Nachhaltigkeit

Können Schnittblumen nachhaltig sein? Eine Blumen-Aktivistin im VOGUE-Interview über das "Slow Flower Movement"

Blumen-Aktivistin Masami Charlotte Lavault über das "Slow Flower Movement", ihre ökologische Blumen-Farm in Paris und die nachhaltige Blumenbindekunst Ikebana.
Können Schnittblumen nachhaltig sein Eine BlumenAktivistin im VOGUEInterview über das Slow Flower Movement

Blumen-Aktivistin Masami Charlotte Lavault im VOGUE-Interview über ihren Traum-Job als nachhaltige Blumenzüchterin mitten in Paris.

Masami Charlotte Lavault lebt das Leben, von dem viele träumen. Die Französin mit japanischen Wurzeln betreibt ihre eigene Blumenfarm "Plein Air". Nicht nur Urban Gardening, sondern nachhaltige Landwirtschaft – und das mitten in Paris. Zwischen den belebten Straßen des angesagten Stadtteils Belleville zieht sie auf 1.200 Quadratmetern Blumen auf – per Hand. Ohne maschinellen Einsatz und Pestizide. Denn Masami Charlotte Lavault ist Anhängerin des sogenannten "Slow Flower Movements" – eine Initiative, die sich für Transparenz und Nachhaltigkeit im Schnittblumen-Anbau einsetzt, die sonst meist zu widrigen Bedingungen für Mensch und Umwelt in fernen Ländern angebaut und nach Europa importiert werden.

Doch Masami Charlotte Lavaults Karriere begann eigentlich ganz anders: Als Industriedesignerin pendelte sie zwischen Wien und London. Vor gut zehn Jahren beschloss sie dann ihren Weg und ihr Leben radikal zu ändern. Sie reiste auf Blumenfarmen in Marokko, Wales und Japan, um zu lernen, wie man Blumen nachhaltig anbauen kann. Seit 2022 ist sie außerdem das Gesicht vom Parfum Flower by Kenzo. Im Rahmen dieser Partnerschaft haben wir Masami Charlotte Lavault zum Zoom-Interview getroffen und mit ihr über das "Slow Flower Movement" und die nachhaltige Blumenbindekunst Ikebana aus Japan gesprochen.

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Blumen-Aktivistin Masami Charlotte Lavault im VOGUE-Interview über nachhaltigen Schnittblumen-Anbau

VOGUE: Ihr Arbeitsort ist ein Blumenfeld mitten in Paris. Klingt nach dem absoluten Traumjob. Ist er das auch?

Masami Charlotte Lavault: Auf jeden Fall ist er das! Aber es ist auch harte Arbeit. Viele denken, Blumen anbauen wäre einfach. Aber es ist eine richtige Landwirtschaft. Man braucht sehr viel Kraft und es ist sehr anstrengend, vor allem, weil ich fast keine Maschinen nutze, sondern alles mit der Hand mache. Und das zu großen Teilen sogar ganz alleine …

Sie werden oft als Aktivistin bezeichnet, wieso?

Ich baue meine Blumen komplett biologisch an. Ziehe sie mit der Hand auf. Das ist komplett konträr zur Blumenindustrie, die zu 90 Prozent auf Import basiert. Blumen sind Massenware. Ich arbeite gegen diese schnelle und schmutzige Industrie an. Das ist es wohl, was mich zu einer Art Aktivistin macht. 
Im Durchschnitt dauert es bei mir neun Monate, um aus Samen einen Blumenstrauß zu bekommen. Manche Blumen züchte ich sogar drei Jahre lang. Daher spricht man bei meiner Arbeit auch vom "Slow Flower Movement".

Was ist das "Slow Flower Movement"?

Eine Initiative, die sich für Transparenz und Nachhaltigkeit im Schnittblumen-Anbau einsetzt. Ihr gehören Blumenzüchter:innen, Florist:innen und Gärtner:innen an. Ziel ist es, Blumen regional anzubauen und das so nachhaltig wie möglich, ohne Pestizide.

Also genau das, was Sie machen. Aber ist Paris dafür so ein geeigneter Ort?

Das Klima in Nordeuropa ist natürlich eine Challenge, weil wir viele kalte Monate haben. Meine Challenge ist also, wie überall in der Landwirtschaft, mein Einkommen über die Sommermonate zu sichern. Wenn irgendwelche unvorhergesehenen Ereignisse passieren, zum Beispiel starker Hagel, Stürme, Frost oder eine Nacktschnecken-Plage, kann es passieren, dass die meisten Blumen kaputtgehen, aber so ist das Leben. Ärgerlich, aber ich kann es nicht ändern.

Warum haben Sie sich trotz dieser Widrigkeiten dazu entschlossen, ihr Business ausgerechnet in Paris aufzuziehen – und nicht irgendwo sonst in der Welt, wo sich ganzjährig Erträge erzielen lassen?

Ich bin hier geboren. Nachdem ich viele Jahre im Ausland gelebt habe, hat es mich nach Hause gezogen. Ich hatte weder Geld noch Land – und auch keine Bekannten, die etwas Ähnliches machen. Alles war komplett neu für mich. Und trotzdem war Paris für mich der beste Ort, um zu starten. Wenn alles schiefgegangen wäre, hätte ich hier zumindest bei meiner Mutter wohnen können. (lacht) Außerdem fand ich die Idee reizvoll, etwas Positives in der Stadt zu bewegen. Urbane Landwirtschaft ist etwas, worunter sich die wenigsten Leute etwas vorstellen können. Oder könnten Sie sich vorstellen, dass plötzlich neben Ihrem Büro, mitten in der Stadt ein Feld ist? Für mich gehört Landwirtschaft, ob nun mit Blumen oder Lebensmitteln, definitiv zur Stadt der Zukunft.

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Welche Rolle spielen Blumen und Pfanzen für unsere Umwelt und wie wichtig ist es, die Städte wieder grüner zu machen?

Ich bin nicht komplett naiv und weiß natürlich, dass Blumen nicht das Allerwichtigste auf der Welt sind, aber sie symbolisieren, wie kurz das Leben ist. Sie sind für mich der perfekte Weg, Aufmerksamkeit zu schaffen, um zu zeigen, wie fragil unsere Umwelt ist. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit nicht so sehr auf Technologie legen, sondern uns mehr darum kümmern, alles, was lebt, zu erhalten. Wir dürfen die Welt, in der wir leben, nicht selbst zerstören. Das war auch mit ein Grund, weshalb ich meinen Beruf als Industriedesignerin aufgegeben habe.

Die Farm, auf der ich die Blumen anbaue, hat eine Fläche von 1.200 Quadratmetern. Aus landwirtschaftlicher Perspektive ist das mini. Aber für mich alleine ist das mehr als genug. Nochmal zu den Herausforderungen: Eine besonders große ist es, auf dieser kleinen Fläche mein Jahreseinkommen zu bestreiten.

Wie und wo verkaufen Sie denn die Blumen?

Ich habe vieles ausprobiert. Anfangs habe ich nur an Florist:innen verkauft. Dann habe ich gemerkt, ich bekomme nicht genug Value aus meinen Blumen. Dann habe ich eine Phase lang meine Blumen direkt an die Endverbraucher:innen verkauft. Sie kamen dann auf meine Farm und haben die Blumen angesehen und direkt vom Feld gekauft. Das wurde wahnsinnig gut angenommen – der große Zulauf hat mich aber überfordert. Weshalb ich entschieden habe, meine Blumen heute nur noch für Event-Dekorationen und an Set-Designer:innen zu verkaufen.

Also zum Beispiel auch für das traditionelle japanische Ikebana, nach dem auch der Duft Flower Ikebana by Kenzo benannt ist?

Ich bin ein großer Fan von Ikebana und praktiziere es selber schon seit Jahren. Es ist die traditionelle japanische Blumenbindekunst. Es ist eine komplexe Kunstform mit vielen Regeln. Es gibt Ikebana schon seit dem sechsten oder siebten Jahrhundert. Am Anfang war es ein rein religiöses Ritual, aber mit der Zeit hat sich eine Kunstform daraus entwickelt. Ikebana hat etwas sehr beruhigendes, meditatives für mich.

Welche Regeln gibt es beim Ikebana?

Jedes Ikebana folgt drei Linien. Die stehen entweder für Himmel, Erde und Mensch oder aber für Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Ikebana ist sehr symbolisch. Entscheidend sind aber nicht nur die Blumen und Stängel selbst, sondern auch der Raum dazwischen. Man sagt, der Wind soll zwischen den Stängeln zirkulieren können.

Ikebana ist auch eine besonders nachhaltige Form der Blumenbindekunst, oder?

Ich finde schon, denn der Fokus liegt nicht auf den bunten Blüten, sondern auf der ganzen Pflanze. Auch die Stängel und Blätter gehören zum Ikebana als gleichwertige Bestandteile dazu. Das macht in Zeiten des Klimawandels für mich total Sinn - keine Ressourcen verschwenden, sondern versuchen, in allem etwas Schönes zu sehen und Pflanzen nach Möglichkeit komplett zu verwenden. Für mich ist Ikebana deshalb die Blumenbindekunst der Zukunft.

Wie genau sieht Ihre Zusammenarbeit mit Kenzo Parfums aus?

Das ist eine lustige Geschichte. Ich hatte eine Zeit lang Blumen für Events gestellt und irgendwann wurde ich von Kenzo Parfums gefragt, ob ich das neue Gesicht von "Flower by Kenzo L’Absolue" sein möchte. Das kam für mich sehr überraschend, weil ich weder Model noch irgendwas in der Art bin. Ich habe einen Monat gebraucht, darüber nachzudenken, bis ich zugesagt habe. Für mich war es sehr wichtig, dass der Duft clean ist und so weit wie möglich nachhaltig produziert wird. Außerdem wollte ich keinesfalls, dass sich die Kampagne um mich dreht, sondern um Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

Um wieder auf Ihre Farm zurückzukommen: Wie entscheiden Sie eigentlich, welche Blumen Sie dort anbauen?

Ich züchte allerlei Blumen, um eine Vielfalt zu schaffen und nicht nur Monokulturen anzubauen. Man braucht also Diversität. Zurzeit baue ich ungefähr zwischen 250 und 300 verschiedene Arten an. Am wichtigsten für die Auswahl ist mein eigener Geschmack. Ich will Freude an den Blumen haben, die ich anbaue. Ich würde deshalb nie Blumen züchten, die ich nicht schön finde. Aber mein Geschmack wird auch ein bisschen beeinflusst … zum Beispiel von der Verkaufbarkeit. Es nützt mir nichts, niedliche Blümchen mit kurzen Stängeln anzubauen, weil die Florist:innen sie kürzen werden. Und die Kund:innen am Ende auch nochmal. Das muss ich bedenken und fokussiere mich deshalb auf Blumen, die mindestens 30 Zentimeter lange Stängel haben. Mohn hingegen, eine meiner liebsten Blumen und ein Bestandteil von Flower by Kenzo und Flower Ikebana by Kenzo, wird schon einen Tag nach dem Schneiden welk. Ich baue ihn trotzdem an – einfach weil es mir so viel Freude bereitet, dabei zuzusehen, wie sich die Knospen öffnen. Es ist so schön!

Bauen Sie auch Blumen für Parfums an?

Nein, das ist auf meiner Fläche nicht möglich. Für nur ein Gramm Rosenabsolue brauchen Sie eine Tonne Blüten. Aber Blumen anzubauen, die gut duften, ist mir persönlich sehr wichtig. Die Industrie hat sie nämlich nach und nach herausgestrichen, weil Blumen, die stark riechen, auch besonders viele Insekten anziehen – und die will man in der Industrie nicht haben. Denn wird die Blume bestäubt, kommt die Frucht. Und wenn die Frucht kommt, heißt es, dass die Blume tot ist.

Viele Imker:innen haben mir vorgeschlagen, dass sie ihre Bienenstöcke bei mir aufbauen. Das möchte ich überhaupt nicht. Bienen kommen sowieso.

Am Ende wäre es vermutlich nachhaltiger, eine eingepflanzte Blume zu kaufen als eine Schnittblume, oder?

Eine industrielle, weltweite Blumenindustrie hat keinen Sinn, ja, aber lokaler, sanfter Umwelt- respektierender Blumenanbau hat sehr viel Sinn. Insekten und allerlei Tiere brauchen Blumen, es ist eine sehr wertvolle Arbeit, wenn man es richtig macht. Wir brauchen keine Milliarden-Dollar-Industrie. Die macht die Umwelt kaputt.

Wie konsumiere ich Blumen nachhaltig?

Versuchen Sie, Blumen nicht im Supermarkt zu kaufen. Es handelt sich in der Regel um industrielle Massenware. Besser: In einen Blumenladen gehen und den:die Florist:in nach der Herkunft der Blumen fragen. Es gibt noch keine Verpflichtung, die Herkunft von Blumen aufzuzeigen. Anders als für Gemüse und Obst. Wenn die Kund:innen vermehrt danach fragen, ändert sich das vielleicht … Wenn es angegeben ist, würden Menschen vielleicht darüber nachdenken, ob sie eine Hortensie aus Peru wirklich brauchen und vielleicht eine lokal angebaute Blume aus Deutschland bevorzugen. Am besten wäre es, alles selbst anzupflanzen, im Garten oder auf dem Balkon, aber das geht natürlich für die meisten Menschen nicht …

"Flower Ikebana" von Kenzo

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