Body Positivity

Der No-Bra-Trend ist auch 2023 aktuell – darum ist er mehr als ein Modetrend 

Ob auf den Laufstegen oder auf dem roten Teppich: Der No-Bra-Trend ist hochaktuell – und das schon lange. Wir verraten Ihnen, was dahintersteckt. 
PARIS FRANCE  MARCH 03   Bella Hadid walks the runway during the Coperni Womenswear FallWinter 20222023 show as part of...
PARIS, FRANCE - MARCH 03: (EDITORIAL USE ONLY - For Non-Editorial use please seek approval from Fashion House) (EDITOR'S NOTE: Image contains partial nudity) Bella Hadid walks the runway during the Coperni Womenswear Fall/Winter 2022-2023 show as part of Paris Fashion Week on March 03, 2022 in Paris, France. (Photo by Dominique Charriau/WireImage)Dominique Charriau

No-Bra-Trend : Warum es noch nie aktueller war, keinen BH zu tragen

Der No-Bra-Trend scheint gerade allgegenwärtig. Egal ob auf Events, auf roten Teppichen und den internationalen Laufstegen oder im Streetstyle: Auf BHs wird in den Looks immer häufiger verzichtet. Und das aus gutem Grund, denn während der Pandemie in den letzten Jahren hatten wir Gelegenheit, viele Rituale, die einst zu unserem Alltag gehörten, neu zu bewerten. Wenn es um unsere Kleidung ging, stellte sich somit zunehmend die Frage: Haben wir einen BH nur aus Gewohnheit angezogen? Und ist es vielleicht an der Zeit, den BH für immer abzulegen?

No-Bra-Trend: Ein Modetrend, der bleibt 

Wie uns die Ikonen der "BH-Losigkeit" – Philippine Leroy-Beaulieu, Rihanna und Kate Moss – gelehrt haben, dann geht es beim No-Bra-Trend um mehr als nur einen vorübergehend beliebten Kleidungsstil und stattdessen um Emanzipation und Eigenermächtigung. Schon als viele von uns während der Pandemie ihr Büro ins heimische Wohnzimmer verlegten, ging es bei der Entscheidung, keinen BH zu tragen, um eine gewisse Befreiung. Während des Lockdowns und der Isolation hatten wir es nicht nötig, uns für andere als uns selbst zu kleiden. Das wirft eine weitere Frage auf: Haben wir BHs nur getragen, um einer überholten gesellschaftlichen Norm zu entsprechen? 

Rihanna im spektakulären Naked Dress bei den CFDA Fashion Awards 2014

Rabbani and Solimene Photography

Chiara Ferragni trug beim Sanremo-Festival 2023 ein mit Kristallen verziertes Naked Dress.

Mondadori Portfolio/Getty Images

Egal, ob Sie persönlich diese Frage mit "Ja" oder "Nein" beantworten würden, auch jetzt, wo die Pandemie beginnt, der Vergangenheit anzugehören, ist der No-Bra-Trend noch immer präsent. Das Naked Dress zum Beispiel war bereits einer DER Kleider-Trend des Jahres 2022. Egal ob Megan Fox, Kendall Jenner oder Eva Longoria: Das Naked Dress war bei den Stars extrem beliebt, und es gab kaum einen roten Teppich, auf dem kein Nacktkleid zu sehen war. Auch in diesem Jahr scheint es mit dem Naked Dress ähnlich weiterzugehen. 

Das wahrscheinlich jüngste Beispiel: Chiara Ferragni in ihrem funkelnden Naked Dress beim Sanremo-Festival 2023. Das hauchdünne Kleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper und war mit Tausenden von Mikrokristallen versehen. Maria Grazia Chiuri, Kreativdirektorin von Dior, bezeichnete das Kleid daraufhin als eine "Ode auf die Schönheit des weiblichen Körpers in einer Zeit, in der in einigen Ländern der Welt die reproduktiven Rechte von Frauen bedroht sind, ihnen die Freiheit zu studieren und zu arbeiten genommen wird und ihr Recht auf ein friedliches Leben durch Krieg mit Füßen getreten wird". Es scheint also etwas mehr als eine Modeerscheinung hinter dem No-Bra-Trend zu stecken. Trotzdem dominierte er auch auf den Runways für Frühjahr/Sommer 2023 – mit Naked Dresses, schlichten Oberteilen, die ohne BH getragen wurden, und transparenten Tops und Lochstrick-Oberteilen. Aber was genau steckt hinter den zahlreichen No-Bra-Look? Um das herauszufinden, lohnt es sich, erst einmal auf die Geschichte des BHs zurückzublicken. 

No-Bra-Look bei der Frühjahr/Sommer-2023-Show von Fendi 

Salvatore Dragone / Gorunway.com

Naked Dress auf dem Laufsteg der Ferragamo-Show für Frühjahr/Sommer 2023

Filippo Fior / Gorunway.com

Ein kurzer Abriss über die Geschichte des BHs

Der BH selbst (kurz für Büstenhalter) tauchte zum ersten Mal in den frühen 1900er-Jahren auf, aber die Mode diktierte schon lange die Unterwäsche, da sie als Hilfsmittel zur Formung des Körpers dient. Die Gründe für das Tragen eines BHs haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Heutige "Büstenhalter" – sogar Kim Kardashians virale Shapewear Skims – sind darauf ausgerichtet, Form zu geben, genau wie ihre frühesten Vorgänger. Wohingegen Studien beweisen, dass es keine medizinischen Vorteile für das Tragen eines BHs gibt.

Es ist gesund, keine BHs zu tragen

Eine solche Studie aus dem Jahr 2013, die von einem Professor für Sportmedizin an der Universität Franche-Comté durchgeführt wurde (und die in der aktuellen YouTube-Bewegung "Why I don't wear a bra" weithin zitiert wird), kam zu dem Schluss, dass das Tragen eines BHs zwar die Form der Brüste erhält, sie jedoch schlaffer macht. Andere Studien haben gezeigt, dass der Verzicht auf den BH Schmerzen und Unbehagen verringert, insbesondere bei Frauen mit größeren Brüsten. Das deutet darauf hin, dass wir BHs aus rein ästhetischen und emotionalen Gründen tragen und nicht wegen eines wissenschaftlich nachgewiesenen Nutzens.

Der BH und die Frauenrechtsbewegung der 1960er-Jahre

Die gesellschaftliche Erwartung, dass Frauen einen BH tragen sollten, ist genau der Grund, warum der BH in den 1960er-Jahren so eng mit der Frauenrechtsbewegung und der weiblichen Emanzipation verknüpft wurde, als Frauen auf der ganzen Welt begannen, ihren Körper selbst in die Hand zu nehmen.

Daphné Dayle in einem Cut-out-Badeanzug von Rudi Gernreich

Paul Schutzer

In der Modewelt schuf der österreichisch-US-amerikanische Designer Rudi Gernreich 1964 als Reaktion auf die sexuelle Revolution den "No Bra"-BH, der die erotische Wirkung mit der Absicht, Frauen zu befreien, vereinte. Das bleibende Bild der BH-Bewegung der 1960er-Jahre ist jedoch der Miss-America-Protest von 1968, der von der New Yorker Bürgerrechtsgruppe Radical Women angeführt wurde. In einer Pressemitteilung im Vorfeld der Veranstaltung wurden die Demonstrantinnen darauf hingewiesen, dass ein "Freedom Trash Can" aufgestellt werden würde, um Gegenstände zu verbrennen, die für konstruierte Vorstellungen von Weiblichkeit stehen: wie BHs, Mieder, Lockenwickler, falsche Wimpern, Perücken und Ausgaben des Magazins "Cosmopolitan". Dies geschah zu einer Zeit, als junge US-amerikanische Männer ihre Einberufungskarten verbrannten, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Die beiden Bilder waren untrennbar miteinander verbunden. (Obwohl der Freedom Trash Can am Tag des Protests nicht tatsächlich in Brand gesetzt wurde, blieb das Bild der Frauen, die ihre BHs verbrannten, in Erinnerung.)

Der Protest von 1968 gilt als eines der bahnbrechenden Ereignisse der zweiten Welle der Frauenbewegung, und im folgenden Jahr war das Symbol des BHs im Kampf um die Befreiung der Frau fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Aber wenn man die BH-Freiheit zur Regel macht, unterwirft man sich nur einer weiteren Unterdrückung – das ist der Grundpfeiler des zeitgenössischen feministischen Denkens.

Demonstrierende beim Miss-America-Protest, 1968

Bev Grant

Ikonen des No-Bra-Trends

Es gibt eine Reihe von Bildern von inspirierenden Persönlichkeiten, die für ihre BH-losen Momente für Aufruhr sorgten. Zum Beispiel Jane Birkin, die bei der "Slogan"-Premiere 1969 ein durchsichtiges schwarzes Minikleid trug. Sie erzählte viele Jahre später der VOGUE Paris schmunzelnd: "Ich wusste nicht, dass es so durchsichtig ist. Das ist dem Blitzeffekt der Fotograf:innen geschuldet. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich keinen Schlüpfer angezogen!" 

Ohne BH: Jane Birkin während der "Slogan"-Premiere, 1969 

Yves LE ROUX

Ein weiteres Beispiel ist Cybill Shepherds Darstellung der neugierigen, karrierebewussten Betsy in Martin Scorseses "Taxi Driver" (1976), die ein Wickelkleid von Diane von Fürstenberg ohne BH trug, das Shepherd eines Tages von zu Hause mit zum Set gebracht hatte. 

Cybill Shepherd trägt als Betsy in "Taxi Driver" keinen BH, 1975. 

Columbia Pictures

Oder eine Patti Smith mit nacktem Oberkörper, fotografiert von Lynn Goldsmith im Jahr 1976: Sie trägt eine Lederjacke, unter der sie nichts anhat. Ihre androgyne Coolness inspirierte Generationen nach ihr. Später gab es Gloria Steinem, eine der Anführerinnen der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre. Sie war bekannt dafür, keinen BH zu tragen, wie 1984 auf ihrer Party zum 50. Geburtstag in einem seidenen Neckholder-Kleid.

Die No-Bra-Ikone schlechthin: Gloria Steinem

Ron Galella

Ein weiterer BH-loser Moment fand 1993 auf der Party von Elite Models für den "Look of the Year"-Wettbewerb statt. Auf dem Event erschien Kate Moss in einem durchsichtigen Slip-Dress. Und da wäre noch Rihanna, die von einem Reporter bei den CFDA Fashion Awards 2014 gefragt wurde, warum sie keinen BH unter ihrem durchsichtigen Kleid von Adam Selman trage. Darauf antwortete sie: "Stören dich meine Titten? Sie sind mit Swarovski-Kristallen besetzt, girl!"

No Bra: Kate Moss ist ein großer Fan des Trends.

Dave Benett

Abgesehen davon, dass Frauen die Wahl haben, ob sie einen BH tragen wollen oder nicht, haben uns die Maßnahmen in der Pandemie daran erinnert, wie gut es sich anfühlt, keinen BH zu tragen. Dieses Gefühl beschrieb die Schriftstellerin Hillary Brenhouse im "The New Yorker" folgendermaßen: "Ich mag das Geräusch, das meine Brüste machen, wenn ich die Treppe hinunterlaufe. Es klingt wie jemand, der höflich nach einer Aufführung klatscht, die er nicht besonders genossen hat […]. Ich mag ihre ungebundene Form, wie sie sich zu kleinen Spitzen zusammenziehen, die weichen Spitzen von Eischnee. Ich mag es, ihr Gewicht mit mir herumzutragen, so wie ich es mag, den Rest meines Körpers mit mir herumzutragen […]. Sie wackeln, und sie hüpfen, und es sammeln sich Schweißpfützen in meiner Brustfalte, die in Richtung meines Bauchnabels fließen. Während ich mich durch die Welt bewege und manchmal nur die kleinsten Gesten mache, gibt es immer einen Teil von mir, der tanzt."

So können Sie den gewagten No-Bra-Trend nachstylen

Schwarzes Häkel-Oberteil von Monki

Midikleid aus silberfarbenem Metallic-Garn von Dodo Bar Or

Halbtransparentes T-Shirt mit Stickerei von Mango

Geripptes Tanktop mit mit Cut-outs von Agolde

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Vogue.co.uk. Redaktionelle Bearbeitung von Hanna Buehrle und Larissa Ratschkowski. 

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