern. Wir haben mehr als acht Millionen Unterkünfte weltweit und wollen Nutzer:innen schnell leiten, das Richtige zu finden. Bei Airbnb machen wir das beispielsweise auf der Produktebene durch eine flexible Suche, und wir haben Kategorien eingeführt, um das Kontingent besser zugänglich zu machen. Auch hier ist ein inspirierender Faktor dabei, indem man beispielsweise nach historischen Unterkünften wie einer alten Kirche oder einer Burg suchen kann. Dieser Ansatz funktioniert, das sehen wir in den Daten: Wir hatten noch nie so eine breite geografische Streuung wie im letzten Jahr – die Deutschen haben insgesamt 60 000 unterschiedliche Destinationen gebucht, so viele wie noch nie.

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Auch umweltverträgliches Reisen ist eine riesige Herausforderung, und da gibt es nicht die eine Antwort. Eine Idee, die wir im deutschen Markt zuerst testen, ist ein neues Feature im Check-out, das den Kund:innen ermöglicht, einen Klimabeitrag zu leisten, indem wir mit zertifizierten Anbieter:innen zusammenarbeiten und Projekte wie beispielsweise die Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein GmbH, MoorFutures, unterstützen. Das kennt man aus der Flugbranche, im Unterkunftsbereich gibt es das bisher sehr selten, da sind wir bei Airbnb Vorreiter. Über 40 000 Deutsche haben das Feature bereits genutzt. Das löst das Problem nicht, aber wir stellen uns der Verantwortung und probieren neue Wege aus.

Und noch ein Punkt: Tourismus muss vielen Menschen als unternehmerische Chance zugänglich sein und nicht nur für Real-Estate-Riesen. Über 50 Prozent der Gastgeber:innen bei Airbnb sind Frauen, und für viele ist es das erste unternehmerische Unterfangen – diese Unabhängigkeit wollen wir unterstützen.

Welche Trends erwarten uns künftig in dieser Branche? Und wie bereiten Sie Airbnb gerade in Deutschland darauf vor?

Die Reisebranche ist dynamisch, ständig im Wandel, und wir natürlich auch. Für uns ist es zum Beispiel wichtig, dass wir einzigartige Erlebnisse für Reisende schaffen können – bei "normalen" Urlaubsreisen, aber auch darüber hinaus. In den letzten fünf Jahren haben wir über 90 einzigartige Übernachtungen ins Leben gerufen, die man so nur über Airbnb buchen konnte. Darunter war etwas Shreks Sumpf oder das Barbie-Haus. Diese Erlebnisse waren inspiriert von spannenden Persönlichkeiten und beliebten Orten. Allein 2023 gab es weltweit 35 dieser Übernachtungen, die 2023 über 4,7 Millionen Mal geklickt wurden. Aufgrund hoher Nachfrage haben wir deshalb im Mai die neue Kategorie "Ikonen" eingeführt, die außergewöhnliche Erlebnisse mit bekannten Persönlichkeiten aus Musik, Film, Kunst und Sport bietet. In Deutschland konnten wir im Sommer eine außergewöhnliche Übernachtung launchen: Zwei Gewinner:innen dürfen im Tegernseer Haus des ehemaligen Fußball-Weltmeisters Philipp Lahm übernachten.

Ein weiterer Trend ist die steigende Nachfrage nach Gruppenreisen. In Deutschland sind über 80 Prozent der Buchungen auf Airbnb Gruppenreisen. Um diesen Trend zu unterstützen, haben wir neue Funktionen eingeführt, die die Planung von Reisen mit Freunden und Familie erleichtern, wie gemeinsame Wunschlisten, Reiseeinladungen und Gruppennachrichten in einem neu gestalteten Nachrichten-Tab. Wir bieten eine große Auswahl an Unterkünften für größere Gruppen, darunter geräumige Häuser in beliebten Reisezielen wie Wien, London, Paris, Barcelona und Lissabon.

Wie hat sich Ihr Führungsstil im Laufe Ihrer Karriere entwickelt und wurde er durch Ihr Geschlecht beeinflusst?

Mein Führungsstil hat sich durch meine Karriere und im Laufe der Jahre stark weiterentwickelt. In den ersten Jahren war ich viel von männlichen Vorbildern geprägt. Das hat sich aber im Laufe meiner Karriere geändert. Tatsächlich ist es so, dass ich, je mehr ich meine Stärke als Frau entdeckt habe, authentischer wurde in meinem Führungsstil. Das Finden meines Selbst und persönliches Wachstum haben dazu geführt, dass mein Stil heute enger an meiner Persönlichkeit ausgerichtet ist. Für mich ist es extrem wichtig, geistig flexibel und aufgeschlossen zu bleiben.

Für alle Frauen, die Karriere machen wollen – was würden Sie ihnen mit auf den Weg geben?

Drei essenzielle Dinge. Erstens: die Klarheit darüber haben, welchen Stellenwert der Job im Leben haben soll. Möchte man finanziell unabhängig sein, selbstbestimmt arbeiten oder flexibel sein? Es ist 2024, und wir müssen uns nicht mehr auf die Berufswege unserer Eltern beschränken. Nutzt die Vielfalt der heutigen Möglichkeiten! Zweitens: ein eigenes Growth Mindset kultivieren und daran glauben, dass Wachstum möglich ist. Seht Fehler als Lernchancen und nutzt Krisen zur Weiterentwicklung. Nehmt Feedback an und setzt es um. Lasst euch von den Erfolgen anderer inspirieren! Drittens: Es ist immer ein Geben und Nehmen. Seid neugierig, stellt Fragen, bittet um Hilfe und baut ein Netzwerk auf. Gleichzeitig gebt zurück, leistet Hilfe und teilt euer Wissen. Nehmen und Geben sind gleichermaßen wichtig für den Erfolg.

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