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Team Deutschland bei den Paralympics 2024: Die Design Director von Adidas über die Entstehung der universellen Kollektion und die adaptiven Trainingsoutfits

Sowohl bei den Olympischen als auch bei den Paralympischen Spielen läuft Team D in den gleichen Outfits von Adidas auf. VOGUE hat mit Design Director Jacqueline King über die universelle Kollektion und die Adaptive Wear gesprochen.
Opening Ceremony Paralympics Paris 2024 Team Deutschland
Kevin Voigt/GettyImages

Paralympics 2024: Design Director Jacqueline King von Adidas spricht in VOGUE über die Entstehung der adaptiven Kollektion.

Um Profisportler:in zu werden, muss man vermutlich mit voller Leidenschaft bei der Sache sein. Ansonsten würde man die zahlreichen Trainingsstunden, die Entbehrungen und die körperlichen wie mentalen Strapazen wohl nicht auf sich nehmen. Das Feuer der Leidenschaft – es eint Athlet:innen weltweit, unabhängig von Geschlecht, Nationalität und Religion. Und eben auch unabhängig davon, ob die Athlet:innen Behinderungen haben oder nicht. So ist es auch nur folgerichtig, dass Adidas, Generalausrüster von 15 Nationen, eben jenes Feuer als Element für die Kleidung der Olympics und Paralympics in Paris 2024 gewählt hat – und somit alle Athlet:innen in derselben Kollektion auftreten.

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Das bedeutet aber auch, dass bestimmte Voraussetzungen für die Kollektion gelten müssen, wie etwa Hosen, die über Prothesen gezogen werden können oder Jacken, deren Längen in sitzender Position im Rollstuhl nicht störend sind. Mit VOGUE hat Design Director Jacqueline King von Adidas über den Entstehungsprozess der universellen Kollektion gesprochen und die Besonderheiten der Adaptive Wear erklärt.

Jacqueline King von Adidas war maßgeblich an der Entstehung der Kollektionen für die Olympics und Paralympics in Paris 2024 beteiligt.

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Jacqueline King von Adidas über die Entstehung der Kollektion für Team Deutschland bei den Paralympics 2024 in Paris

VOGUE: Wann haben Sie mit der Arbeit an der Kollektion für die Olympics und Paralympics 2024 begonnen?

Jacqueline King: Im Grunde genommen beginnen wir mit der Arbeit an den olympischen und paralympischen Outfits, sobald die vorherigen Spiele vorbei sind. Dabei überschneiden sich Winter und Sommer natürlich. Für Paris sind wir direkt nach Tokio 2020 in eine Feedback-Runde gegangen – in der wir festgestellt haben, dass wir für unsere Para-Athlet:innen noch viel mehr tun könnten. Darauf aufbauend haben wir an einer neuen Strategie gearbeitet. Das allein hat etwa sechs bis zwölf Monate gedauert. Darauf folgte das Briefing für das Marketing mit allen Details, wer was braucht und welche Bereiche wir gestalten werden – und dann ging es direkt an die ersten Skizzen.

Als Sie vor zehn Jahren bei Adidas angefangen haben, waren Sie zunächst im Sportswear-Bereich tätig, vor etwas mehr als zwei Jahren folgte der Wechsel zum Performance-Design. Macht es für Sie als Designerin einen Unterschied, ob Sie Kleidung speziell mit Fokus auf die Leistung entwerfen?

Für mich ist das Design für sportliche Leistung das überzeugendste und eben auch schönste Storytelling. Es gibt ein eindeutiges Bedürfnis der Verbraucher:innen – in dem Fall der Sportler:innen. Es geht darum, das Produkt besser zu machen. Dass es besser funktioniert. Und diese Hingabe für die Sportler:innen und ihre Leistung ist ja das, wofür Adidas seit fast 100 Jahren steht.

Sie haben vorhin über Feedback-Runden gesprochen, die dem Design-Prozess vorgelagert waren. Waren denn auch während der Entstehung der Kollektion Athlet:innen involviert?

Ja, wir haben eigentlich in jeder Phase des Design-Prozesses sehr eng mit den allen National Olympic Committees zusammengearbeitet. Adidas stattet neben Deutschland ja unter anderem auch noch Großbritannien, Ungarn, die Türkei und Polen aus. Aus diesen Ländern hatten wir zahlreiche Sportler:innen hier in Herzogenaurach oder auch in Portland zu Gast und haben mit ihnen Gruppeninterviews geführt. Es war großartig zu sehen, wie motiviert und entschlossen sie alle waren, die Produkte zu verbessern.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir die Entwürfe für die Podiums- und Präsentationskleidung mit Vertreter:innen von Team D in Frankfurt besprochen haben und Ali Lacin, der es ja leider final nicht nach Paris geschafft hat, zum ersten Mal versuchte, die Hose anzuziehen und sie nicht über seine Prothese bekam. Das hat bei uns natürlich intern sofort für große Diskussionen gesorgt. Wir mussten definitiv die Zugänglichkeit der einzelnen Kleidungsstücke verbessern. Das wurde zu einem essenziellen Teil unseres universellen Designkonzepts. Es geht darum, den Zugang zu erleichtern, die Unabhängigkeit zu fördern. Dass die Kollektion leichter an- und ausgezogen werden kann – und das eben von allen Athlet:innen.

Wir hatten mit den Athlet:innen aus Deutschland auch sehr offene Gespräche über die Eröffnungsfeier. In diesem Jahr hat es bei der Opening Ceremony der Olympischen Spiele viel geregnet, davor waren die Temperaturen sehr hoch. Solche saisonalen Schwankungen muss man berücksichtigen, immerhin tragen die Sportler:innen die Kleidung mehrere Stunden lang. Sie fahren mittags los, müssen dann meist lange warten und dann bis 22 Uhr oder noch später ausharren. Wir haben also eine viel breitere Produktpalette eingeführt, als wir ursprünglich geplant hatten, damit jede:r auswählen konnte, was ihr:ihm gefiel – auch bei den Hüten und Accessoires. Sie sind zwölf Stunden lang auf den Beinen, da sollten sie die Möglichkeit haben, ihr Outfit flexibel zu gestalten, und gleichzeitig Spielraum für persönlichen Stil und Geschmack haben.

In der öffentlichen Wahrnehmung scheint den Olympischen gegenüber den Paralympischen Spielen mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu werden. Ist eine einheitliche Kollektion auch eine Art, um zu zeigen, dass hier kein Unterschied hinsichtlich Relevanz und Bedeutsamkeit gemacht wird?

Ja, definitiv! Als wir ganz am Anfang nach Tokio in die ersten Feedback-Runden gegangen sind und beschlossen haben, uns auf die Para-Athlet:innen zu fokussieren, haben wir drei Kernpunkte für die Strategie einer universellen Kollektion festgelegt. Und der erste Punkt ist: Es ist ein Team! Es soll keine visuellen Unterschiede zwischen den Olympischen und Paralympischen Spielen gehen.

Der zweite Punkt ist: Wir müssen das Größenspektrum erweitern – vor allem, wenn wir an die Länge der Hosen denken. Denn für Sportler:innen, die in einem Rollstuhl sitzen, müssen die Hosen aufgrund der angewinkelten Knie einfach grundsätzlich ein paar Zentimeter länger sein, damit sie nicht immer knöchelfrei sind.

Und beim dritten Punkt ging es einfach um das Bewusstsein beim Design. Um die kleinen Dinge, die wir leicht in die Kollektion einbauen konnten. Wie beispielsweise Reißverschlüsse am Saum, damit man die Hose öffnen und über mögliche Prothesen ziehen kann. Oder auch die Wahl und Platzierung der Farbe. Für Rollstuhlfahrer:innen sind weiße Ärmel oder hellfarbige Paneele an den Armen aufgrund des Kontakts mit den Rädern nicht gut. Gleiches gilt für Logos und Grafiken. Vielen Para-Sportler:innen fehlen einzelne Gliedmaßen. Es war also essenziell, darauf zu achten, dass der Schriftzug des Landes nicht etwa auf den Ärmeln steht, weil dieser dann sonst bei einigen Athlet:innen fehlen würde.

Mit dieser dreiteiligen Strategie haben wir es geschafft, dass 81 Prozent unserer Kollektion universell sind – und damit besser für alle Athlet:innen. Darauf sind wir sehr stolz.

Para-Athletin Edina Müller im Podiumslook von Adidas für Team Deutschland.

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Gab es etwas, das Sie persönlich während des Design-Prozesses überrascht hat?

Ich glaube, für das gesamte Design-Team und mich war es ein großer Aha-Moment, als wir realisiert haben, dass Para-Athlet:innen keine außergewöhnlichen Wünsche für ihre Kleidung haben. Es geht um kleine Änderungen, die die Produkte aber sofort besser machen. Größere Reißverschlüsse, die leichter gegriffen werden können, machen es allen leichter. Überflüssige Nähte, die unangenehm reiben, stören alle. Manschetten oder Säume zu ändern, ist nichts, was irgendjemand vermissen wird. Das sind reine Lifestyle-Elemente, die wir durchsetzen können, um allen zu helfen. Das war unser Aha-Moment. Es sind keine unlösbaren Aufgaben. Man muss nur bereit sein, aufmerksam zuzuhören.

Lassen Sie uns zum Schluss noch über das adaptive Trainingsoutfit sprechen. Was hat es damit auf sich?

Als wir uns ganz zu Beginn des Design-Prozesses für ein universelles und adaptives Konzept für die Olympischen und Paralympischen Spiele entschieden haben, gab es ein weiteres Team bei Adidas, das den gleichen Weg eingeschlagen hat: das Design-Team für Trainingskleidung. Parallel zu uns haben sie ein Sortiment entwickelt, das speziell für Athlet:innen gemacht ist, die Sportarten im Sitzen (wie beispielsweise Rudern) oder im Rollstuhl ausüben. Für das Work-out-Shirt wurden dabei Nahtmuster angepasst oder auch Materialbündelungen minimiert, damit es zu weniger Hautirritationen kommt. Und bei der Trainingshose gibt es keine hintere Mittelnaht, um im Sitzen den maximalen Komfort zu gewährleisten. Bei dieser Adaptive Wear handelt es sich um eine kommerzielle Kollektion, die es für auch für Freizeitsportler:innen im Handel zu kaufen gibt.

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